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PSYGH0L06ISGHE AR6EITEN
J
HERAUSGEGEBEN
YON
EMIL KRAEPELIN
PROFESSOB IN HEIDELBEBa
ZWETTEB BAin)
MIT 8 TAFELN UND 9 FIGUREN IM TEXT
LEIPZIG
VERLAG VON WILHELM ENGELMANN
1899.
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3r
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Inhalt des zweiten Bandes.
SeiU
Experimentelle Studien ilber Associationen. II. Theil. Die Associationen in
der Erschopfiing. Von Qustav Aschaffenburg 1
Unterauchungen aber die Tiefe des Schlafes. Von Eduard Michelson. Mit
5 Figuren im Text 84
Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels aiif fortlaufende geistige Arbeit.
Von WiLHELM Weygandt 118
Ueber die Messung der Auffassungsf&higkeit Von Ludwig Cron und EitfTL
Kraepelin 203
Die pBychischen Wirkungen des Trionals. Von Hans Haenel. Mit einer
Figur im Text 326
Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistung. Von Georg von
Voss. Mit einer Figur im Text 399
Unterauchungen aber die Sohrift Gesunder und Geisteskranker. Von Adolf
Gteoss. Mit Tafel I— VIII und zwei Figuren im Text 450
Zur Psychologie der traumatischen Psychoge. Von Adolf Gross 569
Ueber einfache psychologischc Versuche an Geaunden und Geisteskranken.
Von Joseph Reis ' 587
Rdmer^B Versuche liber Nahrungsaufnahme und geistige Leistungsfahigkeit.
Von WiLHELM Weygandt 695
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Experimentelle Studien liber Associationen.
n. Theil.
Die Associationen in der Erschopfong.
Von
Oustay Aschaffenbnrg.
Jede Veranderung unserer gleichmaBigen Lebensweise muss auch
eine Veranderung unseres psychischen Gleichgewichtes hervorruf en ; ja
wir konnen sogar soweit gehen, zu sagen, dass auch die anscheinend
geringfiigigsten Geschehnisse, die eine Veranderung des korperlichen
Zustandes hervorbringen, nicht ohne Einfluss auf die Geistesthatigkeit
bleiben konnen. Fraglich ist allerdings, ob unsere HUlfsmittel zur
Untersuchung empfindlich genug sind, um die Abweichungen fest-
stellen zu konnen. Diese Frage kann gewiss nicht fiir alle Falle
bejaht werden, um so weniger, da wir oft gar nicht wissen, welche
der verschiedenen Airten der Geistesthatigkeit von den Veranderungen
betxoffen worden ist; nicht alle Fahigkeiten werden durch dieselbe
Schadigung in Mitleidenschaft gezogen, es sind auch nicht alle gleich
empfindlich.
In den Studien uber die Vorstellungsbildung unter normalen Ver-
haltnissen^) hat die Beeinflussung des Associationsvorganges durch
1, Diese Arbeiten Bd. I, 209—299.
AUes, was in den folgenden AusfCihrungen enthalten ist, gilt nur fOr die
freie Vorstellungsbildung, wie sie in dem ersten Theile dieser Arbeit eingehender
dargestellt wurde. Ich bin mir wohl bewusst, dass meine Untersuchungsergeb-
nisse nicht ohne weiteres auf associative Thfitigkeiten wie etwa das Addiren von
Zahlen Qbertragen werden diirfen.
Kraepelin, Pijcbolog. Arbeit«D. II. \
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2 Gustav Aschaflenburg.
zufallige auBere Storungen das Verstandniss erschwert. Was aber in
jener Arbeit als ein Nachtheil empfunden wurde, kann bei der vor-
liegenden nur vortheilhaft sein, bei der es sich darum handelt, ab-
sichtlich abnorme Zustande zu schaffen und deren Einfluss auf den
Associationsvorgang zu untersuchen. Auf zwei Wegen konnen wir
dazu gelangen: Durch Gifte, die wir von auBen dem Korper zufiih-
ren, oder durch plotzliche Veranderung unserer Lebensgewohnheiten.
Auf beiden Gebieten liegen Vorarbeiten vor, von denen indessen
nur die von Kraepelin iiber die Einwirkung des Alkohols systema-
tisch angestellt worden sind.
Bisher ist nur wenig iiber den Einfluss der Ermiidung und der
Erschopfung auf den Associationsvorgang veroffentlicht worden.
Ich will deshalb gleich meine eigenen Versuche anfuhren und dann
vergleichen, ob und wie weit die bisherigen Erfahrungen damit iiber-
einstimmen. Das Material lieferten mir hauptsachlich die im Theil I
S. 213 naher geschilderten Nachtversuche, an denen sich 6 Herren be-
theiligten. Der Normalversuch des Herm cand. med. T (21 Jahre
alt) sowie ein weiterer von K sind bei den Normalversuchen nicht
verwendet worden, da sie erst nach Fertigstellung des 1 . Theiles an-
gestellt wurden. Ich werde bei der Besprechung derselben noch
eingehender darauf hinweisen, dass sie durchaus mit den bisherigen
Ergebnissen der Normalversuche Ubereinstimmen. Die Anordnung
der Experimente in den Versuchsnachten war, wie frliher ausgefiihrt
worden ist, folgende: Alle drei Stunden wurde eine Reihe von Asso-
ciationen gemacht; die Zwischenzeiten waren mit andersartigen Ex-
perimenten ausgefuUt. Die Reizworte wiederholten sich nicht. 5 Ver-
suche wurden mit einsilbigen, 4 mit zweisilbigen Reizworten gemacht.
Da T in der Handhabung des Lippenschlussels nicht hinreichend
geiibt war, benutzte derselbe zur Stromoffnung den Roemer'schen
Sprechapparat ; auBerdem wurde aus dem gleichen Grunde auf die
Zeitmessung bei K in dieser Nacht verzichtet. Die Versuche wurden
in folgender Reihenfolge angestellt:
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Cxperimentelle Studien Tiber Associfttionen. II.
Tabelle L
Zeitliche Reihenfolge der Yersuche.
1. K.
20/21. Vni. 92
4 Reihen
Yonje 50 einsilbigen Reizworten
2. L.
19/20. XI. 92
. . 50
3. B.
19/20. XL 92
» . 50
4. B.
28/29. m. 93
» » 50
5. E.
18/19. VII. 93
> » 50
6. K.
16/17. VII. 94
» » 100 zweisilbigen »
7. N.
16/17. VII. 94
» » 100
8. T.
8/9. II. 96
» » 100
9. K.
8/9. 11. 96
» » 100
ohne Zeitmessungen.
I. Yersnche mit zweisilbigen Reizworten.
Obgleich zeitlich die Experimente mit zweisilbigen Reizworten
spater fallen, will ich dieselben doch zuerst besprechen, weil durch die
groBere Anzahl der in jeder Versuchsreihe gebildeten Associationen
Zufalligkeiten leichter auszuschlieBen waren.
Tabelle II.
Nachtversuch.
K. 16/17 VII. 94.
Procentverh<niss der einzelnen Associations-
gnippen zu einander
Innere Asaocia-
tionen
AeuJJere Asso-
ciationen
Nicht sinnge-
m&fie Associa-
tionen
Mittelbare
Associationen
I. 10.20—10.57 p.m.
35
58
4
3
II. 12.59 — 1.25 a. m.
27
58
11
4
III. 3.40 — 4.11 a. m.
23
26
59
16
2
IV. 6.23 — 6.50 a. m.
53
20
1
Die Versuchsreihe I entspricht alien Anforderungen, die wir auf
Grund der Normalversuche zu stellen berechtigt sind. Die etwas
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4 Gustav Aschaffeoburg.
groBere Anzahl der auBeren Associationen sowohl als die geringe
Menge der nicht sinngemaBen bewegen sich durchaus in den gewohnten
Grenzen. Bei der Versuchsreihe, die 3 Stunden spater angestellt wurde,
hat sich das Verhaltniss der inneren zu den ganz unverandert ge-
bliebenen auBeren Associationen verschoben. Die Abnahme der in-
neren um 8 geht einer Zimahme der nichteinngemaBen um 7 parallel.
Damit ware schon die Anzahl der nicht sinngemaBen Associationen
erreicht, die wir im Versuche 5 der Tabelle XIV*^) als auffallig
groB bezeichneten, und zu deren Erklarung wir die durch psychische
En'egung (Aerger) geschaffene ungimstige Disposition heranzogen.
Die m. Versuchsreihe zeigt noch eine weitere Zunahme der nicht-
sinnentsprechenden Reactionen, die endlich in der letzten Reihe das
5fache der zuerst gefundenen Zahl erreicht. Diese merkwiirdige
Verschiebung der einzelnen Formen der Vorstellungsverbindung findet
ihre genauere Darstellung in der Tabelle ITI.
Tabelle m.
1 Procentverhaltniss der einzelnen A'saociationsarten zu
einander.
Nachtversuch.
K. 16/17. VII. 94.
n
II
11
*
s|
fi
si
i
S
s
ll
«
1
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Ill
111
i
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s
L 10.20—10.57 p. m.
12
15
8
14
6
3
3
5
38
46
48
2 2
3 8
—
—
3
4
2
II. 12.59—1.25 a. m.
7;i7
9 9
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5
3
9
S
3
—
m. 3.40 — 4.11 a. m.
6
lu
—
:-
—
—
IV. 6.23 — 6.50 a. m.
11
12
45
2
nl 1
1
—
—
1
In den einzelnen Alien der inneren Associationen pragt sich keine
gesetzmaBige Verschiedenheit aus, da der Wechsel in der Zahl zu
groB ist. Dagegen scheint eine groBere Neigung zur Bildung sprach-
licher Reminiscenzen zu bestehen, die mit einer allerdings geringen
Zunahme der Worterganzungen einhergeht. In der letzten Versuchs-
\j Mit einem Sterne * werde ich im Folgenden stets die Tabellen des
1. Theilcs dieser Arbeit kenntlich machen.
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Experiinentelle Stodien fiber Associationen. II. 5
reihe nehmen beide Associationsarten wieder etwas ab. Alle diese
Abweichungen sind indessen gering iind liegen durchans im Rahmen
des Physiologischen , sodass wir vorlaufig ims mit der Feststellung
dieser Verhaltnisse begniigen miissen. Ganz anders steht es aber
mit der voUig regebnaBig im Laufe der Nacht, d. h. mit zunehmender
Erschopfung wachsenden Anzahl der Associationen nach Gleichklang.
In 6 Normalversuchen, mit den verschiedensten Methoden angestellt,
war fiir die Versuchsperson K die hochste vorkommende Anzahl von
Klangassociationen 3,5^. Diese Menge sehen wir also schon in der
II. Versuchsreihe auf das Doppelte steigen und zuletzt das Fiinf-
fache erreichen; in dieser Reihe trat auch eine sinnlose Klang-
association auf, die wir ganz zweifellos als pathologisch zu betrachten
berechtigt sind.
Eine Gruppe von Reactionen fehlt ganz; es sind diejenigen, bei
denen weder der Inhalt noch der Klang des Reizwortes mit der Ant-
wort in nachweisbarem Zusammenhange steht. Derartige Reactionen
kamen je einmal in 2, dreimal in einem von 19 Normalversuchen
mit zweisilbigen Reizworten (Tab. XI* und XV*) vor. Die zu-
nehmende Erschopfung bUeb in dem besprochenen Nachtversuche
ohne Einfluss auf ihr Vorkommen, ebenso wie die Anzahl der mittel-
baren Associationen nur Schwankungen zeigt, die wir auch bei nor-
malen Verhaltnissen getroffen haben.
Diesem Versuche will ich unmittelbar den von der gleichen Per-
son stammenden vom 8/9. 11. 1896 anschlieBen. Die Verschiedenheit
der Methoden mit resp. ohne Zeitmessung kann die qualitative Ver-
gleichbarkeit nicht weiter beeintrachtigen, da wir bei den Normal-
versuchen keine Unterschiede in dieser Richtung gefunden haben.
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Gustay Aschaffenbiirg.
Tabelle IV.
NachtTenuch.
K. 8/9. n. 1896.
Procentvcrhftltnias der einielnen
Associationsfipruppen £u einander.
InnereAsso-
ciationen
0 S O
Nicht sinn-
gem&Oe
Aasocia-
tionen
llittelbare
Associa-
tionen
I. 9.42—9.58 p. m.
2a
74
2
1
II. 12.37 — 12.54 a. m.
26
50
20
4
m. 3.25—3.44 a. m.
20
58
25
2
IV. 6.15—6.24 a. m.
' 12
60
28
—
Tabelle V.
Nachtversuch.
K. 8/9. n. 96.
1
Procentyerh<niss der eiozelnen Associationsarten
zu einander.
is
!l
1^
it
II
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II
Mi
1
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P
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1
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I. 9.42—9.58 p. m.
11
12
—
9
3
62
39
- 2
ll! 9
1
—
—
—
—
—
4
2
U, 12.37—12.54 a. m.
10
16
12
—
11
—
—
—
—
—
—
m. 3.25 — 3.44 a. m.
! 8
6
1
2
1
50
52
8
5
15
20
2
3
—
—
—
IV. 6.15—6.24 a. m.
6
—
5
3
—
—
—
Die iiuBeren Umstande waren bei dem Versuche etwas ungunstig.
In dem Protokolle ist notirt: »Sehr miide; vorletzte Nacht bis 3,
letzte bis 1 Uhr gearbeitet«. Aus zwingenden Griinden konnte der
Versuch nicht verschoben werden. Vielleieht ist es auf die starke
Abspannung zuriickzufuhren, dass die Normabeihe Abends ^4^0 Uhr
ein so starkes Ueberwiegen der auBeren Associationen uber die inneren
erkennen lasst. Wie Tabelle V zeigt, ist es hauptsiichlich die Gruppe
der sprachlichen Reminiscenzeu, die so auBerordentlich zahlreich ver-
treten ist, zahlreich selbst fiir K, der objectiv und subjectiv sehr zu
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Bxperimentelle SfodieQ fiber Associationen. II. 7
dieser Associationsfonn neigt. Die Klangassociationen sind selten,
durchaus der Norm entsprechend. Die Fehlassociationen (so will
ich der Einf achheit wegen im weiteren Verlauf e der Arbeit die Gruppe,
in der das Eeizwort nur reactionsauslosend wirkt, nennen) fehlen
wieder ganz.
In der 11. Reihe ist das Verhaltniss der «inzelnen Associations-
gruppen voUstandig verandert, und zwar ist die Verschiebung im
wesentlichen auf Kosten der auBeren Associationen, speciell der
sprachlichen Reminiscenzen vor sich gegangen. Ein Theil derselben
ist duroh Worterganzungen ersetzt worden. Die Worterganzimgen
stehen den sprachlichen Reminiscenzen sehr nahe; sie bedeuten
sprachlich, wie im ersten Theile ausfiihrlicher dargestellt wurde,
einen Fortschritt, in der Werthschatzung der associativen Thatigkeit
dagegen einen Ruckschritt wegen der wesentlich geringeren Beein-
flussung der Associationsbildung durch den Inhalt des Reizwortes.
In dem Eintreten der Worterganzungen fiir die sprachlichen Reminis-
cenzen liegt also eine Verschlechterung des Versuches, die durch die
9 reinen Klangassociationen noch deutlicher wird. In den weiteren
Eeihen dieser Nacht nimmt die Zahl der Worterganzungen wieder
ab, bleibt aber noch immer ziemlich groB, wahrend gleichzeitig auch
die sprachlichen Reminiscenzen wieder haufiger werden. Die Zu-
nahme erfolgt aber nicht auf Kosten der Worterganzungen, sondem
der inneren Associationen; zugleich steigt die Zahl der Klangasso-
ciationen noch weiter ganz erheblich. Auf der Hohe der Erschopfung
sind fast der 4. Theil aller Reactionen solche nach reiner Klang-
ahnUchkeit. Die gesteigerte Neigung, nach Gleichklang zu associiren,
geht auch aus dem Vorkommen der zwei resp. drei sinnlosen Klang-
associationen hervor, die wie Schellfisch = Bellfisch, Schwelger
= Beige r das vollige Fehlen der Auffassimg des Begriffes und das
alleinige Vorwiegen des Tonfalles und Gleichklanges verrathen.
Das Nichtvorhandensein der Fehlassociationen entspricht durch-
aus dem Ergebnisse des erstbesprochenen Nachtversuches, ebenso die
Nichtbeeinflussung der mittelbaren Reactionen.
Die Veranderungen der Art zu associiren ist in den beiden Ver-
suchen von K die gleiche; nur quantitativ bestehen deutUche Unter-
schiede. Die IL Reihe des zweiten Versuches steht qualitativ vielleicht
noch unter der HE. des ersten ; die IH. Reihe des zweiten entspricht
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8
Gustav Aschftflenburg.
der letzten des ersten. AVir konnen daraus schlieBen, dass die Ur-
sache, welche die Veranderung hervorruft, bei dem letzten Versuche
intensiver eingewirkt hat als bei dem friiheren. Wir haben nun
einstweilen aus dem Ausfall des erstbesprochenen Versuches ent-
nommen, dass der fortschreitenden Erschopfung parallel eine Ver-
schlechterung der Associationsbildung sich zeigte, die sich in der
Abnahme der inneren und der Zunahme der Klangassociationen am
deutlichsten auspragte. Durch die Gleichheit dieser Erscheinung in
beiden Versuchen gewinnt die Wahrscheinlichkeit an Boden, dass es sich
nicht um ein zufalUges zeitliches Nebeneinander handelt, sondem dass
die Erschopfung die Veranderung der Associationsweise hervorruft. Der
Unterschied in dem Ausfalle beider Versuche ware dann unschwer
so zu erklaren, dass die erwahnte ungiinstige Disposition die Folgen der
in der Versuchsnacht entstehenden Erschopfung gesteigert habe; ja
wir konnen geradezu in der groBeren Intensitat der Wirkung bei
dem letzten Versuche eine Bestatigung unserer Annahme finden, dass
es thatsachhch die Erschopfung ist, die in der beschriebenen Weise
die Vorstellungsverbindung beeinflusst hat.
Tabelle VI.
Nachtveriuch.
N. 16/17. VII. 94.
Procentyerhftltniss der einelnen Amo-
ciationsgnippen xu einander.
InnereAsso*
ciationen
AeaDereAs-
sociationen
Nicht Sinn.
gemfcOe
ABsoda-
tionen
Mittelbare
Assoda-
tionen
I. 9.64—10.16 p. m.
32
42
23
3
n. 12.35—12.56 a. m.
33
48.
17
2
m. 3.15—3.37 a. m.
37
38
24
1
IV. 6.65 — 6.22 a. m.
25
34
39
2
Dieser Versuch von N nimmt von vornherein dadurch eine be-
sondere Stellung ein, dass die als normal geltende Versuchsreihe I
nicht unter vollig normalen Umstanden gemacht worden ist. Es war
ausdriicklich im Protokolle notirt: »Nacht vorher sehr schlecht ge-
schlafen; am Tage viel Arbeit*.
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Cxperiioentelle Studien fiber Associationen. II. 9
Ich habe bei der Besprechung der Reihe (Theil I, S. 269) darauf
hingewiesen, dass zu anderen Zeiten gemachte Versuche desselben
Individuums sich durch die grolie GleichmaBigkeit der Associationen
auszeichneten, und dass besonders die Associationen uberhaupt nicht
Yorkamen, in denen das Reizwort nur durch den Klang oder nur
reactionsauslosend wirkte. Die Bedingungen der ersten Reihe des
Nachtversuches von N wurden also eigentlich zur Annahme einer
schon im Beginne ziemlich groBen Erschopfung nothigen. Damit
stimmt auch der Ausfall des Versuches uberein. Der Vergleich
wenigstens der Ergebnisse mit dem Resultate der in erschopftem Zu-
stand von K gemachten Experimente zeigt, dass N da beginnt, wo
K endet.
Tabelle VH.
Naditverauch.
N. 16/17. VII. 94.
Procentverhftltniss der einzelnen AisociationBarten zu
einander.
is
|:|
III
1
<^S
If
1^
s
s
II
IS
ill
<
Ill
s
II
L 9.54 — 10.16 p. m.
23
7
2
18
6
18
2
16
4
—
— —
1
3
U. 12.35—12.66 a. m.
22
9
2
6
8 34
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1
4
12
16
3
2
4
1
1
-:■
1
2
1
III. 3.15—3.37 a. m.
20
14
3
13
IV. 5.65—6.22 a. m.
17
7
1
7
3
24
4
31
—
2
Das geht auch aus der Betrachtung der einzebien Associations-
arten hervor. Wahrend alle andem Formen nichts Charakteristisches
zeigen, sehen wir eine nicht unbetrachtUche Menge von Reimen ; vier
davon sind ganz sinnlos. Das vollstandige Fehlen aller Klang-
associationen in zwei normalen Versuchen lasst also wohl in dieser
Erscheinung etwas Abnormes erblicken, flir das die im Protokolle
vor Beginn des Versuches gemachte Notiz die Ei-klarung abgeben
kann. Die weiteren Versuchsreihen 11 und HL unterscheiden sich
nicht wesentUch von der I.; die 11. Reihe zeigt im Gegentheil eine,
wenn auch nicht sehr erhebliche Abnahme der Klangassociationen,
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10
GusU? Aschafleoburg.
dafiir allerdings die weitaus groBte Menge von sprachlichen Reminis-
cenzen. Anders dagegen verhalt sich die letzte Reihe. In dieser
steigt die Zahl der Reime und der Associationen nach Gleichklang
ganz plotzlich; sie erreicht das Doppelte der ohnehin schon hohen
Anfangszahl, das Achtfache der als obere Grenze des Normalen fest-
gestellten Anzahl von 4 Klangassociationen. 35 Reime und Klang-
associationen, davon 4 sinnlose, bei einer Person, die in mehreren
Normalversuchen nicht eine einzige derartige Vorstellungsverbindung
zeigt, stellen eine so auBergewohnliche Abweichung von der Norm
dar, dass schon recht bedeutende psychische Gleichgewichtsstorungen
zur Erklarung angenommen werden miissen. Wenn die Deutung
richtig ist, die wir fur das Auftreten zahlreicherer Klangassociationen
gefunden haben, so miissten wir fiir diesen Versuch annehmen: Die
zweifellos bestehende Erschopfung hat den Versuch von Beginn an
in der charakteristischen Weise gestaltet; die durch den Nachtver-
such hinzukommende Erschopfung aber hat ihre voile Wirkung erst
in der letzten Versuchsreihe entfaltet; bis dahin hielt die Spannkraft
noch auf dem von vomherein niedrigen Niveau vor.
Auch N zeigt keine Beeinflussung der mittelbaren Associationen
und der Pehlassociationen.
Tabelle Vm.
Nachtversuch.
T. 8/9. n. 1896.
Procentverh<nigs der einselnen
i AssociatioDsgruppen zu einander.
Innere Asso-
ciationen
AeuDere As-
sociationen
Niobt sinn-
gem&Be As-
sociationen
Mittelbare
Associa-
tionen
I. 9.20 — 9.48 p. m.
36
58
5
10 .
1
3
II. 12.10—12.35 a. m. 32
55
- III. 3.01—3.24 a. m. 30
58
U
1
IV. 6.52—6.15 a. m. 23
1
66
9
2
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Experimentelle Studien fiber Associationen. II.
Tabelle IX.
11
Xachtverauch.
T. 8/9. n. 1896.
!
Procentverh<nis8 der einzelDen ABSociationiarten
zu einander.
Hi
II
II
r
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II
11
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e
1
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1
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11
i
I. 9.20—9.48 p. m. 1
29
5
12
2
2
5
1
14
9
8
10
12
35
27
30
41
4
7
2
2
1
2
7
4
2
—
1
—
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1
3
n. 12.10—12.35 a. m. '
1
18
20
—
HI. 3.01—3.24 a. m.
13
12
12
IS
—
2
—
—
1
2
IV. 5.52—6.15 a. m. j
10
13
1
—
—
Der Normalversuch von T unterscheidet sich nicht von den
ubrigen. Die Anzahl der inneren und auBeren Associationen ent-
spricht ziemlich dem Durchschnitte. Die Rubrik der Associationen,
bei denen das Reizwort nnr durch den Klang wirkt, uberschreitet
mit 5 die Norm nicht, zumal wenn wir in der Tabelle IX sehen,
dass nnr eine einzige reine Klangassociation dabei ist; die anderen 4
sind Worterganzungen. Das Einzige, \fodurch der Normalversuch
auffallt, ist die groBe Zahl von Identitaten, die nicht mit einer
Neigung zu Dialect oder der Gewohnheit, in fremden Sprachen zu
sprechen, zusammengebracht werden konnte. Dass es sich nicht um
eine Zufalligkeit handelt, geht aus dem Constantbleiben der hohen
Zahl in der Versuchsnacht hervor; auBerdem zeigte sich in anderen,
hier nicht weiter verwertheten Normalversuchen stets die gleiche Er-
scheinung.
Die regelmaBigste Veranderung erleiden im Laufe des Experi-
mentes die inneren Associationen, die fortdauemd abnehmen, und zwar
sind es ausschlieBlich die Associationen nach Coordination und Sub-
ordination, die immer seltener werden. Die auBeren Associationen
bleiben bis zur HE. Reihe annahemd gleich, dann nehmen sie etwas
zu. Bis zur gleichen Reihe vermehren sich auch die Associationen
nach dem Klange der Reizworte. Es ist nun nicht unwichtig, diese
Gruppe genauer zu betrachten. In der II. Reihe haben eigentlich
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1 2 Gustav Aschaflenburg.
nur die Worterganzungen zugenommen; in der HI. aber sind es
wieder weniger geworden, wahrend nun die Associationen nach
Gleichklang zahlreicher geworden sind. Trotzdem also die Gruppe
sich quantitativ nicht verandert hat, ist die Qualitat der Associationen
noch geringwerthiger geworden. Bei den Worterganzungen bleibt
doch wenigstens das Gefiige des Reizwortes noch erhalten, wahrend
bei Reimen und Gleichklangen nur die Klangfarbe, das AeuBerlichste
am Worte, die Reaction anregt. Wir haben also in den Wort-
erganzungen eine Art Vorstufe der Klangassociationen. Diese waren
in den bis jetzt besprochenen Versuchen stets in der letzten Reihe
weitaus am meisten vertreten; hier zeigt sich nun zum ersten Male
eine Verminderung, die, wenn auch gering, doch um so mehr in's
Gewicht fallen muss, als sich die Gesammtzahl von der Norm nicht
weit entfemt. Es fehlt trotzdem aber auch dieser Reihe nicht die
Verschlechterung, denn von den 6 Gleichklangen sind 2 sinnlos
(Muschel = Huschel, Durre = HUrre). Gleichzeitig sehen wir in
derselben Reihe die geringste Menge der inneren Associationen und die
groBte Anzahl der sprachlichen Reminiscenzen, wodurch die anschei-
nende Verbesserung des Versuches wieder mehr als ausgeglichen wird.
Immerhin mlissen wir feststellen, dass die Zahl der Klang-
associationen zwar mit der fortschreitenden Erschopfung gegen die
Norm zugenommen hat, diss die Art der Klangassociationen fort-
dauemd minderwerthiger wird, dass aber im ganzen T nicht so aus-
gepragte Veranderungen zeigt wie K und N. Normalversuche, die
von T bei einer Untersuchung Uber die Trionalwirkung angestellt
wurden, ergaben stets eine Zunahme der Klangassociationen mit f ort-
schreitender Ermlldung. Da unser Wortmaterial erschopft war, sah
ich mich genothigt, zu dem Nachtversuche eine Reihe von Reizworten
zu benutzen, in der zwar die Wortfolge nicht mit den friiheren Ver-
suchen Ubereinstimmte , in der sich aber naturgemaB fast alle Reiz-
worte zum 2. Male befanden. Nun wissen wir aus den Experimenten
Kraepelin's mit der »Wiederholungsmethode«, dass sich die Asso-
ciationen sehr schnell fixiren. Anfangs ist allerdings diese Fixirung
noch nicht so fest, dass der Einfluss von Giften nicht im Stande
ware, die nahen Beziehungen zweier >geubter« Vorstellungsverbin-
dungen weit genug zu lockem, um die specifische Giftwirkung, d. h. beim
Alkohol die Neigung zu Klangassociationen, hervortreten zu lassen.
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Gxperimentelle Studien Qber Assoeiationen. II. 13
Aus der Betrachtung der Tab. XVII *) geht hervor, dass am 3. Tage
anter dem Einflusse des Alkohols die Zahl der aiiBeren Assoeiationen,
zu denen Kraepelin die Klangassociationen rechnete, stark zunahm.
Nicht weniger als 32 von 42 iiberhaupt noch nicht vorgekommenen
Assoeiationen waren solche nach Klang. Am folgenden Tag sank
(lie Zahl der auBeren Assoeiationen wieder urn \A ^ unter die Menge
der am 2. Tage gebildeten. Daraus lasst sich wohl ableiten, dass
Klangassociationen weniger fixirt werden, als die begrifflich ver-
bundenen. Es ist demnach nicht ganz von der Hand zu weisen,
dass die engere Verwandtschaft sinnentsprechender Assoeiationen
durch die vorherigen Experimente bei T noch fester gekniipft wurde,
so dass die Erschopfung weniger intensiv wirken konnte, als es viel-
leicht sonst der Fall gewesen ware. Beweisen lasst sich diese An-
schauung allerdings nicht.
In Reihe 11 und IV findet sich je eine, in Reihe III zwei Fehl-
associationen. Daraus zu schUeBen, dass sie in irgend welchem
Zusanmnenhang mit der Erschopfung stehen, geht wohl nicht an, um
so weniger, als die Zahl ja nicht zunimmt.
11. Versuche mit einsilbigen Reizworten.
Bei den einsilbigen Worten besteht in weit hoherem Grade als
bei den zweisDbigen die Neigung, die Silbe durch Anhangen eines
Wortes in sprachliche Reminiscenzen oder in Wortergiinzungen zu
verwandeln. Dadurch wird es erklarlich, dass dauemd eine verhiilt-
nissmiiBig groBe Anzahl von Worterganzungen vorkommt, abgesehen
von den bei jedem Experimente gesondei-t zu besprechenden Ursachen.
1, Kraepelin, Beeinflussung einfacher psychigcher Yorg&nge durch einige
Arzneimittel. Jena 1892, S. 58.
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14
Gustav Ascbaffeiiburg.
Tal>elle X.
Nachtverguch.
K. 20/21. Vni. 92.
Procentverhfiltnbs der einzelnen Abbo-
ciationsgpruppen zu einander.
1
InnereAsso-
ciationen
AeuBereAs-
sociationen
Nicht sinn-
gemfcQeAfi-
sociationen
Hittelbare
Aasocia-
tionen
L 10.10 — 10.40 p. m.
16
64 i 20
—
II. J.13— 1.35 a. m.
20
58 22
—
III. 4.12—4.39 a. m.
18
54
28
2
IV. 6.55—7.12 a. m.
14
48
36
Tabelle XI.
Nachtverguch.
K. 20/21. Vm. 92.
ProcentverhaltniBB der einzelnen AsBociationegruppen zu
einander
III
1
2
2
II
52
56
50
38
If
14
8
16
18
«
6
1
1
a
e
en
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S
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1
o5
II
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ill
^1
1
ii
2
I. 10.10—10.40 p.m. '
II. 1.13—1.35 a.m.
III. 4.12—4.39 a. m.
8| 6,2
10
'
—
4
(>
—
—
2 16 1 2
4,86
4 8 2
1
2
—
6i-
2
:
—
4
2
6
10
2
6
IV. 6.55—7.12 a.m.
s
4
2
—
Der Xormalversuch von K in Tab. X zeigt eine sehr erhebliche
Anzahl der nicht sinngemaBen Associationen. Diese setzen sich zu-
sammen aus 2^ Klangassociationen und 14^ AVorterganzungen,
denen sich noch 4 ^ Wiederholungen des Reizwortes anfUgen.
Tab. XX* zeigt, dass die groBe Anzahl der Worterganzungen zwar
fUr den vorliegenden Versuch den Durchschnitt liberragt, dass aber
bei alien Versuchen mit einsilbigen Reizworten ein deutliches Ueber-
wiegen dieser Reactionsform denen mit zweisilbigen Reizworten gegen-
iiber besteht. In dem Verlaufe der Nacht zeigt die HI. und noch
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Experimentelle Sttidien 0ber Assoeiationen. 11. 1 5
raehr die IV. Reihe eine geringe Zunahme, der aber in der 11. eine
verhaltnissmaBig bedeutende Abnahme gegeniibersteht. Der Einfluss
der Erschopfung auf das Auftreten der Worterganzungen ist also
edenfalls in diesem Versuche kein sehr intensiver. Ganz anders
verhalten sich dagegen die Assoeiationen nach Gleichklang. Diese
sehen wir wieder wie im 1. und 2. Versuche (Tab. EH und V) mit
dem Vorriicken der Nacht allmahlich zunehmen ; nnr die letzte Reihe,
in der auch wieder, wie in jenen, sinnlose Reime auftreten, zeigt ein
schnelleres Anwachsen der Klangverbindungen. Die Zunahme erfolgt
hauptsachlich auf Kosten der auBeren Assoeiationen, wahrend die
ohnehin nicht sehr zahkeichen inneren nur um ein geringes schwanken.
hn ganzen steht der Versuch in gutem Einklange mit den beiden
andem von K gemachten. Die Uebereinstimmung erstreckt sich aber
nicht auf die Masse der Fehlassociationen. Diese fehlten bei den
zuerst besprochenen 2 Versuchen ganz, wahrend in dieser Nacht ihre
Anzahl zwischen 4 und 8 % schwankt. (Bei der GroBe dieser Zahlen
ist stets in Betracht zu ziehen, dass es sich um Procentzahlen handelt,
die also das Doppelte der wirkhchen Zahl angeben.) Die erste Reihe
enthalt am wenigsten solcher Reactionen, die zweite am meisten. Die
friiheren Versuche machten es unwahrscheinUch, dass die Erschopfung
die Entstehung dieser Reactionsform begiinstige. Dieser Annahme
wiirde die Zunahme derselben von der I. zur 11. Reihe widersprechen;
nun verringert sich aber die Zahl in den beiden letzten Reihen wieder.
Daraus folgt allerdings noch keine Bestatigung unserer Annahme von
dem Fehlen des Einflusses der Erschopfung; mindestens aber wird
der anscheinende Widerspruch dadurch etwas abgeschwacht.
Es lohnt sich vielleicht, die drei Versuche von K noch unter-
einander zu vergleichen. Das gleichmaBigste Ergebniss zeigten die
Klangassociationen; die vier Zeitabschnitte der Nacht lassen eine all-
mahUche Zunahme der Wortverbindungen nach dem reinen Klang
erkennen, und zwar war die Zunahme in alien Versuchen so, dass
der erste Zeitabschnitt die geringste, der zweite eine etwas groBere
Anzahl aufwies, dass der dritte noch ein weiteres Anwachsen er-
kennen lieB, und dass endlich bei dem letzten Versuche jede Nacht
die Neigung zu Klangahnlichkeiten nochmals ganz erheblich zunahm.
Sonst aber war eine einigermaBen constante Veranderung einer Asso-
ciationsform mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Die Zunahme der
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16
GusU? AsebafleDborg.
Klangassociationen erfolgte bald auf Kosten der inneren, bald der
auBeren. Auch die sprachlichen Reminiscenzen und die Wort-
erganzungen lassen keinerlei regelmaBige und eindeutige Zunahme
erkennen.
Tabelle XH.
jl
il ProcentvcrhaltniBs der einzelnen Asso-
1 ciationssruppen zu einander.
Nachtvermich. i'
,1
L. 19/20. XI. 92. ||,.„„i^
1 ciationen
AeaBereAs-
■ociationen
48
NichtBian.
gem&Oe As-
sociationen
14
Mittelbare
Asflocia-
tionen
2
I. 9.18—9.36 p. m. 36
II. 12.13—12.34 a. m. 32
46
16
22
6
III. 3.10—3.25 a. m. 30
42
6
4
IV. 5.43 — 5.55 a. m. ,| 14
1
62
20
Tabelle XIH.
Nachtversuch.
L. 19/20. XL 92.
Procentverhftltniis der einzelnen Associationsarten
zu einander.
If ill
m'4
lis
1 Jl
il
li
e
1
—
>
a
a
1
1
%
1
II
El
i
2
I. 9.18 — 9.36 p.m.
1 10 201 6
2
2
44
10 1 4
—
— —
—
—
II. 12.13—12.34 a. m.
22 10 1 —
s !-
38
10 1 6
—
— 1 —
—
—
6
III. 3.10 — 3.25 a. m.
16 12 2
2
40
- - - 1 -
12- 8 1 —
2
6
IV. 5.43 — 5.55 a. m.
lOJ 4 —
12
2
48
12 8 1-
— ! — 1 — 1 —
4
Dieser Versuch weicbt darin von den bis jetzt besprochenen ab,
(lass die groBte Anzahl der nicbt sinnentsprecbenden Associationen
in der Til. Rt^ibe erreicbt winb wiibrend bisber das Maximum dieser
Form der Vorstelbmgsverbindungen in der b^tzten Reibe lag. Die
Nomialreibe entbiilt nur eineii dem Durebscbnitt entspreehenden
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Experimeiitelle Studien uber Associatiouen. II. ]7'
Procentsatz von Reimen, zu denen eine nicht ganz geriuge Anzahl
von Worterganzungen hinzukommt. Die Worterganzungen bleiben
in der 11. Reihe ebenso haufig; die IH. und IV. sind darin unter-
einander ebenfalls gleich und zeigen eine geringe Zunahme gegeniiber
den beiden ersten Reihen. Die Zahl der reinen Klangassociationen
wachst von Versuch zu Versuch an; dagegen bleibt sie in der letzten
Reihe unverandert, was um so auffalliger ist, als wir bei den Experi-
menten der anderen Versuchpersonen gerade zum Schluss oft ein
schnelles Ansteigen beobachten konnten. Ueberhaupt ist die Zahl
der Gleichklange nur gering, wenn auch groBer als unter normalen
Umstanden. Wir wiirden also fur L annehmen miissen, dass die
Neigung zur Associationsbildung nach dem Gleichklang iiberhaupt nicht
groB ist und auch unter dem Einflusse der Erschopfung nur wenig zu-
nimmt. Ersteres wird durch den Vergleich mit einem 2. Normalversuch
(Tab. XX*, 9) bestatigt; in diesem fehlten bei 100 Reactionen solche
nach reinem Klang voUstandig, und auch Worterganzungen traten
nur ein einziges Mai auf. Wenn aber auch der vorliegende Nacht-
versuch die Einwirkung der Erschopfung auf die Zahl der Klang-
associationen weniger deutlich hervortreten lasst, so ist doch an-
dererseits nicht zu verkennen, dass der Unterschied den anderen
gegeniiber nur ein quantitativer, nicht ein qualitativer ist.
Die inneren Associatiouen nehmen von Reihe zu Reihe ab; in
der letzten wird diese Abnahme nicht nur durch das Anwachsen der
Klangassociationen hervorgerufen, sondem es gehen sogar einige
innere in auBere iiber. Die Zahl der sprachlichen Reminiscenzen ist
zuletzt am groBten. Ganz unbeeinflusst bleibt wieder die Gruppe der
Fehlassociationen. Das ganz vereinzelte Vorkommen einer Association
ohne jeden erkennbaren Zusaramenhang in der m. Reihe beruht wohl
sicher auf einer Zufalligkeit.
Kraepelin, Pfycholog. Arbeiten. IL
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18
Gnstar Aschaffenbor);.
Tabelle XIV.
Nachtversuch.
B. 19/20. XL 1892.
Procentverhfiltnisg der einzelnen Asso-
ciationsgruppen zu einander.
1 i
Innere Asso- j AeuBere As-
ciationen ; sociaiionen
i
Nicht sinn-
gemaOe As-
sociationen.
Mitielbare
Associa-
tionen
I. 11.04—11.20 p.m.
20
30
50
—
II. 1.56—2.12 a. m.
14
28
58
~~
III. 4.33 — 4.48 a. m.
18
28
54
IV. 6.54—7.08 a. m.
2
10
88
—
Tabelle XV.
Nachtversuch.
B. 19/20. XI. 1892.
1
Procentverh<niss der einzelnen Associationsarten zu
einander.
is
11
6
•1"
u
III
1
"a
o
s
is
1=
o
S
1
1
1
1
•s
1
II
SI
jii sillil
ir if r
if
i
I. 11.04—11.20 p.m.
16
8
2
6
2
10
8
2
2
18
20
16
6
6
10
4
6
— I —
4
34
—
10
—
U. 1.56—2.12 a. m.
III. 4.33—4.48 a. m.
40
—
8
16
2
10
4
36
2 \ 8
1
IV. 6.54—7.08 a. m.
'
30
8
30
6
8
Wie icli in dem 1. Theile dieser Arbeit ausfiihrlicher dargestellt
liabe (vgl. S. 278, 279), befand sich die Versuchsperson B zur Zeit
der Versuche in einem nervosen Zustande, der hauptsachlich als eine
Steigerung seiner angeborenen Neurasthenie durch Gemiithsbewegungen
aufgefasst werden musste. Auf diesen Umstand glaubte ich die ganz
auBergewohnlieh groBe Anzahl nicht sinnentsprechender Associationen
zuruckfuhren zu konnen, die sich in dem Normalversuche fand. Dieso
Zahl setzt sich aus ganz anderen Elementen zusammen, wie ahnlich
groBe Mengen nicht sinnentsprechender Associationen bei der Er-
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Experimentelle StadieD Qber issociationen. II. 19
schopfung. Reime und Gleichklange fehlen voUstandig, nur dreimal
kommen Worterganzungen vor. Dagegen war in 5 Fallen ein Zu-
sanunenhang des Reizwortes mit der Reaction nicht zu erkennen. So
wnrde z. B. einmal auf das Reizwort Mai mit Uhr reagirt; die Ver-
anlassung dazu war sichtlich das zufallige Erblicken der zur zeitlichen
Controle auf dem Tische liegenden Uhr gewesen. AuBerdem waren
I7mal friihere Associationen wiederholt worden, ohne dass eine be-
griffliche Verbindung mit dem Reizworte bestanden hatte. Die Fehl-
associationen nehmen nun zum 1. Male im Laufe der Versuchs-
nacht an Zahl zu; von 44^ steigt ihre Anzahl auf 48, auf 50, um
dann allerdings auf der Hohe der Erschopfung wieder etwas abzu-
nehmen (44^).
Um diese Verhaltnisse aber richtig wurdigen zu konnen, be-
darf es einer eingehenderen Betrachtung, wie sich die an Zahl weit-
aus groBte Gruppe der Wiederholungen friiherer Reactionen ohne
Sinn verhalt. Bei der I. Reihe gehoren die 17 Wiederholungen frii-
herer Reactionen ohne Sinn zu 4 Reizworten. Wie ich schon im
J. Theil erwahnte, wurde das Wort Stein Tmal, darunter 5mal
ohne Sinn, das Wort Hut sogar 14mal, davon 9mal ohne Zu-
sammenhang associirt. Auch in der 11. Reihe wurde 4mal ohne
Zusammenhang auf Stein und 10 mal, davon 7 mal sinnlos, mit Hut
reagirt. Dazu kommen aber noch 8 weitere Reizworte, zu denen die
Reactionen keine begrifflichen und keine Klangbeziehungen batten.
Wir sehen also, dass dies zahe Haftenbleiben an der einmal ge-
bildeten Association seine schadliche Wirkung auch noch in der fol-
genden Versuchsreihe entfaltet. Es kann demnach nicht weiter auf-
fallen, wenn die Anzahl der zusammenhangslosen Wiederholungen im
Laufe der Nacht zunimmt, da auBer den stereotypen Antworten jedes
Versuches selbst noch die friiheren fixirten Reactionen nach der
gleichen Richtung hinwirken. In der HI. Reihe verringert sich die
Menge der nicht sinnentsprechenden Wiederholungen wieder etwas,
obgleich nach dem Besprochenen eher eine Vermehrung zu erwarten
gewesen ware. Auch diesmal wurde in 2 Fallen mit Hut sinnlos
reagirt, ebenso in der letzten Reihe noch 3 mal. Trotz des intensiven
Klebens an diesem und einigen anderen Worten sind zum Schlusse
der Versuchsnacht sogar noch weniger sinnlose Wiederholungen vor-
handen als zum Beginne des Experimentes. Je groBer die Zahl der
2*
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20 Gustav Aschafleoburg.
vorgekommenen Antworten ist, um so leichter werden identische Ani-
worten auftauchen miissen, wenn die Disposition dazu unverandert
bleibt. Thatsachlich sehen wir ja auch das Wort Hut bis zum
Schlusse des Versuches seine vordringliche , zwangsmaBige Wirknng
entfalten. Wenn nun trotz der groBeren Anzahl der zur Verfugung
stehenden Worte die Zunahme der nicht sinnentsprechenden Ant-
worten so gering ist und schlieBlich sogar wieder sinkt, so lasst sich
wohl annehmen, dass die Erschopfung keine erhebliche Wirkung in
dieser Richtung ausgeiibt hat, zumal wenn wir die besondere Nei-
gung von B zu dieser Reactionsform zur Zeit des Versuches mit
beriicksiehtigen. Es bestatigt also dieser Nachtversuch abennals
unsere bisherigefi Erfahrungen iiber das Verhaltniss der Fehlasso-
ciationen zur Erschopfung.
Sehr auf f allender Weise zeigen die ersten 3 Reihen ein ganz gleich-
maBiges Verhalten. Weder die inneren noch die auBeren Associationen,
weder die sprachUchen Reminiscenzen noch die Worterganzungen las-
sen eine nennenswerthe Veranderung erkennen, und, was das MerkwUr-
digste ist und unseren bisherigen Erfahrungen am meisten widerspricht :
die Associationen nach Gleichklang sowie Reime fehlen ganzUch. Wir
haben schon einmal bei N gefunden, dass die allerdings von Anfang
an hohe Zahl von Klangassociationen in den ersten 3 Reihen unveran-
dert blieb ; erst zuletzt, also auf der Hohe der Erschopfung, wuchs die
Menge fast auf das Doppelte. Bei B ist die ganz ahnUche Veranderung
der Associationsbildung dadurch um so auffallender, dass nach dem vol-
Ugen Fehlen jeden Gleichklanges und Reimes plotzlich 38 % derartiger
Associationen in der letzten Reilie auftreten, von denen 8 vollig sinn-
los sind (Gries = Schmies; Fiirst = Wiirst und ahnliche). Es
muss also wohl auch fur diesen Nachtversuch wie bei N angenommen
werden, dass die voile Wirkung der Erschopfung erst in sehr vor-
geschrittener Stunde zur Entfaltung kam. Ich kann nicht umhin, hier
besonders daran zu erinnern, dass die gleiche Versuchsreihe, die eine
sehr ausgepragte Erschopfung in dem massenhaften Auftreten von
Klangassociationen erkennen lasst, eine Abnahme der Fehlassociationen
zeigt, eine neue und nicht unwichtige StUtze unserer Anschauung iiber
die Nichtbeeinflussung dieser Reactionsform. Die inneren Associatio-
nen sind auf eine, die auBeren auf 5 reducirt, wodurch die Minder-
werthigkeit der letzten Reihe noch deutlicher henortritt.
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Experimentelle Studien Qber Atsoeiationen. II.
Tabelle XVI.
21
Nachtversuch.
B. 28/29. m. 1893.
1
Verhftltiiiss der eins^lnen Associations-
gruppen zu einander.
InnereAsso-
ciationen
AenOereAs-
sociationen
Nicbtsinn-
gem&OeAs-
sodationen
Hittelbare
Associa-
tionen
L 9.20—9.32 p. m.
24
60
12
4
II. 12.23—12.34 a. m.
30
54
12
4
IIL 2.55—3.06 a. m.
28
56
14
2
IV. 6.01—6.14 a.m.
12
60
26
2
Tabelle XVH.
Nachtrersuch.
B. 28/29. m. 1893.
Verhftltniss der einzelnen Associationsarten zu
einander.
%
11
III
2
2
CO
ti
e
1
>
1
1
III
III
III
IIS
1,
I. 9.20—9.32 p. m.
16
2
6
12
8
8
4
$
40
32
44
38
6
12
6
14
2
4
8
2
"~
4
—
—
4
4
2
2
IL 12.23—12.34 a. m.
10
20
12
18
8
2
14
8
14
—
—
—
IL 2.55—3.06 a. m.
4
—
—
IV. 6.01—6.14 a. m.
2
__
—
Der zweite Nachtversuch von B zeigt ganz unzweifelhaft deut-
lich, (lass die abnorme Menge der nicht sinnentsprechenden Reactionen
als eine voriibergehende Erscheinung aufgefasst werden musste. Ich will
in dieser Beziehung nochmals darauf hinweisen, dass auch die beiden
Normalversuche von B vom 19. und 28. XL 1892 (vgl. Tab. XX* 2
und 3) diese Anhaufung der Fehlassociatonen zeigen, wahrend sie in
dem Versuche am 10. XL 1892 (Tab. XX* 1) und 24. VH. 1894
(Tab. XrV* 1), sowie in sonstigen von mir nicht bearbeiteten Ver-
suchen vollstandig fehlten. Auch in diesem Nachtversuche ist ihre
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22 Gustav Aschaffenburg.
Anzahl auBerordentlich gering; eine Beeinflussung diirch die Er-
schopfung fehlt auch diesmal vollstandig.
Eine regelmaBige Zunahme der Worterganzungen lasst sich nicht
nachweisen; immerhin ist ihre Zahl besonders in der letzten Reihe
recht hoch, zumal uns der Vergleich mit den 5 Normalversuchen der
Tab. XX* zeigt, dass B nicht sonderlich zu dieser Reactionsform hin-
neigt. Die eigentlichen Klangassociationen sind auch diesmal sparlich
vertreten, in der Normab-eihe mit 2^, in der 11. Reihe gar nicht, in
der m. mit 4 und erst in der letzten mit 10^. Darin wurde also
dieser Nachtversuch mit dem vorher besprochenen vollstandig iiberein-
stimmen, dass die eigentUche Zunahme erst auf der Hohe der Er-
schopfung erfolgt. Wahrend aber in jenem die Menge der Klangasso-
ciationen dann mehr als ein Drittel aller uberhaupt gebildeten
Reactionen betrug, bleibt es hier bei der bescheidenen Zahl von
10)1^. In dem Vorkommen eines sinnlosen Reimes erkennen wir ja
wohl die intensive Wirkung des Klarigbildes ^ieder; immerhin bedarf
die geringe Menge der Erklarung. Ich glaube auch fur diesen Ver-
such, ahnlich wie S. 12 auseinandergesetzt wurde, auf die gleiche
Moglichkeit hinweisen zu konnen, dass namlich die hohens^erthigen
Associationen sich starker fixiren als die locker verbundenen nach
Klang oder die Fehlassociationen.
Zu den Normalversuchen am 19. XI., am 28. XL 1892 imd
26. IV. 1893 waren stets die gleichen Reizworte genommen worden.
Von den 25 sinnentsprechenden Antworten (inneren und auBeren
Associationen) des 1. Versuches kehrten 10 in alien 3 Versuchen
und 3 in 2 Versuchen wieder. Dagegen wiederholten sich nur
2 Worterganzungen in je 2 Versuchen; sonst kehrte keine der nicht
sinngemaBen Reactionen iiberhaupt in einem anderen Versuche
wieder. Ebenso wiederholten sich bei den beiden Nachtversuchen
von den 19 Reimen der letzten Reihe nur 2, \t)n den 44 nicht sinn-
entsprechenden Antworten im Ganzen nur 4, wahrend sich von den
6 inneren und auBeren Associationen 3 in beiden Versuchen finden,
d. h. 9^ :50^.
Ich glaube, diese Erwagungen werden genUgen, um abermals
darzuthun, wie viel fester das Band zwischen Reizwort und Reaction
ist, wenn der WortbegrifT der Associationsbildung zu Grunde liegt:
dadurch erklart sich dann auch, warum ein spaterer Versuch mit den
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Lxperimentelle Studieo fiber Associatiouen. II.
28
gleichen Reizworten die Bildung sinnentsprechender Associationen
besonders begiinstigt, so dass die Neigung zu Gleichklangen iind Reimen
weniger hervortreten kann. Die auBeren Associationen bleiben sich
an Zahl ziemlich gleich, wahrend die inneren in der leteten Reihe
wie auch im 1. Nachtversuche von B recht selten werden.
Tabelle XVHI.
Nachtversuch.
E. 18/19. VII. 1893.
I Procentyerhfiltniss der einzelnen Asso-
{ ciationsgruppen zu einander.
1
t
'Innere Asso-
' ciationen
1
AettO«re As-
sociationen
Nicht Sinn-
gem&Be As-
sociationen
Mittelbare
Associa-
tionen
I. 9.25—9.40 p. m.
22
56
18
4
II. 12.02 — 12.14 a. m.
8
54
34
4
III. 2.56—3.11 a. m. .
2
58
40
—
IV. 5.56—6.09 a. m.
2
50
48
—
Tabelle XIX.
Nachtversuch.
K 18/19. VIL 1893.
Frocentyerh<DisB der emzelnen Assooiatiofisarten
arten zu einander.
ri2
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Assoc, ohne er-
kennbaren Zu-
sammenhang
II
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I. 9.25—9.40 p. m.
16
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2
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4
44
52
50
42
28
34
40
1
8
4
6
4
II. 12.02-12.14 a. m.
4
2
4
2
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4
IIL 2.56—3.11 a. m.
2
2
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—
2
—
2
IV. 5.56—6.09 a. m.
2
—
—
6
2
4
—
4
Die Normalreihe der Versuchsperson E gleicht insofem der in
Tab. XV wiedergegebenen, als die G-ruppe der Fehlassociationen mit
^^% starker in den Vordergrund tritt Wie ich schon im 1. Theile
(8. 278) hervorhob , zeigten Versuche , die ein Jahr spater angestellt
warden, dass E auch zu der Zeit die gleiche Neigung zu Reactionen
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24 GusU? AsobafleDburg.
hatte, bei denen der Sinn und der Klang des Reizwortes zu der
Antwort in keinerlei Beziehung stand. Da der betreffende College
subjectiv keinerlei Empfindung eines momentan bestehenden abnormen
psychologischen Zustandes hatte und auch irgend welche Erklarung
dnrch auBere Umstande zu geben auBer Stande war, so bleibt bei
der Constanz der Erscheinung nur die Annahme ubrig, dass eine
constitutionelle Eigenthiimlichkeit des Associationsvorganges bei E
vorhanden ist, die mit der Erschopfung, wie sie durch schnelle Aus-
nutzung der vorhandenen Spannkrafte entsteht, nichts zu thun hat.
Dies geht aus dem volligen Fehlen der fiir die Erschopfung als
charakteristisch angenommenen Klangassociationen hervor. Eine nicht
unwichtige Bestatigung liegt in der Erfahrung, dass die Zahl der
Reactionen ohne Beziehungen zum Reizworte auch bei dieser Ver-
suchsperson im Laufe der Nacht nicht zu-, sondem abnimmt Die
Uebereinstimmung dieser Erscheinung bei alien bisher besprochenen
Versuchen ist eine ganz voUstandige und eindeutige. Wenn die
Neigung zu dieser Reactionsform auch bei Pei*sonen, die vortiber-
gehend oder dauemd eine besondere Neigung dazu zeigten, wie E
und B im 1. Versuche, durch die Erschopfung nicht gesteigert, sondem
eher vermindert wird, so ist der Schluss wohl berechtigt, dass diese
Art der Vorstellungsverbindung anderen Ursachen ihre Entstehung
verdankt, als der Erschopfung.
Nun fehlen allerdings bei E die Reime und Associationen nach
Klangahnlichkeit so gut wie voUstandig ; das Auftreten einer einzigen
derartigen Reaction in der HI. Reihe lasst das sonstige Fehlen noch
auffalliger erscheinen. Und doch macht auch E keine Ausnahme
von der bisher bei alien festgestellten Regel des zunehmenden Ein-
Husses des Wortklanges.' In diesem Nachtversuche sehen mr die
Worterganzungen schon in der 11. Versuchsreihe eine sonst nie er-
reichte Bedeutung beanspruchen, was um so mehr in's Grewicht fallen
muss, als sie in der Normalreihe voUstandig fehlen. In stetem Wachsen
machen dann die Worterganzungen auf der Hohe der Erschopfung
2/5 aller Associationen aus. Dass es wirklich nur der Klang und
nicht die Bedeutung des Wortes ist, durch die die Reaction hervor-
gerufen wird, geht am deutlichsten aus Beispielen wie Most*rich,
Zelt*ter, Keil^ler, Brett *zel, Strom ^mer, Damm»pfer,
Stier«en hervor. Diese Zunahme der Worterganzungen findet fast
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Cxperimenteile Stadien Qber Associationen.
25
ausschlieBlich auf Kosten der werthvoUsten Associationen, der inneren,
statt, die in den beiden letzten Reihen nur je einmal vertreten waren.
Aus dem Ausfalle dieses Versuches geht hervor, dass, trotz der
nahen Verwandtschaft zwischen den Worterganzungen und den Asso-
ciationen nach Klangahnlichkeit, dieselben in ihrer Bedeutung entweder
nicht ganz gleich sind, oder dass wir in dem Unterschiede zwischen dem
Versuche von E und denen der ubrigen eine personliche Eigenthiim-
lichkeit vor uns haben. Gegen die erstere Anschauung spricht, dass
sie genau in der gleichen Weise beeinflusst worden sind, wie die
reinen Klangassociationen. Ich neige mich deshalb mehr der anderen
Auffassung zu.
Damit ist das Material, das ich durch planmaBige Erzeugung
psychischer Gleichgewichtsstorungen im Sinne einer Erschopfnng ge-
wonnen habe, zu Ende. Es war zu erwarten, dass der Zustand, wie
ihn etwa eine in Arbeit durchwachte Nacht hervorruft, in ahnlicher
Weise auf den Associationsvorgang wirken wUrde, wie die Nacht-
versuche. Ich habe aus auBeren Griinden leider verabsaumen miissen,
meine Untersuchungen nach dieser Richtung bin zu erganzen. Nui*
einen einzigen ahnUchen Versuch habe ich gemacht, als sich mir zu-
faUig die Moglichkeit bot, eine der Versuchspersonen nach einem Balle
zu untersuchen. Der betreffende Herr hatte von Y2IO — 3 Ulu' ziem-
lich eifrig getanzt unter Vermeidung des G^nusses geistiger Ge-
tranke. Neben der korperUchen Ermtidung kam auch die Abkiirzung
des Schlafes in Betracht, der nur 4 Stunden dauerte.
Tabelle XX.
N.
Procentverhaltniss der einzelnen Associations-
gruppen zu einander.
InnereAsso-
dationen
AenBore As-
sociationen
Nicht sinn-
gem&Be As-
Mittelbare
Associa-
tionen
Gesammt-
daner
25. U. 1895.
9.48 — 10.11 a.m.
Procent-
zahl
36
32
29
3
1348
Dauer
1330
1371
1313
—
26, n. 1895.
9.38 — 10.01 a. m.
Procent-
zahl
21
40
32
7
1622
Dauer
1632
1652
1423
2028
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26
GusU? 1
Tabe
Uchaflenburg.
lie XXI.
N.
ProcentverhfiltnisB der einzelnen Agsociationsartcn zu
einander.
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25. n. 1895.
9.48—10.11 a. m.
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23
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2
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—
—
—
—
—
3
100
26. II. 1895.
9.38 — 10.01 a.m.
9
10
2
9
6
25
7
25
—
—
—
—
—
7
100
Leider war die Disposition N's, wie ich im 1. Theile (S. 269)
auseinandergesetzt habe, zur Zeit der Versuche recht ungUnstig. Der
Normalversuch fand 2 Tage nach der VoUendimg des Staatsexamens
statt. Wir sehen schon in ihin eine sehr groBe Anzahl von Klang-
assoeiationen, die sich nach Tab. XXI aus 25 reinen Klangasso-
ciationen und 4 Worterganzungen zusammensetzen. Nach dem Aus-
falle des unter ahnlichen Umstanden gemachten Nachtversuches
(S. 9) gehort N zu den Personen, die erst auf der Hohe der Er-
schopfimg eine deutliche Veranderung der associativen Thatigkeit
erkennen lassen. Es scheint nun, als ob die Schadigung der Ball-
nacht nicht hinreichend groB war; jedenfalls sind die qualitativen
Unterschiede des — sit venia verbo — Normal- und Erschopfungs-
vei'suches nicht deutlich. Die geringe Zunahme der Reactionen nach
Klangahnlichkeit, die sich auf das Hinzutreten weiterer 3 Wort-
erganzungen beschrankt, ist im Verhiiltniss zu der Gesammtzahl
dieser Reactionsgruppe so gering, dass sie eben so wohl auf einer
Zufalligkeit beruhen kann. Die inneren Associationen sind allerdings
erheblich seltener geworden; der in Tab. XTTT* dargestellte Normal-
versuch von N, der zeitlich mit dem hier besprochenen ganz zu-
sammenfallt, enthalt ebenfalls eine groBere Anzahl (33), die I. Reilie
des Nachtversuches (Tab. VI) 32 innere Vorstellungsverbindungen.
Wir sind deshalb vielleicht doch berechtigt, wenigstens die Abnahme
der werthvollsten Associationsarten auf die Ermlidung zurlickzufUhren.
Fehlassociationen kamen in beiden Versuchen nicht vor.
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ExperimeDtelie Studien Qber Associationen. II.
27
Wahrend das Ergebniss dieses Experimentes ein fast negatives
zu nennen ist, stimmte ein anderes, zufallig gemachtes, um so besser
mit den bisherigen Resultaten der Erschopfungsversuche uberein.
Am 23. V. 97 machte ich iin Anschlusse an eine Yorlesung uber die
Vorstellungsbildung mit einigen Studenten Associationsversuche ohne
Zeitmessnngen, indem ich ihnen 100 zweisilbige Reizworte zurief. Die
Zahl der Klangassociationen war bei den iibrigen Herm, soweit nicht
anderweitige storende Momente in Betracht kamen, auBerordentlich
gering; dagegen hatte U cand. med., eine groBe Menge von As-
sociationen nach dem Gleichklange gebildet. Vor dem Versuche,
wie ich hinzufiigen muss, auch be vor von der Einwirkung der Er-
schopfung auf die Vorstellnngsverbindung gesprochen worden war,
hatte der Herr zu der Frage nach der Disposition bemerkt: Von
7 Uhr ab Arbeit. Nahere Nachfrage ergab, dass er von Vormittags
7 Uhr — 1 und von 3 — 4 Uhr CoUeg gehort hatte. Die Zwischenzeit
zwischen 1 — 3 war mit Anfertigung von mikroskopischen Praparaten
verbracht worden, die nicht verschoben werden konnte, so dass die
Versuchsperson zur Zeit des Experimentes (4.15 p. m.) eine ununter-
brochene angestrengte neunstiindige Arbeit ohne jede Nahrungsauf-
nahme hinter sich hatte. Ein wahrend der Pfingstferien, also bei
groBerer Ruhe, und zwar Vormittags in voUiger Frische gemachter
Nonnalversuch zeigt deutlich, dass wir die groBe Neigung zu Asso-
ciationen nach dem Klange auf die erschopfenden Ursachen des ersten
Tages zuriickzufiihren berechtigt sind.
Tabelle XXII,
' u.
Procentverhaltniss der einzelnen Abso-
ciationsgruppen zu einander
Innere Asso-
ciationen
AenOere As-
sociationen
Nicht Sinn.
gem&Be As-
sociationen
Mittelbare
Associa-
tionen
23. V. 97. 4.15 p. m.
ErBchdpfungsversuch.
38
41
21
—
11. IV. 97. 10 a. m.
Normalversuch.
42
55
2
1
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28
Gustar AsehalTeDburg.
Tabelle XXHI.
u.
Procentverhftltniss der einzelnen Associationen zu einander.
11
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23. V. 97.
18
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8
10
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31
31
3
1
17
—
1
—
—
11. VI. 97.
17
23
2
1
—
—
1
In dem Normalversuche findet sich neben einer Worterganzung
die Association Rector = Direktor. Nach der ausdrlicklichen
Angabe des Experimentirenden hatte bei dem Zustandekommen dieser
Reaction neben der begrifflichen Verwandtschaft im Sinne einer Co-
ordination die Klangahnlichkeit eine groBe RoUe und zwar seiner
Empfindung nach die groBere gespielt, so daB sie als einzige dieser
Associationsart zugerechnet werden musste. Die Zahl der inneren
Associationen ist relativ groB; Fehlassociationen kommen Uberhaupt
nicht vor. Auch in den Versuchen vom 23. V. war nur eine einzige
solche Reaction gebildet worden; dagegen traten neben 3 Worter-
ganzungen 17 reine Klangassociationen auf, hauptsachlich an Stelle
der Associationen nach raumlicher und zeitlicher Coexistenz und der
Identitaten. Die sprachlichen Reminiscenzen blieben in beiden Ver-
suchen gleich haufig. Der Unterschied zwischen dem Ausfalle die-
ser beiden Experimente ist so groB, dass wir in der Deutung wohl
nicht fehlgehen, wenn wir den ersten unsem Erschopfungsresultaten
anreihen.
Im allgemeinen kann einzelnen derartigen Versuchen wohl nicht
viel Werth beigemessen werden; doch hielt ich mich nicht fUr be-
rechtigt, sie einfach fortzulassen. Dasselbe gilt in noch hoherem
Grade fiir die beiden folgenden Versuche, die ich einem Zufall
verdanke. Am 13. I. 1895 erkrankte K an einer typischen un-
complicirten Influenza. Die Symptome waren die gewohnten: All-
gemeines Unbehagen, starke Abgeschlagenheit, eingenommener Kopf,
leichtes Fieber (um 3 Uhr Nachmittags 38,6). K, der bemerkte,
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ExperimeDtelle Stndieo Qber Assoeiatioueu. 11.
29
dass er nicht im Stande war, eine complicirte Gedankenreihe fest-
zuhalten, schrieb nun in der von mir als »fortlaufende Methode* be-
zeichneten Weise Vormittags 1 1 Uhr schnell hintereinander 1 00 Asso-
ciationen nieder und wiederholte Abends 6 Uhr diesen Versuch,
nachdem er vorher ohne Arzneimittel stark geschwitzt hatte; un-
mittelbar nach dem letzten Versuch war die Temperatur auf 38,2
gesunken.
Tabelle XXIV.
K.
Procentverh<niss der einzelnen Asso-
ciationsgruppen zu einander.
Normalversuche.
1. 2.
Influenzaversuche.
3. 4.
26. V. 04.
«. p. in.
31. XII. 94.
9. p. m
13. I. 95.
11. a. m.
13. I. 95.
6. p. m.
Innere Associationen
53
45
24
9
AeuGere Associationen
43
52
26
34
Nicht sinngemaGe Associationen
, 3
41
56
Mittelbare Associationen
-
1
1
Unterbrechungen
2
8
—
Tabelle XXV.
K.
Procentverhftltniss der einzelnen Associationsarten .
zu einander.
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11
18
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32 3
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Nonnalversuch
26. V. 94. 1.
14
1
2
2
—
—
—
—
2
Nonnalyersuch
31. Xn. 94. 2.
31
1 20
I
—
—
—
InfluensaYersuch
13. I. 95. 3.
6
4
1
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10
17
2 14
22
32
19
24
1
—
1
1
8
InflueDsaversuch
13. I. 95. 4.
5
—
3
14
—
—
—
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30 (lusta? Ascbaffenburg.
Der leichteren Vergleichbarkeit halber habe ich in den beiden
Tab. XXTT und XXEU die mit der gleichen Methode gemachten
Normalversuche aus Tab. VI* und VII* nochmals zum Abdruck
gebracht Beide eignen sich zum Vergleiche mit den Influenzaver-
suchen sehr gut, da sie ziemlich gleich ausgef alien sind und jeden-
falls keine grundsatzlichen Verschiedenheiten zeigen; auBerdem steht
der zweite den im Zustande der Erkrankung gemachten Experimenten
zeitlich sehr nahe. Bei der Betrachtung der Tab. XXTT fallt die
groBe Aehnlichkeit der Versuche 3 und 4 mit den letzten Reihen
der Nachtversuche sofort in's Auge. Der einzige Unterschied liegt
in der noch geringeren Anzahl der auBeren Voi'stellungsverbindungen
und der enormen Menge der nicht sinngemaBen Reactionen. Die
Versuche machen so im ersten Augenblicke den Eindruck einer
auBerst hochgradigen Erschopfung. Der Vergleich der einzelnen
Associationsarten aber deckt einen tiefgreifenden Unterschied auf.
Bei den Nachtversuchen batten vnr nur ganz vereinzelte B;eime und
Klangahnlichkeiten beobachtet, die jeder Bedeutung entbehrten ; solche
batten wir stets als ein Zeichen fortgeschrittener Erschopfung auf-
gefasst, wozu uns vor allem ihr vollstandiges Fehlen in normalem
Zustande berechtigte. Bei den Influenzaversuchen aber sind ungefahr
der 5. resp. der 4. Theil siimmtlicher Reactionen Buchstabenconglo-
merate ohne jeden Sinn, die nur durch ihren Anklang an das vor-
hergehende Wort in ilirer Entstehung begreiflich werden. Eine der-
artige Wortfolge war z. B. : Miinchen, Pinakothek, Akothek,
Apothek, eckig, beckig, sackig, rackig, Rasen, Mah-
maschine, Line, Leine, Weine, Reine, Rhein, Koln,
Dom, Rom, Stom u. s. w. Ein weitergehendes Ueberwuchem der
Wortbegriffe durch die Klangahnlichkeit ist kaum denkbar. Jeder
Ansatz zu associativer Thiltigkeit nach dem Tnlialte der Vorstellungen
geht sofort in den aufsteigenden Reimen und Gleichklangen unter.
Ob diese Gleichklange nun selbst wieder einen BegrifE vorstellen,
einen eigenen Inhalt haben, ist dabei weniger wichtig, als die That-
sache, dass alle diese Wort- und Silbenverbindungen durch die Klang-
ahnlichkeit vollstandig erkliirt werden konnen. Sie sind — sinnvoU
oder nicht — hervorgerufen durch die Neigung, nach dem Klange zu
associiren; diese Xeigung aber muss unbedingt auf den bestehenden
pathologischen Zustand der Influenza infection zuriickgefiihrt werden.
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Experiinentelle Stiidien dber Associationen. II. 31
Die Worterganzungen fehlen in beiden Versuchen voUstandig, ebenso
die Gruppe der Fehlassociationen.
Nach dem Ergebnisse der einzigen mir zur Verfiigung stehenden
Experimente dieser Art scheint ein deutlicher Unterschied zwischen
der Wirkung einer erschopfenden Ursache und einer infectiosen oder
vielleicht besser intoxicatorischen Erkrankimg vorhanden zu sein; fur
letztere wUrde eine noch starkere Wirkung der Klangahnlichkeit und
eine sehr viel weitergehende Zerstorung des begrifflichen Denkejns bis
zur Auflosung in ein Chaos ahnlich klingender Silben charakteristisch
sein. Ob diese Ansicht berechtigt ist, wird durch geeignete Unter-
suchungen nicht einmal schwierig klargestellt werden konnen. Bis
dahin will ich mich mit der Feststellung der oben besprochenen That-
sachen begniigen. Die Beobachtung selbst ist richtig; ob aber auch
deren GesetzmaBigkeit, muss ich dahingestellt sein lassen.
III. Stereotypic der Torstellnngen.
Wie schon bei den Normalversuchen, habe ich auch bei den vor-
Kegenden mein Augenmerk auf die Anzahl der in jeder Versuchs-
reihe vorkommenden verschiedenen Worte gerichtet. Die Normal-
versuche hatten uns gezeigt, dass ini allgemeinen die Neigung zur
Wiederholung der gleichen Ausdriicke recht gering ist, und ich hatte
die Vermuthung ausgesprochen, dass ein haufigeres Wiederkehren
dergelben Antwort als der Ausdruck eines mehr oder weniger hohen
Grades von Gedankenarmuth angesehen werden konne. Meine Auf-
merksamkeit war besonders durch die Erfahrungen gelegentlich eines
der ersten Experimente auf diese Erscheinung hingelenkt worden. Ich
meine den Versuch 2 der Versuchsperson B. (Tab. XXI*). Die 50 Ant-
worten vertheilen sich auf nur 27 verschiedene Worte. Die Reactionen
Stufe, Mutter wiederholen sich 2mal, Beule 3 mal, Stein 7mal
und Hut 14 mal. Die ersten Wiederholungen des Wortes Hut
waren durchaus sinnentsprechend; die dazu gehorigen Reizworte
lauteten: Helm, Filz, Frack, Plusch (der Experimentirende war
im Besitze eines Pluschhutes), Ohr; dann aber folgten als Reizworte
Boot, Keil, Leid, Knall, Haft, Fett, Hohn, Gluck und
Pest; es fehlt also jeder begriffliche und klangliche Zusammenhang.
Dasselbe gilt fiir die Reaction Stein auf die in kurzen Pausen
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32 Gustav Ascbafleuburg.
einander folgenden Worte: Grab, Mark, Krieg, Hahn, Gicht,
Macht, Recht. Es war ganz unverkennbar, dass bei diesem Ver-
suche die eimnal gebildeten Vorstellungen fast zwangsmaBig immer
wieder in den Vordergrund traten, dass sie, die normale Associations-
bildung verhindemd, immer wieder, passend oder unpassend, sich
geltend machen konnten. Die zwischen diesem und dem nachsten
Versuche der betreffenden Nacht liegende Pause von 3 Stunden war
nicht im Stande, die vordringliche Intensitat dieser Vorstellungen
zum Schwinden zu bringen. Auch unter den zweiten 50 Antworten
wiederholt sich Stein 4mal und Hut lOmal, darunter nur 2mal
bei passenden Reizworten. In der HI. Reihe kehrte Hut noch 2mal
und in der IV. Hut 3mal und Stein je 2mal wieder. In der
n. Reihe wiederholten sich auch noch einige andere Worte mehr-
fach, darunter Vieh 4mal, in der IH. das Wort Hund 5mal, in
der letzten das Wort Wasser 5mal. Als eine vollig identische
Erscheinung musste es aufgefasst werden, dass sich das Wort jetzt
als Reaction je 3, 4 resp. 2mal in den letzten Versuchsreihen fand.
Das Auffallige dieser Antwort hegt nicht so sehr in der Thatsache,
dass sie ohne jeden Zusammenhang mit den Reizworten sich mehr-
fach wiederholte, sondem dass sie uberhaupt vorkam. Wie ich bei
Besprechung der Versuchstechnik auseinandergesetzt habe, ging
jedem Reizwort das Signal » jetzt! < voran, um die Aufmerksamkeit
stets von Neuem anzuspannen. Wenn nun das Signalwort so lange
und stark nachwirkte, dass es an Stelle der sonst durch das Reiz-
wort hervorgeruf enen Associationen treten konnte, so muss auch hierin
der Ausdruck eines abnormen Haftenbleibens der einmal gebildeten
Vorstellungen gefunden werden.
Es lag nahe, diese Erscheinung mit der schon wiederholt er-
wahnten ungiinstigen Disposition der betreffenden Versuchsperson zu-
sammenzubringen, die ich damals ohne weiteres mit der experimentell
hervorgerufenen Erschopfung identificirte. Wie weit diese Auffassung
berechtigt war, lehrt ein Blick auf die folgende Tabelle.
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Experimentelle Stiidieii dber Associ&tionen. 11.
33
Tabelle XXVI.
Anzahl der in jedem Versuchsabschnitt gebrauchten verschiedenen
Worte.
(Auf 100 berechnet.)
1
Versuchsreihen
L 11.
IIL
IV.
K. 16/17. VII. 94. 1.
87
88
98
90
99
K. 8/9. II. 96. 2.
95
90
97
N. 16/17. VII. 94. 3.
95
m
92
99
T. 8/9. U. 96. 4.
93
96
92
96
K. 20/21. VIII. 92. 5.
94
88
88
96
L. 19/20. XL 92. 6.
94
54
92
90
88
B. 19/20. XL 92. 7.
52
68
72
B. 28/29. IIL 93. 8.
96
88
96
90
E. 18/19. VIL 93. 9.
70
90
82
78
Von alien Versuchen zeigt nur der 6- eine gleiehmaBig fort-
schreitende Abnahme der Zahl der verschiedenen Worte. Bei den
anderen herrscht anscheinend keinerlei Beziehung der Anzahl iden-
tischer Antworten zu dem Fortschreiten der Ermudung; in einigen,
z. B. dem ersten, scheint sogar eher mit der Ermudung die Gleich-
formigkeit der Vorstellungsbildung zu schwinden- Es ist allerdings
dabei nicht auBer Acht zu lassen, dass die Klangassociatiorien der
angenommenen Hervorrufung groBerer Stereotypie entgege'n wirken,
da sie ja in ausschlieBlich klangUcher Abhangigkeit von dem Reiz-
worte stehen. Wenn z. B. im 9. Versuch anfangs auf 1 00 sinnentspre-
chende Antworten 30 gleiche kommen, so ist das Verhaltniss der
wiederholten Worte doch noch geringer, als wenn 22 gleiche Antworten
auf die nach Abzug der Klangassociationen ubrig bleibenden 60 sinn-
entsprechenden Antworten entfallen. Aber auch die Beriicksichtigung
dieser Moglichkeit hat kein anderes Ergebniss erkennen lassen, als die
Tab. XXVI zeigt. Im allgemeinen sind die Schwankungen uberhaupt
nicht sehr groB. Ein nennenswerther Ausschlag findet sich nur in dem
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. IL 3
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34 Giistav Aschaflfeiiburg.
7. und 9. Versuche. In dem ersteren zeigt nun eine genau^re Betrachtung,
dass auf die einzelnen Reihen nach Abzug der Klangassociationen 50,
53, 33, 50 % Wiederholungen entfallen. Mit Ausnahme der III. Reihe,
die sogar einen deutlichen Fortschritt zur Besserung bemerken lasst,
bleibt die Stereotypic unbeeinflusst von der f ortschreitenden Ermiidung;
auch darin liegt eine geringe Besserung, dass die Wiederholungen sich
nicht wie in der I. Reihe auf 6, sondem auf 10 verschiedene Worte
vertheilen. Bei E. ist die geringste Anzahl der verschiedenen Worte
in der I. Reihe zu finden; sie nimmt dann zu, um nach und nach
wieder abzunehmen. Bei diesem Experimente entfallt ein Theil der
Wiederholungen auch auf die Worterganzungen (Klangassociationen
im strengsten Sinne fehlten ja ganz), wie z. B. das Suffix en bei
Spur, Joch, Tausch, Stier, das Suffix er bei Druck, Keil,
Strom angehangt wurde. Unter Beriicksichtigung dieses tJmstandes
berechnet sich die Zahl der Wiederholungen auf 32, 11, 16 und 16^.
Es fehlt also auch hier die Zunahme der Stereotypic im Laufe der
Versuchsnacht; das Residtat stimmt vollstandig mit dem Ergebnisse
des vorher besprochenen Experimentes bei B. uberein. Ein Beweis da-
fiir, dass die Erschopfung zur Einformigkeit des Associationsvorganges
fiihrt, lasst sich also in den vorliegenden Versuchen nicht finden.
In seinem Vortrage > Experimentelle Studien liber Associatio-
nen« ^)- schrieb Kraepelin 18S3: »Bei der Ermiidung macht sich
eine stereotype Wiederkehr derselben Worte bemerkbar.« Ich kann
nach meinen Experimenten dieser Anschauung jetzt nicht mehr zu-
stimmen, muss allerdings dabei gleich bemerken, dass ich selbst,
und zwar auf Grund der damals allein vorliegenden Versuche 5, 6,
7 und* 8, in meinem Vortrage »uber die psychischen Erscheinungen
der Erschopfung « ^) die Auffassung vertreten habe, in der Enniidung
werde die associative Verknlipfung der Gedanken stereotyper. Mich
hatte besonders der 7. Versuch zu dieser, wie ich zugeben muss, auch
damals nicht geniigend begriindeten Ansicht gebracht. Nun zeigt ja
gerade dieser Versuch bei naherer Betrachtung, dass die Erschopfung,
wie sie experimentell erzeugt w^urde, keine Verschlechterung in dieser
1 ) Amtlicher Bericht Ctber die 56. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte. Freiburg 1884, S. 259.
2; XIII. Wanderversaramlung dor Sadweetdeutschen Neurologen und Irren-
arzte. Refcrat im Archiv fQr Psychiatric. Bd. XXV, S. 594.
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Cxperimentelle Stndien uber Associationen. II. 35
Beziehung hervomift, ebenso wie auch das Auftreten von Fehl-
associationen durch die Erschopfung sicher nicht begiinstigt wird. Es
mag einstweilen genugen, diese Thatsache festgestellt zu haben; ich
werde spater den Versuch machen, sie zu deuten.
In dem Versuche von N., der S. 25 besprochen worden ist, kehrte
wie in dem dazugehorigen Normalversuche nur eine Antwort 2 mal
wieder. Bei U fehlte ebenfalls die Zunahme der identischen Reactio-
nen, die in dem Enniidimgsversuche (S. 27) 3 mal, im Normalversuche
5 mal vorkommen.
lY. Ergebnisse der Zeitmessungen.
Die Zeitmessungen bei den zweisilbigen Worten sind rait ganz zu-
verlassiger Methodik vorgenommen worden, soweit dies Uberhaupt
moglich ist. Bei den zwei Versuchen von K und N arbeiteten die
Versuchspersonen mit dem Lippenschliissel , dessen Gebrauch beiden
durch zahlreiche friihere Versuche durchaus vertraut war. Bei T,
dem der Lippenschliissel nicht hinreichend gewohnt war, wurde statt
dessen der Roemer'sche Schallschliissel benutzt, der eine Uebung
der damit arbeitenden Personen nicht voraussetzt und durchaus zu-
verlassig ist. Der registrirende K arbeitete, wie auch sonst stets,
mit dem Lippenschliissel. Wenn Roemer vorschlagt^), zu Asso-
ciationsversuchen der Genauigkeit halber nur den optischen Reiz-
apparat zu verwenden, so ist ihm insofern durchaus Recht zu geben,
als — zumal bei mangelnder Uebung — dieser dem Lippenschliissel
weit vorzuziehen ist, und die fiir das Aussprechen ein- und zwei-
sillriger Worte bestehenden Unterschiede bei dem gleichzeitigen Sicht-
barwerden des ganzen Wortes wegfallen. Es wiirde aber die Mog-
lichkeit der unmittelbaren Vergleichung der Versuchsergebnisse in
Bezug auf die Art der Vorstellungsverbindungen unmoglich gemacht
haben, wenn ich bei diesem Versuche von der bis dahin geiibten
Methode des Zurufens der Worte abgewichen ware. Wir wissen
einstweilen noch nicht, ob die Associationsbildung nicht eine ganz an-
dere ist, je nachdem wir Worte sehen oder horen, worauf ich auch
]) R6mer, Beitrag zur Bestimmung zusammengesetzter Reactionen. Diese
Arbeiten. Bd. I, S. 605.
3*
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36 Gusta? Aschaffeiiburg.
schon friiher aufmerksam gemacht habe^); speciell das Auftreten von
klangahnlichen Worten diirfte moglicherweise bei optischen Reizen
nicht die gleiche Bedeutung haben wie bei akustischen. Jedenfalls
sind vorlaufig noch besonders nach dieser Richtung bin angestellte
Versuche erforderlichi
In der Tab. XXVII sind die Zeitmessungen wahrend der ein-
zelnen Versuchsreihen der Nachtversuche mit zweisilbigen Worten
dargestellt. Mit StM ist das Stellungsmittel bezeichnet, nach der
von Kraepelin vorgeschlagenen Methode berechnet, mit MZ die
Mittelzone. Diese wurde in der Weise festgestellt, dass ich bei den
aus je 100 Worten bestehenden Reihen die 26. — 75. Zahl in gleicher
Weise wie die Stellungsmittel berechnete ; dadurcli wird die Streuung
der mittelsten Werthe in hinreichend charakteristischer Weise dar-
gestellt, so dass ich von einer Berechnung der mittleren Variation,
die bei dem groBen Zahlenmaterial eine im Verhaltniss zum Zeit-
aufwand nicht hinlanglich lohnende Aufgabe gewesen ware, Abstand
nehmen konnte.
Allerdings ist die Bedeutung der mittleren Variation nicht die
gleiche wie die der Mittelzone. In der mittleren Variation finden wir
den zahlenmaBigen Ausdruck, wie groB die Schwankungen der erhalte-
nen Werthe gegeniiber der Durchschnittszahl sind. Wenn diese also
eine einigermaBen constante GroBe ist, so stellt die mittlere Variation
die Aufmerksamkeitsschwankungen dar, und in diesem Sinne ist ihre
Berechnung bei relativ constanten Reactionsformen, wie z. B. bei den
einfachen, den Wahl- und Wortreactionen sehr werthvoll. Die Werthe
aber, die wir bei unsem Associationsversuchen erhalten, werden je
nach der engeren oder entlegeneren Verkniipfung, der groBeren oder
geringeren Uebung der zwischen Reizwort und Reaction bestehenden
Bcziehungen verschieden ausf alien; die mittlere Variation wiirde mehr
dadurch als durch die unvermeidlichen Aufmerksamkeitsschwankungen
bestimmt werden, also bei den vorliegenden Versuchen ganz anders
gedeutet werden miissen, als sonst ubUch. Es ist auBerdem nicht
zu verkennen, dass einzelne abnorm groBe Werthe, wie sie ja bei
Associationsversuchen nicht allzu selten sind, diese Zahl unverhiiltniss-
miiBig stark beeinflussen wUrden, so dass leicht eine falsche Vor-
stollung von der Streuung der Werthe hervorgerufen werden konnte.
1) Diese Arbeiten. Bd. I, S. 293.
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Cxperimeutelle Studien uber Associationcu. 11.
37
Aus alien diesen Griinden habe ich mich auf die Berechnung der
Mittelzone beschrankt, die demnach darstellt, wie sich die mittleren
50 Zalilen zu dem Stellungsmittel verhalten.
Fur den Normalversuch von K am 16. VII. 1894 will ich, um
diese Verhaltnisse zu beleuchten, die einzelnen Werthe nebeneinander-
stellen. Das Stellungsmittel ist 1426; in der Differenz von 45 a
gegeniiber dem arithmetischen Mittel (1471) erkennen wir sofort
wieder, wie einzelne abnorm lange Zahlen den Gesammtwerth bei
arithmetischer Mittelziehung in entstellender Weise beeinflussen. Die
mittlere Variation des ganzen Versuches = ±: 288, wahrend die mitt-
lere Variation der 50 mittelsten Zahlen =±114 ist. Auch f iir die-
sen Unterschied liegt die Ursache in den vereinzelten langen Werthen.
— 196
Die Mittelzone endlich betragt
263'
d. h. die mittleren Werthe
bewegen sich um das Stellungsmittel in einem Abstande von 196 o
nach unten, 263 o nach oben. Wir konnen daraus erkennen, dass
die Differenzen im Ganzen im Verhaltniss zur Lange der Reactions-
zeit nicht allzu groB sind, wahrend uns die Zahlen keinen Aufschluss
geben, wie regelmaBig sich innerhalb der mittleren 50 Associationen
selbst die Werthe vertheilen.
Tabelle XXVH.
Mittlere Dauer (Stellungsmittel; St. M.) der Associationsreihen
wahrend der Nachtversuche und mittlere Abweichung vom Stellungs-
mittel (Mittelzone; M. Z.)
16/17. VII.
94.
N.
16/17. VII.
94.
T.
8/9. II. 96.
St.M.
M.Z.
St.M.
M. Z.
St.M.
M. Z.
l.Reihe
1426
—196
+263
459
1180
-151
+175
326
1116
—154
+170
324
2. Reihe
1418
—153
+204
357
1165
—142
+252
394
1140
—144
+130
274
3. Reihe
1433
—212
+173
385
1361
—226
+303
529
1088
—121
+ 122
243
4. Reihe
1419
-196
+277
473
1292
—203
+212
415
"«^,
331
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38 Gustav Ascbaflfenburg.
Der Versuch von K in Tab. XXVII liisst in der durchschnittlichen
Dauer der Associationszeiten keinen Einfluss der im Verlaufe der Nacht
eintretenden Ermudung erkennen. Es muss sogar geradezu auffallen,
wie auBerordentlich nahe bei einander die Mittelwerthe aus je 1 00 Ein-
zelreactionen liegen. Die Mittelzone schwankt in so maBigen Grenzen,
dass auch daraus ein schadigender Einfluss nicht gefolgert werden kann.
Bei dem Experimente mit N blieb die, wie wir friiher (S. 9)
festgestellt haben, schon Anfangs der Nacht vorhandene Neigung zu
Klangassociationen ziemlich unverandert bis zur letzten Reihe; in
dieser nahm plotzlich die Zahl der Klangassociationen ganz auffallend
stark zu. Diese Erscheinung des plotzlichen Deutlicherwerdens der
Erschopfungswirkung findet in der Durchschnittsdauer der Asso-
ciationen keinen weiteren Ausdruck. Zwar ist das Stellungsmittel
der m. Reihe um ungefahr 200 o groBer als das der beiden ersten,
aber in der letzten wird die Zeit wieder erheblich kiirzer. AuBer-
dem darf wohl nicht auBer Acht gelassen werden, dass die Mittel-
zahlen der 3 von N gemachten Normalversuche (vgl. Tab. XVII*)
1180, 1230 und 1348 waren, also die wahrend der Nacht eingetretene
Verlangerung nicht iiber die im Bereich des Normalen vorkommenden
Schwankungen hinausgeht. Auch in der Verbreiterung der Mittel-
zone ist hochstens ein geringer Einfluss der Ermudung zu erkennen.
Die M. Z. fiir die 3 obigen unter ziemlich ungunstigen Verhalt-
nissen (vgl. Theil I S. 269) gemachten Normalversuche betmgt 326,
454 und 327 a; diese Zeiten werden in der letzten Reihe nicht
einmal erreicht, in der vorletzten allerdings noch ubertroffen. Nur
von dem Standpunkte aus ist iiberhaupt eine Versclilechterung an-
zunehmen, dass wir sowohl in dem hohen Stellungsmittel als in der
GroBe der Mittelzone der I. Reihe die besondere Disposition des
Versuchstages erkennen und in dem Anwachsen der Zeiten dann eine
Versclilechterung, die aber durch den Vergleich mit den andem
Experinienten auf eine kaum nennenswerthe GroBe reducirt wird.
T zeigt wie K eine gi'oBe GleichmaBigkeit der Durchschnitts-
werthe, die ebensowenig wie die M. Z. eine Beeinflussung durch die
Ei-schopfung erkennen lassen.
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Cxperime ntelle Studien uber Associationen. 11.
Tabelle XXVIH.
39
Mittlere Dauer (St. M.) der einzelnen Associationsgruppen wahrend
der Nachtversuche.
K.
N.
T.
16/17. Vn. 94.
16/17. VII. 94.
8/9, II. 96.
Versuchs-
reihe
I.
U.
UI.
IV.
I.
II.
III.
IV.
I.
II.
III.
IV.
1
^
--- -
"- —
_.^-_-
^--
- ^ --
.
_^^
^_-^^-^
^ -^ —
InnercAsBO-
eiationen
1455
1418
1386
1555
1184
1363
1540
1278
1220
1185
1141
1252
AcuBcreAs-
lociationeD
1390
1381
1376
1336
1107
1121
1230
1338
1059
1102
1054
1108
Nicht sinn-
Sani6e(biw.
1592
1479
1605
1192
1220
125S
1293
1060
1110
1186
Klang-; As-
Mcifttionen
(1205)
(1239)
(1237)
(=)
—
(=]
(1148)
(ini)
Geiammt- |
1426
1418
1433
1419
1180
1165
1361
1292
1116
1140
1088
1149
dauer 1
(=)
(1405) 1 (1381)
(1372)
(1166)
(1155)
(1417)
(1280)
(=)
(1151)
(1060)
(1145)
Die eigenthiimliche Einwirkung der im Laufe der Versuchsnachte
entstehenden Erschopfung auf eine specielle Form der Associationen
nothigt uns, die Durchschnittszeiten auch der einzelnen Associations-
formen*) eingehender zu betrachten. In Tab. XXVIII sind diese
Zahlen wiedergegeben. Neben der Dauer der nicht sinngemaBen
Associationen sind in Klammem die Mittelzahleh fiir die Kllang-
associationen, und neben der Gesammtdauer in Klammem die Dauer
der sammtlichen Einzelreactionen nach Abzug derer nach dem Klange
verzeichnet. In dem Versuche von K sind die auBeren Associationen
in alien 4 Reihen ziemlich gleich und zwar stets etwas kiirzer als
1) Icb babe natUrlicb nicht versaumt, auch fOr jede einzelne Associationsart
fdr sich die Mittelzahlen zu berechnen. Diese auGerordentlicb mabsame und zeit-
raubende Berecbnimg bat zu kcinem braucbbaren Resultate gefilbrt. Es batte nur
zu einer unsinnigen Anbftufung von Tabellcn gefilbrt, wenn icb die Zablen im ein-
zelnen wiedergegeben bfttte, wie icb aucb — einem Vorwurfe Ziebens gegenQber
tei dies erwfibnt — scbon im ersten Tbeile der Arbeit gescbrieben babe. Die Ver-
b&Itnisse sind viel verwickelter als z. B. aucb Trautscboldt angenommen bat;
Uebung, zufUllige Ideenverbindungen , die unvermeidlicben Dispositionsscbwan-
kungen verbindern das Zustandekommen von cbarakteristiscben Mittelzahlen filr
einzelne ganz specielle Arten der Vorstellungaverknupfung.
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40 Gustav Ascliafleiiburg.
das Stellungsmittel , die inneren sind zweimal langer, einmal gleich
und einmal kurzer. Dagegen sind die drei Mittekalilen fiir die
nicht sinngemaBen Reactionen groBer als die Gesammtdauer und zwar
theilweise nicht unbetriichtlich. Wenn wir diese Zeiten in Gegensatz
stellen zu der Mittelzahl, bei deren Berechnung die nicht sinngemaBen
Associationen nicht mit beriicksichtigt wurden, also in dem vorliegenden
Versuche das Stellungsmittel aus den Klangassociationen vergleichen
mit dem aus den inneren und auBeren gebildeten, so wird dieser Unter-
schied noch deutlicher. Letzteres ist 1 87, 98 und 233 o kleiner als ersteres.
Es wurde also in diesem Versuche die liingste Dauer den Klangasso-
ciationen, die kiirzeste den auBeren zuzusprechen sein.
N zeigt keine so groBen Differenzen in den IMittelzahlen wie K.
Die inneren Associationen sind zweimal dem Gesammtmittel annahemd
gleich, zweimal ungefahr um 200 o langer; die auBeren dreimal kurzer,
einmal etwas langer ; die nichtsinngemaBen zweimal unbedeutend, ein-
mal um 55 a langer, einmal um 103 kUrzer. Die Associationen nach
Klang allein unterscheiden sich von den ubrigen insgesammt um + 39,
+ 84, +13, — 180 o. Es sind also auch hier die Reactionen
nach Klangahnlichkeit im Ganzen etwas langer, doch sind die Unter-
schiede nicht so groB, um entscheidend verwerthet werden zu konnen.
Auch T zeigt zweimal liingere, einmal kiirzere Zeiten der nicht-
sinngemaBen Associationen; die inneren sind jedesmal langer, die
auBeren jedesmal kurzer als das Gesammtmittel.
Auf Grund meiner Nomialversuche glaubte ich annehmen zu
komien, dass im allgemeinen fiir die werthvoUste Gruppe der Vor-
stellungsverbindungen , die nach associativer Verwandtschaft, eine
etwas langere, fiir die nach associativer Gewohnung eine kiirzere
Dauer angenommen werden konne. In den besprochenen 3 Ver-
suchen findet sich diese Anschauung bestatigt. Da Associationen
nach dem Klang unter normalen Verhaltnissen nicht geniigend oft
vorkonmien, um ausreichend zuverlassige Durchschnittszahlen zu bilden,
lieB sich deren Verhaltniss zur Mittelzahl nicht genau feststellen.
Unter den jetzt vorliegenden 9 Zahlen sind nui* 2 kurzer, wahrend
7 langer, zum Theil sogar recht erheblich langer als die Stellungs-
mittel der anderen Vorstellungsverbindungen sind. Es wird nun er-
forderUch sein, diese Verhiiltnisse auch fiir die Versuche mit einsU-
bigen Reizworten nachzupriifen.
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Cxperimenlelle Siudien Qber Associalioiieii. II.
Tabelle XXIX.
41
Mittlere Dauer (St. M.) der Associationsreihen wiihrend der Versuchs-
nachte und mittlere Abweichung (M. Z.)') von dem Stellungsmittel.
K.
20/21. YIII. 92.
L.
19/20. XI. 92.
B.
19|20. XI. 92.
B.
28/29. III. 93.
E.
18/19.V1II.93.
j
?
^
M.Z.
^
^
M.Z.
?
^
M.Z.
M.Z.
^
^
M.Z.
l.Reihe Ill20
11
—215
+142
357
395
340
767
796
815
997
—137
+ 41
— 70
+138
—117
+ 154
-137
+117
178
913
— 62
+ 82
144
1090
—112
+147
259
443
704
730
— 39
+ 80
119
118
168
143
2. Reihe 1020
—147
+248
208
271
254
1010
1072
-142
+152
294
1290
—210
— 62
+233
+ 56
1
1
3. Reihe 1000
—126
+214
— 90
+239
329
1244
—118
+289
407
742
743
- 67
1
+ 101
- 62
+ 81
4. Reihe |1108
II
—199
+326
525
1145
—281
+130
411
1366
—236
+243
479
Auch in dieser Versuchsreihe zeigt sich be; K keine Verlangerung
der Reactionszeiten wahrend der Nacht. Im Gegentheile, in der zweiten
und dritten Reihe ist eher eine Verkiirzung bemerkbar, doch ist die-
selbe nicbt so groB, dass sie unbedingt mit der Erschopfung in Zu-
sammenhang gebracbt werden miisste ; eher konnte dies f iir die Ver-
langerung der Mittelzone der letzten Reihe mogUch sein.
Die geringe Verlangerung der Durchschnittsdauer in den drei
ersten Reihen von L ist wohl bedeutungslos , obgleich das fort-
schreitende Wachsen der Mittelzone immerhin bemerkenswerth ist.
Dagegen kann in der letzten Reihe die Verlangerung um 230 o gegen-
iiber der ersten Reihe wohl auf die Wirkung der durcharbeiteten
Nacht zuriickgefiihrt werden. Die beiden Experimente von B zeigen
ein ziemlich gleichmaBiges Anwaclisen der Reactionszeiten ; die maxi-
male Differenz (zwischen der ersten und letzten Reihe) betragt 232
resp. 276 o. Im ersten Versuche vergroBert sich auch die Mittelzone
parallel dem Stellungsmittel ungefahr auf das Dreifache des Anfangs-
werthes, wahrend im zweiten das Ansteigen weniger gleichraaBig und
nicht so hochgradig ist.
Ij Die Mittelzonen bei 50 Reactionen sind aua dem Abstand der 13. von
der 37. Zahl gevronnen.
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42 Gus(av AscbaSenburg.
Gerade bei der Gleichartigkeit des Ergebnisses in beiden Ex-
perimenten konnten wir die Verlangerung der Mittelzahlen sowohl
als die Verbreiterung der Mittelzone durchaus auf die auBeren
Versuchsbedingungen zuriickf iihren , wenn nicht die Verschiedenheit
des Niveaus, die sich gleich in der ersten Reibe zeigt, und deren
Differenz von 177 a der Gesammtwirkung der Erschopfung sich
nahert, iins stutzig machen miisste. Die durch den Unterschied
der Experimentirmethode bervorgerufcne Differenz betragt, wie im
1. Theil der Arbeit (I, 281) besprochen wurde, im Mittel 43 a. Da-
durch wiirden die Mittelzahlen des 1. Versuches denen des 2. naher
gebracht. Der 2. aber ist mit den gleichen Reizworten gemacht
worden und miisste deshalb nach der Erfahrung mit der »Wieder-
holungsmethode* erheblich kiirzere Zeiten aufweisen. Eine Erklarung
fiir das Nichtauftreten dieser erwarteten Verkiirzung liegt theilweise
in dem viermonatlichen Intervall zwischen den beiden Versuchen, ist
aber nicht ganz ausreichend. Ich bin sehr geneigt dazu^ in der be-
stehenden Differenz den Ausdruck • einer Thatsache zu finden, deren
Wichtigkeit mir bei Reactionsversuchen aller Art immer wieder von
Neuem klar geworden ist, der Thatsache namlich, dass die absolute
Hohe der Reactionszeiten der einzelnen Personen von einander auBer-
ordentlich stark abweicht, und dass ebenso die Dauer der Reactionen
bei der gleichen Versuchsperson in weit auseinander gelegenen Zeit-
raumen sich oft erheblich iindert. Vorlaufig entzieht sich diese
Thatsache jeder Deutung. Damit entfiillt aber einstweilen auch die
Moglichkeit, den absoluten Zeiten allzugroBen Werth beizulegen, und
die besonders in Amerika beliebte Methode, aus dem Vergleiche einiger
weniger Reactionen der verschiedensten Personen w eitgehende Schlusse
zu Ziehen, kann deshalb nicht energisch genug zuriickgewiesen werden.
Die Mittelzahlen von E bleiben im Laufe der Versuchsnacht
ziemlich unverandert; auch die Mittelzone wiichst nicht in einem
Grade, dass wir darin etwa den Ausdruck einer Ermiidungswirkung
finden konnten.
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Experiinenlelle Studien fiber Associalionen. tl.
43
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44 GiisUv Aschaflfcnburg.
Die einzelnen Associationsformen zeigen in ihrer Dauer bei K
die gleichen Verhaltnisse wie in deni S. 36 besprochenen Versuche.
Auch diesmal sind die auBeren Associationen stets etwas kiirzer als
^ die Gesammtdauer, die inneren dreimal langer, zweimal sogar ziemlich
erheblich, nur einmal kiirzer. Die nicht sinngemaBen Reactionen
dauern mit einer Ausnahme langer, als die sinnentsprechenden, was
noch deutlicher hervortritt, wenn wir die Klangassociationen fiir sich
betrachten.
Auch bei L sind die auBeren Associationen mit einer Ausnahme
kiirzer, die inneren dreimal langer als die Durchschnittsdauer. Die
nicht sinngemaBen setzen sich aus sehr wenigen Zahlen zusammen,
so dass ihr Werth nur ein sehr besclu'ankter ist; die DifEerenzen sind
nicht sehr groB.
Die beiden Versuche von B lassen erkennen, dass die Unter-
schiede in der Dauer, wenn sie iiberhaupt eine beachtenswerthe GroBe
en*eichen, in gleichem Sinne ausgefallen sind, wie die von K imd L.
Die Fehlassociationen machen davon anscheinend eine Ausnahme. Be-
rucksichtigen wir aber nur die Klangassociationen, so sehen wir, dass
dieselben in den beiden Reihen, in denen sie sich aus genugend groBen
Zahlen zusammensetzen, um 282 resp. 96 a groBer sind als die Mittel-
zahlen der sinnentsprechenden Vorstellungsverbindungen.
Die Unterschiede in der Zeitdauer der einzelnen Associations-
gruppen von E sind zu gering, um eine VervN^erthung zu erlauben.
Passen wir das Ergebniss dieser Betrachtungen kurz zusammen,
so ergibt sich die Bestiitigung unserer friiheren Anschauung. Die
inneren Associationen sind im allgemeinen etwas langer, die auBeren
etwas kiirzer als die Durchschnittsdauer. Die nicht sinngemaBen
Reactionen zeigen meist langere Zeiten; ganz besonders aber gilt dies
fur die Klangassociationen.
Fiir diese letzteren hatte Kraepelin in dem schon erwahnten
Freiburger Vortrag eine kiirzere Dauer angenonmien. Um zu be-
stimmen, wie lange durchschnittlich das unmittelbare Suchen eines
Reimes erfordere, wurde bei dem Nachtversuche vom 20/21. VUI. 1892
von K folgendes Experiment gemacht. AnschUeBend an die Asso-
ciationsversuche des 3. und 4. Vcrsuchsabschnittes wm'den je 25 ein-
silbige Worte genannt, zu denen ein Reim zu suchen war. Selbst-
verstandUch wurde bei der Auswahl der Worte darauf Rticksicht
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Gxperimeutelle Studien iiber Associatioiien. II. 45
genommen, dass nur solche gewahlt wurden, zu denen es ein leichtes
war, sofort mehrere Reime zu nennen; K war naturlich bei dem Aus-
wahlen nicht zugegen.
Fur die erste Reihe ergab sich eine Mittelzahl von 995 o mit
einer Mittelzone von 251, Der entsprechende Versuch mit freier
Associationsbildung dauerte ziemlich genau ebenso lang, 1000 o,
wiihrend die Mittelzone 340 a groB, also etwas langer war. In der
zweiten Reihe ubertraf die Durchschnittsdauer der Reime mit 1270
die des dazugehorigen Versuches mit 1108 um voile 162 a, wahrend
die Streuung fast ganz gleich war (539 : 525 o).
Da nur dieser einzige Versuch in dieser Weise gemacht worden
ist, so lasst sich aus dem Ergebniss nichts weiter schHeBen, als
dass durchschnittlich das Reimen nicht schneller vor sich geht, als
die Bildung beliebiger nicht bestimmter Associationen. Es ist dies
insofem vielleicht doch bemerkenswerth, als wir dabei beriicksichtigen
miissen, dass die Neigung zum spontanen Auftreten von Reimen ja
zu der Zeit der Experimente unbedingt gesteigert war. In dieser
Beziehung bestatigt der Reimversuch die besprochene Erfahrung, dass
die Bildung der spontan aufgetretenen Reime meist langere Zeit in
Anspruch nahm als die ubrigen Associationen. Ziehen^) hat noch in
der dritten Auflage seiner experimentellen Psychologic behauptet, dass
sich >Vor8tellungen, die mehr auBerlich einander verwandt sind, wie
z. B. sich reimende Wortvorstellungen « schneller reproducirten, als
solche, die in sehr complicirten Beziehungen zu einander stehen. Er
erwahnt spater nochmals, dass Reime eine besonders groBe Associations-
geschwTndigkeit zeigen. Das ist nach meinen Versuchen, die mit den
Ergebnissen der Alkoholexperimente Kraepelin's^) in dieser Bezie-
hung ubereinstimmen, unrichtig. Welche Bedeutung diese an und f iir
sich unwichtig erscheinende Peststellung fur die Auffassung der Ideen-
flucht besitzt, hoffe ich bei der Besprechung meiner Versuche mit
Geisteskranken noch eingehender besprechen und begriinden zu konnen.
Bei jeder der Reilien geschah es einige Male, dass ein sinnloser
Reim gebildet wurde, in der ersten sechs-, in der zweiten viermal.
1) Ziehen, Physiol. Psychologic. III. Aufl. 1896, S. 165.
2) Kraepelin, Beeinflussung einfacher psychischer Vorgftnge diirch einige
Anneimitiel S. 52.
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46 Gustav AschafTenburg.
Diese Reime waren fiir die durchschnittliche Dauer nicht von nach-
weisbarem Einfluss, da sie sich nicht auffallig von der Mittelzahl
entfernten und, wohl zufalligerweise, sich beidemal gleichmaBig auf
die groBeren und kleineren Zeiten vertheilten. Auffallig groB war
die Neigung, den Anfangsbuchstaben des Reimes f estzuhalten , so
dass z. B. auf die Worte Fest, Bild, Bank, Macht, Saal,
Hut und Fall nacheinander stets mit W anfangend, West, Wild,
Wank (sinnlos), Wacht, Wahl, Wuth undWahl gereimt wurde.
Der qualitativ fast resultatlos gebliebene Versuch von N bedarf
noch der Controle hinsichtlich der Associationsdauer. Die Zahlen
sind bereits in der Tab. XX mitgetheilt. Wir erkennen ohne weiteres,
dass hier eine deutliche Einwirkung hervortritt. Die Mittelzahlen
sind um mindestens 1 00 a langer als die entsprechenden des Normal-
versuches. Diese Verlangerung der Associationszeiten ubertrifft sogar
bei weitem die durch die Zeitmessung nachweisbare Wirkung wahrend
des Nachtversuches. Bemerkenswerth erscheint dabei, dass die ge-
ringste Verschlechterung die nicht sinngemaBen Reactionen erfahren
haben, die in beiden Versuchen die klirzeste Dauer aufweisen. Das
Resultat der Zeitmessung ist deshalb von besonderem Werthe, weil
eine Verschlechterung in der Qualitat der Vorstellungsverbindungen
sich nicht nachweisen lieB. Wenn demnach die Schadigung wahrend
der Ballnacht auch nicht so groB war, vielleicht auch nicht so ge-
artet, um eine Veranderung der Associationsbildung hervorzurufen,
so geniigte sie doch, um die Dauer nicht unerheblich zu verlangem.
Aus den mittelbaren Associationen lieB sich ausnahmsweise eine
Mittelzahl bilden ; diese hat zwar wegen der kleinen Zahl von 7 sol-
cher Reactionen nur einen relativen Werth, doch ist die Lange der
Zeiten so auffalHg, dass sie in bester Weise die frliher*) aufgestellte
Anschauung bestatigt.
V. Deatang der Versuche.
In einem Referate iiber meine Associations versuche hat Ziehen^)
beanstandet, dass ich keine scharfe Definition fiir > Erschopf ung *
1) Theil I, Seite 274 und 284.
2) Zeitschrift fQr Psychologic und Physiologie der Sinnesorgane . Bd. XIII,
S. 232.
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Expert menlelle Studien fiber Associationen. 11. 47
gegeben habe. Ich bin auch jetzt noch nicht im Stande, eine solche
mit voUer Exactheit zu geben, obgleich ich mich seit fast 5 Jahren
mit der experimentellen Untersuchung der psychischen Erscheinungen
der Erschopfung beschaftige. Mit dem Ausdrucke »Ersch6pfung« soUte
lediglich ein hoherer Grad der Schadigung unserer geistigen und
korperlichen Spannkrafte bezeichnet werden, als wir mit dem Be-
griffe der »Ermudung« zu verbinden pflegen. Vor allem aber woUte
ich durch die Vermeidung des Ausdruckes Ermiidung darthun, dass
ich mir sehr wohl bewusst bin, bei meiner Versuchsanordnung keine
einheitliche Schadigung, wie etwa in den Bettmann'schen Experi-
menten vor mir zu haben.
Wir pflegen mit Ermiidung denjenigen Zustand zu bezeichnen,
den eine Arbeit nach sich zieht, nicht aber den, wie ihn unter an-
derm auch bei voUstandigster Ruhe des Korpers und Geistes der
langer dauemde Mangel an Nahrung hervorruft. Es bedeutet also
der Ausdruck » Erschopfung « nicht nur einen hoheren Grad der
Schadigung als » Ermiidung «, sondem er ist auch weniger einseitig
und umfasst auch den Schaden, den der ungeniigende Ersatz des
verbrauchten Materiales mit sich bringt. Diese Auffassung steht der
Verworn'schen*) sehr nahe. Dieser kommt bei der Besprechung
der Muskelermiidung zu folgenden Schliissen: »Wir sehen Ermiidungs-
erscheinungen einerseits, wenn gewisse Stoffe, die zum Leben noth-
wendig sind, durch die angestrengte Thatigkeit schneller verbraucht
als zugefiihrt oder neugebildet werden, andererseits wenn gewisse
Stoffe, die als Zerfallsproducte durch die Thatigkeit entstehen, sich
in solcher Menge anhaufen, dass sie eine lahmende Wirkung hervor-
rufen. Wegen dieser fundamentalen Verschiedenheit in der Genese
der betreffenden Erscheinungen erscheint es daher zweckmaBig,- die-
selben auch durch die Benennung zu unterscheiden und die durch
Aufbrauch der nothwendigen Stoffe eintretenden Lahmungserschei-
nungen als 'Erschopfung', die durch Anhiiufung und Vergiftung mit
den Zersetzungsproducten entstehenden Lahmungserscheinungen da-
gegen als 'Ermiidung' zu bezeichnen.* Zu ganz iihnlichen Anschau-
ungen gelangen Rivers und Kraepelin2). Aus der Thatsache,
1) Max Verworn, AUgemeine Physiologic. Jena 1895, S. 455.
2) W. H. R. Rivers und Kraepelin, Ueber Ermiidung und Erholung.
Diese Arbeiten. Bd. I, S. 670.
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4S Giistav AschaflTenbnrg.
dass bei Ergographenversuchen neben der rasch voriibergehenden
auch eine allmahlich wachsende, dauemde Abnahme der Arbeits-
leistung zu bemerken ist, schlieBen sie auf zwei verschiedenartige Wir-
kungen der Muskelarbeii Die erste beziehen sie auf die Anhauf ung
von giftigen Zersetzungsproducten im Muskel, die zweite auf den Ver-
brauch des verfiigbaren Kraftvorraths, In ahnlicher Weise empfehlen
sie, die rasch voriibergehende Abspannung durch geistige Anstrengung
von den langsamer sich ausgleichenden Folgen zu trennen. Sie nehmen
auch fur die fluchtige Herabsetzung der korperlichen und geistigen
Leistungsfahigkeit eine Vergiftung durch Zerfallsproducte an und
unterscheiden diese als Ermiidung von der Erschopfung, »dem
fortschreitenden Einschmelzen unseres Kraftvorrathes ohne hinreichen-
den Ersatz «.
Bei meinen Versuchen vereinigten sich Schadigungen mannig-
fachster Art: die korperliche, wie sie die ununterbrochene Thatigkeit
ohne Schlaf, die geistige, wie sie die anstrengende Aufmerksamkeits-
spannung wahrend annahemd 24 Stunden rait sich brachte; hierzu
kam noch der mangelnde Ersatz der verbrauchten Krafte durch die
Nahrung. Den Zustand, den der verraehrte Krafteverbrauch und
der fehlende Ersatz hervorruft, nenne ich einstweilen Erschopfung,
wobei ich vorderhand unerortert lassen muss, ob ersterer nur durch
die Anhaufung von Ermiidungsstoffen schadlich wirkt.
Worin bestand nun uberhaupt die Wirkung der Erschopfung auf
den Associationsvorgang? Das, was alien Nachtversuchen gemeinsam
zukommt, ist die Verschlechterung in der Qualitat der gebildeten Vor-
stellungen. An die Stelle des begrifflichen Zusammenhanges tritt die
lockere Verkniipfung nach dem Klange des Reizwortes, dessen Be-
deutung fUr die angereihte Reaction ganz gleichgiiltig ist. Von dieser
Kegel findet sich keine Ausnahme, wenn auch der Umfang, in dem
diese Erscheinung zu Tage tritt, sehr verschieden ist, ebenso wie
auch die Entwicklimg nicht uberall gleichmilBig vor sich geht. Wahrend
in der Kegel die Zunahme der Klangassociationen von Reihe zu Reihe
deutlicher wird, wachst bei einigen die Zahl nur maBig, um erst auf
der Hohe der Erschopfung entscheidend zuzunehmen, Es sind fast
immer die Klangassociationen im strengsten Sinne, Reime und ahnlich
klingende Worte, oft ohne jcdon Inhalt, die das Anwachsen bedingen;
nur in einem Versuche, dem von E, fehlen diese ganz, werden aber
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Cxperimentelle Studien fiber Associationen. II. 49
durch die massenhaften Worterganzimgen ersetzt, die, im Beginne
ganz fehlend, zum Schlusse 2/5 aller Reactionen darstellen.
Das Typische der Erschopfungswirkung auf den Associationavor-
gang werden wir also in dem Auftreten der Klangassociationen, vor
aUem in dem der Reime und Gleichklange zu suchen haben. Diese Zu-
nahme findet auf Kosten der werthvoUeren Associationsformen statt^
besonders der inneren. Diejenigen Vorstellungsverbindungen, in
denen Reizwort und Reaction in associativer Verwandtschaft stehen,
treten mehr und mehr in den Hintergrund. In den 9 Versuchen
wurde achtmal die geringste Zahl solcher in der letzten Reihe gebildet,
nur einmal in der vorletzten etwas (2) weniger als in der letzten. Bei
2 Versuchen zweier verschiedener Personen war im letzten Abschnitt
nur je eine einzige innere Association mehr vorgekommen. Weniger
deutUch nimmt die Verkniipfung der Vorstellungen durch associative
Gewohnheit ab. Die Abnahme dieser wird wenigstens theilweise da-
durch verhindert, dass die sprachlichen Reminiscenzen eine, wenn
auch nicht sehr ausgesprochene, Neigung zu leichterem Auftauchen
ei4cennen lassen. Es darf dabei nicht unberiicksichtigt bleiben, dass
sich die Zahl der iiberhaupt gebildeten Associationen mit begrifflichen
Beziehungen zwischen Reizwort und Reaction dauemd verringert. So
ist z. B. die im Versuche von E gebildete Zahl der sprachlichen
Reminiscenzen 44, 52, 50 und 42, wahrend ihr Procentverhaltniss
zur Zahl der sinngemaBen Associationen iiberhaupt von 56 auf 84,
83 resp. 81 steigt.
Schematisirt wtirde sich demnach der Associationsvorgang unter
dem Einflusse einer allmahlich zunehmenden Erschopfung etwa
so gestalten: Die engen Beziehungen zwischen Reizwort
und Reaction werden nach und nach gelockert. und
durch solche Associationsformen ersetzt, die der lang-
gewohnten Uebung ihre Entstehung verdanken; beson-
ders uberwiegen dabei die sprachlichen Beziehungen.
Aber auch diese werden nach und nach immer oberflach-
licher. Die zugerufene Vorstellung — dasselbe gilt auch
von den spontan auftauchenden — wird nicht mehr als solche
aufgefasst, sondern wirkt nur noch durch ihren Klang,
durch ihre Tonfarbe, ihren Rhythmus. Im weiteren Fort-
schreiten der Erschopfung wachst die Neigung, Klang an
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II. 4
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50 Gusta? AschafieDborg.
Klang anzureihen, bis schlieBlich auch das neugebildete
klangahnliche Wort verloren geht, und nur noch der reine
Anklang, die ahnlich lautende Silbe ubrig bleibt. Ob unter
Umstanden, die im Rahmen des Physiologischen sich bewegen, durch
auBersten Verbrauch der Spannkrafte ein so hoher Grad erreicht
werden kann, ist sehr fraglich; wir werden aber unter krankhaften
Zustanden dieser Erscheinung begegnen. Es liegt mir dabei fern,
die beiden Influenzaversuche, die ja allerdings dem Endstadiiun des
gegebenen Schemas sich nahem, als Belege fiir die Moglichkeit dieser
Erscheinung anzusehen ; dafiir beweisen zwei Versuche an einer Person
viel zu wenig. Dass aber bei Kranken die ganzliche Losung jedes be-
grifflichen Zusammenhanges vorkommt, an dessen Stelle dann die aus-
schlieBliche Herrschaft des Klanges tritt, kann ich aus meinen Versu-
chen an Geisteskranken *) beweisen, wie ich hier vorweg nehmen will.
In dieser Beleuchtung erscheint der >Beim« in einem eigenthiim-
lichen Lichte, das noch greller wird, wenn wir die von Kraepelin
und spater von Purer und Smith festgestellten Beziehungen der
Klangassociation zum Alkoholgenuss hinzunehmen. Die Neigung
zum Reimen muss unbedingt als eine Verschlechterung des Associa-
tionsvorganges auf gef asst werden ; diese Ansicht wird wohl dann auf
weniger Widerspruch stoBen, wenn wir die scharfe Trennung des
>Reimen8« vom »Dichten« ausdriicklich hervorheben. Es ist der Be-
lesenheit Nordaus^) gegliickt, aus den Werken modemer Schrift-
steller ungezahlte Beispiele zusammenzusuchen, in denen dem Reime
der Sinn geopfert, oder noch haufiger durch eine auftauchende Ellang-
ahnlichkeit der Sinn iiberhaupt verschoben, oft auch ganz aufgehoben
wird. So werthvoU der Reim an passender Stelle in der Hand des
Meisters ist, so gefilhrlich ist er dem StUmper, dem er das Fehlen
der Gedanken verbirgt, den vorhandenen Zusammenhang zerstort,
und der sich selbst durch den einschmeichelnden Klang des Reimes
iiber die inhaltUche Leere hinwegtauscht.
Heine Versuche haben, auf breiterer Grundlage und mit dem
Endzwecke, die Storungen [der Associationsbildung durch die Er-
1) VergL danlber Aechaffenburg, Peychologische Versuche an Geittes-
kranken. Bericht aber den III. internal. Congress fflr Psychologie. Manchen.
J. F. Lehmann, 1897, S. 296.
2, Nordau, Entartung. 2. Aufl. Berlin 1893.
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Experiroentelle Studieo iiber Assoeiationen. II. 5 1
schopfung festzustellen, untemommen, die Ansicht Kraepelins
bestatigt, wenigstens was das Auftreten der Klangassociationen betrifft.
Er hatte beobachtet^), dass sich im Laufe langerer Associationsreihen
gewisse Veranderungen bemerkbar machten:
»Die Ermiidung bewirkt auBer einer entschiedenen Verlangerung
und Erschwerung der Assoeiationen, namentlich derjenigen, welche
hohere Anforderungen an unsere psychischen Leistungen stellen, ein
sehr auffallendes Hervortreten von rein auBerlichen, namentlich von
Klangassociationen, Reimen nnd dergl.«
In der mir zuganglichen Literatur habe ich sonst nirgends die
eigenartige Veranderung des Inhaltes der associirten Vorstellungen er-
wahnt gefunden; diese Frage ist allerdings auch sonst nur wenig ex-
perimentell behandelt worden. Stimmt denn nun das von uns G^efun-
dene mit der alltaglichen Beobachtung Uberein? Ich glaube diese Frage
unbedingt bejahen zu konnen. Seitdem meine Aufmerksamkeit auf
das Vorkommen von Klangassociationen unter dem Einflusse starkerer
Ermudungen hingelenkt war, habe ich sehr haufig Gelegenheit gehabt,
nicht nnr an mir, — das konnte immerhin als eine vielleicht unvermeid-
liche Suggestionswirkung ausgelegt werden — sondem an vielen
andem Personen diese Neigung zum Reimen zu beobachten. Schon
vor mehreren Jahren versuchte ich gelegentlich einiger Bergtouren
in der Schweiz mit den mich begleitenden Personen in einer dem Ex-
perimente ahnlichen Weise im Beginne und gegen Schluss der Marsche
durch Zunifen von Worten die Associationsformen festzustellen.
Wenn ich dabei auch durch die auBeren Umstande verhindert war,
genauere Notizen zu machen, so kann ich doch versichem, dass fast
stets eine auBerordentlich groBe Anzahl von klangahnlichen Worten
und Reimen auftrat. Schon die einfache Beachtung des Gespraches
bei solchen Gelegenheiten aber geniigt fur denjenigen, der weiB,
worauf er zu achten hat, um zu bemerken, welche Rolle die Klang-
association spielt, sowohl in der Form des Reimes, als vor allem in
der des typischen Wortwitzes. Eine directe Bestatigung, wie eng die
Neigung zum Reimen mit starker — in solchen Fallen allerdings fast
ausschlieBlichkorperlicher — Anstrengung verbunden ist, bietet jedes
beliebige Fremdenbuch auf Berggipfeln und in Schutzhiitten. Ich
1; Kraepelin, Experimentelle Studien aber Assoeiationen. Tageblatt der
66. Versammlnng deutscher Naturforscher und Aenfe in Freiburg. Freiburg 1884.
4*
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52 Giutar Asehaffeoborg.
sehe dabei selbstverstandlich von solchen Producten ab, die unter
ausschlieBIicher oder gleichzeitiger Wirkung des Alkohols verfasst
sind. Es wird wohl jeder zugeben miissen, dass ein wirklich inhalt-
reiches Gedicht niir selten die Fremdenbucher der Schutzhiitten ziert;
dabei sind es durchaus nicht ungebildete Personen, wenigstens nicht
immer, die als Verf asser der albemsten Reimereien unterzeichnet sind,
sondem oft genug solche, die in der Stille des Studirzimmers sich
schamen wUrden, so gedankenarme Reimereien niederzuschreiben. Es
geht mit diesen Versen wie mit den schwungvollen Poesien der Wein-
laune, die bei Tageslicht betrachtet meist nur ein verwundertes Kopf-
schiitteln erregen konnen, wie auch der G^eist eines Witzes, einer
vielbewunderten schlagfertigen Bemerkung sich mit dem Geiste des
Weines zu verfluchtigen pflegt. Das Gleiche gilt durchaus ftir die
Witzeleien des Erschopften.
Die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Witzeleien kann
nicht besser geschildert werden, als es Nordau>) fUr den Schwach-
sinnigen versucht hat, Er sagt von ihm (siehe dariiber unten): »Die
bloBe Lautahnlichkeit bestimmt den Lauf seines Denkens. Er hort ein
Wort, und es ruft ihm ahnliche Worte ins Bewusstsein, die nur dem
Klange, nicht dem Sinne nach jenem verwandt sind, dann denkt und
spricht er in einer Reihe ganzlich unzusammenhangender Reime; oder
die Worte haben auBer dem Gleichklang auch eine sehr entfemte
und schwache Sinngemeinschaft, dann entsteht das Wortspiel. Der
XJnkundige ist geneigt, den reimenden und wortspielenden Schwach-
sinnigen witzig zu nennen, und er bedenkt nicht, dass diese Art des
Verkniipfens der Vorstellimgen nach dem Klange der Worte den
Zweck des Denkens vereitelt, da sie die Ericenntniss des wirklichen
Zusammenhanges der Erscheinungen nicht fordert, sondem von ihr
entfemt. Keine Witzelei hat jemals die Entdeckung einer Wahrheit
1) Nordau, Entartong, 2. Auflage. 1. Bd. S. 119. Das Buch Nordaua
enth< trotz mancher Uebertreibungen und zahlreicher IrrthOmer in der paychia-
triachen Beurtheilung eine Fdlle interesaanter Einzelheiten und vorstLglicher Be-
obaehtongen. Nordau verateht unter dem » Schwachsinnigen < an dieaer Stelle
den Typus des oberflftchlich denkenden, degenerirten Menaehen. Seine Schilde-
rung entapricht am meiaten den Hypomaniachen, von denen auch wohl ein Theil
der angezogenen Beispiele atammt. Nur mit Rtlckaicht auf die auffallende Ueber-
einatimmung aeiner ioiaicht mit den Beobachtungen bei Erachdpften und auf die
pr&eise Schilderung habe ich mich zur Citirung obenatehender Zeilen entachloaaen.
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Experimentelle Stadien uber Associationeo. 11. 53
erleichtert, und wer einmal den Versuch gemacht hat, mit einem
witzelnden Schwachsinnigen ein emstes Gesprach zu fiihren, der wird
die Unmoglichkeit erkannt haben, ihn bei der Stange zu halten, von
ihm einen folgerichtigen Schluss zu erlangen, ihm eine Thatsache
oder ein Causalverhaltniss begreiflich zu machen.* Wir brauchen
nur fiir »8chwach8innig« »ersch6pft« zu setzen und wir konnen jedes
Wort auf unsere Versuche anwenden.
Dass zuweilen eine komische Wirkung durch einen Wortwitz,
eine Wortverdrehung oder Wortspielerei erzielt werden kann, ist
selbstverstandlich. Hecker*) hat diese Art des Witzes, die erste
Gruppe seiner Associations witze, als Klangwitze bezeichnet, in
denen zwei Vorstellungen, die nicht den geringsten logischen Zu-
sammenhang haben, durch den Gleichklang zusammengehalten werden.
Die komische Wirkung beruht nach Heckers Ansicht auf dem
Gegensatze zwischen der gezwungenen, unnatiirlichen Verbindung
heterogener Vorstellungen, die das Unlustgefuhl hervorruft, und dem
Lustgefuhl durch die vollzogene Verbindung mittelst der Klangahn-
lichkeit; vielleicht wirkt auch ebenso sehr der Gegensatz zwischen
der erwarteten Vorstellung und der gebildeten, »der unerwartete
intellectuelle Contrast, der in uns einen Widerstreit logi-
scher Gefuhle mit vorwiegender Lust erweckt*^). Dieses
Lustgefuhl kann aber allerdings nur zu Stande kommen, wenn die
Verkniipfung der Vorstellungen nicht gar zu gewaltsam ist, nicht
>an den Haaren herbeigezogen* wird, sonst tritt geradezu ein Un-
lustgefuhl auf. Das ist bei dieser Gattung der Witze entschieden
das haufigere. Dass sie trotzdem ihre Wirkung oft nicht verfehlen,
liegt in den Umstanden, unter denen sie meist gemacht werden.
>Die komische Wirkung des Klangwitzes,« sagt Kraepelin^), »pflegt
gemeiniglich nur dann intensiv zu sein, wenn eine geringe Scharfe
der begrifflichen Ausbildung dem Subjecte die ganzUche Unhaltbar-
keit und G^waltsamkeit der vollzogenen Verbindung nicht in voUem
MaBe zum BewusstsQin konunen lasst«
Ij Ewald Hecker, Die PhyBiologie und Psychologie des Lachens und
des Komischen. Berlin 1873, S. 59.
2) Kraepelin, Zur Psychologie des Komischen. Philosophische Studien.
von Wundt Band II, S. 361.
3) Ebenda, S. 144.
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54 . Gustar AscbaSenborg.
Diese Unzulanglichkeit der Kritik findet sich auch dann, wenn
der Alkoholgenuss das Urtheil des Zuhorers etwas beeintrachtigt hat,
der dann viel dankbarer der Wortwitzeleien seiner Gefahrten sich
freut. Die gleiche Beobachtung konnten wir bei unsern Nachtver-
suchen machen. So erinnere ich mich z. B. der groBen, wie man
^ewiss zugeben wird, wenig motivirten Heiterkeit, die der sinnlose
Reim »Wuft« auf das Reizwort Duft hervorrief.
Die beiden Abschweifungen auf die Beurtheilung des Werthes
der B/eime und der Wortwitze hielt ich an dieser Stelle fUr nothig,
an der wir zum ersten Male in groBerer Anzahl solchen Vorstellungs-
verbindungen begegnen, da von ihrer falschen Auffassung die ver-
kehrte Beurtheilung der Alkoholwirkung und der Reden mancher
Kranker . abhangt ; auf letztere wenigstens hoffe ich noch an anderer
Stelle eingehender zuriickkommen zu konnen.
Wahrend wir in unsern Versuchen eine unzweideutige Zunahme
der Klangassociationen unter dem Einflusse einer erschopfenden Ur-
sache fanden, lieB sich ein Anwachsen der Zahl identischer Reac-
tionen, eine groBere Neigung zur Wiederholung derselben Antworten
nicht nachweisen. Ebensowenig wurde das Auftreten der Fehlasso-
ciationen begUnstigt, die zum groBten Theil in Wiederholungen des
Reizwortes oder friiheren Reactionen ohne Zusammenhang zu bestehen
pflegten; ja wir fanden geradezu eine Abnahme dieser Reactionsformen
im Laufe der Versuchsnachte. Dieses gegensatzliche Verhalten der
Klangassociationen einerseits, der Fehlassociationen und der Stere-
otypic andererseits, gibt uns vielleicht eine Hindeutung zur Losung
einer sehr wichtigen Frage. Wir konnten die ungunstige Disposition,
die von der Wirkung der Erschopfung sich unterschied und nicht
durch sie verschlimmert wurde, bei B zur Zeit des Versuches am
19./ 20. November 1892 mit groBter Wahrscheinlichkeit auf eine
Summe korperlicher und psychischer Schadigungen chronischer Art
zuriickfiihren. Auch fur E batten wir wegen der ganz ungewohnlich
groBen Zahl von sinnlosen Reactionen die gleiche Disposition und
zwar als dauemde Eigenthumlichkeit angenommen. Nicht unwichtig
ist, dass bei E die acute Erschopfung ebenso dem Auftreten der
Fehlassociationen entgegenwirkt , wie sie auch die Stereot)i)ie ver-
ringert. Es erscheint mir nun nicht unwahrscheinlich , dass die
Zusammenhangslosigkeit der Associationen und das Kleben an Vor-
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Cxperimentelle Siadien Qber Associationen. II. 55
stellungen, das zwangsweise Wiederkehren derselben Worte nichts
mit der nonnalen, acuten Erschopfung zu thiin hat, um so mehr aber
mit dem Zustande, den wir als Neurasthenie bezeichnen; die
stete Wiederkehr der gleichen Vorstellungen erinnert geradezu an
die Zwangsvorstellungen der Neurasthenischen.
Wir wurden also die Erschopfung principiell von den Zustanden
trennen, die entweder auf dem Boden constitutioneller Veranlagung
direct oder im Verein mit affectiver Schadigung chronischer Art
sich entwickeln. Die Versuche iiber die Erschopfung lehrten auch
sonst noch manche Erscheinung kennen, die fiir eine derartige scharfe
Trennung sprechen. Diese Anschauung wird aus klinischen Griinden
Ton Kraepelin^j in seinem Lehrbuche vertreten, der die >chroni8che
nervose Erschopfung « von dem »constitutionellen Zustande der an-
geborenen Neurasthenic* untersclieidet, wahrend Binswanger die
Erschopfungszustande, deren leichtere Grade er Dauerermiidung
nennt, nicht von den » neuropathischen Krankheitserscheinungen «
trennt, »die auf dem Boden einer allgemeinen functionellen Er-
krankung des Nervensystems erwachsen sind*.^) Doch ist der G^gen-
satz zwischen diesen Auffassungen weniger schroff, als es vielleicht
im ersten Augenbhcke erscheint. Bei der Besprechung der XJrsachen^)
betont Binswanger ausdriicklich, »dass gehaufte und langandauemde
korperhche Ueberanstrengungen besonders dann den neuropathischen
Zostand und die Neurasthenie hervorrufen, wenn sie mit gemiith-
lichen und intellectuellen Schadlichkeiten zusammenf alien*
>Es bedarf nicht immer dieses Zusammenwirkens korperlicher und
geistiger Ueberanstrengungen, vielmehr geniigen besonders beischon
disponirten Personen die korperlichen allein, um eine voUent-
wickelte Neurasthenie mit vorwaltend motorischen Storungen hervor-
znrufen.*
Es mag vielleicht gewagt erscheinen, auf Grund der wenigen
Experimente in dieser auBerordentlich verwickelten Frage Stellung
zu nehmen. Die Berechtigung dazu lag allein in der neuen Frage-
1) Kraepelin, Psychiatrie. 5. Auflage. Leipzig 1S96, S. 761.
2) Binswanger, Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. Jena 1S96,
3; Binswanger, a. a. O., S. 57.
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56 " Gostt? Ascbaffenbarg.
stellung, die sich aus diesen Ausfuhrungen ergibt, and die durch ihre
nunmehr mogliche genaue Abgrenzung vielleicht Klarheit schaffen
konnte. Versuche an constitutionellen Neurasthenikem einerseits, ein
Material, das mir leider nicht ausreichend zur Verfiigung steht^ und
bei experimentell unschwer zu erzeugender chronischer Uebenniidung
und Erschopfung andererseits wiirden die Bichtigkeit oder XJnrichtig-
keit dieser Anschauungen bald nachweisen und uns damit nach der
einen oder der andem Richtung einen wichtigen Schritt vorwarts
bringen.
Wahrend die qualitative Veranderung der Associationen durch
erschopf ende EinflUsse der allgemeinen Aufmerksamkeit entgangen zu
sein scheint, nimmt dafUr in den Besprechungen die Verlangerung
der Reactionszeiten einen um so breiteren Raum ein, besonders bei
der reinen Construction der Ermiidungswirkung. Experimentell hat
sich eingehender mit der Erschwerung der Vorstellungsbildung durch
EJrmudung, soviel ich ersehen konnte, nur Marie Manac^ine>)
beschaftigt. Sie lieB in einer Art Schrank ein Wort erscheinen; den
Moment des Erscheinens und des Aussprechens der nacheinander sich
einstellenden Associationen markirten Signale auf einer rotirenden
Trommel, sodass sich ein ziemlich ubersichtliches Bild der Lebendig-
keit des Associationsvorganges gewinnen lieB. Sie fand nun, dass
jede geistige Ermiidung einen sehr deutlichen Einfluss auf die Schnellig-
keit ausUbte, mit der die Vorstellungen gebildet wurden, und ebenso
auf deren Zahl. Wie groB die Verlangsamung und die Erschwerung
ist, hat die Verfasserin leider nicht mitgetheilt.
Bei meinen eigenen Versuchen trat die Verlangerung der Associa-
tionszeiten im allgemeinen nicht sehr deutlich hervor; einige Male bheb
die Dauer sogar ziemlich imverandert; durch das Wachsen der Mittel-
zone ist eine Verschlechterung des ganzen Associationsvorganges ausge-
drUckt, doch ist auch diese nicht so groB, wie man vielleicht von vomher-
ein erwarten konnte. Es muss allerdings dabei beriicksichtigt werden,
dass bei der untersuchten Aufgabe der freien Vorstellungsanreihung
die Dauer des einzelnen Versuches deshalb mit den anderen schwerer
zu vergleichen ist, weil die qualitative Veranderung ebenfalls die ge-
1) MarieManac^ine, Le Burmenage mental dans la civilisation moderne.
Paris 1890, S. 165.
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Experimentelle Stodien fiber Associationeo. IL 57
messenen Zeiten beeinflusst. Wenn ich also auch eine Verlangsamimg
des Assodationsvorganges durch die Erschopfung nicht in Abrede
stellen mochte, so liegen die Verhaltnisse doch nicht so, dass wir mit
Ziehen') annehmen dtirften, »heute fliegen meine Gredanken iind
morgen, wenn ich ermiidet bin, scheinen dieselben zu kriechen«. Es
geht aus dem Zusammenhange hervor, dass dieses >Scheinen< nicht
auf eine subjective Urtheilstauschung bezogen werden, sondem that-
sachlich eine ganz erhebliche Verlangsamung des Vorstellungsablauf es
bedeuten soil.
Bourdon 2) fand bei seinen Versuchen, dass sich die Ermtidung
•fatigue) bei Versuchen, die lange Zeit genug fortgesetzt wurden, in
der Abnahme der Zahl der Antworten zeige; eine Veranderung in
der Art der gebildeten Associationen ist ihm nicht aufgefallen.
Damit ist das Wenige erschopft, was aus den bisherigen Be-
obachtnngen erwahnenswerth ist. Ein Widerspruch gegen meine Er-
gebnisse kann darin kaum gefunden werden, besonders deshalb nicht,
weil wohl bis zu der Feststellung der Veranderungen durch Gifte
seitens Kraepelins die Versuchsbedingungen oft nicht einwandfrei
gewesen sein diirften. Ich glaube, dass man schwerlich einen dem
Versuch vorangehenden einstiindigen Spaziergang in seiner Bedeutung
fiir den Ausfcill der Experimente bisher genUgend gewiirdigt und des-
halb gescheut hat. Vielleicht erklart sich so die Beobachtung Bour-
dons, dass eine seiner Versuchspersonen eine besondere Neigung
gezeigt habe, den Sinn der Worte zu vemachlassigen und die
Klangahnlichkeit zu erfassen.
Bei dem Fehlen weiterer Vorarbeiten wird der lebhafte Wunsch
rege, die Feststellung der Veranderung des Associationsvorganges
nachzupriifen und zu erweitem. Nach welchen Bichtungen dies be-
sonders erforderlich ist, wird nunmehr zu besprechen sein.
VI. Znsammenhang der Klangassociationen mit Bewegnngsantrieben.
Es entsteht namlich jetzt die Frage, ob wir nicht weitere An-
haltspunkte finden konnen, die uns die Deutung der gefundenen
]/ Th. Ziehen, Leitfaden der physiologiBchen Psychologie. Jena 1S96, S. 165.
2; Bourdon, Recherches sur la Buccession des ph^nom^eB psychologiques.
ReTue philofophique. 1893. XVIII. S. 225.
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58 Casta? AschAflTenburg.
Thatsachen erleichtern. Die Associationen nach begrifOicher Ver-
wandtschaft, die sog. inneren, zeigten unter dem Einflusse der
Erschopf ung eine Abnahme. Die eingeiibten Gewohnheitsassociationen,
die wir als auQere bezeichneten, blieben im Ganzen unverandert ; die-
jenige Gruppe, bei der die sprachKche Uebung die Hauptrolle spielt,
nahm sogar einige Mai deutlich zu. Am meisten wuchs die Zahl der
Reactionen, bei denen die Verknupfung durch die formale Aehnlich-
keit der Lautbilder hergestellt wird, oft bis zu einem Grade, dass
der Klangahnlichkeit sogar der Sinn der neugebildeten Vorstellung
geopfert wurde. Es sind also die mechanischen, rein motorischen
Vorgange des Nachplappems ahnlicher Buchstaben- und Silben-
complexe in erster Linie begunstigt. Auch bei den Worterganzungen
wird die Vorstellungsbildung hauptsachlich durch die von dem Reiz-
worte angeregte Bewegung bestimtot; das Gleiche gilt auch von den
sprachlichen Reminiscenzen, nur dass hier wenigstens noch der Inhalt
der Ausgangsvorstellung mitwirkt. Wir konnen also zusammenfassend
sagen: Mit der fortschreitenden Erschopfung tritt an die
Stelle des begrifflichen Zusammenhanges die Bewegungs-
vorstellung.
Die Aehnlichkeit dieses Ergebnisses mit dem, was Kraepelin*)
fur den Alkohol feststellen konnte, ist augenfallig. »Einmal werden
begiinstigt die rein mechanisch eingelemten, durch bestimmte, gewohn-
heitsmaBige Bewegungscoordinationen vermittelten Associationen, dann
aber diejenigen, bei denen die Sprachbewegungen einander formal
sehr ahnlich sind.« Smith 2) hat dies bei Versuchen uber die Wirkung
langer dauemden Alkoholgenusses, Furer^) bei einmaligen groBen
Dosen Alkohols bestatigen konnen, und auch eigene gelegentliche
Versuche stehen mit diesen Erfahrungen in bester Uebereinstimmung.
Die Begiinstigung »derjenigen Vorstellungsverbindungen, welche durch
ein motorisches Band aneinander gekniipft sind«, bringt Kraepelin
in Beziehung zu der allgemeinen Erleichterung der Bewegungsaus-
losung, die er auf Grund des Ausfalles der Versuche mit einfachen
und Wahlreactionen, sowie der Lemversuche feststellen konnte. Es
1) Kraepelin, Beeinflusf^uDg u. s. w. S. 191.
2} A. Smith, Die Alkoholfrage , Tabingen 1895. S. 31.
3j C. Ftlrer, Ueber die psychischen Nachwirkungen des AlkoholrauBche:^.
Bericht flber den V. internationalen Congress zur BekSmpfung des Missbrauchs
geistiger Oetr&nke. Basel 1896.
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Experimentelle Studien Qber Associationen. II. 59
liegt nahe, nunmehr nachzupriifen, ob wir eine ahnliche Erleichterung
der Bewegungsimpulse auch fiir die Erschopfimg annehmen diirfen.
Unseren subjectiven Empfindungen nach ist dies durchaus der
Fall. Wir sind alle, soweit wir bei den Nachtversuchen betheiligt
waren, in einen eigenthUmlichen Zustand der Ruhelosigkeit gerathen,
der bei den verschiedenen Personen mehr oder weniger deutlich sich
zeigte und fast stets den ganzen folgenden Tag fortdauerte. Es trat
nicht, wie die schwere, besonders bei dem Auswendiglemen und
Zahlenaddiren deutliche Intelligenzstomng erwarten lieB, eine allge-
meine Abspannung und Erschlaffung der Krafte ein, die sofort zum
3chlafe fiihrte; wir haben im Gegentheil fast alle wahrend des fol-
genden Tages kaum ein Ruhebediirfniss empfunden, gar nicht oder
nur km^ geschlafen und uns im Verhaltniss zur iiberstandenen An-
strengung auffallig frisch gefuhlt. An dem nachstfolgenden Tage
trat erst die Miidigkeit deutlich zu Tage, viel merklicher als am Tage
nach dem Versuche. Eine Reihe von kleinen Einzelzugen erganzen
diese Erfahrung. Fast stets war ein unverkennbarer Drang zum
Reden und zwar zum lauten Reden vorhanden, eine Neigung zu
zahlreichen uberflussigen Bewegungen, zum XJmherlaufen und zum
Lachen, eine Unfahigkeit, ruhig sitzen zu bleiben. Auch den Col-
legen, die Grelegenheit batten, die Theilnehmer an den Versuchen
bald nachher zu beobachten, fiel die Vielgeschaftigkeit und Unruhe
auf. Diese Erscheinung ist ja auch durchaus nichts ungewohntes.
Nach jedem langer dauemden Marsche, nach jeder groBeren korper-
lichen Anstrengung konnen wir das gleiche Verhalten constatiren,
wie dieselben Personen, die wahrend des Gehens den Augenblick
nicht erwarten konnten, wo sie zimi Sitzen kamen, am Ziele angelangt
keine Rube finden und in zwecklosem Thatigkeitsdrang bin- und her-
laufen. Dahin gehort auch das oft unniitz laut und lebendig ge-
fiihrte, nicht immer sehr inhaltsreiche Gesprach, die Neigung zum
Singen und die Schlaflosigkeit.
»Wenn die Ermiidung sehr groB ist«, sagt Mosso^), »sei es, dass
eine geistige Arbeit oder eine Muskelanstrengung sie herbeifuhrt, voll-
zieht sich eine Aenderung in unserer Stimmung : wir werden reizbarer,
und es scheint fast, als babe die Ermiidung das, was an edlen Ge-
fiihlen in uns war, jene Fahigkeit des Gehimes, durch welche sich
1) A. M0880, DieErmtlduDg. Uebersetzt von J. Glinzer. Leipzig 1892. S.218.
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60 Gusta? Aschaffenburg.
der civilisirte Mensch vom Naturmenschen unterscheidet, aufgezehrt.
Wir vermogen uns nicht mehr zu beherrschen, und die Leiden-
schaften brechen so heftig hervor, dass wir sie nicht mehr mit unserer
Vemunft zligeln und ihnen entgegenarbeiten konnen. Die Erziehung,
welche die iinwillkUrlichen Bewegungen im Zaume hielt, verliert ihre
Macht und es ist, als 6b wir um einige Stufen in der gesellschaft-
Uchen Hierarchie hinunterstiegen.*
Der Grundgedanke, der dieser etwas pathetischen Schilderung zu
Grunde liegt, ist der, dass eine Erleichterung der motorischen Reactio-
nen zu unuberlegten Handlungen fUhrei\ kann, wie es fiir den Alkohol
in pragnantester Weise von Kraepelin auseinandergesetzt wurde>).
Mo 8 so') erwihnt Ubrigens auch, dass Tauben nach Zurticklegen
einer Strecke von 296 km » nicht ermUdet schienen. Sie setzten sich
auf das Penster, spielten und girrten, als oh sie locken wollten ; nach
einigen Minuten entschlossen sie sich, in ihr Haus zu fliegenc. Aug
dem spateren Verhalten geht aber hervor, dass sie hochgradig er-
schopft waren.
Wichtiger als alle diese Thatsachen und Selbstbeobachtungen,
die wohl jeder aus eigener Erfahrung noch erganzen kann, ist das
Experiment. Es kann natiirlich nicht meine Aufgabe sein, an dieser
Stelle alle die Versuche eingehender zu besprechen, die ich iiber die
Erschopfungswirkung^) angestellt habe, und von denen diejenigen
iiber die Veranderungen des Associationsvorganges nur einen kleinen
Theil darstellen ; ich beschranke mich darauf , im Polgenden in Kurze
dasjenige anzufUhren, was zur Aufklarung der in Prage stehenden
Anschauung^ dienen kann.
In erster Linie kommen dabei dieWahlreactionenin Betracht,
bei denen aus dem Auftreten von vorzeitigen und fehlerhaften Reac-
tionen auf eine gesteigerte motorische Erregbarkeit geschlossen werden
kann. Im Verlaufe der Versuchsnachte wurden in Abstanden von drei
zji drei Stunden je 200 Wahlreactionen gemacht; die drei Reihen,
aus drei verschiedenen Nach ten stammend, bei denen ich selbst als
Versuchsperson diente, sind in der folgenden Tabelle dargestellt.
1} Kraepelin a. a. O. S. 193. 2) a. a. O. S. 17.
3) Ueber die psychiBchen Erscheinungen der £rsch6pfung. Yortrag auf der
XVin. Wander?ersaminlung der stldwestdeuUchen Neurologen und Irren&rzte.
Referat: Archiv far Pgychiatrie Bd. XXV. S. 594.
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Experimentelle Studien fiber Associationen. II.
Tabelle XXXI.
Nachtversuche.
Stellungsmittel aus je 200 Wahlreactionen und Fehlerzahl in Procenten.
61
'! ■ '
B«ih6 1. Yersacli
StM.
FeUer
2. Yennoli
81 M.
Fehler
3.VerBiieh
St.M.
FeWer
I
20/21. Vlll.
1892.
330
4
8/9. X.
1892.
360
4
19/20. XI.
1892.
311
178
178
337
12,5
42,5
u
317
22,5
293
23,5
m
192
36,0
243
33,5
40,0
IV
339
20,5
380
11,0
24,0
Das Gemeinsame der drei V^rsuche ist die schnell zunehmende
Verkiirzung der durchschnittlichen Reactionsdauer unter gleichzeitigem
starken Wachsen der Fehlerzahl; znm Schlusse verlangert sich die
Beactionsdauer wieder, ohne dass aber die Neigung zu Fehlem in
gleicher TVeise abnahme. Bei der Betrachtung der beiden mittleren
Beihen des letzten Versuches wird die Deutung der Verkiirzung ohne
Schwierigkeit verstandlich. Wenn in beinahe der Halfte aller Reac-
tionen falsch reagirt wurde, so beweist das, dass wir keinen regel-
rechten Wahlvorgang voUzogen haben, dass vielmehr nur der Zufall
liber die Richtigkeit der Reaction entscheidet. Im Verein mit der
gleichzeitig bemerkbaren Verkurzung der Reactionsdauer miissen wir
annehmen, dass an die Stelle der Wahlreaction die einfache Reaction
getreten ist; die motorische Erregbarkeit ist so groB, dass das Horen
des Buchstabens E resp. 0 geniigt, um sofort eine Bewegung auszu-
losen, noch ehe der Wahlvorgang beginnen kann. Wahrend bei mir
das Ergebniss aller drei Versuche durchaus einheitlich im Sinne einer
erleichterten Auslosung der Bewegungsantriebe zu deuten war, trat
bei andem Versuchspersonen diese Erscheinung entweder gar nicht
oder weniger deutlich hervor. Ich erinnere hier an die von Bett-
manni) besprochenen Versuche. Um so bemerkenswerther ist des-
halb die Feststellung, dass bei Personen, die wahrend der Nachtver-
1) S. Bettmann, Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Yorgange
durch kdrperliche und geistige Arbeit. Diese Arbeiten. Bd. I, S. 200.
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62 Gu8t&? AschaSenburg.
suche keine Verkiirzung der Reactionszeiten und Vermelining der
Fehlerzahl zeigten, diese Erscheinung durch korperliche Ermiidung
von kurzerer Dauer sofort auszidosen war, wie Bettmann^) in seiner
Arbeit, Lowald^) bei Gelegenheit seiner Bromversuche auseinander-
gesetzt hat, und wie uns inzwischen weitere, noch nicht veroffentlichte
Versuche durchaus bestatigt haben.
Zu den Personen, deren Wahh-eactionen keine Verkiirzung auf-
wiesen, gehort auch B, von dem wir zwei Associationsversuche be-
sprochen haben. An B wurden in der Nacht vom 28./29. m. 1893
unter anderm. viermal 200 einfache Eeactionen gemacht Als Signal
diente das beim Niederdriicken eines Morsetasters, wodurch gleich-
zeitig die Zeiger des Chronoskops in Bewegung gesetzt wurden, ent-
stehende Gerausch ; die Reactionsbewegung, das Aufheben des Fingers,
der einen 2. Morsetaster geschlossen hielt, unterbrach den Strom.
Bei den einfachen Eeactionen sind leider Fehlreactionen nicht fest-
zustellen; wir konnen aber voraussetzen, dass vorzeitig reagirt wurde,
wenn die Reactionsdauer so kurz ist, dass sie sich mit der regel-
rechten AusfUhrung des gewiinschten Vorganges nicht mehr vertragt
Als untere Grenze der einfachen Reactionen, die hochstens noch als
richtig vollzogen betrachtet werden durfen, habe ich 100 a angenommen.
Diese Zahl ist kleiner als sammtliche von Wundf^) erwahnten und
den verschiedensten Autoren entnommenen Reactionszeiten auf Schall-
reize, die, wie auch meine eigenen Erfahrungen mir bestatigt haben,
durch weg zwischen 120 — 200 und mehr a zu liegen pflegen. Mt
roller Bestimmtheit konnen wir endlich die Falle als vorzeitige Reac-
tionen bezeichnen, bei denen die Auslosung der Reactionsbewegung
eher erfolgt, als das auslosende Gerausch ertont. Der Vorgang ist
wohl so zu erklaren: Schon der hochgradig gesteigerte Erwartungs-
affect, der den Moment der Reizgebung vorwegnimmt, fuhrt bei er-
leichterter Auslosbarkeit der Bewegung zur Reaction; so ^ird ein
negativer Werth gewonnen, der durch besondere Versuchsanordnung
messbar, in unsern Experimenten einfach als 0 registrirt wurde.
1) a. a. O. Seite 195.
2 A. Low aid, Ueber die psychischen Wirkungen des Bromsv Dieee Ar-
beiten. Bd. I, S. 542.
3j W. Wundt, QrundzOge der physiologischen Psychologie. 4. Auflage.
Leipzig 1893. Bd. II, S. 311, 313, 346, 351, 353..
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Experimentelle Stodieo uber Associationen. II.
Tabelle XXXH.
63
Stellungsmittel aus je 200 einfachen Reactionen; Zahl derer unter
100 (7 und der vorzeitigen Reactionen.
Reihe
St. M.
Reactionen
unter 100 a
Vorzeitige
Reactionen
I
222
—
1
II
262
1
1
III
306
1
IV.
304
13
32
Aus der Tab. XXXTT geht hervor, dass in den drei ersten Ver-
suchsabschnitten weder vorzeitige noch auffallig knrze Reactionen in
nennenswerther Zahl vorkommen, wahrend sich die bei B uberhaupt
ziemlich groBe Reactionsdauer unter dem Einflusse der Erschopfung
nicht unerhebKch verlangert. In der letzten Reihe treten plotzlich
eine Eeihe Reactionen unter 100 o auf und vor allem 32, bei denen
uberhaupt keine Zeiten mehr gemessen werden konnten. Dass sie die
durchschnittliche Dauer nicht verkiirzten, liegt an der Compensation
durch zahlreiche sehr lange Zeiten ; wahrend in der ersten Reihe nur
eine Reaction langer als 400 o dauerte, waren es in den folgenden 5,
20 und zuletzt sogar 56. Von Interesse ist fur uns hier nur der
Nachweis, dass auf der Hohe der Erschopfung eine unverkennbare
Neigung zu vorschnellen Reactionen auftrat, die wir nach dem Vor-
hergesagten als Beweis einer erhohten motorischen Erregbarkeit an-
sehen diirfen. Es ist wohl kein Zufall, dass gerade bei B sich die
Erleichterung der Bewegungsauslosung erst in der letzten Reihe zeigt;
wenn wir seine beiden Associationsversuche damit vergleichen, so
sehen wir, dass beide Mai, besonders deutlich aber bei dem ersten,
die Klangassociationen ebenfalls erst zum Schlusse entscheidend zu-
nehmen. In dieser Beziehung erganzen sich die Ergebnisse der beiden
verschiedenen Versuchsmethoden aufs beste.
Aus dem verschiedenen Ausfalle der Experimente mit Wahl-
reactionen bei B und mir geht hervor, dass nicht fur jedes Indivi-
duum die Wahlreaction ein gleich empfindliches Reagens zum Nach-
weis der erleichterten Auslosung von Bewegungsantrieben ist; denn
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64 Gustar AschaSeoburg.
der Versuch mit einfachen Reactionen zeigt, dass auch bei B diese
Erleichtenmg Torhanden ist. Bei einigen anderen Versuchspersonen
trat diese Erscheinung nur dann auf, wenn eine ausschlieBlich korper-
liche Anstrengung dem Experimente voranging. Trotz dieser indivi-
duellen, sehr groBen Verschiedenheit kann aber wohl die Thatsache
als feststehend betrachtet werden, dass unter dem Einflusse der Er-
schopfimg sich eine Steigerung der motorischen Erregbarkeit ent-
wickelt.
Mit dem experimentellen Nachweise dieser Erscheinung wird uns
nunmehr auch ein besseres Verstandniss der Associationsveranderungen
ermoglicht. Aus der besonderen Art der wahrend der Nachtversuche
zahkeicher werdenden wesentlich motorischen Associationen schlossen
wir auf eine Dispositionsveranderung im Sinne der erleichterten Aus-
losung der Bewegungsvorgange. Diese Auffassung haben wir nun
nicht nur durch die Gleichartigkeit der Veranderung bei Alkohol-
vergiftung und die einfache Beobachtung des Erschopfungszustandes,
sondem vor allem durch den Versuch als richtig bestatigen konnen.
Zur Erganzung will ich endlich noch erwahnen, dass bei den an
circularem Irrsinn leidenden £j*anken dem lebhaften Bewegungsdrange
wahrend der manischen Phase die Neigung zum Associiren nach
Klangahnlichkeit parallel geht^).
Wie das Verhaltniss der Associationsveranderung zu der ge-
steigerten motorischen Erregbarkeit zu denken ist^ kann wohl nicht
zweifelhaft sein. Es sind nicht zwei Vorgange, die gleichzeitig, aber
unabhangig von einander durch die Erschopfung herrorgeruf en werden ;
das Auftreten der Reime und klangahnlichen Worte, so-
wie der ubrigen, wesentlich sprachlichen Associationen
an Stelle der begrifflichen Vorstellungsverbindungen ist vielmehr nur
eine Theilerscheinung der allgemeinen Erleichterung der
motorischen Reactionen.
Wenn diese Anschauung richtig ist, so muss der Nachweis ge-
fiihrt werden konnen, dass diejenigen Veranderungen der einfachen
psychischen Vorgange, die keine erleichterte Auslosung der Be-
ll Aschaffenburg, Psychophysische Demonstrationen. Vortrag, gehalten
auf der Jahresaitzung des Vereins der deutschen Irren&rzte in Heidelberg. 1896.
Referat: Allgemeine ZeitschrifC fOr Psychiatrie. fid. 53, S. 852.
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Experimentelle Studieo fiber Associationen. 11. 65
wegungsimpulse erkennen lassen oder dieselben gar erschweren, auch
keine Neigung zu Klangassociationen zeigen.
Bei seinen Versuchen iiber die TVirkung des Thees*) kam
Kraepelin zu dem Schlusse, dass der Thee >die Umsetzung cen-
traler Erregungszustande in Handlungen erschwere<; er hat dies
spater noch bestatigen konnen'^) mit der Erweiterung, dass diese
Wirkung wahrscheinKch auf die Theeole zuruckzufuhren sei. Seine
Associations versuche ergeben wegen der angewendeten >Wieder-
holungsmethode* kein sehr ergiebiges Resultat, doch konnte wenig-
stens mit Sicherheit festgestellt werden, dass die Klangassociationen
in den Theeversuchen nicht haufiger auftraten als in den dazuge-
horigen Normalversuchen, ja die sprachlichen Reminiscenzen wurden
sogar seltener neugebildet. Damit stimmt auch die Beobachtung des
taglichen Lebens iiberein, bei dem wohl niemand eine auffaUende
Neigung zu rein sprachlichen Associationen unter der Einwirkung des
Thees bemerkt haben wird.
Leider sind bei den meisten iibrigen Giften, deren psychische
Wirkung wir genauer kennen, die Versuche nicht auf die freie Asso-
dationsbildung ausgedehnt worden. Hier miisste vor allem das
Morphium werthvolle Aufklarungen geben; nach dem bisher Be-
sprochenen ist es nicht wahrscheinlich, dass zahkeichere Klang-
associationen auftreten, was ubrigens auch nach den Beobachtungen
an Morphinisten nicht zu erwarten ist, wahrend die Aehnlichkeit der
psychischen Wirkung des Cocains mit dem Alkohol eine Vermehrung
der Klangassociationen vermuthen lassi
In letzter Zeit hat HaneP) feststellen konnen, dass durch
Trional die motorischen Vorgange erschwert werden. Trotz der
deutlichen Mtidigkeit nahmen die durch Klangahnlichkeit hervor-
gerufenen Beactionen nicht zu.
Soweit also diese allerdings nicht sehr umf angreichen Erfahrungen
einen Schluss zulassen, finden wir uberall da, wo eine motorische
1 Kraepelin, Beeinfliusung u. s. w., S. 222.
2) August Hoch und Kraepelin, Ueber die Wirkung der Theebestand-
theile auf kOrperliche und geistige Arbeit. Diese Arbeiten I, S. 4S2.
3] Die genauere Darstellung seiner Versuchsergebnisse wird im n&chsten
Hefte dieser Arbeiten erscheinen.
Krftepelin, Psycholog. Arbeiten. II. 5
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66 Gusta? Aschaffenbarg.
Erregbarkeit iiicht auftritt, auch das Fehlen der Neigung zu KHang-
associationen.
Nur eine Versuchsreihe scheint dem zu widersprechen. Bei
seinen Versuchen iiber den Schlaf fand Roemer*) eine Abnahme
der inneren und eine bedeutende Zunahme (bis 2b ^) der Klang-
iind indirecten Associationen, wenn er seinen Schlaf morgens ver-
kiirzte. Er befand sich dann in einem Zustande der Ermiidang;
der in seiner Wirkimg auf die Associationsbildung den Nachtver-
suchen nahe stand. Nach unseren Anschauungen miissten wir er-
warten, dass auch die Bewegungsvorgange erleichtert waren. Nun
waren aber die Wahkeactionszeiten sogar recht erheblich verlangsamt.
Trotzdem ist der Widerspruch den Ergebnissen meiner Versuche gegen-
iiber nur ein scheinbarer. Wenn wir eine Verkiirzung der Wahl-
reactionsdauer unter gleichzeitiger Vermehrung der Fehlerzahl nach-
weisen konnen, so sind wir wohl berechtigt, das als ein Zeichen der
erhohten motorischen Erregbarkeit anzusehen; wir konnen aber nicht
umgekehrt, wie nach meinen Auseinandersetzungen auf S. 63 verstand-
lich sein wird, aus einer Verlangenmg der Wahlzeiten auf das Nicht-
vorhandensein der Erregbarkeitssteigerung schlieBen. Gerade Roemer
gehort zu den Personen, deren Wahlreactionen wahrend der Nacht-
versuche nicht verkurzt wurden, bei denen aber einfache Reactionen
das Bestehen der Erleichterung von Bewegungsimpulsen zeigten.
Leider sind nach dieser Richtung hin seine Versuche nicht fortgesetzt
worden, sodass wir es einstweilen als durchaus unentschieden betrachten
miissen, ob eine gesteigerte motorische Erregbarkeit bei den Experi-
menten iiber die Schlafverkiirzung vorhanden war oder nicht.
Durch die Trionalversuche Hanels wird ein sehr naheliegender
Einwand gegen unsere Auffassung von dem Zusammenhang zwischen
den Klangassociationen und dem Grade der motorischen Erregbarkeit
widerlegt. Unter meinen Normalversuchen habe ich eine Beobachtung^)
eingehender besprochen, in der 44 fd Reime und klangahnliche Worte
gebildet worden waren. Der Grund fur diese auffaUige Abweichung
1) £. Roemer, Ueber einige Beziehungen zwischen Schlaf und geistigen
Th&tigkeiten. Bericht tiher den internationalen Congress fOr Psychologic. MQn-
chen 1896. S. 354.
2; Tal^eUe XI*.
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Experimentelle StodieD fiber Assodatiooeo. II. 67
von den ubrigen Normalversuchen lag in der dem Experimentirenden re-
lativ fremden Sprache. Selbstverstandlich konnten alle die Eeactionen
nicht verwerthet werden, deren Beizworte der Experimentirende nicht
aufgefasst hatte. Aber auch nach Ausscheidung dieser blieben noch
44^ Antworten iibrig, bei denen derKlang des Reizwortes fur den
der deutschen Sprache nicht so gewohnten-Auslander (Hollander) starker
wirkte als der InhaJt. Ich erinnere neben dem friiher Erwahnten*) an
die eigene Erfahrung, die jeder beim Horen fremder, nicht vertrauter
Sprachen machen kann : mn wie viel leichter sich unsere Vorstellungen
an den Klang als an den Sinn des Gehorten anschlieBen, zumal wenn
wir nur einzelne Worte horen, und daher nicht schon durch den
Zusammenhang des Gespraches unsem Gedanken eine bestinunte
Eichtung gegeben ist.
Es ist nun ganz gut moglich, dass eine Erschwerung der Auf-
f assung in ahnlicher Weise wirken konnte wie die mangelhafte Kennt-
niss einer Sprache. Dass die Erschopfung eine Erschwerung der
Auff assung hervorruft, kann nicht bezweifelt werden; ich habe dies
in meinen ersten Nachtversuchen fiir den Tastsinn nachweisen konnen,
indem ich mit sehr kleinen Gewichten je 150mal hintereinander die-
selbe Hautstelle beriihrte. In spateren Versuchen habe ich diese nicht
sehr ergiebige Methode durch eine optische ersetzt, deren eingehende
Schilderung in der Arbeit von Kraepelin und Cron im nachsten
Hefte erfolgen wird^). In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse
eines derartigen, in der Nacht vom 8./9. IL 1896 gemachten Ver-
suches mit ein- und zweisilbigen Worten dargestellt.
Ij Bd. I, S. 263.
2) Eine kurze Darstellung enth< der Vortrag Kraepelins: Ueber die
Messung von AuffassungsstOrungen, gehalten auf der XXII. Wanderrersammlung
der Bddwestdeutschen Neurologen und Irren&rzte zu Baden-Baden am 23. Y. 1897.
Referat: Archiv far Psychiatrie Bd. XXIX.
5*
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68
Gostay Aschaffenburg.
Tabelle XXXTTT.
Anzahl der falsch und nicht aufgefassten Worte in %,
8/9. n. 96.
Zweisilbige Worte
Einsilbige Worte
Reihe
Falsch
gelesen
Nicht auf-
gefasst
Falsch
gelesen
Nicht auf-
gefasst
I
10.1
1.4
7.2
—
II
13.1
2.5
8.1
—
III
12.3
1.1
11.6
0.4
IV
13.1
17.0
16.7
11.2
Mitn sieht sofort, dass im Laufe der Nacht die Zahl der falsch
gelesenen zweisilbigen Worte zunimmt, aber nicht weiter wachst und
im Verhaltniss zu der Anf angsleistung tiberhaupt nicht sehr erheblich
verandert wird. Dagegen steigt die Menge der nicht aufgefassten
Worte in der letzten Reihe ganz auBerordentlich ; das Gleiche findet
sich bei den einsilbigen Worten, nur dass hier auch die fabch auf-
gefassten Silben gleichmaBig und stark zunehmen. Unter Beiseite-
lassung mancher in diesem Versuche enthaltenen interessanten Einzel-
heiten wollen wir ihm als einziges Ergebniss die Erschwerung und
Verschlechterung der Auffassung entnehmen.
Die gleiche Methode zeigte uns bei inzwischen angestellten Ver-
suchen, dass auch der Alkohol eine erhebliche Auffassungsstorung
bewirkt, was Kraepelin bereits auf Grund anderer Methoden er-
schlossen hatte.
Die Grundlage des oben erwahnten Einwandes ist also fur
beide Schadigungen , die Erschopfung sowohl wie den Alkohol, hin-
reichend gegeben. Nun haben aber gerade die Versuche mit Trional
gezeigt, dass dessen Hauptwirkung auf der Abstumpfung der Auf-
fassungsfahigkeit beruht. Wir miissten also, wenn unser Einwand
berechtigt ware, auch bei Trional eine Zunahme der Klangassociationen
finden; das aber ist thatsachlich nicht der Fall.
Die Erschwerung des Erfassens auBerer Eindriicke kann dem-
nach wohl in Beziehung zu der Vermehrung der Reactionen nach
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Experimentelle Studieo Qber Associationen. II. 69
dem Ellange stehen, geniigt aber allein keinesfalls zur Erklarung
dieser Erscheinung.
Unsere Betrachtungen fiihren uns, wie wir gesehen haben, alle
zu dem Schlusse : Als das wesentlichste Moment fur das Zu-
standekommen einer die Norm uberschreitenden Zahl von
Elangassociationen muss die Erleichterung der Auslosung
motorischer Antriebe betrachtet werden.
VII. Ermfidnng and ErschSpfnng.
Die kiinstliche Erschopfung der Nachtversuche stellt keine ein-
heitliche Schadigung dar, sondem muss auf eine Reihe von Ursachen
zuriickgefuhrt werden. Es lohnt sich immerhin, den Versuch zu
machen, ob sich der Antheil der einzelnen schadlichen Factoren fest-
stellen lasst. Dabei stoBen wir sofort auf eine Reihe von Schwierig-
keiten. Die erste ist die, dass wir die psychische Wirkung einzelner
nur unvollstandig kennen — die der korperlichen und geistigen Er-
miidung — , anderer gar nicht, die der mangelnden Nahrungsauf-
nahme. Die zweite ist das Bedenken, welche Schadigung die ein-
fache Schlaflosigkeit bewirkt, ob mehr eine korperliche oder geistige.
Bei der Betrachtung scheide ich die mangelnde Nahrungsauf-
nahme von vomherein aus. Bei dem vollstandigen Mangel an Kennt-
nissen iiber die Veranderung der einfachsten psychischen Vorgange
durch den Hunger wurde ich auf werthlose Vermuthungen angewiesen
sein, die ich bei einer ausschlieBlich experimentellen Arbeit vermeiden
mochte. Nur eine Thatsache sei erwahnt, die, auf anderm Gebiete
Kegend, aber experimentell untersucht, dafiir zu sprechen scheint,
dass die Wirkung einer nur kurzen Nahrungsentziehung gering ist,
was auch durch die Versuche der Hiingerkunstler bestatigt wird.
Marie de Manac^ine *) hatte jungen Hunden von 2, 3 und 4 Monaten
den Schlaf vollig entzogen. Nach volliger Verhinderung des Ein-
schlafens wahrend einer Zeit von 96 — 120 Stunden waren die Thiere
nicht mehr zu retten. Die Section ergab, dass von alien Organen
das Gehim am tiefsten und eingreifendsten verandert war. Im G^gen-
satze zu diesen durch Schlaflosigkeit getoteten Thieren zeigt bekanntlich
1] Marie de Manac6ine, Quelques observations exp6rimentales sur Tin-
flaence de rinBomnie absolue. Yortrag, gehalten auf dem interoationalen medici*
nisehen Congress in Rom 1894. Archives italiennes de biologie 1894, S. 322.
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70 Gustay Aschaffenbarg.
das Gehim bei verhungerten die geringste Abnahme^). Der Unterschied
war schon bei der einfachen Betrachtung nach den Aussagen der
Verfasserin sehr deutlich. Wenn im Verhaltniss zu der schweren
Schadigung des Centralnervensystems durch kurze Schlaflosigkeit ein
lange dauemdes Hungem so wenig auf das Grehim wirkt, sind wir
wohl berechtigt, einstweilen die Mitwirkung der nur kurze Zeit dauem-
den Nahrungsenthaltung zu vemachlassigen.
Dagegen wird durch die Befunde Man a chines unsere Auf-
merksamkeit um so mehr auf den fehlenden Schlaf hingelenkt. Der
Schlaf ist zweifellos das wichtigste Mittel der Erholung; durch ihn
wird der Korper und der Greist ausgeruht. Versuche liber die
Wirkung einer schlaflosen Nacht, in der korperliche und geistige
Anstrengungen nach Moglichkeit vermieden werden, wiirden uns
die Wirkung der Schlaf entziehung an sich zeigen konnen; auch die
Pehlerquelle einer moglichen Beeinflussung durch den Hunger konnte
durch Nahrungsaufnahme vermieden werden. Leider habe ich der-
artige Experimente nicht gemacht. Wir sind deshalb einstweilen nur
auf die Ergebnisse der Schlafverkiirzung angewiesen, die Roe me r
beschrieben hat^). Er fand, dass nur die Personen, deren groBte
Schlaftiefe auf die Morgenstunden fallt, durch die Abkiirzung der
Schlafzeit geschadigt wurden. Wie ich schon erwahnt habe^ zeigten
die Associationen dann die gleiche Veranderung wie bei meinen Nacht-
versuchen. Wir konnen also die Wirkung der Erschopfung und des
ungeniigenden Schlafes, d. h. des unzulanglichen Ausruhens zusammen
behandeln und deshalb die Fragestellung so formuliren: Sind die als
Wirkung der Erschopfungsversuche nachgewiesenen Veranderungen
auf die korperliche oder die geistige Ermudung zuruckzufiihren oder
auf beide zusammen?
Bevor ich auf die Versuche Bettmanns und meine eigenen
weiter eingehen kann, muss ich einem Irrthum entgegentreten, in den
Henri 3) in Folge der Roemerschen Arbeit*) verf alien ist. Aus
1; Luciani, Das Hungern. Uebersetzt von Frftnkel. 1890, 8. 79.
2) Roemer) Ueber einige Beziehungen zwischen Schlaf und geistigen Th&-
tigkeiten. Bericht Aber den Psychologencongress, S. 354.
3) y. Henri, Referat aber die folgende Arbeit. L'ann^e psychologique. 1896.
Ill, 8. 655.
4) E. Roemer, Beitrag zur Bestimmung zusammengesetzter Reactionszeiten.
Diese Arbeiten, 8. 566.
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Experimentelle Stadien fiber Associationen. 11. 71
dem Nachweise, dass die Verschiedenheit der Reactionszeiten beim
Wechsel der registrirenden Personen auf deren personlichen Pehler
zuriickzufuhren ist, schlieBt Henri, »das8 alle Expenmente, die von
Kraepelin irnd seinen Schiilem Uber die Veranderungen der Reac-
tionszeiten unter dem Einflusse verschiedener Bedingungen gemacht
worden sind, mit andem Apparaten wiederholt werden mussen*. An
andrer Stelle*) lehnt er sogar kurzweg die Citirung der Bettmann-
schen Funde wegen der Fehlerhaftigkeit der Apparate ab. Ich bin
ganz gewiss der Letzte, der eine Wiederholung der Versuche, besonders
mit weit vollkommnerer Methode, fiir uberfliissig halten wiirde; aber
einstweilen scheint mir doch deren Werth noch nicht sehr erschiittert
zu sein. Zum Beweise, wie genau nnser Apparatencomplex arbeitet,
will ich einen Versuch vom 13. X. 1892 anfiihren. Um zu sehen,
welche Veranderung die Dauer der Wahlreactionen bei langerer Fort-
setzung des Versuches erfahrt, habe ich bei durchaus normaler Dis-
position ohne Pause 1000 Wahlreactionen gemacht. Die Registrining
des mehr als 2 Stunden, von 3^27 — 5^40, dauemden Versuches hatte
Bettmann ubemommen. Die Stellungsmitt^l fiir je 200 Einzelreac-
tionen waren:
324, 328, 336, 355, 349 o.
Es blieben demnach die Zeiten wahrend der ersten Ys des Versu-
ches, also langer als eine Stunde, vollstandig unverandert. Ich glaube,
eine Methode, die bei der Zusammenfassung groBerer Reactionsmengen
zu einem Mittel keine groBeren Abweichungen als wenige o erkennen
lasst, entspricht alien billigen Anforderungen an Genauigkeit. Ich
mochte femer darauf hinweisen, dass meine Normalzahlen fiir 200 Wahl-
reactionen am 201 Vm. 1892 — 330, am 8. X. — 325, am 13. X.
— 324 und am 13. XTT. — 322 o betrugen. Nach solchen Beweisen
von Zuverlassigkeit — weitere sind jederzeit in den bisher veroffent-
lichten Arbeiten zu finden — sind wir wohl berechtigt, die Bedenken
Henris ab nicht begriindet zuriickzuweisen. Die Voraussetzung
allerdings der Verwerthbarkeit aller Zeitmessungen ist eine voU-
standige Vertrautheit mit den Apparaten und das Vermeiden des
Wechsels der registrirenden Personen.
1] V. Henri, Travail psychique et physique. L'ann^e psycholog^que. 1896,
S. 270.
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72
GosUf Asehaffenbarg.
XJeber den Unterschied zwischen der Ermiidung nach korper-
licher und intellectueller Arbeit hat uns die Arbeit Bettmanns^)
sehr wichtige Aufschlusse gegeben. Wahrend eine geistige Arbeit
die Wahkeactionen verlangerte unter gleichzeitiger Verbesserung ihrer
Qualitat, wurden sie nach korperlicher Anstrengung verkiirzt unter
starker Zunahme ihrer Fehler. Ich gebe hier einen an mir ge-
machten Versuch wieder, der in folgender Weise angestellt wurde.
Nach vorheriger Feststellimg der Tagesdisposition durch eine Beihe
von 200 Wahkeactionen wurde ein einstiindiger Marsch gemacht,
nach dessen Beendigung sich sofort eine neue Reihe von Wahkeac-
tionen anschloss, dann abermals eine Stunde marschirt und nach er-
neuten Wahkeactionen noch eine dritte Stunde. An einem f olgenden
Tage wurde an die Stelle der korperlichen Leistung eine intellectuelle
Arbeit in Form halbstUndigen Addirens und halbstundigen Aus-
wendiglemens gesetzt.
Tabelle XXXIV.
Mittlere Dauer der W^hkeactionen und deren Fehler nach korper-
licher und geistiger Arbeit.
8. Xn. 92.
K5rperliehe Arbeit
13. XII. 92.
Oeistige Arbeit
a
Fehkeac-
tionen in %.
a
Fehlreac-
tionen in o/q.
Vorvenuch
325
9.0
322
13.3
I
1
273
24.0
351
7.5
n
184
44.5
372
6.5
III
191
46.5
356
6.5
Die Veranderung der B/Cactionszeiten bewegt sich in durchaus
verschiedener Bichtung; die des ersten Versuches zeigt das gleiche
Phanomen, wie die in Tab. XXXI dargestellten Nachtversuche. Das
spricht sehr fUr die Annahme, dass in beiden Fallen die gleiche
Ursache vorliegt: dass das Auftreten der Neigung zu vorzeitigen
Ij a. a. O., S. 173.
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Experimentelle Studien fiber Associationen. If. 73
Reactionen in den Versuchsnachten, die dadurch bewiesene Erleichte-
rung der motorischen Auslosung, hauptsachlich auf die korperliche
Anstrengung zurUckzufuhren ist, was um so wahrscheinlicher wird,
als geistige Arbeit die Reactionsweise verlangsamt und verbessert,
also vorschnelle Bewegungen geradezu verhindert.
Diese Annahme wird durch die Erfahrung bestatigt, dass die
Steigerung der motorischen Erregbarkeit nach korperlicher Arbeit
dnrch nachfolgende geistige Thatigkeit zum Verschwinden gebracht
wird, wie Bettmann nachgewiesen hat.
Da wir von der motorischen Erregbarkeit das Auftreten der
E[langassociationen abhangig gemacht batten, miissten wir also auch
fiir diese die Ursache in der korperlichen Erschopfung suchen. Hier
fehlt uns nun die Ausdehnung der Bettmannschen Versuche auf
die Vorstellungsbildung. Bei dem Fehlen derartiger Versuche, die
iibrigens zur Zeit nachgeholt werden, sind wir auf die Beobachtung des
taghchen Lebens angewiesen; diese lasst uns jedenfalls soviel erken-
nen, dass die Schadigung des Associationsvorganges nach vorwiegend
korperUcher Anstrengung sehr viel deutlicher ist, als nach intellec-
tueller Thatigkeit. Ich verweise hier wieder auf die Erfahrung an
den schriftlichen Ergussen in Fremdenbuchem, bei deren Anfertigung
die Verfasser durchweg unter dem Einflusse einer korperlichen Arbeit
stehen. Nach anstrengender geistiger Thatigkeit — vorausgesetzt, dass
nicht durch zu langes Aufbleiben auch die korperliche Ermudung in
Wirkung tritt — findet sich eine andere Erscheinung: wir sind sehr
wohl noch im Stande, einen bestimmten Gedankengang einzuhalten
und nach alien Richtungen bin zu uberlegen; wenn wir aber ihn in
Worte fassen, ihn schriftUch fixiren wollen oder mussen, so finden
wir nicht die passenden Redewendungen , die Worte flieBen nicht.
Jeder wird dann von selbst schon von einem sehr wirkungsvollen
Mittel Grebrauch gemacht haben, dem einfachen Umhergehen. Die
leichte motorische Anregung, die dadurch erzeugt wird, erleichtert
die Umsetzung der Gedanken in Sprachvorstellungen, ahnlich wie
eine kleine Menge von Alkohol den Redner leichter die Worte finden
lasst zur passenden Einkleidung seiner Gedanken.
Ob sich diese Beobachtungen bewahren, wird das Experi-
ment entscheiden miissen. Ich kann es also einstweilen nur als
wahrscheinlich bezeichnen, dass die eigenartige Veranderung des
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74 Gusta? Aschaffenburg.
Associationsvorganges mehr der Wirkung der korperlichen, als der
geistigen Erschopfung zuzuschreiben ist.
Verworn und Kraepelin nannten, wie ich erwahnte, Er-
schopfung die Wirkung des Verbrauchs der nothwendigen Stoffe,
Ermiidung die durch Anhaufung und Vergiftung mit den Zer-
setzungsproducten entstehenden Lahmungserscheinungen. Da ein in
ausgeruhtem Zustande untemommener Marsch von einer Stunde, wie
im Versuche S. 72, der doch kaum den Vorrath an Korperkraft
erschopft haben kann, schon zu einer Erleichterung der motorischen
Auslosung fiihrt, so miissten wir diese Wirkung als Ermiidung auf-
fassen, nicht als Erschopfung. Da^gegen spricht aber die Moglich-
keit, durch eine weitere intellectuelle Arbeit diese gesteigerte moto-
rische Erregbarkeit zum Schwinden zu bringen; dass diese, zumal
bei kurzer Dauer, nicht etwa den letzten Rest der vorhandenen
Spannkraft aufbraucht, sodass nur deshalb die Vergiftung durch die
Zersetzungsproducte nicht mehr zur Wirksamkeit gelangen kann,
geht aus der Moglichkeit hervor, durch neue korperliche Arbeit von
neuem die friiheren Erscheinungen hervorzubringen, ebenso auch aus
der Erfahrung, dass die Versuchspersonen noch stundenlang un-
gestort ihren Berufspflichten nachgehen konnten. Ich glaube des-
halb, dass ich sehr wohl gethan habe, mit dem Ausdrucke der » Er-
schopfung* nichts weiter zu bezeichnen, als eine Summe von Scha-
digungen, die zu einem das MaB der gewohnlichen Ermiidung
iibersteigenden Zustande fiihren sollte.
Die Moglichkeit, dass es sich bei den Nachtversuchen ganz oder
theilweise um die Wirkung von Zersetzungsproducten handelt, wird
von dieser Anschauung gar nicht beriihrt.
VIII. Die ErschSpftingspsychosen.
Das Ziel, das mir bei meinen Versuchen iiber die »Erschopfung«
vorschwebte, war, fiir diesen bei der Frage nach der Aetiologie der
Psychosen so haufig gebrauchten Begriff genauere Merkmale zu finden,
die ihn aus seiner Verschwommenheit und Unklarheit herausheben zu
einem bestimmten klaren Symptomencomplex. Es war zu erwarten,
dass wir denselben Erscheinungen, die wir bei der physiologischen
Erschopfung finden wurden, in ahnlicher Weise auch bei den soge-
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Cxperimentelle Studieo Qber Associationen. II. 75
nannten » Erschopfungspsychosen « wiederbegegnen wurden. Da es
nicht meine Aufgabe sein kann, mich an dieser Stelle mit den klini-
schen Auffassungen der verschiedenen Autoren anseinanderzusetzen,
so beschranke ich mich darauf, mich im allgemeinen auf den Stand-
punkt Kraepelins^) stellend, als Erschopfungspsy chosen >diejenigen
Formen geistiger Stoning* zu bezeichnen, »al8 deren Ursache wir einen
ubermafiigen Verbrauch oder einen ungeniigenden Ersatz von Nerven-
material in der Himrinde annehmen diirfen*. In erster Linie sind
es die Psychosen, die — unter selbstverstandlichem Ausschluss zu-
falliger Coincidenz oder einfacher Auslosimg von circnlaren Psychosen
und paralytischen Zustanden — sich an schwere korperliche Schadi-
gungen, wie Wochenbetten, acute fieberhafte Erkrankungen und groBe
Blutverluste anschlieBen. Es sind hauptsachlich die Krankheitsgruppen
des Collapsdeliriums 2) und der acuten Verwirrtheit, denen eine schwere
Stoning der Auffassung, der Verarbeitung der Eindriicke und Vor-
stellungen, Steigerung der motorischen Erregbarkeit und meistens auch
SinneslAuschungen gemeinsam sind.
Diese hatte ich im Sinne, als ich meine Ansicht dahin aussprach^),
»dass dieldeenflucht der Erschopfungspsychosen mit der bei hoch-
gradiger Ermiidung (miisste besser Erschopfung heiBen) identisch*
sei. Ich muss mir eine ausfiihrliche Darlegung dessen, was wir von
der »Ideenflucht« wissen, fiir den dritten Theil dieser Arbeit, meine
Versuche an circularen Kranken, versparen. Das ideenfliichtige Reden
kommt nicht allein durch die Neigung nach dem Blange zu asso-
diren zu Stande. Eine Darlegung des verwickelten Vorganges wiirde
aber jetzt zu weit von unserer Aufgabe abseits fiihren; es mag genug
sein, darauf hinzuweisen, dass eins der wesentlichsten, jedenfalls das
charakteristischste Symptom der Ideenflucht das Auftreten zahlreicher
Klangassociationen ist, »cette fa^on de parler par rimes, par asso-
1} Lehrbuch der Psychiatric, 5. Auflage, S. 320.
2) Aschaffenburg, Ein Beitrag zur Lehre vom Collapsdelir. Vortrag, ge-
halten auf der XVII. Wanderyersammlung der sadwestdeutschen Neurologen und
Iirenftrzte in Baden-Baden 1S92. Referat: Archiv fdr Psychiatrie. Bd. XXIV.
Heft 2.
. 3) As chaff enburg, Ueber Ideenflucht. Vortrag, gehalten auf der XIX.
Wanderyersammlung der sadwestdeutschen Neurologen und Irren&rzte zu Baden-
Baden. Referat: Archiv f. Psych. XXVI. Heft 2.
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76 Gosta? Aschaffenborg.
nances, « ^) bei welcher der Satz nicht mehr zu Ende construirt werden
kann, unzusammenhangend wird, schlieBlich nur die Worte aUein
iibrig bleiben, » attires Tun apr^s Tautre par I'assonance seiile«. Bei
der Beobachtung von CoUapsdeliranten oder an Amentia leidendett
Kranken gelingt es leicht, einzehie Beispiele von Aneinanderreihung
der Vorstellungen durch den zufalligen Blang zu sammehi, doch
wird die Rede nicht oft so ausschlieBlich dadurch beherrscht, wie
in dem folgenden Beispiele, das durch einen Studenten nachsteno-
graphirt wurde.
E. B., 27jahrige Kaufmannsfrau. Piagnose: Amentia.
Am 12. n. 1894 kam die friiher gesunde, nicht hereditar belastete
Frau im 6. — 7. Monat unter starkem Blutverluste nieder. Nur einmal
stieg die Temperatur in den ersten Tagen auf 38 <^. Am 8. Tage nach
der Gteburt schnell wachsende Erregung mit lebhaftem Bewegungs- und
Rededrang, vollstandiger Verwirrtheit, Bathlosigkeit, massenhaften
Sinnestauschungen, Personenverkennung und wechselndem Affect
Die Erkrankung hielt sich bis zum Juli auf gleicher Hohe; dann
verschwanden erat schneller, dann langsamer die sammtlichen Sym-
ptome, zuletzt die Sinnestauschungen, sodass die Kranke am 14. IX.
gene sen entlassen werden konnte. Den Ausgleich der Erschopfung
beweist am besten die Grewichtszunahme von 18 Vj Pfund.
Das wortliche und ungekiirzte Stenogramm stammt vom 2.m. 1894,
also aus der allerersten Zeit der Krankheit. >Englein, Klang-
lein, Zanglein, Tenglein, Benglein . . . aber Geschwisterliebe,
die ist trilbe, die ist Vossius, Mossius, Kossius, Kiissius,
KUsse, das sind keine Ktisse, das sind Schlusse, keine Schlusse,
sondem Plusse. Wissen Sie, vorlhnen kann man sich nur geniren,
und ich soil das Madchen sein zu Ihnen, Ihnen dienen, geme,
bin geme, so geme, Klemmer (wahrscheinlich durch den Anblick
hervorgerufen), Schlemmer, Bemmer, Mammer, Kammer, babe
keine Kammer, sondem ein Kammerle, das ist ein Beschamer,
ein Belehmer. Tanzen wir zusammen! Die B. (Name) sind schlecht
Das Gretchen, das Madchen ist ein Fadchen. Man hat sie
kommen lassen aus Lyon, Lyon bestraft, Paris bestraft, Maria be-
lohnt. Sie haben den Schalter offen gelassen, offen, offen,
]) Chaslin, La confusion mentale primitive. Paris 1895. S. 138 und 158.
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ExperimeDtelle Studien fiber Assooiationen. II. 77
knoffen. Wie ein Vieh, wie die Marie, noch ein Rindchen,
aber ein Kindchen, und das war der Bruder, der hat den Hut
hinausgeworfen und den seidenen Schleier, das ist der Freier,
ihn diirften Sie begleiten in die Weiten. Sie hat frtth Vemunft
und schwer Verstand. Aber geriistet muss man sein, gertistet im
Herzen, Herzen, Herzen, 4 Herzen und 5 Lammer, ein
Herz und kein Kammer. Und schamen, schamen, wir sind
beschamt. Ich sitze im Schlosse, im groBen, bei der Netti,
bei der Kathi. Eine Frau hat gut geschlafen, die Liesel in der
Schiissel. Ich bin im Bett, aber mit dem Bett ins Fett. . . .«
Es wird selten moglich sein, bei einer so langen Rede einer ver-
wirrten Kranken mit der gleichen Sicherheit dem Zusammenhange nach-
gehen zu konnen, wie hier. Einigemal fehlt uns zwar jeder Anhalts-
punkt fur die Beurtheilung ; so z. B. ist das Auftreten der Vorstel-
lungen Vossius, die Beziehungen des Satzes »8ie haben den Schalter
ofEen gelassen* ganz unverstandlich. Wenn wir aber beriicksichtigen,
dass eins der regehnaBigsten Symptome der Ideenflucht die erhohte
Ablenkbarkeit ist, und dass als ablenkende Reize nicht nur die eig-
nen Reden, sondem auch die Wahmehmungen in der XJmgebung und
innerUch auftauchende Vorstellungen wirken, so wird es begreiflich,
dass wir nicht bei jedem Schritte dem Gedankenflusse folgen konnen.
Dafiir erkennen wir um so besser die gewaltige Rolle, die das An-
klingen ahnlich lautender Worte spielt. Die meisten Associationen
sind ohne weiteres Satzgefuge und inhaltslos durch den Blang an-
einander gereiht.
Sehr haufig verbindet sich mit der Neigung zu Assonanzen und
Reimen eine stark rhythmische Betonung, wie in dem f olgenden Falle :
B. W. 49jahrige Bauersfrau. Diagnose: Collapsdelirium.
Aus unbelasteter Familie stammend; gebar 16 Kinder! 9 Wochen
nach der Greburt des 11. Kindes im 31. Jahre (!) trat wahrend der Lak-
tsftion ein nur eine Woche dauemder delirioser Erregungszustand ein
(wahrscheinlich auch ein Erschopfungsdelirium). Sie war dann ge-
8und, fiihrte aber eine sehr angestrengte und diirftige Lebensweise.
Am 23. IV. 92 erkrankte Patientin im Anschluss an eine links-
seitige Lungenentzundung. Schnell sich steigemde Erregung, vollige
Verwirrtheit, Personenverkennung, heftiger Bewegungsdrang, Sinnes-
tauschungen. • Am 28. IV. in die Klinik aufgenomraen. Bei der
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78 GosUt Asebaffenbarg.
Aufnahme war die Kranke in sinnlosester Erregung, unaufhorlich
redend und umherspringend. Hire Aufmerksamkeit war kaum zu er-
regen, gar nicht zu fixiren. Sie hallucinirte lebhaft. Schon in den
ersten Tagen des Mai wurde sie ruhiger, klarer; vom 10. Mai ab in
voUer Reconvalescenz. Erholte sich bald und konnte am 3. Juli
geheilt entlassen werden. Ihr Gewicht bei der Aufnahme war
99V2 Pfund, bei der Entlassung 129V2- Seither ist Patientin ganz
gesund geblieben.
Stenogramm vom Tage der Aufnahme : die Accente entsprechen
der Betonung. »Ich bin ein Kfnd, der mich verschlagen zur
Stiind, ich bin ein Bliind. Doctor schlag Dd mir nein, sonst
kriech ich nfcht herein, schlag Du nur zd zugleich, sonst werd
ich g4r nicht reich, sonst kriech ich nfcht und quer, hopp, hopp,
hopp, hdpp, streif mich nicht kdpp, Bastian schlag Dii, Doctor
mach zii.... Doctor schlag Dd mal her, sonst bin ich g&r zu
schwer, Doctor schlag rdth, sonst bin ich tdt. Ich hab Angst
vor dem Mergentheimer Doctor*.
Stenogramm vom 29. IV. 1892. »Hopp, hopp, hopp, hdpp,
jetzt geh ich f<5rt, jetzt geh herefn, da mag ich sefn, jetztistein
Schefn, jetzt isteinThrdn, da ist ein schdn, jetzt ist verbrdnnt,
das ist bekdnnt, mach mich zu ^nem Week, dass ich nicht
schreck*.
Der Rhythmus steht in innigster Beziehung zu den Bewegungs-
vorstellungen. »Der intensive rhythmische E^langwechsel entspricht
dem bei der natlirlichen Folge unserer Bewegungen, namentlich der
Ortbewegungen eintretenden regehnaBigen Wechsel der Bewegungs-
empfindungen, der in dem Bau der Bewegungswerkzeuge vorgebildet
ist.*)« Die rhythmische Betonung erleichtert den Ablauf der Bewe-
gungsinnervation, wie jeder Clavierspieler bei Pingenibungen an sich
selbst beobachten kann. Auf der gleichmaBigen taktmaBigen Wie-
derholung beruht ein groBer Theil der elektrisirenden Wirkung eines
moglichst scharf rhythmischen Militarmarsches auf die ermildeten
Soldaten ; andererseits beweist auch die Schwierigkeit, ja oft die Un-
moglichkeit, gegen den Takt eines Marsches zu wandem, den directen
Einfluss des Rhythmus auf Bewegungen. Von der Erleichterung
1) Wundt, Physiologiflche Piychologie. 4. Auflage, Bd. II, 8. 84.
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Experimentelle Studien Qber Associationen. II. 79
durch das taktmaBige Arbeiten machen auch Drescher tmd StraBen-
pflasterer Gebrauch. Auch bei unseren Lemversuchen stieBen wir
auf ahnliche Erfaliningeii. Diejenigen unserer Versuchspersonen, die
fast ausschlieBlich motorisch, rein mechanisch auswendig lemten, gaben
alle an, dass sie sich die zu lemenden Zahlen durch die Zusammen-
fassung in Gruppen von drei, vier, seltener sechs Ziffem erheblich er-
leichtert batten. Ebenso fanden Muller und Schumann ^) bei ihren
Gedachtnissstudien, »dass die Zusammenfassung der Silben zu Takten
von durchgreifender Bedeutung fiir das Auswendiglemen sei. For-
dert man eine imgetibte Versuchsperson auf, ohne Takt eine zwolf-
silbige Silbenreihe zu erlemen, so kommt sie damit kaimi zu Stande.*
Mit dem leichteren Flusse der Rede, wie ihn das erste Stadium der
Alkoholwirkung, zuweilen auch schon die einfache gehobene Stim-
mung mit sich bringt, stellt sich von selbst die rhythmische Gliede-
rung der Rede ein. Und wie diese der Rede einen gewissen Schwung
verleiht, so hebt seinerseits wieder der Reim den Rhythmus^).
Durch diese nahen Beziehungen zwischen Reim und Rhythmus
erscheint es verstandlich, dass wir oft in den Reden der Kranken
eine deutliche Gliederung mit und ohne Reim erkennen konnen, der
dann meist der Zusammenhang geopfert wird. Auch schon bei den
ersten Kranken waren einzelne gegliederte Satztheile erkennbar; ein
weit besseres Beispiel bieten die Reden der zweiten Patientip. Zu-
weilen durchbricht eine Vorstellung fur einen Augenblick das takt-
maBige Aneinanderreihen von klangahnlichen Worten, wie z. B. bei
dem Satze: Ich hab Angst vor dem Mergentheimer Doctor; im all-
gemeinen aber wird der Vorstellungsablauf beherrscht vom Rhythmus
und Klang.
Eine Reihe weiterer Beispiele von Kranken, die ich ausnahmslos
selbst beobachtet habe, fUhre ich an, ohne die Krankengeschichte
wiederzugeben.
»Du bist gelaufen, die sich ersaufen«; »Emmchen, Emm-
1) G. E. Mailer und F. Schumann, Experimentelle Beitr&ge zur Unter-
suchung des Oed&chtnisses. Zeitschrift fiir Psychologie und Physiologie der Sin-
neforgane. YI. Bd., S. 280.
2] Besonders Shakespeare und Schiller haben in ihren dramatischen
Werken dem letzten Satz vor Schluss einer Scene oder l&ngeren Rede durch
AnfOgen eines Xteimes einen besonderen Nachdruck verliehen.
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so GosUf AsGhaffenborg.
chen, nimm das Lammchen* ; >e8 war kein Hohn, es warLohn*.
»Wir gehen nach Lyon und miissen nehmen die Legion*.
Auch diese Beispiele zeigen neben dem Reim und Gleichklang
eine deutliche Rhythmisirung.
»Wa8 kann herrlicher sein, als von Hirten herzustammen*,
citirte eine Kranke und fuhr dann fort >geboren, verloren, aus-
erkoren*. Das erste Wort schlieBt sich sinngemaB an das Citat
an, die folgenden sind einfache Reime. Aehnlich war: >Ich brauche
keinen Spiegel, kein Glas, kein Ga8«. Den umgekehrten Vorgang
finden wir in folgendem Beispiel: Bei der Wahmehmung, dass ich
stenographirte, rief die gleiche Kranke : »Stenographi e und Schnell-
photographie, Lithographie und Buchdruckerkunst*. Die ersten
drei Vorstellungen verband hauptsachlich die Blangahnlichkeit, die
letzte der Lihalt. Das gleiche zeigt die folgende Rede: »Mein Vater
war ein reicher Oekonom, da lemt man viel Manner kennen, die einem
den Hof machen, Hofhund, Kettenhund, Nero« u. s. w.
Es mag der angefUhrten Beispiele genug sein, die sich jeder
Lrenarzt aus seinen Krankengeschichten zahlreich erganzen kann.
Es geht wohl zur Geniige aus dem G^sagten hervor, dass wir vollauf
berechtigt sind, dem Associiren nach der Blangahnlichkeit eine groBe
Bedeutung ftir die Auffassung der Ideenflucht beizulegen. Die Aehn-
lichkeit der Wirkung einer experimentellen Erschopfung mit den Er-
schopfungspsychosen wird, soweit es den Associationsvorgang betrifft,
wohl hinlanglich klar geworden sein. Die Aneinanderreihung der
Vorstellungen erfolgt nur selten nach dem Inhalte; meist bestimmt
der Klang der Worte die Verbindung der Associationen. Es erscheint
dabei wohl nicht weiter auffallend, dass bei der groBen Schwere der
Erkrankung die ganze Erscheinung den Charakter des Pathologischen
tragt. Besonders tritt dies in dem Vorwiegen ganz sinnloser Klang-
associationen hervor. Leider gestatteten die iibrigen schweren Sto-
rungen, speciell die der Auffassung, sowie die lebhafte Erregung der
Kranken, keine planmaBigen Versuche. Aber das Naturexperiment,
die unbeeinflusste Rede, ersetzt uns diesen Mangel ziemlich aus-
reichend.
Das gilt auch f iir den Nachweis der erleichterten Auslosung der
Bewegungsantriebe. Wenn wir auch der Versuche entbehren, so zeigt
doch die klinische Beobachtung das Vorhandensein dieser motorischen
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Experimentelle Studien tiber Associationen. II. gl
Erregbarkeit auBer in dem unschadlichen Bededrange in der sinnlosen
Unruhe, die zuweilen fiir den Kranken geradezu verhangnissvoUe
Grade annehmen kann. Wir finden also auch bei den Erschopfungs-
psychosen die enge Beziehung der Klangassociationen zu der erleich-
terten Auslosung von Bewegungsimpnlsen wieder, eine Bestatigung
unserer, dem Experimente entnommenen Erfahrungen.
Zur XJnterstlitznng meiner Anschauungen fiber die Gleichartig-
keit der Ideenflucht bei unsem Versuchen und bei den Patienten will
ich nnr kurz darauf hinweisen, dass ich neben der gleichartigen Ver-
anderung der Associationsbildung und dem Bewegungsdrange auch die
anderen Symptome der Erschopfungspsychosen bei meinen Experi-
menten wiederfand: die Erschwerung der Auffassung, illusionare und
hallucinatorische Vorgange, letztere allerdings bescheidenster Art, und
gehobene Stimmung.
Dass aber mit diesen Versuchen die ganze Frage nach der Ideen-
flucht bei den Erschopfungspsychosen gelost ist, liegt mir feme, an-
zunehmen. Vieles bedarf noch der Bestatigung, der Erweiterung,
der Klarung, vielleicht sogar der Widerlegung. Wenn aber die
experimentelle Ergriindung der Ideenflucht auch noch nicht ganz zum
Abschlusse gekommen ist, so scheint mir doch das Ziel naher ge-
ruckt, der Weg klarer geworden zu sein.
Znsammenfassnng der Ergebnisse.
1) Unter dem Einflusse der Erschopfung, die eine durcharbei-
tete, durchwachte und ohne Nahrung verbrachte Nacht hervorruft,
werden die engen begrifflichen Beziehungen zwischen Reizwort und
Reaction nach und nach gelockert und durch solche Associations-
formeu ersetzt, die der langgewohnten XJebung ihre Entstehung ver-
danken; besonders uberwiegen dabei die sprachlichen Beziehungen.
Mit der Zunahme der Erschopfung wirkt die zugerufene Vorstellung
immer weniger durch ihren Inhalt; an dessen Stelle bestimmen der
Klang und die Tonfarbe die Reaction.
2; Das Auftreten der Klangassociationen stellt sich zuweilen erst
auf der Hohe der Erschopfung ein.
3) Die Zahl der mehrfach vorkommenden Antworten, die als
Ausdruck einer mehr oder weniger groBen Einformigkeit der Vor-
Kratpelin, Psycholog. Arbeiten. II. ^
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S2 Gosta? AschaffeDbarg.
stellungen angesehen werden kann, wird durcli die Nachtversuche
nicht vergroBert.
4) Solche Reactionen, die mit dem Reizworte weder dem Inhalte
noch dem Elange nach zusammenhingen, kamen nur selten vor und
wurden wahrend der Versuchsnachte nicht zahlreicher. Bei zwei
Personen, die eine groBere Anzahl solcher Pehlassociationen zeigten,
die eine als dauemde Eigenthiimlichkeit, die andere in Folge korper-
licher und affectiver Schadigungen, nahm deren Zahl unter dem Ein-
flusse der Nachtversuche ab.
5) Wahrscheinlich hat diese Zusammenhangslosigkeit der Asso-
ciationen ebenso wie das zwangsartige Wiederkehren derselben Vor-
stellungen nichts mit der normalen, acuten Erschopfung zu thun,
sondem gehort zu den Erscheinungen des constitutionellen Zustandes
der angeborenen Neurasthenie.
6) Auf die durchschnittliche Dauer der Associationsreactionen
ubten die Versuchsnachte entweder gar keinen oder nur einen ge-
ringen Einfluss im Sinne einer Verlangerung der Zeiten und einer
groBeren Streuung der Werthe.
7) Die Associationen nach sprachlicher Reminiscenz, noch mehr
die Worterganzungen und am meisten die Reactionen nach Ellang-
ahnlichkeit sind fast ausschlieBlich mechanische, rein motorische
Vorgange; es lasst sich daraus schlieBen, dass mit der fortschrei-
tenden Erschopfung die Bewegungsvorstellung an die Stelle des be-
grifflichen Zusammenhanges tritt.
8) Aus dem Verhalten der Wahlreactionen und einfachen Re-
actionen geht hervor, dass durch die Erschopfung eine erleichterte
Auslosung von Bewegungsantrieben hervorgerufen wird.
9) Das Auftreten der Reime und klangahnlichen Worte ist eine
Theilerscheinung der allgemeinen Erleichterung der motorischen Re-
actionen.
10) Die Erschwerung der Auffassung auBerer Eindriicke genttgt
nicht, um das Auftreten einer die Norm iiberschreitenden Zahl von
Klangassociationen zu erklaren; es muss vielmehr die Erleichterung
der Bewegungsantriebe als die wesentliche Ursache fiir das Zustande-
kommen dieser Reactionsweise betrachtet werden.
11) Wahrscheinlich hangt diese Erscheinung mehr mit der kor-
perlichen als mit der geistigen Ermiidung zusammen.
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Experimentelle Stadlen Qber Associationeu, II. 83
12) Bei den Erschopfungspsy chosen kehrt in den Reden der
Kranken besonders die Neigung zu Klangassociationen bei gleichzei-
tdger erieichterter Auslosung von Bewegungen wieder. Es entspricht
also sehr wahrscheinlich die Stoning der Vorstellungsbildimg durch
die in den Versuchen erzeugte Erschopfung der bei den Erschopfungs-
psy chosen auftretenden Ideenflucht.
6*
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Untersuchungen Ober die Tiefe des Schlafes^).
Von
Eduard Michelson.
(Mit 5 Figuren im Text)
In seinen >Elementen der Psychophysik* erwahnt Fechner^)
in einer Amnerkung zum Kapitel »Schlaf und Wachen* die Idee
seines Zuhorers Kohlschiitter, mit einem Sehallpendel >Ver8uche
liber die Tiefe des Schlafes in den verschiedenen Epochen vom Ein-
schlafen an und iinter verschiedenen Umstanden anzustellen, indem
die Starke des Schalles, welche nothig ist, den Schlafer zu wecken,
zur Messung der Tiefe des Schlafes dienen kannc.
Diese Idee brachte Kohlschiitter'*) spater wirklich zur Aus-
fuhrung und veroffentlichte 1862 in seiner Dissertation die Resultate,
welche nachher noch in der »Zeitschrift fiir rationelle Medicin* zum
Abdruck kamen. Als Weckreiz benutzte er den Schall, den ein aus
verschiedenen Elevationen gegen eine Schieferplatte herabfallender
Pendelhammer hervorbrachte. Mit diesem bereits von Fechner con-
struirten Sehallpendel und einer Lampe, deren Licht vom Gesichte
des Schlafers abgeblendet wurde, setzte er sich dicht an das Bett
der Versuchsperson. In gewissen Zeitintervallen lieB er den mog-
lichst gerauschlos gehobenen Pendelhammer zunachst aus einer Hohe
1^ Diese Arbeit, die zuerst 1891 aU Dorpater Dissertation erschien, wird hier
noch einmal abgedruckt, weil sie far Fragen der praktischen Psychologie sehr
wichtig und Ausgangspunkt weiterer Untersuchungen geworden iit Der He r-
ausgeber.
2; G. Th. Fechner, Elemente der Psychophysik. 1860. Th. II, S. 440.
3) £. Kohls chatter, Messungen der Festigkeit des Schlafes. Z. f. rat Med.
XVII. Bd. 3. Reihe. 1863.
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UntersncbaDgen flber die Tiefe des Schlafes. S5
herabfaJlen, von der er annahm, dass sie noch nicht ausreichen werde,
den Schlafer zu wecken, und fuhr nun so mit immer hoheren Er-
hebungen, jede einzelne in Pausen von 1" sechsmal wiederholend,
fort, bis er ein Symptom des Erwachens — und als solches galten
ihm schon geringe Aenderungen im Athmungstypus sowie Bewegungen
im Schlafe — bemerkte oder der Schlafer das verabredete Zeichen gab.
Alle halben oder ganzen Stunden, je nachdem, wurde der Versuch
wiederholt. Die erlangten Resultate fasst Kohlscbutter in vier
Satzen zusammen: »t) Die Festigkeit des Schlafes, der zum Erwecken
nothigen Schallintensitat direct proportional gesetzt, andert sich stetig
mit der seit dem Einschlafen verflossenen Zeit nach einem bei aller
Verschiedenheit der absoluten Festigkeit und unter den verschiedenen
TJmstanden gleichen Gesetz; derart, dass der Schlaf anfangs rasch,
dann langsamer sich vertieft, innerhalb der ersten Stunde nach dem
Einschlafen seine Maximaltiefe erreicht, von da an anfangs rasch,
dann langsamer und langsamer sich verflacht und mehrere Stunden
vor dem Erwachen merklich unverandert eine sehr geringe Festigkeit
behalt. 2) Eine plotzliche Verflachung des Schlafes durch auBere
oder innere Reize bewirkt, dass derselbe unmittelbar folgends tiefer
wird, als er geworden sein wiirde, wenn keine Stoning eingetreten
ware. Die GroBe und die Dauer dieser Vertiefung hangt ab von
der GroBe der veranlassenden Verflachung, und sie verlauft nach
einem ahnlichen Q^setz v\rie die Festigkeit des Schlafes im allge-
meinen. 3) Zwischen der groBten erreichteri Festigkeit und der Ge-
sammtdauer des Schlafes findet ein gesetzliches Abhangigkeitsver-
haltniss statt, derart, dass, je tiefer der Schlaf gev^rorden, er desto
langer dauert, je flacher er geblieben, er desto eher zum Envachen
kommt. 4) Dem virachen Bewusstsein, dem Willen, ist ein Einfluss
auf die groBte zu erreichende Festigkeit und folgends auf die Ge-
sammtdauer des Schlafes zuzusprechen*.
Emeute Versuche in dieser Eichtung stellten Monninghoff
und Piesbergen*) auf Veranlassung von Vierordt an. Sie experi-
mentirten gegenseitig an sich, bezogen daher ein gemeinsames Schlaf-
zimmer, welches fast vollstandig verdunkelt war. Ein jeder hatte
1] O. M6nninghoff und F. Piesbergen, Messungen aber die Tiefe des
Schlafes. Zeitschr. f. Biologie. Bd. XIX (I) 1883.
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g6 Eduard Miehelson.
I
Vorkehrungen zum Experimentiren getroffen, so dass je nach den
Umstanden der zufallig Erwachende die Untersuchung anstellte,
wahrend der Schlafende die Versuchsperson abgab. Zum Wecken
zogen auch sie Schallreize in Anwendung, welche durch das Herab-
fallen einer Bleikugel aus verschiedenen Hohen auf eine Eisenplatte
erzeugt wurden. Sie lieBen die Schallreize in Zeitraumen von Yj
Minute einwirken, unter stetiger VergroBerung der Fallhohe bis zum
Erwachen, welches an der Abgabe eines directen Zeichens von er-
wachtem Bewusstsein erkannt wurde, beschrankten sich jedoch darauf,
in einer Nacht hochstens zwei Versuche zu machen.
Die an Piesbergen gewonnenen Ergebnisse besagen, »dass die
Festigkeit des Schlafes ihren Culminationspunkt erreicht nach dem
dritten Viertel der zweiten Stunde. Bis zum zweiten Viertel der
zweiten Stunde nimmt die Tiefe des Schlafes ganz allmahlich zu.
Im zweiten imd dritten Viertel derselben Stunde steigt die Festigkeit
sehr rasch und sehr bedeutend, um dann auch ebenso rasch wieder
abzunehmen bis zum zweiten Viertel der dritten Stunde. Von diesem
Zeitpunkte an tritt eine allmahliche Abnahme der Schlaffestigkeit
ein, welche anhalt bis zur zweiten Halfte der funften Stunde. Dieser
Moment ist gekennzeichnet durch eine beginnende Steigerung der
Schlafintensitat, welche im Glegensatz zur ersten sehr gering ist und
lange andauert. In einer Stunde, also nach Verlauf von 5V2 Schlaf-
stunden, hat sie ihren Culminationspunkt erreicht, .von wo aus sie tjl-
mahlich abnimmt, bis allgemeine Verflachung des Schlafes eingetreten
ist.c Innerhalb der ersten Schlaf stunde wurden die Weckreize von
solcher Schwache gefunden, dass die Verfasser diese Zeit gar nicht
in den Kreis ihrer Betrachtimg gezogen haben. Der Schlaf von
Monninghoff, welcher an einem Mitralfehler litt, zeigt einen durch-
aus anderen, vor allem leiseren Verlauf. Die groBte Tiefe des
Schlafes findet sich in der zweiten Halfte der sechsten Stunde vor;
statt zwei Zunahmen der Schlafintensitat treten drei auf; die allge-
meinen Schwankungen der Schlaffestigkeit sind bei weitem groBer,
als beim Schlaf von Piesbergen.
Gegen die Versuchsanordnung und Methodik der bisherigen
Untersucher auf diesem Gebiete lassen sich mehrere Einwande er-
heben. Die Erleuchtung des Versuchsraumes, die unvermeidlich doch
etwas Gerausch verursachenden Hantirungen des in nachster N&he
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Untersuchungen Qber die Tiefe des Schlafes. 87
der Versuchsperson sich befindenden Experimentators, die haufige
Einwirkung der Schallreize, endlich das, wenigstens von Kohl-
schiitter, wahrend einer Nacht mehrmals herbeigefuhrte Erwecken
waren auBere Umstande, welche zunachst das Bedenken wachrufen,
ob die erlangten Ergebnisse unzweifelhafte sind. Dazu kamen als
innere den Schlaf beeinflussende TJrsachen einerseits die Voreinge-
nommenheit des Schlafers, andererseits seine Gewohnung an die Schall-
reize. Alle sechs Versuchspersonen Kohlschiitter's^) gaben ihrn
an, dass sie im Schlafe das Grefuhl von Erwartung, von Anspannung
der Aufmerksamkeit auf das zu gebende verabredete Zeichen nicht
los werden konnten. Ebenso waren in Kohlschiitter's spateren
Versuchsreihen die zum Erwecken nothwendigen Schallstarken viel
groBer ausgefallen, als in den friiheren, ein Verhaltniss, welches er
auf die mit der ofteren Wiederholung der Versuche mehr und mehr
heryortretende Gewohnung zuriickfuhrt.
Gestiitzt auf letztere Punkte hat denn auch For el 2) die Mog-
Uchkeit der Ausfuhrung derartiger Versuche geleugnet, indem er nach
seinen Erfahrungen bei der Hypnose den in der Versuchsperson auf-
tauchenden Autosuggestionen eine Rolle zuerkennt, welche die Zu-
verlassigkeit solcher Untersuchungen ganzlich in Frage stellt. Zu-
vorderst sind die Erfahrungen in der Hypnose, bei welcher die Ver-
suchsperson durch die Suggestion des Schlafenmiissens beherrscht
wird, nicht ohne weiteres mit den Verhaltnissen des naturlichen
Schlafes in Vergleich zu stellen. Femerhin aber sind die bei diesen
Versuchen angewandten Reize derartig indifferenter Natur, dass sie
fiir die Ankniipfung von associativen Vorgangen mit ihren Folgen
fiir die Erleichterung oder Erschwerung des Aufwachens kaum An-
haltspunkte darbieten. Endlich, und das ist der wichtigste Punkt,
kann iiber die Ausfuhrbarkeit solcher Untersuchungen immer doch
nur die thatsachliche Erfahrung entscheiden, welche bei der wesent^
lichen Uebereinstimmung der bisher gewonnenen Ergebnisse ohne
Zweifel die Moglichkeit der Auffindung einer GesetzmaBigkeit auf
diesem Gebiete dargethan hat.
1) a. a. 0., S. 219.
2) A. For el, Der Hypnotismus , seine Bedeutung und seine Handhabung.
1889, S. 20.
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88 Eduard Miehelsoo.
I. Anordnung und AnsfiUining der Yersnche.
Angesichts der im Vorhergehenden beriihrten mannichfaltigen
Einwande erschien es mir in erster Linie wunschenswerth, die An-
gaben der friiheren Untersucher mit Hiilfe eines Verfahrens nachzu-
piiifen, durch welches die aufgezahlten experimentellen Fehlerquellen
nach Mogliehkeit ausgeschlossen erschienen. Aus dieser Erwagung
ergaben sich folgende Forderungen.
Zunachst gait es, alle auBeren Storungen abzuhalten, soweit dies
in meiner Macht lag. Nicht nur musste der zu verwendende Apparat
gerauschlos arbeiten, sondem auch der Reiz aus der Feme ausgelost
werden, sodass alle Storungen wegfielen, welche aus dem Aufenthalte
des Experimentators im Versuchszimmer erwuchsen. Sodann kam es
darauf an, die inneren Storungen nach Mogliehkeit auszuschliefien.
Dadurch, dass die Versuchsperson nie etwas dartiber erfuhr, ob in
der f olgenden Nacht tiberhaupt experimentirt werden wUrde, geschweige
denn, wann, — dass femer liber die Versuche bis auf das Allemoth-
wendigste tiberhaupt nicht gesprochen wurde, dass weiter der am
Bette stehende Apparat durch einen Vorhang in seiner besonderen
Zuriistung zur Nacht dem Auge der Versuchsperson entzogen blieb,
sollte dieser ihre Unbefangenheit gewahrt werden. Endlich hatte ich
den bei alien psychophysischen Untersuchungen auftretenden Einfluss
der Uebung und Gewohnung zu beriicksichtigen. WeiB die Versuchs-
person, wann der Reiz einwirken wird, so wird sie in der ersten Zeit
leichter aufwachen, in der spateren jedoch, wo sie sich eben an die
Reize gewohnt hat, gar nicht mehr. Zur Vermeidung dieser Ein-
fliisse wurde in zwei aufeinanderfolgenden Nachten niemals um die-
selbe Zeit experimentirt; sodann verstrichen ofters eine oder mehrere
Nachte, wo die Versuche unterblieben, und endhch erstreckte sich
die Ajistellung der Untersuchungen iiber langere Zeitraume hinaus,
selbst bis zu mehreren Monaten. Da jedes Erwecken meistens, in
den Vorversuchen fast immer, durch fortschreitende Steigerung der
Reize herbeigefiihrt wurde, die noch nicht zum Erwachen fUhrenden
Reize nach Kohlschiitter's Beobachtungen aber schon eine Ver-
anderung der Schlaftiefe herbeizufuhren vermogen, so musste schlieB-
lich noch verhiitet werden, dass durch die Versuche selbst fehlerhafte
Beobachtungen zu Stande kamen. Die Weckreize sollten daher nicht
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UntersachnDgen fiber die Tiefe des Schlafes. 89
rasch, sondem in groBeren Zwischenraumen bis zum Erwachen auf-
einanderfolgen, und dieses selbst nur einmal, hochstens zweimal in
einer Nacht experimentell erzwungen werden.
Wie die friiheren Beobachter verwandte auch ich Schallreize zum
Wecken des Schlafers. Indem ich mich bemiihte, festzustellen, eine
wie groBe Schallstarke nothig sei, um zu bestimmter Zeit das Be-
wusstsein des Schlafers gerade auf die Schwelle zwischen Schlafen
und Wachen zu heben, gewann ich ein MaB fiir die Tiefe, bis zu
welcher jenes unter die Schwelle gesunken war. In Analogic mit
den VerhaJtnissen des wachen Seelenlebens sei es gestattet, diejenige
Beizstarke, welche gerade geniigt, um die Bewusstseinshelligkeit bis
auf die Stufe zwischen Schlaf und Wachen zu bringen, als die Weck-
schwelle zu bezeichnen. Je groBer die Weckschwelle in einem be-
stimmten Abschnitte des Schlafes gefunden wird, um so groBer ist
demnach die Schlaftiefe wahrend derselben und umgekehrt.
-Zur praktischen Bestimmung der Weckschwelle ist es natiirlich
von Wichtigkeit, fiir das Aufwachen ein genaues Kennzeichen zu
haben. Durch die Schallreize erzeugte Aenderungen im Athmungs-
typus oder in der Lage der GUeder des Schlafers, auf deren directe
Beobachtung ich verzichtet hatte, konnten mir nicht, wie Kohl-
^schiitter, als maBgebend erscheinen; vielmehr musste ich ein wirk-
liches Erwachen nur dann annehmen, wenn der Schlafer ein verab-
redetes, die voile TJeberlegung voraussetzendes Zeichen geben konnte.
Als solches Zeichen war fiir meine Versuchspersonen ein zweimaUges
Glockensignal zum Untersucher hin festgesetzt worden. Um dies zu
geben, hatte der Schlafer zweimal auf den Contactknopf einer elek-
trischen Glockenleitung zu driicken, welcher iiber dem Bette derart
angebracht war, dass die Versuchsperson sich aufrichten musste, um
an jenen zu gelangen. Die weitere Entfemung des Knopfes sollte ver-
hindem, dass die Reaction bei mangelhaftem Wachbewusstsein erfolgte.
Als weitere Zeichen waren noch verabredet: einmaliges Klingeln fiir
den Fall des Wachseins zur Zeit der Einwirkung des Schallreizes;
dreimaliges Klingeln fiir den Fall, dass das Erwachen nicht allein
durch den Weckreiz, sondem durch irgendwelche gleichzeitig ein-
wirkende Nebeugerausche zu Stande kam.
Bei der Festsetzung der Weckschwelle fiir jede Viertelstunde
der Schlafdauer verfuhr ich in der Weise, dass ich in mogUchster
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90 Edoard Miehelson*
Abstufung der Reize fur jeden Zeitpunkt den starksten Schallwerth,
der nicht mehr weckte — kurz als »Unterwerth« zu bezeichnen —
soMrie den schwachsten Schallwerth, der gerade noch weckte, den
»Oberwerth«, zu finden bestrebt war. Zwischen diesem Ober- und
Unterwerthe musste die Weckschwelle liegen. Aus praktischen Riick-
sichten schien es erlaubt, in dem arithmetischen Mittel beider Werthe,
in dem » Mittel werthe «, den Ausdruck der jeweiligen Schlaftiefe zu
erblicken, die Weckschwelle mithin dem Mittelwerthe gleichzusetzen,
wobei nur hervorgehoben werden muss, dass die Weckschwelle wie
alle Reizschwellen nicht einen Punkt, sondem eine Strecke darstellt,
demnach alle Weckschwellenwerthe auch nur Annaherungswerthe
sein konnen.
Die ganze Versuchsanordnung gestaltete sich folgendermaBen.
Als Versuchsraum diente das Schlafzimmer der einen Assistenten-
wohnung. Im Schlafzimmer der anderen befand sich der Experi-
mentator. Beide durch einen breiten Corridor getrennte Schlaf-
zinmier standen vermittelst einer mehrfachen elektrischen Leitung in
Verbindung, derart, dass einerseits der Untersucher von seinem Zimmer
aus den zur Schallerzeugung dienenden Apparat in Thatigkeit setzen,
andererseits die Versuchsperson von ihrem Bette aus zum Zimmer
des Beobachters klingeln konnte.
Am Kopfende des Bettes der Versuchsperson fand der Fall-
apparat, welcher die Schallreize zu liefem bestimmt war, seine Auf-
stellung. Auf einer holzemen, unter einem Winkel von 1 0® geneigten
Grundplatte lag parallel derselben auf Tuchpolsterchen, die die
Schwingungsfahigkeit erhalten sollten, das Schallbrett aus festem
Eichenholz, 25 cm im Quadrat, 3,5 cm dick. Am Herabgleiten auf
der schiefen Ebene hinderten ebenfalls TuchroUchen. Die geneigte
Lage des Schallbrettes war erforderlich, damit die Kugeln nach dem
Aufschlag keine NebengerSusche verursachten und in den dicht her-
angeschobenen, zum Schallbrett hin offenen, dick mit Watte ausge-
polsterten Auffangekasten zuriickgeschleudert wtirden. Die Entfemung
der Mitte des Schallbrettes von der Mitte des Kopfkissens der Ver-
suchsperson betrug 1 Meter.
Die Kugeln, aus hartem Messing, genau rund gedrechselt, waren
anfangs in einem Satz von acht StUck vorhanden. Sie wogen
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UntersuchuDgeD Qber die Tiefe des Schlafes. 91
5 Gramm, genau 4,996 Gramm
to > > 9,998
15 » » 14,995
20 > > 19,996
25 » V 24,994
30 > > 29,997
35 - > 35,005
40 > > 40,006
Selir bald ergab sicb jedoch, dass 40 g, von der Hohe 2,75 m
fallend, nicht immer hinreichten, um das Erwachen herbeizufuhren.
Es wurden daher 6 schwerere Kugeln hinzugenommen von folgendem
Gewichte :
50 Gramm, genau 49,978 Gramm
60 > > 60,015
70 > =. 69,975
80 > > 79,997
90 » > 89,954
100 > » 100,002
Der Apparat, in welchen diese 14 Kugeln eingefiigt werden
konnten, um durch elektrische Auslosung zum Fallen gebracht zu
werden, bestand im wesentlichen aus zwei glatten, leicht aufeinander
schleifenden Holzscheiben, deren obere in zwei concentrischen Kreisen
Locher von der genauen GroBe der beniltzten Kugeln trug, wahrend
die untere nur an je einer Stelle jedes Kreises derartig durchbohrt war,
dass gerade noch die groBte Kugel der betreffenden Gruppe hindurch-
fallen konnte. Wurde demnach die obere Scheibe um ihre Achse ge-
dreht, so mussten nacheinander alle bei dieser Bewegung mitge-
ncHnmenen Kugeln mit einem der Locher in der unteren Scheibe zur
Deckung kommen und dann herunterfallen. Dieses Fallen konnte
je nach Bedarf durch kleine Verschlussklappen an den unteren
Lochem verhindert werden. Die bei woitem schwierigste Aufgabe
war es, die Drehbewegung der oberen Platte elektrisch gerauschlos
derart auszulosen, dass beim SchlieBen eines Stromes immer nur eine
einzige Kugel fiel. Als Triebkraft diente ein Gewicht an einem
Faden, der um den Umkreis der oberen Scheibe herumlief; durch
seinen Zug wurde die Drehbewegung bewirkt. Um aber die sehr
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92 Eduard Miehelsoo.
rasche Bewegung zu verlangsamen, wurde nicht nur eine Schleiffeder
am Rande der Scheibe angebracht, sondem auch Windfliigel aufge-
setzt und endlich ein Flaschenzug eingeschoben. Die Auslosung und
Unterbrechung der Bewegung geschah durch ein Zahnrad, gegcn
dessen Zahne sich ein Hebel stemmte, der seincrseits wieder den
Anker eines Elektromagneten bildete. Sobald der Strom geschlossen
wurde, gab der Hebel den Zahn frei, so dass die Last des Gewichtes
langsam die Drehung der Scheibe einleiten konnte. Wurde der
Strom rasch wieder geoffnet, so konnte inzwischen nur ein Zahn an
ihm vorbeigehen, wahrend der nachste schon wieder festgehalten
wurde. Da jeder Zahn einem Kugelsector der Drehscheibe entsprach,
bewegte sich unter diesen Umstanden die obere Scheibe bei jedem
kurzen Stromschlusse gerade so weit, dass eine neue Kugel mit dem
Loche in der unteren Scheibe zur Deckung kam und auf das Fall-
brett herunterfiel. Allein alle diese Vorrichtungen, die Windfliigel,
das Anziehen des Ankers, die Hemmung des Zahnrades durch den
Hebel, verursachten ziemlich starke Gerausche, zu deren fieseitigung
^^ahllose, viele Monate dauemde Versuche angestellt wurden. Alle
Fedem, Gummiplatten, Polsterungen, alles Einpacken des ganzen
Apparates in Watteumhiillungen erwies sich als ganzlich nutzlos, bis
endlich der Ausweg gefunden wurde, die Drehscheibe von dem Aus-
losungsapparate ganzUch zu trennen imd diesen letzteren in einem
benachbarten Baume, auch hier noch gut umschlossen, unterzubringen.
Die Verbindung wurde durch eine iiber Rollen geleitete Schnur her-
gestellt, welche einerseits unter dem Zuge des Gewichtes durch die
Bewegungen des Zahnrades aufgewickelt wurde, andererseits dabei
eine vollig gerauschlose Drehung der oberen Scheibe vermittelte »).
Um meinen Versuchen eine weitere Ausdehnung zu geben,
dachte ich urspriinglich daran, noch auf ein anderes Sinnesgebiet
Weckreize einwirken zu lassen, und wahlte hierzu Schmerz erzeugende
Inductionsschlage, eine MogUchkeit, auf welche bereits Monninghoff
und Piesbergen hingewiesen batten. Meine Versuchsanordnung dabei
war folgende: Um den Oberarm der einen Seite schnallte sich die
Versuchsperson eine groBe Elektrodenplatte in Form einer Spange;
1) Eine genauere Beschreibung dea Apparates mit Abbildung findet sich in
der Dissertation selbst.
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Untersaehungeo Qber die Tiefe des Scblafes. 93
am Handgelenk der anderen Seite wurde eine kleine, nach dem Modell
der Erb'schen Elektrode fiir faradocutane Sensibilitatspriifung coii-
struirte Metallplatte befestigt. Von den Elektroden liefen vollig
biegsame Leitungsschniire, welche derart angelegt wurden, dass sie
den Schlafer durchaus nicht in der freien Bewegung hinderten, zu
dem Inductionsapparate , von dem durch besondere Vorrichtungen
nur der OefEnungsschlag eines von zwei groBen Leelanch^elementen
gelieferten Stromes abgeleitet werden konnte. Sehr bald stellte es
sich indessen heraus, dass die starkeren Reize den Schlafer weniger
durch die Schmerzempfindung, als durch die heftigen Muskelzuckungen
erweckten, in welche sie seine Anne versetzten. Dieser storende Um-
stand vereitelte eine zahlenmaBige Bestimmung der Beziehung zwischen
BeizgroBe und Schlaftiefe, so dass ich von der weiteren Anwendung
des elektrischen Reizes Abstand nehmen mftsste.
GemaB dem Versuchsplane wiu*de nun, wie folgt, vorgegangen.
Ohne Wissen der Versuchsperson wurde der Apparat in Bereitschaft
gesetzt. Jene legte sich abends wie gewohnlich zu Bette und driickte,
wenn sie das Licht loschte, einmal auf ihren Contactknopf, hiermit
dem Experimentator anzeigend, dass sie sich endgiiltig zum Einschlafen
anschickte. Zur Gewinnung einer vorlaufigen Anschauung iiber die
etwaigen Weckreize wurden in den ersten Nachten um den ge-
wiinschten Zeitpunkt, falls nicht die erste Kugel schon weckte, alle
fiinf Minuten immer schwerer werdende Kugeln von der fiir eine
Kacht fest eingestellten Hohe bis zum Erwachen fallen gelassen.
Wurde die Versuchsperson erweckt, so hatte sie laut Verabredung
ein zweimaliges Klingelzeichen zu geben. Nach dem Erwecken konnte
die Versuchsperson ein bis zwei Stunden ruhig weiterschlafen, worauf
das Experiment wiederholt wurde.
Waren auf diese Weise vorlaufige Anhaltspunkte fiir die zu ver-
scbiedenen Zeiten nothwendige Starke der Weckreize gefunden worden,
so gait es jetzt, fiir jeden einzelnen Zeitpunkt die Weckschwelle an-
nahemd genau herauszuarbeiten. Zur Feststellung der Weckschwellen-
werthe wurde in einer Versuchsnacht nur einmal, hochstens zweimal,
und dann mit Einschiebung einer langeren Pause, experimentirt ; auch
wirkten die einzelnen Weckreize, falls eine Steigerung derselben
iiberhaupt nothig war, in Zwischenrauraen von je einer Viertel-
stunde ein.
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94 Edoard Miehelson.
An jedem Morgen wahrend der ganzen Versuchszeit, auch wenn
in der Nacht vorher nicht experimentirt worden war, wurden die
Versuchspersonen wie gelegentlich iiber die vorhergehende Nacht be-
fragt und etwaige Bemerkungen in das Versuchsprotokoll eingetragen.
Die Tiefe des Schlafes soUte fiir jede Viertelstunde seiner Dauer
bestimmt werden, wobei als Ausgangspunkt das von der Versuchs-
person vor dem Einschlafen allabendlich gegebene B^lingelzeichen an-
genommen wurde Zwar fiel dieses nicht unmittelbar mit dem Ein-
schlafen zusammen, jedoch gaben alle Versuchspersonen an, zum
Einschlafen auBerst wenig Zeit zu gebrauchen, ein bis zwei bis
hochstens ftinf Minuten. Die Vemachlassigung der Verrtickung des
Anfangszeitpunktes bedeutete somit hier, wo es sich um viertelstiin-
dige Zeitraume handelte, keinen zu groBen Fehler. Selbstverstandlich
wurden Falle, in denen d&s Einschlafen nach Angabe der Versuchs-
person am nachsten Morgen langere Zeit in Anspruch genommen
hatte, besonders notirt und die Zeitverschiebung in Riicksicht gezogen.
Die Starke der Schallreize wurde einfach gleichgesetzt dem Pro-
duct von Hohe und Gewicht {p X A), die lebendige Kraft der fallenden
Kugel also in Grammcentimetem ausgedriickt. Bei den noch be-
stehenden Controversen^) iiber ein allgemeingultiges SchallstarkemaB
erschien es mir tiberflussig, in die Berechnung einen Exponenten
einzufUhren, welcher den Verlust ausdriickt, den der Schall durch
die auf Bruchtheile sich beschrankende Umwandlung der lebendigen
Kraft in Deformation der Kugel, Warme und RUckstoB erleidet.
Die im ziemlich kleinen Versuchszimmer waltenden Interferenz- und
Resonanzverhaltnisse batten eine so feine Berechnung werthlos ge-
macht; ich konnte darauf um so eher verzichten, weil es mir weniger
auf die Feststellung der absoluten, als der relativen Schlaftiefe, d. h.
des Verlaufes der Schlaftiefe ankam. Die Entfemung des Kopfes
von der Schallquelle wurde bis auf zu vemachlassigende geringe
Aenderungen als gleichbleibend angesehen und daher bei der Berech-
nung nicht beriicksichtigt. Die Mittelwerthe sind zur leichteren Ver-
1] Wundt, PhiloB. Studien: £. Tischer, Debet die Untertcheidung von
Schallftftrken. Bd. I, S. 198 und 543. P. Starke, Die Messung der SchallBt&r-
ken. Bd. lU, 8.264. Derselbe, Zum Ma6 der Schallst&rke. Bd. V, S. 157.
J. Merkel, Das psychophysische Orundgesetz in Bezug auf Schallst&rken. Bd. IV,
S. 117 und 251.
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UnterauchuDgen fiber die Tiefe des Schlafes.
95
anschaulichung graphisch in Curven dargestellt in einem Coordinaten-
sjstem, dessen Abscissenachse die Zeit in Viertelstunden tragt, dessen
Ordinaten die Mittelwerthe in Grammcentimetem darstellen. An
Zeitpunkten, wo ein Mittelwerth nicht gefunden werden konnte, wurde
er interpolirt, soweit es der Gang der Curve erlaubte. In sehr vielen
Versuchen gelang es, die Differenz zwischen dem Ober- und Unter-
werthe auf 1000 und weniger Grammcentimeter einzuengen, in einigen
sogar auf Null herabzusetzen; ich hatte also in letzterem Falle mit
beiden Werthen im Gebiet der Weckschwelle experimentirt. Die
Verlegung des Mittelwerthes auf 500 grcm unter resp. iiber den
gefundenen Schallwerth durfte somit bei dem erwahnten Interpola-
tionsverfahren keinen zu groBen Fehler in sich schlieBen.
Als Versuchspersonen dienten meine CoUegen im Amte, Herr
Dr. med. H. Dehio (H. D.), Herr Drd. med. L. D., Herr Drd.
med. A. B. (B.), sowie ich selbst (M.). An mir zu experimentiren,
hatten die beiden erstgenannten Herren die Liebenswurdigkeit. Als
fiir diese Uutersuchungen geeignet konnten nur sie gelten, weil sie
G^legenheit boten, langere Zeit hindurch an sich Versuche anstellen
zu lassen. Alle waren kraftige, gesunde Leute im Alter von 23 — 29
Jahren. Jede Abweichung von der gewohnten Lebensweise wurde
im VersuchsprotokoUe vermerkt und bei der Zusammenstellung der
Werthe beriicksichtigt. Ausgefuhrt wurden die Versuche im Laufe
der Jahre 1888, 1889, 1890 mit langeren Unterbrechungen.
Die in den Curven wiedergegebenen Werthe wurden in nach-
stehender Zeit und aus folgendem Material gefunden:
Zeit der Versuche
Zahl der
berw. -tage
ZahlderEinzel-
beobachtungen
H. D. I 1888, M&ra-Juli ....
H. D. II 1889, October-November .
L. D. 1889, April-Mai
B. I 1888, August-September . .
B. n 1890, December
M. I 1890, Juli-October .....
M. n 1888, October
M. nia 1888, Mfirz
M. Illb 1888, Juni
42
12
24
27
4
71
15
13
3
126
32
51
58
30
127
23
99
34
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96
Eduard Michelson.
n. Allgemeine Ergebnisse.
Die fur die einzelnen Versuchspersonen gefundenen Schallstarken
sind, berechnet in Grammcentimetem, in nachfolgender Tabelle
Tabelle L
0.=
= Oberwerthe.
U. =
= Unterwerthe. M. =
Mittelwerthe.
M. I
L. D.
H. D.
I
M.
B. I
Zeit Dach
dem £in-
Bchlafen
0.
U.
M.
0.
U.
M.
1
0.
U.
0. u. : M.
15m.
1000
1000
30 m.
12000
10000
11000
7875
2000
4938
875
2000
1000 1500
45 m.
20000
4950
3960
4455
3000
2000 2500
Ih.
20000
18000
19000
25000
7000
5000
4000 4500
Ih. 15m.
20000
18000
19000
20000
8400
4000
40004000
lh.30m.
10000
8000
9000
12000
9800
5000
Ih. 45m.
6000
3000
4500
10000
6000
8000
11200 10500
10850
5000
1
2h.
4000
10000
7000
8500
10000
5000
4000,4500
2h. 15 m.
6000
6000
4000
2h. 30 m.
5000
5000
5000
7000
7000
8000
2h. 45m.
3000
2000
2500
5000
8000
1
1
3h. ;
5000
8400
7000
7700 1'8000'7000
7500
3h.l5m.i 2000
2000
2000
|5000|
3h.30m.l 8000
2250
5125
6000
5940
4950
5445
7000
(
3h.45m.!l
4500
3960
2970
3465
1
4h. ! 4000! 3000; 3500
5000
1980
3000 2000
2500
4h. 15m.' 1000
3960
5000
4h. 30 m. 1 1000
1000
1000
6930
5940
6435
4000
3000
350U
4h.45m.,; 2000
2000
2000
5000
1
5h. ;
2000
2970
4000,3000
3500
5h. 15m. !
3960
40001
5h. 30 m. 2000
1000
1500
4950
1
5h.45m. ; 1000
2625
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6h. 1 1000
1
2000
1 4000
6h. 15m.' 2000 \
3000
1750
875
1318 5000 3000
4000
6h. 30m.|| 1000,
1 ;
6h. 45m.| 1
3000
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7h. i 1000
2000
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Th. 15m.
2000
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UutersochungeB Ab«r He Tieb des Scblafes,
97
angeordnet. AuBer den Mittelwerthen, weldie nicht ftir alle ZeUr
pankte gewoimen werden kofinien^ sind auch die Ober" mid Unter-
werthe hineitigezogen worden, weil sie beim Fehlen de» Mittehrerthes
sehr wohl ein Bild von dem Gange der Curre geben.
Ueberblicken wir die diesen Zahlen entsprechenden Curren, so
SUt zonachst ins Augc, dass M. I (Kg. 1) md L, D. (Pig. 2^ S. 102)
eine sehr groBe Aehnlichkeit
mit einander haben, wakrend Fig. J.
H. D. I (Fig. 3, S. 103) und
B. I (Mg. 4, 8. 104) grSBene
Abw^hiiHgen darbieten. Als
Auegangspxmkt ftr die Be-
trachtimg der einzelnen Ab-
scfanitte des ScUafes wahle
ich die Crave M. ly weil bei
ihr die meisten Versuchsnachte
und Beobftchtiingswerthe vor-
liegen. Verf olgen wir den Ghmg
der Curve: Bis znr ersten Vier-
telfltunde verlauft sie ganz
niedrig, steigt aber wahrend
der folgenden balben Stimde
steil an und erreicht so nach
^/4 SchlaiiAmiden ihire H5he.
Mit einer anfiusgUdien Senkvng
veiiiarrt sie eine balbe Slunde
lang auf jenem^ vm dantn
ebenso steil abzafaUen and am
Schlusse der 2. Stuftde m etvas SduidM o'
langmoaerem Zestmaft ihr crste»
Misimfam am erreidien. Vou' diesem Zei^ponkte an voUfUfart sie
4, im Yergleick mit der ersiev geringgradige Erhebungen tmd ver-
iaoft von % Yiertei der 7. Stunde an gans gleichmaBig niedrig.
Die 4 Sdiwankongen lassen eine ge^sse Gesetzultfigkeit er-^
kemien — die Neigung der Curre^ za smkem. Der Qipielpiinkt jeder
folgenden Sehwatikiiiiig liegt niedrfger^ als derjenige der vorliergefaei^
deSy ebenso der FuSpcmkt jedes Abetieges, mit der geringfttgigen
Eraepelin, Piycbolof. Arbeiten. II. 7
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98 Cduard Miebelson.
Ausnahme der beiden letzten, was wohl nur auf die fiir diese letzte
Zeit in imgeniigender Zahl vorhandenen Schallwerthe zuriickzufuhren
ist. Der Anstieg ist in den ersten beiden Schwankungen steil, in den
zwei letzten flacher, der Abfall in alien flach. Die Dauer wechselt
zwischen Yj und l^/j Stunden und zeigt in der Aufeinanderfolge
keine RegelmaBigkeit, indem die letzte Schwankung die kiirzeste ist,
die vorletzte am langsten sich ausdehnt.
Diese Curve entspricht im groBen und ganzen unseren subjec-
tiven Erf ahrungen und dem, was wir von vom herein erwarten soUten.
Beim Einschlafen iiberfallt uns anfangs eine gewisse Zeit lang ein
leichter Dammerzustand unseres Bewusstseins, bis dieses plotzlich
schwindet. Aehnliches finden wir beim hypnotischen Schlaf, wenn-
gleich mit personlichen Verschiedenheiten. In der Hypnose herrscht
anfangs auch nur ein leichter Schlaf, eine Benommenheit, und dann
erst tritt ziemlich plotzlich tiefe Bewusstlosigkeit ein. Zwar gelingt
es in vielen Fallen, durch Uebung immer mehr ein sofortiges Ein-
schlafen herbeizufiihren, doch giebt es genug Personen, welche viel-
leicht durch einen langer dauemden Zustand von Hypotaxie,\ die der
ersten Viertelstunde unserer Curve entsprechen wurde, ganz allmahlich
in die tiefe Hypnose verfallen. Es ware denkbar, dass eben auch
in der Hypnose diejenigen Individuen am leichtesten einschlafen,
welche Uberhaupt guten, rasch eintretenden Schlaf es sich erfreuen,
und imigekehrt.
Sehr auffallend und durch die subjective Erfahrung nicht weiter
controlirbar ist das plotzliche Versinken in den tiefen Schlaf. Diesem
raschen Versinken mtissen in der Himrinde offenbar bestimmte physio-
logische Vorgange entsprechen, welche bei dieser verhaltnissmaBig
plotzlichen Umwalzimg wohl kaum anders als vasomotorischer Natur
sein konnen. Pflichtet man der allgemein verbreiteten Ansicht bei,
dass es sich um eine relative Anamie des Himes im Schlafe handele,
so liegt es nahe, in diese Zeit die rasche Ausbildung eines solchen
Zustandes zu versetzen. Diese Veranderungen in der Himrinde, die
mit einem schnellen Nachlassen der Erregungsvorgange in derselben
Hand in Hand gehen, gleichen sich offenbar im weiteren Verlaufe,
wie es scheint, zuerst rasch, spater langsamer wieder aus. Wir wissen
bestimmt, dass wesentliche Veranderungen in Blutumlauf und Athmung
wahrend des Schlafes sich vollziehen, und es ware in hohem Grade
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V Untersachnogeo uber die Tiefe des Schlafes. . 99
interessant, festzustellen, wie weit sich eine Beziehung der Schlaf-
curven zu diesen Veranderungen auffinden lieBe.
Von der raschen Abnahme der Schlaftiefe wissen wir durch
unsere subjective Erfahrung gar nichts, well sich eben diese ganze
Periode des Schlafes mehr oder weniger tief unter der Schwelle
imseres Bewusstseins abspielt. Erst in den letzten Abschnitten des
Schlafes erinnem wir nns bekanntermaBen nachtraglich, gelegentlich
getraumt zu haben, sodass also hier wenigstens schon wieder psychische
Vorgange in unserem Innem von statten gehen konnen.
£s macht nach allem diesem fast den Eindruck, als ob die wesent-
liche Aufgabe des Schlafes in sehr kurzer Zeit gelost wiirde. In etwa
IV4 Stunden (gemessen auf der Abscisse vom ersten Minimum nach
vome bis zur Kreuzung mit dem Anstieg) ist der tiefste Schlaf ab-
gelaufen. Dieser Gang der Curve scheint darauf hinzudeuten, dass
die Tiefe des Schlafes fur die Erholung wichtiger ist, als die Dauer
desselben, ein Satz, der mit gewissen allgemeinen Erfahrungen recht
wohl im Einklange steht. So vermogen die Landleute im Sommer,
femer mit Wachdienst betraute Leute nach einem kurzdauemden
Schlaf e ganz AuBerordentliches zu leisten, wobei allerdings im Laufe
des Tages noch eine Schlafzeit eingeschoben wird. So wissen wir^
dass ein bis in den spaten Morgen f ortgesetzter Schlaf uns durchaus
nicht die gewunschte Erholung bringt, dass wir uns nicht selten nach
einem etwa 2-stundigen Schlafe verhaltnissmaBig erquickter fiihlen,
als nach eiiiem 6 — 8-stundigen, Auch die landlaufige Idee, dass der
Schlaf vor Mittemacht der beste sei, steht wohl damit in Verbindung.
Fiir das praktische Leben wiirde hieraus der Schluss folgen, dass es
fur die Erholung vortheilhafter erscheint, mehrmals am Tage kurze
Zeit zu schlafen, als dieselbe Gesammtdauer des Schlafes fortlauf end
zu erzielen. Auch fiir die Behandlung von Schlaflosigkeit, von er-
schopften Kranken lassen sich aus dieser Thatsache gewisse Winke
ableiten,
Eine sehr merkwlirdige Erscheinung sind die immerhin recht regel-
mafiigen Schwankungen in den letzten Abschnitten des Schlafes.
Dass dieselben nicht auf bloBen Zufalligkeiten beruhen, sondem wahr-
scheinlich mit dem Wesen des Schlafes in irgend einer inneren Be-
ziehung stehen, wird durch den Umstand wahrscheinlich gemacht, dass
wir sie einmal bei alien Versuchspersonen in mehr oder weniger aus-
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100 Edutfd Micbetson.
geprHgter Form wiederkehren sehen^ und dass femer schon von den
friiheren Beobachtern ahnliche Wahmehmungen gemacht worden sind.
Eine yoUkonimen befriedigende Erklaning dieser Erscheinimg zu geben,
ist im AngenbHcke wohl kaum moglich. Yielleicht ist es indessen
gestattet, bier anznknupfen an eine von Kohlscbutter gemacbte Er-
fahrungy die ich selber bestatigen zn konnen in der Lage war. Scbon
jener Forscher hat namMch darauf bingewiesen, dass jeder betracbt-
lichen Yerfladinng der Schlaftiefe dorch ILuBere St(H*angen sofort eine
erbeblicbe Yertiefung zu folgen pflegt. Man konnte daber zunacbst
versncbt sein, die hier besprocbenen Schwankungen auf anBere
Stoningen zurSckzufObren. AHein gegen diese Anffassung spricbt
der Umstand, dass jene Erscheinung bei den frfiberen Beobachtern,
bei welchen ohne Zweifel gerade die auBeren Stdmngen weit stai^^
nnd zabbeicba* gewesen sind, als bei meinen Versucben, trotzd«n riel
schwacber und weniger eigenartig s^edeutet ist, als bier.
Nichtsdestowenig^ kann uns rielleicbt die erwahnte Kobl-
sch^tter^sche Beobaditnng nach einer andem Bichtong bin einen
Pingerae^ fftr die Erklaning abgeben. Offenbar namlicfa deutet jene
Erfabrung darauf bin, dass sieb wabrend des Seblafes in unserem
Innem antagonistiscbe Yorgange abspielen, Ton denen bald der eine,
bald der andere die Ob^rfaand gewinnt, je naeh der augenblicldicfaen
inneren und auBeren Constellation d^ YerfaEltnisse. Yon diesen
VorgSngen fiberwiegt in der letzten Zeit des Seblafes im groBen und
^ainzen diejenige Gruppe, wdche zu einer f (^rtschreitenden Yerfiachung
des Seblafes fShrt, und nur zeitw^e gewinnt jene andere Klasse von
Vorgangen die Oberband, welcbe im ersten Absebnitte des Seblafes
offenbar bei weitem uberwiegt und eine Abnabme der psycbojAysiscben
Thatigkeit berbeizufiibren bestrebt ist. Es Kegt nabe, diesen Wider-
streit entgegengesetzter Yorgange in eine gewisse Beziebung zu den-
jenigen Brfiibnmgen zn setzen, die wir bei der Arbeit des wacfaen
Lebens zu macben Grelegenheit baben. Aucb wabrend des Tages
laulen zwei Terscbiedene Arten physiologisdier Yorgange in unserm
Organismus immerwahrend neben einander her, diejenigen, welche zu
einem Yerbrauch, und diejenigen, welcbe zura Wiederersatz des Er-
nabrungsmaterials in unseren Greweben fuhren. Je nach den beson-
deren Umstand^i uberwiegt zeitweiKg der Yerbrauch iiber den Brsatz
und umgekehrt. Im allgemwnen jedoch fOhrt die Lebensarbeit unauf-
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Untersucbungea fiber die Tiefe des Scblafes. 101
haltsam zu einer Erschopfung des Kraftvorrathes in unserem Korper,
da auf die Dauer der Ersatz den Verbrauch nidit zu decken ver-
mag. Nur die periodische Wiederkehr eines Zustandes, in welchem
umgekehrt die Emeuerung der Gewebe vor den Zersetzungsvorgangen
den Vorrang hat, vermag uns vor dem Zusammenbruche zu bewahren.
Denken wir nun daran, dass nicht nur die beiden einander entgegen-
gesetzten Zustande im Leben unseres Organismus, das Wachen und
der Schlaf, periodische Functionen sind, sondem dass auch die
vegetativen Vor^nge in unserem Korper uberhaupt, die CSrculation,
die Athmung, die Warmeregulirung, die Nahrungsaufnahme u. s. w.,
eine bemerkenswerthe Periodicitat erkennen lassen, so erscheinen da-
mit immerhin die hier besprochenen Schwankungen in der Schlaftiefe
unserem Verstandnisse einigermaBen naher geriickt, wenn sich auch
der besondere ursachliche Zusammenhang derselben mit korperlichen
Vorgangen zur Zeit noch nicht Ubersehen lasst.
Als ein erfreuliches Ergebniss meiner Untersuchungen sehe ich
es an, dass dieselben mit den Beobachtungen der fruheren Forscher
in wesentlicher Uebereinstimmung sich befinden. Sowohl der rasche
Anstieg und Abfall der Curve, als auch die Schwankungen sind von
ihnen festgestellt worden, wenngleich sie letztere bei ihrer Erklarungs-
weise unberiicksichtigt lieBen. Leider sind meine Schallstarkenwerthe
mit denen Kohlschiitter's wegen der andersartigen Schallerzeugung
gar nicht vergleichbar, mit denen vonMonninghoff undPiesbergen
nur bedingter Weise, da, abgesehen von dem verschiedenen Material der
Kugeln und der Schallplatte, letztere TJntersucher ihre Schallwerthe
mit einem Exponenten und unter Reduction auf die Schwelle der
Schallempfindlichkeit im Wachen berechneten.
III. PersSnliche Yerscliiedenheiten.
Die Erfahrungen, welche Monninghoff und Piesbergen hin-
sichtlich der durchgreifenden Verschiedenheit ihrer beiderseitigen
Schlaf curven gemacht haben, legen die Vermuthung nahe, dass wir
es hier mit einem Gebiete zu thun haben, auf welchem dem Einflusse
der personlichen Veranlagung eine nicht unwesentliche Bedeutung
zugeschrieben werden muss. Diese Vermuthung wird in vollem MaBe
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102
Cduard Micbelson.
bestatigt durch den Vergleich derjenigen Curven, die von den 4
verschiedenen Versuchspersonen gewonnen wnrden.
Curve L. D. (Fig. 2) stimmt am meisten mit Curve M. I (Fig. 1
S. 97) uberein. Auch hier sehen wir nach dem niedrigen Verlanfe
wahrend der ersten Viertel-
Fig. 2. stunde das schnelle An- und
Absteigen der Curve, woran
sich die ganz allmahliche
Senkung derselben schlieBt.
Die Abweichungen von M. I.
bestehen darin, dass der
Gipfel eine Viertelstunde
spater erreicht wird, dass
er hoher liegt, dass femer
der schnelle Abfall nicht so
tief erfolgt, dass endlich
die langsame Senkung sich
unter nur schwach ange-
deuteten Schwankungen voll-
zieht und die Curve zum
Schluss etwas hoher liber
der Abscisse verlauft. Da-
bei muss ich indessen be-
merken , dass fiir L. D. nur
wenige Mittelwerthe vorlie-
gen und die meisten Punkte
Stundmd 1 ^ '3 '^ ^ '^ 7 durch Interpolation gewon-
nen sind.
Einen wesentlich anderen Eindruck macht die Curve H. D. I.
(Fig. 3.) Diese Curve steigt viel langsamer an; noch nach einer hal-
ben Stunde befindet sie sich nahe an der Abscissenachse, erhebt
sich erst dann wahrend der zweiten halben Stunde etwas rascher,
erreicht von hier an wieder in langsamerem ZeitmaBe nach erst
1^4 Schlafstunden ihren Gipfelpunkt, welcher bedeutend niedriger
liegt, als in M. I und L. D. Beim Abfall zeigt die Curve nur im
Anfang und fiir eine kurze Strecke die Neigung zu schnellem
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Uutersuchuugea flber die Tiefe des Schlafes.
103
Sinken; vielmehr verflacht sie sich nur ganz langsam unter be-
deutend groBeren Schwankungen, als in den beiden friiheren Curven-
Curve B. I schlieBlich .
(Fig. 4) gestaltet sich ganz ab- Fi«- 3.
weichend, Sie erreicht in
einem schleppenden, zogem-
den Anstiege erst nach 2Y2
Stunden ihren noch niedriger
als in H. D. I liegenden
Gipfelpunkt. Dabei voUzieht
sich der Anstieg in hochst
merkwiirdiger Weise. Fiir die
erste Viertelstunde konnten
keine Werthe gewonnen wer-
den; wahrscheinlich aber war-
den dieselben einen tieferen
Stand der Curve ergeben ha-
ben, als den jetzt interpolir-
ten. NacheinerhalbenStunde
befindet sich die Curve bereits
hoher, aJs H. D. I zu dersel-
ben Zeit, und verlauft bis
zum Schluss der ersten Stunde
gleichmaBig langsam auf warts
"Wahrend der ganzen 2. Schlaf- Stwtdm (T
stunde erfolgt nun kein wei-
teres Ansteigen; voriibergehend tritt sogar eine Neigung zum Sinken
hervor. Erst gegen Mitte der 3. Stunde erhebt sich die Curve ziem-
Uch plotzhch bis zu ihrem Hohepunkte, von welchem sie sehr lang-
sam wieder herabgeht, um nach Ausfiihrung mehrerer, verhaltniss-
maBig groBer Schwankungen bis an das Ende auf einem viel hoheren
Stande zu verlaufen, als sammtliche vorhergehenden Curven.
Diese 4 Curven lassen sich in eineReihe einordnen, deren eines
Ende L. D. und M. I darstellen, deren anderes B. I bildet, wahrend
H. D. I durch die langsame Erhebung und Senkung, durch die Ab-
nahme der absoluten Tiefe des Schlafes sowie durch die durchschnitt-
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104
Edaard Micbelson.
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liche Hohenlage der Curve nacfa langerer Schlaf dau^ sich melir B. I
nahert.
Aus dem Vergleiche konnen wir mit einer gewiasen Wahrschein-
lichkeit folgende allgemeine Beziehungen ableiten: Je rasdier das Ein-
sdilafen vor sich geht, um so
F»g- 4- groBer ist die Tiefe des Schlar-
fes, um 80 schneller nimmt
diese wieder ab, desto niedri-
ger liegen die SchwankungeiL
Diese Elrfahrungen sind in der
Haiq>t8ache eine BestStigung
der eingangs erwahnten Kohl-
schtitter'schen Ergebnisse.
Die veriialtnifism^ig groBen
Schwankungen in H. D. I und
B. I erwecken fast den Ge-
danken, als ob die Schlafer
durch die nachtraglidien er-
heblichen Vertiefungen dee
Schlafes das nadiholen wollen,
was ihnen M. I und L. D. ge*
geniiber wahrend der ersten
Sianden an Schlaftiefe verlo-
ren gegangen ist.
Die G-riinde fUr diesen
verschiedenen Veriauf der Cur-
T^i sind wahrscheiniicb nicht
zufHUige, wogegen schon der
Umstand spricht, dass jede einzelne Curve aus den Beobachtungen
vieler Nttchte gewonnen worden ist; sie mlissen vieknehr mit dem
Gesammtzustande der betreffenden Personen, mit deren eigenartiger
Veranlagung in irgendwelcher Beziehung stehen. Ein Hinweis auf
eine solche Deutung liegt auch darin, dass bei BL D. und B. unter
verd^nderten Bedingungen und zu anderen Zeiten das allgemeine
Verhalten ihrer Curven ann&hemd sich doch wiederfindet, ein Punkt,
auf welchen in der Folge nMher eingegangen werden soU.
Wenn wir die Gegensatze der vier Curven ins Auge fassen, so
<5!
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Stanimo
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/u^*^ '■
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Uutersachuiig€ii Ober die Tief« des Seblafes. 105
ergeben sich /wei Mo^chkeiten des Verlaufes dev Sdilaftiefe. Auf
d«r emen Seite finden wir schnelle Zu- und Abnahme dec Schkftiefe,
welche gegen Morgen bin ganz geiing wird, auf der anderen kngsame
Zu- und Abnahme bei sehr herabgesetzter Schlaftiefe, welche aber
dafUr bis znm Ende ^Ber blabt, als im vorigen Falle. Diese Gtegen*
satze erinnem unmittelbar an Typen, die uns im taglichen Leben be-
gegnai. Verfolgen wir die Vertheilung der psychischen Leistungs-
fahigkdt auf die verschiedenen Tageszeiten bei verschieden^x Menschen,
so ergiebt sich, dass Personen, welche morgens am leistungsfahigsten
sind, solche gegenuberstehen, deren Disposition zu psychischen
Leistungen abends eine besonders gute ist Zwischen diesen beiden
Typen finden offenbar zahkeicbe Uebergange statt Die psycMscbe
Leistungsfafaigkeit scheint also mit dem Wechsel der Tageszeiten ge-
wissen regelmaBigen Schwankungen unterworfen zu sein, welche sich
bei versdiiedenen Personen verschieden verhalten. Kraepelin*) fUhrt
dieses V^halten nor zum Theii auf Erziehung und Grewohnung zu-
rfi^ sieht vielmehr darin vorzugsweise den Ausdruck emer Anlage.
Es liegt nahe, diese Typen mit unser^i Ourven in Yerbindung
zu bringen, und in der That erweist sich diese Vermuthung fiir den
vorliegenden Fall als zutreffehd. Erkundigen wir uns nach den
EigenlMmlichkeiten der einzdnen Versuchspersonen, so erf ahren wir,
dass L. D. eine ausgepragte Morgendisposition zdgt Er steht friih
auf, ist morgens und tagsiiber ohne Nachmittagsschlaf sehr leistungs-
fahig, wird aber abends friihe miide, zu geistigen Anstrengungen sehr
schlecht aufgelegt und legt sich zeitig zu Bette.
M. besafi urspriinglich eine Shnliche Disposition wie L. D. Zur
Zeit der Yersuche war er bereits seit drei Jahren als Anstaltsarzt
thatig, was eine Aenderung in dem Sinne bewiikt hatte, dass er jetzt
nicht nur morgens und Tormittags, sondem nach einem gewohnheits-
maBigen Nachmittagsschlafe anch spat abends, alla^dings erst nach
Ueberwindung eines kurzdauemden Miidigkeitsgefuhls zwischen 10
und 1 1 Uhr, ohne Schwierigkeit geistig arbeiten kann. Kurz vor An-
stellung der Yersuche hatte er einen mehrwochentlichen TJrlaub ge-
nossen, war wahrend der Sommerferien in der Anstalt nicht so sehr
in Anspruch genommen, sodass in der Schlafcurve seine urspriingliche
1) A. Oehrn, Diese Arbeiten, I, S. 149.
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106 Eduard Miehelson.
Beanlagung sich wieder mehr Geltung verschafft Ijaben diirfte.
Vielleicht sind die geringere Tiefe iind der etwas langsamere Abfall
gegenliber L. D. auf diese Unterschiede in der beiderseitigen Disposi-
tion zuriickzufuhren.
H. D. zeigte bei Anstrengungen stets eine leichte Ermiidbarkeit,
war morgens nach dem Auf stehen zu starkerer geistiger Anstrengung
wenig gut aufgelegt, wurde abends trotz eines meistens abgehaltenen
Nachmittagsschlafes friih mude und war durch langeren Anstaltsdienst
ziemUch angegriffen.
B. stellt in seiner Tagesdisposition den ausgesprochensten Gegen-
satz von L. D. dar. Greistige Arbeit geht ihm spat abends am leich-
testen von statten; er setzt sie gem bis in die Nacht hinein fort,
legt sich spat zu Bette und steht spat auf. Zur Zeit dieser Versuche
war er morgens wenig erquickt, hatte viehnehr mit einer gewissen
Schlaffheit zu kampfen, die sich erst im Laufe des Tages, zumal
nach dem Mittagsschlafe, verier. Letzteres Verhalten ist zum Theil
wohl auf Eechnung der damals bei B. bis zu einem gewissen Grade
durch auBere Umstande hervorgerufenen Neurasthenic zu setzen,
welche sich u. a. in leichter Erregbarkeit, in haufigen Migraneanfallen,
in vielem und lebliaftem Traumen auBerte.
Halten wir diesen verschiedenen Dispositionen die Schlaf curven
gegenliber, so springt es in die Augen, wie die hohen, steilen Curven
den riistigen, frischen Personen mit der Morgendisposition angehoren,
die flachen Curven den in ihrer Leistungsfahigkeit eingeschrankten oder
zur Abenddisposition hinneigenden. Kraepelin's^) Ansicht, dass die
mit einer guten Morgendisposition begabten Menschen den gesunderen
Typus repriisentiren, wahrend die eine bessere Abenddisposition auf-
weisenden Menschen im allgemeinen eine groBere Zahl von nervos und
psychopathisch pradisponirten Personen enthalten, gewinnt somit aus
dem Vergleiche unserer Curven eine weitere Stiitze.
Andererseits stehen die von Heerwagen^) auf statistischem
Wege gewonnenen Erf ahrungen tiber das Verhaltniss zwischen Schlaf-
tiefe und Haufigkeit sowie Lebhaftigkeit der Traume mit meinen
1; 8. Oehrn^ a. a. 0.
2) F. Heerwagen, Statistische Untersuchungen aber Tr&ume und Schlaf.
Wundt's PhUos. Stud. Bd. V, S. 301.
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UutersQchangen fiber die Tiefe des Schlafes. 107
Curven in gutem Einklange. Er fand, dass der Sclilaf um so leiser
wird, je haufiger die Traume auftreten. Die Nachfrage nach der
fiaufigkeit der Traume bei meinen Versuchspersonen ergab nun, dass
B., wie angefuhrt, sehr haufig und, entsprechend Heerwagen's Er-
gebnissen, lebhaft traumte, H. D. und L. D. dagegen ziemlich selten,
M. endlich auBerst selten iiber Traume berichten konnte. Auch
einige weitere Erfahrungen Heerwagen's, dass die viel traumenden
oder leise schlafenden Personen morgens noch miide sind, ein viel
groBeres Schlafbediirfniss haben, eine groBere Nervositat aufweisen,
als die wenig traumenden oder fest schlafenden Menschen, welche
morgens und vormittags geistig gut aufgelegt sind, finden in den
vorliegenden Curven ihre Bestatigung. Man sieht also, dass man
aus der ScMafcurve unmittelbar gewisse Auf scMUsse iiber die nervose
Yeranlagung des Menschen erhalten kann.
Durch diese Ergebnisse wird man weiter daran erinnert, dass es
verschiedene Formen der pathologischen Schlafstorung giebt Wahrend
manche Ejranke durchaus nicht einschlafen konnen, erst gegen Morgen
in tieferen Schlaf verfallen, klagen andere, dass sie zwar rasch ein-
schlafen, jedoch sehr bald wieder aufwachen und dann entweder
gar nicht oder nur sehr schwer in Schlaf versinken. Die erstere
Form der Schlafstorung ist offenbar die schwerere und findet sich
am ausgepragtesten bei Melancholikem und Neurasthenikem, deren
nervose Erregbarkeit derart erhoht ist, dass sie sich abends nicht
rasch genug ausgleichen und die zimi Einsdilafen vermuthlich noth-
wendige Anamie der Gehimrinde zu stande kommen lassen kann.
Daraus erklart sich auch die Miidigkeit und Depression solcher
Kranken, welche wahrend der Vormittagsstunden regelmaBig in be-
sonders hohem Grade sich geltend zu machen pflegt. Die letztere
Form hingegen nahert sich mehr dem gesunden Verhalten ; nur kommt
eben der letzte Theil der Schlafcurve in TVegfall. Sie scheint die
kennzeichnende Form des Greisenschlafes darzustellen, bei dem wir
ja fruh abends Ermiidung und gleichzeitig Wachwerden in den ersten
Morgenstunden antreffen.
In sehr ausgepragter Weise finden sich diese beiden verschiedenen
Schlaftypen bisweilen bei jenen Kranken neben einander, welche an
circularem Irresein leiden. Wahrend der depressiven Periode schlafen
die Patienten abends sehr langsam ein, traumen viel, erwachen mor-
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108 Eioard MickelsoD.
gens spat mit wiistem Kopf und sind den ganzen Tag hindurch mehr
Oder weniger mUde und abgespannt. Sobald dagegen der Umschlag
in die Erregung sich vollzieht, pflegen dieselben Kranken sehr rasch
und tief einzuschlafen; die Traume horen auf, aber die Patienten
erwacben schon sehr bald nach Mittemacht, um nunmehr ihr rastlos
geschaftiges Treiben in hohem subjectivem Wohlgefiihl zu beginnen.
Nicht selten sdiieben sich allerdings hier auch tagsUber kurzdauemde
Schlafzeiten ein.
FUr die Behandlung dieser Schlafstorungen und somit unter
Umstanden auch dort, wo sie sich erst durch das Studium der Curve
auf decken lassen, kann man hieraus gewisse Anhaltspunkte gewinnen.
Hier sei nur darauf hingedeutet, dass z. B. von den gebrauchlichen
Schlafmittebi das, wie wir spater sehen w^:den, schnell wiricende
Paraldehyd filr erstere Form sich vorzugsweifite eignen wiirde, wahrend
das eine langere Wirkung entfaltende Sulfonal fur die letztere Form
angezeigt erscheinen mochte.
lY. Einflufs Xnfserer Bedmgun^n.
Die auf der personlichen Yeranlagung beruhende Gestaltung der
Schlafcurve erleidet unter dem Einflusse auBerer Yerhaltnisse mannig-
fache Vermiderungen. Zur Darstellung solcher Beziehungen dienen
die Curve M. 11 (Fig. 1), M. nia und b (Fig. 5, S. 110), H. D. H
(Fig. 3), B. n /Fig. 4] , deren grundlegende Zahlen in nachfolgender
Tabelle zusammengestellt sind.
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o.
UntenoebuDgen fiber die Tiefe des Seblafes.
Tabelle 11.
Oberwerthe. U. = Unterwerthe. M. = Mttelwerthe.
109
M.n
M. Ilia !l M. Illb
H. D n
B. H
Zeitoach
demEin-
tehlafen 1
o.
u.
M.
0. U.
M. 0.
1
U.
M.
0.
U.
M.
0. U.
M.
15 m.
\(m
2970
2500
2735
8750
1000
1000
1000
30 m- |4000
45m.l
200^
3000
19000
12000
2000
5250
2625
3938
M0»
14000
12250
13125
8000
5250
Ih. |5000
40«0
4d00
7920
14000
8750
lh.l5m. 2000
2000
2000
7000
17500
12250
lh.30m.
5940
20000
lh.45m.|
2000
p75
3960
4168
16000
2h.
4375
3113
3744
10500
18000
16000
17000
17500
15750
16626
2h. 15m.
2970
3500
5250
21i. 30 m.
2h.45m.
2970
booo
5250
4375
4813
7000
8000
3h.
1
3960
7000
14000
10500
12250
3h.l5m.
4950
8000
18000
»h.30m.
20000
3h.45m.
8750
4h.
10000
8000
4h. 15m.
4h.30m.|
4h.45m.
8000
5h.
7000
wilvrr
5000
5250
5h. 15m.
5h.30m.
5h.45m.
6lL
3500
6L15m.
10000
7000
5250
6125
6L 30m.
12000
6L45in.
4000
Th.
4000
leoo
2500
'
7h. 15in. ,
Th.30m.
2000
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no
Eduard MIchelsoD.
Die Natur des Schlaf es als periodische Function erklart es, dass
erfahrungsgemaB auch im Laufe des Tages infolge von Ermiidung,
besonders nach Tisch, kiirzere Schlafzeiten sich einschieben. Es ist
daher von Interesse, den Nachmit-
F^K- ^' tagsschlaf mit in den Bereich der
Untersuchung zu ziehen. Die Zeitlage
dieser Versuche zwang mich zur An-
wendung ganz besonderer VorsichtsmaB-
regebi. Das Expeiimentirzimmer wurde
durch Verhangen der Fenster moglichst
verdunkelt; das SchlieBen derVorsatz-
fenster solltevondraiiBenherandringende
Gerausche abhalten. Anschlagzettel auf
dem Corridor und an alien in denselben
miindenden Thiiren geboten leises Ge-
hen, gerauschloses Oeffnen iind
SchlieBen der Thiiren; das Klopfen an
der Thiir der betreffenden Assistenten-
wohnung oder das Betreten derselben
war auf das strengste untersagt. End-
lich wurde ein dicht am Versuchszim-
mer voriiberfiihrender Treppengang f ur
die Zeit der Versuche vom Verkehr
ganz ausgeschlossen. Von vomherein
waren nicht allzu haufige oder starke
Stondaio f 1 1 ♦ s Storungen zu erwarten, da wahrend der
Versuchszeit, 2 — 5 Uhr nachmittags,
ohnehin das ganze Anstaltsleben in verhaltnissmaBig groBer Ruhe
dahinfloss. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen veranschaulicht
Curve M. IE (Fig. 1). Wir sehen, dass das Einschlafen anfangs rascher
als in M. I erfolgt, indem schon nach der ersten Viertelstunde die
Schlaftiefe eine groBere ist, als in der Nacht zur entsprechenden Zeit.
Die groBte Tiefe wird ebenfalls nach ^4 Stunden erreicht, von wel-
cher der Schlaf anfangs rasch, dann langsam verliert, lun zum Schlusse
eine groBere Festigkeit zu behalten, als in M. I. Die absolute Tiefe
des Nachmittagsschlafes ist etwa dreimal kleiner, als diejenige des
Nachtschlafes, und ebenso ist seine Dauer eine viel kiirzere. Sehen
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Untersuchongen fiber die Tiefe des Schlafes. Ill
wir von dem Einflusse ab, welchen die groBere Helligkeit auf die Er-
niedrigung der Nachmittagscurve gehabt haben konnte, so diirfen wir
hieraus f olgem, dass das Erholungsbediirfniss nach Tisch in der Re-
gel kein sehr groBesist, mithin ein kurzer, leiser Schlaf, in den man
aber rasch verfallt, demselben Geniige leistet. Inwieweit bei dem
raschen Einschlafen am Nachmittage Autosuggestionen eine RoUe
spielen, ist schwer zu entscheiden. Es ware denkbar, dass der Nach-
mittagsschlafer in dem Bewusstsein, nur liber wenige Zeit zur Er-
holung verfiigen zu konnen, deshalb unwiUkiirlich bestrebt ist, diese
Kiirze der Dauer durcb moglichst schnelles Versinken in einen tieferen
Schlaf auszugleichen.
Einen viel starkeren Einfluss auBert dieJahreszeit. Die dunk-
leren Nachte begiinstigen offenbar mehr das Zustandekommen eines
ruhigen und tiefen Schlafes, als die helleren. Die den Curven H. D.
n und B. n gemeinsame Hohenzunahme gegeniiber H. D. I und
B. I lasst sich ungezwungen auf diesen Umstand zuriickfUhren,
indem ersteres Curvenpaar aus dem Spatherbst bezw. Winter, letzteres
aus dem Priihling bezw. Spatsommer stammt. Das sonst abweichende
Verhalten der Il-Curven beruht auf Ursachen, die spater erortert
werden sollen. Ein derartiger Einfluss der Jahreszeit muss natiirlich
infolge Aenderung der nachtlichen Schlaftiefe auf die Ermiidbarkeit
am Tage zuriickwirken und demnach auch den Tagesschlaf umge-
stalten.
Dieses Verhaltniss ergiebt sich deutlich aus der Betrachtung der
Curven M. m a und b (Fig. 5), welche den durch ein Hypnoticum
herbeigefiihrten Nachmittagsschlaf darstellen. Genommen wurde das
Paraldehyd, zu den Vorversuchen in einer Gabe von 3 g, spater
von 5 g. Eine Gewohnung an das Mittel wurde durch Einschieben
von mehrtagigen Pausen zwischen die einzelnen Versuche moglichst
vermieden. AuBerdem verbot eine durch das Medicament bedingte
ziemlich starke Magenbelastigung und Storung des Allgemeinbefindens
die haufige Einverleibung desselben. Beide Curven haben im Ver-
gleich mit M. 11 bedeutend an Hohe zugenommen, steigen zugleich
viel steiler an, als alle anderen Curven, und zwar schon in der ersten
Viertelstunde. In beiden Curven zeigt auch der Nachmittagsschlaf
bei seiner kiinstlichen Verlangerung die Neigung, nach der ersten
Abnahme seiner Tiefe diese wieder zu vergroBem; es treten auch
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Iti Edaard Miehetson.
bier wieder die friiher besprochenen Schwankmigen der Schlaftiefe,
wenn auch nor in ihrem B^nn angedeutet^ mit merkwitrdiger E^el-
maBigkeit heiror^ ein weiterer Beweis daf&r, dass sie inir in inneren
Yerhaltnissen ihre Begrlindong haben komien.
Das Paraldehjd erzeugt mithin einen Schlaf, der dem narm^en
sehr nahe zn kommen scheint, diesen nor an Tkfe Ubertriffty ein
Umstand, welcher fiir die tberapeutische Yerwendnng dieses ScUaf-
mittels einen Fingerzeig giebt. Beriicksichtigen wir, dass unter Paral-
ddnjd der Scfalaf bereits innerbalb der ersten Viertelstimde eine be-
deuteode Tiefe erhalt, so wird dieses Mittel in Fallen von SeUaf-
losigkeity in denen das spat und schwer eintretende Einschlafen die
Hauptstfirung bildet, in hobem MaBe geeignet sein^ diese zu beseitigen.
Wahrend die Untersdiiede in der Form der Corven vielleicht
nor auf der zn geringen Anzabl an Beobachttingen ftir b bemhen^
muss fiir den bedentenden Unterschied in der Hohe, welebe in b
sogar M. I erreicht, eiiie andere Erklanmg gesncht werden. Pieae
ergiebt sidi aus dem Uisstande, dass die Beobacfatmngen fur a im
Monat Marz, fiir b im Monat Juni stattfanden. £s li^ daher
am nachsten^ den Unterschied folgendermaBen aufzofassen. Der
Nacfatscfalaf ist, wi6 wir vorbin sahen, in hellen Nacbten ein letserer,
zumal bei den hiesigen klimatiscfaen Yerbaltnissen^ welche es er-
schweren^ in ^r Nacht tiefe Dimkelheit im Schlafzimmer herznstellen.
Der hierdurch bedingte Ausfall an nachtlicher Erholung musa daher
durch tieferen Scfalaf am Tage, wo die Unterscfaiede in der Hellig-
keit keine so erheblichen sind, eingefaoH werden. Das umgekdnrte
Yerlmltmss steUt sick wabrend der dunkleren Jahreszeit ber. Zn
meinem Bedauem li^ien ans der entsprechenden Zeit keine Nacht-
schlafcnnren vor. Dieselben wnrden aller Wahrseheinlichkeit nacb
darthun, wie zu verscbiedener Jahreszeit Nadit- und Tagscblaf sieh
gegenseitig ansgleicben. Die Anstellung ron Yersucben iiber diesen
Punkt wurde dnrch mein damaliges Experimentiren an H. D.
verkindcrt.
Weitere medicamentose Einfliisse konnten nicht gepriift werden.
Jedocb liegen aus der langen fieihe der Yersuche in den Protokollen
einige Angaben vor^ welche einen Ruckschluss auf die Wirkung des
A Ik oho Is erlauben. Danach erseheint es^ als ob nach mafiigeiit
Alkoholgenuss der Schlaf anfangs leiser, als unter normalen Yerhalt-
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UntersnchungeD dber die Tiefe des Schlafes. 1 IS
nissen, irnd haufig durch Traume beunruhigt ist, wahrend in spateren
Stunden, wo sonst die Schwankungen bei verhaltnissmaBig geringer
Tiefe statthaben, sich eine langer dauerade, bedeutende Zunahme der
Festigkeit auBert.
Piesbergen stellte ahnliche Untersuchungen an Monninghoff
an. Es fand sich, dass nach maBigem Alkoholgenuss iind gleich-
zeitiger Korperanstrengnng die relative Festigkeit des Schlafes geringer
war, als unter normalen Verhaltnissen. Monninghoff hot aber in
seiner Normalcurve schon groBe Abweichungen dar, war fiir diese
Versuche auBerdem durch korperliche Anstrengung ermiidet, sodass
diese Ergebnisse nur sehr bedingt mit den meinigen vergleichbar sind.
Bei starkerer Alkoholzufuhr ohne Korperanstrengnng war der Schlaf
von Monninghoff anfangs zwar bedeutend fester, aber auch viel
unruhiger und die ganze Dauer desselben langer, als in der Norm.
Die Schwankungen waren bei diesen Versuchen ganz auBerordentliche.
Kohlschutter fand bei leichterer Alkoholvergiftung eine betracht-
liche Herabsetzung der Tiefe gegen den gesunden Schlaf sowie zeitiges
und haufigeres Erwachen und Wiedereinschlafen.
Aus meinen ProtokoUen geht weiter hervor, dass nach warmen
Badem, nach ungewohnter starkerer Korperanstrengnng, wie Rudem,
Radfahren, der Schlaf in den spateren Stunden groBere Weckreize
erfordert, als wenn diese Ursachen nicht eingewirkt hatten.
Die personliche Disposition muss naturgemaB unter dem langer
dauemden Einflusse auBerer Bedingungen zeitweilig eine Veranderung
erfahren, von welcher zu erwarten ist, dass sie sich auch in der
Schlafcurve widerspiegele. Diese Beziehungen erlautern Curve H. D.
II und B. n im Vergleich mit H. D. I und B. I, wie mir scheint,
aufs deutlichste.
Beiden Il-Curven geraeinsam ist die bedeutende Zunahme der
Hohe. H. D. IT erreicht seinen erst auf 3V2 Stunden fallenden.
Gipfel in anfangs langsamera, dann rascherem, dann wieder langsamem
Anstiege, wahrend B. 11 in gleichmaBig langsamer Weise sich bis
zu der am Schlusse der zweiten Stunde befindlichen Hohe erhebt.
Der Abfall erfolgt in beiden Curven ziemlich steil, in B. 11 besonders
jah, worauf langgezogene groBe Schwankungen eintreten, an deren
Schluss die Curve noch immer ziemlich hoch verlauft. Entsprechend
Kraepelin, Psychol. Arbeiien. I L 8
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114 Eduard Micbetson.
der VergroBerung der Tiefe finden wir auch eine Verlangerung der
Schlafdauer gegeniiber den I-Curven.
Indem in H. D. 11 der Gipfel IV4 Stunden spater fallt als in
H. D. I, in B. n dagegen V2 Stunde friiher als in B. I, ttberkreuzen
sich die Il-Curven, was dazu fuhrt, dass H. D. 11 sich B. I, B. 11
umgekehrt H. D. I nahert. Eine einigermaBen zureichende Erkliirung
fiir diese tiberraschende Thatsache lieBe sich vielleicht darin finden,
dass wir annehmen, gewisse Umstande haben beide Curven in ent-
gegengesetztem Sinne beeinflnsst. Als solche Einfliisse lassen sich
beim Ueberblicken aller einschlagigen Verhaltnisse nur die zeitweilig
geiinderten Dispositionen der Versuchspersonen herausfinden. Die
Versuche an H. D. fielen namlich in eine Zeit, wo er infolge seines
kurz bevorstehenden Abganges von hiesiger Klinik durch Erledigung
einer Reihe von wissenschaftlichen und Anstaltsarbeiten sich mehr als
gewohnhch geistig anstrengen musste. B. dagegen hatte wahrend der
Sommerferien und durch eine sich anschlieBende Gebirgsreise seine
neurasthenischen Beschwerden vollig verloren und erfreute sich in
vollem MaBe korporlicher wie geistiger Frische. Walirend H. I), so-
mit durch die Erregung und Ermiidung sich dem neurasthenischen
Schlafe (B. I) zu niihem scheint, macht es den Eindruck, als ob B.
nach einer bedeutenden Kriiftigung seines Nervensystems sich aus
seiner zura Pathologischen hinneigenden Curve I zu einer mehr der
Norm verwandten (H. I). I) erhoben hat.
Dass die in beiden Curven sich zeigende Vertiefung dos Schlafes
mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen gemeinsaraen Einfluss, die
dunkle .lahreszeit, sich zuriickfUhren liLsst, wurde bereits auseinander-
gesetzt. Der Einwurf, welcher hier geraacht werden kimnto, dass die
Hohenzunahme der Tl-Curven etwa auf einer (ilewohnung an die
Schallreize beruhe, ist hinfiillig. Denn erstens waren zwischen der Auf-
nahme von B. I und B. II etwa P/4 Jahre verflossen, zwischen der
von H. D. I und H. D. II ungefahr 1 V4 Jahre. Zweitens waren bei
meiner Versuchsanordnung gegen das Ende der Versuchsreihe niemals
zu bestimmten Zeiten sturkere Weckreize erforderhch als im Anfang
derselben. Nur bei H. D., der als erste Versuchsperson diente, traten
in den ersten Versuchsnachtt*n auffallend kleine Weckreize auf, fiir
welche ich seine Voreingenommenheit, die Erwartung, verantwortlich
machen miichte. Sobald er seine Fnbcfangenheit gegeniiber den Ver-
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Untersuchungen fiber die Tiefe des Schlafes. j 1 5
suchen erlangt hatte, war in den Weckreizen bis an das Ende der
Versuche durchaus eine fast gesetzmaBige GleichmaBigkeit vorhanden.
Wir erhalten somit moglicher Weise aus diesen CuiTen Aufschliisse
liber die Veranderungen der Schlaftiefe bei verschiedener Disposition.
Diese lasst jedoch auch in den durch sie beeinflussten Curven noch
immer die in der Veranlagung begriindete Eigenart mehr oder weniger
deutlich wiedererkennen.
Die Curve B. 11 hat noch in anderer Richtung unser Interesse
in Anspruch zu nehmen. Nachdem ich durch meine Ergebnisse die-
jenigen meiner Vorganger im groBen und ganzen hatte bestatigen
konnen, was die allgemeine Form der Curve anbetrifft, mithin bei
iliren Untersuchungen die Anwesenheit des Beobachters im Versuchs-
zimmer keine zu groBen Fehler ergeben liatte, schien es erwiinscht,
behufs schnellerer Gewinnung von Schlafcurven auf das frlihere Ver-
fahren zuriickzugreifen. Ich stellte daher die in Curve B. IT ver-
wertheten Versuche in folgender Weise an.
Vor alien Dingen blieb B. voUig ununtemchtet dariiber, dass die
Versuche jetzt in anderer Weise vorgenommen werden wurden. Er
zeigte also wie friiher durch Glockensignale an, wann er sich zum
Einschlafen anschickte, und ebenso, dass er geweckt worden war.
Das Versuchszimmer wurde fast volUg verdunkelt, indem mittels
Schirmvorrichtungen nur ein ganz schwaches Licht auf den Apparat
fiel. Erst nachdem ich annehmen konnte, dass B. eingeschlafen sei,
schlich ich, nur in Socken gehend, in das Zimmer hinein und an den
Apparat heran, durch dessen vorher in bestimmter Hohe eingestelltes
Fallloch ich die beliebig mir zur Verfugung stehenden Kugeln aus den
Fingem frei herabfallen lieB. Dies that ich, falls nothig, alle 5 Minuten
zu immer schwereren Kugeln f ortschreitend, bis das Erwachen durch das
Glockenzeichen vom Schlafer angekiindigt wurde, worauf ich B. 1 — 2
Stunden lang ruhig schlafen lieB. Mein Kommen und Weggehen
bald nach dem Erwecken horte B. nur ein einziges Mai, in der ersten
Nacht, wo ich einen Schritt etwas schliirfend gethan hatte, ein Be-
weis, wie gering die Storungen sein konnen, wenn der Untersucher
die nothige Vorsicht anwendet.
Es gelang mir auf diesem Wege, in 4 durch je eine freie Nacht
getrennten Versuchsnachten geniigend Werthe zu finden, um Curve
B. n festlegen zu konnen. Letztere beweist also, dass unter Beobach-
8*
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116 Edaard Hicbebon.
tung gewisser VorsichtsmaBregeln ein derartiges beschleunigtes Ver-
fahren voUkommen brauchbar ist. Im Hinblick auf diese Erfahrung
erscheint es in Zukunft moglich, auBerordentlich viel schneller die
personliche Schlafcurve festzustellen. Weiterhin verspricht dieses
Verfahren die Durchfiihrung eines wirklichen Stadiums der Schlaf-
storungen sowie der Wirkungen der verschiedenartigen Schlafmittel
zu ermoglichen und damit zuverlassige Anzeigen ftir die Anwendung
der letzteren aufzufinden.
Bei diesem Untersuchungsverfahren hatte ich Grelegenheit , das
Benehmen des Schlafers bei Einwirkung der Schalkeize bezw. beim
Erwecktwerden, allerdings nur mit meinem Gehorsinne, zu beobachten.
Schallreize, welche noch lange kein Erwachen herbeifiihrten, riefen
bereits Aenderungen des Athmungstypus, mehr oder weniger starke
Bewegungen des Schlafers hervor. Aus diesen Reizwirkungen SchlUsse
auf das Erwachen zu Ziehen, wie Kohlschiitter es that, wenn auch
mittelst verwickelter mathematischer Ansatze, erscheint mir gewagt
Bestatigen kann ich aber die von Kohlschiitter mehrfach erwahnte
und auch hier fruher hervorgehobene Thatsache, dass der "Weck-
schwelle sehr nahe gelegene, starke unbewusste Reactionen hervor-
rufende Seize eine unmittelbare Vertiefung des Schlafes nach sich
Ziehen, sodass ein bald darauf folgender viel starkerer Reiz, der vor-
her zum Erwecken hingereicht hatte, nicht geniigend ist, um die ge-
ringste Bewegung des Schlafenden oder Aenderung seines Athmungs-
typus zu bewirken.
Wurde B. wirklich durch den Schall geweckt, so schien er sich
meistens etwas zu bedenken, in welcher Weise er zu klingeln habe.
Dabei machte sich sein Aerger iiber die unangenehme Storung,
namenthch wenn sie sich in derselben Nacht wiederholte, in einzelnen
Lauten oder kurzen, abgebrochenen Siitzen Luft. Nach gegebenem
Klingelzeichen schlief B. sofort wieder ein, was an den regelmaBigen,
tiefen und langsamen Athemzugen zu erkennen war, soweit sich das
Einschlafen daraus uberhaupt beurtheilen lasst. Morgens Uber die
vorhergehende Nacht befragt, hatte B. entweder gar keine oder nur
eine sehr verwaschene Erinnerung an das, was vorgefallen. Dasselbe
war in hoherem MaBe bei den friiheren Versuchen der Fall gewesen.
H. D. und L. D. batten schon eine deutUchere Erinnerung, wiihrend
M. fast iiber jede Nacht riclitige Rechenscliaft ablogen, ja sogar den
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Untersnebiiiigen fiber die Tiefe des Scblafes. 1 1 7
Zeitpunkt, wann er geweckt worden war, ziemlich genau angeben
konnte. Auch in dieser Beziehung ist mithin der Parallelismus mit
den Curven gewahrt, indem M. und B. die auBersten Gregensiitze,
H. D. und L. D. den Uebergang bilden. Immerhin kamen bei mir
einige Weckreize vor, bei denen ich mich nicht erinnerte, weshalb icb
gerade in der geschehenen Weise, namentlich falsch reagirt, insbe-
sondere mein Wachsein vor der Einwirkung des Weckreizes angezeigt
hatte, wahrend ich in der That erst durch den betreffenden Schall
geweckt worden war. Diese Weckreize dtirfen als sehr nahe an der
Weckschwelle befindlich angesehen werden. Sie waren nur hinreichend,
nm den Schlafer bis zu dem Grade der Bewusstseinshelligkeit zu er-
heben, dass er das Klingeln liberhaupt ausfiihren konnte, aber nicht
in iiberlegter und der Verabredung entsprechender Weise. Vielleicht
diirfen solche ReizgroBen als unmittelbar gewonnene Weckschwellen-
werthe angesehen werden.
Es kann nicht Wunder nehmen, dass, wo erst noch das Verfahren
ausgebildet werden musste, die Ergebnisse keine weitreichenden sind.
Allein die Ueberzeugung wird man gewinnen, daB auf diesem Wege
der Physiologie und Pathologic des Schlafes neue Seiten abgewonnen
werden konnen, und dass es gelungen ist, die experimentelle Methode
in ein Gebiet einzufiihren, welches weder der subjectiven Schatzung
noch auch sonst irgend einer andersartigen objectiven Betrachtungs-
weise zuganglich erscheint.
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Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels auf fortlaufende
geistige Arbeit.
Von
Wilhelm Weygandt.
In friiheren psychologischen Arbeiten war eine Reihe von Unter-
suchungen der Erforscliung der Verhaltnisse einfacher, fortlaufender
geistiger Arbeiten gewidmet. Die Veranderung derselben durch korper-
liehe Anstrengung, durch Arzneimittel, durch kleinere oder groBere
Pausen wurde zum Gegenstand besonderer Experimente gemacht.
Uebungszuwachs, -verlust und -festigkeit, Ermlidung und MUdigkeit,
Anregung und Antrieb wurden dadurch naher bekannt und charak-
terisirt. Durch diese Vorarbeiten sind wir in den Stand gesetzt,
nunmehr auch der wichtigen Frage naher zu treten, wie denn ver-
schiedene Arten fortlaufender geistiger Arbeit auf oinander einwirken.
Wird die Leistungsfahigkeit auf irgend einera Gebiete durch das
Einschieben einer andersartigen Thatigkeit gegeniiber dera einfachen
Fortarbeiten gesteigert oder herabgesetztV Wirkt der Wechsel
giinstig oder ungUnstig?
Sollte diese Frage kurzweg nach der popularen Auffassung be-
antwortet werden, so ware die Entscheidung nicht zweifelliaft. Wohl
allgemein huldigt man der Ansicht, dass die Abwechslung von segens-
reichem Einfluss sei, ja dass ohne sie das Leben uberhaupt unmoglich
ware. Freihch wenn man in diese Anschauung tiefer einzudringen
sucht, so ergiebt sich, dass sie unter Wechsel vorzugsweise jene groBen
Gregensatze versteht im Sinne des biblischen Wortes: »Solange die
Erde stehet, soil nicht aufhoren Same und Emte, Frost und Hitze,
Sommer und Winter, Tag und Nacht*, die ja thatsachlich in
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Ueber den Ginduss des Arbeitswechsds auf fortlaufende geistige Arbeit. 119
gewissem Sinne fiir das Leben der Natur und des Menschen Existenz-
bedingungen bedeuten.
Anders liegt die Sache, wenn man die Frage dahin pracisirt, ob
eine bestimmte Arbeitszeit erfolgreicher verwandt wird auf eine einzige
Art der Thatigkeit, oder ob die Leistung dnrch angemessene Ab-
wechslung erhoht wird. Auch hier liegt wohl den meisten das Ja
naher als das Nein. Wie eintonig und langweilig erscheint es, stunden-
lang dieselbe Arbeit zu leisten, wie erfrischend wirkt dagegen die
Abwechslung! Gewiss, einen Stimmungswerth des Wechsels, einen
giinstigen Einfluss gegeniiber der Empfindung der Langweile konnen
wir nicht leugnen. Nun haben wir aber in friiheren psychologischen
Untersucbungen zu unterscheiden gelemt zwiscben Mudigkeit und Er-
miidung. Jene erstere verkniipft sich mit dem Gefuhle der Lang-
wefle; sie hat aber keinen oder nur geringen Einfluss auf die Hohe
der Leistung, die viehnehr wesentlich abhangt einerseits von der
Debung, andererseits von der Ermiidung des Arbeitenden. Unsere
Frage spitzt sich also daraufhin zu: Kann die Unterbrechung einer
Arbeit durch eine andere einen Theil der Ermiidung aufheben? Auch
diese Pragestellung wird von mancher Seite riickhaltlos bejaht. Zu
den entschiedensten Vertretem dieser Anschauung gehoren die Schul-
manner, welche in der Abwechslung verschiedener Arbeiten mit ein-
ander geradezu eine Panacee gegen die durch den heutigen viel-
stiindigen Schulunterricht bedingte geistige Anstrengung und Ermu-
dung erblicken. XJm von vielen Stimmen nur eine wiederzugeben,
erwahnen wir die Schrift des Gymnasialdirectors Dr. Gustav Rich-
ter, »XJnterricht und geistige Ermiidung*, Halle 1895, die ihre Er-
orterungen Uber die erfrischende Wirkung guten Schulunterrichts
dahin resiimirt : »Im Wechsel liegt die Erholung* (Seite 16). Diese
Auffassung steht nun zu mancherlei praktischen Erfahrungen iiber,
die stark ermiidende Wirkung des heutigen Unterrichts hoherer Schu-
len in einem nicht hinweg zu disputirenden Gegensatz. Aber auch
von streng wissenschaftlichem Standpunkt diirfen wir, wenn wir zwi-
scben Miidigkeit und Ermiidung genau unterscheiden, ihr keineswegs
unbedingt zustimmen. Aus den bisher vorliegenden Ergebnissen psy-
chologischer Untersucbungen konnten wir von vom herein eher auf
einen ungiinstigen Einfluss des AVechsels schlieBen, da ja, abgesehen
vom Debungsverlust, entschieden die Unterbrechung der Anregung
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120 WUhelm Weygandt
(vgl. die Arbeit von Amberg in den psychologischen Arbeiten, Bd. I.)
als werthverringemd in Betracht kommen muss. Dadurch wurde die
Beseitigung der Mudigkeit zumeist wohl mehr als ausgeglichen. Wenn
es sich urn zwei gleich schwere Arbeiten handelt, mussten wir dem-
nach erwarten, dass der Erfolg eines Wechsels beider Thatigkeiten
ein geringerer sein wird, als wenn denselben Zeitraum hindurch nur
eine der beiden ausgelibt worden ware. Je schwerer die vorher gehende
Thatigkeit, urn so ungunstiger wird das Ergebniss der f olgenden aus-
fallen. Ersetzen wir dagegen den ersten Abschnitt einer schwierigen
Arbeit durch eine leichtere, so dlirften wir fur den zweiten Abschnitt
eine bessere Leistung erwarten, vorausgesetzt, dass der so erzielte
Gewinn groB genug ist, um den anfanglichen Mangel der Anregung zu
uberwiegen. Es fallt also zunachst jedenfalls auch noch die Schwierig-
keit der verschiedenen Arbeiten in die Wagschale. Wir sehen, dass
die Frage bei naherer Betrachtung immer verwickelter wird.
SoUte es uns aber doch gelingen, sicher zu stellen, dass der
Wechsel bei zwei gleich schweren Thatigkeiten wirkUch einen giinstigen
Einfluss ausUbt, so lieBe sich daraus folgem, dass wahrend der ersten
Thatigkeit sich diejenigen Theile unseres Organs fur geistige Arbeit
ausruhen und erholen konnten, welche fUr die zweite Thatigkeit in An-
spruch genommen werden, so dass sie nachher wieder um so viel Bes-
seres zu leisten im Stande sind. In diesem Falle diirften wir erwarten,
dass sich ein unterschiedUches Verhalten nach dem Gesichtspunkt her-
ausstelle, ob die zwei Arbeiten einander wesensahnlich oder verschieden
sind, ob wir uns also die Thatigkeit an die gleichen Bestandtheile
unserer Himrinde gebunden zu denken batten oder nicht. Damit
ware der Weg zimi Nachweise einer partiellen Ermiidbarkeit unseres
Denkorgans eroffnet.
Aus dieser Vielheit von Erwagungen, die uns eine Annahme im
besten Fall wahrscheinlich zu machen, nicht aber sie zu sichem ver-
mogen, kann uns nur eine exacte experimentelle Untersuchung mit
gewissenhafter Deutung der Ergebnisse zur bestimmten Klarheit
hiniiberfiihren.
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Ueber den Cinfluss des Arbeitswechsels auf fortlaufende geistige Arbeit. 121
I. Methodik.
Zum Gegenstand des Experiments wurden moglichst einfache
Arbeiten genommen, die meist schon erprobt waren und wenigstens
annahemd nach ihrem psychischen Ablauf gekennzeichnet werden
konnten. Da der reine Einfluss der Arbeit ohne kleinere Zwischen-
pausen zu untersuchen war, konnte natiirlich nur von einer Verwen-
dnng der fortlaufenden Methoden die Rede sein. Wir wahlten das
Addiren fortlaufender Reihen von einstelligen Zahlen, das Auswendig-
lemen 12-stelliger Zahlen und 12-stelliger sinnloserSilbenreihen; femer
das Suchen eines bestimmten Buchstabens in einem zusammenhangenden
Text, also eine dem Correcturlesen etwa entsprechende Thatigkeit
Weiterhin das Lesen fremdsprachlicher Texte verschiedener Art : La-
teinisch, Italienisch, Ungarisch und Hebraisch. AuBerdem kam Nieder-
schreiben bekannter Buchstabenfolgen in Anwendung, und schlieBlich
wurden in einer Anzahl von Versuchen statt der Wechselarbeit voU-
standige Pausen eingeschaltet. Fast alle Methoden sind sowohl als
Grundarbeit als auch als Wechsel- oder Einschiebearbeit benutzt wor-
den. Von diesen mannigfachen Methoden vertrat das Addiren vorzugs-
weise die associative Seite des geistigen Lebens, das Zahlen- und
Silbenlemen die Gedachtnissthatigkeit und die Lesemethoden sowie das
Buchstabensuchen besonders die Auffassung und Assimilation. Auf
eine genauere Kennzeichnung werden wir uns erst bei der Besprechung
der einzelnen Versuche einlassen.
Es wurde zunachst an einem Tage, den wir den Oontroltag nennen
wollen, nur in einer bestimmten Grundthatigkeit gearbeitet, 74 Stunden
lang. Darauf folgte der Wechseltag, an dem auf die erste halbe
Stunde der Grundthatigkeit, welche die Tagesdisposition feststellte,
ein "Wechsel erfolgte, indem sofort eine bestimmte andere Thatigkeit,
die Wechselarbeit, auf V2 Stunde eingeschoben wurde, nach deren
Ablauf wieder fiir 15 Minuten die Grundarbeit in ihre Rechte trat;
aus dem Ausschlag der letzteren war der Einfluss des Wechsels zu
ermitteln. In die Reihe der spateren Versuche wurden auch noch
Pausentage eingeschoben, bei denen auf Y2 Stunde Grundarbeit eine
halbstundige Pause und dann wieder 15 Minuten Grundarbeit folgte.
Es war eben im Laufe der Versuche die Wichtigkeit des aus den
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122 Wilhelm Weygaodt
Pausentagen zu ermittelnden reinen Uebungszuwachses erkannt worden,
den man vorher noch nicht geniigend zu schatzen gewusst hatte.
Im ganzen sind 22 Versuchsreihen gewonnen worden, die sich auf
97 Versuchstage von je ^4 Stunden Arbeitszeit vertheilen. Die groBte
Anzahl von Versuchen (15 Reihen) habe ich selbst (damals 25jahrig)
vorgenommen, in der Zeit vom November 1895 bis zum April 1896.
Im Sommer 1896 gelang es mir, verschiedene Herren zu einigen
weiteren Reihen zu gewinnen: die Herren Dr. Massaut, Arzt aus
Belgien (25 Jahre), cand. med. Manz (23), Hanel (22), Kirstein (22)
und stud. med. Bruckner (19), denen ich an dieser Stelle meinen auf-
richtigen Dank ausspreche. Im Folgenden werde ich alle 6 Versuchs-
personen nach einer anderen Reihenfolge als A, B, C, D, E und F
bezeichnen. Der Genuss von Alkohol und Excitantien war vor und
wahrend der Versuchsreihen naturlich ausgeschlossen ; ein Theil der
Herren war Uberhaupt abstinent. Ausgiebigere korperhche Bewegung
vor den Versuchen wurde vermieden. Die Disposition, die nicht
immer auf gleicher Hohe zu erhalten war, wird bei jedem einzelnen
Versuch an der Hand der Protokolle besonders abgehandelt werden.
XL Yersuehe Yon A.
a) Zahlenlemen unterbroohen duroh Addiren.
Es wurde vier Tage hintereinander, vom 12. bis 15. XI. 1895,
gearbeitet, Nachmittags 5*® bis 6^^. Als Hauptthatigkeit wurde eine
vorwiegendeGedachtnissarbeit, dasAuswendiglemen 12-stelligerZahlen,
vorgenommen; die Abwechslung trat ein am 2. und 4. Tag in der zweiten
halben Stunde durch die Addition fortlaufender Reihen einstelhger
Zahlen; alles geschah in der Weise, wie sie schon oft in den »Psy-
chologischen Arbeiten« besprochen wurde. Der Arbeitswechsel heB
sich bequem so rasch be werkstelligen , dass wohl nicht mehr als
eine Secunde Zeitverlust anzunehmen ist. Die Disposition war als
gut zu bezeichnen. Wie sich schon aus der vorgeriickten Nach-
mittagsstunde ergiebt, war die Leistungsfahigkeit keine voUstandig
frische, aber da tagUch ganz in der gleichen Weise vorher etwa 8
Stunden gearbeitet worden war, muss die Disposition als annahemd
gleichmaBig fiir die ganze Versuchsreihe bezeichnet werden.
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Ueber den Cinlluss des Arbeitswechsels aiif fortlaufeiide geistige Arbeit*
Tabelle I.
Zahlenlernen, unterbrochen*) durch Addiren.
520 _ 685 NachmittagB.
123
Viertel-
stonden
12. XI. 95
13. XL 95
14. XL 95.
15. XL 95
55
120
228
314
1.
39 197
131 360
228 680
262 864
103
119
224
288
87
180
256
304
2.
104 269
141 395
180 636
250 780
78
74
200
226
66
230
256
249
3.
94 250
229 698
228 663
245 745
90
239
179
251
110
216
197
244
4.
142 310
239 662
159 541
215 689
58
207
185
230
63
130
113
252
5.
113 238
137 408
127 415
246 672
62
141
175
174
Die kleinen Zahlen bedeuten die in jedem S-Minutenabschnitt,
die groBeren die in einer Viertelstunde auswendig gelemten Zahlen.
Dasselbe Verhaltniss herrscht in den Additionsabschnitten.
In der Versuchsreihe fallt zunachst ein hoher Einfluss der Ubung
ins Auge. Die Leistungen der ersten halben Stunden, an denen wir
die Tagesdisposition am reinsten, noch ganz wenig durch Ermiidung
beeintrachtigt, zu erkennen vermogen, schreiten von einem Tage zum
andem um 289, 561 und 328 Zahlen vor. Der groBe Sprung vom
2. zum 3. Tag ftihrt uns sogleich darauf hin, dass die Lemweise,
welche wie bei den meisten Versuchspersonen, die mit dieser Methode
arbeiten, sensorisch begann, immermehr zu einer motorischen wurde.
1) Das stark Umrandete in denTabellen bedeutet tlberall die Wechselarbeit,
aUo hier das Addiren.
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124 Wiihelm WeygandL
Von Anfang an war laut gelemt worden. Jenem wichtigen Deber-
gang entsprechend fand wahrend des Arbeitens ein Uebergang von
entschieden unangenehmen zu angenehmeren Begleitgefuhlen statt, so-
dass schlieBlich, vor allem in noch spateren Versuchsreihen, die auf
den ersten Anschein bin auBerst langweilige Arbeit mit einem gewissen
Vergniigen ausgelibt wurde. Schon am allerersten Tage kam es bier
und da vor, dass auf ein einmaliges Lesen der Reibe aucb sofort das
feblerlose Hersagen aus dem Kopf erfolgen konnte. Besonders scbwer
wurde es anfanglich empfunden, die Anregung auf der gleicben Hobe
zu erbalten. Die associative Verkntipfung der Ziffem wurde immer
leicbter, je mebr sie von dem sensoriscben Gebiet, wo anfang-
licb das Klangbild nocb unterstutzt war von der Vorstellung der
gedruckten Ziffer, iiberging aufs motoriscbe, bis zuletzt die Sprecb-
bewegung ausscblieBlicb die Lemweise beberrscbte. Aber je mebr
sieb dieser Wandel des Lemverfabrens voUzog, um so storender
wirkten die dazwiscben nocb auftretenden Vorstellungen aus anderen
Sinnesgebieten. In jenen Abscbnitten, wo die Arbeit am flottesten
von statten ging, bestand bei den ersten Versucbsreiben eine gewisse
AVillensanspannung gegen das Aufkommen storender Nebenvorstel-
lungen. Wenn aber docb einmal solcbe dazwiscben traten, war so-
fort die Tbatigkeit derart gestort, dass oft nicbt nur die betreffende
Zablenreibe mebrerer Wiederbolungen bedurfte, sondem aucb nocb
die nacbsten Reiben darunter litten. So wurden am 15. XI. im 2.
Funfminutenabscbnitt 262 Zablen unter 49 Reibenwiederbolungen
gelemt; die Wiederbolungen vertbeilen sicb auf die einzelnen 12-
stelligen Reiben in folgender Weise: 7, 1, 3, 1, 3, 1, 1, 1, 3, 3, 5,
3, 1, 1, 3f Vj 1, 1? 4, 3, 1, 1. Wenn also einmal die rascbe Lem-
weise, die nacb jeder Lesung eine Reibe sofort auswendig bersagen
lieB, gestort war, sank der Wertb der Leistung tief ; es waren nun
drei und mebr Wiederbolungen notbig, und oftmals wurde erst mebrere
Reiben spater die bocbste Lemgescbwindigkeit wieder erzielt. Es
bandelt sicb dabei tbeilweise um einen RUckfall ins sensoriscbe Lemen.
Etwas Aebnlicbes fand sicb in den nicbt gerade baufigen Fallen, wo
das Lesen oder Aufsagen einer Reibe durcb ein Punfminutensignal
unterbrocben wurde.
Am ersten und zweiten Tage wurde die Arbeit entscbieden als
scbwer und unangenebm empfunden. Allmablicb aber schwand die
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Ueber den Einfluss des Arbeitswecbsels auf fortlaufende geistige Arbeit. 125
Unlust, wahrend die Thatigkeit, zumal in Anbetracht des Mufigen
Eingreifens des Willens, immerhin noch als anstrengend bezeichnet
werden musste. Die Empfindung, ob schwer oder leicht, geht also
nicht parallel dem eigentlichen Grefuhlston. Im weiteren Verlauf der
Versucbe trat jedoch auch beim schnellsten Lemen Uebung und
Grewohnung in den Vordergrund gegeniiber der Willensanspannung;
die Anstrengung wurde immer geringer.
Dem Eingreifen des Willens entspricht zum Theil noch die Zick-
zacklinie, die schon in den Viertelstunden des dritten Tages ausge-
drtickt ist, noch deutlicher aber sich vielfach in den Funfminutenab-
schnitten kundgiebt. Aehnhches findet sich auch am ersten Tage an-
gedeutet Vielleicht spielt hier bereits ein gelegentliches Uebergehen
in das motorische Lemen eine gewisse Rolle; dafttr wiirden die groBen
Spriinge wie 39:103, 142:58 sprechen. Mit 142 ist hier schon eine
Fiinfminutenleistung erreicht, die am zweiten Tag nur ein einziges
Mai iibertroffen wird.
Bemerkenswerth ist das mehrfache Auftreten des Antriebs, am
ersten imd vierten, vielleicht auch am dritten Tag, sowie nach dem
Arbeitswechsel am vierten Tag. In der Arbeit von Rivers und
Kraepelin^) finden wir den Nachweis, dass in diesen hohen Anfangs-
leistungen mit rasch folgendem Sinken, von dem aus dann die Werthe
wieder allmahUch anwachsen, ein unmittelbares Eingreifen des Willens
erblickt werden darf; dem entsprechend haben wir auch oben auf
die Erfahrung einer steten Willensspannung zur Femhaltung storen-
der Nebenvorstellungen hinweisen konnen.
Die als Abwechselung eingeschobene Arbeit am zweiten und
vierten Tag war das bekannte Addiren einstelliger Zahlen. Da das
Niederschreiben der Summen in den meisten Fallen einen storenden
Einfluss ausubt, die Beurtheilung der Rechenfehler aber doch nur
geringe Ausbeute Uefert, wurde hier ganz davon abgesehen. Wah-
rend das Zahlenlemen eine Beschaftigung darstellte, die in dieser
Form von der Versuchsperson noch nie getrieben worden war, bestand
G^legenheit, sich im Addiren kleiner Zahlen zu iiben, vorher schon
taglich, wenn auch nur in bescheidenen Grenzen. Aber wir finden
natiirlich doch, vom zweiten zum vierten Tag fortschreitend, den
I) Diese Arbeiten, Bd. I, S. 034 ff.
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126 Wilhelm WeygaodU
Erfolg der Uebung, wahrend die Leistung jedes einzelnen Tages bald
den Hohepunkt erreicht und dann langsam sinkt. Das Addiren, eine
vorzugsweise associative Thatigkeit, wurde im Kopf, meist nur mit
halblautem Nachsprechen der Resultate, also ohne starkere Betheiligimg
der motorischen Seite, ausgefuhrt. Allerdings spielt beim Addiren,
zumal die Arbeit bei kiinstlicher Beleuchtung stattfand, die Ermiidung
des Auges eine etwas groBere Rplle als beim Lemen, wo nach dem
Ablesen der Reihe das Aufsagen stets unter Wegsehen oder Lid-
sehluss erfolgt und somit den Augen eine kleine Ruhepause gewahrt
wird. Im ganzen wurde die Arbeit als eine wenig angenehme, maBig
schwere empfunden, aber doch erschien sie noch etwas leichter als
das Auswendiglemen zu jener Zeit, wo es zum groBen Teil noch
sensorisch vorgenommen wurde. Im Laufe der Versuche trat auch
beim Addiren eine Verringerung der Anstrengung und eine Ab-
stumpfung des unlustigen Grefuhlstons ein, jedoch bei weitem nicht
so rasch und so stark wie beim Lemen.
Zu einer zahlenmaBigen Beurtheilung des Einilusses des Arbeits-
wechsels bediirf en wir der Kenntniss des Uebungszuwachses. Ein Geseiz
iiber die Art der Zunahme der Uebung besitzen wir nicht und werden
wir auch in absehbarer Zeit noch nicht erwarten konnen. AUe Be-
rechnungen stiitzen sich auf die sicherlich falsche Annahme, dass die
Uebung gleichmaBig anwachst. Die Unrichtigkeit dieser Voraus-
setzung beweist eine nahere Betrachtung zahlreicher Versuchsergeb-
nisse. Auch deshalb, weil es sich bei den Arbeiten in der Kegel
um zusammengesetzte Thatigkeiten handelt, deren einzelne Bestand-
theile sicher verschiedene Uebungsfaliigkeit und jedenfalls auch zu
Beginn der Arbeit einen verschieden hohen Uebungsgrad besitzen,
ist jene Annahme bedenklich. Noch schwieriger wird die Beurthei-
lung, wenn der Ablauf der Arbeit selbst eine Veranderung erfahrt,
wie bei der vorliegenden Versuchsreihe. Wir mussen uns angesichts
dieser Verwickelung an das halten, was im Bereich der Moglichkeit
liegt. In der Arbeit von Rivers und Kraepelin ist als das ver-
haltnissmaBig genaueste MaB des Uebungsfortschritts der sogenannte
reine Uebungszuwachs hingestellt worden, der aber nur dann zu be-
rechnen ist, wenn uns Versuche wie die dortigen zur Verfiigung
stehen, bei denen auf eine halbe Stunde Arbeit eine halbstiindige
Pause folgte; in dieser Pause gleicht sich die geringe Ermiidung
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Ueber den Einfliiss des Ar&eiUwechsels auf fortlaufende geistige Arbeit. 127
groBten Theils aus, wahrend der Uebungsverlust noch keine nennens-
werthe Hohe erreichen kann. In den spateren Versuchsreihen wurde
darauf Riicksicht genommen, in der Anfangszeit aber war die
Bedeutung des reinen Uebungszuwachses noch nicht genugend erkannt.
Es bleibt uns daher nichts iibrig, als hier den taglichen Uebungszu-
wachs zu berechnen in der Weise, wie sie in den »P8ychol. Arbeiten«
schon ofter zur Besprechung kam, naturlich unter Beriicksichtigung
von je fiinf Lemviertelstunden fiir die Control- und je drei fur die
Wecbseltage. Auf diese Weise ergiebt sich fiir den Uebungszuwachs
einer Viertelstunde die betrachtlich hohe Zahl von 51,5.
Unter Einsetzung dieses Werthes erhalten wir, ausgehend von
dem Mittel der 2 ersten Viertelstunden, als berechnetes Ergebniss
der Schlussviertelstunde mit theilweiser Ausgleichung der Ermiidung
die Werthe der ersten Reihe der folgenden Tabelle IL Das experi-
mentell gefundene, durch Ermiidung beeinflusste Resultat der f iinften
Viertelstunde findet sich in der zweiten B;eihe. Die Differenz zwischen
berechnetem und gefundenem Werth wiirde also zunachst einen Theil
des Ermiidungseinflusses ausdriicken. Da wir annehmen, dass die
Uebungsfahigkeit wahrend einer kiirzeren B;eihe sich nicht allzusehr
andert, im vorliegenden Versuche mit seiner Aenderung des Lem-
verfahrens, die sich besonders in dem Sprunge vom 13. zum 14. XT.
ausdriickt, zum mindesten doch fiir die beiden ersten und fiir die bei-
den letzten Tage annahemd gleich ist, darf wohl ein merklicher Un-
terschied zwischen den Differenzen an Control- und Wechseltagen
auf Rechnung der Arbeitsverschiedenheit in den vorhergehenden Ab-
schnitten gesetzt werden. In der That finden wir in jenen Differenzen
Unterschiede, die einen Ausschlag nach derselben Seite bedeuten.
Die Ermiidungserscheinungen waren beide Male geringer an den
Wechseltagen; es hat also hier ein giinstiger Einfluss des Arbeits-
wechsels stattgefunden. Der Ausschlag betragt — 25,5 und — 93.
Der betrachtliche Abstand dieser Werthe hat nichts zu sagen, da wir
diese Berechnung ja von den absoluten Zahlen ausgehen UeBen, die
in Folge der eigenartigen Uebungs- und Lemverhaltnisse, wie oben
gezeigt, bemerkenswerthe Unterschiede aufweisen.
1
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128
Wilhelm Weygxadl.
Tabelle H.
1895
12. XL
13. XI.
14. XI.
15. XI.
I t te ( ^®'®^^"®*^^ Werth
387,5
532
812,5
975,5
Vierteutunde ^ q^^^^^^^^ ^^^
238
408
415
672
Ennildungswirkung
149,5
124
397,5
304,5
Differenz
— 25,5
— 93 1
Gefundener Werth in o/q deg be-
rechneten
61,4
76,7
51,1
68,8
Differeni
+ 15,3
+ 17,7 1
Einheitlicher wird das Resultat und klarer erscheint die Bedeu-
tung des Wechsels, wenn wir untersuchen, wieriel Procent des er-
warteten Werthes der gefundene betragt (vergleiche die funfte und
sechste Reihe von Tabelle 11). Zunachst sehen wir hier deutlich,
dass die Leistung der ausschlaggebenden Controltagsviertelstunde
weiter hinter dem berechneten Werthe zuriickbleibt als diejenige des
Wechseltages. Bemerkenswerth ist aber auch, dass der erste Con-
troltag anscheinend weniger durch die Ermiidung beeinflusst wurde
als der zweite. Letzterer hat augenscheinlich die Tendenz, starker
den Ermiidungswirkungen nachzugeben; besonders die letzte Viertel-
stunde zeigt einen starken Abfall (541 :415).
Auch der zweite Wechseltag steht in dieser Hinsicht hinter dem
ei'sten zuriick. Hier ist jedoch die auffallende Hohe der ersten
Viertelstunde vorzugsweise dem auBerordentlich starken Antrieb zu
danken, wahrend im iibrigen die FUnfminutencurve in kleineren
Schritten erst steigt und dann sinkt. Auch die Additionscurve zeigt
keine Zeichen groBerer Ermiidung als diejenige des ersten Wechsel-
tages. Wir konnen daher wolil annehmen, dass die verhaltniss-
maBig geringere Wirkung des Arbeitswechsels am 15. XI., sofem
es sich nicht um eine reine ZufaUigkeit handelt, begrundet ist in der
besprochenen Aenderung der Arbeitsweise, dem Uebergang zum moto-
rischen Lernen. Mit der Erleichterung der Arbeit wurde der Unter-
schied von dem noch etwas leichteren Addiren weniger groB als in
der ersten Halfte der Versuchsreihe ; der giinstige Endausschlag fiel
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Deber den EinOuss des ArbeltswetAsels anf fortlanfende geistige Arbeit. 129
damit geringer aus (68,8 : 76,7) als dort, ein Verhaltniss, das durch
den Vergleich mit dem durch Ermlidung augenscheinlich ein wenig
beeintrachtigten zweiten Controltag etwas verwischt wird. Wir erhalten
die Differenzen von 15,3 iind 17,7, im Durchschnitt also eine Herab-
setzung der Ermudungswirkung durch den Arbeitswechsel um 16,5)1^.
Eine Bestatigung und Erweiterung der bisherigen Ergebnisse
liefem uns die folgenden Tabellen, deren nachste die Wiedernolungs-
zahlen angiebt. Sie sagen aus, wie viel mal in 5 bezw.- 15 Minuten
die verschiedenen Einzelreihen heruntergdesen werden mussten, ehe
sie auswendig hergesagt werden konnten.
Tabelle HI.
12. XL
13. XL
14. XL
115. XI.
1
34
50
42
40
1.
42 li4
49 146
43 131
49 132
38
47
46
43
35
43
41
41
2.
40 113
46 143
47 130
43 130
38
54
42
46
47
41
3.
41 131
43
45 129
43
42
39
4.
46 134
45 125
46
41
50
45
48
41
5.
44 142
42 135
43 134
39 123
48
48
43
43
Genau genommen sollte man die Zahlen dieser Tabelle als Lese-
zahlen bezeichnen, da es oft schon nach der ersteii Lesung gelang,
eine Reihe auswendig herzusagen. Spater wurde das sogar zur Kegel,
so dass von einer Wiederholung uberhaupt kaum noch die Rede war.
Die Zahlen der Tabelle HI verandern sich nur wenig, meist im Sinne
einer Zunahme.
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II. 9
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130
Willielm WeygandU
Daraus abgeleitet finden sich in Tabelle IV die wichtigeren
Zahlen fiir den Lemwerth, der angiebt, wieviel gelemte Zahlen auf
je too Wiederholungen kommen.
Tabelle IV.
12. XI.
13. XL
14. XL
15. XL
1.
172,8
246,6
519,1
654,5
2.
238,0
276,4
489,2
600,0
3.
190,8
513,9
4.
231,3
432,8
5.
167,6
302,2
309,7
546,3
Der schon mehrfach betonte Unterschied in der Arbeitsweise
der zwei ersten iind der zwei letzten Tage der Reihe tritt hier be-
sonders scharf hervor. Die Zahlen des ersten nnd zweiten Tages,
ebenso diejenigen des dritten und vierten bilden je eine Gruppe.
Immerhin ist auch in jeder der beiden Versuchshalften die Zunahme
des Lemwerths sehr groB. Schon die Tabelle IV ergiebt deutlich
die giinstige Wirkimg der Unterbrechung durch eine andere, verhalt-
nissmaBig leichte Arbeit; wahrend die letzte Viertelstimde der Con-
troltage gegeniiber der sonstigen Leistung recht tief steht, zeigt der
zweite Wechseltag nur ein geringes Sinken, der erste sogar ein An-
steigen des Lemwerths der Schlussviertelstunde. Bemerkenswerth ist
es, dass am ersten Wechseltage der Lemwerth bis aim Ende noch
zunimmt Wir diirfen auch hier daran denken, dass die sensorische
Lemmethode in der ersten Halfte der Reihe immerhin noch schwie-
riger, mithin die Einschiebimg einer etwas leichteren Zwischenarbeit
erholender war als in der zweiten Halfte.
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Dcber dcD EidUdss des Arbeitsweehsels anf fottliuifende geistige Arbeit.
Tabelle V.
131
12. XL
13. XT.
14. XL
15. XL
berechnet
Letzte
321,5
377,6
620,3
743,4
Viertelstunde ^^^^^^^
167,6
302,2
309,7
546,3
ErmaduDgswirkung
153,9
75,4
310,6
197,1
Differenz
— 78,5
— 113,5
Qefiindener Werth in %
de8 berechneten
52,1
8U,0
49,9
73,5
Differens
4-27,9
+ 23,6 1
Tabelle V giebt die Ausschlagbereclinung des Lerawerths an.
Der viertelstundliche Zuwachs betragt 38,7. Davon ausgehend ergeben
sich die Verhaltnisse der berechneten und gefundenen Endviertel-
stundenwerthe, sowie die Procentzahlen, alles in der Weise wie bei
Tabelle IL Das Ergebniss ist klar ersichtlich.
Tabelle VI.
12. XI.
13. XL
14. XL
15. XL
40
60
61
66
1.
45 132
60 177
62 190
71 204
47
57
67
67
42
58
62
66
2.
49 135
58 176
62 183
64 105
44
60
59
65
52
62
3.
49 152
51
64 184
58
51
55
4.
58 168
59
58 170
57
55
56
57
62
5.
53 161
53 169
54 169
60 180
53
60
58
58
9*
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132 Wnhelm Weygandt;
Tabelle VI ist zu bezeichnen als die der Sprechzahl, d. h. sie
giebt an, wie oft die zu erlemenden Zahlen ausgesprochen worden
sind, enthalt also die Sutnme der Wiederholungszahl und der ZaU
der gelemten Reihen. Sie liefert uns somit ein gewisses MaB fiir
die Geschwindigkeit des Sprechens bei der Lemthatigkeit. In den
friiheren Aiifsatzen der » Psychol. Arbeiten* wurden diese Werthe
als Wiederholungszahl * bezeichnet, von der aus dann der Lemwerth
berechnet wurde. Da jedoch das auswendige Aufsagen fUr das Lemen
selbst und den Lemwerth keine Bedeutung mehr hat, was gerade bd
meinen Versuchen, wo oft nach einer einzigen Lesung die Reihe schon
auswendig hergesagt werden konnte, besonders deutlich werden musste,
BO glaubte ich, jenen Unterschied machen zu miissen zwischen der
eigentlichen Wiederholungs- oder Lesezahl (Tab- JH), von der aus
sich der Lemwerth berechnet, und der Sprechzahl (Tab, VI), die der
Wiederholungszahl friiherer Arbeiten entspricht.
Wir sehen auch hier ein Anwachsen durch die Uebung, doch in
weit bescheideneren Grenzen als bei der eigentlichen Lemiibung. Die
Beeinflussung der Sprechzahlen durch den Arbeitswechsel heigt sich
ini Gegensatze zu derjenigen des Lernwerthes eher nach der un-
gunstigen Seite hin. Jedenfalls wird das Sprechen an sich, diese
leichte und wenig ermiidende Arbeit, durch das Einschieben des Ad-
direns nicht erleichtert. Gerade durch dieses negative Ergebniss wird
der Ausschlag beim Lemwerth um so bedeutsamer.
Als Schlussergebniss der ganzen AusfUhrung Uber diese erste
Versuchsreihe steht demnach fest, dass hier, wo die schwere Arbeit
des Auswendiglemens zwolfstelliger Zahlenreihen durch die weniger
schwere des Addirens unterbrochen wurde, der Wechsel einen gun-
stigen Einfluss auf die Endleistung ausgeiibt hat.
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Ueber den Eiiifluss d«s Arbeitsweclisels auf forliaufeiide geistige Arbeit.
2) Addiren unterbroohen duroh Zahlenlemen.
Tabelle VII.
133
18. XI.
19. XL
20.
XI.
21. XL 95
257
321
270
318
1.
277 800
313 929
300
867
316 958
266
295
297
324
286
296
282
318
2.
273 812
271 839
301
920
320 947
253
272
337
309
273
316
294
216
3.
251 792
294 934
282
823
300 801
268
324
247
288
255
264
262
300
4.
253 763
291 792
276
783
276 888
255
237
245
312
230
217
246
248
5.
232 707
191 638
253
757
219 671
245
230
258
.204
Addiren bildete diesmal die Grundthatigkeit. In der zweiten
halben Stunde des zweiten und vierten Tages trat an seine' Sttelle
das Zahlenlemen; in der Tabelle VII finden sich dessen Resultate
in der stSrkeren Umrahmung.
Im Gegensatze zum Lemen fallt sofort die geringere Uebungs-
fihigkeit bei dieser Art Grundthatigkeit auf. Es war allerdings eine
Arbeit, die schon vor den Versuchen immerhin des ofteren verrichtet
worden war, die also schon von vomherein eine hohere Uebungsstufe
zu den jetzigen Versuchen mitbrachte als das noch nie in solcher oder
ahnlicher Weise geiibte Zahlenlemen. Es wurde im Kopf aus-
gerechnet und dabei das Ergebniss halblaut nachgesprochen, doch
bietet letzteres keine besondere Erleichterung der Arbeit, jedenfalls
.keine Verlegung des Schwerpunktes auf das motorische Gebiet, wie
es alhnahlich im Laufe der Lemthatigkeit stattfand. Die Ueber-
wachung der eigenen Thatigkeit wShrend des Arbeitens war hier viel
schwieriger als beim Lemen, wo jeder Fehler fast unmittelbar
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134 VVilhelm WeygAiidt.
empfunden wurde. Meine Additionen begleiten stets Gesichtsvor-
stellungen derart, dass ich die ZaUenreihe bis 100 in einer aufrechten
Linie geschrieben sehe und nun beim Addiren gewissermaBen an einer
Scalar in die Hohe steige. Ueber das sensorische Lemen berichten
die einzelnen Versuchspersonen ahnliches, in mannigfachen Variationen;
ich kann von mir, soweit ich sensorisch lemte, dasselbe bestatigen.
Immerhin giebt sich, wenn wir die Mittelwerthe der ersten 2 Viertel-
stunden vergleichen, die Uebung in einem constanten Ansteigen kund.
Bemerken muss ich freilich, dass ich trotz spaterer Additionsversuche
an dem 4. Tage dieser Reihe den hochsten von mir jemals erreichten
Viertelstundenwerth aufzuweisen habe. Das ist die 18. Additions-
viertelstunde, die von mir ausgefUhrt wurde; in spateren Versuchen
wurde noch im ganzen 24 Viertelstunden lang addirt, ohne dass noch
einmal dieser an sich, im Vergleich mit den Ergebnissen anderer
Versuchspersonen, nicht besonders hohe Werth erreicht wurde; aller-
dings litten die nachsten Wochen unter ungttnstiger Disposition, wah-
rend die letzten Additionsversuche durch eine mehrwochige Pause mit
entsprechendem Uebungsverlust von den vorhergehenden getrennt
waren, zum Theil auch in die minder gUnstige 2. HaJbstunde der
Arbeitszeit fielen. Die Additionsthatigkeit wurde in der 2. Versuchs-
reihe durchweg noch als maBig schwer und etwas langweilig empfunden.
Als Zwischenarbeit diente das Auswendiglemen 12 stelliger Zahlen.
Der Uebungszuwachs gegentiber den Leistungen der vorigen Versuchs-
reihe iat noch betrachtlich, aber die Grenze der Uebungsfahigkeit ist
noch nicht annahemd erreicht, denn in den Leistungen der nachsten
4 Wochen, wo noch 20 Viertelstunden gelemt wurde, steigt der Werth
um weitere 67,7%. Die Lemarbeit erschien der subjectiven Auffassung
mittelschwer, jedoch weniger langweilig als das Addiren. Ich vermag
nicht mit Bestimmtheit anzugeben, dass sie bemerkenswerth schwerer
empfunden wurde als das Addiren; fast neige ich mich zu der An-
sicht, dass das Lemen schon in dieser Versuchsreihe etwas leichter
erschien als das Addiren, mag auch die wirkliche Arbeitsleistung beim
Lemen eine groBere gewesen sein. Dieser scheinbare Widerspmch
zwischen der gemessenen und empfundenen Schwere der Leistung,
ganz abgesehen von dem Gkftihlston, ob angenehm oder langweilig
u. dgL, darf uns nicht storen, wenn wir uns vergegenwartigen, dass
auch bei anderen psychischen Arbeiten ahnliche Differenzen, natUrlich
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Ueber deu tiufliiss des ArbeiUweclisels aiif fortiaufende geislige Arbeit.
135
immer nur geringen Grades, zu Tage getreten sind. So fand sich
bei Auffassungsversuchen, bei denen durch einen Spalt von einer
rotirenden Trommel Worte abzulesen waren, dass das Lesen 28ilbiger
"Worte durch weg leichter erschien als das der einsilbigen, wahrend
dieMessung yielfach mehr Fehler auf der Seite der 2silbigen ergab.
Als Erklarung fand sich, dass letztere wegen ihrer reicheren Fiille
von Associationshulfen weniger Mtihe verursachen, wahrend die Ge-
sammtarbeit bei ihnen doch groBer ist, da sie anf der Trommel mehr
Eaum einnehmen und deshalb unter ktirzeren Zwischenpausen am
Auge Yorbeirotiren als die einsilbigen.
Durchschnittlich gingen diesmal beide Thatigkeiten flotter von
statten als in der vorigen Versuchsreihe. Die Disposition war un-
gefahr dieselbe wie in der letzten Woche. Man muss sie als im gan-
zen gut bezeichnen.
Der tagliche Uebungszuwachs betragt, auf die Viertelstunde be-
rechnet, 10,3. Die danach, unter theilweisem Ausgleiche der Er-
miidung erwarteten und die wirklich gefundenen Werthe fUr die letzten
Viertelstunden, sowie die GroBe der Ermudungswirkung zeigt die
folgende Tabelle, in absoluten und in Procentzahlen.
Tabelle VDI.
18. XL
19. XI.
20. XI.
21. XL 95
, berechneter Werth ^
836,9
914,9
929,4
983,4
671
Viertelstunde \ gefundener Werth
707
638
757
ErmaduDgswirkung
129,9
276,9
172,4
312,4
Differens
+ 145
+ 140
Gefundener Werth in % des be-
rechneten
84,5
69,75
81,5
68,2
Differenz
— 14,75
-13,3 1
Die Ermudungswirkung ist hier an den Wechseltagen entschieden
groBer, als an den Controltagen. Die Unterschiede sind nicht sehr
groB, stehen aber, was ihre Beweiskraft erhoht, einander ganz nah,
Man konnte versucht sein, das starke Sinken der Endviertelstunde
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136
Wilhelm Weygandt.
am ersten Wechseltag auf die in der ersten halben Stunde wie in den
Werthen fttr das Auswendigleraen auftretende absteigende Tendenz des
ganzen Versuchstags zuruckzufuhren. Aber diese ist im groBen Ganzen
nur eine scheinbare, insofem die erste Viertelstunde einen ganz be-
trachtlichen Antrieb aufweist, der ihren Werth selbst iiber die Anfangs-
viertelstunde des nachsten Tags erhebt. Der 2. Wechseltag zeigt in
seiner halben Lemstunde noch ein deutliches Ansteigen, wahrend das
Endresultat einen Ausschlag nach der ungunstigen Seite ergiebt.
Bemerkenswerth ist der regelmaBige Antrieb nach der Einschiebe-
arbeit; wir kommen spater noch einmal darauf zuriick.
Im Ganzen wurde das Addiren durch den Wechsel mit Aus-
wendiglemen in maBigem Grade ungUnstig beeinflusst. Wie es
scheint, ist hier dieser Einfluss etwas geringer gewesen, als der ent-
gegengesetzte bei der umgekehrten Versuchsanordnung.
3) BuohBtabensuohMi unterbroohen daroh Addiren.
Tabelle IX.
1
____ 1
27. XI.
28. XL
29. XI.
30. XI.
4015
4465
4489
4941
1.
4334 12424
4630 13875
4943 14566
5524 16078
4075
3209
4780
5134
5613
4360
4569
5101
2.
2888 8176
3903 11219
4902 13809
28(i4 9768
—
2079
2747
3806
2544
16G8
248
3212
262
3.
2180 ^*2
254 711
2256 7560
275 790
1764
209
2092
253
2382
158
2284
19:)
4.
2191 6157
197 581
2848 7508
151 558
1584
226
2376
217
1
3396
2858
2340
2343
5.
2071 8876
2635 9395
2597 7514
j 2719 7228
1
3409
3902
2577
2166
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Ueber den Einfluss des Arbeitsweobseis auf fortlaufende geistige Arbeit. 137
Nachdem in den vorigen Versuchen zwei Methoden zur Geltung
gekommen waren, bei denen einerseits das Gredachtniss, andererseits
associative Vorgange die Hauptrolle spielten, schien es erwiinscht,
weiterhin Methoden heranzuziehen, die in erster Linie die Auff assung
beriicksichtigen. Fiir die nachsten vier Versuchsreihen wurde deshalb
eine Arbeit gewahlt, die wir der Kiirze halber als Buchstabensuchen
bezeichnen wollen. Es handelte sich darum , aus einem zusammen-
hangenden Text einen bestimmten Buchstaben herauszusuchen; wir
nahmen Gustav Freytag's »Bilder aus der deutschen Vergangen-
heit«, Band IH, 14. Auflage, Leipzig, Hirzel, 1884. Es sollte ohne
Beriicksichtigung des Sinnes gelesen und dabei stets der Buchstabe i
durch ein Punktchen markirt werden. Die motorische Leistung des
Markirens war eine so geringe, dass dadurch kein merklicher Auf-
enthalt entstand. Die Zahl der i betragt rund 6^ der ganzen
Buchstabenmenge in dem betreffenden Lesestoff. Die Tabelle giebt
die in je 5 und 15 Minuten uberlesene Buchstabenanzahl an, freilich
nur mit annahemder Genauigkeit. Die Arbeit kam darauf hinaus,
einen bestimmten Eindruck seharfer aufzufassen aus einer Menge von
anderen, die gewissermaBen nur in die peripheren Theile des inneren
Blickfelds eintraten. Allerdings muss ich gestehen, dass es nicht
immer gelang, den Eindruck der Worte und ihres Zusammenhanges
ganz zu unterdriicken. Besonders im ersten Anfange des Lesens und
dann in manchen Stadien der Ermiidung schimmerte der Sinn nicht
selten palimpsestartig durch, so dass es sich also dann eigentUch um
Versuche mit leichter Stoning und Ablenkung handelte. Im GroBen
und Ganzen entsprach die Thatigkeit der des Correcturlesers in der
Druckerei und findet auch ihre Analoga in der Beschaftigung des
Schiilers bei der Durchsicht seiner schriftlichen Aufgaben, dem Suchen
bestimmter Wortformen u. dgl. ; ja auch im gewohnlichen Leben giebt es
" reichlich Gelegenheit, in ahnlicher Weise thatig zu sein. Somit konnte
es auch fiir die Versuchsperson keine ganz fremdo Methode sein.
Immerhin sehen wir in der Tabelle noch einen betrachtlichen Grad
von XJebungsfahigkeit ausgedruckt, indem die Anfangsviertelstunde
des 4. die des 1. Tages um 29,5^ Ubertrifft.
Allein die zweiten Viertelstunden, die bei der Mehrzahl der fort-
laufenden Versuche die hochsten Werthe bieten, zeigen hier eine auf-
fallende Verschiedenheit, meist ein enormes Sinken. Das ist schon
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138 Wilhelta Weygandt.
der Ausdruck dessen, was das ProtokoU aussagt: Wir haben es in
dieser Versucbsreihe mit einer wenig gunstigen Disposition zu thun.
Das Protokoll giebt fUr alle Tage der Versucbsreihe einen gewissen
Grad von Ermiidung an, durchweg anf Qmind der vorausgegangenen
anstrengenden Tagesarbeit. Ln Laufe der Versuche steigerfce sich dei>
selbe manchmal zur Schlafrigkeit, so dass bier und da kleine, secun-
denlange Pausen entstanden und selbst die Ansatze zu Scblummer-
bildem einige Male auftraten. Die erste Viertelstunde ist, wie
angedeutet, am wenigsten betroffen, doch sagt das Protokoll des
ersten Tages aus, dass auch in ihr sebon allmablicb die Ermiidung
merklich wurde. Fiir die ungUnstige Disposition sprecben nicbt nur
die starken Scbwankungen, sondem wobl aucb der ofter auftretende
Scblussantrieb, den wir als bewusste Reaction des Willens gegen die
Ermiidung auffassen konnen; im letzten Abscbnitt der Abbandlung
kommen wir darauf zuriick. Am scblimmsten bestellt war es mit
dem vierten Versucbstag, dem 30. XI. ; es war scbon ein Febler, dass
ibm, der wie alle Versucbe des Jabres 1895 in der angegebenen
Abendstunde stattfand, ein etwa 1 Yj stiindiger, langsamer Nacb-
mittagsspaziergang voraufging; aber das Protokoll fiibrt auBerdem
von der zweiten Viertelstunde ab nocb besondere Stoning durch
Kopfweh an. Auf ibn diirfen wir daber kein allzugroBes Grewicbt
legen. Der dritte Versuch stand unter dem Einfluss einer gewissen
psycbiscben Gereiztbeit, die sicb in hocbgradigem Aerger iiber aller-
band kleines Missgescbick in der vorbergebenden Tagesarbeit kund-
gab. Eine allmabliche Berubigung der Stimmung konnten wir viel-
leicht aus den gleicbmaBigeren Resultaten der letzten drei Viertel-
stunden berauslesen«
Femer ist zu betonen, dass die ganze Arbeit des Buchstabensu-
chens nocb beeinflusst wurde durcb die Ermiidung des Auges. Es
war fortgesetzt ein scharfes Pixiren notbig, dazu nocb bei kiinstlicber*
Beleucbtung, wabrend die Lem- und in geringerem Grad aucb die
Addirmetbode eher kleine Pausen im Fixiren gestatteten.
Die Einscbiebearbeit des Addirens zeigt, der Ermiidung ent-
sprecbend, aucb kleinere Wertbe als die vorige Versucbsreibe.
Der tagliche viertelstiindliche Uebungszuwachs dieser Reibe lieB
sicb berecbnen auf 237. Die sicb daraus ergebenden Eesultate Uefert
folgende Tabelle:
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Ueber den CinOnss des ArbeiUwechsels uf fortlaufeade geistige Arbeit.
Tabelle X.
139
27. XI.
28. XI.
29. XI.
30. XL
Letete 1 ***""•""*
11010
13258
14898
13634
VierteUtunde j ^^^^^
8875
9395
7514
7228
EnnCldungswirkuDg
2 J 35
3S63
7384
6406
DiiffereiiK
+ 1728
— 978 1
Gefundener Werth in o/^
des berechneten
80,6
70,8
50,4
53
Differenz
-9,8
+ 2,6 1
Wenn wir die ganze Versuchsreihe nicht ad acta legen woUen,
miissen wir unser Augenmerk vorzugsweise auf die beiden ersten
Tage richten, wo die Disposition, wenn auch ungunstig, so doch noch
einigennaBen gleichmaBig war. Wir finden darin ein maBiges Ueber-
wiegen der Ermiidungswirkung am Wechseltage. Das wiirde unserer
Voraussetzung entsprechen, dass das Buchstabensuchen in der ge-
schilderten Weise eine weniger schwere Arbeit ist als das Addiren.
4) BuohBtabensuohen unterbroohen duroh Zahlenlemen.
Tabelle XI.
3. xn.
4. XII.
5. XII.
6. xn. 96.
4870
4941
5148
4333
1.
5264 15556
5229 14890
5281 16122
4881 14473
5422
4720
5693
5259
5410
3074
5327
5107
2.
6039 18281
1531 8514
3769 12456
4635 11882
6832
3909
3360
2140
5454
324
2351
348
3.
4690 14343
324 942
3608 7832
360 1056
4190
294
1873
348
2814
306
2530
348
4.
1755 7918
336 942
2882 7355
360 1008
3349
300
194.^
300
2364
5095
2258
6133
5.
3024 9546
2927 10884
2259 6987
4877 16322
4158
2862
2470
5312
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140
Wiihelm Weygandt
Etwas auffalliger erscheint uns die Versuchsreihe vier. Zimachst
ist hier eine noch ungiinstigere Disposition zu beklagen als in der
vorigen Reihe. Sie tritt schon in den ersten zwei Viertelstunden so
bffenkundig zu Tage, dass es nicht einmal moglich war, einen XJebungs-
zuwachs festzustellen. Wir wiirden nach der iiblichen Berechnungs-
methode den negativen Werth — 140,3 erhalten. Die Berechnung
des S^sultates geschah daher einfach durch Feststellung des Procent-
satzes der Schlussviertelstunde vom Mittel der beiden Anfangsviertel-
stunden:
Tabelle XII.
SchluBsleistun^ in % der
Anfangsleistung
2. xn.
56,4
3. XII.
4. xn.
5. XII.
92,2
48,9
123,9
Differens
+ 35,8
+ 75,0 1
Das ware ein ganz bedeutender Aussclilag zu Gunsten des
Wechseltages. Nach der bisher gewonnenen Einsicht muss man
uber dies Resultat erstaunen. Wir sahen soeben, dass das Lesen
etwas ungunstig beeinflusst wird durch das Addiren; vorher wurde
festgestellt, Addiren wird ungunstig beeinflusst durch Lemen. Es
ware somit dringend zu erwarten, dass Lesen erst recht ungUnstig
beeinflusst wiirde durch das Lemen. Wir finden das Gregentheil so
entschieden, dass wir es durch die Zufalle der ungUnstigen Dis-
position allein wohl nicht geniigend erklaren konnen.
Zwei besondere Gesichtspunkte sind es, von denen aus Licht
auf dies eigenartige Verhalten fallt. Es wurde schon friiher bei
Besprechung der Lemthatigkeit angegeben, dass sich ihr Charakter
durch weg anderte; zunachst fand ein entschiedener Uebergang von
der sensorischen zur motorischen Lemweise statt, dann aber weiterhin
ein fortwahrendes Steigen der Leistung durch den betrachtlichen
Uebungszuwachs. Dass dabei nicht nur die subjective Empfindurig an-
genehmer, sondem allmahUch auch die Thatigkeit selbst leichter wurde,
erkennen wir aus einer Vergleichung des Lemwerthes von 1 00 Wieder-
holungen in der zweiten und diitten Versuchsreihe:
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Ueber den Einflass des Arbeitswech^els anf F6r(laufende geistige Arbeit.
TabelTe XTTT (Lerriwerth).
141
19. XL
21. XL
4. XIL
6. XU.
1. eingeschobene Viertel-
stunde
841,4
744,4
1038,2
1056,0
2. eingeschobene Yiertel-
siunde
842,5 .
888,0
1050,0
1018,1
Trotz der Pause von 13 Tagen ist der Lemwerth der Wieder-
holungen in auffallender Weise angestiegen, weit mehr als die ent-
sprechenden Tabellen Viii und XI, welche (in starker XJmrandung)
die Anzahl der gelemten Zahlen wiedergeben, uns erkennen lassen.
Daraus lasst sich entnehmen, dass die ganze Lemarbeit entschieden
leichter geworden ist.
Ein anderer Umstand, welcher unter den vorliegenden Disposi-
tionsverhaltnissen vielleicht noch einflussreicher war, liegt darin, dass
beim Lemen mehr und mehr die motorische Thatigkeit mit verhalt-
nissmaBig lebhafter Bewegung der Sprechmu$kebi in den Vordergrund
trat. Ein wie machtiges Gegenmittel gegen die Ermiidung aber in
der motorischen Thatigkeit liegt, hat wohl jedermann schon an sich
selbst zu erproben Gelegenheit gehabt; wenn wir bei spatabendlicher
Lecture schlafrig werden, geniigen oft eili Gang durchs Zimmer oder
ein paar Hanteliibungen, uns wieder fiir einige Zeit frisch zu machen.
Andererseits wurde das Buchstabensuchen nicht nur durch die
ungiinstige Disposition an sich. sondem auch durch die Ermiidung
des Auges bei dem angestrengten Fixiren unter Gasbeleuchtung fort-
schreitend erschwert, um so mehr als die V^rsuchsperson stark kurz-
sichtig ist und zu Bindehautentziindung neigt. Also auch in diesem
Sinne hot die Einschiebearbeit eine kleine Erholung.
Das ProtokoU sagt vom ersten Wechseltag der vierten Reihe
aus: »Zunachst ruhig, nicht besonders flott gearbeitet; dann trat Er-
miidung auf, besonders in. dem fiinften Fiinfminutenabschnitt. Das
Lernen ging wieder ziemlich gut und angenehm; dabei jedoch noch
etwas Gefiihl der Anstrengung und der Nothwendigkeit des Abhaltens
irgend welcher storenden Reize. Nachher Gefiihl groBer Frische zur
leichten Arbeit des Correcturksens, das aber tiach vier Minuten
schon wieder etwas nachUeB.« .
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i4i
Wilhelm Weygandt.
Gimz deutlich finden w die Spuren dieser Wahmehmungen in den
Versuchsergebnissen wieder, wo nach der Unierbrechungsarbeit der
erste Fiinfminutenwerth 5095, der nachste nur 2927 gelesene Buch-
staben betragt. Einem ganz ahnlichen Yerhaltmsse begegnen wir am
zweiten Wechseltage, dem 6. XTT., wo auBerdem noch ein geringer
Schlussantrieb auftritt
Wenn wir alles das beriicksichtigen, erscheint es una weit besser
verstandlich, dass im vorliegenden Falle das Buchstabensuchen mit
gUnstigem Erfolg dnrch das Auswendiglemen unterbrochen wurde.
5)
Addiren unterbroq|ien doroh BuoliBtabensac^en.
Tabelle XTV.
1
11.
xn.
12.
XIL
13.
xn.
14.
xn.
275
265
281
337
1.
249
280
804
260
268
793
289
294
864
217
151
705
277
286
236
126
2.
256
247
780
208
223
717
233
61
530
141
199
466
256
2793
135
3204
3.
230
727
1896
6872
186
501
1624
7114
241
2183
180
2286
238
2430
195
2745
4.
204
135
577
2680
2164
7274
211
190
596
2278
1496
6519
109
261
159
240
5.
135
361
287
751
220
599
203
665
117
203
220
222
Auch in den folgenden beiden Yersuchsreihen, wo Buchstaben-
suchen die Unierbrechungsarbeit bildete, war die Disposition nicht
als giinstig zu bezeichnen. Vor allem fur die Endviertelstunde des
ersten Tages obiger Reihe mit ihrem auffallend niedrigen Werth (361)
finden wir erne entsprechende Notiz im ProtokolL Auch wirkte hier
bei der geringeren Uebungsfahigkeit des Addirens die Ermiidung oft
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Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels auf fortUufende geUtige Arbeit
143
derart) dass wir schon in der zweiten Viertelstunde einen recht tiefen
Stand bekommen iind dass die Berechnimg des Uebungszuwachses
auf die gewohnliche Art einen negativen Werth ergeben wlirde ( — 16).
Wir stellen daher nur das Verhaitniss der Endyiertelstunden zum
Mittel der beiden Anfangsviertelstunden in absoluten und in Procent-
zahlen auf:
Tabelle XV.
11. xn.
12. xn.
13. XIL
14. XII.
Mittel der 2 Anfangsviertelituiideii
792
755
697
586
LetEte ViertelBtunde
361
751
599
665
ErmCldungtwirkung
431
+ 4
98
— 79
Different
— 427
— 177
Endleistung in % der Anfangsleistung
45,6
99,4
85,9
111,9
Differenz
+ 53,8
+ 26,0
Wir finden beide Male einen gunstigen Einfluss des Arbeits-
wechsels. Der hohe Werth von 53,8 Procent ist allerdings auf
Rechnung der ungewohnlich niedrigen Endleistung des ersten Ver-
suchstages zu setzen. Einen groBeren Anspruch auf Bichtigkeit hat
daher der andere Werth yon 26 Procent, immer noch eine ganz
betrachtliche Mehrleistung, zumal wenn wir bedenken, dass nach Aus-
sage des Protokolls gerade diese zwei Tage wieder etwas mehr durch
Mudigkeit sowie Kalte im Versuchszimmer betroffen waren als ihre
Vorganger. Das Ergebniss entspricht unseren Erwartungen, indem
wir es ja mit der Unterbrechung einer maBig schweren Arbeit durch
eine leichtere zu thun zu haben glaubten. Eine UnterstUtzung durch
motorische Erregung, welche ahnlich wie das motorische Lemen hS^tte
wirken kSnnen, fand das Addiren nur in geringstem MaBe; das leise
Aussprechen der Summen bedeutet wohl kaum mehr Bewegung als
das Markiren der gefundenen i beim Correcturlesen; in Bezug auf
Ermiidung des Auges steht das Addiren ungefahr in der Mitte zwi-
schen Lesen und Lemen.
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144
Wilb«lin Weygasdtk
Zu bemerken ist noch das haufigere Auftreteh des Antriebs, der,
wie auch andere Versuche schlieBen lassen, bei dieser Versachsperson
sich gem im Zustand der Ennudung einstellt.
Wir konnen bestimmt aussagen, die Unterbrechung des Addirens
durch Buchstabensuchen wirkte gunstig, was auch mit dem Ergeb-
nisse der dritten Versuchsreihe stimmt, wo Buchstabensuchen durch
Addiren ungunstig beeinflusst wurde.
6) Auswendiglemen unterbroohen duroh BuohBtabensuohen.
Tabelle XVI.
16. :
XIL
17.
XII.
18. XII.
19. XII. 95.
288
384
408
432
1.
384
1006
402
1122
468 1284
456 1356
336
336
408
468
324
372
420
516
2.
312
960
360
1164
432 1272
492 1488
324
432
420
480
tJ24
4828
360
4716
3.
228
756
2503.
8819 ,
348 106Q
5017 12125
204
1488
352
2392
96
1581
96
1313
4.
144
396
3229
7825
84 360
1938 4972
156
3015
180
1721
1 156
2j64
204
264
5.
II 240
600
204
696
144 720
180 828
-
II .204
228
372
384
Bei der gechsten Versuchsreihe fallt zunachst wieder ein immer
noch andauemder, betrachtlicber tagUcher Uebungszuwachs des Aus-
welidiglemens auf,. der auf die Viertelstunde berechnet 37,5 betragt.
Wir finden die merkwiirdige Erscheiriung, dass die Versuchsperson
A. schneller einfache Zahlen in 12stelhgen Gruppen auswendig lemt,
als sie kleine Zahlen addirt Mit dem Werthe von 1488 in einer
Viertelstunde au^wendiggelemten Zahjen sind die 15 Versuchspersonen,
welche im ersten Band der >Psychologischen Arbeiten« mit dieser
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tieber den Einflnss des Arbeitswechsels auf Fortlaufende geistige Arbeit. 145
Methode auftraten, weit uberholt; das Hochste, was da erreicht war,
bot Lowald mit 358 Zahlen in der Viertelstunde, also noch nicht
den vierten Theil der Zahlen von A. Allerdings waren die Versuche
bei jenen Peronen auch nicht so weit ausgedehnt wie hier, wo die-
selbe Versuchsperson in einer Zeit von knapp sechs Wochen im
ganzen 10 Stunden der Lemmethode widmete.
Leider ist es nicht moglich gewesen, auch die Festigkeit des
Geleraten zu bestimmen; sonst wiirde sich vielleicht haben nachweisen
lassen, dass die Hohe des Lemergebnisses durch einen Mangel an
Festigkeit, durch rasches Verschwinden der einmal gelemten Zahlen-
reihen aus dem Gedachtniss, wieder ausgeglichen wird. Wohl aber
sind wir berechtigt, fiir einen anderen Begriff, welcher mit der Gre-
dachtnissfestigkeit verwandt, aber durchaus nicht gleichbedeutend ist^),
nach Zahlenwerthen zu suchen, fiir die Uebungsfestigkeit. Ihr MaB
finden wir in dem TJebungsverlust, der in einer Pause von hinreichen-
der Ausdehnung auftritt. Seine Beurtheilung ist insofem hier etwas
erschwert, als in einem Theile der Versuchsreihen nur wahrend der
zweiten halben Stunde gelemt wurde. Die erste und beste Viertel-
stunde des 15. XL (Tab. I) hatte 864 gelemte Zahlen aufzuweisen;
nach viertagiger Pause bot die Wechselarbeit des 19. XI. dagegen
934. Die eingeschobene halbe Stunde am 21. XI. lieferte durch-
schnittlich 846, die des 4. XU., also nach 13tagiger Pause, dagegen
924. Vom 6. XTE. mit 1032 sehen wir einen geringen Ruckgang auf
988 im Mittel der Anfangshalbstunde des 16. XTT. Ohne uns auf
Einzelbetrachtungen einzulassen, konnen wir behaupten, dass nach
den angefuhrten Zahlen die Uebungsfestigkeit bei A eine recht gute
ist. Irgend welche Schlusse daraus auf die Festigkeit des Special-
gedachtnisses fiir gelemte Zahlen erscheinen uns jedoch zu gewagt.
Auch diese sechste Versuchsreihe erfreute sich nicht einer be-
sonders giinstigen Disposition. In der vierten Viertelstunde des ersten
Versuchstags, noch mehr in der dritten, zeigt sich ein sehr starker
Einfluss der Ermiidung. Im vierten Versuche haben wir zwar gesehen,
dass gerade die motorische Lemthatigkeit der Schlafrigkeit entgegen-
zuwirken scheint, sogar mit einer giinstigen, allerdings rasch voriiber-
gehenden Nachwirkung auf das folgende Buchstabensuchen. Auf
1) Xraepelin, Diese Arbeiten I, S. 47.
K r A e p e 1 i n, Psycholog. Arbeiten. II. 10
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146
Wilhclm Weygandt.
langere Zeitraume scheint sich aber die erfrischende Wirkung der
motorischen Thatigkeit nicht zu erstrecken, wohlgemerkt wenigstens
fttr diese Versuchsperson. Einen so jahen Abfall von 756 auf 396
Oder von 960 auf 360 haben wir sonst nirgends zu verzdchnen. Es
ist ausdriicklich zu betonen, dass eine etwaige muscul^e ErmUdung
bei diesem lauten Lernen fttr die Zeit von Y4 Stunden keine Rolle
spielt, denn die Sprechmusculatur ist, wie wir bei Sangem, Red-
nern, erregten Geisteskranken u. s. w. sehen, nur sehr schwer zu er-
miiden.
Mit Hulfe des auf 37,5 berechneten viertelstiindlichen Uebungs-
zuwachses gewinnen wir folgendo Feststellung des Endausschlags:
Tabelle XVH.
16. XII.
17. XII.
18. XII.
1390,5
19. XII.
berechnet
Letzte Viertelatunde
1096,5
1255,5
696
U44,5
828
716,5
gefunden ;
600
720
Ermadungswirkung
496,5
559,5
670,5
Differenz
+ 63
+ 46 1
Gefundener Werth in % des berech-
neten
Differenz
54,8
55,4
51,8
53,6
+ 0,6
+ 1,8
Es findet sich also ein ziemlich gleichmaBiger Ausschlag zu
Gunsten des Controltages in den absoluten Zablen; dagegen wUrde
die Procentberechnung fiir ein, freilich ungemein geringes Ueber-
wiegen der Endleistung an den Wechseltagen sprechen. Vielleicht
kann uns die Tabelle der Wiederholungszahlen einigen Aufschluss
liber dies Missverhiiltniss goben.
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Ueber den BinQuss des ArbeiUwechsels auf fbrtlaafende geistif^ Arbeit 147
Tabelle XVIH.
Wiederholungszahlen fur je 5 und 15 Minuten.
16. XTT.
17. XII.
18. XII.
19. XII. 95.
51
65
69
72
1.
69 182
69 193
78 216
77 227
1
1
62
59
69
78
58
62
73
86
2- 1
60 179
61 200
73 217
82 248
1
61
77
71
80
57
66
3.
43 137
37
63 172
43
16
16
4.
39 88
33
14 61
31
33
45
37
44
5.
39 110
37 124
25 125
30 139
38
42
63
65
Wir sehen, dass auch in diesem Versuche die Sprechgeschwindig-
keit in viel engeren Grenzen schwankt als die Werthe an gelemten
Zahlen; nur die vierte Viertelstnnde der Normaltage mit ihrer nn-
gliicklichen Disposition fallt aus dem Rahmen des Uebrigen. Stellen-
weise war die Ermiidung und Schlafrigkeit derart, dass sich kleine
Pausen einstellten. Noch lehrreicher ist die Beriicksichtigung des
Lemwerths von 100 Wiederholungen:
Tabelle XIX.
Lemwerth.
16. Xll.
17. XII.
18. XU.
19. XII.
1.
1028,6
1135,3
1178
1190,9
2.
3.
969,7
1030,1
1145,9
1200
1021,6
1060,6
4.
720
1161
5.
1080
1054,5
1107,7
1182,9
10*
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146 Wilhelm Weygindt.
Der Lemwerth zeigt, auf die Viertelstunde berechnet, einen tag-
lichen Zuwachs von 14,4.
Hier finden wir wohl am ersten Normaltag einen wunden Punkt,
(720), wahrend wir an der entsprechenden Stelle des zweiten Nomial-
tags die hohe Zahl 1161 treffen, die also aussagt, dass auf 100
Wiederholungen 1161 gelemte Zahlen, somit auf einmaliges Ablesen
einer Reihe fast jedesmal sofort alle 12 Zahlen auswendig wieder-
gegeben werden konnten. An sich ist das Resultat nicht unmoglich ;
wir sehen es in der einwandfreien zweiten Viertelstunde des letzten
Tags mit dem Lemwerth 1200 noch ubertroffen, wo in der That alle
124 Reihen hintereinander gelesen und jedesmal sofort auswendig her-
gesagt wurden; das ist freilich die auBerste Moglichkeit des Lemerfolgs,
der von da ab nur noch durch Erhohung der Sprechgeschwindigkeit
gesteigert werden konnte. Aber auch diese wird nun bald an ihre
Grenze kommen, da sie hier schon 0,3 Secunden fur jede Zahl er-
reicht hat; wenn dies zur Regel wiirde, wiire es um die Verwerthung
der bisher recht brauchbaren Methode fur psychophysische Versuche
geschehen. Indessen die geringe Wiederholungszahl im vierten Ab-
schnitt des dritten Tags zeigt an, dass hier durchschnittlich auf jede
ausgesprochene Zahl mehr als 1,2, in der mittleren FUnfaiinuten-
gruppe sogar zwei Secunden kamen. Nach dem hohen Lemwerth zu
urtheilen, ist motorisch gelemt worden; wir wurden daraus auf ein
weit schnelleres ZeitmaB des Sprechens schlieBen. Dieser Wider-
spmch erklart sich vielleicht dadurch, dass die vorhin schon erwRhnten
Eraiudungspausen hier einen betrachthchen Theil (nach dem Vergleich
der Sprechzahl mit der der ubrigen Viertelstunden, vielleicht 2/3) der
Viertelstunde ausmachten. Darauf liin lasst sich schon eine gewisse
Erholung erwarten, die wir denn auch in der Endviertelstunde finden
mit ihrem Anstieg, der in den letzten fiinf Minuten die ansehnliche
Hohe von 63 gesprochenen Zahlenreihen erreicht. Die ungunstige
Disposition hat also nicht nur die storend niedrigen Werthe der
vierten Viertelstunde hervorgerufen, sondem auch in der Endviertel-
stunde mittelbar einen Werth aufkommen lassen, der seilie Hohe
gewissermaBen auf imrechtmaBige Weise erlangt hat. Die auf Er-
miidung und unfreiwillige Pausen zuriickgefuhrte Stoning war am
ersten Normaltage geringer, folglich auch die erholende Wirkung der
Erschopfungspausen weniger groB als am zweiten Normaltag; jener
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Uebcr den Binfluss des Arbeitswechsels auf fortlaafende geistige Arbeit. 149
yerdient daher wohl mehr Beriicksichtigung. Unter weit gunstigerer
Disposition standen die beiden Wechseltage, denn die Leistung steigt
nicht nur bis zur Mitte oder zum Ende der zweiten Viertelstunde an,
sondem auch die eingeschobene Lesearbeit in der zweiten halben
Stunde zeigt beim zweiten Versuch noch eine deutliche Zunahme,
Trotzdem liefert die Endviertelstunde einen recht niedrigen Werth,
ohne dass wir aus der Sprechzahl auf luckenhaftes, dnrch Er-
schopfung^ausen unterbrochenes Arbeiten schlieBen dUrften.
Wir miissen also den Schluss ziehen, dass die Unterbrechung
des Auswendiglemens durch Buchstabensuchen im Zustande der Er-
miidung einen ungunstigen Einfluss ausiibte. Trotzdem also auf die
nicht mehr als schwer empfundene Lemthatigkeit eine leichte Arbeit
folgte, bot die letztere keine Erholung, sondem sie beeinflusste die
Hauptthatigkeit in ungUnstigem Sinne. Als Grund diirfen wir, vrie
besprochen, vielleicht annehmen, dass die Auffassungsarbeit des Buch-
stabensuchens mit ihrer starken Anstrengung der Augenmuskeln die
Ermiidung mehr aufkommen lieB als das motorische Lemen. Die
an sich nicht schwierige Lesearbeit wirkte also unter bestimmten
Umstanden geradezu narkotisirend.
Bemerkenswerth ist noch, dass direct nach dem Wechsel immer-
hin eine verhaltnissmaBig hohe Lernzahl auftritt, dass also trotz der
lahmenden Wirkung der Einschiebearbeit zunachst sich ein Antrieb
findet, der freilich rasch genug verschwindet. Es scheint danach,
als ob im Zustand einer gewissen Ermiidung der Wechsel als solcher
eine erfrischende, wenn auch nur sehr kurze Wirkung ausubt, wozu
vielleicht auch schon die motorische Leistung des Wegschiebens des
Lesestoffs und des Aufnehmens der Lernhefte das ihrige beitragt.
Lemen konnen wir aus der ganzen Besprechung auch, dass eine
genaue Betrachtung selbst aus scheinbar »verungluckten« Versuchen
noch verwerthbare Ergebnisse zu Uefem vermag.
Wir haben jetzt mit sechs Versuchsreihen drei verschiedene Ar-
beitsmethoden in ihrer gegenseitigen Beeinflussung untersucht, von
denen die eine besonders das Gedachtniss, die andere den associa-
tiven Vorgang und die letzte die Auffasung in Anspmch nahm.
Weiterhin wurden die Versuche von A fortgesetzt, unter sorgfaltigerer
Beriicksichtigung der guten Disposition und zum Theil mit anderen
Methoden. An die Stelle des bald an der Grenze seiner Leistungs-
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150 Wilhelm Weygaiidt.
fahigkeit angelangten Zahlenlernens trat das Auswendiglemen sinn-
loser Silben, imd statt des durch den Inhalt des Lesestoffs immerhin
beeinflussten Buchstabensuchens wahlten wir einwandfreiere Auffas-
sungsmethoden. An dieser Stelle konnen wir schon darauf hin-
weisen, dass sich bisher die Verhaltnisse der einzelnen Arbeitsarten
zu einander weit verwickelter erwiesen haben, als sie auf den ersten
Blick erscheinen mochten.
7) Auswendiglemen sinnloser Silben unterbrochen duroh langsMnes
Sohreiben.
Psychologisch eng umschriebene Arbeiten boten die bisherigen
Versuchsanordnungen nicht. So verkniipfte sich beim Addiren
mit der associativen Thatigkeit noch sowohl ein Auffassungsvoiv
gang als auch das leise Aussprechen der Summen, wahrend die
sinnliche Auffassungsarbeit des Buchstabensuchens von den durch
den Inhalt des Grelesenen angeregten, mehr oder weniger lebhaften
Associationen begleitet wurde. Am verwickeltsten gestaltete sich die
Gedachtnissarbeit, das Zahlenlemen. Bei ihm voUzog sich ein Ueber-
gang vom sensorischen zum motorischen Lemen und damit eine
bedeutsame Aenderung der Arbeitsweise. Zuerst handelte es sich
um eine schwere, unangenehme Arbeit; zuletzt war es zu einer leichten
und geradezu angenehmen Arbeit von ausgepragt motorischer Art
geworden. Es erschien deshalb wiinschenswerth, als nach 6wochiger
Unterbrechung die Versuche Anfang Februar 1896 wieder aufgenom-
men wurden, noch eine andere Gedachtnissmethode heranzuziehen,
Wir wahlten dazu das Lemen von sinnlosen Silben, das aller Vor-
aussicht nach seinen Ruf als recht schwere Arbeit nicht verleugnen
wurde. Es bew^hrte sich in dieser Hinsicht. Die associative Unter-
stutzung dieser Gedachtnissarbeit war gering, da die Piille der vor-
kommenden Silbenverbindungen auBerordentUch groB ist. Das Lemen
wurde mit zwolfsilbigen Gruppen in der Art wie bei Lowald^) aus-
gefUhrt, mit dem geringen Unterschiede, dass die Silben mit x aus-
gemerzt wurden, weil dieses Zeichen in einer zu storenden Weise
beim Aussprechen noch als Doppelconsonant (A; + 5) empfunden wird;
mit demselben Recht konnte man sonst auch das Psi oder im
1) Diese Arbeiten I. S. 528.
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Ueber den Cinfluss des Arbeitswechsels auf fortlaufende geistige Arbeit. 1 51
Russischen das Schtscha) verwenden; x ist in phonetischer Beziehung
zwar auch ein zusammengesetzter Laut, aber es wirkt weit weniger
storend bei der Aussprache als das x. Es handelte sich im Ganzen
um 645 verschiedene Silben. Das Lesen und Aufsagen derselben
vollzog sich laut.
Der Charakter der reinen Gedachtnissarbeit wurde aber wieder
beeintrachtigt durch die Gemiitliserregung, die wahrend des Lemens
auftrat. Mehr oder weniger wird das jeder erkennen oder doch
nachempfinden, der sich auch nur funf Minuten lang dieser wider-
wartigsten aller psychophysischen Versuchsarbeiten widmet. Lowald
hat bei seinen Bromuntersuchungen einen Zustand der inneren Span-
nung und erhohten gemiithUchen Reizbarkeit kiinstlich erzeugt durch
das Lemen sinnloser Silben unter einer Stoning in Gestalt vorgele-
sener Stellen aus Buchmann's »Geflugelten Worten«. Ich gestehe,
dass es bei mir einer solchen Storung nicht erst bedurfte, um wah-
rend des Silbenlemens in einen Zustand betrachtlicher gemiithlicher
Reizbarkeit und zomiger Erregung zu gerathen, der auch bei Lowald,
wenn auch vielleicht in geringerem Grade, schon bei dem bloBen
Silbenlemen im Gegensatz zum Zahlenlemen eintrat*).
Die Silbenmethode kam nun bei A in drei verschiedenen Ver-
suchsreihen zur Anwendung. Zunachst wurden sinnlose Silben ge-
lemt mit einer am zweiten und vierten Tag in der zweiten Halb-
stunde eintretenden Unterbrechung durch langsames Schreiben. Es
wurden dabei fur spatere Versuche Silben ins Heft geschrieben.
Diese Einschiebearbeit ging jedoch, wie die in der Tabelle XX mit-
veriseichneten Werthe erkennen lassen, in einem gleichmaBigen, durch-
aus bequemen, nicht anstrengenden ZeitmaBe vor sich; es kamen
auf die Minute ungefahr neun oder zehn Silben. Fiir den Buch-
staben wurden mehr als zwei Secunden in Anspruch genommen; die
Versuche kommen somit Pausenversuchen ziemlich nah. Die Dis-
position war im ganzen gunstig wahrend der ersten Versuchsreihe
vom 4. bis 7. 11. Alle drei Reihen Versuche fanden Vormittags statt,
in der Zeit von 9 bis IOV4 Ulir.
1) Vgl diese Arbeiten I, S. 558.
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152
Wilbelin Weyguidl.
Tabelle XX.
4. II.
5. II.
6. II.
7. n. 96.
48
36
48
39
1.
53 128
27 101
36 128
35 120
27
38
44
46
25
34
52
36
2.
42 88
23 91
28 116
47 122
21
34
36
39
15
34
3.
45 86
26
136
42 120
44
155
30
27
4.
32 80
18
137
34 88
27
155
29
35
29
44
5.
18 59
37 111
31 88
38 145
12
39
28
63
Zunacbst zeigt sich, dass die Anzahl gelemter Silben nicht be-
Bonders groB ist. Das Verhaltniss zwischen Silben- und Zahlenlemen
bei A erinnert an Lowald, der auch viel besser Zahlen als Silben
gelemt hatte, wahrend sich unter den Versuchspersonen von Oehrn*)
mehrere befanden, die im Zahlenlemen kaum hohere Resultate batten
als bei den Silben, ja spgar zwei, die besser sinnlose Silben als
Zahlen lemten. Bei meinen Versuchen hat es sein Missliches, ab-
solute Gesammtdurchschnittezahlen zu bestimmen, schon weil dahinein
auch die durch den Wechsel beeinflussten Endviertelstunden verarbeitet
werden miissten. Wahrend die 20. Viertelstunde der Zahlenmethode
bei A einen Funfminutenwerth von 360, die 39. einen von 516 auf-
weist, steigt das Silbenlemen in 36 Viertelstunden nur zu einem
Funfminutenmaximum von 75, also auf 14,5 % der hochsten Zahlen-
lernleistung an. Aus den Durchschnittszahlen von Lowald ergiebt
sich, dass seine Silbenlemzahlen etwa IZ^'i % der Zahlenlemzahlen
1) Diese ArbeiLen I, S. 118.
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Ueber den CinQuss des ArbeiUweehsels aaf fortlaufeude geisiige Arbeit. 153
ausmachen. Der Unterschied wir damit noch etwas groBer als bei
A, mit dem Lowald freilich eine Gruppe bildet gegentiber den Ver-
suchspersonen von Oehrn, bei denen die Leistung im Silbenlemen
regehnaBig mehr als 50^ derjenigen beim Zahlenlemen betrug.
Wahrend nun Lowald's Zahlenleistungen die der Oehrn'schen Ver-
suchspersonf n ubertreffen, bleiben seine Silbenleistimgen hinter denen
Jener zuriick. Bei A hingegen liefert die Zahlen- wie die Silben-
methode weit hohere Werthe als bei irgend einer anderen Versuchs-
person. Eine bestimmte Erklarung dafur steht mir zur Zeit nicht zu
Gebot. Da die Arbeit des Lemens, die auBeren Bedingungen u. s. w.
bei den verschiedenen hier erwahnten Versuchspersonen wesentlich
die gleichen waren, kann es sich jedoch lediglich um personliche
Verschiedenheiten handeln. Zur Beurtheilung der Uebungsfestigkeit
bei A konnen wir die End- und Anfangsergebnisse vor und nach
einer groBeren Pause vergleichen. Hier sehen wir, dass weder vom
7. auf den 12. 11., noch vom 14. auf den 18., ja nicht einmal vom
21. n. auf den 11. m. ein bemerkenswerther Uebungsverlust ein-
trai Wie es sich mit der Gedachtnissfestigkeit verhalt, konnen wir
leider nicht feststellen; dem subjectivem Empfinden nach war sie recht
gering. Beachtenswerth ist, dass von den Versuchspersonen Oehrn's
keine das Auftreten einer Gemiithserregung besonders betonte, die
doch gewiss bei einzelnen angedeutet sein musste, wahrend sie
Lowald deutlich und A, wie es scheint, in noch hoherem MaBe
empfand. Bei diesen beiden konnte man sich versucht fuhlen, den
starken Abstand zwischen Zahlen- und Silbenlemen gegeniiber den
Personen Oehrn's zum Teil auf die Gemiithserregung zu schieben;
doch zeigt Lowald einen noch etwas groBeren Abstand als A, wah-
rend doch A den starksten Affect gehabt zu haben scheint. Wir
durfen vielleicht eher aussprechen, dass der Affect das Arbeits-
ergebniss nicht stark schadigte, sondem nur ein mehr gleichmaBiges
Arbeiten verhinderte. Das wurde etwa den Ergebnissen der Arbeit
von Rivers und Kraepelin*) entsprechen, wo der Nachweis geliefert
ist, dass auch die Langeweile wohl unangenehm empfunden wird, die
Leistung im ganzen jedoch nicht besonders verschlechtert.
Die drei Versuchsreihen zeigen wohl einen deutlichen Einfluss
1) Diese Arbeiten I, S. 631.
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154
Wilheim Weygaiidt.
der Uebung, doch ist er bei weitem nicht so groB wie fllr das
Zahlenlemen. Auffallend ist das starke Schwanken der Leistung,
das sich in den Fiinfminutenzahlen besonders des 4., 6. und 18. 11.
kundgiebt. Es folgen da z. B. in der mittleren Viertelstunde des
4. n. gerade nach einander die Werthe 15, 45, 26. Es handelt sich
beim Silbenlemen eben um eine Arbeit, die starke Oonceijtration und
moglichste Femhaltung von Storungen verlangt; damit aber ist Qe-
legenheit zu besonderen Willensanspannungen gegeben.
Der Verlauf der siebenten Versuchsreihe zeigt im ganzen eine
absteigende Bichtung schon von der Anfangsviertelstunde ab. An-
trieb finden wir nicht nur in den Flinfminutenwerthen des 5. und
6. n., sowie nach der Wechselarbeit des 7. ausgedrlickt, sondem
wir konnen auch daraus auf ihn schlieBen, dass die jedesmal am
Anfang der Stunde gelemten Reihen fast immer nur recht weniger
Wiederholungen bedurften.
Schon die Haupttabelle (XX) lasst an den entscheidenden Vier-
telstunden der Wechseltage einen deutlichen Ausschlag nach der gun-
stigen Seite hin erkennen, wie es bei der schweren Grundarbeit und
der uberaus leichten Zwischenbeschaftigung auch nicht anders zu
erwarten war. Unter Einsetzung des geringen Uebungszuwachses
von 2,3 erhalten wir folgende Uebersicht:
Tabelle XXL
4. 11.
5. II.
6. II.
7. 11. 96.
_ ^ ^ / berechnet
Letste /
Viertelstunde \ \ ,'
gefunden
114,9
102,9
128,9
132,9
59
111
-8,1
88 i 145
ErmadungswirkuDg
55,9
40,9 — 12,1
Different
64,0
63,0
Gefundener Werth in %
del berechneten
51,1
107,9
68,3
109,1
Differenz
+ 66,8
+ 40,8 1
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Ueber den Binfluss des ArbeiUwechsels aiif fortlaufeiide geistige Arbeit. 1 55
8) Addiren unterbroohen dtirch AuBwendlglemen Binnloser Bilben.
Tabelle XXH.
11.
11.
12.
n.
13.
n.
14. U.
251
303
257
232
1.
286
809
286
867
293
860
311 836
272
278
310
293
301
325
279
289
2.
311
912
290
913
284
879
303 883
300
298
316
291
264
47
270
45
3.
270
801
46
144
240
755
44 146
267
51
245
57
242
47
261
41
4.
215
707
42
142
211
722
51 126
250
218
---
53
250
34
217
274
258
5.
230
638
248
678
236
775
224 687
190
213
265
205
. In der achten Versuchsreihe handelt es sich um Addiren, unteiv
brochen durch das Lemen sinnloser Silben.
Das Addiren war schon auf einer ziemlich hohen Uebungsstufe
angelangt; es zeigt, vielleicht beeinflusst durch leichte Dispositions-
differenzen, keinen bemerkenswerthen Uebungsfortschritt mehr, so
dass wir nach der liblichen Methode einen geringen negativen Uebungs-
fortschritt bekommen wurden ( — 0,7). Wenn wir die Differenzen der
Endviertelstunden mit dem Mittel der beiden Anfangsviertelstunden
vergleichen, erhalten wir folgendes:
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156
Withelm Weygandt.
Tabelle XXIIL
11. n.
12. 11.
13. 11.
14. U.
Mittelwerth der zwci
Anf angsviertelstun den
860,5
890
869,5
859,5
686
Endviertelstunde
638
678
774
Sinken der Leistung
222,5
212
95,5
172,5
Differenz
— 10,5
+ 77,0
Endwerth in ^/o
des Anfangswerthes
Differenz
74,1
76,2
89,0
79,8
+ 2,1
-9,2
Wir finden hier beim zweiten Wechseltag eiaen Ausschlag in
entschieden ungiinstigem Sinne, wahrend am ersten die Zwischenarbeit
eine etwas gUnstige Wirkung gehabt zu haben scheint. Das Proto-
koU vermerkt jedoch am ersten Normaltag, dass das Addiren wohl
anfangs frisch verlief, spater aber eine leichte Rachenentzlindung
storende Schmerzen verursachte, wodurch die Arbeit nur noch zer-
streut von statten ging. Dadurch wird der Endwerth dieses Tags
zu gering gegeniiber dem des ersten Wechseltags. Die spateren
Tage zeigten bessere Disposition. Unserer Benrtheilung der Ergeb-
nisse mussen wir daher zumeist die drei letzten Tage zu Grunde
legen, die einen ungUnstigen Einfluss des Silbenlemens als Weeh-
selarbeit gegeniiber dem Addiren darlegen.
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Ueber den Cinfluss des Arbeiiswechsels anf fortliufende geistige Arbeit. 157
9) AuBwendiglernen Binnloser Bilben unterbroohen durch Addiren.
Tabelle XXIV.
18.
II.
J 9.
II.
20.
II.
21. II. 96.
48
36
42
44
1.
46
143
44
120
42
126
50 132
49
40
42
38
51
36
46
66
2.
36
120
38
128
58
172
50 156
48
44
48
55
28
229
46
268
3.
26
108
229
663
52
149
281 822
54
205
51
273
45
257
41
238
4.
38
131
240
784
57
136
218 738
48
287
38
282
32
64
27
75
5.
15
92
63
165
38
103
62 204
45
38
38
67
In der neunten Versuchsreihe haben wir die Umkehrung des
soeben abgehandelten Versuchs. Es wurden Silben gelemt, zweimal
unterbrochen durch Addiren. Der erste Tag, dessen Arbeit nocb
unter betxachtlicher Gtemiithserregung stand, weist starkere Schwan-
knngen in seinen Viertelstimden und auch in den Funfminuten-
zahlen auf, was wir auf die schwankende Lemweise zuriickfuhren
konnen, die vorwiegend nocb sensorisch war, jedoch mit starker Nei-
gung, ins Motorische uberzuf alien. Bemerkenswerth ist besonders,
dass im weiteren Lauf der vier Tage das Protokoll die Stimmung
wieder als gut bezeichnet, die Gemiithserregung also alhnahlich einer
gleichgiiltigeren Verfassung Platz gemacht hatte. Von einer rein
motorischen Lemweise konnte bei der Mannigfaltigkeit der associa-
tiven Elemente und der geringen Debung noch nicht die Rede sein,
doch machtiB sich wahrend der Arbeit nicht selten die Neigung nach
jener Seite bin geltend.
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158
Wilhelm Weygandt.
Unter Einsetzung des geringen taglichen Uebungszuwacbses von
1,7 konnen wir zu folgenden Werthen gelangen.
Tabelle XXV.
18. II.
19. II.
20. 11.
21. II.
T , f berechnet
LeUte /
136,6
129,1
154,1
149,1
Viertelstunde I -. ,
geninden
92
165
103
204
ErmaduDgiwirkung
44,6
— 35,9
6.,.
— 54,9
Differenz
— 80,5
— 106,0
Qefundener Werth in o/o
del berechneten
67,3
127,8
66,8
136,8
DiffereDE
60,5
70,0
Auf die schwere Arbeit hat demnach die Einschiebung einer nur
maBig schweren erholend gewirkt. Die Zuganglichkeit des Addirens
fttr Ermiidung trat hier, wo es sich nur mn halbe Stunden handelt,
weniger zu Tage; auch war die ganze Disposition noch etwas gUn-
stiger als in der vorigen Woche.
10) Ungarisoh Lesen iinterbroohen doroh Sllbenlernen.
Wir wandten uns nunmehr einer Grundarbeit zu, welche die
Auffassung besonders in Anspruch nimmt. Wir wahlten einen fremd-
sprachlichen Lesestoff dazu, und zwar legten wir, um jede Stoning
durch den Inhalt zu vermeiden, einen ungarischen Text zu Grunde,
bei dem das Verstandniss des G^lesenen vollig ausgeschlossen war.
Es kam nur darauf an, Buchstaben und Worte richtig aufzufassen
und auszusprechen. Die Differenzen zwischen Aussprache und Schreib-
weise sind im Ungarischen so gering, dass sie, wie dj statt gy vor
Vocalen, einfach unberttcksichtigt bleiben konnten; der Klang der
Worter erscheint unserem Sprachgeftthl fremdartig, doch ist die
Aussprache nicht mit besonderen Schwierigkeiton verknlipft; vor
allem sind keine schwierigen Oonsonanthaufungen wie etwa in den
slavischen Sprachen vorhanden. Den vielleicht etwas storenden viel-
silbigen Wortem steht doch auch eine reiche Anzahl einsilbiger gegen-
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Ueber den Ginfluss des Arbeitswechsels anf fortlaufende geistige Arbeit. 1 59
uber. Als Lesestoff wurden die zusammenhangenden Lesestiicke eines
ungarischen Kalenders (Pesti Hirlap vom Jahre 1895) benutzt, die
rich durch einen deutlichen Druck auszeichneten. Im Laufe der Ver-
suche wurde allerdings Material, das schon gelesen war, wieder zum
Lesen benutzt, doch erschien dadurch die Gelaufigkeit des Lesens
nicht gehoben; auBer etwa den Eigennamen kam die Lecture dabei
durchaus nicht bekannter vor; eine Vergleichung derjenigen Ergeb-
nisse, welche aus ein oder mehrere Male gelesenem Stoffe gewonnen
sind, mit jenen, die aus Experimenten mit ganz neuer Lecture
hervorgingen, zeigt keine wesentlichen Unterschiede.
Es wurden zunachst zwei groBe Versuchsfolgen angestellf, deren
jede 12 aufeinanderfolgende Tage zahlte und die nur durch eine
Pause von 48 Stunden voneinander getrennt waren. Die Arbeitszeit
fiel durchweg in die gunstigsten Vormittagsstunden, ungefahr von
9 bis IOV4 Uhr. Es waren damals vom 10. DI. bis 3. IV. 1895
Universitatsferien, so dass eine gleichmaBige Disposition und eine
Vermeidung starker Ermiidung leichter zu erzielen war als in den
vorhergehenden Monaten. An zwei Tagen war die vorausgehende
Nachtruhe durch eine geringgradige asthmatische Athembeklenunung
etwas beeintrachtigt und infolge dessen die Stimmung wahrend der
Arbeit entschieden unlustig und gedriickt Wir werden bei der
Einzelbesprechung auf diesen Punkt zuriickkonmien.
Die stattliche Menge von Versuchen ermoglichte, einen Uebungs-
zuwachs zu berechnen, der groBeren Anspruch auf Richtigkeit hat, da
zufallige Dispositionsabweichungen sich hier mehr ausgleichen. Die
zwei minder gUnstigen Tage der ersten Polge wirkten somit weit
weniger storend als etwa ein ungunstiger Tag der vorher beendeten
viertagigen Reihen. Li der zweiten Gruppe dieser Versuche mit
ungarischem Lesen als Grundarbeit wurden zwei Pausentage aufge-
nommen, die es ermoglichten, im Anschlusse an die Aufstellungen
von Rivers und Kraepelin^) fiir jene 12 Tage auch den reinen,
durch die Ermiidung moglichst wenig beeinflussten Uebungszuwachs
zur Berechnung zu verwenden.
Zunachst besprechen wir die erste 12tagige Gruppe im Ganzen,
1) Diese Arbeiten I, S. 69.
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160 Wilhelm WeygandU
deren taglicher Uebungszuwachs auf 25,3 fur die Viertelstunde be-
rechnet wurde. Sodann werden wir die drei verschiedenen Abthei-
lungen der Versuchsreihe nacheinander durchgehen. (Siehe neben-
stehende Tabellen XXVI, XXVH, XXVm.)
Die Betrachtung der Zahlen, welche die bei der ungarischen
Lecture gelesenen Silben bedeuten, ergiebt ein langsames Ansteigen
infolge des Uebungszuwachses. Kleine Unterbrechungen erleidet diese
aufsteigende Linie an den zwei Tagen mit nachweislich weniger
giinstiger Disposition (15. und 17. III.) sowie nach dem neunten
Versuchstage. Fiir letztere giebt das ProtokoU keinen Aufschluss.
Anscheinend hat der 18. m., namentlich im Beginn, besonders gUn-
stige Versuchsbedingungen geboten, von deren Wesen wir uns aller-
dings bei unserer derzeitigen Unkenntniss solcher Umstflnde keine
klare Vorstellung machen konnen. Der Verlauf der Tagescurven ist
wenig einheitlich, doch im Ganzen so, dass die groBte Leistung in
der zweiten Viertelstunde erreicht wird, worauf meist ein steiler Ab-
fall erfolgt. An einzelnen Punkten findet sich in der Schlussviertel-
stunde aber wieder ein betrachtliches Ansteigen, das durch den
manchmal auftretenden Schlussantrieb nur mangelhaft erklart wird
(12. und 14. m.). In mehr als der Halfte der Versuche ist der
Anfangsantrieb mehr oder minder deutlich ausgepragt (Tag 3, 4, 7,
8, 9, 10 und 12). Das ist um so auffallender, als wir bei A. vorher
die Ermiidungsdisposition als antriebbefordemd kennen gelemt haben,
von der hier an den Vormittagen nicht die Rede gewesen war. Wenn
wir bei dem heutigen ungenligenden Stande unserer Kenntniss vom
Wesen der Arbeitsvorgange uns dieses Ergebniss deuten woUen, so lasst
sich vermuthen, dass zunachst wohl jede Versuchsarbeit mit einer
gewissen Willensanspannung in Angriff genommen wird, die aber bei
manchen Arbeiten, z. B. beim Addiren, rasch erschlafft und daher
in den Punfminutenabschnitten gegeniiber den Einfliissen der Anre-
gung, Uebung und Ermiidung mehr zuriicktritt
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Ueber deo EiuOnss des Arbeitswechsels auf fortlaufende geistige Arbeit.
161
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^
Kraepelin, Psychol. Arbeiten. II.
11
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162 Wilbelm Weygandt
Hier wiirde Jann erst das Gefiihl der sinkenden Leistung, die Aus-
sicht auf baldigen Schluss der Ai-beit, auch wohl der Arbeitswechsel
wieder starkeres Eingreifen des AVillens anregen. Vielleicht begun-
stigt andererseits eine besondere Betheiligung motorischer Vorgange
an der Arbeit das haufigere und nachhaltigere Auftreten des Antrie-
bes, wie z. B. gerade hier beim Lesen und friiher beim Lemen.
In Tabelle XXVI finden wir vom 10. bis 13. m. eine Unter-
brechung der Grundthatigkeit dnrch die schon vorher zur Verwendung
gekommene Arbeit des Auswendiglemens sinnloser Silben, der wich-
tigsten Gedachtnissmethode. Diese Bezeichnimg verdient sie jetzt
wenigstens eher als zu Beginn ihrer Anwendung bei Versuchsperson
A, wo der dabei entstehende zomige Affect storend dazwischen trat,
wahrend jetzt nach der Gewohnung an diese Arbeit mit einer ge-
wissen Gleichgiiltigkeit gelemt wurde. Bemerkenswerth ist, dass trotz
der Zwischenzeit von 19 Tagen, in welcher die Methode nicht mehr
geiibt >vurde, der Uebungsverlust sehr geringfiigig ist. Die zwei
letzten Tage batten fiir die Anfangshalbstunde einen viertelstUnd-
lichen Mittelwerth von 149 und 144 Silben; die Endviertelstunde
des damaligen Wechseltags nach leichter Zwischenarbeit en-eichte
204. Jetzt finden wir in der zweiten Halbstunde des Versuchs vom
11. m. sofort eine Viertelstundenleistung von 161 Silben. Vielleicht
konnen wir daran denken, dass nicht nur die Gewohnung an diese
anfangs so unangenehme Arbeit, sondern auch das Bewusstsein, dass
sie jetzt voraussichthch zum letzten Mai, und nur fiir zwei halbe Stun-
den zu leisten war, ein gleichmaBigeres, ertragreicheres Lemen zur
Folge hatte.
Immerhin wurde das Silbenlemen als eine schwere Albeit gegen-
iiber der zwar bald langweilig werdenden, aber doch leichteren Lecture
des Ungarischen empfunden. Die genaue Berechnung der Ergebnisse
unter Zuhulfenahme des Werthes fiir den taglichen viertelstiindlichen
Uebungszuwachs = 25,3 ergiebt folgendes:
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Ueber den Einduss des Arbeitswechsels auf fortlaufeade geistige Arbeit.
Tabelle XXIX.
163
10. m.
11. m.
12. III.
13. III.
berechnet
Letzte Viertelstunde -
gefunden
2752
2903
2941
3157
2472
2439
2659
2586
Ennadunggwirkung
280
464
282
571
Differenz
+ 184
+ 289
Oefundener Werth in % des be-
rechneten
89,8
84,7
90,4
81,9
Differenz
-5,1
— 8,5
Die ungUnstige Wirkung der Zwischenarbeit ist deutlich, wenn
auch nicht sehr stark. Dass die Minderleistung des zweiten Wechsel-
tags die des ersten iibertrifft, konnte darauf zuriickgehen, weil das
ungarische Lesen hier schon einen groBeren Uebungsgrad erreicht
hatte, also etwas leichter geworden war gegeniiber dem ungefahr
gleich schwer gebliebenen Silbenlemen.
11) Ungarisch Lesen unterbroohen duroh Addiren. ■
(Tabelle XXVII.)
Die vier Tage vom 14. bis 17. HI. waren dem Wechsel mit
Addiren gewidmet. Leider stehen hier die Wechseltage selbst unter
dem Einfluss einer weniger gtinstigen Disposition. Die Nachwirkung
von asthmatischen Athembeschwerden in den letzten Stunden der
Nacht gaben sich vorzugsweise in unlustiger, gedriickter Stimmung
kiind; auBerdem bestand ein dumpfschmerzendes Gefiihl im Kopf.
Die Leistimg wurde dadurch jedenfalls verschlechtert; doch scheint
in Anbetracht der gleichmaBigen Arbeit wahrend der ersten halben
Stunden die Versehlechterung mehr in einem Tiefstand der Gresammt-
leistung, die schon mit auffallend niedrigen Werthen einsetzt, sich
auszudriicken, als in jenem raschen Sinken der Zahlen, das wir aus
friiheren durch Ermiidimg ungiinstig beeinflussten Versuchen kennen
gelemt haben. Es scheinen demnach die verschiedenen Pormen un-
gunstiger Disposition (Ermiidung, gedriickte oder gereizte Stimmung,
Mudigkeit) das Arbeitsergebniss in verschiedenera Sinne zu beeinflussen,
11*
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164
WUhelm WeygaodU
wenn es audi bei dem Ineinandergreifen der mannigfaltigsten Um-
stande in der Kegel schwierig ist, diese Unterschiede mit einiger
Bestimmtheit auseinander zu halten. Wir diirfen bier wobl an die
Scblussbemerkungen in der Arbeit von Kraepelin und Rivers^)
erinnem. Wenn wir nunmehr die Leistung imserer zwei Wechseltage
mit derjenigen der meisten Normaltage vergleichen, miissen wir die
ausscblaggebenden Werthe der Endviertelstunden an den Wechsel-
tagen als ziemlicb booh bezeichnen; der erste liegt nabe der Hocbst-
leistung der ersten balben Stunde.
Die Berecbnung nacb der ublicben Weise befert keine einheit-
licben Ergebnisse.
Tabelle XXX.
Letzte Viertelfitunde
Ermadungswirkung
Differenz
■Gefundene Werthe in % der be-
rechneten
16. III.
3180,5
2749
17. m.
2883,5
2820
431,5 I 63,5
— 368
86,4
90,9
Differenz
-3,6
4,5
Wir finden danacb am zweiten Versuebstage eine Heral)setzung,
am vierten eine Verbesserung der Leistung durcb die eingescbobene
Addition. Indess muss der Verlauf der Arbeit am 1 4. in. auff alien.
Diese Leistung mit ibrem stetigen Aufstieg von der dritten Viertel-
stunde ab entspricbt nicbt dem, was vnr bei den Ubrigen Normal-
arbeitstagen kennen gelemt baben. Nur am 12. III. und 2. IV.
finden wir etwas AebnUcbes angedeutet. Eine binreicbende Erklarung
flir dies Verbalten baben wir zur Zeit nocb nicbt. Docb sebeint es
geboten, angesicbts dieses Gegensatzes zu den sonst gewonnenen
Curven die Zablen des 14. III. mit Vorsicbt zu verwenden. Ver-
gleicben wir daber lieber nur das Procentergebniss des zweiten Nor-
maltages mit den gleiclimaBigen Procentzablen der beiden Wecbseltage,
1 Diese Arbeiten I, S. 676.
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Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels auf fortlanfende geistige Arbeit.
165
so wiirden wir eine gunstige Beeinflussung (lurch die eingeschobene
Additionsthatigkeit finden. Die Addirleistung ist eine ziemlich ge-
ringe, wenn wir sie mit den Zahlen der Tabelle VULL vergleichen;
auch zeigt sie keine rechten Fortschritte ; die Anstrengung diirfte
also bei der Arbeit nur eine maBige gewesen sein.
Ln ganzen kommen wir zu dem Schlusse, dass die Unterbrechung
der Lesethatigkeit durch die Addirarbeit eher eine gewisse Verbesse-
rung der Leistung ergab, die jedoch leicht durch andere Einfliisse
ausgeglichen wurde, also jedenfalls nicht sehr ausgesprochen war.
12) Ungarisoh Lesen unterbroohen durch Sohnellschreiben.
(TabeUe XXVIII.)
In diesem Abschnitte der Versuche soUte die Lesethatigkeit
unterbrochen werden durch eine moglichst rein motorische Arbeit,
das Schreiben der 25 kleinen Buchstaben des Alphabets (in Antiqua),
wobei die Associationsvorgange, wenn auch vorhanden, so doch ohne
besonderen Einfluss auf die Leistung waren. Die Disposition war
ganz gunstig; die Uebung im Lesen schreitet fort, jedoch zeigen,
wie schon bemerkt, die Werthe am 18. HI., namentlich anfanglich,
eine ganz besondere Hohe. Die Schreibleistung steigt in bemerkens-
werther Weise an, erreicht den Hohepunkt des ersten Tages am
Ende der halben Stunde, setzt am zweiten Tage gleich hoher ein
und gipfelt da in dem 4. und 5. Fiinfminutenabschnitt. Die End-
ergebnisse in Tabelle XXXI sind nicht einheitlich.
Tabelle XXXL
18. III.
19. III.
20. lU.
21. III.
. berechnet
3367
3178
3200
3364
2926
Letzte Viertelstunae J
gefunden
2710
657
2901
2810
Ermadungswirkung
277
390
438
Differenz
— 380
+ 48
Gefandene Werthe in % der be-
rechneten
80,5 1 91,3 1 87,9
1 1
86,9
Differenz
+ 10,8
-1,0
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166 Wilhelm Weygandt.
Der zweite Versuchstag brachte eine deutliche gunstige, der vierte
eine geringe ungunstige Wiikung des Arbeitswechsels. Erscheint
demnach das erstere Ergebniss zuverlassiger, so erhalten wir einen
weiteren Fingerzeig fur die Beurtheilung der Versuche, wenn wir
ausgehen von einer hier besonders auffallenden subjectiven Beobach-
tung. Es machte sich im Laufe des Schreibens, welches hochstens
2,43 Buchstaben auf die Secunde lieferte, eine immer mehr ansteigende
Ermiidung der Schreibmuskeln geltend, die in der letzten halben
Stunde sich auch schon durch ein Sinken der Leistnng kundgab.
Es war. als ob jene Muskelgrui:)pe bald ganz gelahmt ware und sich
dies Gef iihl dem iibrigen Korper mittheilte. Nach dem Wechsel mit
Lesen verspiirte ich zunachst eine Erschlaffung und Ermiidung des
ganzen Korpers, die deutlich die Leseleistung henunte, bis im Verlauf
einiger Minuten sich allmiihlich ^rieder das Gefiihl einer guten
Leistungsfiihigkeit fur das Lesen einstellte. Bei genauer Durchsicht
der Tabelle XXVHl finden wu* nun ganz den Angaben des Proto-
kolls entsprechend, dass nach Aufhoren des Schreibens die Leistung
zunachst eine recht tiefe ist, am zweiten Wechseltag so tief, wie sie
seit vier Tagen uberhaupt nicht mehr vorkam, wahrend sich in den
letzten zehn IVIinuten der Endviertelstunde die Leistung allmahlicli
auf eine hohere Stufe erhebt, als die Normaltage in derselben Zeit
darboten. Es findet von der ersten zur zweiten FUnfminutenarbeit
der Endviertelstunden ein Aufstieg von 73 und 186 statt. Der
zweite Wechseltag, der groBere Schreibleistung und damit starkere
Muskelermiidung brachte, giebt natiirlich auch liier einen weit be-
tnichtlicheren Ausschlag. Ein derartiger Aufstieg ist in der Ver-
suchsreihe nicht wieder aufzufinden; wir konnen daher nicht etwa
von Anregungswirkung sprechen, die ja sonst nach dem Arbeits-
wechsel der anderen Versuche auch hatte auftreten konnen. Dort
aber finden wir nirgends einen annahemd so weit gehenden Anstieg ;
vielmehr weisen von sechs Yersuchen der zweiten Versuchsreihe mit
ungarischer Lectiire vier das Gegentheil, einen deutlichen Antrieb
nach dem Wechsel auf. Wir haben angesichts dieser sich gegenseitig
stUtzenden Befunde im Protokoll und in den Einzelergebnissen viel-
leicht ein Recht, die Vermuthung auszusprechen, dass die Thatigkeit
einer Muskelgruppe zuniiehst eine voriibergehende starke Yerschlechte-
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Ueber den Ginfluss des Arbeitswechsels aaf fortlaofende geistige Arbeit. 167
rung, dann aber eine etwas langer andauemde Verbesserung der
geistigen Arbeitsleistung erzielt.
13) Ungarisch Lesen unterbrochen durch Pausen.
14) Ungarisch Lesen unterbrochen durch Italienisch Lesen.
15) Ungarisch Lesen unterbrochen durch Hebraisch Lesen.
Besonders klare, eindeutige Ergebnisse lietert uns die zwolftagige
Versuchsreihe, die in Tabelle XXXII bis XXXIV niedergelegt ist.
Die Grundarbeit bildete auch in dieser Versuchsgruppe, die von der
vorigen nui' durch einen Ruhetag getrennt war, das Lesen eines
ungarischen Textes. Gearbeitet wurde in derselben Vormittagsstunde
wie dort. Die Anfangszahlen zeigen ein gelindes Ansteigen durch
die noch wachsende Uebung. Die Disposition war durchweg gUnstig.
Die Hauptbedeutung des Versuches liegt darin, dass er uns
ermoglicht, einen Werth fiir den reinen Uebungszuwachs zu finden.
An den zwei Pausentagen, 24. III. und 26. III., betrug der durch
die halbstundige Anfangsarbeit erzielte reine Uebungszuwachs, be-
rechnet auf die von Rivers und Kraepelin angegebene Weise,
395,5 und 400, im Durchschnitt 398 Silben. Im Verhaltniss zu der
durchschnittlichen Leistung der ersten halben Stunde wiirde also
durch viertelstundige Arbeit ein Uebungsgewinn von 6,1 und 5,9^,
im Mittel von 6^ erreicht worden sein. Die Endviertelstunden er-
gaben in Procenten des Mittels der zwei Anfangsviertelstunden 112,1
oder 111,9, im Durchschnitt \\2%, Vergleichen wir nun die ge-
fundenen Endviertelstunden der Normaltage 23. und 25. m. mit dem
Ergebnisse, das wir fiir sie aus den Anfangswerthen mit Hiilfe reinen
procentischen Uebungszuwachses berechnen, so ergiebt sich eine Diffe-
renz von 729 und 752,5, im Mittel 740,8. Diese Zahl bedeutet fiir uns .
also annahemd die GroBe der EinbuBe, welche die Leistung der letzten
Viertelstunde durch die Ermiidung erlitten hat. Das Procentverhaltniss
der Normalendviertelstunden zu den Anfangsdurchschnittsviertelstun-
den betragt 89,9. Die Ermiidungswirkung gegeniiber der reinen Uebung
betragt demnach 23,1 %. In WirkUchkeit ist dieser Werth zu klein,
da ja der End viertelstunde des Pausentages nur zwei, der des Nor-
maltages aber vier ArbeitsvierteLstunden voraufgehen, somit an letz-
terem eine doppelt so reiche Uebungsgelegenheit bestanden haben
muss. Es konnte nun eingeworfen werden, dass ein unter Beriick-
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168
Wilhelm Weygawit.
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Ueber den Ginfluss des Arbeitswechsels aof fortlaufende geistige Arbeit. 169
sichtigimg der verschiedenen Anzahl voraufgehender Arbeitsviertel-
stunden berechneter reiner XJebungszuwachs deshalb zu groB ausfallen
wurde, weil der Uebungswerth der zweiten und dritten Viertelstunden
doch nicht so hoch sein konnte, wie der der ermudungsfreieren ersten
und zweiten Viertelstunden. Wir berechnen daher, um alien Einwanden
entgegenzutreten, im Polgenden lieber den XJebungszuwachs nur unter
Berucksichtigung der Uebungswirkung der zwei Anfangsviertelstunden,
obwohl wir von diesen Werthen bestimmt aussagen konnen, dass sie in
Wirklichkeit viel zu klein sind. Es ware vielleicht noch sicherer ge-
wesen, die beiden Pausentage nicht in das erste Drittel der ganzen
Versuchsreihe zu setzen, sondem sie etwas weiter zu vertheilen. Tmmer.
bin sind wir auch so schon in den Stand gesetzt, soweit bis heute mog-
lich, die Wirkung der Uebung und der Ermiidung einigermaBen von
einander zu trennen. In iiberraschend gUnstiger Weise kommt un-
seren Erwartungen die gute Uebereinstimmung der beiden Pausen-
versuche untereinander entgegen.
Ein zweiter Umstand, der die Bedeutung dieser Versuchsgruppe
erhoht, liegt darin, dass wir es mit Unterbrechungsarbeiten zu thun
haben, die der Grundarbeit in ziemlich hohem Grade wesensahnlich
sind. Es wurde zunachst die Lekture eines italienischen Textes ein-
geschoben (Tab. XXXTTT), daraufhin die eines hebraischen (XXXIV).
Auch wenn wir davon absehen, die einzelnen Arbeiten in bestimmte
Gebiete unserer Himrinde zu verlegen, dUrfen wu* doch zweifellos
annehmen, dass bei so ahnhchen Arbeiten wie bier das geistige Ge-
schehen und mit ihm der physiologische Parallelvorgang ein ahn-
Ucher sein werde. Es handelt sich bei alien drei Verfahren vorzugs-
weise um die Auffassung, dann um die Auslosung einer motorischen
Sprachvorstellung. Itahenisch war der Versuchsperson nicht fremd,
jedoch war die Bekanntschaft auch nicht so groB, dass der Inhalt
des Gelesenen hatte storend dazwischentreten miissen, wie es sich
manchmal beim Buchstabensuchen ereignete; auBerdem war ein in-
haltlich recht langweiliger Text gewahlt worden. Die Auffassung
war wesentlich leichter als beim Ungarischen, weil die Aufeinander-
folge der einzelnen Buchstaben nichts Ungewohnliches mehr bot; das
Protokoll bemerkt ausdriicklich, dass in der Regel gleich die ganzen
Worter aufgefasst wurden; die Verkniipfung mit der motorischen
Sprachvorstellung war auch erleichtert. Das Hebraische, womit sich
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170
Wilhdffl Weygandt.
die Versuchsperson seit iiber fiinf Jaliren nicht mehr beschaftigt
liatte, machte der Auffassung betrachtliche Schwierigkeit; es war
jedesmal eine GedSrChtnissanstrengung dabei nothwendig. Wohl war
auch die Auslosung der Sprachvorstellxmg schwerer; sie spielte aber,
da in Eolge der Auffassungsschwierigkeit schon das Lesen recht
langsam vor sich ging, fUr das Ergebniss keine erhebliche Rolle mehr.
Italienisch wurde ebenso \de Ungarisch nach Silben ausgezahlt. Beim
Hebraischen wurde zwar das K'ri, das heiBt die Worte mit der
ganzen Vocalpunctation gelesen; da aber eine Silbeneintheilung aus
manchen Grlinden, so schon wegen der ganz verscliiedenwerthigen drei
Schwa, im Hebraischen auf besondere Schwierigkeiten st^Bt, wurde
bei der Ausrechnung das K'tib, die Consonantenschrift, gezahlt;
daraus erklaren sich die anscheinend recht hohen Zahlen in der
TabeUe XXXIV.
Tabelle XXXV. (Italienisch Lesen.)
27. III.
28. III.
29. III.
30. Ill
berechnet
Letzte \
4004,5
3999
3987,5
3936,5
3542
ViertelBtunde/ ^ ^
gefunden
3206
798,5
3678
3132
Ennddungswirkung
Differenz
321
865,5
394,5
— 477,5
— 4(
161
Mittel
Gefiindene Werthe in ^/o
der berechneten |
59,3
89,9
80,1
90,5
78,5
Differenz i
+ 10,4
+
11,4
Mittel
!
-h
10,9
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Ueber deo Einfluss des Arbeilswechsels auf fortlaufeade geistige Arbeit. 171
Tabelle XXXVI. (Hebraisch Lesen).
1 31. III.
1. IV.
2. IV.
3. IV.
Letzte j berechnet
3884 4010
4034,5
4013,5
Viertelstunde ) ^ ,
gefunden
3356 3147
3543
3081
ErmadungBwirkung
Differenz
528
863
491
932,5
335
441,5 1
Mittel
388,3
Erhaltene Werthe in o/q
der erwarteten
86,5
78,5
87,8
76,8
Differenz
-8
— 11
Mittel
-0,5
Die Endergebnisse stimmen mit unserer Erwartung glanzend
tiberein. Die leichtere Arbeit des italienischen Lesens bewirkt einen
entschiedenen Ausscblag nach der giinstigen Seite, der auch wahrend
der Endviertelstunde schon subjectiv deutlich ward. Das schwerere
hebriiische Lesen hat einen Ausscblag nach der ungiinstigen Seite hin
zur Folge. Auch die Einzelwerthe harmoniren mit einander recht
nahe, besonders beim Versuche mit italienischer Lectiire. Der letzte
hebraische Tag hat einen ungiinstigeren Ausscblag als der erste,
vielleicht deswegen, weil die hohere Arbeitsleistung wahrend des
Wechsels (4076 gegen 3152 Consonanten am 1. IV.) eine groBere
Anstrengung und somit eine starkere Ermtidung mit sich brachte.
Der Einfluss von Pause, leichter Lectiire und schwerer Lectiire be-
tragt also in Procenten +23,1, +10,9, — 9,5. Ungarisch Lesen \^4rd
durch die leichte Unterbrechungsarbeit des Italienisch Lesens giin-
stig, durch die schwere hebraische Lectiire ungiinstig beeinflusst.
in. Versuche mit anderen Personen.
16) Versuoh von B mit Ungarisoh Lesen unterbroohen duroh Pause
und Addiren.
Vier Versuchspersonen, die ihre dankenswerthen Dienste im
Sommer 1896 anboten, beschaftigten wir mit zwei Methoden, die sich
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172
Wilbelm Weygandt
bisher besonders bewahrt batten und zu Vergleicbsversucben recht
geeignet schienen. B. war bereit, zwei Versucbsreihen zu ubemebmen.
Zxmachst KeBen wir ihn Ungariscb lesen im Wecbsel mit Addiren
dazu war ein Pausentag vorgesehen.
Tabelle XXXVH.
22. VI.
23, VI.
24. VI.
25. VI.
26. VI. 96.
979
1261
1403
1462
1468
1.
983 2955
1199 3733
1389 4194
1441 4423
1510 4452
993
1273
1300
1402
1520
1474
1042
1382
1319
1467
2.
1021 3119
1302 3891
1405 4139
1395 4123
1495 4468
1056
1289
1352
1409
1506
1053
226
1353
296
3.
1093 3232
212 639
Pause
1407 4157
276 842
1086
201
1397
270
1127
197
1384
264
4.
1043 323S
213 623
Pause
1342 4173
266 776
1068
213
1447
246
1120
1289
1481
1405
1569
5.
1117 3367
1344 3913
1513 4428
1367 4197
1458 4545
1130
1280
1434
1425
1518
1074
Bemerkenswerth ist bei dieser Versuchsperson, die sich mit dem
ganzen jugendlichen Eifer des ersten Studiensemesters den Versuchen
Avidmete, cine ziemlich weitgebende RegelmaBigkeit des Arbeitens;
wenn wir die Fiinfminutenzahlen durcbgeben, so finden wir ein viel
geringeres Scbwanken als bei den Versucben der meisten andem
Personen.
Der Uebungszuwacbs ist ganz betracbtUcb; vor allem steigt
der Anfang der Reibe steil an. Es wurde Nacbmittags von 5 V4 bis
6V2 Ulii* gearbeitet; die Disposition war gunstig, der Verlauf ohne
Stoning. Am zweiten und fUnften Tag wurde eine balbe Stunde
Addiren eingescboben; am dritten Tage fand in derselben Zeit eine
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Ueber den EinQass des Arbeitswechseis aaf fortlaafende geistige Arbeit. 173
Pause statt. Der reine Uebungszuwachs fur die halbe Stunde belauft
sich am dritten Tag auf 261,5 oder auf 6,3 )|^. Die in der folgen-
den Tabelle enthaltene Ausrechnung liefert auf den ersten Blick
auffallende Ergebnisse.
Tabelle XXVIH.
22. VI.
23. VI.
25. VI.
26. VI.
Letete ) bcrechnet
Viertelstunde / „ ,
gefunden
3298,5
4073,5
3913
4534,5
4721,5
! 3367
4197
4545
Ermildungswirkung
— 68,5
4- 160,5
-+- 337,5
+ 176,5
Differenz
-f 229
— 161
Gefundene Werthe in o/q
der berechneten
102,1
1
96,1
92,6 92,2
Die Zahlen des ersten Tages stimmen nicht zu den Ubrigen
Leistungen. Seine Endviertelstunde ragt um 330 iiber das Mittel
der beiden Anfangsviertelstunden hinaus, wahrend die halbstundige
Pause nur einen Anstieg von 261,5 erzielte. Einen besonderen
Schlussantrieb am 22. VI. miissen wir auch ausschliefien, denn es
wurde da zufallig noch fiinf Minuten langer gerechnet, also der Schluss
noch gar nicht erwartet, und dabei sank die Leistung wieder von
1130 auf 1074. Das giinstige Endresultat dieses Tages erklart sich
zum Theil aus dem geringen Anfangswerth. Der ganze Tag stand
zu sehr unter dem Einfluss ^ines besonders starken Uebungszuwachses
gegeniiber dem Ende der Versuchsreihe. Wie groB fur ihn der wirk-
liche Uebungszuwachs gewesen sein mag, konnen wir ermessen aus
der Betrachtung der Anfangsleistung des nachsten Tages, die trotz
des Uebungsverlustes 366 Zahlen hoher einsetzt als die Maximal-
leistung des ersten Tages. Diese Erscheinung entspricht den sonstigen
Erfahrungen iiber den Gang der Uebung. Fast alle Personen, welche
friiher noch niemals derartige Versuche gemacht haben, pflegen vom
ersten zum zweiten Tage eine ganz besonders rasche Steigerung der
Leistung darzubieten, wahrend von da ab der Fortschritt weit langsa-
mer und fur kiirzere Versuchsreihen ziemlich regelmilBig erfolgt. Es
hegt daher nahe, fiir die Erklarung des uberaus starken anfanglichen
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174
Wilhelm Weygaudt.
Anwachsens der Arbeitsgeschwindigkeit auBer der XJebung noch an
eine andere Ursache zu denken, welche rascher wirkt, aber auch
rascher ihre Wirkung verliert, die Gewohnung an die Versuchsbe-
dingungen. Daraus geht hervor, dass es nicht angeht, wie es hier
geschehen, einen erwarteten Werth gerade fiir den ersten, vielleicht
auch noch fUr den zweiten Tag aus dem reinen Uebungszuwachs zu
berechnen, der an einem spateren Versuchstage gewonnen wurde. Ohne
Zweifel ist der erwartete Werth und damit die fiir den ersten Tag
berechnete Ermiidungswirkung in Tabelle XXXVIH viel zu klein
ausgefallen. Wir werden uns somit nur an den Vergleich des zweiten
Normaltages mit den beiden Wechseltagen halten durfen, die gluck-
licherweise recht gut mit einander ubereinstimmen. Daraus wurde zu
schlieBen sein, dass der Arbeitswechsel hier bei der Versuchsperson
gunstig gewirkt hat.
17, Versuch von B: Addiren unterbrochen duroh Ungarisoh Leten
und Pause.
Tabelle XXXIX.
= --
6. VII.
283
7. VII.
8. Vn. 1 9. VII.
10. VII.
15. VII.
325
362 367
312
356
1.
290 837
295 923
322 10091334 1015
300 926
306 987
264
303
293
325
314
314
325
256
300
294
325
293
2.
243 724
263 851
295 909
305 914
311 908
302 888
- -
225
295
314
315
305
272
293
242
1443
1588
3.
! 224 702
1523 4410
PauBe
310 907
1459 4605
Pause
236
1444
292
276
1558
1473
-
201
1389
^- 1
206 620
1477 4325
Pause
301 841
1510 4496
Pause
213
1459
264
1513
381
197
340
353
273
361
5.
185 584
315 962
323 971
287 835
309 985
367 1092
202
307
295
275
315
344
Nunmehr sollte auf die soeben besprochene Versuchsreihe die
Probe gemacht werden. B sollte sechs Tage addiren, dabei am
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Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels aof fortlaufend e geistige Arbeit. 175
zweiten und fiinften Tage die zweite halbe Stunde Ungarisch lesen
am dritten und sechsten diese Zeit pausiren. Leider konnte der
zweite Pausenversuch erst nach f llnftagiger Unterbrechung veranstaltet
werden; es war nicht anders moglich, als Abends von 8 bis 9V4 Uhr
zu experimentiren. Der haufig auftretende Antrieb zeugt von dem
Eifer der Versuchsperson; nicht weniger als f unf Mai stoBen wir auf
ihn im Anfang, femer jedesraal nach dem Wechsel und nach der
Pause, endlich auch zwei Mai als Schlussantrieb. Dagegen muss
auffallen, dass die Leistung durchweg die Neigung zum Sinken zeigt.
Doch ging die ganze Arbeit regelmaBig vor sich, wie wir an dem
fast parallelen Verlauf der einzelnen Arbeitsstucke der Normaltage
sehen. Um so uberraschender aber ist ein Ergebniss, das bis jetzt
in dieser Weise noch nirgends gefunden wurde, es sei denn, dass wir
die naher besprochene Sonderstellung des ersten Tags der vorigen
Versuchsreihe heranziehen. Der in maBigem Grade gunstige Aus-
schlag des ersten Pausenversuchs wird iibertroffen von dem Ender-
gebniss des ersten Wechseltags. Die Pause hatte somit weniger
gunstig gewirkt als die Arbeit! Das Protokoll lasst uns mit einer
Erklarung im Stich. Dass Nichtarbeiten die Ermiidung weniger gut
beseitigen soUe als irgend welches Arbeiten, das ist nach allem, was
wir vom Wesen der geistigen Arbeit wissen, einfach ein unannehm-
barer Satz. Dazu kommt hier auch keine groBe Anregungsstorung
in Betracht, denn beide Male findet sich nachher ein deutUcher An-
trieb. Es muss unter alien Umstanden etwas hinzugekommen sein,
das den Einfluss der Pause nicht voU zur Geltung kommen heB.
Vielleicht lasst sich eine Erklarung darin finden, dass der lebhafte
und geistig regsame B wahrend der Pause nicht wirkUch ausruhte.
Da es sehr schwer ist, den Geist fiir eine gewisse Zeit vollstandig
ruhen zu lassen, batten wir den Versuchspersonen fiir die Pause
anempfohlen, in einem aufliegenden Bande illustrirter Zeitung zu
blattem, ohne sich in irgend einen Artikel derselben zu vertiefen.
Diese uberaus leichte Thatigkeit sollte sowohl uber die Langeweile
als auch besonders Uber das Abschweifen der Gedanken auf schwie-
rigere Gebiete hinweghelfen. Immerhin ist es moglich, dass in B
durch diese Thatigkeit zahlreiche Gedankenreihen angeregt wurden,
welche ein volhges Ausruhen verhinderten. Es war deshalb fiir die
Endbeurtheilung sehr willkommen, dass noch ein Pausenversuch, wenn
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176
WUhelm Weyg&ndt
auch mit einem Abstand von fiinf Tagen, vorhanden war. Hier
konnen vdr einen Uebungszuwachs von 154,5 auf die halbe Stunde
feststellen. Wenn wir das einsetzen, so erhalten wir folgende Werthe:
Tabelle XL.
6. VII.
7. VII.
8. VII.
9. vn.
10. vn.
15. VII.
Letzte r ^"^^*^°^^
935
1041,5 1 1113,5
1119
1071,5
Viertelstunde I . ,
gefunden
5S4
962
971
835
985
1092,0
ErmUdungswirkung
351
79,5
142,5
284 1 86,5
Differenz
— 271,5 j
— 197,5
Gefundener Werth in o/o
des berechneten
6,25 92,4
1
87,2
74,5
91,9
100,0
Erfreulich ist auch hier, dass die Ergebnisse der zwei Wechsel-
tage (7. und 10. Vil.) einander recht nahestehen. Wir konnen aus
der Liste jedenfalls herauslesen, dass die XJnterbrechung der Addition
durch ungarische Lecture einen gUnstigen Einfluss gehabt hat.
18 Versuch von C: Ungarisch Iiesen, unterbroohen duroh Addiren
und Pause.
Tabelle XLI
1 13. VII.
894
14. vn.
15. VII.
16. VU.
17. VIL
894
952
1035
976
1.
973 2748
953 2785
989 2960
1034 3135
991 2970
881
938
1019
1066
lOOS
856
894
996
1035
1023
2.
854 2532
957 2843
973 2899
1044 2999
1018 2988
822
992
930
920
947
893
307
991
291
3.
1034 2835
292 902
Pause
973 2924
298 905
-----
908
303
297
960
316
919
989
285
4.
930 2753
302 899
Pause
959 2889
267 829
904
300
1070
941
277
923
964
952
910
4.
1 844 2665
972 2894
1068 3304
886 2703
941 2831
898
958
1166
865
980
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Ueber den Cinflass des Arbeitsweehsels auf fortlaafende geistige Arbeit. 1 77
Es wurde wieder ungarische Lecture als Grundarbeit genommen,
die einmal durch eine halbstiindige Pause und zweimal durch ebenso-
langes Addiren unterbrochen war. Gearbeitet wurde abends von
8 bis 974 TJhr. Leider war die Disposition nicht immer giinstig.
Versuchsperson 0 war durch Asthma etwas angegriffen am 13. und
14. Vn. An den beiden letzten Tagen hingegen wirkte die Julihitze
storend. Das Lesen zeigt eine mittlere Uebungsfahigkeit. Die Addi-
tionswerthe sind hoch; ihr XJebungszuwachs ist gering. Beides erklart
sich leicht dadurch, dass C schon ofter mit dieser Rechenmethode
gearbeitet hatte. Am ersten Tag begegnen wir einer jener merk-
wiirdigen Zickzackcurven mit dem Minimum in der zweiten, dem
Gipfel in der dritten Viertelstunde. Der zweite Normaltag tragt die
Kennzeichen der Ermiidung; die Leistung fallt stetig ab. Der Pausen-
versuch bietet trotz des Abfalls in der zweiten Viertelstunde einen
schonen Aufstieg am Ende, zugleich auch Schlussantrieb. Wir er-
mittehi an diesem Tag einen halbstundigen reinen Uebungszuwachs
von 374,5 oder von 12,8 )|^. Am ersten Wechseltage steigt der Aus-
schlag liber die Hochstleistung der ersten halben Stunde, beim zweiten
fallt er, beides in nicht hohem Grade.
Die Berechnung liefert folgendes:
Tabelle XLH.
13. vn.
14. VIL
15. VII. 1 16. VIL
17. vn. 96.
T X ^ i berechnet
Letztc j
3014,5
3188,5
3441,5
3353,5
Viertelstunde \ . ,
gefunden
2665
2894
3304
2703
2831
ErmaduDgswirkung
349,5
294,5
738,5
522,5
Differenz
— 55
— 216 1
Erhaltene Werthe in %
der erwarteten
88,4
90,8
100
78,5
84,4
Differens
+ 2,4
+ 5,9 1
Nur wenn wir jeden Wechseltag mit dem dazu gehorenden Nor-
maltage vergleichen, bekommen wir ein eindeutiges Ergebniss. Frei-
lich haben wir dazu, wie die obigen Bemerkungen iiber die Dispo-
ffltionsverhaltnisse zeigen, mehr Recht als etwa zu einer Beurtheilung
Kraepelin, Pgyehol. Arbeiten. n. 12
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178
Wilklo Weyi^indt.
der voUen Reihe nach ganz einheitlichem Gresichtspunkte. Es lasst
sich danach, soweit der Versuch uberhaupt Schliisse erlaubt, angeben,
dass die Unterbrechung des Lesens durch das Addiren einen etwas
gunstigen Einfluss hatte. Das wurde mit den Erwartungen fUr die
Versuchsperson, die im Addiren viel Uebung hatte und es mit ziem-
licher Leichtigkeit betrieb, wahrend ihr die iingarische Lecture fremd
war, sowie mit ihren subjectiven Empfindungen beim Vergleiche der
Methoden auch ubereinstimmen.
19] Versuche von D: Addiren iinterbrochen durch ungarisch Iiesen
nnd Pause.
Die Versuchsreihe wurde zur selben Zeit wie die von C absol-
viert. Tag eins und vier wurde durchaddirt, am zweiten und funften
Tag wurde V'2 Stunde ungarische Lecture eingeschoben; am dritten
fand in derselben Zeit eine Pause statt.
Tabelle XLLH.
' 13.
VII.
14. VII.
15. VII.
16. VII.
17. VII.
247
306
318
281
363
1.
260
763
286 874
267 843
285 899
346 997
256
282
258
333
298
272
289
267
311
319
2.
275
806
273 831
268 843
301 918
319 962
259
269
308
306
319
324
285
672
769
3.
261
S09
704 2109
Pause
325 962
741 2279
263
733
318
769
244
684
315
771
4.
26()
760
761 2083
Pause
290 917
787 2363
250
638
312
805
245
290
318
312
357
5.
269
780
247 798
312 928
304 905
356 1053
266
261
298
289
340
Die Versuchsperson giebt an, dass sie durch die Hitze, die in
jenen JuHtagen sehr stark war, wol beeinflusst wurde; am unange-
nehmsten sei das gewesen am Anfang der Reihe, ganz im Gre^ensatz
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Ueber deii Einflnss des Arbeitsweehsels anf fortlaurende geistige Arbeit. 179
zu 0, der zur selben Zeit wie D experimentirte und in den letzten
Tagen die Hitze am lastigsten fand. Vielleicht liegt der Gnind auch
an den verschiedenen Raumlichkeiten, in denen die Herren unter-
gebracht waren. D erklart femer, dass er beim ungarischen Lesen
deutlich die Empfindung der Langeweile gehabt, sich aber allmahlich
daran gewohnt habe, wahrend er das Addiren als weniger langweilig,
aber schwerer empfunden habe. Die Leistungen in der Lecture sind
gegeniiber anderen Versuchspersonen recht gering, die im Addiren da-
gegen ziemlich bedeutend. Da D noch nie Gelegenheit zu psychologi-
schen Versuchen gehabt hatte, so begegnen wir hier einem ahnlichen
raschen Anwachsen der Leistung vom ersten zum zweiten Tage wie bdi
B; wir sind auch hier wohl berechtigt, neben der Uebung die Gewoh-
nung an die ganz neue, ungewohnt^ Arbeitsweise zur Erklarung heran-
zuziehen. Der eigenthiimlich sprunghafte, unregelmaBige Gang der
Arbeitsleistung findet sich ebenfalls haufiger an den ersten Versuchs-
tagen bisher ungeiibter Personen. Der zweite Tag mit seinem
starken Abfall zeigt Ermiidungserscheinungen, wahrend der dritte
Tag mit seinen niedrigen Anfangswerthen vielleicht unter dem Ein-
flusse einer andersartigen ungiinstigen Disposition stand; hier begegnet
uns im Beginn, sowie vor und nach der Pause ein deutlicher Antrieb.
An den beiden letzten Tagen ist die Leistung gleichmaBiger. Am
zwfeiten Wechseltag war die Disposition anscheinend besonders giinstig.
Lu Hinblick auf die schon bei den Versuchen B's besprochenen Ver-
haltnisse werden wir auch hier den Hauptnachdruck bei der Beur-
theilung auf das Ende der Reihe legen; die subjectiven Wahmeh-
mungen von D stehen damit im Einklange.
Die Berechnung fand unter Zugrundelegung des reinen Uebungs-
zuwachses (85, oder 10,1 ^) statt.
12*
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180
Wilhelm Weyg«ndt.
Tabelle XLIV.
13. VU.
14. VII.
15. VII. \ 16. VII.
17. Vn. 96.
/ berechnet
Letzte
869,5
937,5
993,5
1064,5
Viertelstunde ^^^^^^^^
780
798
928
905
1053
ErmClduDgswirkung
89,5
139,5
88,5
11,5
Differenz
— 50
+ 77
Gefundene Werthe in o/o
der berechneten
89,7
85,1
100
81,1
98,9
Differenz
-4,6
-4- 17,8
Da die Ermiidungswirkung am 13. Vil. ohne Zweifel viel zu
gering, das Verhaltniss des erhaltenen Werthes zum erwarteten viel
zu groB bemessen ist, durfen wir aus diesen Zahlen mit einiger Wahr-
scheinlichkeit den Schluss ableiten, dass der Arbeitswechsel unter den
gegebenen Verhaltnissen einen allerdings nicht sehr bedeutenden gun-
stigen Einfluss ausgeiibt hat.
20) Versuoh von E: Ungarisoh Iiesen unterbroohen duroh Addiren.
Tabelle XLV.
15. VI.
16. VI.
17. VL
18. VI.
19. VL
930
1190
1200
1400
1770
1.
1185 3278
1231 3870
949 3349
1401 4125
1678 5259
1 1163
1249
1200
1324
1811
1106
1054
1260
1275
2.
1038 3475
1321 3359
1153 3490
1206 3340
1331
984
1077
859
1207
192
1084
220
3.
1196 4088
196 589
1225 3347
214 645
1685
201
1038
211
1240
173
1000
191
4.
1089 3575
219 528
1153 3301
183 535
1246
136
1148
161
1377
1125
985
1014
5.
1167 3780
916 2850
775 2642
1035 2994
1236
809
882
945
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Ueber den Einfliiss des Arbeitsweclisels Auf fortlaufende geistige Arbeit. 181
Es wurde nachmittags von 5Y4 bis 6V2 U^^ gearbeitet. Am ersten
und dritten Tag las E V4 Stunden lang den ungarischen Text; am
zweiten und vierten wurde in der zweiten Halbstunde addirt. Einen
an funfter Stelle vorgesehenen Pausentag hat E nicht mehr ausge-
halten; es sind nur die Werthe fur die erste Viertelstunde vorhanden;
bald darauf wurde die Arbeit abgebrochen. So auffallend ein der-
artiges Verfahren ist, so wird es begreiflich, wenn man ermisst, dass
selbst A, der eine groBe Reihe von Versuchen untemommen und am
Zustandekommen dieser Experimente personliches Interesse hatte,
wenigstens das Lemen sinnloser Silben nur mit Selbstuberwindung
durchzufiihren vermochte. Es ist daher gerade bei diesen fortlau-
fenden Arbeiten noch etwas schwierig, iiberhaupt Versuchspersonen
heranzuziehen. Deshalb muss man sich auch leider hier und da
mit Versuchen geniigen lassen, die durch allerlei Storungen beein-
flusst sind, um so eher, als uns haufig gerade die Abweichungen will-
kommenen Anlass zu Beobachtungen geben, welche bei ganz glattem
Verlauf nicht batten gemacht werden konnen. Ein Recht, Versuche
aus der Besprechung fortzulassen nur aus dem Grunde, weil sie unter
ungiinstiger Disposition zu steheh schienen, besitzen wir unserer An-
sicht nach durchaus nicht, wie schwer auch die Beurtheilung solcher
Versuche werden kann. Immerhin bleibt das vorzeitige Aufgeben der
Versuchsreihe von E, der damit den Werth seiner vorher geleisteten
viertagigen Arbeit stark beeintrachtigt, recht bedauerlich. Die Arbeit
selbst zeigt allerdings sehr ungleichmaBige Ergebnisse; neben recht
guten finden sich ungemein niedrige Werthe. Darin wiirde sich
ebenso wie in jener Flucht am funften Tag unschwer eine Ueberein-
stimmung finden lassen mit einer unabhangig davon zu entwerfenden
Charakteristik der betreffenden Versuchsperson E, zu dessen Grrund-
eigenschaften ein unstater Zug gehort. Wie dem auch sei, wir sind
verpflichtet, in die Discussion der Resultate einzutreten und, wenn
moghch, ihre Beurtheilung zu versuchen.
Auf den ersten Blick tritt das Sprunghafte der Leistungen vor
Augen. Die Fiinfminutenwerthe fallen oder steigen manchmal ganz
auBerordentlich, bis zu 40,9 Procent. Antrieb ist verhaltnissmaBig
selten. Auffallen kann, dass die Gesammtleistung doch verhaltniss-
maBig hoch erscheint. Die viertelstundUche Leistung von 5259 Silben
am funften Tag ist um 14,2 Procent hoher als die hochste Leistung
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182
WiUielm WeygandU
der ubrigen Personen. Offenbar aber ist das Lesen sehr fliichtig
geschehen, denn sechs Silben in der Secunde konnen schwerlich noch
ganz scharf unterschieden, geschweige denn deutlich ausgesprochen
worden ^ein. Die Vergleichbarkeit mit den anderen Versuchen wird
dadurch natiirlich aufgehoben. Die UngleichmaBigkeit erklart sich
vielleicht dnrch die Annahme, dass E wahrend des Lesens noch an
andere Dinge dachte; er gab auch selbst an, dass ihn das Lesen
gleichgiltig lieB und er indess seinen Gredanken nachhing. Das
Rechnen, das fiir Fremdassociationen keinen groBen Spielraum lasst,
verlauft bei E au<5h entschieden regelmaBiger als das Lesen.
Der tagliche Uebungszuwachs betragt 19,4 auf die Viertelstunde.
Tabelle XLVI.
■ . II 15. VI.
16. VI.
17. VI.
18. VI.
Letzte berechnet
3435
3583
3478
3791
Viertelstunde ^ ,
gefunden
3780
2850
2642
2994
Ermadungswirkung
— 345
4- 733
+ 836
4- 797
Differenz
+ 388
— 39
Gefundener Werth in o/^
des berechneten *'"''
79,5
75,7
78,9
Berechnen wir in der Tabelle XL VI nach dem frtiheren Ver-
fahren des taglichen Uebungszuwachses die fiir die letzten Viertel-
stunden erwarteten Werthe, so ergiebt sich, dass E eine sehr hohe
Ermiidungswirkung aufweist. Nur am ersten Tage ist dieselbe nega-
tiv aus dem bereits bei den Versuchen von B und D erorterten
Grunde. Wir werden daher auch hier nur auf den Vergleich der
drei letzten Tage einigen Werth legen diirfen. Daraus wiirde sich
ergeben, dass wol ein geringer gunstiger Einfluss des Wechsels
der Arbeit stattgefunden hat.
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Ueber den Eiiifliiss des Arbeit sweclisels auf fortlaufeude geistige Arbeit. \ 83
2 1 } Versaehe von F. : ILateinisoh Lesen unterbroohen durch Silbenlemen
und Pause.
Tabelle XLVIL
20. VII.
21. VII.
22. VII.
23. VII.
24. VII.
:25.vir.96
1138
1397
1328
1041
1283
1148
1.
1190 3630
1443 3967
1541 4283
1267 3645
1203 3874
1541 4302
1302
1127
1414
1337
1388
1613
1296
1169
1054
1023
1217
1641
2.
1138 3740
1129 3482
1166 3673
1231 3421
1442 4077
1197 3965
1306
1184
1453
1167
1418
1127
1217
20
1309
15
3.
1023 3576
11 42
Pause
1043 3627
8 36
Pause
1336
11
1275
13
1260
9
1285
19
4.
1495 4085
5 18
Pause
1133 3444
17 50
Pause
1330
4
1026
14
1196
1341
1615
1034
1475
1318
5.
1377 4087
1373 4137
1301 4316
1084 3310
1460 4423
1571 4551
1514
1423
1400
1192
1488
1662
Nachdem nunmehr eine reichliche Anzahl von Versuchen gemacht
war, bei denen eine Auffassungsthatigkeit mit einer mehr associativen
Arbeit abwechselte, sollte noch einmal eine leichte Auffassnngsarbeit
durch eine entschieden schwere Gedachtnissarbeit unterbroohen werden.
Es wurde zunachst von F sechs Tage lang ein lateinischer Text
gelesen, Julius Caesar, de bello Gallico, ohne irgend welche Riick-
sichtnahme auf den Inhalt. Die auf Tab. XLVil verzeichnete Aus-
zahlung erfolgte in Silben. Die zweite halbe Stunde am zweiten
und funften Tag wurden sinnlose Silben gelemt, am dritten und
sechsten jedoch in derselben Zeit pausirt. F widmete sich mit vollem
Eifer diesen Versuchen. Leider waltet auch iiber seinen beiden
Reihen ein besonderer Unstem. Wie F selbst angiebt, arbeitet er
sehr ungleichmaBig. Das Protokoll bezeichnet fiir die erste Reihe
die Tagesdisposition stets als gut. Gearbeitet wurde in der Morgen-
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184 Wilheltn WeygaodU
stunde von 9Y4 bis 1072> die erfahrungsgemaB eine auBerordentlich
gunstige Zeit fiir solche Arbeiten darstellt. Trotz alledem stoBen
wir, wie der erste Blick auf die Tabelle zeigt, auf ein ganz merk-
wiirdiges Schwanken der Leistung, raschen Wechsel zwischen Anstieg
und plotzlichem Absturz. Nur am funften Tage finden wir Andeu-
tungen eines Antriebes. Dagegen zeigt jeder von den sechs Ver-
suchstagen, oft in ganz auffallender Starke, ein Anschwellen der letzten
Fiinfminutenleistung, einen Schlussantrieb. Solche RegelmaBigkeit im
Schlussantrieb findet sich in den Versuchen von Rivers*) nur im
Zustand besonderer Frische und ist dann verbunden mit Antrieb und
spatem Gipfel, woven hier jedoch nicht die Rede sein kann. Eher
sollte man an jenen Zustand herabgesetzter Anregbarkeit denken,
in welchem nach Rivers und Kraepelin der Antrieb schwach, die
Anregung verzogert, ein Schlussantrieb aber doch ofter vorhanden
jst. Freilich sind jene Versuche von Rivers ausschlieBlich mit der
Addirmethode angestellt.
Die beiden Normaltage bei F verlaufen zickzackformig; an den
Pausentagen zeigt sich ein starkes Zuriickbleiben der zweiten Viertel-
stunde gegeniiber der ersten, ebenso am ersten Wechseltag. Immer-
hin hat die ganze Versuchsreihe eine gewisse RegelmaBigkeit im
Uebungszuwachs. Mit Ausnahme des vierten und funften Tags steigt
die Durchschnittsleistung der ersten halben Stunde an. Der tagliche
viertelstundliche Uebungszuwachs lasst sich auf 16,5 berechnen.
Das Auffallendste ist vielleicht die geringe Wirkung der Pause;
dieselbe betragt am ersten Pausentage 338, am zweiten 418 Zahlen,
im Mittel 9,3 Procent der Durchschnittsleistung vor der Pause. Diese
Pausenwirkung wird in beiden Fallen iibertroffen von der Wirkung
der eingeschobenen Arbeit, des Auswendiglemens sinnloser Silben.
Die Steigerung der Leistung betrug hier nach demLemen 413 bezw.
448 Zahlen, d. h. 11,2 Procent der durchschnittlichen Anfangsleistung.
Wir kommen zu dem merkwurdigen Refund, dass auf F die unan-
genehmste und anstrengendste Versuchsarbeit, das Lemen sinnloser
Silben, erfrischender gewirkt hat als die voUstandige Pause! Ein
wenig anders gestaltet sich allerdings das Ergebniss, wenn wir nur
1- Diese Arbeiten I, S. 676.
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Ueber den Cinfluss des Arbeitsweehsels auf fortlaufende geistige Arbeit.
185
die zweiten mit den letzten Viertelstunden der Pausen- und Wechsel-
tage vergleichen. Dann betragt die Steigerung der Leistung dort
16,1, hier 13,2 Procent, so dass also doch ein geringer XJeberschuss
zu Grunsten der Pausenwirkung zu verzeichnen ware. Selbstverstand-
lich koimeii wir daraus nur den Schluss ziehen, wie leicht unsere
Versuche durch unberechenbare Zufalligkeiten beeinflusst werden.
Die folgende Tabelle, die auf Grund des reinen XJebungszuwachses
von 377,6 auf die halbe Stunde die Endergebnisse berechnet, stellt
dies Verhalten noch deutlicher zur Schau:
Tabelle XLVm.
20. VII.
21. VII.
23. VII.
24. VII.
Letete berechnet
4062,6
4102,1
3910,6
4293,1
Vieneliunde ^ ,
gefunden
4087
4137
3310
4423
ErmCldungswirkung
-2M
— 34,9
4- 600,6
— 129,9
Differenz
— 10,5
— 730,5
Gefiindene Werthe in o/^
der berechneten
100,6
100,9
84,7
103,0
Die Ermiidungswirkung ist also nicht nur am ersten Tage, sondem
auch an den beiden Wechseltagen negativ. Wahrend man aber dort an
die wiederholt besprochenen Einfliisse denken muss, welche die Lei-
stung im Beginn weit liber das berechnete MaB hinaus steigem, steht
das letztere Ergebniss in scharfem Gegensatze zu den Erfahrungen
aller Personen, die sich mit ahnlichen Versuchen, vor allem mit jener
Silbenlemmethode einmal beschaftigt haben.
Die zwei nachsten Tabellen liefem Wiederholungszahl und Lem-
werth aus den zwei Wechselhalbstunden, auf ftinf und fiinfzehn Minu-
ten berechnet. Wir erkennen, dass die Wiederholungszahl sich nur
langsam verandert. Am ersten Wechseltage blieb jene fast stetig, am
zweiten stieg sie an. Der Lemwerth dagegen sinkt am ersten Tag sehr
rasch; am zweiten schwankt er und sinkt in der zweiten Viertelstunde
durchweg. Aus dieser Erfahrung sehen wir, dass die Leistung immer
schlechter wurde, wahrend, wie schon die Wiederholungszahl andeutet.
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186
Wilhelin Weygaudt.
die aufgewandte Miihe eher zunahm. Zor Erklarung konnte man
nach einer Contrastwirkung suchen. Diese Annahme wird aber un-
wahrscheinlich durch den Befund, dass die erste Funfminutenziffer
nach der Wechselarbeit sich am ersten Wechseltag zu der folgenden
Leistung ganz anders yerhalt als am zweiten.
Tabelle XLIX (Wiederholungszahl).
21. VII.
24. VII.
34
27
3.
34 104
27 90
36
36
35
33 94
33
4.
35 108
26
40
Tabelle L (Lemwerth).
21. VII.
24. VII.
58,8 1
55,6 ]
3.
32,4
30,6
. 40,6
29,6
50,0
45,1
25,7 \
57,6 1
4.
15,2 I 18,8
48,6 47,1
35,0 1
15,4
Femer konnte man denken, dass in der stark sprachlich-moto-
rischen Seite beider Arbeiten ein hoher Grad von Verwandtschaft
beruht, in Folge dessen ein besonders storendes Moment des Wechsels,
der Anregungsverlust, beim Uebergang vom Silbenlemen zum Latein-
lesen auBerordentlich gering ware. Aber abgesehen davon, dass bei
A, der in der Versuchsreihe 10 ganz ahnliche Bedingungen vor-
fand, nichts ahnliches zu erkennen ist, miissen wir doch auch von
vomherein schon zugestehen, dass die sprachliche Anregung in erster
Linio von einem festen Rhythmus abhangt, der nun aber beim Lesen
und Lemen grundverschieden ist.
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Ueber deu Einfliiss des Arbeilswechsels aiif fortiaufende geistige Arbeit.
187
Die Lemleistung an sich steht bei F weit hinter derjenigen A's
und der Oehm'schen Versuchspersonen zuriick, mehr als sich aus dem
Umstand erklaren lasst, dass F als Auslander mit franzosischer Mutter-
sprache besondere Schwierigkeit in der Aussprache der sinnlosen
Silben finden konnte.
22) Veraaoh von F: Aaswendiglernen sinnloser Silben unterbroohen
durch Lateinisch Lesen.
Tabelle LI.
27. VII.
28. VII.
29. vn.
30. vn.
31. VII.
1. VIIL
7
6
8
10
10
13
1.
11 32
9 27
7 21
10
37
11 34
7 31
14
12
6
17
13
11
14
10
3
9
14
14
2.
12 36
14 33
19 34
8
25
16 44
16 46
10
9
12
8
14
16
13
1227
11
1562
3.
11 31
1267 3626
Pause
13
30
1642 4&51
Pause
7
1132
6
1347
7
1400
5
1398
4.
17 40
1386 4170
Pause
6
16
1325 4276
Pause
16
1384
5
1553
15
6
8
8
9
9
5.
15 42
5 17
8 22
11
30
12 36
8 24
12
6
6
11
15
7
Noch rathloser stehen wir schlieBlich den umgekehrten Versuchen
von F gegeniiber, bei denen Silbenlemen durch Lateinlesen und
durch Pausen unterbrochen wurde. Die Disposition wird auch hier als
gut angegeben, mit Ausnahme des dritten Tags, wo die Nacht vor-
her schlecht geschlafen wurde. Eine deutliche Zunahme durch die
Uebung ist kaum ersichtlich; fast die hochste uberhaupt erreichte
Leistung von F im Silbenlernen findet sich im letzten Abschnitt des
Anfangstages. Die Normaltage zeigen wieder einen sprunghaften,
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188
Wilhelm Weygandt.
unregelmaBigen Verlanf der Arbeitsleistung. Die Funfminutenzahlen
lassen noch starkere Schwankimgen erkennen. Werthe von 7 und
17, 13 und 7, ja sogar 6, 3, 19 folgen unmittelbar aufeinander,
letzteres allerdings an dem nachweislich ungiinstig disponirten dritten
Tage. Der nach der ublichen Methode berechnete robe XJebungszu-
wachs betriige auf die Viertelstunde 0,36. Als reiner TJebungszu-
wachs kamen jedoch die unmoglichen Werthe — 5,5 und — 14,5
heraus! Dieses Ergebniss lehrt, dass es nicht moglich ist, das beim
Addiren leidlich brauchbare Verfahren der halbstundigen Pausen
ohne weiteres auch bei anderen Arbeiten zur Berechnung des reinen
Uebungszuwachses zu benutzen* Offenbar ist eben die Starke der
erzeugten Ermiidung und die Uebungsfestigkeit fiir die verschiedenen
Arbeiten eine so verschiedene, dass die Lange der zweckmaBigen
Pause nicht uberall gleich gewahlt werden darf. Wahrscheinlich
miissen auch personliche Eigenthiimlichkeiten dabei beriicksichtigt
werden. Unter diesen Umstanden bleibt nichts iibrig, als einfach
die Schlussleistungen jedes Versuches mit der viertelstundigen Durch-
schnittsleistung desselben wahrend der ersten halben Stunde unmittel-
bar und nach dem Procentverhaltnisse zu vergleichen (Tabelle LII).
Auf diese Weise zeigt sich, dass die Normaltage das giinstigste Er-
gebniss geliefert haben. Die Wechseltage sind etwas ungunstiger, die
Pausentage noch ungUnstiger ausgefallen. AUe diese TJnterschiede
sind aber so gering und so schwankend, dass wir von einer weitge-
henden Verwerthung derselben werden absehen miissen. Vielleicht
ist ein ganz unbedeutender imgiinstiger Einfluss des Arbeitswechsels
herauszulesen.
Tabelle LH.
i; 27. VU.
28. VII.
29. vn.
30. vn.
31. VII.
1. vm.
Mittel der 2 An-
fangsviertelatunden
34
30
28,5
31
39
38,5
LetiteViertelatunde
42
17
22
30
— 1
36 1
24
Different
+ 8
122,9
— 13
-6,5
— 3
~14,5
Schlussleistung in %
der AnfangsleistuDg
56,7
77,2
96,8
92,3
62,3
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Ueber den Einfluss des Arbeitswecbsels aiif fortlaufeiide geistige Arbeit.
189
Die Wiederholungszahlen, die wir in Tabelle LUI wiedergeben,
bieten verhaltnissmaBig geringe Schwankungen dar und lassen keine
ausgepragten Unterschiede zwischen den einzebien Arten von Ver-
suchstagen erkennen. Auf die Anfiihrung der aus Tabelle LI und
TiTTT leicht zu berechnenden Lemwerthe fiir 100 Wiederholungen
glauben wir daher verzichten zu soUen.
Tabelle Lm.
Wiederholungszahlen.
27. VII.
28. VII.
29. VII.
30. VII.
31. VII.
1. vm.
1.
80
83
76
95
95
89
2.
88
96
87
86
103
96
3.
100
Latein-
Pause
102
84
Latein-
Pause
4.
100
legen
Pause
lesen
Pause
5.
107
104
93
95
97
97
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190
Wilkelm Weygitndt
IT. Znsammenfassnng der Ergebnisse.
Tabelle LIV.
Versuchi-
person
Reihen
Nr.
Grundarbcit
Wechselarbeit
Aus-
schlag
Bemerkungen
A
1
Zahlenlernen
Addiren
4-
Lemenmehrsen-
sorisch.
6
»
Buchfltabensuchen
_
Ermildungsdis-
position, Mot.
Lemen.
2
Addiren
Zahlenlernen
—
Lemen sens, und
motor.
5
>
Buohstabensuchen
4-
ErmQdungsdis-
position.
8
»
Silbenlernen
—
3
Buchfltabensuchen
Addiren
—
Ermildungsdis-
position.
4
>
Zahlenlernen
■f
Ermadungsdis-
position, Mot.
Lemen.
9
Silbenlernen
Addiren
4-
7
>
Langsamschreiben
-f
1«
n
12
13
14
Ungarisch Lesen
>
>
»
>
Silbenlernen
Addiren
Schnellschreiben
Pause
Italienisch Lesen
- -f
Nach dem Wech-
sel zun&chst
Verschlechte-
1 rung,dannVer-
y besserung.
15
>
Hebr&isch Lesen
—
B
16
Ungarisch Lesen
Addiren
—
17
Addiren
Ungarisch Lesen
4-
C
18
Ungarisch Lesen
Addiren
—
D
19
Addiren
Ungarisch Lesen
4-
E
20
Ungarisch Lesen
Addiren
4-
F
21
Latein Lesen
Silbenlernen
4-
22
Silbenlernen
Latein Lesen
—
Wenn wir die Einzelergebnisse der verschiedenen Versuche neben-
einander halten, so finden wir zunachst, dass die Wirkung des Ar-
beitswechsels nichts weniger als eine gleichmaBige ist. Vielmehr steht
einer groBen Zahl von Versuchen, bei denen der Arbeitswechsel
gunstig wirkte, eine nur wenig kleinere Gruppe gegeniiber, welche
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Ueber den Cinfluss des Arbeitswechsels uf fbrtlaiifende geistige Arbeit. 191
eine ungunstige Beeinflussung aufzuweisen hat Wir miissen also mit
Bestimmtheit als erwiesen hinstellen, dass der Arbeitswechsel nicht
unter alien Umstanden eine Verbesserung der Leistung be-
dingt. Dieses erste Ergebniss steht in schroffem Widerspruch mit der
landlaufigen Anschauung, wonach der Wechsel der Arbeit an sich schon
als Erholung wirken soil. NamentUch in den Kreisen der Schul-
manner ist diese Auffassung, welche unbeabsichtigt schon durch die
Versuche von R. Schulze*) erschiittert worden ist'), vielfach aus-
gesprochen worden. Der Umstand, dass es so viele Versuche giebt,
bei denen der Ausschlag, wenn auch gunstig, so doch nur gering ist,
weist schon darauf bin, dass von einer entscheidenden Verbesserung
der Leistungsfahigkeit durch den Arbeitswechsel, wie sie so oft be-
hauptet wurde, nicht die Rede sein kann.
Unsere Versuche waren vielfach so eingerichtet, dass die An-
ordnung des einen in einem folgenden vollig umgekehrt wurde, so
dass wir denselben gewissermaBen als Probe auf den vorhergehenden
zu betrachten haben. Wenn wir diese einander entsprechenden Paare
nebeneinander stellen, fallt sofort die gegensatzKche Wirkung der
Combinationen auf. Was als Einschiebearbeit gunstig wirkt, zeigt
sich selbst wieder durch die vorige Probearbeit ungiinstig beeinflusst.
So treffen wir folgende Versuchspaare:
1) A, Versuchsreihe 1 : Addiren, untcrbpochen durch Zahlenlernen: — 3)
Versuchsreihe 2: Zahlenlernen,
2) Versuchsreihe 5: Addiren,
> 3 : Buchstabensuchen,
3) » 8: Addiren,
» 9: Silbenlernen,
4) » 4: Buchstabensuchen,
» 6: Zahlenlernen,
5) B, » 16: Ungaritchlesen,
* 17: Addiren,
6) F, » » 21: Lateinlesen,
» 22: Silbenlernen,
» Addiren: -|-3)
» Buchstabensuchen: -f-
* Addiren : —
» Silbenlernen : —
» Addiren: +
» Zahlenlernen: -f-
» Buchstabensuchen: —
» Addiren : —
» Ungarischlesen: +
» Silbenlernen: 4-
» Lateinlesen : —
1) Schulie, 500000 Rechenaufgaben , eine expertmentelle Untersuchung.
Der Schulmann XLIV, S. 340.
2) Kraepelin, Zur Ueberbilrdungsfrage, 1897, S. 20.
3) — bedeutet ungiinstig, -\- bedeutet giinstig.
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192 Wiihelm Weygandt
Bei unseren Bemuhungen, eine Erklarung fur diese Verhaltnisse
zu finden, konnten wir zunachst fragen: Sind es bestimmte Thatig-
keiten, die gunstig, andere, die ungunstig wirken? Davon kann nicht
die Rede sein, denn wir finden, dass das Zahlenlemen als Unter-
brechungsarbeit einmal gunstig, einmal ungunstig wirkt, ebenso das
Buchstabensuchen; Addiren zeigt zweimal giinstigen, zweimal un-
gunstigen Einfluss; Silbenlemen giebt bei A immer ungimstigen, bei
F einmal gunstigen Ausschlag. Also nicht die einzelne Arbeit an
sich ist ausschlaggebend fiir die Bedeutung des Wechsels, sondem
sie wirkt nur in ihrem Verhaltniss zu einer andern erholend
oder ermiidend.
Hier stoBen wir nun auf zwei Moglichkeiten. Es konnte die
Wirkung des Wechsels in der Art der Arbeit begriindet liegen, so
zwar, dass wir eine Erholung zu erwarten batten, wenn zwei mog-
lichst verschieden geartete Gteistesthatigkeiten einander ablosten. Es
ist schon des ofteren zur Sprache gekommen, dass die eine Arbeit
mehr die Auffassung, die andere die associative Seite unseres geistigen
Lebens und die dritte vorzugsweise das Gredachtniss in Anspruch
nimmt. Von der Annahme aus, dass ganz verschieden geartete
Bethatigungen unseres Geistes an verschiedene, in ihren naheren
Beziehungen noch vollig hypothetische Theile des Hims gebunden
sind, lasst sich leicht die Behauptung aufstellen, dass wahrend der
Inanspruchnahme eines dieser Gebiete durch die Wechselarbeit sich
das bei der Grundarbeit mehr beschaftigte G^biet wieder erholen
konnte. Ist unser geistiges Centralorgan nicht ebensowohl in seinen
Einzeltheilen gesondert ermudbar, wie es die Korpermusculatur in
ihren verschiedenen Gruppen ist? Fiir diese Annahme scheint auf
den ersten Blick zu sprechen, dass die oben angefiihrten Versuchs-
paare meist ganz verschiedene Arbeiten enthalten. Wir sehen unter
1) die associative Addirthatigkeit mit einer mehr oder weniger ins
motorische Gebiet ubergreifenden Gedachtnissarbeit, unter 2) die
Auffassung mit dem associativen Denken abwechseln. FreiUch nimmt
keine der Arbeiten, wie schon oft betont, streng isoUrte Geistes-
richtungen in Anspruch; vielmehr handelt es sich zumeist um eine
Verbindung verschiedener Thatigkeiten, von denen nur die eine mehr
oder weniger Uber die anderen hervorragt. Bei genauerem Zusehen
finden mr aber genug Beispiele dafiir, dass auch der Wechsel wesentlich
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Ueber den Einfluss des Arbeitsweebsels Mf fortlaufende geistige Arbeit. 1 93
verschiedener geistiger Arbeiten bald diese, bald jene Wirkung hat.
Die Unterbrechung des Addirens durch Zahlenlemen zeigt gunstigen
Ausschlag, wahrend das Einschieben des dem Zahlenlemen recht ahn-
lichen Silbenlemens ungunstig wirkt. Zahlenlemen wird durch Addiren
verschlechtert, Silbenlemen durch Addiren aber verbessert in seinem
Endergebniss. Wir konnen also jedenfalls keine naheren Beziehungen
zwischen der Art der Arbeit und der Wirkung des Wechsels annehmen;
hierin Uegt nichts fur den Enderfolg maBgebendes.
Das wird noch sicherer bewiesen durch jene Versuche von A,
die ganz wesensverwandte Arbeiten mit einaader abwechseln lassen.
In der Versuchsreihe 14 wirkt die Unterbrechung des Ungarisch-
lesens durch Italienischlesen giinstig, in 15 der Wechsel mit Hebraisch-
lesen ungunstig. Die Gmndarbeit wie auch die beiden Wechsel-
arbeiten bewegen sich vorzugsweise in der Auffassungssphare. Nach
der Annahme einer partiellen Ermiidbarkeit musste hier bei den nahe
verwandten Arbeiten der'gleiche Ausschlag, und zwar im ungUnstigen
Sinne, erwartet werden; der Ausfall des Versuchs widerlegt die An-
nahme in unzweideutigster Weise.
Daraus wird die Sachlage soweit vollig klar, dass nicht die Art
der Arbeit maBgebend ist fiir den Erfolg des Wechsels. Wir
miissen einen anderen Ausweg suchen. Worauf es ankonmit fiir die
Wirkung des Wechsels, das ist die Schwere der Arbeit. Von die-
sem Gesichtspunkte aus wird alles verstandhch. Bei den Versuchen
mit dreierlei Lesestoff (Tabelle XXXTT — XXXIV) haben wir es jedes-
mal mit einer Auffassungsthatigkeit zu thun, von der aus ein Antrieb
der Sprachbewegung erfolgt. Die Schwere der Arbeit ist verschieden,
je bekannter und durch Gewohnheit und Uebung gelaufiger der Stoff
und die Umsetzung in motorische Sprachvorstellungen ist. Ungarisch-
lesen war mittelschwer, Italienisch dagegen entschieden leicht, sodass,
wahrend letzteres als Einschiebarbeit diente, weniger Elrmiidung auf-
trat aJs wahrend des ununterbrochen fortgesetzten Ungarischlosens.
Andererseits war Hebraischlesen schwerer als Ungarisch, seine Wir-
kung als Wechselarbeit daher eine ungiinstige.
Nicht immer ist freiUch das Verhaltniss so klar wie bei diesen letzt-
genannten Versuchen. Wichtige Aufschliisse erlangen wir noch aus der
auf den ersten Blick so erstaunlichen Verschiedenheit der Ergebnisse
jener an mehreren Versuchspersonen angestellten Experimente, bei
Kraepelin, Psycbol. Arbeiten. IT. 13
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194 Wilbelm Weygandt.
denen Ungarischlesen und Addiren in Wechselwirkung traten. Wie
wir schon oben zur Geniige angedeutet, liegt diese Verschiedenheit
der Ergebnisse bei gleicher Aufgabestellung zunachst begrilndet in
der Verscliiedenheit der Personlichkeiten. Es handelt sich bier urn
eine associative und um eine assimilirende, auffassende Thatigkeit,
die beide als nnr maBig schwer bezeichnet werden miissen. Die
Ergebnisse sind bei den verschiedenen Versuchspersonen bald positiv,
bald negativ; durchweg aber gab es nur mittlere und kleinere Aus-
schlage. Die allgemeine Veranlagung des Einzelnen, besondei-s die
Uebungsfahigkeit der Versuchsperson, spielt dabei die HauptroUe.
Bei E sehen wir deutlich eine eigenartige Mitwirkung der im Cha-
rakter des Herm begrundeten Unaufmerksamkeit und hochgradigen
Langenweile am Zustandekommen des Erfolgs. Das sich genau ent-
sprechende Versuchspaar von B weist ebenfalls in seinen Ergebnissen
den Gegensatz auf.
Auffallend sind die Versuche von F. So misslich es auch ist,
von vomherein bestimmen zu wollen, ob eine Arbeit im Verhaltniss
zu einer anderen schwer oder leicht ist, so ist doch jedermann, der
sich mit einigen Methoden vertraut gemacht hat, geneigt, die Lem-
arbeit als schwer, insbesondere das Silbenlemen als recht anstrengend
zu bezeichnen. Hier bei F sehen wir aber, dass Silbenlemen von
Lateinlesen, einer nicht eben schweren Arbeit, unterbrochen, ungiin-
stigen, die umgekehrte Versuchstellung aber gunstigen Ausschlag
bringt. Dieses auffallende Verhaltniss wird wohl kaum dadurch hin-
reichend erklart, dass etwa ein Anregungsverlust beim Einschieben
des Lesens fiir das nachfolgende Lernen eintrete, nicht aber durch
das Lernen, das ja unter starker Betonung der sprachlichen Seite vor
sich geht, fiir das Lesen, wenn auch der Ausfall der Pausenversuche
mit dem langsamen Ansteigen der FUnfminutenzahlen nach der Pause
dafiir zu sprechen scheint. Es liegt den beiden Versuchen jedenfalls
eine personliche EigenthUmlichkeit zu Grunde, die wir noch nicht
niiher zu kennzeichnen wissen ; so viel aber ist zweifellos, dass auch bei
F der Wechsel durchaus nicht ohne weiteres eine Erholung mit sich
bringt. Die Schwierigkeit in der Beurtheilung der Art und Schwere
des Arbeitens von F fallt gegeniiber der vortrefflichen Uebereinstim-
raung aller anderen Versuche nicht so schwer in die Wagschale.
Die Kennzeichnung der einzelnen Arbeitsart hat jedoch noch
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Ueber den Binfliiss des Arbeilswecbsels auf fortlaufeiide geistige Arbeit. 195
ihre weiteren Schwierigkeiten. Es kommt nicht allein auf das all-
gemeine personliche Verhalten zu einer bestimmten Arbeit an, sondem
auch auf den jeweiligen Uebungsgrad, der in einem bestimmten
Augenblicke erreicht ist. Schon bei der Erklarung der Versuche
mit Ungarischlesen und Addiren wurde auf die Wahrscheinlichkeit
des Einwirkens der groBeren Uebung im Addiren bei A und D gegen-
iiber C hingewiesen, Besonders deutlich wird uns dieser Gesichtspunkt
bei jenen Versuchen von A, wo das Zahlenlemen seine RoUe spielt.
So gut auch die oben aufgestellten Versuchspaare mit ihren Ergeb-
nissen zusammenpassen, so konnte man doch in groBe Verlegenheit
gerathen, wenn versucht wurde, aus zwei derartigen Reihen zu
schlieBen, wie nun eine dritte ausf alien mlisste. Wir haben da:
Addiren unterbrochen durch Zahlenlemen: ungunstig; Zahlenlemen
durch Buchstabensuchen: ungunstig. Man sollte demnach erwarten:
Addiren durch Buchstabensuchen erst recht ungunstig; der betreffende
Versuch jedoch bringt als Ergebniss: gunstig. Ebenso Zahlenlemen
durch Addiren: gunstig, Addiren durch Buchstabensuchen gunstig,
aber Zahlenlemen durch Buchstabensuchen ungunstig. Den Haupt-
grund dieser auffalUgen Erscheinungen deuteten wir schon des ofteren
an. Zunachst wurde sensorisch gearbeitet; A empfand die Lem-
thatigkeit, wie wohl alle, welche sich mit ihr zu beschaf tigen anfangen,
als recht schwer. Aber sehr bald hatte sich der Charakter der Ar-
beit vollstandig verandert, Sobald motorisch auswendig gelemt wurde,
war nicht mehr die Rede von jener Anstrengung; ja, die Methode
wurde in ihrem flotten Fluss der Arbeit schlieBlich fast als eine an-
genehme Beschaftigung empfunden. Es ist ein ziemUch rascher
Uebergang von einer Arbeitsweise zur anderen gewesen, in den ersten
Tagen schon angebahnt, doch im ganzen so, dass die beiden ersten
Versuchsstunden noch in einem gewissen Gegensatz zu den folgenden
stehen. In den obigen Gleichungen bedeutet also das Zahlenlemen
jedesmal einen ganz anderen Werth. Dadurch eben werden jene
Schlusse hinfallig, welche davon ausgehen, dass die relative Schwere
verschiedener Arbeiten wahrend langerer Zeitraume unverandert
bleibe. Beim Addiren nimmt unter dem Einflusse der Uebung nur
die Schwere der Arbeit allmahhch ab, wahrend ein Wechsel in
der Art des Verfahrens mit weiteren Folgen fiir die Erleichterung
desselben nicht stattfindet. Die Abnahme der Schwere wird aber
13*
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196 Wilhela Weygftndt.
theilweise wieder ausgeglichen durch die Wirkung der durch schnelleres
Arbeiten gelieferten Mehrleistung. Der Uebergang vom sensorischen
zum motorischen Arbeiten trat andeutungsweise auch beim Auswendig-
lemen von sinnlosen Silben ein.
Wichtig war fUr den Ausfall der Versuche jedenfalls auch die
Disposition, unter welcher gearbeitet wurde. Im Zustand der Er-
miidung zeigt sich die Leistungsfahigkeit bei einigen Arbeiten starker
beeinflusst als bei anderen. Vorzugsweise die auffassende Arbeit des
Buchstabensuchens, welche eine starke Anstrengung des fixirenden
Auges verlangt, liefert unter dem Einflusse der Ermiidung sehr bald
schlechte Ergebnisse, wahrend die mehr motorischen Lemarbeiten sich
durch eine besondere Widerstandskraft gegenttber der Ermiidung aus-
zeichnen.
Eine genauere Betrachtung verdienen an dieser Stelle noch die
Veriialtnisse des Antriebs. Wie Rivers und Kraepelin gezeigt
haben, deutet er auf besondere geistige Frische und Begsamkeit bin;
doch wurden die Versuche nur von einer Person und mit einem
Verfahren, dem Addiren, angestellt Wir konnen naeh unseren
Erfahrungen nicht ein ausnahmsloses Erscheinen des Antriebs unter
gunstigen Verhaltnissen zugeben, nicht einmal bei unseren Additions-
versuchen. Immerhin bildet sein Auftreten im Zustand der Frische
doch wohl die Eegel. DeutKcher noch als die Versuche von A und
D bringen ihn diejenigen von B. Offenbar spielen also personliche
Verschiedenheiten auch hier eine BoUe. Die durch Ermtidung beein-
ilussten Versuche von A (Reihe 3 bis 6), sowie die von C zeigen ihn
nur selten, ebenso die durch Mudigkeit und Unaufmerksamkeit beein-
trachtigten von E, sowie die Reihen von F mit ihren vielfachen
Schwankungen der Leistungsfahigkeit. Fast immer findet sich der
Antrieb nach den Pausen.
Schlussantrieb treffen wir im Gregensatz zu den Rivers'schen
Befunden bei Ermiidung eher ofter als in der Frische. Tabelle
XVI bringt ihn fast ilberall. Freihch handelt es sich da um die
motorische Zahlenlemarbeit, die sich iiberhaupt gewissermafien durch
ihre groBere Widerstandskraft gegen die Ermiidung auszeichnet,
femer auch dem bewussten Willen besonders reichlich Anlass zum
Eingreifen bietet. Ganz regelmaBig findet sich der Antrieb in der
Tabelle XLVII, in der die Ermiidung gewiss ihre groBe RoUe spielt
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Ueber den Cinfluss des Arbeitswechsels aiif fortlaufeude geislige Arbeit. 1 97
Es liegt die Vermuthung nahe, dass gerade motorische Arbeiten auch
im Zustand der Ermiidung fiir das Entstehen des Antriebs besonders
giinstige Bedingungen bieten.
Wichtiger als diese Verhaltnisse des einfachen Antriebs und des
Schlussantriebs sind fiir uns hier noch die Falle, in denen sich nach
dem Wechsel der Arbeit sofort eine hohere Leistung in der neuen
Thatigkeit zeigt, die rasch wieder nachl«Lsst. Das kann also zu Beginn
der zweiten halben und der fiinften Viertelstunde stattfinden. Dieser
Wechselantrieb findet sich im Zustand der Frische besonders
nach der Lernthatigkeit, auch schon wahrend des sensorischen, ubungs-
armeren Stadiums. Es ist dabei einerlei, ob die erste oder die zweite
halbe Stunde gelemt wurde. Die ersten fiinf Minuten zeigen einen
hoheren Werth als die folgende Leistung. Merkwiirdig ist, dass
dieser Wechselantrieb auch da auftritt, wo sich die Gesammtwirkung
des Wechsels entschieden als ungunstig herausstellt, so nach der
Unterbrechung des Addirens durch das Lemen. Anscheinend be-
gunstigt die damals schon groBentheils motorische Lernweise zu-
nachst das Zustandekommen einer gewissen Willensanspannung, wie sie
dem Antriebe zu Grunde Uegt. Das ware eine bemerkenswerthe, aber
nur ganz kurz andauemde giinstige Wirkung des Arbeitswechsels
als solchen. Besonders scheint nach Erledigung einer motorischen
Arbeit die folgende Thatigkeit gem mit einem solchen Wechselantrieb
einzusetzen. Diese etwas giinstige Wirkung einer motorischen Be-
schaftigung ist schon unter praktischen Verhaltnissen ofter zur Ver-
werthung gekommen; von padagogischer Seite wurde darauf hinge-
wiesen, eine wie erfrischende Wirkung im Verlaufe einer ermiidenden
Unterrichtsstunde oft ein Lied, ein Rundgang und dergl. hervorbringt.
Sehr nachhaltig ist dieser giinstige Einfluss freilich nicht. Vielleicht
hat auch die geringe motorische Erregimg, welche bei unseren Ver-
suchen mit dem Akt des Arbeitswechsels im Zustand der Ermiidung
verbunden war, indem nun rasch das eine Arbeitsheft bei Seite
gelegt und das andere ergriffen werden musste, der Entstehung des
Wechselantriebs Vorschub geleistet. Doch mag wohl eine psychische
Wirkung, vor allem auf dem Stimmungsgebiet, mit im Spiel gewesen
sein. Die Befriedigung dariiber, dass wieder ein Abschnitt der
gestellten Aufgabe erledigt, ware demnach in einer Willensan-
spannung zu Beginn der neuen Arbeit zum Ausdrucke gelangt. Wir
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198 Wilhelm Weygandt.
mlissen bei dieser Beurtheilung des Antriebs uns stets vergegen-
wartigen, dass die bisher angewandten Methoden nur einen ganz
ungefakren Anhaltspunkt zur Feststellung solcher feinerer Beziehungen
geben konnten; in unserer ziemlich plmnpen Fiinfminuteneintheilung
mogen Antriebserscheinungen geringeren Grades sehr leicht ver-
wischt und vollstandig unkenntlich gemacht werden. So konnten
auch die personlichen Unterschiede, die uns aufgefallen sind, theil-
weise wenigstens recht gut darauf beruhen, dass bisweilen ein An-
trieb zwar vorhanden, aber von zu kurzer Dauer war, um die Flinf-
minutenleistung entscheidend zu beeinflussen.
Als Endergebniss aller unserer Befunde und Beurtlieilungen
steht jedenfalls unerschiitterlich fest, das eine partielle Ermiidbarkeit
auf dem Gebiet geistiger Thatigkeit nicht nachzuweisen ist, im
schroffen Gegensatz zu den Verhaltnissen auf korperlichem Gebiet.
Diese Thatsache spriclit nicht gerade zu Gunsten einer strengeren
raumlichen Beschrankung der einzelnen Formen geistiger Arbeit auf
getrennte Hirntheile. Zum mindesten miissen wir bestimmt annehmen,
dass sich die durch irgend eine Thatigkeit erzeugte Ermiidung regel-
maBig auch uber die Trager anderer Verrichtungen in weiterem Um-
fange ausbreitet.
Daraus erwachsen wichtige Folgerungen fiir die Hygiene der
geistigen Arbeit, vor allem auch auf dem Gebiet der Schule. Als
die bei weitem ausgiebigste Erholung ist unter alien Umstanden die
Pause anzusehen. Einzelne entgegenstehende Ergebnisse sind in ihrer
Deutung unsicher und lassen sich durch besondere Umstande erklaren,
vorzugsweise in dem Sinne, dass die Pause damals nicht in der
wiinschenswerthen, wirksamen Weise angewandt war. Das ist natur-
Uch unerlasslich, dass die Pause auch thatsachlich der Erholung
gewidmet wird, dass also wahrend dieser Zeit nicht doch irgend
welche emstere Beschaftigung eintritt. Fiir die Schulpausen ist da-
her streng darauf zu halten, dass weder starkere korperUche Ermiidung
durch stiirmische Spiele und Raufereien in der Pause vorkommt,
noch etwa durch Nachholen der haushchen Aufgaben, rasches Ueber-
lesen des Stoffes fiir die nachsten Stunden so viel und noch mehr
geistig gearbeitet wird als in den eigenthchen Lehrstunden. Ein-
fache Bewegungsspiele in frischer Luft, fiir altere Schiiler Herum-
gehen bei ruhiger Unterhaltung, dazu eine maUige Nahrungszufuhr
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Ueber den Einfluss des Arbeitswechsels anf Fortlaurende geistige Arbeit. 199
sind die wichtigsten Mittel, die Pausenzeit in zweckmaBiger Weise aus-
zufullen.
Weit weniger wirksam gegen die Einflusse der Ermiidung ist
der Arbeitswechsel. Griinstig wirkt derselbe nur, wenn eine leichtere
Arbeit eingeschoben wird. Es erheischt aber groBe Vorsicht, wenn
von vom herein bestimmt werden soil, ob eine Arbeit leicht oder
schwer im Verhaltniss zu einer anderen ist. Jeder Schiiler kann
freilich schon versichem, dass es eine Reihe von Fachem und Unter-
richtsstunden giebt, die entschieden als schwer empfunden werden,
z. B. die Extemporalubungen, wahrend andere, so die Welt- und
Literaturgeschichte , als leicht gelten; nach Ansicht mancher Schul-
manner gehort zu den letzteren auch der Religionsunterricht. Die
meisten Facher aber sind nicht sofort als leicht oder schwer zu
bezeichnen, sondem der einen Gruppe von Schiilem fallt das leicht,
was einer anderen schwer erscheint, und umgekehrt. Jedem Lehrer
ist ja die Thatsache bekannt, dass es keineswegs immer dieselben
Schiiler sind, die in den sprachlichen, starker die Auffassung und
das Gedachtniss in Anspruch nehmenden Fachem hervorragen, und
die in dem mathematischen Unterricht, der an das associative Denken
hohere Anforderungen stellt, sich als tiichtig erweisen. Ein Wechsel
zwischen Latein und Griechisch oder zwischen Algebra und Geometrie
wirkt unter keinen Umstanden erholend, da jedesmal dieselben Schiiler
in derselben Weise am meisten angestrengt sind, wenn nicht die
Schwierigkeit der Aufgaben zugleich wechselt. Nicht nur die ver-
schiedene Eigenart der Schuler fallt stark ins Gewicht; auch der
schon erreichte Grad der Uebung bei einem und demselben Schiiler,
ja geradezu die Anpassung des einzelnen an die betreffende Methode,
alles miteinander ist zu beriicksichtigen, wenn es gilt, festzustellen, ob
aus der Abwechslung einer Arbeit mit einer anderen wirklich eine
Erholung entspringt. Es wechselt zwar fast wahrend jeder Unter-
richtsstunde die Methode, sodass in der Kegel zunachst beim Durch-
nehmen der hauslichen Aufgaben mehr die reproductive Seite des
Geistes, das Gedachtniss, dann im Fortschreiten zu neuem Lehrstoff
die assimilirende Thatigkeit, die Auffassung in Anspruch genommen
wird, aber dieser Wechsel hat an sich auch noch keine geradezu erfri-
schende Wirkung. Die Schule, welche es durchweg mit Personlich-
keiten der verschiedensten Art, sensorischen und motorischen Lemem,
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200 Wilbelm Weygandt.
Leuten mit starkem und solchen mit schwachem Gedachtniss, mit
reger oder trager Auffassung, mit raschem und sicherem oder lang-
samem und unsicherem associativem Vermogen in jeder Klasse zu
thun hat, miisste demnach ihre Lehrplane einrichten unter der weit-
herzigsten Berucksichtigung der fur eine einzelne psychische Thatig-
keitsart minder begabten Schtiler, die ^uf anderen Geistesgebieten
wieder die leistungsfahigsten sein konnen; fur den Stand der Klasse
durchaus zu gering begabte Schtiler schlieBen wir naturlich aus.
Von groBem Einfluss auf die Ermiidungswirkung eines Unterrichts
ist natlii-lich auch die Frage, ob der Lehrer selbst anstrengend ist
und stets alle Aufmerksamkeit auf seinen Gegenstand zieht, oder ob
er die Ziigel milder fiihrt und etwa durch Langweiligkeit die Schtiler
nur zu geringer Anspannung kommen lasst Vielleicht kann man,
worauf unsere Versuche hindeuten, in AugenbUcken betrachtlicher
ErmUdung der Klasse eine kiirzere erfrischende Wirkung erzielen
durch eine leichte motorische Anregung, z. B. ein Lied, Aufsagen,
Herumreichen von Abbildungen, Freiubungen und dergl. Die beste
Gewiihr fiir eine segensreiche Verwerthung der erholenden Wirkung,
die in einem weise eingerichteten Arbeitswechsel liegen kann, ist
nur dann vorhanden, wenn neben der Berucksichtigung dieser Gesichts-
punkte filr den Lehrplan auch der einzebie Lehrer selbst in seinen
Unterrichtsstunden, die ja nur selten von Anfang bis zu Ende die-
selben psychologischen Aufgaben stellen, Abwechselung zwischen an-
strengenderer und leichterer Thatigkeit nach MogUchkeit durchzu-
fiihren weiB. Thatsachhch hat ja auch die praktische Erf aiming den
Schulmann schon langst zu einem derartigen Verfahren geftihil; es ist
aber Welleicht nicht unwichtig, dass demselben durch die vorliegenden
Versuche eine allgemeinere Begriindung gegeben und dass zugleich
die Lehre von der gunstigen Wirkung des Arbeitswechsels auf ihre
wahi-e Bedeutung zuruckgefiihrt wurde.
Als einen weiteren Gewinn aus unserer Untersuchung mochten wir
die Bestatigung der Ansicht betrachten, dass die Frage nach den
Bedingungen der geistigen Arbeit einer experimentellen Priifung
durchaus zuganghch, und dass es sehr wohl mogUch ist, die Ergeb-
nisse derartiger Beobachtungen auch auf die Schule zu iibertragen.
Der Einwand, die fortlaufenden Methoden brachten wegen ihrer
Eintonigkeit besondere, fremdartige Bedingungen in den Versuch,
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Ueber den Cinflnss des Arbeitswechsds auf fortltufnide geisiige Arbeit. 201
wird entschieden hinfallig, denn wir konnten deutlich ersehen, dass
unsere Ergebnisse sich nicht nach der Aimehmlichkeit oder Lang-
weile, sondem nur nach der Schwere der Arbeit richten. Der
besondere Gkfuhlston, die Arbeitslust oder Miidigkeit, vermag wohl
kleinere Schwankungen in den einzelnen Werthen hervorzurufen, ist
aber fiir das Gesammtergebniss so wenig von Bedeutung, als es etwa
ftir .den Nahrwerth einer Speise von Belang ist, ob wir sie wohl-
schmeckend finden oder nicht. So kann auch der Wechsel der
Arbeit eine Besserung der Stimmimg, einen augenblicklichen Antrieb
und damit ein kurzes Emporschnellen der Leistung verursachen; fiir
die Beurtheilung seines wirkUchen, dauemden Einflusses aber kommt
es nur darauf an, ob die folgende Arbeit im Verhaltniss zur vorher-
gehenden leicht oder schwer ist.
Schlnrss&tze.
1) Der Wechsel der Arbeitsmethode wirkt nicht unter alien Um-
stiinden gunstig. Manchmal ist der Ausschlag positiv, manchmal
negativ, meist Uberhaupt nur gering.
2) Als das Ausschlaggebende haben wir lediglich die Schwere
der Arbeiten in ihrem gegenseitigen Verhaltniss gefunden. Eine
Arbeit, durch eine schwerere unterbrochen , wird nachher geringere
als die erwarteten Ergebnisse lief em, eine durch leichtere Arbeit
unterbrochene dagegen bessere.
3) Es ist einerlei, ob die mit einander abwechselnden geistigen
Arbeiten ahnlich oder unahnlich sind. Anhaltspunkte fiir die An-
nahme einer partiellen Ermiidbarkeit auf geistigem Gebiet ergeben
sich nicht.
4) Ob eine Arbeit als leicht oder schwer zu bezeichnen ist,
schwankt je nach der Individ ualitlit des geistigen Arbeiters.
5) Die Arbeit veriindert sich femer in ihrer Qualitat, ob leicht
oder schwer, je nach dem Grad der Uebung der Versuchsperson,
so sehr, dass manche Arbeiten, besonders das Auswendiglernen von
Zahlen, vollstandig ihren Charakter andern und aus einer entschie-
den schweren zu einer leichten und verhaltnissmaBig angenehmen
Beschaftigung werden konnen.
6) In vielen Fallen scheint der Wechsel wenigstens insofem
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202 Wilhelm Weygandt. Ueber den EinOuss des Arbeitswechsels aiif fortlaufende i^eistige Arbeit.
einen giinstigen Erfolg zu haben, als er in Gestalt des W echs el-
an triebs eine kleine, rasch wieder verschwindende Besserung bringt,
manchmal selbst da, wo seine Gtesammtwirkung eine ungunstige ist;
am deutlichsten beim Zahlenlemen. Es handelt sich dabei lediglich
um eine geringe Wirkung auf die Stimmung und im psychomotori-
schen Gebiet.
7) Der gunstige Ausschlag in Gestalt des Wechselantriebs tritt
besonders haufig auf im Zustand der Ermiidung und beruht dann
vorzugsweise auf der durch den Akt des Wechselns bedingten moto-
rischen Erregung.
8) Es giebt einzelne labile Naturen, bei denen die Beeinflussung
einer Arbeit durch die vorhergehende auBerordentlich gering erscheint
gegeniiber der Disposition des Augenblicks; eine durchweg gUnstige
Wirkung des Wechsels ist auch hier nicht zu erweisen.
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Ueber die Messung der Auffassungsffthigkeit.
Von
Ludwig Cron und Emil Kraepelln.
uchon seit langer Zeit wurde es bei den Versuchen iiber die
geistige Leistungsfahigkeit unter verschiedenen Bedingungen als ein
storender Mangel empfunden, dass wir noch kein Verfahren besitzen,
welches uns gestattet, bequem und sicher ein Urtheil iiber das Ver-
halten der Auffassungsfahigkeit zu gewinnen. Allerdings lassen
sich fiir diesen Zweck gewisse Formen der psychischen Zeitmessung,
die Unterscheidungs- und Wortreactionen, heranziehen. Allein bei
diesen Versuchen ist stets an den Auffassungsvorgang untrennbar
eine Willenshandlung gekniipft, deren Dauer in die Messung mit ein-
geht. Die Abschatzung der Veranderungen oder personlichen Eigen-
thiimlichkeiten, welche auf die beiden verschiedenartigen Bestandtheile
des ganzen Vorganges entf alien, kann daher immer nur auf einem
Umwege geschehen, indem man das Verhalten von Wort- und Wahl-
reactionen mit einander vergleicht. Ohne Zweifel sind derartige
Schliisse zulassig, aber sie leiden immer an einer gewissen Unsicher-
heit Dazu kommt, dass die einzelnen Messungen uns keinen Auf-
schluss uber diejenigen Einflusse gewahren, welche die fortlaufende
Arbeit begleiten und verandem, die Aufmerksamkeitsschwankungen,
die Uebung, G-ewohnung, Ermiidung u. s. f.; gerade die Kenntniss
dieser Wirkungen aber ist oft fiir uns von ganz besonderer Bedeutung.
Wir haben uns daher seit einigen Jahren bemiiht, ein Verfahren aus-
zubilden, welches MaBbestimmungen fiir die fortlaufende Auf-
fassung von G-esichtsreizen liefert, nachdem friihere Versuche
mit Tastreizen sich als nicht ergiebig genug fiir unsere Zwecke er-
wiesen batten.
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II. 14
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204 Lndwig Gron nnd Gmil Kraepelin.
Die Gesichtsreize bieten den groBen Vortheil einer unabsehbaren
Mannigfaltigkeit. Wahlt man Schriftzeichen , so hat man die Mog-
lichkeit, namentlich auch den associativen Vorgangen nachzugehen,
welche sich mit der Auffassung verkniipfen und dieselbe wesentlich
beeinflussen. Nach anderen Richtungen bin konnten vielleicht Sach-
bilder mehr Ausbeute liefern, weil sie von dem Zwange der Sprache
unabhangiger sind. Weil aber Schriftzeichen sich leichter in groBeren
Eeihen gleichartiger Reize herstellen lassen, und weil sich das Lesen
derselben unmittelbar an eine haufig geiibte Thatigkeit des gewohn-
hchen Lebens anlehnt, haben wir mit ihnen unsere Arbeiten zunachst
begonnen.
I. Das Verfahren.
Bei unseren Untersuchungen kam es uns darauf an, die Ver-
suchsperson zu moghchst fortlaufender Auffassung der Schriftzeichen
zu zwingen und ihre Leistung zu messen, ohne dass doch die Dauer
des Vorganges durch das Aussprechen des Gelesenen wesentlich be-
einflusst wiirde. Zu diesem Zwecke empfahl es sich, das Gebiet der
Auffassungsschwelle zu benutzen, d. h. die Reize nur so kurze
Zeit dem Auge darzubieten, dass sie zwar noch in einer Anzahl von
Fallen, aber nicht immer deuthch wahrgenommen werden konnten.
Die Zahl der richtig erkannten Reize heferte dann ein MaB fur die
Auffassungsfahigkeit; auBerdem waren von den falschen Lesungen
noch Aufschlusse liber die Fehlervorgange bei der Auffassung zu
erwarten. Legte man endUch zwischen die einzelnen Reize Pausen,
die zu kurz waren, um ein Erschlaffen der Aufmerksamkeit zu ge-
statten, aber wieder lang genug fur das Aussprechen des Gelesenen,
so war eine fortlaufende Arbeit gefunden, bei welcher die gemessene
Leistung moglichst rein der Fahigkeit der Versuchsperson entsprach,
Schriftreize aufzufassen und zu erkennen.
Zur Erreichung dieses Zweckes lehnten wir uns an ein Verfahren
an, welches friiher vonCattell*) beschrieben worden ist. Wir lieBen
Trommeln, die in Schneckenwindungen mit Schriftzeichen beklebt
waren und sich mit gleichmaBiger Geschwindigkeit unter Senkung
auf dem Kymographion drehten, durch einen Spalt von verander-
1) PhiloBoph. Studicn von W. Wundt II. S. 635 flf.
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Deber die Messung der Auffassungsfahigkeit. 205
licher Weite aus bestimmter Entfernung betrachten. Spaltweite und
Drebungsgeschwindigkeit wurden so eingestellt, dass von den ver-
schiedenen Beobachtern gerade nicht mehr Alles fehlerlos erkannt
werden konnte. Die Versucbsperson sprach, wahrend die einzelnen
Reize vor ihrem Auge vortiberglitten, laut aus, was sie gelesen hatte;
alle diese Lesungen wurden von einer anderen Person stenographiscb
in eine Liste eingetragen, welche im Vordruck denselben StofE enthielt
wie die Reiztrommel.
Die Trommeln waren aus diinnem, geschwarztem Blech hergestellt
und lieBen sich leicht und fest iiber die Kymograpbiontrommel schieben.
Als Reize dienten: 1. einsilbige, 2. zweisilbige Worter, 3. sinn-
lose Silben. Die betreffenden Trommeln sollen im folgenden regel-
maBig mit A^ B und C bezeichnet werden. Alle Worter und Silben
waren aus alien Jahrgangen der Ulustrirten Zeitung (ScliriftgroBe:
®/g Petit; Fractur) ausgeschnitten und mit moglichst geringem Rande
auf die Trommeln derart aufgeklebt worden, dass die Schnecken-
windung genau der Senkungsbewegung des Kymographions entsprach;
die ganze Reihe der Reize zog daher in gleicher Linie vor dem Spalte
des Beobachters voriiber. Die Zahl der Worter auf Trommel A und
B betrug 280, diejenige der Silben auf Trommel C nur 270. Die
sinnlosen Silben bestanden regelmaBig aus drei Buchstaben. Bei den
Wortem konnte eine derartige GleichmaBigkeit leider nicht erzielt
werden. Es ist aber auch fraglich, ob das Suchen nacli Wortem
von durchaus gleicher Buchstabenzahl wirklich zweckmaBig gewesen
ware. Nicht nur sind die Buchstaben von so verschiedener Breite
und Hohe, dass sie fiir die Auffassung schwerlich als durchweg gleich-
werthig angesehen werden diirfen, wie z. B. m und w einerseits, i, 1, t
andererseits, sondern es ist auch zweifelhaft, ob Zusammenstellungen,
wie ch, sch, tz, B als Einheiten oder als Doppelbuchstaben aufgefasst
werden. Im ganzen diirfte es sich daher mehr empfehlen, die
Lange der Worter, als die Buchstabenzahl einheitlich zu gestalten.
Wenn wir jeden Buchstaben in den angefUhrten Verbindungen einzeln
rechnen, so ergiebt sich fiir die Zahl der Schriftzeichen bei den
Wortem der Trommeln A und B folgende Uebersicht:
14*
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206
Ludwig Gron und Emil Kraepelin.
Tabelle I.
Buchstabenzahl
4
5
6
7
8
9
10
Trommel A
164
106
10
—
—
—
1
Trommel B
1
—
68
135
65
11
Die durchschnittliche Breite der Worter betrug auf Trommel A
6,7, auf Trommel -B 10,4, diejenige der siimlosen Silben 4,0 mm. Der
Abstand der Anfangsbuchstaben von einander war uberall 30 mm.
In Folge dessen fielen die Lucken zwischen zwei anfeinander folgenden
Reizen auf den verschiedenen Trommeln recht ungleich aus; sie waren
auf Trommel A 23,3, auf Trommel B 19,6 und auf Trommel C
26,0 mm breit. Obgleich diese Anordnung nach gewisser Bichtung
bin ein ganz biibscbes Ergebniss geliefert hat, wurden wir docb fur
spatere Versuche empfehlen, lieber die Zwischenraimie zwischen dem
Ende eines und dem Anfange des nachsten Wortes einander gleich
zu machen. Es bedarf wohl kaum der Erwahnung, dass wir nur
Hauptworter auswahlten; leider ist dabei iibersehen worden, dass auf
Trommel A wie B je zwei Worter doppelt eingereiht waren.
Die Umdrehungsgeschwindigkeit der Trommeln betrug in alien
Versuchen 24 nmi in der Secunde. Da sich die G-eschwindigkeit beim
Anlassen allmahlich steigert, bis sie gleichmaBig wird, begann das
Lesen erst 9 Secunden nach dem Anfange der Drehung. Die Zeit,
welche der Leseversuch dann noch in Anspruch nahm, belief sich auf
nahezu 6 Minuten ; eine irgend merkliche Verlangsamung der Drehungs-
geschwindigkeit war dann noch nicht eingetreten. Nach jedem Ver-
suche wurde die Feder des Kymographions frisch aufgezogen.
Der BeobachtungsschUtz befand sich in der Entfemung von 4 cm
vor der Trommel. Er hatte eine Hohe von 5 mm und war in der
Breite mit Httlfe einer Mikrometerschraube in weiten Grenzen ver-
stellbar; benutzt wurden bei den Versuchen nur die Spaltweiten von
5, 4 und 3 mm. Alle Theile der Spaltplatte, welche jeden sonstigen
Ausblick auf die Trommel verdeckte, waren an der dem Beobachter
zugewendeten Seite geschwarzt. Wiedenmi 20 cm vor dem Spalte
war am Tischrande eine verschiebbare Gabel befestigt, welche dem
Kinn des Beobachters als Stutze diente, um die Hohe der Bhcklinie
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Ueber die Messung der Aoffassungsfliliigkeit. 207
stets gleich zu erhalten. An den oberen Gabelenden befand sich ein
starkes Querband, an welches sich die Stirne des Beobachters an-
lehnte, so dass auch der Abstand des Auges vom Spalte und von der
Trommel sich nicht verandem konnte. Gabel und Spaltplatte waren
so aufgestellt, dass die Blicklinie senkrecht durch den Spalt hindurch
auf die Trommeloberflache fiel. Die Stellung aller dieser Theile wurde
ein fiir allemal durch geeignete Vorrichtungen unverrtickbar festgelegt.
Um seithches Licht abzuhalten, wurde die Bahn zwischen Kinngabel
und Spaltbrett durch eine Papprohre mit Tuchumhiillung voUkommen
geschlossen; femer wurde ein Auge mit einer dunklen Klappe ver-
deckt und nui* mit einem (jedesmal demselben) Auge gelesen.
Bei der Verengerung des Spaltes nahm natiirlich die Zeit ab,
wahrend welcher die Eeize sichtbar blieben. Mit Hiilfe einer Contact-
vorrichtung, die mit dem Eintritte eines Buchstaben in das Gesichts-
feld und mit seinem Verschwinden eine Marke machte, lieB sich die
»Spaltzeit«, die Dauer der Sichtbarkeit jedes Buchstaben bei ver-
schiedener Spaltweite, genau messen. Wegen der wechselnden Breite
der Buchstaben konnte dabei allerdings immer nur das Kommen und
Gehen einer bestimmten, durch den Buchstaben gelegten Senkrechten
beriicksichtigt werden. Die Messung ergab fur die Spaltweite von
5 mm eine Zeit von 290, fiir 4 mm 230 und fiir 3 mm 170 Tausendstel
Secunden. So lange also blieb jeder Bestandtheil der Reize bei den
verschiedenen Spaltbreiten fiir das Auge sichtbar. Es ist allerdings
fraglich, ob gerade diese Zeiten fiir die Auffassung maBgebend sind.
Schon Cat tell hat nachgewiesen, dass wir Gruppen von Zeichen bis
zu einer gewissen Grenze nicht stiickweise, sondern als Einheit auf-
fassen. Man konnte daher denken, dass fiir die Auffassung wesent-
lich die Zeit in Betracht kame, wahrend welcher der ganze Reiz
sichtbar bleibt, die Zeit also von dem Auftauchen des letzten bis zum
Verschwinden des ersten Buchstaben. Wie jedoch der Vergleich der
Spalt- und der Wortbreite lehrt, wiirde sich hier nur fiir die sinn-
losen Silben ein positiver Werth ergeben; die einsilbigen Worter sind
meist ganz knapp, die zweisilbigen iiberhaupt nicht voUstandig mit
einem Male zu iibersehen. Bei diesen letzteren ist aber von einer
einheitlichen Auffassung auch keine Eede mehr. Wie der Ausfall
der Versuche zeigt, spielt die gleichzeitige Sichtbarkeit des ganzen
Wortes innerhalb der hier gegebenen Grenzen iiberhaupt keine so
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208
Ladwig Cron and Emil Kraepeliii.
groBe RoUe, offenbar deswegen, weil sie durch die Erinnerungsbflder
erganzt wird. Was wir nicht mehr oder noch nicht sehen, sind wir
in uberaus hohem Grade geneigt, aus der unmittelbaren Eiinnemng
oder aus der Erwartung heraus zu erganzen, ganz abgesehen davon,
dass wohl auch die einfache Nachwirkung des Eeizes auf der Netz-
haut die gemessene Sichtbarkeitszeit noch etwas verlangert.
Die Ausfiihrung der Versuche geschah derart, dass die Versuchs-
person hintereinander sammtliche Worter einer Trommel laut zu lesen
suchte. Man begann mit der Spaltweite 5 mm und ging dann nach
je einmaliger Lesung zu 4 und 3 mm Spaltweite iiber; zwischen diesen
Reihen lagen je 2 Minuten Pause. Nach einer nunmehr folgenden
Pause von 5 Minuten wurden 3 ganz ahnliche Reihen mit Trommel B
und wiederum nach 5 Minuten auch mit Trommel C gewonnen. Ein
solcher ganzer Versuch dauerte einschlieBlich der Pausen 76 Minuten.
Jede Versuchsperson hatte denselben an drei verschiedenen Tagen
vollstandig zu wiederholen; auf diese Weise ergaben sich fiir jede im
ganzen 7470 Lesungen. Leider konnte die Zwischenzeit zwischen
den einzelnen Versuchstagen aus auBeren Griinden nicht uberall
gleich lang gemacht werden, wenn auch die Gleichheit der Tageszeit
fast immer eingehalten wurde. Die folgende Tabelle giebt eine Ueber-
sicht iiber die zeitliche Lage der sammtlich im Juli und August 1S95
angestellten Versuche:
Tabelle 11.
Versuchs-
personen
0.
I.
A.
S.
R.
B.
Versuch I
Versuch II
30. VII.
8V2 Vm.
16. VII.
38/4 Nm.
19. VII.
8V2 Vm.
20. VII.
81/4 Vm.
26. VII.
8V2 Vm.
16. vn.
9 Vm.
17. vn.
81/8 Vm.
31. VII.
8 Vm.
3. VIII.
SV2 Vm.
23. VII.
31/4 Nm.
27. VII.
38/^ Nm.
29. VII.
IOV2 Vm.
18. vn.
88/4 Vm.
Versuch III
25. VII.
31/4 Nm.
23. VII.
8V2 Vm.
29. VII.
9 Vm.
1. vm.
9 Vm.
22. VII.
81/j Vm.
Der Ausfall der Versuche wurde, wie schon erwahnt, in bereit
liegende Listen eingetragen. Dabei wurden richtige Lesungen durch
senkrechte Striche, die Auslassungen durch ein » — «-Zeichen
kenntlich gemacht, die Verlesungen aber, soweit das moglich war,
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Ueber die Messung der Auffassungsflhigkeit. 209
nachgeschrieben. Eine Schwierigkeit ergab sich namentlicli fur die
Trommel C. Sobald die Zahl der Fehler hier iiber ein gewisses MaB
hinaus wuchs, wurde es umnoglich, bei der gewahlten Geschwindigkeit
die Fehler genau nachzuschreiben, da die Auffassung des G-ehorten
nicht durch den Inhalt desselben unterstutzt wurde, und da die Aus-
sprache des Verlesenen meist ziemlich undeutlich war. Man musste
sich dann mit der einfachen Feststellung der Fehlerzahl begniigen,
ohne auf ihre Art naher eingehen zu konnen. Bisweilen kam es auch
vor, dass Lesungen zwar richtig, aber zogemd und stottemd hervor-
gebracht wurden. Auch solche Falle sind in den Listen besonders
verzeichnet worden, doch erwies sich ihre Zahl als zu gering, imi
weitergehende Schlusse zu gestatten.
Von den Versuchspersonen waren die mit Vocalen bezeichneten
Gesunde, die iibrigen 3 Kranke der Lrenklinik. I. und 0. waren
Studenten, A. ein Warter der Kh'nik mit leidlicher Bildung und gutem
Verstande; alle 3 standen in den zwanziger Jahren. B. war ein
31jahriger Eiiufmann, der im October 1892 zum ersten Male wegen
chronischem Alkoholismus in die Kh'nik gekommen war. Sein Zu-
stand hatte sich damals bald gebessert, so dass er im Januar 1893
entlassen werden konnte und nun fast 2 Jahre lang volUg enthaltsam
bheb. Dann aber fing er »aus Neugierde* wieder an zu trinken, kam
rasch hinein und trank in den letzten Wochen sehr stark, so dass er
am 9. Juli 1895 von neuem aufgenommen werden musste. In der
Kh'nik zeigte er sich einsichtig, aber etwas willensschwach, war auch
nicht mehr im Stande, so gut schriftliche Arbeiten zu machen wie
friiher, schrieb schlechter und fehlerhafter. Der Zustand besserte sich
rasch; am 10. September erfolgte die Entlassung.
Der Kranke S., ein 35jahriger Cigarrenarbeiter, Utt an dipso-
manischen Anfallen auf epileptischer Grundlage. Bis in seine Jugend
zuriick lieB sich bei ihm das Auftreten periodischer Verstimmungen
verfolgen, in denen er zu seiner Erleichterung anfing zu trinken; in
den Zwischenzeiten trank er miiBiger. Bei den Verstimmungen kam
es unter dem Einflusse des Alkohols mehrf ach zu krankhaften Rausch-
zustanden, in denen S. uniiberlegte strafbare Handlungen voUfiihrte,
ohne sich nachher derselben zu erinnern. Einmal entwickelte sich
unter solchen Umstanden ein ausgepragter Dammerzustand, in welchem
S. einen ihm unbekannten Menschen ohne den geringsten Anlass
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210 Ludwig Oron und Emit KrAepelin.
schwer verletzte. Obgleich er unmittelbar nach der That dieselbe in
ganz abenteuerlicher und unsinniger Weise zu begriinden suchte, hatte
er doch am nacbsten Tage jede Eriimerung daran verloren. S. ist
wiederholt langere Zeit in der Klinik beobachtet worden. 'Er war
ein eigenthiinJich weicher, schlaffer Mensch mit entschiedener zeich-
nerischer Begabung. Seine Schulbildung war leidlich; er vermochte
sich schriftlich ziemlich gewandt auszudriicken. Seine Verstandes-
leistungen entsprachen seinem Bildungsgange und boten jedenfalls
keine krankhaften Storungen dar. In der spateren Zeit ist bei S.
noch einige Male im Anschlusse an Verstimmungen triebartiges
Herumirren mit sehr unklarer und theilweise ganz erloschener Er-
innerung beobachtet worden.
Der letzte Kranke endlich, E., war nahezu 59 Jahre alt. Er
war friiher lange Zeit Kaufmann in Siidamerika gewesen, hatte sich
dort ein kleines Vermogen erworben und war 1875 in die Heimath
zuriickgekehrt. Schon 1 — 2 Jahre friiher anscheinend batten sich bei
ihm Verfolgungs- und spater langsam auch gewisse GroBenideen ent-
wickelt, die ihn veranlassten, unthatig allmahlich sein gauzes Ver-
mogen aufzuzehren, weil er sich durch feindselige Einflusse iiberall
in der Ausfiihrung seiner Plane gehindert fuhlte, andererseits aber
sicher war, dass es ihm jederzeit ein leichtes sein werde, sich
ton neuem eine auskommliche Stellung zu verschaffen. Auf diese
Weise fiel er schlieBlich der Armenpflege zur Last und gelangte in
die Irrenanstalt, da er sich den getroffenen Anordnungen nicht fugen
woUte, vielraehr allerlei harmlose Brandschatzungen und Belastigungen
seiner friiheren Bekannten verubte. Es envies sich, dass bei ihm
seit mehr als 20 Jahren ein nicht sehr umfangreiches, aber voUig
festes Wahngebaude zur Ausbildung gelangt war. Er glaubte sich
von der Tochter des amerikanischen Consuls in Quito verfolgt, die
ihn habe heirathen wollen imd ihm, da er sie verschmaht babe, uber
den Ocean gefolgt sei, ihn durch Spione beobachten lasse, die Per-
sonen seiner Bekanntschaft gegen ihn einnehme und alle seine Be-
miihungen, wieder emporzukommen, planmaBig durchkreuze. Anderer-
seits hielt er sich fur den Begriinder der Deutschen Colonialpolitik,
da er den Grossherzog von Baden immittelbar vor der Uebemahme
unserer Schutzgebiete auf die noch freien Landstrecken in Afrika
aufmerksam gemacht habe. In verschiedenen Kundgebungen des
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Ueber die Messung der AuffassnngsfUhigkeit.
211
Kaisers ) in Zeitungsartikeln glaubte er die Wirkungen seines Ein-
flusses wiederznfinden; endlich arbeitete er noch an einer Reihe seiner
Ansicht nach sehr wichtiger Erfindungen. Der Kranke war voUig
besonnen und geordnet, hatte seine auBere Haltung vorziiglich be-
wahrt, besaB ein recht gutes Gedachtniss, legte aber bei langerer
Unterhaltung einen gewissen Grad von Urtheilsschwache an den Tag^
die sich nicht nur bei der Besprechung seiner Wahnideen, sondem
auch in Bezug auf sonstige Verhaltnisse, z. B. bei der Wiirdigung an-
derer Kranker, deutlich zeigte. Er wusste jedoch ganz anschaulich von
seinen mannigfaltigen Erlebnissen in fremden Landem zu erzahlen.
Im Ubrigen war er lenksam und gutmiithig.
Alle Personen batten ein klares Verstandniss fur die Bedeutung
und den Zweck der vorliegenden TJntersuchungen. Sie waren ge-
halten, eine moglichst gleichformige Lebensweise zu fiihren und sich
mindestens 12 Stunden vor dem einzelnen Versuche des Alkohols,
mindestens 4 Stunden vorher des Genusses von Kaffee oder Tbee zu
enthalten.
II. Versnche mit sinnlosen Silben.
Die Besprechung der Versuchsergebnisse wird am zweckmaBigsten
mit den Erfahrungen beim Lesen sinnloser Silben beginnen, weil bei
dieser Arbeit die Auffassungsthatigkeit am wenigsten durch anders-
artige Vorgange beeinflusst wurde. Einen ersten Ueberblick uber die
erhaltenen Zahlen gewahrt uns die folgende Tabelle, in welcher fiir
die einzelnen Spaltweiten verzeichnet ist, wie viele Silben richtig (r),
wie viele falsch (/) gelesen und wie viele ausgelassen wurden [a).
Tabelle
iU.
Spaltweite
5 mm
4 mm
3 imn
Person 0.
r
739
/
44
a
27
2
r
69S
/
70
a
42
r
625
72 113
» I.
800
8
801
7
2
788
13 9
» A.
700
100
10
674
118
18
548
200 62
> S.
» R.
757
642
143
47
93
447
6
75
220
749
54
7
704
85 21
617
115
78
401
377
142 291
> B.
104
305
66
365 379
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212
Liidwig Gron and Bmil Kraepelin.
Wir ersehen aus dieser Tabelle zunachst, dass bei der gewahlten
Gteschwindigkeit fast immer noch die Mehrzahl der vorgefiihrten
Silben richtig gelesen wurde. Ln einzelnen finden sich allerdings
sehr groBe Unterschiede. Namentlich B. nimmt eine Sonderstellung
gegenuber alien iibrigen Personen ein. Ferner erkennen wir, dass
auch R. in seinen Leistungen durchweg unter sammtlichen ent-
sprechenden Zahlen anderer Beobachter bleibt, wahrend S. sich voU-
standig in den Rahmen der von den drei Gresunden gelieferten Werthe
einfiigt.
Einen entscheidenden EinfluB auf den hier gemessenen Vorgang
zeigt ans naheliegenden Griinden die Weite des Spaltes. Die
Anzahl der richtig gelesenen Silben nimmt mit der Verengerung des
Beobachtungsschlitzes regelmaBig ab. Offenbar ist das durch die
kiirzere Gesichtsfeldgegenwart der Reize bedingt AUein die Ab-
nahme der richtigen Lesungeo erfolgt weit langsamer, als diejenige
der Sichtbarkeit. Das lehrt die folgende Tabelle, welche das pro-
zentische Sinken der Spaltzeit sowie die dem entsprechenden richtigen
Lesungen bei verschiedener Spaltweite darstellt. Wir fassen dabei
die Gesunden irnd die Kranken je zu einer Gruppe zusammen.
Tabelle IV.
Spaltbreite
5 mm
4 mm
3 mm
Sichtbarkeitsdauer
100,0
79,3
58,6
Richtige Lesungen, Gesunde
100,0
97,0
87,7
» > Kranke
100,0
95,3
74,3
Die rasche Abnahme der Spaltzeit mit Verringerung der Spalt-
breite beruht zum groBten Theile auf der Kxiimmung der Trommel,
welche bei weiterem Schlitze ein viel groBeres Gebiet des Umfanges
zu ubersehen gestattet, als bei engerer Blende. Dem entspricht aber
nun keineswegs das Verhalten der richtigen Lesungen. Vielmehr
zeigen dieselben bei der Verkiirzung der Sichtbarkeit imi Vs nur eine
ganz geringfugige Abnahme; erst bei weiterem Sinken der Spaltzeit
vermindert sich auch die Zahl der richtigen Lesungen in starkerem
MaBe, besonders bei der Gruppe der Kranken. Diese Thatsachen
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Ueber die Messung der AiifTassnngsfahigkeit. 213
erklaren sich leicht im Hinblicke auf die von Oattell mitgetheilten
Erfahrungen. Auch er fand namlich, dass bei seinen Versuchsper-
sonen die Auffassung von Buchstabenreihen durch Verbreiterung des
Spaltes zunehmend erleichtert wurde. Allein diese Erleichterung hatte
ihre bestimmten personlichen Grenzen. Ging die Spaltbreite iiber
ein gewisses, bei den einzelnen Personen verschiedenes MaB hinaus,
80 erfolgte keine weitere Beschleunigung der Auffassung mehr. Diese
Grenze lag fiir seine Beobachter zwischen einer Spaltzeit von 145
und 274 Tausendstel Secunden. Es ist demnach klar, dass schon
bei einer Annaherung an diese Grenze der Einfluss einer Verbrei-
terung des Spaltes allmahlich immer geringer werden muss. Auf der
anderen Seite ist es sicher, dass die untere Grenze der Auffassungs-
fahigkeit fur sinnlose Silben nicht erst bei der Spaltbreite 0, sondem
schon friiher erreicht wird; es muss demnach bei Herabminderung
der Spaltzeit ein Punkt eintreten, von dem ab die Leistung der
Auffassung rascher sinkt, als die Sichtbarkeit der Reize. Die in der
Tabelle IV wiedergegebenen Werthe belehren uns also dariiber, dass
fiir die Gesunden die Spaltweite 4 mm durchschnittUch schon sehr
nahe jener Grenze lag, jenseits derer eine Verbreiterung des Spaltes
keine Verbesserung der Leistung mehr bewirken konnte. In der That
wurden bei 4 mm schon nahezu 90 ^, von I. sogar 98,9 % der
Reizworter richtig gelesen. I. wenigstens war, wie die Zahlen der
Tabelle HI darthun, der Grenze so nahe, dass die von ihm be-
gangenen Fehler wesentlich als zufallige zu betrachten sind. Bei O.
und namentlich bei A. dagegen wiirde sich durch eine weitere Ver-
groBerung des Spaltes noch eine deutliche Verbesserung der Leistung
haben erzielen lassen. Die von Cattell bemerkte Verschiedenheit
der Versuchspersonen begegnet uns also auch hier. Wenn die obere
Grenze des Auffassungsschwellengebietes bei uns etwas hoher lag,
als bei ihm, so diirfte sich das in erster Linie aus der abweichenden
Versuchsanordnung erklaren, die hier eine langere Fortsetzung der
Arbeit ohne Pause verlangte.
Bei den Kranken sind wir von der oberen Grenze der Auf-
fassungsschwelle durchschnitthch etwas weiter entfemt. Namentlich
B. liefert bei 5 mm erst 1 7,6 % richtiger Lesungen. Bei ihm miisste
also noch eine sehr betrachtliche Verbreiterung des Spaltes statt-
finden, wenn alle Reize richtig aufgefasst werden soUten. Dem
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214 Liidwig Gron tind Emil Kraepnlin.
entsprechend ist auch bei ibm der Einfluss der Spaltverengerung am
starksten. Die olinehin schon ungemein geringe Leistung sinkt bei
3 mm xun 63,8 ^, wahrend die Spaltzeit nur um 41,4 )^ abgenom-
men hat. Wir nahem uns also bier scbon ziemlicb rascb der unteren
Grenze der Auffassung; die ricbtigen Lesungen betragen nur noch
etwa 8 ^. Bei R. sinkt die Leistung fiir 4 mm nur unbedeutend,
fur 3 mm aber schon ebenso stark wie die Spaltzeit; auch bei ibm
ist daher bereits das Gebiet erreicht, innerhalb dessen die Auffassungs-
fahigkeit nicht mehr langsamer abnimmt, als die Sichtbarkeitsdauer
der Reize. S. verhalt sich dagegen ganz wie die gesunden Personen
und wiirde sogar dort unmittelbar nach I. seine Stelle finden.
AuBer den ricbtigen Lesungen unterscheiden wir fehlerhafte
und Auslassungen. Wir dUrfen vielleicht im allgemeinen anneh-
men, dass Fehler und Auslassungen verschiedenen G-raden mangel-
hafter Auffassung entsprechen. Bei den Fehlem hat, wie es scheint,
immerhin noch eine, wenn auch unvollkommene Auffassung einzelner
Bestandtheile des Reizes stattgefunden, wahrend bei den Auslassungen
eine verwerthbare Wahmehmung iiberhaupt nicht zu Stande gekom-
men ist. Die Zahlen der Tab. m sind im ganzen geeignet, diese
Ansicht zu stiitzen. Je gunstiger die Auffassungsbedingungen sind,
desto entschiedener treten die Auslassungen zuruck; die Fehler da-
gegen nehmen mit wachsender Erschwerung der Auffassung nur
maBig zu. Bei den Gesunden steigen die Auslassungen von 5 mm
zu 3 mm Spaltweite durchschnittUch fast auf das 5 f ache, wahrend
die Fehler noch nicht die doppelte Anzahl erreichen. Aehnlich sehen
wir bei einer Zusammenfassung der Kranken die Fehlerzahl sich
beinahe gar nicht andem, indess die Auslassungen auf das 2, 3 f ache
anwachsen. Es hat demnach den Anschein, als ob im allgemeinen
die Auslassungen uns ein zuverlassigeres Bild der wirklichen Auf-
fassungsschwierigkeiten liefem.
Ln einzelnen allerdings bedarf diese Ansicht einer gewissen
Einschrankung. Beim Vergleiche der Zahlen untereinander tritt un-
verkennbar die Thatsache hervor, dass die Beziehungen zwischen
Fehlem und Auslassungen unter denselben Bedingungen wesentlich
auch von personlichen EigenthiimHchkeiten abhangen. Wahrend im
allgemeinen Erschwerung der Auffassung vorzugsweise die Zunahme
der Auslassungen begunstigt, sehen wir unter den Gesunden doch
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Ueber die Hessong der AufTassuDgsf&bigkeit. 215
diejenige Person, die am schlechtesten auffasste, A., eine ganz un-
gewohnlich hohe Zahl gerade von Fehlem liefem. Umgekehrt hat O.
TerhaltnissmaBig wenig Fehler gemacht; sie nehmen beim Uebergange
von 4 mm Spaltbreite zu 3 mm fast nicht zu, wahrend die Auslas-
sungen nahezu auf das 3 f ache steigen. Von den Kranken zeiehnet
sich in ganz ahnUcher Weise R. durch die verhaltnissmaBig geringe
Zahl seiner Fehler aus, die bei 3 mm Spaltweite nur noch die Half te
der Auslassungen betragen. Andererseits begeht S. auffallend viele
Fehler bei sehr wenig Auslassungen; er ist denmach A. an die Seite
zu stellen. Eine Mittelstellung in dieser Beziehung nimmt der sonst
so stark abweichende B. ein, bei dem mit abnehmender Spaltbreite
die Auslassungen ein geringes Uebergewicht liber die Fehler erlangen.
Ordnen wir die Versuchspersonen nach ihrer Leistungsfahigkeit im
Auffassen bei 5 mm Spaltbreite, so erhalten wir die Reihenfolge:
I., S., 0., A., E., B. Nach dem Grade des Ueberwiegens der Fehlerzahl
liber die Auslassungen wlirden wir dagegen die Reihe erhalten:
A., S., L, B., 0., R. Wenn denmach auch I. und S. beide Male dem
ersten, R. und B. dem zweiten Theile dieser Reihen angehoren, eine
gewisse Beziehung zwischen groBerer oder geringerer Auffassungs-
fahigkeit und schwacherem oder starkerem Ueberwiegen der Aus-
lassungen gegeniiber den Fehlem wohl auch beim Vergleiche
verschiedener Personen bestehen mag, so spielen hier andere Eigen-
thiimlichkeiten doch ohne Zweifel mit eine maBgebende Rolle.
Offenbar haben wir mit einer groBeren oder geringeren Neigung zu
rechnen, halb oder undeutlich aufgefasste Reize durch eigene und
darum in der Regel fehlerhafte Zuthaten zu erganzen. Dass in dieser
Hinsicht groBe personliche Verschiedenheiten vorkommen, lehrt uns
die alltagliche Erfahrung. Das, was wir die Zuverlassigkeit eines
Beobachters nennen, beruht ja eben nur auf seiner Fahigkeit, nicht
mehr und nichts anderes zu sehen, als das sinnlich Gegebene, sich
bei der Auffassung moglichst frei zu halten von der Beeinflussung
der Wahmehmung durch Erinnerung oder Erwartung. Wir werden
unter diesem Gesichtspunkte zu dem Schlusse kommen, dass A. und
S. am meisten geneigt waren, ihre Wahmehmungen durch eigene Zu-
thaten zu erganzen und zu verfalschen, wahrend R. und 0. diese
Neigung verhaltnissmaBig am wenigsten zeigten. Man sieht schon
aus der Ordnung der Personen, dass es sich hier nicht imi eine
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2t6 Ludwig Cron nnd Rroil Kraepeiio.
Eigenschaft handelt, die in bestimmter Beziehung zum Krankheits-
zustande oder auch zum Bildungsgrade stehen kann; vielmehr haben
wir es ofEenbar mit einer allgemeinen Veranlagung der einzelnen Per-
sonlichkeit zu thun. Ganz frei von der Neigung zu Fehlem, selbst
bei diesen Reizen, die dazu verhaltnissmaBig wenig herausforderten,
ist freilich keine einzige unserer Personen; wir sehen daraus, in wie
hohem Grade unsere Auffassung auch im beaten Falle jederzeit durch
unsere Vergangenheit mitbestimmt wird.
Gerade deswegen erscheint es uns nunmehr von Wichtigkeit,
auch die Art der begangenen Fehler etwas naher zu betrachten.
Leider liegen w^en der Schwierigkeit, bei der gewahlten Geschwin-
digkeit des Lesens die Verlesungen uberall zuverlassig nachzuschreiben,
nur von R und O. je 2, von S. 3 Versuche mit verwerthbaren Auf-
zeichnungen vor, aus denen wir ein Urtheil liber die Art der Fehler
gewinnen konnen. Dabei zeigt es sich, dass wir allgemein zwischen
Buchstabenfehlern und Wortfehlern zu unterscheiden haben.
Die Buchstabenfehler bestehen in der Verwechslung, Auslassung oder
Zusetzung einzelner Buchstaben, ohne irgend welche Beziehung zum
Sinne der Neubildung; bei den Wortverlesungen dagegen wird mit
dem dargebotenen Eindrucke ein anderes, mehr oder weniger ahn-
liches Wortbild verwechselt. Im ersteren Falle werden also die
Bestandtheile des Reives fur sich verlesen; im letzteren wird nur
der Gesammteindruck aufgefasst und fiilschlicherweise mit einer
nicht ganz ubereinstimmenden Sprachvorstellung zur Deckung ge-
bracht. Auch hier erscheinen in der Verlesung einzelne Buchstaben
richtig, andere falsch wieder, aber im Grunde sind nicht die Buch-
staben, sondem eben die Gesammtbilder verwechselt worden. Um-
gekehrt kann aber auch ein Buchstabenfehler die Entstehung einer
Wortverlesung vorbereiten. NaturUch ist es durchaus nicht moglich,
diese verschiedenen Vorgange im einzelnen Falle auseinander zu halten;
wir konnen nur aus gewissen Anzeichen auf die groBere Haufigkeit
des einen oder des anderen schlieBen. So werden die Buchstaben-
fehler in der Regel mehr sinnlose, die Wortfehler mehr sinnvoUe Ver-
lesungen liefem. Es leuchtet jedoch ein, dass hier bei den sinnlosen
Silben uberhaupt wesentUch nur Buchstabenfehler zu erwarten waren,
wenn auch, wie wir sehen werden, Wortfehler nicht ganz ausge-
blieben sind.
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Ueber die llessung der AnfTassaD^sflihigkeit. 2t7
Um in den Ablauf des Auffassungsvorganges einen naheren
Einblick zu gewinnen, werden wir zunachst imtersuchen , wie yiele
Buchstaben in jeder Verlesung falsch erkannt wnrden und welche
Stellung dieselben batten.
Wir gewinnen dariiber ein Urtheil, indem wir jede einzelne
Verlesung mit der Vorlage vergleichen und feststellen, welche und wie
viele Buchstaben mit einander iibereinstimmen. Dabei ergeben sich
bald gewisse Schwierigkeiten. Zunachst weicht ofters die Zahl der
Buchstaben bei Verlesung und Vorlage von einander ab; einzelne
Buchstaben sind vom, in der Mitte, am Ende ausgelassen oder hin-
zugesetzt. Sodann aber finden sich auch einfache Umstellungen der
Buchstaben in der Verlesung. Es schien uns bei der Durchsicht
unserer Listen, besonders mit Eucksicht auf die kleine Zahl der voU-
standigen Versuche, unmogUch, auf alle diese Verschiedenheiten der
Fehler genauer einzugehen. Vielmehr haben wir zunachst Aus-
lassungen wie Einschiebungen und Umstellungen in gleicher Weise
als einfache Buchstabenfehler verzeichnet, deren Stellung in der Silbe
lediglich danach bestimmt wurde, ob die Buchstabenreihe der Vor-
lage richtig wiedergegeben war oder nicht. Einige Beispiele werden
das am besten erlautem. Zusatze vom oder hinten wurden als ein-
facher Fehler des ersten oder letzten Buchstaben gerechnet, auch
wenn sie mehrere Buchstaben umfassten, z. B. aupt statt upt und
Strom statt rom einerseits, freu statt fre und kraft statt kra anderer-
seits. Einschiebungen zwischen erstem und zweitem Buchstaben, wie
tros statt tos wurden als Fehler des zweiten, solche zwischen zweitem
und drittem Buchstaben, wie tekt statt tet als Fehler des dritten
Buchstabens angesehen. Auslassungen, wie ub statt aub, op statt
orp, or statt org galten als Fehler des ersten, zweiten oder dritten
Buchstaben. Umstellungen endhch, wie olg statt glo, ets statt tes,
betrachteten wir als Doppelfehler des ersten und dritten bezw. des
ersten und zweiten Buchstaben. Haufiger fanden sich naturlich auch
mehrere Fehler verschiedener Art nebeneinander in derselben Ver-
lesung. Bei der Bearbeitung nach diesen Grundsatzen ergaben sich
fiir je zwei vergleichbare Versuchsreihen der einzelnen Personen die
nachfolgenden Zahlen fehlerhaft gelesener Buchstaben.
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218
Lodwig Cron und Eoiil Kraepelin.
Tabelle V.
Falsch gelesen
wurden bei
5 nun
4 mm
3 mm
1 2 3
Buchstaben
1 2 3
1 2
3
0.
37 5 0
45 9
1
40 10 0
s.
30 2 0
(41) (4) (2)
38 5
(47) (6)
0
(0)
58 8 1
(71) (12) (2)
R.
38 15 3
41 14
3
54 21 5
Bei alien Personen sind nur die ersten und zweiten Versuchs-
tage beriicksichtigt; bei S. sind in Klammern noch die Zahlen fiir
alle drei Tage mit angegeben. Aus den Werthen geht zunachst
hervor, dass die einf achen Fehler uberall weit uberwiegen. Mit der
Verengerung des Spaltes nehmen sie im allgemeinen zu, am starksten
bei S., etwas weniger bei R. und nur sehr wenig und unregebnaBig
bei 0. Die ZaU der Doppelfehler betragt bei 0. im Durchschnitt
16,3, bei S. 10,5 (11,9), bei R. 25,8 % aller Verlesungen. Die
Auffassung scheint demnach bei S. noch etwas zuverlassiger gewesen
zu sein, als bei O. Dem entspricht die friiher festgestellte weit ge-
ringere Zahl der Auslassungen, wahrend S. allerdings auf der anderen
Seite mehr die Neigung hatte, liickenhaftel Wahmehmungen will-
kiirlich zu erganzen. In der groBen Zahl der Doppelfehler bei R.
tritt deutlich seine Unfahigkeit zu scharfer Erfassung der gegebenen
Reize hervor. Mit der Abnahme der Spaltbreite wachst auch die
Zahl der Doppelfehler stets erhebUch an; das Verhaltniss zu den
einfachen Fehlem gestaltet sich ungiinstiger. Dreif ache Fehler kom-
men bei O. und S. nur noch vereinzelt vor, wahrend sie bei K noch
5,5 % ausmachen. Die Auffassung geschah demnach bei ihm nicht
ganz selten so undeutlich, dass es sich mehr um ein Errathen, als
um ein Lesen handelte. Diese Erfahrung steht in einem gewissen
Widerspruche mit unserer friiheren Feststellung, dass R. verhaltniss-
maBig am wenigsten Neigung zur Verfalschung der Wahrnehmung
durch eigene Zuthaten zeigte. Allein dieser Widerspruch lost sich,
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Deber die Messong der AafTassDngsRlhigkeit.
219
wenn wir beriicksichtigen, dass R. zugleich eine sehr viel schlechtere
Auffassungsfahigkeit darbot, als die anderen beiden hier verglichenen
Personen. Jede Herabsetzung oder Stoning der Auffassung aber
steigert an sich die Neigimg zu Verlesungen. Wollen wir also die
Zuverlassigkeit der Auffassung unabhangig von ihrer Leistungsfahig-
keit beurtheilen, so diirfen wir entweder nur die Fehler solcher Per-
sonen mit einander vergleichen, welche die gleiche Zahl richtiger
Lesungen lief em, oder aber wir miissen wenigstens nicht die Zahl
der Fehler an sich, sondem ihr Verhaltniss zu der Menge der Aus-
lassungen in Betracht ziehen. Wie wir meinen, erklart sich demnach
die groBe Zahl der doppelten und dreifachen Fehler bei R. wesentlich
aus seiner geringen Auffassungsfahigkeit; sie wiirde noch weit hoher
sein, wenn R. etwa auBerdem noch so unzuverlassig in seinen Wahr-
nehmungen gewesen ware wie S. mit seiner weit besseren Auffassungs-
fahigkeit.
TJeber die Ordnung der verlesenen Buchstaben giebt die fol-
gende Tabelle Aufschluss.
Tabelle VI.
Falsch gelesen
wurde bei
5 mm
4 mm
3 mm
der Buchstabe
12 3
1
1 2 3
1 2 3
0.
26 8 13
31 13 22
37 16 7
s.
lb 8 11
(26) (10) (19)
22 10 16
(29) (12) (18)
42 19 16
(57) (23) (21)
51 27 33
R.
26 27 24
31 23 24
Aus diesen Zahlen ergiebt sich die uberraschende Thatsache,
dass mit einer einzigen, geringfugigen Ausnahme regelmaBig der erste
Buchstabe der Vorlage bei weitem am haufigsten verlesen wird. Viel
seltener wurde der letzte und am wenigsten der mittelste Buchstabe
verkannt. Um diese Verhaltnisse noch etwas deutlicher darzustellen,
fassen wir in der folgenden Tabelle, was fur diesen Zweck erlaubt
Kraepelin, Psyoholog. Arbeiten. II. 15
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220
Ludwig Gron und Emil Kraepelin.
sein diirfte, die Verlesungen bei alien Spaltweiten zusammen und
geben die Zahl der Verlesungen, die auf die einzelnen Buchstaben
entfallen, zugleich noch in Procenten der Gesammtfehlerzahl wieder.
Tabelle Vn.
Verlesen iruide
der Bucbstabe
1
2
3
0.
94 [54,3 o/o]
79 49,70/0]
(112 52,10/0])
108 [40,6 0/0]
37 (21,40/0]
42 [24,3 0/0]
S.
37 [23,3 0/0]
(45 [20,90/0])
43 [27,0 0/0
(58 27,00/0)
B.
77 [28,90/o]
81 [30,5 o/o]
An der GesetzmaBigkeit der erwahnten Erscheinung ist nicht zu
zweifeln, wenn auch der Grad ihrer Auspragung bei den einzelnen
Personen etwas verschieden ist. Wir miissen daraus schlieBen, dass
sich die Aufmerksamkeit der Versuchspersonen allgemein am starksten
dem mittelsten Buchstaben zuwendet, am wenigsten dem ersten. Man
darf sich dabei vielleicht anCattell's Erfahrung erinnem, dass wir
einsilbige Worter nicht buchstabirend lesen, sondem als Einheit auf-
zufassen pflegen; so wurde es verstandlich, wenn die Mitte einer
dreistelligen Silbe verhaltnissmaBig am deutlichsten aufgefasst wiirde.
Allein damit ware noch nicht der groBe Unterschied in der Auf-
fassung des ersten und letzten Buchstaben erklart. Hier muss noch
ein anderer Umstand eingreifen. Es liegt nahe, an die unvollkom-
mene Einstellung unserer Aufmerksamkeit auf den Reiz zu denken.
Trotz der RegelmaBigkeit der Aufeinanderfolge werden wir doch
durch jede neu auftauchende Silbe bis zu einem gewissen Grade
uberrascht, zumal wir noch mit der Verarbeitung der vorhergehenden
einigermaBen beschaftigt sind. Wir bediirfen einer gewissen Zeit,
um uns der neuen Aufgabe zuzuwenden, und kommen bei dem raschen
Vorbeiziehen der Silben und bei unserer Neigung, das Q^sammtbild
zu erfassen, vielleicht zu einer Vemachlassigung des bald wieder
verschwindenden ersten Buchstaben, wahrend wir fiir den letzten
etwas mehr Zeit iibrig behalten. Aus vielfachen Erfahrungen ist
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Ueber die Messang der AnfTassnngsfahigkeit.
221
bekannt) dass fur eine moglichst voUkommene Einstellung der Auf-
merksamkeit der gunstigste Abstand zwischen Signal und Reiz un-
gefahr 2 Secunden betragt. Hier folgten die einzelnen Silben mit
einer Schnelligkeit von IY4 Secunde aufeinander; wir dtirfen daher
kaum zweifeln, dass die jeweilige Vorbereitung fur den neuen Reiz
eine verhaltnissmaBig mangelhafte war. Dieser Umstand konnte bei
der gewahlten Versuchsanordnung die Auffassung des ersten Buch-
staben in weit hoherem Grade storen, als die der folgenden. Anders
wurde sich wahrscheinlich das Ergebniss gestaltet haben, wenn die
Silben sich nicht bewegt batten, sondem durch einen Momentver-
schluss immer in gleichen Zwischenzeiten sichtbar geworden waren.
Wir vermuthen, dass dann der mittlere Buchstabe verhaltnissmaBig
noch besser erkannt worden ware, dass aber die TJnterschiede zwischen
dem ersten und dem letzten Buchstaben sich mehr verwischt haben
wiirden.
Suchen wir uns zum Schlusse, so weit es moglich ist, noch iiber
die Art der begangenen Fehler Rechenschaft zu geben, so konnen
wir wesentlich Verwechselungen, Auslassungen und Zusatze ausein-
anderhalten. In der folgenden Uebersicht ist die Haufigkeit dieser
Fehlerarten unter den Bezeichnungen c, a und z wiedergegeben.
Tabelle VHI.
5 mrt\
4 mm
3 mm
V
a
z
V
a
2
V
a
z
0.
40
4
3
55
6
5
47
9
4
s.
12
4
18
33
2
13
54
11
12
R.
60
7
10
68
4
6
98
3
10
Diese Zahlen sind ohne weiteres mit einander vergleichbar. Sie
zeigen uns, dass zumeist die Verwechselungen der Buchstaben weit iiber-
wiegen; das Verhaltniss zwischen Auslassungen und Zusatzen wechselt,
doch sind die letzteren wohl ein wenig haufiger. Auslassungen diirf en
wir wesentlich als den Ausdruck unvoUkommener Auffassung be-
trachten, wahrend die Zusatze ebenso zweifellos auf die Mitwirkung
15*
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222 Lodwig Gron und Emil Kraepelin.
der Einbildungskraft hinweisen; bei den Verwechselungen sind beide
Entstehungsarten moglich und nicht von einander zu trennen. TJeber-
wiegend handelt es sich aber doch wohl um mangelhafte Auffassung;
dafur wiirde wenigstens der Umstand sprechen, dass die Verwechse-
lungen am starksten den Einfluss einer Verengerung der Spaltweite
erkennen lassen, namentlich bei dem schlecht auffassenden R., aber
auch bei S., weniger entschieden bei O. Die Zahl der Auslassungen
ist an sich zu klein, um deutliche Ergebnisse lief em zu konnen;
immerhin scheint sie bei O. und S. mit der Abnahme der Spaltbreite
zu sinken. R. dlirfte bei Erschwerung der Auffassungsbedingungen
mehr zu Verwechselungen neigen, wahrend 0. lieber auslasst. R. bringt
auch in seine Verlesungen mehr eigene Zusatze hinein. Weit starker
aber tritt diese Erscheinung, ubereinstimmend mit unseren fruheren
Auseinandersetzungen, bei S. hervor. Wahrend die Zusatze bei O.
6,9 )^, bei R. 9,8 ^ der gesammten Fehlerzahl betragen, steigt dieses
Verhaltniss bei S. auf 27,0 ^. Es ist sehr zu bedauem, dass nicht
auch von den ubrigen Personen entsprechende Zahlen vorliegen, da-
mit der Werth der Zusatze fiir die Beurtheilung der Zuverlassigkeit
des Auffassungsvorganges noch genauer gepriift werden konnte. Die
Zusatze lassen keine Abhangigkeit von der groBeren oder geringeren
Schwierigkeit der Auffassungsbedingungen erkennen. Das entspricht
ihrer Bedeutung als Ausdruck einer personUchen EigenthlimUchkeit.
Da sie freie Erfindungen darstellen, denen kein auBerer Reiz zu
Grunde Uegt, erscheinen sie nach MaBgabe der personUchen Neigung,
sobald iiberhaupt Fehlervorgange moglich sind, wahrend die Ver-
wechselungen naturgemaB in engster Abhangigkeit von der mehr oder
weniger scharfen Auffassung des Reizes stehen miissen, den sie um-
schreiben.
Den inneren Beweggrund zur Entstehung von Verwechselungen
und Zusatzen haben wir vielf ach sicherhch in bereit liegenden Vor-
stellungen zu suchen , welche unwillkiirUch die Wahmehmung beein-
flussen. Allerdings wird die Wirksamkeit derartiger Vorstellungen
hier durch den Umstand erschwert, dass die Reize sinnlose Silben
waren, die nur sehr sparliche Ankniipfungen fUr associative VorgSnge
darboten. Immerhin war in einer Anzahl von Fallen die Verlesung
nachweisbar dadurch zu Stande gekommen , dass die Versuchsperson
die gegebene Silbe in ein Wort umgewandelt hatte. Beriicksichtigen
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Ueber die Messong der AaffassungBfllbigkeit.
223
wir, wie uberall bei unseren letzten Betrachtungen, nur die Versuche
der beiden ersten Tage, so ergab sich, dass solche TJmwandlungen
bei 0. 15, bei R 21 und bei S. 30 mal vorgekommen wairen. Setzen
wir diese Zahlen in Beziehung zu der Anzahl der iiberhaupt be-
obachteten Verlesungen, so ergiebt sich, dass sichere Wortfehler sich
nachweisen lieBen bei 0. in 10,2 ^, bei R in 10,8 und bei S. in
2\y\ % aller Verlesungen. Diese Zahlen wiederholen mit iiber-
raschender Bestimmtheit unser friiher gewonnenes Ergebniss, dass O.
und R. in geringem MaBe, S. dagegen sehr stark durch Erinnerungs-
bilder bei der Auffassung beeinflusst wurde. Wahrend also die Fehler
bei jenen beiden Personen wesentlich durch mangelhafte Wahmeh-
mung der Einzelheiten bedingt wurden, spielten bei S. illusionare
Vorgange eine verhaltnissmaBig groBe RoUe, indem sie ihn zu will-
kiirUchen Wandlungen und Erganzungen des Wahrgenonunenen durch
Wortbilder verfiihrten.
III. Versuche mit einsilbigen Wftrtern.
Die ersten Ergebnisse der Versuche mit einsilbigen Wortern
finden sich in der Tab. IX. zusammengestellt.
Tabelle EX.
Spaltweite
5 ram
4 mm
a
3 mm
r
/
a
r
/
r
/
a
0.
756
45
39
701
4S
91
737
43
60
I.
839
1
—
840
—
•—
836
3
1
A.
818
22
—
814
25
1
783
49
8
S.
814
22
4
814
23
3
792
39
9
R.
788
49
3
782
56
2
727
93
20
B.
383
205
252
356
179
305
245
197
398
Die hier gewonnenen Werthe sind durchweg nicht unerheblich
gunstiger, als bei den sinnlosen Silben, trotzdem die Aufgabe der
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224
Ludwig CroD iind Emil Kraepelin.
sinnlichen Auffassung als solcher wegen der groBeren Buchstaben-
zahl ohne Zweifel schwieriger war. Wir ersehen aus diesem Unter-
schiede deutlich die groBe ilolle, die beim Auffassungvorgange
den vorhandenen Wortvorstellungen znkommen muss. Sie ermog-
lichen uns, das Wort auch dann noch mit ziemlicher Sicherheit zu
errathen, wenn der sinnliche Eindruck nur ein sehr fliichtiger und
unbestimmter gewesen ist und wir daher die sinnlose Silbe nicht mehr
aufzufassen im Stande sind. Da wir wissen, dass jeder Eindruck
sich mit einer bestimmten Wortvorstellung decken muss, so wird
namentlicb die Moglichkeit des Verlesens eingeschrankt; es wird
immer nur einige wenige Worter geben, in welche sich die jeweils
erfassten Bestandtheile des dargebotenen Eindruckes gerade hinein-
passen. Wir sehen daher auch, dass die Zahl der Auslassungen
hier verhaltnissmaBig weniger abnimmt, als diejenige der falschen
Lesungen. Das wird deutlich aus der folgenden Tabelle, in der
iiberall das Verhaltniss der Auslassungen zu den Verlesungen wieder-
gegeben ist. Dabei sei es uns gestattet, die Werthe flir je 3 Personen
zu einem Mittel zusammenzufassen.
Tabelle X.
Auf eine Auslass.
kamen Verlesungen
Trommel C
Trommel A
Gesunde
3,92 3,09 1,56
1,77 0,77 1,39
Kranke
1,96 0,98 0,85
1,07 0,83 0,77
Die Verlesungen waren also unter gleichen Bedingungen bei den
sinnlosen Silben ausnahmslos verhaltnissmaBig zahlreicher, als bei
den einsilbigen Wortem.
Sehr auffallend gestaltete sich auch hier wiederum der Einfluss
der Spaltweite. AUerdings sank die Zahl der richtigen Lesungen
mit der Verengerung des Spaltes von 5 auf 3 mm bei den Gresunden
durchschnittlich nur auf 97,6, bei den Kranken auf 88,8 ^. Wie
der Vergleich mit Tabelle IV lehrt, ist diese Abnahme nicht nur
weit geringer, als diejenige der Sichtbarkeitsdauer, sondem auch als
die entsprechende Beeintrachtigung der Auffassung bei sinnlosen Silben.
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Deber die Messiing der AnfTassungsfUhigkeit. 225
Wir befinden uns also bei den Versuchen mit einsilbigen Wortem
noch hoher iiber der unteren Auffassungsgrenze als dort. Diese
Thatsache erklart sich ohne weiteres aus der machtigen Hulfe, die
hier durch die Wortvorstellungen gewahrt wird. Auch im einzelnen
lasst sich unschwer erkennen, dass die Ergebnisse sich von den frtiher
erhaltenen wesentlich nur durch die Annaherung an die obere Grenze
des Auf f assungsschwellengebietes unterscheiden ; gewisse Abweichungen
sollen spaterhin Beriicksichtigung finden.
Mit der Verengerung des Spaltes nimmt auch hier die Zahl der
Auslassungen starker zu, als diejenige der Verlesungen. Allerdings
ist diese Beziehung nicht so scharf ausgepragt wie bei Trommel C,
weil eben die Erschwerung der Auffassung lange nicht so hohe Grade
erreicht Die Gesunden haben sogar bei der Spaltweite 3 mm we-
niger Auslassungen geliefert, als bei 4 mm, ein Zeichen dafiir, dass
hier zufallige Einfliisse noch im Stande sind, jene Abhangigkeit zu
verwischen. Das entgegengesetzte Verhalten von 0. hat die geringen
Ausschlage der anderen beiden Personen verdeckt. Dagegen zeigt
die schlechter auffassende Gruppe der Kranken ganz deutlich die
stetige Verschiebung zu Gunsten der Auslassungen mit Abnahme der
Spaltbreite. Die Betrachtung der einzelnen Versuchspersonen zeigt
uns wie friiher bemerkenswerthe Unterschiede. I. hat wieder fast
vollig tadellos aufgefasst. Dagegen hat sich die Stellung von O. und
A. zu einander verschoben; letzterer hat dieses Mai mehr richtige
Lesungen geliefert, als jener. Zugleich sehen wir bei O. ganz un-
verhaltnissmaBig viele Auslassungen, wahrend die Fehler in weit ge-
ringerem MaBe iiber diejenigen von A. iiberwiegen, bei 3 mm Spalt-
breite sogar hinter jenen zurtickbleiben. Wir diirfen daraus schlieBen,
dass fur O. das Lesen einsilbiger Worter nur unbedeutend leichter
war, als die Auffassung sinnloser Silben. Er wurde anscheinend
durch Wortvorstellungen bei der Erkennung der Eindrucke nur in
geringem Grade unterstiitzt. Umgekehrt ist die Verbesserung der
Leistung bei A. eine sehr augenf allige ; die Auslassungen haben viel-
leicht noch etwas starker abgenommen, als die Fehler. Bei ihm wird
also die sinnliche Wahmehmung sehr bedeutend durch Associations-
hiilfen unterstiitzt. Das ist liinsichtlich beider Personen genau das
gleiche Ergebniss, zu dem uns die Betrachtung der ersten Versuchs-
reihe gefiihrt hatte.
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226 Ludwig Gron iind Cmil Kraepelin.
Aus der Gruppe der Kranken fallt S. voUkommen in den Bereich
der gesunden Personen. Er liefert verhaltnissmaBig viel richtige Le-
sungen; die Zahl der Fehler und besonders der Auslassungen ist
weit geringer, als bei 0. Auch bei ihm ist demnach die Verbes-
serung der Leistung gegeniiber den friiher besprochenen Versuchen
eine sehr bedeutende, ein Zeichen dafiir, dass S. ebenfalls bei der
Auffassung in hohem MaBe durch Erinnerungsbilder unterstutzt
wurde. Eine wesentliche Zunahme der richtigen Lesnngen zeigt femer
auch R., namentlich bei engerem Spalte. Trotz seiner sonst schlechten
Auff assungsfahigkeit wurde demnach auch er durch Wortvorstellungen
mehr gefordert, als O. Dem entsprechend beging er zwar viel we-
niger Auslassungen, aber dafiir mehr Fehler, als jener. Sehr deut-
Uch endlich lasst sich auch bei B. die Verbesserung der Leistung
durch Associationshulfen verfolgen. Dass an sich die Auffassung
nicht weniger gestort war, als bei den Versuchen mit sinnlosen Silben,
geht aus der nahezu gleichen Zahl von Auslassungen hervor. Da-
gegen hat sich iiberall das Verhaltniss der richtigen und falschen
Lesungen zu Gunsten jener ersten verschoben. Wahrend frtiher an
den undeutUch erfassten Eindriicken planlos herumgerathen wurde,
gaben nunmehr Wortvorstellungen in einer groBen Anzahl von Fallen
den richtigen Fingerzeig. Entsprechend der verschiedengradigen Be-
einflussung der einzelnen Personen durch Erinnerungsbilder hat sich
die Ordnung derselben nach ihrer Auffassungsfahigkeit hier gegen-
iiber den friiheren Versuchen etwas verschoben. Wir erhalten fiir 5 mm
Spaltweite die Reihe I., A., S., R, O., B. Die Aenderung ist nament-
Uch dadurch bedingt, dass A. besonders stark, 0. dagegen auffallend
wenig durch Associationshiilfen imterstiitzt wird. Die iibrigen Per-
sonen haben ihre gegenseitige Stellung beibehalten.
Die TJntersuchung der Fehler geschah nach denselben Grund-
satzen wie bei den sinnlosen Silben. Die Tab. XI lehrt uns zunachst
die Zahl der Buchstaben kennen, die in je einem Wort verlesen
wurden.
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Ueber die Messung der AuffassaDgsflhigkeit.
Tabelle XI.
227
Es wurden verlesen bei
5 nun
4mm
3 mm
Buchstaben
12 3 4 5 6
12 3 4 5
12 3 4 5
0.
18 20 5 2
20 15 9 2 1
18 17 6 1 1
I.
1
3 ■
• A.
13 7 2
12 12 2 — 1
26 17 5 1 —
S.
13 6 2 — 1 —
16 3 — 3 —
26 10 1 1 —
R-
26 19 4
25 18 11 3 —
45 32 15 3 —
B.
67 66 52 17 2 1 j 60 57 39 18 5
50 60 56 24 6
Die Zahl der einfachen Fehler ist auch hier fast ausnahmslos
am groBten; allerdings stehen die Doppelfehler ihnen mehrfach sehr
nahe, anders als bei den sinnlosen Silben. Der Grund dafiir mag
einmal in der groBeren Anzahl der Buchstaben uberhaupt, dann aber
in der haufigeren Verfiihrung zu mehrfachen Verlesungen liegen, wie
sie durch den Einfluss von Vorstellungen bewirkt wurde. Zweimal,
bei O., 5 mm, und bei B., 3 mm, waren sogar die Doppelverlesungen
haufiger, als die einfachen. Auch 3- und 4 f ache Fehler sind nichts
weniger als selten. Im ganzen diirfen wir vielleicht gerade die viel-
fachen Verlesungen als einen MaBstab fur die Unvollkommenheit der
Auffassung betrachten, da sie auf eine geringere Deutlichkeit des
sinnlichen Eindruckes hinweisen. Unter diesem Gesichtspunkte wurde
I. wieder zweifellos am besten auffassen. Nach ihm kamen ziemlich
in gleicher Linie S. und R., dann 0., femer R und zuletzt B.
Bei den entsprechenden , leider unvoUstandigen Versuchen mit sinn-
losen Silben waren die mehrfachen Fehler bei S. haufiger als bei O.
und bei diesem zahlreicher als bei R. Ebenso stimmt die hier ge-
wonnene Reihe mit der Ordnung der Personen nach der Zahl richtig
erkannter sinnloser Silben fast ganz iiberein; nur hatte damals A.,
der hier durch Vorstellungen besonders stark unterstiitzt wird, eine
ungtinstigere Stellung. Andererseits steht die Neigung zu mehr-
fachen Verlesungen auch ziemlich genau im umgekehrten Verhalt-
nisse zu der Auffassungsfahigkeit fiir einsilbige Worter, doch bleibt
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228
Liidwig Gron tmd Einil Kraepeliii.
hier 0. ein wenig hinter R. zuriick, vielleicht deshalb, weil ihm trotz
besserer Auffassungsfahigkeit weniger die Hiilf e von Wortvorstellungen
zu Gebote steht. Die Verengerung des Spaltes hat bei A. und S. eine
geringe Zunahme der einf achen wie der mehrfachen Fehler zur Folge,
wahrend R. bei 3 mm eine deutliche Vermehrung aller Fehler er-
kennen lasst und B. mit seinen zahlreichen Verlesungen wenigstens
ein Anwachsen der vielfachen Fehler zeigt.
Die Ordnung der verlesenen Buchstaben geht aus Tab. XII
hervor.
Tabelle XH.
Verlesen wurde bei
5 ram
4 mm
3 mm
der Buchstabe
12 3 4 5
6
12 3 4 5 6
12 3 4 5 6
0.
15 17 13 19 15
2
18 22 18 20 10 2
11 18 20 17 11 2
I.
1
2 1
A.
4 7 7 9 5
1
6 11 11 14 4 1
15 19 15 22 8 —
S.
R.
11 6 5 10 3
1
14 8 5 4 3 —
18 11 11 12 1 —
13 15 14 20 12
2
15 22 20 26 22 1
35 30 43 39 18 1
B.
64 93 113 114 53
2
60 94 94 89 47 4
769 7 125 12142 —
Wir ersehen aus diesen Zahlen zunachst, dass fast iiberall der
erste Buchstabe des Wortes verhaltnissmaBig gut erkannt worden
ist. Diese Thatsache steht im Widerspruche mit unseren Erfah-
rungen bei den sinnlosen Silben, bei denen gerade der erste Buch-
stabe weitaus am schlechtesten aufgefasst wurde. Allein der Wider-
spruch erklart sich leicht dadurch, dass hier der erste Buchstabe
groB gedruckt war und deswegen naturgemaB die Aufmerksamkeit
mehr auf sich ziehen musste. Durch diesen Umstand ist demnach
die an sich ungiinstige Stellung des Anfangsbuchstaben mehr als
ausgeglichen worden. Die Auffassung der weiteren Buchstaben scheint
nicht iiberall in derselben Weise erfolgt zu sein. Leider konnen wir
bei dieser Betrachtung nur die ersten 4 Buchstaben beriicksichtigen,
da 5 Buchstaben nur bei 41,4 )K^, 6 sogar nur bei dfi ^ der Worter
▼orhanden waren. Hochstens kann man ungefahr schatzen, wie viele
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Ueber die Messmif; der Auffassungsffthigkeit. 229
Eehler an diesen Stellen begangen sein wurden, wenn alle Worter
die gleiche Lange gehabt batten. Die Betrachtung ergiebt zunachst,
das 0. 5 mm und 4 mm sowie A. 3 mm eine gewisse Uebereinstimmung
darbieten. Hier wurde namlich auBer dem ersten regelmaBig auch
der dritte, wemi auch in geringerem Grrade, bei der Auffassung be-
vorzugt, wahrend der zweite und vierte Buchstabe am schlechtesten
aufgefasst wurden. Der fiinfte Buchstabe scheint, wenn wir die Hau-
figkeitsverhaltnisse beriicksichtigen, zum mindesten nicht besser er-
kannt worden zu sein. A., 5 und 4 mm zeigt nur die giinstige
Stellung des ersten und die ungUnstige des vierten Buchstaben,
wahrend der Unterschied zwischen zweitem und drittem Buchstaben
verwischt ist. Bei O. 3 mm ist die Bevorzugung des ersten Buchstaben
sehr auffallend; dagegen wurde der dritte am schlechtesten erkannt.
Will man aus den Versuchen L's etwas schlieBen, so ware bei ihm
die Auffassung des ersten Buchstaben nicht erleichtert, sondem eher
erschwert gewesen. Bei R., 5 und 4 mm findet sich wieder die oben
besprochene Verringerung der Fehler beim dritten sowie die Stei-
gerung derselben beim zweiten und ganz besonders beim vierten
Buchstaben; bei 3 mm sind im Gegentheil die Buchstaben 1 und 3
ungiinstig, 2 imd 4 dagegen gunstig gestellt. B. bietet in ausge-
pragtester Weise die Bevorzugung des ersten Buchstaben dar; von
da ab wird die Auffassung mit jeder Stelle schlechter, wenn man
nicht etwa aus den Zahlen eine gelegentliche geringfugige Bevor-
zugung des vierten Buchstabens herauslesen will. Ein wesentlich an-
deres Bild endlich bietet S. dar. Von ihm wird der erste Buchstabe
durchweg am schlechtesten erkannt. Besser geht es mit dem zweiten
und namentlich mit dem dritten ; der vierte wurde in zwei Versuchs-
reihen wieder schlechter, in einer dagegen am besten aufgefasst.
So sehr man erstaunt sein wird uber diese groBen Verschieden-
heiten, so wenig kann man doch dariiber im Zweifel sein, dass hier
ganz bestimmte Ursachen im Spiele sein miissen. Auf den Einfluss
des groBen Anfangsbuchstaben haben wir bereits hingewiesen. Der-
selbe hat aber bei S. und vielleicht auch bei I. nicht hingereicht, um
die natiirUche Neigung zu ungenauer Auffassung des ersten Buch-
staben zu uberwinden, wie sie uns bei den sinnlosen Silben entgegen-
getreten ist. S. hat dort wie hier seine Aufmerksamkeit einfach
aof die Mittelglieder des dargebotenen Eindruckes gerichtet und
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230 Ludwig Gron and Emil Kraepelin.
deswegen den Anf ang, meist auch das Ende des Wortes weniger gut
erfasst. Andererseits scheint die Beyorzugung des ersten Buchstaben
regelmaBig eine undeutlichere Auffassung der nachsten Glieder zu
bedingen. Die Aufmerksamkeit haftet so lange an dem groBen An-
fangsbuchstaben, dass die nachsten Glieder inzwischen vorbeigleiten
und nicht mehr mit der nothigen MuBe betrachtet werden konnen.
Das wird naturlich dann am leichtesten geschehen, wenn die Auf-
fassung uberhaupt erschwert oder die Spaltzeit sehr kurz ist. Wir
finden daher dieses Verhalten namentlich bei B., aber auch bei 0.
3 mm. Indessen wir wissen aus Cattell's Versuchen, dass wir nicht
bloB einzebie Buchstaben, sondem kleine Gruppen derselben einheit-
lich aufzufassen im Stande sind. Wenn wir daher auch unsere Auf-
merksamkeit zunachst dem Anfangsbuchstaben zuwenden, so werden
wir gleichzeitig doch immer noch einige andere Glieder des Wortes
mit erkennen. In der That sprechen eine Reihe von Erfahrungen
aus der Tabelle XJT dafiir, dass vielfach die Neigung zu einer be-
stimmten Gruppirung der Eindriicke, zum Einhalten eines bestimmten
Auffassungsrhythmus besteht. Wir haben darauf hingewiesen,
dass sehr haufig auBer dem ersten der dritte Buchstabe bevorzugt
wird, wahrend der zweite und vierte schlechter erkannt werden. Diese
Thatsache dlirfte dahin zu deuten sein, dass die Aufmerksamkeit
unter den gegebenen Bedingungen nicht gleichmaBig von Buchstaben
zu Buchstaben, sondem von Wortabschnitt zu Wortabschnitt wandert
Bei dieser Zerlegung des zusammengesetzten Eindrucks in Buch-
stabengruppen werden nicht alle Bestandtheile gleichmaBig beleuchtet,
sondem es scheinen einzelne Glieder heller beleuchtet zu werden,
wahrend andere, dazwischen liegende, gewissermaBen mehr im Schatten
bleiben. Wie wir etwa bei einem MaBstabe die Haupttheilstriche so-
fort auffassen, wahrend uns die Zwischentheilung undeutlich bleibt,
so diirften wenigstens einige unserer Versuchspersonen nur in gewissen
Abstanden die Buchstaben scharf erfasst, die dazwischen liegenden
aber mehr oder weniger vemachlassigt haben. In der Kegel war
dieser Rhythmus ein zweitheiliger, so bei 0., A. und R Vielleicht
haben wir bei B. und bei 0. 3 mm auch Andeutungen einer drei-
theiligen Gruppirung vor uns. Eine nahere Beziehung aller dieser
Erfahrungen zu der besonderen Zusammensetzung der benutzten
Worter lieB sich nicht feststellen, ist auch schon deswegen nicht
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Ueber die MessoDg der AafTassnogsflhigkeit. 231
gerade wahrscheinlich, weil ja bei alien Personen und Versuchen die-
selben Worter gelesen wurden, die Ergebnisse aber trotzdem so weit
von einander abwichen.
Zum Schlusse dieser Erorterungen miissen wir noch darauf hin-
weisen, dass im ganzen die Neigung bestand, die letzten Buchstaben
schlechter zu lesen, als die friiheren, ahnlich wie wir auch bei den
sinnlosen Silben die Fehler beim dritten Buchstaben wieder zunehmen
sahen. Die fiinften Buchstaben wurden, wie sich ungefahr libersehen
lasst, bei gleicher Haufigkeit eine verhaltnissmaBig recht groBe Zahl
von Fehlem geUefert haben. Auch der vierte Buchstabe wurde auf-
fallend haufig schlecht aufgefasst. Das wiirde darauf hindeuten, dass
auBer der Bevorzugung des Anfangsbuchstaben und auBer der Nei-
gung zu rhythmischer GUederung noch eine wachsende Schwierigkeit
bei der Auff assung der spateren Buchstaben bestand. Dieselbe wiirde
sich sehr einfach aus dem tJmstande erklaren, dass wir uns bei diesen
Versuchen iiberall im Bereiche der Auffassungsschwelle bewegten.
Die gegebene Zeit reichte zumeist fUr eine vollkommene Auffassung
aller Einzelheiten nicht aus; es wiirde daher natiirUch erscheinen,
wenn die letzten Glieder der dargebotenen Eindriicke unter dieser
absichtlich erzeugten Ungunst der Versuchsbedingungen am meisten zu
leiden batten.
Suchen wir uns nunmehr iiber die Art der einzelnen Verlesungen
Rechenschaft zu geben, so wird es zunachst von Bedeutung sein, zu
priifen, wie viele derselben sinnlos waren. Wir erwarten von dieser
Feststellung einen gewissen Aufschluss iiber die Starke des Einflusses,
den Wortvorstellungen auf das Zustandekommen von Fehlem aus-
iibten. Je geringer verhaltnissmaBig die Zahl von sinnlosen Ver-
lesungen war, desto starker muss jener Einfluss gewesen sein und
umgekehrt. Allerdings ist es nicht inuner leicht, zu entscheiden, ob
eine Verlesung als unsinnig anzusehen ist oder nicht. Die MogUch-
keit des Hineinspielens von mundartlichen Ausdriicken, personlichen
EJrinnerungen, Eigennamen und richtigen oder falschen Anklangen
an fremde Sprachen kann die Entscheidung sehr erschweren. Die
Lesungen Trenk statt Tracht, Wang statt Zwang, Ut statt Krug,
Kren statt Kreuz, Lund statt Land, SpeiB statt SpieB konnen je
nach dem Vorstellungsschatze und dem Bildungsgrade der Versuchs-
person sinnvoUe oder unsinnige Verlesungen sein. Es ware daher
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232
Liidwig Gron nnd Emit Kr&epelin.
geboten, unmittelbar nach dem Versuche durcli die Personen selber
angeben zu lassen, was von ihnen als sinnlos betrachtet wird. Leider
ist das bei unseren Versuchen versaumt worden, weil diese Schwierig-
keit nicht vorausgesehen wurde. Die Entscheidung, die immerhin
doch nur in einer kleineren Zahl von Beispielen zweifelhaft war,
musste daher mit einer gewissen Willkiir nach der allgemeinen Kennt-
niss getroffen werden, die wir von den betreffenden Personen batten.
Einen Ueberblick liber das Verhalten der sinnlosen Verlesungen giebt
die folgende Tabelle.
Tabelle XTTT.
0.
135
I.
4
A.
S.
R.
B.
Verlesungen tLberhaupt
98
82
201
64
567
Darunter sinnlos
8
—
22
21
109
%
5,9
—
22,4
25,6
31,8
19,2
Diese Zahlen sind auf den ersten Blick vollig iiberraschend.
Nach unseren bisherigen Betrachtungen batten wir bestimmt erwarten
sollen, dass gerade O., bei dem sich Uberall eine sehr geringgradige
Beeinflussung der Wahmehmung durch Vorstellungen herausgestellt
hatte, die groBte Zahl von sinnlosen Verlesungen Uefem wiirde.
Etwas weniger batten wir beiR, erheblich weniger aber bei A. und
S. erwarten sollen, entsprechend ihrer groBeren Neigung, sich beim
Lesen von Wortvorstellungen leiten zu lassen. Wenn man will, wiirde
sich das Verhalten der letzten vier Versuchspersonen imgefahr mit
den friiher gewonnenen Ergebnissen in Einklang bringen lassen; R.
las weit xmbekiimmerter um den Sinn der Worter, als S., A. und B.
Dagegen erscheint die geringe Zahl sinnloser Verlesimgen bei O. mit
unseren bisherigen Erfahrungen vorerst imvereinbar. Einen Schlussel
zur Losung dieses Widerspruches werden wir spaterhin, bei der Be-
trachtimg der personlichen Eigenthiimlichkeiten des Auffassungsvor-
ganges, aufzufinden suchen.
Bei der Durchsicht der Verlesungen stellt sich heraus, dass nicht
selten dieselben Fehler wiederkehren, nicht nur bei denselben,
sondem auch bei verschiedenen Wortem. Beide Falle sind natlirUch
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Ueber die Messung der AufTassuugsflihigkeit. 233
wesentlich verschieden zu beurtheilen. Im ersteren Falle haben wir
es mit der Befestigung eines einmal begangenen Fehlers zu thun.
Wie wir einen Druckfehler auch bei wiederholtem Lesen ubersehen,
uns an derselben Stelle mehrmals in gleicher Weise verrechnen
konnen, so kann sich auch eine Verlesung so befestigen, dass sie bei
Wiederkehr des Wortes nicht mehr verbessert wird. Das wird na-
mentUch leicht bei fluchtigem Lesen, vorwiegender Beriicksichtdgung
des Gesammteindruckes und starker Beeinflussung durch Vorstellungen
geschehen. Wo aber die gleiche Verlesung bei ganz verschiedenen
Reizworten wiederkehrt, da miissen wir annehmen, dass gerade diese
Vorstellung eine gewisse Macht gewonnen hat und sich deshalb
immer von neuem aufdrangt, unsere Wahmehmung beeinflussend.
Diese Macht kann sie z. B. durch Gemiithsbewegungen gewinnen,
die unsere Gedanken in eine bestimmte Bichtung zwingen, bei unseren
Versuchen wohl meist durch haufige Anregung von auBen oder von
innen. Bei den Associationsversuchen hat man nicht selten Gelegen-
heit, das Vorherrschen bestimmter Vorstellungen zu beobachten;
Aschaffenburg^) hat einzelne sehi' auff allende Beispiele dafiir mit-
getheilt. Wie dort die Verbindung der Vorstellungen, so kann hier
das Lesen durch sie einseitig bestimmt werden. Es ist dabei viel-
leicht gar nicht einmal nothig, dass es zu einer wirklichen Verfal-
schung der Auffassung kommt. Vielmehr diirfte es sich ofter um
eine besondere Bereitschaft gewisser Sprachvorstellungen han-
deln, die sofort zur AeuBerung drangen, auch wenn der Eindruck
selber gar nicht oder doch nicht deutlich dem Wortbilde entsprach.
Griinde, welche fur diese Moglichkeit sprechen, werden wir spater
kennen lemen.
Ueber die Zahl und Art der einmaligen und wiederholten Ver-
lesungen giebt die Tabelle XIV Auskunft.
1) Diese Arbeiten. U. S. 19.
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234
Lodwig Croo and Cnil KnepeliD.
Tabelle XIV.
0.
I.
A.
Es kamen vor Verlesungen Qberhaupt
135
4
98
Davon einmal
66 (48,9 o/o)
69 (51,1 o/o)
24 (17,8 o/o)
4 (100,0 0/0)
77 (78,6 0/,)
Mehrfach
—
21 (21,4 0/,)
> bei denselben Worten
11 (11,20/0)
> bei verschiedenen Worten
51 (37,8 o/o)
—
11 (11,2 0/,)
Verschiedene Verlegungen
92 (68,2 o/o)
4 (100,00/0)
86 (87,80/,)
S.
R.
201
B.
Es kamen vor Verleiungen Qberhaupt
82
572
Davon einmal
57 (69,5 o/o)
126(62,7 0/,)
194(33,90/,)
Mehrfach
25 (30,5 o/o)
75 (37,3 0/0)
52(25,90/,)
378 (66,1 0/,)
> bei denselben Worten
18 (22,0 o/o)
121 (21,20/,)
» bei verschiedenen Worten
7 (8,50/0)
28 (13,9 0/0)
158 (78,6 0/0)
299(52,30/,)
Verschiedene Verlesungen
69 (84,1 0/0)
311 (54,40/,)
Aus diesen Zahlen ersehen wir zunachst, dass die Unterschiede
in dem Haufigkeitsverhaltnisse der Verlesungen bei den einzelnen
Beobachtem recht bedeutende sind. Namentlich die in den Klammem
Uberall hinzugesetzten Procentbeziehungen zu der Q^sammtzahl der
vorgekommenen Verlesungen lehren uns deutlich, dass bei manchen
Personen eine ausgesprochene Neigung zur Wiederkehr derselben
Verlesungen besteht, wahrend andere immer neue Fehler begehen.
Am sttlrksten zeigt jene Neigung B., dann 0., am wenigsten A. und,
so weit die sparlichen Fehler ein Urtheil daruber zulassen, L, wah-
rend R und S. eine mittlere Stellung einnehmen. Die gleiche Reihen-
folge ergiebt sich hinsichtlich der Zahl der bei jeder Person vor-
gekommenen verschiedenen Verlesungen, die ja wesentlich durch die
groBere oder geringere Neigung zu Wiederholungen bestimmt wird.
Wiederholungen bei denselben Wortem, die wir der Kiirze wegen als
^stehende Wiederholungen « bezeichnen woUen , waren bei den
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Ueber die Messuog der AafTassimgsOliigkeit. 235
E[ranken durchweg haufiger, als bei den Gesunden; namentlich R.
erreicht emen sehr hohen Procentsatz. Wir sind nicht ohne weiteres
im Stande, aus diesen Zahlen eindeutige Schliisse zu Ziehen. An
sich konnten die hoheren Werthe etwa eine groBere Gedachtaiss-
festi^eit bedeuten, wdche die einmal geschlossene Verbindung von
Schriftreiz und fehlerhafter Lesung bei jedem neuen Yersuche mit
besonderer Lebhaftigkeit wieder auftauchen lieBe. Andererseits aber
kann jener Erscheinung, wie schon angedeutet, eine Ungenanigkeit der
Wahmehmung zu Grande liegen, die eine Erganzung durdi friihere,
richtige oder falsche Lesungen begtinstigt und die Aufdeckung von
Fdblern erschweri Gegen die erstere Deutung spricht der Umstand,
dass die in Betraoht kommenden Personen sich sonst nicht durch
eine besondere Uebungsfahigkeit auszeichnen; eher ist das G^gentheil
der Fall, wie wir spater sehen werden, wenigstens bei R Zudem
wissen wir aus den Yersuchen mit sinnlosen Silben, dass B. und be^
sonders B. sehr schlecht auffassen, und dass sich S. in hohem Grade
durch Erinnerungsbilder beeinflussen und zu Fehlera verfiihren lasst.
Wahrscheinlich durfte also hier Ungenanigkeit der Auffassung und
Neigung zur Beimischung von eigenen gewohnheitsmaBigen Zuthaten
die richtige Erklarung abgeben. Auffallend erscheint die niedrige Zahl
wiederkehrender Fehler bei A., nachdem wir auch bei ihm frtiher eine
groBe Beeinflussbarkeit durch Wortvorstellungen kennen gelernt haben.
Wie es scheint, hat er hier weder die Neigung, dieselben Yerlesungen
zu wiederholen, noch sich durch ganz bestimmte Yorstellungen be-
herrschen zu lassen. Allein die friiheren Fehler wurden bei ihm
nicht einfach berichtigt, sondern haufig von anderen abgelost. Man
wird dadurch auf die Yermuthung gefuhrt, dass seine Yorstellungen
fltichtiger und beweglicher waren und deswegen weniger giinstige Be-
dingungen fiir die haufigere Wiederkehr derselben Fehler darboten.
Die geringste Neigung zum Wiederholen derselben Yerlesungen
bei verschiedenen Reizen, die >zer8treute Wiederholungen« genannt
wa*den sollen, zeigen neben I. S., A. und R. ; 0. dagegen und beson-
ders B. brachten sie sehr haufig vor. Es ist klar, dass diese Yer-
lesungen weit weniger durch theilweise Uebereinstimmung mit dem
wirklichen Eindracke, als durch beliebig auftauchende, haufig wieder-
kehrende Yorstellungen hervorgerufen worden sind* In der That,
wenn Heft gelesen wird fiir Kost, Heil, Geist — Stadt fiir Sold, Stolz,
Kraepelia, Psycholog. Arbeiten. II. \Q
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236
Lkidwig Cron tmd Emil Kraepelin.
Druck, Stift, Saar, Staat, Staub, Wohl, Stem, so scheint wenigstens
fiir einige dieser Fehler die Ankniipfung an das Gesichtsbild voll-
stSndig zvL fehlen. Ebenso steht es mit den Verlesungen Brust —
Grab, Vieh — Pest, Vieh — Menge, Kind — Brot, Erug — Band,
Eunst — RecHt, Sohn — Meisch, Geist — Hund, Wuth — Milch,
Stuhl — Wand u. s. f. Bei anderen Beispielen, etwa bei Mord fiir
Meer, Mond, Mund, Nord oder Werth fiir Wien, Werft, Wolf,
Wuth, Wahn ist der Zusammenhang deutlicher. Offenbar wird diese
Art von Verlesungen begunstigt durch eine Erschwerung der Auf-
fassung, wie sie namentlich bei B. vorhanden ist. AuBerdem miissen
aber noch bestimmte Yorstellungen besonders leicht anregbar sein und
auch dann auftauchen, wenn die Uebereinstimmung mit dem sinn-
lichen Eindrucke nur eine sehr entfemte war oder sogar ganz fehlte.
Einen naheren Einblick in diese YerhS^ltnisse gestattet vielleicht die
folgende Zusammenstellung, in der angegeben wurde, wie h^ufig die-
selben Verlesungen beobachtet wurden.
Tab
elle
XV.
Stehende Wiederholungen
kamen vor
0.
2mal
3mal
4mal
5 mal
6 mal
7mal
8mal
Omal
7
2
i
—
—
—
A.
4
1
—
J7L
—
—
_"".
""
—
S.
9
2
—
1
—
R.
16
2
—
1
1
B.
30
12
5
1
— •
Zerstreute Wiederholungen
15
4
0.
A.
7
—
—
—
—
-:
1
—
6
—
—
S.
1
2 ; I
10
—
—
—
R.
15
—
—
—
—
1
B.
62
26
3
—
—
Hier zeigt ^ sich, dass bei denselben Wortem besonders B. und
R., aber auch bis zu einem gewissen Grade 0., die Neigung zur
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Ueber die Messan^ der Aaffassangsfthlgkeit. 237
Wiederholung der gleichen Vefrlesungen, ein gewisses Beharrungsver-
mogen darboten, wahrend A. und S. ihre Fehler weniger haufig wieder-
holten. Durch diese Betrachtang wird demnach, anders als durch
die Zahlen der Tabelle XIV, A. und S. einander naher geruckt; eine
zweite Gruppe, der sich 0. annahert, bilden R. und B. Diese Ord-
nung entspricht ganz derjenigen, die sich uns friiher hinsichtlich der
Zahl verschiedener Verlesungen ergab, ebenso der Haufigkeit nur
einmal begangener Fehler. Bei verschiedenen Wortem wiesen A., S.
und R. nur vereinzelte iibereinstimmende Verlesungen auf ; auch hier
zeigen sie sich nicht von bestimmten Vorstellungen dauemd beein-
flussi R bringt zwar ofters dieselben Verlesungen vor, aber jede
einzdne nicht mehr als zweimal; bei ihm genligt daher wohl die
Erklarung, dass er ungenau auffasste und dadurch gelegentlich zur
Wiederkehr der gleichen Fehler verfiihrt wurde. Dagegen sehen wir
bei B. ganz deutlich bestimmte Vorstellungen immer wiederkehren,
auch wo sie gar nicht passen. Wo dieselbe Verlesung bei 5, 6,
ja bei 9 verschiedenen Wortem vorgebracht wird, kann nicht die
Aehnlichkeit des Wortbildes allein maBgebend gewesen sein. Das
Auftreten des gleichen Fehlers bei vollig verschiedenen Wortem
dUrfte vielmehr darauf hinweisen, dass hier ofters motorische Sprach-
vorstellungen sich vorgediungt haben, ohne jede Beziehung zum Q-e-
sichtsbilde. In der That waren gerade bei B. die Verlesungen auf-
fallend haufig, welche gar keine Aehnlichkeit mit dem Reizworte
darboten. Wir haben es dabei wohl geradezu mit »Fehlle8ungen« zu
thun, entsprechend den Fehlreactionen beim Wahlvorgange und den
von Aschaffenburg beschriebenen Fehlassociationen*). Vielleicht
hat ahnliches auch bei O. mitgespielt, doch lieB sich bei seinen Ver-
lesungen durchweg noch ein gewisser Zusammenhang mit dem Reiz-
worte nachweisen. Jedenfalls hat auch bei ihm ein Kleben an ein-
zelnen, sich haufiger wieder darbietenden Vorstellungen stattgefunden
und dadurch eine auffallende Einformigkeit der Verlesungen verur-
sacht. Dagegen konnte bei R. das ganzliche Fehlen vielfacher
gleicher Verlesungen bei verschiedenen Wortem darauf hindeuten,
dass auch die Hartnackigkeit seiner stehenden Wiederholungen weniger
auf ein besonders festes Haften seiner Vorstellungen, als auf die
1) Diese Arbeiten. II. S. 7.
16*
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238
ladwig Groii nod £inil KraepeUii.
Unfahigkeit zur Verbesserung einmal begangener Fehler zu be-
ziehen sei.
Eine besondere Beleuchtung erfahrt der TJnterschied zwischen
stehenden und zerstreuten Wiederholnngen, wenn mr untersuchen,
wie viele Buchstaben jeweils bei denselben verlesen wurden. Da nur
B. eine groBere Menge von Wiederholungen zu verzeichnen hat, fassen
wir in der folgenden Tabelle die Ergebnisse aller Personen zusammen
und geben zugleich die Yerlesungen mit gleicher Buchstabenzahl in
Procenten aller einschlagigen Wiederholungen.
Tabelle XVI.
Buchstaben wurden verleien
1
2
a
4
5
e
Stchende Wiederholungen
63,9
29,1
4,4
2,6
—
—
Zerstreute Wiederholungen
25,7
32,0
29,0
10,2
2,8
0,3
Man erkennt ohne weiteres, dass bei den stehenden Wieder-
holungen die einfachen Buchstabenverlesungen auBerordentlich stark
Uberwiegen, wahrend bei den zerstreuten die doppelten und selbrt die
dreif achen Buchstabenf ehler haufiger sind, als die einfachen. Zudem
finden sich hier noch fUnf- und gar sechsfache Fehler, die dort voUig
fehlen. Daraus geht klar hervor, dass die Beaiehungen zwischen
Beizwort und Yerlesung bei den stehenden Yerlesungen viel engere
sind, als bei den zerstreuten. Wenn in A2^ der F&lle drei oder m^
Buchstaben bei einsilbigen Wortem nicht mehr mit einander Uber-
einstimmen, kann der Zusammenhang der Yerlesung mit dem Beiz*
worte nur noch ein recht lockerer sein. Der Sinneseindruck hat also
thatsachlich bei den zerstreuten Yerlesungen nur noch den AnstoB
zum Aussprechen einer Yorstellung geliefert, dwen Inhalt wesentlidi
aus anderer Quelle stammte. Wir wollen nicht verfehlen, darauf
hinzuweisen, dass wir zu demselben Ergebnisse auch kommen, wenn
wir B. aus der Reihe der Beobachter ausscheiden. Die einfachen
Yerlesungen bilden dann bei den stehenden Wiederholungen 69,0,
bei den zerstreuten 38,8)1^ der gesammten Fehler. Mit diesen Erfah-
rungen hangt es wohl auch zusammen, wenn wir oben gerade bei O.
und B., die sich durch zahlreiche zerstreute Wiederholungen auszeich-
nen, je einmal die Doppelfehler iiber die einfachen uberwiegen sahen.
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Ueber die Nessang der Aiifl^sungsfilbigkeit.
239
Die Beobachtung, dass einzelne Personen sich beim Lesen in
besonderem MaBe durch Vorstellungen beeinflussen lieBen, legt die
Frage nahe, ob nicht geradezu die durch das Lesen erregten
Vorstellungen das Zustandekommen bestimmter Verlesungen be-
giinstigt haben. Wir woUen daher untersuchen, ob die Reizworter
mit einer gewissen Haufigkeit bei den Verlesungen wiederkehrten. Da
die Zahl einsilbiger Hauptworter uberhaupt keine sehr groBe ist, wird
man von vomherein darauf gefasst sein miissen, dass bei dem Be-
streben nach sinngemaBem Verstfilndniss des dargebotenen Stoffes
dieFehler bier und daReizwortem entsprachen; der Nachweis einer
unmittelbaren Beeinflussung des Lesens durch die angeregten Vor-
stellungen wird erst dann erbracht sein, wenn jene Uebereinstimmung
sehr haufig bemerkbar wird oder sonstige TJmstande diese Deutung
nahe legen. Wir haben zunachst in der Tabelle XVii dargelegt,
wie haufig sich die Verlesungen, uberhaupt und getrennt nach ihrem
einmaUgen oder wiederholten Vorkommen, mit Reizworten deckten;
in Klammem sind die betreffenden Procentzahlen hinzugefiigt.
Tabelle XVH.
■" 1
IteiKWdrtern entsprachen
Verlemingen
Clberhaupt
Einmalige
Verlesungen
36 (54,5 o/o)
Wiederholte
Verlesungen
51 (73,9 o/o)
0.
87 (64,4 o/o)
I.
4 (100,0 o/o)
4 (100,0 O/o)
A.
42(42,9 0/0)
29 (37,7 O/o)
27 (47,4 O/o)
13 (61,9 o/o)
S.
34 (41,5 o/o)
7 (28,0 o/o)
R.
73 (36,3 o/o)
34 (27,0 o/o)
39 (52,0 o/o)
B.
299 (52,8 o/o)
40 (20,6 o/o)
259 (68,50/0)
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass durchschnittlich etwa die
Halfte der Verlesungen mit B^izwortem ttbereinstimmten. Bedenkt
man, dass sich unter den Fehlem eine groBere Zahl von ganz un-
sinnigen, femer auch einzelne Eigenschafts- und selbst Zeitworter
befanden, so kann daruber kein Zweifel sein, dass der Sprachschatz
der Trommel tbatsachlich ofters zu falscben Lesungen in bestimmter
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240 Ludwig CroQ nod Cmil Kraepeiio.
Bichtung verfUhrt hat. Der Grad dieses Einfiusses ist bei den ein-
zelnen Personen ein verschiedener gewesen, am starksten, wenn wir
von I. absehen, bei 0., dann bei B., am schwachsten bei R., S. und
A. Das Yerhalten von 0., der nach unseren sonstigen Erfahrungen
nicht sehr zu einer Beeinflussung der Wahmehmung durch Vor-
stellungen zu neigen schien, muss hier besonders auffallen; wir wer-
den spater auf diesen Punkt noch naher einzugehen haben.
Sehr deutlich zeigt sich die Bolle des Lesestoffes in der G^egen-
uberstellung, welche die zweite und dritte Spalte der Tabelle giebt.
Wir erkennen daraus, dass fast iiberall die Beizworter unter den
wiederholten Yerlesungen weit haufiger wieder auftauchen, als unter
den einmaligen. Mit anderen Worten, die Beizworter begUnstigten
geradezu die "Wiederkehr derselben Verlesungen. Nur bei S., der
Uberhaupt wenig wiederholte Verlesungen zu verzeichnen hat, kehrt
sich das Yerhaltniss um; seine Wiederholungen, die fast ausschlieB-
lich stehende waren, mUssen demnach eine andere Grundlage gehabt
haben. Die Begiinstigung der mehrfachen Verlesungen durch B^z-
worter ist bei A., R und B. verhaltnissmaBig viel starker, als bei 0.
Namentlich B; und in etwas geringerem Grade auch B., die sonst
nur maBig durch den Lesestoff beeinflusst wurden, haben sich durch
ihn zu einem groBen Theile ihrer mehrfachen Yerlesungen be-
stimmen lassen. Wahrend also A. und noch mehr 0. sich fUr die
Beeinflussung durch Beizworter Uberhaupt nicht zuganglich erwiesen,
hafteten dieselben bei S. nur ganz kurze Zeit und fUhrten nicht oft
zu wiederholten Yerlesungen; umgekehrt wurde bei R und B. die
Auffassung durch den Lesestoff im allgemeinen nicht sehr stark ab-
gelenkt; wo aber einmal ein solches Wort haftete, gewann es alsbald
groBe Macht und kehrte in den Yerlesungen, namentlich bei B., auf*
fallend haufig wieder.
Yon einer noch anderen Seite her werden diese Yerhaltnibse be-
leuchtet, wenn wir untersuchen, ob die in den Yerlesungen wieder-
kehrenden Beizworter bei dem betreffenden Yersuche der falschen
Lesung voraufgegangen waren oder folgten.
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Ueber die Hetsnog der AofTusnDgsllhigkeU.
Tabelle XVIIL
241
Das beeinflusste Reiz-
wort kam
vorher
nachher
kun vorher
unm^ttelbar
vorher
0.
35
20
7
2
I.
2
2
13
5
' —
A.
21
—
S.
13
19
2
—
It
28
22
2
—
B.
79
37
9
1
Wir bemerken, dass hier nur die verschiedenen Verlesiingen
und nicht die Wiederholungen beriicksichtigt wurden. Mm sieht
sofort, dass die voraufgehenden Lesungen in weit hoheriBm Grd-de die
Verlesungen beeinflussten, als die folgenden. Es war also zumeist
die frische Wirkung des Lesestoffes, welche die Fehlor der Wahr-
nehmung in eine bestimmte Bichtung lenkte. Ganz besonders stark
schdnt dieser Einfluss bei B. gewesen zu sein, aber aUch bei 0. lind
A. ist die Wirkung der voraufgegangenen Lesungen noch eine augen-r
fillige. Bei S. dagegen und wohl auch bei R erweist sich diese
Beziehung als weniger deutlich. Bd ihnen diirfte demnach die all-
mahliche Befestigung des gegebenen Wortschatzes durch die neun-
malige Wiederholung des Versuches erne RoUe gespielt haben. Um
die Bedeutung des sinnlichen Eindruckes noch weiter zu verfolgen,
findet sich in den letzten Spalten der Tabelle besonders angegeben,
wie oft das Beizwort der entsprechenden Verlesung innerhalb der
letzten zehn Worter und wie oft es ihr unmittelbar vorausging. Auch
hier zeigen sich B., 0. und A. am meisten durch die kurz vorher
angeregte Vorstellung beeinflussbar, S. und R. in weit geringerem
Grade.
Bei der Durchsicht der Listen bemerken wir, dass bisweilen ein
Beizwort das Lesen beeinflusst hat, ohne selbst richtig gelesen worden
zu sein. Ein Beispiel daftir geben die beiden unmittelbar auf einander
folgenden Verlesungen Golf — Keld und Wolf — Q^lf. Die Ver-
suchsperson, 0., hat hier zunachst Golf nicht ^kannt, sondem statt
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242 Ludwig GroB and Emil KraepeliB.
dessen ein ganz imsinniges Wort vorgebracht. Nachtraglich scheint
sie aber doch noch das Beizwort aufgefasst zu haben, vielleicht imter-
stiitzt durch das ahnliche folgende Wort, das nun im Sinne des
vorhergehenden verlesen wurde. S. las einmal hinter einander Mond
— Sonn nnd Prag — Mond. Auch hier bleibt nur die Deutung,
dass er das Wort Mond erst spater erkannte, nachdem er bereits
eine Verlesung vorgebracht hatte. Die nun sich aufdrangende Vor-»
stellung wurde ausgesprochen, obgleich sie zu dem folgenden Reizworte
in gar keiner Beziehung stand. Dieses Beispiel kann die friiher ausge*
sprochene Yermuthung bestatigen, dass bisweilen motorische Sprachvor-
stellungen zur Auslosung drangten, weil sie eine gewisse Lebhaftigkeit
eriangt batten, wobei das Beizwort nur bewegungsauslosend wirkte.
Zugleich aber begegnen wir hier der sehr merkwiirdigen
Erfahrung, dass anscheinend bei der ersten Lesung nicht das
Beizwort, sondem eine Association zu demselben gelesen wurde.
Ohne Zweifel wurden ja durch das Lesen immer noch eine Beihe
von Nebenvorstellungen erweckt. Man konnte daher denken, dass
gelegentlich einmal die Auslosung der Sprachbewegung von einer
solchen Nebenvorstellung aus leichter erfolgte, als von dem richtig
aufgefassten Worte. Gerade der Umstand, dass hier sofort noch
die richtige Lesung, allerdings an falscher Stelle, der anscheinenden
Association folgte, wUrde diese Annahme nahe legen. Lnmerhin kann
es sich natttrlich auch um eine einfache Verlesung handeln. Bine
solche Moglichkeit aber ist ausgeschlossen in dem von B. gelieferten
Beispiele Ohor — Singer. Hier hat an Stelle der Lesung unzweifel-
haft eine Association stattgefunden. Man konnte von einer »mittel-
baren« Lesung sprechen, insofem eben die Sprachbewegung nicht
durch das offenbs^ richtig aufgefasste Wort, sondem erst durch eine
weitere sich daran anknUpfende Vorstellung ausgelost wurde. Ver-
dachtig ist auch das ebenfalls bei B. verzeichnete Beispiel Wohl —
Stadt. Wort und Lesung sind hier einander so unlUmlich wie mdg-
lich; sie zeigen keinen einzigen gleichen, kaum einen ahnlichen Buch-
staben. Nimmt man aber an, dass ursprtinglich Wahl fiir Wohl
gelesen worden sei, so wUrden wir nach unseren soeben angestellten
Erorterungen wohl begreif en konnen, dass in Wirklichkeit Stadt aus-
gesprochen wurde. Die Lesung Stadt war namlich von B. schon sehr
haufig vorgebracht worden; sie war ihm aufierordentlich gel&ufig.
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Ueber die Messuu}^ dor AuffassuugstHhigkeit.
243
Wurde also, wie wir vermuthen, Wahl gelesen, so lag das Auftauchen
der Association Wahlstatt sehr nahe. Zugleich aber drangte die oft
wiederkehrende Lesung Stadt besonders stark zur Auslosung der
Sprachbewegung, so dass abo bier gerade diejenigen Bedingongen
gegeben waren, die wir als Voraussetzung fiir das Zustandekommen
mittelbarer Verlesungen betrachtet batten. Die Verlesung Wahl fiir
Wobl war zudem schon einmal dagewesen, und endlich folgte un-
mittelbar darauf das Reizwort Krieg, welches vielleicht schon bei
fruheren Lesungen die etwa aufgetauchte Nebenvorstellung Wahlstatt
verstarken konnte. Ein weiteres, etwas anders li^endes Beispiel hat
sich bei A. gefunden. Er las namlich Fels — Pfalz. Die Buch-
stabeniibereinstimmung dieser beiden Worter beschrankt sich auf das
eine 1, wahrend die Klangahnlichkeit eine recht groBe ist. Es er-
scheint daher nicht ausgeschlossen, dass wir es hier nicht mit einer
einfachen Verlesung, sondem mit einer Klangassociation zu thun
haben, deren Zustandekommen durch den Umstand begunstigt wurde,
dass sich Pfalz unter den Reizwortem befand. Mit Sicherheit lasst
sich das leider hier wie in einer Reihe ahnlicher Beispiele heute nicht
mehr feststellen, doch diirften diese Ausfiihrungen ausreichen, um
die Moglichkeit mittelbarer Verlesungen iiberhaupt und die besonderen
Bedingungen ihrer Entstehung etwas naher zu beleuchten.
Es ist am Schlusse dieser Betrachtung vielleicht nicht unniitz,
sich dariiber Rechenschaft zu geben, ob sich unter den Reizwortem
vielleicht manche befanden, die an sich leicht bei Verlesungen wieder-
kehren konnten, sehr gelaufige Vorstellungen, die jeder Versuchsperson,
auch abgesehen von den hier gegebenen Bedingungen, nahe lagen.
Zur Beantwortung dieser Frage steht uns nur das Mittel zu Gebote,
festzustellen, wie viele der Reizworter von mehreren oder gar alien
Personen bei den Verlesungen vorgebracht wurden. Die Tab. XIX
giebt dartiber in Procentzahlen Auskunft.
Tabelle XTX.
Reiiwdrter kebrten wieder
bei Versuchspersonen
0
1
2
3
4
5
0
37,8
35,3
16,2
^5
2,9
0,3
—
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244
Ladwig Cron and Cmil Kraepelin.
Wir ersehen daraus, dass fast ^4 aUer Beizworter gar nicht oder
doch nur von einer einzigen Person vorgebracht warden; nur eine ver-
schwindend kleine Zahl kehrte bei vier oder gar fiinf Personen wieder,
im ganzen neun. Auch dieses Ergebniss spricht dafiir, dass die in
Tab. XVll niedergelegten Erfahrungen nicht auf allgemeine associa-
tive Neigungen, sondem auf die besonderen Yersuchsbedingungen zu
beziehen sind, auf die Anregung bestimmter Yorstellungen durch die
Lesearbeit selbst
IV. Versnclie niit zweisilbigen WSrtern.
Einen ersten Ueberblick Uber die Ergebnisse der Versuche mit
zweisilbigen Wortem giebt die Tab. XX,
Tabelle XX.
Spaltweite
5 mm
4 mm
3 mm
r
/
a
r
/
a
r
/ «
0.
807
15
18
811
10
19
797
15 28
I.
839
1
—
839
1
—
839
— 1
A.
S.
802
31
7
807
26
7
773
34 33
786
29
26
802
27
76
11
776
34 30
R.
758
50
32
662
102
398
676
78 86
B.
280
131
429
282
160
231
130 479
Der Yergleich dieser Zahlen mit der Tab. IX lehrt uns, dass
die einzelnen Beobachter durch die Yeranderung der Bedingungen
in verschiedener Weise beeinflusst worden sind. Bei O. und vielleicht
auch bei I. lasst sich eine Besserung der Auffassung nachweisen,
wahrend die Ubrigen Personen eine allerdings verschieden starke Ab-
nahme der richtigen Lesungen darbieten. Wir werden uns fiber
diese letztere Erfahrung nicht besonders wundem. Bei den zwei-
silbigen Wortem war nicht nur die Zahl der aufzufassenden Einzel-
heiten weit groBer, als bei den einsilbigen, sondem es waren nament-
lich auch die Fausen zwischen zwei Wortem kUrzer, da der Baum
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Ueber die Messoog der Auffusaogsflhigkeit. 245
fiir ein Beizwort iiberall gleich groB bemessen war. In Folge dessen
hatten die Versuchspersonen hier einerseits eine schwierigere Aufgabe
zu ISsen, andererseits weniger Zeit, sich auf den neuen Eindruck
vorzubereiten. Auffallend erscheint daher nur die Verbessenmg der
Leistung bei O., auffallend aber auch die Angabe der Versuchsper-
sonen, dass ihnen selber die Auffassung zweisilbiger AVorter trotz
der geringeren gemessenen Leistung doch leichter erschien, als die
Erkennung einsilbiger.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass die Yer-
schlechterung der Auffassung sich ganz uberwiegend in einer Zu-
nahme der Auslassungen bemerkbar macht, wahrend die Fehlerzahl
fast gleich geblieben ist oder sogar entschieden abgenommen hat,
Es muss sich also die Aufgabe dahin verandert haben, dass zwar das
Erkennen der Worter uberhaupt erschwert war, dass aber die Gro-
fahr des Verlesens sich verringerte. Besonders bei engem Spalte war
hier die Neigung zu falschem Lesen geringer, als bei den einsilbigen
Wortem. Dieser letztere XJmstand legt uns die Frage nahe, ob nicht
etwa der ganze Yorgang der Auffassung sich hier anders abspielte,
als dort. Bei einer Spaltweite von 3 nun war von den einsilbigen
Wortem nicht viel mehr als die Halfte, von den zweisilbigen etwa
ein Drittel gleichzeitig zu iibersehen. Gerade diese Beschrankung
scheint zwar die Auffassung uberhaupt beeintrachtigt, das Verlesen
aber eingeschrankt zu haben. Das ware erklarlich, wenn wir uns
Yorstellten, dass die Auffassung der einsilbigen Worter mehr mit
einem Male, diejenige der zweisilbigen dagegen mehr buchstabirend
erfolgt ware. Im ersteren Palle ware offenbar dem Errathen, der Be-
einflussung durch Vorstellungen ein breiterer Spielraum gegeben, wah-
rend im letzteren mit der Schwierigkeit der Aufgabe zugleich die
Zuverl&ssigkeit ihrer Losung zunahme, die Oefahr eigener Zuthaten
sanke. Diese Auffassung wiSrde den Erfahrungen Cattell's ent-
sprechen; sie wird auBerdem durch eine weitere Thatsache gestiitzt.
Die Zahl der Verlesungen stieg bei den einsilbigen Wortem mit Ab-
nahme der Spaltbreite und unvollkommenerer Uebersicht iiber das
Wort rasch an, namentlich bei denjenigen Personen, bei denen wii-
uns anderen Grunden eine erheblichere Neigung zur Beeinflussung
der Auffassung durch Vorstellungen angenommen hatten. Bei den
zweisilbigen Wdrtem dagegen ist die Steigerung der Verlesungen ganz
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246
Ludwig CroB uiid EmU Knepelio.
unbedeutend und schwankend, obgleich man von vornherein anneh*
men soUte, dass hier die Verengenmg des SpaJtes viel einschneidender
wirken miisste. In der That ist auch bei den Auslassungen dieser
Einfluss deutlich genug.
Um der Losung dieser Fragen naher zu kommen, wird es sich
empfehlen, Zahl und Ordnung der verlesenen Buchstaben naher ins
Auge zu fassen. Tab. XXI lehrt uns zun&chst die Zahl der jeweik
verlesenen Buchstaben kennen.
Tabelle XXI.
Es wurden
verleien bei
5 mm 4 mm
3 mm
Buchstaben
12345678123456789
12 3 4 5 6 7 8
0.
7 3 3
4 1 5
16 3 3 2—1 —
I.
1-1
1 .
A.
18 7 2 3 2
13 6 2 32
17 5 4 7 2 1 1 —
8.
14 12 ^ 1
13 6 8— 2
13 10 4 5 2
R.
18 14 15 3
14 21 14 17 9 — 1
20 19 24 12 11 2 1 — '
B.
12 29 30 21 18 12 5 3
10 35 28 42 21 17 4 2 1
6 24 25 34 18 8 13 1
Wenn wir auch hier die vielfachen Verlesungen als MaBstab flir
die Auffassungsfahigkeit im allgemeinen betrachten, so zeigt sich, dass
die einfachen Pehler, abgesehen von I., welcher der oberen Auffas^
sungsschwelle wieder ganz nahe ist, am entschiedensten bei A. und
S. Uberwiegen, die auch bei den einsilbigen Wortem dieselbe Stellung
einnahmen. Dann folgt, ganz wie dort, O., R. und zuletzt B. Ur-
theilen wir nur nach der Zahl der richtigen Lesungen, so wtirde O.
besser dastehen, als A. und S. Wenn er trotzdem verhaltnissmaBig
mehr zu vielfachen Fehlem neigte, so kann uns das vielldcht darauf
hinweisen, dass er zwar an sich schlechter auffasste, als jene beiden
Personen, hier aber durch einen besonderen Umstand unterstiitzt
wurde. Bei den einsilbigen Wortem las er in der That schlechter
als beide, bei den sinnlosen Silben wenigstens schlechter als S., vnih-
rend der sehr auf die Mitwirkung von Erinnerungsbfldem angewiesene
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Ueber die Messiing der AuRastnoj^RUiigkeit.
247
A. hinter ihm zuruckblieb. Bei R und B. iiberwiegen die vielfachen
Fehler fast immer erheblich uber die einfachen; an sich ist ja auch
bei der groBen Buchstabenzahl vielfache Gelegenbeit dazu gegeben.
Die Verengenmg des Spaltes hat im ganzen nur eine recht gering-
fiigige Zunahme namentlich der vielfachen Verlesungen bewirkt.
Ueber die Ordnung der einzehien verlesenen Buchstaben giebt
die f olgende Tabelle Auf schluss. Der bessem Uebersicht halber sind
dabei die Werthe fiir verschiedene Spaltweiten zusammengefasst.
Tabelle XXH.
Verles. wurde
d. Buehstabe
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
bei 0.
15
19
16
12
9
14
10
3
—
—
» I.
—
—
I
1
1
2
—
—
—
—
. A.
19
33
28
23
30
23
34
10
3
—
• S.
10
27
13
25
15
24
41
22
1
—
» R.
52
84
68
77
65
86
88
46
9
—
» B.
135
184
187
238
235
262
219
96
13
2
Die Tabelle zeigt uns vor allem in ganss unzweideutiger Weise,
dass auch hier wie bei den einsilbigen Wortem der erste Buehstabe
von der Auffassung entschieden bevorzugt wird. Unsere frliher aus-
gesprochene Ansidit, dass der groBe Anfangsbuchstabe, im G^gen-
satze zu dan Yerhalten bei sinnlosen Silben , die Aufmerksamkeit
zunachst auf sich zieht, gewinnt dadurch eine neue StUtze. Mit der
gleichen BegehnaBigkeit, wie der erste Buehstabe bevorzugt wird, wird
der zweite vemachlassigt, ganz wie bei den einsilbigen Wortem. Der
weitere Yerlauf der Auffassung kann leider nur bis zum sechsten
Buchstaben einschlieBlich genauer verfolgt werden, da sieben Buch-
staben nur bei 75,7 %^ acht bei 27,5 ^ und neun gar nur bei 4,3 %
der WOrter vorhanden sind.
Wir erkennen jedoch deutlich, dass bei R. und S. bis zum sechsten
fittcbstaben ein ganz regelinaSiger Wechsel zwischen besser
UQd schlechter anfgefassten Buchstaben sich geltend macht
Der erste, dritte und fimfte Buehstabe werden gut, der zweite, vierte
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248 Lodwig Cron ond Emil Kraapelin.
und sechste schlechter erkannt. Da wir friiher schon die gleiche
Erscheinung auffanden, nur weniger ausgepragt, kann es sich schwer-
lich um eine Zufalligkeit handeln. Dagegen spricht femer der XJm-
stand, dass auch bei B. eine ahnliche Neigung sich beobachten lasst^
allerdings verkniipft mit einer fortschreitenden Verschlechterung der
Auffassung nach dem Ende des Wortes zu. Diese Verschlechterung
nimmt zum zweiten, vierten und sechsten Buchstaben erheblich, zum
dritten unwesentlich und zum fUnften gar nicht zu. Also auch hier
handelt es sich um eine Begiinstigung der Buchstaben 1, 3 und
5' gegeniiber 2, 4 und 6. Andeutungen dieses Verhaltens finden
wir endlich auch bei A.; nur ist hier der erste, vierte und sechste
Buchstabe begiinstigt, der zweite und fUnfte, weniger der dritte,
benachtheiligt. Bei 0. dagegen wird nach dem zweiten Buch-
staben die Auffassung inmier besser bis zum fUnften, um dann wieder
schlechter zu werden. Diese Erfahnmgen sind sehr auffallend. Na-
mentlich bemerkenswerth ist es, dass nun der Rhythmus der Auf-
fassung, dem wir frtther in ausgeprfigter Weise nur bei A. und 0.
begegneten, gerade am deutlichsten bei den andem Versuchspersonen
hervortritt. £s unterliegt keinem Zweifel, dass bei ihnen eine Aen-
derung in der Art der Betrachtung stattgefunden hat R. und B.
richteten friiher ihre Aufmerksamkeit wesentlich auf den Anfang des
Wortes, S. auf die Mitte; jetzt aber werden in ganz regelmS.Biger
Folge einzelne Buchstaben bevorzugt, wahrend die dazwischen lie-
genden im Schatten bleiben. Es ist also in der That bei diesen
Personen an Stelle der friiheren Betrachtungsweise, die nur einen
Theil des Eindruckes genauer ins Auge fasste, den undeutUcher wahr-
genommenen Rest mehr oder weniger richtig errieth, ein mehr buch-
stabirendes Lesen getreten. Allerdings werden auch dabei nicht
alle einzelnen Buchstaben gleichmaBig berttcksichtigt, sondem es
werden offenbar Gruppen gebildet, von denen immer der erste Buch-
stabe scharf, der nachste weniger deutlich aufgefasst wird.
Es liegt auf der Hand, dass eine solche Aenderung des Ver-
fahrens mit zunehmender Ausdehnung des Reizes ganz unwillkiirlicfa
sich einstellen musste. Bei kleinen Gruppen von Eindrttcken haben
wir, wie Cattell gezeigt hat, zunachst immer die Neigung, das G^mze
als Einheit zu erfassen. Unsere Yersuche haben gelehrt, dass auch
dabei eine Yerschiedene Beleuchtung der einzelnen Bestandtheile statt-
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Oeber die Messung der Aaffassuogsflhigkeit. 249
findet, dass wenigstens unter den gegebenen Bedingungen immer ein
Buchstabe besser erkannt wird, als alle iibrigen. Bei kurzen Reihen
nimint die Deutlichkeit der Wahmehmung nach beiden Seiten bin
aUmahlich ab, soweit nicht besondere Umstande Abweichungen be-
dingen. Auf diese Weise entstehen die Auffassungswerthe fiir die
einzelnen Buchstaben der sinnlosen Silben. Bei den einsilbigen
Wortem hatte S. noch dasselbe Yerfahren beibehalten; bei B. und
B. lag hier der deutlichste Buchstabe am Anfange, so dass die
sp&teren eine immer abnehmende Sch^e der Auffassung darboten.
Dagegen fanden wir bei 0. und A. damals schon die ersten Andeu-
tungen einer Gruppenbildung; die Worter, deren Lange zwischen vier
und sechs Buchstaben schwankte, wurden in zwei Abschnitte zerlegt,
deren jeder einen Hohepunkt der Deutlichkeit besaB. Da die Schwan-
kungen der Deutlichkeit im ganzen nur sehr geringe waren, ist es
wohl moglich, dass nur bei einer kleineren Zahl der buchstaben-
reicheren Worter eine solche Zerlegung stattfand, wahrend die meisten
vielleicht ebenso als Einheit aufgefasst wurden, wie das bei den
iibrigen Versuchspersonen geschah. Mit der Verlangerung der Worter
wurde es, schon mit Bucksicht auf die Enge des Spaltes, ganz unmog-
Uch, fide zu einem einheitlichen Eindrucke zusammenzuf assen, und es trat
daher nun die allgemeine Neigung zum Zerlegen der Worter in kleinere
Abschnitte auf, die gesondert aufgefasst und erst aUmahlich zu einem
Worte zusammengesetzt wurden. B., R. und S. bildeten offenbar vor-
wiegend Gruppen von zwei Buchstaben, von denen jeweils der erste ge-
nauer ins Auge gefasst wurde. Dazu mochte der groBe Anfangsbuch-
stabe den AnstoB geben, der zunadist die Aufmerksamkeit auf sich zog.
Etwas abweichend sind die Ergebnisse bei 0. und A* Wir
wissen durch Oattell, dass die Fahigkeit zur einheitlichen Auf-
fassung von Buchstabengruppen personlich verschiedene Grenzen hat;
es ware daher sehr moglich, dass bei S., R. und B. das G^fUhl
groBerer Unsicherheit gegeniiber den langen Wortem zu einer engeren
Gruppenbildung gefiihrt hatte, als bei A. und 0. Wir diirften dann
annehmen, dass A. zunachst den ersten und zweiten, dann die
Buchstaben 3, 4 und 5 erkannt habe, indem er den mittelsten
derselben ins Auge fasste; endlich kamen noch der sechste und
vielleicht mit ihm einige folgende Buchstaben an die Reihe. Leider
konnen wir hier den Gang der Dinge nicht weiter verfolgen, nicht
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250 Lndwig Gron and Emil Kniepelin.
nur, wefl die verschiedene Zahl der Buchstaben keinen Vergleich
gestattet, sondem auch deshalb, well die Gruppirung beim Lesen
selbst ohne Zweifel je nach der Wortl&nge verschieden gewesen ist.
Bei O. erscheint die Auffassung des ersten und fiinften Buch-
stabens begunstigt. Das wUrde an eine noch weitlaufigere Gruppen-
bildimg denken lassen. Die ersten beiden Buchstaben bilden offen-
bar auch bei ihm, wie iiberaU, eine Auffassungsgruppe. Alsdann
aber scheint er seine Aufmerksamkeit sofort auf den fiinften Buch-
staben gericntet zu haben, um die Buchstaben drei, vier, fiinf und
sechs ab Einheit aufzufassen. Demnach waren also die Worter bis
zum sechsten Buchstaben in nur zwei, nicht einmal gleich groBe
Abschnitte zerlegt worden. Ob bei den zaUreichen Uuigeren Wortem
noch ein weiterer Abschnitt gebildet wurde, lasst sich leider nicht
entscheiden. Im allgemeinen nimmt iibrigens, wenn wir die Haufig-
keit der einzelnen Wortlangen in Betracht ziehen, gegen das Ende
des Wortes wie bei den einsilbigen W6rtem die Undeutlichkeit der
Auffassung zu. Am besten ist das bei A. und besonders bei B. zu
erkennen. Die Buchstaben 7, 8 und 9 sind iiberall ganz unverhalt-
nissmaBig oft verlesen worden.
Auffallend erscheint es, dass gerade 0., der schon bei den ein-
silbigen Wortem die Neigung zur Gruppenbildung erkennen lieB,
hier eigentlich die weit langeren Worter mehr einheitlich aufzufassen
sucht, als die Ubrigen Personen, welche die kurzen Worter noch
nicht zu zerlegen suchten. Indessen ein wirklicher Widerspruch liegt
in diesen Erfahrungen nicht Wir haben frUher gesehen, dass O.
zwar langsam, aber verhaltnissmaBig zuverlassig auffasst. Es w&re
daher aehr wohl denkbar, dass er in dem Bestreben nach moglichst
genauer Auffassung mit der Gruppenbildung schon bei jenen langeren
einsilbigen Wortem begonnen hat, die ihm eine einheitliche Erken-
nung nicht mehr zu erlauben schienen, namentlich weil er dabei
weniger als andere durch Erinnerungsbilder unterstUtzt wurde. Da
die ersten beiden Buchstaben wegen der starken Bevorzugung des
Anfangsbuchstabens sich iiberall besonders gem zu einer Gmppe zu-
sammenzuschlieBen scheinen, so konnte die folgende Gmppe nur den
Best des Wortes enthalten, in der B.egel also nicht mehr ab zwei
bis drci Buchstaben. Nehmen wir aber an, dass O. an sich die
FHhigkeit hatte, auch noch vier Buchstaben zu einer Einheit
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Ueber die Messung der Anffassungsflliigkeit. 251
zusammenzufassen, was nach CattelPs Erfahrungen durchaus nicht
ungewohnlich ist, so ware es verstandlich, dass er bei den zweisflbigen
Wortem nach der gewohnten kurzen Anfangsgruppe nicht wie die
andem Personen zwei, sondem vier Buchstaben gleichzeitig ins Auge
fasste, wobei aUerdings die Aufmerksamkeit am scharfsten auf den
dritten eingestellt war. Wenn diese Ueberlegungen zutreffend sind,
so wtirden wir zu dem Schlnsse kommen, dass O. zwar znmeist lang-
samer erkannte, als z. 6. A. und S., dass er aber andererseits im
Stande oder geneigt war, groBere Gruppen von einfachen Eindriicken
noch einheitlich aufzufassen, als jene Personen. Vielleicht spielt
gerade in diesem Punkte der Bildungsgrad, insbesondere die XJebung
im Lesen, eine gewisse Bolle. Leider f ehlt uns Uberall der Yergleich
mit dem Verhalten von L, dessen sparliche Pehler eine derartige
Betrachtung nicht gestatten; es ist jedoch klar, dass es nicht allzu-
schwierig sein kann, durch weitere Ausdehnung solcher Yersuche die
hier angeregten Fragen zu einer gewissen Elarung zu bringen.
Die unmittelbare Folge des scandirenden Lesens muss eine Er-
schwerung der Auffassung sein, da gerade dabei die UntersttLtzung
durch Erinnerungsbilder nur in sehr beschranktem MaBe moglich
ist. Ein Glesammteindruck wird immer in ungleich hoherem Grade
geeignet sein, bestimmte Wortvorstellungen anzuregen, als die kleinen
BruchstUcke, die erst nach und nach zu einem Worte zusammen-
gesetzt werden miissen. Es ware demnach zu erwarten, dass beim
Buchstabiren eine groBere Zahl von Wortem unerkannt bleibt, da
kleine entstellende Versehen im einzelnen nicht durch den XJeberblick
ttber das Gknze ausgeglichen werden. Andererseits aber wird der
Leser bei schrittweisem Vorgehen vielleicht besser die Q^fahr ver-
meiden, sich durch auftauchende Erinnerungsbilder zu falschen Le*
sungen der nur im Q^sammteindruck aufgefassten Worter verleiten
zu lassen. Die Zerlegung der Worter in Buchstabengruppen soUte
demnach die Wirkung haben, dass sich das Yerhaltmss der Aus-
lassungen zu den Fehlem nach der Seite jener ersteren hin verschiebt
Wir haben in der folgenden Tabelle die Zahl der Pehler in Pro-
centen der Auslassungen fur das Lesen einsilbiger und zweisilbiger
Worter ausgedrttckt.
E r A e p • 1 i n , Psyeholof . Arbeiten. II. \ ^
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252
Lttdwig CroD und Emil KrMpelii.
Tabelle XXTTT.
i ^'
I.
A.
S:
R.
B.
Zweisilbige j
76
400
1067
525
792
66
«
200
194
119
92
32
Aus diesen ZaMen erkennen wir, dass bei den zweisilbigen
Wortern Uberall das Verhaltniss der Fehler zu den Auslassungen
abgenommen hat; wie wir schon frtiher feststellten, sind also die
Bedingungen fUr das Zustandekommen von Auslassungen bei den
zweisilbigen Wortern thatsachlich erheblich gtinstiger. Allein der
Grad dieser Verschiebung ist ein sehr verschiedener. Vergleichsweise
am wenigsten verminderten sich die Fehler bei 0. und fi., am starksten
bei R., S. und A. Diejenigen Personen also, die frUher schon ver-
h<nissm&Big wenig Fehler und viel Auslassungen gehabt hatten,
wurden durch die Aenderung der Versuchsbedingungen nicht allzusehr
beeinflusst, wahrend bei starkem Ueberwiegen der Fehler Uber die Aus-
lassungen ein vollstandiger Umschwung herbeigefiihrt wurde. Diese
Ek*fahrung erklart sich, wenn man bedenkt, dass eben der XJebeiyang
zum stUckweisen Lesen um so mehr die Zunahme der Auslassungen
und das Sinken der Verlesungen begUnstigen musste, je mehr bei den
einsilbigen Wortern die Neigung zu einheitlicher Auffassung und
namentlich zu einer Mitwirkung von Ennnerungsbildem bestand
Letzteres war besonders bei A. und S. der Fall. Bei R fand eine
Steigerung der Auslassungen auf das neunfache statt, wohl ein
Zeichen daflir, dass seiner langsamen und darum sehr unzuverlassigen
Auffassung das buchstabirende Lesen ganz besondere Schwierigkeiten
bereitete. B. hatte schon bei den einsilbigen Wortern eine .ungemein
groBe Zahl von Auslassungen zu verzeichneh, tiie sich hier noch um
fast ein Drittel gesteigert hat; dagegen zeigt die Fehlerzahl eine yer-
hfUtnissmaBig ebenso bedeutende Abnahme, obgleich die Zerlegung
des Wortes in einzelne Abschnitte sich bei ihm wegen der ungemein
starken, vom Anfang des Wortes fortschreitendfiu Erschwenmg der
Auffassung nur mangelhaft geltend machen konnte. 0. endlich, der
schon frUher wenig durch Von^tellungen beeinflusst wurde, Uberrascht
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Ueber die MessuDg der Attffnssaiigsflhigkeit. 253
uns durch eine ganz bedeutende Abnahme .der Pehler wie der Aus-
lassungen, so dass deren VerMltniss sich nur in geringfugigem MaBe
andert. Im Vergieiche sra d6n iibrigen Personen haben mithin die
Pehler bei ihm wenig^r abgenommen. Vidleicht steht das' in Ver-
bindung mit der von O. durchgefulirten Bildung. einer groBeiJen mitt-
leren Auf f assungsgruppe , die das Auftreten von Pehlem mehr be-
giinstigen musste, als die kleinen Theilstucke, in welche die Worter
von den iibrigen Personen zerlegt warden. Merkwurdig bleibt dabei
aber immer noch der Umstand, dass O. die fiir alle iibrigen vergleich-
baren Beobachter schwierigere Arbeit mit Trommel B entschieden
besser verrichtete, als die Auffassnng einsilbiger Worter. Zwar er?
schien auch den andem Personen die Arbeit leichter, ab^ dieses
Gefiflil ist vielleicht alif die geringere Anstrengung beim Zerlegen in
kleinere Gruppen zu beziehen, da das thatsachliche Ergebniss trotz-
dem ungunstiger war. Eine bestimmte Erklarung fiir jenes auffal-
lende Verhalten O.'s sind wir nicht im Stande zu geben. Vielleicht
aber hat sich gerade die von ihm angewandte Gruppenbildung hier
als besonders zweckmaBig erwiesen und ihm die Aufgabe erleichtert.
Die Zerlegung in Abschnitte von zwei Buchstaben, wie sie von 0.
bei einsilbigen, von S., R.' und B. bei zweisilbigen Wortem Mgfibei-
nend vielfach angewendet wurde, musste den Zusammenhang der
Worter dort wie hier zerreiBen und so das Verstandniss erschweron.
Dagegen konnte die Zusammenfassung der ersten beiden und d^r
n&chsten vier Buchstaben oft fiir die Erkennung voii groBem V<ir-
theil sein, bei Wortem wie Erfolg, Losung, Empfang, Ankunft, Be-
sland, Gebrauch, Olzweig, Bezirk, Arrest, Anschluss, Urtheil, wie iie
faist eiri Viertel aller benutzten Worter bildeten. Es wSre wohl niclit
undenlfbar, dass gerade dieses haufige ^i^sammentreffen der psycl^o-
logischen mit der sprachlichen Gruppenbildung das Lesen hier bei
O. in ganz besonderer Weise erleichtert und damit die Zahl 4er
Pehler wie der Auslassungen herabgesetzt hat. |
Die Zahl der sinnlosen Verlesungen bei diesen Versuchen haben
wir in der Tab. XXIV zusammengestellt. • . _ ;
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254
Ludwig Cron und Cmil KrMpelio.
Tabelle XXIV.
0.
I.
A.
S.
R.
B.
Verlesungen ilberhaupt
41
3
95
92
215
251
Daninter sinnlos
3
—
22
31
53
24,7
51
20,3
%
7,3
—
23,1
33,7
Die allgemeine Uebereinstimmung dieser Zahlen mit denjenigen
bei den einsilbigen Wortem ist sehr lehrreich; sie zeigt uns, dass die
damals gefundenen Unterschiede zwischen den einzelnen Personen
wesentliche und nicht zufalb'ge sind. 0. nimmt auch hier den andem
vergleichbaren Personen gegeniiber eine Ausnahmestellung ein. Dann
folgen B. und A., die aber verhaltnissmaBig etwa dreimal so viel un-
sinnige Lesungen lief em. Den Beschluss machen R. und S., die hier
ihre Stellungen gewechselt haben, ohne dass ein bestiramter Grand
daftir erkennbar ware.
Wenden wir uns nun der Betrachtung der Verlesungen im ein-
zelnen zu, so erhalten wir zunachst folgende Uebersicht.
Tabelle XXV.
El kamen vor
0.
I.
A.
VerleiuDgen aberhaupt
41
3
95
55 (57,9 o/o)
Dayon einmal
33 (80,5 o/o)
3 (100,0 o/o)
Wiederholt
8 (19,5 o/o)
""
40 (42,10/0)
> bei denielben Worten
6 (14,6 o/o)
—
35 (36,8 o/o)
» bei yerschied. Worten
2 (4,9 o/o)
37 (90,2 o/o),
—
6 (6,30/0)
Verichiedene Verleiungen
3 (100,0 o/o)
67 (70,5 0/0)
S.
R.
B.
Yerleiungen flberhaupt
92
215
251
1
Dayon einmal
60 (65,2 o/o)
162 (75,4 0/0)
79 (31,50/,)
Wiederholt
32 (34,8 o/o)
53 (24,6 o/o)
172 (68,5 0/j)
» bei denielben Worten
32 (34,8 o/o)
45 (20,9 o/o)
82 (32,7 «/J
> bei yersohied. Worten
—
8 (3,7 o/o)
113 (46,0 0/0)
Verichiedene Verleiungen
71 (77,2 o/o)
180 (83,7 o/o)
m (54,2 0/J
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Ueber die Hessung der AufTassungsAhigkeit.
255
Die Zahlen dieser Tabelle stimmen mit unsern Erfahrungen bei
einsilbigen Wortem nur theilweise uberein. Auch hier sind die Unter-
schiede hindchtlich der einmaligen und wiederholten Verlesungen bei
den einzelnen Personen recht groB. I. hat gar keine, B. die starkste
Neigung zur Wiederholung der gleichen Verlesung; B. und S. zeigen
ein mittleres Yerbalten. Dagegen hat sich die Stellung von 0. und
A. geandert. Ersterer neigt hier erheblich weniger^ letzterer in sehr
viel hoherem Grade zu wiederholten Verlesungen, als fruher. Ob es
sich dabei um zufallige oder wesentliche Unterschiede im Ausfalle der
Versuche handelt, vermogen wir nicht zu entscheiden. Ein Vergleich
der Tabellen XIV und XXV macht es deutlich, dass bei A. aus-
scUieBlich die stehenden Wiederholungen zugenommen haben, wahrend
die Abnahme bei O. sich wesentlich auf die zerstreuten Wieder-
holungen bezieht. Diese letztere Thatsache, die sich iibrigens in mehr
oder weniger ausgepragter Form bei sammtlichen Versuchspersonen
wiederfindet, ist vielleicht darauf zuruckzufuhren, dass die Unterschiede
zwischen zweisilbigen Wortem naturgemaB viel mannigfaltigere sind,
als zwischen einsilbigen; zudem ist die Zahl jener Worter eine un-
gleich groBere. Es wird daher hier die Versuchung weit femer liegen,
bei den durch eine Reihe von Kennzeichen unterschiedenen Eindrttcken
haufiger dieselben Verlesungen vorzubringen. Die Neigung zu stehenden
Wiederholungen nahm bei S., B. und A. zu, bei R. und 0. ein wenig
ab. Die Bedingungen dafur scheinen demnach ziemlich gunstig ge-
wesen zu sein, ganz besonders bei A. Die Zahl der verschiedenen
Verlesungen bei den einzelnen Personen liefert uns dieselbe Reihen-
folge wie diejenige der einmaligen Pehlen
Um uns auch hier ein Urtheil iiber die Buchstabenahnlichkeit
der stehenden und zerstreuten Wiederholungen mit den Reizwortem
zu bilden, stellen wir wieder zusammen, wie sich die Zahl der Buch'-
stabenverlesungen im Procentverhaltnisse bei beiden Arten von Ver-
lesungen durchschnittlich gestaltete.
Tabelle XXVI.
Yerlesen wurden Buchstsben, %
1
2
3
4
5
6
':,»
SteheDde VerlesuDgen
36,0
35,5
13,7
12,7
1,1
1,0
—
-
Zentreute VerleBungen
7,1
15,0
22,8
22,8
....
12,6
4,7
3,2
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256
Ladwig €roD iind Emil fCraepelitt.
Das Ergebniss entspricht ganz dem bei einsilbigen Wortem
erbaltenen. Die Zahl der verlesenen Buchstaben ist Uberall sehr er-
heblich groBer bei den zerstreuten, als bei den stehenden Verlesungen.
Die inhaltliche Beziehung zwischen Verlesung und Reizwort ist dem-
nach bier eine weit innigere, als dort. Beriicksichtigen wir, dass nnr
etwa drei Viertel der Reizworter mehr als 6 Bucbstaben batten^ dass
aber bei mehr als ein FUnftel der zerstreuten Verlesungen 6 oder
mehr Buchstaben falsch erkannt wurden, so wird es klar, dass bier
vielfaoh von einem wirklichen Zusammenhange der Verlesung mit dem
dargebotenen Eindrucke gar nicht mehr die Rede sein konnte; viel-
mehr wirkte der letztere nur als AnstoB zur Auslosung einer durch
andere Ursachen vorbereiteten Sprachbewegung. Lassen wir die sehr
zahlreichen Verlesungen von B. unberticksichtigty so bilden die ein-
fachen Buchstabenfehler bei den stehenden Verlesungen 48,8, bei den
zerstreuten 2b fi^ aller Buchstabenfehler. Die Abweichung Yon den
in der Tabelle mitgetheilten Zahlen ist demnach nur eine gradweise.
Die Zahigkeit der einzelnen Wiederholungen ergiebt sich aus
Tabelle XXVU.
Tabelle XXVH.
Wiederholte
Verlesungen
2mal
3mal
4mal
5mal
6mal
7mal
8mal
9mal
lOmal
llmal
bei denselben W6rtem
0.
3
.
—
—
—
—
—
—
A.
5
1
1
1
1
1
—
—
—
—
8.
7
3
—
—
—
—
—
1
—
—
R.
10
3
2
1
1
—
—
—
—
—
B.
25
«
2
—
1
—
—
—
—
—
bei yerschiedenen W6rtern 1
0.
1
—
—
—
—
—
—
—
—
—
A.
3
—
—
—
__
—
—
—
—
—
8.
—
—
—
—
—
—
""
—
—
R.
4
_—
—
—
—
—
1 __
„ —
B.
36
5
2
—
1
—
—
—
—
1
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Oeber die Messung der AafTasauDgsflibigkeit. 257
In dieser Tabelle bitt vor allem wieder die auBerordentliche
Neigung B.'s ztun Kleben an denselben Fehlem und noch mehr zum
Vorbringen derselben Verjesungen bei verschiedenen Reizwortern fer-
vor. Das Wort Festung kehrte bei 6 verschiedenen Reizwortern 12mal
wieder, die Lesiing Mordthat sogar 15mal bei den Reizwortern Mad-
chen, Marmor, Modell, Ponunem, Product, Nothruf, Verzug, Mantel,
Monarch, Rs^uflust, Mandat. Offenbar hat sich das auf der Zunge
liegende Wort ohne jede Beziehung. zum Sinnesreize eingestellt.
Dasselbe kam Ubrigens auch bei einfachen Verlesungen ofters vor.
Beispiele dafur sind die Verlesungen Landchen — Bildung, Zeugniss
— Heilbronn, Product — Stephan, Abstieg — Schrift, Schraube —
Grefilhrt, Miihlbach — Forster. Bei alien anderen Personen kamen
die zerstreuten Wiederholungen nirgends ofter als zweimal vor. Da-
gegen war vielfach ein zaheres Haften der stehenden Wiederholungen
b^nerkbar. Wie wir jetzt sehen, war die starke Zunahme der Wieder-
holungen bei A. wesentlich dadurch bedingt, dass einzelne Fehler
aoBerordentlich fest hafteten und sich unter den 9 Lesungen bis zu
7mal in gleicher Weise wiederholten. Nach Ausweis der Listen
waren es ganz geringfiigige Verlesungen, die von ihm nicht verbessert
wurden, Rundgang statt Rundung, Pflanzer statt Pflanze, Spenden
statt Spender, Schimmel statt Schimmer. Es ist also wohl die Nei-
gung zu fluchtigem und ungenauem Lesen gewesen, die ihn sich bei
der ersten falschen, aber sinnvollen Lesung beruhigen lieB, zumal
seine Auffassung stark durch Vorstellungen bestimmt wurde. R. und
S. haben ihr Verhalten nicht wesentlich geandert; auch sie zeigen
eine gewisse Neigung zum Kleben an denselben Fehlem, wahrend O.
dieselben fast immer rasch wieder verbessert, entsprechend den hier
fur ihn besonders gunstigen Auffassungsbedingungen.
Welche Bedeutung bei diesen Versuchen der Anregung bestimmter
Vorstellungen durch den Lesestoff zukam, ist aus der folgenden Ta-
belle zu ersehen.
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258
Ludwig Cron und Emit Krwpelin.
Tabelle XXVDI.
Rcizwortern
entsprachen
Verleiungen
aberhaupt
Einmalige
Verlesungen
Wiederholte
VerlesuDgen
0.
11 (26,8 o/o)
9 (27,3 o/o)
2 (25,0 o/o)
I.
3 (100,0 o/o)
3 (100,0 o/o)
—
A.
16 (16,8 o/o)
10 (18,2 o/o)
6 (15,00|o)
s.
10 (10,9 o/o)
6 (10,0 o/o)
4 (12,5 o/o)
R.
36 (16,7 o/o)
23 (14,2 o/o)
13 (24,6 o/o)
B.
88 (36,1 o/o)
32 (40,6 o/o)
56 (32,6 o/o)
Diese Zahlen zeigen uns sogleich, dass die Beeinflussimg der
Wahrnehmung durch den Lesestoff hier durcbgangig weit geringer
ist, als bei den einsilbigen Wortem. Es scbeint, als ob die langeren
Worter weniger leicbt baften und darum weniger Macbt gewinnen.
Darin diirfte ein wesentlicber Grand ftir die Abnabme der zerstreuten
Wiederbolungen liegen, die bei Trommel A in naber Beziebung zu
dem langeren Haften der Beizworter zu steben scbienen. Nament-
licb auf das Verbalten von 0. fallt dadurcb ein neues Licbt. Zu
einem Yergleicbe im einzelnen sind die Zablen meist zu klein und
dadurcb zu sebr von Zufalligkeiten abbangig; dennocb lasst sicb
erkennen, dass bier gerade wie friiber (abgeseben von Lj B. und 0.
am starksten beeinflusst erscbeinen. Zwiscben den Ubrigen Personen
besteben, ebenfalls wie friiber, keine nennenswertben Unterscbiede,
docb ist der Grad der Beeinflussung ein recbt geringer. Der Unter-
scbied in der Wirkung der Beizworter auf einmaUge und mebrfacbe
Verlesungen ist sebr geringfUgig und scbwankend; nur bei R. scbeint
die Anregung einer Vorstellung durcb das Lesen ibre baufigere
Wiederkebr beim Verlesen begUnstigt zu baben. Bei den iibngen
Personen ist der Einfluss des Lesestoffes auf die wiederbolten Febler
im G^gentbeil meist geringer als auf die einmaligen. Der Grand
dafur liegt, wie bei den Versucben von S. mit einsilbigen Wortern,
offenbar in dem Umstande, dass bier die zerstreuten Wiederbolungen
Uberbaupt seltener werden. Die stebenden Wiederbolungen aber sind
von wesentUcb anderen Ursacben abbangig, als von dem Einflusse
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Ueber die Messung der AufTassuDgsflLbigkeit.
259
der Beizworter. Hochstens bei B. hatte man demnack eiiie nabere
Beadehung zwischen Lesestoff und wiederliolten Verlesungen erwarten
sollen, doch stammten bei ihm gerade einige der Verlesungen, die
ungemein haufig bei verschiedenen Wortem wiederkehrten, nicht aus
den Beizwortem.
Eine Erganzung finden diese Erfahrungen in den zeitlichen Be-
ziehungen der Verlesungen zu den Beizwortem, mit denen sie uber-
einstimmten.
Tabelle XXIX.
Das beeinflusiende
Reizwort kam
vorher
nachher
kurz vorher
unmittelbar
vorher
0.
6
4
—
—
I.
—
—
1
—
A.
7
6
—
8.
5
3
1
~
R.
19
8
2
1
B.
1
30
18
5
Auch bier wird es deutlich, dass der Enfluss der Beizworter
nur ein sehr geringer gewesen ist. Da jede Trommel dreimal hinter-
einander am gleichen Tage gelesen wurde, so ist naturlicb aucb ein
Einfluss der in der Liste folgenden Beizworter auf eine Verlesung
nicht ganz ausgeschlossen, als Erinnerung von der vorigen Lesung.
Immerhin ist diese Beziehung docb eine ziemlicb lockere, und wir
haben jedenfalls das Hauptgewicbt auf die bei jeder Lesung vorauf-
gegangenen Beizworter zu legen. Danach miissten wir die starkste
Beeinflussung bei B. und B. annehmen, wahrend bei 0. die Beziehung
weniger deutlich ist. Diese Ergebnisse stimmen nicht ganz mit unseren
Erfahrungen bei einsilbigen Wortem, wenigstens in Bezug auf 0. und
B., doch sind die Zahlen selbst zu klein, um irgend zuverlassigere
Anhaltspunkte zu gewahren. Auch in der weit groBeren Seltenheit
naherer zeitlicher Polge zeigt sich iibrigens die geringere Bedeutung,
die den Beizwortem bier fUr die Gestaltung der Verlesungen zu-
kommt Zu demselbeu Schlusse fUhrt endlich die Feststellung, bei
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260
Ludwig €ron tind Emit Kraepelin.
wie vielen Versuchspersonen iiberhaupt Reizworter in Verlesungen
wiederkehrten. Ganz ohne Beziehung zn den Verlesungen bliel)en
70,5^ der Eeizworter; von einer Person vorgebracht wurden 22,7^,
von zweien bfi^y von dreien l,8j^. Die zweisflbigen Worter spielten
demnach in dem Vorstellungsschatze unserer Versuchspersonen nicht
im entfemtesten die BoUe wie die einsilbigen.
V. Uebnng, Oew5hnang, Oed&chtniss.
Um uns einen Einblick in das Verhalten der Uebung bei unseren
Versuchspersonen zu verschaffen, werden wir zu prUfen haben, wie
sich die Zahl der richtigen, der falschen Lesungen und der Aus-
lassungen an den einzelnen Versuchstagen gestaltet hat. Um nicht
zu viel Zahlen zu bringen, diirfen wir uns wohl gestatten, die bei
verschiedener Spaltweite gewonnenen Werthe zusammenzuziehen, was
fur die hier bertihrte Frage zulassig erscheint. Die folgende Tabelle
giebt einen Ueberblick iiber die procentische Vertheilung der rich-
tigen Lesungen, Fehler und Auslassungen an den einzelnen Tagen;
in Klammem ist Uberall die beobachtete Zahl der richtigen Lesungen
hinzugefUgt.
Tabelle XXX.
0.
r f
a
I.
- 1
/
a
r
/
a
Trommel A
1- Tag
(540) 64,3
14,2
21,5
(839) 99,9 0,1
—
(779) 92,7
7,2
0.1
2. Tag
3. Tag
(819) 97,5
1,5
1,0
(839) 99,9 0,1
(837) 99,7 0,2
0,1
(813) 96,8
2,5
0,7
(835) 99,4
0,5
0,1
(823) 98,0
1,8
0,2
Trommel B
«Tag
(763) 90,8
3,1
64
(838) 99,8 0,1
0,1
(775) 92,3
(793) 94,4
6,4
2,9
1,3
2,7
2. Tag
(821) 97,7
1,2
1,1
(839) 99,9 0,1
3. Tag
(831) 98,9
0,5
0,6
(840)100,0 —
—
(814) 96,9
I,»
>,5
11,7
Trommel C
(793) 97,9 1,0
1,1
26,8
1. Tag
2. Tag
(627) 77,4
10,9
(551) 68,0
6,2
(692) 85,4
7,2
7,4
(792) 97,8 1,7
0,5
(684) 84,5
13,7
1.8
3. Tag
(738) 91,1
1
5,6
3,3
(804) 99,3 0,7
—
(687) 84,8
12,1
3,1
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Ueber die Messung der AuflassuDgsfkhigkeit.
261
S
R.
B.
r
/
a
r f
a
r
/
a
Trommel A
1. Tag
(778) 92,6
6,0
1,4
(769) 91,5 8,2
0,3
(286) 34,0
26,0
40,0
2. Tag
(814) 96,9
2,7
0,4
(784) 93,3 6,2
0,5
(371) 44,2
22,2
33,6
3. Tag
(829) 98,7
1,2
0,1
(743) 88,4 9,2
2,4
(327) 38,9
21,0
40,1
Trommel B
1. Tag
(736) 87,6
6,7
5,7
(692) 82,4 10,2
7,4
(249) 29,6
19,0
51,4
2. Tag
(806) 95,9
3,0
1,1
(718) 85,5 7,6
6,9
(344) 40,9
18,0
41,1
3. Tag
(821) 97,7
1,1
1,2
(676) 80,5 7,6
11,9
(200) 23,8
13,2
63,0
Trommel C |
1. Tag
(720) 88,9
9,7
1,4
(627) 77,4 13,8
8,8
(109) 13,5
46,0
40,5
2. Tag
(733) 90,5
7,9
1,6
(546) 67,4 11,1
21,5
(180) 22,2
56,7
21,1
3. Tag
(757) 93,5
5,3
1,2
(463) 57,2 18,2
24,6
(24) 22,0
35,2
61,8
Wir ersehen aus dieser Zusammenstellung, dass in der Kegel
von Tag zu Tag eine Zunahme der richtigen Lesungen stattgefunden
hat Bel 0., A. und S. lasst sich diese Erscheinung ausnahmslos
nachweisen, bei I. nur einmal; doch sind bei ihm, der sich an der
oberen Grenze des Schwellengebietes befindet, die uberhaupt mog-
lichen Schwankungen zu geringfugig, um ein XJrtheil iiber die XJebungs-
wirkung zuzulassen. R. und B. zeigen das Anwachsen der Auf-
fassungsfahigkeit mit einer Ausnahme wenigstens vom ersten zum
zweiten Tage; am dritten findet sich wieder eine Verschlechterung.
Yon Wichtigkeit ist der Umstand, dass mit genngfUgigen Ausnahmen
die Besserung vom ersten zum zweiten Tage viel bedeutender ist, als
vom zweiten zum dritten. Man konnte zur Erklarung etwa an die
verschiedene Lange der Zwischenzeiten zwischen den einzehien Ver-
suchstagen denken. In der That folgten bei O., A., S., B. die ersten
beiden Yersuchstage unmittelbar aufeinander, wahrend zwischen zwei-
tem und drittem bei S. ein Tag, bei O. und A. zwei und bei B. drei
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262 Liidwlg Groii und bmii Kraepeiiii.
Tage lagen. Es lasst sich naturlich nicht ausschlieBen , dass der
Uebungsverlust in der langeren Zwischenzeit hier eine gewisse Rolle
gespielt bat. Dass dieser Umstand aber nicht mafigebend gewesen
ist, wird schon durch die auBerordentliche GroBe der Unterschiede
nahe gelegt. Zudem zeigt auch gerade S. bei Trommel C ein ab-
weichendes Verhalten. Bei I. und R. lagen zwischen erstem und
zweitem Versuche 6 bezw. 12 Tage, wahrend der zweite und dritte
Versuch nur durch einen, bezw. zwei Tage von einander getrennt
waren. Trotzdem finden wir bei R. auch vom ersten zum zweiten Ver-
suche zweimal ein Anwachsen der richtigen Lesungen, vom zweiten zum
dritten stets ein Sinken, wahrend I. gar keine bestimmten Beziehungen
zwischen Auff assungsleistung und Lange der Zwischenzeit erkennen lasst
Das hier beobachtete Verhalten ist uns aber aus anderen
psychologischen Versuchen wohlbekannt. Es ist eine ganz ge-
wohnliche Erscheinung, dass der Fortschritt in der Leistung vom
ersten zum zweiten Tage namentlich bei ganz neuen Versuchen ein
unverhaltnissmaBig groBer ist. Man pflegt meist anzunehmen, dass
dieses Verhalten dem Gauge der Uebung entspreche, die eben zu-
nachst sehr rasch und dann weit langsamer zunehme. Angesichts
der zum Theil ganz ungemein groBen Unterschiede zwischen den ein-
zelnen Tagen scheint uns diese Auffassung etwas gezwungen. Wir
wissen aus den Erfahrungen Uber den weiteren Verlauf des XJebungs-
fortschrittes, dass die GroBe desselben sich nur langsam und allmahlich
andert; es ware daher sehr auffallend, wenn gerade vom ersten zum
zweiten Versuchstage immer ein so erheblicher Sprung im XJebungs-
grade eintreten sollte. Viel naher hegt es, hier an eine andere weit
rascher wirkende Ursache zu denken, die Gewohnung, deren Ein-
fluss wir auch bei der Ausfiihrung derartiger Versuche deutlich an
uns selbst wahmehmen konnen. Wahrend die Uebung auf der Er-
leichterung psychischer Vorgange durch die Wiederholung beruht,
bedeutet die Gewohnung die Hemmung aller Ubrigen storenden Vor-
gange. Wir iiben uns auf ein Verfahren ein, indem wir durch hau-
fige Wiederholung eine bleibende Spur desselben in unserem Innem
schaffen, die den kiinftigen Ablauf des gleichen Vorganges fortschrei-
tend erleichtert. Die Uebung hat daher sehr weite Grenzen und
kann immer noch weitere kleine Fortschritte erzielen, besonders
deswegen, weil ein Theil derselben in den Arbeitspausen immer wieder
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Ueber die Messung der Anffassangsfiilhigkeit. 263
verloren geht Wir gewohnen uns dagegen an eine Versuchsanordnung,
wenn wir es lemen, alle storenden Nebenvorstellungen und Ge-
fuhle, wie sie aus den besonderen Bedingungen oder Unbequem-
lichkeiten der Arbeit hervorgehen, zu hemmen, unbeachtet zu lassen
und unsere ganze Aufmerksamkeit ausschlieBlich der gestellten Auf-
gabe zuzuwenden. Sind die Bedingungen, unter denen wir arbeiten
miissen, sehr schwierige, so kann auch die Gewohnung langere Zeit
in Anspruch nehmen oder nie eintreten; die Thatigkeit kann uns
sogar immer unertraglicher werden. Es liegt indessen auf der Hand,
dass wir zumeist das Erreichbare hier weit schneller erreichen werden,
als bei der Uebung. Das haben auch in biindiger Form die Versuche
mit Ablenkung gezeigt, wie sie von zahbreichen Personen im Laufe
der letzten Jahre bei uns angestellt wurden. Haben wir uns einmal
in die Bedingungen eines Versuches hineingefunden, was je nach der
personlichen Eigenart rascher oder langsamer geschieht, so ist im
Gegensatze zur Uebung ein erheblicher Fortschritt durch die Ge-
wohnung nicht mehr zu erzielen; hochstens konnte noch an einen
theilweisen Ausgleich von Dispositionsschwankungen durch sie gedacht
werden. Aus den vorgetragenen Griinden ist es uns wahrscheinlich,
dass der uberall bei psychologischen Versuchen beobachtete unver-
haltnissnuLBig starke Fortschritt der Leistung im Anfange nicht auf
Rechnung der Uebung, sondem zum groBten Theile auf diejenige der
G^wohnung zu setzen ist, deren Wirkung erfahrungsgemaB weit rascher
ihre Hohe erreicht.
WoUten wir uns ein Urtheil iiber die GroBe der Gewohnungs-
fahigkeit bei den einzehien Personen bilden, so konnten wir daran
denken, den verhaltnissmaBigen Fortschritt der Auffassungsleistung
vom ersten zum zweiten Tage mit einander zu vergleichen. Unter
diesem Gesichtspunkte wiirden B. und O. das gunstigste Ergebniss
liefem, R. und I. das schlechteste, wahrend A. und S. in der Mitte
standen. Allein dieser Schluss ist sehr gewagt. Wenn wir auch
davon absehen wollten, dass R. und I. wegen der Lange der Zwischen-
zeit nicht mit den anderen Personen zu vergleichen sind, so ware
doch darauf hinzuweisen, dass ein einzelner Yersuchstag immer zu
sehr von zufalligen Umstanden abhangig ist und daher nicht als
sichere Grundlage fur weitere Folgerungen dienen kann. Noch wich-
tiger ist wohl, dass die Besserung der Leistung bei einer Arbeit im
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264 Ladwig GroD and Emit KraepeliD.
Schwellengebiete naturlich um so geringfugiger ausfallt, je mehr wir
uns der oberen Grenze nahem. Die gleiche Erleichterung der Auf-
fassungsbedingungen wird daher bei B. eine weit starkere Zunahme
der richtigen Lesungen erzielen, ab bei denjenigen Personen, die
ohnedies schon fast alle Worter richtig auffassen. Vergleichbar waren
auch aus diesem Grunde abo nur diejenigen Personen, die am ersten
Tage wenigstens annahemd die gleichen Leistungen aufwiesen. Unter
diesem Gesichtspunkte kann man wohl sagen, dass in den vorliegen-
den Versuchen O. eine groBere Gewohnungsfahigkeit gezeigt hat, als
A. und S. Ob das nur fiir diese Versuchstage gilt oder auf den
allgemeinen personlichen Eigenschaften beruht, muss dahingestellt
bleiben.
Gt^nz denselben Schwierigkeiten begegnen wir bei dem Versuche,
uns iiber die Uebungsfahigkeit der einzelnen Personen Rechen-
schaft zu geben. Ein Bild davon konnte uns hochstens die Zunahme
der richtigen Lesungen vom zweiten zum dritten Tage liefem. Dabei
wurden wir zu dem Schlusse kommen, dass O. die groBte, R. und
B. die geringste Uebungsfahigkeit aufzuweisen batten, wahrend A.
und S. wieder eine mittlere Stellung einnehmen. Die starke Ab-
nahme der richtigen Lesungen bei R. und B: statt der erwarteten
Zunahme kann natiirlich nur davon herrlihren, dass am letzten Ver-
suchstage die Disposition besonders ungUnstig war und so der
Uebungszuwachs mehr als ausgeglichen wurde. Aber auch das wird
im allgemeinen am leichtesten geschehen, je geringer der Uebungs-
einfluss ist und je mehr sich die Leistung der unteren Grenze des
Schwellengebietes nahert. Unter Beriicksichtigung dieses letzteren
Umstandes und der Zwischenzeit zwischen zweitem und drittem Tage
smd einigermaBen vergleichbar nur O., A. und R. Bei letzterem war
allerdings die Pause zwischen den beiden ersten Versuchen eine lan-
gere, ein Umstand, der vielleicht auch fiir die Gestaltung der Leistung
am dritten Tage nicht ganz bedeutungslos geblieben ist. Anderer-
seits lag bei S. zwischen zweitem und drittem Versuche nur ein Tag;
man muss das Ergebniss bei ihm also im Vergleiche als etwas zu
gUnstig betrachten. Unter Beriicksichtigung dieser Verhaltnisse wiirden
wir hochstens so viel aus den Zahlen folgem konnen, dass in den
vorUegenden Versuchen A. und S. ungefilhr die gleiche, O. eine
etwas groBere Uebungsfahigkeit ffezeigt hat, wahrend R. wahrscheinlich
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Ueber die Messong d^r AaffMSHogsflUiigkeit. 265
erheblich weniger iibungsfahig ist I. und B. mussen wir wegen
ilirer weit abweichenden Leistungen auBer Spiel lassen. Ob aber
auch die iibrigen Vergleiche allgemeinere Gtiltigkeit haben oder wesent-
lich zufallige Befunde darstellen, vermogen wir nicht zu entscheiden.
Der Antheil richtiger Lesungen am Yersuchsergebnisse nimmt
bei O., A. und S. ganz regelmaBig von Tag zu Tag zu. Bei I. be-
wegen sich die unbedeutenden Schwankungen so nahe der oberen
Grenze, dass sie kein Urtheil mehr zuiassen. B. zeigt wenigstens
vom ersten zum zweiten Tage iiberall ein Ansteigen der richtigen
Lesungen, am dritten ein Sinken; bei R. lasst sich dieses Sinken in
den Versuchen mit Trommel C schon am zweiten Tage nachweisen.
Das Yerhaltniss zwischen Fehlem und Auslassungen gestaltet sich
sehr verschieden. Einander ahnlich verhalten sich A. und S. Beide
haben im Beginne der Versuche wenig Auslassungen und weit mehr
Fehler, namentlich A. Die Zunahme der richtigen Lesungen erfolgt
hiOT wesentlich auf Kosten der Fehler, wahrend die Auslassungen
dabei gar nicht oder doch viel weniger abnehmen. Beide Personen
haben also, wie auch schon fruher festgestellt, die Neigung, undent-
lich erfasste Eindriicke dennoch zu lesen, wenn auch fehlerhaft. Die
Uebung bewirkt bei ihnen eine grSBere SchSrfe und damit Brichtig-
keit der Auffassung, ohne die Zahl der uberhaupt gelesenen Worter
wesentlich zu beeinflussen. Ganz anders verhalt sich O. Bei ihm
aberwiegen von Anfang an die Auslassungen; schlecht erfasste Ein-
driicke ist er nicht im Stande oder nicht geneigt, wiederzugeben. Die
groBere Sicherheit der Auffassung mit fortschreitender Uebung be-
wirkt bei ihm zwar auch eine erhebliche Abnahme der falschen
Lesungen, aber die Verminderung der Auslassungen tritt doch noch
starker in den Vordergrund. R. nahert sich in der verhaltnissmaBig
geringen Zahl seiner Auslassungen etwas den beiden erstgenannten
Personen. Die anfangliche Besserung seiner Leistung erfolgt dem
ehtsprechend auch hauptsachlich durch Abnahme der Fehler. Die
"Verschlechterung bei Trommel C am zweiten Tage wurde umgekehrt
durch. Zunahme der Auslassimgen bewirkt, wahrscheinlich deshalb,
weil derKranke bei der ihm wenig angenehmen Aufgabe des Lesens
sinnlolier Silben einfach nicht mehr gut auimerkte. Aehnlich ist auch
wdU. die Verschlechterung der Leistung am dritten Tage zu deuten;
hier nahmen iiberall die Auslassungen stark zu, bei Trommel A und
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266
Ladwig Cron and Bmll Knepelio.
C allerdings auch die Fehler. B., der meist mehr Auslassungen, als
Fehler beging, zeigte mit Besserung der Leistung eine starkere Ab-
nahme jener ersteren, bei Trommel C sogar neben gleichzoitiger Zu-
nahme der Fehler. Ebenso war auch die Verschlechterung am dritten
Tage wieder durch Anwachsen der Auslassungen bedingt, w&hrend
die Verlesungen im Gegentheil zurUckgingen. Im groBen und ganzen
scheint demnach die Uebung bald die Fehler, bald die Auslassungen
starker zu vermindem, je nachdem die ersteren oder die letzteren
beim Lesen die groBere BoUe spielen.
Im Hinblicke auf frUhere Ausfuhrungen erscheint es nun viel-
leicht zweckmUBig, auch der besonderen G^staltung des Auffassunga-
vorganges an den einzelnen Yersuchstagen noch genauer zu folgen,
so weit das unsere Zahlen gestatten. Bei der geringen Zahl gleich-
artiger Versuche wird es dabei allerdings nothig sein, auf die Unter-
scheidung zwischen den verschiedenen Spaltweiten zu verzichten.
Femer wird es sich vielfach empfehlen, von der Betrachtung der
Trommel C, bei der die Art der Fehler nur unvoUkommen aufge-
zeichnet werden konnte, abzusehen und dann die Ergebnisse an den
beiden andem Trommeln zusammenzufassen. Endlich werden wir
hier I. mit seiner geringen Zahl von Fehlem ganz auBer Acht lassen
mttssen.
Fragen wir zunachst nach der Zahl der verlesenen Buchstaben
in jedem falsch aufgefassten Worte, so erhalten wir folgende Ueber-
sicht, in welcher das Procentverhaltniss der einfachen Verlesungen
zu alien Verlesungen ttberhaupt bei Trommel A und B darge-
stellt ist.
Tabelle XXXI.
0.
A.
8.
R.
B.
1. Tag
35,»
45,2
60,0
32,2
15,7
2. Tag
43,6
55,1
46,9
40,0
24,8
3. Tag
75,0
71,4
57,2
35,5
13,4
Der Gang dieser Zahlen ist kein einheitlicher. Bei 0. und A.
nehmen die einfachen Fehler vom ersten zum dritten Tage verhftlt-
nissmaBig zu, die mehrfachen also ab. Das wiirde eine Verbesserung
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Ueber die Messung der AufTassoogsfahigkeit. 267
der Leistung bedeuten, welche die Zunahme der richtigen Lesungen
begleitet, nur noch scharfer ausgepragt erscheint, als jene. Die Ver-
mindenrng der mehrfachen Fehler ist ja auch wohl die Vorstufe zuih
ganzlichen Verschwinden der falschen Lesungen. Fiir S. trifft das
jedoch nicht zu. Mit der fortschreitenden Vermehrung der richtigen
Lesungen nimmt bei ihm das Verhaltniss der mehrfachen Fehler am
zweiten Tage zu und ubertrifft auch am dritten noch dasjenige des
ersten. Die deutliche Verbesserung der Gesammtleistung beruht also
bei ihm nicht oder doch nicht wesentlich auf einer scharferen Auf-
fassimg der Einzelheiten, als deren Ausdruck wir doch wohl die
Abnahme der mehrfachen Fehler anzusehen haben. Das Verhalten
von R, anfslngliche Abnahme, dann wieder Zunahme der mehrfachen
Verlesimgen, wiirde ungefahr dem Gauge seiner Gesammtleistung
entsprechen, ebenso dasjenige von B. Auch bei ihnen diirfen wir
also annehmen, dass im ganzen die Besserung der Auffassung nicht
nur eine Zunahme der richtigen Lesimgen, sondem auch eine Ver-
minderung der im einzelnen Worte verlesenen Buchstaben bewirkt
und umgekehrt. Wir wollen hinzufugen, dass die Betrachtung der
Verlesungen fiir beide Trommeln allein zu denselben Ergebnissen
fiihrt. Die Versuche mit Trommel C stimmen fiir R und S. eben-
falls mit den gegebenen Zahlen iiberein. Bei S. zeigt das Verhalt-
niss der mehrfachen Verlesungen dort am zweiten Tage eine Abnahme,
am dritten eine bedeutende Zunahme. Eine feste Beziehimg zwischen
richtigen Lesungen und Zahl der verlesenen Buchstaben schien dem-
nach auch dort nicht zu bestehen.
Die Ordnung der verlesenen Buchstaben entsprach an den ein-
zelnen Tagen im ganzen unserer friiheren Darstellung; nur dort, wo
die Zahlen sehr klein waren, verwischte sich der geschilderte Auf-
fassungsrhythmus. Namentlich bei den zweisilbigen Wortem lieB
sich die Gliederung der Buchstabenreihe durch die Auffassung auch
in den Einzelreihen fast iiberall noch klar erkennen. Um aber noch
einen anderen Standpunkt zu gewinnen, haben wir bei Trommel A
die Verlesungen der ersten zwei, bei Trommel B diejenigen der ersten
vier Buchstaben in Procentsatzen aller iiberhaupt verlesenen Buch-
staben ausgedrlickt.
Kraepelin, PsyebolofT' Arbeiten. II. 18
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268
Ludwig Cron und Emil Kracpelin.
Tabelle XXXII.
11
0.
A.
S.
R.
B.
Trommel A
B
A B
A B
A
B
A B
1. Tag || 39,2
63,1
39,0 55,8
51,9 45,4
57,6 46,3
37,2
43,4
37,5 43,8
2* Tag
' 36,8
55,8
33,3 44,6
34,8
51,2
37,7 49,2
3. Tag
50,0
100
47,6 33,3
72,7 23,1
39,2
54,6
37,5 48,9
Durch die Theilung nach Trommeln sind die G-rundzahlen leider
zum Theil sehr klein; insbesondere verdienen die Angaben ftir den
dritten Tag bei O. kein Vertrauen, da den Procentsatzen Zahlen
unter 10 zu Grunde lagen. Immerhin lasst sich vielleicht erkennen,
dass bei O. und A. am zweiten Tage die eraten Buchstaben der Reiz-
worter verfialtnissmaBig etwas besser gelesen wurden. Da der An-
fangsbuchstabe iiberall die Aufmerksamkeit besonders auf sich zog,
wUrde es verstandlich sein, wenn er von der Besserung der Auf-
fassung zunachst am meisten begiinstigt wUrde. R. scheint bei den
kurzen Wortem am zweiten Tage ebenfalls die ersten Buchstaben
ein wenig zu bevorzugen, wahrend die Verbesserung bei den l&ngeren
mehr den spateren Stellen zu gute kommt. Die Abnahme der rich-
tigen Lesungen am dritten Tage geht bei ihm wieder mit etwas
mangelhafterer Erkennung der Anfangsbuchstaben einher. Bei Trom-
mel C findet sich an diesem Tage sogar eine starke Vemachlassigung
der Anfangsbuchstaben. Von O. besitzen wir nur die Aufzeichnungen
seiner Verlesungen bei Trommel C an den ersten beiden Tagen; er
bevorzugt am zweiten Tage hier, wo seine Aufmerksamkeit nicht durch
den Anfangsbuchstaben angezogen wird, entschieden den letzten Buch-
staben. S. liest bei den sinnlosen Silben fortschreitend den mittleren
Buchstaben besser, wahrend der erste immer mehr vemachlassigt wird.
Diese letztere Erscheinung zeigt or auch bei den einsilbigen Wortem,
entsprechend seiner frliher erorterten Neigung, iiberhaupt die Mitte
kurzerer Worter ins Auge zu fassen. Bei den langen Wortem
bessert sich wenigstens am dritten Tage die Auffassung des Anfangs
bedeutend mehr, als die des Schlusses. B. endlieh lasst nur bei
Trommel B eine Aenderung der Auffassungsrichtung vennuthen. Es
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Oeber die Messong der AufTassungsfliliigkeit.
269
scheint, dass die Besserung der Leistung bei ihm vorzugsweise den
allerdings meist uberaus schlecht aufgefassten Schluss der zwei-
silbigen Worter betrifft.
Ueber die Zahl der sinnlosen Verlesungen an den einzebien
Tagen, auch in ihren Procentbeziehungen zur Zahl der Verlesungen
uberhaupt, giebt die folgende Tabelle Aufschluss.
Tabelle
■ xxxm.
Sinnlo'se
Verles.
0.
A.
s.
B.
B.
1. T«g
10 (6,90/0)
33 (28,9 0/0)
37 (34,90/0)
46 (29,7 0/0)
67 (17,80/,)
2. Tag
1 (4,4 0/0)
8 (17,8 o/,J
11 (22,90/0)
31 (26,7 0/0)
61 (18,0 0/0)
3. Tag
—
3 (10,70/0)
4 (21 ,00/0)
40 (28,4 0/0)
36 (12,50/0)
Zumeist wird demnach die Besserung der Auffassung von einer
Abnahme der unsinnigen Verlesungen an sich und im Verhaltnisse zu
alien Verlesungen begleitet; sie schwinden noch etwas schneller, als
die XJnsicherheit der Auffassung. Die unsinnigen Verlesungen sind
daher wenigstens bei O., A. und S. gewissermaBen als eine Vorstufe
der sinnvoUen aufzufassen, die allmahlich an ihre Stelle riickten. Wie
es scheint, machte sich bei diesen Personen im Laufe der Versuchs-
tage mehr und mehr das Bestreben geltend, auch dort, wo noch nicht
zuverlassig erkannt wurde, nur solche Verlesungen vorzubringen, die
der Aufgabe wenigstens ungefahr entsprachen. Dem gegeniiber sind
die Vemnderungen im Verhaltnisse der sinnlosen Verlesungen bei R.
und B. auffallend gering. Namentlich bei R. scheint die Neigung,
unzweifelhaft falsche Lesungen einigermaBen sinnvoU zu gestalten,
wahrend der Versuchszeit durchaus nicht zugenommen zu haben.
Einen wesentlichen Einfluss der wachsenden Uebung werden wir hin-
sichtlich der Haufigkeit der wiederholten Verlesungen erwarten diirfen.
Nach unseren friiheren Erorterungen werden wir dabei zu unter-
scheiden haben zwischen stehenden und zerstreuten Wiederholungen,
femer zwischen gleichen Wiederholungen an demselben und an ver-
schiedenen Tagen. In der folgenden Tabelle ist zusammengestellt,
wie oft bei Trommel A und B stehende Wiederholungen an dem-
selben und an vorschiedenen Tagen wiederkehrten.
18*
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270
laimn Croo und Emil Kraepeliu.
TabcUe XXXIV.
0.
A.
S.
R.
B.
An demselben Tage
1. Tag
17
2
16
9
20
11
13
35
2. Tag
31
32
3. Tag
—
5
4
19
41
An verechiedenen Tagen
2. Tag
6
10
12
26
58
3. Tag
8
16
12
44
68
Hier zeigt sich zunachst, class bei O., A. und S. von Tag zu Tag
die Neigung abnimmt, stehende Verlesungen am gleichen Tage zu
wiederholen. Vergleichen wir jedoch verschiedene Tage, so stellt sich
zu unserer Ueberraschung heraus, dass dann von einer Abnahme der-
selben Fehler keine Rede mehr ist, sondem eher eine Zunahme statt-
findet, besonders bei A. Dass es sich hier nicht um eine Zufallig-
keit handelt, wird durch das ebenfalls starke Anwachsen der gleichen
Verlesungen an verschiedenen Tagen bei R. und B. dargethan. Im
Laufe der Versuchszeit werden also dieselben Fehler seltener an dem-
selben, haufiger an auf einander folgenden Tagen. Die Losung
dieses Widerspruches diirfte darin liegen, dass die Versuchspersonen
vielfach zu unterscheiden wissen, ob sie richtig oder falsch gelesen
haben, auch wenn sie nicht im Stande sind, den begangenen Fehler
zu verbessem. 1st daher von den drei Lesungen eines Tages etwa
die erste falsch gewesen und als solche empfunden worden, so wird
sie nicht leicht in derselben Form wiederholt werden, um so weniger,
je mehr die Verbesserung durch den Fortschritt der Auffassungs-
fahigkeit erleichtert ist. Andererseits aber diirfen wir annehmen,
dass hier ein Theil der Auffassungserleichterung gar nicht als Uebung
im weiteren, sondem als Gedachtniss im engeren Sinne betrachtet
werden muss. Nicht nur die Fahigkeit, uberhaupt vorbeieilende
Woi*ter aufzufassen, wird geiibt, sondem es pragen sich auch mehr
und mehr die bestimmten Worter auf der gegebenen Trommel ein.
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Ueber die Messiing der Auffassungsfahigkeit. 271
Sogar die Reihenfolge derselben liaftet schlieBlich, namentlich wenn
rich zwischen den einzelnen Wortern unvorhergesehene associative
Verbindungen knilpfen, wie bei Franz — Hals, Pracht — Werk und
ahnliche. Das Lesen kann sich demnach theilweise in ein Aufsagen
umwandeln, so dass bei sehr hanfigen Wiederholungen des gleichen
Stoffes die Vorstellnngsreihen sich mehr und mehr von den darge-
botenen Sinneseindrticken loslosen. Die ersten Ansatze zu einer der-
artigen Losung der Auffassungsaufgabe durch das Gedachtniss waren
dem eigenen Empfinden nach bei einzelnen Beobachtem schon vorhanden.
An dem Vorgange der gedachtnissmaBigen Einpragung nehmen
aber nicht nnr die richtigen, sondem auch die falschen Lesungen
theil; je ofter sie wiederholt werden, desto mehr befestigen sie
sich, und desto schwidriger wird fiir die Versuchsperson das Er^
kennen und Vermeiden des Fehlers. Wir miissen dabei nur anneh-
men, dass jenes Gefuhl der XJnsicherheit, welches falsche Lesungen
vielfach begleitet, von einem Versuchstage zum andem rascher ver-
blasst, als das verlesene Wort selber, dass wir also an einem spateren
Tage zunachst wenigstens nicht mehr so rasch und sicher zwischen
den Erinnerungsbildem falscher und richtiger Lesungen zu unter-
scheiden vermogen wie bei unmittelbar auf einander folgenden Ver-
suchen. Das entspricht auch der Erfahrung. Im Laufe der Arbeit
konnen bei jedem Reizworte eine ganze Reihe von verschi^denen Ver-
lesungen vorkommen. Tmmerhin aber sind es gewisse Fehler, die
besonders nahe liegen und daher ofters wiederkehren, nicht nur bei
derselben, sondem auch bei verschiedenen Personen. Je groBer die
Zahl voraufgegangener Lesungen ist, desto groBer auch die Wahrschein-
lichkeit, dass dieselbe Verlesung schon einmal stattgefunden hat. Mit
jedem folgenden Tage wird demnach die Aussicht geringer, dass noch
neue Verlesungen auftreten, einmal weil die Zahl derselben durch die
gegebenen sinnlichen Anhaltspunkte einigermaBen begrenzt wird, dann
aber, weil eben auch die falschen Lesungen sich allmaldich befestigen
imd mit Vorliebe wiederkehren, wenn keine richtige Auffassung statt-
gefunden hat. Bei sehr haufiger Anstellung derselben Versuche
werden also schlieBlich alle Verlesungen, die Uberhaupt noch vor-
kommen, Wiederholungen sein. • Wenn trotzdem die Zunahme der
Wiederholungen an verschiedenen Tagen bei den ersten drei Ver-
suchspersonen eine verhaltnissmaBig geringe ist, so erklart sich das
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272
Ludwig Gron und Cmil Kraepelin.
aiis der gleichzeitigen Abnahme der Verlesungen iiberhaupt. B. und
besonders R., bei denen die Verlesungen wenig oder gar nicht ab-
nehmen, zeigen daher jene Erscheinung deutlicher. Dabei lassen
allerdings die Verlesungen an demselben Tage keine entschiedene Ab-
nahme erkennen. Wenn unsere oben versuchte Deutung richtig ist,
wUrden wir daraus auf eine geringere Fahigkeit schlieBen dUrfen,
zwischen richtigen und falschen Lesungen zu unterscheiden. Es ist
vielleicht niitzlich, darauf hinzuweisen, dass diese beiden Personen
durchschnittlich uberall die groBte Zahl von Verlesungen aufzuweisen
batten.
Bei der Betrachtung der bei verschiedenen Wortem wieder-
kehrenden Verlesungen werden wir ebenfalls die Wiederholung an
demselben und an verschiedenen Tagen auseinander halten miissen.
Tabelle XXXV.
0.
A.
S.
R.
B.
An demielben Tage
1. Tag
46
8
6
8
130
2. Tag
—
4
—
6
96
3. Tag
—
—
-
8
86
An
verschiedenen Tagen
2. Tag
6
4
2
4 92
3. Tag
—
—
10
,«
Das Ergebniss entspricht ungefahr dem soeben erorterten. Die
Neigung zu zerstreuten Wiederholungen nimmt von Tag zu Tag ab,
wohl aus ahnlichem Grunde wie die stehenden Wiederholungen. Wenn
eine Verlesung schon einmal dagewesen ist, so scheint die Versuchs-
person mit wachsender Uebung sich vor einer Wiederholung bei
einem anderen Worte zu scheuen ; sie weiB ja auch sicher, dass nur
eine der Lesungen richtig sein kann. Auf diese Weise entsteht das
Bestreben, jede Lesung, nchtige oder falsche, nur mit einem einzigen,
bestimmten Eindrucke in Verbindung zu bringen. Selbst O.^ der am
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Ueber die Mesflung der AufrassuogsfUhigkeit.
273
ersten Tage^gewisse Verlesungen immer wieder vorbrachte, wusste
sehr bald die Wiederholung der gleichen Lesungen ganz zu vermei-
den. Dafur hatte er auch an jedem Tage in der Erinnerung an die
gerade gelieferten Lesungen einen bestimmten Anhalt. So kam es,
dass die zerstreuten Wiederholungen auch an aufeinander folgenden
Tagen meist rasch verschwanden, im Gegensatze zu dem Verbal ten
der stehenden Wiederholungen. Eine Ausnahme machen nur die
beiden Personen R. und B. Bei ihnen verlieren sich die zerstreuten
Wiederholungen schon am gleichen Tage nur sehr langsam oder gar
nicht; an verschiedenen Tagen finden wir sogar geradezu eine Zu-
nahme. Auch dieser Befund spricht dafiir, dass beide Personen von
dem RUstzeug, das ihnen fiir die allmahliche Beseitigung der Fehler
zu Grebote stand, nur sehr unvoUkommenen Gebrauch machten oder
machen konnten. Sie bemiihten sich nicht oder ohne rechten Erf olg,
die bei verschiedenen Wortem wiederkehrenden und demnach zweifel-
los falschen Lesungen zu beseitigen, sondem brachten sie immer
wieder vor. Ln Laufe der Versuchstage mussten sich unter diesen
Umstanden die genannten Fehler aus denselben Griinden hauf en, die
wir friiher kennen gelemt haben.
Machen wir endlich noch den Versuch, uns uber die Beein-
flussung der Verlesungen durch Reizworter an den einzelnen Tagen
Kechenschaft zu geben, so erhalten wir folgende Tabelle.
Tabelle XXXVI.
Durch Reizv.
beeinfluut
0.
A.
S. ' R. B.
1. Tag
81 (55,9 O/o)
39 (34,2 o/o)
15 (33,3 o/o)
30 (28,3 o/o) ; 35 (22,6 o/o) 'l38 (36,6 o/o) j
2. Tag
11 (47,8 o/o;
13 (27,1 o/o)
39 (33,6 o/o)
121 (35,8 o/o)
3. Tag
4 (50,0 o/o)
6 (21,4 o/o)
5 (26,3 o/o) 35 (24,8 o/o)
126 (43,90/0)
Wir treffen hier denselben Gegensatz zwischen den ersten drei
und den letzten beiden Personen wieder wie bei der Betrachtung der
Wiederholungen. Bei O., A. und S. nimmt die Zahl der Reizwortem
gleichlautenden Verlesungen von Tag zu Tag ab, wahrend sie bei R.
und B. nur unregelmaBige Schwankungen oder gar eine Zunahme
erkennen ISlsst. Allein bei genauerer Priifung zeigt sich, dass dieser
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274 Ludwig CroD end Emil KriepeliB.
Unterschied wesentlich mit der verschiedenen Haufigkeit der Ver^-
lesungen iiberhaupt in Beziehung steht. Driicken wir die Zahl der
mit Reizwortem tibereinstimmenden Verlesungen in Procenten der
iiberhaupt beobachteten Fehler aus, wie das oben in Elammem ge-
schehen ist, so sehen wir, dass erhebliche Aenderungen in der Wir-
kung der Reizworter nicht zu verzeichnen sind; hochstens konnte
man bei A. und vielleicht auch bei S. an eine geringe Abnahme jenes
Einflusses wihrend der letzten beiden Tage glauben. In der Haupt-
sache bleibt das Verhaltniss der durch Reizworter beeinflussten Ver-
lesungen gleicfa, soweit sich das aus den freilich vielfach sehr geringen
Versuchszahlen schlieBen lasst.
VI. Ermttdnng, AnregUBg, Antrieb.
Die Wirkung der Ermtidung auf die Auffassung ist in unseren
Versuchen nur sehr unvoUkommen festzustellen, weil die Arbeit eines
Tages nicht gleichartig war, sondem unter stets wechsebiden Be-
dingungen stattfand. Wir sind nicht im Stande, die Auffassungs-
leistung bei Trommel C mit derjem'gen bei Trommel A und ebenso
wenig das Lesen bei verschiedener Spaltweite unter diesem Q^sichts-
punkte zu vergleichen. Es ist daher sehr wohl moglich, dass ein
Theil der Unterschiede im Ausfalle der Versuche mit verschiedenen
Trommeln durch Ermudungseinilusse bedingt war; nur eine Umkehr
der ganzen Versuchsanordnung konnte dariiber Klarheit bringen.
Unserer Betrachtung zuganglich sind nur diejenigen Zeichen von Er-
mtidung, die sich etwa im Verlaufe der einzelnen Versuchsreihe gel-
tend gemacht haben; wir konnen zur Prtifung derselben die Leistung
je in der ersten imd in der zweiten Halfte einer Trommellesung mit
einander vergleichen. Dabei wird es moglich sein, die verschiedenen
Versuchstage und ebenso die verschiedenen Spaltweiten zusammen-
zufassen. Wir geben zunachst eine der Tab. XXX entsprechende Auf-
stellung, in der fiir die erste und letzte Halfte jeder Versuchsreihe
neben den Durchschnittszahlen der richtigen Lesungen das procen-
tische Verhaltniss zwischen jenen letzteren, falschen Lesungen und Aus-
lassungen wiedergegeben ist.
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Uebcr die MeBmng der Auffiusnngil&higkeit.
Tabelle XXXVH.
275
0.
I.
A.
r
/
a
/
a
r
/
a
Trommel A 1.
(372) 89,5
4,9
5,6
(418) 99,7 0,2
0,1
(406) 96,6
3,3
0,1
2.
(351) 84,6
5,9
1,3
9,5
(419) 99,7 0,3
—
(399) 94,3
3,4
2,3
Trommel^ 1.
(402) 96,2
2,5
(419) 99,9 0,1
—
(396) 94,3
3,4
2,3
2.
(396) 95,5
1,8
2,7
(418) 09,8 0,1
0,1
(398) 94,8
3,8
1,4
Trommel CI.
(354) 87,4
7,1
5,5
(396) 97,7 1,4
0,9
(315) 77,8
18,0
4,2
> 2.
(333) 82,3
8,2
9,7
(401) 99,0 0,9
0,1
(326) 80,4
16,5
3,1
S
(401) 95,6
3,7
0,7
R.
B.
Trommels 1.
(381) 91,7 7,6
0,7
(163) 38,9
22,5
38,6
2.
(403) 96,4
3,0
0,6
(375) 90,6 8,1
1,3
(165) 39,2
23,6
37,2
Trommel^ 1.
(392) 93,5
4,0
2,5
(339) 80,8 8,0
11,2
(128) 30,5
17,4
62,1
2.
(394) 94,1
3,1
2,8
(355) 85,6 8,0
6,4
20,0
(136) 32,5
16,0
51,5
Trommel C 1.
(365) 90,2
8,0
1,8
(265) 65,4 14,6
(39) 9,6
47,8
42,6
2.
(371) 91,7
7,3
1,0
(281) 69,3 14,2
16,5
(65) 16,1
44,1
39,8
Diese Uebersicht lehrt iins, dass eine regelmaBige Veranderung
der Auff assungsleistung in einer bestimmten Richtung von der ersten
zm zweiten Halfte einer Versuchsreihe durchschnittlich nicht statt-
gefunden hat. Zumeist hat allerdings die Zahl der richtigen Lesungen
etwas zugenommen , eine Erfahrung, die bei der knrzen Dauer eines
Versuches wohl wesentlich auf Rechnung der Anregung zu setzen
ist Jedenfalls erscheinen die UebimgseinflUsse schwerlich stark genug,
um diesen raschen Fortschritt zu erklaren, znmal wir die Besserung
auch bei solchen Personen, nnd zwar vomehmUch, fin den, die nur
sehr geringe Uebungswirkungen dargeboten haben. Dagegen wissen
wir, dass der erleichtemde Einfluss der Anregung auf den Ablauf
geistiger Arbeit nach etwa 10 — 15 Minuten allmahUch seine Hohe
erreicht, wahrend die Lesung einer Trommel nur 6 Minuten in
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276 Lodwig Gron and Cmil Knepelin.
Anspruch nahm. Es ist daher vielleicht nicht ganz zufallig, dass zwei
Personen, A, und R., gerade bei der Trommel A, die den Anfang
jeder Versuchsgruppe bildete, keine Zunahme, sondem ein Sinken der
richtigen Lesungen darbieten; man konnte daran denken, dass hier
die Wirkung der Anregung noch nicht so weit entwickelt war, um
anderen, entgegengesetzten Einflussen die Wage zu halten. Als der-
artigen Einfluss kennen wir, abgesehen von allerhand Zufalligkeiten,
namentlich die Ermudung. Man wird freilich zweifelhaft sein, ob
in der kurzen Zeit einer halben Versuchsreihe schon eine nennens-
werthe Ermudung eintreten konne. Thatsachlich zeigen ja auch un-
sere Zahlen nur an einzehien Punkten derartige Andeutungen. Wir
mlissen uns aber vergegenwartigen, dass bei der Lesung jeder Trom-
mel die Aufmerksamkeit ohne Pause auf das auBerste angespannt
war. Femer konnten bei dem scharfen Betrachten der vorbeieilenden
Buchstaben wohl auch in dem Auge selbst Ermiidungserscheinungen
auftreten, und endlich nahmen die ganzen Reihen eines Tages mit
den kurzen Pausen doch Uber eine Stunde Zeit in Anspruch. Wir
wurden uns demnach wohl auch nicht wundem diirfen, wenn wir an
diesem oder jenem Pimkte auf die mehr oder weniger deutlichen
Zeichen einer Ermudung stoBen wiirden, obgleich die ganze An-
ordnung der Versuche fur den Nachweis derselben sehr wenig ge-
eignet war.
Die einzige Person, die uberall von der ersten zur zweiten
Versuchshalfte erne nicht unbetrachtliche Abnahme der richtigen
Lesungen zeigt, ist O. Es scheint demnach, dass bei ihm allein der
Einfluss der Ermudung stark genug war, um denjenigen der Uebun^
und Anregung zu uberwinden. Da wir ihn frliher als sehr ubungs-
fahig kennen gelemt haben, wUrde aus jenem Verhalten folgen, dass
O. entweder sehr ermudbar oder sehr wenig anregbar ist. Wenn
eine geringe Anregbarkeit allein den Ausfall der Versuche bestimmt
hatte, so wurden wir vielleicht bei Trommel A das starkste, bei
Trommel C das geringste Ueberwiegen der Ermudung erwartet haben.
Andererseits ist von Hoch imd Kraepelin darauf hingewiesen
worden *), dass auch sonst groBe Uebungsf ahigkeit mit groBer Ermiid-
barkeit Hand in Hand zu gehen pflegt.
1/ Diesc Arbeiten. I. S. 452, 486.
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Ueber die Messuog der AufTassungsfabigkeit.
277
Die Vertheilung der Fehler iind Auslassungen lasst kaum
bestimmte GesetzmaBigkeiten erkennen. Meist allerdings verandem
aie sich im gleichen Sinne; beider Antheil nimmt mit der Verbesse-
mng oder Verschlechterung der Auffassung ab oder zu. O. ist dem-
nach der einzige, der in der zweiten Halite seiner Versuche regel-
maBig mehr Fehler und mehr Auslassungen zu verzeichnen hat, als
in der ersten. Veranderung beider GroBen in entgegengesetztem
Sinne ist so selten (B. bei Trommel A, A. und S. bei Trommel B),
dass sie wohl als Zufalligkeit angesehen werden muss.
Um iiber die Zahl der in den einzelnen Versuchshalften , ohne
Trommel C, verlesenen Buchstaben ein Urtheil zu gewinnen, haben
wir ¥rieder die Verlesungen der ersten Buchstaben in Procenten der
uberhaupt verlesenen Buchstaben ausgedriickt.
Tabelle XXXVIH.
0.
A.
S.
48,4
R.
B.
Erite Versuchshftlfte
38,2
46,2
34,3
22,7
Zweite Verguchahftlfte
36,6
56,3
64,6
36,7
18,7
Die mehrfachen Verlesungen haben demnach bei O. und B. ver-
haltnissmaBig zugenommen, bei A., S. und R. dagegen abgenommen.
Bei den Erstgenannten ware im Laufe der einzelnen Versuchsreihe
gegen Schluss eine Verschlechterung, bei Letzteren eine gewisse Bes-
serung der Auffassung eingetreten. Im einzelnen sind die Ergeb-
nisse allerdings ziemlich schwankend, so dass jene Zahlen nur als
grobe Durchschnitte angesehen werden durfen.
Die Ordnung der verlesenen Buchstaben lasst, soweit die Klein-
heit der Zahlen ein Urtheil gestattet, im groBen und ganzen wahrend
der beiden Versuchsabschnitte dieselbe GUederung erkennen; jeden-
falls sind die Unterschiede nicht groB und nicht regelmaBig genug,
um den Schluss auf bestimmte Aenderungen zuzulassen. Stellen wir
wieder die Fehler der ersten beiden Buchstaben bei Trommel A, der
ersten vier bei Trommel B in Procenten aller Verlesungen dar, so
erhalten wir folgende Werthe.
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278
Ludwig GroD und Bmil Kraepelin.
Tabelle XXXTX.
0.
A.
S
B
R.
B.
A B
A B
A
A B
A B
1.
38,9 69,2
41,2 49,5
52,9
44,2
34,7 48,8
35,8 47,4
2.
41,6 59,3
37,4 51,9
58,5
40,5
39,9 48,8
39,0 47,0
Demnach wurden gegen Ende der Reihe meist die ersten Bucli-
staben der einsilbigen Worter etwas schlechter gelesen, als die letzten ;
nur A. macht eine Ausnahme. Da wir frtiher gefunden haben, dass
eine allgemeine Besserung oder Verschlechtenmg der Auffassung mit
einer Beglinstigung oder Vemachlassigung namentlich der ersten Buch-
staben einherzugehen pflegt, so ist es nicht unwahrscheinlich , dass
wir in jener kleinen Aenderung der Auffassungsrichtung hier ein
Ermudungszeichen vor uns haben. Man konnte daran denken, dass
gegen Ende der Reihe die Vorbereitung der Aufmerksamkeit auf das
kommende Wort weniger glatt stattfindet und dadurch der Anfang
desselben schlechter aufgefasst werde. In der That war die Fehler-
zahl bei den Anfangsbuchstaben gegen Schluss der Reihe fUr die
genannten vier Beobachter nicht nur im Verhaltnisse, sondem auch
an sich groBer, als im Beginne. Bei den zweisilbigen Wortem blieb
das Verhaltniss der Verlesungen fur R. und B. unverandert. A, las
gegen Ende der Reihe die letzten Buchstaben etwas besser, doch ist
der Unterschied bei ihm ein sehr geringer. 0. und S. endlich lasen
zum Schluss die letzten Buchstaben verhaltnissmaBig schlechter als
am Anfange.
Die Zahl der sinnlosen Verlesungen in den beiden Abschnitten
der Versuchsreihen geben wir in der folgenden Tabelle ; in Klammem
ist das Procentverhaltniss zu den Uberhaupt vorgekommenen Ver-
lesungen beigefUgt
Tabelle XL.
0.
A.
8.
B.
B.
75 (13,3 0/J
1.
4(5,lo/o)
17 (20,0 O/o)
34 (36,0 O/o)
55 (27,90/,)
2.
1
{ 7(7,20/ol
27 (26,5 0/,)
J8 (23,4 o/o)
62 (30,2 0/,)
89 (17,80/,)
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Ueber die Messuag der AuffassungsfEbigkeit.
279
Bei den meisten Versuchspersonen nimmt also die Zahl und das
Verhaltniss sinnloser Verlesungen gegen Ende der Reihe deutlich zu,
wahrend wir friiher mit der Besserung der Leistung durch die Uebung
eine Abnahme feststellen konnten. Es liegt daher sehr nahe, hier
an eine Ermiidungswirkung zu denken. In dieser Veranderung wurde
sich die beginnende Ermiidung unter ttmstanden bereits kundgeben,
bevor noch irgend eine Herabsetzung der richtigen Lesungen bemerk-
bar geworden ist. Das wird uns nicbt Wunder nehmen, wenn wir
bedenken, dass im Laufe des Versuches der Ermiidung eine ganze
Reihe anderer Einflusse entgegenarbeiten, die recht wohl im Stande
sind, einen Theil ihrer Wirkungen wieder auszugleichen, wenigstens
fiir eine gewisse Zeit. Eine Ausnahme macht hier S., der am Schlusse
der Reihe weniger sinnlose Verlesungen liefert, als am Anfang. Auch
R hat iibrigens bei den einsilbigen Wortem ein kleines Uebergewicht
der sinnlosen Verlesungen fiir die erste Halfte der Reihe zu ver-
zeichnen, wahrend die librigen Personen auch bei getrennter Betrach-
tung der Reihen iibereinstimmende Ergebnisse aufweisen.
Die Untersuchung der wiederholten Verlesungen wird sich hier
auf die stehenden Wiederholungen zu beschranken haben, da die
Verlesungen bei verschiedenen Wortem in beide Versuchshalften hin-
iibergreifen und somit eine Trennung nicht gestatten. Auch so
iibrigens ergeben sich keine sicheren Anhaltspunkte fiir eine Ermii-
dungswirkung. Die Zahl der stehenden "Wiederholungen sowohl an
demselben wie an verschiedenen Tagen zeigt, wie die folgende Tabelle
darthut, ein sehr wechselndes Verhalten.
Tabelle XLI.
An demselben Tage
An verschiedenen Tagen
0.
A.
S.
R.
B.
0.
A. S.
R.
B.
1.
2.
9
13
23
28
60
4
18
16 32
76
10
16
13
23
42
10
14
8
40
58
Bei B. und S. nehmen die Wiederholungen am Ende der Reihe
zu, bei O. ab, bei A. an demselben Tage zu, an verschiedenen Tagen
ab, bei R. gerade umgekehrt. Irgend eine bestimmte Beziehung zur
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280
Ladwig Gron nnd Eroil Kraepelin.
Ermiidung scheint demnach hier nicht zu bestehen; zudem sind meist
auch die Zahlen zu klein, um eine weitere Yerwerthung zu gestatten.
Ganz ahnlich steht es mit der Beinflussung durch Reizworter.
Tabelle XLII.
Durch Reisw. q
beeinflueet ||
A.
S.
R.
B.
1. ,1 49 (62,0 o/o)
26 (30,6 o/o)
22 (22,7 o/o)
54 (30,8 o/o)
199 (35,4 o/o)
2. 147 (48,5 o/o)
34 (33,3 o/o)
26 (33,8 o/o)
55 (26,8 o/o)
186 (37,3 o/o)
Diese Zahlen zeigen so geringe und unregelmUBige Schwankungen,
dass ein nennenswerther Einfluss der Ermiidung auf die Beeinflussung
der Verlesungen durch Reizworter nicht erkannt werden kann. Auch
die Procentbeziehung auf die Gesammtzahl der Verlesungen liefert
kein verwerthbares Ergebniss. Freilich ist dabei im Auge zu be-
halten, dass hohere Grade von Ermiidung hier wohl iiberhaupt nicht
erreicht wurden, jedenfalls aber bei der einfachen Q^geniiberstellung
der ersten und letzten Halften aller Versuchsreihen nicht zum Aus-
druck kommen konnten.
Die Ungleichartigkeit der an einem Tage auf einander folgenden
Versuchsreihen ist auch der Grund, warum es nicht moglich sein
wird, ein genaueres Bild von dem Verhalten der Anregung zu ge-
winnen. Wir haben zwar gesehen, dass bei den meisten Personen
die letzte Halfte der Versuchsreihen bessere Ergebnisse lieferte, als
die erste, und dass diese Steigerung wahrscheinlich nicht auf die
viel langsamer wirkende Uebung, sondem wohl auf die Anregung
zuriickzufiihren war. Dafur spricht namentlich auch das Auftreten
einzelner Ermiidungszeichen trotz wachsender Arbeitsleistung. Allein
eine zuverlassige Feststellung der GroBe und des zeitlichen Ablaufes
dieses Einflusses ware nur dann moglich, wenn die auBeren Versuchs-
bedingungen dauemd dieselben geblieben waren. Immerhin kann es
niitzlich sein, sich ein Urtheil iiber den allgemeinen Verlauf der
Lesearbeit wahrend der einzelnen Versuchsreihe zu^bilden. iWir
wollen zu diesem Zwecke jede Reihe in zehn Abschnitte zerlegen,
von denen demnach jeder bei den Wortern 28, bei den sinnlosen
Silben 27 Lesungen enthalt. Ilni dann die Zufalligkeiten besser
auszugleiclicn, fassen wir alio Versnche mit oinor Trommel zu einer
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Ueber die Messung der AaflassungsAhigkeit.
281
Gtesammtareihe zusammen. Das Verhalten der zehn Abschnitte der-
selben wird uns dann eine imgefahre Vorstellung von dem durch-
schnittlichen Gange der Arbeitsleistung geben. Wir beschranken uns
dabei auf die Betrachtung der richtigen Lesungen, wie sie in der
folgenden Tabelle aufgeftthrt sind.
Tabelle XLIEL
Abschnitt
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
214
0., Tr. A
224
216
216
224
235
219
207
207
207
» » B
245
246
236
235
243
244
241
232
235
237
» » C
196
221
219
209
204
210
216
199
178
183
A., Tr. A
244
244
243
239
245
238
244
235
242
239
» > -B
230
191
245
243
237
232
232
245
236
236
194
245
> » C
187
192
182
193
189
208
183
203
S., Tr. A
223
244
233
247
245
239
240
241
246
233
246
238
243
214
229
> > B
236
231
238
230
240
229
236
» > C
220
210
219
229
217
229
226
220
234
220
R., Tr. ^
232
231
227
225
225
218
222
232
217
» » B
196
195
161
211
205
209
217
216
217
198
» » C
173
163
151
146
181
149
182
162
163
B., Tr. A
84
98
94
109
105
87
11&
86
73
1103
115
y » B
72
67
103
60
82
71
82
80
88
> > C
33
18
16
29
21
28
23
53
! ^'^
45
Ein Ueberblick iiber diese Zahlenreihen ist nicht leicht. Stellt
man sie sich jedoch in Curven dar, so lasst sich erkennen, dass trote
aller Mannigfaltigkeit im einzelnen doch gewisse Grundziige mehr
oder weniger deutlich iiberall wiederkehren. Zunachst bemerkt man,
dass die hochste Leistung einer Durchschnittsreihe fast niemals
am Anfange oder am Ende derselben liegt. Eine Ansnahme in
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282 Ludwig GroB ond Emil Kraepelin.
ersterer Beziehang bildet allenfalls B., Trommel A^ wo aber die
gleiche Leistung spater noch eimnal erreicht wird; in letzterer Hin-
sicht weicht nur S., Trommel J?, von der allgemeinen Kegel ab. Be-
riicksichtigen wir uberall den Punkt, an welchem znm ersten Male
in der Reihe die Hochstleistung erreicht wird, so liegt derselbe nnr
Imal im ersten, 3mal i|n zweiten, je Imal femer im dritten, vierten
und sechsten, 2mal im fiinften und noch je 3mal im siebenten und
achten Abschnitte. In neun von den benutzten fiin&ehn Beihen fallt
demnach die Hohe in d|e Abschnitte 5 — S; es wiirden sogar 11 sein,
wenn wir statt der ersten die zweiten gleich hohen Leistungen berilck-
sichtigen und den Abschnitt 9 noch heranziehen wiirden. Daraus geht
soviel hervor, dass zumeist ein Hohepunkt der Leistung im dritten
und vierten Fiinftel der Beihen liegt, dass also bis dahin ein
Ansteigen der Leistung dtattfindet. Ln zweiten und ebenso im letzten
Fiinftel ist die Leistung durchschnittlich am niedrigsten, wahrend sich
im ersten ein zweiter Hohepunkt von etwas geringerer Bedeutung findet
Diese allgemeinen Ergebnisse stimmen mit unseren sonstigen
Erfahrungen iiber den Gang der Arbeitsleistung vollkommen iiber-
ein. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass bei fort-
laufender Thatigkeit die Leistung erst nach einer gewissen Zeit
ibre Hohe erreicht und dann wieder sinki Das anfangliche Steigen
diirfen wir wohl mit Recht auf die Einfliisse der Uebung, Ge-
wohnung und Anregung zuriickfUhren, w8.hrend das spHtere Sinken
durch die Ermiidung bewirkt wird. Meistens allerdings vollzieht
sich dieser Verlauf weit langsamer, als bier. Beim fortlaufenden
Addiren einstelliger Zahlen bemerken wir ein Sinken der Leistung
oft nicht vor dem Ende der ersten Stunde; erst dann also gewinnt
die Ermiidung die Oberhand iiber die der Arbeit giinstigen Einfliisse.
Man konnte wegen dieses Unterschiedes versucht sein, die angefiihrte
Erklarung fiir den Verlauf der Auffassungsthlltigkeit zunickzuweisen.
Allein einmal ist die allgemeine Uebereinstimmung des Ganges der
Leistung mit den Erfahrungen bei anderen fortlaufenden Arbeiten
eine augenf allige ; sodann aber kennen wir auch Arbeiten, bei denen
die Ermiidungserscheinungen bisweilen schon nach den ersten 10 bis
1 5 Minuten iiberwiegen, wie namentlich beim Lemen sinnloser Silben *).
1 Vgl. Oehrn, diese Arbeiten, I. S. 13C.
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Ueber die Mesftung 'd6r AuffaSsaag^GAigkelt. "283
Endlich aber bedteht sswischen der hier geforderten und den sonstigen
fortlaufenden Arbeiten ein wichtiger Unterschied, der es uns zur
genlige erklart, warum hier so viel rascher die Ermiidungszeicheii
sich geltend machen kSimen, als dort. Bei den iibrigen Arbeiten
nainlich h^ngt das ZeitmaB der Thatigkeit vollstahdig von der Yer-
suchs^rson selber ab. Sobald sich ein gewisses Ruhebedurfniss
gdtend macht, treten Schwankimgen in der Arbeitsgeschwindigkeit
und kleine Pausen ein, die der Person selbst kaum oder gar nicht
ziim Bewus^ein kommen, jedenfalls den allgemeilien Fortgang der
Arbeit nicht wesentlich storen, da sie immer wieder Gelegenheit zu
kurzem Ausruhen geben. Hier dagegen, wo die Eindriicke mit gleich-
maBiger Geschwindigkeit vor dem Auge vorbfiiziehen, muss sich jedes
Nachlassen der Aufcnerksamkeitsspannung dem Leser sofort dtirch
eine Verschlechterung der Auffassung, durch gehauftes Auslassen und
Verlesen bemerklich machen. In Folge dessen wird hier die uner-
bittlich fortschreitende Reihe von Eindriicken einen Zwang zu un-
aiisgesetzter hochster Anspannung der Aufmerksamkeit ausUben, wie
er nicht vorhanden ist, wo das ZeitmaB der Arbeit vollkommen dem
Arbeiter selbst iiberlassen bleibt. Wir werden es aus diesem Gnmde
erklarlich finden, wenn hier die ersten Ermiidungszeichen schon zu
einer Zeit auftreten, zu der wir sie sonst nur bei den allerschwie^
rigsten Arbeiten antreffen.
Diese Erwagungen machen es uns wahrscheiniich, dass in der
That das Sinken der Arbeitswerthe nach dem Hohepunkte der Leistung
ials ErmUdungszeichen aufzufassen ist. Aus unseren sonstigen Er-
fahrungen ist es klar, dass die Wirkungen der Ueburig und An-
regung zweifellos nicht etwa nun bereits aufhoren; andererseits sind
wir zu der Annahme berechtigt, dass die Ermiidung schon vom ersten
Beginne der Thatigkeit an auftritt und alhnahlich je nach der Schwie*
rigkeit der Arbeit und der Lslnge der Erholungspausen starker und
starker anwachst. Das Sinken der Arbeitsleistung bezeichnet also
einfach den Punkt, an welchem die Ermiidungswirkung st&rker
geworden ist, als die ihr entgegenarbeitenden Einfllisse. Wir kommen
demnach zu dem Schlusse, dass nicht nur bei alien unseren Ver-
suchspersonen Ermiidung eintrat, was selbstverstandlich ware, sondem
dass auch bei alien noch im Verlaufe der Arbeit die Ermiidung iiber
Uebung, Gewohnung und Anregung das Uebergewicht erlangte. Ware
Kraepelin, Psycbolog. Arbeiten. II. 19
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284 Ludwig Cron nnd Emil Kraepelin.
die Wirkung dieser letzteren Uberall gleich groB, so konnte man dem-
nach aus dem frliheren oder spateren Sinken der Leistung tmimttel-
bar SchlUsse auf die GroBe der Ermiidbarkeit bei den einzehien
Personen ziehen. Natiirlich bietet aber das Verhalten der genannten
EinflUsse nicht minder personliche Unterschiede dar, als die Ermiid-
barkeit, so dass jener Schluss hinfallig wird, wenn wir nicht noch
besondere Anhaltspunkte haben, um die GroBe jener Wirkungen vor-
her kennen zu lemen.
Dazu kommt aber noch ein anderer Umstand. Wir haben in
unseren Zahlenreihen nicht einen einzigen, sondem vielfach mehrere
Hohepunkte vor ims, von vollig oder nahezu gleicher Hohe, aber ganz
verschiedener Lage. AuBer den im dritten und vierten Ftinftel der
Reihen gelegenen fallen uns namentlich auch im ersten FUnftel
noch besonders hohe Werthe ins Auge, die mehrfach sogar die
hochsten der Reihe sind. Es ist von vomherein nnwahrscheinlich,
ilass die Senkung hinter diesen Werthen schon als Ermttdungszeichen
anzusehen sei, namentlich auch deshalb, weil nach ihr ivieder ein
regelmUBiges Ansteigen stattfindet, welches meist erst bis zur eigent^
lichen Hohe fUhrt Vielmehr werden wir kaum fehlgehen, wenn wir
diese hohen Anfangswerthe als den Ausdruck des Antriebs be-
trachten, der erhohten willkiirlichen Spannung, mit der wir an dne
neue Aufgabe heranzutreten pflegen, um die erste Tragheit zu iiber-
winden. Diese Erscheinung ist uns aus anderen Erfahrungen mit
fortlaufender Arbeit wie aus dem ttlglichen Leben voUkommen ge-
l^ufig \). Das stets sehr bald erfolgende Nachlassen des Antriebs fiihrt
zu einer Abnahme der Arbeitswerthe, die nichts mit der Ermtidung
zu thun hat. WoUen wir also im einzelnen Falle den Punkt be-
stimmen, an dem die Ermtidung selbst ein Sinken der Arbeitsleistung
€rzeugt, so diirf en wir nicht die durch den Antrieb bewirkten Hohe-
punkte, sondem erst die spater langsam erreichten Gipfel der Leistung
berlicksichligen, auch wenn jene ersteren vielleicht an sich hoher waren.
Allein damit sind die Schwierigkeiten einer Zergliederung der
Arbeitscurve noch nicht erschopft. Das Eingreifen einer willktir-
hchen Anstrengung in den durch eine Reihe von anderen Ursachea
gesetzmaBig beherrschten Ghtng der Arbeit kann natiirlich nicht nur am
1) Vgl. diese Arbeiten. I. S. 634.
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Ueber dje, Me^ung der AafTAMangsnihigkeit. 28^
AnfaAge, sondem zu jed^m beliebigen Zeitpunkte geschehen. Dadurch
konnen pl9tzliche Steigerungen und ebenso plotzliche Nachlasse in
derrLeistung- zu Stande kommen. Ein Theil der Schwankimgen,
denen: w stets bei der Betrachtung fprtlaufender Arbeitsleistungen
begegnen, beruht auf deiurtigen Antriebswirkungen, wahrend ein
anderer Theil allerdings wesentlich andere Ursachen hat, auf die hier
nicht eingegangen warden kann. Immerhin pflegen bei sehr gleich-
formiger Arbeit, wie sie zu Versuchszwecken gewahlt wird, jene An-
triebsschwankungen meist nur an bestinunten Stellen st&rker her?or-
zutreten, namlich eimns^ und am starksten im Beginne, dann etwas
schwacher am Schlusse einer Versuchsreihe und endlich bei deut-
licherem Auftreten des Ennudungsgeffihls. Dort ist es der Eifer,
mit dem wir an die Aufgabe herantreten, oder der Wunsch, noch zum
l^hlusse moglichst. gut abzuschneiden, der uns zu starkerer Willens-
anstrengung veranlasst, hier das Gefiihl der sinkenden Leistungsfahig-
keit, die wir in neuem Anlauf wieder auf ihre alte Hohe zu bringen
vtersuchen, freilich immer nur mit ganz voriibergehendem Erfolge. ,
Mustem wir unter diesem Gesichtspunkte unsere Zahlenreihen,
so ergiebt sich, dass thatsachlich auch im letzten FUnftel, meist so-
gar in dem allerletzten Werthe, noch einmal eine Steigerung der
Leistung eintritt, obgleich sich vorher schon deutlich das Ueber-
wiegen der Ermiidung angekiindigt hat. Die Erscheinung des Schluss-
antriebes ist ako unzweifelhaft vielfach zu verzeichnen. Schwieriger
ist es, Antriebsschwankungen innerhalb der Reihe aufzudecken. Als
Kennzeichen bleibt uns dabei nur die Plotzhchkeit im Auftreten und
Verschwinden auffallend hoher Werthe, wahrend die stetiger wirken-
den Ursachen natiirlich einen gleichmaBigeren Verlauf der Arbeits-
leistung bedingen. Freilich konnen solche unvermittelte Steigerungen
auch dadurch vorgetauscht werden, dass ihnen in Wirklichkeit Sto-
rungen voraufgingen und folgten, welche die Leistung auBergewohn-
lich stark herabdriickten ; meist wird aber auch dann der Hohepunkt
wenigstens dem ubrigen Veriaufe der Versuchsreihe sich einigermaBen
einordnen. Dennoch werden wir auf den Versuch, im Veriaufe
unserer Reihen die Antriebsschwankungen aufzufinden, verzichten
mUssen; nur ak Beispiel mochten wir den dritten Werth der Reihe
B., Trommel B anfuhren, dessen Sonderstellung uns die Deutung iij
dem besprochenen Sinne wahrscheinlich macht.
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286
Lndwig Cron and £aiil KnepeliD.
Ueber die Haufigkeit des Antriebs am Anfang und am Schlusse
bei den einzelnen Personen konnen wir ein nngefahres UrtheU ge-
wimien, wemi wir untersuchen, wie oft einerseits der erste Werth
groBer war, als der zweite, andererseits der zehnte groBer, als
der neunte. Ganz zuverlassig ist diese Anfstellung deshalb nicht,
weil bei der Kurze der Abschnitte bisweilen der Antrieb seine voile
Hohe erst in dem zweiten Werthe erreicht und ebenso der Schluss-
antrieb schon mit dem neunten "Werthe beginnen kann, um in dem
zehnten bereits wieder etwas nachzulassen. Die Zahlen sind aus je
27 Einzelreihen fUr jede Versuchsperson gewonnen.
Tabelle XLIV.
0.
15
A.
10
S.
19
R.
B.
Antrieb im Beginne
(I. Werth grOOer als 2.)
17
15
18
Schlussantrieb
(10. Werth h5her, als 9.)
14
18
14
12
Wir sehen, dass im Beginne R. und S. am haufigsten, A, am
seltensten mit starkerer Willensanspannung arbeiteten, der allerdings
regelmaBig rasch ein NacUassen folgte. Gegen Ende aber waren es
A. und B., die sich gem noch zu einer letzten Kraftleistung auf-
rafften, wahrend R. hier meist erlahmte.
Auch Uber die GroBe des Antriebs bei den einzelnen Personen
konnen wir allenfalls gewisse Anhaltspunkte gewinnen. Um uns
dabei von Willkiirlichkeiten moglichst frei zu halten, haben wir in
der folgenden Tabelle einfach zusammengestellt, wie viel Reizworter
im ersten Abschnitte aller Reihen mehr erkannt wurden, als im
zweiten, und wie viel mehr im zehnten als im neunten.
Tabelle XLV.
UeberschuBs
_
0.
-28 (+14;
A.
8.
R.
B.
von 1 aber 2
1
-10 (+6)
+ 4 (-11)
+ 4 (+2)
+ 6 (-40)
» 10 * 9l
1
+ »
+ 14
-7 , -21
+ 18
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Ueber die Messnng der Auffassungsflhigkeit. 287
Der Antrieb ware danach im Beginne bei 0. und A. am
schwachsteii; bei B. am starksten gewesen. Im ganzen sind iibrigens
die Zahlen ungemein niedrig, wenn man bedenkt, dass dieselben noch
sammtlich durch 27 geiheilt werden mUssten, wemi man die GroBe
des durchschnittlichen Antriebes fur jede Eeihe ermitteln woUte.
Da die Zahl der B/eihen mit Antrieb auBer bei A. uberall etwas
iiberwiegt, ist demnach das Ansteigen in den Beihen ohne Antrieb,
namentlich- bei A. und 0. weit starker gewesen, als das haufigere,
aber geringfugige Sinken der Leistung vom ersten zum zweiten
Werthe. Dasselbe lehren die Durchschnittszahlen der Tab. XLIII.
Allein wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass die Wirkung
des Antriebes bei der Klirze der hier in Betracht kommenden Zeiten
vielfach nicht in einem einzigen Abschnitte der Beihe ablauft, son-
dem sich noch liber den nachsten erstrecken kann. "Wir wurden
daher falsche Zahlen erhalten, wenn wir nur die Leistung der ersten
beiden Abschnitte mit einander vergleichen woUten. Wo die Antriebs-
wirkung noch erheblich in den zweiten Abschnitt hiniibergreift oder
gar in ihm erst recht zur Geltung kommt, miissen die berechneten
Ueberschusse viel zu geringe und selbst negative Werthe fiir den
Antrieb ergeben.
Dazu kommt, dass unsere fruheren Erfahrungen die eigentr
liche Senkung nach dem ersten Hohepunkte der Arbeitsleistung
in den dritten und vierten Abschnitt verlegen. Wir haben daher
auch noch die Leistung im ersten und zweiten Abschnitte mit
derjenigen im dritten und vierten verglichen und den Ueberschuss
der beiden ersteren in Elammem neben die friiher erhaltenen Zahlen
gesetzt. Das Bild hat sich nunmehr vollig geandert. A. und 0.
zeigen das groBte Ueberwiegen, S. und namentlich B. dagegen ein
erhebliches Zurlickbleiben der Leistung im zweiten Versuchsfunftel
gegenilber dem ersten. Die Erklarung fiir dieses auffallende Ei*-
gebniss liegt in der verschiedenen Fliichtigkeit des An-
triebes bei den einzelnen Personen. Bei langerer Dauer desselben
tritt das Sinken der Leistung erst im dritten und vierten Abschnitte,
bei raschem Nachlassen desselben dagegen schon im zweiten hervor.
Unsere erstere Gruppirung wird daher dann den groBten Ueberschuss
zu Gunsten des ersten Abschnittes lief em, wenn der Antrieb rasch
geschwunden und die folgende Senkung schon im zweiten Abschnitte
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288 Lndwig Oron iind Emil Kraepelio.
sehr ausgesprochen ist. Halt sich hier die Leistung auf der Hobe
oder steigt sie gar noch, so fallen die positiven Werfhe sehr niedrig
aus oder die negativen Uberwiegen, wie bei 0. und A. In diesem
Falle aber erhalten wir weit hohere Zahlen, wenn wir nicht die
ersten Versuchsabschnitte, sondem die VersuchsfUnftel mit einander
vergleichen, da nunmehr das Uebergewicht des Antriebes gegeniiber
der folgenden Senkung klar zum Ausdruck kommt. Bei kurz an-
dauemdem Antriebe ist dagegen die Leistung im dritten und vierten
Abschnitte schon wieder angestiegen, oft iiber den ersten Hohepunkt
hinaus, so dass hier die Vergleichung der Fiinftel ein weit ungiinsti-
geres Ergebniss liefem muss. Wir kommen demnach zu dem Schlusse,
dass im Beginn der Yersuchsreihen bei S. und R am haufigsten An-
trieb stattfand, der aber eine geringe Hohe erreichte und bei S. auch
sehr fllichtig war. 0. und B. zeigten Antrieb iminer noch in mehr als
der Halfte der Falle, doch war er bei 0. von langer, bei B. von sehr
kurzer Dauer. A. lieB am selteiisten Antrieb erkennen, der jedoch
auch bei ihm ziemlich nachhaltig war.
Bei der Untersuchung des Schlussantriebes haben wir mit ahn-
lichen Schwierigkeiten zu kampfen wie hier, doch haben wir friiher
gesehen, dass ein Sinken der Leistung in der Kegel erst im neunten
Abschnitte erfolgt. Da der Hohepunkt durchschnittlich im siebenten
und achten Abschnitte liegt, werdeii wir hier nicht die beiden letzten
Fiinftel, sondem nur die beiden letzten Zehntel mit einander ver-
gleichen konnen, wie das in der Tabelle geschehen ist. Wir ersehen
daraus, dass B. und A. geneigt sind, am Ende der Beihe noch ein-
mal eine starkere Anstrengung zu machen, wahrend S. und beson-
ders B. sich nicht nur seltener dazu aufraffen, sondem auch offen-
bar einen weit geringeren Erfolg dabei erzielen. Diese Erfahrungen
stimmen mit den aus der Tab. XLIV gezogenen SchlUssen vollkom-
men uberein.
Li den verschiedenen Versuchsreihen gestalteten sich natUrhch
die Antriebsverhaltnisse recht verschieden, doch ist die Zahl der
gleichartigen Beihen zu klein, als dass es moglich ware, bestimmte
Beziehungen zwischen der Art der Versuchsbedingungen und dem
Verhalten des Antriebes aufzufinden. Nur eine Erfahrung sei hier
mitgetheilt, die immerhin einen gewissen Einbhck in diese Beziehungen
gestatten dUrfte. Es handelt sich imi den yerschiedenen Ansfall der
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Ueber die MessuDg A^t Auf^suugsf&liigkeit.
289
Versuche mit den drei Trommeln. Die folgende Uebersicht zeigt uns,
wie oft bei den einzelnen Trommeln die Leistung im ersten Ab-
schnitte iiber die des zweiten und die des zehnten iiber die des
neonten uberwog. Dabei sind alle fiinf Versuchspersonen zusammeh-
gefasst.
Tabelle XLVI.
Es dberwog
Trommel A
Trommel B
Trommel C
1 aber 2
26mal
25 mal
25 mal
10 aber 9
26mal
29mal
21 mal
Wie es scheint, ging man denmach an die gestellten Aufgaben
durchschnittlich mit gleicher Freudigkeit. Dagegen gestaltete sich
die Neigung zu willkiirlicher Anstrengung im Laufe des Versuchs-
tages etwas verschieden. Am Schlusse der Lesung zweisilbiger Worter,
die den Beobachtem am leichtesten erschien, ist der Antrieb am
haufigsten; am Schlusse der Versuche mit sinnlosen Silben, die nicht
nur am schwersten und langweiligsten waren, sondem auch den
Schluss'^jeder Versuchsgruppe bildeten, war in 45 Reihen nur noch
21 mal Antrieb nachweisbar. Die Deutung dieser Ergebnisse liegt
so nahe, dass wir in den angefuhrten Zahlen wohl mehr als den
Ausdruck einfacher Zufalligkeiten sehen diirfen.
Werfen wir zum Schlusse noch einmal einen Blick auf den 6e-
sammtverlauf der einzelnen Reihen, so wird es zweckmaBig sein,
festzustellen, in welchem VersuchsfUnftel bei den verschiedenen Per-
sonen jeweils der Hohepunkt der Auffassungsleistung lag.
Tabelle XLVD.
Die H6he der Leistung lag im
O.
A.
S.
10
R.
B.
1. FOnftel
17
14
6
6
2.
4
4
7
8
3
3. >
4
2
5
6
4
4.
2
*
3
3
7
5.
—
3
1
4
7
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290 Ludwig Gron mid Cmil Kraepelio.
Bei 0. und A. wurde demnach der Hohepunkt meist recht friiha
erreicht, zum Theil gewiss wegen des starken und langer dauernden
Antriebes; bei 0. spielt auBerdem auch seine groBere Ermtidbarkeit
eine Bolle, wie das ganzliche Ausbleiben der Hohepunkte gegen
Schluss der Reihe lehrt. Bei R. und besonders bei B. verschiebt sich
die Lage der hochsten Leistung immer mehr nach hinten. Man
konnte nach unseren friiheren Erorterungen geneigt sein, aus diesen
Zahlen auf eine sehr geringe Ermtidbarkeit von B. und B. 2u schlieBen,
da wir friihes Sinken der Arbeitsleistung als Zeichen st&rkerer Er-
mlidung kennen gelemt haben. Allein dieselbe Erscheinung kann
auch durch geringe Uebungsfahigkeit oder Anregbarkeit bedingt sein.
Bei R. haben wir in der That eine sehr geringe Uebungsfahigkeit
gefunden, welche das spatere Erreichen des Hohepunktes einiger-
maBen erklarhch machen wurde. B. besaB zwar eine erhebhch
groBere Uebungsfahigkeit, doch wurde bei ihm das Ergebniss nament-
lich gegeniiber A. und 0. durch die Fluchtigkeit des Antriebes im
Beginn sowie durch die Haufigkeit und Ausgiebigkeit des Schluss-
antriebes verschoben.
AuBerdem aber haben wir noch einen andem Umstand zu be-
achten. WoUen wir uns in die GroBe der Anregungswirkung bei
unseren Versuchen einen Einblick verschafEen, so konnen wir in den
einzehien Reihen den niedrigsten Anfangswerth mit der hochsten je-
weik erreichten Leistung vergleichen; der Unterschied wird uns lehren,
wie weit sich unter dem Einflusse der Anregung, den wir allerdings
von demjenigen der Uebung und der Gewolmung hier nicht trennen
konnen, die Leistung der einzelnen Abschnitte steigerte. Dabei ist
jedoch das Auftreton des Antriebes im Beginne und am Schlusse in
derWeise zu beriicksichtigen , dass die durch ihn erzeugten Hohe-
punkte bei der Berechnung auBer Ansatz gelassen werden. Wo also
Antrieb im Anfange vorhanden ist, wird die unmittelbar nach ihm
auftretende Senkung als Ausgangspunkt der Rechi^ung zu benutzen
sein ; ebenso dienen nur diejenigen Hochstleistungen zum Vergleiche,
die nicht erst in den letzten beiden Abschnitten nach vorherigem
Sinken der Leistungen durch Schlussantrieb entstanden sind. Dass
bei dieser Betrachtung gewisse Fehler nothwendig mit unterlaufen,
haben schon Rivers und Kraepelin*) gezeigt; sie sind aber unver-
1) Diese Arbeiten. I. S. 640.
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Ueber die MMSung der AufrissongsfUhigkeit.
291
meidlich und dlirften das Gesammtergebniss, bei dem es uns nur auf
den Vergleich der verschiedenen Personen ankommt, nicht allzusehr
verechieben. Die folgende Uebersicht zeigt iins, wieviel Reizworter
nadi dieser Berechntmg im besten Abschnitte durchschnittlich mehr
ao^gefasst wurden, als im voraufgehenden schlechtesten.
Tabelle XLVHI.
0.
A.
S.
R.
B.
Antriebswirknng
3,2
3,0
3,1
5,2
6,7
Die Steigerung der Leistung im Verlaufe des Versuches war
demnach bei R. und namentlich bei B. eine nicht imbedeutend groBere,
als bei den Ubrigen Personen. Der Grund dafur liegt aber wesent-
lich in dem Umstande, dass die Leistung der ersten drei Personen
sehr bald keiner Steigerung mehr fahig war, da dieselben alle Ein-
driicke richtig erkannten. Abschnitte mit ausschlieBlich richtigen
Lesungen kamen unter 27 Reihen bei 0. 15, bei A. 14, bei S. ISmal,
bei R dagegen nur 2mal und bei B. uberhaupt nicht vor. Durch
die haufige Erreichimg der bestmoglichen Leistung wurde natiirlich
der Spielraimi zwischen schlechtestem und bestem Abschnitte bedeu-
tend beschrankt, wahrend bei R. und B. eine Besserung in viel wei-
t«rem Umfange moglich war. Tmmerhin scheint B. im allgemeinen
ein ausgiebigeres Ansteigen seiner Auffassungsfahigkeit dargeboten
zu haben, als R. Diese Erfahrung kann ihren Grund in einer groBeren
XJebungsfahigkeit oder Anregbarkeit haben. Wir woUen aber auch
nicht vergessen, dass B. sich der unteren Schwelle der Auffassung
naher befand, als R. ; auch aus diesem Grunde konnte wahrscheinlich
der Einfluss der f ortlaufenden Thatigkeit das Versuchsergebniss starker
Terandem. Jedenfalls kommen wir zu dem Schlusse, dass die be-
rechnete Verschiebung des Hohepunktes bei R. und B. nicht als der
Ausdruck geringerer Ermiidbarkeit betrachtet werden darf. Bei den
anderen Personen wurde eben die fiir sie sehr nahe liegende Hochst-
leistung in der Regel schon bald nach dem Beginne des Versuches
erreicht, wahrend bei jenen Beiden weit langsamer die erheblichere
Steigerung der Leistung bis zu ihrer jeweiligen Hohe voUzogen wurde.
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292
Ladwig Cron und Croil KraepeliD.
Nur fur S. trifft das nicht zu. Bei ihm dUrfte demnach auBer der
Fluchtigkdt des Antriebes im Beginne thatsachlich auch eine geringere
ErmUdbarkeit bei der Yerschiebung des Hohepunktes mitgewirkt haben.
Es ist vielleicht nicht ganz immoglich, auch diesen Punkt hier
noch einer kurasen Erorterung zu unterziehen. Wenn wir n&mlich
nach denselben Grundsatzen, die wir vorhin entwickelt haben, be-
rechnen, um wie viel Zahlen durchschnittlich in jeder Beihe die
Leistung von ihrem Hohepiinkte bis zu dem folgenden, nicht durch
Schlussantrieb beeinflussten niedrigsten Stande herabsinkt, so werden
wir diese "Werthe als einen ungefilhren Ausdruck fiir die GroBe der
Ermiidungswirkung ansehen dttrfen. Die folgende Tabelle enthalt die
so gewonnenen Durchschnittszahlen.
Tabelle XLTX.
0.
A.
S.
R.
4,4
B.
Ermadungs-
wirkung
4,3
2J
2,3
5,4
Naturlich sind auch hier die Werthe fiir 0., A. und S. zu niedrig.
Da die hochstmogliche Leistung bei ihnen schon erreicht war, bevor
die Steigerung der Auffassungsfahigkeit wahrend der Beihe voll zur
Entwicklung gelangen konnte, vermochte sich auch der erschwerende
Einfluss der Ermiidung nur in geringerem Umfange geltend zu machen.
Wenn trotzdem die Herabsetzung der Auffassungsleistung beiO. nahezu
ebenso groB ist wie bei B., so dtirfen wir daraus in Uebereinstimmung
mit unseren frliheren Erfahrungen auf eine besonders hohe ErmUd-
barkeit bei O. schlieBen. B. scheint etwas ermtidbarer gewesen zu sein,
als R, wie er auch Ubungsfahiger war; allein auch hier gebietet die
verschiedene Lage der von beiden gelieferten Auffassungswerthe im
Schwellengebiete Vorsicht bei der Deutung. Das gilt auch des*
wegen, weil B. in 4 Beihen Abschnitte ohne eine einzige richtige
Lesung aufwies; die wirkliche Ermiidungswirkung konnte sich dabei
natiirlich in den Yersuchswerthen nicht vollstSudig ausdriicken.
Der Yerlauf der Auffassungsfahigkeit wahrend der Yersuchs-
reihe war bei den verschiedenen Trommeln etwas yerschieden. Indem
wir die Leistungen aller Personen zusammenfassen, zeigen wir in der
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Ueber die Messuog der AufTassuiigsflliigkeit.
293
folgenden Tabelle, wie oft bei den einzelnen Trommeln der Hohe-
pimkt der Leistung auf die verschiedenen YersuchsfUnftel entfiel.
Tabelle L.
YersuchflfClnftel
1
2
3
4
5
Trommel A
21
10
8
4
2
> B
21
9
6
4
5
» C
U
8
7
U
8
Die Trommeln A und B unterscheiden sich bier wesentlich nur
durch das etwas haufigere Auftreten des Schlussantriebes bei der
letzteren, wohl wegen der als leichter empfundenen und angenehmeren
Arbeit mit zweisilbigen Wortem. Bei Trommel C dagegen verschiebt
sich die Lage der Hochstleistung ganz bedeutend nacb dem Ende
der Reihe zu. Hier befanden sich sammtliche Personen weit femer
von der oberen Grenze des Schwellengebietes. Die hochstmogliche
Leistung wurde daher viel seltener und dann meist nicht im ersten
Antrieb erreicht; vielmehr mussten erst Uebung, Gewohnung und
Anregung allmaMich zur Geltung kommen, um die Annaherung an
die obere Grenze zu ermoglichen. Der Gesammtverlauf gleicht daher
ganz demjenigen, den wir fUr die Durchschnittsleistung bei B. in
Tabelle XLVll festgestellt haben. Wir sehen in der XJebereinstim-
mung der beiden Zahlenreihen fiir Trommel A und B sowie in der
leicht verstandlichen Abweichung derjenigen fttr Trommel C eine neue
Stutze daftir, dass die hier angestellten Betrachtungen in ihren Haupt-
ziigen dem wirklichen Verhalten entsprechen.
Ueber das durchschnittliche Verhalten der Fehler und Aus-
lassungen im Laufe der Versuchsreihe konnen wir mit wenigen Worten
hinweggehen. Wir sind bemiiht gewesen, uns durch die verschie-
densten Berechnungen ein XJrtheil Uber diesen Punkt zu verscha£Een,
verzichten jedoch auf die Wiedergabe der Zahlen, da die Ergebnisse
wegen der meist nur sehr geringfugigen Unterschiede in den einzelnen
Abschnitten der Reihen ziemlich unsichere sind. Nur so viel sei
bemerkt, dass im groBen und ganzen der Verlauf der Fehler und
Auslassungen ein Ubereinstimmender war; beide erreicbten ihren
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294 Ludwig GroD and Emil Kraepeliu.
niedrigsten Stand im dritten und vierten Funftel der Beihe. Nur
bei B. nahmen zu dieser Zdt die Auslassungen zu, die Fehler ab;
bei R war das Umgekehrte der Fall. Im Beginne und am Ende der
Reihe waren Fehler wie Auslassungen haufiger, als in der Mitte; der
hochste Stand fand sich meist am Anfange; eine Ausnahme machte
nur R und fiir die Auslassungen 0. Der Antrieb scheint im Be-
ginne wie am Schlusse der Reihe besonders eine Herabsetzung der
Auslassungen, weniger der Fehler bewirkt zu haben, ein Zeichen da-
fUr, dass er weniger die Fahigkeit als den guten Willen zum Lesen
steigerte. Gegen den Schluss nahmen bei 0. und R besonders die
Auslassungen zu, bei ersterem wohl wegen der wachsenden Ermiidung,
bei letzterem vielleicht noch mehr deshalb, weil er die Lust an der
Arbeit verlor und sich keine rechte Mlihe mehr gab; diese Deutung
w^de uns wenigstens durch das frtiher festgestellte Fehlen des Schluss-
antriebes bei ihm nahe gelegt werden.
VIL Die persSnlichen Yerschiedenheiten der Auffassangsf&hlgkeit.
Das wesentliche Ziel der vorliegenden Untersuchungen war die
Feststellung des Einflusses, welchen die personliche Eigenart auf
die Grestaltung des Auffassungsvorganges ausiibt Die Erreichbarkeit
dieses Zieles kann nach den gefundenen Thatsachen nicht mehr
zweifelhaft sein. Jedenfalls ist der Nachweis geliefert worden, dass
gewisse Eigenthiimlichkeiten unserer Beobachter sich durch alle Ver-
suchsreihen hindurch immer wieder in der gleichen Weise geltend
gemacht haben. Wir sind daher zu der Annahme berechtigt, dass
die Art, wie auBere Eindrttcke aufgefasst und verarbeitet werden, in
nachster Beziehung zu allgemeinen Eigenschaften des einzelnen Men-
schen steht; unter denselben Bedingungen wird die Arbeit immer
wieder in der gleichen Weise, mit denselben Hiilfsmitteln und Un-
vollkommenheiten geleistet. Da sich aber der Yorgang der Auffassung
als ein ungemein vielseitiger und verwickelter erwiesen hat, so ist ftir
die Bethatigung der Eigenart nach den verschiedensten Richtungen
bin weiter Spielraum geboten. Natiirlich reichen unsere Versuche
nicht im Entfemtesten aus, um wirklich alle Seiten des Auffassungs-
vorganges bei unseren Beobachtem gleichmaBig zu beleuchteti; fur
die Losung dieser unter unsem Handen wachsenden Aufgabe sind
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Ueber die Messong der Auftosungsflhigkeit. 295
sfe weder zahlreich noch mannigfaltig genug. Dennoch wollen wir
wenigstens den Versuch machen, einige allgemeine Gesichtspimkte fttr
die Beurtheilung der personlichen Auffassungsverschiedenheiten zu
gewinnen, so weit sie sich aus den iiberall zerstreuten Einzelthat-
sachen ableiten lassen.
Der auffallendste Unterschied zwischen den Beobachtem lag in
der Zahl der von ihnen gelief erten richtigen Lesimgen. Da naturlich
sammtliche Personen bei immer mehr verlangerter Spaltzeit schlieB-
lich alle Eindrucke richtig erkannt haben wurden, so konnen die
thatsachlichen Unterschiede in der Leistung nur in der verschiedenen
Schnelligkeit ihren Grund haben, mit welcher der Einzelne die
Eindrucke in sich aufnahm. Die bei derselben Spaltweite iiberall
gleich bemessene Zeit der Sichtbarkeit war bei dem Einen vollig hin-
reichend fiir die Auffassung der Beize, so dass nur noch zufallige
Pehlervorgange einmal die richtige Lesung vereitelten. Fiir den
Andem geniigte die Spaltzeit unter etwas schwierigeren- Bedingungen,
z. B. bei sinnlosen Silben, nicht immer mehr zum richtigen Lesen,
imd bei einem Dritten war nur die Erkennung einzelner, beson-
ders begiinstigter Eindriicke noch moglich. Wir besitzen daher in
der Zahl der richtigen Lesungen wahrscheinlich unmittelbar ein Mafi
fiir die Schnelligkeit der Auffassung.
Wie friiher erwahnt, lag es im Plane der Versuche, die Spalt-
zeit so zu wahlen, dass gerade nicht alle, aber doch eine Anzahl von
Eindriicken richtig erkannt werden konnten; die Versuche sollten
sich im Schwellengebiete der Auffassung bewegen. Diese Absicht
ist in der HAuptsache erreicht worden. Allein an verschiedenen
Punkten wurden doch die Grenzen jenes Gebietes iiberschritten.
Namentlich I. lieferte nahezu 100^ richtiger Lesungen, aber auch
0., A und S. batten in einzelnen Beihen ihre Auigabe nahezu voU-
kommen gelSst Andererseits waren bei B. Beihen zu verzeichnen,
in denen kaum noch richtige Lesungen geliefert waren. Die unter
denselben auBeren Bedingimgen erreichte Leistung lag also bei den
einzehien Beobachtem auf sehr verschiedenen Stufen des Auffassungs-
schwellengebietes. Bei L waren wir der oberen, bei B. der unteren
&renze desselben nahe, ein Verhalten, welches iiberall in gleicher
Wrise wiederkehrte. Eine mittlere Gruppe' bildeten die drei Personen
S., 0. und A., deren Reihenfolge bei den einzelnen Trommeln aiis
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296 Ludwig Cron and Gmil Kraepelin.
sp^ter zu erortemden Griinden wechselte. Zwischen ihnen und B.,
aber diesem nkher, als Jenen, stand R. Leider sind wir nicht ohne
Weiteres im Stande, aus den von unseren Beobacbtem geliefeiten
richtig^n Lesungen vergleichbare Werthe fur ibre AuffassungsflUiig-
.keit abzuleiten. Die einzelnen Abscbnitte des Scbwellengebietes
sind nicbt gleicbartig. In der Nabe der oberen Q-renze nimmt die
Zabl der ricbtigen Lesungen mit Yerengerung des Spa]tes langsamer,
in der Nabe der unteren Grenze dagegen scbneller ab, als die Spalt-
zeit; dazwiscben aber liegt ein G^biet, in welcbem die Veranderungen
beider GroBen ungefabr einander entsprecben. Zu einer genaueren
Verfolgung dieser Beziebungen bei den einzehien Personen reicben
unsere Versucbe nicbt aus. Es ist sebr wobl moglicb, dass die Aus-
debnung der drei Abscbnitte des Grenzgebietes sicb bei verscbiedenen
Personen recbt verscbieden verbalt und ein neues Kennzeicben der
persSnlicben Eigenart darstellt. Fur jetzt konnen wir nur sagen,
dass unter den gegebenen Bedingungen der Auffassungsvorgang sich
bei L, O., A. und S. im oberen Abscbnitte des Scbwellengebietes
abspielte, bei dem Erstgenannten sogar ganz nabe der oberen Grenze.
BeiR. bewegte sicb die Auffassung im mittleren, beiB. im unteren
Abscbnitte des Scbwellengebietes.
Ausser den ricbtigen Lesungen baben wir als MaBstab ftir die
Auff assungsfabigkeit nocb das Verbaltniss der einfacben zu den mebr-
facben Bucbstabenverlesungen sowie die Zabl der Auslassongen
kennen gelemt. Wir batten uns etwa vorgestellt, dass mit der Ver-
scblecbterung der Auffassung zunacbst die einfacben in mebrfacbe
Verlesungen und dann diese in Auslassungen iibergeben. Li der
Tbat erbalten wir bei Berticksicbtigung der mebrfacben Bucbstaben-
Terlesungen genau dieselbe Gruppirung wie an der Hand der ricbtigen
Lesungen. L bat gar keine, B. ungemein viele mebrfacbe Febler
geliefert. Die Mittelgruppe bilden wieder S., A. und 0.; zwiscben
ibnen und B. stebt R. In der Mittelgruppe selbst bat S. das beste,
O. das ungUnstigste Ergebniss zu verzeicbnen. Diese vollkommene
Uebereinstimmung der Reibenfolge nnserer Personen bei der Ord*
nung nacb der Zabl der ricbtigen Lesungen und der mebrfacben
Bucbstabenverlesungen macbt es sebr wabrscbeinlicb, dass in beiden
Fallen dieselbe Ursacbe maBgebend ist, die groBere oder geringere
Scbnelligkeit der Auffassung.
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Ueber die Messung der AafrassahgsfUhigkeit. 297
Etwas anders dagegen gestaltet sich die Sache, wenn wir die
Fersonen nach der Zahl der Auslassungen ordnen. Zwar liefertauch
hier immer I. das beste, B. das schlechteste Ergebniss; das Ver-
haltniss der ubrigen Personen aber gestaltet sich bei den verschiedenen
Trommeln etwas verschieden, ein Zeichen dafUr, dass die Zahl der
Auslassungen durch UmstS-nde mitbestimmt wird, die nicht der Schnel-
ligkeit der sinnlichen Auff assung angehoren, sondem zu dem Inhalte
und der Art der Eindriicke in irgend welcher Beziehung stehen. Nur
bei der Lesung sinnloser Silben finden wir an der Hand der Aus-
lassungen die oben angeftihrte Ordnung der einzelnen Beobachter
wieder; auf I. folgt die Mittelgruppe in der Reihe S., A., 0., dann R.
und endlich B. Hier also wird, wie es scheint, die Zahl der Aus-
lassungen ebenfalls wesentlich durch die Schnelligkeit der Auffassung
bestimmt Bei den einsilbigen Wortem dagegen erhalten wir die
Reihenfolge I., A., R, S., 0., B., bei den zweisilbigen Wortem da-
gegen I., A., O., S., R, B. Die XJnterschiede zwischen A., R, S.
dort und A., 0., S. hier sind ubrigens auBerordentlich gering, so
dass die B.eihenfolge bei verschiedenen Spaltweiten nicht immer die
gleiche bleibt. S. lasst also bei W5rtem verhaltnissmaBig etwas mehr
aus, als bei sinnlosen Silben; R hat bei einsilbigen Wortem auf-
fallend wenig, O. auffallend viel Auslassungen zu verzeichnen. Jeden-
falls also kann die Zahl der Auslassungen bei der Lesung von Wor-
tem nicht als einfacher MaBstab f iir die Schnelligkeit der Auffassung
benutzt werden. Auf die sehr verwickelten Griinde dieser Thatsache
werden wir spater zuriickzukommen haben.
In eih bisher sehr wenig bekanntes Q-ebiet haben uns die Er-
fahrungen Uber die verschiedene Gliederung der Auffassung bei
den einzelnen Personen hineingefUhrt. Bei den sinnlosen Silben
freilich fassten alle Beobachter, von denen Aufzeichnungen vorliegen,
den ganzen Eindruck einheitlich auf, indem sie ihre Aufmerksamkeit
auf den mittelsten Buchstaben richteten, der daher deutlicher erkannt
wurde, als der dritte und namentlich der erste Buchstabe. Schon
bei den einsilbigen Wortem aber begann di6 Verschiedenheit. Nur
S. bevorzugte noch die Mitte des dargebotenen Eindruckes, d. h.
meist den dritten Buchstaben, und suchte das Gesammtbild des
Wortes zu erkennen. Die beiden ftun an Schnelligkeit der Auf-
fassung nachststehenden Personen, A. und 0., zerlegten das Wort
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298 Lddwig Cron 'ud4 Cmil Knepelin.
bereits in zwei Abschnitte. Sie fassten, wohl nacheinander, den
ersten und den dritten Buchstaben ins Auge, wahrend der zweite
and vierte Buchstabe weniger deutlich erkannt wurde. Leider fefalen
un8 von L verwerthbare Zahlen, da er zu wenig Fehler beging; es
konnte sonst die Vennuthung gepriift werden, ob es nicht das Gef iihl
der langsameren Auffassung war, das A. und O. im G^gensatze zu
S. veranlasste, beim Lesen buchstabenreicherer Worter eine Gliede-
rung des Eindruckes vorzunehmen. Allerdings scheint gegen eine
solche Erklarung der Umstand zu sprechen, dass gerade die bviden
langsamsten Personen keine derartige Gliederung der Auffassung
mehr erkennen lassen. Immerhin zeugt die entschiedene B^Unsti-
gung des ersten Buchstaben dafiir, dass auch von R. und B. das bei
den sinnlosen Silben eingehaltene Verfahren verlassen wurde. Der
erste Buchstabe wurde bevorzugt, der zweite vemachlassigt. Wenn
nunmehr von den spateren Buchstaben keiner wieder besser erkannt
wurde, so kann der Grund dafUr in dem Mangel an Zeit gelegen
haben, der eine scharfere Auffassung weiterer Bestandiheile nicht
mehr gestattete. Freilich war bei den zweisilbigen Wortem wenig-
stens R. im Stande, auBer dem ersten noch den dritten und fUnften
Buchstaben genauer zu erkennen, als ihre Nachbam. Daftlr dauerte
aber das VorUberziehen des Wortes hier auch viel langer. Wir wer-
den Ubrigens spater noch einige Erfahrungen kennen lemen, welche
die M5glichkeit nahe legen, dass auBer der langsameren Auffassung
bei der unvollkommenen Gliederung der EindrUcke vielleicht auch
eine gewisse Unf Hhigkeit mitgespielt hat, durch sorgfSltige Ausnutzimg
aller Vortheile das Ergebniss der Auffassungsarbeit so gUnstig wie
moglich zu gestalten.
Bei den zweisilbigen W5rtem tritt tiberall die Gliederung des
Eindruckes an Stelle der hierunmoglich gewordenen einheitlichen
Auffassung. Wie es scheint, war dabei 0. im Stande, noch 4, A.
wenigstens 3 Buchstaben zusammenzufassen, wahrend S. und R. nur
Gruppen von 2 Buchstaben bildeten. Schnelligkeit und GroBe des
BUckfeldes der Auffassung diirften demnach nicht in unverbriichlichem
Zusammenhange stehen. Bei B. wurde die Bildung zweistelliger
Buchstabengruppen auch hier theilweise dadurch verdeckt, dastt die
Enappheit der verfugbaren Zeit die Auffassung der spateren Buch-
staben sehr erschwerte.
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Ueber die Messung der AiiffassungsnihigkeiU 299
Von weitaus groBerer Bedeutung, als alle diese kleinen XJnter-
schiede, ist fiir die Kennzeichnung der personlichen Eigenart die Zu-
verlassigkeit der Aiiffassung. Sie wird auf der einen Seite durch
die besondere Veranlagung der einzelnen Beobachter beeinflusst;
andererseits aber kann die goBere oder geringere Treue, mit welcher
die Auffassung uns ein Bild der umgebenden Welt vermittelt, nicht
ohne weitreichende Wirkungen auf die Gestaltung unseres Vor-
stellungslebens bleiben. Wir haben unter diesem Gesichtspunkte
scharf zu scheiden zwischen Wahrnehmung und Auffassung.
Die erstere lunschlieBt die rein sinnlichen Vorgange bis zum Auf-
tauchen der Sinnesempfindung, die letztere dagegen die Einreihung
des wahrgenommenen Eindruckes in den Schatz unserer Vorstellungen,
die Verkniipfung desselben mit friiheren Erfahrungen. Die Zuver-
lassigkeit der Wahrnehmung ist somit abhangig von den Veran-
derungen, denen der Sinnesreiz bis zu seiner Umwandlung in Em-
pfindung ausgesetzt ist, wahrend die Auffassung des Eindruckes
von alien jenen Einflussen abhangig ist, die aus der Eigenart und
der Greschichte unserer geistigen Personlichkeit entspringen.
Einen gewissen Anhalt fiir die Scheidung von Wahrnehmung
und Auffassung bieten uns die Versuche mit sinnlosen Silben. Bei
ihnen war die Ankntipfung an einen Vorstellungsinhalt grundsatzhch,
wenn auch nicht thatsachlich ausgeschlossen. Daher gewahrte die
Genauigkeit, mit welcher jene bedeutungslosen, obschon aus bekannten
Bestandtheilen zusammengesetzten Eindriicke gelesen wurden, ein
Urtheil liber die Zuverlassigkeit der rein sinnhchen Wahrnehmung.
Als MaBstab konnen wir dabei entweder die Zahl der richtigen
Lesungen oder die umgekehrte Zahl der begangenen Fehler benutzen.
Auf Grund der richtigen Lesungen erhalten wir die Gruppiining I.,
S., 0., A., R., B., die sich bei alien Spaltweiten wiederholt. Dabei
ist zu bemerken, dass die ersten fiinf Personen nicht libermaBig stark
von einander abweichen, wahrend B. mit seiner ungemein niedrigen
Zahl von richtigen Lesungen eine Sonderstellung einnimmt. Im ganzen
entspricht die gefundene Reihe der Schnelligkeit, mit welcher die
einzelnen Beobachter auffassen; die Zuverlassigkeit des sinnlichen
Erkennens wurde also unter den gegebenen Bedingungen in nahen
Beziehungen zu der Schnelligkeit der Wahrnehmung stehen. Fiir
K r a e p e 1 i n , Pay cholog. Arbeiten. II. 20
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300 Ludwig Gron uiid Emil Kraepel'm.
das Schwellengebiet der Auffassung, in dessen Bereich jede Verkiir-
zung der Spaltzeit die Zahl der richtigen Lesungen herabsetzt, er-
scheint eine derartige Beziehung einleuchtend.
Zu einem etwas anderen Ergebnisse fiihrt uns die Betraclitimg
der Verlesungen. Wir erhalten die Reihenfolge I., 0., S., R., A., B.
I. mit den wenigsten und B. mit den meisten Verlesungen behalten
ihre gewohnte Stelle. Die geringe Verschiebung der ubrigen Personen
liat ihren Grund in dem verschiedenen Verhalten der Fehler und
Auslassungen. O. liefert zwar weniger richtige Lesungen, aber auch
weniger Fehler als S., A. mehr richtige Lesungen, aber auch mehr
Verlesungen als R. An diesem Punkte beginnt sich die einfache
Beziehung zwischen Zuverlassigkeit und Schnelligkeit der Wahrneh-
mung zu verwischen. Der langsamere O. begeht weniger Fehler, als
der schneller lesende S., der schwerfallige R. weniger als der ihm
sonst weit Uberlegene A. Es muss demnach bei der Entstehung der
Fehler noch ein Umstand mitwirken, der bei den richtigen Lesungen
keine oder doch keine so wichtige RoUe spielt. Dieser Umstand
kann nur die groBere oder geringere personliche Neigung zur
Erganzung ungenauer Wahrnehmungen durch eigene Zu-
t hat en sein. Leider lassen uns bei dem tieferen Eindringen in diese
Frage unsere Aufzeichnungen iiber die Verlesungen sinnloser Silben
im Stiche. Dennoch kann uns wenigstens fur 0., S. und R. die
Haufigkeit eigener Zusatze zu dem Gesehenen ein Urtheil iiber die
Veranderungen gewahren, denen der Sinneseindruck bei der Auffassung
ausgesetzt war. Solche Zusatze waren bei O. verhaltnissmaBig recht
selten und auch bei R nur wenig haufiger; bei S. errreichten sie
etwa den dreifachen Werth. Diese Erfahrungen f ugen sich vortreff-
lich in unsere obigen Ausfuhrungen ein. Wir diirfen daher wohl
annehmen, dass S. und wahrscheinlich auch A. trotz der groBeren
Schnelligkeit ihrer sinnhchen Wahmehmung dennoch verhaltnissmaBig
mehr Fehler lieferten, als andere langsamer lesende Personen, weil
sie in erheblich hoherem Grade die Neigung besaBen, unvollkommene
Wahrnehmungen durch eigene Zuthaten zu erganzen, wahrend jene
anderen Beobachter auf solche Lesungen einfach verzichteten.
Mit dieser allgemeinen Feststellung haben wir das Gebiet der
Wahmehmung bereits verlassen. Es muss nunmelu* unsere Aufgabe
sein, an der Hand der Erfahrung die Einfliisse naher zu zergliedem,
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Ueber die Messung der AiifTassungsfl&higkeit. 301
welche die Sinneseindriicke zu verandem pflegen. In erster Linie
wiirden dabei Buchstabenverwechselungen in Betracht kommen;
fiir die undeutlich wahrgenommenen Bestandtheile des Eindruckes
treten die uns gelaufigen Buchstabenbilder ein. Bei der Lesung
sinnloser Silben ist dieser Vorgang jedenfalls der haufigste Fehler,
wie wir in Tabelle VlJLL gezeigt haben. Schon damals aber konnte
festgestellt werden, dass S. verhaltnissmaBig weit seltener einfache
Buchstabenverwechselungen beging, als 0. und R.; wir haben auch
soeben bereits erwahnt, dass bei ihm an Stelle der einfachen Buch-
stabenverlesungen auffallend haufig Zusatze traten. Eben diese
Erfahrung weist uns darauf hin, dass durch den Eindruck im Be-
obachter selbstandige Vorgange angeregt werden konnten, die seine
Auffassung maBgebend beeinflussten. Offenbar konnte es sich dabei
zumeist um nichts anderes handeln, als lun Wortvorstellungen.
Hier und da wurden schon die sinnlosen Silben mit sprachlichen
Erinnerungsbildem zur Deckung gebracht, bei O. allerdings nur in
10,2^ aller Verlesungen, bei R etwa ebenso oft, bei S. dagegen
iiber doppelt so haufig ; von den ubrigen Personen liegen iiber diesen
Punkt keine Aufzeichnungen vor. Diese Erfahrung deckt sich voll-
standig mit unseren bisherigen Ergebnissen; sie zeigt uns wiederum,
dass S. in weit hoherem Grade durch Vorstellungen beeinflusst wurde,
als R. und besonders O.
Die Bedingungen fiir die Umwandlung sinnloser Silben in Worter
werden offenbar lun so gunstigere sein, je ungenauer einerseits die Wahi*-
nehmung der Einzelheiten ausfallt, je leichter andererseits die Wort-
vorstellungen zur Verfugung stehen. Da S. an sich schnell auffasste,
diirften demnach die Wortvorstellungen bei ihm sehr lebhaft gewesen
sein. Wir konnen kaum zweifeln, dass beim Lesen von Wortem der
groBte Theil wenigstens der sinnvollen Fehler in ganz ahnlicher Weise
zu Stande kommt. Da jede richtige Lesung naturgemaB eine Vor-
stellung wachruft, kniipfen sich auch an die undeutlich erkannten
Eindrucke bestimmte Erinnerungsbilder an. Zumeist entstehen also
falsche Lesungen nicht durch Verwechselung einzelner Buchstabeu,
sondem es werden umgekehrt Buchstaben verlesen, weil der Ge-
sammteindruck des Wortes eine bestimmte Vorstellung wachgerufen
hat, die nun ihrerseits die Wahmehmung vemndert. Es ist daher
wohl kein Zufall, dass gerade S., der noch bei den einsilbigen
20*
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302 Ludwig Cron uiid Cinil kraepeliii.
Wortem die Neigung zeigte, moglichst einen Gesammteindruck zu
gewinnen, sich in so hohem Grade der Beeiniiussung durch Vor-
stellungen zuganglich erwies. Die Richtigkeit der hier vertretenen
Ansicht wird vor allem dargethan durch die verhaltnissmaBig geringe
Zahl der sinnlosen Verlesungen bei Trommel A und B. Dieselben
miissten weit zahlreicher sein, wenn die Verlesungen meistens durch
Verwechselung von Buchstaben und nicht vielmehr durch den Einfluss
bestimmter Wortvorstellungen zu Stande gekommen waren. Sinn-
lose Verlesungen sind daher auch fast iiberall verhaltnissmaBig hau-
figer bei den zweisilbigen Wortem, bei denen wegen der Gliederung
der Auffassung die Bedingungen f iir das rasche Auftauchen von Wort-
vorstellungen weniger giinstig waren. Andererseits kamen allerdings
die sinnlosen Verlesungen am haufigsten bei S. und R., am seltensten
bei 0. zur Beobachtung, walu*end A. und B. ein mittleres Verhalten
darboten. Diese Gruppirung steht jedenfalls mit der verschiedenen
Beeiniiussbarkeit durch Vorstellungen in keiner Beziehung; vielmehi*
batten wir nach unseren Erfahrungen Uber diesen Punkt erwarten
soUen, dass O. und R. viele, A. und S. dagegen recht wenig sinnlose
Verlesungen liefem wUrden. Jedenfalls miissen demnach beim Zu-
standekommen jener Erscheinung noch andere, wahrscheinlich sogar
machtigere Einflusse mitgewirkt haben, Uber deren Wesen wir spater
noch etwas mehr Klarheit zu gewinnen versuchen wollen.
Die Vorstellungen, welche die Entstehung einfacher Wortver-
wechselungen bewirkten, wurden, wie sich leicht zeigen lasst, durch
die Uebereinstimmung mehr oder weniger zahlreicher Buclistaben
hervorgerufen, die bald Gruppen bildeten, bald sich mehr Uber das
ganze Wort verrtheilten. Die Lesungen Auftrag und Ankunft fUr
Ankauf, Centner fUr Entwiu'f, Montag fUr Mandat geben dafUr Bei-
spiele. Sehr wesentlich unterstUtzt wurde aber das Auftauchen jener
Vorstellungen, wenn durch eine erstmalige Verlesung bereits eine
VerknUpfung zwischen dem Gesammteindrucke des Wortes und einer
bestimmten Vorstellung hergestellt war. In einer nicht geringen Zahl
von Fallen wurde dadurch bei der Wiederholung die richtige Lesung
erschwert. Die Bedingungen dafUr waren bei ungenauer Wahmehmung
des Eindruckes im allgemeinen am gUnstigsten; wir dUrfen somit
erwarten, dass die Neigung zu stehenden Wiederholungen in einer
gewissen Beziehung zur Wahmehmungsgeschwindigkeit stehen werde.
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Ueber die Messung der AufTASSungsflhigkeit. 303
Die Zusammenstellxing der Werthe aus den Tabellen XIV und XXV
ergiebt in der That die Reihenfolge O., A-, S., R., B., die mit Aus-
nahme der ungunstigeren Stellung von S. der Gruppirung nach rich-
tigen Lesungen sinnloser Silben entspricht. S. neigte also anscheinend
etwas mehr zu stehenden Wiederholungen, als nach dem Grade seiner
Wahmehmungsscharfe zu erwarten gewesen ware. Noch deutlicher
wird das, wenn wir nicht die Zahl jener Fehler an sich, sondem ihr
Verhaltniss zu den gesammten Verlesungen ins Auge fassen. Wir
erhalten dann die Reihenfolge O., R., A., B., S. Dieser Letztere
wurde demnach beim Lesen nicht nur uberhaupt durch Vorstellungen
in hohem Grade beeinflusst, sondem die einmal auf diese Weise ent-
standenen Verlesungen kehrten auch ungemein haufig wieder, ein
Zeichen dafur, dass er sich weit weniger durch die Einzelheiten des
Wortes, als durch den Gesammteindruck bestimmen lieB, der ihm die
friihere Verlesung leicht ins Gedachtniss zuriickrief. Er begeht der-
artige Fehler verhaltnissmaBig sogar haufiger, als selbst B., dessen
weit langsamere und undeutlichere Auffassung an sich dieselben
mehr begunstigte. Ebenso sehen wir A. mit seiner groBeren Beein-
riussbarkeit durch Erinnerungsbilder verhaltnissmaBig haufiger die-
selben Fehler bei denselben Wortem wiederholen, als R., dessen Auf-
fassung, wie wir gesehen haben, von Vorstellungen unabhangiger war.
Hatten sich in diesen Fallen stehende Verbindungen zwischen
gewissen Eindrucken und ihnen ahnUchen Wortvorstellungen gebildet,
so giebt uns das Auftreten derselben Verlesungen bei verschie-
denen Wortem Aufschluss dariiber, wie weit einzelne besonders
lebhafte Vorstellungen ihren Einfluss auf die Auffassung geltend
machten. Wie wir gesehen haben, ist jene Erscheinung bei zwei-
silbigen Wortem ungemein viel seltener, als bei einsilbigen. Dort
sind die Zahlen bei den meisten Personen so klein, dass sie kaum
verwerthbar erscheinen. Halten wir uns daher an das Ergebniss bei
Trommel A, so finden wir fur die Haufigkeit der zerstreuten Wieder-
holungen die Reihe S., A., R, 0., B. , die sich auch nicht andert,
wenn wir das Verhaltniss jener Fehler zur Gesammtzahl aller Ver-
lesungen beriicksichtigen. Gegeniiber den stehenden Wiederholungen
hat sich demnach hauptsachhch die Stellung von O. und S. geandert.
O., der nicht leicht denselben Fehler beim gleichen Worte wieder-
holte, war sehr geneigt, dieselben Verlesungen bei verschiedenen
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304 Ludwig Gron und Eroil Kraepelin.
Wortern vorzubringen. S. verhielt sich gerade umgekehrt; R. und wohl
auch B. zeigten verhaltnissmaBig etwas mehr, A. vielleicht etwas weniger
Neigung zu zerstreuten, als zu stehenden Wiederholungen. Diesem Ver-
halten entsprechen im ganzen die Erfahrungen tiber die Beeinflussung
der Verlesungen durch B-eizworter. Fur die Starke dieses Einflusses
ergiebt sich bei Trommel A die Reihe R, S., A., B., O., bei Trom-
mel B die Reihe S., R., A., O., B. Dabei ist zu bemerken, dass
jeweils die drei ersteren und die beiden letzten Personen einander sehr
nahe stehen und eigentlieh eine Gruppe bilden. Es ist daher wahr-
scheinlich, dass Beeinflussbarkeit durch Reizworter und Haufigkeit der
zerstreuten Wiederholungen in einer gewissen Beziehung zu einander
stehen. Darauf wurde auch die viel geringere Auspragung beider
Erscheinimgen bei den zweisilbigen Wortern hindeuten. Noch deut-
licher wird der Zusammenhang durch die friiher berichtete Erfahrung^
dass der Einfluss der Reizworter die Entstehimg zerstreuter Wieder-
holungen geradezu in besonderem MaBe begUnstigt. Jedenfalls be-
steht in dieser Beziehung, wie wir aus dem Verhalten von S. wissen,
ein durchgreifender Gegensatz zu den stehenden Wiederholungen.
WoUen wir diese Thatsachen deuten, so werden wir uns zunachst
daran erinnem, dass die stehenden Verlesungen offenbar wesentKch
durch die feste Verbindung eines Gesammteindruckes mit einer be-
stimmten, ihr ahnlichen Wortvorstellung, genauer gesagt, mit dem ilir
entsprechenden Schriftbilde zu Stande kommen. Diese Annahme
vermag allein uns nicht nur die Entstehung, sondem auch das
Haften der Verlesungen an demselben Worte zu erklaren.
Thatsachlich aber haben wir auch den Nachweis gefuhrt, dass die
Aehnlichkeit der stehenden Verlesungen mit ihren Reizwortem eine
recht weit gehende war. Ganz das Gegentheil aber ist bei den zer-
streuten Verlesungen der Fall. Bei ihnen ist der inhaltliche Zu-
sammenhang zwischen Eindruck und Verlesung ein so lockerer, dass
er oft genug volUg fehlt; femer wird die Entwicklung gerade dieser
Form der Wiederholungen durch Umstande befordert, die auf die
stehenden Wiederholungen keinen Einfluss ausiiben. Dahin rechnen
wir, auBer der personlichen Eigenart, namentlich das Lesen der Reiz-
worter, welches einen deutlichen, allerdings rasch abnehmenden Ein-
fluss ausUbt, wahrend diese Wirkung fur die stehenden Wiederholungen
einerseits Uberhaupt gering, andererseits von der verflossenen Zwischen-
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Ueber die Messuug der Aiiffassuiigsfitbigkeit. 305
zeit weit unabh'angiger zu sein scheint. Alle diese TJeberlegungen
weisen mit Bestimmtheit darauf bin, dass Ursprung xrnd Bedeutung
der stehenden xrnd der zerstreuten Wiederholxmgen verschieden
sind. Beruhen daher die ersteren auf dem Haften bestimmter Schrift-
bilder, so miissen wir fiir die letzteren eine andere Erklarung suchen.
Alle Anzeicben weisen, wie wir meinen, darauf bin, dass wir es
bier mit besonders lebbaften motoriscben Spracbvorstellungeu
zu tbun baben. Nur so wird uns die groBe Selbstandigkeit der
Verlesung gegeniiber dem Gesicbtseindrucke uberbaupt verstandlicb.
Wir begreif en aucb den Einfluss der Reizworter, die uns als Spracb-
bewegungen am nacbdrticklicbsten zum Bewusstsein kommen; wir
erkennen, warum dieser Einfluss nur kiirzere Zeit andauert, da die
motoriscben Spracbvorstellungeu einander ablosen und verwiscben,
wabrend die Scbriftbilder der stebenden Wiederbolungen durcb den
bestimmten Gesicbtseindruck immer von neuem angeregt werden. Da
die Neigung zu der einen und der andem Art von Feblem bei den
einzelnen Beobacbtern verscbieden stark ausgepragt ist, UeBe sicb
vermutben, dass die Verlesungen bei S. und vielleicbt aucb bei A.
und R uberbaupt mebr von Scbriftbildem, bei O. und B. . dagegen
mebr von spracblicben Bewegungsvorstellungen beeinflusst wurden.
Unter diesem Gesicbtspunkte wurden wir also annebmen, dass
jede Lesung oder Verlesung, weil sie ausgesprocben wurde, bei mo-
toriscb leicbt anregbaren Personen eine starkere Neigung zur Wieder-
bolung zurticklieB. Friibere Verlesungen und ebenso die ricbtig
gelesenen Reizworter batten durcb die Anregung der entsprecbenden
Spracbbewegungen ein gewisses Uebergewicbt iiber andere moglicbe
Verlesungen erbalten und seien sofort bervorgetreten, wo die Aebn-
Ucbkeit oder die ungenaue Auffassung des Reizwortes das Zustande-
kommen eines Feblers begunstigte. Freilicb ist bier ein scbwerwie-
gender Einwand zu macben. Wenn namlicb die vorgetragene Deutung
ricbtig ist, so sollte man erwarten, dass aucb die stebenden Wieder-
bolungen durcb die namlicben Ursacben erleicbtert worden waren.
Das trifft aber nur fiir B., nicbt fiir O. zu. Dazu ist zu be-
merken, dass nicbt selten solcbe Verlesungen, die bei einem Worte
mebrfacb vorgekommen waren, aucb bei anderen wiederbolt wurden.
Jedenfalls aber bedurften die stebenden Wiederbolungen einer erleicb-
terten Auslosbarkeit von Spracbbewegungen nicbt. Damit ist nicbt
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306 Lndwig Croii und Bmil Kraepelin.
gesagt, dass dieser letztere Umstand nicht doch geeignet war, gele-
gentlich ihr Entstehen zu fordem. Indessen die stehenden Wieder-
holungen kamen weit weniger haufig an demselben Tage zu Stande,
als die zerstreuten. Bei diesen letzteren konnte daher das am
gleichen Tage und oft kurz vorher erst gelesene Wort die Bereit-
schaft der Sprachvorstellung in viel starkerem MaBe steigem, aJs bei
jenen ersteren, bei denen die Verlesung auch im gunstigsten Falle
urn eine voile Trommellesung zuriicklag, sehr oft aber am gleichen
Tage uberhaupt noch nicht vorgekommen war. Dazu kommt aber
endlich noch, dass die Versuchsperson bei einiger Scharfe der
Wahmehmung in dem Reizworte selbst einen Anhalt fiir die Ver-
besserung einer friiheren Verlesung hatte, wahrend die Wiederholung
bereits dagewesener Lesungen bei anderen Wortem naturlich uber-
haupt nur dann erfolgte, wenn ein Wort mangelhaft aufgefasst worden
war. Es erscheint daher begreiflich, dass der weit besser auffassende
O. bei denselben Wortem durch friihere Verlesungen und Lesungen
nicht sonderlich beeinflusst wird, wahrend B. mit seiner auBerst
ungenauen Wahmehmung dort, noch mehr aber bei verschiedenen
Wortem, haufig diejenigen Verlesungen vorbringt, die ihm gerade
auf der Zunge liegen. Dem entspricht auch die Thatsache, dass B.
sich ganz besonders stark durch kurz vorhergehende Reizworter be-
einflussen lieB. In geringerem Grade war das auch bei O. und A.
der Fall, noch weniger bei R. und fast gar nicht bei S.
Jedenfalls geht aus unseren Betrachtungen hervor, dass der Vor-
gang des Verlesens auf sehr verschiedene Weise zu Stande kommen
kann, und dass eine ganze Reihe von Ursachen dabei eine RoUe spielen.
Die ei-ste Bedingung ist naturlich Uberall Undeutlichkeit des Sinnes-
eindruckes, die bei unserem Verfahren wieder vomehmlich von der
Schnelligkeit der Wahmehmung abhangt. Die Grestaltung des Feh-
lei*s selbst wird dann wesenthch davon bestimmt, wie weit Vor-
stellungen dabei mitwirken und welcher Art sie sind. Ist der sinn-
liehe Eindruck allein fiir die Auffassung maBgebend gewesen, so wird
in Folge von Auslassungen und Buchstabenverwechselungen meist
eine sinnlose Verlesung entstehen. Kniipfen sich aber an die
Wahmehmung sogleich Vorstellungen, welche den verschwommenen
Einzelheiten bestimmte Gestalt leihen und die Lttcken ausfiillen, so
haben wir sinnvoUe Verlesungen zu erwarten. Sind jene Vorstellungen
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Ueber die Messung der AuffassuDgsf&bigkeiL 307
vorzugweise Gresichtsbilder, so wird iiberall eine nahere Beziehung
zwischen dein sinnlichen Eindrucke iind der Verlesung nachzuweisen
sein, und es wird sich leicht ein festeres Band zwischen Reizwort und
Verlesung bilden. Haben wir es aber mehr mit motorischen Sprach-
vorstellnngen zu thun, so werden die Verlesungen vom Schriftbilde
des Reizwortes unabhangiger sein und sich bei ganz verschiedenen
Reizwortem einstellen konnen. Dass natttrUch auch hier die Bewe-
gungsvorstellung am leichtesten durch Vermittlung des mit ihr eng
verkniipften Schriftbildes angeregt wird, bedarf keiner besonderen Aus-
f iihrung. Nur dann, wenn der Versuchsperson das Aussprechen eines
bestimmten Wortes auBerordentUch nahe hegt, wird die Auslosung einer
solchen Verlesung ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang mit dem gege-
benen Eindrucke erf olgen konnen. Wir haben friiher Beispiele derartiger
Fehllesungen kennen gelemt, bei denen es sich gar nicht mehr um ein
wirkliches Lesen, sondem um die einfache Auslosung einer schon vor-
bereiteten Sprachbewegung handelte ; sie sind besonders zahlreich bei B.
Mit dem Ablaufe der sinnhchen Wahmehmung und der Auf-
fassung sind die Bedingungen fur die Entstehung von Verlesungen
noch nicht erschopft. Eine falsche Lesung kniipft sich, wenn wir
von den zuletzt besprochenen, nicht allzu haufigen Fallen absehen,
immer noch an einen Eindruck an, der einen gewissen Inhalt auf-
weist, mag derselbe auch verschwommen und unvoUstandig sein.
Wurde von dem Reizworte wirkUch gar nichts mehr erkannt, so ent-
steht im allgemeinen keine Verlesung, sondem eine Auslassung. Das
thatsachliche Versuchsergebniss ist in diesen beiden Fallen voUig
verschieden, ein Fehler oder eine Lucke in der Liste; fiir die Auf-
fassung aber miissen nattirUch flieBende Uebergange bestehen zwischen
DeutUchkeit, Unklarheit und volligem Versagen des Erkennens. Der
Beobachter selbst hat also beim Versuche die Grenze zu ziehen, an
der er sich auBer Stande fiihlt, noch irgend etwas iiber den Inhalt
des dargebotenen Eindruckes auszusagen. Der Punkt jedoch, an dem
er diese Grenze zieht, an dem also die Fehler durch Auslassungen
abgeldst werden, wird vielleicht durch eine ganze Reihe von Um-
standen, jedenfalls aber auch wesentlich durch die personliche Eigen-
art mitbestimmt. In der That hat sich bei unseren Versuchen her-
ausgestellt, dass die gegenseitigen Beziehungen zwischen Fehlem und
Auslassungen bei den einzelnen Beobachtem recht verschiedene waren.
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308 Ludwig Gron uud Binil Kraepelin.
Ordnen wir die Personen in alien Versuchsreihen nach dem Grade,
in welchem die Fehler bei ihnen uber die Auslassungen uberwiegen,
so erhalten wir im Durchsclinitte die Gruppirung A., S., R., O. B.,
wenn wir I. mit seinen geringen Zahlen auBer Betracht lassen. A.
und S. stehen dabei einander nahe, ebenso O. und B., wahrend R.
eine Mittelstellung einnimmt. Die beiden ersteren Personen begingen
also verhaltnissmaBig sehr viele Fehler und wenig Auslassungen ; die
letzten beiden verhielten sich umgekehrt. Nach unseren friiheren
Darlegungen werden wir im allgemeinen erwarten diirfen, dass die
Zahl der Auslassungen in umgekehrtem Verhaltniss zu der Schnellig-
keit der Wahmehmung steht. Fiir S., A. und B. scheint das un-
gefahr zuzutreffen. Dagegen hat O. auffallend viel, R dagegen
weniger Auslassungen aufzuweisen, als seiner Wahmehmungsgeschwin-
digkeit entsprechen wiirde. Bei 0. ist das starke Ueberwiegen der
Auslassungen iiber die Fehler deswegen noch besonders bemerkens-
werth, da er an Zuverlassigkeit der Auffassuug an sich noch A. zu
ubertreffen scheint. Wir kommen daher zu der Annahme, dass O.
grundsatzlich geneigt war, die Grenze zwischen Erkanntem und nicht
Erkanntem erhebUch enger zu ziehen, als mindestens A. und R.
Wahrend jene Beobachter noch Lesungen vorbrachten, die sehr un-
sicheren Eindriicken entstammten, machte O. nur dann Angaben,
wenn er seiner Sache wenigstens einigermaBen sicher zu sein glaubte.
Eine Erganzung erhalt die hier vertretene Ansicht durch das
Verhalten unserer Beobachter bei dem allmahlichem Schwinden der
wiederholten gleichen Verlesungen im Laufe der Versuchszeit. Wie
wir gesehen haben, wurden dieselben Verlesungen bei denselben wie
bei verschiedenen Wortem von O., A. und S. bei weitem am hau-
tigsten am ersten Versuchstage vorgebracht, wahrend R. und B. an
den beiden letzten Tagen nur eine geringe oder gar keine Abnahme
erkennen lieBen. Am raschesten hat sich das Verschwinden der
wiederholten gleichen Verlesungen bei O. vollzogen, etwas langsamer
bei A. und S., obgleich die Zahl der Verlesungen Uberhaupt bei
ihnen ungefahr ebenso schnell sank wie dort. Es hat demnach den
Anschein, als ob die Ausmerzung der wiederholten Verlesungen nicht
ausschlieBlich auf Rechnung der scharferen Wahmehmung in Polge
der Uebung zu setzen sei, wenn dieselbe auch ohne Zweifel einen
wesentlichen Antheil daran hat. Allenfalls geniigt diese Erklarung
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Ueber die Messiiiig der AaffassuogsfUhigkeit. 309
fur die stehenden Wiederholungen. Das Schwinden derselben voU-
ziebt sich annahemd entsprechend dem Uebungsfortschritte der
Auffassung. Dagegen ist sehr auffallend das voUige Pehlen der zer-
streuten Wiederholungen bei O. am zweiten und dritten Tage, nacb-
dera am ersten nicbt weniger als 46 derartige Verlesungen dagewesen
waren. Moglich ware es, dass bei O. am ersten Versuchstage in Folge
zufalliger Einfliisse eine erhohte psychomotorische Erregbarkeit be-
standen hat, die sein Verhalten einigermaBen erklaren konnte. Wir
batten dann in dem iiberwiegenden Einflusse motorischer Sprachvor-
stellungen auf seine Auffassung keine dauemde personliche Eigen-
thiimlichkeit vor uns wie bei B., sondem einen voriibergehenden Zu-
stand. Es ist aber noch eine andere Erklarung denkbar. Sobald O.
mit den Versuchen vertrauter geworden war, musste ihm klar werden,
dass die Wiederkehr derselben Lesung wahrend desselben Trommel-
laufes nothwendig einen Pehler bedeute. Derartige Ueberlegungen
haben jedenfalls B. und auch R. nicht davon abgehalten, dieselbe
Verlesung bei verschiedenen Reizwortem vorzubringen; bei den iibrigen
Personen aber ist gerade dieser Pehler rascher verschyninden, als die
Verlesungen im allgemeinen, besonders bei O. Der Grund dafUr
konnte recht wohl in der groBeren Sorgfalt gelegen haben, mit der
alle augenfallig falschen Lesungen unterdriickt wurden.
Wir wurden diese Deutung hier nicht ausf uhrlicher erortert haben,
wenn nicht noch eine Erfahrung vorhanden ware, durch die sie unseres
Erachtens gestiitzt wird. Das ist das schon friiher erwahnte Verhalten
der sinnlosen Verlesungen. Da O. langsamer auffasste, als S., und
weniger durch Vorstellungen beeinflusst wurde, als A. und S., hatte
man bei ihm entschieden mehr sinnlose Verlesungen erwarten soUen,
als bei jenen Beiden oder mindestens bei S. Wenn der Versuch ein
ganz anderes Ergebniss geUefert hat, so kann der Grund dafiir
schwerhch in etwas anderem, als in der groBeren Zuriickhaltung
hegen, welche O. bei dem Vorbringen sinnloser imd daher offenbar
falscher Lesungen geiibt hat. Diese Erfahrung w.are nur ein Seiten-
stiick zu seiner Neigung, iiberhaupt verhaltnissmaBig wenig Pehler,
aber viele Auslassungen zu liefem. Von ihm wurden also an den
Auffassungsvorgang hohere Anspriiche gestellt, als von den ubrigen
vergleichbaren Personen ; das endliche Versuchsergebniss wurde nicht
nur durch Schnelhgkeit und Scharfe der Wahmehmung, nicht nur
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310 Lndwig Gron und Einil Kraepelio.
(lurch auftauchende Vorstellimgen, sondem offenbar auch durch ge-
wisse Ueberlegungen beeinflusst, die wenigstens einen Theil der
undeutlichen oder sicher falschen Lesungen schon im Entstehen
imterdriickten. Bei den andem Beobachtem diirfte eine solche Aiis-
wahl in weit geringerem MaBe stattgefunden haben. Natiirlich diirfen
wir uns dieselbe nicht als einen klar bewussten Vorgang vorstellen,
schon wegen der Schnelligkeit, mit der sich das Lesen abspielte.
Nach dem Verhaltnisse der sinnlosen Verlesungen batten wir friilier
die Versuchspersonen in die Reihe S., R., A., B., O. gebracht.
Ordnet man nach dem Ueberwiegen der Fehler iiber die Auslassungen,
so erhalt man die Reihe A., S., R., O., B. Jene drei Personen also,
die verhaltnissmaBig am meisten sinnlose Verlesungen geliefert batten,
bevorzugten am starksten die Fehler vor den Auslassungen und um-
gekehrt. Die Uebereinstimmung wird noch groBer, wenn man erwagt,
dass mit langsamerer Auffassung die Zahl der Auslassungen an sich
schon bedeutend wachst. Die beiden langsam auffassenden Personen
R. und B. wurden also verhaltnissmaBig weniger Auslassungen ge-
liefert haben und damit in jener Reihe etwas vorgeriickt sein, wenn
sie ebenso schnell batten wahmelmien konnen wie S., A. und 0.
Wir halten es daher nicht fUr unwahrscheinUch, dass die Haufig-
keit besonders der sinnlosen Verlesungen wie der Verlesungen iiber-
haupt durch eine gemeinsame Ursache vermindert wird, durch das
Bestreben, moglichst zuverlassig zu lesen. Dieses Bestreben
seheint sich am starksten bei O. und B., weit weniger bei den andern
drei Personen geltend gemacht zu haben. Freilich steht diesem Be-
streben uberall die Wirksamkeit der friiher besprochenen Fehler-
ursachen entgegen; es kann dalier nicht die Zahl, sondem nur das
VerhS<ltniss der Feliler zu den Auslassungen beeinflussen. Auch die
Beseitigung ziihe haftender Fehler braucht trotz aller BemUhungen
nicht rasch zu gelingen, wenn eben machtige Fehlerquellen dem ent-
gegenarbeiten. So sehen wir, dass B. trotz verhaltnissmaBig weniger
sinnloser Verlesungen wegen seiner mangelhaften Auffassung und der
starkeren Beeinflussung durch Sprachvorstellungen dieselben Fehler
ungemein haufig wieder begeht. Wenn dagegen R. und ahnlich A.
die einmal begangenen Fehler nur sehr schwer verbessem, so ent-
spricht das vollig den soeben naher begriindeten Vermuthungen.
Einen weiteren Beitrag zu der hier beriihrten Frage liefert uns
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Ueber die Messung der AQfTissaugsfEhigkeit. 311
die Betrachtung der Tabellen XV iind XXVII. Soweit die kleinen
Zahlen Schlusse erlauben, sehen wir, dass bei B. namentlieh die zer-
streuten Wiederholungen verhaltnissmaBig weit ofter wiederkehrten,
als bei den iibrigen Personen; 0. ubertraf darin die Andem wenig-
stens bei den einsilbigen Wortem, wahrend bei den zweisilbigen jene
Fehler fast verschwunden waren. Sehr haufige stehende Wieder-
holungen finden wir bei A. und besonders bei R., wahrend S. und
O. diese Neigung weit weniger zeigen. Diese Erfahrungen wiirden
sich etwa dahin deuten lassen, dass B. und in geringerem Grade O.
sich von einzehien motorischen Sprachvorstellungen, A. und R. da-
gegen von bestimmten Schriftbildem bei ihrer Auffassung beeinflussen
lieBen.
Auffallend erscheint hier das Verhalten von S., der dieselben
Feliler selten mehr als zweimal wiederholt. Nach unseren ganzen
sonstigen Erfahrungen erscheint es jedoch gewagt, darin etwa den
Ausdruck einer besonderen Fertigkeit in der Berichtigung begangener
Fehler zu sehen, zumal die Zahl stehender Wiederholungen bei ihm
keineswegs sehr gering ist. Kaher Uegt wohl die Erklarung, dass hier
die Verlesungen weniger lange haft^ten, als bei den Anderen, dass er
sich bei der nachsten Lesung meist der friiheren nicht mehr sehr
deutlich erinnerte und darum nicht gerade durch sie, wohl aber durch
beliebige andere Vorstellungen beeinflusst wurde. Dass er diesen sehr
zuganglich war, ist namenthch durch die Versuchsergebnisse beim
Lesen sinnloser Silben dargethan worden.
Ueber die personlichen Grundeigenschaften erfahren wii'
aus unseren Versuchen leider verhaltnissmaBig wenig, da die Anord-
nung dafiir nicht geeignet war. Die Uebungsfahigkeit vermogen
wir von der G^wohnungsfahigkeit hier kaum abzutrennen; zudem sind
die Werthe recht unsicher, da sie nur aus dem Vergleiche einzelner
Versuchstage gewonnen wurden. Sow^eit die vorliegenden Zahlen ein
Urtheil zulassen, war die Uebungsfahigkeit bei O. und wohl auch B.
am groBten, bei R. am geringsten; A. und S. standen dazwischen.
Jedenfalls stand die Uebungsfahigkeit, entsprechend den Erfahrungen
l)ei anderen fortlaufenden Arbeiten, in keiner Beziehung zu der
Schnelligkeit der Leistimg. Dagegen besserte die Uebung offenbar
die G^schwindigkeit der Wahrnehmung, indem sie nicht nur die Zahl
der richtigen Lesungen steigerte, sondem auch eine Abnahme der
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312 Ludwig Cron und Emit Kraepelin.
mehrfachen Buchstabenverlesungen bewirkte. Bei O. und B. fuhrte
sie vorzugsweise zu einer Verminderung der Auslassimgen; bei A.,
S. und R nahmen fast ausschlieBlich die Pehler ab. Offenbar be-
stand also ein Zusammenhang zwischen Uebungswirkung und Art der
Verarbeitung der Eindriicke. Bei denjenigen Personen, die undeut-
lich erfasste Eindriicke gar nicht zu lesen pflegten, bewirkte die
Uebung wesentlich eine Abnahme der Auslassungen, d. h. es wurden
durch die Verbesserung der Auffassung ebenso viele Auslassungen
in Verlesungen wie Verlesungen in richtige Lesungen Ubergefiihrt.
Wo aber die Neigung bestand, lieber falsch als niehts zu lesen, zeigte
sich der Uebungseinfluss zunachst hauptsacblich in der richtigeren
Auffassung der fehlerhaft erkannten Eindriicke, wahrend die Aus-
lassungen unberiihrt blieben. Dieser eigenthiimliche Unterschied ist
vielleicht dahin zu deuten, dass in beiden Fallen der Abstand^ zwischen
der Deutlichkeit der fehlerhaft und der gar nicht erkannten Eittdriicke
ein verschieden groBer war. Bei der ersten Gruppe fand, wde es
scheint, ein ganz allmahlicher Uebergang der Fehler in die i\us-
lassungen statt, so dass die Umwandlung dieser in jene sich leiaht
vollzog. Wo aber moglichst viele Reizworter, wenn auch falsch, gt^-
lesen wurden, fielen nur solche Wahmehmungen ganz aus, die sehr\
tief unter der Schwelle lagen und daher durch die Uebung zunachst
nicht ausreichend verstarkt werden konnten.
Bei den meisten Versuchen machte sich die Besserung der Auf-
fassung in einer deutlicheren Erkennung der ersten Buchstaben
geltend. Ausnahmen bildeten, wenn wir die unvollstandigen Auf-
zeichnungen bei Trommel C hier auBer Acht lassen, bei Trommel A
nur S., der fortschreitend die mittleren Buchstaben bevorzugte, und
B., der sich hier wie bei Trommel B in der Auffassung der Buch-
staben verhaltnissmaBig am meisten besserte. Hun schloss sich bei
den zweisilbigen Wortem R. an. Wenn somit durch die Uebimg
gewohnhch derjenige Theil der Eindriicke am meisten begiinstigt
wurde, auf den sich die Aufmerksamkeit vorzugsweise richtete, so
erwies sich ihr Einfluss doch dort noch starker, wo die Leistung von
vomherein ganz besonders schlecht gewesen war. Dieses Verhalten
entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass die Uebung schlechte
Leistungen rascher und ausgiebiger verandert, als bessere.
Die sinnlosen Verlesungen nahmen imter dem Einflusse der
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Ueber die Messiing der Auffassungsflihigkeit. 313
Uebung bei O., A., S. sehr deutlich, bei E. iind B. nicht erkennbar
ab. Wenn wir friiher die Zahl der sinnlosen Verlesungen in Beziehung
gesetzt haben zu der Neigung, zweifellos unrichtige Lesungen zu
unterdriicken, so sehen wir jetzt, dass die beiden langsamsten Be-
obachter in diesem Punkte am wenigsten durch die Uebung beein-
flusst werden. Wir dtirfen uns auch wohl vorstellen, dass eine kri-
tische Auswahl beim Lesen erst dann moglich ist, wenn die Losung
der Erkennungsaufgabe selbst nicht mehr die ganze Aufmerksamkeit
in Anspruch nimmt. AuBer der personlichen Neigung zur Ausmer-
zung falscher Lesungen wird also auch die Schnelligkeit der Wahr-
nehmung fur die Zahl sinnloser Verlesungen noch eine gewisse Be-
deutung behalten.
Vielleicht sind ahnliche Ueberlegungen geeignet, uns das Ver-
halten der einzelnen Personen gegenliber den wiederholten gleichen
Verlesungen verstandUcher zu machen. Wir haben gesehen, dass die
stehenden Wiederholungen an denselben Tagen bei O., A., und S.
von Tag zu Tag seltener wurden, wahrend bei R. und B. eine Ab-
nahme nicht bemerkbar war. Ein ahnlicher Unterschied war hin-
sichtlich der zerstreuten Wiederholungen festzustellen, sowohl an
denselben wie an verschiedenen Tagen. Wie schon friiher dargelegt
wurde, weisen uns diese Unterschiede darauf hin, dass R. und B. im
Laufe der Versuchstage es nicht, wie die ubrigen Personen, lemten,
zur Verbesserung ihrer Leistung von denjenigen Hiilfsmitteln Ge-
brauch zu machen, die ihnen durch die Ueberlegung an die Hand
gegeben wurden. Sie suchten nicht eine friihere unsichere Lesung
bei der Wiederkehr desselben Wortes durch erhohte Anspannung
der Aufmerksamkeit zu verbessem; sie verwarfen nicht eine Lesung,
weil sie schon einmal bei einem anderen Worte vorgebracht worden
war. Dass in diesen Richtungen durch die Uebung kein wesentUcher
Fortschritt gebracht wurde, konnte, abgesehen von sonstigen person-
lichen Eigenthumlichkeiten, gewiss auch zu der immer noch sehr
groBen Langsamkeit der Wahmehmung in Beziehung stehen, die das
Eingreifen weiterer Ueberlegungen erschweren musste.
Ueber die Ermiidbarkeit unserer Beobachter geben die Ver-
suche wegen ihrer Anordnung leider nur wenig Aufschluss. Es lasst
sich kaum mehr sagen, als dass O. wohl zweifellos die groBte Er-
miidbarkeit von alien Personen besessen hat; jedenfalls waren A., S.
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314 Lndwig Gron und Kmil Kmepeliiu
iind R. weniger ermiidbar als er. B. war anscheinend ermiidbarer
als R; in welchem Verhaltnisse jedoch R. und B. zu A. und S.
stand, lasst sich bei dem Mangel vergleichbarer Versuchswerthe zu-
nachst nicht entscheiden. So weit wir demnach das Verhalten der
Enniidbarkeit beurtheilen konnen, steht die Reihenfolge der Personen
nirgends im Widerspruch mit ihrer Ordnung nach der Uebungsfahig-
keit; insbesondere zeichnet sich 0. durch grofie Uebungsfahigkeit und
groBe Enniidbarkeit zugleich vor alien Anderen aus. Die Anschauung,
dass jene beiden Eigenschaften in tieferem Zusammenhange mit ein-
ander stehen, wurde in den hier gewonnenen Erfahrungen eine ge-
wisse StUtze finden.
Von den einzelnen Wirkungen der Ermudung ist namentlich
die Zunahme der mehrfachen Buchstabenverlesungen und die Ver-
mehrung der sinnlosen Verlesungen von Bedeutung. Erstere zeigt
sich in der zweiten Halfte der Versuchsreihen bei O. und B.,
fehlt aber bei A., S. und R. ; die letztere Erscheinung finden ^ir
bei O., B., A. und in geringem Grade auch bei R., wahrend sie
bei S. fehlt. Diese Thatsachen lehren uns einmal, dass gewisse Er-
miidungszeichen schon entwickelt sein konnen, wenn die durch Uebung,
Gewohnung und Anregung wachsende GroBe der Leistung noch keine
Abnahme darbietet. Sie scheinen femer darauf hinzudeuten, dass
B., der nach O. die groBte Uebungsfahigkeit aufwies, auch hinsicht-
lich seiner Ermiidbarkeit Jenem nahe steht. Die ersten Buchstaben
der Worter, die unter dem Einflusse der Uebung zumeist besser auf-
gefasst wurden, erkannten alle Beobachter, mit Ausnahme von A.,
in den zweiten Halften der Versuchsreihen verhaltnissmaBig schlechter.
Wenn wir auch darin ein Ermiidungszeichen erblicken diirfen, so
wurden wir zu dem Scldusse kommen, dass sich bei den einzelnen
Personen vielleicht nicht alle Erscheinungen der beginnenden Er-
mudung in gleicher Reihenfolge entwickelten.
Der Hohepunkt der Leistung lag bei O. und A. verhaltnissmaBig
am friihesten in der Reihe, schien sich bei S. ein wenig, bei R. noch
sUirker nach hinten zu verschieben und fiel bei B. meist erst in die letzten
beiden Funftel. Die Ursachen dieser Unterschiede sind sehr verwickelte;
sie liegen zum Theil im Verhalten der Enniidbarkeit, wie das voll-
standige Fehlen von Hochstleistungen in den letzten Abschnitten
bei 0., zum Theil in dem verschieden raschen Wachsen der Uebung,
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Ueber die Messung der Auffassiingsf&higkeit. 315
Gewohnimg und Anregung, die wir leider nicht im Stande sind,
naher zu verfolgen.
EndKch aber hat fiir den Verlauf der Arbeitsleistung auch der
Antrieb eine gewisse Bedeutung, obgleich er weniger die Pehler,
als die Auslassungen zu vermindem scheint. Der Antrieb im An-
fange war am haufigsten bei S. und R, am seltensten bei A.; O.
und B. standen in der Mitte. Bei R., S. und B. war der Antrieb
niedrig und fliichtig, besonders bei letzteren Beiden, wahrend er bei
A. und O. nachhaltiger, bei diesem auch ziemlich hoch ausfiel. Schluss-
antrieb finden wir haufiger bei A. und B., etwas seltener bei 0. und
8., noch seltener bei R. ; bei letzteren Beiden ist er zugleich auBerst
unbedeutend. Wir sehen daraus, dass S. und R. zwar mit einem
gewissen, rasch verfliegenden Eifer an die Versuche herangingen,
aber gegen Schluss einer Reihe gleichgultig geworden waren, obgleich
die Ermiidung bei ihnen eine geringe Rolle spielte. Auch B. er-
lahmte bald, raffte sich aber am Ende von neuem wieder auf ; wahr-
scheinUch hat bei ihm auch im Verlaufe der Reihe ofters Antrieb
stattgefunden, wie wir friiher an einem Beispiele zeigten. A. ging
ziemUch kiihl an den Versuch heran, gerieth aber spater in Eifer;
ahnlich verhielt sich O., bei dem jedoch der Eifer im Anfang groBer,
am Ende geringer war, wohl wegen seiner groBeren Ermiidbarkeit.
Dieselbe Ursache bewirkte bei ihm gegen Schluss der Reihe eine
Starke Zunahme der Auslassungen, die wir besonders als Zeichen
einer Erschwerung der Auff assung anzusehen berechtigt sind. Aehn-
Kches findet sich bei R, muss aber bei ihm im Hinblicke auf seine
geringe Ermiidbarkeit und das Fehlen des Schlussantriebes wohl mehr
auf das Erlahmen seines Eifers fiir den Versuch bezogen werden.
Die Erscheinung des Antriebes diirfen wir als den Ausdruck
einer Willensanstrengung betrachten. Einen gewissen Zusammenhang
mit dem Willen miissen wir femer auch wohl der Ausmerzung fehler-
hafter Lesungen zuschreiben; sie vnrd jedenfalls unter sonst gleichen
Umstanden um so ausgiebiger erfolgen, je lebhafter der Wunsch des
Beobachters ist, gute Ergebnisse zu liefem. Es liegt daher die Frage
nahe, ob nicht Haufigkeit und Starke des Antriebes ungefahr der
Neigung entspreche, fehlerhafte Lesungen zu unterdriicken. Da wir
nicht jene Neigung selbst, sondern nur ihre Spuren messen konnen,
die sicher noch durch andere Ursachen beeinflusst werden, so werden
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. IL 21
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316 Ladwig Cron uod Emi) Kraepelin.
wir freilich kaum darauf rechnen konnen, in unseren Zahlen klare
GesetzmaBigkeiten aufzufinden. Die meisten sinnlosen Verlesnngen
waren von S. und R., die wenigsten von O. geliefert worden, von A.
und B. eine mittlere Zahl. R. und S. aber sind auch diejenigen
Personen, deren Eifer am raschesten und vollstandigsten erkaltete.
0. zeigte zwar nicht den haufigsten, aber den nachhaltigsten und
hochsten Antrieb. B. erwies sich als eifrig, aber rasch erlahmend,
wahrend A. zunachst ziemlich kuhl war, aber wahrend des Versuches
in Eifer gerieth. Das Verhalten des Willens, soweit es aus dem An-
triebe erkennbar wird, lasst sich demnach nicht so leicht in eine ein-
fache Pormel bringen; es will uns aber doch scheinen, als wenn die
Erfahrungen beim Antrieb mit denjenigen beim sinnlosen Yerlesen
leidlich gut im Einklange stehen.
YIIL Znsammenfassong.
Bis hierher fiihren uns die aus den Versuchen gewonnenen Er-
gebnisse. Sie zeigen uns, dass unerwartet mannigfache Verschieden-
heiten zwischen den einzelnen Beobachtem bestanden, entsprechend
der unerschopflichen Vielgestaltigkeit menschlicher Personlichkeiten.
Von besonderer Wichtigkeit ist es dabei, dass einige der von uns
aufgedeckten Thatsachen tiefere Zusammenhange unter einander er-
kennen lieBen, die auf gemeinsame Grundlagen hinweisen, wahrend
andere Erfahrungen auf ganz selbstandigen personlichen Eigenthiim-
lichkeiten beruhen durften. AUein diese Scheidung ist keine strenge;
in dem ununterbrochenen Getriebe unseres Seelenlebens ilieBen die
Wirkungen fast unentwirrbar durch einander, so dass wir uns nur in
den grobsten Umrissen uber die verschiedenen EinflUsse Rechenschaft
zu geben vermogen, deren Endergebniss die vorliegende Gestaltung
des Auffassungsvorganges darstellt
1. Eine maBgebende Rolle kommt dabei ohneZweifel der Schnel-
ligkeit der Wahmehmung zu. Da sie ganz allgemein die
Deutlichkeit der vorbeieilenden Eindriicke bestimmt, so hangt
von ihr unmittelbar die Lage der Leistung im Schwellengebiete,
die Zahl der richtigen Lesungen, der mehrfachen Buchstaben-
verlesungen, bei sinnlosen Silben auch der Auslassungen ab.
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Ueber die Messnng der Aoffassnngsflhigkeit. 317
Ferner beeinflusst sie alle jene Vorgange, welche zu der groBe-
ren oder geringeren Klarheit der Wahmehmung in irgend
welcher Beziehung stehen, die Haufigkeit der Verlesungen iind
Auslassungen iiberhaupt, die Zuverlassigkeit der Auffassung
im Schwellengebiet, die Wiederholung derselben Verlesungen,
die XJnterdriickung als falsch empfundener, insbesondere sinn-
loser Lesungen, vielleicht auch, jedoch nur bis zu einem ge-
wissen Grade, die Gliederung der Auffassung.
2. Die Gliederung der Auffassung bestimmt die Deutlich-
keit der einzelnen Bestandtheile des Eindruckes. Die Auf-
merksamkeit richtet sich bei kurzen Buchstabenreihen auf die
Mitte derselben; die Gruppe wird als Einheit aufgefasst, der-
art, dass ein Zeichen scharf, die ubrigen weniger deutlich er-
kannt werden. Langere Worter werden in kleinere Abschnitte
zerlegt, deren Umfang bei unseren Beobachtem zwischen 2 und
4 Buchstaben schwankte. Das erste Zeichen des vorbeieilenden
Eindruckes wird am schlechtesten wahrgenommen, wenn es
nicht die Aufinerksamkeit durch groBen Druck besonders auf
sich zieht. Ebenso werden die letzten Zeichen fortschreitend
immer undeutlicher erkannt. Die Zahl der richtigen Lesungen
wird vielleicht etwas von der Gliederung der Auffassung be-
einflusst, wie die hohe Leistung von O. bei Trommel B anzu-
deuten scheint. Auch die Menge der Verlesungen kann mog-
licherweise von der Gruppirung der Eindriicke mitbestimmt
werden; so schien die Verlesung mancher einsilbiger Worter
bei S. mit seinem Streben nach einheitlicher Auffassung des
Gesammtreizes in Verbindung zu stehen.
3. Die Zuverlassigkeit der Auffassung hangt ab einmal von
der sinnlichen Scharfe der Wahrnehmung, die bei
gleicher Tiichtigkeit des eigentlichen Sinneswerkzeuges unter
den gegebenen Bedingungen wesentlich durch die personliche
Wahmehmungszeit bestimmt wird. Weiterhin aber ist maB-
gebend die Beeinflussung der Auffassung durch Vor-
stellungen, seien es Schriftbilder, seien es motorische Sprach-
vorstellungen. Der Grad dieser Beeinflussung macht sich in
der Zahl der sinnlosen Verlesungen, der Worterganzungen und
21*
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3 1 8 Ludwig Gron uod Emil Kraepelin.
Zusatze bei sinnlosen Silben, in dem Verhaltnisse der Ver-
lesungen zu den Anslassungen, endlich in der Haufigkeit der
wiederholten Verlesnngen bemerkbar. Begiinstigt wird die
Wirkung der Vorstellimgen durch alle Ursachen, welche die
Deutlichkeit des Eindruckes herabsetzen. Je fester einzehie
Vorstellungen haften, desto haufiger fuhren sie zu denselben
Verlesnngen, doch konnen auch fluchtige und wechsehide Vor-
stellungen auf die Auffassung wirken, wie das Beispiel von S.
darthut. Schriftbilder begiinstigen mehr das Zustandekommen
stehender, motorische Wortvorstellungen mehr dasjenige zer-
streuter Wiederholungen.
4. AuBer den genannten Bedingungen wirkt auf das Versuchs-
ergebniss noch das melir oder weniger ausgepragte St re ben
der Versuchsperson nach moglichst guter Auffas-
sungsleistung ein. Dieses Streben, welches gewisse Be-
ziehungen zum Antriebe erkennen lasst, fUhrt zur Unter-
driickung als falsch empfundener Lesungen und wird daher
erkennbar in dem Verhaltnisse zwischen Anslassungen und
Fehlem, in der Zahl sinnloser Verlesnngen, in der Schnellig-
keit, mit welcher im Laufe der Versuche die wiederholten
Verlesimgen desselben Tages schwinden, vielleicht auch etwas
in der Q-hederung der Auffassung.
5. Die Uebung kiirzt die Wahmehmungszeit ab und verandert
dadurch alle Vorgange, die von jener beeinflusst werden. Sie
bewirkt je nach der groBeren Neigung zu Verlesnngen oder
zu Anslassungen eine Abnahme der ersteren oder der letzte-
ren. Da die Wahmehmungen deutlicher werden, nehmen die
sinnlosen Verlesnngen, die mehrfachen Buchstabenverlesungen
und die Wiederholungen am gleichen Tage ab. Die ersten
Buchstaben werden meist besser erkannt, nur bei den sehr
langsam auffassenden Personen die letzten.
6. Die Ermiidung, die auch hier mit der Uebungsfahigkeit in
nahen Beziehungen zu stehen scheint, entfaltet in alien Stucken
genau die entgegengesetzten Wirkungen. Ihr Einfluss auf die
Art der geleisteten Arbeit wird friiher erkennbar, als die
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Ueber die Messung der Auffassungsfiihigkeit. ^ 319
Herabsetzung der richtigen Lesungen, die noch eine Zeit lang
durch andere Ursachen verdeckt werden kann.
7. Der Antrieb vermehrt hauptsachlich die Zahl der richtigen
Lesungen iind scheint die Auslassungen starker zu vermindem,
als die Fehler.
8. Das Gedachtniss macht seinen Einfluss wesentlich in der
haufigen Wiederkehr der stelienden Verlesungen geltend ; auBer-
dem verkniipft es die auf einander folgenden Reizworter und
f iihrt dadiirch zu einer Erleichterung des Lesens mit Hulf e der
sich ausbildenden Kette von Erinnerungsbildem.
Aus dem Zusammenwirken aller dieser, bei jedem Beobachter
verschieden ins Gewicht fallenden Bedingungen gelien die einzelnen
Vei-suchsergebnisse hervor, wie wir ihnen in unseren Listen begegnen.
Moglich ist es naturlich, dass dabei noch weitere Einfliisse mitspielen,
deren Spuren wir nicht herauszuschalen vermochten; sicher gilt das
von der Gewohnung und der Anregung. Trotzdem durfen wir viel-
leicht den Versuch machen, auf Grund der vorliegenden Erfahrungen
wenigstens in allgemeinen Ziigen die Eigenart der einzelnen
Personen zu kennzeichnen.
I. zeichnete sich durch die bei weitem groBte Schnelligkeit der
Wahmehmung aus; seine Versuche bewegten sich nahe der
oberen Grenze des Auffassungsschwellengebietes. In Folge
dessen kamen Auslassungen und Fehler uberall nur in ganz
verschwindender Zahl, mehrfache Buchstabenverlesungen iiber-
haupt nicht vor. Ein genauerer EinbUck in die besondere Ge-
staltung des Auffassungsvorganges war daher bei ihm nicht
moghch.
O. bot eine mittlere Wahmehmungsgeschwindigkeit dar; die Ver-
suche fielen in den oberen Abschnitt des Schwellengebietes.
Er pflegte die Reizworter in einzelne Abschnitte zu gliedem,
die bei den einsilbigen Wortem meist 2, bei den zwei-
silbigen bis zu 4 Buchstaben enthielten. Die sinnlichen Ein-
driicke wui'den mit groBer Treue aufgefasst, undeutliche Wahr-
nehmungen lieber gar nicht, als falsch wiedergegeben. Die
Beeinflussung durch Vorstellungen war sehr gering; nur am
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320 , Ludwig Gron uud Cmii Kraepelin.
ersten Tage spielten motorische Sprachvorstellimgen erne ziem-
liche Rolle. Es bestand ein starkes Bestreben, moglichst
richtige Lesungen zu liefem und Fehler im Entstehen zu
unterdriicken. Uebungsfahigkeit und Ermiidbarkeit waren sehr
groB, Antrieb im Beginne wie am Ende nicht gerade haufig,
aber kraftig und nachhaltig.
A. erkannte mit maBiger Schnelligkeit, docli lag auch seine Leistung
im oberen Abschnitte des Schwellengebietes. Er bildete bei
einsilbigen Wortern zweigliedrige, bei dreisilbigen Gruppen bis
zu 3 Buchstaben. Die Zuverlassigkeit der Wahmehmung war
nicht sehr groB; die Auffassung wurde erheblich durch Vor-
stellungen beeinflusst, namentlich durch Schriftbilder, von denen
einzelne mit auffallender Zahigkeit hafteten, viele andere fluch-
tiger waren. Undeutliche Eindriicke wurden sehr viel lieber
falsch gelesen, als ausgelassen. Die Sichtung der Lesungen
mit Hiilfe der Ueberlegung war unvollkommen. Uebungsfahig-
keit und Ermiidbarkeit waren maBig groB; die Arbeit wurde
selten mit Eifer begonnen, doch trat gegen Schluss sehr oft
Antrieb hervor.
S. vermochte recht schnell zu erkennen; seine Werthe gehorten
dem oberen Theile des Schwellengebietes an. Einsilbige Worter
wurden als Gesammteindruck, zweisilbige in zweigliedrigen Buch-
stabengruppen aufgefasst. Die Wahrnehmungen waren an sich
scharf, wurden aber in ungemein hohem Grade durch Vor-
stellungen, wohl fast ausschlieBUch Schriftbilder, beeinflusst.
Diese Vorstellungen hafteten aber nicht lange, sondem waren
sehr wechselnden Inhaltes. Undeutliche Eindriicke wurden ganz
vorwiegend erganzt oder fehlerhaft wiedergegeben, viel seltesner
ausgelassen. Auf die Ausmerzimg falscher Lesungen wurde
keine besondere Sorgfalt verwendet. Uebungsfahigkeit und
Ermiidbarkeit waren gering; die Versuche wurden meist mit
rasch erkaltendem Eifer aufgenonunen, der gegen Schluss der
Reihe noch mehr erlahmte.
R. nahm so langsam wahr, dass seine Werthe ins mittlere Schwellen-
gebiet fielen. Er bot eine zweigliediige Gruppirung der Ein-
driicke dar, die aber, wie es scheint, bei einsilbigen Wortern
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Ueber die Messung der Aiiffassnogsnihigkeit. 32 1
durch die erschwerte Auffassung der letzten Buchstaben theil-
weise verdeckt wurde. Die Scharfe seiner Wahmehmungen
war, entsprechend ihrer Langsamkeit, gering, doch zeigten sie
sich niir sehr wenig durch Vorstellungen beeinflusst. Dagegen
hafteten einzelne Vorstellungen, wahrscheinlich vorwiegend
Schriftbilder, mit groBer Festigkeit. Unklar erfasste Eindriicke
wurden Ueber fehlerhaft wiedergegeben, als ausgelassen; ein
Streben nach Unterdriickung falscher Lesungen machte sich
kaum bemerkbar. Uebungsfahigkeit und Ermudbarkeit waren
sehr gering, der Antrieb im Beginne haufig, aber fluchtig; am
Schlusse versagte der Eifer vollkommen.
B. hatte weitaus die geringste Wahrnehmungsgeschwindigkeit auf-
zuweisen; seine Zahlen bewegten sich im unteren Schwellen-
gebiete, z. Th. nicht sehr fern der unteren Grenze. Seine
Auffassung zeigt Andeutungen einer zweigUedrigen Gruppirung;
weit machtiger aber wai* die wachsende Erschwerung des Er-
kennens gegen das Ende der Worter hin. Die sehr geringe
Zuverlassigkeit der Auffassung entsprach ihrer auBerordent-
lichen Langsamkeit. Die Beeinflussung durch Vorstellungen
war anscheinend ziemlich bedeutend ; namentlich waren es mo-
torische Sprachvorstellungen, die mit sehr groBer Zahigkeit
hafteten und auf die Verlesungen bestimmend einwirkten. Die
iiberwiegende Mehrzahl ungenau erkannter Eindriicke wurde
ausgelassen, so dass Fehler verhaltnissmaBig selten zu
Stande kamen; auch sonst bestand wohl eine gewisse Neigung
zur Unterdriickung falscher Lesungen, wenn auch mit geringem
Erfolge. Uebungsfahigkeit und Ermiidbarkeit waren ziemlich
groB, der Antrieb im Beginne nicht sehr haufig, dabei fliichtig
und gering, gegen Schluss dagegen gut ausgepragt.
Nach dieser kurzen Kennzeichnung unserer Versuchspersonen wird
es zum Schlusse erlaubt sein, die Frage aufzuwerfen, ob die nach-
gewiesenen Unterschiede in irgend eine Beziehung zu besonderen Ein-
fliissen, namentlich zu den bei einigen bestehenden geistigen Storungen
gebracht werden durfen. Zunachst konnen wir feststellen, dass jene
Unterschiede keinesfalls ein Ausdruck des Bildungsgrades sind,
Dieser letztere ist etwa gleich zu setzen bei I. und 0. ; weiter standen
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322 Ludwig Cron nod Emil Kraepelin.
imgefahr auf derselben Stufe A., R und B. ; die geringste Bildung
hatte S. aufzuweisen. Die Schnelligkeit der Auff assung , die Beein-
flussung derselben durch Vorstellnngen wie die Neigung zu kritischer
Sichtung der Lesungen sind demnach von der Bildimg ebenso unab-
hangig wie XJebungsfahigkeit , Enniidbarkeit nnd Antrieb. Dagegen
ist es nicht ganz ausgeschlossen , dass die erworbene Fertigkeit im
Lesen einen gewissen Einfluss auf die Gliederung der Eindriicke hat.
Ueber das Verhalten von I. haben wir uns leider kein Urtheil bilden
konnen; doch haben wir O. und A. die groBten Auffassungsgruppen
bilden sehen. Auch aus anderen Erfahrungen ist es genugsam be-
kannt, dass durch lange Uebung das Auffassungsfeld erweitert wer-
den kann.
Zu einer einf achen Gegenuberstellung der Kranken und Gesunden,
wie wir sie gelegenthch der Kurze halber versucht haben, sind wir
bei dieser Betrachtung offenbar nicht berechtigt. Will man Ginippen
bilden, so gehoren I., S., 0., A. der einen, R. und B. der andem
an; besser werden auch sie noch von einander getrennt. Jedenfalls
entfemt sich S. nach keiner Richtung hin so weit von den andem
gesunden Personen, dass wir irgend eine seiner Eigenthiimlichkeiten
als krankhaft betrachten diirften: seine Auffassungsfahigkeit ist zweifel-
los normal gewesen. Vielleicht erscheint das starke Ueberwiegen der
Schriftbilder bei ihm nicht ganz ohne Bedeutung, wenn wir uns er-
innem, dass er eine auffallende zeichnerische Begabung besaB, die
ihn ohne jede Anleitung in kurzer Zeit recht achtbare Leistungen er-
reichen lieB.
Von den Personen der ersten Gruppe weicht R nicht unbetracht-
lich ab. So lange wir jedoch nicht viel umfassendere Kenntniss von
dem Verhalten gesunder Personen besitzen, fuhlen wir uns nicht be-
rechtigt, die bei ihm gewonnenen Ergebnisse ohne weiteres in den
Bereich des Ki-ankhaften zu verweisen. Bemerkenswerth war, abge-
sehen von der Langsamkeit und Unzuverlassigkeit seiner Auffassung,
die Zahigkeit einzelner Vorstellnngen, die mangelhafte kritische Aus-
wahl der Lesungen, die geringe Uebungsfahigkeit und das rasche
Erlahmen seines Eifers bei den Versuchen. Namentlich aus den erst-
genannten Ziigen ware es sehr leicht, Beziehungen zu dem bei ihm
vorhandenen Kranklieitsbilde der Paranoia herauszulesen ; wir mochten
indessen darauf hinweisen, dass sich R. von den Ubrigen Personen
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Ueber die Mes^un^ der AufTassiyigsflihigkeit. 323
vor aJlem durch sein weit hoheres Alter unterschied , welches die
Abweichungen seines Verhaltens zumeist recht gut erklaren wiirde.
Bis auf weiteres sind wir demnach auch bei B,. nicht uberzeugt, dass
wir es mit krankhaften Storungen der Auffassung zu thun batten.
Weit wahrscheinlicher wird diese Annabme bei B. Die von ilim
gelieferten Werthe fallen so voUstandig aus dem Bahmen aller ubrigen
heraus, dass sie als sehr verdachtig betrachtet werden miissen, um
80 mehr, als in den sonstigen personUchen Verhaltnissen B.'s keinerlei
Erklamng fiir derartig starke Abweichungen aufzufinden ist; in Lebens-
alter und Bildungsgrad steht er den ubrigen Personen z. Th. recht
nahe. Er zeichnet sich auBer der ungemeinen Langsamkeit und Un-
zuverlassigkeit seiner Auffassung hauptsachlich durch die Lebhaftig-
keit und das lange Haften einzelner motorischer SprachvorsteUungen
aus. Wir erinnem uns dabei, dass Kraepelin unter dem Einflusse
des Alkohols eine Erschwerung der Auffassung und Erleichterung
der Auslosung von Bewegungsantrieben gefunden hat ^). Insbesondere
war von ihm eine Erleichterung des motorischen Lemens beobachtet
worden, und auch die auffallenden Veranderungen der Vorstellungs-
verbindungen HeBen sich wesentlich auf ein starkeres Hervortreten
motorischer SprachvorsteUungen zuriickfiihren. Allerdings waren die
Aufschlusse iiber das Verhalten der Auffassung nur mit Hiilfe von
Wortreactionen gewonnen worden. Neuere Versuche aber, die iiber
die Beeinflussung des Auff assungsvorganges durch Alkohol nach dem
von uns benutzten Verfahren ausgefUhrt wurden, haben gezeigt, dass
in der That auch hierbei eine tiefgreifende Erschwerung zu Stande
konmit. Das Bild, welches B. in unseren Versuchen dargeboten hat,
entspricht somit in seinen wesentUchen Ziigen vollkommen den Ver-
anderungen, welche die acute Alkoholvergiftung im Ablaufe des Auf-
fassimgsvorganges und der Vorstellungen hervorbringt.
Man kann hier freilich den Einwand erheben, dass die acute
und die chronische Wirkung des Alkohols, wie wir sie bei B. vor
uns batten, nicht ohne weiteres vergleichbar seien. Das ist an sich
gewiss richtig, doch liegt die Annabme nahe, dass der dauemde Miss-
brauch des Giftes nur eine Befestigung der Wirkungen herbeifuliren
1) Ueber die BeeinflussuDg einfacher psycbischer Vorg&nge durch einige
Arzneimittel. S. 173 ff.
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324 Ludwig Cron und Emil Kraepelio.
werde, die wir beim einmaligen Rausche beobachten. Es lasst sich
in der That zeigen, dass sich die Wurzeln der wesentlichen dauem-
den Veranderungen, die das Seelenleben des Trinkers darbietet,
schon im Bilde des Rausches aaf zeigen lassen, die geistige Unfahig-
keit, die sittliche Stumpfheit und die gemiithliche Beizbarkeit, end-
lich die Haltlosigkeit des Willens. Wir diirfen femer darauf hin-
weisen, dass sich die Spuren dieser Stomngen in den Versuchen von
Ftirer*) noch am zweiten Tage nach einmaligem Alkoholgenusse
deutlich haben nachweisen lassen. Man wird es daher fur wahr-
scheinlich halten konnen^ dass regehnafiiger Alkohohnissbrauch die
Erschwerung der geistigen Thatigkeit und die erleichterte Auslosung
von Bewegungsantrieben immer mehr befestigt; sie werden sich dann
endlich bei volliger Enthaltung von geistigen Getranken nicht schon
nach wenigen Tagen, sondem erst ganz allmahlich wieder verlieren.
Diese Annahme wurde unseren sonstigen klinischen Erfahrungen iiber
die Entwicklung und den Ausgleich der alkoholischen Stomngen vollig
entsprechen.
Wir kommen also zu dem Schlusse, dass die hier bei B. festge-
stellte Stoning der Auffassung gerade diejenigen Ziige tragt, die wir
nach unserer Kenntniss von der Alkoholwirkung erwarten durften.
Dieser Umstand ist es weit mehr, als die GroBe der Storung an sich,
der uns zu der Ansicht bestimmt, dass es sich an diesem Punkte
nicht um eine einfache personliche Eigenthiimlichkeit, sondem um
eine krankhaf te Storung handelt. Nattirlich wird erst die Samm-
lung weiterer ahnlicher Beobachtungen lehren konnen, ob wir es bei
dieser eigenartigen Beeintrachtigung der Auffassung mit einem ge-
legentlichen oder mit einem regehnaBigen Zeichen des chronischen
Alkoholismus zu thun haben.
Am Ende dieser Betrachtungen wollen wir ims nicht verhehlen,
dass die Ausbeute, die wir hinsichtUch der personlichen Gestaltung
des Auffassungsvorganges gewonnen haben, weit hinter den Erwartun-
gen zuriickbleibt, die man an die Durchftihrung von Massenbeobach-
tungen mit HUlfe der einfachsten » mental tests* zu kniipfen pflegt
Haben doch Binet und Henri 2) alien Erastes die Forderung aus-
1, Archiv f. Piychiatrie. XXIV. S. 970.
2, L'ann^e psychologique. II. S. 433 ff.
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Ueber die Messaug der AufTassuogsfabigkeit. 325
gesprochen, dass uns eine nicht mehr als einstiindige, einmalige XJnter-
suchung uber die verschiedensten Eigenthiimlichkeiten des Menschen,
sogar uber seine kiinstlerischen und sittlichen Gefuhle, Aufschluss
geben solle. Warum auch nicht, wenn wii- selien, dass taglich in den
Zeitungen die Meister der Graphologie aus noch viel unzulanglicheren
Anhaltspunkten weit vollkommenere Bilder der Personlichkeit ent-
werfen und die geheimsten Regungen des Herzens ergriinden! Wir
sind viel, viel bescheidener. Unsere Wissenschaft ist so schwerfallig,
dass sie dem kuhnen Fluge der psychischen Schnellphotographie nicht
zu folgen vermag. Vielmehr glauben ^vir, dass auch die hier mlihsam
aus den Versuchen herausgeschalten Ergebnisse noch haufigerNach-
priifung und Erganzung bediirfen, bevor sie als sichere Erkenntniss-
grundlage gelten diirfen. FUr uns wachsen leider die Schwierigkeiten,
je weiter wir in finen Gegenstand eindringen.
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Die psychischen Wirkungen des Trionals.
Von
Hans Haenel.
Mit einer Figur im Text.
1/ie Untersuchung der psychischen Wirkungen des Trionals mit
Hilfe einiger Methoden der experimentellen Psychologie ist der Gegen-
stand dieser Arbeit. Auf die Wichtigkeit der Untersuchung von
psycliischen Arzneimittelwirkungen ist von Kraepelin und anderen
niehrfach hingewiesen worden. Sind doch derartige Forschungen neben
dem Studium der Ermiidung, Uebung, Erschopfung und der Indivi-
dualpsychologie besonders dazu angethan, uns ein naheres Vei»stand-
niss der Geisteskrankheiten zu erschlieBen, deren Aetiologie und Dia-
gnostik bisher noch nicht iiber ahnlich genaue Hilfsmittel verfiigt wie
die iibrigen Zweige der Medicin. Die durch den Versuch gebotene
Moglichkeit, psychische Veriinderungen genauer zu zergliedera, hat
schon bei einer Reihe von Stoffen mit anscheinend ganz iihnliclier
Wirkung feinere Verschiedenheiten dieser letzteren aufgedeckt. Al-
kohol, Morphium, Chloralhydrat, Paraldehyd, die sammthch als Schlaf-
und Beruhigungsmittel in Anwendung gezogen zu werden pflegen,
zeigen im psychologischen Versuche ein wesentlicli verscliiedenes Ver-
halten. Namenthch aber haben uns die uberraschenden Ergebnisse
der Arbeit Loewald's iiber dasBrom*) von neuem die groBe Man-
nigfaltigkeit der psychischen Arzneiwirkungen auf diesem Gebiete dar-
gethan. Es erschien daher wunschenswerth, die Untersuchungen noch
auf andere Schlafmittel auszudehnen. Zwei Stofte kamen hier vor
1; Diese Arbeiten. Bd. I. S. 489.
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Die psycbischen WirkungeD des Trionals. 327
allem in Betracht, das Hyoscin mit seiner bekannten kraftigen Wir-
kung auf motorische Erregungszustande , und das Trional, das als
sicheres und angenehm wirkendes Schlafmittel in der Praxis weite
Verbreitung gefunden hat. Wir entschieden uns fiir letzteres und
geben im folgenden die Ergebnisse unserer Versuche.
I. Methodik.
Die Versuche fallen in den Winter 1 895/96 und den Sommer
J 896; sie wurden ziun groBten Theile am Verfasser selbst angestellt.
Der Nachtheil, den dieser letztere Umstand mit sich bringt, besonders
in Bezug auf die Berechtigung, allgemein giiltige Schlussfolgerungen
zu Ziehen, kann durch folgende Umstande wohl als aufgewogen be-
trachtet werden : Erstens wurden die Versuche lange Zeit f ortgesetzt
imd jede Methode so lange ausgeubt, bis wir iiber eine geniigende
Anzahl von Einzelversuchen verfugten; wir batten dann ein Recht
zu der Annahme, dass die erhaltenen Durchschnittswerthe durch Zu-
falhgkeiten nicht mehr maBgebend beeinflusst seien. Zweitens erhielt
die Versuchsperson zu gleicher Zeit iiber ihre personhchen Eigen-
thiimhchkeiten, soweit sie hier in Betracht kamen, genauen Aufschluss,
sodass also jede grobere Abweichung von dem gewohnlichen Verhalten
mit groBer Wahrscheinlichkeit auf arzneiliche Beeinflussung zuriick-
zufuhren war. Als dritter wichtiger Punkt kommt hinzu, dass alle
andem Einfliisse vermieden wurden, die auf Grund friiherer Versuchs-
ergebnisse, personlicher Erfahrungen oder auch landlaufiger Vor-
stellungen eine Einwirkung auf den psycbischen Gleichgewichtszustand
auszuiiben im Stande sein konnten. Ich richtete also meine Lebens-
fiihnmg ganz so ein, wie sie von friiheren Untersuchem fiir noth-
wendig erkannt und durchgefuhrt worden war. Die Resultate der
Bettmann'schen Arbeit') wurden in der Weise beriicksichtigt, dass
groBere Spaziergange, Tumen, Bergbesteigungen u. a. an den Ver-
suchstagen vermieden wurden. Enthaltung von Alkohol, Kxiffee, Thee,
Nikotin etc. war selbstverstandlich. Die Versuche wurden Abends
meist gegen 8 Uhr begonnen, nachdem kurz vorher regelmaBig das
Abendbrot genommen worden war. Fur jeden Abend wurden
1} Diege Arbeiten. Bd. I. S. 152 ff.
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328 Hans Haenel.
subjective Beobachtungen oder besondere Versuchsbedingungen im
Protocoll verzeichnet.
Die Trionalwirkung wurde untersucht nach den von Kraepelin
beschriebenen und in seinem Laboratorinm oft geiibten Methoden der
continuirlichen und discontinuirlichen Arbeit. Als erstere diente das
Addiren 1 stelliger Zahlen, das Auswendiglernen 128telliger Zahlen-
reihen und das Niederschreiben von Associationen nach der fort-
laufenden Methode. Auch eine Reihe von Ergographenversuchen und
4 Schreibversuche konnen hierher gezahlt werden. Von der zweiten
Art wurden Wahb-eactionen und Associationsreactionen genauer unter-
sucht, dazu eine Reihe von Leseversuchen am Kymographion und
Auffassungsversuche besonderer Art angestellt. Bei den Wahlreac-
tionen wurde der Reiz [o oder e) theils mit dem bekannten Lippen-
schliissel gegeben, theils mit dem Romer'schen optischen Reizapparat ^).
Bei den Associationsreactionen bediente sich der Registrirende eben-
falls des Lippenschliissels ; die Versuchsperson wandte den Romer-
schen SchallschlUsseP) an. Bei einem Theile der Wahkeactionen
hatte Herr Dr. Weygandt, bei den Ubrigen Reactionen Herr Dr.
Aschaffenburg die Liebenswiirdigkeit, die Arbeit des Registrirens
zu iibemehmen.
Die Versuchsanordnung war nach der Art der Aufgabe eine
ziemlich einfache. Es wurden im allgemeinen Gruppen von je
4 Versuchstagen gebildet, von denen der 1 . und 3. Normaltage waren.
Am 2. und 4. wurde zur Prlifung der jeweiligen Disposition eine
Viertelstunde ohne Trional gearbeitet, darauf das Mittel eingenommen
sammt Va — V4 ^ Wasser — je nach der Dosis — , um eine moglichst
rasche Losung und Resorption herbeizuf Uhren , und nun die Arbeit
noch 1 — 4 Stunden lang fortgesetzt. Von dieser Gruppirung wurde
nur ein paarmal bei den Associationsreactionen abgewichen, indem
1 Normaltag zwischen 2 Trionaltage eingeschoben wurde.
Die Berechnung der Resultate geschah nach den in friiheren
Arbeiten ausgebildeten Methoden, bei den continuirlichen Arbeit^n
mit moglichst genauer Beriicksichtigung von Uebungszuwachs, Uebungs-
verlust, Ermiidung u. s. w., bei den Reactionen nach der Methode der
>Stellungsmittel€.
l; Diese Arbeiten. Bd. I. S. 565 flF. 2) a. a. O.
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Die psyebiscben Wirkungen des Trionals.
329
II. Addir-Versuche,
Die Ausfuhrung der Versuche geschah nach dem alteren, von
Oehrni) gepriiften Verfahren. Von Loewald angestellte Versuche
batten ergeben, dass, wenn man aucb nur die Einer jeder Summe neben
die Zahlen schreibt, doch die Ermiidung der Hand bei langer fort-
gesetzter Arbeit unter Umstanden eine Verlangerung der gemessenen
Zeiten bewirken kann. Die Rivers 'sche Arbeit lag bei der Aus-
fuhrung der Versuche noch nicht vor, so dass wir von der Wichtigkeit
der qualitativen Sonderung der Fehler noch nichts wussten, wie sie
dort^) auseinandergesetzt ist. Da es uns auBerdem hauptsachlich auf
die Beobachtung der GroBe der Leistung ankam, verzichteten wir
auf eine Priifung der Richtigkeit unserer Additionen und beschrankten
uns auf das alte Oehrn'sche Verfahren. Die folgende Tabelle giebt
die Anzahl der in je 5 Minuten addirten Zahlen wieder.
Tabelle I.
13. XL
N
174
188
233
199
213
204
183
211
194
224
196
194
200
222
190
14. XI.
ro,5
247
231
210
*I97
220
219
215
179
207
198
202
207
230
209
211
15. XL
N
263
245
254
248
264
243
286
267
272
255
268
255
237
229
233
16. XI.
T0,5
267
279
278
♦187
244
231
233
247
246
245
237
236
239
231 1211
18. XL
N
249
267
284
297
287
306
285
282
287
295
278
263
278
260
247
19. XL
T1,0
276
319
297
♦227
288
286
267
269
273
269
274
248
266
260
267
20. XL
N
285
336
302
315
324
321
311
331 1 320
332
324 ! 299
281
259
274
21. XL
T1,0
339
342
361
♦268
310
330
304
306 279
297
292
307
279
278
260
Ehe wir auf die Trionalwirkung eingehen, wollen wir einige all-
gemeine Verhaltnisse betrachten, die aus dieser Tabelle ersehen werden
konnen. Vor allem erkennen wir den starken Einfluss der Uebung:
1) Diese Arbciten. Bd. I. S. 95 ff.
2) Diese Arbeiten. Bd. I. S. 655 ff.
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330 Hans Haenel.
die Leistung der ersten 5 Minuten des letzten Tages betragt fast das
Doppelte der Anfangsleistung. Die Zunahme der Leistung in den
1. Viertelstunden ist eine constante, mit Ausnahme des 18. XI.; diese
Ausnahme ist dadurch zu erklaren, dass durch die Pause des vorher-
gehenden Sonntags ein Theil der Uebungswirkung verloren gegangen
war, ein Verlust, dessen GroBe wir spater noch genauer berechnen
werden. Die Zahlen der ersten Viertelstunden zeigen femer, dass
bei der Versuchsperson die Anregung fur die Gestaltung der Leistungs-
groBe eine ziemlich bedeutende Rolle spielt. Mit Ausnahme des 14.
und 15. XI. steigen die Zahlen an den iS-Tagen rasch in die Hohe,
verweilen eine Zeit lang auf diesem Punkte oder lassen selbst eine
geringe Abnahme erkennen, um nach einem zweiten Anstieg wieder
mehr oder weniger rasch abzufallen. Unschwer lasst sich in diesem
Verlaufe der Einfluss von Anregung, Uebung und Ermlidung er-
kennen. Dass wir es bei der Zunahme in der ersten Viertelstunde
nicht schon mit einer Uebungswirkung zu thun haben, wird auch
deutlich aus der Betrachtung der Trional-Tage, an denen nach der
ersten Viertelstunde eine Pause von etwa 2 Minuten folgte, die durch
das Einnehmen des Mittels bedingt wurde. Der auBerordentlich starke
Verlust in den darauf folgenden 5 Minuten (durchschnittlich 69 Zahlen),
der von dem Trional allein unmoglich schon verursacht sein kann,
beweist, dass meine Anregbarkeit zwar ziemlich bedeutend ist, aber
auch schnell wieder verloren geht. Der von Am berg*) gefundene
Satz, dass kurze Arbeitspausen wesentlich nur Erholungswirkungen
ausuben, kann also hier nicht aufrecht erhalten werden; die Pause
von 2 Minuten war zu kurz, um starker als Erholung wirken zu
konnen, und doch lang genug, um die bei mir offenbar besonders
tiUchtige Anregung zum Verschwinden zu bringen.
Vom Antrieb'^) ist in dieser Tabelle nur wenig zu bemerken.
Nur am 14. und 15. XI. sind die ersten Leistungen des Tages hoher
als die nachstfolgenden, was auf ein starkeres Eingreifen des Willens
zu Beginn der Arbeit deutet. Den Schlussantrieb finden wir etwas
haufiger: an 4 Tagen zeigen die letzten 5 Minuten ein Ansteigen
gegeniiber den vorletzten. Die in dem citirten Aufsatz ausgesprochene
i; Diese Arbeitcn. Bd. I. S. 374.
2} Diese ArbeiteD. Bd. I. S. 634 ff.
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Die psychischeo Wirkapgen des Trionals.
331
Vermuthimg, dass Anregung und Antxieb moglicher Weise in einer
gewissen Beziehung zu einander stehen^ wurde hier insofern zutreffen,
als bei but die in bohem MaBe wirksame Anregung eine Ausbildung
des Antriebes gewissennaBen uberflussig gemacht hat.
Zur Betrachtung der Trionalwiricung fassen wir am besten je
3 Fiinfminutenwerthe zu einem Viertelstundenwerthe zusammen, wo-
durch sich die Tabelle iibersichtlicher gestaltet.
Tabelle 11.
13. XL -y
595
616
58S
614
612
14. XI. ro,5.
688
*636
601
607
650
15. XI. N
762
755
725
778
699
16. XL TOfi
824
♦672
726
718
681
18. XL N
800
890
854
836
785
19. XL TXfi
892
♦801
809
791
793
20. XL JV
923
960
962
955
814
21. XL ri,o
1042
♦908
959
896
817
Im folgenden soUen die Trionaltage kurz. als: T-Tage, die Nor-
maltage und -Viertelstunden ak iV-Tage gef tihrt werden. Das Stern-
chen * in den TabeUen bedeutet Uberall den Zeitpunkt, an dem das
Mittel eingenommen wurde. An den Trional-Tagen fallt vor alien
Dingen der starke Abfall in der 2. Viertelstunde auf. Da$& dazu
der Verlust der Anregung beitragt, haben wir oben schon gesehen;
dock zeigen die Leistungen der folgenden beiden 5 Minuten in Tab. I,
dass die Leistung der ganzen 2. Viertelstunde an den T-Tagen nicht
allein durch den Anriegungsverlust beeinflusst sein kann. Ware dieser
allein wirksam, so ware nicht einzusehen, weshalb naoh Verlauf von
3x5 Minuten die Leistung unter dem Einflusse von Anregung und
Uebung nicht wenigstens die Hohe der vorhergehenden iV-5 Minuten
erreichen soUte, zumal da ein Antrieb nuram 1. T-Tage wirksam
war. Die 6. Fiinfminuten miissten sogar die 1., 2. und 3. noch iiber-
treffen, da ihnen eine 25 Mijaiiten.;lange. Efebuiig .zuigUte Jkotolmt, die
Kraepelin, Psjcbolog. Arbeiten. II.
22
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332 Hans Hieael.
den letzteren fehlt. Wenn trotzdem die 2. Viertelstunde so tief unter
der I. steht, so ist dies ein Beweis, dass sohon in der 1. Viertel-
stunde nach dem Einnehmen das Mittel wirkt; die niedrige Leistung
der 2. Viertelstunde ist durch eine Summirung zweier EinflUsse, des
Anregungsverlustes und des Trionals, zu Stande gekommen. Wieviel
von diesem Leistungsverlust auf jeden der beiden EHnflUsse zu be>
Ziehen ist, lasst sich genau nicht bestimmen; doch sprechen andere
Erfahrungen dafiir, dass dem Trional wohl der kleinere Antheil dabei
zukommt. Beim Alkohol war die Wirkung allerdings schon in den
1. Fiinfminuten offenbar; indessen ist zu bedenken, dass dieser fllissig,
Trional dagegen ein ziemlich schwer losliches Medicament ist, das
trotz der ziemlich reichlichen Wassermenge, die wir hinzufttgten, in
der t. Viertelstunde schwerUoh schon vollstandig resorbirt wurde. Am
deutlichsten ware das Bild freilich, wenn wir auch an dan iS^-Tagen
nach der 1. Viertelstunde eine Pause von 2 Minuten eingeschoben
batten; man hatte dann deren reinen Einfluss ohne weiteres ablesen
konnen. Wir haben darin wieder eine Mahnung, dass man nicht
sorgfaltig genug darauf achten kann, die Versuchsbedingungen an
den zu vergleichenden Tagen so genau wie moglich einander gleich
zu machen.
Wenn der Einfluss des Trionals in der t. Viertelstunde auch nicht
zweifelhaft erscheinen konnte, so ist er doch deutlicher in den fol-
genden Zeitabschnitten. Sowohl der Vergleich mit der iV- Viertel-
stunde wie mit dem vorhergehenden iV-Tage zeigt eine Herabsetzung
d^ Leistung an den 7-Tagen. Zur genaueren Bestimmung derselben
aind von Amberg, Rivers und Kraepelin*) Methoden angegeben
worden, die alle wiUktirliohen Annahmen moglichst ausschlieBen soUen.
Dieselben sind in etwas modificirter Weise auch ffir unsere Zahlen-
i-eihen anwendbar. Unser Ziel ist es, einen zahlenmaBigen Ausdruck
dafUr zu bekommen, wie jeder T-Tag sich gestaltet hatte, wenn kein
Medicament eingewirkt h&tte. Die Differenz zwischen diesem erwar-
teten und dem erhaltenen Werthe zeigt dann die Wirkung des Trio-
nals an. Um den Ghuig der Arbeit im einzelnen bess^ verfolgen
zu konnen, wurde jede Arbeitsstunde in Viertdstunden getheilt und
fur diese die Bechnung jedesmal gesondert ausgefUhrt In einem
1) Diese Arbeiten. Bd. I. S. 306, 426, 643 if.
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Die psycbischen Wirkuogen des Triontls.
3S3
Punkte weicht nun unsere Yersuchsanordnung von fruheren ab. Da
nach dem 4. Tage ein Sonntag lag, an dem pausirt wurde, darf man
den 5. — 8. Tag mit den ersten vier nicht ohne weiteres vergleichen.
Der tagliche Uebungszuwachs , den wir aus den Normaltagen und
den 1. Viertelstunden berechnen konnen, ist namlich, wie schon an
anderer Stelle*) auseinandergesetzt worden ist, kein einfacher Werth,
sondem stets sind in demselben Ermiidungswirkungen und XJebungs-
verlust enthalten. Beide Ursadben wirken in dem Sinne, dass sie den
reinen XJebungszuwachs herabsetzen; insbesondere der Uebungsverlust
wird um so groBer sein, je langer die Pause zwischen zwei Versuchen
ist. Der relative tagliche XJebungszuwachs wiirde also unverhaltniss-
maBig stark herabgedriickt werden, wenn wir die Pause eines ganzen
Tages vemachlassigen wollten. Daraus folgt die Nothwendigkeit, die
L und n. VersuchshaJfte gesondert zu berechnen. Da unsere ganze
Reihe nun aus nur 8 Tagen besteht, ergiebt sich aUerdings der
etwas bedenkliche Umstand, dass wir fiir jede Halfte nur jedesmal
2 lY-Werthe zur Verfugung haben; der wahrscheinliche Fehler, der
dadurch bedingt wird, ist indessen jedenfalls geringer und eher in
Kauf zu nehmen, als der sichere, der mit einer gleichmaBigen Beriick-
sichtigung beider Versuchshalften verbunden ware.
Die von Amberg angegebene Berechnimgsmethode, die sich bei
nur 2 Werthen auf eine einfache Subtraction beschrankt, auf unsere
Werthe angewandt, ergiebt folgende Tabelle:
Tabelle HE.
I. H&lfte
n.Hftlfte
Uebungszuwoehi sw. den 2. Viertelstunden je zweier N-Tage
139
70
» »»3. » »»»
137
108
> »9 4. > >>»
164
119
> »>5. » >>»
87
29
Der niedrigere Werth der 5. Viertelstunde ist natiirlich durch
die am Schluss jedes Arbeitstages sich geltend machende Ermildung
1) Dieie Arbeiten. Bd. I. 8. 642 1
22*
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334
Hans Uaenel.
bedingt. Dass die Zahlen der 11. Halfte durchgangig niedriger sind,
als die der I., hangt wohl mit der Thatsache zusammen, dass der
Uebungswerth zu Anfang einer Versuchsreihe jedesmal groBer ist, als
gegen Ende, wo wir uns der Hohe der Uebungsfahigkeit aUmahlieli
nahem.
In Tab. IH haben wir also ein Mittel, uns Werthe fiir die
Trionaltage zu berechnen. Wir konnen aus dem Werth fiir die I. und
n. Versuchshalfte ein Mittel bilden und haben darin den 2t&gigen
Uebungsfortschritt fiir die 2., 3., 4. und 5. Viertelstunde. Der
1-tagige Uebungsfortschritt ist = der HSifte des 2-tagigen, und da
jede T- Viertelstunde genau 1 Tag von der vorhergehenden gleich-
werthigen iV- Viertelstunde entfemt ist, so ergiebt der 1-tagige Uebungs-
fortschritt, zu einer A- Viertelstunde addirt, den erwarteten Werth fUr
die entsprechende T- Viertelstunde. In Tab. IV ist diese Rechnung
ausgefiihrt.
Tabelle IV.
14. XJ. 0,5
16. XL 0,5
19. XI. 1,0
21. XL 1,0
erw.
erb.
Diff.
1
erw.
erh. Diff.
erw.
erh. Diff.
erw.
erb.
Diff.
2yiert6lst' 668
636
—32
802
672
726
718
—130
942
801
—141,1012
908
—104
3. - 1 624
l|
601
-23
761
—35
890
809
—81 ' 99S
^1 —
—1161026
959
—39
4. -
685
607
—78
—1
849
-131
907
791
896 |— 23o|
5. . 1 651
650
728
681
—47.
1
814
793
—21 843
817
-»
Wir iiberblicken hier die Verhaltnisse aufierordentlich klar, und
die regelmaBi^e Wiederkehr von Ab- und Zunahme ist uns eine Ge-
wahr dafUr, dass wir es hier thatsachlich mit einer GesetzmaBigkeit
zu thun haben. Dass der starke Verlust der 2. Viertelstunde iiberall
nicht allein Trional-Wirkung ist, haben wir schon oben dargelegt;
hier sehen wir nun weitcr, dass die Wirkung in der 3. Viertelstunde
deuUich wird, in der 4. ihr nicht unbetrachtliches Maximum erreicht,
urn in der 5. allmahlich nachzulassen. Die letztere Thatsache steht
einigermaBen in Widerspruch mit andem, spateren Ergebnissen, in-
dem z. B. bei Wahlreactionen die Wirkung der 1,0 gr-Dosis sicli
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Die psychischen Wirkoogeii des Trionals.
335
durch fast vier Stunden in steigender Weise verfolgen lieB; doch ist
hier die Abnahme der Wirkung am Ende der 1. Stunde durch die
Rechnung unzweifelhaft festgestellt und muss vorlaufig als Thatsache
hingenommen werden. Ferner ist in Tab. IV der Unterschied z^vi-
schen der groBeren und kleineren Gabe deutlich; addirt man die
Differenzen aller Viertelstunden eines Tages, so stellt sich heraus,
dass die Gabe von 0,5 gr am ganzen Tage einen Verlust von 134
und 343 Zahlen verursacht hat, diejenige von 1,0 gr einen solchen
von 359 und 399 Zahlen.
Ein anderer Weg, um zu einem Ausdruck der Trionalwirkung
zu gelangen, ist durch die Betrachtung der iV^ Viertelstunden gegeben.
Wir konnen aus ihnen einen taglichen Uebungszuwachs berechnen,
der frei ist von Ermiidungseinflussen und nur noch den taglichen
Uebungsverlust enthalt. Auch hierbei miissen wir aus den oben er-
orterten Griinden zunachst eine Trennung der beiden VersuchshaJften
vomehmen. Es tragt vielleicht zum besseren Verstandniss bei, wenn
wir bei dieser Gelegenheit hier einmal die ganze Berechnung aus-
fuhren.
Ts -g 595
II 688
•S'^; 824
1-5^
93
74
62
167
136
229 : 3 (= Zunahme vom 1. zum 2., 3., 4. Tage)
229:3 303:2.2
76,3 75,1 76,3
t&gl. Uebungszuwiiohse
227,7 : 3
3., 4. Tage)
4. Tage)
75,9:
3 durch8chnittl.t&gLUebuDgs-
zuwachs der ersten 4 Tage.
|| 892
1^ ^23
SJ^ 1042
92
31
119
123
250
242:3
242 : 3 273 : 2 . 2
80,7 68,2
tftgl. Uebungszuwilchse
80,7 229,6 : 3
nhfiA 'I
76,5 ss durch8chnittl.tftgl.Uebungs-
zuwachs der letzten 4 Tage.
Mittel von 75,9 und 76,5 = 76,2, : 5 = 15,2 = viertelstUndiger
Uebungszuwachs.
Aus diesem Durchschnittswerthe kann man sich nun Normalwerthe
fiir die ersten Viertelstunden berechnen und diese mit denen der Tab. II
vergleichen; auf diese Weise erhalten wir fiir die 1. Viertelstunden
eine eben solche Tabelle wie fiir die 2,-4. Viertelstunden in Tab. IV.
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336
Uus Ha«Del.
Tabelle V.
13. XL
N
14. XI.
T0,5
15. XX.
16. XL
T0,5
18. XL
N
19. XL
T 1,0
20. XL
21. XI.
T 1,0
erwartet
671
764
838
900
876
968
999
erhalten
505
688
762
824
800
892
923
1042
Differens
—
-hl7
— 2
— 14
— 100
+ 16
— 45
-f-43
Hieraus kann man zweierlei Schltisse Ziehen: entweder dass die
y^-Tage unter besonders giinstiger, oder dass die iV-Tage unter be-
sonders ungiinstiger Disposition standen. Die Ueberlegung zeigt^ dass
wohl beides der Fall gewesen ist. Dass die T-Tage von vom herein
durch ihre Stellung in der Reihe einen Vorzug batten, ist in der
•Rechnung schon beriicksichtigt. Auch ist der Uebungswerth eines
iV-Tages wohl h5her anzuschlagen als derjenige der unter Trional
geleisteten Arbeit. Ftir die iV-Tage kommt noch ein Punkt in Be-
tracht: Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Trional in Folge seiner
geringen Loslichkeit noch am nachsten Tage in geringem Grade wirk-
sam gewesen ist; wir wissen z. B., dass bei Sulfonal die gewohnliche
Gabe nicht selten flir 2 Nachte zur Schlaferzeugung ausreicht. Nun
haben wir allerdings meist mit einer verhaltnissmaBig geringen Gabe
gearbeitet; trotzdem konnen wir aus einigen Ergebnissen, die wii*
spater bei den Wahlreactionen beschreiben werden, auch fur die
Additionen den Schluss ziehen, dass 2 unserer i\-Tage keine Normal-
tage im strengen Sinne gewesen sind; dieser Forderung geniigen
eigentlich bloB die iV-Viertelstunden der T-Tage und der 1. und 3.
lY-Tag.
In den Werthen des 18. XI. haben wir einen MaBstab dafiir,
welchen Verlust an Uebung die Pause eines Tages mit sich ge-
bracht hat; da Trional -Nachwirkung hier ausgeschlossen ist, so
kann der Werth von 100 Zahlen annahemd als Ausdruck fiir den
2tagigen Uebungsverlust angesehen werden. Von Interesse wird es
femer sein, zu sehen, wie sich die Arbeitsleistung in den ersten
Viertelstunden an jedem Tage gestaltet, je nachdem wir von den
N' zu den T-Tagen fortschreiten oder umgekehrt. Es ergiebt sich
auf diese Weise von den N- zu den T-Tagen ein durchschnittlicher
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Die psychischeo Wirkuogen des Trionals. 337
Fortschritt von 92 Zahlen, yon den T- zu den iV-Tagen ein solcher
von 53 Zalilen^). Diese beiden Werthe geben den TJnterschied
zwischen N- und T-Tagen sehr deutlich wieder. Sie zeigen von
Neuem, dass die T-Tage einen ungunstigen Einfluss auf die folgenden
iV^Viertelstunden ausgeiibt haben, der entweder durch ihren geringeren
Uebungswerth oder durch eine Nachwirkung des Medicaments heiTor-
gerufen ist; wahrscheinlich sind beide Ursadien wirksam gewesen.
Der Umstand, dass der Zuwachs von N- : T-Tagen den durchschnitt-
lichen taglichen Uebungszuwachs noch um 1 6 Zahlen iibertrifft, kann
uns ein Beweis dafiir sein, dass der Rest von Trional- Nachwirkung
jedenfalls den Uebungswerth des ganzen A-Tages nicht wesentlich be-
eintrachtigen konnte.
SchHeBHch ermoglicht die obige Berechnung (S. 335) noch, einen
procentualen Ausdruck fur die Uebungszunahme zu finden; wenn wir
namlich die Leistungen der 1. Yiertelstunden zu einem Mittel zu-
sammenfassen und den viertelstiindigen Uebungszuwachs von 15^2
Zahlen in Procenten dieses Mittels ausdriicken, so erhalten wir einen
Uebungscoefficienten , der den Vortheil hat, direct mit einem bei
andem continuirhchen Arbeiten gewonnenen vergleichbar sein. Dieser
viertelstiindige Uebungscoefficient betragt bei uns 1,86^.
Die Ausrechnung der mittleren Schwankungen der Arbeitsleistung
ergab keine verwerthbaren Unterschiede.
Passen wir die Ergebnisse unserer Addirversuche kurz zusammen,
80 konnen wir sagen: Die der Uebung in hohem MaBe zugangliche
Addirarbeit wird durch Trional nicht unbedeutend erschwert, und
zwar wird nicht nur die Leistung selbst, sondem wohl auch ihr
Uebungswerth, wie er sich in der Anfangsleistung des jeweils folgen-
den Tages widerspiegelt, deutlich vermindert.
III. Zahlenlernen.
Das Lemen wurde in der bekannten, von Oehrn naher be-
schriebenen Weise ausgefuhrt. In Tab. VI sind die Viertelstunden-
leistungen jedes Tages zusammengestellt
1) Die Differenz vom 16. XL [T) : 18. XL (N) durfte natttrlich nicht gebildet
werdeD.
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33S
Hans Haenel.
Tab ell e VI.
26, XI. X
204
252
168
264
192
216
168
27. XI. ro,6
♦192
216
144
28. XL N
276
192
240
252
216
29. XI. ro,5
312
♦240
204
192
180
3. XII. N \ 276
384
360
372
348
4. XIL T 1,0
1 360
♦240
288
264
288
5. XIL X ! 384
396
348
348
372
384
408
384
336
372
6. XIL T 1,0:| 492 1*408
396
322
384
322
300
312
396
348
Die Erscheinung des Antriebes ist hier deutlicher ausgepragt als
beim Addiren; dies hangt wohl mit der groBeren Schwierigkeit der
Arbeit zusammen, welche deshalb mit lebhafterem Entschlusse be-
gonnen wurde. Am 2(>. und 28. XI. ist der Antrieb schon aus Tab. VI
ersichtlich, aber auch am 4., 5. iind 6. XII. zeigt uns eine Betrach-
tirng der ersten 3 FUnfminuten-Leistungen dasselbe; diese lauten:
132, 108, 120; 144, 120, 120; 180, 156, 156- Auch der Schluss-
antrieb ist an den beiden ersten Tagen ausgepragt; am 3. XII. zeigt
ihn die letzte Viertelstunde allein: 120, 96, 132. Sehr deutlich ist
er an dem langen Arbeitstage des 5. XII., wo die letzten 4 FUnf-
minuten folgende Werthe gaben: 96, 108, 120, 144. Das Anwachsen
der Werthe am Schlusse des letzten T-Tages kann wohl nicht ohne
weiteres als Schlussantrieb aufgefasst werden, da wir nicht wissen,
ob nach 2 Stunden nicht vielleicht schon ein Nachlassen der Trional-
wirkung stattgefunden hat.
Wir sehen auch hier einen betrachtlichen Einfluss der Uebung
auf die ganze Dauer der Versuchsperiode : die Anfangsleistung des
letzten Tages (180) ist gerade dreimal so groB als die des ersten (60).
Dass hier der Zuwachs noch bedeutender ist als beim Addiren, er-
klart sich aus der geringeren Uebung im Beginne des Versuches.
Die Unterbrechung von 4 Tagen zwischen der I. und 11. Versudis-
halfte macht sich wieder durch die niedrige Anfangsleistung des
3. Xn. bemerkbar; doch zeigt das rasche Ansteigen der Leifitung
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Die psychischen Wiikiogeb des TrioDals. 339
schon in der 2. Viertelstunde — durch die Zahlen fiir die 1. Funf-
minuten: 84 und die 4. Fiinfminuten: 156 noch deutlicher aus-
gedriickt — , dass dieser Verlust unter dem Einfluss der Anregung
sehr rasch wieder eingebracht ist. BeziigUch des Protokolls konnten
wir beim Lemen eine Beobachtung best&tigen, die wir schon beim
Addiren gemacht batten: obgleich es mit moglichster Sorgfalt die
subjectiveti Beobachtungen wahrend des Versuchs aufnahm, zeigte e^
doch recht haufig groBe Abweichungen von den thatsachlichen Er-
gebnissen des Versuchs. Es ist dies wichtig, einmal weil es die Tin-
zulanglichkeit der Angaben beweist, die allein auf Grund subjectiver
Beobachtung die Wirkungsweise eines Arzneimittels beschreiben wollen;
zweitens wird damit aber auch ein Vorwurf zuriickgewiesen, der gegen
unsere Arbeiten erhoben worden ist: dass namlich manche unserer
Resultate nur durch Autosuggestion zu Stande kamen. Der Versuch
brachte uns im Gegentheil oft TJeberraschungen, die /Von dem er-
warteten Ergebniss in einer manchmal recht unliebsamen Weise ab-
wichen. Besondere Erwahnung verdient in Tab. VI der 5. XII.
insofem, als er auf eine sehr geringe Ermiidbarkeit der Versuchs-
persori hinweist; wenn nach 2Y2Stundigem ununterbrochenem Lemen
die Schlussleistung gleich der Anfangsleistung ist (144 Zahlen), so
ist dabei ja allerdings, wie schon oben erwahnt, ein Schlussantrieb
mit wirksam, doch weisen auch die vorhergehenden Viertelstunden
Punfminuten-Leistungen auf, die auf der Hohe der Anfangsleistung
stehen. Der starkere Uebungseinfluss dieses langen Arbeitstages zeigt
sich sehr deutlich an der 1 . Viertelstunde des nachsten Tages.
Der Gang der Arbeit unter Trionaleinwirkung entspricht im all-
gemeinen den beim Addiren gemachten Erfahriingen. Aus den gleichen
GrUnden wie dort muss auch hier schon die 2. Viertelstunde als von
Trional beeinflusst angesehen werden. Die Unterbrechung durch das
Einnehmen des Mittels wxirde hier weniger storend empfunden als
beim Addiren, wohl deshalb, weil bei der schwereren Arbeit «,uch
eine kleine Pause eher als Erholung wirken kann und dadurch den
nachtheiligen Einfliissen derselben das Gleichgewicht gehalten wird.
Um einen Begriff von der Wirkung des Trionals im einzelnen zu
gewinnen, halten wir uns am besten an die schon beim Addiren be-
schriebenen Berechnungsmethoden. Die Trennung zwischen I. und
n. Versuchshalfte muss naturUch hier, wo eine Pause von 3 Tagen
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340
H&08 Hftenel
den Versuch unterbricht, erst recht durchgefuhrt werden. Die un-
gleiche Lange der Arbeitstage wird uns zwar eine gleichmaBige Be-
rechnung erschweren, doch wird dies nur fUr den letzten T-Tag von
Bedeutung sein.
Tabelle VH.
LHftlfte
ILHAlfte
Uebungszuwache iw. den 2. Viertelstunden je zweier iV-Tage
24
12
» >»3. > >>»
— 24
— 12
» »>4. > »>»
60
— 24
» »>5. » »»»
0
24
Die Zahlen der Tab. Vll, die wie Tab. in berechnet
wurde, sind besonders wegen ihrer grofien UnregelmaBigkeiten auf-
fallend. Docb hindem diese Abweichungen nicht, aus der Tabelle
auf die oben (S. 334) angegebene Weise weiter die fiir die T-Tage
erwarteten Werthe zu berechnen. Wir erhalten dadurch Tab. VHL
Der 4 T-Tag konnte bei dieser Berechnung nicht mit berucksichtigt
werden, weil die Tab. VII keine Zahlen fiir den Uebungswerth der
6. — 10. Viertelstunde des 5. XH. liefert, die doch auf die Leistungen
des 6. Xn. von wesentlichem Einfluss gewesen sind.
Tabelle Vm.
27. XL 0,5
29. XI. 0,5
4.
xn. 1,0
enr.
erh.
Diff.
enr.
erh.
Diff.
erw.
erh.
Diff.
2. Viertclst.
3.
4.
177
192
+ 17
201
240
4-39
393
240
—153
255
216
— 39
231
204
— 27
361
288
264
— 63
201
144
— 57
261
192
— 69
381
—117
5. >
222
168
— 54
222
180
— 42
354
288
— 66
Die Herabsetzung der Leistung durch Trional ist hier deutlich;
der Typus der Wirkung entspricht im ganzen ungefahr demjenigen
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Die psychischen Wirkangen des Trion&ls. 341
in Tab. IV: Zunahme bis zur 4., leichte Abnahme in der 5. Viertel-
stunde. Ein abweichendes Verhalten zeigen die 2. Viertelstunden.
Der scheinbar gunstige Einfluss an den beiden ersten T-Tagen ist wohl
darauf zuruckzufuhren, dass im Anfang der Versuchsreihe die Uebung
besonders groB war. Infolge dessen vermochte das Mittel zunachst
nicht die Leistung unter den nach dem Durchschnitt berechneten
Werth hemnterzudriicken, zumal die Anfangsdisposition an den beiden
r-Tagen eine recht gunstige war, wie spater noch genauer dargelegt
werden soil. Auch ist der XJebungszuwachs wohl zu klein angenommen,
da in ihm bei unserer Berechnung Ermiidung nnd taglicher Uebungs-
verlust mit enthalten sind. Dass eine Verbesserung der Leistung
durch Trional in Wirklichkeit nicht vorliegt, lehrt ein Vergleich der
zweiten mit den ersten Viertelstunden in Tab. VI: die Abnahme in
der 2. fallt um so mehr ins Gewicht, als ein Antrieb, der an den
iV-Tagen die Differenz zwischen 1 . und 2. Viertelstunde hauptsachlich
reranlasst hat, an den T-Tagen nicht oder kaum nachzuweisen ist;
die 5-Minutenwerthe an diesen sind in der 1. Viertelstunde: 72. 96.
84 und 96. 120. 96., an den beiden entspreohenden iV-Tagen: 78.
64. 60. und 108. 96. 72. Ob der hohe Werth des 4. XII. auf eine
starkere Wirkung der erhohten Dosis von 1 g zu beziehen ist, er-
scheint zweifelhaft, besonders da es sich um die 2. Viertelstunde
handelt; allerdings ist an diesem Tage auch die Differenz zwischen 1.
und 2. Viertelstunde die groBte der ganzen Versuchsreihe (120 Zahlen).
Wie bei den Addir-Versuchen konnen wir auch hier noch durch
eine Betrachtung der JV- Viertelstunden zu einem Ausdrucke der Trio-
nalwirkung gelangen. Die I. Halfte lasst sich genau wie auf S. 335
berechnen, fttr die 11. Halfte nothigt uns die ungleiche Lange der
Arbeitstage, die Berechnung nicht auf den tMglichen, sondem von
vomherein auf den viertelstiindigen XJebungszuwachs zu richten, d. h. :
die Differenz zwischen je zwei ersten Viertelstunden durch die Anzahl
der jedesmal inzwischen geafbeiteten Viertelstunden zu dividiren und
mit den nun erhaltenen Zahlen so weiter zu verfahren, wie vorher
mit den Tageszuwiichsen. Wir erhalten dabei fur die I. Halfte einen
taglichen XJebungszuwachs von 35,0 Zahlen, d. h. fUr jede Viertelstunde
7, fiir die H. Halfte 6 Zahlen; der geringe Unterschied beider Werthe
gestattet uns, ein Mittel zu ziehen, und fiir die ganze Versuchsreihe er-
halten wir somit einen viertelstiindigen XJebungszuwachs von 6,5 Zahlen.
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U2
Mans HaeneJ.
Mit HUlfe dieses Werthes konnen wir uns nun genau wie bei Tab. V
einen >normalen« Gang der 1. Viertelstunden constaiiren und diesen
mit den erhaltenen Werthen vergleichen. Dadurch entsteht Tab. IX.
Tabelle IX.
26. XI.
27. XL
ro,5
28. XI.
29. XL
ro,5
3. xn.
N
4. XIL
ri,o
5. XIL
N
6. XIL
ri,o
enrartet
237
285
309
345
276
309
393
449
erhalten
204
1
252
276
312
360
384
492
Differenz
-h 15
— 9
+ 3
— 69
+ 51
— 9
-+- 43
Wir erhalten hier dasselbe Bild wie in Tab. V: UngUnstiger Ein-
fluss der T-Tage auf die Anfangsleistung der folgenden iV-Tage,
wahrend die Arbeitsbedingungen an den T-Tagen selbst aus den
schon oben erorterten Grtinden besonders giinstige waren. Bin tJnter-
schied zwischen der Wirkung der kleinen und der groBen Dosis ist
aus dieser Tabelle nicht zu ersehen. Der Vergleich der Anfangs-
leistungen der iV- und T-Tage ergiebt, wenn wir von iV- zu 2-Tagen
fortschreiten, einen durchschnittlichen taglichen Zuwachs von63Zahlen,
beim Fortschreiten von T- zu A-Tagen einen solchen von 24 Zahlen.
Fiir die gesammte I. Versuchshalfte betrug dieser Worth 35 Zahlen
(s. S. 341); fiir die n. konnen wir ihn aus dem Viertelstundenzuwachs
auf 36 Zahlen berechnen. Der mittlere tagliche Uebungszuwachs fUr
die ganze Versuchsreihe betragt also 35,5 Zahlen. Der Vergleich
mit den eben erhaltenen Werthen von 63 und 24 Zahlen lehrt wie-
derum, in welchem MaBe das Trional die Arbeit des Lemens beein-
trachtigt hat. Die GroBe des durch Trional noch am nachsten Tage
bewirkten Verlustes ist hiemach beim Addiren und beim Lemen
beinahe die gleiche, denn das Verhaltniss 76 : 53*) ist fast gleich dem
von 35,5 : 24; die beiden Quotienten verhalten sich zu einander wie
1824 : 1855.
Der viertelstUndige Uebungscoefficient, auf dieselbe Weise be-
rechnet wie oben auf S. 337, betragt beim Lemen 2,04 ^; er ist
1) Siehe S. 335 u. 337.
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Die psychiscben WiAiuigeii des Trionals.
343
also, wie vorauszusehen war, fUr die schwierigere und weniger geiibte
Arbeit grSBer als fUr die leichtere und gelaufigere.
Ein Urtheil dartibef, auf welche Weise an den einzelnen Tagen
gelemt worden ist, ennoglicht uns die Anizahl der in je 5 Minuten
gezahlten Wiederholungen. Wir geben in der folgeiiden Tabelle je
3 Funfminuten-Leistungen zu einem Mittel zusammengef asst, weil die
Zahlen einer ganzen Viertelstunde kleinere Schwankungen leicht in
einer Weise vergroBem wurden, die die richtige Beurtheilung er-
schweren kSnnte.
Tabelle X.
26. XL N
42
41
49
50
49
27. XL r0,5'
1
56
♦45
56
59
55
28. XL N
57
52
53
53
53
29. XL r0,5
53
♦51
52
50
50
3. XIL N
57
51
52
53
54
4. Xn. T 1,0
53
♦50
51
55
56
5. XIL N
49
49
48
48
47
46
47
51
49
52
6. XII. Ttfi
53
♦53
52
54
57
56
58
54 1 54
53
Wir fingen also am ersten Tage mit verhaltnissmaBig wenigen
Wiederholungen an, erreichten aber scfaon nach V2 Stunde eine etwas
hohere Zahl, die nun im Lauf e der ganzen Versuchsreihe mit groBer
GleichmaBigkeit festgehalten wurde. Weder die Ermiidung im Ver-
lauf eines Tages, noch die Uebung von einem Tag zum andem, noch
das Trional oder die lange Arbeit des 5. und 6. XTT. lassen irgend
welchen nennenswerthen Einfluss auf die Wiederholungszahl erkennen.
Subjectiv beobachteten wir zwar ofters Schwankungen und verzeich-
neten sie auch im ProtokoU; so war in manchen Versuchsabschnitten
das Bestreben, zu gruppiren und womoglich Sinn in die Zahlenreihe
zu legen, entschieden groBer als in anderen, wo deutUch das Gefuhl
des »Plapperns«, der Eippragung allein durch die motorische Sprach-
vorstellung vorhanden war. Doch decken sich dies.e subjeetiven Be-
obachtungen der Zeit nach fast nirgeilds. mit den geringfUgigen
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344 UaM UaeBel,
Schwankungen der Wiederholungszahl; im Gegentheil: am 28. XL,
fiir den die Tab. X wohl das gleichmaBigste Lemen in der ganzen
Versuchsreibe zeigt, steht im Protokoll ein dreimaliger Wechsel
zwischen motorischem und sensorisohem Lernen verzeichnet; und am
5. Xn. mit seiner im ganzen eher etwas niedrigen Wiederholungs-
zahl lesen wir im Protokoll: >Aii8gesprochene Tendenz zum mecha-
nischen Lemen*. Also auch hier wieder ein Widerspruch zwischen
der subjectiven Beobachtimg iiber medicamentose Wirkungen und dem
exacten Experiment sammt seinen zahlenmaBigen Schlussfolgerungen.
Allerdings ist es ja moglich, dass innerhalb kleinerer Zeitraume
Schwankungen in der Lemweise in der That voi^ekommen sind, die
sich dadurch, dass wir bloB 5 Minuten registrirten , der nachtr&g-
lichen Beobachtung entzogen haben; doch ist es immerhin unwahr-
scheinlich, dass derartige Veranderungen, wenn sie wirklich in groBerem
Umfange aufgetreten waren, das Bild der Tagesleistung so ganz un-
beeinflusst gelassen batten. Zu einer Erklarung ftir die auffallende
GleichmaBigkeit der Wiederholungszahlen werden wir einmal auf die
Weise gelangen konnen, dass wir die Zahlen friiherer Beobachter
zum Vergleicbe heranziehen. Ein Vergleich mit den von Kraepelin*)
angefiihrten Werthen zeigt uns, dass die Versuchsperson von vom-
herein zu den schnell Wiederholenden gehort. Nach den dort und
bei Bettmann^) gegebenen Ausfiihrungen handelt es sich also bei
mir um eine Bevorzugung der motorischen Lemweise. Nun haben
aber jene Versuche gezeigt, dass zwar recht haufig ein Uebergang
von der sensorischen zur motorischen Lemweise beobachtet wird, das
Umgekehrte aber fast nie der Fall ist; und da ich mit der motorischen
Methode gleich begonnen babe, so war eine weitere Veranderung der
Wiederholungszahl, die nach dem Gesagten bloB in einer Erhohung
derselben hatte bestehen k5nnen, nicht zu erwarten. Die etwas
niedrigeren Werthe des ersten Tages machen den Eindruck, als ob
ich erst ein wenig probirt luLtte, bis ich die fttr mich vortheilhafteste
und ftirs Einpiugen giinstigste Becitirgeschwindigkeit fand. Dass
dann diese vortheilhafteste Arbeitsmethode auch unter ungunstigeren
1} Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgftnge duroh einige
Arzneimittcl. 8. 81 u. 134.
2) Diese Arbeiten. Bd. I. 8. 181.
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Die psycbischen Wirkongen des Trionals. 345
Arbeitsbedingungen beibehalten wird, kann uns damach nieht weiter
Wander nehmen. Ein anderer Yersuch zur Erklanmg wird im letzten
Abschnitt dieser Arbeit gegeben werden.
Eine Berechnung des Lemwerthes ist imter den vorliegenden Ver-
haltnissen iiberfliissig; da er aus dem Verhaltniss von Arbeitsleistung
zur Wiederholungszahl gewonnen wird und diese letzteren annahemd
constant sind, so giebt der Lemwerth nur eine Wiederholung der
schon in Tab. VI ersichtlichen Thatsachen. Die mittlere Variation
ergab hier ebenso wenig verwerthbare Unterschiede wie beim Addiren.
Der Einfluss des Trionals lasst sich demnach bei der Arbeit des
Lemens in demselben Sinne formuliren wie beim Addiren: Herab-
setznng der Arbeitsleistung und ihres Uebungswerthes, wobei die
Arbeitsmethode, so weit sie aus der Wiederholungszahl erkennbar ist,
unbeeinflusst bleibt.
IV. Wahlreactienen.
Mit Wahlreactionen wurden 4 Versuchsreihen ausgefiihrt, eine
achttagige vor Weihnachten und eine dreitagige im Januar, dazu noch
zwei unter veranderten Verhaltnissen, die im X. Abschnitte be-
schrieben sind. Die Methodik war die bekannte; fiir die Reizgebung
wurde in der ersten Reihe der Romer'sche Plattenapparat *) in An-
wendung gebracht. Dr. Weygandt, der so liebenswiirdig war,
das Amt des Registrirenden zu iibemehmen, wechselte zugleich auch
die Flatten mit dem Reizbuchstaben, und dadurch nahm die Aus-
fiihrultg jeder Reaction ziemlich lange Zeit in Anspruch. Die dabei
entstehenden langeren Pausen zwischen je 2 Reactionen brachten es
mit sich, dass der Reagirende, statt seine Aufmerksamkeit angespannt
auf die Auffassungsaufgabe zu richten, ofters Zeit fand, etwas abzu-
schweifen, und sich daher fast zu jeder Reaction von neuem con-
centriren musste. Die mannigfachen G^erausche bei der Bedienung
der Apparate brachten ebenfalls eine gewisse Storung mit sich, be-
sonders, da sie nicht immer in regelmaBigem Rhythmus auf einander
folgten; auBerdem war am 3. und 4. Tage noch mein Bruder mit
im Zimmer, um dem Registrirenden die Arbeit des Plattenwechselns
1} Dieae Arbeiten. Bd. I. S. 565.
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346
HtDS Uii^iieU.
abzunehmen, ein Umstand, der lioch mehr dazu'beitrug, die Samm-
lung zu erschweren. Dies mag vorausgeschickt sein, um zu zeigeo^
dass die Versuchsbedingungen bei diesen Experiinenten nicht die
giinstigsten waren und die Ergebnisse verbesserungsbedUrftig sein
werden.
Die Wirkung des Trionals wurde im allgemeinen 70 Minuten
lang verfolgt; an jedem Tage wurde, wie gewohnlich, eine normale
Viertelstunde zur Dispositionspriifung vorausgeschickt. Die Berecb-
nung der Zahlen geschah nach der oft erprobten Methodc der Stellungs-
mittel. Tab. XI giebt die aus je 20 Reactionen gewonnenen Mittel
in a wieder. Die aus weniger als 20 Zahlen gewonneuen Werthe sind
in Klammer gesetzt.
Tabelle XI.
a
ll.XIL
N
376
12. xn.
ro,5
13. xn.
14. XII.
ro,5
16. XII.
17. xn. 18. XII.
ri,o JV
19. xn.
T 1,0
Auf
einander
folgende
Mittel
aus je
20 Rc-
actionen
347
364
312
291
285
308
271
383.
♦361
376
307
306
307
302
279
369
349
358
(332)
296
♦298
319
♦310
323
363
349
♦347
255
347
298
301
311
368
352
325
272
325
297
305
329
308
390
380
324
266
325
278
345
341
359
330
286
332
293
329
348
326
393
318
(290)
334
293
331
381
375
388
337
:-
266
346
(412)
(372)
368
332
320
(279)
355
324
398
366
--'-:
1
1
381
•
: 1
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Die psychischen Wirkongeo des TrioDals.
347
Auffallend ist in dieser Tabelle der Unterschied zwischen der
I. und n. Halfte der Versuchsreihe : die Reactionszeiten sind in der
ersten nicht unbetrachtlich langer als in der zweiten. Eine Erklarung
fiir dieses Verhalten ist wohl in folgender Thatsache zu finden: Ein
Einfluss der Uebung, — so weit man bei Wahlreactionen von e^ner
solchen sprechen kann — , macht sich hier im allgemeinen im Sinne
der allmahlichen Verkiirzung der Reactionszeiten geltend. Dieser Ein-
fluss konnte aber nicht in gleichmaBiger Weise zur Entwicklung
kommen, weil die beiden ungiinstigen Tage am 13. und 14. XII. im
entgegengesetzten Sinne wirksam waren. Die Anwesenheit eines
Dritten wirkte in solchem MaBe storend und ablenkend, dass der
13. xn. fast durchgehend die langsten Reactionszeiten der ganzen
Versuchsreihe ergeben hat. Die erwahnte Neigung zur Verkiirzung
der Zeiten ist deutlicher zu erkennen in den Werthen der 1 . Viertel-
stunden in Tab. XII.
Tabelle XK
11. XII. ! 12. XII.
13. XII.
N
14. XII.
T
16. XII.
N
17. xn.
T
18. xn.
N
19. XII.
T
376
347
364
310
298
296
305
275
Hier sehen wir, dass die Stoning der Versuchsreihe durch den
13. xn. schon am folgenden Tage wieder ausgegUchen war, also eine
Gewohnung an die veranderten Versuchsbedingungen stattgefunden
hatte; der Anfangswerth des nachsten Tages fiel wieder so aus, wie
er wahrscheinUch auch ausgefallen ware, wenn er unter gewohnUchen
Bedingungen gestanden hatte. Von diesem Gesichtspunkte aus er-
scheint der Unterschied der beiden Versuchshalften nicht mehr so
auffallend, und wir konnen mit mehr Berechtigung die Verkiirzung
der Zeiten als etwas GesetzmaBiges betrachten. Wir sehen femer
in Tab. XI aus den iV-Tagen, dass die Ermiidung kaum eine Rolle
spielt, dass im Gegentheil auch im Verlauf jedes einzelnen Versuchs
die zeitverkiirzenden Einfliissr das Uebergewicht haben. Das ab-
weichende Verhalten des 13. !2^ U. widerspricht dem nicht, weil, wie
gesagt, der ganze Tag unter abnormen Bedingungen stand. Man
konnte meinen, dass das Ausbleiben von Ermiidungserscheinungen nur
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. IL 23
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348 Hans Haenel.
durch die besonderen Verhaltnisse hier bedingt war, iind zwar durch
die langeren Pausen zwischen je zwei Reactionen und die verhaltniss-
maBig kurze Dauer des ganzen Versuchs; doch zeigt ein Blick auf
Tab. XVI, die Januarversuche , dass jenes Verhalten doch nicht
zuf^lllig ist, Obgleich dort die Pausen zwischen den Reactionen nur
wenige Secunden und der ganze Versuch 3Vj Stunden dauerte, neigen
die Reactionszeiten des iV-Tages doch bis zum Schlusse zur Ver-
kiirzung.
Bei Beriicksichtigung dieser Thatsache gewinnt jeder, auch ge-
ringe Ausschlag im Sinne der Zeitverlangerung, sobald er unter
Trional eintritt, an Bedeutung und kann mit um so mehr Becht als
durch das Mittel verursacht angesehen werden. In der That setzt
eine Zeitverlangerung an den T-Tagen sofort nach dem Einnehmen
des Mittels ein und ist uberall bis zum Schlusse des Versuchs zu
verfolgen. Am schonsten zeigen diese Verhaltnisse die beiden letzten
Tage: am A-Tage eine gleichmaBig fortschreitende Verkurzung der
Zeiten, am T-Tage die 1. Viertelstunde auf der Hohe der Schluss-
leistung des vorhergehenden Tages, dann sofort eine bis zum Schluss
zunehmende, ziemlich betrachtliche Verlangerung der Zeiten.
Einen MaBstab fUr die GleichmaBigkeit der Arbeit haben wir
in der Grofle der Mittelzonen. Dieselbe ist gegeben in der Differenz
der Grenzwerthe, die sich bei Berechnung der Stellungsmittel in
gleichem Abstande nach oben und unten von diesen letzteren ergeben.
Je weniger die beiden Grenzwerthe sich vom Mittel entfemen, je
kleiner also die Mittelzone ist, um so gleichmaBiger die Leistung.
Deshalb haben wir in der Mittelzone auch einen Anhalt zur Be-
urtheilung der Disposition jedes Tages.
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Die psjebischen Wirlcnngen des Trionals.
Tabelle XIEI.
349
a
ll.XII.
N
12. XII.
ro,5
13. XII.
N
U. XII.
ro,5
16. XII.
N
17. XTT.
T 1,0
18. xn.
N
19. XII.
ri,o
36
Mittelzonen
aus je 20
Reactionen
06
47
92
72 48
77
31
54
♦53
119
31
46
66
38
52
60
52
48
(28)
' 48
♦51
65
♦46
51
41
53
♦53
49
44
76
53
52
98
42
j 40
1
27
54
38
45
76
47
52
1 *^
22
27
49
67
43
76
66 i; 49
35
36
82
106
27
104
83 (44)
25
33
62
93
68
111
46
40
57
24
(72)
(39)
82
72
(46)
35
25
63 1!
110 i|
\
:
(84)
Mittelzone d.
ganzen Tages,
105
64
94
73
i 61
46
53
51
Eine GresetzmaBigkeit lasst sich in dieser Tabelle ohne weiteres
nicht herausfinden. Hohe und niedere Werthe wechseln an den
einzelnen Tagen scheinbar regellos ab. Von Interesse sind die auBer-
ordentlich starken Schwankungen des ungunstigen 13. XTT., ein
deutliches Zeicben der mangelbaften Aufmerksamkeit an diesem Tage.
Auch bier zeigen die iV-Viertelstunden eine mit einigen Unterbrechnngen
f ortschreitende Abnahme der Werthe, ein Umstand, der im Zusammen-
hang mit den aus Tab. XI und XTT gezogenen Schlussfolgerungen
von Wichtigkeit ist. Ebenso lasst die Betrachtung der Tagesmittel
einen im gleichen Sinne wirkenden Einfluss erkennen. Wir gehen
wohl nicht fehl, wenn wir das regelmaBige Abnehmen der iV- Werthe
wie die Verkiirzung der Reactionszeit auf Rechnung der Uebung
23^
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350
Hans UaeneL
setzen, welche die sensorielle Reactionsweise der muskularen anzu-
nahem pflegt. Wir gedenken dabei der bei Wundt^) erwahnten
Thatsache, dass sensorielle Reactionsweise mit groBer mittlerer
Variation einhergeht, muskulare mit kleiner. Bei den Mittelzonen
der ganzen Tage f allt auf , dass auch das Trional dieselben verkleinert
Zwei Umstande, welche die Dauer der Wahlreaction entgegen-
gesetzt beeinflussen, scheinen demnach auf die Gleichmafiigkeit der
Tagesleistung die gleiche Wirkung zu haben. Um diesen Widerspruch
zu losen, ist es nothig, die iV-Viertelstunden heranzuziehen. Tab. XIV
stellt die Mittelzonen der 1. Viertelstimden der T-Tage denen vom
Rest des Tages gegeniiber.
Tabelle XIV.
Mittekone der
12. XII.
14. xn.
17. XII.
19. XII.
J^-Viertelstunde \\ 47 | 64
71
41
T-Stunde ! 64 75
50
49
Hierdurch wird es klar, dass der niedrige Werth der T-Tsgej
der in Tab. XTTT auffiel, nicht durch Trional veranlasst ist; vielmehr
stehen die T-Tage von vomherein iinter giinstigeren Bedingungen,
und zwar aus denselben Griinden wie beim Addiren iind Lemen, schon
durch ihre Stellung in der Versuchsreihe. Dies erhellt auch daraus,
dass die Differenzen zwischen je zwei auf einander folgenden A- und
r-Tagen immer kleiner werden (41—21 — 15 — 2; s. Tab. XTTT
Tagesmittelzonen); ganz natiirlich, denn je langer die Versuche fort-
gesetzt werden, um so mehr gleichen sich die Unterschiede aus, die
den r-Tagen einen Vorsprung vor den A-Tagen geben. Wir sehen
aber femer in Tab. XIV, dass unter Trionaleinfluss nicht, wie es den
Anschein hatte, die Leistungen gleichmaBiger, sondem im Gregentheil
ungleichmaBiger werden. Fur die Ausnahme des 17. XTT. mit seinem
auff allig hohen Anfangswerth kann vielleicht das ProtokoU Erklarung
bringen, das an diesem Tage angiebt: »Im Anfang des Versuchs be-
Bonders groBe Unruhe und Sensibilitat fUr die kleinsten Storungen.
1) Onindzdge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1893. Bd. II. 8. 311.
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Die psychischen Wirkungen des Trionals.
351
Vorher Aerger. Die Unsicherheit verschwand bald.« Femer ist aus
Tab. XTTT noch eine wichtige Thatsache ersichtlich. Die beiden
iV-Tage am 13. imd 18. XII. zeigen uns gegeniiber dem vorher-
gehenden T-Tage eine Zunahme der Mittelzonen im Tagesmittel.
Woher kommt es, dass diese unter schlechterer Disposition standen?
Da eine Ermiidungswirkung oder eine Herabsetzung des Uebungs-
werthes durch Trional bei dieser Art der Arbeit ausgeschlossen ist,
80 bleibt nichts ubrig als eine Nachwirkung des Medicaments anzu-
nehmen, wie sie aus der Praxis bekannt ist. Schon bei den continuir-
lichen Arbeiten wiesen uns einige Zahlen auf eine solche Nachwirkung
bin, und hier finden wir eine Bestatigung derselben. Diese Erkennt-
niss nothigt uns, auch femerhin bei der Beurtheilung der iV-Tage,
sobald sie auf einen T-Tag folgen, vorsichtig zu sein, und zeigt uns
auch von neuem, wie schwierig es ist, eine einwandsfreie und alien
Anforderungen geniigende Versuchsanordnung aufzustellen.
Das Ergebniss der Betrachtung der Mittelzonen. konnen wir also
in folgenden Worten zusammenfassen: Im Verlaufe der Versuchs-
periode anderte sich die Keactionsweise in der Art, dass die Arbeit
gleichmaBiger wurde unter gleichzeitiger Verkiirzung der Eeactions-
zeiten, was nach Wundt zu deuten ist als eine fortschreitende An-
naherung an die muskulare Reactionsform. Das Trional bedingt im
Gegentheil Verlangerung der Zeiten zugleich mit zunehmender Un-
gleichmaBigkeit.
Eine nothwendige Erganzung der bis jetzt gewonnenen Ergeb-
nisse bietet uns die Anzahl der Fehlreactionen. Tab. XV giebt die-
selben in Procenten der tiberhaupt ausgefiihrten Reactionen wieder.
Tabelle XV.
FehlrMclionen
'll.XII.
1 Jv
12. XU.
ro,5
13. XII.
N
14. XII.
ro,5
'l6. XII.
N
17. XU.
T 1,0
10,85
18. XII.
N
16,22
19. XII.
ri,o
17,02
l.Viertelstde.
4,87
6,66
7,95
9,43
16,86
Rest d. Vers.
7,95
8,03
7,57
7,21
10,09
5,69
10,45
6,91
Oanser Vera.
T.07
7,84
7,56
7,71
11,76
6,86
11,59
7,01
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352 Hans Haeiiel.
Vor allem fallt die ganz unverhaltnissmaBige Zunahme der Fehl-
reactionen in den iV-Viertelstunden auf. Der Werth des 1. Tages
steht ungefahr auf der Hohe, die man bei andem Versuchspersonen
zu finden gewohnt ist, aber Zahlen von 16 nnd 17)|^ sind fiir noi^
male Verhaltnisse eigentlich nnerhort Und doch zeigt das gleich-
maBige Ansteigen und die Festigkeit, mit der die schlieBlich erreichte
Hohe festgehalten wird (s. auch Tab. XVI), dass wir es dabei nicht
mit zufalligen Verhaltnissen zu thun haben. Der Zusammenhang mit
den Reactionszeiten ist unverkennbar: genau in dem MaBe, wie diese
abnebmen, nehmen die Fehlreactionen zu. Dies steht in Ueberein-
stimmung mit der Thatsache, dass beim Uebergange zur muskularen
Reactionsweise die Neigung zu Fehkeactionen ebenfalls ziinimmt.
Sehen wir in Tab. XV die letzte Arbeitsstunde jeden Tages an,
so stoBen wir vorerst auf Widerspriiche. Dass an den ersten beiden
Tagen die Fehkeactionen zaMreicher sind als in den entsprechenden
1. Viertelstundeu, ist wohl aus der im Anfang uberhaupt starkeren
Neigung zur Vermehrung der Fehkeactionen zu erklaren. Was ist
aber der Grund fiir die Verminderung an den beiden letzten iV-Tagen?
Wenn, wie die 1. Viertelstunden lehrten, die Verkiirzung der Zeiten
mit Vermehrung der Fehkeactionen einhergeht, so ist nicht klar,
weshalb dieselbe Verkiirzung im Laufe jedes einzehien Tages die
Fehkeactionen herabsetzen soil. Wir miissen zur Erklarung wohl
die Tab. XVI (16. I. 96) zu Hiilfe holen. Dort sehen wk, dass im
Laufe der 1 . Stimde ebenfalls eine Verminderimg der Fehlreactionen
eintritt, dass aber spater, parallel mit einer weiteren Verkiirzung der
Zeiten, die Fehkeactionen schnell bis zu betrachthcher Hohe wieder
zunehmen. Jene anfangliche Verminderung konnte bei unsem ersten,
kurzdauemden Versuchen allein zum Ausdruck kommen und wk haben
in ihr vielleicht eine etwa der Anregung vergleichbare Wkkung zu
erblicken, die fiir kurze Zeit Sicherheit mit Schnelligkeit vereinigen
konnte und so eine thatsachliche Verbesserung der Leistung hervor-
rief. Sobald aber starkere Ermiidung eintritt, — der Versuch am
16. 1. 96 dauerte bis ll.^^Nachts — , lasst die Aufmerksamkeit nach
und die Fehkeactionen vermehren sich wieder zugleich mit der Ver-
kikzung der Zeiten; die Arbeit wkd »motorischer«; die Wahkeaction
nahert sich immer mehr der einfachen Reaction, Vergleichen wk
jetzt die T-Tage mit diesem Resultate, so bieten sich uns keine
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Die psychiscbeo WirkuDgea des Trionals. 353
Schwierigkeiten mehr; wir kommen jetzt zu der Ueberzeugung, dass
die Zahl der Fehler im umgekehrten Verhaltniss zur Lange der
Reactionszeiten steht, und befinden uns damit in Uebereinstimmung
mit dem, was Wundt^) iiber das Verhaltniss von sensorieller nnd
muskularer Reaction gesagt hat. Aehnliche Erfahrungen, die auf eine
directe Abhangigkeit der Fehlerzahl von der Arbeitsgeschwindigkeit
hindeuten, sind auch bei den Additionsversuchen von Rivers 2) ge-
macht worden. Das Interessante bei uns ist nun, dass diese Gesetz-
maBigkeit unter >physiologischen« wie unter »pathologischen« Ver-
haltnissen aufrecht erhalten wird. Halten wir die aus den Reactions-
zeiten, den Mittelzonen und den Fehlem gewonnenen Schliisse neben
einander, so erhalten wir den Eindruck, als ob die Trionalwirkung
darin besteht, die anfangs vorherrschende und im Laufe der Versuchs-
reihe aufgegebene sensorielle Reactionsweise wieder herbeizufiihren.
Dass diese Auffassung richtig ist, wird durch die Versuchsreihe
bestatigt, die wir im Januar zur Erganzung und unter etwas veran-
derten Bedingungen anstellten. Sie urafasst 3 Tage; statt der opti-
schen Reizgebung wurde die akustische angewandt, und da Herr
Dr. Aschaffenburg, der bei diesen wie bei den folgenden Re-
actionen die Gute hatte, das Registriren zu iibernehmen, auf das
Arbeiten mit dem Lippenschliissel maximal eingeiibt ist, folgten die
einzelnen Reactionen viel schneller auf einander; durchschnittlich
brauchten wir zur Ausfuhrung von 100 Reactionen 7V2 Minute. Die
Trionalwirkung wurde durch 3V2 Stunden verfolgt; die Pausen
zwischen je 1 00 Reactionen betrugen 20 Minuten, wahrend derer jedes-
mal ein Ergographenversuch ausgefuhrt wurde. Das subjective Ge-
f lihl der Anstrengung, der geistigen Anspannung war im allgemeinen
viel starker als bei den ersten Versuchen mit Dr. Weygandt, wo
langsam gearbeitet wurde. In Tab. XVI sind die Resultate wieder-
gegeben, berechnet genau wie fiir die friiheren Reactionsversuche.
Die Gabe betrug am 15. L 0,5 g, am 17. L 1 g. Der 16. I. war
iV-Tag, allerdings nur in dem oben besprochenen, beschrankten Sinne.
1) a. a. 0. S. 309f.
2) Diese Arbeiten. I. S. 657 fl.
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354
Hans Uaenel.
Tabelle XVI.
Stellungsmittel aus je 100 Reactionen
15.1. ro,5
420
♦468
502
548
500
502
453
411
16. 1. iV^
371
325
329
335
361
355
322
330
17. 1. T 1,0
361
1
♦377
430
442 [ 482
492
510
509
Mittelzonen
T
105
♦117
113
110
100
85
101
108
N
82
69
66
79 j 65
42
92
85
T
65 j ^68
77
88 j 76
68
80
75
FeUreactionen in %.
ill
T
14,0
♦9,0
9,83
8,79
12,0
7,98
8,90
12,96
10,43
y
14,0
14,96
11,0
10,95
15,0
18,92
15,0
20,0
14,97
T
12,0
♦6,0
9,0
7,0
5,0
5,0
8,0 12,0
8,0
Alle die besprochenen Verhaltnisse kommen hier sehr klar zum
Ausdruck. Wie in der ersten Versuchsreihe nehmen die Reactions-
zeiten und Mittelzonen der 1. Viertelstunden ab, ein Beweis, dass
auch hier wieder die Neigung sich geltend macht, die motorische
Reactionsweise zu bevorzugen. Und was die iV-Viertelstunden zeigen,
zeigt ebenso der ganze iV-Tag fiir sich, ein Beweis, dass die etwaige
Nachwirkung des Trionals jedenf alls nnr unbedeutend gewesen sein kann
und den Verlauf der iV-Tage nicht wesentlich gestort hat. Die hohen
Werthe. der Mittelzonen in den beiden letzten Versuchen des A-Tages
konnen wohl als ein Zeichen beginnender Ermiidung gedeutet werden;
sie fallen beide schon in die spatere Nachtstunde, !!.*<> und 1 1.^** Uhr.
Die Ermiidung verschlechtert also, wie auch das Verhalten der Fehl-
reactionen deutlich zeigt, zuerst die Qualitat der Arbeit, wahrend die
Geschwindigkeit noch unbeeinflusst ist. Auch die Trionalwirkung
verlauft in derselben Weise wie bei den ersten Versuchen; die
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Die psychischen Wirkuugen des Trionals. 355
Verlangerung der Zeiten, die Zunahme der Mittelzonen, die Vermin-
derung der Fehlreactionen ist auf den ersten Blick deutlich; der
15. 1, zeigt auBerdem, dass die Wirkung der kleinen 0,5 g-Gabe.nach
etwa 2Y2 Stunden nachzulassen beginnt, der 17. L, dass die groBere
Gabe die Arbeit bis zum Schlusse in steigendem MaBe beeinflusst.
Das Verhalten der Fehli'eactionen am letzten Tage, die sich erst
ungefahr proportional der Zeitvedangerung vermindem, gegen den
Schluss aber wieder zunehmen, zeigt, dass der oben auf gestellte Satz :
lange Reactionszeiten — wenige Fehler, bei vorgeschrittener Ermiidung
seine Gultigkeit verliert.
Die Uebereinstimmung der aus der 3-tagigen Reihe gewonnenen
SchlUsse mit denen der 8-tagigen beweist uns, dass trotz der un-
giinstigeren auBeren Bedingungen die letzteren doch Anspruch auf
Zuverlassigkeit erheben konnen. Auf fallen konnte nur der XJmstand,
dass die Reactionszeiten im allgemeinen beim 3-tagigen Versuche
langer sind als beim 8-tagigen. Ob wir die Ursache dazu in der
Aenderung des Reizes oder in der schnelleren Aufeinanderfolge der
einzelnen Reactionen oder in einem andem Umstande zu suchen
haben, ist nach dem vorliegenden Material nicht zu entscheiden;
schon bei dem Wechsel des Registrirenden hat man ofters eine Ver-
schiebung aller Zeiten nach oben oder unten beobachtet. Jedenfalls
wird die Uebereinstimmung der 3 Tage unter einander wie mit den
Decemberversuchen dadurch nicht beeintrachtigt.
V. Ergographenversaclie.
Zur Priif ung einer rein muskularen Arbeit stellten wir eine Reihe
von Ergographenversuchen an, wobei wir den durch die Versuche von
Hoch*) bewahrten und in seiner Arbeit beschriebenen Apparat an-
wendeten. Es wurden 3 Versuchsreihen ausgefiihrt, 2 zweitagige und
1 viertagige. Zwischen je zwei Versuchen wurden langere Pausen
eingeschoben, die 3 mal V2 Stunde, 1 mal ^4 Stunde, 4 mal 1 Stunde
betrugen imd theils mit Wahl-, theils mit Associationsreactionen aus-
gefiillt waren. Durch diese Pausen wurde zwar das Auftreten star-
kerer Ermiidungserscheinungen vermindert, aber eben dadurch auch
1) Diese Arbeiten. I. S. 380 ff.
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356
Hans HaeneU
das Studium derselben erschwert. Auch die Verschiedenheit der
Pausen beeintrachtigt die Vergleichbarkeit der Curven unter einander
in unwillkommener Weise. Diese auBeren Bedingungen werden also
bei unseren Zahlen zu beriicksichtigen sein. Tab. XVli giebt die
Leistungen jedes Tages in mm wieder. Da das gehobene Gewicht
stets das gleiche war (5 kg), ebenso das ZeitmaB der Hubbewegungen
1 Sec), so geniigt zur Angabe der Arbeitsleistung die Hohe, bis zu
der das Gewicht in jedem Versuch gehoben wurde.
Tabelle XVH.
Tag:
16.1.
17.1.
29.1.
30.1.
31.1. l.Il.
13.11.
14. U.
Dosis:
N
T1,0
30'
N
ro,5
N r 1,0
N
r2,o
Pause :
30'
60'
60'
60'
60'
30'
45'
815
1013
1394 1156
1190
1277
1308
1334
763
♦985
1 ♦
1
*
1385
♦1451
1325
739
699
1330
1197
1170
955
1247
1246
525
862
1207
1112
334
602
1248 : 1110
1156
1172
945
286
682
'
688
435
855
1278 1160
1136
1141
459
459
1
Unverkennbar ist bei Betrachtung der Anfangsleistungen ein fort-
schreitender Uebungszuwachs, wobei auffallt, dass die beiden 12-ta-
gigen Pausen gar keinen Verlust bewirkt haben ; die einmal erworbene
Uebung muss also bei dieser Arbeit eine auBerordentlich feste sein.
Fiir die hohe Anfangsleistung des 29. 1., die von einer ebenso un-
gewohnlichen Durchschnittsleistung gefolgt wird, ist ein Grund viel-
leicht im ProtokoU zu finden. Der Apparat, der wegen einer Re-
paratur entfemt worden war, musste vor Beginn des Versuchs mit
Nageln und Schrauben auf dem Tische wieder befestigt werden, was
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Die psychischen Wirkungea des Trioiials. 357
eine ziemlich umstandliche und anstrengende Arbeit erforderte. Mog-
lich, dass ich dadurch in eine Art »Bettmann'8chen Zustand*
gerieth und dass der kurz darauf folgende Versuch nnter dem Einflusse
erhohter psychomotorischer Erregbarkeit gestanden hat. Wie weit die
durch die Verzogerung verursachte argerliche Erregung beim Zustande-
kommen dieser Anfangsleistung mitgewirkt hat, entzieht sich nnserer
Benrtheilung.
WoUen wir auf eine Bestimmung des Trionaleinflusses eingehen,
so ist dies bei der UngleichmaBigkeit der Versuchsreihe nnr moglich
dnrch die Vergleichnng solcher Tage, die unter denselben Versuchs-
bedingungen standen. Deshalb miissen der 16. und 17.1. gesondert
vom 29. I. — 1. n. betrachtet werden, und der 13. und 14. 11. sind fiir
diesen Zweck unbrauchbar. Die ersten beiden Tage zeigen eine trotz
ViStundiger Pausen ziemlich starke Abnahme der Leistungen, die
am iV-Tage annahemd gleichmaBig erfolgt, am T-Tage einige Unter-
brechungen aufweist. Fiir die GroBe des Verlustes bietet einen MaB-
stab die Differenz zwischen der Anfangsleistung und dem Durchschnitt
der folgenden; dieselbe betragt fiir den iV-Tag — 309, fiir den
T-Tag — 278. Der Unterschied von 31 mm ist so gering, dass man
einen deutlichen Trionaleinfluss darin nicht erkennen kann. In der
zweiten 4-tagigen Gruppe sehen wir zunachst, dass durch eine Pause
von 1 Stunde die Ermiidung ziemlich vollstandig aufgehoben wird.
Am 29. I. haben wohl die Einflusse, welche die Anfangsleistung er-
hohten, im Laufe des Versuchs nachgelassen, und dadurch durfte das
Sinken der folgenden Curven veranlasst sein. Die beiden T-Tage zeigen
ein entgegengesetztes Verhalten: am 30. I eine Zunahme, am 1. 11.
eine Abnahme der Arbeitsleistung; da wir diesen verschiedenen Aus-
fall nicht gut auf eine Ursache, das Trional, zuriickfiihren konnen,
80 miissen wir annehmen, dass hier andere, unserer Beobachtung sich
entziehende Ursachen eingewirkt haben. Fiir die Abnahme des 1. 11.
ist es vielleicht von Bedeutung, dass das Protokoll an diesem Tage
verzeichnet: etwas Kopfweh, geringe Magenverstimmung.
Ebensowenig wie aus den Gesammtleistungen eine Trionalwir-
kung ersichtlich wird, ist dies der Fall bei Betrachtung der Hub-
zahlen in Tab. XVm.
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358
HaDS lUeoel.
Tabelle XVm.
16.1.
N
30'
17.1.
Tifi
30' J
29.1.
N
60'
30.1.
ro,5
60'
31.1.
N
60'
l.II.
ri,o
60'
13. n.
N
30'
i
14. 11.
r2,o
45'
35
46
45
46
44
46
41
41
35
♦46
«
1 *
48
*43
29
30
45
44
44
46
46
44
25
44
43
46
16
28
48
40
45
44
35
43
15
38
26
18
40
47
44
39
46
19
23
Eine GesetzmaBigkeit i3t nicht aufzufinden. Die Anf angsleistungen
halten sich, abgesehen vom 1. Tage, ungefahr auf gleicher Hohe; die
Hubzahl ist also der Uebung bei uns so gut wie nicht zuganglich.
Die ersten beiden Tage zeigen, entsprechend dem Verhalten der
Arbeitsleistung, wegen der nur 1/2 stundigen Pause einen deutlichen Er-
miidungsverlust, der in der zweiten Gruppe mit den 1 stundigen Pausen
fehlt und am 13. 11. erst ziemlich spat eintritt. Die T-Tage zeigen
so unbedeutende und unregelmaBige Abweichungen von den iV-Tagen,
dass darin eine Arzneiwirkung nicht erblickt werden kann. Wir
konnen daher das Ergebniss dahin zusammenf assen : die Hubzahl ist
bei uns der Uebung in sehr geringem, der Ermiidung in hoherem
Grade zuganglich, bleibt aber durch Trional unbeeinflusst.
Der dritte Factor, der bei der Beurtheilung der Ergographen-
versuche in Betracht kommt, ist die HubgroBe, d. h. die Ausgiebigkeit
jeder Contraction in cm. Sie ist zu berechnen aus dem Verh^ltniss
der Gesammtleistung zur Hubzahl.
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Die psycbisehen Wirkongen des Trionals.
Tabelle XIX.
359
16.1.
N
30'
17.1.
ri,o
30'
29.1.
iV
60'
30.1.
ro,5
60'
31.1.
N
60'
l.U.
ri,o
60'
13.11.
N
30'
14.11.
T2fi
45'
23,3
24,2
30,9
25,2
27,1
27,7
31,9
32,8
21,8
♦21,4
*
4>
28,8
♦33,7
25,5
23,3
29,8
27,2
26,6
20,7
27,1
30,1
21,0
19,6
28,9
26,2
20,9
21,5!
26,0
27,7
25,7
26,6
27,0
25,8
19,1
17,9
26,5
24,2
21,2 1
27,2
26,4
29,1
24,7
24,2
19.9
ii
Es zeigt sich, dass die Zunahme der Gesammtleistung, wie sie
Tab. XVII wiedergiebt, fast ausschlieBlich gewonnen ist durch ein
aUmahliches Anwachsen der HubgroBen. Die Zunahme der Anfangs-
leistungen ist eine constante — abgesehen vom 29. I. — , wahrend
im Verlaufe jedes iV-Tages die Ermiidung in den Vordergrund tritt.
Die Endwerthe am 16. und 31. L durften vielleicht das Eingreifen
eines Schlussantriebes ausdriicken. Von einer deutlichen Trionalwir-
kung ist auch hier nichts zu merken.
Um zu sehen, ob imd wie etwa der Ablauf jeder einzelnen Curve
beeinflusst wurde, theilten wir jede in 2 Halften und verglichen die
HubgroBen erst der ersten und dann der zweiten Curvenhalften an A-
und T-Tagen. Doch lieBen sich auch hierbei keine einheitlichen Ge-
sichtspunkte herausfinden. SchlieBlich sei noch darauf hingewiesen,
dass die Einflusse von Uebung und Ermiidung sich bei uns in anderer
Weise wirksam erwiesen haben, als bei friiheren Versuchen. Aus
den Hoch'schen Ergographenversuchen war der Satz abgeleitet
worden, dass die Uebung vor allem die Hubzahl vergroBert und die
Ermiidung in erster Linie die HubgroBe herabsetzt ^). Bei uns hat
1) Diese ArbeiteD. I. S. 474.
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360
Hans UieneU
sich nun zwar auch ergeben, dass die gleichen Ursachen, — Er-
miidnng und Uebung, — auf Hubzahl und -groBe verschieden wirken;
doch erzeugtdie Uebung eine entschiedene Zunahme der HubgroBe,
wahrend fur die Ermiidung eher die Hubzahlen die groBere Empfind-
lichkeit zeigen. Wir haben darin wohl nur eine personliche Eigen-
thiimlichkeit zu erblicken. Als Ergebniss der Ergographenversuche
steht also so viel fest, dass die Muskelkraft durch Trional nicht be-
einflusst wird.
VI. Schreibversnche.
Zur Erganzung der Ergographenversuche sei hier noch eine
kiirzere Reihe von Versuchen besprochen, die auch eine motorische
Thatigkeit zum Ausgangspunkt batten. Es wurden mit moglichster
Geschwindigkeit die Buchstaben des kleinen lateinischen Alphabets
aufgeschrieben und jedesmal, wie beim Lemen, der Zeitraum von
5 Minuten markirt. Wir beabsichtigten damit einmal, die Muskel-
kraft auf eine andere Art noch zu priifen; dann aber woUten wir
uns besonders auch ein Urtheil bilden iiber eine etwaige Beeinflussung
der Coordination von feineren Bewegungen. Es wurde jedesmal eine
iV-Viertelstunde vorausgeschickt; dann folgte eine Pause von 25 Mi-
nuten, in der das Mittel genommen wurde; nach V4 8tUndiger Arbeit
wurde wieder eine Pause von 25 Minuten gemacht, dann noch
1 0 Minuten geschrieben. Die Trionalwirkung wurde somit 1 V2 Stunden
lang verfolgt. Tab. XX giebt 5 Minuten-Leistungen.
Tabelle XX.
3.m.
N
506
1
550 508
616
605
575
1
549 1 533
554
544
528
549 1 526
574
4. in.
ri,og
1621
i '1
616,608 ,*61 8
1 1'
582
560
560 560
527
519
514
524
1
560
526
20. III.
N
650
625,671 697
628
601
657 1 623
624
617
647
609
612
607
628
21. m.
ri,og
702
1
641 658 >653
1 '
626
660
627 ' 613
660
602
580 B46
583
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Die psychischen Wirkongen des Trionals. 361
Vor allem erhellt hierbei aus den ersten Viertelstunden eine
Thatsache, die nach den Ergebnissen vieler friiheren Versuche jiicht
mehr uberraschen kann: das Schreiben gehort nicht zu den maximal
geubten Thatigkeiten, sondem ist dem Einflusse der Uebung in ziemlich
betrachtlichem MaBe zugS,nglich. Der Uebungscoefficient, genau wie
oben beim Addiren und Lemen aus den 1 . Viertelstunden berechnet,
betragt 1,82^, ist also nur wenig kleiner als bei jenen Priifungs-
arbeiten. Die iV-Tage geben ein gutes Bild von der Wirkungsweise der
Ursachen, denen man nach dem heutigen Stande der Kenntnisse einen
Einfluss auf die Arbeitscurve zuschreibt. Die Uebung erwahnten wir
soeben; die Ermiidung macht sich im Laufe der ^/^stiindigen ununter-
brochenen Arbeit deutlich geltend. Eine Wirkung des Antriebes
konnen wir vielleicht in den hoheren Anfangswerthen der 3 letzten
Tage erkennen. Interessant ist die Wirkung der beiden Pausen. Die
erste von 25 Minuten Dauer ist von entschieden giinstiger Wirkung;
die ihr folgende Leistung steht durchschnittlich um 67 Buchstaben
hoher aJs die vorhergehende. Die giinstigen Einflusse, Ausgleich der
Ermiidung, Fortbestehen der Uebung, haben also die ungiinstigen,
vor allem den Verlust der Anregung, mehr als aufgewogen. Die
zweite Pause von 15 Minuten hat die umgekehrte Wirkung gehabt.
Hier steht die folgende Leistung um durchschnittlich 14 Buchstaben
tiefer; die Pause reichte also nicht bin, die Ermiidungswirkungen
wieder auszugleichen. Dies wiirde aber nur ein Stehenbleiben auf der
Leistungshohe vor der Pause erklaren; die Verschlechterung miissen
wir auf den Verlust der Anregung zuriickfiihren, da ein so erheblicher
Uebungsverlust im Hinblicke auf die Anfangsleistung des folgenden
Tages unwahrscheinlich wird. Die hohen Endleistungen der iV-Tage
diirfen wir wohl als eine Wirkung des Schlussantriebs betrachten.
Die Trionaltage weisen eine gewisse Verschiebung dieser Verhaltnisse
auf. Vor allem ist die giinstige Wirkung der ersten Pause fast
vollig auf gehoben ; die Zunahme nach derselben betragt durchschnitt-
lich nur noch 2,5 statt 67 an den iV-Tagen. Hier haben wir also
zweifellos eine Trionalwirkung vor uns, und auch die starkere Ab-
nahme der Leistungen in den folgenden 3 Viertelstunden deutet auf
eine solche bin. Auff alHg ist dagegen die Wirkung der zweiten Pause.
Statt der Abnahme von 14 an den A^-Tagen sehen wir hier eine
Zunahme von durchschnitthch 55 Buchstaben. Dies ist nur zu
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362 Hans Uaenel.
erklaren durch ein Nachlassen der Trionalwirkung; da diirch sie die
Leistung vor der Pause sehr tief herabgesetzt worden war, so ist
wohl begreiflich, dass mit dem Schwinden der Wirkung und mit der
Erholung durch die Pause die Leistung wieder zunehmen kann. Die
Ergebnisse der friiheren continuirlichen Arbeiten bestatigen ja auch,
dass die Wirkung des Trionals nach etwa 1 Stunde nachzulassen
beginnt. Ein Schlussantrieb fehlt an den T-Tagen. — Eine Folge-
rung konnen wir an das erhaltene Ergebniss kniipfen: wir thaten recht
daran, bei den Additionen auf das Niederschreiben aller Einzelsummen
zu verzichten; die Eindeutigkeit jener Versuche ware durch die Be-
einflussung des Schreibens neben derjenigen der Addirarbeit stark in
Frage gestellt worden.
VII. Leseversache.
Nach den zuletzt beschriebenen Versuchen hauptsachlich mo-
torischer Art kam es uns darauf an, eine psychische Leistung
zu untersuchen, bei der auf der Auffassung das Hauptgewicht
liegt. Die von Cron^) zuerst angestellten Leseversuche am Kymo-
graphion gaben uns ein Mttel dazu an die Hand. Die Versuchs-
anordnung bUeb genau dieselbe, wie sie dort beschrieben worden ist
Die Fehler wurden eingetheilt in Auslassungen und in falsch ge-
lesene Worte, von denen die kleine Gruppe der sinnlosen Worte
abgetrennt wurde. Es kam auch vor, dass ein Wort falsch gelesen,
aber gleich darauf, nachdem es schon wieder verschwunden war, ver-
bessert wurde. Dies kam auf zweierlei Art zu Stande: Entweder
wurde nach dem Fehler, der mir fast immer bewusst wurde, das
Nachbild im Auge oder Centralorgan zur Controle herangezogen
und gleichsam noch einmal in anderer Form abgelesen, oder es lag
ein vorzeitiges Aussprechen vor. Da bei dem Voriiberziehen des
Wortes meist nur Zeit ist, die auffallendsten Buchstaben wirklich zu
erkennen, wahrend das Uebrige dazu erganzt wird, so liegt beim Fehlen
eines sinnvollen Zusammenhanges oft die Moglichkeit mehrerer Er-
g^nzungen vor. Nun kommt aber durch das gleichmaBige ZeitmaB
der Wortbewegung auch in die Auslosung der Sprachbewegungen ein
1) Diese Arbeiten. II. S. 203.
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Die psychischeD Wirkungen des TrioDftls. 363
so gleichinS.Biger Rbythnms, dass oft ein Wort wider Willen ttod
wider bessere Erkeniytni&d tlber die Zxmge gebt; der erste ojytiscfae
AnstoB geniigt zur Auslosuiig der Spnachbewegmig, ehe das eigent*
Mche Verstandniss, die Prttfung des gesehenen WortbiWes aiif seineu
Sinn voUendet isl. Beide Entstehnngsweisen von FeWern iaaieii
mir deutlich zvm Bewnsstsein; die letetere war wohl die haufigere.
Bei den Auslassungen kann es sich ebenfatis um zwcierlei Vor-
^toge handeln: cntwedet wurde das Bild liberhanpt mcht aufgfefasst
(Lidschluss, Verschwimmen der Bticbetaben, mangelhaftes Fixiren durcb
Ikmiidnng der Augennmskeln); oder es wurden zwar eiirige Buch-
stabeo erkannt, die Ergfanzung aber nicht mehr ausgefiihrt. In diesem
Palle kam e» dami ein paatmal vor, dass mtr die gesehenen Bach-
staben genannt wtrrden (statt MaBstab-— Mess, Knppei — Kapp, Product
— odr), oder ich schwieg, obwohl icb im Gesichtsfeld etwas ertannt
hatte. Ueberwiegend war bier die erste Art der Entstehung^ das
Versagen des Anges, docb war es naturiich nicbt moglich, im Einzel*
falle wabrend des Versucbs die Eatsuheidung darUber zn fillen und
aufzHscbreiben. Welcbe Rolle bei diesen Versuchen die rhythmische
motorische Tbatigkeii des Aussprecbens spielte, wird auch durch die
sinnlosen Worte dargethan: das Wortbild ist nicht richtig erkansii
oder gedeutet worden; statt dass nun aber nichts oder nur der wirk-
lich aufgefasste Theil wiedergegeben wird, entsteht ein Wort, welches
nur einen sehr lockeren oder gar keinen ^usammenhang mit dem fi-eiz-
worte hat ObwoW im selben Augenblicke die Ueberlegung ganz
deutlich dem ausgesprochenen Worte widerspricht, obwohl ich ganz
genau weiB, dass das Wort so nieht lauten kann, geht trotzdem das
Aussprechen vor sdch. Das Lesen ist zum einf achen Reflexe geworden,
und von einer eigenftlichen Erkennung kann wohl nicht mehr ge-
sprochen werden. Der Vorgang ist ahnlich dem, den man beim
XJebergang von der sensorischen zur motorischen Reactionsweise bei
Wahlreactionen beobachten kann. Beispiele hierfiir sind: Statt Ge-
schaft — Polg, Entwurl— zierKch, Fenster — Zeuster, Nahe— Nachtigall,
Hofraum — Versuch. Vielleicht spielt in solchen Fallen der Einfluss
friiherer Worte mit hinein, indem die Erinnerung daran plotzlich
aufgeweckt wird, oder auch eine Associationsreihe, die sich an ein
Wort angeknlipft hatte, aber unter der Schwelle des Bewusstseins
geblieben war, unterbrochen wird und nun mit dem eben vorliegenden
Kraepelin, Psycholog. Arbeiton. U. 24
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364
Haos Uaenel.
Gliede zu Tage tritt. Ein Beweis fiir diese Entstehungsweise lieB
sich allerdings nachtraglich nicht beibringen; doch wird die Moglich-
keit derselben zugegeben werden miissen, besonders da uns auB dem
taglichen Leben ahnliche Vorkommnisse bekannt sind. Beispiele ftir
das Verlesen oder vielmehr die falsche Erganzung der erkannten
Buchstaben sind: statt Segnung — Seegang, Fessel — Scheffel, Erfolg —
Ersatz, Mond— Nord, Psalm — Pfriem u. a. m. In alien diesen Bei-
spielen ist die Vermischnng illusionarer Vorgange mit dem Erkennungs-
act unverkennbar, nnd je nnvollkommener dieser letztere ist, um so
mehr Spielraum werden jene haben. Demnach konnen wir bei der
Entstehung aller Fehler 3 Falle unterscheiden : 1. richtig, 2. fakch,
3. gar nicht erkannt, und dazu 3 Unterfalle: a. richtig, b. falsch,
c. gar nicht ausgesprochene Worter. In den Verbindungen dieser
6 Falle sind alle Fehlerarten enthalten.
Es wurde an 3 Abenden experimentirt; jedesmal wnrde erst die
Trommel mit den einsilbigen und gleich darauf die mit den zwei-
silbigen Worten gelesen. Die Expositionszeit fiir jedes Wort betrug
ca. • 750 a. An jedem Abende warden 5 Versuche in ^4 stUndigen
Pausen gemacht. Tab. XXI giebt die Zahl der Fehler jeder Art
wieder.
Tabelle XXI.
11.11.96 N
12.11.96 ri,og
14.11.96 r2,0g
Einsilbige Worte
ausgelassen
—
1
—
1
1
—
1
4
13
11
—
1
19
25
41
falsch
5
7
3| 9
7
1
5
15
27
37
5
16
1
14
3
40
7
48
1
43
5
sinnlos
2
—
2
—
1
2
5
yerbessert
1
3
6
'
6
2
3
♦9
2
23
6
51
3
—
2
1
2
4
Summa
1 8
11
9
17
14
4
56
17
•20
67
76
93
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Die psyehischen VVirkungen des Trionals.
365
11.11.96 ^
12. 11.
96
Tlfig
14. II,
96
T2fig
Zweisilbige Worte
ausgelassen
4
—
1
1
—
—
1
7
9
19
1
3
13
26
33
falBch
5
4
4
1
4
1
9
14
16
32
6
17
22
33
31
sinolos
—
—
—
1
2
1
2
4
3
2
—
1
2
4
6
verbessert
4
3
4
1
5
5
2
3
4
—
7
1
3
2
3
73
Siunma
13
7
9
4
11
7
♦14
28
32
53
♦22
40
65
Vorerst lehrt uns diese Tabelle, dass die physiologische Ermiidung
der Sicherheit des Lesens nur wenig Abbruch thut. Nehmen wir die
ein- und zweisilbigen Worte des iV-Tages zusammen, so verhalt sich die
Fehlerzahl des ersten Versuchs zum letzten um IPs Uhr wie 100: 109.
Die zweisilbigen Worte haben ein besseres Resultat ergeben, obwohl
sie nach ihrer Stellung im Vearsuche unter schlechteren Verhaltnissen
standen. Ihnen ging regelmaBig das Ablesen der einsilbigen Trommel
direct vorauf ; auBerdem wurde in dem nur 4 mm breiten Spalte fast
nie das ganze zweisilbige Wort auf einmal sichtbar; der Anfangs-
buchstabe war schon wieder verschwunden, ehe der Schluss anftauchte.
Wenn die zweisilbigen Worte trotzdem auch an den T-Tagen ein
besseres Ergebniss lieferten, so Uegt das wohl daran, dass sie durch
die groBere Buchstabenzahl mehr Anhaltspunkte zur Erganzung bieten
und damit die Zahl der moglichen sinnvollen Erganzungen beschrankt
wird. Ein Beispiel: Fiir Stroh wurde gelesen: Stark, Strunk, Kohl,
Spatz, Stuck, fiir Verlauf nur einmal Verlag, fiir Neubau nur Umbau,
fur Erwerb — Gewerbe und Erfurt.
Ein Blick auf die T-Tage in Tab. XXI lehrt sofort das Vor-
handensein einer starken Trionalwirkung. Im zweiten Versuche jedes
T-Tages, der 20 Minuten nach dem Einnehmen des Mittels angestelit
wurde, ist die Zunahme der Fehler noch nicht sehr auffallend; sie
steigen aber bei jedem folgenden Versuche rasch an, bis sie zum
Schluss des letzten Tages die fiir normale Verhaltnisse unerhorte Hohe
von 33,8^ erreicht haben. Dieser Erfolg ist um so bedeutungsvoUer,
als das Lesen am Kymographion fiir gewohnhch zu den gleich-
24*
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366
Hans tUenol*
maBigsten der psychologischen Experimentalarbeiten gehort. Es
bangt dies wohl mit der dabei eingebftltenen Yersuchsanordmimg
zusammen. Cattell') fand in seinen auf die Erkennungszeit ge-
richtcten Untersuchungen, dass dieselbe fur ein kleingedrucktes Wort
in deutschen Lettem durchsehnittlich 400 a betragt. Da bei una die
Expositionszeit wie erwahnt, etwa 750 a betanig, so haben wir darin
den Schlussel fiir die GleicbmaBigkeit des Lesens an den j\-Tagen.
So konnte die physiologische Ermiidung, die sicher auch bei diesen
Versuchen vorhanden war, die Erkennnngszeit nm fast die HUfte
verlangem, ehe sie sich als Fehler oder Auslassung zb erkennen zu
geben brauchte. Erst wenn diese langer als 750 a wurde, konnten
illusionare Vorgange in groBerem Umfange in Thatigkeit treten. Ver-
langenmgen geringen Grades mussten sich bei unserer Versuchs-
anordnung der Beobachtung TolKg entziehen. Dies beweist nns mit
emeuter DentUchkeit, dass die Storungen durch das Trional bei dieser
Arbeit ganz besonders starke sein mftssen.
Die einzelnen Arten von Fehlem, die wir oben imterscbieden,
haben dem Trional gegeniiber ein yerschiedenes Verhaften gezeigt.
Es wird dies deutKcher, wenn wir unter ZitsammenfassTing der ein-
und zweisilbigen Worte die Anzahl der Fehler jeder Art am A-Tage
= 100 setzen und die Ergebnisse der T-Tage zn dieser Zabl in Be-
ziehung bringen; die erste Viertelstunde ist dabei unberiicksichtigt
geblieben. In Tab. XXII ist die Berechnung ausgefuhrt
Tabelle XXH.
il
T-Tag 1,0
T-Tag 2,0
ausgelassen 100
800
2012
fabch 100
3U8
620
sinsnlos 100
189
218
verbeasert 100 ' 78
68
1) Wundt, Philoa. Stod. III. B4. S. 107 fi.
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Die psychischen Wiikwigen des Trionals. 367
Wir sehen hier, dass die Auslassungen iind Fehkr bei weitem
Sim stariksten zugenommen haben; die Vermehrung der sinnlosen Worte
tritt dagegen zuriick, und die Verbessenmgen sind sogar seltener ge-
word^i als am iV-Tage. Dass dies kein Zufall ist, zeigt sidi darin,
dass Vermehrung sowohl wie Verminderung am 2g-Tage starker ist
als am 1 g-Tage. Die Erklarung dafur ist wohl darin zu suchen,
dass diese 4 Fehlerarten verschiedene Entstehungsweisen habeii) und
zwar konn^i wir nach der obigen Auseinandersetzung wohl sagen,
dass Fehler imd Auslassungen wesentlich auf einer Ersdiwerung der
Auffassung beruhen, die sinnlosen Worte und Verbesserungen mehr
durch psychomotorische Storungen veranlasst werden, namentlich durch
vorzeitiges Aussprechen. Der Ausfall der Versuche erklart sich dann
dadurch, dass wir eine Verlangsamung der Auffassung durch Trional
annehmen und dazu eine geringfiigige Erschwerung des Aussprechens
der Worte; das vorschnelle Aussprechen wiirde dadurch vermindert,
die Zahl der Verbesserungen herabgesetzt. Auch bei der sehr starken
Zunahme der Auslassungen unter Trionaleinfluss gegeniiber den Fehlem
konnte die erschwerte Auslosung der Sprachbewegung eine gewisse
Bolle spielen. Da nun das Sprechen zu den Bewegungen mit f einerer
Coordimttion gehort, wiirde sich dieses letzte Ergebniss gut dem bei
den Schreibversuchen erhaltenen anfilgen.
VIII. Anffassangsversache.
Die Ei^ebnisse der Leseversuche am Kjmiographion lieBen es
wiinschenswerth erscheinen, noch einen moglichst reinen Auff assungs-
vorgang zu untersuchen, unter Vermeidung jeghcher motorischer
Thatigkeit Die Cattell'schen Versuche') gaben uns einen Weg
dafiir an. Wir anderten seine Versuchsanordnung fur unsere Zwecke
folgendermaBen ab:
Der Momentverschluss eines photographischen Apparats wurde
auf einem Stativ verschieblich so angebracht, dass dicht dahinter eine
Papptafel mit dem optischen Reiz eingeschoben werden konnte. Dieser
bestand in 9 im Quadrat gedruckten Ziffem, je 3 auf einer Zeile,
Jedes dieser weiBen kleinen Quadrate war auf schwarze Pappe geklebt
1) a. a. O. S. 207.
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36S Hans HaeneL
und wurde von einer im Kiicken der Versuchsperson befindlichen
Lampe scharf beleuchtet, so dass die optischen Verhaltnisse moglichst
glinstige waren. Das Princip des Momentverschlusses bestand kurz
darin, dass ein schwarzer Vorhang, der das Object bedeckt, sich nach
oben aufrollt und nach kurzer Zeit von iinten vrieder vorschiebt. Die
Expositionszeit wurde durch besondere Versuche auf 500 a bestimmt
und constant gefunden. Der Apparat wurde in Augenhohe und deut-
liche Sehweite gebracht und von der Versuchsperson selbst bedient.
Dies geschah auf die Weise, dass die Papptafel hinter den Vorhang
geschoben wurde, dann wurde der Verschluss geoffnet und die er-
kannten Ziffem auf ein in Felder von 9 Quadraten eingetheiltes Papier
aufgeschrieben, jedesmal an den Ort, wo sie erkannt waren. Sodann
wurde die Platte herausgezogen, mit dem Geschriebenen verglichen
und die Fehler sofort festgestellt. Ein vorzeitiges Ablesen wurde
durch einen Schirm verhindert, der den ganzen Apparat bis auf die
Sehoffnung und die bewegende Schnur verdeckte. Wir batten ca.
30 Platten zur Verfiigung, so dass ein Auswendiglemen der Zahlen
auch bei gehauften Versuchen fast ausgeschlossen war; wenn trotz-
dem etwas derartiges bemerkt wurde, so lieBen wir die betreffende
Platte bei Seite. Zwischen der 1. und 2. Viertelstunde lag 'jedesmal
eine Pause von 5 Minuten, in der das Trional mit der iiblichen Menge
Wasser eingenommen wurde. Von Fehlem konnten wir 3 Arten
unterscheiden : Zahlen, die voUstandig verkannt oder frei errathen
waren, solche, die mangelhaft erkannt waren, 5 statt 3, 1 statt 7,
endlich Fehler, die bloB auf einem Vertauschen des Platzes beruhten,
wenn z. B. eine Zeile 527 statt 572 geschrieben wurde. Letztere Art
war selten; sie trat in der Viertelstunde mit ca. 45 Einzelversuchen,
d. h. bei ca. 400 exponirten Zahlen zwei- bis hochstens sechsmal
auf. Allerdings lieB sie sich am leichtesten abgrenzen, wahrend eine
Sonderung zwischen den beiden ersten Fehlerarten nicht durchzu-
fiihren war. Die Gabe betrug am 4. Vii. und 8. Vii 1,0 g, am
10. Vn. 2,0 g.
Es wurde mit dieser Methode eine sechstagige Versuchsreihe aus-
gefiihrt. Da die Zahl der in jeder Viertelstunde ausgefUhrten Ver-
suche nicht immer die gleiche war, so bestimmten wir der besseren
Vergleichbarkeit wegen die Anzahl der bei jeder Exposition durch-
schnittUch erkannten Ziffem. Diese wurde leicht gefunden durch
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Die psychischen Wirkongen des Trionals.
369
Division der uberhaupt erkannten Ziffem mit der Anzahl der in jeder
Viertelstunde gemachten Versuche.
Tabelle XXTTT.
1.
Vie]
2.
rtelstun
3.
den
4.
5.
1.
Vie
2.
rtelstun
3.
den
4.
5.
3.VIL
N
•4J
1
1
3,89
4,15
4,60
5,07
4,69
•4J
i
t
1
2,66
2,89
2,99
3,17
2,93
4. VII.
ri,og
7. VII.
N
4,62
♦4,64
4,77
5,02
5,02
3,52
♦3,36
3,25
3,36
3,18
5,38
5,35
5,51
5,37
5,50
3,68
3,59
3,51
3,74
3,75
8. VII.
5,41
♦5,23
5,63
5,40
5,73
3,63
♦3,64
3,66
3,26
3,13
9.vn.
N
5,76
6,49
6,54
6,45
6,76
3,38
4,07
3,80
3,92
3,72
4,12
10. vn.
r2,og
6,49
*6,02
5,78
5,88
5,26
3,92
♦3,52
3,41
2,95
Wir sehen hier, dass zu Anfang nur wenige Ziffem erkannt
wnrden, iind die Zahl der richtig erkannten ist erst recht eine be-
scheidene. Sehr bald aber, schon im Laufe des ersten Tages, macht
sicb eine Zunahme geltend, die an den folgenden Tagen sehr lebhaft
und gleichmaBig fortschreitet, so dass in der letzten Viertelstunde
des 9. vn. durchschnittlich 75^ aller exponirten Zahlen gelesen
wurden. Die Maximalleistung von 9 Zahlen wurde an diesem Tage
dreimal erreicht, und zweimal wurden 8 Zahlen richtig erkannt. Die
richtig gelesenen haben sich ungefahr in demselben Verhaltniss ver-
mehrt wie die Uberhaupt gelesenen. Die Uebungsfahigkeit meiner
Auffassung ist also eine iiberraschend groBe, und ich hatte offenbar
die Grenze derselben mit 9 Ziffem noch nicht erreicht. Der tagliche
Uebungscoefficient, aus den ersten Viertelstunden genau wie oben beim
Addiren und Lemen mit Beriicksichtigung der zweitagigen Pause
berechnet, betragt 2,08^, ist also noch groBer als beim Lemen.
Bei dieser Neigung zur Zunahme der Leistungen ist jede Ab-
nahme, wie sie an T-Tagen auftritt, von besonderer Bedeutung. Wie
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370
Haas HaenoL
man sieht, ist dieselbe imverkennbar, noch deutlichei* vielleicht er«-
sichtlich aus Tab. XXTV, in der die 1. Viertelstunde jedes Tige«
gleich 100 gesetzt und der Durchschnitt der folgenden Stunde darauf
bezogen ist.
Tabelle XXIV.
I. Viertel-
ftunde
Rest des||
Versuchs i
1. Viertel-
stunde
Rest des
Versuchfl
3. VII.
N
a
■a
100
121
*■»
100
122
4. vn.
rig
7.vn.
100
105
100
93
100
102
i
•s
1
100
99
8. VII.
Tig
100
101
100
94
9. VII.
N
100
114
100
119
10. VII
T2g
100
87
100
87
Am 7. vn. verzeichnet das ProtokoU: »Unruhc in Erwartuog
eines Besuchs* ; daher vielleiobt die schlecbte Durchschnittsleistung.
Das Steigen der Durchschnitte infolge der Uebung, an den iV-Ta^n
offenbar, ist an den T-Tagen deutlich vermindert, besonders in der
2. Halfte der Tabelle, die das Verbaltniss der ricbtig erkannten
Zahlen wiedergiebt. Hier bleibt an alien T-Tagen die Leistung der
letzten Stunde hinter der des Anfangs zuriick. Dass die erste Halfte
der Tabelle keinen starkeren Ausschlag ergeben bat, wird uns nicbt
wundem, wenn wir den psychischen Vorgang bei diesen Versuchen
etwas genauer ins Auge fassen. Dieser gestaltete sich, wie sich durch
aufmerksame Selbstbeobachtung feststellen lieB, folgendermaBen: So-
fort nachdem sich der Vorhang wieder geschlossen hatte, suohte ich
mir unter Aufbietung einer ziemlich starken Willensanstrengung das
gesehene Bild wieder zu vergegenwartigen, indem ich zugleich fast
zwangsmaBig die so erkannten oder wiedererka&nten Zahlen halblaut
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Die psycbischen Wirkuagen des Trionals. 371
vor mich hinsprach. Ich fixirte dabei den schwarzen Vorhang, indem
ieh gewissermaBen das optische Nachbild oder das ErinnemngBbild
auf denselben projicirte und noch einmal ablas. Dabei bemiihte ich
mich, auch an den Stellen, die wahrend der Exposition verschwommen
geblieben waren, eine deutliche Zabl zu sehen. Dass dabei fiir
illusionare Vorgange ein breiter Baum gegeben war, ist klar. Wah.-
rend dieser angestrengten Keproduction der mangelhaft erkannten
Theile des Gresichtsfeldes ging nun ofters die optische Erinnerung an
die urspriinglich deutlich gesehenen Ziffem yerloren; doch trat dafiir,
vfemi es nun zum Niederschreiben des Erkannten kam, manchmal
die acustische Erinnerung an die eben ausgesprochenen Zahlen ein.
Es kam auch ror, dass durch dies Pixiren des Nachbildes eine schon
ausgesprochene Zahl mit Bewusstsein verbessert werden konnte, was
wohl mehr fiir eine Inanspruchnahme des Nachbildes auf der Betina
als des Erinnerungsbildes spricht. Andrerseits kam es vor, dass eine
Zahl ausgesprochen wurde, ohne dass sie mir als erkannt zum Be-
wusstsein gekommen ware oder dass mir die optische Reproduction
geUngen wollte; ich schrieb sie ako in Erinnerung an das Sprach-
bild auf und war dann uberrascht, sie bei der Controle richtig zu
finden. Wir mtissen wohl annehmen, dass in solchen Fallen die
Sprachvorstellung angeregt worden war, ohne dass das Gesichtsbild
deutlich zum Bewusstsein gekommen war, gewissermaBen unter TJm-
gehung dieses optischen Bewusstseins. Bei den Versuchen merkte ich
bald, dass ein scharfes Fixiren des Zahlenquadrates weniger gunstig
war, als ein mehr verlorenes Hinsehen auf die Stelle, wo es erscheinen
musste. Ich lemte dadurch die Aufmerksamkeit, die gewohnt ist,
sich vor allem auf die macula lutea zu richten, auch auf mehr peripher
gelegene Netzhautabschnitte gewissermaBen zu vertheilen; aus einer
Meinen Stelle deutlichsten Sehens wurde so ein groBerer Kreis we-
niger deutlicher "Wahrnehmung. Das Nachbild wird dabei zwar
blasser, ist aber mit einiger Anstrenguug doch noch zu erkennen und
zu reproduciren.
Die Deutung der Tab. XXIV bietet nun keine Schwierigkeiten
mehr. Dass sich die Zahl der erkannten Ziffem nicht noch starkw
vermindert hat, ist einmal auf den, wie wir sahen, sehr starken Ein-
fluss der Uebung zuriickzufiihren, welcher der Trionalwirkung ent-
gegenarbeitete. Femer aber erklart es sich aus dem Auftreten von
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372 Hans ilaenel.
Ulusionen, deren Neigung, sich unter Trionaleinfluss zu vermehren,
wir schon bei Gelegenheit der Leseversuche feststellen konnten. Hier
war natiirlich die Gelegenheit dazu in noch hoherem MaBe geboten,
da die Zahlen ja in keinen Zusammenhang gebracht zu werden
brauchten wie die Buchstaben; phantastische Erganzungen batten hier
also einen viel weiteren Spielraum. Dass am letzten Tage mit der
groBeren Trionalgabe auch die Erkennungen eine Verminderung auf-
weisen, beruht vielleicht darauf, dass unter dem Einflusse der erhohten
Gabe auch die Auslosung der Sprachbewegungen starker gehemmt
wurde, welche, wie wir sahen, fiir die Erinnerung beim endgultigen
Aufschreiben des Erkannten nicht ohne Bedeutung waren. Das
Gleichbleiben der Gesammtleistung an den T-Tagen beruht that-
sachlich auf einer Vermehrung der Ulusionen, wie durch die un-
zweifelhafte Verminderung der richtigen Erkennungen dargethan wird;
sie zeigt uns deutlich, dass wir es mit einer erheblichen Stoning der
Auffassung zu thun haben. Dass der Ausschlag nicht noch groBer
ausgef alien ist, liegt wohl zum Theil mit daran, dass bei 9 Zahlen,
von denen dazu nur durchschnittlich 6 als erkannt in Betracht kommen,
der Spielraum fiir Schwankungen uberhaupt kein groBer ist; Maximimi
und Minimum der Leistung liegen hierbei sehr eng beisammen.
Das Ergebniss dieser Versuche konnen wir also zusammenfassen
in die Satze: Erschwerung der Auffassung, Vermehrung der illusio-
naren Vorgange, vielleicht Erschwerung der Sprachbewegungen. Die
Uebereinstimmung mit unsem friiheren Ergebnissen ist befriedigend.
IX. Associations-Versnehe.
Auf die Bedeutung von Associationsversuchen ist schon friiher
von verschiedenen Seiten hingewiesen worden, und die von Kraepelin
bei Gelegenheit der Alkohol- und Theeuntersuchungen *) und be-
sonders die von Aschaffenburg^) gewonnenen Ergebnisse lieBen
auch fiir unsere Frage AufschlUsse erwarten. Wir wendeten 3 Ver-
suchsarten an: die Methode des fortlaufenden Niederschreibens und
die Associationsreactionen mit und ohne Zeitmessung; von den ersteren
wurde eine Reihe Abends, eine andere Vormittags ausgefiihrt.
1) a. a. O. S. 51 ff., n2ff. 2, Diege Arbeiten. I. S. 2I0ff. II. S. Iff.
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Die psychischen Wirkangen des Triouals.
373
Mit der schriftlichen Methode wurde an 5 Tagen experimentirt.
Mit '/4 8tundigen Pausen wurde viermal an jedem Abend Y4 Stunde
•lang gearbeitet. Die Aufgabe war, in den ersten 5 Minuten auf ein
zugerufenes Reizwort fortlaufende freie Associationen zu bilden, in
den zweiten und dritten 5 Minuten Worte aufzuschreiben, die mog-
lichst ausgepragte Gesichts- oder Gehorsvorstellungen wiedergeben*
Diese Gruppe wurde beigefiigt, um zu sehen, ob unser Mittel etwa
auf Associationskreise, die sich an ein bestimmtes Sinnesorgan kniipfen,
eine besondere Wirkung ausuben wiirde. Bestimmte Erfahrungen bei
individual-psychologischen Untersuchungen lieBen eine solche Wirkung
nicht ganz ausgeschlossen erscheinen.
Tabelle XXV.
24. I. 96 N
25
I. .
ro,5g
30. L T0,5g
31. 1. N
1. 11. T 1,0 g
frei
68
77
71
45
76
♦55
66 1 81 1 47
♦77
86
78
90
66
57
»
85
♦60
56
64
opt.
59
50
51
47
56
60
71
76
*72
♦75
83|83
74 [68
91
81
*84
♦79
84
70
79
70
91
80
90
83
87
78
88
86
88
♦83
♦74
86
78
74
70
akiist
52
51
Die Tabelle giebl die Zahl der in je 5 Minuten niedergeschrie-
benen Worte wieder. Bei der auBerordentlichen Mannigfaltigkeit
und Unbestandigkeit der freien Associationen lieB sich eine G^setz-
maBigkeit fur diese an den iV-Tagen kaum erwarten. Aber auch an
den T-Tagen lasst sich ein bestimmter Einfluss nicht erkennen. Die
Schwankungen finden weder nach einer bestimmten Seite bin statt,
noch iiberschreiten sie ihrer GroBe nach die an den i\-Tagen be-
obachtete Breite; sie alle werden, wie ein Blick in die Schreibhefte
lehrt, hauptsachlich bestimmt durch die Art des Vorstellungsgebietes,
auf dem wir uns gerade bewegen. Befinden wir uns in einem uns
gelaufigen Vorstellungskreise, so werden uns die Gedanken in groBerer
Fulle zustromen, als wenn wir auf weniger gewohntes Gebiet gerathen
sind. Denn in wie hohem Grade man sich bei dieser Methode passiv
verhalt, sobald man nach Vorschrift jede Willensthatigkeit moglichst
vermeidet, weiB jeder, der einmal in dieser Weise experimentirt hat.
Freilich ein wirklich getreues Bild von der Verkniipfung der Vor-
stellungen und dem jeweiligen Bewusstseinsinhalt kann diese Methode
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374
Uau Haenel.
nicbt geben. Aschaffenburg hat schon anf die Mangel derselben
hingewiesen ') and nach meinen Beobachtungen kann das dort €re-
sagte noch erweitert werden. Fiir mich ivar der Act des Nieder-
schreibens fast stets erne Stoning. Wabrend idi ein Wort scbrieb,
batte icb Zeit, mich scbon mit 3 oder 4 nacbsten zu bescbaltigen
and unter denselben eine Aoswabl za treifen; es waren im Blickfelde
des Bewasstseins mancbmal eine ganze B^e von Yorsteliungen vor-
banden, die alle als Association aaf die yorbergebende gelten konnten
and sicb gleicbzeitig zor Apperception drangten. Darcb die, freilicb
nicbt inuner bewusste, Wabl zwiscben diesen warde dann wieder das
Niederscbreiben ofters um ein geringes verlangsamt Aadi bekam
die Reibe durcb diese Fiille der Vorstellungen zuweilen etwas Sprung-
baftes and Zusammenbangsloses, weil verscbiedene verbindende Glieder
nicbt zur Niederscbrift gekommen waren. Von einem »Stillstand des
Associirens wahrend des Niederscbreibens* konnte icb nicbts be-
obacbten. Anders liegt das Verhaltniss bei den »optiscben and
akustiscben* Associationen, wie wir sie karz nennen wollen. Da
hier die Zabl der wirklicb gelaufigen Vorstellungen nacb einiger Zeit
erschopft ist, stellen sicb bald Wiederbolungen in groBer Zabl ein
und aufierdem ein Suchen nacb neuen, der Aufgabe gentigenden
Worten. Wenn bier Stockungen eintraten, so war meist nicbt der
Ueberfluss, sondem der Mangel an Worten scbuld. Die Zunabme,
welcbe die bescbrankten Associationen aufweisen, erklart sicb aus der
Vermebrung dieser Wiederbolungen; sie kebrt sicb ins Gregentbeil am,
wenn man die Zabl der jedesmal neu gebildeten Associationen za-
sammenstellt, wie es in Tab. XXVI gescbeben ist.
Tabelle XXVI.
1 1
24. 1. N
25.
11 '1 II
I. r0,5g |30.L T0,5g , 31.1. iV^ 1. U. T\,Og
frei
] 68 ' 76 I 72
45
42
50
64
45
50
55
51
46
5S
73 ' 43
66
32
82 78
34j32
89
41
25
64
39
27
51
5.
78^54 50 62
50 34 1 44 , 31
opt
,59 50 43
;
'52 '50 41
1 '
49 149,42
34 36
aku8t.
36
31 '36
36
33
33
33
«j
36
32 26
H
1: Diese Arbeiten. L S. 25S.
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Die psychischeii WirkuBgon des Trionals.
375
IHe Tabelle zeigt, dass wir, wie nicht anders zu erwarten, tuiter
den freien Associatioiieii am wenigsten Wiederbolungen antreffen;
sie f anden sich fast imr daiin, wenn eine Tagesfrage, die Erinnerang
an erne Reise u. a. sich zu wiederholten Malen in das Bewnsstsein
drangie; natiirlich wurden dann oft auch dieselben Ausdrucke wieder
gebrancht. Bei den bescbrankten Associationen ninunt die ZaM der
neuen Vorstelliuigen sehr bald erheblieh ab, betragt aber doch anch
zmn Schlnsse der YersuGbsreihe noch etwa 35 ^, Daraus konnen
wir entnehmen, dass eine Erscbopfnng maseres Yorrathes an Gesidits-
und Gehorsvorstellimgen aucb nach starker Inanspruchnabme nicht
so leicbt eintritt. Dieser Yorrath ist jedenfalls noch erheblieh groBer als
837 fiir optische und 721 fiir akustische Yorstellungen (d. h. die Summe
der in nnsem 5 Tagen neugebildeten Associationen) ; sonst miisste die
Auffindung neuer Worte am letzten Tage noch groBere Schwierig-
keiten bereitet haben. Femer sehen wir aus den beiden Tabellen,
dass die Gesichtsvorstellungen durchgangig zahlreicher sind ak die
akustiachen. Wir konnen darin vielleicht eine personliche Eigenthiim-
hchkeit erkennen.
Was die T-Tage betrifft, so zeigen uns die beiden Tabellen,
dass ein Einfluss nach der quantitativen Seite jedenfalls nicht vor-
liegt. Aber aucL die Untersnchnng der Qnalitat der Associationen
^rgab ein n^atives Besuhat. Wir ordneten zu diesem Zwecke die
freien Associationen , die hier allein in Betracht konmien, nach dem
Yorgange to» Asehaf f enburg in innere tind auBere an; in
Tab. XXVn ist das Yerfialtniss beider in Procenten angegeben.
Tabelle XXYH.
%
24. 1. N
25. 1. T 0,5 g
3t). I. T 0,5 g
Jl. I. W
l.II. Tt,Og
inaere
44
52
35
47
45
♦42
44
65
53
♦53 51
1
57
46
U
54
57
45
♦4&
37
19
81
&tiBere
56
1
58
02
53
55 |*58
56
35
47
♦47 49
43
54
36
46
43
55
♦52
63
Anch bier keine Uebareinatinmmng weder der ^-Tage unter sich,
noch mit den T-TageiL Die Zunahme der aoBeren Associaticinen
am letzten T-Tage stcht zu yereinaelt da, urn verwerthet werden zu
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376
Hans UaeDel.
konnen; die zaMreichen Beziehungen nach raumlicher Coexistenz
kamen durch eine Schilderung meines Schlafzimmers und darauf der
Berliner Frauenklinik zu Stande. Femer untersuchten wir bei den
freien Associationen, wie oft der Vorstellungskreis in jeder Versuchs-
viertelstunde gewechselt wurde, und ob das Trional das Festhalten
eines Themas erleichterte oder erschwerte. Allerdings hatte es oft
Schwierigkeiten, den Punkt zu bestimmen, wo ein Thema verlassen
und wo ein anderes begonnen worden war. Wir ftihrten die Ab-
grenzung, so gut es ging, durch. Tab. XXVili giebt an, wie oft in
jeder Reihe der Gredatikenkreis wechselte.
Tabelle XXVIH.
24. 1. N
9
10
7
5
25.1. T
12
*7
'
14
30.1. T
6
♦13
12
9
31.1. N
9
6
5
8
l.U. T
8
♦3
5
5
Die Zahlen des 25. 1, und 30. 1 erscheinen auffallend hoch und
konnten als Trionalwirkung angesehen werden, wenn nicht gerade
der 1. n. mit der groBten Gabe (1,0 g) wiederum die groBte Gleich-
maBigkeit im Festhalten eines Themas zeigte. Wir haben abo kein
Recht, diese Zahlen fiir mehr anzusehen als fur Ergebnisse des Zufalls.
Die Besultate der Associationsreactionen sind nicht viel er-
giebiger. Es wurde in der Weise experimentirt, dass der Reiz mit
dem Lippenschliissel gegeben wurde; die Antwort wurde in den
Romer'schen »Schallschlussel« gesprochen. Als Reizworte wurden
nur 2silbige Substantiva verwendet; die Art der Association war bei
alien folgenden Versuchen vollig freigelassen. In jeder Stunde von
Abends y^^ — 72^2 Uhr wurde ein Yersuch von 50 Reactionen ge-
macht, der etwa 15 Minuten in Anspruch nahm. Die Zwischenzeit
wurde zum Theil mit den fortlaufenden Associationen, zimi andem
Theil mit einer moglichst indifferenten Thatigkeit ausgefullt (Blattem
in einer illustrirten Zeitschrift) ; es wurde dadurch vermieden, dass
die Gedanken eine bestimmte Richtung einschlugen. Das Trional
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Die psychisehen Wirkungen des Trionals.
377
wurde 15 Minuten vor dem 2. Versuch eingenommen. Tab. XXIX
giebt in a die Stellungsmittel aus je 50 Reactionen wieder.
Tabelle XXIX.
24. L
25.1.
T0,5g
30.1.
T0,5g
31. L
N
I.n.
^i,og
1308
1329
1222
1253
1163
1339
♦1339
♦1351
1236
♦1179
1301
1236
1345
1180
1376
1370
1255
1178
1262
1217
Die iV-Tage zeigen einen auffalligen Unterschied: der zweite hat
durchschnittlich um 100 a kiirzere Zeiten als der erste. Um eine > asso-
ciative Uebung«, wie bei der von Kraepelin sogenannten »Wieder-
holungsmethode*, kann es sich dabei nicht wohl handebi, weil bei
uns alle Reizworte verschieden waren. Auch ein Wechsel der Be-
actionsart kann nicht vorliegen; die nicht sinngemaBen iind die Klang-
associationen, die etwa den Fehbeactionen bei den Wahlversuchen
gleich zu rechnen waren, spielen der Zahl nach eine zu geringe Eolle
und sind auch, wie sich nachweisen lieB, durchaus nicht immer die
kiirzesten Associationen. Die Griinde fiir diese auch sonst vielfach
beobachtete Verschiedenheit entziehen sich also unserer Kenntniss.
Constant scheint hier und auch in den spateren Versuchen (vgl.
Tab. XXXIV) nur das Zunehmen der Zeiten am Schlusse jedes
A-Tages zu sein; hier kann wohl Ermiidung als Ursache ange-
sehen werden. Eine Aehnlichkeit unter einander weisen die beiden
letzten T-Tage auf: erst Zunahme, dann Verkiirzung der Zeiten,
Doch konnen wir darin keine Trionalwirkung erbUcken; dem wider-
spricht sowohl der XJmstand, dass am 1. 11. mit der groBeren Gabe
das erwahnte Verhalten undeutlicher ausgepragt ist als am 30. 1., als
auch der 25. I., an dem sich ein 3maUger Wechsel zwischen Ver-
langerung und Verkiirzung nachweisen lasst. Ebensowenig ergab sich
eine Beeinflussung der Schwankungen durch das Trional; in Tab.
XXX sind die Mittelzonen aus je 50 Reactionen berechnet.
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378
Hans Ha^el;
Tabelle XXX.
24. 1. iV
1
25.1. T 30.1. T
31.1. N
l.II. T
450
342
436
272
318
Ul
♦368
♦434
360
♦230
abB
a32
dl0
34»
JO™
4U2
315
271
362
^68
EKe Uebereinstimmung der iV-Tage ist sehr unvollkommen, und
die Abweiciiungen der T-Tage von diesen sind zu gering oder zu
unregehuaBig^ um als Trionalwirkuug angesprochen zu werden.
Als dritte und wichtigste Betrachtungsweise der Associationen
kommt ihre qualitatrre Eintheikmg in Frage. Wir hielten uns dabei
ifitt iillgemeinen an da» von Asehaffenburg*) angegebeae Ver-
fahren, welcbes in den meisten Fallen fiir unsere Zwecke ausreicbte.
Tab. XXXI giebt an, wieriel Procent aller Associationen jeder
Gruppe angeboren; zur besseren Uebersicht sind darin die 3 letzten
Yers«cbe jedes Tages zn einem Mittel (b) zusammengefasst und dem
1. Versuche des Tages (a) gegeniibergeatellt worden.
Lmerhalb der einzefaien Grruj^^n sind zu viele unregehnaBige
Schwankungeny um einen bestimmten Gksiditspunkt aufstellen zu
lassen; wicbtiger ist das Verhahniss der inneren zu den auBeren
sowie die Zahl der Klangasaociatianen. Es zeigt sicb^ dass an den
iV-Tagen im ganzen die inneren Associationen ein wenig uberwiegpen,
an den T-Tagen die auBeren; die Unterschiede sind zwar mcht be-
deutend, aber doch constant. Das geringe Yorwalten der isDeren
Associationen mtissen wir als eine personliche EigenthUmlichkeit aft-
seben; nacb einer Angabe Aschaffenburg's'^) sind in den meisten
Fallen die auBeren etwas haufiger. Die Bemerkung an dersdbe*
Stelle, dass dieselben im allgemeinen auch ktrzere Zeit dauem,
sebeint darauf binzuweisen, dass der Denkact, der sie zu Siande
bringt, wen^er Schwierigkeiten bereitet, dass sie gewissermaBen die
1) IMese Arbeiten. I. S. 298.
2) Diese Avbeiten. I. S. 2^.
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Die psycbischeo Wirkuugen des Trionals.
Tabelle XXXI.
379
%
24.1.
N
a. ' b.
25.1.
ro,5g
a. b.
30.1.
ro,5g
a. 1 b.
31.1.
N
a. b.
I.n.
^l,Og
a. b.
Co- u. Subordination
24
39
40
12
30
11
•24
8
29
32
35
28
23
prftdicativ
20
13
5
3
8
10
18
17
Causalabbangigkeit
—
2
2
—
—
—
2
Innere
44
53 1 52
41
i«
35
40
44
46
41
Coexistenz
6
14
22
12
13
14
12
16
14
10
14
Identit&t
28
17
21
1 IB
17
16
8
24
17
sprachl. Reminigc.
7
10
6
1
10
16
13
16
15
12
17
AeuOere
41
1
35 j 40
45
48
!
42
19
48
37
i 46
43
Klang
! 4
1
8 —
10
~
4
10
1
,' 8
15
Wiederholung
—
—
—
—
1' '
3
—
5
—
2
parapbasisch
_
2
3
II
il
6
2
2
1
6
2
mittelbar
1 '
8
4
4
1
i *
4
6
8
—
bequemeren sind. Es ist daher wohl denkbar, dass der Experimen-
tirende auf eine Erschwerung der Versuchsbedingungen durch den
Uebergang zur leichteren Association antwortet, oder aber er lost die
Aufgabe unvollkommener, wofiir die Vermehrung der Klangasso-
ciationen sprechen wUrde. Diese sind zwar auch an den iV-Tagen
ziemlich zahlreich, wofiir wohl die spate Abendstunde verantwortlich
zu machen ist; eine gewisse Zunahme derselben an den T-Tagen ist
aber imverkennbar. Nun weisen die Aschaffenburg'schen Unter-
suchungen darauf bin, dass die Klangassociationen am wenigsten
Denkarbeit erfordern; sie nahem sich am meisten der Wbrtreaction.
Dem widerspricht nicht die Thatsache, dass sie bei uns im Dtirch-
schnitt durchaus nicht kiirzere Zeiten aufweisen als andere Asso-
ciationen. Eine etwa vorhandene Verkiirzung der eigentlichen Asso-
ciationszeit konnte nnter Umstanden durch eine Erschwerung der
Kraepelin, Psycholog. ArbeitoD. II. 25
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380
Haos Uaenel.
Auffassiing verdeckt werden. Der Ausfall der Leseversuche legt
diese Annahme sogar nahe. Wenn wir aber auch in der Tab. XXXT
eine gewisse Trionalwirkung erkennen, so ist es doch unwahrschein-
lich, dass der associative Vorgang selbst dabei betroffen ist. Die
Reaction lasst sich in 3 Hauptabschnitte zerlegen: die Auffassung des
Reizwortes, die Verkniipfung mit einer anderen Vorstellung und das
Aussprechen derselben. Da wir nun aus friiheren Versuchen wissen,
dass der erste dieser Theile sicher und der letzte vielleicht beeinflusst
wird, so genligt dies vollig, um die geringen Ausschlage bei den
Associationsversuchen zu erklaren; ware auch noch der mittlere Theil,
der eigentliche associative Act, erschwert worden, so miissten wir
groBere Differenzen in der Tab. XXIX und XXXT erwarten.
TJm diesen zweifelhaften Ausfall der Versuche nachzupriifen,
wurden zunachst Controlversuche derart angestellt, dass 3 Herren Asso-
ciationsreactionen ausfuhrten, aber ohne Zeitmessungen. Herr Dr. med.
Weygandt, cand. med. Manz und mein Bruder cand. phil. Erich
Haenel stellten sich mir Uebenswurdiger Weise dazu zur Verfugung.
Es kam hauptsachlich darauf an, zu sehen, ob die Vermehrung der
auBeren und Klangassociationen wirklich als Trionalwirkung aufzu-
fassen sei, oder ob andere Ursachen dabei mit im Spiele waren. Die
Versuche fielen in die Zeit von 8 — Vjl^ Uhr Abends; die Pausen
betrugen jedesmal 72 Stunde; das Trional wurde 20 Minuten vor
dem 2. Versuche genommen. Die Resultate giebt Tab. XXXII.
Tabelle XXXn.
20. n. 96 N
1
1
21. II. 96 T 1,0 g
M.
InDere
48
42
44
50
42
8
52
46
66
24
66
'40
*54
44
2
52 66
48|34
68
32
58
42
64
36
50
50
66
54
46
AeuCere
20
34
48
28 '56
611 4
Kiting
32
34
8
50
2|10
Innere
68
58
68 '40
28 56
— * 4
56 62
40 38
_ 1
4 —
40
60
♦46 54 54
AeuBere 30 38
Klang 2 4
48
2
64
46
2
46
H.
Innere
AeuBere
56
34
52
44
44
52
4
52
46
2
52
46
2
42
52
6
20
34
46
30
IT
♦42
56
2
38
54
8
50
38
12
38
62
44
46
10
38
56
6
Klang
10 4
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Die psychisehen Wirkungen des Trionals. 3g]
Die Tabelle ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Vorerst
fordem die auffallend zahlreichen Klangassociationen bei W. zu Be-
ginn des 20. IE. eine Erklarung. Wir finden diese in der Notiz des
Protokolls: »abge8pannt und sehr gereizter Stimmung*. Der letztere
Affect war auch objectiv deutlich bemerkbar. Wir sehen nun, dass
W. unter diesen VerMltnissen sich verhielt wie ein stark Ermiideter
oder auch ein Manischer. Offenbar sind seine Gredanken zu Beginn
des Versuchs lebhaft mit den Dingen beschaftigt, die seine Stimmung
so stark beeinflusst haben. Die sinngemaBe Auffassung des Reiz-
wortes ist durch diese Ablenkung der Aufmerksamkeit erschwert, und
die Reaction geschieht deshalb nicht auf den unvollkommen aufge-
fassten Sinn, sondem nur auf den Reiz im allgemeinen. Da zudem
der Affect augenscheinlich mit einer erhohten motorischen Erregbarkeit
einherging, so waren die Bedingungen zur Entstehung von Klang-
associationen vollauf gegeben. Wir konnen nun in der Tab. XXXTT
das alhnahliche Abklingen der argerlichen Verstimmung bei W. an
der Hand der Klangassociationen gut verfolgen; am Schlusse spielt
vielleicht eine Zunahme der Ermiidung hinein. Am T-Tage wird die
schon von vomherein unerhebliche Zahl der Klangassociationen nach
dem Trional noch niedriger. Dasselbe Verhalten zeigt M., bei dem
sie uberhaupt eine sehr geringe Bolle spielen; weder die Ermiidung
der spaten Stunde, noch Trional bewirken darin eine Aenderung.
Anders bei H. ; bei demselben liegt von vomherein eine groBere Nei-
gung zu Klangassociationen vor, ohne dass, wie bei W., ein be-
stinmiter Grund dafiir anzugeben ware. Die Zahlen stimmen unge-
fahr mit denen in Tab. XXXI uberein. Ebenso wie dort ist eine
gewisse Zunahme derselben unter Trionaleinfluss nicht zu leugnen.
Der abnorm hohe letzte Werth des iV-Tages scheint darauf hinzu-
deuten, dass die Ermiidung der Versuchsperson imi ^l^\2 Uhr eine
nicht unbetrachtUche gewesen ist. Das Verhaltniss der auBeren zu
den inneren Associationen zeigt bei W. und M. keinerlei Veranderung.
Bei H. ist es uberhaupt ein sehr wechselndes.
Die Trionalwirkung konnen wir also nach den bisherigen Ergeb-
nissen dahin umgrenzen, dass in Fallen, wo Neigung zu Klangasso-
ciationen vorhanden ist, dieselbe etwas gesteigert wird, dass aber
Klangassociationen ohne diese Voraussetzung nicht direct hervorge-
rufen werden. Um die Richtigkeit dieses Satzes auch an mir selbst
25*
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382
Uan8 Uaeoel.
zu priifen, suchte ich einen Zustand auf, in welchem meine Neigung
zu Klangassociationen voraussichtlich klein oder s= 0 sein wiirde.
Dieser Forderung entsprach der Morgen iind Vormittag, da ich an-
nehmen konnte, dass in den ersten Versuchen jene Associationen zum
groBten Theil hervorgerufen worden waren durch die Ermiidimg in
der spaten Stunde. Ich fiihrte also eine Versuchsreihe aus in den
Vormittagsstunden von Y49 — V4I2 Uhr, taglich 4 Versuche mit Y4 8tun-
digen Pausen. Da dieselben in die ersten Tage des Semesters fielen
und ich aus den Ferien in sehr gutem Emahrungszustande wiederge-
kommen war, so war die Disposition die denkbar gunstigste. Das
Ergebniss zeigt Tab. XXXTTI; sie ist nach denselben Grundsatzen
aufgestellt wie Tab. XXXI.
Tabelle XXXHT.
«/o
22. IV.
N
23. IV.
ri,og
24. IV.
N
25. IV.
ri,og
Co- u. Subordination
14 { 25
32
22
22
21 28
28
pr&dicativ
4 ' 19
10
7
10
9 8
7
Innere i 18
44
42
29
32
30
16
36
35
Ooexistens \ 14 \ 11
12
12
14
18
10
Identit&t
10 8
10 1 6 6
t
9 6
5
sprachL Reminiscens
8 9
4
15
18
13
10
14
AeuGere
32 28
T6"
33
7
38
38 34
29
2
Klang
2
4
2
2
4
Wiederholungen
46
21
28
32 I 26
25
22
31
mittelbar
-
4
—
2
2
4
—
2
Einer Erlauterung bedarf hier zuerst die Rubrik der > Wieder-
holungen*. Mit den 1000 Associationen, die wir im Januar ausge-
fiihrt hattt^n, war die Zahl der brauchbaren 2-silbigen Reizworte
ziemlich erschopft. Da wir zu der 4-tagigen Reihe noch 800 neue
Reizworte zu finden nicht hoffen konnten, so wurden die alten wieder
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Die psychischeii Wirkongen des Trionals. 3S3
benutzt, unter der Annahme, dass nach 11 Wochen die alten Ant-
worten meist vergessen sein wiirden. Um dies moglichst vollkommen
zu erreichen, beschaftigte ich mich in. den Ferien weder durch Ord-
nen und Ausrechnen noch sonstwie mit den Januarversuchen. Trotz
, der ziemlich langen Pause stellten sich nun aber bei den neuen Ver-
suchen eine ganze Anzahl der alten Associationen fast zwangsmaBig
wieder ein, obgleich ich mir Miihe gab, moglichst wenig an die Ant-
worten von damals zu denken. Die Menge derselben schwankte
zwischen 12 und 40 ^. Es stimmt dies Resultat mit dem von
Kraepelinbei einer andem Gelegenheit ') erhaltenen gut uberein. Was
die Zeitdauer dieser Associationen betriift, so fand sich durch ge-
sonderte Berechnung, dass dieselben durchaus nicht, wie man er-
warten soUte, immer kiirzer waren als in der ersten Versuchsperiode,
sondem zum groBen Theil sogar langer. Von Wichtigkeit ist der
Umstand, dass die Zahl der Wiederholungen an N- und T'-Tagen
fast dieselbe ist (im Durchschnitt: lY-Tage 25 ^, T-Tage 28,5 ^);
wir sind also sicher, dass der Versuch durch die Reminiscenzen
nicht unbrauchbar geworden ist. Wenn auch bei der Berechnung der
Associationszeiten in diesen Wiederholungen eine Fehlerquelle liegt,
so ist dieselbe doch an A- und 7-Tagen die gleiche.
Hinsichtlich der iibrigen Qualitaten sehen wir, dass in Bezug auf
die auBeren und inneren Associationen das oben Gesagte der Ein-
schrankung bedarf. Die Umkehrung des Verhaltnisses beider tritt
hier auch am 24. IV., einem A*-Tage, auf, wahrend der letzte 7'-Tag
das Verhalten aufweist, das wir oben bei don i\-Tagen fanden. Da-
durch wird die dort vermuthete Trionalwirkung sehr zweifelhaft. In
Bezug auf die Klangassociationen schlieBt sich die Tab. XXXTTT
ungefahr der Versuchsperson M. (Tab. XXXII) an: an iV- wie
an 7-Tagen erhebt sich die Zahl derselben nicht wesentlich iiber
die Norm.
Ueber die mittlere Dauer und die Schwankungen der Associations-
zeiten giebt Tab. XXXIV Auskunft.
1) Kraepelin, Experimentelle Studien aber Associationen. Amtl. Bericht
der 56. Versammlung Deutscher Naturf. u. Aerzte in Freiburg 1883.
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384
Hi08 flaenel.
Tabelle XXXIV.
22. IV. N 23. IV. ri,Og
24. IV. N
25. IV. Tl,Og
Dauer
1230
1324
1264
1360 1274
♦1317
1212
1302
1152
I235J126I
1371
1339
♦132l!l327
1
1322
Mittelzone
338
269
305
214
315
261
251
297
200
226| 336
357
284
288
272
223
Die Zahlen sind durch Berechnung der Stellungsmittel aus je
50 Reactionen gewonnen. Die Tabelle lehrt uns dasselbe wie Tab.
XXTX und XXX, d. h. gar nichts. Weder stimmen die beiden
iV-Tage unter einander tiberein, noch ist eine RegelmaBigkeit im Ver-
halten der T-Tage zu entdecken. Die Mittelzonen scheinen von der
Lange der B.eactionszeiten vollstandig unabhangig zu sein.
Das Ergebniss der Associationsversuche miissen wir also als ein
negatives bezeichnen. Die geringen Ausschlage, die sich bier und
da ergeben haben, sind geniigend durch die Annahme erklart, dass
auch bei diesen Versuchen eine gewisse Erschwerung der Auffassung
unter Trionalwirkung eingetreten ist.
X. Wahlreactionen nach kSrperlicher Arbeit.
Nachdem wir durch die beschriebenen Versuche ein ziemlich um-
fassendes Bild der Trionalwirkung auf unser Seelenleben erhalten
haben, erschien es nicht ohne Werth, unsere Untersuchungen auch
auf kiinstliche Veranderungen des psychischen Zustandes auszudehnen.
Namentlich kam es uns darauf an, den Einfluss des Trionals auf
Erregungszustande festzustellen. Wir wahlten daher zunachst den
von Bettmann durch korperliche Arbeit erzeugten Zustand. Zu
diesem Zwecke wurde an eine Controlreihe von 100 Wahlreactionen
unmittelbar ein zweistiindiger schneller Marsch in der Ebene an-
geschlossen. Sofort nach der Rtickkehr wurden 50 Reactionen aus-
gefuhrt, um die Wirkung des Marsches festzustellen, sodann aber
1,0 g Trional genommen. Es folgten nach 5 Minuten 50, nach
30 Minuten noch 100 Wahlreactionen. An den A-Tagen trank die
Versuchsperson statt des Trionals 4 Glas Wasser wie an den T-Tagen.
Wir gingen dabei von der Erwagung aus, dass moglicher Weise der
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Die psychischen WirkungeD des TrioDals.
385
»Bettmann'8che Ziistand« durch eine Anhaufung von bestimmten
Umsetzimgsproducten im Organismus bedingt sein konne; ein Aus-
schlag des Experiments an den T-Tagen konnte dann vielleicht nur
durch das Losungswasser und nicht durch das Mittel selbst bedingt
sein. Die Beobachtung der Marschwirkung erstreckte sich bei unserer
Versuchsanordnung auf 50 Minuten; dass die Wirkung, wenn sie
uberhaupt nachweisbar war, auch so lange dauem wurde, glaubten
wir aus einigen Beobachtungen Bettmann's*) folgem zu durfen. In
Tab. XXXV sind die Reactionszeiten (Stellungsmittel aus je 50 Re-
actionen) sowie die FehLreactionen in Procent wiedergegeben.
Tabelle XXXV.
a
1 1
6.V. N
448
485
442
466
457
475
7.V. ri,og
455
512
436
*484
454
452
8.V. N
428
406
386
365
393
427
9.V. ri,og
411
410
392
♦486
514
506
% j Fehlreactionen
6. V. iVr
8
14
22
10
16
18
7.V. T
10
12
16
♦8
8
6
8.V. N
8
10
12
14
10
12
9. V. T
14
16
18
*6
8
8
Die Tabelle ist zunachst eine Bestatigung der Bettmann'schen
Ergebnisse: Wir sehen, dass nach dem Marsche die Zeiten sich unter
Vermehrung der bei mir ohnehin ziemlich zahlreichen Fehlreactionen
verkiirzen. An den iV-Tagen hat sich diese Verkiirzung wahrend der
letzten 50 B^actionen wieder ausgeglichen, wahrend die Vermehrung
der Fehlreactionen bis zum Schlusse andauert. Auch dies Verhalten
stimmt mit Bettmann's Resultat uberein: er konnte ebenfalls die
Ij Dieie Arbeiten. I. S. 169.
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386 ^&DS Haenel.
motorische Erregung langer an den Fehlreactionen als an den Wahl-
zeiten nachweisen. Auch in Bezug auf die Trionalwirkung haben sich
die Fehlreactionen als das empfindlichere Reagens erwiesen: die Ab-
nahme der'Werthe nach Trional ist beti'achtlich und dauert bis zum
Schlusse des Versuchs an. Dass auch am ersten iV-Tage die Fehl-
reactionen nach dem Wassertrinken abnehmen, konnte man nach der
oben erwahnten Vermuthung vielleicht eben diesem Wasser zuschreiben,
wenn nicht der andere iY-Tag das entgegengesetzte Verhalten zeigte.
Bei Betrachtung der Reactionszeiten bemerken wir, dass die beiden
ersten Tage einander ziemlich entsprechen: Deutliche Verklirznng
nach der korperUchen Arbeit, allmahlicher Ausgleich im weiteren Ver-
such. Immerhin fallt am jT-Tag der ziemlich betrachtUche Unterschied
zwischeii der 1 . und 2. Leistung nach dem Marsche auf. Weit melir
springt dies noch in die Augen beim Vergleiche der beiden letzten
Tage: am iV-Tage fortdauemde Verkiirzung der Zeiten bis 40 IVIinuten
nach dem Marsche, am 7-Tage bedeutende Verliingerung sowohl gegen-
iiber der Leistung nach als auch vor dem Marsche. Die Mittelzonen
zeigten keinerlei GesetzmaBigkeit , so dass wir uns ihre Wiedergabe
hier sparen konnen.
Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe entsprechen also vollstandig
dem, was wir nacli unseren bisherigen Erfahrungen uber Trional-
wirkung envarten konnten. Die friiheren Wahlreactionen batten die
verlangsamende Wirkung des Trionals auf die Walilreactionen wie
die Vemiinderung der Fehlreactionen dargethan, und dies hat sich
bei dem liier erzeugten kiinstUchen Erregungszustande nach korper-
licher Arbeit bestatigt. Immerhin Uegt gerade in dieser so voll-
kommenen Uebereinstimmung des erhaltenen mit dem erwarteten Er-
gebnisse ein Grund zum Verdacht. Soviel man sich auch bemiiht,
beim Versuche vollstandig Object zu sein, so ist es doch nicht zu
vermeiden, dass man sich ein ungefahres Bild von dem Ausfall des
Versuchs schon vorher macht, wenn man sich langere Zeit mit der-
selben Frage beschaftigt hat. Nun weiB freilicli Xiemand, wie weit
eine derartige Voreingenommenheit das Ergebniss beeinflussen kann,
aber im allgemeinen wird die Macht derselben gewiss unterschiltzt.
Und wenn es auch oft genug zum lebhaften Missvergniigen des Experi-
mentirenden vorkam, dass die Erwartungen vollstandig getauscht
wurden, so ist doch andererseits nicht zu leugnen, dass die Brauch-
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Die psycbischeu Wirkuogen des Trionals. 387
barkeit einer Versuchsperson abnimmt, je mehr sie mit den friiheren
Ergebnissen der Arbeit vertraut ist. Das beste ist es daher, jede
Berechnung und Verarbeitung der Zahlen bis nach Beendigung aller
Versuche zu verschieben, wie es ja einige Untersucher auch gethan
haben. Bei uns war dies nicht iiberall durchfiihrbar. Verschiedene
Male wurde eine Versuchsreihe durch den Ansfall der vorhergehenden
erst bestimmt ; es gait, in ihr Fehler zu vermeiden, die sich erst durch
die Berechnung herausstellten ; die friiheren Ergebnisse lenkten erst
den Blick auf ein neues Verfahren hin oder deckten neue Fragen auf.
Urn jedoch dem angefiihrten Einwande zu begegnen, suchten wir
eine Versuchsperson, die mit der groBtmoglichen Unbefangenheit an
das Experiment ging, die namentlich auch von den Bettmann'schen
Versuchen, von der Bedeutung der Fehlreactionen u. s. w. nichts
wusste. Ein jiingerer College, stud. med. Arthur Bruckner, stellte
sich mir in dankenswerther Weise fur diesen Zweck zur Verfugung.
Die Versuchsanordnung wurde in einigen Punkten etwas geandert.
Da ich, der Registrirende, auf den Lippenschliissel nicht eingeiibt war,
bedienten wir uns zur E-eizgebung des Romer'schen Plattenapparats.
Die umstandlichere Bedienung desselben bedingte etwas langere Pausen
zwischen den einzelnen Reactionen, sodass, um den Versuch nicht zu
lange auszudehnen, nur 1 50 Wahlreactionen an jedem Abend gemacht
wurden. Femer wurde das Mittel schon eine Viertelstunde vor der
Riickkehr eingenommen. urn die motorische EiTegung womoglich gar
nicht erst zur Entwicklung kommen zu lassen. Auch jetzt wurde an
den xV-Tagen die gleiche Menge Wasser zur selben Zeit getrunken
wie an den T-Tagen. Die durch den Marsch ausgefiillte Pause zwischen
der 1. und 2. Versuchsgruppe betrug 2 Stunden, zwischen der 2. und
3. eine Viertelstunde, sodass, da 50 Reactionen jedesmal 1 5 Minuten
dauerten, das Ende des Versuchs gerade 1 Stunde nach dem Ein-
nehmen fiel. Die Reactionszeiten (Stellungsmittel) giebt Tab. XXXVI
wieder.
Eine Tabelle liber Fehlreactionen lasst sich nicht aufstellen, und
zwar deswegen nicht, weil die Versuchsperson vor wie nach dem Marsche,
mit und ohne Trional so gut wie keine Fehlreactionen aufzuweisen
hatte. In den 600 ausgefuhrten Versuchen kamen im ganzen 7 Fehl-
reactionen vor, die sich gleichmaBig iiber die einzelnen Versuche ver-
theilten. Es ist dies ein sehr auffallendes Verhalten, um so mehr.
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388
Hans Uaenel.
Tabelle XXXVI.
1
19. V. N
453
422
413
20. V. ri,og
397
♦409
401
9,yi.N
385
371
361
10. VI. ri,og
374
♦374
362
als Bettmann in den Fehlreactionen ein Merkmal fiir die motorische
Erregung nach korperlicher Arbeit gefunden hat, das am wenigsten
im Stiche zu lassen pflegte. Woher dieses abweichende Verhalten
riihrt, lasst sich nach den wenigen Versuchen, die vorliegen, nicht
bestimmen. Das langsame Arbeiten mit dem Plattenapparat konnte
man versucht sein, zur Erklarung heranzuziehen, doch hatte das gleiche
Verfahren bei mir in den Decemberversuchen ziemlich viele Fehl-
reactionen erzeugt. Wir miissen uns also mit der Annahme begniigen,
dass wir es dabei mit einer personlichen Eigenart zu thun haben: so
gut wie bei mir die Neigung zu Fehlreactionen entschieden ungewohn-
lich groB ist, ist sie bei B. fast auf Null herabgesetzt, ohne
dass jedoch seine Reactionszeiten langer waren als die meinigen.
Einige Erfahrungen anderer Untersucher lehren, dass das abweichende
Verhalten B.'s nicht vereinzelt dasteht. Die Zeiten zeigen in den
iV-Viertelstunden eine vom ersten bis zum letzten Tage gleichmaBig
fortschreitende Verkiirzung, die vielleicht als Uebungswirkung anzu-
sehen ist. Die Verkiirzung nach dem Marsche erfolgt auch hier an
den A-Tagen prompt, doch ist der Ausschlag ein kleinerer als bei
mir und bei Bettmann. B.'s Reactionsweise ist also eine auBer-
ordentlich gleichmaBige und sichere.
Was die Trionalwirkung anbelangt, so konnen aus dem erwahnten
Grunde die sonst so wichtigen Fehlreactionen hier nicht in Betracht
kommen. Dagegen zeigen die Zeiten ein typisches Verhalten: statt
des Abfalls nach dem Marsche tritt unter dem Einflusse des Trionals
eine Zunahme oder ein Stillstand der Zahlen ein, dem erst zum
Schluss ein geringer Abfall folgt. Entsprechend der Geringfiigigkeit
der Schwankungen iiberhaupt sind auch diese Ausschlage nicht sehr
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Die psychischen Wirkongeii des Trionals. 389
groB; weil sie aber im Gegensatze zu den iV-Tagen stehen und an
beiden T-Tagen gleichmaBig und in demselben Sinne aufgetreten sind,
80 sind wir vielleicht berechtigt, dennoch eine Trionalwirkung in ihnen
zu sehen. Und da dies Ergebniss mit demjenigen der Tab. XXXV
in den Orundziigen iibereinstinmit, so gewinnen die dort gezogenen
Schliisse eine neue Stutze. Die Betrachtung der Mittelzonen ergab
auch bei diesen Versuchen keine Besonderheiten ; entsprechend der
gleichmafiigeren B.eactionsweise waren sie im allgemeinen etwas kleiner
als bei mir, ohne durch Trional eine erkennbare Aenderung zu er-
fahren.
XL Znsammenfassmig und Dentnng der Ergebnisse.
Ein Riickblick auf die ganze Reihe der von uns ausgefuhrten
Versuche lehrt uns, dass eine deutliche Trionalwirkung nur auf ganz
bestimmten Gkbieten unseres Seelenlebens erkennbar gewesen ist. Am
auffallendsten fanden wir den Ausschlag bei den Leseversuchen am
Kymographion, bei denen unter dem Einflusse des Trionals die Fehler
und Auslassungen sich stark vermehrten; die Gruppe der sinnlosen
Worter zeigte eine Vermehrung geringeren Grades; die Verbesserungen
wurden im Gegentheil seltener. Die den Leseversuchen am nachsten
stehenden Auffassungsversuche ergaben eine geringfugige Verminde-
rung der gelesenen Ziffem, dagegen eine deutliche Vermehrung der
Verkennungen. Auch die Wahlreactionen haben ein positives Er-
gebniss geliefert; dasselbe konnten wir dahin feststellen, dass die
Wahlzeiten langer und die Mittelzonen umfangreicher wurden, wah-
rend die Fehlreactionen sich verminderten. Dieselben Erscheinungen
beobachteten wir, als wir die Wahlreactionen in einem durch korper-
Uche Arbeit veranderten Zustande ausfiihrten. Die fortlaufenden
Arbeiten zeigten sich alle drei gegen Trional empfindlich: Addiren
und Schreiben wurde verlangsamt; beim Lemen wurde der Lemwerth
jeder einzelnen Wiederholung sowie die G^sammtleistung herabgesetzt,
wahrend die Wiederholungsgeschwindigkeit unverandert blieb. Keine
Wirkung zeigte das Trional bei den Ergographen- und Associations-
versuchen. Bei den letzteren wurden weder die Reactionszeiten selbst
noch ihre Schwankungen verandert, noch auch lieB sich bei den einzelnen
Arten von Associationen ein zweifelloser Einfluss auf die Haufigkeit
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390 Hans Haeuel.
ihres Auftretens erkennen. Nur die Klangassociationen schienen sich
in einigen Versuclien nach dem Trional etwas zu vermehren, doch
geschah das nur dann, wenn wir aus anderen Erscheinungen von
vornherein auf das Vorhandensein einer Ermiidung schlieBen konnten.
Dazu kommt als unbeeinflusst, wie schon erwahnt. die Wiederholungs-
geschwindigkeit beim Lemen.
Suchen wir fur diese Ergebnisse gemeinsame Gesichtspunkte
aufzufinden, so kommen wir zunachst zu dem Schlusse, dass die
eigentlicho Muskelarbeit und ebenso der Ablauf der Vorstellungs-
verbindungen dem Einflusse des Trionals entzogen sind. Was ist
nun aber das Gemeinsame bei den Versuchen mit positivem Er-
gebnisse? Die Leseversuclie leiten uns auf den richtigen Weg.
Wir erkennen, dass bei alien hier in Betracht kommenden Ver-
suchen, mit Ausnahme der Schreibversuche , der Auffassung eine
mehr oder weniger bedeutende Rolle zufallt. Nehmen wir vorerst an,
dass diese allein erschwert wird, so sehon wir, dass dadurch die Ver-
mehrung der Auslassungen und Fehler bei den Leseversuchen und
die Verminderung der richtig erkunnten Ziffem bei den Auffassungs-
v(irsuchen geniigend erkliirt sind. Aber auch die Verlangsamung der
Additionen wiirde dureh diese Annahnu; verstiindlich werden. AUer-
dings miisste man wohl zuniichst an eine Erschwerung des associativen
Theils der Aufgabe denken. Wir wiirden jedoch alsdann envarten
miissen, dass sich auch bei den Associationsversuchen ein erschweren-
d(T Einfluss des Trionals geltend machen miisste. Da das nicht der
Fall war, werden wir mit groBer Wahrs(;heinlichkeit die Stoning bei
den Additionsversuchen eben nicht auf den Associationsvorgang zuriick-
fiihren diirfen; es miisste denn sein, dass die eingelemten Associationen
des Rechnens wesentlich anders beeinflusst wiirden als andere Vor-
stellungsverbindungen. Zu einer derartigen Annahme werden wir je-
doch kaum greifen; haben wir doch im Auffinden der Summe zweier
Zahlen nur eine eindeutig bestiramte Association im Sinne Wundt's*)
vor uns. Ueberdies giebt uns der Ausfall der Lese- und Auffassungs-
versuche in der Erschwerung der Auffassung optischer E-eize durch
Trional eine anderweitige, voUkommen befriedigende Erkliirung fur
1) Wundt, GrundzQge der physiologischen Psychologie. Leipzig 1894.
II. S. 376.
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Die psycbischen Wirkungen des Trionals. 391
die Storung der Eechenarbeit an die Hand. Wie groB der Einfluss
ist, welcher der Auffassung beim Addiren zukommt, kam mir schon
wahrend der Arbeit deutlich zum Bewusstsein. Es ereignete sich bei
Ermudimg und besonders unter Trionaleinfluss haufig, dass ich eine
Ziffer secundenlang betrachtete, ohne mehr als die auBere Form und
hochstens die Sprachvorstellung dazu zu erfassen. Wenn dann mit
einer fuhlbaren Anstrengung in der Ziffer die Zahl erkannt und der
Einheitewerth derselben richtig aufgefasst war, so wurde auch die
Addition mit groBer Schnelligkeit und fast miihelos vollzogen. Eine
Gewahr fiir die Richtigkeit dieser subjectiven Beobachtung haben wir
jetzt nachtraglich in der Erkenntniss gewonnen, dass der associative
Vorgang selbst dem Einflusse des Trionals entzogen zu sein scheint.
Vielleicht ist eine ahnliche Erklarung auch fiir den Ausfall der
Lemversuche verwerthbar. Der Lemwerth jeder Wiederholung wird
ohne Zweifel durch die Nachhaltigkeit und Starke des aufgefassten
Eindruckes wesentlich beeinflusst. Jedes Einpragungsverfahren sucht
daher vor allem die Auffassung des Lernstoffes moglichst zu unter-
stiitzen. Ob dieser Stoff selbst die Gestalt von Gesichtseindriicken
oder von motorischen Sprachvorstellungen besitzt, diirfte in dieser
Beziehung weniger wesentlich sein. Wenn daher das Trional die
Einpragung der Eindriicke selbst erschwert, so werden wir begreifen
konnen, dass auch das Haf ten derselben im Gedachtnisse leiden muss,
selbst wenn das Lemverfahren schlieBlich hauptsachlich die moto-
rischen Sprachvorstellungen bevorzugt. Endlich wurde auch die Ver-
langerung der Wahlreactionen durch eine Erschwerung des Auf-
fassungsvorganges begreifUch werden. Haben doch die Erfahrungen
uber Alkoholwirkung gezeigt, dass die Wahlreactionen eben wegen
der Erschwerung der Auffassung selbst dann verlangert sein konnen,
wenn die Auslosung der Bewegung ohne Zweifel erleichtert ist.
Dagegen ist die Auffassungsstorung nicht im Stande, uns eine
Erklarung fiir die Erfahrung zu liefem, dass die Fehlreactionen sich
unter der Trionalwirkung vermindem. Um diese Thatsache zu verstehen,
miissen wir uns an den Ausfall der Schreibversuche erinnem, bei denen
es sich ausschlieBlich um die Ausfiihrung einer coordinirten Bewegung
handelte. Hier spielen keinerlei Auf fassungsvorgange mehr eine RoUe,
und auch die vorbereitenden Associationen sind so einfacher Natur,
dass sie den zeitlichen Ablauf des Versuchs schlechterdings nicht
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392 Hans Uftenel.
beeinflussen konnten. Trotzdem sehen wir unter dem Einflusse des
Trionals hier eine deutliche Erschwerung eintreten. Dass der rein
mechanische Theil der Bewegung dabei unbeeinflusst bleibt, hat der
Ausfall der Ergographenversuche gelehrt; es bleibt uns also nur die
Annahme einer Erschwerung der centralen Auslosung coordi-
nirter Bewegungen durch das Trional. Mit dieser Annahme findet
ein weiterer Theil unserer Ergebnisse leicht seine Deutung. Die Ver-
minderung der Fehlreactionen lasst sich jetzt ohne weiteres verstehen.
Da dieselben, wie wir wissen, durch eine Steigerung der centralen
motorischen Erregbarkeit entstehen, so muss umgekehrt die Herab-
setzung dieser letzteren ihre Zahl vermindem. Die Neigung zu Fehl-
reactionen war bei mir von vomherein vorhanden und wurde bei den
Marschversuchen noch kiinstlich gesteigert. Ueberall wirkte daher
das Trional dieser Neigung entgegen, wahrend es bei Brtickner,
der kaimi Fehlreactionen aufwies, keinen erkennbaren Einfiuss aus-
iibte. Haben wir nun bei den Schreib- und B.eactionsbewegungen
eine Erschwerung der Auslosung gefunden, so miissen wir folgerichtig
auch bei den Sprachbewegungen eine solche annehmen; damit haben
wir den Schlussel fiir die Verminderung der Verbesserungen beim
Lesen und die im Verhaltniss zu den iibrigen Fehlem geringe Ver-
mehrung der sinnlosen Worte. Die letzteren kamen, wie wir gesehen
haben, zum Theil durch vorzeitiges Aussprechen zu Stande ; wird die
Neigung dazu verringert, so wird nur noch die andere Ursache ihrer Ent-
stehung, die auBerst mangelhafte Auffassung wirksam bleiben. Dadurch
diirfte es sich erklaren, dass sie trotz der Verlangsamung der psycho-
motorischen Reaction nicht ab-, sondem in geringem MaBe zunehmen.
Auch die Verbesserungen beruhen zum Theil auf vorzeitigem
imd darum falschem Aussprechen, welches sofort als unrichtig
erkannt und demgemaB verbessert wurde. Je geringer die Neigung
zu solchen vorzeitigen Beactionen war, desto seltener musste auch
diese Art von Verbesserungen vorkommen. Ueberdies erforderte die
wirkliche AusfUhrung einer Verbesserung bei der starken Spannung
der Aufmerksamkeit und dem raschen, gleichmaBigen ZeitmaBe des
Sprechens immer eine ziemlich kraftige Willensanstrengung. Jeder
Clavierspieler weiB, mit welchen Schwierigkeiten es verbunden ist,
beim Spielen vom Blatt auf eine Frage nur ein einfaches Ja oder
Nein zu antworten. Auch diese Schwierigkeit kann bei der erschwerten
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Die psychischen Wirkuugeu des Trionals. 393
Auslosimg von Sprachbewegungen zu einer Verminderung der Ver-
besserungen beigetragen haben. Endlich ist auch die aus Tab. XXII
ersichtliche Thatsache, dass die Auslassungen sich starker vermehrt
haben als die Fehler, vielleicht geradezu auf die Erschwerung der
sprachlichen AeuBerungen zu beziehen.
In einem gewissen Widerspruche mit alien diesen Ausfulirungen
scheint jedoch zunachst die Thatsache zu stehen, dass bei den Lern-
versuchen die Wiederholungsgeschwindigkeit Uberall unverandert blieb.
Wenn wirklich das Trional eine Erschwerung der psychomotorischen
Auslosung mit sich bringt, so hatte man, wie es scheint, auch eine Ab-
nahme der Wiederholungsgeschwindigkeit unter seinem Einflusse er-
warten soUen. Indessen bei genauerer Betrachtung ergiebt sich, dass
der hier aufgedeckte Widerspruch nur ein scheinbarer ist. Wahrend
nsLmlich bei den Wahlreactionen, beim Lesen und Schreiben alle Be-
wegungen mit groBtmoglicher Greschwindigkeit ausgefUhrt wurden, ge-
schah das Sprechen beim Lemen in einem selbstgewahlten ZeitmaBe,
das bei weitem noch nicht die hochste Sprechgeschwindigkeit erreichte.
So lange sich aber die Erschwerung des Sprechens innerhalb gewisser
Grenzen halt, kann sie fiir die Zeitmessung nur dann deutlich werden,
wenn wir uns bemuhen, die groBtmogliche Greschwindigkeit zu erreichen.
Fiir das Pferd in der Rennbahn bedeutet jedes Balogramm Mehrbelastung
eine Hemmung; im langsamen Trabe dagegen wird die gleiche Last leicht
verdoppelt werden konnen, ohne dass deshalb seine Geschwindigkeit
sich zu verringem braucht. Allerdings kommt bei fortschreitender
Belastung ein Punkt, wo der Trab das Maximum der Schnelligkeit
darstellt und jede weitere Erschwerung das Thier nothigen wiirde,
im Schritt zu gehen. Um im Bilde zu bleiben, konnen wir sagen,
dass unsere Sprachorgane sich beim Lemen im Trab bewegt haben;
eine gewisse Erschwerung ist nun zwar, nach den anderen Versuchen
zu schlieBen, gewiss auch hier durch das Trional hervorgerufen worden,
doch war dieselbe nicht so bedeutend, dass wir deshalb in Schritt
batten verfallen miissen. Sie geniigte dagegen vollig, um das Carri^re
bei den Schreibversuchen merklich zu verlangsamen.
AuBer einer einfachen Erschwerung der Auffassung und der
motorischen Auslosung hat endlich noch eine qualitative Beeinflussung
des Wahmehmungsvorganges durch das Trional stattgefunden. Der
Ausfall der Auffassungsversuche wies uns schon friiher darauf hin.
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394 Uaus llaenel.
dass mit der Erschwerung der Auffassung auch eine Vermehrung der
illusionaren Vorgange einhergegangen sein muss. Anders ware es
nicht verstandlich, dass bei diesen Versuchen die Zahl der gelesenen
Ziffern nach dem Trional fast die gleiche bleibt wie vorher, wahrend
die richtigen Erkennungen merklich abnehmen. Auch die zaMreichen
Fehler bei den Leseversuchen sprechen f iir das Zustandekommen viel-
facher Illusionen; sonst miissten die mangeihaft aufgefassten Worte
noch viel haufiger zu Auslassungen gefuhrt haben. Dass die Aus-
lassungen bei den Auffassungsversuchen fast ganz fehlen, dlirfte sich
aus dem viel groBeren Spiekaum erklaren, welcher hier fiir Illusionen
gegeben war, da dabei nicht die Nothwendigkeit vorlag, die erkannten
Schriftzeichen zu einem sinnvollen Worte zu erganzen. Die geringe
Vermehrung der Klangassociationen an einigen T'-Tagen scheint darauf
hinzudeuten, dass bei deren Zustandekommen auBer den Beziehungen
zur motorischen Erregbarkeit auch solche zur Auffassungsfahigkeit
bestehen, was bei der Betrachtung derselben als »niederster< Asso-
ciationsgattung ja auch nicht unwahrscheinlich erscheint.
Als das Endergebniss dieser Betrachtungen konnen wir somit
den Satz aufstellen, dass die Wirkung des Trionals in einer Storung
der Auffassung auBerer Reize mit Begunstigung illusionarer
Vorgange und in einer Erschwerung der Auslosung coordinirter
Bewegungen besteht. TJeber die Dauer und Starke dieser Wirkung
lasst sich folgendes aussagen: Die Addir- und weniger sicher^auch die
Lemversuche UeBen schon am Ende der ersten Stunde eine Abnahme
der Wirkung erkennen; dasselbe war bei den Schreib versuchen der Fall.
Die Verbesserungen bei den Leseversuchen und die Fehlreactionen
bei den 372"^^^^^®^ Januarversuchen zeigten gegen Schluss der-
selben wieder eine Zunahme. Dagegen war bei dem durch 3 Stunden
fortgesetzten Lesen am Kymographion und bei den Eeactionszeiten
in alien Versuchen mit Wahlreactionen, auch denen vom Januar,
die Wirkung des Mittels bis zum Schlusse in steigendem MaBe nach-
weisbar. Auch die aus den Wahl- und Addirversuchen bewiesene
Nach wirkung bis zum folgenden Tage deutet darauf hin, dass die
Wirkung unseres Mittels auf die Auffassung keine fliichtige ist. Diese
Zusammenstellung fiihrt uns zu dem Schlusse, dass die Storung der
Auffassung schon bei den von uns angewandten Trionalgaben eine
aachhaltige und langere Zeit ansteigende ist, dass sich dagegen der
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Die psychiscben WirkuDgen des Trionals. 395
Einfluss auf die Bewegungen nach etwa 2 — 3 Stunden verliert. Anch
die Additionsversuche passen in dies aus der Uebereinstimmimg der
iibrigen gewonnene Schema, wenn wir annehmen, dass die am
Schlusse des Versuchs beobachtete Besserung der Arbeitsgeschwin-
digkeit nicht ein Aufhoren, sondern nur ein Schwanken des Trional-
einflusses darstellt. Dafiir wiirden gerade hier vor allem die deut-
lichen Spuren einer Nachwirkung am nachsten Tage sprechen. Im
Einklange mit der groBeren Dauer der Trionalwirkung im Bereiche
der Auffassung steht die auBerordentliche Starke der Beeinflussung
auf diesem Gebiete. Auch die iUusionaren Vorgange, welche damit
ja in innigster Beziehung stehen, waren ungemein ausgepragt. Dem
gegeniiber hat die psychomotorische Wirkung des Trionals, wie sie
sich am reinsten in den Schreibversuchen darstellt, einen verhaltniss-
maBig geringen Ausschlag ergeben. Es hat also den Anschein, als ob
StSrke und Dauer der Wirkung in enger Beziehung zu einander stehen.
Auch in Form einer Curve konnen wir dieses Verhaltniss zur
Darstellung bringen. Wir halten uns dabei am besten an die
Versuche, welche die beiden Seiten der Trionalwirkung am unver-
mischtesten wiedergegeben haben, die Schreib- und Auffassungsver-
suche. In der folgenden Curve ist auf der Abscisse die Zeit aufge-
tragen und zwar bedeutet jeder Centimeter 1/4 Stunde. Die Werthe
der Ordinate stellen unter Berucksichtigung der iV-Tage die durch-
schnittliche Erschwerung der Leistung
unter Trionaleinfluss dar, ausgedriickt jq
in Procenten der Anfangsleistung;
jeder Centimeter ist = 10 ^ ge-
setzt. Die ausgezogene Linie giebt
den Verlauf der Auffassungsver-
suche, die punktirte denjenigen der
Schreibversuche wieder. Die oben
angedeutete Verschiedenheit ist also
schon im Verlauf e der 1. Stunde
deutlich ausgepragt Leider sind gerade diese beiden Versuchsreihen
nicht Itager als eine Stunde fortgefUhrt worden, sodass wir nicht im
Stande sind, die Fortdauer der Wirkung, die wir bei andem Ver-
suchen beobachten konnten, in dieser Curve mit darzustellen. An-
gefiigt sei hier noch die Bemerkung, dass irgend welche unangenehme
Krftepelin, Psycholo;. Arbeit«n. H. 26
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396 Haos Haenel.
Nebenwirkungen, besonders auch auf die Herzthatigkeit, nicht be-
obachtet wurden.
Zum Schlusse noch ein Wort iiber die Bedeutung des Trionals
als Schlafmittel. Es zeigte sich, dass demselben Yor allem die
Eigenschaft zukommt, uns gegen die Einwirkimg auBerer Eindrticke
abzuschlieBen und zugleich bis zu einem gewissen Grade den illusio-
naren Eigenerregungen den Weg zu bahnen. Gerade die Femhaltung
auBerer Reize ist aber bekanntlich eine Grundbedingung ftir die Ent-
stehung des Schlafes. Wir wahlen dafilr die Rube der Nacht, irnd
unsere Augen schlieBen sich selbst im verdunkelten Zimmer, wenn
wir den Wunsch haben, unser Schlafbediirfniss zu befriedigen. Ja,
umgekehrt geniigt unter Umstanden das SchlieBen der Augen, um
die den Schlaf einleitende Miidigkeit herbeizufuhren, wie alltagliche
Erfahrung und hypnotische Versuche lehren. Dunkelheit und Stille
um uns, Entfemung aller beengenden und belHstigenden kdrperlichen
Empfindungen, die kostliche Langeweile der Ereignisslosigkeit machen
uns schlafrig auch ohne Yoraufgehende Anstrengung. Wir dtirfen
hier auch an die Erfahrung StrumpeH's^) erinnem, welcher einen
Yollstandig anasthetischen , einseitig blinden Knaben, der auf einem
Ohre fast voUstandig taub und dessen Geschmack und G^ruch ge-
lahmt war, nach wenigen Minuten in Schlaf versetzen konnte, sobald
er ihm das andere Auge und Ohr verschloss.
In hochstem Grade Uberrascht hat uns das Ergebniss der Ver-
suche, dass die eigentliche geistige Thatigkeit, soweit sie der Unter-
suchung zuganglich war, durch das Trional anscheinend nicht beeinflusst
wird. Wir batten zunachst mit Bestimmtheit vermuthet, dass gerade die
associative Thatigkeit unter der Wirkung unseres Mittels in erheblichem
MaBe erschwert wiirde. Es erschien die Vermuthung unabweisbar, dass
ein Mittel, welches in so zwingender Weise den Schlaf herbeifiihrt, vor
allem auch die Verbindung der Vorstellungen und damit die gesammte
geistige Thatigkeit lahmen miisse. Diese Ansicht hat in dem Ausfalle
der Versuche keine Bestatigung gefunden, obgleich wir bemiiht waren,
irgendwo einen Anhaltspunkt in dieser Bichtung aufzufinden. Es ist
naturlich nicht unmoglich, dass durch das Trional noch eine Beihe von
hoheren psychischen Vorgangen wesentlich beeinflusst werden, welche
1) AUgem. Wiener mad. Zeitg. 1877. Nr. 44.
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Die psychischen Wirkaogen des Trionals. 397
sich nicht in den Rahmen unserer Versuche fassen lieBen. Immerhin
steht soviel fest, dass die schlafmachende Wirkung in erster Linie
nicht an eine Beeinflussung der associativen Thatigkeit, sondem vor
allem an eine Beeintrachtigung der Auffassung gekniipft ist.
Auf der andem Seite ist es gewiss fiir die praktische Wirkimg
des Trionals nicht gleichgiiltig, dass dasselbe auch die Auslosung
von Bewegungen erschwert. Auch die dadurch erzeugte moto-
rische Beruhigung ist ohne Zweifel eine fiir den Eintritt des
Schlafes besonders giinstige Vorbedingung. Wir erinnem uns dabei,
dass gerade die beiden auffallendsten Wirkungen des Trionals,
die Erschwerung der Auffassung und der Willensantriebe zugleich
kennzeichnende Merkmale der haufigsten und naturlichsten Ursache
des Schlafes sind, der Ermiidung. Es ist femer gewiss kein Zu-
fall, dass, wie es scheint, wenigstens fiir groBere Gaben die Ver-
bindung jener beiden psychischen Wirkungen sich bisher bei alien
denjenigen psychologisch untersuchten Mitteln wiedergefunden hat,
welche wir zur Erzeugung kiinstlichen Schlafes in Anwendung ziehen.
Von besonderem Interesse ist dabei die Thatsache, dass iiberall die
Stoning der Auffassung in ganz besonderem MaBe ausgesprochen ist,
vom Alkohol und Paraldehyd zum Chloralhydrat, zum Aether und
zum Chloroform. Gerade darum ist auch das Morphium, welchem
diese Wirkung fehlt, wie bekannt, durchaus nicht als ein Schlafmittel
anzusehen. Die lahmende Wirkung auf psychomotorischem Gebiete
finden wir am ausgepragtesten beim Chloralhydrat und eben beim
Trional; beide Mittel sind erfahrungsgemaB die wirksamsten der
bisher psychologisch untersuchten Schlafmittel. Bei den iibrigen
angefiihrten Mitteln scheint sich die motorische Lahmung erst bei
groBeren Gaben einzustellen ; dem entspricht das bei Chloroform,
Aether, Alkohol beobachtete Auftreten von Erregungszustanden im
Beginne der Narkose. Wir sehen denn auch unter diesem G^-
sichtspunkte, dass wahrscheinUch die Verbindung der beiden
psychischen Wirkungen, welche uns der Versuch beim Trional
aufgedeckt hat, fiir seine Bedeutung als Schlafmittel wesentlich
ist. Noch mehr, gerade diese Verbindung macht es uns verstand-
lich, warum es gegeniiber so manchen anderen die ausgezeichnete
Stellung in der Reihe der Schlafmittel einnehmen muss, die ihm die
klinische Erfahrung thatsachlich zugewiesen hat.
26*
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398 Hans Haenel. Die psychischeD Wirkongen des Trionals.
SeUnsssfttze.
1. Trional verlangsamt die Arbeit des Rechnens und Lernens,
verlangert die Reactionszeiten bei Wahlreactionen, vermindert die
Pehlreactionen, vermehrt bei Lese- und Auffassungsversuchen die
Pehler und die Auslassungen, verlangsamt das Schreiben.
2. Nicht nachweisbar ist ein Einfluss auf den Associationsvor-
gang, auf die Ergographencurve und die Wiederholungsgeschwindig-
keit beim Lemen.
3. Daraus folgt:
I. Trional beeintrachtigt die Auffassung und verandert sie zu-
gleich im Sinne einer Vermehrung von Ulusionen.
n. Trional erschwert die centrale Auslosung coordinirter Be-
wegungen.
4. Seine Bedeutung als Schlafmittel ist dadurch ausreichend
erklart.
5. Eine Erleichterung oder Beschleunigung war auf keinem der
untersuchten Gebiete psychischer Thatigkeit und zu keiner Zeit nach-
weisbar.
6. Das Trional wirkt auch in kleinerer Gabe bis zum folgenden
Abend nach.
7. Einen durchgreifenden Unterschied zwischen groBerer und
kleinerer Gabe haben die Versuche nicht ergeben.
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Ueber die Scbwankiuigen der geisttgen Arbeitsleistung.
Von
Oeorg Ton Toss.
Mit einer Figur im Text.
I. Einleitnng.
Aus alien Untersuchungen, die iiber das Wesen der geistigen
Arbeit angestellt worden sind, ging stets hervor, dass der Ablauf
derselben kein vollkommen gleichmaBiger ist, sondem dass Schwan-
kungen jederzeit vorkSmen. Auch die Erfahrung des taglichen Lebens
lehrt uns dasselbe — wissen wir doch, dass es uns nur schwer mog-
lich ist, angestrengt geistig thatig zu sein, ohne von Zeit zu Zeit
nachzulassen, um dann mit emeuter Kraft weiter zu arbeiten. Die
Ursachen dieser Erscheinung konnen verschiedener Art sein; wir
miissen unterscheiden zwischen f ordemden und verlangsamenden Ein-
fliissen auf die Arbeit.
Zu den ersteren gehoren die Uebung, die Anregung und der
Antrieb ; verlangsamend wirkt dagegen die Ermiidung. AuBer diesen,
wohl regelmaBig zu beobachtenden Einfliissen machen sich aber noch
andere geltend, die mehr den Zufalligkeiten zugerechnet werden
diirfen. XJnter diesen ist es die Gewohnung, welche die Leistung
verbessert, wahrend die Ablenkung sie verschlechtert. Femer lehrt uns
die subjective Empfindung, dass, auch abgesehen von alien obenge-
nannten Factoren, noch die Aufmerksamkeit von groBtem Einfluss
auf den Ablauf unserer Arbeit ist. Der mehr oder weniger regel-
maBige Wechsel unserer Aufmerksamkeitsspannung muss sich in
Schwankungen der Leistung widerspiegeln. —
Krft ep el in, Psycholog. Arbeiten. IL 27
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400 Georg ?oii Voss.
Bei den bisher ublichen Untersuchungsmethoden mit 5 Minuten-
zeichnung (die Arbeit wurde in den friiheren Versuchen stets dnrch
ein alle 5 Minuten wiederkehrendes Glockensignal unterbrochen) war
es nicht moglich gewesen, die feineren Leistungsschwankungen zu
verfolgen; man hatte sich mit der Erklarung der groben Ausschlage
begniigen miissen und hatte oft genug gar nicht die Moglichkeit
gehabt, manche deutliche Schwankungen zu erklaren. Es war daher
wunschenswerth, eine feinere Methode anzuwenden, um Aufschluss
zu erlangen uber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistimg.
/^
^
isz.
In der nebenstehenden schematischen Zeichnung ist der Apparat
wiedergegeben , den Herr Mechaniker Runne nach den Angaben
von Professor Kraepelin construirte und dessen wir uns bei den
zu schildemden Untersuchungen bedienten.
Die »elektri8che Feder« besteht aus einem Hohlcylinder h, in
dem eine bei x um eine Achse drehbare Rohre r liegt. Das vordere
Ende der Rohre tragt bei b eine Bleistiftspitze ; das entgegengesetzte
Ende geht in eine Feder Uber, die bei c einen Contact tragt und
bei e in eine Metallplatte p eingeklemmt ist. Gegeniiber dem Con-
tact c ist an dem auBeren Cylinder eine mit einer Klemmschraube
versehene Ableitung a^ angebracht. Die Zuleitung erfolgt von fi, aus,
durch eine die Platte p beruhrende, den Hohlcylinder abschlieBende
Metallhiilse. Wird nun beim Schreiben mit b ein Druck ausgeiibt,
so beriihrt der Contact c die Ableitimg a^ und der Strom ist ge-
schlossen; hort der Druck auf, so schnellt die Feder zuruck und der
Strom wird unterbrochen.
Der Apparat war mit zwei Trockenelementen und einer am
Kymographion schreibenden Feder verbunden; jeder beim Schreiben
ausgeiibte Druck gab einen deutlichen Ausschlag auf der beruBten
Trommel.
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Ueber die Schwankongen der ^eistigen Arbeitsleistung. 40 1
"Unter dieser Registrirung war noch ein Chronograph befestigt,
der 1/5 Secunden schrieb.
Wir benutzten bei unseren Versuchen die Methode der fort-
laufenden Additionen in den bekannten Rechenheften. Die Versuchs-
person saB in einem besonderen Zinuner und hatte die Anfgabe, eine
Stunde lang je 2 auf einander folgende Zahlen zu addiren, wo-
bei die Ausfuhrung jeder Addition durch einen kurzen Strich markirt
wurde; nach je 5 Minuten, die durch Glockensignale abgegrenzt
waren, wurden 2 langere Striche gezogen. Auf diese . Weise erhielten
wir Ourven fur die ganze Versuchsstunde , aus denen wir annahemd
die Dauer aller einzebien Additionen bestimmen konnten. Auf eine
Controlle der Bichtigkeit des Rechnens mussten wir bei der Aus-
fiihrung unserer Versuche verzichten. Wir glaubten das thun zu
diirfen, da einerseits die Deutung der gefundenen Fehler nicht in
das Gebiet unserer Arbeit gehort und da andererseits, wie Amberg^)
festgestellt.hat, die Fehlerzahl schon an und fur sich gering ist und
mit der Uebung noch stark abnimmt. —
Als Versuchspersonen dienten der Verfasser (V.), Dr. O. Krause
(K-) und cand. med. Diehl (D.), und zwar fiihrte V. eine 8-tagige
Versuchsreihe aus, wahrend K. und D. nur je 4 Stunden rechneten.
V rechnete an 8 auf einander folgenden Tagen abwechselnd von
9 — 10 und von 8 — 9 Uhr Morgens, K. und D. an vier Tagen von
8 — 9 Uhr. Unmittelbar vor den Versuchstagen und innerhalb der-
selben waren alle Personen vollig abstinent in Bezug auf Alkohol;
Thee und Kaffee wurden vor den Versuchen nicht eingenommen;
auBerdem wurde wahrend der Zeit eine moglichst geregelte, gleich-
maBige Lebensweise eingehalten. Storungen wahrend der Versuche
kamen nicht vor.
Die Berechnung sammtlicher Additionszeiten wurde vorgenom-
men, bevor noch mit der Deutung der Versuchsergebnisse begonnen
war. Auf diese Weise konnte jeder subjectiven Beeinflussung der
Besultate vorgebeugt werden. Bei der Berechnung der Additions-
zeiten stellte sich sofort heraus, dass diejenigen Additionen, welche
zu oberst in den Rechenheften standen, mit groBerem Zeitaufwand
gerechnet waren, als die iibrigen. Diese Thatsache beruhte auf dem
1) Diese Arbeiten Bd. I, S. 300.
27*
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402 Georg von Voss.
Zeitverlust, welcher beim Aufsuchen der neuen Zahlenreihe stattfand.
Aus einer groBeren Menge wurde die GroBe des Zeitverlustes im Mittel
= 3/. Secunden gefunden, die nun immer bei der obersten Additionszeit
in Abzug kamen.
Die Zeit, welche das Markiren selbst in Anspruch nahm, betrug
meist Vs Secunde; bei der zweiten spater zu schildemden Berech-
nungsmethode ist sie nicht beriicksichtigt, da es una hierbei nicht
auf die einzelnen Additionszeiten ankam, sondern auf die Zahl der
in einem gewissen Zeitabschnitt ausgefiihrten Additionen.
Die so erhaltenen Versuchsergebnisse waren unter 3 verschie-
denen Gesichtspunkten zu betrachten. Es war zu beriicksichtigen :
1. die Lange der einzelnen Additionszeiten;
2. die GroBe der Abweichung dieser Additionszeiten von ihrem
Mittelwerth;
3. das Vorkommen von Schwankungen der Additionszeiten, die
Dauer dieser Schwankungen und die Anzahl der Additionen,
die wahrend derselben ausgefuhrt wurden.
Ueber die durchschnittliche Lange der Additionszeiten suchten
wir dadurch ein Urtheil zu gewinnen, dass wir die in je 5 Minuten ge-
wonnenen einzelnen Zeitwerthe staffelweise nach ihrer Dauer ordneten
und die Haufigkeit procentisch bestimmten, mit der die verschiedenen
Additionszeiten unter der Zahl der ausgefiihrten Rechnungen ver-
treten waren.
Um die GroBe der beobachteten Abweichungen vom Mittel zu
messen, bestimmten wir die Anzahl der in je 5 Secunden vollfuhrten
Additionen. Wir erhielten auf diese Weise fiir je 5 Minuten 35 — 45
Werthe*), welche uns die Zahl der in den verschiedenen 5-Secunden-
abschnitten ausgefiihrten Additionen angaben. Aus diesen Werthen
lieB sich eine Mittelzone^) bilden, in deren Bereich diejenigen Zahlen-
1, Es sollten auf je 5 Minuten 60 5 - Secundenabschnitte entfallen; doch
kamen von der Gesammtzeit in Abzug: erstens der beim Seitenumwenden erfol-
gende Zeitverlust und zweitens noch der ^/^ Secunden betragende Zeitverlust bei
Berechnung der oben an der Seite stehenden Additionszeit.
2^ Die Bildung der Mittelzone geschah auf folgende Weise: Aus den
Leistungen der einzelnen 5"-Ab8chnitte jeder 5 Minuten wurde das arithmetiscbe
Mittel gewonnen; zu diesem wurde nach oben und unten je eine Zahl hinzu-
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(Jeber die Schwaokangen der geistigen ArbeiUleistang. 403
werthe entfielen, welche eine mittlere Leistung vorstellten. Die An-
zahl der Werthe, welche nach oben oder nach unten von der Mittel-
zone abwichen, gab uns ein ungefahres Bild von der Ausgiebigkeit
der Veranderungen, welche die Addirgeschwindigkeit in je 5 Minuten
erlitten hatte.
Endlich war es unsere Aufgabe, die Dauer der Schwan-
kiingen, deren Vorhandensein schon bei oberflachlicher Durchsicht
der Zahlenreihen auffiel, zu bestimmen. Folgten z. B. fur 10 Ad-
ditionen Zeiten (in Vs") wie 2, 2, 3, 2, 3, 5, 4, 2, 7, 8, so warden
sie als 3 Schwankungen aufgefasst. Als Dauer einer Schwankung
betrachteten wir die Summe aller Additionszeiten von einem Maximum
bis zum nachsten ausschlieBUch. In dem vorhin citirten Beispiele
waren also die mit "*" bezeichneten Zahlen 3, 5 und 8 Maxima ge-
wesen; folgUch hatte die erste Schwankung 7, die zweite 10 und die
dritte 21 Vo'Secunden gedauert. Eine Schwankung fasste also immer
eine Doppelphase zusammen: die Phase des Abnehmens der Leistungs-
geschwindigkeit und die Phase des Zunehmens derselben bis zum
Maximum.
n. Die Lftnge der Additionszeiten.
Eine XJebersicht iiber den dritten Versuch an V. giebt die Tabelle
I. Wenn wir mit der Betrachtung des Verhaltens der verschiedenen
Additionszeiten beginnen, so sehen wir, dass im Versuch III (Ver-
such I und n waren wegen der anfangs schwierigen Technik nur
mangelhaft ausgefaUen und infolge dessen f iir die feinere Berechnung
nicht zu brauchen) die Haufigkeit der Additionszeiten von 0,6" bei
weitem iiberwiegt. Mit der wachsenden Uebung steigt sie bis zum
6. 5-Minuten-Abschnitt an, vom 7. ab sinkt sie progressiv; wir konnen
genommen. Alle 5"-Ab8clmitte , deren Leistung in den Bereich dieser 3 Zahlen
entfiel, wurden als zur Mittelzone gehorig betrachtet. Wenn auch zugegeben
werden muss, dass unsere Art der Mittelzonenbildung wissenschaftlich anfechtbar
ist, so hielten wir uns doch aus praktischen Griinden fur berechtigt, nach ver-
schiedenen anderen Versuchen zu dieser hier am bequemsten verwendbaren
Methode zuriick zu greifen.
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404
Georg von Voss.
die Abnahme wohl mit Recht als Ermiidungswirkung betrachten.
Entgegengesetzt verhalten sich die Additionszeiten iiber 1,2". Die-
selben nehmen bis 6 stetig ab und steigen von da ab wieder, urn
nur uoch in 12 unter dem Einflusse des Schlussantriebs etwas zu
sinken. Die Zeiten von 0,8 und 1,0" zeigen kein charakteristisches
Verhalten; dagegen weisen diejenigen von 0,4 in 7 und 9 eine recht
erhebliche Zunahme auf. Diese Vermehrung, verbunden mit der
Steigerung der Leistung, die besonders deutlich in 9 zu sehen ist,
Tabelle I*)
Versuch EEL
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4 1
2,0
4,7
7,0
4,0
5,0
4,0
J 0,0
7,5
10,5
4,5
5,0
4,5
0,8
_
68,0
71,5
68,0
67,0
69,0
72,5
63,5 i 63,5
61,5
61,5
61,5
60,5
0,8
12,0
11,5
8.5
13,4
13,5
12,5
12,5 11,5
14,0
16,0
10,0
13,0
1,0
6,0
4,5
5,5
4,0
4,0
4,5
5,0
7,5
3,5
6,0
6,0
7,0
1,2
4,0
3,2
4,0
5,0
3,0
4,0
3,5 4,5
4,5
3,0
6,5
5,5
Ueber 1,2
8,0
4,6
7,0
6,6
5,5
2,5
5,5
5,5
6,0
10,0
11,0
350
9,5
365
Leistong
345
379
370
373
386
397
398
372
391
370
wirft ein Licht auf eine schon friiher beobachtete Thatsache. Dass
die Ermiidung sich in 7 schon geltend machte, sehen wir in der Ver-
minderung der 0,6" Zeiten und in der Zunahme der liber 1,2" be-
tragenden Additionszeiten; offenbar kam diese Verschlechterung der
Leistung der Versuchsperson zu Bewusstsein, und der Erfolg der
1) Die links stehenden Zahlen 0,4 bis -Uber 1,2 Secunden bedeuten die
Additionszeiten. Unter den obenstehenden Zahlen 1 bis 12 sind die 5-Minaten-
abschnitte des Versuchs zu verstehen. Die darunter stehenden Werthe ent-
sprechen der Haufigkeit des Vorkommens der einzelnen Additionszeiten in Pro-
centen. Die Leistung ist die Anzahl der im betrefienden Abschnitt ausgefuhrten
Additionen.
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Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistung.
405
Wiederanspannung der Krafte, die auf das Mtidigkeitsgefiihl folgte,
ist die zeitweise Verbessenmg der Leistung. Kraepelin hat diese
Erscheinung den »Mudigkeitsantrieb» genannt.
Im Versuch IV (Tabelle 11) sind wieder die Zeiten von 0,6" bei
weitem am meisten vertreten, sogar noch haufiger als im vorhergehenden
Versuche. Bemerkenswerth ist der Parallelismus zwischen der Haufig-
keit der 0,6' -Zeiten und der Arbeitsleistung: jedes Sinken resp. Steigen
der Leistung spiegelt sich im Sinken resp. Steigen des Procentgehalts
an 0,6"-Zeiten wieder; diese letzteren entsprechen eben der Haupt-
masse der Additionen. Auch hier ist das Verhalten der tiber 1,2"
betragenden Additionszeiten den vorhergenannten gerade entgegen-
gesetzt; wahrend die Leistung und die 0,6' -Zeiten in 11 unter dem
Einflusse des Schlussantriebs kraftig steigen, sinken die Additionszeiten
iiber 1,2" betrachtlich herab.
Tabelle H.
Versuch IV.
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
1,6
1,5
1,5
1,0
1,0
0,8
4,6 1 1,3
3,0
1,8
1,5
4,7
0,6
73,0
70,2
76,0
76,0
75,0
68,0
72,0 , 69,2
65,0
70,0
76,6
67,2
0,8
12,1
10,5
11,3
9,5
7,2
11,2
8,4
14,5
10,0
12,6
8,6
7,8
1,0
4,0
4,8
4,0
4,5
5,5
5,4
6,6 5,2
7,0
3,7
6,0
5,6
1,2
4,5
2,5
2,5
3,5
6,2
6,5
4,2 3,0
6,1
6,5
3,7
6,7
Ueber 1,2
4,8
4,5
4,7
5,5
5,1
8,1
4,2
6,8
8,9
6,4
3,6
8,0
Leistung
395
401
399
409
403
389
413
383
378
380
406
364
Wie im Versuch in konnen wir wohl auch hier die im Abschnitt
7 auftretende Verbesserung der Leistung, verbunden mit einer Ver-
mehrung des Procentgehalts an 0,4", auf die Wirkung eines Miidig-
keitsantriebs zuriickftthren.
Wesentlich anders sind die Resultate des Versuchs V (Tabelle IH).
In den beiden vorigen Versuchen batten wir eine regelmaBige
Zunahme der 0,6 "-Zeiten feststellen konnen, was wir als TJebungs-
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406
Georg von Voss.
wirkimg auffassten; hier dagegen finden wir nur im Abschnitt 1
einen ahnlich hohen Procentsatz von 0,6"-Zeiten; dann Wit er ganz
bedeutend ab. Entgegengesetzt verhalten sich die 0,4"-Zeiten; in
I. noch kaum vorhanden, erreichen sie in 5. eine sonst nicht be-
obachtete Hohe. Eine Erklarung fUr dieses Verhalten finden wir in
dem Ablauf der Leistung jenes Tages: wahrend wir an anderen
Tagen die Arbeitsleistung anfangs zunehmen sehen, bis sie in der
Mitte der Zeit ungefahr ihren Hohepunkt erreicht und dann wieder
abninmit, schwankt sie hier ganz unregebnaBig. Auffallend kraftig
ist die Wirkung des Schlussantriebs, der in 12 die Leistung auf das
Tagesmaximum erhebt. Da wir gleichzeitig auch einen deutlichen
Anfangsantrieb vorfinden, so miissen wir den Schluss ziehen, dass die
Leistung jenes Tages unter besonderen Antriebswirkungen stand, denen
vielleicht die UnregelmaBigkeit der Arbeit zugeschrieben werden darf .
Wir werden spater noch auf die Thatsache zuruckzukommen Ge-
legenheit haben, dass ein gehauftes Auftreten der 0,4'-Zeiten auch
als Antriebswirkung zu betrachten ist; die Vermehrung der Minimal-
zeiten auf Kosten der 0,6"-Zeiten bewirkt auch ein UnregebnaBig-
Tabelle ZU.
Versuch V.
Secunden
0,4
0,6
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,7
5,8
13,0
11,2
21,2
14,0
13,0
17,0
11,1 11,7
11,5 15,7
76,3
65,1
67,2
65,6
55,8
61,0
53,5
58,0
63,1 64,4
64,7 63,5
0,8
9,7
12,8
6,7
7,2
9,1
9,1
12,0
7,2
6,4
6,4
8,5 8,0
1,0
3,9
6,7
5,7
4,8
3,7
6,0
4,6
4,4
6,2
4,0
2,7! 5,7
1,2
4,8
4,5
4,2
3,9
4,5 5,4
7,0
4,7
4,2
5,3
5,2 4,8
Ueber 1,2
4,6
3,1
3,2
7,3
5,7
4,5
10,0
8,7
9,0
8,2
7,4; 2,3
Leistung
415, 402
420
412
409
430
393
•
406
380
380
409
442
werden der Arbeit. Die Zeiten uber 1,2" zeigen von 7 an eine starke
Zunahme ; nur zum Schlusse nehmen sie, entsprechend dem Verhalten in
friiheren Versuchen, mit dem Anwachsen der Leistung betrachtlich ab.
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Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistang.
407
Der Versuch VI (Tabelle IV) zeigt fast iiberall einen hohen Pro-
centsatz an 0,6"-Zeiten; demgemaB ist auch die Leistung recht gleich-
maBig. Ein deutlicher Anfangsantrieb ist vorhanden; die Zahl der
iiber 1,2" betragenden Additionszeiten ist in 1 sehr gering, steigt in
2 stark an, entsprechend dem Nachlass der Leistung, sinkt von da
ab bis 7 und steigt dann wieder etwas. Wir sehen in 4, auf der
Hohe der Leistung, einen ganz geringen Procentsatz der extremen
Werthe von 0,4" und iiber 1,2"; es ist also wesentlich die Haufigkeit
der Zeiten von 0,6" (und 0,8"), welche die GleichmaBigkeit der Ar-
beit und zugleich die Hohe der Leistungen bestimmt.
Tabelle IV.
Versuch VI.
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4 1
1,5! 1,5
1,0
1,0
8,0
3,5 5,0
4,5
2,0 0,5
2,0
1,5
0,6
68,5
69,5
78,0
76,0
71,5
75,5 I 76,0
81,0
72,5
77,5
71,5
71,5
0,8
18,0
14,0
8,5
13,0
11,5
10,5
9,5
7,0
11,5
6,5
11,5; 8,5 1
ho
6,5
4,0
6,5
5,0
5,0
4,5
5,0
2,0
5,0! 7,0
5,5
8,0
1,2
3,0
3,5
2,5
4,0
1,5
2,5
2,0
2,0
5,0 ' 3,0
4,0 6,5 1
Ueber 1,2
2,5
7,5
3,5
1,0
AS
3,5
2,6
3,5 4,0
5,5
5,5
4,0
Leistung
423
398
419
444
440
437
440
441
412
401
4U1
399
Im Versuch VII (Tabelle V) bemerken wir den sehr geringen Pro-
centsatz an 0,4"-Zeiten. Wahrend die 0,6"-Zeiten unter dem Einflusse
der Uebung stetig, wenn auch nur langsam zugenommen haben, ist dies
bei den 0,4 "-Zeiten nicht der Fall. Wir diirfen daraus den Schluss
Ziehen, dass die Uebung bei V. die Zahl der ganz kurzen Zeiten nicht
vermehrt, sondem eher vermindert, dass also die Verbesserung der
Leistung unabhangig ist von der Verkiirzung einzelner Additions-
zeiten. Die Uebung fuhrt vielmehr eine groBere GleichmaBigkeit der
Arbeit dadurch herbei, dass sich die von vomherein am haufigsten
aufgetretenen Zeiten von 0,6" stetig vermehren. Was von den ganz
kurzen Zeiten gesagt wurde, gilt ahnlich fiir die ganz langen. Auch
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408
G«org von Voss.
die Zeiten iiber 1,2" nehmen mit fortschreitender Uebung allmahlich
an Zahl ab; einer voriibergehenden Abnahme der Leistung entspricht
fast regebnafiig eine Zunahme dieser Zeiten und umgekehrt.
Tabelle V.
Versuch VII.
Secnnden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
0,5
1,0
0,5
0,0
0,5
1,0
4,5
2,0
2,5
3,5
1,0 2,5
0,6
74,5
74,5
76,0
75,5
78,0
77,5
79,0
71,0
67,5
68,5
69,5
71,5
O.S
12,5
14,0
11,0
14,0
11,5
11,5
7,0
13,0
14,5
12,5
16,5 ! 10,5
1,0
6,0
7,0
4,0
6,0
5,0
5,5
4,0
5,5
7,5
8,0
4,0
6,5
1,2
4,5
2,0
4,0
2,5
1,5
2,0
2,5
4,0
3,5
5,0
3,0
5,5
Ueber 1,2
2,0
1,5
J^
2,0
3,5
2,5
3,0, 4,5
4,5
2,5
6,0
3,5
Leistung
443
430
425
447
442
439
440
423
405
416
425
420
Dieses Verhalten konnen wir im Versuch "VUJL (Tabelle VI)
deutlich beobachten. In den Abschnitten 3, 7 und 9 sinkt die
Leistung betrachtlich, wahrend zugleich die Zeiten iiber 1,2" jedesmal
stark zunehmen. Der Procentgehalt an (),6"-Zeiten ist gegen die friiheren
Versuche nicht gestiegen; eher findet sich eine geringe Abnahme.
Die Ermiidung beginnt sich im 6. Abschnitt geltend zu machen
und kennzeichnet sich durch eine allmahliche Abnahme der 0,6"-
Zeiten. Von 10 an hebt sich die Leistung wieder bedeutend. Wir
diirfen diese Thatsache wohl auf die Wirkung eines Schlussantriebs
am Ende der ganzen Versuchsreihe zuriickfUhren; die letzte Willens-
anstrengung, verbunden mit dem Gefiihl der Befriedigung uber den
erreichten Abschluss vermochte die Ermiidung wahrend der letzten
Viertelstunde fast voUig zu verdecken.
Den Ausfall des ersten Versuches von K. giebt die Tabelle VII.
Die Arbeitsleistung ist in demselben recht gleichmaBig; sie zeigt ein
fast ununterbrochenes allmahliches Ansteigen vom zweiten bis zum
vorletzten 5-Minutenwerth. Im ersten Werthe macht sich eine deut-
liche Antriebswirkung, im letzten die Ermiidung geltend; vielleicht
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Ueber die Schwankungen der geistigeo Arbeitsleistung.
409
Tabelle VI.
Versuch Vm.
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
6,4
1,«
1,5
0,0
0,0
5,5
7,0
1,5
1,0
4,5
4,5
4,0
5,0
0,6
71,0
76,0
72,0
76,0
75,0
72,5
69,0
72,0 \ 66,5
75,0
71,5
72,2
0,8
1,0
14,5
14,0
13,0
10,5
8,0
7,0
12,0
12,0110,5
9,5
9,5
12,2
8,0
4,5 1 5,5
6,0
6,5
6,0
7,5
7,0
6,0
5,5
8,0
4,4
1,2
3,0
1,5
3,0
3,0
2,5
4,0
4,0
3,0
5,0
3,0
3,5
4,0
Ueber 1,2
2,5
2,5
6,5
4,5
2,5
3,5
6,0
5,0' 7,5
2,5
3,5
2,2
Leistung
441
442
418
42(1
451
456
403
429
406
447
442
436
ist aber auch der vorletzte Werth schon etwas durch Antrieb beein-
flusst. Die Vertheilung der einzelnen Additionszeiten in den ver-
schiedenen Versuchsabschnitten zeigt uns einen ziemlich hohen Pro-
centsatz der 0,6'-Zeiten. Der Gang dieser Werthe entspricht im
groBen und ganzen demjenigen der Arbeitsleistung. Namentlich das
Anwachsen vom 2. bis zum 5. Werthe, das Sinken am Schlusse, die
Tabelle VH.
Versuch I (K.).
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
T,y
3,7 1 5,0
4.1
3,7
3,3
3,9
4,2
3,5
7,5
4,5
4,5
0,6
52,5 36.7 I 52,7 ' 58,0
62,3
50,2
52,3
54,5
55,5 ! 52,5
57,0
53,5
0,8
22,2
20,2
17,0
12,2
13,0
17,2
16,0
12,3
15,5
15,0
10,5
17,0
1,0
7,5
11,2
8,3
9,7
6,0
10,3
9,0
10,5
9,0
8,5
8,2
7,0
1,2
7,2
7,5! 5,4
1
6,0
4,5
9,7
6,0' 7,5
7,5
6,5 6,3
6,5
11,5
Ueber 1,2
6,5
14,7
11,6 10,0
10,5
9,3
12,8
11,0
9,0
10,0 '13,5
Leistung
322
294
316
322
326
334
337
339
343
340 351
322
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410
Georg ?on Voss.
hohen Werthe am Anfang und im 11. Abschnitte deuten auf die
inneren Beziehungen zwischen Arbeitsleistung und Haufigkeit der
0,6'-Zeiten bin, wenn sich auch sonst zahlreiche Abweichungen finden.
Die Zeiten von 0,4" batten wir friiber als Begleiter des Antriebs
kennen gelemt. Hier konnen wir diese Bedeutung nur in bescbranktem
MaBe wiederfinden. Im ersten und in den 3 letzten AbscHnitten
treten sie etwas starker bervor, aber aucb im 3., scbwacber im 8.
und 4., in denen sonstige Zeicben von Antrieb nicbt nacbweisbar
sind. Dagegen finden wir im ersten Abscbnitt auff allend wenig Wertbe
von iiber 1,2". An den iibrigen Additionszeiten fallt uns die gleicb-
maBige Vertbeilung auf; kein Versucbsabscbnitt zeicbnet sicb durch
besonders starke Abweicbungen aus. Eine gewisse Neigung zur Ver-
minderung konnen wir in den 0,8 "-Zeiten feststellen.
Gegeniiber der Leistung des ersten Tages zeigt Vers. 11 (Tab. Viil)
einen betracbtlicben Uebungsfortscbritt. Unter dem Einflusse eines
kleinen Antriebs beginnt die Arbeit recbt bocb, sinkt darauf etwas und
Tabelle Vm.
Versucb H (K.).
Secunden ^ 1
2 3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
2,0
r^i
3,1
7,1
7,0
7,1
4,5
7,0
4,5
3,1
3,4
2,0
0,6
0,8
59,1 ^60,8160,2
60,1
65,8
62,9
66,2 56,0
60,6
58,5
66,0
63,0
16,6
14,0
13,1
n,6
8,4
16,1
12,5 15,0
16,5
16,1
13,1
14,0
1,0
10,2
9,0
7,6
5,7
7,3
3,7
6,8
5,4
6,5
7,6
7,0
8,6
J, 2
5,6
5,2
6,5
6,0
5,0
4,5
3,5 1 5,0
3,5
6,7
4,9
6,9
Ueber 1,2
6,5
8,3
9,5
9,5
6,5
5,7
6,5 11,6
1 8,5
8,0
5,6
6,5
Leistung
373
365
36T
363
368
380
375
354
368
367
388
373
bebt sich dann bis zum 7. Abscbnitt. Im 8. Abscbnitt folgt ein recbt
steiler Abfall, dann eine kleine Erbebung, wieder ein Sinken und
endlich steigt die Leistung unter dem Einfluss eines Scblussantriebs
nocbmals an. Der Procentgebalt an Zeiten liber 1,2" ist im ersten
Abscbnitt unter dem Einfluss des Antriebs ziemlich gering. Gregen-
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Ueber die Sehwankungen der geistigen Arbeitsleistang.
411
iiber dem vorhergehenden Versuche ist der Procentsatz an 0,4'-Zeiten
ein wenig gestiegen, was auf eine Vermehrung der Antriebswirkiingen
hindeuten diirfte; die 0,6'-Zeiten haben deutlich zugenommen, wah-
rend die Zeiten von 0,8" und liber 1,2" vermindert sind. Auch hier,
wie im vorigen Versuch, ist das Verhalten aller Additionszeiten vom
Anfang bis zum Ende recht gleichmaBig.
Der Versuch IH (Tabelle IX) beginnt ohne Antrieb ; die Leistung
steigt langsam, unter unbedeutenden Sehwankungen bis etwa zum
8. Abschnitt; von hier an beginnt sie ebenso gleichmaBig zu fallen.
Tabelle IX.
Versuch EDE (K.).
Secunden
' » Ll
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
1,5 1 2,2! 0,9
1,5
2,2
1,9
0,8
4,5
2,0
1,0
1,0
0,8
0,6
69,2 ' 67,7
71,2
69,0
70,0
70,4 '71,5
74,9
09,8
65,0
67,8
64,1
0,8
15,0 15,0
12,0
12,0
12,3
12,2 10,5
9,4
13,0
11,5] 13,2
13,2
1,0
7,5
5,6
6,4
6,2
5,6
6,2 9,5
5,2
4,8
8,0
5,5
7,4
1,2
3,0
5,0
5,3
3,8
5,0
4,5 3,2
3,0
5,0
5,5
6,0
6,8
Ueber 1,2
3,8
4,5! 4,2
7,5
4,9
4,8 i 4,5
3,0
5,4
9,0
6,5
7,7
Leistung
402
402
411
393
414
416
409
414
399
389
392
392
Der Einfluss der fortschreitenden Uebung zeigt sich hier deut-
Uch: die Zeiten von 0,6" haben ganz bedeutend zugenommen, wahrend
die von 0,4, 0,8 und iiber 1,2" gesunken sind. Im 9. Abschnitt
kSnnen wir zum ersten Mai eine deutliche Ermiidungswirkung beob-
achten: von diesem Abschnitt an sinken die Zeiten von 0,6", wah-
rend die iiber 1,2" betragenden steigen. Sehr gering ist im ganzen
Versuch der Procentgehalt an. 0,4 "-Zeiten; halten wir diese That-
sache mit dem Fehlen der Antriebswirkungen am Schlusse und An-
fang zusammen, so scheint darin wieder eine Bestatigung des Parallelis-
mus im Auftreten des Antriebs und der ganz kurzen Zeiten zu liegen.
Anders verhalt sich der Versuch IV (Tab. X); schondie 5-Minuten-
leistungen zeigen betrachtliche Sehwankungen, die uns auf eine
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412
Georg von Voss.
veranderte Arbeitsweise hindeuten. Der Procentgehalt an 0,6"-
Zeiten hat nur wenig zugenommen; im 2. Abschnitt, dem MiTiiTniini
der Leistung, sinkt er bis auf die mittlere Hohe des ersten Versuchs-
tages herab; zugleich ist der Procentsatz an 0,4 und 0,8" wieder ge-
stiegen. Die Zeiten Uber 1,2 haben abgenommen, steigen aber in
12 ganz bedeutend an. Die Vermehrung der extrem kleinen Zeiten
deutet auf Antriebswirkungen bin. Aus allem Gesagten geht hervor,
dass, im Gregensatz zu der ruhigen und gleichmllBigen Arbeitsweise
des ersten und dritten Versuchstages, der vierte uns das Bild einer
sprunghaften und ungleichmaBigen Arbeit darbietet. Wir diirfen wohl
annehmen, dass K. an diesem Tage bedeutend schlechter disponirt
war als an den vorausgehenden, und dass er bestrebt war, diesen
Ausfall durch Antriebswirkungen auszugleichen.
Tabelle X.
Versuch IV (K.).
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
It
12
0,4
0,5
3,6
8,5
5,7
3,8
7,0
4,5
IsJ
5,5
3,4
3,0
3,6
0,6
61,0 56,5 ; 62,0 62,0
66,6
71,9
76,0 '71,2
72,0
73,5 73,4
64,8
0,8
22,0
17,5 13,6 16,2
14,7
10,5
9,0, 8,4
11,5 13,6
1
10,1 16,0
1,0
7,5
9,0 i 6,3 6,3
5,5
6,0
4,0 1 6,0
5,0 1 6,0
7,2 1 6,0
1
1.2
Ueber 1,2
Leistung
4,0 1 8,5 6,6 4,1
5,5
Al
3,0 4,8
3,5
2,4
3,2' 3,6
1
5,0 5,0 1 3,0 1 5,7
3,9
2,5
3,5 4,3
2,5
1,1 1 3,1
6,0
404
384
413
419
416
455
450
430
436 ! 464
1
444
411
Von den 4 Versuchen an D. sind leider nicht alle fUr unsere
Berechnungen verwendbar gewesen; die letzten 10 Minuten des zweiten
Tages und der ganze vierte Tag mussten wegen technischer Mfi-ngel
fortgelassen werden. Am dritten Tage veranderten wir die Versuchs-
anordnung in folgender Weise: Nur die erste Viertelstunde wurde
fortlaufend addirt; dann wurde mit Wechsel zwischen Arbeit und
Pausen von je 5 Minuten Dauer 50 Minuten lang fortgefahren. Wir
erhielten auf diese Weise einen »durchbrochenen Versuch*, nach dem
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Ueber die SchwaiikaDgen der geistigen ArbeitsIeistuDg.
413
Vorgange Amb erg's. Der durchbrochene Versuch wurde mit der
Absicht angestellt, die Wirkung der Pausen zu studiren. Leider
konnte der folgende 4. Versuch fur unsere f einen Berechnungsmethoden
nicht ausgenutzt werden; dadurch wurde die Deutung der Resultate
des dritten Tages sehr erschwert.
Die Anfangsleistung D.'s (Tabelle XI) steht weit unter derjenigen
• der zwei ersten Versuchspersonen. Die 5-Minutenwerthe wachsen
bis zum Schluss des ersten Tages recht gleichmaBig an. Ln ersten
Abschnitt findet sich eine geringfiigige Antriebswirkung. Der Ein-
fluss der Ermiidung lasst sich nicht nachweisen.
Tabelle XL
Versuch I (D.).
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
0,4
1,0
0,0
0,0
2,5
2,3
0,5
0,9
3,6
0,0
2,7
2,8
1,2
0,6
2,0
4,6
11,1
11,7
22,9
20,0
29,0
21,6
13,5
25,4
18,7
19,0
0,8
13,0
10,4
23,6
27,7
18,4
23,0
22,8
29,3
35,4
25,4
41,0
31,5
1,0
18,0
16,8
20,1
19,7
22,9
22,6
16,0
19,5
21,1
12,5
16,5
19,4
1,2
19,0
29,5
19,6
16,9
13,0
16,9
15,5
7,2
14,4
12,0
8,0
12,4
Ueber 1,2
47,0
38,7
25,6
21,5
20,5
17,0
15,8
18,8
15,6
22,0
13,0
16,5
Leistung
178
173
199
213
223
225
241
222
237
221
246
242
Sehr auffallend ist das Verhaltniss der Additionszdten im Ver-
such I: im ersten Abschnitt ist fast die Halfte sammtlicher Addi-
tionen in Zeiten von iiber 1,2" ausgefiihrt worden; 0,4, 0,(5 und 0,8"-
Zeiten treten sehr stark zuriick. Dieses Verhalten andert sich aber
bald; der Procentgehalt an 0,8" steigt recht betrachthch; auch die
0,6" nehmen, wenn auch langsamer als die vorigen, zu. Die Zeiten
iiber 1,2" und die von 1,2" nehmen hingegen regelmaBig ab; nur
zum Schluss macht sich eine kleine Steigerung in Folge von Er-
miidungswirkung geltend. In diesem Versuche nehmen die 0,8" die
bevorzugte Stellung ein, die bei den 2 ersten Versuchspersonen den
0,i5"- Zeiten zukam. Die groBe Zahl der langeren Additionszeiten
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414
Georg von Voss.
(1,0 bis liber 1,2") deutet darauf bin, wie langsam D.'s Arbeitsweise
anfangs war; das fast voUige Fehlen der Zeiten von 0,4" spricbt hin-
gegen fur eine gewisse Stetigkeit der Leistung.
Betrachtlich iiber der Scblussleistimg des ersten Tages steht
der erste 5-Minutenwerth des zweiten Versuches (Tabelle XTT);
er befindet sich unter dem Einfluss eines kleinen Antriebs. Dann
steigt die im zweiten Abschnitte ein wenig gesunkene Leistung bis*
zum Schluss langsam an; doch finden wir im 7. Abschnitt einen
auffallenden Nachlass, der wobl nicht als Ermiidungswirkung auf-
gefasst werden kann und daher vielleicht auf eine vorubergehende
Tabelle Xn.
Versuch 11 (D.).
Secunden
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
0,4
0,0 1,2
0,4
1,5
1,1 2,5
2,8
1,6
3,4
3,0
0,6
15,9 10,1
13,9
23,5
18,0 I 28,5
28,1
45,7
45,0
49,0
0,8
45,8 j 33,3
40,4
44,0
45,4 33,5
40,5
31,2
33,9
35,6
1,0
22,5 32,0
25,8
17,0
20,9 ' 18,1
11,6
14,2
10,0
6,0
1,2
6,5 14,6
10,5
9,0
6,6 9,7
9,5
3,7
3,9
4,2
Ueber 1,2
9,3
8,8
9,0
5,0
8,0
7,'
7,5
3,6 3,8
2,2
Leistung
277
267
267
285
273
277
242
302 307
315
Stoning zuriickgefuhrt werden muss. Die 0,S"- Zeiten behaupten
ihre am Schluss des ersten Versuchs gewonnene herrschende Stel-
lung; die 0,6 "-Zeiten treten gar nicht hervor. Recht betrachtlich,
wenn auch etwa 5mal geringer als am Anfang des vorigen Ver-
suchs, ist die Zahl der liber 1,2" betragenden Zeiten. Im Laufe
des Versuchs andert sich das Verhaltniss der Additionszeiten sehr
allmahlich, aber ganz stetig: die Zeiten von 0,8" und liber 1,2" nehmen
ab und die 0,6"-Zeiten steigen so lange, bis sie im Abschnitt 10 die
gleiche Stellung einnehmen, wie die 0,8"-Zeiten am Anfange dieses
Tages. Die Zeiten iiber 1,2" sind in 10 nur ganz gering an Zahl;
iiber 80 Procent sammtUcher Additionszeiten bilden diejenigen von
0,6 und 0,8", ein Beweis fiir die langsame und gleichmaBige Arbeits-
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Ueber die Schwanknngeu der geistigen Arbeitsleistang.
415
weise von D.! Auch in diesem Versuch spielen die sehr kurzen
Additionszeiten von 0,4" gar keine RoUe, was wieder auf das Fehlen
der Antriebswirkungen hinweist.
Tabelle XIH. i)
Versuch HI (D.).
Secunden
1
2
3*
4*
5*
6*
7*
0,4
1,0
3,4
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54,4
59,8
82,9
11,4
69,0
23,7
80,0
13,5
0,8
29,5
26,8
13,8
1,0
7,5
4,5
0,5
1,1
0,4
0,4
2,3
1,0
1,0
2,0
0,5
0,2
2,5
1,2
4,8
2,7
0,5
1,0
Ueber 1,2
2,8
2.8
0,2
' 0,5
Leistung
323
328
417
420
405
421
414
Der Versuch III (Tabelle XTTT) begann mit einer f ortlauf enden
Arbeit von 15 Minuten, von denen die letzten 5 Minuten fiir unsere
Methode der Berechnung unbrauchbar waren; darauf folgte der »durch-
brochene Versuch «. Die Leistung zeigt zunachst ein langsames An-
steigen; nach der ersten Pause erreicht sie eine bedeutende Hohe. Der
Sprung von 2 zu 3 * ist zu groB, als dass wir ihn nur als Uebungswirkung
betrachten konnten ; vielmehr miissen wir einen ursachlichen Zusammen-
hang mit der vorausgegangenen Pause annehmen. Auch in den Ab-
schnitten 4*, 5*, 6* und 7* bleibt die Leistung annahemd auf
gleicher Hohe. Ermiidungswirkungen sind nicht nachweisbar. In
Abschnitt 1 hat sich das Verhaltniss der 0,6" zu den 0,8"-Zeiten
gegeniiber dem Abschnitt 10 des vorhergehenden Tages noch zu
Gunsten der ersteren verandert; wir diirfen daraus schlieBen, dass
gegen Ende des Versuchs die Ermiidung das Auftreten der 0,6"-
Zeiten etwas beeintrachtigt hatte. Sehr gering ist der Procentgehalt
*) Die mit einem * versehenen Abschnitte folgen auf die 5-Minuten-
pausen.
Kraepelin, P^ycholog. Arbeiten. U. 28
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416 ^^^i ▼on Vo88.
an langen Additionszeiten; ebenso verhalt es sich im 2. Abschnitt,
in welchem die 0,6"-Zeiten noch immer zunehmen. Nach der ersten
Pause verhalten sich die Additionszeiten ganz anders; die 0,6"-Zeiten
haben eine maximale Hohe erreicht, die in keinem Abschnitte aller
bisher besprochenen Versuche beobacht^ct wnrde. Alle anderen Addi-
tionszeiten, mit Ausnahme der 0,8", sind fast vollig verschwunden ;
mithin hat die Arbeit beinahe das Maximum der GleichmaBigkeit
erreicht. Ganz ahnlich verhalt sich der Abschnitt 4*, wahrend in
5* die Zeiten von 0,6" zu Gunsten der 0,8" sich recht stark ver-
mindert haben. Wir sind nicht geneigt, diese Thatsache als Er-
miidungswirkung aufaufassen; viehnehr mochten wir darin nur einen
geringen Nachlass des Arbeitseifers erblicken. Diese Erklarung scheint
uns wenigstens durch das Verhalten des Abschnittes 6* gestiitzt zu
werden; derselbe bietet im wesentlichen das gleiche Bild wie 3* und
4*. Auch 7* zeigt bis auf eine geringe Zunahme der 0,4" keine
Abweichungen. In diesem Versuche finden wir keine Antriebswir-
kungen, doch ist die Zahl der 0,4"-Zeiten gegenttber den anderen
Versuchen etwas gestiegen. Diese Thatsache konnte vielleicht zu den
Pausen in Beziehung stehen.
Die Veranderungen des Verhaltens der einzelnen Additionszeiten
unter dem Einflusse der Uebung und der anderen Arbeitsfactoren
lassen sich in folgender Weise zusammenfassen:
Bei alien drei Versuchspersonen bewirkt die Uebung eine lang-
same Zunahme der Additionszeiten von 0,6", femer eine Abnahme
der mehr als 1,2" betragenden Zeiten. Die Arbeit wird unter dem
Einfluss der Uebimg gleichmaBiger. Die Uebung vermehrt die An-
zahl der ganz kleinen Zeiten von 0,4" nur bei D. in geringem Grade;
bei K. andert sich der Procentgehalt an 0,4"-Zeiten wenig, bei V.
nehmen dieselben sogar ab. Daraus scheint uns zu folgen, dass die
Uebung die Additionszeiten nur bis zu einem gewissen Grade, nicht
aber bis auf 's MindeatmaB verkiirzt.
Die Ermiidung hatte stets eine der Uebung entgegengesetzte
Wirkimg: sie verminderte die 0,6" und vermehrte die liber 1,0" be-
tragenden Zeiten.
Der Antrieb bewirkt eine rasch einsetzende und verschwindende
Beschleunigung der Arbeit. Er verkiirzt die einzelnen Additions-
zeiten bis auf das MindestmaB von 0,4". Gleichzeitig nehmen oft die
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Ueber die Schwaiikuegen der geistigen ArbeitsleistuDg. 41 7
0,6"-Zeiten ab (vgl. Versuch V [V.]); die Arbeit wird dadurch un-
gleichmaBiger.
Die Einflusse schlechter Disposition treten uns am deutlichsten
in den Versuchen V (V.) und IV (K.) entgegen.Die Leistung ist in
diesen Fallen ungleichmaBig und zeichnet sich durch ausgepragte
Antriebswirkungen aus.
III. Die Abweichangen vom Mittelwerth.
Wir gehen nunmehr iiber znr Betrachtung der GroBe der Ab-
weichimgen vom Mittelwerthe und wollen zunachst noch in Kiirze
auf die Besonderheiten der Berechnungsmethode aufmerksam machen.
Die fiir jede 5 Minuten bestimmte Mittelzone — M.-Z. — giebt uns
ein Bild der steigenden oder sinkenden Leistung. Die innerhalb der
M.-Z. gelegenen Werthe konnten nur geringen Unterschieden in der
Arbeitsgeschwindigkeit entsprechen; die Zahl der iiber oder unter
der M.-Z. gelegenen Werthe giebt uns einen Begriff davon, wie viele
starkere Abweichungen in jedem 5-Minutenabschnitte vorkamen. Wir
beriicksichtigen in dieser Berechnung also nur die GroBe der Ab-
weichungen und vergleichen die Anzahl der nach oben oder unten
gerichteten Abweichungen mit den in der M.-Z. gelegenen Werten.
Im Versuch m (vgl. Tab. XIV) nimmt die Zahl der in der 1^.-Z.
gelegenen Werthe bis zum 5. Abschnitte zu. Von da an bemerken
wir eine Abnahme derselben, wahrend dem entsprechend die Ab-
weichungen nach oben und unten zunehmen; im 12. Abschnitt sehen
wir unter dem Einfluss des Schlussantriebs die Zahl der Abweichungen
nach oben hin stark anwachsen. In den Abschnitten, die eine ge-
ringe Leistung aufweisen, beobachten wir regelmaBig eine Zunahme
der auBerhalb der M.-Z. gelegenen Werthe. Im Versuch IV ist die
Zahl der innerhalb der M.-Z. gelegenen Werthe bedeutend groBer
als im vorhergehenden, aber nur bis zum 7. Abschnitt; von da ab
sinkt dieselbe stark. Am allerungUnstigsten ist das Verhaltniss in 10
und 12. Die Ermiidung macht sich in diesem Versuch schon friih
/in 6) bemerkbar; Abschnitt 7 zeigt uns eine Verbesserung der Leistung
imd des Verhaltnisses der Zahlenwerthe, die wir, wie in der ersten
Betrachtimg desselben Versuchs, auf den Miidigkeitsantrieb zuriick-
flihren konnten.
28*
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418
Georg TOD Voss.
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Versuch V
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Ueber die SehwankuDgen der geistigen Arbeitsleistung.
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420 Georg von Voss.
Ganz anders verhalt sich der VersuchV; das Verhaltniss der
inn'erhalb der M.-Z. gelegenen Werthe zu den auBerhalb liegenden
ist mit alleiniger Ausnahme des ersten und des letzten Abschnittes
recht imgiinstig. Es haufen sich also die groBen Abweichimgen in
diesem Versuch; die Leistung ist sehr imregebnaBig. Das gunstigere
Verhaltniss der Werthe in 1 und 12 diirfen wir vielleicht auf Antriebs-
wirkung zuriickfuhren. Diese Auffassung widerspricht anscheinend
^der von uns bei imserer ersten Betrachtimgsweise gemachten Annahme,
dass der Antrieb die Arbeit ungleichmaBig mache durch Haufung
sehr kleiner Additionszeiten. Wir miissen aber in Betracht ziehen,
dass die hier angewandte Berechnimgsmethode nicht die einzelnen
Additionszeiten beriicksichtigt, sondem nur die groben Abweichungen
hervortreten lasst. Die BElufung dieser letzteren ist eine Ermiidiings-
wirkung. Es ist daher leicht erklarlich, dass der Antrieb die An-
zahl der Abweichungen herabsetzt, auch wenn die kleinen, durch die
Zusammenfassung verloren gehenden Schwankungen der Additions-
zeiten zunehmen. Die Lage der M.-Z. ist in 12 hoher aJs in alien
bisher geschilderten Versuchen.
Im Versuch VI ist das Verhaltniss der innerhalb der M.-Z. gelege-
nen Werthe zu den groBen Abweichungen viel giinstiger. In den
Abschnitten 3 — 8 muss die Arbeit recht gleichmaBig gewesen sein;
dann machen sich wieder Ermudungswirkungen geltend und mit der
Lage der M.-Z. selbst sinkt auch die Zahl der innerhalb derselben
gelegenen Werthe betrachtlich.
Aehnlich verhalt sich der Versuch VIL ; auch hier beginnt die
Verschlechterung der Leistung mit der Zunahme der groBen Ab-
weichungen im 9. Abschnitt. Von 1 — 8 ist die Zahl der innerhalb
der M.-Z. gelegenen Werthe recht bedeutend. In beiden Versuchen
VI und Vn liegt die M.-Z. recht hoch. Aehnlich verhalt sich der
Anfang desVersuchs VUI, wahrend gegen das Ende desselben die Lage
der M.-Z. ofters wechselt imd auch nicht so hoch ist wie in den 2
vorhergehenden Versuchen. Auffallend ist das Sinken der M.-Z. im
3. Abschnitt; zugleich erreicht die Zahl der groBen Abweichungen
hier fast diejenige der M.-Z.-Werthe. Der am Ende der Versuchs-
reihe auftretende starke Schlussantrieb hebt die M.-Z., die unter der
Wirkung der Ermiidung gesimken war, wieder empor, besonders stark
in 10; doch ist diese Wirkung offenbar nur sprunghaft, vorubergehend.
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Ueber die SehwaukDngen dei geistigen Arbeitsleistung.
421
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422 Georg von Voss.
Die GleichmaBigkeit der Arbeitsweise von K., die uns in der
procentischen Vertheilung der Additionszeiten entgegentrat , findet
ihre voile Bestatigung bei der Betrachtung der GroBe der Ab-
weichungen. Es fallt uns sofort auf, dass im Versuch I die Mittel-
zone einzig iind allein im 2. Abschnitt ihre Lage andert; sie sinkt
hier mit der Leistung. Die Anzahl der groBeren Abweichungen ist
nicht bedeutend, meist geringer als diejenige der innerhalb der M.-Z.
gelegenen Werthe.
Im Versuch 11 ist die Lage der M.-Z. vom Anfang bis zum Ende
unverandert, das Verhaltniss der Abweichungen zu den Mittelwerthen
fast durchweg gunstig. Ganz ahnhch ist das Ergebniss des VersuchsIII,
nur dass hier die M.-Z. sich voriibergehend erhebt, ohne dass da-
durch das gtinstige Verhaltniss der Mittelwerthe zu den auBerhalb
gelegenen sich andert. Der unter dem Einfluss ungiinstiger Tages-
disposition stehende Versuch 4 zeigt mehrfachen Lagewechsel der
M.-Z., und zwar sinkt sie im 2. Abschnitt herab, steigt dann iiber
die Anfangshohe hinaus, sinkt im 8. auf die Anfangshohe, iiber die
sie sich in 10 nur noch einmal voriibergehend erhebt. Diese Erhebung
der M.-Z. und das anfangliche Sinken derselben sind das einzige
Kennzeichen der ungleichmaBigen Arbeitsweise jenes Tages. Das
Verhaltniss der Mittelwerthe zu den auBerhalb der M.-Z. gelegenen
ist in diesem Versuche giinstiger als in den vorhergehenden.
Die Zahl der Abweichungen von der M.-Z. ist in den
D.'schen Versuchen nicht bedeutend. Die M.-Z. des Versuchs I
beginnt, entsprechend der sehr geringen Anfangsleistung, ganz tief,
steigt darauf allmahlich bis zum 11. Abschnitt und sinkt wieder ein
wenig in 12. Die Zahl der innerhalb der M.-Z. gelegenen Werthe
ist sehr gleichmaBig; weitaus die Ueberzahl'gehort den Mittelwerthen
an. Im Versuch 11 steigt die M.-Z. immer hoher; die Zahl der
groBen Abweichungen ist nur gering. Die ersten 10 Minuten des
Versuches III zeigen uns wieder eine stetige Erhebung der M.-Z. Nach
der ersten 5-Minutenpause erreicht sie aber das Maximum ihrer
Hohe; wie der Procentgehalt an 0,6"-Zeiten, so wird auch die Hohe
der M.-Z. im durchbrochenen Versuch von keinem andem Abschnitte
erreicht. Dabei ist die Zahl der Abweichungen verschwindend klein.
Nur im Abschnitt 5*, in welchem wir auch eine Verminderung der
0,6''-Zeiten zu Gunsten der 0,8" fanden, sinkt die M.-Z. ein wenig;
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Ueber die Schwankangen der geistigeii Arbeitsleistiing.
423
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424 Georg ?on Voss.
sie erhebt sich in den 2 folgenden Abschnitten aber wieder auf ihre.
erste Hohe, iind aus der Thatsache, dass im Abschnitt 5* und 6*
keine Vennehrung der Abweichungen erfolgt, konnen wir schlieBen,
dass es sich nur um ein voriibergehendes Nachlassen, um keine Er-
mtidungswirkungen handelt.
Das Verhalten der Mittelzone und die Zahl der Abweichungen
nach oben und unten wird in folgender Weise beeinflusst:
Die Uebung bewirkt eine Erhebung der Mittelzone und ver-
mindert die Zahl der Abweichungen nach oben und unten.
Die Ermiidung zeigt sich im Sinken der Mittelzone und in
einer Zunahme der Abweichungen.
Der Antrieb scheint oft eine Zunahme der Schwankungen nach
oben zu bewirken, die sich unter Umstanden einfach in einer Erho-
hung der Mittelzone ausdriickt (s. Versuch VIU, 10; V).
Die schlechte Disposition macht sich bei V. (Versuch V) in
einer Verminderung der Mittelwerthe und Zunahme der Abweichungen
nach oben und unten bemerkbar. Bei K. (Versuch IV) pragt sie
sich bei dieser Betrachtungsweise gar nicht aus.
iV. Die Daner der Schwankungen.
Um Uber die zeitliche Dauer der beobachteten Schwankungen
ein Urtheil zu gewinnen, haben wir in der Tabelle XVll nach dem
frUher geschilderten Verfahren eine Uebersicht (uber die Haufigkeit
der verschieden langen Schwankungen in den VersuchenlH — Viii (V.)
gegeben. Die Tabelle giebt an, in welcher Zahl Schwankungen von
der Dauer zwischen 7/5 und 25/5" beobachtet wurden. Kurzere
Schwankungen kamen nur ganz vereinzelt vor; Schwankungen Uber
25/5" fanden sich ziemlich zahlreich und betrugen 180 bis 250, im
Mittel also 215 fiir jeden Versuch, doch zeigten sie keine besonderen
Eigenthiimlichkeiten und sind daher nicht im Einzelnen aufgefUhrt
worden.
Das Verhalten der dargestellten Schwankungen ist in alien Ver-
suchen Uberraschend einheitlich : wir sehen, dass ausnahmslos auf die
recht hohe Zahl der 7/5"-Schwankimgen zwei niedrigere Werthe fUr
8/5 und 9/5" folgen; dann erhebt sich die Zahl bei 10/5 und sinkt
bei 11/5 und 12/5" wieder. Sodann findet sich eine bedeutende Er-
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Ueber die Schwankuogen der geistigen ArbeitsleistuDg.
Tabelle XVIL
425
Schwankiin-
gen in 1/5"
1
1 m
IV
V
VI
vn
vm
7
45
38
37
33
50
40
8
20
30
25
23
33
22
9
37
32
21
17
26
17
10
41
52
33 •
41
39
40
11
38
37
25
23
25
30
12
31
34
28
21
37
39
13
40
49
43
42
54
44
14
37
27
38
36
27
38
15
29
33
36
27
24
35
16
36
39
33
35
41
37
17
36
28
33
22
26
31
18
26
21
30
19
13
22
19
20
33
34
33
20
30
31
21
21
26
22
20
21
21
29
26
35
18
13
20
22
22
21
19
28
26
23
23
26
20
21
17
23
14
21
24
18
24
12
8
14
25 1
20
24
21
21
24
18
Smnme aller
Schwan-
kungen
586
590
549
468
544
543
hebung bei 13/5, Abnahme bei 14/5 und 15/5; endlich zeigen 16/5
19/5, 22/5 und 25/5 meist noch eine Zunahme, wahrend die zwischen-
Kegenden Werthe zuriicktreten. Fassen wir diese Thatsachen zu-
sammen, so sehen wir, dass Schwankungen von 7,10 und 13/5" regel-
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426 Georg von Voss.
maBig, solche von 16/5 und 19/5" fast ausnahmslos, diejenigen von
22|5" in der Halfte der Versuche und die von 25/5" meist vor den
dazwischen gelegenen bevorzugt sind. Wir haben es hier also mit
einer deutlichen Periodicitat der Schwankungen zu thun.
Nicht nur zeigen Schwankungen von ganz bestimmter Dauer die
groBte Haufigkeit, sonderri die Schwankungen von groBter Haufig-
keit kehren auch in Abstanden von 3/5" immer wieder. Am starksten
vertreten sind dabei die Schwankungen von 13/5", ihnen nahe kommen
diejenigen von 10, dann die von 7 und endlich jene von 16, 19, 22
und 25/5"-Dauer.
Um nun das mehr oder weniger starke Hervortreten der bevor-
zugten Schwankungen in den einzelnen Versuchen zu verfolgen, ver-
gl^chen wir die Summe aller Schwankungen von 7, 10, 13, 16, 19
und 25/ 5"- Dauer in jedem Versuche mit der halben Summe aller
iibrigen Schwankungen bis zu 24/5". Die bevorzugten Schwankungen
uberwogen danach an Haufigkeit in den einzelnen Versuchen um
48, 95, 35, 58, 100 und 60. Vergleichen wir nun dieses Ergebniss
mit dem, was wir aus unseren. ersten beiden Berechnungsmethoden
iiber den Ausfall der einzelnen Versuche wissen, so wird es uns zu-
nachst auffallen, dass die Versuche IV, VI und VII, die sich durch
eine besonders gleichmaBige Arbeit auszeichneten, hier das starkste
Ueberwiegen der bevorzugten Schwankungen aufweisen, namentlich
IV und Vii. Der Versuch V war uns durch die UnregelmaBigkeit
der Leistung und die starken Antriebswirkungen aufgefallen ; in diesem
uberwiegen die bevorzugten Schwankungen am wenigsten. Wir dttrfen
vielleicht daraus schlieBen, dass der Antrieb die Periodicitat der
Schwankungen, wenn nicht zu verdecken, so doch zu vermindem
imStande ist.
Von groBtem Interesse ist das Ergebniss unserer Berechnung der
Dauer der einzelnen Schwankungen bei K., wie es uns die
Tabelle XVlil darstellt. Wir begegnen hier derselben Erscheinung
wie bei der ersten Versuchsperson: auf ein Maximum bei 7/5" folgt
eins bei 10 u. s. w., in regelmaBigen Abstanden von 3/5". Die
Maxima bis 16/5" treten in alien 4 Versuchen gleich klar hervor;
19/5 werden einmal von 18/5, 22/5 zweimal, 25/5 ebenfalls zweimal
von den vorhergehenden Zahlen Ubertroffen. In den 2 letzten Ver-
suchen bilden alle Zahlen, die um je 3/5" von einander entfemt sind.
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Ueber die Schwankangen der geistigen Arbeitsleutuug.
Tabelle XVIH.
427
Dauer der
Schwankun-
gen in y.^"
1
I
n
m
IV
7
46
64
49
66
8
32
26
24
36
9
33
29
29
24
10
48
51
65
54
11
55
53
42
41
12
47
41
44
33
13
52
71
56
56
14
50
52
42
42
15
49
47
37
47
16
57
55
47
60
39
17
18
35
29
37
42
25
29
33
19
35
1
47
36
47
20
21
34
24
31
21
37
26
21
28
32
22
1 37
22
35
23
29
26
24
27
24
27
17
22
19
19
30
18
25
24
Summe der
Schwan-
kungen
723
1
, 740
620
705
von 7/5" angefangen, deutliche Maxima. Passen wir, wie bei unserer
ersten derartigen Betrachtung, die Zahl der bevorzugten Werthe zu-
sammen iind subtrahiren davon die halbe Summe aller dazi^ischen
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42S G^org von V08&
liegenden, so erhalten wir folgende Zahlen: 51, 128, 122, 105. Es
findet sich wiederum eine Uebereinstimmung mit unseren friiheren
Ergebnissen, denn die beiden recht gleichmaBig gerechneten Versuche
II und in zeigen das starkste Ueberwiegen, wahrend der unter dem
Einfluss schlechter Disposition stehende vierte Versuch hinter seinen
Vorgangem zuriickbleibt. Das Verhaltniss der bevorzugten Werthe
unter einander ist folgendes: am h^ufigsten kommen Schwankungen
von 13/5"-Dauer vor, es folgen 7, 10, 16/5" und die iibrigen. Die
Anzahl der in der Tabelle angefuhrten Schwankungen gegeniiber
den vereinzelt vorkommenden einerseits sehr kurzen, andererseits
sehr langen Schwankungen ist in den K.'schen Versuchen recht be-
deutend; die lange Dauer einzehier Schwankungen mochten wir auf
die Annahme zuruckfuhren, dass sie aus mehreren kiirzeren durch
Verschmelzung entstanden sein diirften. Ihre Anzahl betragt etwa
160 — 200 in jedem Versuche.
Die Tabelle XIX giebt uns ein Bild von der Dauer der
Schwankungen in den D.'schen Versuchen. In I und II ver-
missen wir den bei V. und K. gefundenen Bhythmus fast vollig.
Wir finden Maxima, in I auf 11, 13, 19 und 20 und in II auf 7,
9, 11, 13, 17, 19, 22. Im letzteren Versuche scheint auch eine Art
RegelmaBigkeit vorzuliegen, und zwar waren es die ungeraden Zahlen,
die bevorzugt wurden: es konnte sich hier um eine Verkiirzimg der
Periodicitat handeln. Ein ganz anderes Bild bietet jedoch der
Versuch HI dar. In der Tabelle sehen wir imter HI a die Ergeb-
nisse der ersten 10 Minuten, unter b diejenigen des durchbrochenen
Versuchs. Unter a finden wir Maxima in 7, 10 und 11, 13 und
16 — was schon mehr an das Verhalten der friiher beschriebenen
Versuche V.'s und K.'s erinnert. Unter b tritt die 3/5" Periodicitat
mit einer einzigen imbedeutenden Ausnahme bei 22" vollkommen
deutlich wieder hervor.
Es ware nun von Interesse, eine Erklarung zu finden, wodurch
in den zwei ersten Versuchen D.'s die Periodicitat der Arbeits-
schwankungen verdeckt werden konnte. Andeutungen des bekannten
Rhythmus fanden sich llbrigens auch dort in der Bevorzugung der
13/5 und 19/5"-Schwankungen. Dass auch sonst eine relativ groBere
Haufigkeit der bekannten Zahlen vorlag, erhellt noch aus einem
anderen Umstande. Wenn wir wieder die Summe aller bevorzugten
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Ueber die Schwankaogen der geistigen Arbettsleistnng.
Tabelle XIX.
429
Dauer der
Schwankun-
gen in i 5'
1
I
n
a
I
b
7
5
25
17
13
8
4
6
2
4
9
17
39
5
10
1
10
19
28
13
11
32
30
14
6
12
20
21
3
3
13
35
42
12
18
14
32
27
4
8
15
31
27
4
3
16
29
30
8
16
17
24
36
3
7
18
25
18
5
7
19
39
29
4
19
20
41
22
4
7
21
23
12
24
6
5
22
23
6
11
23
22
21
1
12
24
25
19
18
3
7
20
16
4
8
Summe der
Schwan-
kimgen
438
456
111
160
Werthe mit der halben Summe der dazwischen liegenden Zahlen ver-
gleichen, so erhalten wir in den Versuchen I und 11 ein Uebergewicht
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430 Georg von Yoss.
von 6 und 39; in Ilia, d. h. wahrend der ersten 10 Minuten des
HE. Versuches, ein solches von 30, in lEIb, dem durchbrochenen
Versuche, von 55!
Bei unseren fruheren Betrachtungen war uns die anf anglich sehr
langsame Arbeitsweise D/s aufgefallen. Der Procentgehalt der 0,6"-
Zeiten war sehr gering, wahrend die ganz langen, iiber 1,2" betra-
genden Zeiten sich hauften. Ziehen wir nun in Betracht, dass bei
V. und K. mit der steigenden Uebung der Bhythmus sich immer
mehr verdeutlichte, dass er femer um so mehr hervortrat, je gl^ich-
maBiger die Arbeit von statten ging, so wird es uns vielleicht er-
klarlich scheinen, warum bei D. anf anglich diese Erscheinung nicht
deutlich hervortrat. Die neue Arbeit des'Addirens verursachte D.
anfangs viel groBere Schwierigkeiten als den anderen Versuchsper-
sonen; er hatte bei jeder einzehien Addition groBe Widerstande zu
iiberwinden. Es leuchtet ein, dass, je automatischer eine Arbeit vor
sich geht, um so deutlicher die physiologisch stattfindenden Schwan-
kungen hervortreten werden. Mit der im Versuche HI rasch anstei-
genden Uebung sehen wir auch bei D. den bekannten Rhythmus
erscheinen, welcher bis dahin verdeckt worden war.
Wie bei V. und K. so sind auch bei D. die Schwankungen von
13/5"-Dauer am meisten bevorzugt. Bei alien drei Versuchspersonen
hatte die Uebung einen bedeutenden Einfluss auf das Hervortreten
der bevorzugten Schwankungen. Wie schon mehrfach betont wurde,
tritt der Bhythmus um so klarer hervor, je gleichmaBiger die Arbeit
ist. Die GleichmaBigkeit der Arbeit ist aber abhangig von der
Uebung, wie wir schon friiher nachgewiesen haben.
Den Einfluss der Ermiidung konnten wir in unseren zusammen-
fassenden Tabellen nicht verfolgen.
Dass die schlechte Disposition, vielleicht infolge der mit ihr
auftretenden Antriebswirkungen, den Bhythmus der Schwankungen,
wenn auch nicht zu verdecken, so doch zu verringem im Stande ist,
beweisen die Versuche V von V. imd IV von K. In beiden Ver-
suchen bleiben die Maxima hinter denen der vorausgehenden Versuche
zuriick. —
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Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistung. 431
V. PersSnKche Yerscliiedeiiheiteii.
Als MaBstab fur die Beurtheilung der Leistung des ersten
Versuchstages konnen wir die von Oehrn gefundenen Zahlen be-
nutzen; die Hochstleistung bei seinen Versuchspersonen betrug in
der ersten Stunde 4739 ausgefuhrte Additionen, die Mindestleistung
2347 Zahlen.
Unsere Ergebnisse waren:
V. 3782
K. 3946
D. 2623
K. und V. bieten also eine mittlere Leistung, D. eine recht
geringe.
Die Arbeitsweise war bei K. und D. im ersten Versuche sehr
verschieden (V.'s erster Versuch war leider unbrauchbar). Wahrend
bei K. von vomherein der Procentgehalt an mittleren Additionszeiten,
wie 0,6 und 0,8", bei weitem iiberwiegt, sind bei D. die langen und
sehr langen Additionszeiten in der Ueberzahl. Dieses anfangliche
Verhalten andert sich bei K. nur ganz allmahlich, indem die Zeiten
von 0,6" langsam zunehmen; bei D. vermindem sich die langen Ad-
ditionszeiten sehr schnell, wahrend die 0,8" rasch, die 0,6" langsamer
anwachsen.
Beide Versuchspersonen arbeiten ziemlich gleichmaBig, D. noch
mehr als K., wie sich das aus der Thatsache ersehen lasst, dass die
Zahl der groBen Abweichungen von der Mittelzone bei K. viel be-
trachtlicher ist als bei D. Letzterer arbeitete sehr langsam, aber
ohne dass erhebliche Differenzen in der Zahl der innerhalb 5" aus-
gefuhrten Additionen vorkamen. Die Dauer der einzelnen Schwan-
kungen lieB bei K. von Anfang an die Bevorzugung bestimmter Zeiten
hervortreten, was bei D. nicht der Fall war; bei letzterem lieB sich
nur feststellen, dass am haufigsten Schwankungen von J 3/5" Dauer
aufgetreten waren; derselbe Werth war auch bei K. und V. in der
Mehrzahl der Versuche am meisten bevorzugt.
Die Berechnung des Uebungsfortschritts nach der von
Amberg angegebenen Methode ergab fur V. einen durchschnitt-
lichen taglichen Uebungszuwachs von 63,1 Zahlen fiir jede halbe
Stunde, wenn wir diesen Werth aus alien 8 Versuchstagen berechnen.
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II, 29
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432
Georg von Voss.
Tabelle XX.
Versuche'l .
von V. ;
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Summe
I
272
291
348
300
311
310
329
327
370
324
330
318
314
356
3782
n
362
345
350
368
381
362
362
352
354
350 317
4246
m
IV
378
370
373
386
397
398
372
391
370
350 1 366
4495
395
401
399
409
403
389
413
383
378
380
406 364
4705
V
415
423
402
420
412
409
450
442
430
393
406
380
380
411
409 1 442
4901
VI
393
419
444
437
439
440
441
412
405
406
401 j 399
5055
vn
443
441
430
442
2
425
418
3
447
440
423
416
425 420
5155
vm
420
4
451
5
456
403
429
447
442 436
5181
Versuche ,
von K. '
6
7
8
9
10
11
12
Summe
I 322
294
365
316
322
326
334
337
339
343
368
399
340
351 ; 322
1
3946
n 373
367
363
368
474
416
380
416
455
375
354
357
388 1 373
1
4431
m 402
402
384
411
413
393
419
409
414
389
392 i 392
4833
IV 404
450
430
436
464
444 411
5126
Versuche -
von D. *
2
173
267
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Summe
I
178
277
199
213
223
225
277
241
242
222
237
221
246 ; 242
2623
n
m
267
365
285
273
302
Pause
307
315
267 270
3349
323 328
1
Pause
417
Pause 420
405
Pause
402
421 !
1
IV
434358
381
398
360
380 !370
402
404
409 j 406
4704
Der auf gleiche Weise gewonnene Werth fiir den Uebungszuwachs
bei K. betrug 96 Zahlen. Fiir D. lasst sich nur ein viertelstiindlicher
Uebungszuwachswerth berechnen. Auch dabei stoBen wir auf Schwierig-
keiten, da D. am m. Versuchstage 35 Minuten lang gearbeitet hatte;
wir mussten infolgedessen in unsere Berechnung statt 15 einmal 20
Minuten einschieben. Der Werth des halbstundigen Uebungszuwachses
betragt bei D. etwa 106 Zahlen, doch ist er nicht ohne weiteres mit
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Ueber die Schwaokiingen der geistigen Arbeitsleistiing, 433
den bei V. und K. gefundenen Werthen vergleichbar. Eine Erschei-
nung, die schon bei friiheren Versuchen beobachtet wurde, ist der
rasche Fortschritt der Leistung vom ersten zum zweiten Tage. Der
Fortschritt vom zweiten zum dritten Tage war oft unverhaltnissmaBig
geringer. Es ist zweifelhaft, ob wir diesen groBen Unterschied allein
auf Rechnung der Uebung setzen konnen ; ob nicht viebnehr ein an-
derer Einfluss sich hier geltend macht. Die Neuheit der Umgebung,
die oft ungewohnte Art der Arbeit legen den Gedanken nahe, dass
die Leistung des ersten Versuchstages nicht allein durch die Uebung
gesteigert wird, sondem dass auch die erst allmahlich eintretende
Gewohnung an alle Nebenumstande von Wichtigkeit ist. Der
zweite Tag ware dann durch die im Laufe des ersten erlangte Ge-
wohnung bevorzugt und der Sprung der Leistung demnach auf
Uebungsfortschritt und Gewohnung zu beziehen. Es ist sicher, dass
hierbei sehr oft personliche Verschiedenheiten in Betracht kommen,
denn in manchen Versuchen (z. B. bei K.) sind die Unterschiede in
den Leistungen vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum dritten
Tage fast gleich groB.
XJm den Einfluss der Gewohnung in der Berechnung auszu-
schalten und den Werth des reinen Uebungsf ortschrittes zu erhalten,
haben wir bei einer zweiten Berechnung den ersten Tag bei V. imd
K. f ortgelassen und dann folgende Werthe gefunden : Der Uebungs-
fortschritt (ohne Tag I) betrug bei V. 47 und bei K. 67 Zahlen.
Auf Grund der gewonnenen Zahlenwerthe konnen wir sagen, dass
V. die geringste, *K. eine groBere und D. mit hochster Wahrschein-
lichkeit die gr5Bte Uebungsfahigkeit besaB. Es entsteht nun die
Frage, ob sich mit wachsender Uebung auch eine Aenderung in
der Arbeitsweise unserer 3 Versuchspersonen nachweisen lasst. .
Diese Untersuchung beginnt bei V. erst mit dem dritten Versuche^
wo die Arbeitsweise noch nicht sehr gleichmaBig ausfallt. Obwohl
der Procentgehalt an 0,6"-Zeiten ganz bedeutend ist, finden sich sehr
viel Additionszeiten liber 1,2". Dieses Verhalten andert sich nicht
sehr stark, wenn auch im Vei*suche Viil die Zahl der 0,6"-Zeiten
groBer und die der Zeiten iiber 1,2" geringer ist. Die Uebung von
8 Stunden hat bei V. das Procentverhaltniss der Additionszeiten wohl
so umgestaltet, dass die Leistung hoher geworden ist, doch konnte
die Arbeitsweise noch viel gleichmaBiger sein. Dieselbe Thatsacho
29*
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434 Georg von Voss.
pragt sich auch in dem Verhalten der M.-Z. und der zugehorigen
Werthe aus. Wenn auch die Lage der M.-Z. gestiegen ist, so hat
die Zahl der groBen Abweichungen nicht entsprechend abgenommen.
Endlich macht sich der Einfluss der XJebung auch in einer deutli-
cheren Auspragung der periodischen Schwankungen in den Additions-
zeiten geltend.
Vergleichen wir bei K. das Procentverhaltniss der Additions-
zeiten des I. und IV. Versuchstages mit einander, so sehen wir, dass
die 0,6"- Zeiten zugenommen haben, allerdings nicht so stark wie
bei der gleichzeitigen Abnahme der Zeiten Uber 1,2" zu erwarten war.
Dafiir haben sich die ganz kurzen Zeiten von 0,4" vermehrt, ein
Zeichen dafiir, dass hier wohl Antriebswirkungen aufgetreten sind.
Wir konnen daraus auf eine im ganzen ungUnstigere Tagesdisposition
schUeBen. Noch deutlicher ist der groBere Uebungsfortschritt bei
K. wahmehmbar, wenn wir den Versuch HI von V. mit demjenigen
von K. vergleichen. An beiden Tagen war die Tagesdisposition nicht
schlechter als sonst, und doch wie viel gleichmaBiger ist K.'s Leistung
geworden! Ebenso tritt uns im Verhalten der M.-Z. der beiden
obengenannten Versuche von V. und K. die groBere GleichmaBigkeit
in der Arbeitsweise bei K. entgegen. Das Hervortreten der bevor-
zugten Schwankungen wird bei K. durch die Uebung erhebUch ver-
st^rkt. In den Versuchen III und IV erstreckt sich das haufigere
Vorkommen der um 3/5" fortschreitenden Schwankungen bis auf die
19/5, 22/5 und 25/5", wahrend das in Versuch I und IE noch nicht
der Fall war. — ' *
Am schonsten tritt die Wirkung der Uebung auf die Arbeits-
weise bei D. hervor, dessen Uebungsfahigkeit ja auch die groBte war.
Wahrend im Beginn seines ersten Versuchs die sehr langen Additions-
zeiten weitaus am haufigsten waren, treten dieselben spater allmahlich
zurlick. Zunachst setzen sich (Schluss des ersten, Anfang bis Mitte
des zweiten Versuchs) die 0,8"-Zeiten an ilire Stelle; endUch werden
auch diese verdrangt, und die auch bei V. und K. vorherrschenden
0,6'-Zeiten nehmen stark zu, um im durchbrochenen Versuch HI die
groBte uberhaupt beobachtete Haufigkeit zu erreichen. So kommt
eine sehr bedeutende GleichmaBigkeit in der Arbeitsweise zu Stande.
Wahrend in D.'s Versuch I die Zeiten Uber 1,2 viel zahlreicher sind
als in irgend einem Versuche der beiden anderen Personen, sind im
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Ueb^er die Schwankangen der geistigen Arbeitsleistung. 435
Anfange des Versuchs III bei D. die sehr langen Additionszeiten viel
seltener als in den entsprechenden Yersuchen bei V. und K. Die
M.-Z. und die groBen Abweichungen andem sich bei D. bedeutend.
Die erstere steigt viel starker in die Hohe als bei V. und K. und
die Zahl der groBen Abweichungen ist wesentlich geringer als bei
jenen. In den zwei ersten Versuchen von D. treten die bevorzugten
Schwankungen kaum hervor; unter dem Einflusse der Uebung sehen
wir dieselben im Versuch III ganz deutlich vorherrschen, genau wie
in den Versuchen bei Y. und K.
Auch bezugUch der Ermiidbarkeit weisen unsere Yersuchs-
personen bedeutende Unterschiede auf. Ein Bild der Ermiidungs-
wirkung erhalten wir nach Amberg, wenn wir fiir die zweite halbe
Arbeitsstunde jedes Tages die Differenz zwischen der auf Grund des
tagUchen halbstlindigen Uebungszuwachses erwarteten und der wirk-
lich erhaltenen Leistung bilden. AUerdings ist dieser Werth zweifel-
los noch zu klein, weil bei der Berechnung des Uebungszuwachses
der tagUche Uebungsverlust auBer Ansatz bleiben musste. Fiir unsere
beiden ersten Yersuchspersonen ergeben sich auf diese Weise durch-
schnittliche Ermiidungswirkungen von 133 Zahlen bei Y. und 63
Zahlen bei K. Lassen wir auch hier aus den oben besprochenen
Griinden den ersten Yersuchstag auBer Acht, so erhalten wir die
Werthe von 117 und 34, von denen jedoch namentlich der letztere
wegen der geringen Zahl von Yersuchstagen sehr unsicher ist. Dazu
kommt, dass die erste halbe Stunde des Yersuchs lY von K. eine
viel geringere Leistung aufweist, als sich wohl mit Recht erwarten
UeB; wir haben schon mehrfach Gelegenheit gehabt, auf die ungUn-
stige Disposition dieses vierten Yersuchstages hinzuweisen. Immerhin
kann es als ziemlich sicher gelten, dass K. eine geringere Ermiidbar-
keit besaB, als Y. •
Bei D. war eine genauere Berechnung der Ermiidungswirkungen
leider nicht moghch; doch UeB sich am ersten Tage gar keine Lei-
stungsabnahme im Laufe der zweiten halben Stimde feststellen; im
Yersuch 11 betrug dieselbe 57, und im Yersuch lY nur 24 Zahlen.
Diese Werthe wurden vielleicht fiir eine ziemUch geringe Ermiidbar-
keit bei D. sprechen. Unsere Ergebnisse sind deswegen iiberraschend,
weil sich bisher bei verschiedenen Gelegenheiten ein gleichailiges
Yerhalten des Uebungsfortschritts und der Ermiidbarkeit bei denselben
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436 Georg von Voss. ^
Versuchspersonen hatte nachweisen lassen. Hier dagegen ordnen sich
die Personen nach ihrer XJebungsfahigkeit in die Reihe D., K., V.,
nach ihrer Ermiidbarkeit aber folgen V., K., D. aufeinander. Aller-
dings sind die Anhaltspunkte fiir die Beurtheilung jener Eigenschaften
bei K. und D. nur sehr unvoUkommen. Es muss sich bei weiteren
Erfahrungen zeigen, ob wir es hier nur mit ungenligenden Versuchs-
zahlen oder mit wirklichen Ausnahmen von der sonst gefundenen
Kegel zu thun haben.
Die Ergebnisse unserer verschiedenen Berechnungsmethoden
stiitzen die Annahme von der verschiedenen Ermiidbarkeit der 3
Versuchspersonen voUkommen. Das Verhaltniss der Additions-
zeiten zeigt uns bei V. den Zeitpunkt des Eintritts der Er-
miidungswirkung direct an. Man vergleiche z. B. die Abschnitte 7
und 8 des Versuchs Vli, wo sich ein steiler Abfall der 0,6'-Zeiten
und eine Zunahme der Zeiten tiber 1,2 zugleich mit einer Abnahme
der Leistuug bemerkbar macht. Im allgemeinen treten bei V. die
Ermiidungswirkungen im 6. — 8. 5-Minutenabschnitt auf. In Ueber-
einstimmung mit der ungUnstigeren Vertheilung der Additionszeiten
pflegt auch die Zahl der groBen Abweichungen zuzunehmen. Auch
bei K. steigt die Leistung in der Kegel bis zum 6. — 8. Abschnitt an;
doch erfolgt die spatere Abnahme der Leistung langsamer. Dement-
sprechend ist dieErmtidungswirkung auch im Verhaltniss der Additions-
zeiten und der groBen Abweichungen viel weniger deutlich ausgepragt;
doch lasst sich in Abschnitt 10 des Versuchs III die starke Abnahme
der 0,6"-Zeiten und die Zunahme der Zeiten iiber 1,2" wohl mit Recht
auf Ermiidung zuriickfUhren.
In denD.'schen Versuchen konnen wir nur einmal, im 1 1. Abschnitt
des n. Versuchs, eine deutliche Ermiidungswirkung wahmehmen;
leider waren aber die beiden letzten Abschnitte dieses Tages fiir die
feineren Berechnungsmethoden unverwendbar. Es ist uns daher auch
nicht mogUch, f estzustellen , in welcher Weise sich die Ermiidungs-
wirkung bei D. auBert.
Sehr verschieden waren die Versuchspersonen beziiglich der
Antriebswirkungen. Wir finden dieselben bei V. sehr stark
ausgepragt ; bei K. sind sie vorhanden, bei D. nur angedeutet. Dieses
Verhalten erkennen vdr auch in der Zusamensetzung der einzelnen
Versuche aus den verschiedenen Additionszeiten. Wie wir schon
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Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistang.
437
friiher betont haben, deutet eine Vermehrung der 0,4"-Zeiten auf
Antriebswirkungen bin. Wir kommen dadurch auf die Vermuthung,
dass moglicherweise auBer dem Antrieb am Beginne und am Schlusse
eines Versuches auch wahrend der Arbeit zerstreute Antriebswirkungen
stattfinden. Bei der oberflachlichen Durchsicht der Additionszeiten
fiel es uns auf, dass 0,4"-Zeiten haufig oben<) und unten an den
Tabelle XXI.
erhalten
erwartet
! Gt. Z.
unten
oben
V.
m
256
35
27
12
rv
95
12
14
6
V
493
64
47
28
vr
136
11
24
10
vn
83
7
16
6
vm
158
12
36
10
K.
I
173
23
1
10
n
196 29
5
11
m
81 12
0
5
rv
233 18
7
7
D.
I
30
—
—
—
n
50
23
1
3
m
84
26
0
'
Reihen der bekannten Rechenhefte vorkamen. Um diese Thatsache
naher zu untersuchen, stellten wir fest, wie viehnal die zu oberst
und zu unterst an den Reihen stehenden Additionen in der extrem
1) Wir machen darauf aufinerksam, dass die »oben< an der Spalte stehende
Addition eigentlich die zweite bedeutet. Die erste wurde, wie im Anfang dieser
Arbeit erwahnt ist, stets mit einem groOeren Zeitaufwand ausgefiihrt, was auf
den Zeitverlust beim. Aufsuchen der neuen Reihe zuruckgefiihrt werden musste.
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438 G^org ^on Yoss.
kurzen Zeit von 0,4" ansgefuhrt warden. Das Ergebniss finden wir
auf vorstehender Tabelle XXI: G.-Z. bedeutet die Gesammtzahl derbei
einem Versuch in 0,4" ausgefuhrten Additionen; daneben ist die Zahl
der unten bez. oben stehenden Additionen angegeben, welche mit
dieser Geschwindigkeit berechnet wnrden. Die Zahl in der letzten
senkrechten Reihe der Tabelle giebt an, wie viele Zeiten von 0,4"
nach deren Anzahl im ganzen Versuch auf die am Anfang und am
Ende der Spalten stehenden Additionen entfallen wiirden. Die Summe
der beim Uebergange von einer Spalte zur anderen erhaltenen sehr
kurzen Werthe ubertrifft die erwartete Zahl in alien Vei*suchen weit,
bei V. durchschnittUch 4,3 mal, bei K. 2,8 und bei D. sogar 6,5 mal.
Aus diesem ubereinstimmenden Befunde diirfen wir wohl schlieBen,
dass die beim Wechsel der Spalten ausgefuhi'ten Additionen von alien
3 Personen viel haufiger in 0,4" vollendet wurden, als die ubrigen.
Als Erklarung dafiir konnen wir folgendes anfuliren: Jede Reihe in
den Rechenheften bildet einen kleinen Abschnitt fur sich. Am Anfang
und am Ende dieses Absehnitts stellte sich nun oft eine Beschleu-
nigung der Arbeitsleistung ein, ein kleiner Anfangs- bezw. Schluss-
antrieb. Die drei Versuchspersonen verhalten sich aber audi ver-
schieden, wenn wir das Vorkommen dieser zwei Antriebsformen aus-
einanderhalten. So sehen wir, dass bei V. der Schlussantrieb bei den
letzten Additionen einer Spalte iiberwiegt; sp^ter aber andert sich
das bei ihm zu Gunsten des Anfangsantriebs bei den ersten Addi-
tionen der neuen Spalte. Bei K. ist die Wirkung des Anfangsantriebs
viel seltener; bei D. kommt wohl ausschlieBlich der Schlussantneb in
Betracht. Dass V. zu beiden Antriebsarten neigt, bestatigt unsere
friihere Erfahrung liber die groBere Hiiufigkeit der Antriebswirkungen
bei ihm uberhaupt. Es konnte auffallend erscheinen, dass bei D. die
Zahl der erwarteten 0,4"-Zeiten am weitesten durch die erhaltenen
Ubertroffen wird, was im scheinbaren Widerspruch zu der geringen
Zahl an 0,4"-Zeiten steht, die in den ganzen Versuchen vorkamen.
Doch diirfte dieser Umstand gerade bestatigen, dass D. keine Neigung
zur maximalen Verkiirzung der einzelnen Additionszeiten hatte; die-
selbe trat eben nur unter besonderen Umstanden als Wirkung eines
Schlussantriebs ein!
Auch im Verlauf der G^sammtleistungen (vergl. Tab. XX auf S. 432)
treten bei den 3 Personen die Antriebswirkungen in verscliiedener
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Ueber die Schwankongen der geistigen Arbeitsleistuug. 439
Weise hervor. Bei V. finden wir (allerdings in 8 Versuchen) viermal
einen Anfangs- imd dreimal einen Schlussantrieb. Die Wirkungen
derselben sind mitunter recht kraftig, so z. B. im Versuch V beim
Abschnitt 12! Bei K. beginnen 3 Versuche mit einem relativ schwachen
Antrieb ; am Schluss finden wir nie einen solchen. D. zeigt nur eine
Andeiitung von Anfangsantrieb in Versuch I und 11; in IV ist seine
Wirkung kraftig; von Schlussantrieb findet sich bei ihm ebenfalls
keine Spur. Eine bestimmte Beziehung der Antriebswirkungen
innerhalb der Versuche zu denjenigen im Beginne und am Schlusse
ist somit nicht aufzufinden. Ein Miidigkeits antrieb findet sich
nur in einem Versuche von V. deutUch ausgepragt.
Die personlichen Verschiedenheiten der drei Versuchspersonen
lassen sich etwa in folgender Weise zusammenf assen :
V. zeigt eine mittelgroBe Anfangsleistung^ keine groBe Uebungs-
fahigkeit, dabei bedeutende Ermiidbarkeit. Bei ihm sind alle Arten
von Antriebswirkungen haufig, sowol am Anfang, als am Schlusse
wie im Verlauf der Versuche, endhch als Reaction auf das Mudig-
keitsgefiihl. V. hat entschieden die Neigung, einzelne sehr kurze
Additionszeiten zu hefem; daher ist seine Arbeitsweise stets ungleich-
maBig; sehr kurze Additionszeiten wechseln mit sehr langen ab. Die
periodischen Schwankungen treten deuthch hervor, wenn sie auch
zeitweilig von Antriebswirkungen verdeckt werden konnen.
K. beginnt gleichf alls mit einer mittleren Leistung. Seine Uebungs-
fahigkeit ist recht groB, seine Ermudbarkeit gering; infolge dessen
steigt bei ihm die Arbeitsleistuug an den 4 Versuchstagen sehr rasch
an. K. hat nicht die Neigung, die Additionszeiten auf s MindestmaB
zu verkiirzen. Die Steigerung der Leistung beruht vielmehr auf der
bedeutenden Vermehrung der gewohnhchen Additionszeiten; seine
Arbeitsweise ist somit sehr gleichmaBig; Antriebswirkungen sind nur
am Anfang der Versuche in nicht sehr hohem Grade vertreten,
ebenso am Ende der Spalten. Die GrleichmaBigkeit der Leistung lasst
uns darauf schlieBen, dass die Additionsarbeit bei K. sehr glatt,
gleichsam automatisch von statten ging. Darauf konnen wir bei ihm
das so klare Hervortreten der Periodicitat der Schwankungen wohl
mit Recht zuriickfiihren.
D.'s Anfangsleistung ist sehr gering; die einzelnen Additionen
werden recht langsam ausgefuhrt; bald tritt jedoch eine bedeutende
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440 C<)org vou Voss.
Beschleunigung ein. Die Leistung wachst unter dem Einflusse groBer
Uebungsfehigkeit und bei sehr geringer Ermudbarkeit rasch an, so
dass D., der im Versuch I um 1 000 Additionen hinter V. zurtickstand,
im Versuch IV denselben bereits eingeholt hat. Auch D.'s Arbeits-
weise zeichnet sich durch groBe GleichmaBigkeit und Fehlen der
Antriebswirkungen aus, die nur am Ende der Spalten ofter hervor-
treten. Das geringe Uebergewicht der bevorzugten Schwankungen in
den beiden, ersten D.'schen Versuchen haben wir mit der anfilnglichen
SchwerfalUgkeit seiner Arbeitsweise in Zusammenhang gebracht. Im
dritten Versuche trat die Periodicitat inf olge des groBen Uebungsfort-
schritts auf s schonste hervor.
VI. Znsammenfassnng der Ergebnisse.
Die bis hierher mitgetheilten Versuchsergebnisse haben uns ge-
stattet, die Einflusse, welche die Arbeitsleistung verandem, in ihren
Einzelheiten genauer zu verfolgen. Wir haben auf diese Weise fest-
stellen konnen, dass die Uebung zwar im ganzen alle einzebien
Additionszeiten verkurzt, aber dieselben dabei einer bestimmten gun-
stigsten Rechengeschwindigkeit annahert. Die Verkiirzung schreitet
keineswegs bis zu den moghchen auBersten Werthen fort; viehnehr
scheinen die ganz kurzen Zeiten unter dem Einflusse der Uebung
geradezu seltener zu werden. Die wesentliche Wirkung der Uebung
besteht demnach in einer Ausgleichung der Zeitdauer der einzelnen
Additionen, in moglichster Annaherung derselben an einen bestimmten
kurzen, aber nicht kiirzesten Werth.
Dem gegeniiber bedingt dieErmudung eine Abnahme der kurzea,
gewohnlichen Werthe; sie fiihrt zu einer Vermehrung der langen und
sehr langen Additionszeiten. Durch den Antrieb werden die ein-
zelnen Additionszeiten auf das MindestmaB verkurzt. Dadurch wircl
eine plotzliche Beschleunigung der Arbeit bewirkt. Der Antrieb ist
jedoch nicht im Stande, die Leistimg dauemd auf eine hohere Stufe
zu heben; er vermag nur innerhalb eines oder des anderen Versuchs-
abschnitts die Zahl der ausgefiihrten Additionen zu vergroBem. Auch
bei sonst gleichmaBiger Arbeit hat sich iibrigens die Neigung nach-
weisen lassen, am Anfang und am Ende einer Rechenspalte mit
einem gewissen Anfangs- bezw. Schlussantrieb zu arbeiten.
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Ueber die Schwankungen der geistigea Arbeitsleistang. 441
Das interessanteste Ergebniss unserer Untersuchungen scheint uns
aber zu sein, dass es uns gelungen ist, regebnaBige, feinere Schwan-
kungen der geistigen Arbeit aufzudecken, deren Vorhandensein bisher
nur vermuthet werden konnte. Dabei hat sich die uberraschende
Thatsache ergeben, dass eine genaue Periodicitat dieser Schwankungen
mit auffallender Deutlichkeit hervortrat. Unsere Rechengeschwindig-
keit zeigt die merkwurdige Neigung, jeweils nach Ablauf von solchen
Zeiten, welche nur 3/5" von einander entfemt sind, hochste oder
niedrigste Werthe zu erreichen. Am haufigsten betrug die Dauer
dieser Schwankungen 13/5"; dann folgten der Haufigkeit nach 10/5,
7/5, 16/5, 19/5, 22/5 und 25/5".
Wir woUen im folgenden versuchen, ob es moglich ist, eine
Erklarung dieser Erscheinung zu finden.
Grehen wir von der Wundt'schen Definition der Aufmerksamkeit
aus, der dieselbe als periodische Function des Bewusstseins auffasst,
so rechnet diese Aufstellung schon von vomherein mit der Thatsache
der Aufmerksamkeitsschwankungen. Pechner und nach ihm Helm-
holtz wiesen auf diese Erscheinung bin; sie beobachteten u. a. die
wechsehide Intensitat einer gleichmaBig dauemden optischen Empfin-
dung. Naher gepriift wurde diese Frage zuerst von U rbantschitsch.
Dieser Autor beschaftigte sich mit Untersuchungen des Gehororgans;
er stellte Schwankungen auf dem Gebiet der akustischen Wahr-
nehmung f est und kam zu der Ueberzeugung, dass die Ursache dieser
Erscheinung eine Ermiidung des N. acusticus sei.
Nach ihm zeigte N. Lange durch eine Eeihe griindlicher experi-
perimenteller Untersuchungen, dass diese Auffassung unrichtig sei;
vielmehr miisse nach seiner Ansicht die Entstehung der Aufmerksam-
keitsschwankungen, deren periodische Wiederkehr Lange feststellte,
ins Centrum verlegt werden. Diese Auffassung lieB sich bequem mit
Wundt's Definition der Aufmerksamkeit in Einklang bringen. Als
Schwankungsdauer fand Lange bei der elektrischen Empfindung einen
Zeitraum von 2,5", bei der optischen von 3,4" und bei der akustischen
von 3,8". Munsterberg stellte eine Reihe neuer Versuche mit
Gresichtsreizen an. Er behauptete, die unregelmaBig wiederkehrenden
Schwankungen seien rein peripher bedingt durch Ermiidung der
Fixations- und Accommodationsmuskeln des Auges; im inneren Ohr
solle es sich ahnlich verhalten. Die Unrichtigkeit einer rein peripheren
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244 G«org Ton Voss.
Erklarung der Schwankungen ergiebt sich schon aus der von Lange
gezeigten Thatsache, dass bei der elektrocutanen Sensibilitat die
gleichen Schwankungen auftreten, obwohl hier von einem muscularen
Hilfsapparat der Empfindung keine Rede sein kann. Eckener und
Pace wiesen durch ihi'e Versuche an der rotirenden Scheibe mit
Ausschaltung der Accommodation nach, dass die Augenmuskeln keinen
Einfluss auf die Schwankungen hatten. Auch Miiller's Anschauung,
dass es sich bei den optischen Schwankungen um ein temporary
Unempfindhchwerden der Netzhaut handle, wurde von ihnen wider-
legt. Nach Eckener konnen wir 2 Arten von Schwankungen
unterscheiden:
1. bei klarem Bewusstsein fuhlbar werdende,
2. mit dem Grefiihl der Benommenheit und des Schwindels auf-
tretende, nach denen eine langere Sammlung nothwendig sei.
Eckener kommt zu der Annahme einer centralen Entstehung
der Schwankungen; als Ursache der Schwankungen konne nur eine
positive psychische Veranderung angesehen werden. Das Schwanken
auch der Erinnerungsbilder, auf welches bereits N. Lange hinge-
wiesen, halt Eckener ebenfalls fiir bedeutungsvoll.
Lehmann untersuchte die Abhangigkeit der Aufmerksamkeits-
schwankungen von der Athmung. Er wies nach, dass eine Haufung
der Schwankungen auftritt:
1. wenn der Blutdruck im Gehim am m'edrigsten ist: Exspira-
tionsmaximum, und
2. wenn das Gehim von der Innervation der Athemmusculatur am
meisten in Anspruch genommen ist: Inspirationsmaximum. Femer
stellte er fest, dass die Schwankungen bei elektrischer Hautreizung
voUkommen ubereinstimmten mit der Dauer einer voUen Athem-
phase, wodurch ihre Abhangigkeit von der Athmung wohl als be-
wiesen angesehen werden kann.
Mar be untersuchte die Schwankungen der Gesichtsempfindimgen
und stellte ihre Periodicitat in Abrede, ebenso ihre centrale Ent^
stehungsweise. Die neueste Arbeit stammt von Heinrich. Dieser
Autor priifte ebenfalls die Schwankungen am Sehorgan und stellte
folgenden Satz auf: »Die Schwankungen in der Genauigkeit der
Accommodation sind die einzige Ursache der Schwankungen der
Aufmerksamkeit bei optischen Eindriicken.* Uns scheint das that-
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Ueber die Schwankiiii|ten der geistigen Arbeitsleistung. 443
sachliche Vorhandensein der Aufmerksamkeitsschwankungen auf dem
Gebiete der cutanen Sensibilitat eine geniigende Widerlegung der
Behauptung zu sein, dass es sich bei den entsprechenden Erschei-
nungen auf optischem Gebiet einzig und allein um accommodative Vor-
gange handehi komie. Vielmehr glauben wir durch den Nachweis
der Aufmerksamkeitsschwankungen auf dem Gebiet der geistigen
Arbeit einen weiteren Beweis fiir ihre centrale Entstehungsweise
geliefert zu haben.
Auf den gleichen Ursprung weist mit aller Bestimmtheit die
eigenthiimliche Periodicitat bei der Zeitschatzung und bei der Ab-
lenkung der Aufmerksamkeit bin. Die Versuche von Est el und
Mehner batten eine gewisse Periodicitat der Schatzungsdifferenz
festgestellt; Glass bestatigte diese Behauptung und fand, dass alle
Vielfachen einer Grundzeit von 1,25" mit groBer Genauigkeit ge-
schatzt wurden.
Bert els, der die Herabsetzimg der Empfindlichkeit fiir minimale
Reize church vorausgehende starkere gleichartige B.eize untersuchte,
fand, dass diese Empfindlichkeit im Gegentheil gesteigert wurde,
wenn der starke Eeiz um 2 — Vj^ oder um ein Vielf aches dieser
Zeit dem schwachen vorausging.
Rufen wir uns nun die bei unseren Versuchen gefundenen Zahlen-
werthe fiir die Dauer der Schwankungen ins Gredachtniss zuriick, so
wird uns zunachst die ziemlich genaue Uebereinstimmung des von
Glass gefundenen Zeitraums von 1,25" mit unseremerstenSchwankungs-
Maximum bei 7/5" auffallen. Bertelsfand2 — 2V2'') einen Zeitraum,
der etwa mit den von uns gefundenen Schwankungen von 10/5 und
13/5" Dauer ubereinstimmen wiirde. Die von Lange berechnete
Dauer der Empfindungsschwankungen variirte zwischen 13/5 und 19/5";
auch dieser Werth entspricht ziemlich genau den von uns gefundenen
Zeiten.
Auf optischem, akustischem und tactilem Gebiete so gut wie
auf demjenigen des Zeitsinnes begegnen wir periodisch wieder-
kehrenden Schwankungen von einer gewissen Dauer. Es ist uns
gelungen, auch auf dem Gebiete der geistigen Arbeit Schwankungen
nachzuweisen, deren Dauer nicht wesentlich von den friiher gefundenen
Zeitwerthen verschieden ist. Dieser Umstand weist vielleicht auf
eine gemeinsame Grundlage bin; als solche konnen nur die uns aus
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444 <ieorg ?on Voss.
der taglichen Erfahrung bekannten Aufmerksamkeitsschwankimgen
in Betracht kommen. Allein mit dieser Zuriickfiihrung auf eine
gemeinsame Gnmdlage sind wir der eigentlichen Ursache aller auf-
gefiihrten Schwankiingen noch nicht viel naher gekommen. Viel-
mehr erhebt sich weiter die Frage, durch welche Umstande denn
nun die Aufmerksamkeitsschwankungen selber bedingt sein konnen.
Wir kennen in unserem Korper eine Reihe von p^riodischen Er-
scheinungen, deren rhythmischer Ablauf sehr wohl einen gewissen
Einfluss auf das Kommen und Gehen der psychischen Vorgange
gewinnen konnte. Dahin gehoren im Hinblick auf die Dauer der
hier besprochenen Schwankungen vor allem die Athmung und die
Herzthatigkeit.
Sehr sorgfaltig hat Lehmann den Zusammenhang der Athmung
mit den Schwankungen der elektrischen Empfindung nachgewiesen.
Femer hat Landmann an sich selbst eine deutliche Beeinflussung
der Schmerzempfindung durch willkiirliches, tiefes Athemholen be-
obachtet; ebenso constatirte er eine einschlafemde Wirkimg des
tiefen Athmens. Wir lassen dahingestellt, wie groB der Einfluss der
Autosuggestion bei diesen Beobachtungen war!
Den Zusammenhang zwischen Blutdruck oder Puis mit psychi-
scher Thatigkeit haben verschiedene Autoren untersucht. Wir nennen
hier nur Mosso, der unter dem Einfluss der geistigen Arbeit und
der Affecte das Himvolumen zunehmen sah. Nach ihm sind es
hauptsachlich franzosische Forscher gewesen, die sich mit diesen
Pragen beschaftigten. Leider erfahren wir aus diesen Arbeiten nichts
iiber die Beeinflussung der psychischen Vorgange durch Blutdruck
und Puis, auf die es xms hier in erster Linie ankonunt. Van
Biervliet lieferte anscheinend den Beweis, dass im allgemeinen
(lie Reactionszeit auf Grehors- und Gesichtseindriicke mit zunehmender
Pulsgeschwindigkeit abnimmt. Endlich hat Lehmann folgende
Behauptungen aufgestellt:
Die fiir die Entstehung minimaler Empfindungen ungunstigsten
Respirationsphasen sind, 1. wenn der Blutdruck im Gehim am ge-
ringsten ist, und 2. wenn die Energie des Gehims von der Inner-
vation der Athemmuskeln am meisten in Anspruch genommen ist.
Diese Satze weisen uns allerdings schon auf eine combinirte Wirkung
der Athmung und des Pulses hin. Im Einklang mit den meisten
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Ueber die Schwankuogen der geistigen Arbeitsleistung. 445
andem Autoren haben in neuester Zeit Binet und Courtier fest-
gestellt, dass eine Volumszunahme des Gehims auf jede geistige
Arbeitsleistimg f olgt. Es darf f emer als bewiesen betrachtet werden,
dass auf eine kurz dauemde geistige Anstrengung bin der Puis be-
schleunigt wird; ebenso nimmt die Athemfrequenz zu. Bei mehiv
stiindiger unausgesetzter geistiger Arbeit verhielt sich der Puis entgegen-
gesetzt, d. h. seine Haufigkeit nahm ab. Binet und Sollier wiesen
nach, dass die Kopfstellung von grpBtem Einfluss auf die Grestalt
der Pulscurve des Gehims sei; der Athmung und dem Pulse sei
eine gemeinsame Wirkung auf die Gehimpulsationen zuzuschreiben.
Auf eine merkwurdige Form periodischer Empfindungsschwan-
kungen, die sich auf alien psychischen Gebieten auBerten, hat endlich
Stern aufmerksam gemacht; er fand bei zwei Fallen von schweren
Kopfverletzungen regelmaBig auftretende Schwankungen, in deren
Verlauf zunachst ein Abnehmen und dann ein Zunehmen der Empfin-
dung nachgewiesen werden konnte. Dies ist alles, was sich in der uns
zuganglichen Literatur liber den Einfluss von Puis und Athmung
auf die psychische Thatigkeit und iiber die Schwankungen derselben
auffinden heB.
Machen wir nunmehr den Versuch, auch fiir unsere Ergebnisse
die mogUchen Beziehungen zwischen Schwankungen der Arbeitsge-
schwindigkeit und jenen rhythmischen Vorgangen aufzufinden, so wird
es am nachsten Uegen, dabei an die eigenthiimliche Periodicitat der 3/5"
anzukniipfen. Allein es zeigt sich sofort, dass hier eine Beziehung
zur Pulszahl, an die man etwa denken konnte, nicht wohl zu erkennen
ist. Nehmen wir als gewohnliche Pulszahl 72 in der Minute an, so
wird ein Pulsschlag etwa 0,83" entsprechen, ein Worth, der sich weder
mit der Dauer einer einzelnen Schwankung noch mit den bevorzugten
Unterschieden zwischen den einzelnen Schwankungen zur Deckung
bringen lasst. Dagegen fallt uns sofort auf, dass die Zeit von 0,6
= 3/5" bei weitem die haufigste Dauer einer einzelnen Addition
bei alien Versuchspersonen, namentUch in den spateren Versuchen
darstellt. Es hat demnach den Anschein, als ob die eigenthiimliche
Periodicitat wesenthch durch die Verlangerung der Schwankungen
um je eine addirte Zahl hervorgerufen worden sei. Mit dieser Auf-
fassung steht im besten Einklange die zunachst so verwirrende That^
sache, dass in den ersten Versuchen von D. jene Periodicitat gar
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446 ^^org von Voss.
nicht oder doch nur sehr undeutlich hervortrat. In diesen Versuchen
waren eben die haufigsten Additionszeiten erheblich langer als 3/5".
Je mehr sich aber bei D. die regelmaBige Rechendauer dem Werthe
von 3/5" (in der Tabelle 0,6) naherte, desto deutlicher kommt auch
bei ihnen die Gliederung der Schwankungen nach dem Untersehiede
von je 3/5" zum Vorschein. Ebenso sehen wir, dass bei den andern
Versuchspersonen mit fortschreitender Uebung, d. h. mit wachsender
Haufigkeit der Additionen von 3/5" Dauer, jene Periodicitat iramer
klarer sich geltend macht.
Es kann somit kaum einem Zweifel unterliegen, dass sich
in der Bevorzugung der immer um 3/5" von einander verschiedenen
Schwankungen nichts anderes ausdriickt , als die Verlangerung der-
selben um je eine addirte Zahl. Man wird nunmehr auch leicht
begreifen, warum den Ausgangspunkt dieser Stufenleiter der Schwan-
kungen gerade die Zeit von 7/5" bilden muss. Wenn die bei
weitem haufigste Dauer einer Addition 3/5" betrug, so wird im allge-
meinen die kurzeste iiberhaupt beobachtete Schwankung diejenige
zwischen 4/5 und 3/5" sein miissen. Gegenilber der Haufigkeit dieser
Schwankungen von 7/5" Dauer kommen die wenigen noch kiirzeren
nicht in Betracht, die durch den Uebergang von der Additionszeit
3/5 zu 2/5" entstehen. Von den gewohnlichen kleinsten Schwan-
kungen im Betrage von 7/5" ausgehend entstand alsdann durch Hin-
zufiigung je einer weiteren Addition die friiher von uns mitgetheilte
Reihe der bevorzugten Schwankungen.
Mit dieser Feststellung ist aber die durch unsere Versuchsergebnisse
aufgeworfene Frage noch keineswegs gelost. Wir wissen damit noch
nicht, worauf die besondere Bevorzugung einzelner Schwankungs-
zeiten aus der ganzen Reihe zuriickzufiihren ist. Es wUrde zwar er-
klarlich sein, wenn die kleinsten Schwankungen von 7/5" auch zugleich
am haufigsten vorkamen. Das ist jedoch na.ch unseren Erfahrungen
nicht der Fall; vielmehr werden in erster Linie uberall die
Schwankungen von 13/5" Dauer bevorzugt. Die Reihenfolge in der
Haufigkeit der iibrigen Schwankungen war allerdings nicht durch-
weg die gleiche. Jedenfalls muss demnach der Zeitraum von 13/5"
und haufig auch derjenige von 10/5" durch irgend welche UmstHnde
besonders begunstigt worden sein, wenn dieselben haufiger vorkamen
als die kleinsten Schwankungen, deren Auftreten naturgemaB von
vomherein am nachsten lag.
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Ueber die Schwankungen der geistigen Arbeitsleistung. 447
Eine bestimmte Deutung dieser Bevorzugung der Zeiten zwischen
2 und 23/5" zu geben, sind wir augenblicklich nicht im Stande. Es
ist sehr moglich, dass hier bestimmte Beziehungen zum Athmungs*
rhythmus bestehen; doch vermogen wir dieselben nicht aufzudecken,
da es bei unseren Versuchen leider versaumt wurde, gleichzeitig
die Athmungsbewegungen aufauzeichnen. Wir diirfen indessen darauf
hinweisen, dass die hier auf gefundene GroBe der bevorzugten Arbeits-
schwankungen auf das allemachste tibereinstimmt mit denjenigen
Zeiten, denen schon nach den Erfahrungen auf anderen Gebieten
eine bestimmte Bedeutung fur den Ablauf der psychischen Vorgange
zugeschrieben werden musste. So hat sich bei der Messung von
Eeactionszeiten herausgestellt, dass der gunstigste Zeitraum zwischen
Signal und B.eiz etwas liber 2" betragt. Insbesondere weisen wir
darauf hin, dass nach den Untersuchungen von Bert els die durch
einen Reiz in Anspruch genommene Aufmerksamkeit nach etwa 2 —
272" wiederum einen Hohepunkt ihrer Spannung erreicht hat, der
sich nach weiteren gleich groBen Zeitraumen noch mehrmals in
gleicher Weise einzustellen scheint. Wir diirfen also daraus schlieBen,
dass die Aufmerksamkeit die Neigung besitzt, in Zeitabschnitten
von etwas iiber T sich immer wieder zur hochsten Span-
nung zu erheben, wenn nicht besondere Umstande diesen Rhyth-
mus verwischen.
Die von Bertels gefundene Zeit steht zwischen jenen beiden
Schwankungszeiten, die wir als besonders bevorzugt kennen gelemt
haben, ziemlich genau in der Mitte. Da unsere Registrirung nach
Additionszeiten naturgemaB sich gewohnUch nur um mindestens
3/5" vorwarts bewegen musste, werden wir diese Uebereinstimmung
fiir geniigend halten diirfen, um die Gleichartigkeit der von Bertels
und uns gemachten Erfahrungen darzuthun. Wenn die Dauer einer
Aufmerksamkeitsschwankung in Wirklichkeit genau den von Bertels
festgestellten Betrag erreicht, so mussten bei unsem Versuchen die-
jenigen Punkte der Arbeitscurve jeweils den gleichen Spannungs-
grad der Aufmerksamkeit darbieten, welche um diese Zeitdauer
von einander abstanden. Da jedoch die Abschnitte unserer Arbeits-
zeit stets durch die Additionszeiten bezeichnet waren und somit
mindestens um 2/5 — 3/5" auseinander lagen, kommen wir zu dem
Schlusse, dass • die thatsiichlich gef undenen SchwankungsgroBen sich
Kraepalin, Psycholog. Arbeiien. IL 30 «
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448 Georg ?on Voss.
mit dem Litervalle nicht genau decken, sondem ihm nur bis zu
einera gewissen Grade nahe kommen konnten. Aus dieser Ueber-
legung ergiebt sich die Bevorzugung der Schwankungen von 2 und Vj^"
Dauer ohne weiteres. Die Verlangerung dieser bevorzugten Schwan-
kungen um je eine addirte Zahl musste dann zu den iibrigen aus-
gezeichneten Zeitabschnitten fiihren. Andeutungen von einer Bevor-
zugung der doppelten oder dreifachen Schwankungsdauer lieBen sich
freilich nicht mehr nachweisen; vermuthlich desw^en, weil durch
die wechselnde Schwierigkeit der Arbeit selbst und durch andere
zufallige Einfliisse der regehnaBige Ablauf langerer Aufmerksamkeits-
schwankungen vielfach gestort und verwisctt wurde.
Es bedarf wohl nur eines kurzen Hinweises, um klar zu machen,
dass auch unsere Erfahrungen mit voUer Bestimmtheit fUr die Ver-
legung der Ursache der Aufmerksamkeitsschwankungen in das Central-
organ unseres Bewusstseins sprechen.
Schlnsss&tze.
1. Die Verbesserung der Arbeitsleistung durch die Uebung
kommt beim Addiren wesentlich durch die Annaherung aller Addi-
tionszeiten, der langen wie der ganz kurzen , an einen bestimmten
bevorzugten Zeitwerth zu Stande; die Unterschiede in den einzehien
Additionszeiten gleichen sich mehr und mehr aus.
2. Die Ermiidung bewirkt das Auftreten sehr langer Addi-
tionszeiten.
3. Antriebswirkungen lassen sich nicht nur im Beginne und
am Schlusse der Arbeit, sondem auch wahrend derselben vielfach
nachweisen, besonders am Anfang und am Ende kleiner Unter-
abschnitte.
4. Der Antrieb bewirkt das Auftreten einzelner ganz kurzer
Additionszeiten und macht dadurch die Arbeitsweise ungleichmaBiger.
5. Die Haufigkeit und die Form des Auftretens von Antriebs-
wirkungen ist groBen personlichen Verschiedenheiten unterworfen.
6. Im Verlaufe der Eechenarbeit finden sich zahlreiche kiirzere
und langere Schwankungen der Addirgeschwindigkeit. Am hau-
figsten sind die kurzen Schwankungen und diejenigen, welche um die
gewohnliche Additionszeit einer oder mehrerer Zahlen, langer sind.
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Ueber die Sehwanknngen der geistigen Arbeitsleistimg. 449
7. Eine bevorzugte Stellung unter den Arbeitsschwankungen
nehmen diejenigen von der Dauer 2 und 22/5" ein; diese Zeit ent-
spricht genau der auch bei anderen Versuchen gefundenen Dauer
einer Aufmerksamkeitsschwankung.
8. Die Ursache der Arbeits- und damit auch der Aufmerk-
samkeitsschwankungen uberhaupt ist in centralen Vorgangen
zu suchen.
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Oehrn, Diese Arbeiten Bd. I. S. 92.
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30*
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Untersuchungen Uber die Schrift Gesunder und Geisteskranker.
Von
Adolf Grors.
Mit Tafel I— Vm und 2 Figuren im Text.
A. Anfgabe und Verfahren.
Auf der Versammlung deutscher Irrenarzte, die im September
1 896 in Heidelberg stattf and, habe ich uber Untersuchungen bericbtet^
welche in der Absicht angestellt wurden, Stuporzustande von ver-
schiedener kUnischer Bedeutung zu analysiren. Ich wies damals
darauf hin, dass solche Zustande im Verlaufe der verschiedensten
Psychosen vorkommen konnen, bei der Melancholie, der Paralyse,
der Katatonie, dem circularen Irresein. Je nach der klinischen
Zugehorigkeit besitzen sie eine verschiedene Prognose. Die ubliche
klinische Untersuchung versagt nun entweder bei den wenig oder
nichts sprechenden Kranken voUkommen, oder aber sie giebt uns
Aufschluss darliber, dass der Kranke hallucinirt, dass er Wahnideen
hat, dass er gleichmiithiger oder heiterer oder depressiver Stimmung
ist und dergl. Vielleicht ist es sogar moglich, f estzustellen , was
zuerst da war, die Wahnidee oder der Affect, die Sinnestauschung
oder die Wahnidee. In Ermangelung eines positiven Ergebnisses der
Untersuchung muss dann nicht selten auch die Vermuthung an die
Stelle des objectiven Befunds treten. Ich erinnere nur an die in
Krankengeschichten nicht seltene Bemerkimg: »Der Kranke scheint
zu halluciniren«.
Die Erfahrungsthatsache, dass das Vorhandensein oder Fehlen
von Sinnestauschungen und Wahnideen fur den Verlauf der Stoning
ohne jede Bedeutung ist, veranlasste uns, dem Nachweiso dieser
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(Jiitersachiingen fiber die Schrifl Gesiindcr und Gcisteskraiiker. 451
psychopathologischen Symptome nur ein mehr theoretisches Interesse
zuzuerkennen, und unsere Bemiihungen, Klarheit in bisher unklare
Verhaltnisse zu bringen, anderen Dingen zuzuwenden. Deshalb be-
gannen wir, die psychischen Grundeigenschaften zu studiren, die im
Laboratorium angestellten experimentell-psychologischen Versuche fiir
die klinische Untersuchung zu verwerthen und zwecks ihrer Verwen-
dung bei Geisteskranken zu modificiren.
Wir untersuchten zunachst die einfachsten psychischen Functi-
onen, die Auffassung, elementare Denkvorgange, einfache Bewegungen.
Es ist ja zweifellos richtig, wie von franzosischen Autoren betont
worden ist, dass complicirtere psychische Leistungen bei Psychosen
augenfalligere Veranderungen darbieten. Doch muss ich bestreiten,
dass jetzt schon etwa das Studium des geometrischen Sinns, des
ethischen Gefuhls unsere Kenntnisse von dem Wesen der psychischen
Storungen zu fordem im Stande sind. Es ist absolut nothwendig,
vom Einfachsten anfangend systematisch vorzugehen.
Von den an stuporosen Kranken angewandten Untersuchungs-
methoden waren diejenigen, welche sich auf die psychomotorische
Sphare bezogen, die am wenigsten exacten und vollkommehen. Ich
lieB die Kjranken einfache Bewegungen ausfuhren, die Hand reichen,
den Arm aufheben und dergl., oder ich provocirte bei widerstrebenden
Kranken Abwehrbewegungen. Fur diese Bewegimgen bekam ich
Uberhaupt kein objectives MaB ; ich war auf abschatzende Vergleichung
angewiesen. Femer UeB ich die Kranken von 1 —20 zahlen und bestimmte
die Zeit, welche sie dazu benothigten, mit der Fttnftelsecundenuhr. In
der gewonnenen Gesammtzeit ist neben der Sprechzeit der 20 Zahlen
noch die Dauer der associativen Aneinanderkniipfung der einzelnen
Zahlen enthalten. Doch ist letztere Thatigkeit so eingelemt und fixirt,
dass sie der reinen Sprechzeit gegeniiber im allgemeinen vemachlassigt
werden kann. Die Methode hat den Vorzug der bequemen Anwend-
barkeit am Krankenbett. Sie hat aber auch eine Eeihe von Nach-
theilen. Sie giebt nur ein summarisches Resultat, giebt kein Bild von
den einzelnen Sprechbewegungen und den dazwischen liegenden Pausen,
von der Energie der Bewegungen, von der Art ihres Einsetzens und
Endens, von Veranderungen derBewegungsgeschwindigkeit, Energie und
Form wahrend des Versuchs. Diese Einzelheiten lieBen sich aus
dem Sprechact nicht analysiren. Dagegen eigneten sich hierfiir vor-
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452 Adolf GroB.
ziiglich die Schreibbewegungen. Das Studium des Schreibens sollte
uns Aufschluss geben liber etwaige Veriinderungen der psychomo-
torischen Functionen im allgemeinen ; er sollte dasjenige leisten, wozu
die einfache klinische Betrachtung und das bloBe Sprechenlassen nicht
gentigten. Einen vorzuglich geeigneten Apparat, um diese Schreib-
bewegungen zu untersuchen, fand ich in der nach den Angaben
Professor Kraepelin's von dcm Mechaniker Runne in Heidelberg
construirten Schriftwage. Die Anregnng zur Construction dieses
Apparats erhielt Kraepelin durch einen Aufsatz Goldscheider's
»Zur Physiologic und Therapie der Handschrift**). Gold-
scheider hat sich zur Untersuchung der Druckschwankungen einen
Apparat construirt, den er folgendermaBen beschreibt:
»eine fedemd befestigte Metallplatte dient als Tischchen; das
Schreibpapier wird auf ihr mittelst Klemmen befestigi Die Platte
ruht mittelst eines FiiBchens auf der Membran einer Marey'schen
Aufnahmekapsel, welche auf gewohnliche Weise mit der Registrir-
kapsel verbunden ist. Wahrend man auf diesem Tischchen schreibt,
geben die Ausschlage des Zeichenhebels die gegen das Tischchen
gerichteten Druckwirkungen an«.
Goldscheider fand mittelst dieses Apparats, dass die Druck-
schwankungen fiir jeden Buchstaben einen bestimmten Typus, eine
bestimmte Curve durchlaufen, entsprechend den wahrend der ver-
schiedenen Phasen des Buchstabenbildes eintretenden Druckwirkungen
auf die Unterlage. Er hat sich indessen darauf beschrankt, die
Curven einiger Schriftzeichen unter verschiedenen Bedingungen im
GroBen und Ganzen zu schildem, ohne sich auf exacte Feststellung
der zahlenmaBigen Verhaltnisse derselben einzulassen. Dazu diirf te
wohl auch der von ihm verwendete Apparat kaum ausreichen.
Dagegen glaube ich, dass die Kraepelin'sche Schriftwage
alien Anspriichen auf exactes, zuverlassiges Fimctioniren Grentige
leistet
Sie ist, wie der Name sagt, nach dem Princip einer Wage con-
struirt Die Abbildung 1 ist nach einer Photographic des Apparats
angefertigt. Auf einer, auf 3 FiiBen stehenden, eisemen Platte ist
das Stativ S f est angeschraubt. Auf diesem befindet sich der Unter-
1) Archiv fur Psychiatrie XXIV. Bd. S. 503—525.
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Untersuchungen Qber die Scbrift Gesiinder iiud Geisteskrauker.
453
stiitzungs- und Drehpunkt der auf feinen Schneiden ruhenden Wage, a.
Der kUrzere Hebelarm b tragi eine Platte P. Die Klemmen k
dienen znm Pesthalten von weiBen Kartchen, auf die geschrieben
wird. Infolge der Oonstruction des Parellelogramms f hat diese
Platte immer eine horizontale Lage. Der lange Hebelarm c wird
durch die Peder d, mit der er durch den Stift e verbunden ist, immer
wieder in dieselbe wagrechte Stellnng zuruckgefuhrt. Diese Peder
vertritt in dem Apparat die Stelle des Gewichts. Ist die Wage in
der Ruhelage, so ist die Peder entspannt, das Grewicht gleich null.
ti-i**^
Bei jedem Druck auf die Platte wird die Peder so angespannt, dass
der dadureh entstehendeGegenziig gleich ist dem aufgewandten Drucke,
oder dem Gtewicht, das auf der Platte lastet. Diese Peder ist auf
einer Seite dauemd fest fixirt; die andere Seite kann durch Drehen
der Schrauben m gelockert werden, wodurch der Apparat empfindUcher
wird. Der horizontale Schreibhebel A, welcher senkrecht zur Ebene
des Armes c steht, ist durch den Stift g mit diesem verbunden.
Diese Terbindungsstelle kann naher oder entfemter von dem Dreh-
pimkt des Plihlhebels r gelegt werden, wodurch die GroBe des Aus-
schlags desselben verandert wird. Zur EquiUbrirung des Schreibhebels
befindet sich auf der anderen Seite des Unterstiitzungspunktes ein
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454 Adolf Gro6.
verscliiebbares Gewicht /. Der Stift g muss natiirlich immer senkrecht
stehen. Durch Drehen der Schraube i kann das die XJnterstutzung
des Drehpunkts r bildende Rechteck verschoben und so bei jeder
Lange des Schreibhebels diese senkrechte Stellung von g hergestellt
werden.
Der Apparat wird in folgender Weise benutzt: Die Platte P
passt genau in den Ausschnitt eines Stehpults. Der Fiihlhebel
schreibt auf eine rotirende Kymographiontrommel, die mit beruBtem
Wachspapier iiberzogen ist und sich mit constanter Geschwindigkeit
von 55 mm in der Secunde und einer Senkung von 15 mm dreht.
Stellt man den Fiihlhebel leicht gegen die beruBte Flache an und
lasst die Trommel ablaufen, so erhalt man eine einfache Spirale.
Jeder Druck auf die Schreibplatte auBert sich in einem Ausschlag
des Hebels nach oben, in einer Erhebung der die Spirale bildenden
Linie. Wir haben dann den Druck der Bewegung in der Ordinate,
deren Dauer in der Abscisse festgelegt. Um diese beiden Eigen-
schaften der Schreibbewegungen von der Trommel ablesen zu konnen,
dienen f olgende Einrichtungen : Unter dem Fiihlhebel der Schriftwage
befindet sich der Schreibhebel einer Fiinftelsecundenuhr, der die
wahrend der Bewegung verflieBende Zeit direct unter die Curve
registrirt. Die, je eine fiinftel Secunde darstellenden Spatien lassen
sich leicht noch viermal theilen, so dass eine auf zwanzigstel Secunden
genaue Ablesung bequem mogUch ist. Belastet man die Schreibplatte
mit 100 g und lasst dann das Kymographion laufen, so entsteht eine
diesem Gewicht entsprechende Druckhnie, die iiber die ganze Trommel
weg von der GrundUnie denselben Abstand hat. Entsprechend ver-
halt es sich bei irgend einer anderen Belastung. Eine Curve, deren
hochste Stelle bis zu dieser Drucklinie reicht, hat also einen maxi-
malen Druck von 100 g. Da es sehr mlihsam und zeitraubend ware,
fiir jeden Versuch diese Drucklinien besonders zu bestinunen, wurde
eine bleibende Tarirung auf f olgende Weise erzielt: Es wurde durch
Auflegen von Gewichten festgestellt, welcher Ausschlag des Fiihl-
hebels einem Druck von 100, 200, 300 g entspricht. In den betref-
fenden Hohen wurden Fedem fixirt, welche zusammen mit dem
Fiihlhebel iiber das beruBte Papier schleifen. Eine vierte, unterste
Feder zieht eine der Grundstellung des Schreibhebels entsprechende
Linie. So ist es moglich, den Druck auf ca 20 g genau direct
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Uiitersuchiiiigeii iiber die Schrifl Gesiiiider uiid Geisteskraiiker. 455
abzulesen. Um auch groBere Druckstarken bestimmen zu konnen,
wurden besondere MaBstabe in der beschriebenen Weise angefertigt,
die einen Druck bis zu lOOOg abzulesen gestatten.
Dem Beginn der Bewegung entspricht die Stelle, an der die
vom Schreibhebel gezogene Linie sich von der NuUlinie entfemt.
Das Ende der Bewegung ist da anzunehmen, wo die Druckcurve,
wieder auf 0 zuriickgekehrt, die Grundlinie zum ersten Mai schneidet.
Dann folgen in der Regel mehr oder weniger intensive Nach-
schwingungen.
Die Form der aufgezeichneten Curve giebt ein im Ganzen getreues
Abbild der wahrend der Schreibbewegung sich abspielenden Druck-
schwankungen.
Die erwahnten Nachschwingungen sind eine Folge der Eigen-
schwingungen des Apparats. Um diese auf ein moglichst geringes
MaB zuriickzuf uhren , musste die Wage so leicht als moglich sein;
sie wurde deshalb aus Aluminium hergestellt. Nichtsdestoweniger
lieBen sich die Eigenschwingungen nicht vollig verhindem. Am leb-
haftesten sind sie meist nach Schluss der Bewegung, beeintrachtigen
aber da die Form der Druckcurve nicht mehr. Wahrend des Ablaufs
der Bewegung spielen sie nur nach senkrechtem Ansteigen und Fallen
des Drucks eine RoUe. Im Beginn der Bewegung hangt ihre Energie
ab von der PlotzUchkeit, mit der die Bleistiftspitze angesetzt wird.
Also: die Eigenschwingungen des Apparats sind wahrend der Be-
wegung nur bei plotzUchen starken Druckschwankungen von Belang
imd lassen dann die Curve noch charakteristischer erscheinen. Am
Beginn und nach Schluss der Bewegung geben sie ein Bild von der
Schnelligkeit, mit der die Schreibbewegung einsetzt und aufhort.
Die GroBe und Form der Schriftzuge finden wir auf dem
Kartchen. Es mag hier noch darauf hingewiesen werden, dass immer
mit einem geniigend langen, gut gespitzten Bleistift, und zwar mit
Kohinoor H B geschrieben wurde.
Wenn wir die Dauer einer Schreibbewegung, z. B. einer Ziffer oder
eines Buchstabens, bestimmt haben, so ist damit die Geschwindig-
keit des Schreibens noch nicht gegeben. Diese ist auBerdem
bedingt durch die Lange der Linie, welche das Schriftzeichen bildet.
Je langer der Weg ist, den die Bleistiftspitze bei gleicher Zeitdauer
zuriickgelegt hat, desto groBer war die Schreibgeschwindigkeit.
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456 Adolf GroG.
Wir werden diesen von der Bleistiftspitze bei der Ausfuhrung einer
Schreibbewegung zuriickgelegten Weg den Scbreibweg nennen.
Der Scbreibweg derjenigen Zahlen und Buchstaben, fiir die die
Schreibgeschwindigkeit berechnet werden soUte, wurde deshalb in
Millimetem ausgemessen. Dividirt man die Gresammtdauer der Schrif t-
zeichen durch deren Scbreibweg in Millimetem, so erhiilt man ein
MaB fiir ihre durchschnittliche Schreibzeit pro Millimeter. Da die
Ausdriicke »Schreibdauer«, >Millimeterschreibzeit« und »Schreibge-
schwindigkeit« in der Folge immer wiederkehren, so mag, um Irr-
thiimer zu vermeiden, nochmals betont werden: TJnter Schreibdauer
verstebe icb die Zeit, welche zur AusfUhrung des ganzen Schrift-
zeichens notbwendig ist; unter Millimeterschreibzeit die zur VoUendung
je eines Millimeters dieses Zeichens erforderliche. Letztere ist natiirlich
um so kleiner, je groBer die Geschwindigkeit ist Diese »Millimeter-
schreibzeit« wurde durchweg als MaB fiir die Schreibgeschwindig-
keit verwendet; sie ist dieser umgekehrt proportional.
Die Ablesung der Zeiten von der Trommel erfolgte, wie schon
erwahnt, in fUnftel resp. zwanzigstel Secunden. Fast alle diese Werthe
wurden, um eine bequemere Vergleichung zu erm5glichen, in tau-
sendstel Secunden (a) umgerechnet. Doch geschah das nur aus
praktischen Grlinden. Icb will ausdrilcklich betonen, dass damit
nicht eine so weitgehende Genauigkeit beansprucht werden soil. Wo
es sich nim groBere Zeiten handelte, wurde auch mknchmal eine Um-
rechnung in hundertstel oder in zehntel Secunden vorgenommen.
Es war nun zunachst erforderhch, einen Versuchsplan aufzu-
stellen, der ein moglichst durchsichtiges und unschwer deutbares
Material zum Studium einfachster Schreibbewegungen zu liefem ver-
sprach. Ausgiebige Vorversuche brachten uns dazu, den Versuchs-
plan immer einfacher zu gestalten, da die geringste Complicirung
so viel neue Gesichtspunkte hineinzog, dass eine Deutung der Ver-
suchsergebnisse, zunachst wenigstens, auf imtiberwindliche Hindemisse
stieB. So beschrankte ich mich schlieBlich auf folgende Au^aben:
1. Zwei 10 cm von einander entfemte Punkte durch eine gerade
Linie zu verbinden; diese Aufgabe wurde viermal nach einander
wiederholt.
2. Ftinf Punkte nacheinander zu machen.
3. Den kleinen deutschen Buchstaben »m« zu schreiben.
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Uiitersuchuiigen fiber die Schrift Gesuiider iind Geisteskranker. 457
4. Die Zahlen 1 bis 10 zu schreiben, und im Anschluss daran
5. von 20 riickwarts je 3 zu subtrahiren.
Um die Aufgaben moglichst eindeutig zu gestalten und zugleicli
um ein MaB der maximalen motorischen Leistungsfahigkeit zu be-
kommen, wurde die Versuchsperson vor jeder Aufgabe energisch
aufgefordert, so rasch wie irgend moglich zu schreiben. Es wurde
beigefiigt, dass es nur auf die Schnelhgkeit, nicht auf die Schonheit
und Exactheit des Schreibens ankomme.
Die Gesichtspunkte, welche mich bei der Aufstellung dieses
Versuchsplanes leiteten, waren folgende:
Bei der Verbindung zweier, 1 0 cm von einander entf emter Punkte
durch einen Strich handelt es sich um ein^ Bewegung von einem
gegebenen Ausgangspunkte ab nach einem bestimmten Ziele. Diese
Bewegung entspricht etwa dem Handgeben, dem Greifen nach einem
vorgehaltenen Gegenstand.
Die Ausfiihrung der Punkte soil ein Bild geben von einer mog-
lichst kurzdauemden Bewegung.
Der Buchstabe »m« wurde gewahlt als Beispiel einer eingelemten,
in ihrer Form gegebenen, in ihrer GroBe variablen Schreibfigur.
Das »m« hat den Vorzug vor anderen Buchstaben, dass seine GroBe
mit einem MaBstabe verhaltnissmaBig leicht abzumessen ist. Es besteht
aus drei gleichformigen Bestandtheilen, je einen Grund- und einen
Haarstrich enthaltend, die unter einander verglichen werden konnen.
Aehnlich verhalt es sich mit den Zahlen. Doch haben wir
auBerdem in der Zahlenreihe 1 bis 10 eine Polge von einzelnen Be-
wegungen und dazwischenliegenden Intervallen. Es ist uns moglich,
festzustellen, wie sich die Dauer der Bewegungen verhalt zu der
Dauer der Pausen, wie sich die Bewegung andert im Laufe des
Versuchs.
Das an das Zahlenschreiben sich anschlieBende Subtrahiren hatte
in erster Linie den Zweck, dariiber Aufschluss zu geben, ob und
wie sich die Bewegungsverhaltnisse andem unter dem Einflusse einer
elementaren Denkfunction. AuBerdem giebt ims der Ausfall der
B.echenaufgabe ein MaB ftir etwa vorhandene Storungen dieser ein-
fachen associativen Thatigkeit.
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458 Adolf GroO.
B. Versnche an Gesnnden.
Wenn auch der Hauptzweck unserer Studien die Untersuchung
der krankhaften Storungen der Handschrift bildete, so musste doch
eine erste Grundlage zunachst durch Versuche an gesunden Menschen
geschaffen werden. Es wurden 17 Gesunde untersucht und zwar 9
Warterinnen und 8 Warier. Ich habe absichtlich das Wartpersonal
zu diesem Zwecke herangezogen irnd nicht etwa Gebildete gewahlt
Denn die untersuchten Kranken entstammen mit wenigen Ausnahmen,
die besonders zu berucksichtigen sein werden, dem Arbeiter- und
Bauemstand, aus dem sich auch unser Personal rekrutirt. Unter
den Normalpersonen sind solche von verschiedenster Intelligenz ver-
treten. So glaube ich, dass die groBe Anzahl der Normal versuche
mich vor der Gefahr bewahrt hat, etwa Dinge f iir krankhaft gehalten
zu haben, die noch in der Gesundheitsbreite liegen.
Die Versuche an Gesunden konnen infolge der Gleichartigkeit
der untersuchten Personen gemeinsam besprochen werden. Doch
empfiehlt es sich aus spater zu erortemden Griinden in der Regel,
die Manner und Frauen gesondert zu behandeln. Die einzelnen
Personen werden mit den romischen Ziffem I— XVII bezeichnet
werden, worunter I — "ViJLL Manner und IX — XVII Frauen darstellen.
Ich mochte kurz darauf hinweisen, dass die Normalversuche eine
Schwierigkeit darboten, welche bei den E^rankenversuchen fehlte.
Das Personal, insbesondere das weibhche, war zum Theil bei den
Experimenten verlegen, furchtete sich bloBzustellen, und uberhastete
sich infolgedessen beim Rechnen; bei den anderen Aufgaben trat das
nicht hervor. Dadurch wurde die Leistung mehrfach in ungunstigem
Sinne beeinflusst, und einzelne auffallend schlechte Rechenleistungen
sind so zu erklaren. Da wir es in vorUegender Arbeit im wesent-
hchen nur mit der Untersuchung der Schreibbewegung zu thun haben,
diese aber durch oben erwahnten Umstand nicht beeinflusst wird,
so konnen wir im allgemeinen ohne weiteres den pathologischen Be-
funden die normalen gegeniiberstellen.
Zunachst gebe ich in Tabellen die Zahlen iiber die Geschwin-
digkeit, Correctheit und den Druck bei der Ausfuhrung der Linien.
Die Tabelle I giebt zuerst die MilUmeterschreibzeit jeder Linie
in Sigmen, dann die durchschnittliche Millimeterschreibzeit fur jede
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Untersuchungen fiber die Schrift Gesunder und Geisteskranker.
459
Person und deren mittlere Variation in Procenten; in ihrer zweiten
H^lfte sind in Millimetern die Fehler bei der Ausfuhrung der Linien
verzeichnet. Zu lang gerathene Linien tragen das Vorzeichen »+•«,
zu kurze das Vorzeichen » — «. Die Tabellell giebt den bei jeder
einzehien Linie erreichten Druck und in ihrer letzten Spalte ein
arithmetisches Mittel aus den fiir jede Versuchsperson gefundenen 4
Werthen (D).
Tabelle I.
Versuchs-
personen
Mill
zeit
1
imeterschi
en der Lin
2 3
*eib-
ien
4
Mittel
Mittl.
Var. in X
L
I
ange
in 1
2
afehl(
ma
3
4
Summe
I
14
14
13
14
13,8
.4 !
1
2,5
+ 3
+17
— 2
+16
+ 10
+ 2
+ 3
n
5
3
4
4
12,5
+ ->
+ 50
in
IV
V
13
12
10
10
11,3
11,1
+ 2
+15
+ 2
+ 7
+ 1
+26
+ 5
+ 77
3
6
3
7
4
4
3
3,3
12,1
7,7
+29
6
6,5
+ 5
+ 3
+ 4
+ 12
VI
vn
vm
17
12
12
12
13,3
16,2
!+2
+ 4
+ 2
+ 8
9
11
10
9
9,8
10,3
7,7
+ 7
+ 1
— 1
+ 7
11
10
10
10
3,9
— (i
+ 7
IX
16
16
11
8
13
7
15
13,8
10,9
Lio
+ 4
X
6
9,3
36,6
34,4
!+4
+ 1
+ ^
XI
xn
13
8
9
7
6
5
8
— 2
+ 4
+ 7
8
6
7,3
10,3
— 2
— 1
+ 1
xni
XIV
7
7
7
1
7
« r'
+ 2
+ 1
8
8
9
7
8
9,4
+ 6
+ 1
+ 4
+ 11
XV
13
10
8
8
7
8
9,5
8
2M
1
+ 2
4- 3
+ 5
XVI
XVII
8
8
0 l+ll
+ 7
+ 6
+ 1
+ 4
+ 28
12
9
10
9
10
i 10,0 1'+ 1
+ 7
' +«
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460
Adolf GroS.
Tabelle H.
Manner I
1
n
m
IV
V
1
VI
vn
L . _
vm
no
1
100
300
220
220
360
190
280 210
2
90
240
370
270
280 1 150
100
3
100
190
230
320
260
2S0 1 150
130
4
120
280
300
290
230
300 ' 180
1
160
D-
102,5
247,5
247,5
3H5
237,5
285
172,5
125
Frauen
IX
X
XI
XU
Xin j XIV
XV
XVI
xvn
Linie:
1
2
140
110
160
190
180
160
150
290
150
130
180
140
210
200
180
270
310
100
170
3
190
200
240 180
190 200
100
180
4
170
240
300
200
200
210
350
100
220
1 j; D. 170 172,5
227,5
187,6
187,5
185
305
112,5
175
Die Schreibgeschwindigkeit ist bei derselben Person fast durch-
weg recht gleichmaBig. Zwei Versuchspersonen, Frauen (XITT und
XVI), haben ganz constant gearbeitet; ihre mittlere Variation ist gleich
null. Im Ubrigen schwankt diese zwischen 2,5% imd 36,6%; nur bei
4 Personen betragt sie iiber 12,5%. Das ist dann ausschlieBlich eine
Folge davon, dass die erste Linie inf olge einer gewissen Befangenheit
auffallend langsam ausgefUhrt wurde. Die spateren Linien wurden
im allgemeinen mit groBerer Oeschwindigkeit geschrieben als die
ersten. Elf Personen schrieben die vierte Linie rascher als die erste,
davon allerdings 4 bloB um la; bei 6 blieben die betreffenden
Geschwindigkeiten gleich. Keine Versuchsperson schrieb die letzte
Linie langsamer als die erste. Es ist hier jedoch noch darauf hin-
zuweisen, dass es dem Experimentator auf die Erzielung einer maxi-
malen Geschwindigkeit ankam, und er daher anhaltend zum schneller
schreiben anspomte. Wir braucben daher hier keine spontane Stei-
gerung der Bewegungsgeschwindigkeit anzunehmen. Vergleichen wir
die bei alien Personen gefundenen Mittelwerthe miteinander, so zeigt
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Untersiichui^n uber die Schrifl Gesunder uiid Geisteskranker. 461
es sich, dass die Geschwindigkeit pro mm von 3,3 bis zu 13,8 a
variirt. Auffallend kurz sind die Zeiten 3,3 und 4,0. Sie finden
sich bei den beiden Wartern, die bei der Ausfuhrung der Linien
am meisten iiber das Ziel hinausgeschossen sind. Diese haben ihre
4 Linien insgesammt um 77 (IV) resp. 50 (11) nun zu lang gemacht,
wahrend sonst, abgesehen von XVI mit 28, die Fehler nicht Uber
12 mm insgesammt betragen. Die abnorm raschen Leistungen sind
also auf Kosten der Correctheit erzielt. Die Schreibgeschwindigkeit
fur Linien schwankt bei den MSimem zwischen 3,3 und 13,8 a, bei
den Frauen zwischen 7 und 13,8 a; die Frauen haben also unter sich
viel gleichmaBiger gearbeitet als die Manner. Noch deutlicher tritt
das hervor, wenn man die mittlere Variation der Durchschnittsge-
schwindigkeiten berechnet. Diese betragt bei den mannlichen Ver-
suchspersonen 3a, bei den weiblichen 1,5, wahrend die durchschnitt-
liche Geschwindigkeit bei Frauen wie bei Mannem 9 a betragt. Die
Unterschiede sind also bei den Mannem doppelt so groB. Schuld
daran tragen vielleicht die beiden abnorm kleinen Werthe von 3,3
und 4 a. Schaltet man diese aus, so hegen die Zahlen der Manner
zwischen 6,5 und 13,8; also der Unterschied zwischen den Greschlech-
tern verschwindet fast vollig. Doch bleibt naturlich auch dann die
Thatsache bestehen, dass jene abnorm groBen Geschwindigkeiten yer-
bunden mit incorrectem Arbeiten bis jetzt nur bei mannlichen Ver-
suchspersonen gefunden worden sind.
Der durchschnittliche maximale Druck, welchen die Warter
beim Ziehen der Linien erreicht haben, betragt 219 g gegen 191,4
der Warterinnen. Die Manner haben also durchschnittlich 27,6 g
mehr Druck aufgewendet. Noch groBer ist der Unterschied, wenn
wir an Stelle der Durchschnittswerthe aus alien 4 Linien nur die
Durchschnitte der ersten Linien vergleichen. Dann stellt sich das
Verhaltniss 221,2 : 164,4 = 56,8 g Differenz. Vergleichen wir die
Durchschnittswerthe aus den vierten Linien, go steht einem Durch-
schnittswerth von 232,5 bei den Mannem ein solcher von 221 bei
den Frauen gegeniiber; also nur noch eine Differenz von lJ,5g.
Wir erhalten demnach folgendes Ergebniss: Der durchschnittlich
aufgewandte Druck bei den Mannem ubertrifft den der Frauen
erheblich. Diese Differenz ist am ausgesprochensten bei den ersten
Linien. wahrend sie bei den letzten Linien nur noch knapp
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462 Adolf GroB.
den funften Theil betragt, ganz unerhebKch geworden ist. Kurz:
Die Frauen haben im aUgemeinen mil gleichmaBig steigendem Druck
gearbeitet, wahrend bei den Mannern darin keine solche BegelmaBig-
keit obwaltet. Dem entspricht auch, dass bei den 9 weiblichen Ver-
suchspersonen nur einmal der Druck der ersten Linie den der letzten
Linie ubertrifft, wahrend das bei den 8 mannlichen Versuchspersonen
dreimal der Fall war.
Die mittlere Variation des Dnrchschnittsdrucks von 219 bei den
Mannern betragt 29,4 %; bei den Frauen 17,4 % auf 191,4. Wir
finden also auch im Druck viel geringere individuelle Unterschiede
bei den weiblichen als bei den mannlichen Versuchspersonen, ebenso
wie in der Geschwindigkeit, ja fast in demselben Zahlenverhaltnisse.
Die Tafel I giebt von jeder Versuchsperson die Druckcurve einer
Linie. Den vier Linien derselben Person entsprechen durchaus
gleichartige Curven. Meist ist die dritte Linie gewahlt. Nur wenn
diese beim Abnehmen des Papiers von der Tronimel durchschnitten
war, oder eine andere die charakteristischen Eigenschaften der be-
treffenden Person scharfer ausgepragt zeigte, wurde eine andere Linie
genommen. Die Tafel bedarf nur kurzer Erlauterung. Auch hier
fallt sofort die gleichmaBigere Form der weibUchen Druckcurven
(IX— XVn) gegeniiber der der mannlichen ins Auge. Man achte
nur auf die Gegensatze zwischen den niederen und langgestreckten
Curven I und Viii und den steilen, fast kegelformigen 11 und IV.
Bei den Frauen lassen sich von der Form XVI bis zur Form XV
unschwer alle Uebergange verfolgen. Das Einsetzen des Drucks er-
f olgt fast immer allmahUch ; nicht selten f olgt dem Beginn des Drucks
ein Nachlassen (I, HI, IV, Vlll, XTT, XV). Am steilsten beginnt
die Curve V. Die groBte Druckhohe wird meist gegen Ende der
Linie erreicht; einige Curven zeigen zwei Druckhohen, eine am Anfang
und eine am Ende (IH, EX, XIV), dazwischen liegt eine Senkung.
Bei XV folgt nach einem allmahlichen Anstieg gegen Ende auf eine
kurze Senkung ein kurzer Berg und dann der Abfall. Die Curven
Xn und XVIL verlaufen in ziemlich gleichmaBigem Bogen, mit dem
Maximum des Druckes in der Mitte. Erstere zeigt ein Ansteigen
in Staffeln. Das Aufhoren des Drucks geschieht nirgends ganz
plotzlich. Es erf olgt jedoch iiberall rascher als das Einsetzen. Am
steilsten schlieBt die Curve 1 11 mit ziemlich energischen Nachschwin-
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Uiitersiichungen uber die JScbrifl Gesunder und Geisteskranker. 463
gungen. Bei 11 und XVII sehen wir im absteigenden Ast der Druck-
linie eine Staffel, einem momentanen Stocken beim Loslassen ent-
sprechend. Bei einigen Curven, am deutlichsten bei XTT und XVII,
ist ein deutlicher Tremor erkennbar.
Mit diesen Betrachtungen ist die individualpsychologische Aus-
beute aus der Untersuchung der Druckcurven der Linien vielleicht
nicht vollig erschopf t. Ich babe nur diejenigen Verhaltnisse besprochen,
die durch die beigegebenen Curven illustrirt sind. Das Gesagte
geniigt jedoch durchaus zum Verstandniss der pathologischen Befunde.
Bei den Punkten sind die individuellen Differenzen innerhalb
der Gresundheitsbreite enorm, und die Versuche bieten ein vorwiegend
individualpsychologisches Interesse. Immerhin werden wir bei der
Betrachtung der Versuche an E^ranken eine Eeihe von Befunden
kennen lemen, die pathologische Merkmale tragen. Die Dauer der
Punkte variirt zwischen 50 (XVI) und 900 a (VI), der Druck zwischen
100 (XII) und 1400 g (II). Die Formen der Druckcurven sind
auBerordentlich verschieden bei den verschiedenen Personen, bei der-
selben Person jedoch durchaus typisch und principiell gleichartig.
Auf Tafel 11 sind von den Versuchspersonen V, X, XI, XII alle 5,
von VI 3 Drucklinien wiedergegeben, um diese Thatsache zu illu-
striren. Die DruckUnien sind sogar wesentlich gleichartiger als die
Punkte selbst. Um dies zu erlautem, sind bei VI und X die Blei-
stiftpunkte unter die betreffenden Curven gezeichnet. Die groBen
individuellen Verschiedenheiten, die sich gerade hier, und nur hier,
darbieten, beruhen im wesentUchen darauf , dass die Punkte von den
Versuchspersonen verschieden ausgefuhrt werden. V, XII, XVI
machen einfache Tupfen. Das Eesultat ist eine theils abgerundete,
theils spitze Erhebung, die bei V einmal, bei XVI immer mit zu-
nehmender Tiefe gegabelt ist. Sehr gleichartig sind die Drucklinien
derjenigen Personen, welche kurze Striche als Punkte machen (XIV,
XV, m). An sie schlieBen sich nahe die hakenformigen Punkte
an (VlLi, XTTT), die eine Stufe im Aufstieg zeigen. Eine solche
lasst, weniger energisch ausgepragt, auch die DrucWinie der strich-
formigen Punkte von XV erkennen. Hakenartig sehen auch die
Punkte von XI aus, doch ist ihre Druckfigur zerklufteter und mehr-
gipflig, entsprechend zahlreichen kleinen Schwankungen des Druckes.
Sie fiihrt uns hiniiber zu der Figur VI. Die Punkte dieser Versuchs-
Eraepelin, P^ycholog. Arbeiten. II. 31
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464
Adolf GroO.
person sehen, auf dem Kartchen betrachtet, ganz verschieden aus,
wie Striche, Haken, Kleckse. Und doch bestehen alle ihre Druck-
figuren aas vier ziemlich gleichmaBigen, gegen das Ende ansteigenden,
durch entsprechende Einsattelungen getrennten Erhebungen. Drei
Versuchspersonen machten die Punkte in Form von kleinen Kreisen.
Von I und IV sind 2, von IX eine entsprechende Drucklinie abge-
bildet. Alle sind breit und bieten in der Mitte eine Senkung dar.
Bei I ist deutlich ein Vorschlag (a) zu erkennen, der zunachst frei
vor der Curve steht, dann (aj) den Anstieg eroffnet. Dieses Nach-
lassen nach dem ersten Ansetzen ist ein bei alien Schreibbewegungen
haufiger Befund. Im ubrigen verweise ich auf die beigegebene Tafel.
Tabelle III.
Buchstabe
Manner
I
II
III
IV
V
VI
vn
VIII
«
Durchschnitt
mittl. Var.
Dauer
soo
31
2(i
700
29
24
800
28
28
800
29
28
900
800 1 800
800
17
48
250
800
3,1 X
Millimeter-
sc'hreibzeit
Schreibweg
19
47
19
42
260
42
19
250
26,8
23,9 X
32,9
330
29,5 X
Druck
200
450
380
320
530
28 X
1
Buchstabe
Frauen
IX
X
XI
xn
xm
XIV
XV
700
XVI
600
xvn
800
33
Durchschnitt
800
mittl. Var.
19,5 ;j;
Dauer
1000
1100
700
600
700
1000
Millimeter-
schreibzeit
Schreibweg
55
18
33
18
27
22
100
64
53
17
28 1 25
37,3
35,2 X
33
39
260
11
25,
24
100
24
23,7
24,9 X
Druck
160
130
210
190 ] 330 '
100
182
32,5 X
Die Schreibdauer des Buchstaben >m« betmg zwischen 600
und 1 100 a. Die durchschnittliche Dauer war bei Mannem sowohl
wie bei Frauen 800 a. Jedoch wies dieser Werth in vorliegender
Versuchsreihe bei den Frauen eine mittlere Schwankung von 19,5%,
bei den Mannem nur eine solche von 3,1% ^uf- Wie die obige
Tabelle zeigt, schwankt die Schreibdauer der Frauen sowohl nach
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Uutersuchungen ilber die Schrift Gesunder uiid Geisteskranker. 465
oben wie nach iiiiten mehr als die der Manner. Die Schreibgeschwin-
digkeit bewegt sich zwischen 17 und 64 a, doch weisen nur 4 Ver-
suchspersonen mehr als 33 a aut Die durchschnittb'che Geschwindig-
keit der Manner ist groBer als die der Prauen, 26,8 gegen 37,3 Sigmen
Schreibzeit pro Millimeter. Auch bier scheinen die individuellen
Unterschiede bei den Mannern geringer; sie haben nur 23,9 % niittlere
Variation, die Frauen dagegen 35,2. In Bezug auf Schreibweg des
Buchstaben sind die mannlichen Personen iiberlegen: 32^ gegen 23,7.
Dafttr sind hierin auch ihre personlichen Unterschiede starker, wenn
auch nicht bedeutend (29,5% : 24,9 o/o).
Die GroBe der Schrift steht in einem ziemlich constanten Ver-
haltniss zur Geschwindigkeit des Schreibens. GroBen Buchstaben
entspricht schnelles Schreiben (V, VI, VIII, IX) , kleinen Buchstaben
geringe Geschwindigkeit (VII, IX, XIII, XIV). Bei den Mannern
ist dieses Verhaltniss so constant, dass die Gesammtdauer, welche dem
Product aus Schreibweg und Millimeterschreibzeit entspricht, nur eine
mittlere Variation von 3,1% aufweist. Bei den Prauen sind die
Schwankungen der Geschwindigkeit groBer als diejenigen der Buch-
stabenlange. Lnmerhin ist auch hier die mittlere Schwankung der
Gesammtdauer wesentlich geringer als die der Geschwindigkeit und
des Schreibwegs.
Der hochste Druck variirt zwischen 100 und 530 g; bei den
Wartem zwischen 200 und 530, den Warterinnen zwischen 100 und
330. Im Mittel betragt er bei ersteren 330, bei den letzteren 182 g;
wir finden also auch hier einen bedeutend groBeren Druck auf Seite
der Manner. Die mittlere Variation ist bei Mannern und Prauen
annahemd dieselbe. Zwischen Druck und Geschwindigkeit scheint
kein bestimmtes Verhaltniss zu bestehen.
In den DruckUnien begegnet uns allgemein ein dreigipfliger
Typus, den drei aus je einem Grund- und Haarstrich bestehenden
Theilen des Buchstaben m entsprechend. Die ansteigende Seite
eines jeden Gipfels wird durch einen Grundstrich, die absteigende
durch einen Haarstrich hervorgerufen, jener also mit steigendem,
dieser mit abnehmendem Druck geschrieben. Eine Ausnahme hiervon
macht natiirhch der erste Haarstrich, mit dem die Schreibfigur, also
auch der Druck beginnt: er lasst ein Steigen des Drucks erkennen.
Er markirt sich entweder als kleinerer Gipfel am Beginn der Curve,
31*
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466 Adolf GroO.
Auf den mit dem Umwenden zum Grundstrich eine Einsattelung folgt
(H, VI, IX, X, XI, XIV, XV, XVH), oder auch bloB als Stufe
im ersten Anstieg (m, IV, VH, XH, Xm, XVI). Bei n, X, XVH
erkennen wir auf den Schreibkartchen einen auffallend energischen
Ansatz. Die Curve VH zeigt in dem Vorschlag a ein zweimaliges
Ansetzen. Eine Staffel im Abstieg verursacht der letzte Haarstrich
bei VI nnd XH, bei V einen letzten, steilsten, Gipfel. Durchweg
zeigen Thalef und Berge derselben Curve ahnliche Form: spitz bei
n, V, VI, XV, breit bei I, IV, XH, XIV u. s. f. Zum Theil mag die
Umbiegungsstelle dadurch, dass die Schreibhebelspitze iiber das Ziel
hinausschnellt, noch scharfer erscheinen, als es der Druckanderung
entspricht. Das kommt jedoch nur bei groBen Druckschwankungen
in sehr kurzer Zeit in Betracht (s. insbes. XV) und lasst die indi-
viduellen Unterschiede noch mehr hervortreten. Sehr starke Druck-
schwankungen entsprechen flotter energischer Schrift, insbesondere
scharfen Ecken; runde Formen sind entweder eine Folge langsamen,
correcten Schreibens, wie bei XTTT, oder, haufiger, fliichtiger Schrift,
wie bei I, XTT, XVI. Wahrend der Ausfuhrung des Buchstaben
ist fast durchweg ein Ansteigen des Drucks zu erkennen. Meist ist
der folgende Gipfel hoher als der vorausgehende. Ausnahmen machen
nur Vn, Xni und XV. Der Abfall ist fast durchweg steiler als
der Anstieg. V zeigt ein ganz plotzliches Loslassen mit energischen
Nachschwingungen.
Der ausftihrlichsten Besprechung bedarf das Schreiben der Zahlen
1 — 10. TabellelV giebt einen Ueberblick iiber die Durchschnitts-
werthe fUr Gesammtdauer, Schreibzeit pro Millimeter (Schreibge-
schwindigkeit), Schreibweg und Druck sammtlicher in diesem Versuch
und in der Subtractionsarbeit enthaltenen Einer.
Aus technischen Griinden war es nicht moglich, diese Einzelheiten
in Bezug auf jede Zahl zu berechnen. Es wurde die Zahl »l«
herausgegriffen, weil ihre Lange am leichtesten abmessbar ist, weil
sie in der Zahlenreihe zweimal, in der Subtraction viermal vorkommt,
und man daher im Stande ist, Durchschnittswerthe aus 6 Zahlen zu
gewinnen. Ich verhehle mir nicht, dass die Beschrankung auf die
Zahl »1« ein Uebelstand ist. Doch stand mir bis jetzt kein Instru-
ment zur Verfiigung, um die Lange gekriimmter Linien, deren
Schreibweg, gonau auszuniessen. Fiir spiitere Versuche wird ein
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Uiitersuchungeu Ober die Schrifi Gesuiider iiiid Geisteskraiiker.
467
>Curvenmes8er« uns eimoglichen, beliebige Scliriftzuge in den Kreis
unserer Betrachtungen zu ziehen. Von der Versuchsperson Vm
fehlt mir die Subtraction; die Warterinnen XIV und XVII haben
mir zur Mittelberechnung nur je 4 Einer geliefert. Ich babe die
betreffenden Mittelwerthe auf der Tabelle mit *) bezeichnet gegeben,
jedoch zur Berechnung des Gesammtdurchschnitts nicht verwendet.
Die Gesamnitmittel sind daher bei Mannem sowohl wie Frauen aus
je 7 Personen berechnet.
Tabelle IV.
Einer
Durchschnitt
Manner
I
u m
IV
t
V
VI VII
VIII*
i ES -ittlVar.
Dauer
2f>7
158 1 275 ' 280
1 '
226
267
267
325
249
12,9 X
M. Var. %
8,3
29,8
9,1
10,7
11,6
20,9
33,3
7,7
Millimeter
Schreibzeit
28,7
30,2
27,9
32,6
13,7
42,5
47,5
15,7
30
31,9
24,1 X
M. Var. %
15 13,9
13,6
6,4
8,6
19
23,5
16,7
Schreibweg
M. Var. %
9,5
5,5
10
17,3
5,9
5,5
H
8,9
32,H X
15,8 ! 16,4
1
7
12,8
13,3
15,3
27,3
11,4
Druck
252
283
492
267
545
300
282
17,1
165
346
36,1 X
M. Var. %
14,2
28,3
9,3
6,9 |11,6
8,9
9,1
Einer
Durchschnitt
Frauen
IX
X
XI
xn
XIII
XIV**
XV
XVI**
xvn
Durch-
schnitt
mittLVar.
15,6 X
Dauer
342
250
200
242
275
300
325
286
325
280
M. Var. y.
Millimeter
Schreibzeit
12,2
6,7
8,4
13,9
9
0
12,8
12,2
7,7
43,7
23,2
28,8
43,5
66,5
31,3
39,3
20,8
27
38
32,1 X
M. Var. %
24,3
15,1
34,1
34
5,8
13,8
4,2
10,8
12
20,7
14
17,4
Schreibweg
8,5
10,5
10.7
9,8
8,3
12,3
8,6
25,6 X
M. Var. X
23,5
180
9,5
287
31,8
262
30,3
13,6
8,7
5,2
14,3
10,6
Druck
127
10,5
302
6,1
225
14,1
318
12
183
333
273
21,4 X
1 M. Var. X
7,4
,11,3
10,8
17,8
13
aus 2 Zahlen berechnet
> 4 » >
I fiir die Durchschnittsberechnung nicht rerwendet.
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468 Adolf GroB.
Die durchsclmittliche Gesammtdauer variirt zwischen 158 und
342 (7, die Millimeterschreibzeit zwischen 13,7 und 66,5 a; darunter
sind jedoch nur 5 Werthe liber 40 a. Diesem entsprechen die klein-
sten Schreibwege (VI, VH, IX, XII, XHT). Insbesondere XHI
verbindet mit der groBten Schreibzeit die kleinste Zahlenlange
(4,4 : 66,5). Der nach jenen 5 folgenden Schreibzeit von 39,3 ent-
spricht ebenfalls der verhaltnisanaBig kleine Schreibweg von 8,3 mm.
Die durchschnittliche Geschwindigkeit ist fur die Manner etwas groBer
als fur die Frauen, der Schreibweg, allerdings nur wenig, ebenfalls.
Wir finden hier also das namliche Verhaltniss wie bei dem Buch-
staben »m«: kleinen Schriftzeichen entspricht langsames Schreiben
und umgekehrt. Eine Ausnahme hiervon scheint 11 zu machen, bei
dem der sehr geringen Lange von 5,5 mm die etwa mittelgroBe
Millimeterschreibzeit von 30,2 a entspricht. Diese Ausnahme ist aber
nur scheinbar. Denn die Betrachtung des betreffenden Schreibkart-
chens zeigt uns, dass 11 im allgemeinen recht groBe Zahlen schreibt,
dass jedoch ein Theil der Einer auffallend klein gerathen ist Die
kleinen Langenwerthe, welche die Messung der Einer ergab, ent-
sprechen hier nicht der SehriftgroBe der Versuchsperson 11 iiberhaupt.
Alle andem Normalpersonen schreiben eine Zahl ungefahr so groB
wie die andere, so dass die Lange des Schreibwegs der » t « als Norm
betrachtet werden kann.
Diesem altemirenden Verhaltniss von Schreibzeit und GroBe
entspricht es auch, dass die Zeiten fur die Gesammtdauer der Einer
unter sich weniger variiren, als die Zeiten f iir Schreibgeschwindigkeit
und Schreibweg, indem letztere sich in ersterer bis zu einem gewissen
Grade ausgleichen. Den zahlenmaBigen Ausdruck dafur geben die
mittleren Variationen der betreffenden Werthe, welche in die letzte
Spalte der Tabelle 4 eingetragen sind.
Auch die groBeren individuellen Unterschiede in Bezug auf die
Zahlenltlnge, die geringeren in Bezug auf die Geschwindigkeit bei
den Mannem gegeniiber dem weiblichen Geschlecht decken sich
durchaus mit den bei Betrachtung des Buchstabens »m« gemachten
Beobachtungen.
Der durchschnittliche Dnick ist auch hier bei den mannlichen
Versuchspersonen erheblicher als bei den weibhchen : 346 g gegen
273. Das Maximum betragt fiir Manner 640 g, fur Frauen 430 g,
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Uiitersiicbangen fiber die Scbrift fifsnnder und Geisteskranker. 469
das Minimum 150 resp. 110 g. Der Durchschnittsdruck aller Ver-
such^iersoiien hat eine mittlere Variation von 36,1 % au! Seite der
Warter gegen 21,4 auf Seite der Warterinneri. Letztere haben also
unter sich gleichmaBiger gearbeitet. Unter dem Durchsdlinittswerth
fur Gesammtdauer, Geschwindigkeit, Schreibweg, Druck der Einer
jeder Versuchsperson steht die mittlere Variation des l)etreffenden
Mittelwerthes verzeichnet. Es ist das vielleicht ein Mittel, Um ein
MaB fur die groBere oder geringere GleichmaBigkeit der psyphomo-
torischen Thatigkeit jeder Versuchsperson zu bestimmeij. Danach
haben am gleichmaBigsten III, IV und XIII, am ungleidhmaBigsten
VII, Xn, n gearbeitet.
In welcher Weise sich die gefundenen Eigenschaften der Schreib-
bewegungen unter dem Einflusse der motorischen Thatigkeit und des
Rechnens verandem, zeigt die Tabelle V. Diese Tabelle bedarf kurzer
Erlauterung. Die erste »1« ist mit a, die »1« in der »10« mit 6,
die »1« in der »17« mit c bezeichnet. Dementsprechend geben die
Werthe in Tabelle V die Differenz zwischen a und b in Procenten von
a, die ZMrischen b und c in Procenten von b, Ein -f- vor der Procentzahl
sagt, dass es sich um eine Zunahme, ein — , dass es sich um eine Ab-
nahme des Werthes handelt. Die in der Tabelle fiir jede Versuchs-
person eingezeichneten Zahlen fiir die Veranderung der MilHmeter-
schreibzeit, Schreibweg und Druck ergeben, dass wahrend des Schrei-
bens von 1 — 10 die Millimeterschreibzeit im allgemeinen ab-, also die
Geschwindigkeit zunimmt. Unter 17 Personen schreiben 13 die »1«
in der »10« schneller als die erste »1«. Die Geschwindigkeitszu-
nahme betragt bis zu 46,2 % der Anfangsge^chwindigkeit. Doch
steht dieser letzte Werth vereinzelt da, wahrend bei den iibrigen
Versuchspersonen die Zunahme ein Drittel der Anfangsgeschwindig-
keit (30^) nicht iiberschreitet. Viermal nimmt die Schreibgeschwindig-
keit ab; dreimal nicht bedeutend, um 3 — 20^; einmal wuchs die
Schreibzeit fiir den Millimeter um \\1 %. Die Lange der Schreib-
figur auf dem Kartchen nimmt in der Mehrzahl der untersuchten
Falle zu: in 10 von 17 Fallen; einmal ist Lange a = Lange b.
Die Zunahme betragt ebenfalls im allgemeinen nicht iiber 30^; nur
XVI und XVn Uberragen mit 61 und 56^ diesen Werth. In
6 Fallen ist die zweite » 1 « kleiner als die erste, darunter einmal
um 72,7, sonst nicht iiber 34,4 %, Wie Geschwindigkeit und Schreib-
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470
Adolf GroO.
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ODtersiiebiingeD flber die Scbrift Gesiiiider iind Geisteskranker. 47 1
weg, so wachst in der Kegel auch der aufgewandte Druck wahrend
des Schreibens. Der Druck 6 ist in 13 Fallen starker als der Druck or,
und zwar ubertrifft er diesen um 8 — 78^, darunter dreimal um iiber
31 ^. Bei 4 Normalpersonen ist eine Abnahme des Drucks zu ver-
zeichnen, dreimal unbedeutend, bis zu 14, einmal allerdings um 44^.
Die Veranderungen wahrend des Schreibens, wie sie uns nach dem
vorhegenden Material entgegentreten, sind also folgende: In weitaus
der Mehrzahl der Falle Zunahme der Geschwindigkeit, des Schreib-
wegs, des Drucks, in einzelnen Fallen auch Gleichbleiben oder Ab-
nahme. Weder di^Zunahme noch die Abnahme ubertrifft im all-
gemeinen ein Drittel des Anfangswerthes.
Keine der vier Versuchspersonen, welche mit abnehmender Ge-
schwindigkeit schrieben, zeigt zunehmende Lange der Zahlen; bei
dreien nimmt auch die Weglange der Zahlen ab, bei einer (HI)
bleibt diese gleich. Die Versuchsperson XTT, bei der sich die
Millimeterschreibzeit so enorm verlangsamt, mehr als verdoppelt
(117^), nimmt auch in Bezug auf Kleinerwerden der Zahlen die
auBerste Stelle ein (72,9^). Auf der anderen Seite hat XVII,
neben der starksten Schreibbeschleunigung um 46,2^, die zweitgroBte
Langenzunahme, um 56^. Von den 4 Versuchspersonen, welche
mit abnehmendem Druck schrieben, zeigen 3 abnehmende Geschwindig-
keit, 2 abnehmende, eine gleich bleibende GroBe.
Das Verhaltniss von Schreibzeit, Schreibweg und Druck der » t «
in der »17« zu der in der »10« ist im GroBen und Ganzen das um-
gekehrte, vne das zwischen »10« und »1«. Bei der 17 ist die Schreib-
geschwindigkeit, Schreibweg und Druck der »1« je in 10 Versuchen
von 16 kleiner als bei der 10. Einmal ist die Millimeterschreibzeit,
dreimal der Druck gleich groB. Zun^thme der Geschwindigkeit
wurde in 5, der Schreiblange in 3, des Druckes in 6 Fallen beobachtet.
Die beiden Versuchspersonen, welche die starkste Beschleunigung
der Schreibgeschwindigkeit darbieten (VH und XTT), zeigen auch die
weitaus groBte Langenzimahme. Bei m und Xm, mit 16,7^ Ge-
scbwindigkeitszunahme ist die Lange b = Lange c, bei X Schreibzeit
und Lange b = c, Auf der anderen Seite haben dieselben 5 Ver-
suchspersonen (I, n, V, rX, XI,) die groBten Geschwindigkeits-
und die groBten Langenabnahmen. I, 11, V, EX lassen gleichzeitig
auch die starkste Druckverminderung erkennen. IH und VII, mit
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472
.\dolf GroO.
26 resp. 30^ Drucksteigerung, weichen auch in Bezug auf die
Aenderung der Schreibgeschwindigkeit betrachtlich von der Eegel ab:
sie ist um 16,7 nnd 28^ beschleunigt.
Aus diesen Betrachtungen ergiebt sich, dass im GroBen und Gaiusen
Greachwindiekfai;, Schveibweg and Drtrck wahrend des Schreibens an-
wachsen, dass sich also eine gewisse motorische Erregung entwickelt nnd
dass diese Erregung durch die Denkthatigkeit des Eechnens gedampft
wird. Dies zeigt sich darin, dass meist GeschMrindigkeit, Schreibweg und
Druck der Zahlen wieder abnehmen. So verhielt es sich in den meisten
der bisher angestellten Versuche, jedoch nicht hnmer. Es ist dabei
zii bedenken, dass von jeder Person nur je ein Versuch voriiegt und
in Folge dessen das Endresultat fur die einzelne Person von ZufilUig-
keiten recht abhangig erscheint.
Wie schon erwahnt, warden die Geschwindigkrits-, Schreiblangen-
und Druckverhaltnisse bei den Einem als MaB fiir die betreffenden
Tabelle VI.
In Vio Sec.
Manner
I
II
m
IV
V
VI
vn vui
Durchschnitt
mittl. Var.
Versuchs-
dauer
D.d. Zahlen
63,5
49,5
70
63
68
50,5
62,5
63,5
49
'^
45,5
18,5
8,1 ;tf
28,1 X
39,5
43
20
68
32
45,5
22,5
39,5
49
49,5
D. d. Pausen
14
30,5
11
13,5
14,5
22,5
69
31
Verhaltniss
78
22
56
44
67 78
33 22
78
22
77
'23
In Vio Sec.
Frauen
DC
X
XI XTT * xm
XIV
XV
XVI
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Durchschnitt
mittl. Var.
Versuchs-
dauer
85
57
40,5
16,5
71
28
47,5
36,5
66 l60,5
1
60
62
73
76
45
Zahlen
52,5
32,5
62
38
43,5
44
48
21
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30
1
42,5
19,5
50 ; 48,5
23 27,5
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Pausen
11
76
24
22,5
16,5
73
27
21
Verhaltniss
%
66
34
69
31
69 62
31 38
1
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Dntwisoehuiigen ii6er die Schrift Gesunder ond Geisteskranker. 473
Eigenschaften der Zahlen tiberhaupt angenommen. Es gescbah dies
aus friiher auseinandergesetzten technischen Griinden. Ob es
durchweg richtig ist, die Einer als analog den Anderen Zahlen in
Bezug auf alle jene Eigenschaften hinzustellen, will ich nicht «Rt-
scheiden; es ist hocbst wahrscheinlich. Diese Annahme gewinnt
wesentlich an Zuverlassigkeit, wenn wir die Gesammtdauer aller
Zahlen von 1 — 10 betrachten. Die Gesammtdauer aller Zahlen,
ohne die Pausen, betragt fur die Manner durchschnittlich 4,55, fiir
die Prauen 4,5 Secunden, also so gut wie gleich viel. Aus der
Gegeniiberstellung dieser Dauer und der durchschnittlicben Dauer
jedes Einers allein mit etwa 2,6 Zehntelsecunden ist bei der ver-
schiedenen GroBe der Zahlen nichts zuverlassiges zu erschlieBen.
Man kann nur soviel sagen, dass die Dauer der Einer, als der
kleinsten Zahl, etwa in entsprechendem Verhaltniss zu der Gesammt-
dauer stehen diirfte. Dagegen spricht das Ergebniss der Betrachtung
der individuellen Unterschiede der Versuchspersonen unter einander
fiir das Bestehen einer weitgehenden Analogie. Die mittlere Variation
betragt fiir die Einer allein 12,9^ fiir die Frauen, 15,6^ fiir die
Manner, fiir alle Zahlen 8,1 und 9,1^. Die geringe Differenz
dieser Werthe ist in die Augen fallend, ebenso bei beiden die groBere
GleichmaBigkeit bei den Frauen. Die kleinere mittlere Variation
fiir die Gesammtzahlen spricht dafiir, dass die individuellen Unter-
schiede mit VergroBerung des Materials nicht wachsen, sondem ab-
nehmen, dass die Verhaltnisse noch gleichartiger sind, als sie bei
Betrachtung der Einer allein erscheinen. Ordnen wir sammtliche
Versuchspersonen nach der durchschnittlicben Dauer ihrer Einer und
femer nach der Gesammtdauer aller Zahlen, so zeigt es sich, dass
dieselben 10 Versuchspersonen mit den Durchschnittswerthen fur die
Dauer ihrer Einer in eine Vio Secunde breite Mittelzone fallen, und
fiir die Dauer aller Zahlen in eine solche von einer Secunde. In
beiden Beziehungen fallen II, VI, V nach oben, IX nach unten aus
dieser Mittelzone heraus. Auch hierin finde ich einen Anhalt, dass
die bei den Einem erschlossenen Befunde im allgemeinen fiir die
Gesammtheit der Zahlen typisch sind.
Wahrend die Gesammtdauer aller Zahlen, wie die mittlere
Variation zeigt, unter den verschiedenen Versuchspersonen wenig
differirt, sind die individuellen Unterschiede in Bezug auf die Pausen
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474
Adolf GroB.
zwischen den Zalilen viel groBer. Zwischen Mannem und Frauen
ist im Ganzen der Unterschied sehr gering. Die durchschnittliche
Gesammtdauer der Pausen betragt bei den Wartem 1,85, den
Warterinnen 2,1 Secunden. Dagegen bestehen unter den einzehien
Versuchspersonen sehr groBe Unterschiede ; die mittlere Schwankung
betragt fur die Pausen auf Seiten der Manner etwa das S'/j, auf
Seiten der Frauen das 2V2fache wie fur die Zahlen selbst. Es liegt
nun nahe, zu vermuthen, dass die verschiedene Dauer der Pausen
auf verschiedener Distanz zwischen den auf das Kartchen geschrie-
benen Zahlen beruht, dass also einer langeren Pause ein langerer
Weg der Bleistiftspitze durch die Luft entsprache. Vergleichende
Messungen der Gesammtlange der Zahlenreih^ haben gelehrt, dass
davon nicht die Rede sein kann; es besteht kein constantes Ver-
haltniss zwischen den raumlichen Abstanden der Zahlen und der
Dauer der Pausen. Doch vermuthe ich eine andere Erklarung fur
diesen Befund. Diejenigen 3 Versuchspersonen, welche die langsten
Werthe fiir die Dauer der Pausen erkennen lassen, sind zweifellos
die ungewandtesten und am wenigsten gebildeten unter dem unter-
suchten Personal. Die Moglichkeit ist also nicht ausgeschlossen,
dass wir spater einmal in der Dauer der Pausen ein MaB fiir die
Schreibgewandtheit oder auch fiir den Bildungsgrad der betreffenden
Versuchsperson erhalten werden.
Da sich die Eigenschaf ten der Einer wahrend des Schreibens in
ziemlich eindeutiger Weise verandem, so Uegt es nahe, auch auf Ver-
anderungen der Pausen wahrend des Schreibens zu fahnden.
Zu diesem Zwecke habe ich die Mittelwerthe aus den ersten, zweiten
etc. bis neunten Pausen aller Versuchspersonen berechnet.
Tabelle VH.
Pause: ! 1
1
2
3 1 4
5
6
7
405
23,S
8
345
20,3
1
9
Durchschn.
Dauer. Sa. in Vioo Sec.
295
380
400
460
27,1
430
25,3
355
20,9
325
19,1
22,2
Durchnittsdauer pro
Person in Vioo Sec.
17,4
22,4
23,5
Tabelle VIL giebt die Gesanuntdauer und die Mittelwerthe jeder
einzelnen Pause in Vioo Secunden. Sie zeigt, dass die Pause zwischen
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Untersuchungen fiber die Schrift Gesuiider nod Geisteskranker.
475
1 und 2 durchschnittlich 0,174 Secunde
betragt, dass die Pausen dann zunachst
langer werden, um nach der Zahl »5«
wieder abzunehmen. Die Vermuthimg liegt
nahe, dass die ersten kurzen Pausen auf den
«»Antrieb« *) zu beziehen sind, der sich rasch
verliert, wahrend die dann beginnende all-
mahliche Verkiirzung der Pausenlange als
eine Folge der »Anregimg«2) aufzufassen
ist. Die letzte Pause ist im Durchschnitt
noch etwas langer als die erste. Damit
stinmit uberein, dass bei Betrachtung der
einzelnen Versuchspersonen die neunte
Pause in 10 Fallen langer dauert als die
erste, in 5 Fallen kiirzer und zweinial
gleich der ersten ist.
Eine andere Bedeutung als die Pausen
zwischen den Zahlen haben die Pausen
innerhalb der Zahlen 4, 5 und 10,
die als »Innenpausen« bezeichnet wer-
den sollen. In Tabelle Vm giebt die erste
Beihe die Summe aus diesen 3 Pausen,
die zweite den Durchschnittswerth dieser
Innenpausen fur jede Person in hun-
dertstel Secunden. Fiir alle Normalper-
sonen zusanunengefasst betragen sie durch-
schnittlich 6,9hundertstel, also etwa ein
Drittel der Zwischenpausen mit 22,2
hundertstel. Hire mittlere Variation ist
viel geringer als die der Hauptpausen; sie
entspricht etwa jener der Einer und nahert
sich derjenigen der Zahlen iiberhaupt.
Die Deutung ist folgende. Wahrend wir
in den Hauptpausen die Zeit des Ueber-
1) S. Rivers und Kraepelin, Diese Ar-
beiten Bd. I. S. 636.
2) S. Amberg, Diese Arb. Bd. I. S. :i74.
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476
Adolf GroO.
Tabelle IX.
Innen-
pausen
Dauer Sa.
in Vioo Sec.
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4
!
5
10
105
132
117
D. Dauer
pro Person
6,2
7,8
6,9
ganges von einem Entschluss ziun andern vor uns haben, stellen
die Innenpausen nur Theile der Zahlen selbst vor, .welche daher
auch die mittleren Variationen der Zahlen zeigen. Dass sich die
mittlere Schwankung mehr derjenigen der Einer als derjenigen der
Zahlen iiberhaupt nahert, findet seine Erklarung darin, dass die
Mittelwerthe fur diese kleinen Pausen aus nur 3 Zahlen gewonnen
sind, also den Werthen aus 6 gleichen Zahlen mehr entsprechen
miissen, als den aus 10 verschiedenen. Die durchschnittliche Dauer
der Innenpausen ist bei der 4 am kleinsten, groBer bei der 10, am
groBten bei der 5. Der XJnterschied zwischen den Zahlen 4 und
10 mag auf der vei-schiedenen Lange des Wegs beruhen, den die
Bleistiftspitze durch die Luft zurUckzulegen hat. Bei der Zahl 5
ist die Bichtung der zweiten Bewegung der der ersten direct ent-
gegengesetzt; der Uebergang von dieser zu jener beansprucht deshalb
die langste Zeit
Auf die Form der Drucklinien fiir jede einzelne Zahl naher
einzugehen, wiirde zu weit fiihren. Es ist auch deshalb nicht noting,
weil die Curven der Zahlen dieselben wesentlichen Kennzeichen
tragen, wie die des Buchstaben »m« derselben Person. Um dies zu
beweisen, habe ich eine Anzahl Drucklinien der Zahlen 1, 2 und 3
beigefugt (Tafel IV). Vergleichen wir sie mit Tafel HI, so finden
wir bei der Versuchsperson I dieselbe niedrige, etwas zittrige, wenig
ausgepragte Form, bei VU dasselbe ohne den Tremor; dagegen bei
V die steilen, tief ausgebuchteten, ansteigenden Linien. XJnter den
von weiblichen Versuchspersonen entnommenen Beispielen zeigt X
verhaltnissmaBig tiefe Einschnitte bei niederer Curve, wie sie auch
der Buchstabe »ni« derselben Person bietet; XI erinnert mit seinen
zackigen und unruhigen Formen lebhaft an die m- und Punktcurven
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UnteraucbuiigeD Qbtr die SehriR Gesunder und Geisleskruiker.
Tabelle X.
477
Subtrac-
tionsaufgabe
1
I
II
m
IV
V
VI
vn
IX
X
XI xn
xin
XV
XVI
xvn
Zahlen allein
61
49
41
82
53
28
58
44
57
32
55
52
«
65
59
60
77
17
129
51
60
Pausen allein
36
50
44
76 i 21
58
25
28
Im Ganzen
97
105
85
154
81
102
89
107 126 J 86
119
94
187
76
88
derselben Warterin, wahrend wir bei XVI die bekannten niederen,
abgerundeten Linien wiederfinden.
Es ist frtiher schon darauf hingewiesen worden, dass bei dem
Subtrahiren die Normalpersonen durch Befangenheit nicht selten
in ihrer Leistung beeintrachtigt wurden. Bei einer Warterin ging
das so weit, dass sie vor Verlegenheit nicht weiter rechnen konnte.
Zur Losung der genannten Subtractionsaufgabe benothigten die
normalen Versuchspersonen zwischen 7,6 und 18,7 Secunden. Je-
doch nur 2 Werthe sind groBer als 12,6 Secunden, darunter der von
18,7 eine Folge Ueberhastens mit mehrfachem Verrechnen. Zwei
Personen haben falsch gerechnet, sechs corrigirt. Das Studium der
Denkstorung fallt nicht in den Rahmen dieser Arbeit, und das
Subtrahiren hatte ja nur den Zweck, den Einfluss des Denkens auf
die Bewegung zu ergrlinden. Da es sich jedoch nicht umgehen
lassen wird, spater, bei der Betrachtung der Befunde an Kranken
auf Storungen des elementaren Denkens hinzuweisen, so habe ich
hier die in Betracht kommenden Zeiten in Kiirze gegeben; die Zahlen
bedeuten zehntel Secunden.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
Die Gesichtspunkte, die mich bei der Aufstellung des Versuchs-
plans zu vorliegender Arbeit leiteten, habe ich in der Einleitung
auseinandergesetzt. Innerhalb dieses Planes war den Versuchen
an Gresunden zunachst nur die Aufgabe zugedacht, dariiber Auf-
schluss zu geben, wo, nach oben und unten, die Grenzen fiir
gewisse einfache Eigenschaften der Bewegung gelegen sind. Sie
soUten mir zeigen, welche Geschwindigkeit, welcher Druck, welche
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478 Adolf GroB.
Intervalle u.8.w. noch als normal anzusehen sind, kurz, die Gesund-
heitsbreite fixiren. Die Normalversuche waren nicht als Selbstzweck
gedacht, sondem nur als Vergleichsmaterial fur die pathologischen
Befunde. Die Aufgabe erweiterte sich jedoch wahrend der Verarbei-
tung der Experimente. Wahrend es urspriinglich gar nicht meine
Absicht gewesen war, auf rein individualpsychologische Dinge naher
einzugehen, erzwangen sich eine Beihe von anscheinend gesetzmaBigen
Befnnden Beachtung. Doch da der Versuchsplan nur auf die XJm-
grenzung der Normalbreite, nicht die Ergriindung individueller
psychomotorischer Eigenschaften bei Gesunden zugeschnitten war, so
tragt alles, was in dieser Hinsicht gefunden wurde, den Oharakter
des Nebenbefundes. Es ist moglich, vielleicht auch wahrscheinlich,
dass es richtig ist, doch es ist nicht sicher, vomehmlich deshalb,
weil wir nicht wissen, ob es uns gestattet ist, aus dem von jeder
Person vorliegenden einen Versuche Schliisse auf deren motorische
Eigenschaften uberhaupt zu ziehen. Der Unterschied ist der: fiir
die Beurtheilung dessen, was bei Gesunden uberhaupt vorkommt,
stehen uns 17 Versuche zur Verfugung. dagegen zur Charakterisirung
jeder einzelnen Person nur je einer. Manches spricht aber doch
dafUr; dass es sich nicht um zufallige Ergebnisse, sondem urn Gesetz-
maBigkeiten handelt.
Da liegt zunachst die erste Aufgabe, die Verbindung zweier 10 cm
von einander entfemter Punkte durch eine Linie, in vierfacher
Wiederholung vor. Mit Ausnahme der bei einigen durch Befangen-
heit beeintrachtigten Ausfiihrung der ersten Linie sind alle ubrigen
in fur jede Person kennzeichnender Weise ausgefUhrt.
Noch mehr spricht jedoch fur Q^meingilltigkeit der gefundenen
Ergebnisse der Umstand, dass gewisse Gesetze aus den verschiedenen
Aufgaben der angestellten Versuche in gleicher Weise sich ableiten
lassen. Bei einer Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse
soUen deshalb diese mehreren Theilen des Versuchs gemeinsamen
Eigenschaften besonders hervorgehoben werden.
Die zahlenmaBigen Werthe, welche die Grundlage zu alien an-
gestellten Berechnungen boten, sind aus den auf die rotirende
Trommel auf gezeichneten Drucklinien gewonnen. Diese Drucklinien
geben ein Bild von dem Ablaufe der Bewegung. Dieses Bild ist fiir
jede Person charakteristisch. Ob wir den Buclistiiben »in«, ob wir
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Uiitersiichungen ober die Schrift Gesander and Geisteskranker.
479
eine Zahl vor uns haben, wir werden sagen konnen, welcher der
untersuchten Personen sie angehort. Die Druckcurven der »m«s
und der Zahlen, ja selbst der in mancher Hinsicht, wie schon die
Bemerkungen zmn Versuchsplan betonten, principiell verschiedenen
Linien zeigen einen einheitlichen Typus bei derselben Person. Ein
Blick auf die verschiedenen Tafeln beweist das. Auf Einzelheiten
wurde bei der Besprechung der einzelnen Versuche hingewiesen.
Es wurde friiher auch betont, dass die Drucklinien der Punkte fiir
die ausfiihrende Person am meisten kennzeichnende Merkmale dar-
bieten, dass sie vor allem viel individueller sind, als die Punkte
selbst.
Bei der Betrachtung der einzelnen Eigenschaften der Be-
wegung stehen die der Linien denen der Buchstaben und
Zahlen gegeniiber; letztere stinunen in alien wesentlichen Merkmalen
Uberein. Die Linien werden auBerordentlich viel rascher ausgefuhrt
als die Schriftzeichen. Ihre durchschnittliche Schreibzeit fiir den
Millimeter betragt 9 a gegen 26 — 38 der letzteren. Die individuellen
Tabelle XI.
Millimeterschreib-
zeit [<f) 1
Linien
Manner
9
Frauen
9
Buchstabe »m< |
26,8
37,3
Einer
31,9
38
Unterschiede sind hier bei den Mannem groBer als bei den Frauen.
Doch hat es sich ergeben, dass dieser Befund nur die Folge zweier
ganz ungewohnlich schneller Leistungen auf Seiten der mannlichen
Versuchspersonen darstellt, wahrend im ubrigen die personlichen
Unterschiede in der Geschwindigkeit der Ausfiihrung der Linien nicht
sehr groB sind. Diese beiden auffallend schnellen Bewegungen sind auf
Kosten der Qualitat erfolgt. Die betreffenden Personen haben sich
nicht an den gegebenen Ausgangspunkt und Endpunkt der Bewegung
gehalten, sondem sind iiber letzteren weit hinausgefahren. In diesem
Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II.
32
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48Q Adolf GroB.
Verhaltniss zwischen Correctheit und Geschwindigkeit der AusfUhrung
einer Bewegung liegt vielleicht auch ein Fingerzeig dafur, wie der
bedeutende XJnterschied in der Raschheit der AusfUhrung der Linien
und der doch vollig eingeiibten Schreibbewegung der allereinfachsten
Schrifteiige zu deuten ist. Der langsamere Ablauf der Bewegung
bei diesen diirfte darin seinen Grund haben, dass sie, wenn auch
vollig eingeiibt, doch an eine bestimmte Form geb^^lden, in einer be-
stinunten Gestalt abzulaufen gezwungen ist. Dieser Zwang wirkt
hemmend. Dazu kommt wol auch die unter Umstiinden mehrfache
Richtungsanderung der Bewegung.
Die zur AusfUhrung der Schriftzeichen, insbesondere der naher
untersuchten, der Zahl »1« und des Buchstaben »ni«, erforderliche
Schreibbewegung zeigt sehr weitgehende Uebereinstimmung in ihren
Eigenschaften. Tabelle XI zeigt, dass die aus alien Versuchen be-
rechnete mittlere Schreibgeschwindigkeit fUr Manner wie fur Frauen
fast genau dieselbe ist bei AusfUhrung des Buchstaben wie der
Zahl. In beiden Fallen schreiben die Manner schneller. Ueberein-
stimmend fUr beide Theile des Versuchs sind auch der Schreibweg
und Druck der Bewegung bei den Mannem groBer; die Geschwindig-
keit zeigt bei den mannlichen, die Langc bei den weiblichen Ver-
suchspersonen kleinere individuelle Unterschiede.
In gleicher Weise beiden Theilen des Versuchs gemeinsam ist
auch das merkwUrdige Verhaltniss zwischen Geschwindigkeit und
Schreibweg der SchriftzUge. Die Gesammtdauer gleicher Schrift-
zeichen ist im GroBen und Ganzen unter den Versuchspersonen
wenig verschieden, ob sie groB oder klein, schnell oder langsam
schreiben. Zwei Warter gebrauchen in gleicher Weise 800 a fur die
AusfUhrung eines »ni< ; der eine schreibt es 19, der andere 48 nun
lang. Ein Beispiel aus der AusfUhrung der Einer ist folgendes:
Xm und XVI fUhren in ca. 280 a diese Zahl aus, die hier 14,
dort nur 4,2 mm lang ist. Die Beispiele lieBen sich haufen. Ilire
Ursache hat diese relative GleichmaBigkeit der Gesammtdauer in
dem eigenthUmlichen Verhaltniss, in dem Schreibweg und Geschwin-
digkeit der SchriftzUge zu einander stehen. Ueberall entspricht
groBen Schriftzeichen rasches, kleinen langsames Sclireiben. TJeber
den Grund dieses vicariirenden Verhaltnisses lassen sich bis jetzt nur
Vermuthungen aufstellen. Da ist zunachst daran zu erinnem, dass
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Untersuchungen Qber die Schrift Gesander und Geisteskranker. 481
wir bei der Analysirung der Linien gesehen haben, wie die Gre-
schwindigkeit auf Kosten der Correctheit wachst. Nun sind die
kleinen Schriftzeichen im allgemeinen sorgfaltiger als die groBen
ausgefiihrt, sodass man daran denken konnte, dass sie desbalb auch
langsamer geschrieben wurden. Doch ist damit nur ein Anhalts-
punkt dafiir gegeben, dass kleinere Buchstaben und Zahlen langsamer
zu Stande kommen ; es ist nicht erklart, warum sich Gteschwindigkeit
und Schreibweg in der Gesammtdauer ausgleichen. Man konnte
auch daran denken, dass wir es mit einem bestimmten Schreibrhy th-
mus zu thun haben, mit dem Streben, jedes Schriftzeichen in der
gleichen Zeit fertig zu stellen, sei es klein oder groB. Manche An-
haltspunkte sprechen fiir eine solche Vermuthung, doch reichen zu
einer naheren Priifung derselben unsere Versuche nicht aus. Es
ware dafiir insbesondere nothwendig, auch andere Schriftzeichen in
den Bereich der Betrachtung zu ziehen. Hier mag es genUgen, die
Frage angeregt zu haben.
Ein weiteres Ergebniss dieser Untersuchungen ist der Nachweis
der Art der Veranderung, welche die Schreibbewegung wahrend des
Schreibactes erleidet. Geschwindigkeit, Schreibweg und Druck der
Schrift nehmen in der Regel wahrend des Schreibens zu, und zwar
meist nicht mehr als um ein Drittel des Anfangswerthes. Auch an
dieser Stelle ist auf den Parallelismus zwischen Geschwindigkeit und
Schriftlange hinzuweisen, wobei als dritte Eigenschaft noch der
Druck in gesetzmiiBiger Veranderung hinzutritt. Es unterliegt wohl
keinem Zweifel, dass wir es hier mit einer sich entwickelnden moto-
rischen Erregung zu thun haben. Weitere Untersuchungen werden
zeigen, ob es sich dabei imi einen, der von Am berg auf dem in-
tellectuellen Gebiet nachgewiesenen »Anregung« analogen, Vorgang
handelt. Mir erscheint das sehr wahrscheinlich. Es ist bereits friiher
darauf hingewiesen worden, dass wir die nach anfangUcher Verlange-
rung etwa von der 4. Pause ab eintretende allmahliche Verkiirzung
der Pausendauer als eine Folge der Anregung aufzufassen geneigt
sind. Die kurzen Pausen am Anfang erkliirten wir mit dem >An-
trieb«, der sich bei dem Beginn jeder Thatigkeit einzustellen scheint.
Diesen Antrieb werden wir auch in den Eigenschaften der Schreib-
bewegung selbst suchen, sobald wir im Stande sein werden, alle
Schriftzeichen genauer zu analysiren.
32*
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482 Adolf GroB.
Mit dem Beginn des Rechnens werden die Folgeerscheinungen
der motorischen Erregung wieder in xungekehrtem Sinne beeinflusst;
die Bewegung wird verlangsamt, verkiirzt und in ihrer Kraft herab-
gedriickt. Ob es sich dabei aber ausschlieBlich urn eine Wirkung
des Denkvorganges handelt, ist mir zweifelhaft geworden. Man konnte
auch daran denken, dass durch die Unterbrecbung und den Wechsel
der Arbeit allein dieser Erfolg erzielt wiirde. Dass der Denkvor-
gang dabei betheiligt ist, erscheint aJlerdings urn so wahrscheinlicher,
wenn wir daran denken, wie sich die Geschwindigkeit der schlichten
Linie von derjenigen des planmaBig auszufuhrenden Schriftzeichens
unterscheidet.
Die Gesammtdauer aller Zahlen ist von einer verbliiffenden
GleichmaBigkeit fur alle Versuchspersonen. Diese GleichmaBigkeit
ist noch viel groBer als die fur die Dauer der Einer allein. Wir
werden nicht fehl gehen, wenn wir auch hierin ein Resultat des aus-
gleichenden, erglinzenden Verhaltnisses von Schreibweg und Ge-
schwindigkeit annehmen. Da die Uebereinstimmung noch groBer ist,
so haben wir bier einen Anhalt dafiir, dass mit Zuganglichmachen
eines griiBeren Materials die EinheitUchkeit der Resultate noch ge-
winnen diirfte.
Die Dauer dor Pausen ist im Gegensatz zu der der Zahlen
eine individuell sehr verschiedone. Ihre mittlere Variation ist etwa
*^nial so groB. Die liingsten zeitlichen Intervalle zwischen den
Zahlen gohorten den ungebildetston und schreibungewandtestcn Leuten
an. Ob wir im allgemeinen aus der Dauer der Pausen Schliisse
auf die Schreibgewandtheit thun durfen, mochte ich bier nicht
entscheiden.
Wir haben die Pausen, die innerhalb der aus zwei Schreibbe-
wegungen zusammengesetzten Zahlen 4, 5 und 10 gelegen sind,
principiell von den Pausen zwischen den Zahlen geschieden. Sie
sind nicht eigentlich als Pausen, als Unterbrechungen der Bewegungen
aufzufassen, sondem als Theile der Schreibbewegungen selbst, die sich
jedoch nicht auf dem Kartchen markiren, da sie durch die Luft er-
folgen. In Folge dessen entspricht ihre Dauer wie ihre mittlere
Variation derjenigen der Bewegungen, nicht der Pausen.
Das sind die Folgerungen die sich fur die psychomotorischen
Eigenschaften gesunder Menschen, insbesondere fiir die Verhaltnisse
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(Jntersuchuiigen Ober die iSchrift Gesiinder und Geisteskraiiker.
483
des Schreibens, aus den vorliegenden Versuchen niit groBerer oder
geringerer Wahrscheinlichkeit erschlieBen lassen. Es eriibrigt uns
noch, dem Hauptzweck der Normalversuche naher zu treten, ihre
Resultate so zusammenzustellen, dass sie einen bequemen Vergleich
mit den pathologischen Ergebnissen ermoglichen. Um dies zu er-
reichen, gebe ich in einer Reihe von Tabellen neben den Durch-
schnittswerihen (D) die Maximal- und Minimalwerthe. Damit wird
die Gesundheitsbreite festgestellt. Die Tabellen bediirfen nur
kurzer Erlauterung.
Tabelle XH.
m
1
in a
Linien
ni
1
, ^•
F.
M. F.
M.
F.
M. F.
M.
F.
Durchschnitt
800
800
249
280
D.
Max.
: 9
13,8
9
26,8
37,3
31,9
38
Maximum
900
1100
325
342
13,8
42
64
18
47,5
66,5
20,8
Minimum
700
600
158 200
Min.
3,3
7
17
13,7
Dauer
Millimeterschreibzeit
m 1 . ; ^
Linien
m
1
M. F.
M.
F.
M.
F.
M.
F.
M.
F.
Durchschnitt
32,9 23,7
8,9
8,6
D.
210
1
191,41 330
182
346
273
333
Maximum
48
39
17,3
5,5
12,3
4,2
Max.
Min.
335
305
530
330
545
JNIiuimum
■ 9
U
102,5
112,5
200
100
165
127
! Schreibweg
Druck
In dieser Tabelle sind die Durchschnitts-, Maximal- und Mini-
malwerthe fiir Millimeterschreibzeit und Druck der Linien, fiir Dauer,
Millimeterschreibzeit, Schreibweg und Druck der Einer und des
Buchstaben »m« enthalten.
Tabelle Xin zeigt neben der mittleren Veranderung der Be-
wegungseigenschaften durch das Schreiben 1 1 00 ^"~ j und das Rech-
nen 1 1 00 ^ 7" I die extremen Veranderungen nach beiden Seiten. In
der untersten Spalte finden wir eine Notiz dariiber, ob Zunahme oder
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484
Adoir GroC.
Tabelle XHT.
Verandening jer Mm.-
100 ^^ ~ *) Schreib-
a zeit
des
Schreib-
wegs
des
Drucks
Verandening
loo**-"'
0
der Mm.-
Schreib-
zeit
des
Schreib-
wegs
des
Dnicks
1
Mittlere — 22,2
4-9
+ 22
Mittlere
Maxim.-
Abnahme
+ 19
— 16
— 10
— 57
Maxim.- i 117
Zunahme "*"*^'
+ 64
+ 78
-34
-46,2
Maxim.- ar ^y
Abnahme "" ^^'^
-72,7
— 44
Maxim.-
Zimahrae
+ 110
+ 100
+ 30
Diel^geli8t:^^"3^™^
Zunahme
11 :6
Zunahme
13:4
die Kegel ist:
Zunahme Abnahme
11:5 13:3
Abnahme
10:6
Abnahme die Kegel ist, und mit welcher Haufigkeit die gewohnliche
Verandening gegentiber der auBergewohnlichen vorkommt.
Tabelle XIV.
t
in Vio Sec. M.
F.
M. 1 F.
D.
45,5
45
D.
15,5
21
Max.
49,5
39,5
52,5
Max.
Min.
30,5
32,5
Min.
36,5
11
Dauer aUer Zahlen Dauer aller Pausen
Tabelle XV.
Tabelle XVI.
Pausen- ,
gruppe
1;
1
b c
inVioScc.l 6,3
7,3 6,3
Innenpausen
in ViooSec.
D.
6,9
Max.
Min.
1 10
4,4
Aus Tabelle XIV ersehen wir die Dauer der Zahlen 1—10 und
der zwischen ihnen liegenden Pausen, aus Tabelle XV die Verande-
ning der Dauer der Pausen wahrend des Schreibens. Es wurden je
3 Pausen zu einer Gruppe zusammengefasst («, b und c]. Die erste
Gruppe ist kiirzer als die zweite, diese langer als die dritte; Antrieb
und Anregung sind also deutlich zu erkennen. Tabelle XVI giebt die
durchschnittliche, maximale und minimale Dauer der Innenpausen
wieder.
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UnlcraachuDgeD Qher die Schrift Gesander iind GeisleskraDker.
Tabelle XVII
485
Ganze
Subtractions-
zeit
in Vio Sec.
Zahlen der
Subtractions-
aufgabe
in Vio Sec.
D.
106
97
D.
62,5
58
Max.
187
126
Max.
129
72
Min.
76
85
Min,
41
50
a: aritlimetisclies Mittel; auGerste Minimal- und Maximalwertbe.
^: Stellungsmittel; dritter Werth von oben und unten.
In dieser Tabelle finden wir neben dem arithmetischen (a)
das Stellungsmittel (p) der Subtractionszeiten und der darin ent-
haltenen Zahlen allein. Das Stellungsmittel ist in beiden Fallen ein
wenig kleiner, eine Folge Tereinzelter auffallend langer Werthe, die,
wie friiher erwahnt, nicht auf eine Schwierigkeit des Rechnens,
sondem auf voriibergehend auftretende Verlegenheit der normalen
Versuchspersonen zuriickzufUhren sind. Aus diesem Grunde sind
dem Stellungsmittel als Minima und Maxima jeweils die dritten
Werthe von oben und unten beigegeben. Die drittkleinsten Werthe
unterscheiden sich nicht erheblich von den kleinsten, die drittgroBten
von dem langsten jedoch sehr bedeutend.
C. YersQclie an Depressiv-Manisclieii (CircnlXren) Kranken.
Nach den im ersten Theil geschilderten Methoden wurden 17 an
depressiv-manischem Irresein leidende Kranke untersucht. Krae pelin
rechnet zum depressiv-manischen Irresein, welches er bisher als »cir-
culares Irresein* bezeichnete, alle diejenigen Kranken, bei denen auf
dem Boden einer psychopathischen Degeneration ohne geniigende
Veranlassung Anfalle von geistiger Stoning auftreten, die sympto-
matisch bestimmte charakteristische Eigenschaften darbieten und vor
allem prognostisch darin iibereinstimmen , dass sie fast immer voll-
kommen heilen, wenn auch nach besonders schweren und gehauften
Anfallen eine gewisse gemiithliche und Willensschwache zuriick-
bleiben kann.
Die wichtigsten Erscheinungsformen des circularen Irreseins sind:
mamsche Erregimg und eigenartige Stupor-Zustande, die gewohnlich der
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486 Adolf CiroB.
Melancholic zugerechnet werden. Fiir die manische Erregung sind
Ideenflucht, Bewegungsdrang, heitere oder reizbareStimmung kennzeich-
nend, fiir den Stupor Hemmung, depressive Vei^timmung. Es konnen
sich schlieBlich die Symptome der Manie mit denen des Stupors in
der verschiedensten Weise mischen. Wir finden dann heitere Stim-
mung und Hemmung, Depression mit Ideenflucht, selbst innige Ver-
schmelzung von Bewegungsdrang und Hemmung, heiterer und depres-
siver Stimmung, Verfolgungs- und GroBen-Ideen bei einem und
demselben Kranken zu derselben Zeit. Spater, bei der Anfiihrung
der einzelnen Palle, wird das deutlicher hervortreten.
Hier soil nun zunachst dargelegt werden, inwieweit es bis jetzt
moglich war, psychomotorische Storungen bei diesen verschiedenen
Formen des circularen Irreseins f estzustellen ; ob es Befunde giebt,
die fiir die einzelnen Erscheinungsformen charakteristisch sind und
ob sich schlieBlich fiir das circulare Irresein im Ganzen gemeinsame
Gesichtspunkte gewinnen lassen.
I- Stuporose Kranke.
Falle von reinem circularem Stupor sind nicht sehr haufig. Ich
habe drei untersucht, einen Mann (I) und zwei Frauen (U und HI).
Die Krankengeschichten sind kurz folgende:
Fall I. H. Sch., 43 Jahre alt, Kaufmann. Erste Erkrankung
im 23. Jahre, Depression. Seitdem hat er 6, theils leichtere, theils
schwerere manische Erregungen durchgemacht, auBerdem eine weitere
Depression. Die letzte, auBerordentlich sch were Manie dauerte von
Ende 93 bis Ende 95. Nach kurzem freiem Intervall begann De-
cember 95 ein Stuporzustand, der jetzt ganz allmahlich in Genesung
iibergeht. Der Kranke war traurig, leicht angstlich, lag unbeweglich
im Bett, aB schlecht, sprach nicht spontan, konnte auch kaum ant-
worten. Dabei war er immer besonnen und orientirt, hatte keinerlei
Wahnbildungen, dagegen intensives Krankheitsgefiihl. Am auffallend-
sten war zur Zeit des Versuches die starke motorische Hemmung und
die vollige Entschlussunfahigkeit.
Fall II. B. Sch., 30 Jahre alte Miillersfrau. Erste Erkrankung
im 21. Lebensjahr im Anschluss an das erste Puerperium. Depres-
sion , SelbstvorwUrf e , Vergiftungsversuche , Nahrungsverweigerun^,
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(Jotersuchuugeii flber die Sebrift Gesuiider uud Geisteskraoker. 4S7
psychische Hemmung. Sie wurde gesund, uberstand 2 Geburten ohne
Folgen. Ende Pebruar 96 erkrankte sie wieder mit Versiindigungs-
und Selbstmordideen. Sie versank in tiefen Stupor, der viele Monate
anhielt und nur einigemal durch kurzdauemde, ekstatische Erregungs-
zustande mit Ideenflucht und starkem Bewegungsdrang unterbrochen
wurde. Ln Juli 1897 wurde sie wenig gebessert gegen Urztlichen
Rath entlassen. Der erste Versuch wurde zur Zeit der Hohe der
Erkrankung mit der Kranken angestellt; beim zweiten befand sie
sich etwas besser.
FalinL L. K., 28jahrigeTaglohnerstochter. Patientin erkrankte
kurz vor ihrer festgesetzten Hochzeit im Pebruar 97 ; sie wurde still,
angstlich, auBerte Versundigungsideen, hallucinirte. Hier in der
Klinik war sie stuporos, angstlich, gehemmt und denkunfahig, sprach
auBerst wenig, antwortete langsam. Dabei war sie immer orientirt,
besonnen und geordnet. Seit Anfang Mai besserte sich ihr Zustand
stetig; am S./VII. 97 wurde sie genesen entlassen. Die am 6./ni.,
16./in., 3./IV., 7./V. und 20./VI. angestellten Versuche stammen
also aus den verschiedensten Zeiten der Krankheit. Am 20./VI war
die Kranke bis auf ein noch etwas gebundenes Wesen aijscheinend
vollig gesund.
XJns interessiren hier zunachst nur die psychischen Storungen,
insoweit sie sich auf psychomotorischem Gebiete offenbaren. Die
klinische Betrachtung ergiebt iibereinstimmend bei alien drei Pallen
eine starke Herabsetzung der motorischen Leistungen, eine psycho-
motorische Hypofunction nach Wernicke. Spontanbewegungen fehlten
im allgemeinen uberhaupt, ausgenommen zeitweise leises, monotones
Jammem bei III. Die Reactionen auf Fragen, Befehle waren auBerst
erschwert; der Beginn der Bewegung erfolgte sofort, die Ausfiihrung
sehr langsam; oft gelangte diese nicht iiber die Zeichen der Inner-
vation hinaus. Sehen wir nun, wie sich diese Storungen bei der
Ausfiihrung der in Theil A geschilderten Versuche offenbaren.
Die durchschnittlichen Millimeterschreibzeiten der Linien bewegen
sich zwischen 20 und 39,5 a. Das bedeutet eine betrachtliche Ver-
langsamung gegen die Norm, da die groBte Millimeterschreibzeit der
Normalpersonen 13,8 a, deren durchschnittUche Schreibzeit 9a betragt.
Von I und 11 liegt nur je ein Versuch vor, von HI vier. Die ersten
Versuche aller drei Stuporosen ergaben eine Verlangsamung [etwa
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488
Adolf GroB.
a?
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Druck
in
Tiinien :
1 •I
•M
CO
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CO
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CO
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+
Millimeter-
schreibzeit
der Linien:
«H
C4
CO
1<
p
III
•-4
c<
CO
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Uiitersiichuii^en uber die Schrifl Gesunder uiid Geisteskranker. 489
um das vierfache des normalen Mittels. Die 4 Durchschnittswerthe
von ni sind aus 4 aufeinanderfolgenden Monaten gewonnen; c und
d zeigen auch gegen a eine allmahKche Beschleunigung, entsprechend
der Anfang Mai einsetzenden langsamen Besserung. Auffallend ist
der kleine Werth von b. In den nach einem anderen Versuchsplan
angestelltenVorversuchen, bei denen dieVersuchspersonen jezwei 10 cm
lange Linien zu ziehen batten, findet sicb fiir I die enonne Milli-
meterscbreibzeit von 80 a fiir beide Linien. Damals (am 26./I. 97)
war der Zustand des Kj-anken^ nocb ein viel scbwererer. Von 11
liegen zwei alte Versucbe vor; am 15./XTT. 96 bat sie 50 und 48 a
Scbreibzeit, am 18./XTT. 96 48 und 42; also beide male wesentlich
mebr als am 4./in. 97. Die Geschwindigkeit der 4 Linien derselben
Person ist ziemlicb gleicbmaBig, im allgemeinen von 1 gegen 4 etwas,
nicht viel, anwacbsend.
Die Linien sind auBerordentlich correct ausgefiihrt, geben bei
den im schwersten Stupor ausgefubrten Versucben I, 11, Ula und b
nicbt mebr als I mm und aucb bei dem in die Reconvalescenz fal-
lenden md nur 3 mm iiber den Endpunkt binaus. Die Correctbeit
ist viel groBer als bei den moisten Gresunden, wie eine Vergleicbung
der Tabellen ergiebt. Bei 11 bracbte die Hemmung die Bewegung
dreimal scbon vor dem Endpunkte zum Stillstand.
Der beim Scbreiben aufgewandte Druck liegt bei 11 und HI
unter dem Minimum des Normalen; bei 11 betragt er nur etwa ein
Drittel desselben. Die mannlicbe Versucbsperson ist ein sebr kraf-
tiger, in gesunden Tagen flott und energiscb scbreibender Kaufmann.
Es unterliegt daber keinem Zweifel, dass aucb sein Druck, obwobl
eine Normalperson mit nocb etwas (7,5 g!) geringerem gescbrieben
bat, als berabgesetzt aufzufassen ist. In jenem alten Versucbe aus
dem Januar betragt der Druck librigens nur 50 und 60 g, war also
damals nur balb so groB als das Minimum der Norm.
Recbt einbeitlicb liegen aucb die Verbaltnisse in Bezug auf den
Bucbstaben »m«. Die Millimeterscbreibzeiten ubertreffen iiberall
die Norm, am bedeutendsten bei HI im Marz und April. Bei I liegt
wiederum ein Wertb in der Hobe des Maximums der Gesunden.
Wenn wir aber bedenken, dass dieser von einer scbreibungeiibten
Warterin, jener jedocb von einem gewandten Kaufmann stammt, so
diirfen wir letzteren wobl sicber als erbeblicb verlangsamt betracbten.
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490
Adolf GroB.
Tabelle XIX.
Buchstabe
1
5. m.
n
4.m.
ma
4. in.
mb nic
3. IV 7. V.
md
20. yi.
Dauer
3500
2600
1200 ' 2200
2400
218
2000
1600
1.300
1400 ' 1200
Mm. Schrz.
74
62
42
109 220
250
8
100
93
82 j 67
Schreibweg
47
11
10
11
30
16
14
17
18
Druck
140
140
35
40
50
100
80
80
100
Der Circulare I ist in Bezug auf Schreibgewandtheit hochstens
mit Normalperson Ylii vergleichbar; diese hat eine Schreibzeit von
17 a gegen 74 und 62 des Stuporosen. Sehr deutlich ist die all-
mahliche Besserung in der Zunahme der Schreibgeschwindigkeit bei
in zu erkennen. Dieser geht auch eine Zunahme des Schreibwegs
parallel, ahnlich auch eine solche des Druckes. Die Lange des
Buchstaben ist bei 11 und UI recht gering ; I schreibt groB ; dagegen
liegt der Druck AUer unter dem nonnalen Minimum ihrer Greschlechter.
In den Versuchen, die zwei aufeinanderfolgende »m« aufweisen,
nimmt meist vom ersten zum zweiten die Geschwindigkeit zu, der
Schreibweg aber ab, oder bleibt ungefahr gleich.
Die Zahl »1« lasst im allgemeinen dieselben Eigenschaften ihrer
Schreibbewegung erkennen wie der Buchstabe »m«. In den Durch-
schnittswerthen ist die Geschwindigkeit durchweg verlangsamt. Zwei
Millimeterschreibzeiten sind besonders groB; von 11 : 315 und von
ni am 7./V. : 232. Die ubrigen bewegen sich zwischen 91 und 219 a
pro Millimeter; da der Durchschnittswerth fur gesunde Manner 32,
fiir Frauen 38 und der ganz vereinzelt stehende langste Werth fiir
Gesunde 66,5 cr, sonst nirgends iiber 48 a, betragt, so ist das eine
recht betrachtliche Verlangsamung. Die beiden oben angefuhrten
noch wesentlich groBeren Werthe haben ihre Ursache darin, dass
unter den 6 Werthen, aus denen sie das Mittel darstellen, ein ganz
abnorm groBer sich befindet. 11 blieb mit der Bleistiftspitze mitten
in der Ausf uhrung der » 1 « stehen, indem ihr offenbar fiir eine Zeit-
lang die Fahigkeit, die Bewegung fortzusetzen, versagte; derselbe
Umstand, der auch einige ihrer Linien vor dem Zielpunkte zum Still-
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UntereuchungeD uber die 8chrifl Gesuoder und Geisteskraiiker.
Tabelle XX.
491
Einer
Durchschnitt:
I
1 3. in.
Ha
i2.in.
Hb
3. IV.
nia
8.m.
mb
16. m.
IHc
3. IV.
md
3. IV.
me
7.V.
mf
20. VI.
Dauer
Mm. Schreibzeit
1192
1292
842
970
1033
600
750
1130
690
108
315
91
219
182
126
143
232
93
Schreibweg
11,3
4,5
9,2
4,9
5,3
5,25
5,75
5,5
90
7,6
Druck
177
32
140
66
37
57
60
120
Einer
I
i3.m.
Ha
12.m.
Hb
3. IV.
ma
8.m.
nib
i6.m.
mc
3. IV.
nid
3. IV.
me
7.V.
mf
20. VI.
Mm. \ min.
Schrz. max.
79
167
70
1150
40
180
93
350
87
267
80
200
86
225
100
520
50
136
7
9
Schreib-\ min.
weg / max.
9
13
130
230
3
6
7
10
4
7
4
6
3
8
4
7
I
/ max.
30
50
130
170
70
90
30
70
50
70
50
70
70
90
90
130
stand brachte. Dass es sich so verhalt, ist aus der betr. Drucklinie
zu erkennen, die 3800 a hindurch gleichmaBig auf derselben Hohe
bleibt; so ergiebt sich der eine abnorm groBe Werth von 1150a pro
mm. Berechnet man das Mittel aus den ubrigen 5 Einem, so erhalt
man anstatt 315 eine durchschnittliche MiUimeterschreibzeit von 132 a.
Diese Zahl diirfte der richtige Ausdruck der Schreibgeschwindigkeit
dieser Versuehsperson an dem betreffenden Tage sein.
Auf andere Weise kommt die eine, vergleichsweise lange, MiUi-
meterschreibzeit bei m am 7./V. zu Stande. Die Drucklinie dieser
» 1 « — es ist die letzte aus der sehr erschwerten Subtraction — hat
folgende Druckfigur:
Die abnorme Langsamkeit der Bewegung beruht also hier auf
mehrfachem Ansetzen und Nachlassen, auf einer Erschwerung des
Beginns der Bewegung, auf Zaghaftigkeit. Bei Berechnung des Mittels
vom 7./V. unter Vemachlassigung dieses Werthes erhalten wir 160 a
als Ausdruck der wirklichen Schreibgeschwindigkeit.
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492 Adolf GroB.
Der beim Schreiben aufgewandte Diiick liegt bei der uberwie-
genden Mehrzahl der Versuche unter der Norm, zum Theil tief.
Fiir I mit 177 g gilt auch hier das bei Besprechung des »m« Gesagte.
Tib und mf sind schon ein Ausdruck der eingetretenen Besserung.
I, nb und mf weisen auch einen der Mitte der Norm entsprechenden
Schreibweg auf, wahrend die ubrigen Versuche zwar nicht unter dem
Minimum (4,2 mm), so doch ziemlich an der unteren Grenze desNor-
malen stehen. Es gilt hier dasselbe, was fiir ErklHrung der Druck-
verhaltnisse angefUhrt wurde.
UeberbUcken wir die neben einander stehenden Werthe fiir G^-
schwindigkeit, Schreibweg und Druck von 11 und m, so ist die zu-
nehmende ZahlengroBe und der wachsende Druck als Ausdruck der
psychischen Besserung deutlich, die auch klinisch hervortrat. Dass
der Werth von 232 a fiir die Geschwindigkeit von Hid iiber das
noch vorhandene MaB der Verlangsamung tauscht, ist friiher gezeigt
worden. So tritt auch bei in, wenn auch mit Schwankungen , die
allmahliche Abnahme der motorischen Verlangsamung hervor. Unzwei-
deutig ist die Zunahme der Zahlenlange und des Druckes bei beiden
Frauen.
Diese Betrachtungen beziehen sich auf die Durchschnittswerthe
aus alien 6 Einem. Ich habe in Tab. XX unter den Durchschnitts-
werthen noch die auBersten Einzelwerthe nach oben und unten
wiedergegeben. Unter diesen beanspruchen die minimalen Werthe
fiir Millimeterschreibzeit und die maximalen fttr Druck und Lange
unsere Beachtung. Wir werden von jetzt ab bezeichnen:
1. als »mittlere« Werthe solche, die dem Mittel der Gesunden
entsprechen ;
2. als »Ubermittlere« und »untermittlere« diejenigen, die zwischen
dem normalen Mittel und dem normalen Maximum resp. Minimum,
3. als »Ubermaximale« und »unterminimale« alle diejenigen, die
jenseits des Maximums resp. des Minimums der Gesunden liegen.
Von den kleinsten Einzelwerthen der Millimeterschreibzeiten der
8 Versuche sind 6 iibermaximal, 2 iibermittel, von den groBten Druck-
werthen 6 unterminimal , 2 untermittel; unter den Langenwerthen
fiir den Schreibweg der Einer finden wir, wenn wir aus den darge-
legten Grlinden von Pat. I absehen, 5 untermittlere, 3 mittlere, und
zwar sind die letzteren durchweg bereits als Ausdruck eingetretener
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Untersuchiingen uber die Schrift Gesunder und Geisteskranker. 493
Besserung zu betrachten. Es kommen demnach nicht vor: unter dem
Mittel der Gesunden liegende Millimeterschreibzeiten, uber dem Mittel
liegende Druckwerthe; auBerdem scheint ubermittlere Lange des
Schreibwegs der Zahlen im schwersten Stupor nur ausnahmsweise
vorzukommen.
Ein Blick auf Tafel V, welche eine Reihe von Drucklinien
der Kranken 11 und m wiedergiebt, lasst sofort die flache, niedere,
langgezogene Form dieser Curven erkennen. Allen gemeinsam ist auch
das allmahliche Einsetzen und allmahliche Verschwinden des Druckes.
Das Enden erfplgt in der Regel etwas schneller als das Beginnen;
doch kommen irgendwie erheblichere Nachschwingungen nicht von
Im Verlauf der Drucklinien fehlen in der acutesten Zeit des Stupors
alle groberen Druckschwankungen. Bei dem Buchstaben >m« sind
die Thaler wie Berge in gleicher Weise unendlich in die Breite ge-
zogen ; die Curven haben keine Spur von individuellem Geprage. Es
ist bei Pat. Ill sehr hubsch zu sehen, wie mit eintretender Besserung
die Curven des Buchstaben »m« an Charakter gewinnen, wie ihre
Theile sich differenziren. Dasselbe zeigen die Druckcurven der Zahlen ;
sie werden vom Marz zum April kiirzer, charakteristischer und etwas
energischer. Die Intervalle zwischen den DruckUnien der einzelnen
Zahlen erscheinen relativ kurz und gleichmaBig breit. Die wiederge-
gebene Curve der Linie von Pat. II ist ebenfalls in typischer Weise
verandert; auch ihre Zahlen lassen dieselben unter sich und mit
den andem ubereinstimmenden Bilder erkennen, sind jedoch etwas
weniger in die Lange gezogen und haben breitere, ganz gleichmaBige
Zwischenraume.
Die diesen Curven entsprechenden, durchweg sehr kleinen Schrift-
zeichen*) sind ohne Unterscheidung von Grund- und Haarstrichen
nicht gerade sorgfaltig und schon zu nennen. Die Zahlen sitzen
meist in einer Ecke des Kartchens dicht aufeinander. Auf zwei
Besonderheiten in den AusfUhrungen der Schreibbewegungen wurde
bereits aufmerksam gemacht. Einer Zaghaftigkeit im Beginn der
Bewegung verdankt auch die doppelte Staffel, welche die Linien des
Pat. in vom 20./VI. darbietet, ihre Entstehung.
1) Die Schriftzeichen sind auf den Tafeln zum Theil unter den zugehorigen
Drucklinien genau wiedergegeben.
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494
Adoir GroB.
Tabelle XXI.
Veranderung
in %
I
i3.m.
Ha
12.111.
nb
3. IV.
ma
8.m.
mb
i6.ni.
IHc
3. IV.
-14,9
rad
3. IV.
me
7.V.
mf
20.\'L
100 *"-*'
a
-42,l|-30
— 3S,5
+ 115
-54,2
— 14
+ 8
— 46,8
100 '* 7^' 1
0 1
-2,5 +43+40
+ 75 +210
+ 62
+ 86
+ 116
+100
Millimeterschreibzeit
100 "-*'
0
+ 16 -16,7
q=0
— 28,6
-33,3'- 37,5* qzO
— 33,3
+ 12,5
loo'*-"'
b
1
— 40 - 20
— 20
+ 50
q=o
-28,6
— 50
— 22.2
Schreibweg
100 <-"-r-JJ
a
+ 35
— 43,5
— 20
-13,5 +29
+ 33
+ 17
+ 40
-12,5
— 10
100^*7^'
-25
+ 15,4J-11,1
qzO -28,6^ qiO
+ 29
+ 44
Dnick
Auf dieser Tabelle sind die Buchstaben a, b und c in derselben
Weise angewendet, wie sie im normaJen Theile beschrieben worden
ist. Auch die procentuale Berechnung ist die gleiche. Die Verhaltnisse
scheinen in Bezug auf die verschiedenen Eigenschaften der Bewegung
nicht so einheitlich zu liegen wie bei den untersuchten gesunden Per-
sonen. Das Verhalten der Schreibgeschwindigkeit ist ein entspre-
chendes, jedoch noch mehr ausgepragt: Zunahme wahrend des Schrei-
bens und vor allem recht starke, iiber die Norm hinausgehende
Abnahme mit Beginn des Rechnens. I, Ha und lib ergeben ganz
einheitliche Resultate : mehr als mittlere Zunahme und Abnahme der
Geschwindigkeit. Die Versuche von HI dagegen sind wohl in Bezug
auf die Einwirkung des Rechnens einheitlich: tibermaximale oder
iibermittlere Abnahme. Wahrend des Schreibens jedoch nimmt die
Geschwindigkeit bei Hlb und f mehr als maximal zu, bei den tibrigen
weniger als das Mittel des Gesunden, je zweimal sogar ab. Ganz
anders verhalt es sich mit dem Schreibweg. Wahrend dieser bei
Gesunden im Lauf des Schreibens zu-, mit Beginn des Rechnens
aber abzunehmen pflegt, haben wir liier im ersten Falle nur zweimal
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Untersnehimgen fiber die Schrift Gesnnder iind Geisteskranker.
495
(bei T und mf) eine geringe Zunahme, zweimal Gleichbleiben, sonst
Abnahme, zum Theil in erheblichem Grade. Auch die physiologische
Abnahme mit Beginn des Rechnens ist hier noch allgemeiner, hat nur
eine Ausnahme (Ilia). Die Verandemngen des Druckes, die ja schon
bei Gesunden weniger gleichartig sind, lassen bei Stuporosen nur
geringe GesetzmaBigkeit erkennen. Immerhin uberwiegt die Zunahme
mit dem Schreiben, die Abnahme durch das Reehnen ein wenig, so
dass sich die Stuporosen hierin den Gesunden nahem. Grundsatzhch
verschieden von den Normalversuchen ist hier also nur die vorwiegende
Abnahme der Zahlenlange wahrend des Schreibens.
Tabelle XXn.
Gesammt-
dauer in
Vio Sec.
I
i3.m.
Ha b
I2.in. 3. IV.
ma
s.m
b
16. m.
c
3. IV.
3. IV.
e
7.V.
f
20. VI.
Zahlen
Pausen
Summa
190
29,5
73
74
141
119,5
97
94
85
74
69 43
21
38
32
31
20,5
21
219,5
142
117
162
157,5
129
125
105,5
95
Die Gesammtdauer aller Zahlen ist durchweg bedeutend
groBer als bei Gesunden. Diese ist, wie friiher dargelegt, auBer-
ordentlich constant und betragt im Mittel 4,5 Sec. Am groBten ist
der Werth bei I, eine Folge der Schreibverlangsamung bei verhalt-
nissmaBig bedeutender Zahlenlange. Bei 11 ist der Ausschlag am
geringsten; bei HI ist die fortschreitende Besserung sehr schon an
der kleiner werdenden Zahl zu erkennen. Doch bietet die Betrachtung
der Summe aller Zahlen nichts, was wir nicht schon zuverlassiger
aus dem Studium der Einer allein gesehen batten. Anders verhalt
es sich mit den Pausen. Die Versuchsperson 11, welche die am
wenigsten verlangerten Schreibzeiten fiir die Zahlen darbietet, zeigt
stark verbreiterte Pausen; starker am 12./in. als am 3./IV., so dass
hier das Kiirzerwerden der Intervalle als ein Zeichen der Besserung
aufzufassen ist, wahrend die Schreibzeiten gleich blieben. Am
15./XTT. 96 habe ich diese Patientin IT gelegentlich orientirender
Vorversuche das Alphabet schreiben lassen. Die ersten 10 Buchstaben
Kra«pelin, Psyoholog. Arbeiten. U.
33
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496
Adoir GroG.
dauerten damals 84, die 9 ersten Pausen 76 Zehntel Secunden. Die
Uebereinstimraung dieser Werthe mit den am 12./in. fur die 10 Zahlen
gewonnenen ist in die Augen fallend. Sie sind nur etwas langer,
ent^prechend der wenig langsameren Ausfuhrung der Linien um diese
Zeit. Es wird spater noch zu uberlegen sein, wie es kommen mag,
dass die 10 Buchstaben eben so lange dauerten wie eben so viel Zahlen.
Hier wollte ich nur auf die Uebereinstimmung der beiden Tage unter-
einander hinweisen: erstens in Bezug auf die absolute Dauer von
Zahlen und Pausen, zweitens deren Verhaltniss untereinander.
Im ubrigen iiberragen die Pausen bei I und bei 11 zum Theil
Uberhaupt nicht das Maximum der Norm, zum Theil gehen sie nur
unwesentlich dariiber hinaus. Bei diesen beiden Versuchspersonen ist
daher die langere Dauer des Schreibens zum weitaus groBten Theil
durch das langsamere Ausfuhren der Schreibbewegungen bedingt.
Allerdings darf nicht iibergangen werden, dass bei HI a und IIIc je
eine Pause zur Berechnung nicht verwendet worden ist, da sie so
lang ist, dass sie durch ihre Masse die kurzen Pausen erdriickt hStte:
in Ilia eine Pause von 60 zwischen 1 und 2, in Hie eine solche
von 236 zwischen 7 und 8. Diese langen Pausen sind wohl sicher
eine Folge voriibergehenden Versagens der Willensenergie. Sie bilden
eine hubsche Parallele zu der Unfahigkeit weiter zu schreiben, wie
wir sie frliher bei 11 gelegentlich der Ausfuhrung einer »1« kennen
gelemt haben.
Tabelle XXm.
Pausen-
gruppe
, 13. m.
Ha
l2.nL
I)
3. IV.
nia
8.m.
b
i6.in.
12
c
3. IV.
d
3. IV.
e.
7.V.
f
20. XL
2 b.
.9" c."
--
13
9
17
15
9
11
K
8
5
29
11
6
13
12
9
5,5
8
2J
J7
6
13
9
14
7
8
Die Tabelle XXUI soil zeigen, wie sich die Dauer der Pausen
wahrend des Schreibens andert. Deshalb sind in dieser Tabelle je
drei aufeinanderfolgende Pausen zu drei Gruppen zusammengefasst.
Wahrend wir bei den Normalen als Durchschnittsbefund zunachst
ein Zunehraen, dann ein Wiederabnehmen der Dauer der Interyalle
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Untersncbiingen ilber die Scbrift Gesunder und Geisteskranker.
497
gefunden hatten, ergiebt hier die Betrachtung der in 3 Gruppen
zusammengestellten Pausen keinen regelmaBigen Befund. Die erste
Gruppe ist in 6 von den 9 Versuchen kiirzer als die zweite und
ebenfalls in 6 Fallen kiirzer als die letzte Gruppe. Somit nimmt im
allgemeinen die Dauer der Pausen wahrend des Schreibens zu.
Die Dauer der innerhalb der Zahlen 4, 5 und 10 gelegenen
Pausen ist fast durchweg gegen die Norm vergroBert, wenn auch im
allgemeinen nicht bedeutend.
Tabelle XXIV.
Innenpausen
m
Vioo Secunden
I
i3.in.
Ha
i2.m.
b
3. IV.
ma
8.m.
b
i6.m.
c
3. IV.
d
3. IV.
e
7.V.
f
20. VI.
13,3
30
10
6,7
16,7
18,3
15
15
11,7
Stark verlangert sind sie nur bei Ila, hier in Uebereinstimmung
mit den Pausen zwischen den Zahlen; wie dort nimmt die Pausen-
breite mit eintretender Besserung auch hier betrachtlich ab. In lib
wird die obere Grenze des Normalen erreicht. Bei Ilia sind die
Innenpausen iiberhaupt nicht vergroBert. Dieser Befund ist um so
auffallender, als bei dieser Versuchsperson vom 16./in. ab eine be-
deutende Verlangerung einsetzt, die allmahlich mit eintretender Ge-
nesung nachlasst. Dieses Verhalten der Innenpausen deckt sich mit
dem der Zwischenzahlenpausen (s. Tab. XXII). Jedenfalls kann man
so viel sagen, dass bei den Zwischenzahlenpausen wie den Innenpausen
der Stuporosen eine. Verlangerung iiberhaupt fehlen kann, eine be-
trachtliche Verlangerung selten ist.
Tabelle XXV.
Subtractions-
aufgabe in
Vio Sec.
I
i3.in.
na
i2.m.
b
3. IV.
ma
8.m
b
i6.m.
c
3. IV.
d
3. IV.
e
7.V.
f
20.VI.
Zahlen
206
208
149
00
00
00
00
00
00
156
Pausen
59
132
102
00
00
00
00
172
Summe
265
340 251
00
00
00
00
00
328
33»
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498 Adolf GroB.
Die Subtractionsaufgabe wurde von den Stuporosen durch-
weg langsamer gelost als von den Gesunden. Weitaus am bedeu-
tendsten war die Erschwerung des Rechnens bei III. In den 4 ersten
Versuchen gelang es dieser Versuchsperson hochstens bis 14, ein-
mal nur bis 17 zu kommen in den 7 Minuten, bis die Tronunel
abgelaufen war. Am 7./V. rechnete sie im Ganzen 120 Secunden
20, 17, 13, 10, dann versagte es. Auch am 20./VI. gilt die ange-
fuhrte Zeit nicht fiir die Losung der ganzen gestellten Aufgabe.
Die Patientin rechnete: 20, 17, 15, 13, 9, 7; weiter kam sie nicht.
Bei I scheint die Verlangsamung mehr durch die Erschwerung des
Schreibens, als durch die des Rechnens bedingt zu sein, wie ein
Vergleich der Werthe fiir die Zahlen selbst und die zwischen ihnen
liegenden Intervalle ergiebt. Doch kann sich natiirlich auch dio
Erschwerung des Rechnens nicht bloB in einer Verbreiterung der
Intervalle, sondem auch in einem langeren Haften an den Schrift-
ziigen auBem. Ein Vergleich mit der Tabelle XXII ergiebt, dass
Pat. I dort zum Schreiben der Zahlen 1 10, mit Abrechnung der
Intervalle, 19 Secunden gebraucht hat. Fiir die in der Rechenauf-
gabe enthaltenen 10 Zahlen benothigte er 20,6 Secunden. Demnach
kann nur eine sehr unbedeutende Erschwerung des Rechnens da sein.
Ausgepragter ist dieselbe bei 11. Diese Frau verrechnete sich iibri-
gens uberdies bei jedem Versuch einmal. Doch ist hier wieder in
Betracht zu ziehen, dass 11 auch beim einfachen Zahlenschreiben
verbreiterte Intervalle darbietet. Diese Ursache erklart aber nur
den kleineren Theil der bei den Versuchen gefundenen Rechenver-
langsamung.
Zusammenfassung.
Die gesammte Dauer aller Schriftzeichen ist durchweg vergroBert,
Die langere Dauer beruht auf verlangsamter Geschwindigkeit des
Schreibens. Diese Verlangsamung der Geschwindigkeit ist um so
groBer, je schwerer der Zustand des Kranken ist; mit eintretender
Besserung nahert sie sich der Norm.
Die Schriftzeichen sind meist klein, der Druck ist untemormal.
Auch GroBerwerden des Schreibwegs und des Druckes sind Begleit-
erscheinungen psychischer Besserung. Fiir die Schriftzeichen selbst
ist die Zaghaftigkeit in ihrer Ausfuhrung charakteristisch : die Linien
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Untersuchungen dber die Sehrift Gesuoder uud Geisteskraoker. 499
werden oft nicht bis an das Ziel gefuhrt; es treten im Beginn oder
im Verlauf der Bewegung Stockungen ein. Zahlen und Buchstaben
sind nicht individuell ausgepragt, ohne Grund- und Haarstriche.
Dem entsprechend beginnen und enden die Drucklinien allmahlich
und zeigen im Verlauf keine groberen Schwankungen.
Die durch die Bewegung selbst hervorgerufene Veranderung in
der Schreibgeschwindigkeit der Zahlen vollzieht sich in derselben
Richtung wie bei Gesunden. Doch tritt die Zunahme starker hervor.
Die Lange des Schreibwegs der Schriftzeichen andert sich in umge-
kehrter Eichtung wie bei Gesunden: die Zahlen werden wahi-end des
Schreibens kleiner. Dieses pathologische Verhalten konnten wir auch
bei dem untersuchten Buchstaben »m« als Kegel nachweisen. Der,
an fiir sich sehr niedere, Druck anderte sich wenig.
Die Dauer aller Zahlen insgesammt ist durchweg vergroBert.
Da die Zahlen in der Kegel klein sind, kann die Verlangerung der
Dauer nur auf der verminderten Schreibgeschwindigkeit beruhen, wie
es fiir die Einer nachgewiesen wurde. Bei einer Kranken nimmt die
Dauer der psychischen Besserung entsprechend ab.
Die Dauer der Pausen zwischen den Zahlen ist bei zwei Ver-
suchspersonen nicht wesentlich verlangert, bei der dritten jedoch
stark. Dem entsprechend zeigt uns ein alterer mit dieser Kranken
angestellter Versuch, in dem sie das Alphabet schrieb, zwischen den
ersten zehn Buchstaben noch um ein Geringes starker verlangerte
Pausen. Auch die Dauer der Buchstaben selbst ubertrifft die der
entsprechenden Zahlen, imd zwar ebenfalls nicht viel.
Wahrend des Schreibens nimmt in der Eegel die Dauer der
Pausen erst zu und dann wieder ab. Die letzten Pausen sind meist
wesentlich langer als die ersten, so dass im Ganzen die zeitlichen
Intervalle zwischen den einzelnen Bewegungen langer zu werden pflegen.
Die Rechenfahigkeit kann bei Circular-Stuporosen in hohem Grade
beeintrachtigt sein, und zwar pflegt dann die Erschwerung wahrend
des Rechnens zuzunehmen bis zum voUigen Versagen. Diese Denk-
storung kann jedoch auch leicht sein, vielleicht sogar in gewissen
Fallen ganz fehlen.
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500 Adolf QtoQ.
n. Manische Kranke.
Die Scheidung dieser Gruppe von der folgenden der Mischzu-
stande ist sehr schwierig; denn es giebt wenig Manien, die nicht
irgend welche depressive Momente darbieten. Ich habe in dieser
Gruppe diejenigen Falle zusammengefasst, welche wahrend des Ver-
suchs das Bild der reinen Manie, Bewegungs- und Eededrang, ge-
hobene Stimmung, Ideenflucht, darboten und dabei klinisch keine
Hemmung zeigten. Zu gewissen Zeiten batten sie alle auch depres-
sive Momente. Die erste Kranke ist auch in diesen klinisch anders
aussehenden Zustanden untersucht worden. Diese Versuche werde
ich unter den Remissionen in der Manie anfUhren und dem bier bei-
gegebenen gegeniiberstellen.
Ln Gegensatz. zu den Fallen IV, V und VI, die sich im Hohe-
punkt der Erregung befinden, ist der Kranke VH schon Reconvalescent.
Pall IV. Prau M. L., 53 Jahre alt, belastet. Sie machte mit
1 8 Jahren eine 6 Wochen dauemde leichte Depression durch. Dann
blieb sie gesund bis zu ihrem 42. Jahre. Im Marz 1886 erkrankte
sie an schwerer Manie und wurde im October 86 wieder gesund.
Eine zweite manische Erregung im November 93 blieb abortiv. Im
April 94 brach ganz plotzlich eine schwere tobsUchtige Erregung
aus, die mit kurzen depressiven Iiltervallen unverandert bis jetzt an-
dauert. In der Kegel zeigte die Kranke lebhaften Bewegungsdrang,
Rede- und Schreibdrang, Ideenflucht, ausgelassene, reizbare Stimmung
mit Neigung zu Gewaltthatigkeiten. Sie war dann bei Tag meist im
Dauerbad, nachts isoUrt. Dazwischen wurde sie oft plotzlich ruhig,
deprimirt, zaghaft und gehemmt, blieb dabei aber ideenfluchtig. Diese
Intervalle dauerten einige Stunden oder wenige Tage und wurden in
der letzten Zeit immer haufiger. Sie schlugen jeweils ganz plotzlich
wieder in flotte Tobsucht um.
Fall V. Prl. St. R., 46 Jahre alt. Patientin war von Jugend
auf verschroben. Ueber ihre Vorgeschichte ist nichts Zuverlassiges
bekannt, doch hat sie wahrscheinlich schon frtiher mehrfach hypo-
manische Erregungen durchgemacht. Der jetzige Anfall be^ann im
Friihjahr 1894: Manische Erregung mit iippigster Ideenflucht imd
wechselnden phantastischen GroBenideen, die jetzt noch andauert.
Im Juli 96 war sie voriibergehend einige Tage deutlich deprimirt.
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UutersuchuDgeu Qber die Schrift Gesuiider und Geisteskranker. 501
Pall VI. Frau K. S., 54 Jahre alt, belastet. Sie war gesund
bis zu ihrem 42. Lebensjahre. Nach vorausgegangener Depression
mit Verfolgungs- und Eifersuchtsideen wurde sie im Herbst 86 erregt,
redselig, obscon. Am lO./II. 87 wurde sie geheilt entlassen und blieb
gesund bis December 95. Dann setzte eine schwere Tobsucht ein,
die jetzt noch andauert, allerdings in verminderter Injtensitat. Die
Kranke war auBerordentlich erregt, ideenfluchtig, hatte GroBenideen.
Dazwischen war sie voriibergehend deprimirt mit hysteriformen An-
fallen, die sich meist an Gelegenheitsursachen ansehlossen. Auch
am Ende des vorliegenden Versuchs bekam Frau S. einen Ohnmachts-
anfall mit Convulsionen.
Fall Vn. J. G., 56 Jahre alter Schneider. Erste Erkrankung
im 18. Jahre, Manie. Mit 35 Jahren zweite manische Erregung,
dann mit 37 Depression. Diese drei Anfalle machte Pat. in Illenau
durch. In der Heidelberger Irrenklinik war er viermal (1883, 1888,
1893 und 1897), immer wegen Manie. 1893 erkrankte er nach
vorausgegangener Depression unter dem Bilde einer Hypomanie. Die
letzte Erkrankung begann als schwere Tobsucht mit heiterer Stimmung,
Ideenflucht, GroBenideen, Rededrang, Ablenkbarkeit. Auch diesmal
war eine Depression vorausgegangen. Es trat sehr rasch Beruhigung
ein. Die angestcUten Versuche fallen in die Zeit der Reconvalescenz.
Doch schien der Kj-anke noch leicht hypomanisch.
Die Kranken IV, V und VI haben fast genau dieselbe durch-
schnittUche Millimeterschreibzeit der Linien, welche die durchschnitt-
hche normale unwesenthch iibertrifft. Auch alle Werthe fiir die
einzelnen Linien fallen in die Gesundheitsbreite. Die Zeiten fiir die
ersten Linien sind bei alien Versuchspersonen verhaltnissmaBig lang
und nahem sich der oberen Grenze der Norm. Die vierten Linien
sind bei IV und V weitaus am raschesten geschrieben, bei VI aller-
dings die dritte. IV und V, und in geringerem MaBe auch VI,
zeichnen sich durch sehr mangelhafte Correctheit der Ausfiihrung aus,
indem sie in alien Linien zusammen, IV um 38, V um 29, VI um
10 mm iiber das Ziel hinausfuhren. VI endete ihre erste Linie im
Gegensatz zu den anderen jedoch schon 1 mm vor dem Ziel. Der
aufgewandte Druck iibertrifft bei IV schon in Linie 1 das Maximum
des normalen, wachst dann nach der vieiten Linde zu enorm. Bei
V und VI liegt der Druck unter dem Mittel der Gesunden, steigt
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502
Adolf Gro6.
^
o
00
CO
1
o
g?
o
5
CO
n
o
o
s
i
n
i
CO
CO
CO
4
o
00
g
00
o
CO
o
s
a
CO
CO
^•1
s
CO
s
^
i
s
"^
cs
CO
1
n
if
^
M
o
" *l
+
+
00
«-4
^-1
1
+
+
+
+
+
+
n
s
•-4
o
uo
00^
otT
00
cT
*^
00
oT
+
00
+
1
00
OS
1
T
+
+
o
1-
+
+
o
+
Oi
+
OO
CO
+
OD
cs
-
OS
+
+
+
+
Millimeter- i
Schreibzeit
der Linien:
-
CO
Q' III
«H
c<
CO
^
auch nicht besonders an. Die Versuclisperson VII unterscheidet sich
in diesem, wie auch in vielen spateren Theilen der Versuche wesent-
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Untersucbungen fiber die Scbrift Gesunder und Geisteskraiiker.
503
lich von den anderen Manischen. In den beiden ersten Versuchen
ist die Schreibgeschwindigkeit deutlich verlangsamt, bei dem dritten
ist sie als normal zu betrachten. Die Fehler bei der Ausfuhrung
der Linien sind gering. AJle Versuche zeigen abnorm starken, jedoch
nicht ansteigenden Druck.
Tabelle XXVn.
Buchstabe
rv
3. IV
V
29. m.
VI
29. m.
Vila
12. m.
VHb
20. m.
VHc
7. IV.
Dauer
800
1200
1400
1000
3100
1000
1800
1600
2000
1900
1500
1700
Mm. Schreibz.
19
24
20
11
103
29
47
47
62
50
48
46
Schreib-Weg
43
330
49
70
90
30
34
38
34
32
38
31
37
Druck
360
320
450
290
200
500 1 510
480 540
460 1 440
Die Zeit, welche zur VoUendung des Buchstaben »tn«' be-
nothigt wurde, ist nirgends gegen die Norm verkiirzt. Von den drei
flotten Manien fallt je ein Worth in die Normalbreite; der andere
ist verlangert, darunter einer fast um das dreifache. VII hat durch-
weg etwa die doppelte Zeit gebraucht wie Gesunde. Eine zweifellose
Beschleunigung der Schreibgeschwindigkeit finden wir nur bei dem
zweiten »m« von V, das in dnrchschnittlich Her pro Millimeter ge-
schrieben ist, wahrend von den untersuchten gesunden Personen keine
den Millimeter unter 17 a leisten konnte. Die Geschwindigkeit 103
bei VI ist ganz abnbrm langsam, wahrend 29 wesentlich uber dem
Durchschnitt liegt. Die betreffenden Buchstaben auf dem Kartchen
unterscheiden sich dadnrch, dass der erste sehr sorgfaltig, der zweite
fluchtig geschrieben ist. Vom ersten zum zweiten »m« nimmt die
Geschwindigkeit und der Schreibweg mit je einer Ausnahme zu, zimi
Theil sehr erheblich. VII hat durchweg pathologisch langsam ge-
schrieben, wenn auch seine Millimeterschreibzeiten nicht viel iiber
dem Maximimi der Warter liegen. Die Weglange des Buchstaben
dieses Kranken entspricht etwa dem Mittel der Norm; bei VI nahert
sie sich dem Maximum; bei IV und besonders bei V sind die Schrift-
zeichen abnorm groB. Der Druck ist in den zweiten »m«'s von IV
und V gesteigert, bietet aber sonst nichts auffallendes.
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504
Adolf GroS.
Tabelle XXVUl
Einer
Durchschnitt
IV
8.IV-
V
29. in.
VI
29 m.
VHa
12. m.
vnb
20. in.
VUc
7. IV.
Dauer
492
258
425
425
458
400
Millimeter-
schreibzeit
18,5
18,3
19,8
22,3
35,5
32,2
39,5
Schreibweg
27
14,5
12,3
14
10,8
Druck
617
328
283
553
• 730
593
Einer
IV
V
VI
VHa
vnb
VUc
Millimeter- 1 min.
schreibzeit / max.
6
37
8
25
10
30
25
50
42
40
23
56
Schreibweg}"^;
24
32
12
18
19
26
210
350
10
18
420
640
11
18
8
15
/max.
470
750
250
400
520
850
460
780
Die durchschnittliche Millimeterschreibzeit, mit der die drei weib-
lichen manischen Versuchspersonen die Einer schrieben, ist ein wenig
kleiner noch als das Minimum der Gesunden; sie haben also patho-
logisch. schnell geschrieben. Auch die GroBe ihrer Einer tibertrifft
die Norm, der Druck nur bei IV. Bei V war er etwa maximal und
auch bei VI Uber dem Mittel. Die Gesammtdauer der Einer ist bei
IV und VI trotz der groBen Schreibgeschwindigkeit 100— 150 a groBer
als das normale Maximum: eine Folge der ganz ungewohnlichen
ZahlengroBe dieser Versuchspersonen. Andererseits beruht bei VII
die iibemormale Dauer der Einer auf dem Zusammentreffen von
normaler Geschwindigkeit mit fast maximaler ZahlengroBe. Hier ist
der Druck durchweg gesteigert.
In dem zweiten Theil der Tabelle sind die Maximal- imd Mini-
malwerthe je fUr Millimeterschreibzeit, Schreibweg und Druck ge-
geben. Auch hierin mussen die drei ersten Versuchspersonen gesondert
betrachtet werden. Jede hat Zahlen mit iibemormaler Geschwindig-
keit geschrieben, keine mit pathologisch verlangsamter; auch die
Minimalwerthe fur die Zahlenlange iiberragen schon das Maximum
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Untersucbungeii Qber die Schrift Gesunder uDd Geisteskranker.
505
der Gesunden oder decken sich mit diesem (V); fur den Druck gilt
das schon oben Gesagte. Bei VII kommt neben normaler verlang-
samte Geschwindigkeit vor; neben mittelgroBen finden sich abnorm
groBe Zahlen; am auffallendsten ist die fast durchgangige Steigerung
des Druckes.
Es mag hier daran erinnert werden, dass die Einer der Keihe
nach aus den Zahlen 1, 10, 17, 14, 11 entnommen sind. Unter
alien diesen Einem besitzt die zweite »1« durchweg die groBte Ge-
schwindigkeit und die groBte Lange. Die drei acuten Manien haben
sie doppelt bis dreimal so schnell geschrieben wie die schreibschnellsten
Gesunden. Dieser Umstand fuhrt uns zur Betrachtung der Veran-
derung der Eigenschaften der Bewegung wahrend des
Schreibens.
Tabelle XXIX.
Einer
Veranderung
in %
rv
V
VI
VHa
b
c
100 '»-*> 1
a. \
— 85,6
— 57,9
-52,4
-7,4
-42,1
— 54
-Ml
+ 183
+ 125
+ 200
+ 44
+ 82
+ 35
Millimeterschreibzeit
\
IV
V
VI
VHa
b
c
100 '»-^'
a
+ 18
+ 12,5
+ 37
+ 64
+ 38
+ 88
m "7"
— 25
— 22
— 15
— 39
-39
— 13
Schreibweg
i
rv
V •
VI
VHa
b
c
100 '«-*»
a
+ 56
+ 13
+ 43
+ 48
+ 14,3
+ 22
loo'*-"'
0 \
-9,3
+ 12,5
+ 16,7
+ 3,2
-11,2
+ 39
Druck
Die Tabelle XXIX giebt ein auBerordentlich Wares Bild: Wah-
rend des Schreibens 1^00 -"^J tritt ausnahmslos Beschleunigung der
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506
Adolf Groa
Bewegung, Anwachsen der GroBe der Schreibfigur, Steigerung des
Drucks ein. Auch bei den Gesunden fanden wir dies Verhalten als
Kegel (s. Tab. VI), jedoch nicht ausschlieBlich; femer ubertrifft die
G^schvrindigkeitszunahme bei den florid Manischen durchweg die bei
Normalen nachgewiesene wesentlich.
Auf der anderen Seite zeigen alle Versuche mit dem Beginn des
Rechnens (100 "7" 1 Abnahme der Geschwindigkeit, und zwar bei
IV, V und VI eine enorm groBe, das Maximum der Normalen weit
iibertreffende Abnahme, bei VII eine solche, die iiberall groBer ist
als das normale Mittel. In alien Versuchen nimmt die Lange der
Zahlen ab. Also auch hier finden wir die Veranderung in derselben
Richtung wie bei den Gesunden, nur noch eindeutiger und energischer.
Anders verhalt es sich mit der Beeinflussung des Drucks durch die
Rechenarbeit: namlich in der Kegel erfolgt eine weitere Steigerung
und zweimal geringfugige Abnahme.
Tabelle XXX.
(jesammtdauer! j^
in Vio Sec. derj ^^
V
VI
VHa
b
(b) c
t
Zahlen
60
50
63
63
36
83
(66)
65
Pausen
15
18,5
68
11
41
(41)
37
Summe
75
74
99
124
(107)
102
Wie die Dauer der Einer allein, so ubertrifft auch die Ge-
sammtdauer aller Zahlen von 1 bis 10 die Norm; hier wie dort
macht nur V eine Ausnahme. XJebrigens ist auch bei den andem
der Unterschied nicht groB, nicht iiber eine Secunde. Eine schein-
bare Ausnahme hiervon macht VHb. Doch beruht der abnorm lange
Werth von ^Vio Secunden nur darauf , dass die Zahl 9 durch mehr-
fache Verbesserung auf das vierfache ihrer zu erwartenden Dauer
verlangert wurde. Der entsprechend reducirte Werth ist daneben
eingeklammert und entspricht den iibrigen. Die Dauer der
Pausen zvrischen den Zahlen ist bei der letzten Versuchsperson
vergroBert, iibereinstimmend in alien drei Versuchen. Bei IV und
V entspricht sie etwa dem Mittel; VI steht an der unteren Grenze
der Norm.
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Untersurhiingen uber die Schrifl Gesnnder iind Geisteskranker.
Tabelle XXXI.
507
Pausen- jy
gruppe
V
VI
VHa
b
c
a.
o b.
6
7
6
4
8
14
10
5,5
3,5
19
15
13
.a c.
3,5
5,5
3,5
9
12
14
Die drei Versuchspersonen, die keine verlangerten Pausen haben,
zeichnen sich dadurch aus, dass sich ihre Pausen wahrend des Schrei-
bens verkiirzen. Die Pausen, in drei Gruppen getheilt, zeigen die
Neigung, in ihrer Dauer fortschreitend abzunehmen. Bei Vli ver-
andert sich die Pausendauer in anderer Weise. Die erste Gruppe
des Versuchs VHa ist kaum halb so lang wie die zweite, die dritte
wieder der ersten gleich. In Vllb erfolgt zunaebst eine geringe
Zunahme, dann Abnahme. Eine Zunahme der Pausendauer finden
wir auch von der ersten zur zweiten Gruppe von VIIc; bier aber
von der zweiten zur dritten ein, allerdings minimales, Anwachsen.
Tabelle XXXH.
Innenpausen
IV
V
VI
vna
b
c
ViooSec.
11,7
7,5
7
15
10
10
Die innerhalb der Zahlen 4, 5 und 10 gelegenen »Innen-
pausen« sind nirgends verkiirzt. Bei V und VI sind sie von
mittlerer, bei den iibrigen von maximaler oder etwas iibermaximaler
Dauer.
Tabelle XXXTTT.
Subtractions-
Aufgabe in
IV
V
VI
VHa
b
195
0
124
Vio Sec.
1 360
141
187
200
Fehler
0
3
4
0
0
1
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508 Adolf (iroB.
Aus Tabelle XXXni ist zu ersehen, dass bei IV in deutlichem
MaBe und wohl auch bei VI und Vila und b die Rechenauf gabe
langsamer gelost wurde, als bei Gesunden. Auch V hat noch
relativ langsam gerechnet; immerhin fallt der Werth von 14,1 Sec. noch
in die Normalbreite. Die Qualitat der Leistung ist hier, wie bei VI,
eine recht schlechte; es wurden dort 3 und hier 4 Fehler festgestellt.
Diese Fehler haufen sich gegen den Schluss der Rechenaufgabe,
wahrend sie am Beginn derselben fehlen; die Geschwindigkeit des
Subtrahirens steigerte sich energisch vom Anfang nach dem Ende
der Aufgabe zu. In den vom 1 2./in., 20./IIL und T./TV. stammenden
Versuchen von VII findet sich eine fortlaufende Besserung. Doch
handelt es sich vielleicht um Uebungswirkung.
Auf Tafel VI habe ich von Pat. IV die Druckcurven der vier
Linien und die der Zahlen 1, 2, 9 und 10 gegeben. Von Zahl 3 ist
der Beginn des Auf stiegs, von 8 das Ende des Abstiegs eingezeichnet.
Die dazwischen Uegenden Zahlen sind weggelassen, um Platz zu
sparen. In der gleichen Weise habe ich die Zahlen von V und VI
wiedergegeben, auBerdem von jener Kranken noch eine Linie und
cin »m«. Die Druckcurven der Linien von IV sind in nach der
vierten zu abnehmendem MaBe verbreitert; sie zeigen gesteigerten und
stark steigenden Druck, wachsende Nachschwingungen, wachsenden
Tremor. Drucksteigerung lassen auch die Zahlen dieser Versuchs-
person erkennen. Die letzten Zahlen (9 und 10) unterscheiden sich
von den ersten durch viel hoheren Druck, steilere, scharfer zerkliiftete
Formen, die aus pl5tzhchen ausgiebigen Druckschwankungen hervor-
gehen, schmalere Intervalle, so dass die, viel groBer gewordenen,
Nachschwingungen der vorausgegangenen direct in den Anstieg der
folgenden Zahl Ubergehen. Die beiden anderen floriden Manien
zeigen geringere Druckhohen. Die Linie von V beginnt ganz all-
mahlich anzusteigen und bleibt recht flach; am Ende erfolgt nach
einem kurzen Anstieg plotzlicher Abfall, mit fur die geringe Hohe
auffallend starkem Nachschwung. Die Zahlen und der Buchstabe
dieser Versuchsperson zeigen lebhafte, kurze, im Verlauf des Schrei-
bens sich steigemde Druckschwankungen; die Drucklinie des »m< hat
am Schlusse eine schroffe, giebelartige Erhebung mit plotzlichem
Absturz und starken Nachschwingungen, einem brlisk ausgefiihrten
letzten Aufstrich entsprechend. Dieser letzte steile Anstieg vor dem
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Untersnehiingen fiber die Scbrift Gesiinder iind Geisteskranker. 509
Aufhoren der Bewegung kehrt bei fast alien manischen Drucklinien
wieder; an den Linien der Kranken IV sieht man ihn von Linie zu
Linie mehr hervortreten. Bei VI sind die ersten Zahlen ganz ruhig
und correct ausgefUhrt, wahrend die 9 und 10 eine lebhafte XJnruhe
des Bewegungsablaufs in haufigen Druckschwankungen erkennen
lassen. Die beigegebenen Schriftzeichen, die Zahlen 2 und 9 von
IV, 9 von VI, sovrie 9 und der Buchstabe m von V sind, besonders
fiir Frauen, auffallend groB und energisch ausgefiihrt.
Zusammenfassung.
Die Dauer der untersuchten Schriftzeichen fallt meist in die
Normalbreite, ist nirgends pathologisch kurz, in einigen Fallen ver-
langert. Geschwindigkeit und Schreibweg der Schriftzeichen sind bei
den frischen Manien in der Regel vergroBert; aus der verringerten
Schreibzeit pro Millimeter und dem vergroBerten Schreibweg ent-
springt die normale oder auch ubemormale Dauer.
An der Form der Schriftzeichen ist neben ihrer GroBe am
meisten auffallend die mangelhafte Correctheit ihrer Ausfiihrung.
Beim Linienziehen kiimmem sich die manischen Kranken haufig
wenig um das gesteckte Ziel, Uber das sie mehr oder weniger weit
hinausfahren.
Der Ablauf der Schreibbewegung ist ein sehr unsteter. Die
Drucklinien zeigen neben rapidem Anstieg und plotzlichem Fallen des
Druckes hSufige kleine und groBe unvermittelt einsetzende Schwan-
kungen, durch die die spitzgieblige , zackige Form der Drucklinien
hervorgerufen wird.
Am charakteristischsten fiir die Manie sind die Symptome einer
steigenden Erregung. Diese lasst sich an den verschiedensten Theilen
der Versuche und bei alien Versuchspersonen nachweisen. Ich habe
schon darauf aufmerksam gemacht, dass Geschwindigkeit und Schreib-
weg das normale MaB in der Kegel iibertreffen. Das ist jedoch fast
nirgends, wenigstens in Bezug auf die Geschwindigkeit, bei dem ersten
Stuck einer gleichartigen Versuchsgruppe nachzuweisen. Die erste
Linie, das erste »m«, die erste »1« ist sogar nicht selten langsamer
geschrieben, als gesunde Personen zu schreiben pflegen. Wahrend
der Schreibthatigkeit jedoch steigert sich die Schnelligkeit des Schrei-
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510 Adolf GroG.
bens in ganz abnormer Weise. Auch Lange und Druck nehmen
pathologisch stark zu. Die Dauer der Pausen wird gegen das Ende
der Zahlenreihe immer kiirzer und zwar andauernd. Es ist also kein
Anfangsantrieb f estzustellen , der wohl in der steigenden Erregung
aufgeht. Der Beginn und das Ende des Druckes wird immer un-
vermittelter, die Bewegung unsteter, die Curven zackiger und mit
mehr Nachschwingungen behaftet. Dabei nehmen die Kranken immer
weniger Riicksicht auf die sorgfaltige Ausfiihrung der Schriftzeichen;
diese werden grotesker, ausfahrender; die Linien enden weiter vom Ziel.
Diese durch die motorische Thatigkeit gesteigerte Erregung wird
mit dem Beginn des Rechnens energisch herabgedriickt; der Zwang,
sich geistig zu beschaftigen, wirkt hemmend. Es zeigt sich das in
einer pathologisch starken Verlangsamung der Schreibgeschwindig-
keit und Verkiirzung des Schreibwegs. Der Druck wird allerdings
nicht in dem MaBe beeintrachtigt; er steigt sogar in der Kegel mit
dem Einsetzen der Subtraction noch weiter.
Die Subtractionsaufgabe wurde, wie schon erwahnt, meist sehr
mangelhaft gelost. Entweder brauchten die Versuchspersonen enorm
viel Zeit dazu, oder sie losten sie mit einer, zwar untermittleren,
aber immer noch in die Breite des Normalen f allenden Greschwindigkeit.
Dann machten sie aber Fehler uber Fehler. In letzterem Falle war
es so, dass zunachst sehr langsam und richtig gerechnet wurde, dann
mit steigender EIrregung immer schneller, ohne Riicksicht auf die
Bichtigkeit.
Die Schilderung der Versuchsergebnisse von manischen Kranken
bezieht sich nur auf die drei flotten Manien, nicht auf den Recon-
valescenten VII. Dieser zeigt neben einer Reihe von manischen
Kennzeichen, insbesondere der charakteristischen Veranderung der
Bewegungseigenschaften wahrend des Schreibens und Rechnens, lang-
same Schreibgeschwindigkeit. Er fuhrt ims hiniiber zur nachsten
Gruppe, mit deren vorwiegend manischen Reprasentanten seine Ver-
suchsergebnisse enge Verwandschaft zeigen.
m. Stuporos-manische Kranke.
XJnter die stuporos-manischen Kranken, die >Mischzustande«,
rechnen wir alle diejenigen Falle, bei denen sich die Symptome der
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Untersiichungen iiber die Schrift Qesiinder nnd Geisteskranker. 511
manischen Erregung mit denen der Depression oder der Hemmung
in irgend welcher Combination zusammengesellen. Solche Kranke
werden nach den iiblichen Nomenclaturen theils zur Manie, theils
zur Melancholic, theils zur Verwirrtheit oder znm Stupor, wohl auch
zur acuten Paranoia gerechnet. Sic sind aber klinisch in Bezug auf
Entstehung und Verlauf und Prognose zusammengehorig. Ob sic
auch gemeinsame psychologische Kennzeichen besitzen, soil hier fiir
das psychomotorische Grcbiet untersucht werden. Dass sich zu dem
Bild der reinen Manie, wenigstens in der Reconvalescenz, Hemmungs-
erscheinungen hinzugesellen konnen, zeigte uns schon der Kranke VII.
Auch die Falle VJLLL, IX und X wiirden wohl iiberall unter die
Manien gerechnet, wahrend XI im allgemeinen den Typus des
Stupors zeigt. Wir haben also directe klinische Ankniipfungspunkte
zur Greniige an die beiden ersten Gruppen.
Fall Vlii. K. Sch., 59 Jahre alter Bauer, nicht erblich belastet.
Mit 27 Jahren war er ein Jahr lang in Illenau, tobsuchtig. Dann
blieb er gesund bis Juli 1896. Er wurde redselig, machte unnothige
Einkaufe, renommirte. Hier ist er unruhig, auBert unsinnige Gros-
senideen, er habe 5 Millionen, mache Rothschild bankerott, das Haus
gehore ihm etc. Er treibt allerlei kleinen Unfug, ist aber im Ganzen
recht unproductiv. Patient ist ein sehr plumper, schwerfaUiger
Mensch. In der langen Zwischenzeit, zwischen den beiden manischen
Erregungen, soil er mehrfach leicht deprimirt gewesen sein und
Lebensuberdruss geauBert haben.
Fall IX. M. M., 53jahriger Landwirth, belastet. Er erkrankte
zum ersten Mai im 48. Lebensjahr mit Depression, Angst, Verfol-
gungsideen. Dieser Zustand dauerte 9 Monate; vom April bis No-
vember 1888 war er in der Heidelberger Klinik. April 1889 setzte
eine heftige manische Erregung ein mit Verwirrtheit, Singen, Gewalt-
thatigkeit. Die dritte Erkrankung begann im April 1894. Er war
zunachst einige Wochen heiter, ausgelassen, unruhig; dann entwickelte
sich ein schwerer Stupor, aus dem er allmaMich erwachte. Jetzt ist
Patient seit Mitte 1896 manisch. Unsinnige GroBenideen, Ideenflucht,
Bewegungsdrang; dabei ziemlich unproductiv. Ganz voriibergehend
war er auch leicht deprimirt.
Fall X. M. Sch., 26 Jahre alte Fabrikarbeiterin. Patientin
erkrankte zum ersten Mai mit 18 Jahren, im December 1888; sie
Kraepelin, Pnycliolog. Arbeiten. H. 34
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512 Adolf GroB.
wurde angstlich, schlaflos, arbeitsunfahig; hysterische Symptome. Am
7./n. 89 wurde sie entlassen und blieb dann gesund bis zum Februar
1893; sie war damals angstlich, schlaflos, gehemmt, hallucinirte.
Mitte April 93 wurde sie dann manisch: sie sang, schimpfte, schmiickte
sich, schwatzte, war dabei wenig productiv. Im August war sie
wieder kurze Zeit leicht deprimirt, wurde im September geheilt entn
lassen. Die letzte Erkrankung begann im December 1896; Patientin
war lustig, erotisch, reizbar, schmiickte sich; dabei recht stuporos.
Jetzt ist sie vrieder gesund.
Fall XI. K. L., 51 Jahre alte Wittwe. Sie war mit 18 Jahren
kurze Zeit deprimirt, machte sich Selbstvorwurfe. Mit 28 Jahren
war sie ein halbes Jahr lang geisteskrank; Stupor mit Selbstvorwiirfen,
Nahrungsverweigerung und mit manischen Ziigen. DerZustand war
genau derselbe wie bei der jetzigen, 22 Jahre spater liegenden Er-
krankung. Im Sommer 1896 wurde sie aufgeregt, schlaflos, machte
sich Selbstvorwurfe. Im October 1896 wurde sie hier aufgenommen.
Sie war besonnen, stark gehemmt, angstlich, dabei erotisch, queru-
lirend, anspruchsvoll. Es entwickelte sich ein schwerer Stuporzu-
stand, unterbrochen durch manische Handlungen und bei manischer
Stimmung. Dieser Zustand dauert noch jetzt an, beginnt sich jedoch
allmahlich zu bessem.
Fall Xn. M. U., 40 Jahre alte Flaschnersfrau. 24 Jahre alt,
machte sie eine kurzdauemde Psychose unbekannten Charakters durch.
Vier Jahre darauf, 18S8, wurde sie schlaflos, verwirrt, sang, lachte
viel, auBerte GroBenideen ; zeitweise hatte sie Angst und aB scldecht,
Sie hallucinirte, fasste schlecht auf, verkannte die Personen ihrer
XJmgebimg. Nach etwa einem Jahr wurde sie wieder gesund. Im
Marz 1895 erkrankte sie wieder, war erregt, verwirrt, sang, betete.
Rededrang, Ideenflucht, Ablenkbarkeit, Sinnestauschungen, heitere,
ausgelassene Stimmung wechselt mit Reizbarkeit, Depression, Ver-
folgungsideen; dabei immer erregbar, ideenfluchtig ; pathetische Sprache,
Schwerbesinnlichkeit. Dieser Zustand dauert noch jetzt fort.
Fall Xm. R. F., 27 Jahre alte Taglohnersfrau. Nachdem
Patientin in der Graviditat deprimirt gewesen war, Todesgedanken
geiiuBert hatte, wurde sie im Anschluss an die Geburt, im April 96,
unruhig , Uef herum, auBerte Verfolgungsideen , Suicidgedanken. Im
Januar 97 wurde sie hier aufgenommen. Sie war orientirt und
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Untersiiehun^en Ober die Scbrifl Gesunder nnd Geisteskranker. 513
besonnen, gehemmt, denkunfahig, machte sich Selbstvorwiirfe. Dabei
war sie lustig, lachte, ging auBer Bett. Rededrang und depressive
Ideen, Rathlosigkeit. Ihr Zustand besserte sich allmahlich, blieb
immer eine innige Mischung von Hemmung \md Denkerschwerung
mit Hypomanie. Am 15./VL 97 wurde sie entlassen und ist jetzt
leicht hypomanisch.
Fall XrV. Ch. B., 36 Jahre alte Bureaudienersfrau. Mit 17
Jahren war sie eine Zeit lang sehr niedergeschlagen. Im 22. Jahre
wurde sie schwermiithig, hatte triibe Gedanken, Versiindigungsideen,
war 3/4 Jahr in lUenau. Sie blieb dann 14 Jahre gesund bis zum
Sommer 1896. Dann wurde sie deprimirt, hatte Angst, machte sich
Vorwiirfe. Zeitweise war sie ganz stuporos und gehemmt; dazvrischen
heiter. Ideenflucht mit depressiven AeuBerungen.
Fall XV. E. Sch., 23 Jahre altes Dienstmadchen. Seit 4 Jahren
hat Patientin eine ganze Reihe von kurzdauemden, leichten Depres-
sionszustanden durchgemacht. Im December 96 erkrankte sie wieder
und wurde am S./HI. 97 hier aufgenommen. Sie war orientirt, be-
sonnen, verstandig, nicht gehemmt, aber entschlussunfahig. Ihre
Stimmung ist ein Gemisch von Depression und Euphoric. Denker-
schwerung. Im Ganzen sehr leichter Zustand. AllmahlicheBesserung.
Jetzt ist sie gesund.
Die Schreibgeschwindigkeit der Linien ist bei alien ersten Ver-
suchen sammtlicher Versuchspersonen, mit Ausnahme von XV und
XIV, stark verlangsamt. Die durchschnittlichen Schreibzeiten fiir den
Millimeter betragen das drei- bis achtfache der Norm. Auch der
zweite Versuch von XI, der bei fast unveranderter psychischer Ver-
fassung der Kranken vorgenommen wurde, gleicht dem ersten. Da-
gegen Uegt der zweite Versuch von XTTT an der untem Grenze, der
dritte vneder ein wenig dariiber. Bei jenem war die Kranke rein
hypomanisch, bei diesem wieder etwas deprimirt. Die Patientin XV
hatte eine so leichte, kaum merkliche Depression, dass eine moto-
rische Verlangsamung auch im Experiment nicht hervortrat Patientin
XrV war zur Zeit dieses Versuchs, der eine unbedeutende Erschwe-
rung der Bewegung ergab, bereits in der Reconvalescenz. Aus einem,
Ubrigens sonst nach anderem Plan angestellten friiheren Versuch aus
der acuten stuporosen Zeit dieser Kranken war ich in der Lage,
zwei 10 cm lange Linien zum Vergleich heranzuziehen, die 34 und
34*
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514
Adoir Gro6.
Tabelle XXXIV.
Mm. Schrz.
d. Linien
vm
IS.ITT.
DC
12. IV.
X
lo.m.
XEa
24.m.
Xlb
7.V.
xn
i2.m.
xnia
24. m.
xmb
7.V.
xmc
17. VI.
XIV
ii.m.
XV
8.m
1
42
58
21
55
41
108
36
17
16
16
6
2
21
35
28
25
38
79
34
12
15
15
6
3
4
19
33
27
16
35
53
23
12
15
13
8
16
37
29
22
33
66
24
10
13
17
7
D 1
25
41
26
30
37
77 1 29
13
15
15
7
Mm. Pehler
d. Linien
vm
IX
X
XIa
Xlb
xn
xma
xmb
xmc
XIV
XV
1
+ 45
— 8
-23
— 1
+ 3
+ 2
+ 3
2
+ 9
+ 3
+ 3
+ 2
+ 2
— 4
3
+ 3
+ 2
+ 3
+ 1
— 12
+ 1
+ 4
— 2
4
+ 2
— 2
+ 2
+ 4
+ 4
— 1
ImCihinzen
+ 5
+ 54
— 2
— 18
0
+ 1
-13
+ 7
+ 3
+ 12
— 4
Druck
d. Linien
vm
XI
X
XIa
Xlb
xn
xma
xmb
xmc
XIV
XV
1
360
160
200
160
180
170
110
180
170
200
110
2
380
70
220
230
180
170
80
120
150
200
100
3
390
90
200
220
200
130
80
120
130
180
80
4
360
80
240
200
200
150
80
120
150
200
90
D
373
100
215
203
190
155
88 135
150
195
95
B2er Millimeterschreibzeit darboten. Damals war also eine starke
Verlangsamung da. Auch bei der Patientdn XIU zeigt ein alterer
Vorrersuch eine noch starkere Hemmung, als der am 24./III. ange-
stellte (34(7). Der Schreibdruck bietet nicht viel pathologisches.
Bei XV ist er herabgesetzt, ebenso bei IX und XJH, bei Vlll
wenig gesteigert.
Bei der Ausfiihnmg der Linien finden wir Fehler nach beiden
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Unterauebungen fiber die Sehritt flesunder nud Geisteskranker.
516
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Digitized by
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516 Adolf Gro6.
Seiten, nach der positiven wie der negativen. Stairk iiber das Ziel
hinausgef ahren ist IX, und zwar am meisten in der ersten, am lang-
samsten, aber mit starkstem Druck geschriebenen Linie, weniger XIV.
Viel haufiger ist die Bewegung schon vor dem Ziel zum Stillstand
gekommen, so u. a. auch bei XV. Bei XTTT finden wir starken
Fehler nach der negativen Seite zur Zeit der starkeren Hemmung;
den starksten positiven bei dem Versuch am 7./V., als die bypoma-
nische Erregung vorwiegend war. Der Versuch XTTTb halt die Mitte.
Die Besprechung der Art der Ausfuhrung des Buchstabens »tn«
und der Zahl » t « kann gemeinsam erf olgen, da diese beiden Schrift-
zeichen bei alien Versuchspersonen in ihren Eigenschaften uberein-
stimmen. Jedoch unter den einzelnen Versuchspersonen herrschen
eine Reihe von Verschiedenheiten. Um iiber diese Verhaltnisse einen
verstandlichen Ueberblick geben zu konnen, babe ich die Versuchs-
personen nach den Werthen, die ich fiir Dauer, MilUmeterschreibzeit,
Lange und Druck erhalten babe, geordnet und nach ihrem Verhalt-
niss zu den Normalversuchen in iibe^rmaximale, ubermittlere, unter-
mittlere, unterminimale eingetheilt, wie ich es friiher beschrieben
habe. Bei XI verhalten sich die beiden Versuchsreihen ganz gleich-
milBig. Xin war jedoch an den drei verschiedenen Versuchstagen
nicht in demselben Zustand und entsprechend sind auch die Residtate
nicht gleich. Hier wurde vorderhand nur der erste Versuch zum
Vergleich herangezogen.
XJebermaximale Werthe finden wir iiberwiegend fiir die Gresammt-
dauer : 5 fiir die Dauer des Buchstaben, 6 fur die der Zahl. Ueber-
mittel sind 2 Buchstaben und 2 Zahlen, untermittel ein »m«.
Aehnlich verhalt es sich mit der Schreibzeit pro Millimeter: 5 Buch-
staben, 4 Zahlen iibermaximal , 2 Buchstaben, 3 Einer iibermittel,
eine Zahl und ein »m« (XV) untermittel.
Die Lange der Schriftzeichen ergiebt ein anderes Bild: Ueber-
maxiraal ist kein Werth; 5 Buchstaben, 3 Zahlen iiber-, 3 Buch-
staben, 5 Zahlen untermittel.
Beim Druck schlieBlich iiberragt nur eine Versuchsperson in den
Einern die Mitte; alle andem haben schwiicheren Druck. Das >m*
ist von dreien mit iiber-,; von fiinfen mit untermittlerem Druck
geschrieben.
Mit ihi*em Minimalwerth fiir die MiUimeterschreibzeit iiberragen
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Untersuchungen dber die Sehrifl Gesunder uDd Geisteskraoker.
517
noch das Maximum der Normalen 2 Kranke: XI und XTT. Die
kleinsten Schreibzeiten fiir die Einer sind im iibrigen zweimal iiber-
und viermal untermitteL
Unterminimale Werthe kommen iiberhaupt nicht vor.
Tabelle XXXVII.
Veranderung VHI
iafi I3.in.
IX X XIa ' Xlb
12.IV. lO.m. 24.m.| -.V.
xn
i2.m.
xnia
24. m.
xmb
7.V.
xmc
17. VI.
XIV
ii.ni.
XV
8.UI.
100 '""*■ B. 0
+ 7
- 76,2 - 80,3
— 62,9
+ 46?
+ 25
-r- 0
-9,1
— 34
— 35,7
« 1
-+-"
+ 124
+ 13
+ 47 +33
+ 40
+ 33?
=fo
+ 21
+ 7,5
+ 52
-14,8
MillimeterRchreibzeit
ivm
rx
X
+ 14,3
XIa
b
xn
— 18,2
xraa
b
c
XIV
XV
100 '"^^^
a ,
+ 37,4
— 6,7
+ 20
+ 14,3
— 54,5
— 50
— 44,4
q=o
-8,3
100 ^*-^^
j^ ^
TO
TO
TO
TO
-39,1 + 100 j— 16,7
+ 40
— 33,3
^0
100 ^
Schreibweg
'
vni
IX
X
XIa
b
XU
xma
b
c
XIV
XV
100 '«-*'!
a
+ 73,6
+ 11,6 +21
+ 46,6
+ 25
+ 12,1
-10,5
-9,5
+ 0
-6,2
+ 25
100 '*-"':
— 30,5
-10,3,+ 30,4
— 22,7
4- 40 j— 42,8
-11,2
qiO zpO
^0
:fo
Druck
Die Eigenschaften der Bewegung andem sich wahrend des
Scbreibens und mit dem Begimi des Rechnens im allgemeinen in
demselben Sinne wie bei Gesunden. Theils ist diese Verilnderung
allgemeiner, theils auch weniger gleichmaBig als bei diesen. Die
Geschwindigkeit nimmt im Verlaufe des Scbreibens in 5 von 8 Fallen
zu, in 3 ab; der Druck nimmt sechsmal zu imd nur zweimal ab.
In Bezug auf die Lange dagegen wiegt die Abnahme wahrend des
Scbreibens vor: 4 gegen 3; einmal bleibt sie gleich. Die Beeinflus-
sung durch die Rechenarbeit ist iiberall eine der Norm entsprechende:
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518 Adolf Grofi.
Verlangsamung der Greschwindigkeit secbsmal, einmal Beschleonigimg,
einmal Gleicbbleiben; abnebmender Scbreibweg dreimal, einmal Zu-
nabme, viermal Gleicbbleiben ; Abnabme des Dru(^ funfmal. einmal
Anwacbsen, zweimal Gleicbbleiben.
Vergleicben wir die procentuale Veranderung von Gescbwindig-
keit, Lange nnd Dnick der einzelnen stuporos-maniscben Kranken
mit den Mittelwerthen bei Gesnnden, so ergiebt sicb folgendes:
Wabrend des Sebreibens nimmt die Gescbwindigkeit, die scbon unter
normalen Verbaltnissen wacbst, bier nocb mebr zu; nnter den 8
Wertben von Miscbfallen zeigen 5 starkere, 3 geringere Zunabme
als das Stellungsmittel der Gesunden, Beim Druck liegen 4 Wertbe
iiber und 4 unter dem Mittel; docb kann man bier dennocb die
Zunabme als die Norm iiberwiegend betracbten, da eine Zunabme
das Maximum des Normalen iibersteigt. Von den Veranderungen
der Lange des Sebreibwegs der Zabl »1« liegen 3 iiber, 5 unter
dem Mittel. Hier tiberwiegt, wie scbon erwabnt, im Gregensatz zu
den Gesunden sogar die Abnabme. Die Veranderungen, die sicb mit
Beginn des Recbnens einstellen, zeigen gegeniiber der Norm keine
groberen Unterscbiede.
Von den einzelnen Versucbspersonen ist nocb folgendes anzu-
fiibren. Vlll zeigt durcbweg Veranderungen der verscbiedenen
Seiten der Scbreibbewegung in der Bicbtung der Mebrzabl der Ge-
sunden. Sicber patbologiscb ist die Zunabme der Gescbwindigkeit
wabrend des Sebreibens, die Abnabme mit dem Recbnen. Beide
Wertbe iibertreffen das normale Maximum. Patient VlLL ist der-
jenige Kranke unter den bei den Miscbzustanden besprocbenen, der
der vorigen Gruppe kliniscb am nacbsten stebt. Eine patbologiscb
Starke G^scbwindigkeitszunabme wabrend des Sebreibens seben wir
auBerdem nocb bei XI in ibren beiden Versucben und bei X. Eine
ganz eigene Stellung nimmt XII ein. Leider ist dieser Versucb
nicbt vollig zuverlassig, da die Druckcurve durcb Beriibren der
Scbreibplatte mit dem kleinen Finger beeintracbtigt worden ist Icb
babe sie so gut wie moglicb reconstruirt. Durcb das Schreiben
wie durcb das Eecbnen wird die Grescbwindigkeit verlangsamt, die
Zablenlange verkiirzt Der Druck jedocb steigt wabrend des
Sebreibens in ganz abnormem Grade an, um dann weitaus am stark-
sten von alien Versucbspersonen durcb die beginnende Denkarbeit
berabgedrlickt zu werden.
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Untetsuehaogeo fiber die Sehrlft Gttuoder and Geistesknnker.
Tabelle XXXViil.
519
G««ammt-
dauer der
vm
IX
X
XIa
b
xn
KTHa b
c !xrv
1
XV
Zahlen
6
117
79
57
104
107
130
50
48
52 68
1
58
'^ Pausen
63
36
63
38
46
24
30
19
22 24
22
Sunmae
180
115
120
142
153
154
80
67
74
92
80
Die Gesammtdauer aller Zahlen ist fast durchweg groBer
aJs die extremsten von Gesiinden erhaltenen Werthe. Bei Gresunden
nur in sehr enger Breite variirend, ist sie unter den hier vorliegenden
Fallen sehr verschieden. An der unteren Grenze der G^sundheits-
breite liegt noch XIH in alien 3 Versuchen (a, b und c); urn ein
gei-inges langer sind X und XV; deutlich vergroBert ist schon die
Dauer von XIV und noch mehr von IX. Mehr als doppelte Dauer
finden wir bei XI, in gleicher Weise an beiden Versuchstagen, bei
vm und XTT; es sind das diejenigen Versuchspersonen bei denen
die Dauer der Einer allein ebenfalls mehr als verdoppelt ist; IX zeigt
auch in den Einem die nachstgroBe Verlangerung. Die vier Ver-
suchspersonen mit groBter Schreibdauer fUr die Einer allein und
fiir alle Zahlen der Reihe nach nebeneinander gestellt, ordnen sich
folgendermaBen an:
Alle Zahlen:
xn
vm
XI6
XIa
IX
Einer:
xn
XI&
XIa
vm
IX
Ich mochte noch auf die geringen Unterschiede der Zahlen fiir
die 2 Versuche von XI und die 3 von XTTT hinweisen.
Die Summe aller Pausen zwischen den Zahlen zeigt eine Ver-
groBerung auf, das Dreifache des normalen Mittels, das Doppelte
des Maximums bei VLU und X. Von jenem Kranken wurde in
der kurzen Krankengeschichte schon erwahnt, dass er ein auffallend
schwerfalliger Mann ist; X ist in leichtem Grade imbecill. AuBer-
halb der Gesundheitsbreite fallen noch XI und EX, XI an dem
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5?0
Adolf GroB.
Tabelle XXXTX.
Pausen-
gruppe
-vui
IX
X
XIa
b
xn
XTHa
b
C
XIV
XV
a:
20
16
12
26
12
23
17
8
6
6
9
8
1 b:
10
27
17
14
4
10
6
7
8
8
c:
27
U
10
9
9
3
12
7
9
7
6
Tage der groBeren Schreibdauer in wesentlich hoherem Grade. Die
Dauer der Pausen von XTT, XTTT, XIV und XV ist nicht patholo-
gisch; sie entspricht normalen Mittelwerthen mit Ausnahme des
ersten Versuchs von XTTT, der an der unteren Grenze der G^sun-
den steht.
Die Anordnung der Pausen in 3 Gruppen ergiebt, dass unter den
4 Pei'sonen, deren Pausendauer insgesammt nicht verlangert ist,
die drei letzten in den einzelnen Gruppen sich ziemlich gleichmaBig
verhalten. Ganz anders ist es bei XTT. Hier wird die normale
Summe dadurch erzeugt, dass die Dauer der Pausen anfangs
gegen die Norm stark verlangert, in der zweiten und dritten Gruppe
jedoch fast ebenso ausgiebig verkurzt ist. Betrachten wir die Dauer
der einzelnen Pausen, so zeigt es sich, dass diese Verlangsamung
wie Verkiirzung hervorgerufen ist durch eine gleichmaBige Verande-
rung der in Betracht kommenden Pausen. Eine gleichmaBige Ver-
breiterung der zeitlichen Intervalle zwischen den Zahlen liegt bei
Vin vor, wobei allerdings das Ueberwiegen der dritten Gruppe auf
Kosten einer besonders breiten Pause kommt. Dagegen beruht das
Starke Ueberwiegen der, ohnehin verlangerten, ersten und zweiten
Gruppe der Pausen iiber die dritte bei X und die erste iiber die
beiden andem bei XI 6 auf 2 resp. einem besonders groBen Werthe.
Dieser Werth bedingt auch allein den Unterschied in der G^sammt-
pausenlange zwischen XIa und XI6.
Die Dauer der Innenpausen ist bei VHI, IX und XI etwa
auf das Doppelte des Maximums der Gesunden vergroBert Bei IX
und XTTT ist sie wenig langer als das Maximum, deckt sich mit
diesem bei XJV. Der Versuch XV sowie der zweite und dritte von
XIII bieten Mittelwerthe. Bei XII konnten aus dem friiher ange-
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Uotereachimgen Qber die Schrifl Gesunder iind Geisteskranker.
521
gebenen, in einer Versuchsstorung liegenden Grande die Innenpausen
nicht bestinnnt werden.
Tabelle XL.
Innenpausen TrrTT
m j
IX
X
XIa
b
xn
xma
b
c
XIV
XV
VwSeo.
20
20
11,7
20
15
?
13,3
7,7
7,7
10
7,5
Tabelle XLI.
Subtractions-
aufgabe Vm
in Vio Sec.
rx
X
XIa
b
xn xma
b
c
XIV
XV
Zahlen
?
103
67
125
155
115
59
78
68
52
Fausen
?
74
158
249
271
; 270
203
137
42
73
Summe
?
175
225
374
426
410+?
385
262
215
110
125
Fehler
' \ '
0
0
0
2 + ?
0
1
0
0
0
Die durchschnittliche Zeit, welche zur Losung der fortlaufenden
Subtraction von 3 von 20 abwarts bei Gesiinden nothwendig ist
betragt 9,7 Secunden im Stellungsmittel, 10,7 im arithmetischen
Mittel. Nehmen wir 10 Secunden als Mittel an, so hat keine Ver-
suchsperson rascher gerechnet. Als in die Normalbreite fallend
miissen XIV und XV, kann allenfalls noch IX angesehen werden.
Alle andem sind sicher pathologisch, am meisten XTT. Diese Frau
brachte die Eechnung uberhaupt nicht vollig zuStande; sierechnete miih-
sam 20 — 17 — 13 — 11 und dann versagte es. Bei XI und XTTT, die
beide starke Denkhemmung darbieten, gestaltet sich das Verhaltniss
der einzelnen Versuche verschieden. Am ersten Versuchstage finden
wir bei beiden eine Verlangerung der Subtractionszeit auf etwa das
Vierfache; aber wahrend bei XI diese im zweiten Versuch sich noch
etwas steigert, nimmt sie bei XTTT von Versuch zu Versuch fort-
dauemd ab. Bemerkenswerth ist dabei das Verhalten der Zahlen
und der Intervalle gesondert betrachtet, verglichen mit der Verande-
rung der Schreibbewegung von einem zimi andem Versuchstag. Bei
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522 Adolf GroB.
XI nimmt Zahlen- und Pausendauer zu, bei XTTT die Pansendauer
progressiv ab, die Dauer der Zahlen allein zwar auch zunachst ab,
dann aber wieder zu. Tabelle XXXVm zeigte, dass sich die zehn
Zahlen an den verschiedenen Versuchstagen ebenso zu einander ver-
halten wie hier die Zahlen der Subtractionsaufgabe.
Tafel Vii giebt Drucklinien von stuporos-manischen Kranken.
Am nachsten den manischen Curven steht die des Buchstaben »m« des
Patienten IX. Wir sehen daran den verzogerten und dabei un-
ruhigen Ablauf der Bewegung, die Steigerung des Drucks am Schlusse
mit den verhaltnissmaBig starken Nachschwingungen. Viii und XTT,
von denen ich je einen Buchstaben wiedergegeben habe, zeigen in die
Breite gezogene Curven mit starkem Druck, der von Erhebung zu Er-
hebung ansteigt. Die Bewegung beginnt ganz allmahlich, um plotzlicb
undy besonders bei XII, mit ausgiebigen Nachschwingungen zu enden.
Von dieser letzten Kranken habe ich auBerdem noch das erste Drittel
der Druckcurve einer Linie ausgezeichnet Die deutlich sichtbare
homformige Erhebung findet sich bei alien Linien dieser Kranken
und entspricht einem Stocken im Bewegungsablauf. Dieses Horn
wird gegen die vierte Linie zu immer kleiner. Am ahnUchsten den
rein stuporosen Curven sind die von der Patientin XI erhaltenen,
die neben allmahlichem Einsetzen des Drucks auch ein aUmahliches
Schwinden desselben erkennen lassen. AuBer der Druckcurve einer
Linie und eines »m« habe ich hier auch die eines Punktes gegeben,
die dieselben Eigenthiimlichkeiten darbietet. Besonders breit sind
die DruckUnien der Punkte bei XIV, die auch sehr schon 5 — 6
flache Erhebungen und Thaler erkennen lassen.
Wie bei Vlii und XTT steigt die Druckcurve des Buchstabens
»m* auch bei XI und XV staffelformig an. Es sind das dieselben
Kranken, die laut Tabelle eine ubermittlere Drucksteigerung wahrend
des Zahlenschreibens darbieten. Bei XV, die sich durch sehr elegante
und zierUche Drucklinien auszeichnet, ist dies das einzig bemerk^iis-
werthe. XTTT und XIV, mit abnehmendem Druck wahrend des
Zahlenschreibens, lassen auch in der Curve des Buchstabens »ni« jede
Andeutung einer Drucksteigerung vermissen.
Die Schrif tzeichen der StuiK)r68-manischen sind, Mrie die Bei-
spiele auf Tafel VI zeigen, meist von etwa normaler Form und GroBe,
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Untersnehangen fiber die Schrift Gesiinder iind Geisteskranker.
Zusammenfassung.
523
Die zusammenfassende Besprechung der psychomotorischen Eigen-
schaften stoBt hier auf wesentlich groBere Schwierigkeiten als bei dem
reinen Stupor oder der reinen Manie. Ich werde versuchen das Ge-
raeinsame hervorzuheben.
Tafel XLn.
IJnter den Misch-
zustanden
haben:
iiberm
aximal
1
libermittel
m 1
unterraittel
m 1
unterminimal
m 1
Dauer
5
6
2
2
1
—
—
Millimeterschreibzeit
5
4
2
3
1
—
—
—
Schreibweg
Druck
—
—
6
3
3
5
—
—
—
—
a
1
5
7
—
—
Dauer und MflUmeterschreibzeit der Schriftzeichen liegen
mit je einer Ausnahme unter 16 Werthen liber der Mitte, zum
groBten Theil liber dem Maximum der Gesunden. Diese Kranken
schliefien sich also hierin vorwiegend an die Stuporosen an mit ihrer
verlangerten Dauer und verlangsamten Geschwindigkeit. Die Zahlen-
groBe ist im allgemeinen der Norm entsprechend. Alle Werthe
liegen in der Gesundheitsbreite, gleichmaBig innerhalb derselben ver-
theilt. Der Druck liegt allerdings auch durchweg in der Breite des
Normalen; doch uberwiegen die untermittleren Werthe die uber-
mittleren um das Dreifache. Die Druckverhaltnisse neigen also
auch mehr nach der Seite des Stupors. Die Drucklinien sind zum
Theil in die Breite gezogen und ahneln dann den depressiven; nur
sind sie weniger flach und auch charaktervoller. Ein Stocken im
Ablauf der Bewegung, Zaghaftigkeit im Ansetzen ist hie imd da
nachweisbar. Andere Mischzustande, imd zwar diejenigen, welche
klinisch den Manien nahe stehen, zeigen manische Eigenthiimlich-
keiten; es ist dann besonders ein allmahlicher, stuporoser Beginn und
ein plotzlicher, manischer Schluss die Kegel.
Die Veranderung der Eigenschaften der Bewegung durch die
motorische Thatigkeit schlieBt sich zum Theil an die Manie, zum
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524 Adolf Gro6.
andern an den Stupor an. Greschwindigkeit und Druck nehmen all-
gemeiner nnd zum Theil auch starker zu als normal, entsprechen der
Veranderung bei der Tobsucht; in Bezug auf die Langenanderong
der Zablen lehnen sich die Mischzustande an die reinen Depressions-
zustande an; die Abnahme der Lange iiberwiegt. Das Becbnen be-
einflusst die Bewegung der Norm analog, indem die Einer an
Gfescbwindigkeit, Lange und Druck abnehmen.
Die Gesammtdauer aller Zablen ist meist vergroBert und zwar
zusammenfallend mit der Dauer der Einer allein. Die Dauer der
Pausen ist zum Tbeil verlangert (VUl, X), oder sie ist im ganzen
normal. Eine deutlicbe Aenderung wabrend des Scbreibens zeigen
die Pausen nur bei einer Versucbsperson, bei der sie anfangs ver^
breitert sind, dann progressiv kiirzer und am Ende des Scbreibens
patbologiscb kurz werden^ um so zusammen mit der Steigerung des
Drucks auf eine ^ntstebende motoriscbe Erregung binzudeuten.
Die Rechenleistung ist bei keiner der Versucbspersonen als gut
zu bezeicbnen. Zwar fallt die Subtractionszeit einiger Kranken nocb
in die Gesundbeitsbreite; doch ist sie aucb dann langer als das
Mittel. Zum groBten Tbeil ist jedoch diese einfacbe Denkarbeit
sebr erschwert, bei einem Falle bis zu volligem Versagen. Von den
beiden Versucbspersonen, die leidlicb recbnen konnten, war die eine
Reconvalescentin, die Erkrankung der anderen eine auBerordentlich
leicbte. Bei alien bier untersucbten scbweren Fallen kann man eine
Starke Erscbwerung des Becbnens als intellectuelle Hemmung neben
der motorischen fiir ein Kennzeicben der Misszustande anseben.
Von den zwei mehr als einmal untersucbten maniscb-stuporosen
Kranken war die eine an beiden, einen Monat auseinanderliegenden
Versucbstagen in demselben Zustand. Die beiden Versucbe gleicben
einander in jeder Beziebung vollkommen. Eine zweite Kranke wurde
dreimal untersucht; auBerdem stehen nocb von einem Vorversuche
aus deren stuporosester Zeit Linien zur Verfiigung. Zur Zeit des
ersten Versuchs der bier vorliegenden Versucbsreibe war der Zustand
der Bjanken etwas gebessert ; am Tage des zweiten war sie rein bypo-
maniscb, an dem des dritten wieder mehr depressiv. Diese Scbwan-
kungen in dem Zustande der Kranken sind auch an Theilen der
Versucbe nacbweisbar. Die psycbomotoriscbe Verlangsamung, in dem
Vorversuche sebr deutlicb, nabm von da zum ersten Versucbe deutlich
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Untersuehnngen fiber die Schrift Gesonder nod Geisteskranker. 525
ab und ist an dem manischen Tage nirgends nachweisbar. An diesem
Tage sind jedoch die Fehler in der Ausfuhrung der Linien positiy;
diese iiberschreiten das Ziel, wahrend sie an den depressiven Tagen
es zum Theil nicht erreichen. Der letzte, leicht depressive, Versuch
lasst gegen den manischen wieder dnrchweg eine gewisse psychomo-
torische Verlangsamung erkennen. Die Erschwerung des Denkens
nimmt von Versuch zu Versuch ab, ist anfangs sehr stark und auch
bei der Entlassung der Kranken noch nachweisbar. Ich mochte
nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, dass sie auch in der Hypomanie
deutlich vorhanden war. AUerdings war an diesem Tage die Dauer
aller Zahlen der Subtractionsaufgabe kiirzer als an dem letzten mit
leichter Hemmung; dafur waren die Pausen um so mehr verlangert.
Wir sehen also hier recht deutlich, wie die vorwiegende manische
Erregung die psychomotorische Verlangsamung wohl aufhob, jedoch
die Erschwerung des Denkens bestehen lieB.
rv. Remissionen in der Manie.
In diesem Abschnitt sollen diejenigen Falle besprochen werden,
bei denen im Verlaufe einer Tobsucht plotzlich klare Zwischenzeiten
auftraten, die Stunden bis Tage dauerten, um dann dem alten Zu-
stande wieder Platz zil machen. Zwei derartige Falle wurden unter-
sucht, die in diesen Remissionen den Eindruck von gesunden Menschen
machten, bei oberflachlicher Betrachtung nichts auffallig krankhaftes
darboten. Leider war es nicht moglich, diese beiden Kranken auch
in der Tobsucht zu untersuchen. Untersuehnngen aus der manischen
Zeit und aus den Remissionen liegen jedoch vor von der Patientin
IV, deren manischer Versuch bei dem Kapitel Manie bereits ge-
schildert wurde. Die Versuche aus der Remissionszeit sollen hier
Platz finden, wenn es sich auch nicht eigentlich um lucida intervalla
handelt, sondem um eingestreute Depressionszustande mit Erregbar-
keit und Ideenflucht, also lun Mischzustande. Diesen sollen die
manischen Resultate ziun Vergleich noch einmal gegeniiber gestellt
werden.
Fall XVI. E. v., 43 Jahre alte Naherin. Mit 13 Jahren
leichte Depression. Mit 16 Jahren nach vorausgegangener Depression
tobsiichtige Erregung, dann Hypomanie. Mit 18 Jahren machte sie
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526 Adolf Gro6.
wiederum eine manische Erregung durch, die von einer Depression
eroffnet und beschlossen wurde. Mit 22 Jahren plotzlich erregt, ge-
waltthatig, dann stuporos, anscheinend blodsinnig; nach 2 Jahren
plotzliche Gtenesung, 1879. Nun blieb sie gesund bis Dezember 1895.
Sie wurde angstlich, hallucinirte, klagte iiber Kopfschmerzen. Im
Anschluss daran versank sie in manischen Stupor , in dem sie sicb
jetzt noch befindet. Dieser Stupor ist unterbrochen durch heftige
Erregungszustande mit ausgelassen heiterer Stimmung, Ideenflucht,
Gtewaltthatigkeit, femer, selten, durch Angstzustande, schlieBUch
durch Remissionen, in denen sie orientirt, besonnen, geordnet, ein-
sichtig ist, sich vollig normal benimmt, nur Miidigkeit und Schwer-
besinnlichkeit, dabei deutliche Euphorie darbietet.
Fall XVn. M. K., 18jahriges Dienstmadchen. Sie erkrankte
zum ersten Mai im Januar 1895 mit 15 Y2 Jahren, an einem schweren
Erregungszustand mit volliger Verworrenheit, heftigem Bewegungs-
drang. Sie beruhigte sich plotzlich, bekam einen Stagigen Ruckfall
und wurde dann gesund. Von da an hatte Patientin circa alle
5 Wochen 14 Tage dauemde leichte Depressionen. Im Februar 1897
wurde sie plotzlich wieder erregt, kam in schwerster Tobsucht in die
Heidelberger Irrenklinik; Ideenflucht, GroBenideen, Bewegungsdrang.
Dieser Zustand dauerte bis zum 2. V. 97, unterbrochen von einer
Beihe von kurzdauemden Bemissionen, in denen die Kranke vollig
klar, einsichtig, orientirt und besonnen war. Sie ist jetzt gesund.
Wir haben also in diesem Blapitel 6 Versuche zu besprechen: von
IV einen manischen (IV a), 2 depressive (IVb imd IVc), von XVI
einen aus der Bemissionszeit, von XVTI einen aus einer kurzdauemden
Bemission, einen zweiten, der wenige Tage nach dem Aufh5ren der
schweren Erregung in leichter Hypomanie angestellt wurde.
Die Schreibgeschwindigkeit der Linien ist bei XVI am starksten
verlangsamt, auf etwa das 4 f ache der Norm, verdoppelt bei dem
Bemissionsversuch von XVii und noch etwas mehr bei IVb und
rVc. Wie der manische Versuch von IV bietet der hypomanische
von XVn etwa normale Durchschnittszeiten. Im Gegensatz zu dem
rapiden Anwachsen der Schreibgeschwindigkeit bei IVa ist die Ge-
schwindigkeit der 4 Linien bei IVb etwa die gleiche; bei IVc folgt
einem Steigen bis zur dritten ein Abnehmen zur vierten Linie. Bei
XVn fallt ein lebhaftes Anwachsen der Schreibgeschwindigkeit in
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DDlersuehuDKen Qber die Schrift Gesnnder nnd Geisteskranker.
527
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Kraepelin, Psycholog. Arbeiten. II.
35
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528
Adoir GroO.
der Remission auf. Eigenartig ist das Verhalten der Pehler. Wie
der manische ist der erste depressive Versuch bei IV sehr incorrect,
wiihrend beim zweiten nicht halb so viel Milliraeterfehler vorliegen.
Der hypomanische Versuch von XVII zeigt einen 5mal so starken
Fehler als der in der Remission, welcher sehr correct ausgefuhrt ist;
doch ist auch der andere noch correct zu nennen.
Der aufgewandte Druck ist in alien drei Versuchen von IV
wesentlich gesteigert; in alien steigt er von Linie zu Linie an. So-
wohl die absolute GroBe des Druckes wie die Steigerung von Linie
zu Linie ist am manischen Tage am groBten. Der Druck von XVI
steht etwa an der unteren Grenze der Q^sundheitsbreite, ebenso der
zweite Versuch von XVII. In der Remission dieser Patientin finden
wir Herabsetzung des Drucks unter das Minimum. Die VerS-nde-
rungen des Drucks gehen iiberall einigermaBen der Veranderung
der Geschwindigkeit parallel. So haben wir auch in XVHa aus-
gesprocheneres Anwachsen als in XVlLb.
Tabelle XLIV.
Buchstabe
IVa
8. IV.
IVb
12. IV.
IVc
15. TV.
XVI
18. m.
XVTTa
7. IV.
XVHb
7. V.
Dauer
800
19
1200
24
1800
1200
1800
2900
1400
1600 1600
1600
1600
Mm. Schreibzeit
45
40
500
37
32
59
32
59
44
61
26
67
43
48
Schreil)weg
Druck
43
330
49
360
51
32
24 j 37
33
500
400
300
160
160 1 190 1 280 210
Lassen wir bei Besprechung der Schriftzeichen »m« und » 1 € zu-
niichst den Versuch IVa auBer Betracht, so haben die iibrigen: IVb
und c, XVI, XVHa und XVIIb eine Reihe gemeinsamer Eigen-
thiimlichkeiten.
Die Dauer aller Schriftzeichen ist gcgen die Norm verlangert,
mit Ausnahme der Einer von XVUb. Die Verltingerung ist ver-
schieden stark, im allgemeinen bei dem Buchstaben geringer als bei
der Zahl. Diese abnorme Dauer der Schriftzeichen ist bedingt durch
die Llinge und die Geschwindigkeit derselben. Mit Ausnahme der
Einer von XVII a ubersteigt die Schreibzeit pro Millimeter nirgends
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Untennchangen ilber die Schrifl Gesnnder uiid Geisteskranker.
Tabelle XLV.
529
Einer
Durchschnitt
IVa
8. IV.
b
12. IV.
c
15. rv.
XVI
18. IV.
XVHa
7. IV.
b
7. V.
Dauer
492
717
658
492
433
308
57
Mm. Schreibzeit
18,5
35,3
37,3
48
75
Schreibweg
27
20,5
17,7
4J7
9,7
5,8
5,5
Druck
617
468
200
195
200
Einer
Max. und Min.
IVa
8. IV.
b
12,1V.
15. IV.
XVI
XVII a
b
Mm.- i Min.
Schreibz. j Max.
6
37
16
45
19
22
28
52
16
20
33
75
64
90
43
70
Schreib- | Min.
weg ( Max.
24
32
8
14
5
7
4
7
170
230
470
750
410
500
400
530
130
260
170
230
die Grenzen des Normalen, und mit ihrer Lange iibertreffen allein
die 3 Versuche von IV das Maximum der Gesunden. Doch Milli-
meterschreibzeit wie Lange aller »m« ist iibermittelgroB ; daraus er-
giebt sich eine iibermaximale Dauer. Bei IVb und c ist die Lange
gar iibermaximal und in Folge dessen trotz der nur mittleren Schreib-
zeit die Dauer auch. XViia ist der einzige Versuch mit extrem
langsamer G^schwindigkeit, und in Folge dessen ergiebt sich die
pathologische Dauer trotz der geringen GroBe der Einer. BeiXVIIb
gesellt sich zu der geringen GroBe der Einer eine nur mittlere Ge-
schwindigkeit, sodass keine iibermaximale Dauer dieser Einer resultirt.
Ich habe die Gelegenheit benutzt, bier an einigen Beispielen zu zeigen,
wie das bei Gesunden alternirende Verhaltniss von Geschwindigkeit
und GroBe in diesen pathologischen Zustanden beeintrachtigt ist,
und nur bei dem fast normalen Versuche von XViib wieder hervor-
tritt. Also: die Dauer ist fast allgemein verlangert; die Geschwindig-
keit ist einmal sicher pathologisch langsam, sonst langsamer als das
Mittel der Gesunden, nur bei IVb und c etwa mittel. Bei diesen ist
die Lange der Schriftzeichen iibermaximal, sonst meist iibermittel.
35*
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530
Adolf Gro6.
Der Druck ist bei alien Versuchen von IV 8ehr gesteigert; sonst
wiegt niederer Druck weitaus vor.
Die Vergleichung der Versuche IV b und IVc mit dem in der Tob-
sucht angestellten Versuche IV a ergiebt eine Reihe von Dnterschieden.
Gemeinsam ist dem depressiven und dem manischen Tage die iiber-
groBe Lange der Schriftzeichen und der gesteigerte Druck. Sie
unterscheiden sich dadurch, dass am manischen Tage die Patientin
mit Ubermaximaler Geschwindigkeit geschrieben hat, an den de-
pressiven mit nur mittlerer.
Die Patientin XVII hat in der Remission uberall langsamer
geschrieben als in der Reconvalescenz. Die Langen- und Druckverhalt-
nisse verhalten sich fur »m« und Einer verschieden. Wahrend jene in
der Remission kleiner sind, ist bei diesen kein deutlicher Unterschied
nachweisbar.
Tabelle XLVI.
Verande- jy
rung im \ c. jy
1.
12. IV.
c
15. IV.
IVa
8. IV.
b
12. n.
4-10
c
15. IV.
IVa
8. IV.
+ 56
1
b , c.
i2.iv. 15. rv.
a
— 85,6
-64,4
-21,2
+ 18
-11,1
-6 +29,3
100 '*-'='
0
+ 183
-hll3
- 24,4 - 25
' 1'
-13,6
TO
-9,3
-6,4
-9,4
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|l8.ni. 7. IV. 7. V.
XVI
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XVHa
7. IV.
±0
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7.V.
-14,3
XVI XVHa b
I8.m. 7. IV. j 7. V.
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a
-25
-9,9
+ 16
+ 24
+ 54
+ 9
-13
100 '*-'•'
-1-127
+ 25
^4-66,7
-28,6
-33,3
+ 5
-26,1
-15
Millimeterschreibzeit
Schreibweg
Druck
Die Patientin XVI zeigt wahrend des Schreibens eine uber-
mittlere Steigerung der Geschwindigkeit und des Drucks, wahrend die
Zahlenlange gleich bleibt. Sehr auffallend ist die ganz abnorm
Starke Abnahme der Geschwindigkeit bei Zunahme der Lange mit
dem Beginn des Rechnens.
Bei XYTLa finden wir in der Remission geringe Schnelligkeits-
und Druckzunahmen bei gleich bleibender Lange als Begleiterschei-
nung des Schreibens; der Einfluss des Rechnens offenbart sich in
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Untersuchnngen fiber die Schriit Gesunder uud Geisteskranker.
531
iibermittlerer Abnahme von Geschwindigkeit, Lange und Druck.
Ebenso wirkt die Subtractionsaufgabe in XVlIb; dagegen nimmt
hierauch wahrend des Schreibens Geschwindigkeit, Lange und Druck ab.
Um den Versuch I Va aus der Manie mit den beiden aus depressiven
Tagen, IVb und c, zu vergleichen, ist es nothig, zunachst den
manischen Befund zu wiederholen. Er ergab als Resultat der Be-
wegung iibermaximale Steigerung der Geschwindigkeit, mehr als
mittlere der Lange und des Drucks — als Ergebniss des Rechnens
ubermaximale Verlangsamung der Bewegung, iibermittlere Verringe-
rung der Lange und mittlere des Drucks. Der Versuch IVb
stimmt in Bezug auf die Veranderung der Bewegungsgeschwindigkeit
damit iiberein, wenn auch die Werthe nicht so hoch uber dem
Maximum liegen wie bei IV a. In IVc wachst die Geschwindigkeit
von a z\i b und von b zu c, doch nicht ubermaBig. Ganz normal
sind die Veranderungen, welche die Schriftlange bei IVb und der
Druck bei IVc erleiden, wahrend der Druck bei IVb und die Lange
bei IVc eine geringe Neigung zeigen, abzunehmen.
Tabelle XLVH.
Gesammt-
dauer in
Vio Sec.
IVa
8. IV.
b
12. IV.
c
15. IV.
XVI XVII a
18. m. 7. IV.
b
7. V.
Zahlen
60
90
22
102
60
76
56
Fausen
15
26
33
27
21
Summe
75
112
128
93
103
77
Die Dauer der Zahlen insgesammt ist bei IVa und XIV
deutlich, bei XVIIb kaum verlangert. Dagegen steht dem eine
erhebliche Verlangerung bei XVIIa und bei IVb und IVc gegen-
iiber. Die Pausen, in IVa sehr kurz, sind in IVb und c mittellang,
ebenso in XVUa und XVIIb; XVI liegt an der unteren Grenze
der Norm.
Die Dauer der Intervalle nimmt wie bei IVa, so auch bei IVb
und c, allerdings weniger, ab. Bei XVI folgt auf eine betrachtliche
Abnahme eine geringe Zunahme, beide durch die Uberragende Dauer
je einer Pause bedingt. In XVIIa liegt wiederum eine geringe
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532
Adolf Grafi.
Tab ell e XLVm.
Pausen- i Ty, ,,
c
XVI
XVHa
b
c5 »=
6
5,5
3,5
8
13
18
10
9
7
o b:
9
8
6,6
6,5
7,5
.2 c:
5
5
8,5
8
abnehmende Tendenz vor, gegeniiber XVIIb, wo die Dauer der Inter-
valle sich nicht wesentlich verandert.
Tabelle XTjTX.
Innen- jy
pausen
7,00 Sec. ' 11,7
b ' c XVI
XVHa
b
17,5 15
6,7
15
6,7
XVI hat normal lange Innen pausen, ebenso XVIIb, wahrend
sie bei XVII a etwa verdoppelt sind. An den depressiven Tagen
von rV sind die Innenpausen ausgesprochener verlangert, als an dem
manischen.
Tabelle L.
Subtractions-
aufga1>c in
Zahlon
Pausen
Summe
Fehler
IVa
IVb
IV c
XVI
XVUa
XVUb
72
288
120
108
96
92
58
47
33
141
309
405
118
210
" 3
16
360
0
167
74
0
0
2
I
Bei XVI linden wir eine ganz schwere Stoning der DenkfiLhig-
keit; diese Patientin benothigte, um die Rechenaufgabe zu losen,
etwa das vierfache des normalen Durchschnitts und verrechnete sich
trotzdem zweimal. In der Remission bei XVii liegt eine nicht so
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Untersuchungeu uber die Scbrift Gesuiider iiud Geistcskraiiker. 533
schwere, aber deutliche Denkhemmung vor, gegeniiber dem ganz
normalen Versuch XVIIb: eine Verdreifachung der Zeit und 3 Fehler
gegen einen.
Recht eigenthiimlich liegen die Verhaltnisse bei IV. Der starken
Rechenerschwerung in der Manie steht eine geringfiigige in der De-
pression gegeniiber; ja es hat den Anschein, als ob in IVc sogar
ganz gut gerechnet worden sei, bei bloB erschwerter und verlang-
samter Schreibbewegung. Denn die Zahlen der Rechenaufgabe
allein ohne die dazwischen liegenden Pausen dauerten bei IV b und
c nicht wesentlich langer als die von 1 — 10 (vgl. Tab. XLII). Beide-
mal sind es ja 11 ZifEem.
Die Form der Drucklinien ist bei XVI gegen die Norm in
die Breite gezogen und zeichnet sich besonders durch allmahliches
Absteigen aus. Plotzliches Loslassen kommt fast nicht vor.
Die Curven von IVb und c, von denen Tafel VII Beispiele
giebt, sind, im Gegensatz zu den Manischen, viel mehr in die
Breite gezogen; die vielen Gipfel und Zacken sind verschwunden
und die Formen haben etwas massiveres, breiteres ; auch der Tremor
in den Linien ist geringer. Der Druck steigt nicht staffelformig an
wie in den manischen »m-«s; der Abfall erfolgt allmahlicher mit ge-
ringeren Nachschwingungen
An den Cxirven der Patientin XVII ist besonders der Unter-
schied der Punkte an den 2 verschiedenen Versuchstagen bemerkens-
werth (vgl. Tafel VII); die 5 Punkte desselben Versuchstages sind
dabei ganz einheitlich gerathen. Am 7. IV sind sie flach, allmahlich
ansteigend, am 7. V kegelformig. An beiden Tagen ist ein Anstieg
in 3 Staffeln bemerkbar, die in der Remission sehr in die Breite
gezogen, in der Reconvalescenz nur angedeutet sind.
Zusammenfassung.
Von den hierher gehorigen Fallen zeigt eine Kranke, von der
nur ein Versuch aus einer kurzdauemden Remission vorliegt, durch-
aus den Typus der stuporos-manischen Erkrankungen : Verlangerte
Dauer der einzelnen Schreibbewegungen, verlangsamte oder untermittlere
Geschwindigkeit, sehr starke Denkerschwerung, langgezogene Druck-
linien mit allmahlichen Uebergangen. Die zweite Versuchsperson
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534 Adolf GroB.
ist, auBer in einer Remission, noch nach Schluss der schweren ver-
worrenen Tobsucht in leichter, abklingender hypomanischer Erregung
untersucht werden. Die zwoi Versuche zeigen wesentliche Unter-
schiede: in der Remission finden wir, neben verlangerter Dauer der
Schriftzeichen, ubermaximale Millimeterschreibzeiten und eine die
Norm uberschreitende Dauer der Subtractionsauf gabe ; nach dem end-
gUltigen Schluss des Anfalls fehlt die psychomotorische Hemmung
sowohl wie die Denkliemmung. Die dritte Kranke wurde einmal in
Horider Tobsucht und zweimal in Remissionen untersucht. Beim
ersten Versuch zeigte sie die psychomotorischen Begleiterscheinungen
der Manie in reinster Auspragung: Beschleunigung der Schreib-
geschwindigkeit, starken Druck, groBe Schriftzeichen, sowie vor allem
die Zeichen mit der Bewegung enorm steigender motorischer Er-
regung, wie sie friiher beschrieben wurden. Die beiden Versuche
aus einer mehrere Tage dauemden Remission lassen im Gegensatze
dazu folgende Eigenthumlichkeiten hervortreten: stark verlangerte
Dauer der Schriftzeichen, die aus der Combination von weit iiber-
normaler, der manischen gleichender ZahlengroSe mit mittlerer
Schreibgeschwindigkeit entspringt.
Es lassen sich auch in der Remission eine Reihe von Zeichen
fortbestehender Erregung nachweisen, zunachst in beiden Versuchen
stark gesteigerter Druck und die schon erwahnte GroBe der Zahlen.
Bei dem ersten der beiden sind auBerdem noch die Symptome einer
gesteigerten motorischen Erregbarkeit vorhanden, geringer jedoch als
an dem manischen Tage. An dem zweiten Tage fehlen diese letzten
Anzeichen.
In Bezug auf die Fahigkeit, einfache Rechenaufgaben zu losen,
verhalten sich der manische Tag einerseits, die depressiven anderer-
seits vcillig verschieden: wir finden an jenem eine sehr starke Denk-
erschwerung, an diesen kaum die Andeutung einer solchen. Und
dies, wahrend klinisch in jenem Falle eine uppige Productivitat vorlag,
an diesem fast alle Spontanregungen fehlten.
Gemeinsam ist also alien Remissionen in der Manie eine mehr
oder weniger erhebUche psychomotorische Hemmung; mit dieser kann
sich eine Erschwerung des elementaren Denkens verbinden.
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(Jiitersuchungeu tiber die Schrift Gesander uud Geisteskraiiker. 535
D. Versnche an katatonischen Kranken.
Wie das circulare Irresein tritt audi die Katatonie oder Dementia
praecox unter den Bildem einer expansiven oder depressiven Ver-
stimmung, des Stupors, der Verwirrtheit oder in Gestalt von Combi-
nationen dieser Symptomencomplexe auf. Die Dementia praecox hat
eine wesentlich andere Prognose als das depressiv-manische Irresein ;
sie fuhrt meist zu einem mehr oder weniger hochgradigen, eigenartigen
Schwachsinn. Es ist also fiir den Irrenarzt von der groBten prak-
tischen Wichtigkeit, in jedem einzelnen Falle zu entscheiden, welcher
von den beiden groBen Krankheitsgruppen der gerade vorliegende
Symptomencomplex angehort. Hier ist nicht der Ort, auf die
Differentialdiagnose im allgemeinen einzugehen. Es soil nur unter-
sucht werden, ob sich in dem Verhalten der Psychomotilitat Unter-
schiede nachweisen lassen.
Jede Untersuchung an Katatonikem ist mit groBen Schwierig-
keiten verbunden, wegen des bei dieser Psychose auBerordcntlich
haufigen Symptoms des Negativismus, des principiellen Widerstrebens
gegen jeden Versuch, das Handeln des Kranken in einer bestimmten
Bichtung zu lenken. In Folge dessen war es bei vielen Patienten
dieser Gruppe nicht moglich, brauchbare Versuche zu erhalten; von
andem erreichte ich nur unvoUstandige und willkiirlich abgeanderte
AusfUhrung des Befohlenen, jedoch ausreichend, um gewisse SchlUsse
auf das Verhalten der Psychomotilitat zu ziehen. Eine Anzahl der
Experimente sind aber voUstandig; theils uberwog bei diesen Kranken,
dauemd oder zeitweise, die Suggestibilitat den Negativismus, theils
handelte es sich um Besserungen oder Remissionen. Da von den
klinischen Symptomen der Nachweis des Negativismus weitaus das
wichtigste differentialdiagnostische Hulfsmittel ist, so erscheint bei
fehlendem Negativismus das Bediirfniss nach anderen objectiven
Unterscheidungsmerkmalen besonders groB.
Die Patienten XVIU, XIX, XX, XXI, XXU, XXIU haben
voUstandige Versuche geliefert; ihre Resultate sind in Tabellen ge-
geben. XXIV, XXV, XXVI sind ganz luckenhaft und bediirfen
gesonderter Besprechung. Ich gebe zunachst kurze Krankenge-
schichten.
Fall XVin. E. W., 23 Jahre altes Dienstmadchen, wurde
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536 Adolf GroB.
plotzlich am 5./n.97 hochgradig erregt, sah Gestalten, horte Stimmen,
weinte viel, auBerte Selbstanklagen. Dann wurde sie heiter, zer-
storungssuchtig, aB gierig oder verweigerte die Nahrung. Am 22./IL
erfolgte die Aufnahme in die hiesige Irrenklinik. Sie war theilnahm-
los, kataleptisch, reagirte schnell, aber meist unsinnig, zeigte Echo-
praxie, Negativismus. Stuporzustande mit eigenthlimlichen Stellungen
wechselten dann mit impulsiven Erregungszustanden, Koprolalie,
Sprachverwirrtheit. Von dieser Kranken liegen drei Versuche vor:
zwei aus stuporosen Zeiten, einer wahrend der Erregung angestellt.
Fall XTX. L. H., 27 Jahre alter Landwirth, war frliher gesund,
arbeitsam. Er erkrankte am 22./XI. 96 mit Verfolgungsideen, wurde
dann erregt, lief im Hemd aus dem Hause, auBerte GroBenideen.
Bei der Aufnahme, am 2./Xn. 96, war er mangelhaft orientirt, be-
sonnen, kataleptisch, zeitweise negativistisch , suggestibel, faselig;
Stimmungswechsel, Verbigeration, Ablenkbarkeit, Krankheitsgeftihl,
aber keine Einsicht, Interesselosigkeit, GroBenideen. Er rechnete
gut, fasste gut auf. Spiegelschrift, katatonische Stellungen. Zeit-
weise erregt mit impulsiven, absurden Handlungen. Er kam ungeheilt
nach Emmendingen.
Der vorliegende Versuch stammt aus erregter Zeit.
Fall XX. H. A., 23jahrige Malersfrau. Drei Monate nach
einer Geburt wurde sie sehr erregt, tobte, betete, sang. Am 9./I. 97
wurde sie hierher verbracht. Sie war besonnen, mangelhaft orientirt,
sehr ermiidbar, heiter. Traumerisches, faseliges Wesen, gute Auf-
fassung; Echolalie, Echopraxie, Katalepsie. Sie wurde immer ver-
worrener in ihren Reden, hatte Manieren und katatonische Stellungen.
Heftige Erregungszustande wechselten mit kataleptisphen Stupor-
zustanden und Remissionen. Am 23./V. 97 wurde sie gebessert
entlassen.
Von den drei Versuchen ist der erste in stuporosem Zustand,
der zweite in einer Remission angestellt, der letzte kurz vor der
Entlassung.
Fall XXI. Ch. W., 24 Jahre altes Dienstmadchen. Sie er-
krankte im Mai 96, wurde stumm, horte auf zu arbeiten, schlief
nicht. Dann bekam sie Angst, hatte Versundigungs- und Verfolgungs-
ideen. Bei der Aufnahme, am 19./ VI. 96, war sie stuporos, dabei
orientirt und besonnen. Katalepsie, Echolalie, Grimassiren, Negati-
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DntersuchuugttD fiber die Schrift Gesunder uiid Geisteskranker. 537
vismus, gute Auffassung, schnelle Bewegungen. Stereotypes, stunden-
langes Hin- und Herwandeln. Im Laufe von -74 Jahren besserte
sich der Zustand der Kranken soweit, dass sie nach Hause entlassen
werden konnte. Doch war sie noch unfrei und manierirt.
Der Versuch ist in der beginnenden Besserung angestellt.
Fall XXn. Frau S. E., 35 Jahre alt, verheirathet. Im Marz
96 erkrankte sie mit depressiven Ideen, wurde erregt, betete, sang.
Aufnahme am r2./in. 96. Grimassirt, spricht scandirend in sin-
gendem Ton. Echopraxie, Echolalie, Katalepsie, sinnlose Reden,
Krankheitsgefulil, Sinnestauschungen. E^atatonische Bewegungen bei
volliger Besonnenheit ; >muss es so machen«. Remissionen. Zeitweise
stuporos. Patientin wurde gebessert entlassen.
Sie wurde in der Reconvalescenz untersucht.
Fall XXTTT. J. Th., 29 Jahre alter Kellner. Ueber seine
Jugendzeit ist nichts bekannt. Er ist ein vielfach bestraftes Indivi-
duum, wurde als unsicherer Heerespflichtiger eingestellt, desertirte,
wurde bei einem Einbruch ergriffen. Im Militargefangniss wurde er
zwolfmal disciplinarisch bestraft. Er erkrankte 1893, war in den
Irrenanstalten SchuBenried, Breslau, StraBburg, Stephansfeld, Rybnik;
dazwischen vagabondirte er und veriibte Einbruchsdiebstahle. Am
8./Xn. 96 wurde er hier aufgenommen. Er war voUig mutacistisch,
machte eigenthiimliche Bewegungen mit den Handen, lachelte lappisch,
grimmassirte ; heftiges Zusammenzucken bei gegen ihn gerichteten
Bewegungen, anscheinend willkiirliches Zittem. Dabei war er orien-
tirt, besonnen, reizbar. Sein Zustand besserte sich ziemlich plotzlich ;
doch blieben Verfolgungsideen und Sinnestauschungen bestehen.
Versuch in Erregung und Remission.
Fall XXIV. Frl. F. S., 21 Jahre alt. Erkrankte plotaUch im
Januar 97 mit lebhaften Sinnestauschungen, Angst. Bei der Auf-
nahme stuporos, theilnahmlos. Auffassung gut, Aufmerksamkeit
mangell^aft. Mutacismus, wenig Negativismus, Katalepsie. Zwangs-
lachen, Zwangsbewegungen, Schnauzkrampf, Grimassiren. Wird
ungeheilt nach Hause entlassen, bessert sich da.
Versuch im Stupor.
Fall XXV. B. G., 36jahriger Landwirth. Pat. erhielt im
Herbst 1896 eine fiinfmonatliche Gefangnissstrafe wegen schwerer
Korperverletzung. Im Gefangniss wurde er plotzlich verwirrt, erregt.
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538 Adolf GroB.
bekam Wahnideen und Sinnestauschungen. Wurde dann stuporos,
negativistiscli. Bei der Aufnahme, am 2./in. 97, stumm, negativistisch ;
grinsendes Lachen. Echopraxie, Stereotypie. Impulsive Handlungen.
Der Zustand besteht im wesentlichen jetzt noch unverandert fort.
Versuch im Stupor.
Fall XXVI. Frau K. L., 25 Jahre alt, erkrankte Weihnachten
96 mit Eifersuchtsideen, Sinnestauschungen. Am 7./IV. 97 wurde
sie aufgenommen. Rhythmisches Schreien, Verbigeriren, impulsive
Gewaltacte. Gute Auffassung, prompte Reactionen. Katatonische
Bewegungen, Grimassiren, Echopraxie, Echolalie, Ablenkbarkeit. Die
Kranke beruhigte sich allmahlich, blieb aber ganz confus, zerfahren,
manierirt, stimmungslabil.
Versuch in der Erregung.
Unter sammtlichen von katatonischen Kranken stammenden Ver-
suchen sind angestellt:
im Stupor : 5 (2 unvollstandig)
in der Erregung : 4 (2 unvollstandig)
in Bemission : 5
Von einer Kranken liegen Versuche aus stuporoser und erregter
Zeit, von einer aus Stupor und Bemission, von einem dritten aus
Erregung und Bemission vor.
Die Tabellen enthalten die Werthe der ganz oder zum uber-
wiegenden Theil voUstandigen Versuche. Soweit die Besultate der
unvoUstandigen Experimente verwerthbar sind, habe ich sie an den
entsprechenden Stellen eingeschaltet.
Die durchschnittliche Geschwindigkeit der L i n i e n ist in den 3 stupo-
rosen Versuchen deutlich verlangsamt (X Villa, XVIIIb, XXa), ebenso
in 2 Bemissionen (XXI, XXm), unerheblich in 2 weiteren Bemis-
sionen (XX b und XXTT) und in einer Erregung (XIX). Normal
sind nur die Durchschnittswerthe der Versuche XVHIc (Erregung)
und XX b (Bemission). In einigen erheblich verlangerten Durch-
schnittswerthen sind jedoch normal lange Einzelwerthe enthalten, so
in dem Stuporversuch XV ILL b, dem Bemissionsversuch XXTTT. Der
letztere ist insbesondere durch die enorme Verschiedenheit der Milli-
meterschreibzeiten fur die einzelnen Linien auffaJlend: die erste ist
kiirzer aJs das Mittel der Gesunden, die letzte mehr als das vierfache
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(Intersnchimgen fiber din Schrifl Gesimder nnd Geisteskranker.
Tabelle LI.
539
Mm. Schrz.
d. Linien
xvma
5. III.
xvnib
25. m.
xvmc
3. IV.
XTX
i8.m.
14
XXa
23.m.
31
XXb
6. IV.
16
XXc
7.V.
14
XXI
ii.m.
26
XXTT
ii.m.
20
xxm
20. m.
8
1
23
36
15
2
22
34
11
18
34
16
12
12
22
12
18
3
28
25
10
10
21
32
13
22
14
18
4
24
6
15
28
16
10
25
13
40
D.
24
26
10,5
17
31
15
XXb
6. IV.
12
XXc
7.V.
24
XXI
ii.m.
15
xxn
ii.m.
21
xxm
20. m.
Mm. Fehler
d. Linien
xvnia
5. m.
XVlUb
25. m.
XVlilc
3. IV.
XTX
i8.m.
XXa
23.in.
1
+ 55
+ 16
+ 3
+ 1
+ 1
-hi
+ 3
2
+ 45
+ 1
— 2
+ 2
+ 5
+ 2
3
+ 45
-1-2
— 22
+ 1
+ 2
4
+ 45
+ 190
— 4
— 1
+ 25
+ 17
+ 3
+ 9
+ 1
+ 3
Im ganzen:
+ 2 +5
0
+ 1
+ 8
+ 3
Druck
d. Linien
xvma
5.m.
xvinb
25. m.
xvmc
3. IV.
XIX
18. m.
XXa
23. m.
XXb
6. IV.
XXc
7.V.
XXI
ii.m.
xxn xxm
n.m.|2o.m.
1
100
60
130
210
50
30
30
70
150
30
2
no
80
200
190
20
30
30
70
100
340
3
4
150
140
70
250
310
30
30
20
20
100
80
no
530
40
260
290
30
10
100
530
D.
125
63
210
250
33
28
j 20
80
n5
358
desselben; bei XVlUb ist es fast ebenso; nur ist die Geschwindig-
keit der letzten Linie am groBten, die der ersten am geringsten.
Ganz extrem fehlerhafte AusfUhrung der Linien finden wir in
dem ersten Stuporversuch von XV ill, der sich also durch Lang-
samkeit der Schreibbewegung mit incorrecter AusfUhrung auszeichnet.
Ziemlich fehlerhaft ist auch der Erregungsversuch von XVIH; an
ihm ist besonders auffallend, dass 2 Linien zu lang, 2 zu kurz ge-
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540
Adolf GroO.
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1
1
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'^
c^
rathen sind, wodurch sich insgesammt
die Fehler bk zu einem gewissen Grade
ausgleichen. Unter den ubrigen Ver-
suchen ist bei einem Erregungs- und
einem Remissionsversuch die Fehler^
gr6Be(inMillimetem)ziemlich bedeutend,
sonst mittel oder gering. Der Druck
ist in keinem der in den Tabellen mit-
getheilten Falle gesteigert, nur bei
l^^TU in geringem Grade. Li zwei
stuporosen und drei Remissionsver-
suchen ist er abgeschwacht. Bei den
Linien von XXIII fallt, entsprechend
der UngleichmaBigkeit der Geschwin-
digkeit, die des Drucks ins Auge. Die
schnellst geschriebene Linie hat einen
ganz minimalen Druck ; weit iibermaxi-
maler Druck steht neben tief unter-
minimalem. Dem entspricht der Befund
bei XVmb, wo die weitaus am
raschesten geschriebene Linie den ge-
ringsten Druck aufweist; femer, dass
mit der Zunahme der Schreibgeschwin-
digkeit von XX a zu XX b und XX c
der Druck abnimmt.
Bei der Besprechung der Schrift-
zeichen will ich versuchen, die von
stuporosen Kranken erhaltenen Ergeb-
nisse (XVIIIa, XVIHb, XX a) geson-
dert zu behandeln und ebenso die kata-
tonischen Erregungszustande (XVJIlc.
XIX) und die Remissionen (XX b,
xxc, XXI, xxn, xxm).
Im katatonischen Stupor fallt die
Dauer der Schriftzeichen in die Ge-
sundheitsbreite und liegt theils unter,
theils liber dem Mittel; im Versuch
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UntersnchiingMi iiher die Sehrift Gesnnder mid Geisteskranker.
541
Tabelle LIU.
Einer
Durchschnitt
xvma
b
c
XIX
XX a
b
c
XXI
xxnxxm
Dauer
300
333
383
342
16,5
863 ; 542
225
425
317 250
Mm. Schreibzeit
17
25
18
67 54
36
36
33 47
Schreibweg
19
14
23
21
16 11
1
7
13
9,5
6
Druck
113
40
130
223
25 23
43
83
102
388
Einer Iyvttt-
Max. und Min. "^iVlIIa
b
c
XIX
XX a
b
c
XXI
xxn'xxm
Mm.- 1 Min.
Schreibz. J Max.
13
25
17
33
11
22
10
25
25
100
31
138
25
40
19
70
27 22
44 75
Schreib- \ Min.
weg / Max.
10
28
9
18
17 1 17
28 : 26
6
29
8
16
5
14
10
16
8 4
14 . 12
^'^^ IE:
40
180
1
30
50
80
180
180
350
10
40
20
30
30
60
70
90
80 1 250
150 . 500
XX a ist sie fiir »m« und »1« iibermaximal. Die Millimeter-
schreibzeiten sind meist sehr gering; die Geschwindigkeit ist groBor
als das Mittel der Gesunden; nur XX a macht mit dem Buch-
staben »m« eine Ausnahme. In einem Fall iibertrifft die Ge-
schwindigkeit sogar diejenige der schnellstschreibenden Gesunden.
Die katatonisch Stuporosen schreiben groBe Schriftzeichen, deren
Schriftweg in alien Buchstaben iiber dem Mittel, in alien Zalilen
liber dem Maximum der Gesunden liegt. Der Druck ist mit einer
Ausnahme (XVJJLLa) unterminimal , auch bei XVIHa untermittel.
In den untersuchten katatonischen Remissionen liegen die Ver-
haltnisse ahnlich wie im Stupor, nur nicht so au8gepr§gt. Die Dauer
der Schriftzeichen ist ubermittel bis iibermaximal, mit einer Ausnahme
in den Zahlen (XX c). Geschrieben wird im allgemeinen mit nor-
maler Geschwindigkeit: die betreffenden Werthe liegen, ausgenommen
die Einer von XXITE, in der Gesundheitsbreite; die Mehrzahl der
m's wird langsamer, der Einer rascher geschrieben, als das Mittel
der Gesunden betragt. Dor Schreibweg der Schriftzeichen ist theils
normal, theils iibemormal; doch liegen von 10 Durchschnittswerthen
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542 Adolf GroB.
von Buchstaben und Zahlen 6 iiber dem normalen Mittel. Dagegen
ist der Druck auch hier vorwiegend gering: 6 unterminimalen und
einem untermittleren stehen nur drei ubermittlere und kein iiber-
maximaler Werth gegeniiber.
Von katatonischen Erregungszustanden zeigten sich nur zwei einer
ausgiebigen experimentellen Untersuchung zuganglich. Hier ist die
Dauer der Schriftzeichen durchweg groBer als das Maximum der
Norm. Die Geschwindigkeit ist ganz verschieden: einmal Ubermaxi-
mal, einmal maximal, einmal ubermittel und einmal unterminimaL
Die Schriftzeichen sind meist pathologisch groB, nur die m's in einem
Falle unter MittelgroBe. Der aufgewandte Durchschnittedruck fallt
uberall in die Gesundheitsbreite.
Nach diesen zusammenfassenden Betrachtungen sind noch eine
Reihe von Einzelheiten als wesentlich hervorzuheben. Zunachst finden
sich in den wenigen Theilen der Experimente, die in den Durch-
schnittswerthen pathologisch langsame Geschwindigkeit aufweisen,
durchweg auch normal schnell geschriebene Schriftzeichen. Die am
schnellsten geschriebenen m's der Versuchsperson XX entsprechen
uberall einer mittleren Normalgeschwindigkeit; ihre kleinste Milli-
meterschreibzeit ist dazu in dem Stuporversuche genau dieselbe wie
in den beiden Remissionen. Bei derselben Versuchsperson ist noch
darauf hinzuweisen, dass der Druck in den Buchstaben sowohl als
den Zahlen, genau wie bei den Linien, von dem Stuporversuch zum
ersten Remissionsversuch eine Abnahme, zum zweiten wieder eine
Zunahme zeigt; femer, dass der Zunahme der durchschnittlichen
Geschwindigkeit eine Abnahme der durchschnittlichen GroBe parallel
geht. Die Lilnge der Einer ist in dem Stuporversuch ganz enorm
verschieden: im Maximum sechsmal so groB als im Minimum.
XXTTT zeigt bei derselben Buchstabenlange stark verlangsamt^
und ganz normale Geschwindigkeit.
In den drei Versuchen von XVill ist von Interesse, dass die
durchschnittliche Geschwindigkeit fiir Stupor und Erregung etwa
gleich ist, dass sie bei den m's wenig, bei den Einem bedeutend
groBer ist als das normale Mittel, dass schlieBlich die Minimal-
schreibzeiten ihrer Zahlen kleiner sind als die Minima der Gesunden,
also ihre maximalc Geschwindigkeit auch im Stupor das Maximum
der Gesunden ubertrifEt, dass schlieBlich bei den Stuporversuchen
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Untersuchnngen fiber die Schrift Gesnnder und Geisteskranker.
543
selbst die langsamste Geschwindigkeit noch schneller ist als das
Mittel der Norm.
Wir kommen zur Besprechung der unvoUstandigen Versuche.
Bei den zwei stuporosen Kranken XXIV und XXV sind einzelne
Theile so ausgefiihrt, dass manche Schliisse auf die Eigenschaften
der Schreibbewegungen daraus moglich sind. In den Versuchen von
XXIV ist dreimal der Buchstabe »m« enthalten, der einmal einzeln,
auf die Auff orderung , Punkte zu machen, geschrieben worden war.
Zweimal ist er im Namen und Geburtsort der Kranken enthalten;
diese Personalien schrieb sie auf den Befehl, von 1 — 10 zu schreiben.
Tabelle LIV.
Buchstabe »m<
von Pat. XXTV
1.
2.
3.
Dauer
1200
1000
67
15
170
800
Mm.-Schreibzeit
70
17
90
67
12
Schreibweg
Druck
90
Schreibweg und Millimeterschreibzeit liegen nahe an den alter-
nirenden Grenzen der Gesundheitsbreite; dementsprechend ist die
Gesammtdauer ungefahr eine mittlere. Die Schriftzeichen entsprechen
fast genau den Warterinnen IX und Xm der Normalversuche
(Tab. rH) in Bezug auf geringe Geschwindigkeit und geringe
SchriftgroBe. Der Druck ist vorwiegend untemormal. Hervorzuheben
ist die Gleichartigkeit des alleinstehenden und der in Worten ent-
haltenen tn's.
Der Kranke XXV lag im schwersten negativistischen Stupor,
als er untersucht wurde. Trotzdem sind einige Theile des Versuchs
verwerthbar, darunter zunachst drei Linien.
Die ganz enorme Geschwindigkeit der zweiten und dritten Linie,
der durchweg gesteigerte Druck, der in der dritten beinahe das f iinff ache
des normalen Maximums betragt, und schlieBlich die groBe Fehler-
haftigkeit der Ausfuhrung sind fiir diese Linien bezeichnend. An
Stelle der Punkte wurden 6 Striche von 7 — 8 mm Lange gezeichnet.
Krft«p«liB, Ptyuholog. Arb«it«ii. 11.
36
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544
Adolf Gro6.
Tabelle LV.
Linien von
Pat, XXV
1.
2.
3.
Mm.-Schreibzeit j S,3
0,7
1,3
Dnick '
790
1000
1700
Fehler i
+ 50
+ 50
+ 50
Deren Schreibzeit betrug zwischen 75 und 150a pro Millimeter, im
Durchschnitt 102(r, ist also als verlangsamt zu betrachten. Als er
die Zahlen 1—10 schreiben soUte, schrieb der Kranke viermal die
Silbe »bi«. Die Millimeterschreibzeiten fur drei vollig ausgefiihrte
i's (ohne die Tupfen) betrugen
21 18 25
Diese Schriftzeichen hat der Patient also mit weit iiber mittlerer
Geschwindigkeit geschrieben. Wir haben demnach:
1. Beschleunigte Geschwindigkeit in den Linien.
2. Verlangsamte Geschwindigkeit in den Strichen.
3. Normale (ubermittlere) Geschwindigkeit in den »i«s.
Die Lange der Schriftzeichen bei diesem Kranken ist betrachtlich;
exact liisst sich das Verhiiltniss zu Gesunden nicht angeben, da normales
Vergleichsmaterial fiir die von ihm ausgefuhrten Buchstaben nicht
vorhanden ist.
Die Veranderung, welche die Eigenschaften der Schreibbewegung
wahrend des Schreibens und dann mit dem Beginn des Rechnens
erleiden, bewegen sich im allgemeinen vorwiegend in derselben Rich-
tung wie bei Gesunden. Nach vorstehender Tabelle konnte dies nur fiir
die Zunahme der Zahlenlange (100 -^— — ^| zweifelhaft erscheinen, wo
4 Zunahmen 4 Abnahmen gegeniiberstehen. In den Versuchen XXb
und XX c wurde an Stelle der »I0« jeweils eine »0« gemacht, die
zur Noth zur Berechnung der Geschwindigkeit und des Druckes
verwendet werden konnte, jedoch in Bezug auf Liinge naturlich nicht
vergleichbar ist. Ein Blick auf die Zahlen selbst zeigte mir jedoch,
dass auch in diesen beiden Versuchen zweifellos mit zunehmender
ZahlengroBe geschrieben wurde. Also die Veranderung uberwiegt
auch hier mit 6 gegen 4 in normalen Sinne. Ausnahmslos nimmt
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Untersuehiuigen Qber die Sohrifl Gesoiider und Geisteskranker.
Tabelle LVL
545
Einer. Verande-
nmff wahrend
des Schreibens
in %
xvina
b
c
XIX
XXa
b
c
XXI
xxn
YYTTT
100 («-*)
a
-6,1
-32
— 50
— 44
-64,6
— 72,5
-37,5
— 72,9
— 25
— 12
m^-'>
+ 92,3
-1-94,1
+ 91
+ 50
-14,7
-5,3
+ 60
4-63
+ 15
+ 182
Millimeterschreibzeit
Einer. Verande-
rvaig wahrend vttttt
dea Scireibens fX:Vina
in ^
b
c
XIX
XXa
b
c
XXT
xxn
xxin
100 ^--'^
a
-32,,
4-12,5
+ 21,8
— 18,2
+ 7,4
?
9
+ 60
-21,4
-25
'"'^
-47,4
— 50
-39,3
-5,5
-27,6
?
?
— 18,8
-27,3
— 55,5
Schreibweg
Einer. Verande-
rung wShrend
des Bchreibens
in X
xvnia
b
G
XTX
XXa
b
C
XXT
xxn
xxm
,00 <«-*)
a
— 33,3
— 40
+ 125
-4,8
q=0 +50
qzO —33,3
+ 100
+ 28,5
+ 12,5
+ 100
,00 !*-T-^)
0
-66,7
+ 33,3
— 27,8
— 5
— 50
-11,1
-11,1
-16
Druck
die Geschwindigkeit wahrend des Schreibens zu, die Lange mit dem
Rechnen ab; fast ausnahmslos vennindem sich Geschwindigkeit und
Druck mit dem Rechnen.
Ln Stupor finden wir gegeniiber der Norm die Geschwindigkeits-
zunahme gesteigert, die Langenzunahme herabgesetzt; beim Druck
kehrt sich das normale Verhaltniss um, so dass zweimal Abnahme
und einmal Gleichbleiben des Drucks vorliegt.
Bei den Remissionen iiberwiegen in Geschwindigkeit und
Druck weitaus die iibermittleren Zunahmen; fUr die Lange lasst
sich aus dem oben geschilderten Grunde diese Frage generell nicht
entscheiden.
36*
Digitized by
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&46
Adolf Oro6.
Die beiden erregten Katatoniker zeigen ubermittlere oder
ubermaxnnale Zunahme der Geschwindigkeit wahrend des Schreibens;
fiir Lange und Druck sind die Ergebnisse in beiden untersuchten
Fallen ziemlich entgegengesetzt.
Im Vergleich zur mittleren normalen Abnahme von Geschwindig-
keit, Lange und Druck mit dem Einsetzen der Rechenarbeit finden
wir im katatonischen Stupor die Abnahme der Geschwindigkeit
und besonders der Lange starker, des Druckes weniger ausgepragt;
einmal findet im Gegentheil Zunahme statt.
Abnahme sammtlicher Werthe iiberwiegt in den Remissionen,
am wem'gsten fiir die Geschwindigkeit.
Li den Erregungszustanden zeigten sich etwa normale
Verhaltnisse.
Tabelle LVH.
Gksammtdauer
der
kvma
b
c
XIX
XXa
b
c
XXT
XXII
XXffl
J Zahlen
^ Pausen
42
. 52
62
170
232
50
77
82
46
60
48
42
64
29
45
81
55
29
63
25
14
Summe | 106
81
95
158
137
75
123
73
56
Tabelle LVm.
Pausengruppe
1
xvma
b
c
XIX
17
XXa
b
0
XXI
xxn
xxni
o "•
12
9
5
33
11
10
22
1
9
3
© D.
11
8
12
151
14
16
26
24
11
12
9
s
.2 c.
12
22
20
8
29
7
3
Die Dauer aller Zahlen entspricht durchaus den fiir die
Dauer der Einer allein festgestellten Verhaltnissen. Ich habe im
Folgenden die einzelnen Kranken nach der Dauer der Einer und
der Zahlen uberhaupt geordnet. Mit * sind diejenigen bezeichnet,
deren Dauer das Maximum der Gesunden ubertri£Et.
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Untersuchuogeii Ober die Schrifl Gesimder und Geisteskranker. 547
I. Stupor.
Dauer aller Zahlen: ^er Einer:
xvm xvin
xvma xvma
XX* XX*
n. Remission.
Dauer aller Zahlen: der Einer:
xxni xxb
xxb xxm
xxn' xxn
XXI* XXI*
XXa* XXa*
in. Erregung.
Dauer aller Zahlen: der Einer:
XIX XIX
xvmc* xvmc*
Die vollkommene Uebereinstimmung ist in die Augen fallend.
Deutlich ist femer, dass die ubergroBe Mehrzahl der Werthe nicht
verlangert ist. Dabei ist die ZahlengroBe vorwiegend ubermittel,
wie es f iir die Einer nachgewiesen wurde und fur die librigen Zahlen
aus der Aehnlichkeit der Lange mit den Einem geschatzt werden
kann. So diirfen wir auch fiir die Zahlen uberhaupt eine iiber-
wiegend normale Geschwindigkeit annehmen.
Vor allem tritt hier hervor, dass die Stuporversuche gegeniiber
den Remissionen und Erregungen nicht etwa eine langere Dauer
erkennen lassen. Bei XVITE ist die Dauer der Zahlen in dem er-
regten Versuch langer als in den beiden stuporosen; bei XX iiber-
trifft wenigstens der eine Remissionsversuch den im Stupor angestellten.
Die Dauer der Pausen ist nicht verlangert bei XXIII, XXTT,
XXc, XVnic. Doch auch bei diesen ist sie mit Ausnahme von
xxm UbermittelgroB. Die groBen Gesammtwerthe fiir die Pausen
bei XVnia und XViiib sind ausschlieBlich die Folge von je einer
ganz abnorm langen Pause (39 und 148). Rechnet man diese auf
das Mittel der iibrigen Pausen um, so erhalt man normale Gesanmit-
pausenlaiige, und zwar etwa die gleiche wie bei XVillc. Daraus
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548
Adolf GroB.
ergiebt sich, dass die Pausendauer in der Erregung bei Pat. XVIII
nicht etwa kiirzer ist als im Stupor. Eine von Versuch zu Versuch
fortschreiteilde Abnahme der Pausendauer finden wir bei XX; das
Verhaltniss von Pausen- zu Zahlendauer ist daher bei dieser Patientin
wechselnd. Pat. XIX, nur in erregtem Zustand untersucht, zeigt
eine Dauer, die das Maximum der Gesunden um die Halfte iibertrifft.
Die Pausen zwischen den Zahlen zeigen fiir keine der Erschei-
nungsformen der Katatonie eine gesetzmaBige Veranderung im Ver-
laufe des Schreibens. Im Stupor finden wir theils Abnahme, theils
Zunahme, in der Erregung ebenso. Dip Remissionen weisen in der
Mehrzahl der Falle (3 von 5) zunachst eine Zunahme, dann Abnahme der
Pausendauer auf, in dem FallXXm so ausgepragt, dass bei verhaltniss-
maBig kurzer Gesammtpausendauer die erste und letzte Gruppe stark
verkiirzt, die mittlere etwas verlangert erscheint. Bei XXI ist um-
gekehrt die mittlere Gruppe erheblich kurzer als die beiden auBeren.
Die Patientin XX, bei welcher sich von Versuch zu Versuch die
Gesammtpausendauer verkiirzt, hat am ersten Versuchstag gleich-
maBig gegen das Maximum der Norm verdoppelte Dauer der Pausen;
im zweiten ist die erste Gruppe normal geworden, die beiden andem
haben sich nur unerheblich verandert; im dritten endlich sind alle
drei Gruppen zur normalen Dauer zuriickgekehrt. Hervorzuheben
ist noch, dass Patientin XVILL, nach Reducirung der extrem langen
Werthe, in dem erregten Versuch ein ausgesprochenes Zunehmen der
zeitlichen Zwischenraume zwischen den Zahlen erkennen lasst, wahrend
von den stuporosen Versuchen der eine eine deutliche Abnahme,
der andere eine unwesentliche Abnahme und dann ebensolche Zu-
nahme zeigt,
Tabelle LIX.
Subtractions-
aafgabe
1
! XX a
b
XXII
xxm
g Zahlen
g Pausen
126
122
51
25
51
68
1 72*
49
31
48
2 Summe
' 198
171
76
0
82
116
0
.9 Fehlcr
! »
0
0
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(Jntersachiingen fiber die Schrift Gesunder und Geisteskranker. 549
Von den sechs katatonischen Versuchspersonen , die im ubrigen
vollstandige Experimente geliefert haben, fuhrten nur drei die Sub-
tractionsaufgabe vollig sachgemaB aus, darunter XX an dem
stuporosen und den zwei Remissionstagen. Unter den so erhaltenen
fUnf Gesammtwerthen sind zwei (XXc und XXII) auffallend klein
und entsprechen ungefahr den Minimalwerthen der Gesunden; XXIII
hat in mittlerer Zeit gerechnet; der Versuch XXb liegt an derMa-
ximalgrenze, die XX a wenig uberschreitet. Der letzterwahnte
Versuch dauerte aber nur deshalb langer, weil die Patientin beim
Rechnen eine neue Zeile anfing und dabei stoekte, wobei eine ein-
malige Pause von 3,8 Secunden entstand; rechnet man diese den
ubrigen Pausen entsprechend um, so fallt auch der erste, der Stupor-
versuch, von XX in die Normalbreite und gleicht dem zweiten, dem
ersten Remissionsversuch. Es ist also fiir diese Versuchsperson fest-
zustellen : die fiir die Subtractionsaufgabe benothigte Zeit fallt durch-
weg in die Breite des Normalen; von der stuporosen Zeit zur Re-
mission ist keine Besserung zu erkennen, doch tritt eine solche im
Laufe der Remission hervor. Ich mochte noch darauf hinweisen,
dass die Zwischenzeiten zwischen den Zahlen beim einf achen Schreiben
durchweg langer sind als die beim Rechnen erhaltenen. Alle Auf-
gaben wurden fehlerlos ausgefuhrt.
Unter den ubrigen untersuchten Kranken sind noch die Versuche
von XXI und XIX soweit brauchbar, dass wir daraus Schlusse auf
die Fahigkeit derselben ziehen dUrfen, einf ache Rechenaufgaben zu
losen. Zugleich aber ist dabei zu zeigen, in welcher Art diese
Kranken die befohlene Aufgabe ausgefuhrt, abgeandert haben. XXI,
in Remission untersucht, hat die Aufgabe richtig gelost, dabei jedoch
gerechnet
20, 17, 14, 8, 5, 2.
Aufgefordert, die Rechnung zu wiederholen, machte sie es noch ein-.
mal gerade so. Die Gesammtzeit war
1. 204,
2. 118.
Rechnet man die Pause zwischen 14 und 8 ab, so erhalt man
1. 204 — 95 = 109,
2. 118 — 11 = 107.
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550 Adolf Grofi.
Daraus sind folgende Schliisse zu ziehen: Die Kranke hat die Auf-
gabe normal schnell gelost; sie hat beidemal gleich schnell gerechnet;
beim ersten Rechnen ist nach der 14 irgend etwas dazwischen ge-
kommen, was den normalen Ablauf des Associationsvorgangs storte,
und zwar nicht etwa eine Schwierigkeit, die im Rechnen gelegen
hatte. Die Losung gab uns die Kranke selbst: Als sie die 11, die
ihr ebenso leicht einfiel wie die ubrigen Zahlen, niederschreiben
wollte, kam ihr der Gedanke, dass sie ja elf Geschwister habe;
infolgedessen lieB sie die Zahl aus. Beim ersten Mai venirsachte
dieser Vorgang eine Stockung, beim zweiten Mai nicht mehr.
XIX, ein katatonisch erregter Kranker, schrieb auf den Befehl,
die Subtractionsaufgabe auszufuhren,
1. 20, 17, 14, 11, 8, 5, 1,
2. 20, 17, 14, 11, 8, 5, 4, 3, 2, 1.
Die Rechnung ist bis zur Zahl 5 richtig ansgefiihrt; die gefundene
Subtractionszeit betragt
1. 108,
2. 129;
es liegt demnach keine nachweisbareErschwemng dieser einfachen Denk-
thiitigkeit vor; auch stimmen die beiden Subtractionszeiten annahemd
iiberein. Den Fehler am Schlusse der ersten Ausfuhrung begriindete
der Klranke mit dem Ausspruch: »ich hab' mal 4 genommen«. Wes-
halb er sodann beim zweiten Male, anstatt weiter zu rechnen, von
5 ab einfach die Zahlen liickwarts schrieb, dafur konnte ich keine
Motivirung erhalten.
Ich muss hier noch einmal auf die Kranke XX zuriickgreifen.
Ehe sie am stuporosen Versuchstag die verwerthete richtige Losung
lieferte, sclirieb sie zunachst
20, 17, 14, 15,
dann stockte sie. Ueber den Grund befragt, antwortete sie: »15 Jahre
war ich, wie meine Mutter gestorben ist<. Dabei zeigte sie keine
Spur von Affect. Die Aehnlichkeit der Motivirung mit Fall XXI
ist deutlich.
Die Reaction der ubrigen Kranken auf den Befehl der Ausfuhrung
der Subtractionsaufgabe war derart, dass sie Schliisse auf ihre Fahig-
koit, elcmentare Denkarbeit zu Icisten, nicht erlaubte. XVIII schrieb
in alien drei Versuchen fast wahllos Zahlen nieder, z. B.
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Untersachuogeu^ uber die Schrift Gesunder und Geisteskranker. 551
1. 20, 7, 1, Oder
2. 20, 3, 17, 20, Oder
3. 20, 17, 3, 14, 12, 3, 4,
wobei uberall Anklange an die Aufgabe noch zu erkennen sind; bei
1. ist offenbar die Ziffer 1 der Zahl 17 ansgelassen; in 2. und 3. ist
ofter die zu subtrahirende Zahl dazwischen geschrieben, einmal
addirt, anstatt subtrahirt; zweimal hat diese Kranke inmitten der
Subtractionsaufgabe begonnen, die Zahlen von 1 bis 10 zu schreiben.
Hier sind noch einige Befunde anzuschlieBen , die, zwar nicht
beimRechnen erhalten, doch deutlich erkennen lassen, wieKatatoniker
auf bestimmte Aufgaben reagiren konnen.
XXIV schrieb an Stelle kleiner »m« ein »5IK«, ein »m« und ein
»tt)«; sodann anstatt Punkte ein weiteres »9}?«, schlieBlich an Stelle
der Zahlen 1 bis 10 ihren Namen und Geburtsort. Letzteres wurde
schon erwahnt, ebenso wie XXV anstatt der Punkte Striche, an
Stelle der Zahlenreihe mehrfach die Silbe »bi« niederschrieb.
Von XXVI erhielt ich nur ein unentwirrbares Durcheinander
von Linien, Buchstaben und Zahlen und sinnlosem Gekritzel. Die
schnelle Ausfuhrung der Bewegungen und die Nachlassigkeit und
Lange der Schriftziige konnte ich wahrend der Ausfuhrung des Ver-
suchs erkennen.
Die Form der Schriftziige weist im katatonischen Stupor
drei verschiedene Typen auf: bei XX sehr nachlassige, ausfahrende
Schriftziige , die mit lose zwischen den Fingem hangendem Bleistift
ohne Grund- und Haarstriche nur so hingeschleift sind; ahnlich ist
es bei XVJLLL, im Stupor nicht wesentlich anders als in der Erregung;
nur sind die Ziige etwas energischer, bei XXV sehr grob und massig,
aber ebenfalls nachl^ssig. XXIV hat auBerordentlich sorgfaltig und
in schulgemaBem Wechsel zwischen Grund- und Haarstrichen ge-
schrieben. Dies ist fast durchweg auch die Schreibart in den Remis-
sionen. Von den erregten Kranken habe ich XVliic und XXVI
schon charakterisirt ; bei XIX ist es ebenso, jedoch finden sich
dazwischen sorgfaltig gemalte Schriftzeichen , im vorliegenden Fall
ein Dreieck und eine »IX«.
Entsprechend sind auch die Drucklinien der katatonischen
Symptomencomplexe sehr verschieden. .Unter den katatonisch Stupo-
rosen konnte ich drei Typen feststellen. Zu dem ersten gehoren die
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552 Adolf GroB.
Curven von XX und zum Theil auch von XVIIL Die reproducirten
Curven des Buchstabens »m« der Kranken XX ahneln auBerordent-
lich den circular stuporosen, doch ist bei der zweiten der Bewegungs-
ablauf ein normal schneller, wahrend er allerdings bei der ersten
stark verlangsamt ist. Dem zweiten »m< von XX 2linelt dasjenige
von XVlll sehr; hier finden wir aber deutlich ausgepragte Druck-
schwankungen im Verlauf der Schreibbewegung, trotz des minimalen
Drucks. Die Punkte dieser Versuchsperson zeigen ganz verschiedene
Drucklinien, darunter eine mit erheblichem Druck.
Ganz anders sind die Curven des Kranken XXV mit seinen
machtigen Schriftzeichen. Dieser tief stuporose Patient zeigt unver-
haltnissmaBige Schwankungen des Drucks im Ablauf der einfachsten
Bewegungen, z. B. der Linien. An dem hier aufgezeichneten Beispiel,
der Silbe >bt«, fallen die scharfen ecldgen Formen auf, mit steilem
An- und Abstieg, doch ohne erhebliche Nachschwankungen. Man
konnte in dem Ansteigen des Drucks eine Erregbarkeitssteigerung
erblicken; doch ist zu erwahnen, dass in der darauffolgenden Silbe
Druck wie Schriftlange wieder kleiner wird.
Ein Beispiel der dritten Form unter den Drucklinien des kata-
toniscben Stupors sehen wir in dem »m« von XXIV. Dessen Curve
ist von normaler Lange, normaler Druckhohe und dabei auffallend
schon ausgearbeitet, doch ohne alle kleineren Schwankungen.
Die Unruhe, UngleichmaBigkeit des Bewegungsablaufs ist das
hervorstechendste Kennzeichen der erregten Katatoniker. Wie wir
unter den Punkten aus der stuporosen Zeit der Kranken XVIII
einen mit starkem Druck namhaft machen konnten, so sehen wir
unter den aufgezeichneten fiinf Punkten aus der erregten Phase
dieser Kranken zwei mit niederem Druck, und zwar handelt es sich
nicht etwa um eine gesetzmaBige Veranderung der Druckverhaltnisse.
Vom ersten zum dritten Punkt nimmt der Druck rapid ab, dann zu,
dann wieder ab.
AuBerordentlich charakteristisch fiir die katatonische Erregung
sind die Liniencurven der Kranken XXVI und XXTTT, des letzteren
aus seiner acuten Zeit. Wir sehen, wie bei XXTTT die AusfUhnuig
der Linic immer wieder unterbrochen wird, wie die verschiedcnen
Bewegungsansatze die allerbuntestcn Formen aufweisen, ein stetes
Ansetzen und Loslasscn, bis schlieBlich die Linie mit einer kranipf-
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Ootersuchungen fiber die Schrift Gesnnder und Geisteskranker. 553
haften Anstrengimg zu Ende gefuhrt wird. Das Product diesei" Schreib-
bewegung, die Linie selbst, ist unter die Curve gezeichnet. Als der
Kranke einige Monate darauf eine Remission bekam, in der er den
in den Tabellen verwertheten Versuch lieferte, konnte in einer seiner
Linien noch ein analoges Stocken, eine plotzliche Unterbrechung des
Bewegungsablauf s , festgestellt werden, offenbar der Rest jener
Stoning. Bei der schwer erregten Patientin XXVI mit ihrem unent-
wirrbarenGekritzelfindenwir ein unaufhorliches Auf- und Abschwanken
des Druckes, haufige regellose Unterbrechungen, so dass schlieBlich
jede geregelte Schreibbewegung untergeht in der plan- und ziellosen
motorischen Thatigkeit.
Die Druckcurven der Remission zeigen meist normale Verhalt-
nisse, sind sogar haufig auffallend sauber ausgearbeitet und schon;
dazwischen finden sich bei den meisten einzelne an XX erinnemde
Formen. Die Remissionen von XX selbst entsprechen durchaus dem
Stuporversuch dieser Bj-anken.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
Eine zusammenfassende Besprechung der katatonischeri Resultate
wird durch deren UngleichmslBigkeit erschwert. Doch ist diese Un-
gleichartigkeit der gewonnenen Werthe fur dieselben Bewegungs-
functionen einer Versuchsperson geradezu mit als ein wesentliches
Kennzeichen der katatonischen Bewegungen zu betrachten. Ich will
versuchen, auch hier Stupor, Erregung und Remission gesondert zu
besprechen, wenn auch die daraus gezogenen Schliisse bei der geringen
Zahl der vollstandigen Versuche einen geringeren Anspruch auf
Allgemeingiiltigkeit erheben diirfen, als die vonOircularen gewonnenen.
I. Stupor. Wir finden hier bei Ausfiihrung der Linien neben
pathologisch verlangsamterGreschwindigkeit vereinzelte normale Werthe;
hier wurde zusammen mit Langsamkeit der Ausfiihrung starke Fehler-
haftigkeit beobachtet. Die Schreibgeschwindigkeit fiir Schriftzeichen
ist durchweg eine sehr groBe, zum Theil pathologisch schnelle; abnorm
rasches Schreiben kommt iibrigens auch in Ausfiihrung der Linien
vor. Die katatonisch Stuporosen schreiben in der Regel sehr groBe
Schriftzeichen ; im Gegensatz dazu pflegt der auf gewandte Druck sehr
klein zu sein. Es kommen auch bei derselben Versuchsperson in
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554 Adolf Groa
einem und demselben Versuch pathologisch groBe Zahlen neben ganz
kleinen vor. Die Dauer aller 10 Zahlen, analog derjenigen der
Einer allein, ist vorwiegend normal, wahrend Schreibweg und Ge-
schwindigkeit verhaltnissmaBig groB sind. Wahrend des Schreibens
nimmt die Geschwindigkeit vorwiegend zu, der Druck dagegen ab;
dieLange der Zahlen zeigt keine hervorstechende Veranderungsrichtung.
Entsprechende Beobachtungen wurden auch bei der Analyse der
Linien gemacht. Die Pausen erleiden keine charakteristische Veran-
derung wahrend des Schreibens.
II. Erregung. Die Schreibgeschwindigkeit der erregten Kata-
toniker ist ganz verschieden, theils verlangsamt, theils normal, theils
beschleunigt. Die Schreibweise ist theils correct, theils fehlerhaft.
Bei Ausfuhrung der Linien wurden in einem Versuch bedeutende
Fehler nach der positiven wie nach der negativen Seite beobachtet.
Der Schreibweg ist meist pathologisch groB; doch kommt daneben
auch in demselhen Versuch untermittlere Lange neben libermaximaler
vor. Der Druck ist durchweg normal. Wahrend des Schreibens
nimmt die Schreibgeschwindigkeit sehr stark zu; es besteht also ge-
steigerte motorische Erregbarkeit , doch ist in der Veranderung der
iibrigen Bewegungseigenschaften, Schreibweg und Druck, nichts gesetz-
maBiges festzustellen. Die Pausen zwischen den Zahlen dauem sehr
lange und nehmen an Dauer theils ab, theils zu. An den DruckUnien
fallen dieUngloichmaBigkeiten desBewegungsablaufs, in den schwersten
Zustiinden zahlreiche Stockungen auf, die an Stelle des planmaBigen
Schreibens ein ziel- und planloses Bewegen treten lassen.
III. Remissionen: Auch hier ist, wie beim Stupor, die
Geschwindigkeit in demselben Versuch theils durchweg normal, theils
verlangsamt oder normal; den stuporosen Befunden entspricht femer
die vorwiegende bedeutende Schriftlange bei geringem Druck. Die
Dauer der Schriftzeichen ist theils normal, theils verlangert, und zwar
vorwiegend wegen VergroBerung des Schreibwegs. Die Veranderung
der Schreibbewegungen wahrend des Schreibens und des Rechnens
schlieBt sich an die bei Gesunden gefundenen Verhaltnisse an;
ebenso ist es mit den Pausen. Im GroBen und Ganzen ahneln die
Versuchsergebnisse in katatonischen Remissionen sehr den normalen
Befunden, wahrend einzelne auffallende Abweichungen sie davon zu
scheiden pflegen. Auf diese wurde in den speciellen Ausfiihrungen
hingewiesen.
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Uatersncbnngen fiber die Scbrift Gesunder and Geisteskranker. 555
£. Klinische Verwertbang der Ergebnisse.
Bei der zusammenfassenden Besprechung der Normalversuche
habe ich mich darauf beschrankt, allgemeine Schlusse auf die Ait
des Ablaufs der Schreibbewegungen bei Gesunden zu ziehen. Icb
habe geflissentlich vermieden, individuelle motorische Eigenschafteh
der untersuchten einzelnen gesunden Personen herauszuschalen, da
mir je eine Versuchsserie fUr diesen Zweck nicht geniigend er-
schien. Doch wurde dort scfaon daranf hingewiesen, dass der Ab-
lauf der Schreibbewegnng in den verschiedenen Theilen der Serie
derselben Person sich in der gleichen Art voUzog, dass nicht nur,
wie schon Goldscheider hervorhob, jedes Schriftzeichen seine be-
stimmte Druckcurve, sondem auch jede gesunde Versuchsperson ihren
festen Curventypus aufweist. Es sind inzwischen von Herm Diehl
Normalversuche angestellt worden, die sich bei jeder Person uber
10 Tage erstreckten, und aus denen sich mit Sicherheit erkennen
lasst, dass jede gesunde Person ihre fiir sie kennzeichnende
Art des Bewegungsablaufs beim Schreiben darbietet, der
eine durchaus eindeutige Drucklinie entspricht. Die
Drucklinien verschiedener Personen unterscheiden sich durch deutliche
Merkmale.
Auf Grund dieser Bestatigung meiner in der Zusammenfassung
der normalen Ergebnisse ausgesprochenen Vermuthung mochte ich
kurz einige normale Typen hier kennzeichnen ; ein naheres Eingehen
auf die Individualpsychblogie des Schreibens soil jedoch nicht statt-
finden. Das will ich Herm Diehl uberlassen, dessen oben erwahntes
Versuchsmaterial zu diesem Zwecke geeigneter und vollig einwandfrei
erscheint.
Man kann zunachst von einem mittleren Schreibtypus
sprechen, dem die Mehrzahl der von mir untersuchten Personen an-
gehort. Es sind das Leute mit mittlerer SchriftgroBe, mittlerer
Schreibgeschwindigkeit, mittlerem Druck.
Die beiden extremen Typen sind in reinster Auspragung
durch je ein Exemplar vertreten. Der eine derselben ist ein Warter
mit groBen Schriftzeichen, bedeutender Geschwindigkeit, starkem
Druck; die entgegengesetzte Seite wird vertreten durch eineWarterin
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556
Adolf GroO.
mit kleinen, zierKchen, sorgfaltig ausgefiihrten Schriftzeichen, lang-
samem Schreiben, maBigem Druck.
Eine Tabelle wird diese 3 Formen am besten erlautem:
Tabelle LX.
Typus
Ver-
suchs-
person
Einer
Mm.- Schreib-
Schreibz. weg
m
Mm.- Schreib-
Schreibz. weg
Linien
Mittlerer
Typus
Extrem.
Typus a.
ExtremT
Typus b.
XV
39,3
8,3
26 25
9,6
+ 6
V
13,7
17,3
19 i 47
6,5
+ 12
xm
66,5
4,2
64 11
7
+ 1
Man debt aus dieser Tabelle, wie XY mit G^schwindigkeit
(mm Schr.-Z.) und SchnftgroSe (Schreibweg) zwischen den beiden
Extremen steht. Man sieht auch, wie die Geschwindigkeit, mit der
die Yersuchspersonen die Linien ziehen, unabhangig ist von der in
ihrer Schrift sicb auBernden Lidividualitat, nicht so jedocb die Ge-
nauigkeit ihrer Ausfiihrung; der extrem schnellschreibende Typus
macbt die Linien ungenau, der extrem langsame sorgfaltig; die groBe
Mehrzahl steht in der Mitte. Nachlassigkeit der Ausfiihrung aller
Schreibbewegungen ist uberhaupt noch ein Kennzeichen des extremen
Typus a, Sorgfaltigkeit des extremen b,
Dem mittleren Typus gehoren 9 der 17 Normalpersonen an; die
Ubrigen bilden Uebergange zu den geschilderten Extremen.
Aber ganz abgesehen von Schreibgeschwindigkeit und Schrift-
groBe, nach denen dieser Yersuch einer Gruppirung hier vorgenommen
wurde, hat jeder Gesunde eine charakteristische Art des Ablaufs der
Schreibbewegung , die sich in deutlich erkennbaren Eigenthttmlicb-
keiten seiner Druckcurven auBert. Diese Eigenthiimlichkeiten sind
unter normalen Yerhaltnissen immer vorhanden. Li der Zusammen-
fassung des normalen Theils wurde darauf hingewiesen, die normalen
Tafeln unter diesem Gesichtspunkt vergleichend zu betrachten. Es
lasst sich nun als gemeinsame Wirkung jeder Psychose mit schweren
psychomotorischen Storungen, sei es im Sinne der Mehr- oder der
Minderleistung, f eststellen :
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UntersucbuDgen Qber die Scbrift Gesunder und Geisteskranker. 557
Die Zerstorung der Individualitat in der Schrift, die
Ersetzung der individuellen Merkmale durch pathologische
Eigenthiimlichkeiten.
Die gleiche psychische Stoning verleiht verschiedenen Personen
gemeinsame Eigenschaften ihrer Schreibbewegnngen, ahnliche Druck-
linien. Verschiedene psychische Storungen bei derselben Person, wie
ich sie besonders beim circularen Trresein an Beispielen gezeigt habe,
haben zur Polge, dass jene zu verschiedenen Zeiten in verschiedener
Weise ihre Schreibthatigkeit ausiibt.
Beide Wirkungen der psychischen Storung, die Vemichtung der
Individualitat wie die Aufpragiing gemeinsamer pathologischer Cha-
raktere auf verschiedene Personen, zeigt uns am besten die schwerste
Form der motorischen Minderleistimg, der reine Stupor des cir-
cularen Irreseins.
Das hervorstechendste Symptom des circularen Stupors ist die
Verlangsamung des Bewegungsablaufs; sie ist um so energischer, je
schwerer der Zustand des Kranken ist; sie bessert sich mit der ein-
tretenden psychischen Besserung.
Wir bezeichnen diese gleichmaBige Erschwerung des Bewegungs-
ablaufs als psyehomotorisehe Uemmung und betrachten sie als ein
Cardinalsymptom des circularen Stupors. Diese Hemmung kann
sich wahrend der Thatigkeit so steigem, dass sie zu voriibergehender
Bewegungsunfahigkeit fiihrt; sie kann auch ganz besonders die Ent-
wicklung einer Bewegung erschweren, auBert sich dann im mehrfachen
Nachlassen des Drucks und wird am richtigsten wohl als Zag-
haftigkeit aufgefasst. Die Hemmung ist in ziemlich ausgedehntem
MaBe dem Einflusse der Gewohnung zuganglich, der sie vermindert.
Die Gewohnung erfolgt jedoch nur an eine ganz bestimmte Bewegung,
nicht an die Schreibbewegnngen im allgemeinen. Wenn sie auch die
Zeit der Ausfuhrung der zweiten Linie gegen die erste, des zweiten
»ni« gegen das erste vermindert, so scheint doch die vorausgegangene
Ausfuhrung der Linien ohne Einfluss auf die Geschwindigkeit zu
sein, mit der danach ein Buchstabe geschrieben wird. Der Einfluss
der Uebung auf die Hemmung ist nicht sicher festgestellt. Wenigstens
zeigen zwei direct nacheinander angestellte Versuche fast die gleichen
Zahlenwerthe. Doch sind hierin die Verhaltnisse auch bei Gesunden
ja noch durchaus nicht geklart, und so lange, bis dies erfolgt ist,
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558 Adolf GroB.
werden wir ihre Ergriindung an Kranken noch zuriickstellen mlissen.
Wir haben bei Gresunden gesehen, dass bestimmter ZahlengroBe im all-
gemeinen bestimmte Schreibgeschwindigkeit entspricht, dass, je groBer
die Schriftzeicben einer Person sind, mit nm so flotterer GeschA\indig-
keit ihre Ausfuhrung erfolgt. Das Ergebniss dieses Verbaltnisses
ist eine annahemde GleichmaBigkeit der gesammten Dauer
eines Schriftzeicbens, sei es groB oder klein. Auf diese That-
sache miissen wir auch bei der Beurtbeilung der Hemmungszustande
Riicksicht nehmen. Es kann eine Schreibgeschwindigkeit an sich
noch an der Grenze des Gesunden oder nnr wenig unterhalb derselben
liegen, und sie muss doch als stark verlangsamt betrachtet werden,
wenn namlich die dazu gehorigen Schriftzeicben groB sind. Diesen
groBen Schriftzeicben wiirde eine Geschwindigkeit, die an der oberen
Grenze des Normalen lage, entsprechen; nur sie wiirde als normal
zu betrachten sein. Ich schlage vor, diese Hemmung, die sich in einer
an und fiir sich noch in die Gesundheitsbreite fallenden, nur in
Bezug auf die GroBe der Schriftzeicben als pathologisch zu betrach-
tenden Geschwindigkeit auBert, als relativeHemmung zu bezeich-
nen. Ein Beispiel fiir dieselbe bietet der Kranke I; wir begegnen
ihr jedoch auch mehrfach bei den stuporos-manischen Mischzu-
standen.
Es braucht kaum noch besonders erwahnt zu werden, dass ich
die Ursache der Bewegungsverlangsamung nicht in den motorischen
Organen im weitesten Sinne suche. Die Bewegungsstorung, die wir
im circularen Stupor finden, ist nur der Ausfluss einer eigenartigen
centralen Willensstorung, die sich auch noch in anderer Weise zeigt.
Neben der Erschwerung der Bewegungen selbst finden wir
namlich auch in einem der untersuchten Falle den Uebergang von
einer Bewegung in die andere behindert. Diese Stoning auBert sich
in einer Verlangerung der zeitlichen Intervalle zwischen den geschrie-
benen Zahlen. Sie stimmt mit der vorher geschilderten , der moto-
rischen Hemmung, darin iiberein, dass sie im wesentlichen gleichmaBig
ist; sie unterscheidet sich von ihr dadurch, dass sie wahrend des
Schreibens zunimmt, dass die zeitlichen Intervalle zwischen den
Zahlen successive groBer werden. Es handelt sich auch bier um ein
Hemmungssymptom, das wir als Uebergangserschwerung be-
zeichnen konnen. Auch diese kann sich voriibergehend so steigem,
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Ontersuchungen Qber die Schrift Gesiinder und Geisteskranker. 559
dass der Uebergang von einer Bewegung zur andern fast vollig un-
moglich wird.
Als weitere Symptome der abgeschwachten psychomotorischen
Function finden wir Verkleinerung des Schreibwegs, deren Resultat
kleine Schriftzeichen sind, und Verringerung des aufgewandten
Druckes. Die Schriftzeichen werden wahrend des Schreibens im
Gegensatz zu der Norm meist noch kleiner. Es handelt sich hier
also um eine wachsende Stoning, wie bei der Uebergangserschwerung.
Ihre Ursache ist wohl auch in einer gewissen Zaghaftigkeit zu suchen.
Diese auBert sich ja auch sonst; z. B. lasst sie die Linien nicht selten
schon vor dem Ziel enden. Auch die Erschwerung des Ansetzens
zur Bewegung fuhrten wir darauf zuriick.
Alle Bewegungen von circular Stuporosen setzen allmahlich ein,
verlaufen langsam und verschwinden allmahlich; sie bieten langge-
zogene, flache Curven ohne alle groberen Schwankungen. Die Curven
der Patientinnen 11 und HE, einer MuUersfrau und eines Bauem-
madchens, sehen sich ganz gleich; sie gleichen auch durchaus denen
des Patienten I aus seiner schwerst stuporosen Zeit, die wegen der
Lange derselben nicht reproducirt werden konnten, eines schreibge-
wandten Kiiufmanns. Sie zeigen also sehr schon das Verschwinden
der individuellen EigenthiimUchkeiten, die Ersetzung derselben durch
die typischen Charaktere der Psychose.
Fanden wir beim Stupor des depressiv-manischen Irreseins die
verschiedensten Anzeichen der psychomotorischen Minderleistung, so
lag es nahe, bei der Manie von vomherein eine Steigerung der mo-
torischen Leistungen, eine Mehrleistung zu erwarten. Das ist aber
nur in sehr beschranktem MaBe der Fall. Durchweg war bei den
floriden Manien als Zeichen einer spontanen motorischen Er-
regung pathologisch groBe Schrift, in einem Fall pathologisch
starker Druck nachzuweisen. Sonst zeigen die Schreibbewegungen
unserer Manien zunachst wenig Krankhaftes, nicht selten an Stelle
einer Mehrleistung eine Minderleistung in Form eines verlangsamten
Bewegungsablaufs. Die spontane motorische Erregung spielt also bei
den hier untersuchten Fallen keine hervorragende Rolle. Verfolgen
wir jedoch z. B. die Zahlenreihe vom Anfang bis zum Ende, so sehen
wir, dass nicht nur etwa schon vorhandene Erregungssymptome , ge-
steigerte SchriftgroBe z. B., enorm wachsen, sondem dass auch die
Kraepelin, Psyoholog. Arbeiien. IL 37
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560 Adolf GroB.
einzelne Bewegung immer schneller ablauft. Dann bieten sich
uns am Ende der Reilie, wie es in den speciellen Ausfiihrungen nach-
gewiesen wurde, die Anzeichen einer sturmischen motorischen Erregung
dar, die mit der Bewegung und durch dieselbe zur Entwicklung ge-
kommen ist. Wir finden dann gegen den Anfang abnorm stark an-
gewachsene SchriftgroBe, Druck und Geschwindigkcit, die auch absolut
das Maximum der Leistung gesunder Personen zu Ubertreffen pflegeu.
Als weitere Sjmptome der entstandenen motorischen Erregung sind
progressives Kiirzerw^erden der zeitlichen Intervalle zwischen aufein-
anderfolgenden Bewegungen, zunehmende Incorrectheit der Schrift-
zeichen und gewisse Storungen des Bewegungsablaufs selbst zu be-
trachten. Dieser kann manchmal im Anfang nicht wesentlich beein-
trachtigt erscheinen und dann die individuellen Eigenthiimlichkeiten
der betreffenden Versuchspersonen noch an sich tragen. Sobald
jedocli die psychomotorische Erregung sich entwickelt, zerstort sie die
Reste der Individualitat in der Schrift und giebt dieser den Cha-
rakter der Krankheit. Die Schreibbewegungen beginnen und enden
dann briisk und unvermittelt; sie laufen auBerordentlich unruhig ab,
mit vielen plotzlichen Druckschwankungen. Wir bezeichnen die
Eigenschaft manischer Kranker, durch die Thatigkeit selbst in psy-
chomotorische Erregung zu gerathen, als gesteigerte psychomo-
torische Erregbarkeit.
Diesen Befund der geringen spontanen motorischen Erregung
bei manischen Kranken und ilirer groBen Erregbarkeit haben wir
uns fur die praktische Behandlung solcher Zustande langst zu nutze
zu machen vorsucht. Wir suchen durch moglichste Pernhaltung
liuBerer Reize, durch Soparirung der Kranken in besonderen, an die
Wachabtheilung sich anschlieBenden Zimmern, natiirlich unter Bett-
behandlung, dies Ziel zu erreichen. So untergebracht verhalten sich
viele derartige Kranke vollig ruhig, die in den gemeinsamen Wach-
sjilen, mit iliren unvermeidlichcn Storungen, nicht zu halten sind, da
sie nicht im Bett bleiben, sich um alles kiimmem, und in immer
lebhaftere Erregung hineingorathen. Die Erregbarkeitssteigerung zeigt
sich aufs deutlichste in dor Art, wie manche manische Kranke sich bei
einer Unterhaltung zu verhalten pflogen. Wtihrend sie zunachst ruhig
und correct antworten, wcrden sie immer erregter, um sich schlieBhch
in eine sinnlose Erregung hinein zu reden. So erklart sich auch,
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Untersiichungen fiber die Schrift Gcsunder uiid (icisteskranker. 561
wie schadlich es ist, Manische herumlaufen zu lassen. Durch »Aus-
toben« werden sie eben nicht ruhiger, sondem mit dem Toben steigert
sich andauemd die Erregung.
Es ist uns ferner eine wohlbekannte klinische Thatsache, dass
die manische Erregung, im Gegensatz zu der spater zu besprechenden
katatoniscben, in hohem Grade der psychischen Beeinflussung zu-
ganglich ist. Nun ist es von Interesse, dass wir auch in den vor-
liegenden Untersuchungen in der Lage waren, eine gesteigerte
Beeinflussbarkeit des centralen Bewegungsablauf s durch
intellectuelle Vorgange einfachster Art feststellen zu konnen.
Bei gesunden Personen entwickelt sich ebenfalls durch die Thatigkeit
eine gewisse motorische Erregung, die durch darauffolgendes Subtra-
hiren gedampft wird. Wie jene Erregbarkeit bei Manien gesteigert
erscheint, so auch diese Beeinflussbarkeit durch element are Denk-
vorgange. Durch sie wird die Geschwindigkeit des Schreibens ver-
langsamt, die GroBe der Schriftzeichen vermindei-t, ihre Ausfiihrung
ruhiger und stetiger. Doch ist die Wirkung oft nur voriibergehend.
Indem die Erregung wieder hindurchbricht, beeintrachtigt sie jedoch
die Qualitat der intellectuellen Leistung in hohem Grade: die Rech-
nung wird schlecht, fehlerhaft, liiderlich.
Das wesentlichste Kennzeichen der depressiv-manischen
Mischzustande ist die Combination von Symptomen des Stupors
mit denen der Manie, in erster Linie der psychomotorischen Hemmung
mit der pathologischen Erregbarkeit. Je nachdem das Zustandsbild
sich mehr dem reinen Stupor oder der rcinen Manie niihert, iiber-
wiegt die eine oder die andere. Von den untersuchten Fallen bietet
Pat. XI zur Zeit der Versuche voUig das Bild eines schweren Stupors
mit fast volligerReaction8unfahigkeit,wahrend die manische Beimischung
durch euphorische Stimmung und zeitweise auftretende scherzhafte
Handlungen vertreten ist. Wir linden im Versuche hier schwere,
psychomotoiische Hemmung bei mittlerem Druck und mittlerer Zahlen-
groBe und einen ebenso schleichenden, gleichmaBigen Bewegungs-
ablauf wie bei den depressiv Stuporosen. Anzeichen von Erregbarkeit
sind allerdings auch vorhanden. Diese treten energisch hervor bei
den Kj:anken VIJI, X und XII, die am Beginn ilirer Bewegungen
in allmiihlichem Einsetzen, verlangsamtem Fortschreiten mehr den
depressiven, am Schluss in energischen Druckschwankungen, plotz-
'61*
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562 Adolf Grofi.
lichem Enden mehr den manischen Bewegungstypus erkeimen lassen.
Das scbonste Beispiel fiir die Mischung der Elemente ist die Kranke
Xn. Sie ist, allein gelassen, meist vollig ruhig, wird durch irgend
einen Reiz zunachst fast fascinirt, kommt dann ganz allmahlich ins
Reden, um mit einem sturmischen Erregungsausbruch zu enden, dessen
einzelne Handlungen sich allerdings auch noch langsam vollziehen.
Betrachten wir die Art, wie sie eine Zahlenreihe schreibt Die ersten
Zahlencurven sind flach, allmahlich beginnend nnd endend, die ersten
Pausen lang. Progressiv steigert sich der Druck; die Bewegungen
werden unruhig, die Drucklinien hoch, grotesk und auf- und abwogend ;
der Schluss erfolgt plotzlich; die letzten Pausen sind pathologisch
knrz geworden.
Eine wesentliche Rolle bei den meisten schweren Mischzustanden
spielt die Erschwerung des elementaren Denkens, des Rech-
nens. Sie tritt alsDenkhemmung der psychomotorischen Hemmung
an die Seite, ist aber nicht an diese gebunden. Sie kann mit ihr
zusammen da sein, wie bei XI, kann fehlen bei schweren motorischen
Hemmungszustanden, wie bei dem Stuporosen I, und kann auch da
sein, wenn die Hemmung dauemd oder voriibergehend fehlt. So ist
ihr Vorhandensein in der manischen Erregung schon erwahnt worden,
wo sie sich anfangs in verlangsamtem, dann in qualitativ verschlech-
tertem Rechnen auBert. Ich stehe nicht an, zu behaupten, dass sich
in der Manie mit der psychomotorischen Mehrleistung eine intelleo-
tuelle Minderleistung regelmaBig vergesellschaftet. Bei der stuporos-
manischen Kranken Xm klang der schwerere Stuporzustand allmahlich
ab, indem bald mehr stuporose, bald mehr manische Ztige in dem
klinischen Bilde hervortraten. Von drei Versuchen, die in diesem
Stadium der allmahhchen Besserung angestellt wurden, fiel der erste
in mehr stuporose Zeit mit den Symptomen der Hemmung und Zag-
haftigkeit. ebenso in leichterem Grade der letzte ; der mittlere dagegen,
in einer Phase vorwiegender Hypomanie angestellt, zeigte keine mo-
torischen Hemmungserscheinungen. Durch alle drei Versuche jedoch
nimmt eine anfangs sehr schwere Denkstorung von Versuch zu
Versuch ab.
Nach alledem ist die gleichmaBige, mit der Denkarbeit zuneh-
mende, einfache Denkerschwerung ein sehr haufiges Symptom aller
Phasen des circularen Irreseins, das von der motorischen Hemmung
unabhangig dasteht.
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Cntersuchungen uber die Sdirifl Gesunder und Geisteskraiiker. 563
Sie ist mit der psychomotorischen Hemmung auch ein regel-
maBiges Kennzeichen der Remissionen, wie ich sie im Lauf
schwerer Tobsuchten mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte.
Die Bewegungen in diesen Remissionen zeigen durchweg den Oha-
rakter reiner Depressionszustande, auch wenn die Kranken dem Be-
obachter auBer einer leichten Mudigkeit nichts auffallendes darzubieten
scheinen. Horen daher die Erscheinungen einer schweren Tobsucht
ziemlich schnell auf und finden wir durch die experimentelle Unter-
suchung, dass schwere Hemmungserscheinungen auf dem Gebiete der
Motilitat und des Intellectes sich nachweisen lassen, so ist der Schluss
erlaubt, dass es sich noch nicht um den Eintritt der Reconvalescenz
handelt, sondem dass wir auf ein Wiederlosbrechen stiirmischer
Symptome gefasst sein miissen. Denn in dem Fall, den wir auch
noch nach dem endgultigen Aufhoren der floriden Tobsucht unter-
suchen konnten, fehlten dann die in einer Remission beobachteten
Hemmungserscheinungen.
Allen hier nachgewiesenen central-motorischen Storungen beim
circularen Irresein ist eines gemeinsam: das ist die Gleich-
maBigkeit der Veranderung, die Harmonic der verschie-
denen Theile eines Versuches auch in ihrer krankhaft
veranderten Form. Wo wir Hemmung finden, sehen wir sie
iiberall gleichmaBig, nur beeinflusst durch die Gewohnung;^ Ueber-
gangserschwerung, Zaghaftigkeit steigem sich nur allmahlich, einer
bestimmten Regel folgend. Ich habe in der Zusammenfassung des
normalen Theils darauf hingewiesen, dass die Ausfuhrung einer Reihe
von gleichartigen Bewegungen, wie sie das Schreiben einer Zahlen-
reihe darstellt, in einem gewissen, individuell nicht sehr verschiedenen
Rhythmus stattzufinden scheint. So hat man auch bei den circularen
Hemmungszustanden den Eindruck des rhythmischen Functionirens,
wie bei Gesunden, nur dass sich die psychomotorischen Vorgange hier
in verlangsamtem ZeitmaB abspielen. Der Eindruck des erhaltenen,
aber verlangsamten Rhythmus wird noch verstarkt durch jene
Beobachtung an der stuporosen Kranken H, die eine Zahlen- und
eine Buchstabenreihe in demselben Tempo schrieb, indem die ver-
schiedenartigen Schriftzeichen und die dazwischen liegenden Pausen in
beiden Reihen sich fast vollig gUchen.
Wie die motorische Hemmung ist auch die Denkhemmung, wo
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564 Adolf GroO.
sie vorhanden ist, gleichmaBig; sie wachst mit der Anstrengung;
in ihren schwersten Formen fiihrt sie zum Versagen. Die Kranken
klagen, dass sie ihre Gedanken nicht mehr sammeln konnen, dass
ilinen die Losung immer schwerer einfallt; sie wenden sich schlie^lich
hiilflos an den Arzt mit der Bitte, ihnen zu helfen.
Wie die Hemmungsvorgange des circularen Irreseins wirken auch
die Erregungsvorgange im Sinne einer harmonischen Veranderung
der Motilitat; und zwar ist es hier weniger die spontane Stoning,
die in gleichartiger Weise einwirkt, als die Veranderung der Leistung
im Versuch, die Steigerung der Erregbarkeit. Wir finden ein gleich-
maBiges Anwachsen der Geschwindigkeit, des Drucks, der Sdirift-
groBe, ein successives Kiirzerwerden der zeitlichen Intervalle, eine
eindeutige Veranderung des Bewegungsablaufs. Wir konnen hier
von einem > Accelerando* , von einem sich steigernden Rhyth-
mus reden.
Den gemeinsamen Eigenschaften des depressiv-manischen Irre-
seins stellen wir am besten zunachst das Gemeinsame der katato-
nischen Erkrankungen gegeniiber. Denn das Gremeinsame ist
das fiir diese am meisten charakteristische, ob es sich nun um Zu-
stiinde von herabgesetzter oder gesteigerter psychomotorischer Function
handeln mag.
Oliarakteristisch fiir die Art des Bewegungsablaufs in den schweren
acuten Zustanden der Katatonie ist die UngleichmaBigkeit der-
selben. Neben verlangsamtem finden wir normalen und selbst be-
schleunigten Ablauf bei derselben Person in demselben Versuche,
Die GroBe der Schriftzeichen ist ganz verschieden; kleine stehen
neben groBen ; niederen Druck finden wir mit hohem regellos neben
einander. Im Bewegungsablauf stoBen wir auf plotzliche, unvermittelte
Stockungen, nach denen ebenso briisk die Bewegung weitergeht, um
dann wieder zu stocken; ich schlage vor, dieses Symptom, das sich
bei Stupor- und Erregungszustanden findet, als Sperrung zu be-
zeichnen.
Fiir die einzelnen Erscheinungsformen des katatoniscben Irreseins
sind im Gegensatz zu den circularen noch folgende Unterschiede
hervorzuheben :
Bei der Differenzialdiagnose der Stuporfalle mussen wir fiir die
Katatonie den kataleptischen Stupor vom negativistischentrennen.
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Untersuchangen Qber die Scbriit Gesnnder nnd Geisteskranker. 565
In jenem, der durch den Fall XX in unseren Versuchen vertreten
ist, finden wir bei nicht erheblich erschwerter Reactionsfahigkeit,
jedoch fehlenden Spontanregutigen, die meisten Bewegungen ganz er-
heblich verlangsamt. Diese Schreibbewegungen finden jedoch sichtlich
in anderer Weise statt, als die der Circularen, welche ahnliche Curven
erzeugen. Sie wurden von der Kranken extrem nachlassig ausgefiihrt,
der Bleistift hing ihr lose in der Hand. Dass es sich dabei nicht
urn eine Hemmung, eine gleichmafiige psychomotorische Erschwerung
handelte, zeigten eine Anzahl sehr, selbst pathologisch schnell aus-
gefuhrter Schriftzeichen, das zeigte femer die groBe, nachlassig aas-
fahrende Form dieser Schriftzuge selbst. Wir haben es also hier
mit einer Nachlassigkeit in Bezug auf die zu leistende Thatigkeit
zu thun.
Die untersuchten Falle von negativistischem Stupor mit
sehr erschwerter Reactionsmoglichkeit zeichnen sich vorwiegend durch
die allgemeinen katatonischen Eigenthiimlichkeiten, die UngleichmaBig-
keit und die Sperrui^g, aus. Wichtig fiir die Unterscheidung von
reinen Hemmungszustanden circularen Irreseins sind die hier gewohn-
lichen groBen Schriftzeichen, die theils, wie beim kataleptischen Stupor,
fliichtig hingesudelt, theils sorgfaltig und energisch gemalt, theils
ruckweise ausgefiihrt sind. Wesentlich ist, dass ihre Druckcurven
sich oft nicht wesentlich von denen katatonischer Erregungs-
zustande unterscheiden. Fall XVili, der im Stupor und in der
Erregung untersucht wurde, lieB in der Erregung nur durchschnittlich
hoheren Druck erkennen. Sonst fanden wir wahllos in beiden Zu-
standen normale und verlangsamte Geschwindigkeit, kleine und groBe
Schriftzeichen und auch geringen und groBeren Druck. Die Unter-
schiede des Vcrhaltens der centralen motorischen Vorgange bei der
Katatonie in den Zustanden der herabgesetzten und der gesteigerten
Leistung sind daher keine principiellen. Es erfolgen zwar im
Stupor seltene oder keine Bewegungen; wenn sie aber
stattfinden, gleicht meist ihr Ablauf dem der Erregungs-
zustande. Ich will noch kurz auf die Uebereinstimmung dieses
Befundes mit den khnischen Thatsachen hinweisen. Negativistisch
stuporose K>anke voUenden oft unerwartet blitzschnell impulsive
Handlungen, die denen der katatonisch Erregt«n gleichen und seltsam
mit dem Zustand volliger Starre contrastiren, in den sie kurz darauf
wieder verf alien.
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566 Adolf Gro6.
Die Erschwerung des Anschlusses einer folgenden Bewegimg an
die vorausgehende, wie wir sie bei dem circularen Stupor als Ent-
schlussunfahigkeit kennen gelernt, finden wir bei der Dementia praecox
in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, insbesondere auch bei der
Erregung. Bei letzterer konnen energisch verbreiterte zeitliche Inter-
valle zwischen den einzelnen Bewegungen liegen, ohne mit dem
Schreiben abzunehmen, wie wir es als Symptom der gesteigerten
Erregbarkeit in der Manie feststellten. Es handelt sich hier um
intervallare Sperrungen, die mit dem Bewegungsablauf selbst
zweifellos nichts zu thun haben, sondem wohl sicher als das Resultat
den gegebenen Impuls durchkreuzender Gegenmotive zu
deuten sind. Den Beweis hierfiir glaube ich durch die Wurdigung
der eigenartigen Veranderung des Ablaufs der intellectuellen Vorgange
erbringen zu konnen, wie ihn uns die Rechenaufgabe darbietet.
Wir fanden da z. B. ein plotzliches Stocken im Rechnen bei der
Zahl 14. DieKranke motivirte es damit, dass sie 14 Jahre alt war,
als ihre Mutter starb. Einer anderen zersprengte das Dazwischen-
kommen der in der Aufgabe enthaltenen Zahl 3 die ganze Subtraction.
In dem speciellen Theil sind eine ganze Reihe solcher den Ablauf
hemmender Gegenmotive aufgezahlt, denen gemeinsam ist der rein
auBerliche Zusammenhang mit dem auslosenden Reize. Man erhalt
so durchaus den Eindruck der Pseudomotivirung. Die durchkreuzenden
Impulse scheinen das primare zu sein, fiir die nachtraglich beliebige,
an den Haaren herbeigezogene Scheingriinde auftauchen.
Fassen wir das Wesen der Storung fur die circular stuporosen
auf der einen, die katatonischen Erkrankungen auf der andem Seite
zusammen, so haben wir dort das Bild des gleichmaBig erschwerten,
verlangsamten rhythmischen Ablaufs der psychomotorischen Punc-
tionen, hier dasjenige des gestorten, in Unordnung gerathenen,
seiner Harmonic beraubten Rhythmus. Wenn ich ein aller-
dings unvollkommenes Bild gebrauchen darf, so mochte ich den Ablauf
bei den Circularen mit einem Uhrwerk vergleichen, das durch eine
schleifende Feder gleichmaBig gehemmt wird; bei den Katatonischen
ist ein Fremdkorper in das Uhrwerk gerathen, der es zeitweise sperrt,
es dann wieder unbehindert weiterlaufen lasst, um von neuem
sperrende Storungen zu verursachen.
Ich bin am Schlusse meiner Betrachtungen. Es liegt im Wesen
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Untersuchungen Qber die Schrift (iesmider uiid GVisteskraiiker. 567
der Sache, dass eine erste Arbeit auf einem bislier nicht untersuchten
Gebiete nicht erschopfend sein kann. Es konnte sich nur daruni
handeln, die Leistungsfahigkeit der Methode zu priifen und zu sehen,
wo mit den neugewonnenen Mitteln die H^bel anzusetzen sind, um
Klarheit in bisher unklare Verhaltnisse zu bringen. Die Arbeit war
insofem lohnend, als sie eine FUUe neuer Probleme ergab. Das
Studium der psychomotorischen Verhaltnisse an Gesnnden nnd an
Kranken, der Hemmung, der Erregbarkeit, der Spemmg wird, so
hoffe ich, im Lauf e der Zeit uns auf unserem Wege vorwartsbringen
und uns bei der schweren Aufgabe behiilflich sein, exacte klinische
Merkmale zu schaffen. Damit wird es dazu beitragen, die Speculation
auf dem Gebiete der klinischen Psychiatrie einzuschranken und ihre
Umwandlung zu dem zu befordem, was sie werden muss, um eine
wiirdige Schwester der iibrigen Disciplinen zu werden, zu einer Er-
fahrungswissenschaft.
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Zur Psychologie der traumatischen Psychose.
Von
Adolf Gross.
1/er korperliche Befund, den wir bei einem Kranken mit Hilfe un-
serer directen Sinneswahmehmungen, der Inspection, Palpation u. s. w.,
Oder indirect mit Hilfe der chemischen oder physikalischen XJnter-
suchungsmethoden erhalten, beniht auf objectiver Beobachtung. Er
isl um so zuverlassiger, je objectiver er ist, je weniger er durch die
Angaben des Kranken, dessen »Anamnese« beeinflusst erscheint. Das
psychische Greschehen in seinem normalen und krankhaften Verhalten,
das wir in dem »psychischen Status* festzulegen versuchen, kann als
solches nicht Gregenstand unserer directen Wahmehmung sein. Was
wir davon erkennen konnen, ist nur eine Seite, ein Ergebniss der-
selben, die Bewegungen im weitesten Sinne, die sich als Sprechen,
Schreiben, Handeln u. dergl. auBem. Die ergiebigste Quelle fur die
Aufstellung des psychischen Status einer Person sind deren miind-
liche und schriftliche Angaben. Ein hierauf gegriindeter Krankheits-
befund entspricht aber zum Theil mehr einer somatischen Anamnese
als einem somatischen Status, namlich in Bezug auf die Angaben,
die der Kranke uber sein Leiden macht; zum Theil sind die krank-
haften motorischen AeuBerungen zwar selbst eine Erscheinung des
Leidens, aber sie sind nicht zuverlassig, da sie der willkiirUchen Be-
einflussung zuganglich sind. Hier liegt die Schwierigkeit der Er-
kennung der Simulation. Wir haben keine Q^wahr dafur, dass die
Angaben, die der zu Untersuchende uber seine Beschwerden macht,
der Wirklichkeit entsprechen, und ebenso wenig dafur, dass die krank-
haften Veranderungen, die er im Augenblick darbietet, wirklich krank-
Kraepelin, Psycholof. Arbeiten. 11. 38
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570 Adolf Gross.
haftem psychischem Geschehen entspringen und nicht absichtlich ge-
wollte sind.
Der einzige MaBstab, der uns bisher zur Verfiigung stand, urn
Krankheit und Simulation zu scheiden, ist die Vergleichung des vor-
liegenden Krankheitsbildes mit solchen, die uns einwandfreie Beob-
achtungen an die Hand geben. Dieses Mittel ist sehr werthvoll und
geniigt in vielen Fallen. Bei der Vielgestaltigkeit der Krankheits-
bilder fuhrt es aber nicht immer zum Ziele und ist selten ganz zu-
verlassig, besonders dann nicht, wenn es sich um Krankheitsbilder
handelt, die sehr verbreitet sind und relativ leicht nachgeahmt werden
konnen. Jedoch ist eine solche Nachahmung nur im GroBen und
Ganzen moglich; sie muss versagen, wenn es uns gelingt, eine Storung
genauer zu analysiren.
Diese Moglichkeit, psychische Vorgange in ihre Bestandtheile zu
zerlegen, bietet uns das psychophysische Experiment Die Anwen-
dung des psychophysischen Experimentes zur Aufdeckung der Simu-
lation beruht auf folgender Ueberlegung: Wir kennen eine Beihe
von psychologischen Methoden, die auf einer Haufung von moglichst
schnell aufeinander folgenden Einzelbeobachtungen beruhen. Sie lie-
fern uns einerseits in ihrer G^sammtheit ein MaB fur die absolute
psychische Leistung in einer bestimmten Zeit, andererseits in der
Verschiedenartigkeit der Einzelbeobachtungen innerhalb dieses Zeit-
raumes ein MaB fur die Veranderung der Leistung durch Uebung,
Ermiidung und ahnliche Einflusse. Auf dieser verwickelten Zusam-
mensetzung der geistigen Arbeitsleistung beruht ihre Verwerthbarkeit
fiir unsere Zwecke. Ein Simulant kann wohl eine bestimmte Hand-
lung nach Belieben rasch oder langsam vomehmen; er ist aber nicht
im Stande, diese groBe Zahl ohne XJnterbrechung aufeinander folgen-
der Einzelhandlungen so durch seinen Willen zu beeinflussen, dass
sie in ihrer Gesammtheit ein bestimmtes gewUnschtes Bild geben, das
ohnedies nur dem Fachmann durch die friiher vorgenommenen psy-
chologischen Analysen bekannt ist. Dass diese Simulation selbst dem
Kenner nicht moglich ist, hat neuerdings Roder *) nachgewiesen. Dass
sie jedem anderen Menschen grundsatzlich unmogUch ist, leuchtet ohne
weiteres ein.
1) Miinchener medicinische Wocbenscbrift 1898 Nr. 49.
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Zar Psychoiogie der traiiroatischen Psychose. 571
Voraussetzung fur die Anwendung einer psychophysischen Methode
zu diesem Zwecke ist, dass sie an Gesunden geniigend erprobt ist,
so dass ausreichendes Vergleichslnaterial zur Verfiigung steht. Ich
habe zunachst in einem bestimmten Falle den Versuch gemacht, auf
diesem Wege nicht nur die Frage der Simulation zu entscheiden,
sondem auch dem Wesen einer bestimmten psychischen Stoning naher
zu kommen, und glaube, dass dieser Versuch soweit gegluckt ist, als
er obige Voraussetzungen der Haufung von Einzelbeobachtungen und
der geniigenden vorausgegangenen Ergtundung der betreffenden Vor-
^ange an Gresunden erfiiUt. An der Hand dieses Falles wird sich
die Methodik am leichtesten schildem, werden sich Verbesserungen
derselben vprschlagen, Einwande zurlickweisen lassen.
Es handelt sich imi den Griirtler und Armenrathsrechner P. in
H. Dieser war vollig gesund und geistig wie korperlich leistungs-
fahig bis zum 6./VL 97. An diesem Tage erlitt er bei einem Eisen-
bahnunfalle im Bahnhofe N. durch AufstoBen einer Abtheilung leerer
Personenwagen auf einen stillstehenden Personenzug Verletzungen,
wegen deren er Entschadigungsanspriiche geltend machte. Dieser
Unfall war anscheinend kein sehr schwerer; die daraus entstandenen,
durchweg leichten auBeren Verletzungen, neben ganz unbedeutenden
Quetschungen am rechten Knie, rechten Oberarm, in der rechten
Jochbeingegen^ und auf dem Kopfe eine etwas starkere Quetschung
der rechten Mittelhand, heilten rasch ab. Der eine von zwei sofort
zugezogenen Aerzten, Herr Dr. K., constatirte Schi^indelanfalle und
Erbrechen und schloss daraus auf eine geringe Erschiitterung des
Gehims. Am 6./VI. schildert der gleiche Arzt den Zustand des P.
f olgendermaBen : Das Metacarpalgelenk ist noch schmerzhaft; es treten
auBerdem Schmerzen den rechten Arm entlang bis zur Schulter hinauf
auf, sobald P. die rechte Hand etwas mehr gebraucht. Das rechte
Bjiie ermiidet beim Gehen sehr bald. Die Erschiitterung des Gehims
macht noch Erscheinungen in dem Sinne, dass P. nach seiner An-
gabe seit der Verletzung sehr vergesslich geworden ist und auch im
G^hor etwas Mangel haben will. Femer kann er sich in Raumen,
wo viele Menschen sind, nicht aufhalten, da es ihm im Kopfe
wirr wird.
Bei einer am 4. Januar 1898 durch Herm Bezirksassistenzarzt
Dr. H. vorgenommenen XJntersuchung klagte P. iiber Vergesslichkeit,
38*
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572 Adolf Gross.
TJnfahigkeit, einer Unterhaltung zu folgen, Reizbarkeit, Schwindel-
gefUhle, Nachlass des Gehors, Schmerzen im rechten Arm und rech-
ten Knie. Da Herr Dr. H. den Verdacht einer »Schreckneurose«
hatte, beantragte er Begutachtung des P. durch einen Fachpsychiater.
Herr P. wnrde an 13 Tagen des Februars 1898 von mir unter-
sucht. Ueber den XJnfall und seine Folgen gab er Folgendes an:
Dieser geschah gelegentlich eines Sonntagnachmittagspazierganges mit
Frau und Tochter. Sie befanden sich in dem hintersten Wagen eines
stehenden Personenzugs, auf den abgestoBene Wagen aufstieBen. Sie
sahen die Wagen herankommen, konnten sich aber nicht mehr retten.
Die Frau wiu'de leicht, die Tochter erheblich verletzt. P. will direct
nach dem Unfalle zweimal voriibergehend ohnmachtig geworden sein.
Nacliher war er »ungeheuer« aufgeregt, fuhr in einer Droschke nach
Hause. Anfangs blieb er dauemd zu Hause, war sehr aufgeregt,
hauptsachlich auch iiber die sehr leidende Tochter, hatte Schmerzen
in Hand und Knie, weniger im Kopf. Es stellten sich groBe Ver^
gesslichkeit, Schlafrigkeit und Miidigkeit ein ; das Gehor wiu'de rechts
schlechter. August 1897 fing er wieder an auszugehen, hatte dabei
groBe Schmerzen im Kreuz, ermiidete rasch. Als er einer Sitzung des
Armenraths beiwohnte, konnte er nicht mehr horen und verstehen
und es wurde ihm schwindlig. Er legte in Folge dessen im October
seine Stelle als Armenpfleger, im November seine Mitgliedschaft im
Burgerausschusse nieder. In der Scheitelgegend hatte er oft dum-
pfen Druck; an einem Orte, wo viele Menschen waren, konnte er es
nicht aushalten. Der Gang wurde wackelig; sobald er auf einen
Stuhl stieg, hatte er das G^fiihl, als miisse er herunterfallen. Es
bestand Schlaf sucht; beim Gehen stellten sich RUckenschmerzen ein.
Er sei fast den ganzen Tag in der Werkstatt, konne aber nicht
viel arbeiten, wegen der Schwache im Arm und der Ermlidbarkeit
Er gehe hauptsachlich in die Werkstatt, um sich zu zerstreuen; da
fiihle er sich am wohlsten, vergesse am ersten seine Besorgnisse wegen
der Zukunft. Seine Stimmung sei sehr niedergeschlagen ; er miisse
immer an seine Zukunft denken. Soweit die Angaben des P.
Die wiederholt vorgenommene korperliche Untersuchung ergab
ubereinstimmend folgenden Befund:
P. ist ein kleiner, recht wohlgenahrter Mann mit etwas schlaffen
Gesichtszugen. Seine inneren Organe sind gesund. Puis 80, steigt
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Zur Psychologie der traumatischen Psychose. 573
wahrend der Untersuchung iiber 100 und wird gespannt und dicrot.
Ebenso entwickelt sich wahrend des Untersuchens eine intensive Rothe
des Gresichts, Halses und obersten Theils der Brust, die nach unten
bin scbarf begrenzt erscheint. Die Gesichtsnerven zeigen auBer einer
leichten rechtsseitigen Ptosis keine groberen Storungen. Der Augen-
lidschluss ist beiderseits gleich kraftig; dabei entsteht zunehmendes
lebhaftes Zittem der Augenlider. Die Zunge wird gerade heraus-
gestreckt, zeigt fibrillares Wogen in ihrer Musculatur. Es besteht
Strabismus convergens und ziemlich starke Kurzsichtigkeit (— 6 D).
Beim Priifen der Augenbewegungen scheinen die Augenmuskeln rasch
zu ermiiden; die Augen fangen an zu thranen (Conjunctivitis). Die
Pupillen sind gleichweit, reagiren gut. Die Sehscharfe betragt 5/7,5;
Gesichtsfeld und Augenspiegelbefund sind normal. Der Patellar-
sehnenreflex ist rechts schwach, links sehr lebhaft, der FuBsohlen-
reflex ebenso. Auch der Bauchdeckenreflex ist links lebhafter als
rechts, der Cremasterreflex nur links nachweisbar. Corneal- und
Wurgreflexe sind erhalten. Die Hautempfindlichkeit ist vollig normal,
ebenso Temperatur- und Schmerzempfindlichkeit.
Die Kraft des rechten Beines und des rechten Armes erscheint
viel geringer als die des linken. Der Druck der rechten Hand ist
viel schwacher als der der linken und erlahmt schnell. Beim Gehen
wird das rechte Bein etwas nachgezogen. Beim SchlieBen der Augen
tritt, auch beim Stehen mit gespreizten Beinen, heftiges Schwanken auf .
Die Sprache des P. zeigt eine eigenartige Storung. Wahrend
das Sprechen zunachst ganz flott erfolgt, treten nach kurzer Zeit
Stockungen auf. Bei schwierigeren Worten, zumal wo 2 oder mehr
Consonanten aufeinander folgen, finden wir diese Storung von vom
herein, z. B. »Donaudampf — sch — schiff — sch — schlepp — sch — schiff-
fahrt*. Von Seiten des Gehors wurde durch eine in der Heidel-
berger Universitats-Ohrenklinik vorgenommene Untersuchung rechts-
seitige Unempfindlichkeit des Nervus acusticus festgestellt.
Auf geistigem Gebiete fiel bei P. ein unstetes, hastiges Wesen
auf, das sich im Sprechen wie in den Bewegungen auBerte. Er war
kleinmiithig, niedergeschlagen, verzagt, weinerlich, wechselnder, leicht
umschlagender Stimmung. Dabei bestand eine groBe Redseligkeit.
Ueber seinen Unf all und dessen Folgen redete er immer wieder, endlos
umstandlich, keine Kleinigkeit auslassend, fast mit denselben Worten.
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574 Adolf Gross.
Das Gedachtniss des P. erwies sich im GroBen und Ganzen als zu-
verlassig, doch zeigte sich eine gewisse Unsicherheit in Bezng auf
zeitliche Verhaltnisse. Seinen Unfall und Alles, was damit zusammen-
hing, bewahrte er lUckenlos in seiner Erinnerung. Seine TJrtheils-
fahigkeit lieB keine Stoning erkennen ; liber Fragen, die sein Q^schaft,
stadtische Verhaltnisse und andere Dinge, die in den Q^ichtskreis
eines Mannes seiner socialen Stellung fallen, gab er durchaus sach-
gemaBe Auskunft. Er bot .einen normalen »gesunden Menschen-
verstand* dar.
Im Juli 1898 wurde P. auch von Aschaffenburg 12mal unter-
sucht. Dabei wurde in alien wesentlichen Punkten der gleiche Idini-
sche Befund erhoben.
Das von P. dargebotene, in Vorstehendem skizzirte Bild ent-
spricht durchaus dem einer traumatischen Neurose. Gegen den Ver-
dacht einer Simulation kann zunachst das Ergebniss der korperlichen
Untersuchung ins Feld gefuhrt werden; insbesondere dtirfte eine ab-
sichtliche Vortauschung der Differenz aller Reflexe, des Tremors der
Zunge und der Augenlider ausgeschlossen sein. Die Zeichen einer
gesteigerten vasomotorischen Erregbarkeit, das Gespannt- und Fre-
quentwerden des Pulses, das Auftreten der scharf imigrenzten Haut-
rothe, konnen iiberhaupt nicht simulirt werden.
Es war nun weiterhin von Wichtigkeit, festzustellen, inwieweit
die psychischen Storungen als zweifellos vorhandene, objective, oder
mit anderen Worten sicher nicht simulirte anzusehen seien. Damit
kommen wir zu dem in der Einleitung erlauterten Zwecke dieser Arbeit.
Unter den von P. dargebotenen oder behaupt^ten psychischen Ver-
anderungen, die der erlittene Qnfall erzeugt haben soil, sind diejenigen,
welche auf gemiithlichem Gebiete gelegen sind, zur Zeit einer psychophy-
sischen Untersuchung noch nicht zuganglich. Die zur Verfugung stehen-
den psychologischen Untersuchungsmethoden gestatten jedoch immer-
bin schon eine Priifung der Auffassung und der Bewegungsvorgange
sowie einfacher intellectueller Leistungen. Daraufhin babe ich den
angewendeten Versuchsplan aufgebaut, der sich zwar nicht in alien
Theilen als brauchbar erwiesen hat, den ich aber zusammen mit den
leitenden Gesichtspunkten zunachst wiedergeben will.
Um die von P. angegebene Erschwerung der Bewegungsvorgange
zu studiren, wurde das Sprechen benutzt, in der gleichen Wei9e wie
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Zar Psycbologie der traiiraatischen Psy chose. 575
ich es friiher*) fiir stuporose Kranke angegeben habe. Ich lieB den
P. so schnell wie moglich von 1 — 20 zahlen und ihn diese Anfgabe
je 5mal wiederholen. Der Zweck der Wiederholungen war einmal,
Mittelwerthe zu gewinnen, die Zufalligkeiten ausschlossen; dann, zu
sehen, ob die einzelnen Werihe unter sich iibereinstimmten, und da-
mit die Moglichkeit einer Simulation zu erschweren; drittens, um er-
kennen zu konnen, ob sich im Verlaufe der in die Lange gezogenen
Aufgabe Ermiidungserscheinungen bemerkbar machten. Zu diesem
Zwecke musste die gesammte Aufgabenreihe moglichst rasch nach
einander ohne Pausen abgewickelt werden.
Um die Auffassungsfahigkeit zu studiren, wurde ein neues Ver-
fahren angewandt, das von Finzi an Gesunden eingehend erprobt und
als sehr brauchbar bef unden worden ist und demnachst veroffentlicht
werden soil. Es wird dabei der Versuchsperson eine Gruppe von 9 Zah-
len oder Buchstaben fiir ganz kurze Zeit, etwa 1 — 2 Hundertstel Secunde,
auf durchleuchtetem Grunde sichtbar gemacht. Diese muss dann sofort
oder eine bestimmte Zeit nachher angeben, welche Schriftzeichen sie
gesehen hat, und an welcher Stelle. Die Reactionen konnen beliebig
oft in schnellstem ZeitmaBe wiederholt werden. Die Versuche er-
geben ein recht zuverlassiges MaB nicht nur fiir die Auffassungs-
fahigkeit, insbesondere die GroBe des Auffassungsfeldes, sondem
auch fiir die Aufmerksamkeit, die Merkfahigkeit und Ermiidbarkeit.
Dieselben sind an P. von Finzi selbst auf meine Bitte angestellt
worden und ergaben einwandfreie B;esultate. Ihre genauere Wieder-
gabe erscheint aber vor der Veroffentlichung der Finzi'schen Normal-
versuche unzweckmaBig; ich muss mich daher darauf beschranken,
nur ihre allgemeinen Ergebnisse anzufiihren, indem ich die spatere
ausfiihrliche Publication Finzi iiberlasse.
Zur Untersuchung einfacher intellectueller Vorgange wird in
Heidelberg einmal das fortlaufende Addiren einstelhger Zahlen an der
Hand der bekannten Rechenhefte, dann das Auswendiglemen von
Zahlenreihen oder sinnlosen Silben angewandt. Das Auswendig-
lemen schien mir fiir meine Zwecke zu schwierig und zu wenig con-
trolirbar; ich beschrankte mich daher auf das Addiren und fiigte
noch die Aufgabe bei, von 100 je 7 zu subtrahiren, bis auf 2 ab-
1) Allgem. Zeitschrift for Psyohiatrie Bd. 53, S. 857.
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576 Adolf Gross.
warts. Diese Aufgabe lieB ich 4 mal wiederholen, ebenfalls urn Durch-
schnittswerthe, Controlwerthe und vielleicht Ermiidungswerthe zu be-
kommen, wie es oben fUr das Zahlen beschrieben worden ist. Das
Subtrahiren soUte dem Addiren gegeniiber die schwierigere Aufgabe
sein, zumal da es im Kopfe vorgenommen werden musste.
Mit alien Methoden wurde, auBer auf eine Veranderung der ab-
soluten Leistung, auch auf eine vielleicht eintretende Abnahme der-
selben im Laufe der Arbeit gefahndet, zumal da bei P. die Klagen
iiber starke Ermiidbarkeit die erste Stelle einnahmen.
Bei der Besprechung beginne ich mit den Addirversuchen, weil
sie neben den Auf fassungsversuchen die reichlichsten Ergebnisse dar-
bieten und die einzigen sind, bei denen das normale Vergleichsmaterial
einigermaBen genligt.
Da es bei diesen Versuchen, wenn sie an Kranken angestellt
werden soUen, auf eine bis ins Kleinste peinlich genaue Durchfiihrung,
ja auf jedes Wort, das der Experimentator dabei spricht, ankommt,
und zwar in einem Grade, von dem der nicht damit Vertraute keinen
Begriff haben kann, so will ich die Art der Vomahme der Versuche
kurz schildem.
Sie wurden alle zu derselben Tageszeit vorgenommen, naturlich
unter moglichstem Ausschluss der bekannten Yersuchsschadigungen,
wie Alkohol, Thee, Kaffee u. s. w. Es wurde ein Tisch an das Fenster
gestellt, ohne dass das Licht blenden konnte. An die Langsseite
setzte ich P., mich an die Kurzseite. Die Versuchsaufgabe wurde
genau auseinandergesetzt; dann kam der Befehl, zu beginnen. Zu-
gleich mit dem Beginn setzte ich eine Funftelsecunden-Uhr in Be-
wegung und markirte jede 5 Minuten durch einen Strich unter die
letztaddirte Zahl, beobachtete dabei P. genau, ohne mich weiter in
seine Thatigkeit einzumischen. Er war auch immer so eifrig in seine
Arbeit vertieft, dass er von meiner Anwesenheit keine weitere Notiz
nahm. Jeder Versuch dauerte Va Stunde, nach deren Ablauf ich
ihm ohne weiteres das Rechenheft wegnahm. P. schatzte immer die
verflossene Zeit zu kurz, auf etwa V4 Stunde, ein sicheres Zeichen,
dass er eifrig gearbeitet hatte, und dass ihm die Sache nicht lang-
weilig war.
Das normale Vergleichsmaterial fUr Y2Stundige8 Addiren ver-
danke ich der Giite Aschaffenburg's, der mir von alien Versuchs-
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Zur Psychologie der traumatischen Psycbose. 577
personen, die in Heidelberg in den letzten Jahren ^2 Stunde ununter-
brochen addirt batten, die Leistungen der ersten und, soweit mog-
lich, auch der zweiten Versuchstage mittheilte. Aus diesen babe icb
mir die zum Vergleiche notbigen >Ge8undbeit8breiten« zusammen-
gestellt. Zu diesem Zwecke standen mir fur den ersten Tag die Halb-
stundepleistungen von 21 Versucbspersonen zur Verfiigung, die auf
den Tabellen mit den romiscben Ziffem I — XXI bezeicbnet sind,
unter diesen jedocb nur 10 braucbbare Werte fur die zweiten Ver-
sucbstage, fur die spateren uberbaupt keine.
Zu vergleicben sind nun zunacbst die absoluten Leistungen der
ersten und zweiten Arbeitstage, femer die Veranderung, welcbe die
Arbeitsleistung wabrend desselben Tages unter dem Einflusse von
TJebung und Ermiidung erleidet. Hierzu dient die Tabelle I.
Tabelle I.
1. Tag 2. Tag
LdJi Leistungsveranderung j^^^^ Leistungsveranderu^
I
2408
- 3,1
n
2325
+ 13,5
2994
-4,4
in
2206
- 2,8
IV
1565
+ 1.2
V
1538
+ 20,4
1833
+ 2,5
VI
1533
+ 7,4
vn
1503
+ 14,1
vm
1416
+ 1,8
IX
1401
- 1,5
1669
-1,8
X
1373
+ 4,6
XI
1356
+ 8,6
xn
1279
+ 17,9
XUI
1264
- 0,6
1593
-1,6
XIV
1245
+ 8,2
XV
1191
- 0,2
XVI
1168
+ 14,7
1514
-1,3
xvn
1167
+ 6,5
1538
+ 8,1
tVlM
•1002
+ 21,2
1155
-0,5
XTX
917
+ 14,3
1080
-0,7
XX
871
+ 16,7
1225
+ 6,2
XXI
775
+ 41,8
981
+ 2,0
p.
618
-10,4
988
-4,4
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578 Adolf Gross.
In dieser Tabelle sind die absoluten Leistungen in der Zahl der
vollbrachten Additionen dargestellt. Die Rubriken »Leistung8verande-
rung« geben die Zunahme (+) oder Abnahme ( — ) der Leistung in
der zweiten Viertelstunde in Procenten der Leistung der ersten Viertel-
stunde wieder.
Betrachten wir zunachst den ersten Tag. Die Normalen lieferten
zwischen 775 und 2408 Additionen in der halben Stunde. Die weit^
aus iiberwiegende Mehrzahl der Werihe, 15 von 21, liegen zwischen
lOOO und 1600. P. steht mit 618 Additionen noch tief unter dem
schlechtesten Normalwerthe. Die Leistung nahm bei fast alien Ge-
sunden wahrend des Arbeitens zu; nur bei 5 zeigt sich eine, 3,l7o
nicht Ubersteigende Abnahme. Bei P. finden wir eine Abnahme von
10,4%- JOies Verhaltniss wird noch auffallender, wenn wir die Be-
ziehungen zwischen absoluter Leistung und Leistungsverlauf ins Auge
fassen. Die niederen Normalleistungen, die denjenigen von P. naher
stehen, zeigen alle ein sehr starkes Anwachsen der Leistung wahrend
des Arbeitens, wahrend die beiden einzigen einigermaBen erheblichen
Abnahmen von 3,1 und 2,8% ^^i ganz besonders hohen Gesammt^
leistungen vorkommen. Stellen wir die normale Person XXI, die
ihm in Bezug auf die halbstundige Gesammtleistung am nachsten steht,
unserem Kranken P. gegeniiber, so erscheint die pathologische Art
des Leistungsverlaufs in reinster Auspragung.
Aehnlich, wenn auch nicht ganz so klar, liegen diese Dinge am
zweiten Versuchstage. Hier sind die absoluten Leistungen durchweg
hoher, als am ersten Tage; sie bewegen sich zwischen 981 und 2994
Additionen; P. steht auch hier mit 933 Additionen noch erheblich
hinter dem schlechtesten Gesunden zuriick. Die Leistung nimmt in
der Mehrzahl der Falle auch bei den Gesunden wahrend des Ar-
beitens ab, am meisten bei 11, der die hochste Gesammtleistung dar-
bietet, und zwar um 4,4 % » ebenso viel nimmt sie bei P. trotz seiner
krankhaft geringen Arbeitsgeschwindigkeit ab, wahrend wir unter nor-
malen Verhaltnissen bei einer so niedrigen Gesammtleistung eine
Zunahme mit Sicherheit batten erwarten diirfen. Auch. hier giebt der
Vergleich mit XXI den richtigen MaBstab.
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Zur Psychologie der traumatischen Psychose. 579
Tabelle H.
Uebung ErmiiduDg
X H- 15,3 — 9,3
IX -|-ia,3 -17,4
VI + 24,2 - 13,5
Xm -h 26,6 — 21,5
XIX +26,6 — 9,8
XVin -h27,8 — 5,2
V +29,8 — 7,2
XVn +30,8 —18,5
IV +32,4 —23,6
XVI +40 -18,1
n H- 40,6 — 19,3
XX + 47,8 — 21
XXI +51,9 — 6,4
Xn +71,3 —31,2
P. + 46,8 - 38,8
In der ersten Spalte der Tabelle 11 sind die ersten Viertelstunden
beider Versuchstage mit einander verglichen. Unter der TJeberschrift
» Uebung « ist der Leistungszuwachs der ersten Viertelstunde des
zweiten Tages gegeniiber dem entsprechenden Abschnitte des ersten
Tages in Procenten der ersten Viertelstundenleistung des ersten Tages
angegeben. Da sich die Ermiidung, welche die Schlussleistung des
ersten Tages herabdriickt, am zweiten Tage ausgeglichen hat, kann
uns jener Zuwachs ein ungefahres Bild von der GroBe des Uebungs-
einflusses ohne Ermiidung geben. Preilich ist dabei der Uebungs-
rerlust von einem Tage zum andem nicht beriicksichtigt, doch ist
vielleicht die Annahme berechtigt, dass auch jener rohe Werth eine
gewisse Vergleichung der Versuchspersonen nach ihrer Uebungsfahig-
keit erlaubt. Wie die Tabelle U lehrt, betragt der thatsachliche Zu-
wachs der Leistung am zweiten Tage bei Gesunden zvrischen 15 und
72 Procent, meist zwischen 20 und 50. Vergleichen wir damit un-
seren Kranken P., so steht er mit 46,3% Uebungszuwachs fast an
der Spitze des Gesunden; jedenfalls ist er als sehr ubungsfahig zu
bezeichnen; sein Uebungszuwachs diirfte als sicher nicht krankhaft
verandert erscheinen.
Ein anderes Bild giebt die zweite Spalte dieser Tabelle. Sie
vergleicht die erste Viertelstunde des zweiten Versuchstages mit der
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580 Adolf Gross.
jet z ten des ersten. Die Schlussleistung des ersten Tages wird durch
die Ermiidung beeintrachtigt. Der Zuwachs der Leistung im Beginne
des nachsten Tages giebt uns annahemd ein Bild von der GroBe
dieser EinbuBe. Allerdings ist dieselbe in Wirklichkeit weit groBer,
als es in den Zahlen erscheint, weil die Leistung des zweiten Tages
durch den Uebungsverlust herabgedriickt wird. Auch hier jedoch
durften die Werthe, welche die Minderleistung der zweiten Viertel-
stunde des ersten Tages gegeniiber der ersten Viertelstunde des zweiten
in Procenten der Gesanuntarbeit in letzterem Zeitabschnitte angeben,
wesentlich die verschiedene Ermiidbarkeit der einzelnen Versuchsper-
sonen widerspiegeln. Natiirlich sind alle Zahlen negativ, da jeder
Mensch bei der Arbeit ermiidet; die weitaus meisten liegen zwischen
5 und 20 Vo- P- steht mit 38,8 "/o iioch erheblich unter dem ermiid-
barsten G^unden.
Tabelle TTT.
1.
Reihe
2.B6ihe
Absol.
Leistung
Leistungs-
verandenmg
Absol.
Leistung
Leistungs-
veranderong
Pi
618
-10,4
Pi
851
-14,2
P2
933
- 4,4
Ps
876
-15,2
Pz
996
- 5,9
Ps
919
-12,4
Pi
900
- 6,6
In Tabelle m habe ich die Zahlen tiber absolute Arbeitsleistung
und den Arbeitsverlauf fur alle 7 Tage, an denen P. untersucht
wurde, wiedergegeben. Ich kann zwar diese Werthe, wie oben er-
wahnt, nicht durchweg mit entsprechenden Ergebnissen an G^sunden
vergleichen, doch erlaubt die Tabelle eine Eeihe von Schlussen. Es
handelt sich um 2 Keihen, eine von 3, eine von 4 Versuchstagen.
Die Leistung steigt in beiden bis zum dritten Tage, um am vierten
Tage unerheblich abzunehmen. Das bedeutet, dass die schlechte An-
fangsleistung durch die Uebungsfahigkeit bis zu einem gewissen Grade
verbesserungsfahig ist, und zwar noch mehr in der ersten, als in der
zweiten Reihe. Doch erreicht die beste Leistung, die des dritten
Versuchstages, etwa gerade die schlechteste des zweiten Versuchs-
tages der G^sunden. Dicj Leistung des ersten Tages der zweiten
Reihe ist um 145 Additionen geringer, als die des letzten Tages der
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Zor Psychologie der traiun&tisehen Psychose. 581
ersten Reihe, jedoch um 233 hoher, als die von deren erstem Tage;
Oder: ein erheblicher Theil der in der ersten Versuchsreihe erwor-
benen Uebung ist uber die 5 Monate Zwischenzeit hinaus bewahrt
worden; ein anderer Theil ist verloren gegangen. An alien 7 Versuchs-
tagen nimmt die Leistimg von der ersten Viertelstunde zur zweiten
ab, in der zweiten Reihe meist bedeutend mehr als in der ersten,
offenbar wegen des mit fortschreitender Uebung allmahlich geringer
werdenden Uebungseinflusses.
Hieraus sind folgende Schlusse erlaubt: Die fortlaufende Addi-
tionsarbeit vollzieht sich bei P. in einer dnrchaus unseren Erfahrungen
entsprechenden Weise; sie steht gleichmaBig unter den uns wohlbe-
kannten Einfliissen der Uebung, der Ermiidung und des Uebungs-
verlustes, unter denen die Uebungsfahigkeit und wohl auch der
Uebungsverlust als normal, die Ermudbarkeit als krankhaft gesteigert
zu betrachten sind; seine Leistungsfahigkeit war geringer, seine Er-
miidbarkeit starker im August als im Februar.
Es ware noch darauf hinzuweisen, dass P. beim Addiren so gut
wie keine Fehler macht. Vielleicht ist es spater einmal moglich,
hieraus differentialdiagnostisch Vortheil zu ziehen, gegeniiber Fallen von
progressiver Paralyse, die sonst im ersten Beginn moglicher Weise ein
ahnliches Symptomenbild darbieten konnen, wie unser Kranker.
Tabelle IV.
Subtractionsaufgabe. (Werthe in Secunden.)
Reihe I.
1.
2.
3.
4.
D.
Pi
102
80
72
88
85,5
P2
80
60
104
54
76
Pz
113
90
70
Reihe n.
80
88
Pa
74
68,2
68,2
83,4
72
A
46,6
131
125,2
60
90,7
Pe
39,4
50
48,8
65,8
51
Pi
56,2
48,4
56,2
48,4
52
Z>.
73
76,2
77,8
68,7
73,6
Wenn auch, aus den friiher bereits angefiihrten Grriinden, die
Subtrahirversuche nicht in gleichem MaBe einwandfrei sind wie die
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582 Adolf (iross.
Addirversuche, will ich sie doch kurz wiedergeben iind beschreiben.
Dem Ej-anken fiel daa Subtrahiren viel schwerer, als das Addiren.
Er meinte, er konne ganz gut rechnen, wenn er die Zahlen vor sich
sehe, konne aber gar keine Zahlen im Kopfe behalten. Es kamen
beim Subtrahiren auch mehrfach Fehler vor, die der Eranke aller-
dings meist bemerkte, und die wohl zumeist darauf zurUckzufiihren
sind, dass er sich auf das Eesultat der vorausgegangenen Subtraction
nicht recht besinnen konnte. Die Folge dieser Schwerbesinnlichkeit
waren auch einzelne sehr lange Pausen wahrend der Subtraction, und
deren Folgen wieder die geringe Uebereinstimmung der verschiedenen
Subtractionszeiten. Sie bewegen sich im Ganzen zwischen 39,4 und
131 Secunden und betragen im Mittel 73,6 Secunden. Da G^sunde
zur Losung der Aufgabe etwa 15—25 Secunden benothigen, so liegt
zweifellos eine erhebliche Erschwerung vor, und zwar wahrscheinlich
eine starkere, als bei der leichteren Arbeit des Addirens. In der
zweiten Reihe sind die Durchschnittswerthe der beiden letzten Tage
erheblich kiirzer, als die der beiden ersten; es scheint also hier eine
gewisse Uebung vorzuliegen, wahrend in der ersten Reihe nichts der-
gleichen zu erkennen ist. Um auf vielleicht nachweisbare Ermiidungs-
erscheinungen zu fahnden, habe ich die Durchschnittswerthe der t.,
2., 3. und 4. Subtraction aller Tage zusammengestellt. Hier ist eine
Ermiidung, die sich in fortschreitender Verschlechterung der Leistung
auBem musste, nicht zu erkennen. Dazu ist die Zeit, welche zur
viermaligen Losung der Subtractionsaufgabe nothwendig war, etwa
5 Minuten, wohl auch zu kurz. Innerhalb dieser Zeit fand ich auch
beim Addiren noch keine Ermiidungserscheinungen.
Tabelle V.
Zahlen.
(Werthe in
Secunden.)
1.
2.
3.
4.
5.
D.
Px
8,0
9,0
9,6
12,0
15,0
10,7
A
8,4
8,4
8,4
8,0
8,4
8,3
Pi
10,0
8,4
10,0
9,4
10,6
9.7
A
7,2
7,4
8,4
8,1
9,4
H,l
A
8,4
8,4
9,4
10,2
11,0
9,4
P«
7,0
8,2
8,2
9,2
9,2
8,2
A
8,0
8,4
8,6
9,2
9,4
8.7
D.
8,1
8,3
8,9
9,4
10,4
9,0
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Zur Psychologie der traumatiscben Psychose. 583
Die Veranderung der psychbmotorischen Functionen, speciell des
Sprechens, war schon durch die einfache klinische Beobachtung recht
deutlich zu erkeimen; durch die psychologische Untersuchung, das
funfmalige Zahlen von 1 — 20, trat sie messbar hervor. Die einmalige
Losung dieser Aufgabe nimmt beim Gesunden 3 bis hochstens 5 Se-
cunden in Anspruch; hier finden wir als niedersten Werth 7, als
Durchschnittswerth 9 Secunden. Eine durchgehende Beschleunigung
des Sprechens durch die Uebung ist nicht zu erkennen. Nur gegen-
uber dem Durchschnittswerthe des ersten Tages ist deutlich eine ge-
wisse Verkiirzung der Zeiten zu bemerken, wobei wahrscheinhch die
Gewohnung eine Rolle spielt. Dagegen zeigt sich in den Durch-
schnittswerthen der an gleicher Stelle stehenden Aufgaben der ver-
schiedenen Tage ein unverkennbares, regelmaBiges Anwachsen, das
wohl auf motorische Ermlidung zuriickzufiihren ist. Da die sammt-
lichen 5 Aufgaben eines Tages zusammen nur etwa 1 Minute bean-
spruchten, so diirfen wir daraus schUeBen, dass bei P. die psycho-
motorische Ermiidung weit schneller eintrat, als die intellectuelle. Es
sei auch auf die groBe GleichmaBigkeit hingewiesen, mit der alle Auf-
gaben erledigt wurden; die Unterschiede zwischenden an gleicher Stelle
stehenden Werthen der verschiedenen Tage sind auffallend geringe.
Ein Versuch mit der Schriftwage, bei dem ich P. mit groBt-
mogUcher Geschwindigkeit 2 mal von 1 — 10 schreiben lieB, giebt zu-
sammen mit den Ergebnissen der kUnischen Beobachtung einen Finger-
zeig dafur, worauf diese Verlangsamung des Sprechens beruht. P. schrieb
namlich beide Reihen in je 6 Secunden. Es entspricht das fast genau
dem Werthe, den ich als Durchschnittswerth fiir Gesunde gefunden
habe^). Die bei P. gefundene Verlangsamung ist daher keine Folge
einer einfachen psychomotorischen Erschwerung. Sie ist vielmehr,
wie schon aus der kUnischen Beobachtung hervorging, auf die Schwie-
rigkeit zuriickzufiihren, die P. bei dem Aussprechen mehrerer auf-
einanderfolgender Consonanten hatte. Sie trat auch, wie ich beim
Zahlenlassen leicht erkennen konnte, erst von der Zahl 10 ab auf.
Vielleicht, oder sogar wahrscheinhch, ware sie auch mit der Schrift-
wage zu erkennen gewesen, wenn ich P. bis 20 hatte schreiben lassen,
I ) S. diese Arbeiten, 11, S. 472.
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584 Adolf Gross.
falls sie nicht etwa eine rein articulatorische sein sollte. Die G^gen-
iiberstellung des Ergebnisses der Schrift- und Sprechuntersuchung ist
hier deshalb so interessant, weil sie zeigt, wie das gleiche psycho-
physische Ergebniss verschiedene psychologische Ursachen haben, und
wie man das durch Anwendung verschiedener Methoden manchmal
leicht erkennen kann. Ich glaube, dass es keine erheblichen Schwie-
rigkeiten bieten diirfte, durch daraufhin angeordnete Untersuchungen
dieses hier nur fliichtig belichtete Dunkel voU zu erhellen.
Als Ergebniss seiner an 3 Tagen, und zwar je 1 Stunde lang,
ausgefiihrten Auffassungsversuche gab mir Finzi an: Schlechte Auf-
fassung, schlechte Merkfahigkeit, groBe Ablenkbarkeit, groBe Ermiid-
barkeit, geringe Uebungsfahigkeit.
AUe Methoden zusammengefasst ergeben eine krankhaft schlechte
Leistung auf den verschiedenen untersuchten Gebieten, dem der Auf-
fassung, der Bewegung und der einfachen intellectuellen Leistungen.
Wir stellten iiberall eine krankhaft gesteigerte Ermiidbarkeit fest, die
sich bei den Bewegungsvorgangen von vomherein, bei den intellec-
tuellen Leistungen erst nach einer gewissen Zeit, nach etwa einer
Viertelstunde, offenbarte; eine solche wurde auch durch die Auffas-
sungsversuche deutlich gemacht; doch kann ich an der Hand der mir
mitgetheilten Ergebnisse nicht sagen, zu welcher Zeit sie auf diesem
Gebiete hervortritt. Die Uebungsfahigkeit war auf intellectueUem
Gebiete eine recht gute; fiir einfache BewegungsvorgHnge war sie gar
nicht nachweisbar. Doch ist es zweifelhaft, ob sie hier bei erwach-
senen Gesunden Uberhaupt eine RoUe spielt. Fiir die Thatigkeit der
Auffassung war sie krankhaft herabgesetzt. Der Uebungsverlust, nur
fiir die Addirversuche deutlich, diirfte sich in normalen Grenzen be-
wegen. Schlechte Merkfahigkeit, groBe Ablenkbarkeit hat Finzi in
seinen Auffassungsversuchen gefunden.
Dass die gefundenen Abweichungen von der Norm wirklich auf
krankhaften Storungen beruhen und nicht etwa auf Simulation —
dafiir ist die Einheitlichkeit der Ergebnisse, die iiberall, mit aUeimger
Ausnahme etwa der Subtractionsversuche, eine geradezu verbliiffende
ist, beweisend. Dass diese EinheitUchkeit von Ungeiibten nicht nach-
geahmt werden kann, hat Rod er nachgewiesen ; da er die Ergebnisse
seiner eingehenden Studien in diesen Arbeiten veroffentlichen wird,
brauche ich darauf nicht naher einzugehen.
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Zur Psychologie der traumatischen Psychose. 585
Die in Vorstehendem niedergelegten Erfahrungen sind von einem
Kranken gewonnen ; sie sind demnach zunachst nur als eine Art Vor-
studie zu bezeichnen. Den Hauptzweck einer solchen mochte ich
weniger in der Ergrlindung von Gesetzen, als darin suchen, jener die
Wege zu ebenen, Pfade fur sie zu finden. Wenn ich das, was ich
mittels meines Versuchsplans gefunden, mit den Problemen vergleiche,
bei denen er versagt, so drangt sich der Wunsch auf , zu einem neuen,
besseren Versuchsplan zu kommen.
Die nothwendige Voraussetzung neuer TJntersuchungen sind aus-
schlieBlich daraufhin angestellte Normalversuche, die uns gestatten,
jeden Theil der Krankenversuche mit einer ausreichenden Zahl genau
entsprechender Normalreihen zu vergleichen.
Fiir die Auffassungsversuche ist diese Bedingung bereits erfullt.
Ich brauche also nicht naher darauf einzugehen und verweise auf die
bevorstehende Pinzi'sche Arbeit.
Zum Studium der Bewegungsvorgange hat sich das Zahlenlassen
als durchaus brauchbar erwiesen ; es ware nur durch die nothige Anzahl
von Normalversuchen zu erganzen. Ich mochte aber, um das psycho-
motorische Gebiet und dessen krankhafte Veranderungen im Sinne
meiner TJntersuchungen uber einfache Bewegungsvorgange eingehender
ergrttnden zu konnen, noch folgenden Versuch vorschlagen: an der
Schriftwaage die Zahlen 1 — 10 mehrfach schreiben; dann in raschem
ZeitmaBe Y4 Stunde ununterbrochen die Zahlen 1 — 10 auf Papier
schreiben; dann die Anfangsaufgabe wiederholen. Der Schluss
des Versuches giebt uns die MogUchkeit, die Veranderungen, welche
die Schrift des Kranken durch die Ermiidungsarbeit erfahren hat,
durch Vergleich mit der ersten Schriftwaagenreihe deutlicher zu
erkennen. Genau entsprechende Normalversuche sind auch hier
nothwendig.
Zur XJntersuchung einfacher intellectueller Vorgange mochte ich
die Subtractionsaufgabe, als nicht ganz zuverlassig, ausmerzen. Jeden-
falls waren hier erst umfassende TJntersuchungen an Gesunden durch-
zufiihren. Dagegen ware das V2stiindige Addiren an 3 aufeinander-
folgenden Tagen beizubehalten und vielleicht noch ein vierter Tag
beizufugen, an dem nach Y2stundiger Pause nochmals V4 Stunde
addirt wird, um die Erholungsfahigkeit festzustellen, und allen-
Krft«peliB, Pgycholoj. Arbeiten. II. 39
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5S6 Adolf Gross. Zur Psychologie der traomatiscben Psychose.
falls noch ein fUnfter, an dem wahrend der zweiten Viertelstunde
mit Ablenkung addirt wird, um ein MaB fiir die Ablenkbarkeit zu
bekommen.
Als nachste Aufgabe betrachte ich die Ausfiihrung dieses Ver-
suchsplans durch eine groBere Anzahl von Normalpersonen. Damit
wiirden wir eine Art »psychi8chen Status*, der gerade zum Ver-
gleiche mit leichteren psychischen Storungen und zur Ergriindung der
Eigenheiten derselben geeignet ware, gewinnen.
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesunden und
Geisteskranken.
Von
Joseph Beis.
Wie Kraepelin im ersten Hefte dieser Arbeiten erortert hat,
ist der Hauptzweck der im hiesigen psychologischen Laboratorium an-
gestellten Untersuchungen, die Methoden der experimentellen Psycho-
logie 80 zu gestalten, dass sie als verwerthbare diagnostische Hulfs-
mittel bei der XJntersuchung pathologischer Geisteszustande , bei der
Erkennung und Abgrenzung von Geisteskrankheiten dienen konnen.
Messnng und Zahlung psychischer GroBen sollen uns eine feste Grund-
lage bei der Beuriheilung der Storungen der psychischen Thatigkeit
gewahren. Die Wege, die uns diesem Ziele entgegenfuhren sollen,
die Schwierigkeiten und Hindemisse, welche die Erreichung des Zieles
erschweren, sind in diesen Arbeiten geniigend geschildert. Die Unter-
suchungen der letzten Jahre haben jedoch auch gezeigt, dass die Wege
mit Erfolg betreten werden konnen.
Vor allem sind durch ausgedehnte Untersuchungen an gesunden
Personen auf den verschiedensten Gebieten sichere Ergebnisse ge-
wonnen, die als vergleichbare Grundlage bei der Beobachtung ab-
normer Geisteszustande dienen konnen. AuBerdem haben wir in der
Methodik der Untersuchungen durch Vereinfachung derselben und
der dazu erforderlichen Apparate Fortschritte gemacht, so dass selbst
recht schwicrige Versuche, wie psychische Zeitmessungen, mit Geistes-
kranken in einer hohen Anforderungen geniigenden VoUkommenheit
ausgefuhrt werden konnen.
39*
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5S8 Joseph Reis.
In der Hauptsache sind es auf dem Gebiete der Verstandes-
thiitigkeit liegende Vorgange, Auffassung auBerer Eindrlicke, Ge-
dachtniss, Verbindung von Vorstellungen, die bis jetzt einer ein-
gehenderen Untersuchung unterzogen werden konnen, wahrend andere
Gebiete psychischer Thatigkeit entweder noch gar nicht oder, wie die
Willensantriebe, doch nur in sehr bescheidenem Umfange bisher der
exacten experimentellen Beobachtung zuganglich sind. Andererseits
bieten auch nicht alle Zustandsformen geistiger Erkrankung die Mog-
lichkeit einer auch nur oberflachlichen experimentellen Priifung. In
erster Linie sind es gewisse chronisch verlaufende Formen des Irre-
seins, die ein zu diesen Untersuchungen geeignetes Material aufweisen.
Den Gegenstand der hier zu besprechenden Versuche, die zum
groBten Theile im Laufe des Wintersemesters 1895/96 ausgeftthrt
sind, bilden zwei Formen von Verblodungsprocessen, von Krankheits-
bildem also, deren kennzeichnendes Merkmal in der raschen Ent-
wicklung eigenartiger psychischer Schwachezustande liegt Die eine
Gruppe umfasst Kranke aus dem Gebiete der Dementia praecox, bei
denen der Krankheitsprocess zu einem gewissen Abschluss gekommen
und ein mehr oder minder hochgradiger geistiger Schwachezustand
zuriickgeblieben war. Die andere Gruppe wird von Kranken aus dem
Bereiche der Dementia paralytica gebildet, und zwar von Kranken aus
den verschiedensten Stadien derselben, zumeist jedoch von solchen,
bei denen ein gewisser StiUstand im Leiden eingetreten oder nur ein
auBerst langsamer Fortschritt nachweisbar war.
Die auBeren Bedingungen, unter welchen die Versuche rich ab-
spielten, waren fur ausgedehntere Versuchsreihen wohl die denkbar
giinstigsten, da alle kranken Versuchspersonen als Patienten der
Heidelberger Univerritatsirrenklinik dasselbe gleichmaBig geregelte
Leben fuhrten. Zur Controle wurden Versuche an G^sunden, und
zwar mit einer Ausnahme an Wartem der Klinik, durchgefuhrt Wenn
nicht alle Versuche in gleicher Weise mit alien Personen angestellt
werden konnten, so beruht das moistens darauf , dass die betreffenden
Patienten vor Abschluss der Versuche die Anstalt verlieBen. Selbst-
verstandlich sind auch bei den gesunden Versuchspersonen die sonst
ublichen Bedingungen, Enthaltsamkeit von Alkohol u. a. m., einge-
halten worden. Bei den entsprechenden Versuchfen einer Versuchs-
person wurdc jeweils die gleiche Tageszeit zum Experimentiren gewahlt.
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesuiideo und GeisteskraDken. 589
Dass diese Versuche schon in alien Punkten gesicherte Ergeb-
nisse liefem, darf natUrlich nicht erwartet werden. Sie miissten dazu
an einer groBeren Anzahl Kranker in ausgedehnteren Yersuchsreihen
gewonnen sein, was zunachst noch an auBeren Schwierigkeiten schei-
terte. Der nachste Zweck dieser Versuche war e^ auch nur, zu
zeigen, dass die Anwendung der experimentellen psychologischen
Methoden in der Psychiatrie durchaus moglich ist, dass Geisteskranke
in groBerem XJmfange zu derartigen Versuchen herangezogen werden
konnen. Der psychologische Versuch darf damit als werthvolles
Hulfsmittel in der Psychiatrie gelten, von dem allmahlich wichtige
Aufschliisse liber die Stoning psychischer Functionen erwartet wer-
den konnen.
I. Versnchspersonen.
Im Folgenden seien einige kurze Notizen aus den Bjranken-
geschichten der an den Versuchen theilnehmenden Patienten ange-
fiihrt. Es waren dies acht Hebephrene, die in dieser Arbeit mit den
Consonantei;i B. bis L., und sechs Paralytiker, die mit den Conso-
nanten M. bis T. bezeichnet sind, wahrend die Vocale zur Benen-
nung der fiinf gesunden Versnchspersonen dienen.
B., lOjahriges Dienstmadchen. Bruder des Vaters geisteskrank.
Gute Schiilerin; braves fleiBiges Madchen. Beginn der Erkrankung
Mai 1895 mit Depression, Selbstvorwiirfen, Gehorstauschungen. G^
driicktes Wesen; Kopfschmerzen. Anfang September stetes Lacheln,
arbeitete nicht mehr, langsam in den Bewegungen. Wahnideen,
flustemde Lippenbewegungen. Labile Stimmung. Aufnahme Sep-
tember 1895. Mangelhaft orientirt, besonnen, gleichgultig, unthatig,
ohne Krankheitseinsicht; wechselnde Wahnideen und Sinnestau-
schungen. Kein Affect. Leicht erotisch. Katatonische Schriftstucke.
Katalepsie, Dermatographie , erhohte Reflexerregbarkeit , Pupillen-
differenz. Struma. December 1895 ungeheilt nach Hause entlassen.
Diagnose: Dementia praecox.
C, 34 jahriger Landwirth. Bruder der Mutter und eine Schwester
geisteskrank. Guter fleiBiger Schuler, brav, ruhig, viel krank. Bei
Alkoholgenuss sehr erregbar. Vor 12 Jahren Kopfverletzung. Seit
9 bis 10 Jahren Abnahme des Gedachtnisses, seit 4 bis 5 Jahren » nicht
mehr recht im Kopf«. In der der Aufnahme voraufgehenden Zeit
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niJO Joseph Reis.
verstimmt, still, schlaflos. Verfolgungsideen. Im Juni plotzlich ver-
wirrt, lacht viel, gehobener Stimmung, arbeitsscheu, beichtet, glaubt
sterben zu miissen, hort Stiminen absurden Inhalts. Unsinnige Hand-
lungen, Wahnideen; Selbstmordgedanken. Erregt und zeitweise ge-
waltthatig. Aufnahme Juli 1895. In der Klinik ruhig, schwach-
sinnig bei ziemlich guten Schulkenntnissen. FleiBiger Arbeiter. Nach
einiger Zeit euphorisch. Zuriicktreten der Gehorstauschungen und
WahnbUdungen. Auf einfache Fragen zutrefEende Antwort, sonst
faseliges Gerede. Patellarreflexe gesteigert, Tremor. Diagnose: De-
mentia praecox.
D., 23jahriger Schreiner. Vater und Bruder geisteskrank. Sehr
guter Schiller. Seit 3 Jahren verandert. Haufiger Stellungswechsel.
Klagt liber Kopfschmerz, standige XJnruhe. Seit einem Jahr zu kei-
ner Arbeit zu bewegen. Wahnideen, namentlich der Verfolgung.
Hier und da gewaltthatig. Hallucinationen. Blodes Lachen. Auf-
nahme November 1895. Unverandertes Verhalten, unzuganglich,
widerstrebend, einsichtslos , unthatig. Sinnloses Reden und Lachen.
Manchmal ohne Grund sehr erregt. Hochgradiger Schwachsinn, Pu-
pillendifferenz, gesteigerte Reflexe, Struma, Katalepsie. Diagnose:
Dementia praecox.
F., 29jahriger Backer, Bruder des vorigen Kranken. Sehr guter
Schiller und fleiBiger Arbeiter. Seit einigen Jahren Zeichen psychi-
scher Veriinderung. Unruhe, haufiger Stellungswechsel; gait als leicht-
sinnig. Seit October 1895 AeuBerung von Wahnideen. Triebartiges,
zweckloses Umherlaufen bis zur Erschopfung. Gewaltthatig, macht
unsittliche Angriffe. Lacht stundenlang vor sich hin, spielt mit den
Kindem. 2 epileptoide Anfalle. Aufnahme November 1895. Ruhig,
besonnen, dabei blode und apathisch. Arbeitet fleiBig. Verfolgungs-
ideen. ZwangsmaBiges Marschiren und Lachen. Mydriasis, Derma-
tographie, Katalepsie, Struma. Diagnose: Dementia praecox.
G., 37jahriger Taglohner. Sehr kiimmerliche Lebensweise. Be-
ginn der Erkrankung im 31. Jahr. Wahnideen reUgiosen Lihalts und
Verfolgungsideen, Hallucinationen. Infolge dessen Conflict mit der
offentlichen Ordnung. Beleidigungsprocesse. Aufregungszustande; ge-
ringe Widerstandsfahigkeit gegen Alkohol. 1891 Ohnmachtsanfall.
Mai 1895 Aufnahme in die Irrenanstalt. Ruhig, besonnen und orientirt.
FleiBiger Arbeiter, freundlich. Kern Verstandniss fiir seine Lage.
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gcsunden und Geisteskranken. 591
Sinnlose Reden mit religioser Farbung. Weitschweifig. Wortneu-
bildungen. Stereotypie. Verfolgungsideen; besteht auf seinem Recht ;
leicht zu beruhigen. Gehobene Stimmung. Gesteigerte Reflexe, Pu-
piUendifferenz, Katalepsie. Diagnose: Dementia praecox.
H. , 26jahriger Gartner. Ueber Hereditat nichts bekannt. In
den letzten Jahren unstates Leben. Von Januar bis October 1894
1 1 mal wegen Bettelns bestraft, dann in das Arbeitshaus verbracht.
Daselbst Arbeitsverweigerung. Auftreten von Hallucinationen und
Wahnideen. Aufnahme in die Irrenanstalt Mai 1895. Ruhig, be-
sonnen, orientirt. Kein Krankheitsgefiihl. Weigert sich zu arbeiten.
Massenhafte Gehorstauschungen. Absurde Wahnideen auf geschlecht-
lichem G^biete. Unsinnige GroBenideen. Geschlechtlich sehr erreg-
bar. Schimpft, ist unzufrieden, bier und da gewaltthiitig. Schlechte
Kenntnisse. Kein Verstandniss fur seine Lage. Hochgradiger
Schwachsinn. Gesteigerte Reflexerregbarkeit, Katalepsie. Diagnose:
Dementia praecox.
K., 30jahriger Kaufmann; von miitterlicher Seite hereditar be-
lastet. Guter Schiiler. Erste Aufnahme in die Irrenanstalt December
1885. In den letzten Jahren Abnahme des Gedachtnisses und der
Leistungen bei gutem korperlichen Befinden. Selbstvorwurfe, Suicid-
versuch, Verfolgungsideen, Gehorstauschungen, Verschlossenheit, Nah-
rungsverweigerung, Masturbation. Kein Affect. Gute Schulkenntnisse.
Marz 1886 gebessert entlassen. October 1892 zweite Aufnahme.
Deutlicher Schwachsinn. Apathie. Hallucinatorische Verbigeration.
FleiBiger Arbeiter. Mai 1893 entlassen. November 1894 dritte Auf-
nahme. Kommt freiwillig in die Klinik, gleichgiiltig betreffs der Zu-
kunft. Krankheitsgefiihl. Hallucinationen bestehen fort. Keine
Wahnideen. Voriibergehende grundlose Erregung. Katalepsie. No-
vember 1895 in die Pflegeanstalt iiberfiihrt. Diagnose: Dementia
praecox.
L., 1 9 jahriger Schneider. Eine Tante geisteskrank. MittelmaBig
beanlagt. Technisches Geschick. Erkrankt Mai 1894 mit Depression,
Verwirriheit, triebartigem Umherlaufen. Erste Aufnahme Juni 1894.
Besonnen, orientirt. Krankheitsgefiihl. Depressive Stimmung ohne
starkeren Affect. Beeintrachtigungswahn. Hypochondrische Ideen.
Geschraubte, unsinnige Reden. Gedachtnissschwa che. Katalepsie,
gesteigerte Reflexerregbarkeit, erhohte mechanische Erregbarkeit von
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592 Joseph Reis.
Muskeln und Nerven (Facialisphanomen), Struma. Nach und nach
Beruhigung, aber keine Grenesung. October 1894 entlassen. Zweite
Aufnahme Mai 1895. Seit kurzem ahnlicher Zustand wie frtiher.
Suicidversuch. Gewaltthatig. StimmungswechBel. Schwachsinmg.
Confuse Reden, unsinnige Handlungen. Nach und nach Beruhigung.
FleiBiger Arbeiter. November 1895 in die Pflegeanstalt iiberfUhrt
Diagnose: Dementia praecox.
M., 49jahriger Taglohner. Ueber Hereditat nichts bekannt War
im Kriege 1870/71. Typhus, Scharlach, Diphtheric. 35 Jahre in der-
selben Stellung. Seit Januar 1894 Kopfschmerzen. Allmahlich TJn-
fahigkeit zur Arbeit; Abnahme des Gedachtnisses und der Leistungs-
fahigkeit. Haufig erregt und auBerst reizbar. Betete viel; beschaftigte
sich mit Vorstellungen reUgiosen und ethischen Inhalts. Dabei
Verfolgungs- und einzelne GroBenideen. Aus seiner Stellung ent-
lassen; verstimmt, niedergeschlagen. Reist im Mai 1895 plotzlich
ohne Geld und Billet von Hause weg, wird in die Klinik aufgenom-
men. Keinc Erankheitseinsicht. Zeitliche Orientirung mangelhaft;
besonnen, ruhig, harmlos, apathisch, hochgradig schwachsinnig. Affect-
los, weitschweifig und faselig in seinen Reden. Schlaffe G^sichtszUge
Facialisdifferenz; Mitbewegungen; Patellarreflexe sehr gesteigert;
Yoriibergehende Ptosis; maBige Sprachstorung; keine Pupillenstarre.
Ohnmachtsanfall. Ob luetische Infection, unbekannt. Diagnose: De-
mentia paralytica.
N., 47 jShriger Eaufmann. Vater und 2 Schwestem geisteskrank.
Gute Anlagen; 14 Jahre Beisender im gldchen G^schaft. 1890
Griindung eines eigenen Geschafts ; schon damals auf geregt, zeitweise
verstimmt und missmuthig. Kopfschmerz, Schlaflosigkeit. 1891 Auf-
treten von Yerfolgimgsideen. Hallucinationen. Gewaltthatig g^en
seine Frau. Erste Aufnahme in die Klinik Marz 1892, nachdem
sich die Erankheitserscheinungen noch gesteigert. AeuBert die
gleichen Verfolgungs-, namentlich Vergiftungsideen. Protestirt gegen
die Yerbringung in die Anstalt. Mehrmalige Entlassung und Wieder-
aufnahme. Concurs des Geschafts. Zweckloses Umheireisen; be-
schaftigungslos, zerstreut, vergesslich, dabei anspruchsvoU. Letzte
Aufnahme December 1895. Ohne Einsicht und Energie, schwach-
sinnig. Bald auBerst reizbar, bald weich und lenksam. Orientirt
und besonnen. Luetische Infection vemeint. Miosis, reflectorische
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Ueber cinfacbe psychologisebe Versuche au Gesuudeu und Geisteskraokeii. 593
Pupillenstarre, in der Erregung leichte Sprachstorung. Diagnose:
Dementia paralytica.
P., 45jahriger B^aufmann. Vater geisteskrank, Sch wester durch
Suicid gestorben. Gute Beanlagung und Erziehung. 1877 Tentamen
suicidii. Seit 1888 Klagen iiber Verdauungsstorungen, oft mit trau-
riger Verstimmung verbunden. Seit Sommer 1892 Grefulil der
Ueberbiirdung und Arbeitsunfahigkeit. Stellungswechsel. Schlaflosig-
keit; starke Zunahme der hypochondrischen Ideen. Gedachtniss-
schwache. Deprimirt und menschenscheu. Wiederholte Suicidversuche.
Erste Aufnahme in die Klinik December 1893. Daselbst schlaff,
energielos; Depression ohne tieferen Affect. Labile Stimmung. Be-
schaftigt sich nur mit seiner Person. Deutliche geistige Schwache;
tanzt wenige Tage nach dem Tode seiner Mutter. Zweimal aus der
Klinik gebessert entlassen; kann sich aber drauBen nicht mehr be-
schaftigen. Sucht im Marz 1895 wieder mit den gleichen hypochon-
drischen Ideen die Irrenklinik auf , urn daselbst von seinen Beschwer-
den befreit zu werden. Im ubrigen unverandert. Lues vemeint.
Sehr lebhafte Patellarreflexe; Hypalgesie; leichte PupiUendifferenz,
keine reflectorische Starre. Keine deuthche Sprachstorung. Diagnose:
Dementia paralytica. Wir miissen bei diesem Kranken bemerken,
dass die Diagnose nicht mit Sicherheit gestellt werden konnte. Auch
wiederholte Anstaltsbeobachtung in den letzten Jahren hat keine
Entscheidung gebracht. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden,
dass manche Abweichungen der Versuchsergebnisse dieses Kranken
von denjenigen der ubrigen Paralytiker auf diesen Umstand zuriick-
zufUhren sind.
R, 44jahrige Arbeiterfrau. Bruder geisteskrank. 1871 Heirath;
Mann luetisch; 1874 Abortus. In den letzten Jahren Ohnmachts-
anfalle. Trieb sich in Wirthschaften umher; Potus. Wurde im Juli
t895 in einer fremden Stadt aufgegriffen und ins Krankenhaus ge-
bracht. WeiB nicht, wie sie dahin gekommen. Singt, schreit, ent-
kleidet sich; schwatzt, heiter, will fortreisen. In die Irrenanstalt
aufgenommen. Desorientirt; reizbar, gewaltthatig. Bald Beruhigung.
Vages Krankheitsgefuhl. Im allgemeinen heiter; haufiger Stimmungs-
wechsel; Selbstmordversuch. Gedachtnissabnahme ; schwachsinnig.
Wiederholte Ohnmachtsanfalle. Gesteigerte Patellarreflexe; Spasmen;
Facialisdifferenz; Tremor der Zunge; wenig ausgiebige Pupillen-
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594 Joseph R«is.
reaction; Sprach- und Schriftstorung. Diagnose: Dementia pa-
ralytica.
S., 44jahriger Telegraphensecretair. Keine Hereditat In der
Jugend eine Gefangnissstrafe wegen Diebstahls. Feldzng. Ob Lues,
unbekannt. Guter, gewissenhafter Beamter. 1887 erkrankt mit Ver-
stimmung, Versundigungsideen , Appetitlosigkeit , schlecbtem Schlaf,
Verfolgungsideen. Nach ^4 Jahren nicht ganz geheilt entlassen.
Zu Hause anscheinend genesen. Macht ein Examen; im Berufe tha-
tig. Heirath. Neue Erkrankung 1892. Abgeschlagenheit, Kopfdruck.
Verstimmung, depressive Wahnideen. Nahrungsverweigerung. Starke
Hemmung. Seit Anfang 1894 Besserung. Querulirendes Wesen.
Nachher apathisch. October 1894 Pupillenstarre. Entwicklung von
hypochondrischen und Verfolgungsideen. Energielosigkeit, Einformig-
keit; kein Affect. Seit Anfang 1895 lebhafter Umschlag in Euphorie;
GroBenideen; hochgradiger Schwachsinn. Starke Steigerung der
Beflexe; voriibergehend Blasenlahmung; Sprachstorung. Diagnose:
Dementia paralytica.
T., 46jahriger Gasarbeiter. Keine Hereditat. BegelmaBige Le-
bensweise. Ueber luetische Infection nichts zu erfahren. Allmahlicher
Beginn der Erkrankung 1895. Schlaflosigkeit, Depression, Selbst-
vorwurfe, Angst, Verfolgungsideen. Leicht erregbar. Seit October
1895 Zunahme der Krankheit Beachtungswahn; Personenverkennung;
Selbstmordversuch. Aufnahme in die IrrenanstaJt November 1895.
Benommen, mangelhaft orientirt, angstlich, kleinmiithig, rathlos, ge-
hemmt, verwirrt, widerstrebend. Nach und nach Beruhigung; freieres
Wesen. Schwachsinnig. Katalepsie. Patellarreflexe gesteigert; Zunge
weicht ab; wenig ausgiebige Pupillenreaction; Hypalgesie, Sprach-
und Schriftstorung. Zahlreiche indurirte Driisen; Exostosen der Tibia.
Diagnose: Dementia paralytica.
Die gesunden Versuchspersonen waren cand. med. A. und die
4 Warter E., J., 0., U. der Irrenklinik, alle junge Leute im Alter
von 20—30 Jahren.
Ein Ueberblick iiber die Reihe dieser Versuchspersonen zeigt,
dass dieselbe recht verschiedenartige Elemente enthalt. Fur die Be-
urtheilung dieser Anfangsversuche ware es wohl besser gewesen, die
Auswahl der Versuchspersonen so treffen zu konnen, dass bei alien
mogUchst der gleiche Bildungsgrad vorhanden gewesen ware und wir
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Ueber einfache psychologische Versuehe an Gesunden und Geisteskranken. 595
im wesentlichen nur mit den Factoren Gesundheit und Krankheit
batten zu rechnen brauchen. Da wir jedocb von dem zur Zeit in der
Klinik anwesenden Krankenmaterial abbangig waren, konnte bierauf
keine Rucksicbt genommen werden. Andererseits war gerade bierdurcb
die Moglicbkeit geboten, zu zeigen, in wie weit Bildung, Beruf, Be-
scbaftigung und Neigungen des Einzelnen aucb das vom Krankbeits-
processe veranderte Seelenleben nocb beeinflussten. Wenn wir eine
Gruppirung der Versucbspersonen nacb dem Bildungsgrade versucben,
80 diirfen wir jedenfalls den Gesunden A. und die Paralytiker N., P.,
S. an die Spitze stellen; den 3 letzteren kam nocb infolge ibrer Be-
rufstbatigkeit eine besondere XJebung und Fertigkeit bei den Recben-
arbeiten zu. Von dem Hebepbrenen K., bei welcbem in Folge seiner
kaufmanniscben Bescbaftigung aucb eine besondere Fertigkeit bierin
vorauszusetzen gewesen ware, liegen keine derartigen Versucbe vor.
Fast bei alien Hebepbrenen ist in der Anamnese auf gute Scbulbildung
bingewiesen, deren Reste bei mancben aucb auf anderen als den unter-
sucbten Gebieten psycbiscber Tbatigkeit nocb nacbweisbar waren. Eine
nabere Gruppirung der Hebepbrenen diirfte wobl C. und K. an die
Spitze, G. und H. an den Scbluss der Reibe stellen, obne der Will-
kiir groBeren Spielraum zu lassen. Jedenfalls ist die Bildungsstufe
der Hebepbrenen keine geringere gewesen als die der Gesunden E.,
J., 0. und U. Bei den Paralytikem M., T. und R. war vielleicbt
scbon ein groBerer Tbeil der in der Scbule erworbenen Kenntnisse
in Folge des boberen Lebensalters und der geringen Uebung verloren
gegangen.
II. Aaffassungsversnche.
Die ersten Versucbe dienten dazu, ein Urtbeil iiber die Auf-
fassungsfabigkeit der Versucbspersonen zu gewinnen. Icb benutzte
zu diesem Zwecke das von Cron und Kraepelin angegebene Ver-
fabren der fortlaufenden Auffassung von Gesicbtsreizen. Trommeln,
die in Scbneckenwindungen mit Scbriftzeicben beklebt waren, drebten
sicb in gleicbmaBiger Gescbwindigkeit unter Senkung auf dem Kymo-
grapbion und wurden durcb einen Spalt von veranderlicber Weite
aus bestimmter Entfemung betracbtet. Wabrend die Reize vor dem
Auge der Versucbspersonen vorbeiglitten, wurden sie gelesen und
laut ausgesprocben. Icb muss es mir bier versagen, ausfubrlicb auf
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596 Joseph Reis.
das Yerfahren selbst einzngehen, und betreffs aller Einzelheiten auf
die Arbeit von Cron und Kraepelin^) verweisen. Da meine Ver-
suche nahezu gleichzeitig mit den in jener Arbeit besprochenen aus-
gefiihrt warden, konnten die dort gewonnenen Erfahrungen leider
noch nicht zur Richtschnnr bei der Anordnimg meiner Versuche
dienen.
Urn ein MaB der Auffassungsfahigkeit der verschiedenen Ver-
suchspersonen zu erhalten, war es nothig, wie in der genannten Ar-
beit des naheren erortert ist, die Reize nur so kurze Zeit dem Auge
darzubieten, dass sie nicht alle richtig aufgefasst werden konnten.
Drehungsgeschwindigkeit des Kymographions und Spaltweite, beide
veranderlich, bestimmten die Spaltzeit, d. h. die Zeit, wahrend welcher
die einzebien Bestandtheile der Reize dem Auge sichtbar blieben.
Schon die Versuche von Cron und Kraepelin haben gezeigt, wie
schwierig es ist, die Spaltzeit so zu wahlen, dass sie fiir eine groBere
Reihe von Versuchspersonen bei einheitlicher Versuchsanordnung
brauchbare Ergebnisse liefert. Bei der dort gewahlten Gteschwindig-
keit von 24 mm in der Secunde und einer zwischen 3 und 5 nun wech-
selnden Spaltweite zeigte es sich, dass bei einer Versuchsperson schon
nahezu die untere Grenze der Auffassung erreicht war. Dass das
Gebiet der Auffassungsschwelle bei der Verschiedenheit meiner Ver-
suchspersonen auch recht ungleich sein musste, durfte damach er-
wartet werden.
Schon die ersten Versuche mit einigen Kxanken zeigten, dass die
Versuchsanordnung Cron's und Kraepelin's, welche ich des Ver-
gleichs halber geme beibehalten hatte, zu groBe Anforderungen an
die Leistungsfahigkeit stellte. Es war die Moglichkeit vorhanden, die
Drehungsgeschwindigkeit und die Spaltweite zu andem. Bei der Ge
schwindigkeit von 24 mm waren die Pausen zu kurz, um zwischen
zwei Reizen ein Erschlaffen der Aufmerksamkeit zu gestatten, ander-
seits lang genug zum Aussprechen des Gelesenen. Es war damit der
Vortheil gegeben, in der Methode eine fortlaufende Arbeit zu be-
sitzen, die gleichzeitig Aufschlusse iiber die psychischen Grundeigen.
schaften Uebung, Ermiidung u. a. m. lieferte. Diesen Vortheil be-
Versuchen mit Kranken aus der Hand zu ge ben, war um so weniger
1) DieseArbeiten, n, S. 203.
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Ueber einfacbe psycbologische Versuche an Gesunden und Geisteskranken. 597
angezeigt, als gerade alle ubrigen continuirlichen Methoden, die bisher
zu psychologischen Versuchen verwandt wurden, mangels einer Con-
trole bei der Arbeit zu Experimenten mit Kranken nicht wohl ver-
wendbar erscheinen. Andererseits war aber gerade zu erwarten, aus
dem Verhalten von XJebung und Ermiidung wichtige Aufschlusse zu
erhalten. Die Geschwindigkeit wurde daher bei meinen Versuchen
nur um 7c 7 also auf 20 mm , verringert , wobei die einzelnen Reize
in Zwischenraumen von je 1,5 Secunden einander folgten. Die gleiche
Geschwindigkeit wurde bei alien Versuchen beibehalten. Die Spalt-
weite betrug bei den moisten Versuchen 10 und 5 mm; nur bei
einzelnen kam auch eine mittlere Spaltweite von 8 mm zur An-
wendung.
Von den Versuchspersonen, mit welchen zuerst experimentirt
wurde, liegen groBere Versuchsreihen vor. Bei anderen musste ich
mich jedoch auf kiirzere Serien beschranken, da das Ergebniss aus-
gedehnterer Versuchsreihen nicht im richtigen Verhaltnisse zu dem bei
der XJntersuchung einer groBeren Anzahl von Personen erforderUchen
betrachtlichen Zeitaufwande stand. Wieder bei anderen Versuchs-
personen gestattete es die psychische Leistungsfahigkeit der Kranken,
namentlich in Folge der erwahnten Verschiedenheit des Auffassungs-
schwellengebietes , nicht, einen bestimmten Versuchsplan einzuhalten,
indem die Versuchspersonen den an sie gestellten Anforderungen
gegeniiber versagten. Diese leider nicht vollig zu vermeidende Ver-
schiedenheit der Versuche maehte den Vergleich derselben nicht im-
mer einfach.
Die Spaltzeit bei der gewahlten Geschwindigkeit von 20 mm in
der Secunde betrug bei einer Spaltbreite von 5 mm ungefahr 335 a,
bei 10 mm iiber das Doppelte. Von Cron und Kraepelin ist schon
darauf hingewiesen, dass es fraglich ist, ob gerade diese Zeiten fiir
die Auffasung maBgebend sind, da Gruppen von Zeichen bis zu einer
bestimmten Grenze einheitlich aufgefasst werden. Bei der geringsten
angewandten Spaltbreite von 5 mm sind die sinnlosen Silben mit einer
Durchschnittsbreite von 4 mm volUg, die einsilbigen Worter mit einer
solchen von 6,7 nur zum Theil gleichzeitig zu iibersehen. Bei den
zweisilbigen Wortem mit einer Durchschnittsbreite von 10,4 mm kommt
eine einheitliche Auffassung nicht in Betracht. Das Lesen einer
Trommel erforderte genau 7 Minuten. Die einzelnen Trommeln wurden
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598 Joseph Reis.
in Zwischenraumen von 1 0 Minuten vom Anf ange eines bis zum An-
fange des nachsten Versuches gelesen.
Hauptsachlich wurde mit einsilbigen Wortern (Trommel A) und
sinnlosen Silben (Trommel C) experimentirt, wahrend nur bei wenigen
Versuchen die zweisilbigen Worter (Trommel B) zur Verwendung
kamen. Von einigen noch zu erwahnenden Ausnahmen abgesehen
wurde am einzelnen Versuchstage nur eine dieser Trommelarten be-
nutzt. Es wurde nur mit einem Auge gelesen, wahrend das andere
verdeckt war; um jedoch einer starkeren peripheren Ermiidung im
Auge moglichst vorzubeugen, wurde jeweils nach dem Lesen einer
Trommel das Auge gewechselt. Anomalien der Augen, welche die
Auffassung beeintrachtigen konnten, waren bei den Versuchspersonen
nicht vorhanden; insbesondere war bei den Paralytikem normaler
Augenhintergrund durch die ophthalmoskopische Untersuchung fest-
gestellt. Die bei einigen Versuchspersonen vorhandenen Refractions-
anomalien waren durch Glaser corrigirt. Irgend welche bemerkens-
werthe aphasische Storungen bei den Paralytikern, welche trotz guter
Auffassung das Lesen hatten beeinflussen konnen, waren nicht vor-
handen.
Die Lesungen wurden stenographirt, Auslassungen besonders be-
merkt. Bei der groBen Zahl falscher Lesungen einzelner Versuchs-
personen war es, namentlich bei Trommel C, manchmal schwierig zu
folgen. Von dem Gedanken, durch ein im gleichen Tempo mit dem
Erscheinen der Reizworte schlagendes -Metronom das Registriren zu
erleichtem, wurde wieder abgesehen, da hierdurch auch die Versuchs-
person auf das Erscheinen des neuen Reizes aufmerksam gemacht
und somit ein neues Moment in den Versuch hineingetragen worden
ware.
a. Versuche mit sinnlosen Silben.
An diesen Versuchen nahmen nur 3 Paralytiker Theil, da es
nicht moglich war, mit den ubrigen, von denen andersartige Versuche
vorliegen, diese auszufuhren. Es finden sich unter ihnen die Kranken
N. und P., die, wie aus spateren Versuchen hervorgeht, immer
den Gesunden am nachsten stehen. Wenn nur mit 2 Gesunden
experimentirt wurde, so geschah dies in der Voraussicht, auf die Ver-
suche von Cron und Kraepelin verweisen zu konnen. Jedenfalls
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesiiiiden uiid Geisteskranken. 599
iat der Bildungsgrad dieser Beiden nicht hoher als derjenige der
Ejranken.
Bei der Besprechung der Versuche folgen wir im GroBen und
Ganzen dem in der genannten Arbeit gewahlten Gange, weil die dort
leitenden Gesichtspunkte auch hier ihre Geltung haben. Beim Lesen
sinnloser Silben kam die Auffassungsfahigkeit am reinsten zum Aus-
druck, da bei dieser Aufgabe andersartige Einflusse, wie die Unter-
stiitzung der Auffassung durch Worterinnerungsbilder, kaum mit-
spielten. Dazu kommt hier noch der Vortheil, dass mit Ausnahme
der Versuche von K. und L. die gleiche Versuchsanordnung geplant
war. Allerdings batten die Versuchspersonen vorher eine verschieden
groBe Zahl von Trommeln A gelesen. Es wurde mit Trommel C je
an zwei Tagen experimentirt. Am ersten Tage wurde zuerst eine
Trommel mit 1 0 mm Spaltweite, darauf eine solche mit 5 mm gelesen.
Am zweiten Tage war die Reihenfolge umgekehrt; es wurde mit 5 mm
begonnen. Meist wurde an unmittelbar oder kurz auf einander folgenden
Tagen experimentirt; nur einmal lag eine groBere Anzahl von Tagen
zwischen den Versuchen. Bei den Paraljrtikem M. und N. war es
nicht moglich, die Versuche in dieser Weise vollig durchzufuhren.
M. konnte nur jeweils eine Trommel an einem Tage lesen, wahrend
seine Auffassungsfahigkeit bei der zweiten vollig versagte. Auch N.
war am ersten Versuchstage nicht im Stande, bei der engeren Spalt-
weite zu lesen. Bei K. und L. war die Versuchsanordnung etwas
geandert. Sie lasen am ersten Tage 3 Trommeln mit 1 0, 8 und 5 mm
Spaltweite, nachdem sie vorher in gleicher Weise 3 Trommeln B ge-
lesen batten. Am zweiten Tage wurde mit Trommel C begonnen,
bei L. musste der Versuch jedoch wegen einer starken gemiithlichen
Erregung schon nach dem Lesen der ersten Trommel abgebrochen
werden.
Die Ergebnisse dieser Versuche sind in Tabelle I dargestellt, wo
fur jede Versuchsperson die Zahl der richtig aufgefassten Silben (r),
der falsch gelesenen (f) und der ausgelassenen (a) in % der Gesammt-
zahl der Beize angegeben ist. Ein erster Ueberblick iiber die Zahlen-
reihen zeigt, dass der groBere Theil der Silben richtig aufgefasst
wurde. Berechnen wir zunachst bei jeder Spaltweite Durchschnitts-
zahlen f iir die Leistungen der 3 Gruppen , so ergiebt sich , dass die
groBte Zahl der richtig erkannten Reize sich bei den Gesunden findet,
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600
Joseph Reis.
die geringste den Paralytikern zukommt; die Hebephrenen stehen
beide Male in der Mitte. Die bei 8 mm in den Versuchen mit K.
und L. gewonnenen Ergebnisse sind, da ohne besonderes Interesse,
nicht angefiihrt.
Tabelle I.
Versuchs-
10 mm
5 ram
personen
r
f
a
r
f
a
(V-
1
E.
99,07
0,92
0
97,97
2,03
0
CD
J.
94,82
4,81
0,37
89,82
9,44
0,73
Gruppen-
durchschnitt.
96,94
2,8G
0,t9
93,90
5,73
0,37
B.
57,95
6,85
35,55
52,03
7,77
40,19
c5
C.
88,33
11,66
0,37
65,56
34,07
0,25
-a
F.
91,48
7,59
0,92
22,96
47,41
29,62
1*
G.
49,07
31,66
19,26
52,69
13,15
34,25
w
K.
97,41
2,59
0
90,93
7,40
1,66
L.
84,08
8,15
7,77
82,22
10,75
7,03
(iruppen-
durcbschnitt.
77,97
11,40
10,63
61,10
20,08
18,82
1
M.
46,67
53,33
0
20,37
77,78
1,85
N.
82,80
14,24
2,96
67,04
17,05
15,91
P.
78,88
18,90
2,22
86,53
12,73
0,74
Gruppen-
durchschnitt.
69,45
1
28,82
1,73
57,98
35,85
6,17
Beim Vergleich dieser Durchschnittszahlen ist zu beriicksichtigen,
dass die Zahlen fiir M. und N. meist nur das Ergebniss des Lesens
einer einzigen Trommel sind, wahrend sie bei der zweiten Trommel
vollig versagten. Lage von dieser ein verwerthbares Kesultat Tor, so
ware jedenfaJls die Leistung von M. und N. und damit auch der
Durchschnitt der Paralytiker nocb niedriger.
Die Verengerung des Spaltes auf 5 mm hat in alien Gruppen
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesimden nnd Geisteskranken. 601
ein Sinken der richtigen Lesungen zur Folge. Wahrend sich jedoch
die Abnahme bei den Gesunden in sehr maBigen Grenzen halt, ist
sie bei den Ejranken recht betrachtlich. Folgende Tabelle zeigt das
Verhaltniss der Zahl richtiger Lesungen bei beiden Spaltweiten.
Tabelle 11.
Spaltweite
10 mm
5 mm
Richtige Lesungen; Ges.
100
96,9
Heb.
Paral.
100
78,4
100
83,4
Die Spaltweite von 5 mm liegt bei den Gesunden nahe der Grenze,
jenseits deren eine Verbreiterung des Spaltes keine wesentliche Zu-
nahme der richtigen Lesungen zur Folge hat. Dies durften wir er-
warten, da in der Arbeit von Cron und Kraepelin eine SpaJtzeit
von 230 a schon nahezu dieser Grenze entsprach. Von E. wurden bei
5 mm schon 98 7o ^^r Reize richtig aufgefasst. Bei den Hebephrenen
hat die Verengerung des Spaltes eine Abnahme der richtigen Lesungen
urn 21,6 <^/o zur Folge. Die einzelnen Personen nehmen daran aller-
dings in verschiedenem Grade Theil. Bei G., der in der Gruppe bei
10 mm die geringste Zahl richtiger Lesungen aufweist, bessert sich
bei 5 mm die Leistung sogar um ein geringes. Bei alien librigen
sinkt die Zahl der richtigen Lesungen. Bei F. fiihrt die Verenge-
rung des Spaltes schon nahezu an die untere Grenze der Auffassungs-
f ahigkeit, trotz verhaltnissmaBig guter Auff assung bei 1 0 mm. Ziem-
lich betrachtlich ist die Abnahme richtiger Lesungen auch bei 0. ; in
maBigen Grenzen halt sie sich bei B., K. und L. ; bei letzterem ent-
spricht die Abnahme der bei den Gesunden gefundenen. Li der
Gruppe der Paralytiker verringert sich die Zahl der richtig erkannten
Reize bei 5 mm um 16,6%. Die Leistung sinkt also etwas weniger
als bei den Hebephrenen; es ist dies auf eine merkwurdigerweise bei
P. eintretende ziemlich groBe Zunahme der Zahl richtiger Lesungen
bei 5 mm zuruckzufuhren. Bei M. und N. ist ein betrachtliches Sin-
ken festzustellen; bei ersterem nahem wir uns rasch der unteren
Grenze der Auffassung.
Bei 10 mm weisen unter alien Versuchspersonen die beiden
E r a e p e 1 i n , Psycholog. Arbeiten. n. 40
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602
Joseph fteifi.
Gesunden und der zwischen diesen stehende Hebephrene K. das besie
Resultat auf. Diesen schlieBen sich 3 Hebephrene an; es folgen die
Paralytiker N. und P.; den Schluss machen B., G. und derParaly-
tiker M. Bei 5 mm stehen die gleichen Personen an der Spitze; diesen
schlieBt sich der Paralytiker P. und der Hebephrene L. an. Es folgt
der Paralytiker N. und, nachdem sich die tibrigen Hebephrenen
angereilit, zum Schluss wieder der Paralytiker M. Tabelle in giebt
einen Ueberblick iiber die Reihenfolge der Versuchspersonen, fUr jede
Spaltweite gesondert.
Tabelle m.
10 mm
Versuchspersonen
Gesunde
R
2
K.
3
4
5
^
7
8
9
10
G.
11
M.
J.
F.
C.
L.
B.
Hebephrene
Paralytiker
N.
P.
5 mm
Gesunde
E.
K.
J.
Hebephrene
Paralytiker
L.
C.
G.
B.
F.
M.
P.
N.
Die neben den richtigen Lesungen sich findenden Pehler und
Auslassungen zeigen bei den verschiedenen Versuchspersonen ein ganz
ungleiches Verhalten. Die bei den Gesunden vorkommenden Aus-
lassungen konnen bei ihrer geringen Anzahl wesentlich nur auf Zu-
falligkciten beruhen. Bei don Hebephrenen uberwiegen im Durch-
schnitt die Fehler etwas iiber die Auslassungen. Bei den Paralytikem
steht einer groBen Zahl Pehler eine kleine Zahl Auslassungen gegen-
iiber. Untersuchen wir, welchen Einfluss die Verengerung der Spalt-
weite auf Fehler und Auslassungen gehabt hat, so linden wir bei den
Gesunden eine Zunahme beider auf das Doppelte. Bei den Hebe-
phrenen nehmen Fehler und Auslassungen ebenfalls in gleichem MaBe
zu. Bei den Paralytikem wiichst die Zahl der Auslassungen im
Durchschnitt relativ starker, aber die Fehler uberwiegen bei der
engeren Spaltweite doch noch nahezu um das 6 f ache.
Die Betrachtung des Verhaltens der einzelnen Versuchspersonen
lasst bei den Gesunden wegen der geringen Zahl der Auslassungen
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(Jeber einfache psychologische Versuehe an Clesunden und Geisteskranken. 603
keine weiteren SchlUsse zu. Bei dem Hebephrenen K. treten bei
5 mm einige Auslassungen auf , bei Steigerung der Fehlerzahl auf das
Dreifache, wahrend bei 10 mm keine Reize vollig ubersehen werden.
Bei 0. spielen Auslassungen keine Rolle; die Zahl der Eehler steigt
bei 5 mm betrachtlich. Bei L. sinkt die Zahl der Auslassungen bei
5 mm sogar unbedeutend, unter maBiger Zunahme der Pehler. Bei
B., wo die Zahl der Auslassungen auffallend groB ist, findet sich eine
geringe Zunahme von Fehlem und Auslassungen. Bei F. und G.
nimmt die Zahl der Auslassungen betrachtlich zu; bei ersterem er-
halt gleichzeitig die Fehlerzahl einen starken Zuwachs, wahrend bei
letzterem die Fehlerzahl auf Kosten der Auslassungen abnimmt. Der
Paralytiker M. begeht bei 5 mm mehr Fehler; gleichzeitig treten einige
Auslassungen auf, die bei der groBeren Spaltweite nicht vorkommen.
Bei N. nehmen bei 5 mm Fehler und Auslassungen, letztere aber in
weit hoherem MaBe, zu. Bei P. sinkt, entsprechend der oben fest-
gestellten besseren Leistung bei 5 mm, die Zahl der Fehler und Aus-
lassungen.
Die Erschwerung der Versuchsbedingungen steigert im allge-
meinen Fehler und Auslassungen. Nach den Versuchen von Or on
und Kraepelin war es wahrscheinlich , dass die Auslassungen ein
richtigeres Bild der Auffassungsschwierigkeiten lieferten. Ln gewissen
Sinne geht dies auch aus den vorliegenden Versuchen hervor. In den
Durchschnittszahlen ist die Eichtigkeit dieser Annahme zwar nicht
offenkundig. Lassen wir aber die Versuchspersonen, bei welchen die
engere Spaltweite den Versuch nicht wesentlich erschwert, und die-
jenigen , bei welchen Auslassungen uberhaupt keine RoUe spielen,
auBer Betracht, so lasst sich dieselbe nachweisen. Sehen wir aus
diesen Griinden von E., J. und C. einerseits, von L. und P. ander-
seits ab, so bleiben noch K. und M., bei welchen erst bei der engeren
Spaltweite Auslassungen auftreten, und B., P., G. und N., bei wel-
chen die Verengerung eine weit bedeutendere Zunahme der Aus-
lassungen als der Fehler zur Folge hat.
Unter gleichen Bedingungen scheinen jedoch, wie auch die Ver-
suehe von Cron und Kraepelin ergeben haben, die Beziehungen
zwischen Fehlem und Auslassungen wesentlich von personlichen Eigen-
thiimlichkeiten abzuhangen. Bei den Hebephrenen scheint im allge-
meinen eine groBere Neigung zu Auslassungen vorhanden zu sein, bei
40*
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604 Joseph Reis.
den Paralytikem zu Yerlesungen; der absoluten ZaM nach uberwiegen
zwar letztere in beiden Gruppen von Kranken. Wahrend dort auf
100 Verlesungen 93,4 Auslassungen kommen, sind es hier nur t2,2.
Nur der Hebephrene C. weicht in dieser Hinsicht von dem Verhalten
-der Gruppe ab, da er fast ausschlieBlich Fehler begebt. Ln ganzen
haben demnach die Hebephrenen den Leseschwierigkeiten gegeniiber
leichter auf den Versuch der Auffassung verzichtet, wahrend die Para-
lytiker mehr geneigt waren, die unvollkommen aufgefassten Beize
durch eigene willkurliche Aendenmgen umzugestalten. Dass dies bei
der Art des Lesestoffes, wo keinerlei Anhalt zur richtigen Erganzung
des unvollkommen Erkannten gegeben war, meist zu fehlerhaften
Lesungen fiihren musste, ist selbstverstandlich.
Weiteren Einblick in diese Verhaltnisse wUrde die nahere Be-
trachtung der Fehler gewahren. Wegen der schon erwahnten Schwie-
rigkeit des Registrirens bei Haufung von Fehlem muss jedoch bei
dieser Trommel davon Abstand gonommen werden.
b. Versuche mit einsilbigen Wortern.
Bei den Leseversuchen mit Trommel A war leider die Versuchs-
anordnung recht verschieden. Die beiden Gesunden lasen wie bei
Trommel C an jedem Versuchstage zwei Trommeln, am ersten mit
1 0 und 5 mm Spaltweite , am zweiten in umgekehrter Beihenf olge.
Die gleichen Versuche wurden mit F. durchgefUhrt; fiir D., G. und
N. war dieselbe Versuchsanordnung geplant Ersterer war jedoch
nur zu einem einmaligen Versuche zu bewegen. Den beiden anderen
machte das Lesen bei f) mm zu groBe Schwierigkeiten. G. war am
ersten Tage nicht im Stand, bei dieser Spaltweite zu lesen; am zweiten
versagte seine Auffassungsfahigkeit ebenfalls, als er zum Beginn des
Versuchs mit 5 mm lesen soUte, doch war er, nachdem er mit der
groBeren Spaltweite eine Trommel gelesen, im Stande, noch zwei
Trommeln mit 5 mm zu lesen. N. las am ersten Tage eine Trommel
mit to mm; bei 5 mm versagte seine Leistungsfahigkeit, ab er die
Halfte der Trommel gelesen hatte; am zweiten Tage vermochte er
dabei nichts aufzufassen, so dass auch an diesem Tage nur eine
Trommel mit 1 0 mm gelesen wurde. K. und L. lasen an zwei Tagen
3 Trommeln mit 10,8 und 5 mm Spaltweite. Bei M. und P. war
die Versuchsanordnung die, dass an 3 Tagen je 3 Trommeln mit
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesunden und Geisteskranken. 605
diesen Spaltweiten gelesen wurden, am vierten Tage in umgekehrter
Beihenfolge. Am dritten Versuchstage konnte M. nur zwei Trom-
meln lesen. Aehnlich waren auch die Versuche C.'s; nur las er an
den beiden letzten Tagen noch je zwei weitere Trommeln, mit 5 mm
am dritten, 10 mm am vierten Tage, so dass von diesen Tagen je-
weils das Ergebniss von 5 Trommeln vorliegt.
In Tabelle IV sind die Ergebnisse entsprechender Versuche zu-
sammengestellt. Mit Ausnahme von B., C, M. und P., von welchen
3 Versuchstage verwerthet sind, sind es die Durchschnittsergebnisse
zweier Tage.
Tabelle IV.
Versuchs-
10 mm
8 mm
5 mm
personen
r
f
a
r
f
a
r
98,92
f
a
1
E.
97,67
2,32
0
1,07
0
J.
94,83
4,64
0,53
95,59
4,41
0
A
Gruppen-
durchschnitt
96,25
3,48
0,27
97,25
2,74
0
B.
69,87
1,91
28,21
58,59
1,78
39,64
46,66
2,60
50,76
C.
91,31
8,69
0
91,66
8,34
0
78,89
22,11
0
§*
D.
86,54
1,32
12,14
47,86
3,93
48,21
F.
91,60
5,66
2,68
76,92
11,99
11,08
1
G.
77,09
12,56
10,35
66,79
12,31
20,89
K.
95,53
4,47
0
96,25
3,57
0,18
95,00
4,82
0,18
L.
79,63
6,43
13,94
87,50
5,95
6,55
86,07
9,64
4,28
Gruppen-
durchschnitt
84,56
5,85
9,59
71,19
9,50
19,31
fe
M.
47,38
40,59
12,03
46,19
39,68
14,13
46,96
41,79
11,25
1
N.
77,01
13,25
9,73
(14,26
7,85
77,89)
1
P.
98,93
1,07
0
99,17
0,83
0
97,38
2,38
0,24
Gruppen- i
durchschnitt
74,44
18,30
7,36
Es sind auch hier wie bei der Trommel C zum Vergleich die
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606 Joseph Reis.
mittleren Leistungen- der Gruppen berechnet Fiir die Spaltweite
von 8 mm ist hiervon abgesehen, da ja nur von einem Theil der Per-
sonen Versuche vorliegen. Die groBte Zahl richtiger Lesungen fin-
det sich bei den Gesunden; dann kommen die Hebephrenen und
endlich die Paralytiker. Die fiir N. bei 5 mm angegebenen Zahlen
wurden nur beim Lesen einer halben Trommel gewonnen, wesbalb
auch die Durchschnittsleistung der Gruppe nicht berechnet ist.
Der Einfluss der Spaltweite machte sich bei Trommel A in
gleicher Weise wie bei Trommel G geltend. Bei den Gesunden ist
bei der engeren Spaltweite die Zahl der richtigen Lesungen sogar
noch etwas groBer als bei 10 mm. Diese Thatsache weist darauf
bin, dass wir uns wie bei Trommel C bei 5 mm schon nahe der
Grenze befinden, jenseits derer eine Verbreiterung des Spaltes das Le-
sen nicht wesentlich erleichtert. Von den Hebephrenen werden bei
5 mm 13,47o der Reize weniger erkannt. Mit Ausnahme L.'s nimmt
die Zahl der richtigen Lesungen bei alien, wenn auch in verschie-
denem Grade, ab. Bei den Paralytikem ist ebenfalls ein Sinken der
richtigen Lesungen f estzustellen ; allerdings ist dasselbe bei M. mit
der ohnehin schlechtesten Leistung nur sehr geringfUgig. Bei P.
finden wir uns mit dieser Aufgabe bei den gewiihlten Spaltweiten
noch nahe der oberen Grenze der Auffassungsfahigkeit; es ist daher
bei 5 mm nur eine geringe Abnahme der Zalil der richtigen Lesungen
festzustellen. N. ist dagegen der Aufgabe, mit 5 mm zu lesen, nicht
mehr gewachsen.
Bei 10 mm weist der Pai*alytiker P. die groBte Zahl richtiger
Lesungen auf. Der Gesunde E. kommt erst an zweiter Stelle; ihm
reihen sich der erste Hebephrene K. und der Gesunde J. an. Es
folgen weiter 5 Hebephrene, worauf die Reihe durch den Paralytiker
N. unterbrochen wird. Den Schluss macht der Paralytiker M. Bei
5 mm nimmt der Gesunde E. die erste Stelle ein, gefolgt von dem
Paralytiker P. Der zweite Gesunde ubertrifft noch etwas den ersten
Hebeplirenen. Diese folgen sich bis zum letzten in unvmterbrochener
Reihenfolge; erst mit diesem steht der zweite Paralytiker in gleicher
Ijinie. Folgende Tabelle giebt die Uebersicht Uber die Reihenfolge
der Versuchspersonen bei der groBeren und kleineren Spaltweite.
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Ueber einfnche psychologische Versuche an Gesunden und Geisteskranken. 607
Tabelle V.
Versuchs-
personen
1
P.
2
E.
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
10 mm
Gesunde
J.
D.
B.
Hebephreno
K.
F.
C.
L.
G.
Paralytiker
N.
M.
5 mm
Gesunde
E.
J.
L.
C.
F.
G.
D.
M.
B.
N.
Hebephreno
K.
Paralytiker
P.
Ein Vergleich der beiden Reihen zeigt, dass die groBere Schwie-
rigkeit der Aufgabe, bei 5 mm zu lesen, die Stellung der Kranken
den Gresunden gegeniiber verschlechtert hat.
Das Verhaltniss von Fehlem und Auslassungen ist auch beim
Lesen der Worter recht verschieden. Bei den Gesunden finden sich,
von einigen zufalligen Auslassungen abgesehen, nur Fehler. Bei den
Hebephrenen iiberwiegt die Zahl der Auslassungen Uber die Fehler;
bei den Paralytikem finden wir das umgekehrte Verhaltniss. Die
Verengerung der Spaltweite bewirkt ein starkeres Ansteigen der Aus-
lassungen als der Fehler. Wenn auch Fehler und Auslassungen mit
der Schwierigkeit der Versuchsbedingungen zunehmen, so finden wir
doch wie bei Trommel C, dass die Auslassungen ein getreueres Bild
der Auffassungsschwierigkeiten geben.
Die Betrachtung des Verhaltens der einzelnen Versuchspersonen
bestatigt diese Annahme. Gleichwie von den Gesunden miissen wir
dabei von den Hebephrenen C. und K. und dem Paralytiker P. wegen
der auBerst geringfiigigen Zahl der Auslassungen oder • des Mangels
solcher absehen. Die Hebephrenen B., D., F., G. und der Paraly-
tiker N. lassen deutlich das starke Anwachsen der Auslassungen bei
Verengerung der Spaltweite erkennen. L. zeigt eine Besserung seiner
Leistung bei 5 mm, M. mit seiner an .und fur sich schon auBerst
schlechten Leistung bei 5 mm nur ein unbedeutendes Sinken.
Dabei treten in dem Verhalten von Auslassungen und Ver-
lesungen wieder deutlich personliche EigenthUmlichkeiten hervor. Die
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608 Joseph Reis.
groBere Neigung zu Verlesungen bei den Paralytikem, zu Auslas-
sungen bei den Hebephrenen, wie wir sie schon beim Lesen sinnloser
Silben gefimden haben, ist auch bei Trommel A vorhanden, wenn auch
nicht in gleich ausgepragtem MaBe. Bei 10 mm Spaltweite kommen
dort auf 100 Verlesungen 40,2 Auslassungen, wahrend ihnen 163,9
bei den Hebephrenen gegeniiberstehen. Bei 5 mm konnen wir das
Verhaltniss wegen des mangelhaften Ausfalls des Versuchs mit N.
nicht berechnen. 0. und K. zeigen ein von ihrer Gruppe abweichen-
des Verhalten, indem sich bei ihnen keine Auslassungen finden. Eine
Gruppirung der Versuchspersonen nach der Zahl der Auslassungen
stimmt in den einzelnen Gruppen nahezu voUig mit der nach der Zahl
der richtigen Lesungen uberein. Es geht also auch daraus wieder
hervor, dass die Auslassungen einen ziemlich richtigen MaBstab fiir
die Schwierigkeit der Auffassung geben. Eine Ordnung nach der
Zahl der Verlesungen weicht dagegen manchmal recht betriichtiich
von derjenigen nach der Giite der Leistung ab. Wir finden darin
nur den Ausdruck einer verschiedengradigen Neigung, unvollkommen
erfasste Eindriicke durch eigene Zuthaten zu erganzen.
Die mit Trommel A gewonnenen Werthe zeigen durchweg eine
Besserung gegenuber den mit Trommel C erhaltenen. In Tabelle VI
sind die Ergebnisse entsprechender Versuche mit den beiden Trom-
meln neben einander gestellt. Es sind dabei jeweils die Mittelzahlen
aus den mit 10 und 5 mm erhaltenen Ergebnissen angefUhrt.
Im allgemeinen ist die Zahl der richtigen Lesungen bei Trom-
mel A groBer als bei Trommel C. Bei den Gesunden ist zwar der
Einfluss des Lesestoffs nur unbedeutend, da ja die Ergebnisse der
oberen Grenze der Auffassungsfahigkeit nahe Uegen. In der Gruppe
der Hebephrenen werden bei Trommel A von alien mehr richtige
Lesungen geUefert; allerdings ist der Grad der Besserung bei den
einzelnen Versuchspersonen der Gruppe recht verschieden. Auch in
der Gruppe der Paralytiker ist im Durchschnitt die gleiche Aende-
rung der Leistung bei Trommel A festzustellen. Nur N. zeigt ein
abweichendes Verhalten, indem in seinen Versuchen — er ist der
Einzige, bei welchem nur mit 10 mm Spaltweite ausgeftihrte vergUchen
werden konnten — das Lesen von Trommel C das bessere Ergebniss
geliefert hat.
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Ueber etnfscbe psycbologiscbe Versuche an Gesunden und UeisteskrankeD. 609
Tabelle VI.
Trommel A
Trommel C
Versuchs-
personen
r
f
a
r
f
a
1
E.
J.
98,30
95,21
1,70
4,53
0
0,26
98,52
92,32
1,48
7,12
0
0,55
Gruppen-
dnrchschnitt
96,76
3,11
0,13
95,42
4,30
0,28
Hebephrene
B.
C.
F.
G.
K.
L.
58,48
82,74
84,29
71,94
95,27
82,85
2,85
17,26
8,82
12,44
4,65
8,04
38,66
0
6,88
15,62
0,09
9,11
54,81
76,94
57,22
50,83
94,17
79,82
7,31
22,88
27,50
22,41
5,00
10,56
37,87
0,18
15,27
26,76
0,83
9,62
Grui
darchi
)pen- 1
Bchnitt
79,26
9,01
11,73
68,96
15,95
15,09
u
1
M.
N.
P.
50,27
77,01
97,68
37,68
13,25
2,14
12,05
9,73
0,18
33,52
82,80
82,70
65,56
14,24
15,81
0,92
2,96
1,48
Grappen- |
durchschnitt
74,99
17,69
7,32
66,34
31,87
1,79
Die Zunahme der richtigen Lesungen war auch in den Versuchen
Cron's und Kraepelin's festgestellt worden und dort aus der Hiilfe,
welche die Versuchspersonen beim Lesen von Trommel A in den Wort-
vorstellungen finden, erklart. Trotzdem die Aufgabe der sinnlichen
Auffassung der Worter bei der groBeren Buchstabenzahl schwieriger
ist, ermoglichen es die Worterinnerungsbilder, auch einen unvollstan-
dig aufgefassten Reiz in richtiger Weise zu erganzen, da derselbe
nach der gestellten Aufgabe einer bestimmtcn Wortvorstellung ent-
sprechen muss. Bei der Auffassung sinnloser Silben war kein der-
artiges Hiilfsmittel zur Verfligung.
Die Moglichkeit der falschen Lesungen bei Trommel A musste
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610
Joseph Reis.
in Folge dessen wesentlich eingeschrankt sein, da die Wortvorstel-
lungen doch meist eindeutig bestimmt waren, die den theilweise auf-
gefassten Reizen entsprechen konnten. Es hat daher durchweg die
Zahl der Verlesungen bei alien Versuchspersonen abgenommen ; eine
damit parallel gehende Abnahme der Auslassungen ist dagegen nur
ausnahmsweise vorhanden. Bei einer Anzahl von Versuchspersonen
tritt im Gegentheil eine bedeutende Vermehrung derselben ein.
Bei der Einschrankung der Moglichkeit der Verlesungen iiber-
haupt tritt die Neigung der Paralytiker zu Verlesungen gegeniiber
der groBeren Neigung der Hebephrencn zu Auslassungen nicht so
stark hervor wie dies bei Trommel C der Pall gewesen.
Ein Vergleich der Gruppirung der Versuchspersonen nach den
Resultaten, welche das Lesen von Trommel A und C ergeben hat,
zeigt, dass beim Lesen sinnloser Silben die Paralytiker den Gesunden
und Hebephrenen gegeniiber eine ungunstigere Stellung einnehmen,
als dies beim Lesen sinnvollen Stoffes der Fall ist. Besonders deut-
lich kommt dies in der Stellung P.'s zum Ausdruck. Derselbe steht
bei Trommel A mit der ersten und zweitbesten Leistung an der
Spitze, zeigt aber bei Trommel C, wo die Unterstutzung durch Wort-
erinnerungsbilder fehlt, eine deutliche Abnahme der Auffassungs-
fahigkeit.
Suchen wir uns iiber die Art der Fehler Rechenschaft zu geben,
so konnen wir zunachst zwischen sinnlosen und sinnvollen Verlesungen
unterscheiden. Bei dieser Feststellung kam es hier und da vor, dass
es nicht ganz leicht war, zu entscheiden, ob eine Verlesung als sinn-
voU oder sinnlos angesehen werden sollte. Manchmal war die Ent-
scheidung auch durch undeutlichc Aussprache erschwert. Doch war
diese Schwierigkcit im allgemeinen nicht zu hauiig. Die nachste
Tabelle giebt an, wie viel Procent der Verlesungen sinnlos waren.
Tabelle VU.
Gesunde
E. 1 J.
Hebephrene
B. C.
D.
F. G.
K.
L.
Paralytiker
M. i N. i P.
% [ 5,3
11,5
1,8
20,5
6,7
18,1
IM
00,3
9,6
19,8
11,4 "11,8
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Ueber einfache psychologische Versucbe an Gesunden und Geisteskranken. 611
Cron und Kraepelin haben die Zahl der sinnlosen Verlesungen
als einen MaBstab betrachtet, welcher die Beeinflussung der Auf-
fassung durch Vorstellungen in umgekehrtem Verhaltniss wiedergiebt.
Je mehr die Zahl der sinnlosen Verlesungen hinter der Anzahl der
sinnvollen zuriicktritt, um so mehr soUte der Einfluss der Wortvor-
stellungen zur Geltung gekommen sein. Eine Stutze dieser Auf-
fassung wird durch meine Versucbe nicht gegeben. Im allgemeinen
Uberwiegen die sinnvollen Verlesungen bedeutend. Eine Ausnahme
macht nur K., der bei der geringen Neigung zu Pehlem iiberhaupt
auch wenig sinnvplle Verlesungen aufweist. Andererseits finden wir
aber gerade bei B., trotz der noch geringeren Zahl Fehler, nur eine
verschwindende Zahl sinnloser Verlesungen, ein vollstandiges Ueber-
wiegen von Wortvorstellungen und bei G., N. und M. mit der groBten
Neigung zu Pehlem eine nicht unbetrachtliche Zahl sinnloser Ver-
lesungen. Die Entstehungsweise der sinnlosen Verlesungen ist jeden-
falls verschieden. Theilweise kamen sie dadurch zu Stande, dass die
Versuchspersonen die Reizworter buchstabirend lasen, dabei aber nur
einen Theil der Buchstaben auffassen konnten und diesen unverandert
vriedergaben, bei anderen werden ungenaue Wahrnehmungen durch
eigene Zuthaten erganzt. Ein Unterschied zwischen den 3 Gruppen
der Versuchspersonen lasst sich nicht feststellen.
Eine Anzahl der Verlesungen kam im Lauf e der Versucbe wieder-
holt vor. Begreifhcherweise konnte bei der Betrachtung dieser Ver-
haltnisse nur auf sinnvoUe Verlesungen Bucksicht genommen wer-
den. Cron und Kraepelin batten in ihren Versuchen die gleiche
Beobachtung gemacht und batten diese Verlesungen als zerstreute
und stehende Wiederholungen unterschieden, je nachdem dieselben
bei verschiedenen oder bei gleichen Reizwortem wiederkehrten. Bei
letzteren handelt es sich nach ihrer Deutung um die Befestigung eines
einmal begangenen Fehlers, bei den ersteren um das Vorherrschen
gewisser Sprachvorstellungen, die zur AeuBerung drangen, auch wenn
der wahrgenommene Reiz gar nicht oder nur zum Theil dem Wort-
bilde entspricht Die nachste Tabelle giebt dariiber Aufschluss, wie
viel Procent der sinnvollen Verlesungen einmal , wie . viel wiederholt
vorkommen.
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612
Joseph Reis.
Tabelle Vin.
1 Gesunde
Hebephrene
Paralytiker
E.
J.
B.
C.
D.
F. .
G.
K.
L.
M. 1 N. 1 P.
Zahl dor 1
jTrommeln
4
4
12
16
2
4
4
6
6
11
2
12
Einmaio/o
61,1
70,1
23,9
66,7
42,9
100
55,8
53,9
65,5
46,0
30,9
65,7
73,3
Wiederholto/j)
38,9
33,3
57,1
0
44,2
46,1
34,5
54,0
69,1
34,3
26,7
Leider sind die Versuche aller Personen in dieser Hinsicht nicht
ohne weiteres vergleichbar , da nicht immer dieselbe Zahl Trommeln
gelesen wurde und bei einer groBeren Zahl die Gelegenheit zur
Wiederkehr derselben Verlesungen in hoherem MaBe geboten ist
Aus der Tabelle konnen wir nur ersehen, dass auch hier groBe per-
sonhche Verschiedenheiten bestehen. Von den beiden Gesunden zeigt
E. eine groBere Neigung zur Wiederholung derselben Verlesungen.
Der Hebephrene D. mit allerdings nur 2 Trommeln wiederholt keine
Verlesung. Unter den ubrigen begeht B. meist neue Fehler, da trotz
der groBen Zahl der Trommeln die Zahl der Wiederholungen nicht
sehr bedeutend ist. Bei C. mit 1 6 Trommeln finden sich etwas mehr
Wiederholungen. Weiterhin steigt die Neigung zur Wiederkehr der-
selben Verlesungen bei K., P., G., L.; die 3 Letzteren stehen einander
wohl ziemlich gleich. Unter den Paralytikem hat P. die geringste
Neigung zu Wiederholungen. Unterschiede zwischen den 3 Gruppen
der Versuchspersonen sind nicht erkennbar.
Die niichste Tabelle giebt eine Uebersicht liber die Vertheilung
der wiederholten Verlesungen auf stehende und zerstreute Wieder-
holungen.
Auch hier wird die Beurtheilung der Verhaltnisse durch die Un-
gleichheit der Versuche erschwert. Denn es ist nicht zu entscheiden,
ob die beiden Arten der Wiederholungen mit der Zahl der Trom-
meln in gleichem MaBe ansteigen. Die groBte Neigung zu stehenden
Wiederholungen finden wir def^den Gesunden. Unter den Hebe-
phrenen weisen G. und F. weniger stehende Wiederholungen auf, als
die ubrigen; allerdings ist bei ihnen auch die Zahl der Trommeln am
kleinsten. Ihnen schlieBt sich zunachst B. an. Unter den Paralj-
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Ueber einfache psychologisehe Versnche an GesundeD und Geisteskranken. 613
Tabelle IX.
1
Qesunde
Hebephrene
Paralytiker
E.
'•
B.
C.
F.
G.
K.
L.
M.
N.
P.
StebendeWie-
derhol. o/^
100
Sl,8
72,2
85,5
32,4
43,4
80,0
86,9
46,9
50,0
75,0
ZerstreuteWie-
derhol. o/o
0
18,2
44,4
19,7
67,6
62,3
20,0
19,7
73,1
58,3
33,3
tikern haben jedenfalls N. und P. eine groBere Neigung zur Bildung
stehender Wiederholungen als M. Eine sicliere Erklarung fur die
Entstehungsweise dieser Wiederholungen ist hiemach nicht moglich.
Im allgemeinen findet sich die groBere Zahl stehender Wieder-
holungen bei den Versuchspersonen mit besserer Auf fassungsfahigkeit
und, wie wir spater sehen werden, mit einer Besserung der Leistung
im Laufe der Versuchstage. Cron und Kraepelin haben zwei Mog-
lichkeiten der Entstehung dieser Art Wiederholungen angegeben. Die
groBere Haufigkeit derselben konne einer groBeren Gedachtnissfahig-
keit entsprechen, welche die einmal eingetretene Verbindung zwischen
Schriftreiz und fehlerhafter Lesung festhalt, oder einer ungenaueren
Wahmehmung, die eine Erganzimg theilweise aufgefasster Reize durch
friihere Wahmehmungen begiinstigt. Der Ausfall meiner Versuche
sprache eher fiir erstere Erklarung; doch mochte ich eine siehere
Entscheidung nicht treffen.
Die zerstreuten Wiederholungen vertheilen sich auch ziemlich
ungleich. Die geringste Neigung dazu finden wir bei den Gesunden,
doch miissen wir auch hier wieder die Zahl der Trommeln beriick-
sichtigen. Am groBten scheint die Neigung bei den Hebephrenen
F. und Gt. und den Paraly tikern M. und N. zu sein; es sind dies
die Versuchspersonen, bei welchen wir die groBte Erschwerung der
Auffassung gefunden haben. Diese Verlesungen werden durch be-
liebige, haufig ohne nahere Beziehung zu den Reizwortem auftauchende
Vorstellungen hervorgerufen. Tabelle X giebt an, wie oft die gleichen
Verlesungen wiederkehren.
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614
Joseph Rtis.
Tabelle X.
Stehende
Wiederhol.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
-§ E.
i J.
2
3
1
1
B.
C.
F.
G.
K.
3
26
4
6
4
8
11
1
3
2
1
4
3
2
1
1
1
1
1
1
1
M.
N.
P.
73
6
2
29
1
6 2
1
1
1
3
2
1
1
Zerstreute
Wiederhol.
i
1
E.
J.
1
0)
n
B.
C.
F.
G.
K.
L.
4
14
7
7
1
6
2
3
5
1
1
fe
^
>»
^
M.
N.
P.
67
7
3
45
1
19
9
8
7
1
Die groBte Zahl zcrstreuter Verlesungen finden wir bei M, Er
liest z. B. kurz hintor cinander Kampf statt folgendcr Reizworter :
Hang, Papst, Haupt, Dampf, Kopf, Kunst; es genligt hier also der
Reiz des ersten oder zweiten Buchstaben, urn die bereitliegende Wort-
vorstellung auszulosen. Andere Beispiele sind Werft fiir Wort,
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Deber einfache psychologisehe Versoche an Gesnnden nnd Geisteskranken. 615
Werth, Werk, Wurf, Bursch, Gluck, oder Wohl fUr Kohl', Vieh,
Wehr, Gk)lf , Wolf, Arzt ; fiir einzelne der Verlesungen f ehlt jede An-
kniipfung an das Reizwort. Wenn Arzt fiir Kerl, FleiB, Eo'ug ge-
lesen wird, ist eine solche nicht mehr nachweisbar, und ahnliche
Beispiele UeBen sich in groBer Zahl haufen.
Die lockeren Beziehungen zwischen zerstreuten Wiederholungen
und Reizwortem, die engeren zwischen letzteren und den stehenden
Wiederholungen kennzeichnet f olgende Nebeneinanderstellung, die aus
alien vorliegenden Versuchen gewonnen ist.
Tabelle XI.
Buchstaben werden verlesen
1
2
3
4
Stehende Wiederholungen o/o
87,5
9,8
34,3
2,7
0
Zerstreute Wiederholungen %
43,3
19,6
2,8
Wahrend fast bei alien stehenden Wiederholungen nur ein Buch-
stabe verlesen ist, stimmt bei den zerstreuten eine weit kleinere Buch-
stabenzahl mit denen des Reizwortes Uberein. Dabei ist bei letzteren
die Zahl der falschen Buchstaben eher noch zu gering angegeben, da
bei starkerer Abweichung von dem Reizworte die Zahlung der Fehler
unsicherer wird. '
Bei der Durchsicht der VersuchsprotokoUe konnte die Beobach-
tung gemacht werden, dass die durch das Lesen angeregten Vor-
stellungen mit einer gewissen Hiiufigkeit unter den Fehlem wieder-
kehrten. Tabelle XII giebt daruber Aufschluss, wie viele Procent
der sinnvollen Verlesungen sich mit Reizwortem deckten, und wie
sich dieselben auf einfache und wiederholte Verlesungen vertheilten.
Tabelle XH.
Gesunde
E. |j.
Hel)ephreno
Paralytiker
Reizwortem entsprechen
B. 1 C.
59,3 52,1
1
D.
42,9
42,9
F.
68,8
65,1
73,5
G.
64,3
54,8
75,5
K. L.
65,5 i60,l
1
47,4 59,6
M. N.
P.
66,6
60,6
Von sinnvollen Ver-
lesungen iiberhaupt o/o
55,6 j63,0
53,0
17,3
45,7
39,1
Von einmaligen %
45,5 J54,3
61,1 l44,4
55,6 59,5
Von wiederhulten %
71,4 90,9
100 [60,7
68,9
58,3
83,3
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616
Joseph Reis.
Mit Ausnahme von D. und N. finden wir bei alien Versuchs-
personen in mehr aJs der Halfte der sinnvollen Verlesungen Ueber-
einstimmung mit Reizwortem. Bei D. und N. ist der Einfluss des
Lesestoffes auf das Zustandekommen der Verlesungen nicht so stark
ausgepragt, da hier nur zwei Trommeln gelesen wurden. Personliche
Unterschiede in der Starke der Beeinflussung sind auch bei dieser
Betrachtung nachweisbar, Unterschiede der 3 Gruppen nicht zu er-
kennen. Unter den Wiederholungen kommen die Eeizworter weit
haufiger vor als unter den einfachen Verlesungen. Nur bei B. ist
ein abweichendes Verhalten zu constatiren. Ein groBer Theil der
wiederholten Verlesungen lasst sich in der Entstehung jedenfalls
darauf zuruckfuhren, dass einmal gelesene Eeizworter im Gedachtniss
festhafton und dadurch andere Lesungen beeinflussen. ^
Dass die Uebereinstimmung der Verlesungen mit Reizwortem
nicht auf Zufalligkeiten beruht, geht, von der Haufigkeit dieses Zu-
sammentreffens abgesehen, daraus hervor, dass nahezu bei alien Per-
sonen das Reizwort in mehr als der Halfte der Falle der mit ihm
iibereinstimmenden Verlesung in der Reihe der Reize voranging. Des
nahercn ist aus Tabellc Xm zu ersehcn, wie oft das mit der Ver-
lesung identische Reizwort vorausging.
Tabelle XIH.
Gesnnde
Hebephrene
Paralytiker
E.
J.
B. 1 C.
D.
F.
G. i K. L.
M.
63,5
N.
59,4
P.
40,0
Vorher %
100
62,1
53,1 51,4
66,6
00,4
51,4 68,4 50,0
Bei E. war in alien hierher zahlcnden Verlesungen das Reizwort
vorangegangen. In nicht seltenen Fallen kam das Reizwort kurz zu-
vor. Beriicksichtigen wir noch, dass auch durch das Lesen vorher-
gehender Trommeln eingepragte Wortbilder das Lesen beeinflussen
konnten, so ist die unmittelbare Wirkung des Lesestoffes auf die Auf-
fassung sicher bewiesen.
Aber der Einfluss des Lesestoffes auf die Verlesungen ist mit
dem Nachwcis der haufigen Uebereinstimmung beider keineswegs
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Deber einfache psychologische Versnebe an Gesunden and Geisteskranken. 617
erschopft. Cron und Kraepelin haben schon Beispiele dafur ange-
fiihrt, dass nicht das Reizwort als solches, sondern eine Association
zu demselben gelesen wurde. So finden wir bei der Durchsicht der
Stenogramme folgende Verlesungen: Krieg — Zank, Pelz — Thier,
Vieh — Pferd, Wohl — Arzt, Gluck — Glas. Mit Ausnahme des
letzten Beispiels besteht hier zwischen Reizwort und Lesung keinerlei
Aehnlichkeit. Es ist daher jedenfalls die Annahme gerechtfertigt,
dass die Sprachbewegung erst durch eine Association zum Reizwort
ausgelost wurde. Bei der Verbindung Gluck — Glas konnte man
auch an eine einfache Verlesung denken , da ja die beiden Anfangs-
buchstaben gleich sind. Aber diese Verlesung findet sich wiederholt
bei einer Versuchsperson mit recht guter Auff assung. Wir gehen daher
wohl nicht in der Annahme fehl, dass es sich dabei um eine durch
das bekannte Spriichwort hervorgerufene Association handelt. Solche
Associationen konnen sich auch an vorangehende Worter anschUeBen,
wie z. B. Heil nach vorangehendem Forst Hirsch gelesen wird. In
anderen Fallen wieder haben wir es mit Verlesungen zu thun, die
Klangassociationen ihre Entstehung verdanken (und zwar sind es im-
mer Associationen zu den vorangehenden Lesungen, da diese ja vom
Gehor aufgef asst sind und so durch ihren Klang wirken konnen, nicht
zu den Reizwortem selbst). Einige hierher gehorige Beispiele sind
folgende: an Hand schUeBt sich die Verlesung Pfad — Pfand, an
Pirsch Him — Birsch, an Gang Streu -— Strang, an Berg Zweck
— Zwerg, an Mord Worth — Wort an. AUe die angefiihrten Bei-
spiele sind den Versuchen von Kranken entnommen, sind aber damit
keineswegs erschopft. Bei den Gesunden konnten keine derartigen
Beobachtungen gemacht werden.
Da mit Trommel B nur an 2 Hebephrenen und einem Paraly-
tiker experimentirt wurde, die Versuche des letzteren noch dazu recht
liickenhaft sind, verlohnt es sich nicht, des weiteren auf dieselben
hier einzugehen.
Die Ergebnisse dieser Versuche lassen sich folgendermaBen kurz
zusammenf assen : Die Zahl der richtigen Lesungen liefert uns ein
MaB fiir die Schnelligkeit, mit welcher die einzelnen Versuchspersonen
Eindriicke in sich aufzunehmen im Stande sind. An der Spitze stehen
die Gesunden; es folgt die Gruppe der Hebephrenen; den Schluss
bildet die Gruppe der Paralytiker. Die Leistungen eines Paralytikers
Kraepelin, Pfycholog. Arbeiten. II. 41
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618 Joseph Reis.
und eines Hebephrenen fallen noch nahezu in die Gtesundheitsbreite ;
die schlechteste Leistung finden wir bei den Paralytikem. Bei ein-
zelnen Versuchspersonen bewegen wir uns mit den gestellten Auf-
gaben nahe der unteren Grenze des Auffassungsschwellengebietes.
Die Erschwerung der Versuchsbedingungen durch VerkUrzung der
Spaltzeit hat bei den Gesunden nur eine maBige EinbuBe an rich-
tigen Lesungen zur Folge, fiihrt jedoch bei den Eo'anken ein starkes
Sinken der Zahl richtiger Lesungen herbei. Die sinnliche Wahr-
nehmung der Reize findet eine wesentliche Stiitze in dem Einflusse
von Wortvorstellungen. Diese Hulfe kommt fast ausschlieBlich beim
Lesen von Wortem in Betracht. Dass sie beim Lesen sinnlosen
LesestofEes f ehlt, hat bei den Kranken ebenf alls eine wesentliche Ab-
nahme der richtigen Lesungen gegeniiber den Versuchen mit Wortem
zur Folge. Namentlich hat sich die Stellung der Paralytiker zu den
beiden anderen Gruppen in ungunstigem Sinne verschoben, ein Zeichen
dafiir, dass sie in besonders hohem Grade auf die Unterstiitzung der
sinnlichen Wahmehmung durch Wortvorstellungen bei der eigentlich
schwierigeren Aufgabe des Lesens von Wortem angewiesen sind.
Li dem Verhaltnisse von Fehlem und Auslassungen finden wir den
Ausdruck personlicher Eigenthtimlichkeiten. Es lassen sich in gewissen
Grenzen aber auch Unterschiede zwischen den beiden Gruppen der
Kranken erkennen. Die Paralytiker neigen dazu, unvollkommen auf-
gef asste Reize durch eigene Zuthaten zu verandem ; die Hebephrenen
scheinen solche Reize meist zu unterdriicken. Dies kommt in hoherem
Grade bei den sinnlosen Silben zum Ausdruck, da hier der willkiir-
Uchen Aenderung der Reize keine Schranken gezogen sind; bei den
Wortem ist dagegen eine solche nur in engeren Grenzen moglich,
weil sich die Reize mit bestimmten Wortvorstellungen decken miissen
und auch bei ungenauer Auf fassung fur die Erganzung Anhaltspunkte
gegeben sind. Verkurzung der Spaltzeit steigert sowohl Fehler wie
Auslassungen, letztere aber meist in hoherem Grade. In den ein-
zelnen Gruppen deckt sich die Ordnung der Personen nach der Zahl
der richtigen Lesungen mit der Reihenfolge nach der umgekehrten
Zahl der Auslassimgen, sodass letztere ein richtigeres Bild der Auf-
fassungsschwierigkeiten geben, als die Fehler, welche nur der Aus-
druck der groBeren oder geringeren personlichen Neigung zur Deu-
tung ungenauer Wahraehmungen sind. Die Verlesungen sind zum
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Ueber einfacbe psychologische Versiiche an Gesundeii und Geisteskranken. 619
Theil sinnlos, zum Theil sinnvoll; bestimmte Unterschiede in dem
Verhaltniss dieser beiden Arten in den drei Gruppen lassen sich nicht
feststellen. Solche finden sich auch nicht in dem Haufigkeitsverhalt-
nisse der einzehien Verlesungen, die bald einmal, bald wiederholt vor-
kommen. Bei den Gesunden finden sich die letzteren allerdings meist
in der Form der stehenden Wiederholungen, wahrend zerstreute Wie-
derholungen zuriicktreten. Die gleiche Beobachtung machen wir bei
den Kranken mit besserer Auffassungsfilhigkeit. Da auBerdem zwi-
schen Reizwortem und stehenden Wiederholungen eine weitgehende
Uebereinstimmung besteht, diirfen wir dieselben wohl auf das Haften
gewisser Verlesungen zuriickfiihren. Die zerstreuten Wiederholungen
herrschen umgekehrt bei den E^ranken mit der groBten Storung der
Auffassungsfahigkeit vor; die Beziehungen zwischen diesen Verlesun-
gen und den Reizwortem sind nur sehr locker, so dass sie ihre Ent-
stehung wohl sehr lebhaften Sprachvorstellungen verdanken.
Ein Theil der Verlesungen ist durch den Lesestoff selbst bedingt,
indem viele derselben Reizwortem, und zwar meist vorangehenden,
entsprechen. Namentlich ist dieser Einfluss bei den Wiederholungen
deutlich. Ein Unterschied der Gruppen in dieser Beziehung ist nicht
erkennbar. Manche Verlesungen sind durch Klangassociationen her-
vorgerufen.
III. Fortlanfende Rechenanfgaben.
Die in der Form, wenn wohl auch nicht in der Beurtheilung der
Ergebnisse einfachsten Versuche bestanden in Aufgaben, die alien
Versuchspersonen ohne weiteres gelaufig waren, da sie ohne den
Aufwand irgend welcher Apparate — von einer durch den Regi-
strirenden gehandhabten Uhr abgesehen — an Vorgange des gewohn-
lichen Lebens sich anschlossen. Die Versuchspersonen wurden zuniichst
aufgef ordert, in deutlicher, lauter Sprache das Alphabet und damach
die Zahlenreihe von 1—50 aufzusagen, dann zu 7 fortlaufend 7 und
in gleicher Weise zu 12 fortlaufend 12 zu addiren. Die beiden letzten
Arbeiten wurden jeweils eine Minute hindurch fortgesetzt. Der zeit-
liche Verlauf der Versuche wurde vom Registrirenden mit einer
Ftinftelsecunden anzeigenden und mit Arretirung versehenen Uhr ver-
folgt, der Versuch nach Ablauf der bestimmten Zeit abgebrochen.
41*
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620 Joseph Reis.
Die 4 Aufgaben wurden sofort, nachdem sie einmal durchgefiihrt
war en, wiederholt, so dass die Dauer des ganzen Versuchs nie den
Zeitraum von 10 Minuten iiberschritt, einschlieBlich der kurzen Pausen
zwischen den einzelnen Theilen des Versuches, die mit der Stellung
der neuen Aufgaben ausgefullt waren. Die gleiche Versuchsreihe
wurde am daranffolgenden oder zweitnachsten Tage wiederholt. Eine
andere an weiteren Versuchstagen durchgefuhrte Versuchsreihe stellte
den Versuchspersonen die Aufgabe, wahrend eines abgegrenzten Zeit-
raums die in ihnen auftauchenden Vorstellungen eines bestimmten
Begrrffsgebietes laut aufzuzahlen.
Ein Ueberblick liber die Versuche, deren Methodik hier kurz
angegeben ist, lasst erkennen, dass dieselben sowohl Aufgaben rein
motorischer Art umfassen, als auch solche, die vorzuglich die asso-
ciative Seite der psychischen Thatigkeit zum Gegenstand haben. Als
fortlaufende Rechenaufgaben seien die oben naher geschilderten Ad-
ditionen zusanunengefasst.
a. Addiren mit 7.
Die nachste TabeUe giebt eine Zusammenstellung der bei der
Durchfiihrung dieser Aufgabe erhaltenen Zahlen.
Die aus alien vorliegenden Versuchen fur jede Classe der Ver-
suchspersonen berechneten Mittelwerthe stehen einander auBerordent-
lich nahe. Die wahrend einer Minute ausgefiihrte Zahl von Additionen
ist am groBten bei den Gesunden, am kleinsten bei den Hebephrenen.
Allerdings ist die Stellung der Gesunden dadurch etwas beeintrach-
tigt, dass von ihnen meist nur zwei Versuche vorliegen und bei dieser
Aufgabe ein gewisser Uebungsfortschritt, wie aus den Zahlen der
TabeUe XIV hervorgeht, nicht zu verkennen ist Fiir den ersten
Tag allein ergeben sich Durchschnittsleistungen von 31,4; 27,7; 29,3
Additionen fiir die 3 Gruppen, am zweiten Tage erhoht sich die Lei-
stung der Hebephrenen um 2,9 ; die der Paralytiker um 2,8 Additionen ;
die beiden in Versuchen mit Gesunden gewonnenen Werthe lassen
ebenfalls eine durchschnittliche Besserung um 4,3 Additionen erkennen.
Von den fiir die Gruppen berechneten Mittelwerthen weichen die
Mittelzahlen der einzelnen Versuchspersonen jeder Classe nicht un-
wesentlich ab, wie das Verhalten der mittleren Schwankungsbreite
(M.S.) erkennen lasst.
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Deber einfache psychologische Versuche an Gesunden und Geisteskraokeu. 621
Tabelle XIV.
(A. Anzahl der Additionen, F. absolute Fehlerzahl, M. A. mittlere Anzahl der
Additionen, M. F. mittlere Fehlerzahl).
I. Tag
n. Tag.
1.
Versuch
2.
Versuch
3.
Versuch
4.
Versuch
Versuchs-
personen
A.
F.
A.
F.
A.
F.
A.
F.
M.A.
M.F.
M.V.
»/o
A.
35
3
39
2
43
0
42
0
39,7
1,2
3,7
9,9
rS
B.
32
4
28
2
30,0
3
2,0
6,6
1
J.
20
2
19
2
22
0
23
0
21,0
1
1,5
7,1
1
0.
23
6
21
6
22,0
6
1,0
4,5
U.
46
1
51 1 1
1
48,5
1
2,5
5,1
Gruppen-
durchschnitt
31,2
3,4
31,6
34
2,6
32,5
0
32,5
0
32,2
2,4
2,15
6,6
§
C.
31
1
3
34
2
39
2
34,5
2,0
2,2
6,5
1
F.
34
0
31
1
33
0
37
2
33,7
0,7
1,8
5,2
1
G.
35
1
41
0
39
1
46
0
40,2
0,5
3,2
8,1
&
H.
7
126,7
3
1,2
9
28,7
5
2,2
8
28,5
4
1,7
9
32,7
3
1,7
8,2
29,2
3,7
1,7
0,8
9,1
Gruppen-
durchschnitt
2,0
7,3
M.
17
2
20 ' 3
14
3
14
1
16,2
2,2
2,2
13,9
u
N.
36
2
34 , 1
34
0
32
0
34,0
0,8
1,0
2,9
1
P.
70
0
70 j 0
75
0
83
0
74,5
0
4,5
6,0
R
13
2
21
2
25
4
22
1
20,2
2,3
3,7
18,1
08
PL4
S.
18
1
22
0
21
0
20
I 0
20,2
0,2
1,3
6,2
T.
15
4
16 1 1
25
0
24
, 0
20,0
1,2
4,5
22,5
Gruppen-
durchschnitt
|28,2
1,8
30,5
1,2
32,3
1,2
32,5
0,3
30,9
1,2
2,9
11,6
Gesunde Hebephrene Paralytiker
M.S. ± 9,52 (29,6%) ifc 10,45 (35,6%) ± 15,75 (50,9 o/o).
Dieselbe ist bei den Paralytikern weit groBer als bei den Gesunden?
wahrend sie bei den Hebephrenen nur wenig letztere ubertrifft. Die
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622
Joseph Reis.
Leistungen der einzelnen Versuchspersonen sind bei den Gesunden
und Hebephrenen wesentlich gleichartiger als bei den Paralytikem.
Der Abstand der geringsten von der besten zweitMgigen Durchschnitts-
leistung ist am groBten bei den Paralytikem, bei weitem geringer und
nahezu einander gleich bei den beiden anderen Gruppen.
Tabelle XV.
Minimum
Maximum
48,5
40,2
Differenz
Gesunde
21,0
27,5
Hebephrene
8,2
32,0
Paralytiker
16,2
74,6
58,3
Noch deutlicher wird dieser Unterschied, wenn wir nicht die Durch-
schnittswerthe, sondem die bei Einzelversuchen erhaltenen Additions-
zahlen mit einander vergleichen, wobei sich dann Unterschiede der
beiden Grenzleistungen von 30, 39, 70 Additionen ergeben. Wah-
rend namlich 4 Paraljrtiker hinter der geringsten Leistung der Ge-
sunden zuriickbleiben, ist die von P. auBerordentlich gut und tiber-
ragt noch weit die beste Leistung der Gesunden. Diese Thatsache
muss wohl darauf zuriickgefiihrt werden, dass P. durch seine lang-
jahrige Thatigkeit als Kaufmann eine besondere Fertigkeit im Rechnen
erworben hatte, und dass das feste Gefiige dieser Associationen durch
den Krankheitsprocess noch wenig gelockert war. Von den Hebe-
phrenen bleibt H. bei dieser Aufgabe weit hinter den letzten Gesun-
den und auch Paralytikem zuruck, wahrend die iibrigen eine ziemlich
gleichmaBig gute Leistung aufweisen. Die nachste Tabelle giebt einen
Ueberblick uber die Gmppirung der Versuchspersonen.
Tabelle XVI.
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10
11 1 12
13
ujis
Gesunde U
A 1
1
E
0 J
Hebephrene ' |
G
C|
F
H
Paralytiker P
il
1
B
S
T m!
' 1
Digitized by
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesuiiden und Geisteskranken. 623
Ebenso wie beim Vergleich der Mittelwerthe der einzelnen Ver-
suchspersonen eine groBere Ungleichheit in den Leistungen der Para-
lytiker zu erkennen war, kommt sie hier, wenngleich in bescheidenem
MaBe, auch beim Vergleich der in verschiedenen Versuchen einer ein-
zelnen Person erhaltenen Additionszahlen zum Ausdruck. Wir finden
bei den Gesunden Differenzen bis zu 8, bei den Hebephrenen bis zu
11, bei den Paralytikem bis zu 13 Additionen. Die GroBe der M.V.
ist in Tabelle XIV sowohl fiir die Leistungen jeder einzelnen Ver-
suchsperson, als auch im Durchschnitt angegeben. Sie ist am groBten
bei den Paralytikem, am kleinsten bei den Gesunden; im Ganzen
sind die Unterschiede, wie auch die GroBe der M.V. nur gering ist,
wenig betrachtlich.
Wahrend der Losung dieser Aufgabe wurde nach je 10 Addi-
tionen die Anzahl der gebrauchten Secunden notirt, um hierdurch
ein MaB fiir die Schnelligkeit des Ablaufes der Associationen wahrend
der verschiedenen Stadien des Versuchs zu erhalten. Die Division der
Secundenzahl durch die Zahl der ausgefuhrten Additionen ergab die
Additionszeit. Dieselbe wurde jeweils fiir die ersten 10 Additionen
und fiir die iibrigen wahrend des Versuchs ausgefiihrten besonders
berechnet. Ich wollte durch Vergleich der auf diese Weise erhaltenen
Zahlenwerthe ein Urtheil dariiber gewinnen, in wiefem die mit dem
Fortschreiten der Aufgabe zunehmende Schwierigkeit derselben bei
den 3 Gruppen von Versuchspersonen die Additionszeit beeinflussten.
Eine weitere Gliederung des Versuchs war nicht moglich, weil bei
einer Anzahl von Versuchspersonen nur wenig mehr als 10 Addi-
tionen ausgefiihrt wurden. Tabelle XVIL giebt eine Gegeniiberstel-
lung der Additionszeiten. Dieselbe ist bei den ersten 10 Additionen
am kleinsten bei den Gesunden; die der Paralytiker ist in Folge der
guten Leistungen von N. und P. nur wenig groBer; dagegen ist die
Durchschnittszahl der Hebephrenen viel langer in Folge der voUstandig
aus dem Rahmen der iibrigen herausfallenden Leistung H.'s. Dabei
ist das Verhaltniss wohl etwas zu Ungunsten der Gesunden und zu
Gunsten der Paralytiker verschoben, ersteres in Folge des schon oben
angefiihrten Grundes, dass hier meist nur 2 Versuche vorliegen. Bei
letzteren wurde einige Male in Folge des gleichzeitigen Nachschreibens
und der Beobachtung der Uhr vergessen, die Zeit zu notiren; dieses
Versehen fand gerade bei einigen Versuchen des ersten Tages statt,
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624
Joseph Reis.
Tabelle XVH.
(M. Z. Mittlere Additionszeit in Seconden.)
M. Z.
fur 1.-
—10. Addition.
M.Z. fur
Rest
Versuchs- j
personen
1.
2.
3.
4. Durchschnitt
I
Durchschnitt
i
A. 1
1,2
0,9
0,8
0,9
0,95
1,70
© E.
1,7
1,2
1,45
2,27
1 J-
2,6
2,7
1,5
1,6
2,10
3,54
(S
0.
2,0
2,3
2,15
5,50
U.
0,7
0,9
0,80
1,35
Gnippe
1
1,49
2,87
s
c.
1,3
1,4
1,6
1,2
1,37
1,89
1
F.
1,3
1,1
1,8
0,9
1,27
1,99
f
G.
0,9
1,1
1,0
0,8
0,95
1,67
»
H.
8,6
6,7
7,5
6,6
7,35
Gruppe
2,73
1,85
M.
1,7
1,7
1,70
3,44
Si
N.
—
0,9
0,7
0,9
0,83
2,21
!
P.
0,6
0,6
0,6
0,5
0,58
0,86
R
—
2,5
2,2
1,8
2,17
3,03
S.
3,2
2,3
1,9
1,4
2,20
3,80
T.
4,4
2,3
1,7
2,0
2,60
3,40
Gruppe
1,68
2,79
80 dass bei der Berechnung einige der langeren Additionszeiten nicht
in Betracht kamen. Denn es lasst sich hier, wie aus den einzelnen
Zahlen hervorgeht, fast bei alien Personen eine Verkurzimg der Addi-
tionszeiten durch die Uebung erkennen. Die Dauer des Restes der
Additionen ubertrifft diejenige der ersten, wie dies zu erwarten war,
bei Gesunden und Paralytikem, bei letzteren in etwas geringerem
MaBe, verringert sich jedoch bei den Hebephrenen. Diese Uber-
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesuiiden uad Geisteskranken. 625
raschende Thatsache erklart sich dadurch, dass bei den Kranken nur
die besten eine groBere Anzahl Additionen lieferten. So kommt der
gerade die langsten Additionszeiten aufweisende Hebephrene H. nur
bei den ersten Additionen in Betracht. Die Verlangerung der Ad-
ditionszeit fur den Rest wird auch hier deutlich, wenn bei den ersten
Additionen auch nur C, F. und G. beriicksichtigt werden; es ergiebt
sich dann eine Verlangerung von 0,65 Secunden fur den Rest. Auch
bei den Paralytikem bleiben zuletzt nur diejenigen mit besonders
guten Leistungen iibrig, wahrend bei den Gesunden alle, auch die
schlechter arbeitenden mehr Additionen zu Stande brachten und so-
mit den Durchschnitt verschlechterten.
Urn auch iiber die Gute der geleisteten Arbeit ein Urtheil zu
gewinnen, wurde die Zahl der jeweils begangenen Fehler bestimmt
(Tabelle XIV). Dabei wurde jede Zahl, bei welcher die Differenz
von der vorhergehenden nicht + 7 betrug, als Fehler gerechnet. Die
durchschnittlich begangene Fehlerzahl betragt bei den Gesunden 9,5 "/o,
bei den Hebephrenen 13,5 %» bei den Paralytikem 5,7% der jeweils
von den Einzelnen ausgefuhrten Additionen; die groBte Zahl findet
sich in den 3 Gruppen bei 0. mit 27,6; bei H. mit 45,1; bei M. mit
13,6% falschen Additionen. Wir haben also hier die auffallende
Thatsache vor uns, dass die Paralytiker durchschnittlich am wenigsten
Fehler machten. Auf die Ursache dieser Erscheinung ist schon oben
hingewiesen, sie ist in der besonders groBen Uebung einiger Paraly-
tiker gerade in dieser Thatigkeit begriindet. Die schlechte Stellung
der Gesunden ist durch die besonders minderwerthige Leistung O.'s
bedingt, bei welchem sich die Fehler trotz der geringen Geschwindig-
keit der Additionen sehr hauften. Er machte fast immer den gleichen
Fehler, 3 + 7 = 9 zu addiren. Auffallend schlecht ist die Leistung
des Hebephrenen H., entsprechend dem quantitativen Ausfall dieser
Aufgabe. Man hatte dabei immer den Eindruck, als ob H. iiber-
haupt nicht rechnete, sondem nur einzelne im Gedachtniss haftende
Zahlen aufsagte, andere uberspringend, z. B. 7, 14, 24, 35; 7, 24, 28,
35; 7, 14, 21, 35 u. s. w. Er erschien iiberaus gleichgiiltig gegen die
Aufgabe. Bei den Paralytikem kam es hier und da vor, dass ein-
zelne Zahlen wahrend der Ausfuhrung der folgenden Additionen
wiederholt wurden, was jedoch bei der Berechnung der Fehler auBer
Acht bleiben musste. Bei den Gesunden und Paralytikem sank am
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626
Joseph Reis.
zweiten Tage die durchschnittliche Fehlerzahl, wahrend sie bei den
Hebephrenen gleich blieb.
b. Addiren mit 12.
Ganz ahnliche Resultate wie beim Addiren mit 7 ergeben sich
bei dieser Aufgabe.
Tabelle XVm.
(A. Anzahl der Additionen, F. absolute Fehlerzahl, M. A. Mittlere Anzahl der
Additionen, M. F. mittlere Fehlerzahl).
I. Tag
n. Tag.
1.
Versuch
2.
Versuch
3.
Versuch
4.
Versuch
Versuchg-
personen
A.
F.
A. F.
1
A. F.
A.
F.
M.A.
M.F.
M.V. 0/,
A.
29
0
39 ' 0
41
0
39
0
37,0
0
4,0 10,8
^
E.
24
1
33 ' 1
28,5
1,0
4,5 15,8
J.
17
1
16 0
21
0
20
0
18,5
0,2
2,0 10,8
s
0.
18
8
17 ' 2
17,5
5,0
0,5 2,9
U.
28
0
28 0
28,0
0
0,0 0,0
Gruppen-
durchschnitt
23,2
2
26,6
0,6
31,0
0
29,5
0
25,9
1,2
2,2 8,1
s
C.
35
6
24
4
26
6
21
3
26,5
4,7
4,2 16,0
J
F.
17
0
24
0
23
0
27
2
22,2
0,5
3,2 14,2
1 ! G.
30
0
28
2
35
0
37
0
32,5
0
3,5 10,8
W H.
8
4
9
4
9
4
9
23,5
1
1,5
8,7
3,3
0,4 4,6
Gruppen-
durchsohnitt
«..
2,5
21,3
2,5
23,2
2,5
22,6
2,2
2,8 11,4
M.
10
3
12
1
17 1 2
14
0
13,2
1.5
2,2 17,0
&
N.
24
0
23
0
28 ' 0
24
0
24,2
0
1,4 5,6
J4
P.
47
0
49
0
53 1 0
58
0
51,2
0
3,8 7,3
1
R.
13
2
12
2 ' 10 4
Il3
0
12,0
2,0
1,0 9,3
S.
13
3
12
1 13 ' 1
'13
1
12,7 1,5
0,4 3,2
T.
19
1
19
0 21
0
24
0
20,7 1 0
1,3 5,6
Gnippen-
durchschnitt
21,0 1,5
1 1
21,2
0,7
23,6 1,2
24,3; 0,2
1
22,3
0,9
1,7 8,5
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Ueber einfAche psycholog:ische Versnche ad Gesunden iind Geisteskranken. 627
Auch hier stehen die aus alien Versuchen bcFechneten Gruppen-
durchschnittswerthe einander auBerordentlich nahe. Die Gesunden
stehen an der Spitze; die kleinste Zahl von Additionen findet sich bei
den Paralytikern. Dabei miissen wir beriicksichtigen, dass das Fehlen
weiterer Versuche am zweiten Versuchstage bei 3 Gesunden den
Durchschnitt im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen etwas be-
eintrachtigt. Die Durchschnittsleistungen am ersten Versuchstage be-
laufen sich bei den 3 Gruppen auf 25,1; 21,9; 21,1 Additionen. Am
zweiten Tage kommt bei den Hebephrenen ein Zuwachs von 1,4, bei
den Paralytikern von 2,8 Additionen hinzu, wahrend die Zunahme
bei den beiden Gesunden durchschnittlich 5 Additionen betragt.
Die mittleren Leistungen der einzelnen Versuchspersonen sind am
gleichartigsten bei den Gesunden; bei den Hebephrenen weicht nur
eine Person sehr von dem Durchschnittswerthe ab, wahrend die Para-
lytiker recht verschiedenartige Leistungen aufzuweisen haben. Die
mittlere Schwankungsbreite ist in der Gruppe der Paralytiker fast
doppelt so groB wie bei den Gesunden, von welchen die Hebephrenen
in dieser Hinsicht nur wenig abweichen.
Gesunde Hebephrene Paralytiker
M.S. dz 6,3 (24,4%) ±7,0(30,97o) ± 10,3 (46,1 o/o).
Die Differenz der besten und geringsten Durchschnittsleistungen ist
bei Gesunden und Hebephrenen nahezu gleich, weit groBer bei den
Paralytikern.
Tabelle XIX.
Minimum Maximum
Differenz
Gesunde
17,5
37
19,5
Hebephrene
8,7
32,6
23,8
Paralytiker
12,0
51,2
39,2
Auch hier wird dieser Unterschied noch deutlicher beim Vergleich der
in den einzelnen Versuchen erhaltenen Additionszahlen, wo die Grenz-
leistungen um 25, 29, 48 Additionen differiren. 3 Hebephrene und
3 Paralytiker fallen mit ihrer Leistung in die Breite der Gesunden;
P. ragt wieder durch die beste Leistung unter alien Versuchspersonen
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628
Joseph Reis.
hervor; am schlechtesten ist die Leistung H.'s ausgef alien. Folgende
Tabelle giebt einen Ueberblick liber die Reihenfolge der Versuchs-
personen.
Tabelle XX.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Gesunde
A
G
E
U
T
F
J
0
M
B
S
H
Hebephrene
Paralytiker
P
^
N
In den Einzelversuehen jeder Versuchsperson finden sich Unter-
schiede bis zu 12, 14, 11 Additionen bei den 3 Gruppen. Die hier
festzustellende groBere UngleichmaBigkeit bei den Gesunden ist eine
Folge des groBeren Uebungszuwachses. Die mittlere Variation der
Einzelversuche ist im Mittel am kleinsten bei den Gesunden, nahezu
gleich bei den Paralytikem, etwas groBer bei den Hebephrenen (Ta-
beUe XVni).
In gleicher Weise wie bei den Additionen mit 7 wurde bei dieser
Aufgabe fur die ersten 10 und fiir den Rest der Additionen die Ad-
ditionszeit gesondert berechnet. Tabelle XXI giebt den Ueberblick
iiber die dabei gewonnenen Werthe.
Die Additionszeit fiir die ersten 10 Additionen ist bei Gesunden
und Paralytikem gleich, bei den Hebephrenen wieder in Folge der min-
derwerthigen Leistung von H. betrachtlich langer. Die kiiraeste durch-
schnittliche Additionszeit findet sich bei den Paralytikem P. und N.
Die Durchschnittsdauer der ubrigen Additionen ubertrifft die 10 ersten
bei Gesunden und Paralytikem, steigt bei den letzteren nahezu auf
das Dreifache. Die Verkiirzung der Durchschnittszeit bei den Hebe-
phrenen ist wieder durch den Wegfall der Leistung H.'s bedingt;
lasst man ihn auch bei den ersten 10 Additionen auBer Betracht, so
verlangert sich die Additionszeit der Hebephrenen fiir den Rest um
0,82 Secunden. Wahrend bei den ersten Additionen sich nur ein
einziger Paralytiker nicht vollig in den Rahmen der Gesunden fiigt,
hat die mit dem GroBerwerden der Zahlen zunehmende Schwierigkeit
der Aufgabe die Folge, dass 15 Paralytiker vollig aus diesem Rahmen
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Ueber einfache psycbologiscbe Versncbe an Gesunden und Geisteskranken. 629
Tabelle XXI.
(M. Z. mittlere Additionszeit in Secunden.)
M. Z. fiir 1.— 10. Addition
M. Z. fiir
Best
Versuchs-
persohen
1. 2. 3. 4.
Durch-
schnitt
1,15
1,65
2,66
3,05
2,00
Durch-
schnitt.
1,83
2,35
4,17
3,93
2,22
o
A.
E.
J.
0.
U.
1,1 1,1 1,1 0,9
1.8 1,5
3,6 3,0 1,4 —
3,5 2,6
1.9 2,1
Gruppe
2,10
2,90
1
c.
F.
G.
H.
1,2 1,3 2,0 2,7
3,1 1,8 2,2 1,5
1,1 1,2 1,2 1,0
7,5 6,7 6,7 6,6
1,80
2,15
1,12
6,87
2,54
2,82
2,17
Gruppe
'I
2,98
2,51
t
1
M.
N.
P.
R.
S.
T. .
1
- 1,4 2,6
- 1,3 1,1 1,0
1,3 1,0 1,1 0,8
3,5 3,6 4,8 2,7
5,2 - 3,1 3,3
2,1 2,0 1,5 1,8
2,00
1,10
1,05
3,65
2,90
1,85
7,27
3,24
1,13
1,75
7,13
3,86
5,73
1
Gruppe
2,09
herausf alien; bei zwei weiteren ist die Verlangerung der Additionszeit
ebenfalls betrachtlicher als bei den Ubrigen Versuchspersonen, sogar
bei N., der fiir die ersten Additionen die zweitkiirzeste Additionszeit
aufweisen konnte.
Die Zahl der jeweils begangenen Fehler ist in Tabelle XVJJLl
angegeben. Jede Zahl, deren Abstand von der vorher genannten
nicht + 1 2 betrug, wurde als Fehler gerechnet. Die durchschnittlich
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630 Joseph Reis.
gemachten Fehler betragen bei den 3 Gruppen 6,7; 14,4; 6,8% <ier
jeweils im Mittel von den Einzelnen ausgefiihrten Additionen. Die
groBte Fehlerzahl mit 28,6% '^Ut bei den Gesunden auf O., wahrend
der nachste nur noch 3,5 7o Fehler aufweist. O. wurde nnr durch
den Hebephrenen H. mit 37,4 7o iibertroffen. Die guten Leistungen
von N. und P. heben den Durchschnitt der Paralytiker, unter wel-
chen R. mit 16,7% die qualitativ schlechteste Leistung aufweist.
Die Losung der Aufgabe, zu 12 fortlaufend 12 zu addiren, war
im Ganzen etwas schwieriger als die Addition von 7, wenn der Unter-
schied bei der haufigen Anwendung der Zahl 12 und ihrer Vielfachen
im gewohnlichen Leben auch gerade nicht bedeutend ist. Bei der
Stellung der Aufgaben war der Unterschied in der Schwierigkeit der-
selben nicht ins Auge gefasst worden, aber der Ausfall der Versuche
lasst es angebracht erscheinen, denselben etwas naher zu beleuchten.
Die Zahl der ausgefiihrten Rechnungen ist im Durchschnitt fiir die
Additionen mit 12 bei den 3 Gruppen lun 6,3; 6,6; 8,6 kleiner, als
bei den Additionen mit 7. Das Verhaltniss der Gruppen hat sich
dabei etwas verschoben. Wahrend sich die Leistungen bei 7 wie
100:90,6:96,0 verhalten, ergiebt sich bei 12 ein Verhaltniss von
100 : 87,2 : 86,1. Die in Folge der groBeren Schwierigkeit der Auf-
gabe eingetretene EinbuBe ist bei den Kranken groBer als bei den
Gesunden. Namentlich die Paralytiker lassen dies erkennen, bei ihnen
ubertrifft der Verlust denjenigen der Hebephrenen bedeutend. Bei
alien Gesunden ist das Sinken der Leistung festzustellen. Dasselbe
ist bei U. unerklarter Weise recht bedeutend, wahrend es bei den
ubrigen nur in bescheidenem MaBe auftritt. Der Verlust bei den
Hebephrenen ist ziemlich gleichmaBig; nur H. mit seiner auBerst ge-
ringen Leistung zeigt keine weitere Verschlechterung. Bei den Para-
lytikem vertheilt sich die EinbuBe auf alle mit Ausnahme von T.
bei welchem sich die Leistung auf gleicher Hohe halt.
Der Vergleich der Additionszeiten in den verschiedenen Theilen
des Versuchs zeigt uns femer, dass die Dauer sowohl der ersten 10
wie der iibrigen Additionen mit 12 diejenige der Additionen mit 7
ubertrifft. Bei den ersten Rechnungen lasst sich ein durchgreifender
Unterschied zwischen den 3 Gruppen nicht feststellen, wahrend fiir
den Rest der Additionen die Verlangerung bei den Gesunden sehr
gering, bei den Hebephrenen etwas groBer, bei den Paralytikem so
bedeutend ist, dass sie mehr als das Doppelte der Dauer der ent-
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Ueber einfache psycboiogische Versucbe an Gesuiiden und Geisteskranken. 631
Tabelle XXH.
(M. A. mittlere Anzahl der Additionen, M. Z. mittlere AddiUonszeit in
Secunden.)
M. A
M. Z.
fiir 1.— 10. Add.
M. Z. fiir Rest.
Versuchs-
personen
Diff.zw. 7u. 12
Diff. zw. 7 u. 12
Diff. zw. 7 u. 12
A.
- 2,7
+ 0,20
+ 0,13
^ i E.
- 1,5
+ 0,20
+ 0,08
CJ
J.
- 2,5
+ 0,56
+0,63
s
0.
- 4,5
+ 0,90
-1,57
U.
-20,5
+ 1,20
+ 0,87
Gruppen-
durchschnitt
1 - 6,3
+ 0,61
+ 0,03
§ ' C-
- 8,0
+ 0,43
+ 0,65
1
P.
-11,6
+ 0,88
+ 0,83
1"
G.
- 8,0
+ 0,17
+ 0,50
w
H.
+ 0,5
— 0,48
Gruppen-
durchschnitt
- 6,6
+ 0,25
+ 0,66
M.
- 3,0
+ 0,30
+ 3,83
g
N.
- 9,8
+ 0,27
+ 1.03
^
P.
-23,3
+ 0,47
+ 0,28
1
R.
- 8,2
+ 1,48
+ 8,73
S.
- 7,5
+ 0,70
+ 3,33
T.
+ 0,7
-0,75
+ 0,46
Gruppen- ■
dnrchschnitt
- 8,6
+ 0,41
+ 2,94
sprechenden Additionen mit 7 betragt. Es geht also hieraus hervor,
dass die oben festgestellte groBere EinbuBe der Additionsleistung mit
1 2 bei den Hebephrenen imd insbesondere den Faralytikem auf Kosten
der langeren Dauer der letzten Additionen zu setzen ist, demnach
die AusfUhmng dieser den Kranken unyerhaltnissmaBig groBere
Schwierigkeit bot, als dies bei den ersten 10 Additionen der Pall war.
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632 Joseph Reis.
Der Vergleich der qualitativen Ergebnisse bei den Additions-
reihen lasst kein6 weiteren Schlusse zu.
Fassen wir die Ergebnisse dieser Additionsversuche kurz zu-
sammen, so ergiebt sich: Die Durchschnittsleistungen der 3 Gruppen
stehen einander sehr nahe; die Gesunden uberragen etwas die Kran-
ken. Die fruhere Beschaftigung ist von groBem Einfluss auf die Lei-
stung. Daher finden sich bei den Paralytikem noch bessere Einzel-
leistungen als bei den Gesunden; andererseits bleibt iiber die Halfte
hinter dem schlechtesten Gesunden zuriick. Die Hebephrenen weisen
neben mittleren eine sehr minderwerthige Leistung auf. Die Lei-
stungen der verschiedenen Paralytiker differiren mehr als diejenigen
der Gesunden und Hebephrenen. In den Einzelversuchen der Kran-
ken besteht eine etwas groBere UngleichmaBigkeit als bei den Ge-
sunden. Die durchschnittliche Dauer der ersten 10 Additionen ist
geringer als diejenige der ubrigen eines Versuches. Die Additions-
zeit fur 12 ist groBer als die fur 7 ; sie iibertrifft diese bei den Kranken,
insbesondere den Paralytikem in hoherem Grade als bei den Ge-
sunden, und zwar auf Kosten der letzten Additionen. Mit wachsen-
der Sfehwierigkeit der Aufgabe sinkt also die Leistung bei den Kran-
ken, namentlich bei den Paralytikem, starker als bei den Gesunden.
IV. Aufz&hlen von Vorstellungen.
Wie oben schon erwahnt, wurde in anderen Versuchen den
Versuchspersonen die Aufgabe gestellt, Vorstellungen eines bestimm-
ten Begriffsgebietes aufzuzahlen. Um diese Aufgabe ganz eindeutig
und verstandlich zu gestalten, wurden die Versuchspersonen aufge-
fordert, moglichst viele bekannte Thiere zu nennen. Diese Gruppe
von Vorstellungen hatte einerseits einen nicht zu beschrankten Um-
fang, hot aber andererseits immerhin auch geniigend groBe Schwierig-
keiten, wenn die Versuchspersonen den gegebenen Zeitraum von
10 Minuten vollstslndig ausfiillen wollten. Die aufgezEhlten Vor-
stellungen wurden nachgeschrieben; dabei wurde jede halbe Minute
durch ein Zeichen markirt. In dieser Weise wurde der Versuch an
zwei aufeinanderfolgenden Tagen ausgefuhrt. Der Gesunde A. nahm
nicht daran Theil, da er in Folge seiner hoheren Bildungsstufe auf
diesem Gebiete sicherlich keine vergleichbaren Resultate geboten hatte.
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Oeber einfache psyebologische Versnche an^Gesimden und Geisteskranken. 633
Die Zahl der an beiden Versuchstagen aufgezahlten Vorstellungen
ist in Tabelle XXIII angefiihrt. Berechnen wir die Durchschnitts-
leistungen aus alien vorliegenden Versuchen, so stehen die Gesimden
Tabelle XXm.
(V. Z. Zahl der Vorstellungen, W. Zahl der Wiederholungen).
I. Tag
n.Tag
Durchschnitt des
I. u. n. Tages
Versuchs-
personen
V.Z.
W.
V.Z.-W.
V.Z.
W. V.Z.-W.
V.Z.
W.
V.Z.-W.
^
E.
J.
0.
U.
(56
56
45
67
1
2
1
0
55)
54
44
67
62
70
41
80
1
2
1
3
61
68
40
77
59
63
43
73,5
1
2
1
1,5
58
61
42
72
Gruppen-
durchschnitt
56
1
55
63,3
1,7
61,6
59,7
1,3
58,4
i
C. 74
D. 26
F. 52
G. 57
H. 56
7
0
4
1
1
67
26
48
56
55
85
26
44
87
53
5
3
2
4
3
80
23
42
83
50
79,5
26
48
72
54,5
6
1,5
3
2,5
2
73,5
24,5
45
69,5
52,5
Gnippen-
durchschnitt
53
2,6
50,4
59
3,4
55,6
56
3
53
u
1
M.
N.
P.
R.
S.
T.
57
74
69
29
116
33
3
10
5
39
0
53
71
59
24
77
33
75
88
53
25
92
31
7
2
3
3
14
0
68
86
50
22
78
31
66
81
61
27
104
32
5,5
2,5
6,5
4
26,5
0
60,5
78,5
54,5
23
77,5
32
Gruppen- j ««
durchschnitt
10,2 i 52,8
1
60,7
4,8
55,9
61,8
7,5
54,3
in der Mitte, die Hebephrenen am tiefsten, die Paralytiker an der
Spitze. Im Ganzen betragt der Unterschied jedoch nur 5,8 Vor-
stellungen zwischen Paralytikem und Hebephrenen. Am ersten Ver-
Kraepelia, Piycliolog. Arbeiteo. II.
42
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634
Joseph Rpis.
suchstage lieferten die Gesunden 7, die Hebephrenen 10 Vor-
stellungen im Durchschnitt weniger als die Paralytiker; am zweiten
Tage dagegen iibertrafen die Gesunden Hebephrene und Paralytiker
um 4,5 und 2,8 Vorstellungen. Beim Vergleiche dieser Zahlen ist
allerdings zU bemerken, dass von E. nur ein brauchbarer Versuch
vom zweiten Tag vorliegt. Er glaubte namlich, sich am ersten Tage
auf die Aufzahlung von Saugethieren beschranken zu miissen, so dass
er nur einc weit geringere Zahl von Vorstellungen nannte. Am
zweiten Tage deckte sich aber diese Zahl nahezu mit der Durch-
schnittsleistung der Gesunden. Wir diirfen daher wohl annehmen,
dass durch den Ausfall seiner Leistung die Durchschnittswerthe des
ersten Versuchstages nicht wesentlich geandert worden waren. Der
Vorsprung der Paralytiker am ersten Tage ist recht bedeutend; am
zweiten Tage wird er durch eine Zunahme der Leistung der Gesun-
den um 7,3, der Hebephrenen um 6 Vorstellungen und eine Abnabme
der Paralytiker um 2,3 ausgeglichen.
Indessen ist auch die bcssere Stellung der Paralytiker am ersten
Tage und die hierdurch bedingte hohe Durchschnittsleistung nur
scheinbar. Betracliten wir namlich den Inhalt der angefiihrten Vor-
stellungen, so fallt auf, dass einzelne derselben im gleichen Versuche
mehrmals wiederkehren, namentlich bei den Paralytikem, bei denen
bis zu 39 Wiederholungen vorkoramen. Bei den Gesunden betragt
die hochste Zahl der vorkommenden Wiederholungen 3, bei den He-
bephrenen 7. Tabelle XXTV giebt eine Uebersicht uber die Haufig-
keit der Wiederkehr derselben Vorstellungen.
Tabelle XXIV.
Vorstellungen wurden
wiederholt
bei 4 Gesunden
Imal
11
2Tnal
0
3nial
4mal
0
bei 5 He))ephrenen
24
2
4
0
0
bei 6 Paralytikem
68
2
1
Besonders groB ist die Zahl der Wiederholungen bei den Para-
lytikem am ersten Versuchstage. Auch bei den Hebephrenen finden
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Ueber einfache psychologisrhe Versiiche an Gesnnden and Geisteskranken. 635
sich an beiden Versuchstagen mehr Wiederholungen, als bei den Ge-
sunden. Bringen wir die wiederholt genannten Vorstellungen in Ab-
zug, so treten die Gesunden an beiden Tagen an die Spitze; die
Hebephrenen bleiben nur wenig hinter den Paralytikem zuriick. Die
Zunahme der Leistungen vom ersten zum zweiten Tage betragt 12,0;
10,3; 5,7 7o bei den 3 Klassen. Zwei psychische Momente miissen
wohl zur Erklarung der Haufung der Wiederholungen bei den Kran-
ken, insbesondere den Paralytikem, herangezogen werden, einerseits
die Gedachtnissschwache , andererseits bei Einzelnen eine gewisse in
Rededrang sich kundgebende motorische Erregung. Erstere allein
geniigt nicht zur Erklarung der hier gefundenen Thatsache. Denn
bei T., bei welchem sowohl auf diesem wie auf anderen untersuchten
G^bieten der psychischen Thatigkeit der Einfluss der Krankheit un-
verkennbar ist, finden sich gar keine Wiederholungen, und gerade
dieser Kranke zeigte ein auBerst apathisches und gedriicktes Wesen.
Andererseits finden sich bei P. recht zahlreiche Wiederholungen,
wahrend sonst bei ihm noch keine starkere Abnahme der psychischen
Leistungsfahigkeit nachweisbar war. Bei C. und namentlich bei S.
war die motorische Erregung wahrend der Versuche deutlich wahr-
nehmbar.
Die Leistungen der Gesunden waren viel gleichmiiBiger, als die-
jenigen der Kranken, wie das Verhalten der mittleren Schwankungs-
breite erkennen lasst, die fiir den Durchschnitt der beiden Tage in
Tabelle XXV angegeben ist.
Tabclle XXV.
M. S. (einschlieBlich
der "Wiederholungen)
1
4 Gesunde
i
5 Hebephrene ' 6 Paralytiker
db 15,8 (28,20/o) , ±21,8 (35,30/o)
±8,6 (14,40/,)
± 8,2 (l4,00/o)
M. S. (ohne Wieder-
holungen)
±14,9 (28,1 o/o) I ±17,9 (32,90/o)
Wir finden bei den Kranken einerseits Leistungen, welche den
normalen entsprechen, sie zum Theil noch Uberragen, andererseits
solche, die hinter der schlechtesten Leistung der Gesunden weit zu-
42*
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636
Joseph Reis.
riickbleiben. Polgende Tabelle giebt den Unterschied zwischen der
groBten und kleinsten zweitagigen Durchschnittsleistung.
Tabelle XXVI.
j Gesunde
Hebephrene
Paralytiker
Differenz von Max. und
Min. (einschlieBlich der
Wiederholungen)
i
30.5
53,5
81,0
Differenz von Max. und
Min. (ohne Wieder-
holungen)
30,0
49,0
55,5
Beriicksichtigen wir femer die in einzelnen Versuchen erhaltenen
Vorstellungszahlen, so steigen die in der Tabelle angegebenen Zahlen
noch, bei den Kranken in etwas starkerem Grade als bei den Ge-
sunden. Diese TJngleichheit ist aber nicht etwa die Folge der am
zweiten Versuchstag eingetretenen Besserung der Leistung, die ja ge-
rade bei den Gesunden mit 12% einen hoheren Grad erreichte.
Tabelle XXVII.
! Gesundd
Hebephrene
Paralytiker
Differenz der beaten und schlech-
testen Einzelleistunff (einschlieB-
lich Wiederholungen)
39
Gl
91
Differenz der besten und schlech-
testen Einzelleistung (ohne Wie-
derholungen)
37
60
64
Die Kranken N., S. und 0. Ubertrafen in den Durchschnitts-
leistungen (nach Abzug der Wiederholungen) noch den besten G^-
sunden; T., D., R. blieben dagegen weit hinter den Normal werthen
zuriick. Tabelle XXVIII giebt die Uebersicht iiber die Beihenfolge
der Versuchspersonen.
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Oeber eiiifache psychologische Versuche ao Gesunden und Geisteskranken. 637
Tabelle XXVIH.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Gesundo
1
U.
G.
J.
E.
P.
H.
F.
0.
T.
D.
R.
Hebephrene
C.
Paralytiker
N.
s.
M.
Von den am ersten Tage genannten Vorstellungen kehrt natur-
gemaB ein groBer TheU am zweiten Tage wieder. Tabelle XXIX
giebt in der ersten Colonne die Zahl der beiden Versuchen gemein-
samen Vorstellungen und das Procentverhaltniss dieser zu der Zahl
der im Durchschnitt an einem Tage genannten Vorstellungen nach
Abrechnung der Wiederholungen. Die groBte Zahl von Vorstellungen
kehrt bei den Gesunden am zweiten Tage wieder, 9,1 bezw. 13,9%
der Gesammtleistung mehr als bei den Hebephrenen und Paralytikem.
Es findet sich also die groBte Constanz der Vorstellungen bei den
Gesunden. Bei den Kranken ist sie geringer; bei den Paralytikem
erreicht sogar keiner die untere Grenze der Gesunden.
Weiterhin ist die Zahl der am zweiten Versuchstage neu genannten
Vorstellungen von Interesse. Tabelle XXTX giebt die Zahl derselben
an und stellt sie den am ersten Tage genannten Vorstellungen gegen-
iiber. Wiederholungen sind dabei selbstverstandlich auBer Rechnung
geblieben. Der Vergleich dieser Werthe ergiebt, dass die Anzahl der
am zweiten Tage neu auftauchenden Vorstellungen am geringsten bei
den Gesunden, am groBten bei den Paralytikem ist. Die Summe der
am ersten Tage genannten verschiedenen Vorstellungen und der am
zweiten neu auftretenden entspricht der GroBe des Vorstellungs-
schatzes, uber welchen die Versuchspersonen auf dem untersuchten
Gebiete verfiigen. Wie sich der procentuale Antheil an diesem Werth
auf die beiden Versuchstage vertheilt, ist ebenfalls in Tabelle XXIX
dargestellt. Ein Verhaltniss von 100 : 98,9 : 94,3 am ersten, ein sol-
ches von 100 : 103,8 : 121,4 am zweiten Tage giebt der Verschieden-
heit in den 3 Gmppen der Versuchspersonen Ausdmck. Die Bereit-
schaft der Vorstellungen ist bei den Kranken, namentlich den Paraly-
tikem, geringer als bei den Gesunden, welche einen groBeren Theil des
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638
Joseph Reis.
Tabelle XXIX.
Versuchs-
personen
Wiederkehrende
Vorstellungen
Verschiedenc
Vorstellungen
am I. Tage
Neue verschie-
dene Vorstel-
lui^en am
ILTage
Verschie-
dene Vor-
stellungen an
beidenTagen
1
0. 1
U.j
47 (83,40/o)
35 (83,3 o/o)
55 (76,4 o/o)
54 (72,00/o)
44 (89,80/o)
67 (75,30/0)
21 (28,00/o)
5 (10,20/o)
22 (24,7 0/0)
75
49
89
Gruppen- ,
durchschnitt
45,7 (81,00/o)
55 (-9,00/0)
16 (210/0)
71
1
1
c.
D.
F.
G.
H.
36 (48,90/o)
22 (89,80/o)
40 (88,80/o)
44 (63,40/o}
36 (68,50/0)
57 (60,40/0)
26 (96,3 0/0)
48 (96,0 0/0)
56 (58,8 0/0)
55 (79,70/0)
44 (39,6Vo)
1 (3,70/0)
2 (4,00/o)
39 (41,2o/o)
14 (20,30/0)
101
27
50
95
69
Grruppcn-
durchschnitt
35,6 (71,90/0)
50,4 (78,20/o)
20 (21,80/o)
68,4
1
M.
N.
P.
R.
S.
T.
37 (61,20/o)
56 (71,30/o)
40 (73,40/0)
16 (69,50/o)
50 (64,50/o)
20 (62,50/0)
53 (63,1 0/0)
71 (70,30/o)
59 (85,50/o)
24 (80,00/o)
76 (73,1 0/0)
33 (75,00/o)
31 (36,90/o)
30 (29,70/,)
10 (14,50/o)
6 (20,00/J
28 (26,90/o)
11 (25,00/o)
84
101
69
30
104
44
Gru]
durch
flchnitt
36,5 (67,1 0/0)
52,8 (74,50/0)
19,3 (25,50/o)
72
vorhandenen Vorstellungsschatzes schon am ersten Tage anfUhren.
Die durchschnittliche Gesammtzahl der auf dem bearbeiteten Gebiete
verfiigbaren verschiedenen Vorstellungen weist merkwurdiger Weise
kaum Unterschiede bei den 3 Gruppen auf; die Paralytiker iiber-
treffen sogar die Gesunden um 1, die Hebephrenen um 3,6 Vorstel-
lungen. Hier diirfte der Bildungsgrad der Versuchspersonen eine
erhebliche RoUe spielen, doch scheint bei unseren Kranken im all-
gemeinen jedenfalls kein sehr groBer Verlust von Vorstellungen statt-
gefunden zu haben. Deutlich erkennbar ist ein solcher nur bei D.
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Ueber eiiirnehe psycbologische Versuche an Gesiiuden uiid Geisteskraiikeu. 639
und B-. ; vielleicht kann auch bei T. davon die Rede sein. Die Kran-
ken C, N., S. iibertreffen den besten Gesunden. Die groBere Un-
gleichheit in den Leistungen der Kranken kommt auch hier im Ver-
halten der mittleren Schwankungsbreite zum Ausdruck.
Gesunde Hebephrene Paralytiker
M.S. ±14,7(20,7%) ±23,9 (34,2 o/o) ± 24,3 (33,8 «/o)-
Die oben festgestellte geringere Bereitschaft der Vorstellungen
bei den Kranken wird bestatigt, wenn wir den zeitlichen Verlauf des
Versuchs betrachten. Die folgende Tabelle giebt die Zahl der in
jeder Minute durchschnittlich aufgezahlten Vorstellungen wieder.
Stellen wir uns diese Zahlenreihen fur jede Gruppe durch eine Curve
dar, so ist der Verlauf derselben im GroBen und Ganzen ziemlich
gleichartig. Der Gipfel derselben fallt jedesmal in den ersten Zeit-
abschnitt. Derselbe liegt bei den Gesunden am hochsten ; die Curve
sinkt im zweiten Abschnitt rasch ab, um nach einer kleinen Erhebung
im achten Zeitabschnitt den tiefsten Stand zu erreichen. In den
letzten Minuten steigt dieselbe noch einmal etwas an. Bei den Hebe-
phrenen liegt der Gipfel der Curve etwas tiefer, der Abfall im zweiten
Abschnitt ist weniger steil ; wahrend des nachsten Abschnitts halt sie
sich ungefahr auf gleicher Hohe, so dass sie iiber der Curve der Ge-
sunden verlauft. Dann fallt sie gleichmaBig langsam bis zum Schlusse
ab, nur im letzten Abschnitt einen geringen Anstieg zeigend. Die
Curve der Paralytiker beginnt noch tiefer; der Abfall im zweiten
Zeitabschnitt ist flach, so dass hier die Curve der Hebephrenen, im
nachsten auch diejenige der Gesunden gekreuzt wird. Dann verlauft
sie fast durchweg, nur einmal durch die Erhohung bei den Gesunden
im 4. Abschnitt iiberragt, iiber den beiden andern; der allmahliche
Abfall wird durch einen deutlichen Anstieg in der 0. und 7. Minute
unterbrochen. Erst im letzten Abschnitt sinkt die Curve etwas unter
die Hohe der Gesunden. Wahrend der Zahl der in der ersten Ver-
suchshalfte genannten Vorstellungen ein Verhaltniss von 100:85,5:87,8
bei den Gruppen entspricht, verhalten sich die in der zweiten Halfte
genannten wie 100 : 108,8 : 141,1. Also auch dies ist der Ausdruck
einer geringeren Bereitschaft der Vorstellungen bei den Paralytikern.
Bei den Hebephrenen ist diese Schwerfalligkeit weniger ausgepragt,
aber doch deutlich erkennbar. Auch bei der Betrachtung kleinerer
Zeitabschnitte wird dieses Verhalten sichtbar.
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640
Joseph Reis.
Tabelle XXX.
Versuchs- ,, Minute 1
pereonen '
2
3
4
5 6
I
7 8
9
10
1
E. 20
13
7
6
2
2
1
0
5
6
J. 17
0. 14,5
9,5
5,5
7
6,5
6
6
3.5
2,5
3
4
4,5
4,5
4
2,6
2
2,5
0
3,5
4,5
U. 20,5
8,5
5
11
7
6
3,5
1,5
6
Gruppen-
durchschnitt
17,7 ■ 8,6
1
6,3
7,0
5,1
3,7
2,4
2,0
3,7
4,4
i
f
1
C.
19
9
8
9
6,5
5,5
7,5
7
4,5
3,5
1,5
D.
11
1
6,5
8,5
2
1,5
1,5
0
0
1
F.
17
8
11
2
2
6
0,5
7,5
1,5
7
3
7,5
1,5
0,5
1
5
G.
16,5
6
4
5,5
H.
8,5
10
7
8,5
4,5
6,5
4
0,5
2,5
2,7
Gruppen- ^^g
durchschnitt '
7,8
7,2
4,7
4,5
4,3
4,0
3,8
2,4
t
1
M.
N.
12,5
11
6
9
7,5
7
3,5
3,5
6
4,5
2,5
3,5
15
10
14,5
7
5
0,5
7
7,5
4
3,5
5,5
P.
17,5
8,5
9,5
5
0,5
6
2,5
6
1
2,5
R.
11,5
4,5
1,5
10,5
0,5
3
1,5
12
0
2
10,5
1,5
S.
15,5
11,5
5
'
16 S,5
5,5
T.
4
5,5 : 5,5 2,5
4 i 0,5
4
Gru]
durch
1
schnitt; ^^^^
8,4
7,9
5,8
4,7
5,6
6,3
4,5
4,1
3.3
Bei den gesimden Versuchspersonen fallt die Hohe der Leistimg
durchweg in die erste Minute. Bei den Hebephrenen und ParaJytikeni
macht je eine Person hiervon eine Ausnahme; bei mehreren derselben
wird jedoch die Anfangsleistung im Laufe des Versuchs nahezu wieder
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Ueber einfache psyehoiogiscbe Versuche an Gesunden and Geisteskranken. 641
erreicht, wahrend bei den Gesunden der Abstand von dieser immer
recht betrachtlich bleibt. Ob die bei alien Gesunden und wenigen
Kranken gegen Schluss des Versuchs eintretende Besserung der Lei-
stung Folge eines Schlussantriebes ist, mochte ich nach diesen Ver-
suchen nicht entscheiden.
Die Art und Weise, wie die gegebene Aufgabe von den einzelnen
Versuchspersonen gelost wurde, war recht verschieden. Die einen
zahlten der Reihe nach die einer bestimmten Classe angehorigen
Thiere auf, um sich dann einer anderen zuzuwenden; andere gingen
regellos von einer Gruppe zur anderen iiber, bald aus dieser, l)ald
aus jener einzelne Namen nennend, durch zufallig sich. ergebende
Vorstellungsverbindungen geleitet. Die sinnliche Deutlichkeit der
Vorstellungsbilder spielte jedenfalls eine recht verschiedene EoUe;
der Kranke S. beispielsweise schien sich auf der Jagd zu sehen und
nannte zunachst alle jagdbaren Thiere. Aehnliche Beobachtungen
konnten wiederholt gemacht werden. Ein Abspringen von der ge-
gebenen Aufgabe fand bei keiner Versuchsperson statt, so dass Vor-
stellungen eines anderen Gebietes nicht vorkamen. Nur der Para-
lytiker M. zahlte einmal »Meerfrau« und »Mohr« mit auf, was durch
die bei ihm deutlich nachwei8l)are Urtheilsschwache erklart wird. Die
Kranken R. und T. kniipften manchmal an einzelne Vorstellungen
kurze Bemerkungen, die durch friihere Erlebnisse bedingt waren oder
auf die sie sonst beherrschenden G^danken Bezug nahmen. Der Name
Kuckuck z. B. veranlasste T. zur Bemerkung: »wenn's doch schon
Fruhling war'.« Bei der Wahl der Vorstellungsgruppe war ja be-
sonders darauf Riicksicht genommen, die Aufgabe moglichst eindeutig
und bestimmt zu gestalten. Mit einigen Versuchspersonen wurden
ahnliche Versuche noch auf einem anderen Gebiete durchgefiihrt, das
viel weniger umschrieben war. Hier war dann auch die Leistung
recht verschieden. Da aber in Folge auBerer Umstande mit unseren
Versuchspersonen nur noch wenige Versuche ausgefUhrt werden konn-
ten, soil hier von einer Mittheilung derselben abgesehen werden.
Jedenfalls ist die Moglichkeit gegeben, durch Ausdehnung und Wie-
derholung solcher Versuche, durch die Wahl geeigneter Gruppen von
Vorstellungen ein Urtheil iiber die Gestaltung des Vorstellungsschatzes
zu erhalten.
Eine Zusammenfassung der hier gefundenen Thatsachen ergiebt
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642 Joseph Reis.
folgendes: Bei der Aufgabe, bekannte Thiere aufzuzahlen, nennen
die Gesunden im Durchschnitt eine etwas groBere Zahl als die Kran-
ken. Dieses Ergebniss kann verdeckt sein durch das wiederholte
Auftreten derselben Vorstellungen im gleichen Versuche, eine Erschei-
nung, die namentlich bei den Paralytikern, aber auch bei den Hebe-
phrenen in hoherem Grade auftritt als bei den Gesunden. Die Lei-
stungen sind in der Gruppe der Gesunden gleichmaBiger, als bei den
Kranken, insbesondere den Paralytikern. Die Constanz der Vor-
stellungen ist am groBten bei den Gesunden, am geringsten bei den
Paralytikern. Der zeitliche Verlauf eines Versuchs sowie die Zahl
der am zweiten Tage neu auftauchenden Vorstellungen lassen eine
groBere Bereitschaft des Vorstellungsschatzes bei den Gesunden er-
kennen; die Hebephrenen iibertreffen auch hierin die Paralytiker.
Der Umfang des Vorstellungsschatzes bietet bei den 3 Classen keinen
merklichen Unterschied dar; nur 3 Kranke zeigen eine EinbuBe. In
der Art der Losung der Aufgabe machen sich personliche Unter-
schiede bemerkbar.
V. Wiedergabe eingelernter Vorstellungsreihen.
Die gewahlten Vorstellungsreihen waren, wie oben angegeben,
das Alphabet und die Zahlenreihe von 1 — 50.
a. Alphabet.
Die beim Aufsagen des Alphabets erhaltenen Ergebnisse finden
sich in Tabelle XXXI. Einige Versuchspersonen konnten das Al-
phabet nicht fehlerlos aufsagen. Die Fehler, die wahrend des Ver-
suchs notirt wurden, und auf die wir noch zuriickkommen werden,
sind von verschiedener Bedeutung. Bei den Paralytikern M. und R.
hauften sich dieselben jedoch so sehr, dass die angegebene Zeit nicht
thatsachlich zum Aufsagen des Alphabets verbraucht wurde, sondem
nur den Zeitpunkt angiebt, zu welchem die Versuchspersonen den
Versuch abbrachen , also wohl sut)jectiv die Ansicht von der Beendi-
gun^ ihrer Aufgabe gehabt haben.
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Deber einfache psycbologische Versiiche an Gesunden und Geisteskranken.
Tabelle XXXI.
643
(D. Versuchsdauer in Secunden, F. absolute Fehlerzahl ; M. D. mittlere Versuchs-
dauer, M. F. mittlere Fehlerzahl).
I. Tag
n.
Tag
1.
Vereuch
2.
Versuch
3.
Versuch
4.
Versuch
Versuchs-
personen
Id-
1
F. j D.
F.
D.
F.
D.
F.
M.D.
M.F.
M.V
• •/«
A.
4,0
0 5,2
0
1
4,6
0
0,6
13,0
^
E.
6,0
2 8,2
2
7,1
2
1,1
15,5
J.
5,2
0 5,2
0
6
0
5,2 0
5,4
0
0,2
4,6
i
0.
6,0
0 ; 5,4
0
5,7
0
0,3
5,2
U.
l.,2
0
9,2
0
10,2
0
1,0
9,6
Gruppen-
durchschnitt
6,5
0,4
6,6
0,4
■ i
6,5
0,3
0,6
9,6
§ c.
9,0
1 |10,2
1
11,0
2
11,6
4
10,4
2
0,8
7,7
£ ' F.
12,0
0
10,0
0
11,0
0
9,6
0
10,7
0
0,9
8,4
f i «•
'8,8
0
9,0
0
6,8
0
6,0
0
7,7
0
1,3
18,2
W 1 H. ^
16,4
0
15,2
0
21,4
2
17,4
0
17,6
0,5
1,9
10,8
Gnippen-
durchschnitt
11,6
0,3
11,1
0,2
12,5
1
11,2 1
11,6
0,6
1,2
11,3
M.
:}2,o
8 23,6
7
32,0
7
37,0
OO
31,5
3,9
12,2
N.
5,8
0
6,6
0
7,6
0
6,0
0
6,5
0
0,6
10,0
P.
7,2
0
6,8
0
8,2
0
6,8
0
7,7
0
0,7
9,1
R.
21,2
OO
43,0
OO
64,0
7
24,0
OO
38,1
15,2
39,9
Q^
S.
5,0
0 7,8
0
4,0
0
6,0
0
5,7
0
1,2
21,0
T.
1
23,0
1 28,6
1
2
10,2
1
20,6
1
22,9
1,2
2,9
12,9
Gruppen-
durchschnitt
15,7
19,4
22,5
16,7
18,7
4,1
17,5
Die aus alien vorliegenden Versuchen berechnete Versuchsdauer
ist bei den Hebephrenen nahezu doppelt, bei den Paralytikem fast
dreimal so groB wie bei den Gesunden. Wahrend wir von alien
Kranken vier Versuche haben, sind von den meisten Gesunden aller-
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644
Joseph Reis.
dings nur zwei vorhanden. Aber die Leistungen der Kranken am
zweiten Tage unterscheiden sich von denjenigen des ersten nicht
wesentlich — jedenfalls liegt keine Aenderung im Sinne einer Bes-
serung vor — , so dass wir, da nnter den gegebenen Umstanden eine
erhebliche Uebung schwerlich erwartet werden darf, ohne weiteres
auch die an einem einzelnen Tage gewonnenen Werthe zum Vergleiche
heranziehen konnen. Die zum Aufsagen des Alphabets nothigen
Durchschnittszeiten verhalten sich* wie 100 : 178,4 : 287,7. Es fallen
hierbei die schlechten Leistungen der Paralytiker M. und R. beson-
ders ins Gewicht. Aber selbst wenn wir die Versuche dieser beiden
bei der Berechnung der Durchschnittsdauer aus oben besprochenem
Gnmde auBer Acht lieBen, ware dieselbe noch derjenigen der Hebe-
phrenen gleich. Auch bei dieser Aufgabe sind die Unterschiede zwi-
schen den Leistungen der einzelnen Gesunden und Hebephrenen viel
geringer als bei den Paralytikem. Ausdruck hierfiir ist das Ver-
halten der mittleren Schwankungsbreite.
Gesunde Hebephi-ene Paralytiker
M.S. ±1,6(24,00/,) dr3,0(25,9o/„) dz 12,1 (65,0 o/o).
Bleiben auch hier M. und R. unberiicksichtigt, so verringert sich
die M. S. der Paralytiker auf ± 5,6 oder 52,4% der dann sich ergeben-
den Durchschnittsdauer. Der Abstand der jeweils kiirzesten imd
langsten Versuche in Secunden wird in Tabelle XXXII angegeben.
Tabelle XXXU.
Gesunde
Hebephrene
Mininium
Maximum
Differenz
4,6
10,2
5,6
9,9
17,6
38,1
Paralytiker
5,7
32,4
Auch hier wird bei Betrachtung der Ergebnisse von Einzelversuchen
der Unterschied zwischen den Grenzleistungen , namentlich bei den
Paralytikem, groBer. Er betragt 7,2; 15,4; 60 Secunden in den drei
Classen von Versuchspersonen. Die Halfte der Paralytiker imd ein
Hebephrener ubertreffen noch den an letzter Stelle stehenden G^
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Ueber einfache psychologische Versiiche an Gesiinden und Geisteskranken. 645
sunden, welcher allerdings erst in bedeutendem Abstande den voran-
gehenden nachfolgt. Die iibrigen Hebephrenen schlieBen sich zum
Theil unmittelbar diesem an; nur einer zeigt eine bedeutendere Ver-
langerung der Versuchsdauer. Die schlechtesten Leistungen finden
wir bei den Paralytikem, wahrend diese andererseits noch recht gute
Leistungen aufzuweisen haben. Tabelle XXXIII giebt die Reihen-
folge der nach der Versuchsdauer gruppirten Versuchspersonen.
Tabelle XXXIII.
1 2
3 4
5
6
7
8
9
10
11
12
13 14
15
Gesunde
A.
J.
0.
E.
T
u!
C.
F.
H.
T.
M.
R.
Hel>ephrene
^•
Paralytiker
S.
N.
Ebenso, wie der Vergleich der Leistungen der verschiedenen
Versuchspersonen unter einander die groBte UngleichmaBigkeit bei
den Paralytikem ergeben hat, geht aus dem Ausfall der Einzelver-
suche jeder Versuchsperson eine groBere Schwankung der Leistungs-
fahigkeit bei dieser Aufgabe fiir die Paralytiker gegeniiber den Ge-
sunden hervor. Die Hebephrenen stehen auch hier in der Mitte,
aber naher den Gresunden. Die GroBe der Streuung ist in Ta-
belle XXXI angegeben.
Als Fehler wurde jede unrichtige Reihenfolge zweier Buchstaben
betrachtet, eine Berechnung, bei welcher die Resultate den thatsach-
hchen Verhaltnissen allerdings nicht vollstandig entsprechen, da hierbei
die Art der Fehler nicht beriicksichtigt werden konnte. 4 Gesunde,
2 Hebephrene und 3 Paralytiker sagten das Alphabet fehlerlos auf
(Tabelle XXXI). Die mittlere Fehlerzahl ist bei den Hebephrenen
doppelt so groB wie bei den Gesunden; bei den Paralytikem ist es
nicht moghch, eine Durchschnittszahl zu berechnen, da ja einige der-
selben das Alphabet nicht mehr vollig aufsagen konnten. Die von E.
und 0. gemachten Fehler sind ungefahr gleich. Der Erstere endigt das
Alphabet mit ...0 — QR — XYZ undQ — K — XYZ, der Andere
mit ...QR-XYZ, ...S-XYZ, ... QR- F — W— V -XYZ,
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646 Joseph Reis.
...QR — F — VWXYZ, nachdem Beide den groBeren TheU des-
selben richtig aufgesagt haben. H. flicht einmal einen Buchstaben
an falscher Stelle ein ...Q — V — RS Die von T. gemachten
Fehler bestehen immer in Auslassungen einzelner Buchstaben, dreimal
des U; einmal springt er von Q auf X uber. Bei M. iind R. haufen
sich Auslassungen und Wiederholungen. Beide sagen meist in nahezu
richtiger Reihenfolge das Alphabet bis zu einer bestimmten Stelle auf,
um dann den Faden zu verlieren, frisch zu beginnen oder die letzten
Buchstaben zu wiederholen, ohne dabei den Zweck zu erreichen. R.
endigt meist mit ... YJ, M. mit ... XLZ. Nur in je einem Versuche
bestand bei Beiden das GefUhl, ihre Aufgabe nicht ganz gelost zu
haben. (R. sagte: »Ich komm' nicht mehr draus heraus.*)
b. Zahlenreihe 1 — 50.
Das Aufsagen der Zahlenreihe erwies sich bei alien Versuchs-
personen als die bei weitem leichtere Aufgabe, indem sie von Allen,
auch den Kranken, ohne Fehler gelost wurde. Dieses Ergebniss er-
klart sich ja sehr leicht daraus, dass die Zahlenreihe in Folge des
taglichen Gebrauchs besonders stark fixirt ist. Die Zeit, welche
das Aufsagen der Zahlenreihe von 1 — 50 durchschnittlich erfor-
derte, ist in Tabelle XXXTV angegeben. Die Zahlen sind in
gleicher Weise wie frUher durch Berechnung des arithmetischen Mit-
tels aus alien Versuchen gewonnen. Auch hier liegen wieder von
den Kranken mehr Versuche als von den Gesunden vor; die Ver-
suche der beiden Tage lassen keinen Unterschied erkennen. Die
Durchschm'ttsdauer des Zahlens ist bei den Kranken ungefahr um ein
Drittel langer als bei den Gesimden. Die beiden Classen der Kranken
verhalten sich nahezu gleich. Aber auch bei dieser Aufgabe ist die
Abweichung vom Gruppenmittel bei den Paralytikem groBer aJs bei
Gesunden und Hebephrenen. Bei letzteren beiden Gruppen ist die
mittlere Schwankungsbreite nahezu gleich groB, im Verhaltniss zur
Versuchsdauer aber bei den Hebeplirenen geringer.
Gesunde Hebephrene Paralytiker
M.S. ± 6,2 f31,40/„) dz 5,9 (18,6 o/^) =b 12,0 (38,6 «/o).
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Uebfr einfacbe psycbolof^isebr Versucbe an Gesiinden und Geistfskranken. 647
Tabelle XXXIV.
I. Tag
n. Tapr
Versuchs- 1.
personen 1' Versuch
2.
Versuch
3. , 4.
Versuch i Versuch
M.D.
M.V. o/o
A.
1 J-
$ 0.
1^'
14,6
10,0
18,6
24,4
30,0
12,2
11,8
22,0
22,4
31,0
20,0
11,4
13,4
10,9
21,0
23,4
30,5
1,2 9,0
0,9 8,3
1,2 5,7
1,0 4,2
0,5 1,6
Gruppen- -q^
durchschnitt ^^'^
19,9
19,7 1,0 5,8
f
C. 19,8
F. ,. 28,0
G. 38,0
H. . 39,8
20,6
27,2
33,6
42,6
23,8
32,0
35,2
40,0
21,2
29,0
33,8
39,4
22,7
29,1
35,2
40,2
2,2 9,7
1,2 4,1
1,5 4,1
0,9 2,4
dS^chSiU| *1'* ^^'*
32,7
30,9
31,8
1,5 5,9
g
j5
M.
N.
P.
R.
S.
T.
27,0
19,2
19,8
39,0
13,6
1 52,0
1
31,4
26,4
16,0
33,8
20,8
83,0
35,2
41,2
20,4
15,0
34,0
18,8
45,0
30,6
23,0
15,0
37,6
20,8
58,4
31,0
33,2 , 5,5 16,6
22,5 3,4 15,1
16,2 1,3 8,0
36,1 2,2 6,1
18.5 , 2,5 13,3
59.6 j 11,8 19,7
1
Gruj
durch
>pen-
achnitt
, 28,3
31,1
4,1 13,1
Der Abstand der extremen Leistungen in jeder Gruppe ist in
Tabelle XXXV angegeben.
Beriicksichtigen wir die Einzelversuche, so vergroBert sich dieser
Abstand um 1,4; 5,3; 26 Secunden in den 3 Gruppen. Auch hier
befindet sich die Durchsclmittsleistung der Hailfte der Kranken inner-
halb der Gesundheitsbreite. Gleichwie bei der vorhergehenden Auf-
gabe stehen einige Paralytiker nur wenig hinter den an erster Stelle
befindlichen Gesunden zurtick; andererseits zeigen sie zum Theil eine
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648
Joseph Reis.
Tabelle XXXV.
Minimum
Maximum
Differenz
Q^sunde
10,9
30,5
19,6
Hebephrene
22,7
40,2
17,5
Paralytiker
16,2
59,6
43,4
erhebliche Verschlechterung, bis zu einem Grade der von den Hebe-
phrenen nicht erreicht wird. Diese letzteren bioten alle eine gleich-
maBigere Verlangerung des nothigen Zeitraumss dar, so dass die
besten nur der mittleren Gruppe der Paralytiker gleichstehen. Einen
Ueberblick iiber die Reihenfolge der Versuchspersonen bei dieser Auf-
gabe giebt die nachste Tabelle.
Tabelle XXXVI.
1
1
2
3
4
5
6
7 8
9
10
11
12
13
14
15
Gesunde
E.
A.
..;
0.
U.
Hebephrene !'
-- - -
1
!
C.
F.
G.
H.
Paralytiker
P. S.
N.
i
1
M.
R.
T.
Die einzelnen Versuche zeigen bei Gesunden und Hebephrenen
die gleiche Streuung (Tabelle XXXIV) ; bei den Paralytikem ist
sie gleichfalls wieder Ausdruck einer groBeren Schwankung in der
Leistungsfahigkeit der Einzelnen.
Der Vergleich der beim Aufsagen des Alphabets und der Zahlen-
reihe erhaltenen Ergebnisse lasst wohl noch einige weitere Schlusse
zu. Wahrend sich dort die zeitlichen Durchschnittswerthe fiir die
drei Gruppen wie 100 : 175,0 : 186,4 verhalten, ergiebt sich hier ein
entsprechendes Verhaltniss von 100 : 160,1 : 156,6. Die Verlangerung
dort ist also, namentlich bei den Paralytikem, unverhaltnissmaBig
groBer. Wir gehen also wohl nicht fehl in der Annahme, dass die-
selbe in erster Linie nicht die Folge einer Verlangsamung der Sprech-
geschwindigkeit ist, sei es nun der centralen Auslosung der Sprach-
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(Jeber einfache psychologische Versuche an Gesunden nnd Geisteskrankcn. 649
bewegungen, sei es des Ablaufs der Muskelbewegungen selbst, son-
dem durch die Erschwerung des associativen Vorganges bedingt wird.
Aphasische Storungen kamen ja, wie friiher schon erortert, in be-
deutenderem MaBe nicht vor. Dieselben batten ihren Einfluss bei
dem Aufsagen der Zahlenreihe jedenfalls in gleichem oder hoherem
Grade geltend machen miissen als beim Alphabet. Fur die Erschwe-
rung des associativen Vorganges bei letzterem sprach schon der quali-
tative Ausfall der Versuche. Gerade die bei dieser Aufgabe neben
den meisten Fehlem die langste Versuchsdauer aufweisenden Para-
lytiker M. und R. zeigen beim Aufsagen der Zahlenreihe nur eine
ganz geringe Verlangerung, bezw. sogar eine Verkiirzung der Versuchs-
zeit trotz der an und fiir sich langere Zeit in Anspruch nehmenden
Aufgabe. Neben dieser Erschwerung der associativen Verbindung
mag auch die Verlangsamung der Sprechgeschwindigkeit eine gewisse
Rolle spielen. Bei T. ist vielleicht die erhebhche Verlangerung der
Versuchsdauer beim Aufsagen der Zahlenreihe zum Theil dadurch be-
dingt gewesen.
Ein Ueberblick iiber die festgestellten Ergebnisse zeigt kurz
Folgendes: Bei den Aufgaben, das Alphabet und die Zahlenreihe
von 1 — 50 aufzusagen, bleibt die Halfte der Kranken hinter dem
schlechtesten Gesunden zuriick. Die mittlere Leistung ist bei den
Kranken deuthch niedriger; beim Aufsagen des Alphabets stehen die
Paralytiker noch weit hinter den Hebephrenen zuriick. Der qualita-
tive Ausfall ist bei ihnen auch erhebUch schlechter. Die Hebephrenen
zeigen keine sehr niedrigen, aber auch keine allzu hohen Zahlen fiir
die Versuchsdauer, dagegen eine gleichmaBige Verschiebung der Scala
nach oben. Bei den Paralytikem kommen neben anscheinend nor-
malen sehr stark verschlechterte Leistungen vor; wir finden eine stark
verbreiterte Stufenleiter. Die einzelnen Paralytiker zeigen groBere
Schwankungen in ihren Leistungen als die Gesunden und die hierin
diesen gleichenden Hebephrenen. Das Alphabet bietet, besonders den
Paralytikem, groBere Schwierigkeit als die Zahlenreilie.
Kraepelin, Psych olftg. Arbeiten. II. 43
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650
Joseph Reis.
YI. ZeitmessiiBgeB.
Die von Romer*) beschriebenen Apparate gaben die Moglichkeit,
die sonst schwer ausfuhrbaren psychischen Zeitmessungen auch mit
Kranken in groBerem Umfange auf verschiedenen Gebieten durch-
zufiihren, ohne dass an die Versuchspersonen irgendwelche bedeu-
tendere Anforderungen bei der Bedienung der Apparate gestellt
wnrden. Wahrend also einerseits keinerlei auBere Umstande die Ver-
suchsanordnung erschwerten oder storten, bot dieselbe andererseits
die Gewahr fiir rasches und sicheres Arbeiten. Die von mir ange-
wandte Versuchsanordnung war in der ganzen Versuchsreihe die, dass
der Reiz mit dem optischen Reizapparat gegeben wurde und die in
den Schallschliissel gesprochene Antwort die Reaction beendigte. Be-
treffs alles Uebrigen muss auf die angefuhrte Arbeit verwiesen wer-
den. Die Brauchbarkeit der Apparate wird wohl durch die nachste
Tabelle illustrirt.
Tabelle XXXVH.
(St. M. Stellungsmittel, M. Z. Mittelzone).
Versuchspersonen Romer's
A. E.
Wortreactionen
St.M.
398 398 448 450
1
416 463
M. Z. 1' 47 49 53 44
45 52
Bucbstabenreactionen
St. M. || 421 375 431 461
463 485
M.Z. li -
67 81
Es sind die in Romer's Arbeit angegebenen Reactionszeiten,
mit einigen in meinen Versuchen gewonnenen Werthen vergKchen.
Die mit A gewonnenen Zahlen, die bei der gleichen Bildungsstufe
desselben mit den Versuchspersonen Rom^^V ohne weiteres ver-
gleichbar sind, reihen sich vollig in diese ein. Die Werthe von E.
sind wenig groBer ausgefallen. Da meine Versuchspersonen zmn
ersten Male derartige Versuclie ausfuhrten, und da die VT'erihe nur
aus je 2 X 25 Reactionen bereclmet sind, die Romer's aus einer
I) Diese Arbeiten, I, S. 50(5.
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Ueber einfache psychologische Versiiche an Gesunden und Geisteskranken. 651
groBeren Anzahl von Zeitmessungen, so sind die Werthe von A. iind
E. im Vergleich zu den iibrigen vielleicht noch etwas zu groB.
Der Gang des Versuchs an einem Versuchstage war folgender:
JederVersuch umfasste 6 verschiedene Reactionsarten, von denen je
25 Reactionen ausgefuhrt wurden. Den Anfang machten Farb-
erkennungsreactionen, wobei der Reiz durch farbige Papptafelchen
gegeben wnrde, welche auf dem optischen Reizapparat aufgesteckt
waren. Die angewandten Farben dienten in verschiedener Reihenfolge
zur Reactionsauslosung; es waren blau, schwarz, roth, griin, weiB,
gelb, Farben, die alien Versuchspersonen gelaufig waren. Es war
nicht moglich, mehr Farbentone anzuwenden, da schon die Be-
nennung von Farben wie grau, braun, lila bedeutendere Schwierig-
keiten machte. Der Zweck dieser Farberkennungsreactionen war in
erster Linie, die Versuchspersonen an die einfache Methodik zu ge-
wohnen. Ihnen folgten 25 Buchstabenreactionen, wobei alle Buch-
staben des Alphabets in willkiirlicher B;eihenfolge als Eeize dienten.
Es wurden, wie auch bei den iibrigen noch zu beschreibenden Ver-
suchen, groBe lateinische Druckbuchstaben angewandt. Die Hohe
der Buchstaben betrug 2 cm, die Entfemung vom Auge ungefahr
1 m. Diesen Reactionen schlossen sich 25 Wortreactionen an; als
Reizworter dienten einsilbige Hauptworter. Weiterhin f olgte die gleiche
Zahl von Rechenreactionen, bei welchen den Versuchspersonen die
Aufgabe gegeben war, zwei den Papptafelchen in arabischen Ziffem
aufgedruckte, durch einen senkrechten Strich getrennte Zahlen zu
addiren und als Reaction die Summe in den Schallschliissel zu sprechen.
Als Summanden dienten die Zahlen 1 — 19, wobei jedoch vermieden
war, dass zwei zweistellige Zahlen addirt werden mussten. Den Schluss
der Versuchsreihe bildeten zwei Serien von je 25 Urtheilsreactionen.
Die Versuchspersonen hatten von einsilbigen Wortem anzugeben, ob
dieselben 1) etwas Lebendes oder Nichtlebendes bezeichneten, 2) ob
sie ihnen ein angenehmes oder unangenehmes GefUhl wachriefen. Die
ganze Versuchsreihe wurde zunachst mit 17 Personen an zwei verschie-
denen Tagen durchgefUhrt. Zwischen den Yersuchen lagen meistens
8 — 10 Tage; es war jedoch nicht moglich, bei alien Versuchspersonen
diesen Zeitraum innezuhalten.
43*
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652
Joseph Rels.
a. Farbreactionen.
Tabelle XXXVin giebt zunachst die bei den Farbreactionen
gewonnenen Werthe. Es ist, wie iiblich, jeweils fur die Reactionen
des ersten und zweiten Tages gesondert das Stellungsmittel festgestellt
und aus diesen beiden Zahlen zur Berechnung des Durchschnitts-
werthes das arithmetische Mittel genommen. Leider konnte die Reac-
tionszeit von G. und P. nur aus den Reactionen des zweiten Ver-
suchstages erhalten werden. Es waren beide die ersten Versuchs-
personen, mit denen Zeitmessungen ausgefUhrt wurden, und da bei
diesen die Versuchsbedingungen noch nicht sicher festgestellt waren,
dienten zur Reizauslosung am ersten Tage mehrere schwer zu er-
kennende Farbtafelchen, die bei den ubrigen Versuchspersonen nicht
mehr zur Verwendung kamen. Die mittlere Reactionszeit ist am
kleinsten in der Gruppe der Glesunden, in den Gruppen der Hebe-
phrenen und Paralytiker um 64 und 123o groBer. Setzen wir die
Tabelle XXXVDI.
Gesunde.
Versuchspersonen
A.
491
E.
475
J.
0.
U.
Ghruppen-
mittel
St.M.
628
602
584
556
I. Tag
M.Z.
F.Z.0/0
— 40)
78
+ 38J
— 62
141
+ 79
— 77
(217
+ 170)
0
— 73)
191
+ I18(
0
;:: ■«
-65
+961 •"
0
8
0 •
l.«
II. Tag
St.M.
487
505
— 67)
137
+ 70
4
592
628
499
542
M.Z.
-i- 36
— 30)
138
+108)
— 36
110
+ 74
+81 j
0
;::t-
F.Z.o/n
0
0
0
0,8
Durch-
schnitt
St. M.
489
490
611
615
541
549
M.Z.
+ 38 1
+ 74
— 53
192
+ 139
0
— 54)
{l50
+ 96)
+78)
F.Z.«V«
0
ti
0
0 1,2
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Ueber einfache psychologische Versiiche an Gesiiiiden und Geisteskranken. 653
Hebephrene.
Versuchspersonen
B.
C.
D.
F.
G.
H.
Gruppen-
mittel
I. Tag
St.M.
719
732
1019
641
622
747
M.Z.
— . 56
162
+106
—127)
0
- 6SL«
>100
+122)
— 45)
|302
+257)
+
82
176
94
- 76
231
+155
F.Z.o/o
0
0
900
8
8
3,2
n.Tag
St.M.
584
592
660
779
— 82)
189
+107
0
613
689
M. Z.
+ 32
;.;:i'»
— 97)
[253
+156)
— 74)
+ 72)
+
>'
+ 96)
F. Z. o/o
0
8
0
4
8
3,3
Durch-
schnitt
St.M.
651
662
983
650
779
617
720
M.Z.
—100)
+ 69)
— 85)
— 83
0
+165)
— 82
189
+107
+
77
- 80
201
+ 121
F. Z. o/o
0
4
6
0
8
3,0
Paralytiker.
Versuchspersonen
M.
N.
p.
R.
s.
T.
Gruppen-
mittel
l.Tag
St.M.
696
693
900
800
973
812
M.Z.
— 50)
+
80 )
::>
— 51
104
+ 53
—144)
481
+337
— 82
297
+215
F.Z.o/o
12
0
0
4
0
1109
3,2
n.Tag
St.M.
662
533
545
826
793
744
— 91)
237
+146)
M.Z.
— 62)
[310
+248)
+
>
—113
210
+ 97)
— 91)
269
+178)
— 79)
—162)
326
+164)
0
F. Z. o/o
12
0
0
0
4
2,7
Durch-
schnitt
St.M.
679
— 56)
.«. 353
+297)
12
+
613
63)
77r«
545
+ 97)
863
796
1041
-153)
403
+250 )
0
756
— 89
260
+171
M.Z.
- 86)
305
+219)
0
- 65
«. 148
+ 87
4
F. Z. o/o
0
0
2,7
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654
Joseph Reis.
Reactionszeit der Gesunden = 100, so betragt diejenige der Hebe-
phrenen 131,15; diejenige der Paralytiker 137,70. Von den fiir die
Gruppen berechneten Mittelwerthen weichen die Reactionszeiten der
einzelnen Versuchspersonen in verschiedenem Grade ab, wie das
Verhalten der mittleren Schwankungsbreite erkennen lasst. (Tabelle
XXXTX.) Dieselbe ist bei den Hebephrenen doppelt, bei den Para-
lytikem nahezu dreimal so groB als bei den Gesunden. Die kiirzeste
und langste Reactionszeit der Letzteren stehen einander viel naher, als
dies bei den Kranken der Fall, wie aus der folgenden Tabelle zu er-
sehen ist. Bei den Paraljrtikem betragt die langste Reactionszeit fast
das Doppelte der kiirzesten.
Tabelle XXXTX.
Gesunde
Hebephrene
Paralytiker
Mittlere Schwankungs-
breite
Differenz der kiirzesten
und langsten Reactions-
zeit
±51(9,3o/o)
120(25,80/o)
± 104 (14,40/o)
±144(19,00/o)
366 (59,3 o/o)
496(91,00/o)
Die Procentzahlen geben an, wie groB die Differenz der gering-
sten und besten Leistung jeweils in Procenten der letzteren ist. Von
den Leistungen der Hebephrenen fallt keine innerhalb der Grenzen
der Reactionszeiten der Gesunden; allerdings schlieBt sich die beste
Leistung ersterer unmittelljar an die schlechteste der Gesunden an.
Auch die drei nachsten folgen in verhaltnissmaBig kurzen Zwischen-
raumen, die zwei ul)rigen jedoch erst in groBem Abstande, wobei
namentlich die letzte, gegeniiber der kiirzesten um mehr als die Halfte
verlangerte Reactionszeit auf fallt. * Von den Reactionszeiten der Para-
lytiker liegen zwei noch innerhalb der Breite der Leistungen der Ge-
sunden; die ubrigen folgen in verschiedenen groBeren Zwischenraumen;
die langste bleibt noch 583 hinter der entsprechenden der Hebe-
phrenen zuriick. Tabelle XL giebt die Reihenfolge der Versuchs-
personen.
Der Durchschnitt der Gesunden wird von keinem Hebephrenen
erreicht, dagegen von einem Paralytiker ubertroffen, allerdings nur
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Deber einfache psychologiscbe Versuche aii Gesiindeii uiid Geisteskraiiken. 655
Tabelle XL.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
U
15
16
D.
17
T.
Gesunde
A.
E.
U.
J.
la
H.
B.
F.
0.
M.
G.
S.
R
Hebephrene
Paralytiker
P.
N.
1
1
um die auBert geringe Zahl von 4 a. Doch da gerade diese Zahl
nur aus 25 Reactionen gewonnen ist, soil ihr kein weiterer Werth bei-
gelegt werden.
In Tabelle XXXVIII ist ferner die GroBe der Mittelzone (M.Z.)
angegeben, d. h. der Abstand der 7. und 19. der nach ihrer GroBe
geordneten Reactionszeiten, wodurch die Streunng derselben in an-
schaulicher Weise dargestellt wird. Die Mittelzone zerfallt in zwei
Abschnitte, welche die Grenzen wiedergeben, innerhalb welcher die
mittleren Werthe sich von dem Stellungsmittel nach unten oder oben
(4^) bewegen. Die Streutog ist am kleinsten bei den Gesunden, am
groBten bei den Paralytikem; namentlich bei den letzten derselben
ist sie recht bedeutend. Im Durchschnitte betragt die GroBe der
Mittelzone 22,9; 29,3; 34,4% der mittleren Reactionszeit jeder Gruppe.
Wie also die mittleren Reactionszeiten am gleichmaBigsten bei den
Gesunden, am verschiedensten bei den Paralytikem sind, haben sich
auch die Reactionen derselben Person am gleichartigsten bei den Ge-
sunden gestaltet, am schwankendsten bei den Paralytikem, wahrend
die Hebephrenen beide Male in der Mitte stehen.
Zur Feststellung der qualitativen Verhaltnisse wurden die Reac-
tionen aller Versuchspersonen auch nach ihrem Inhalte aufgezeichnet.
Die Procentzahl der Fehler ist ebenfalls in Tabelle XXXVIII an-
gegeben. Bei den Kranken finden wir eine groBere Zahl von Fehlern
als bei den Gesunden. E. bezeichnete 2mal blau als griin, Imal
griin als blau. F. bezeichnete 3mal blau als griin; bei H. findet sich
der gleiche Fehler 4mal, bei C. Imal; dieser erklarte auBcrdem Imal
griin fiir gelb. S. bezeichnete blau Imal als grUn, Imal als gelb,
M. 2mal schwarz als grau, 3mal blau als griin, Imal roth als gelb.
Bei den Ubrigen Versuchspersonen waren alle Reactionen richtig.
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656
Joseph Reis.
b. Buchstabenreactionen.
Die Ergebnisse der Zeitmessungen bei den Erkennimgsreactioneii
von Buchstaben finden sich in Tabelle XLI. Die mittiere Reactions-
zeit ist am kleinsten bei den Gesunden, bei den Hebephrenen um 82,
bei den Paralytikem um 180 a langer. Die Zeiten fur die 3 Gruppen
stehen im Verhaltniss von 100 : 113,08 : 128,87. Bei dieser Aufgabe
weichen die mittleren Reactionszeiten der Hebephrenen am wenigsten
vom Gruppenmittel ab; verschiedener sind diejenigen der Gesunden,
am meisten zerstreut die Zeiten der Paralytiker. Die mittiere Schwan-
kungsbreite fur die 3 Gruppen (Tabelle XLII) bestatigt dies. Die
beste und die schlechteste Leistung der Gesunden stehen weiter von
einander ab als die entsprechenden der Hebephrenen. Die Grenz-
werthe der Paralytiker sind jedoch noch durch einen viel groBeren
Zwischenraum getrennt. Die langste Eeactionszeit iibertrifft die kur-
zeste fast um das Dreifache. Die Durchschnittsleistung der Gesunden
Tabelle XLI.
Gesunde.
Versuchspersonen
A.
E.
J.
0.
U.
Gruppen-
mitUI
I. Tag
U.Tag
1|
St. M. 458
487
821
618
855
648
M.Z. ~ ^^} 58
+ 43)
+
'H 88
46)
—121
302
+ 181
20
704
+277
— 25) —156
-".8J
+ 110
F. Z. o/o 0
St. M. 468
8
482
16
8
729
!+ 71
792
-100
193
+ 93
10,4
605
— 38)
627
647
M Z. " '^^l 77
+ 33
+
]6
75
59)
+ 38
F. Z. o/o 0
+
8
484
29
81
52
16
8
St. M. ' 463
762
632
Durch- — 30)
schnitt M.Z. _j_37|6^
— 88 '— 34
312 135
+214) +101
- 55)
I5*i
+ 103)
1 F. Z. •^/o
0
8
lb
12
4
8.4
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesuiideii iind (ieisteskraiiken. 657
Hebephrene.
Versuchspersonen
B.
0.
D.
F.
G.
H.
Gruppen-
mittel
I. Tag
St. M.
768
+190)
643
835
674
802
679
732
M.Z.
+ 81)
— 34)
[ 96
+ 62)
— 40)
. >39
+ 99)
7,;;i'-
+380)
— 67)
221
+154)
F. Z. o/o
12
20
8
4
0
24
11,3
U.Tag
St. M.
M.Z.
650
602
871
602
730
+ 96
654
689
— 68
101
+ 33)
+ 84
+308)
— 19
84
+ 65
;."l-
— 40)
F. Z. o/o
4
0
0
0
8
16
4,-
St. M.
709
622
833
638
776
666
709
Durch-
schnitt
M.Z.
+111)
— 55)
137
+ 82)
-Jh
— 30)
[112
+ 82)
— 50
153
+103)
'jy
- 531
F. Z. 0/,
8
10
4
2
4
20
8,0
Paralytiker.
Versuchspersonen
M.
N.
P.
R.
S.
T.
Gruppcn-
mittel
I. Tag
St. M.
727
582
537
1599
663
905
835
M. Z.
— 68
[400
+332)
-18|
+ 54)
72
- ''\ 36
+ 18
;::i™
- ^^1 99
+ 65)
— 80)
—119)
266
+147)
F.Z.O/,
20
0
0
60
1173
8
8
16,0
11 Tag
Durch-
schnitt
St.M.
M.Z.
763
538
546
702
— 47)
127
+ 80)
951
—102)
578
+476)
779
- 73
251
+178)
— 46j
+ 47)
93
- ^^1 40
+ 14(
-'^^99
+105)
- 80)
_ 230
+150)
6,0
F. Z. o/o
16
0
0
16
0
4
St.M.
M.Z.
745
560
541
1386
682
928
807
11,0
18
— 32
+ 50
82
+ 16l
0
—346
.o^ 535
+ 189
38
+ 72
— 91)
6
F. Z. o/o
0
4
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658
Joseph Reis.
wird von einem Hebephrenen erreicht, von zwei Paralytikern iiber-
troffen.
Tabelle XLU.
Gesunde
Hebephrene
Paralytiker
Mittlerc Schwankungs-
breite
±102(16,30/0)
329 (71,1 o/o)
1
±65 (9,2 o/o)
± 233 (28,90/o)
Differenz dcr kiirzesten
und langsten Reactions-
zeit
211 (33,9 o/o)
845 (156,20/o)
An der Spitze aller Versuchspersonen stehen zwei Gresunde; ihnen
f olgen zwei Paralytiker, dann kurz hinter einander, nach einem weiteren
Gesunden, drei Hebephrene, die ubrigen in wechselnder Reihenfolge.
Den Schluss bilden Versuchspersonen aus alien drei Gruppen; ein
Paralytiker ist allerdings von den vorhergehenden durch den auBerst
groBen Abstand von 460 a getrennt. Auffallend ist die bunt durch-
einander gcwui'felte Reihenfolge, namentUch die groBe Trennung der
Leistungen der Gesunden. Tabelle XLHI giebt eine Uebersicht liber
(he Reihenfolge der Versuchspersonen.
Tabelle XLIII.
, 1
2
3
4
5
6
0.
7
8
9
10
11
12
13
14
U.
15
16
17
Gesunde
a.\e.
i
J.
Hebephrene
c.
F. H.
B.
G.
!d.
Paralytiker
P.
N.
j.
M.
T.
R.
Die Mittelzone (Tabelle XLI) ist am kleinsten bei den Gesunden,
am groBten bei den Paralytikern. Relativ genommen sind allerdings
cUe Unterschiede nicht so betrachthch, indem die Mittelzone 25,2;
27,5; 30,7 «/o der mittleren Reactionszeit jeder Gruppe betragt. Bei
einem Paralytiker zeigen die mittleren Werthe eine geringere Streu-
ung, als dies bei den besten normalen Leistungen der Fall ist, wah-
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Ueber einfacbe psycholoj^ische Versuche aD Gesunden uiid Geisteskranken. 659
rend andererseits die Streuung bei den Paralytikem insgesamt wie-
der am groBten ist.
Bei der Betrachtung der qualitativen Ergebnisse dieser Aufgabe
finden wii* bei Gesunden und Hebephrenen die gleiche Fehlerzahl,
bei den Paralytikem eine etwas groBere. Die falsch bezeichneten
Buchstaben waren bei E. v und y, bei J. c, e, f, v, x, y, bei 0. c,
V, y, bei U. e und x. Bei den Hebephrenen wurden folgende Buch-
staben nicht richtig erkannt: von B. q, u, y, von C. c, i, v, y, von
D. y und z, von F. q, von G. x und y, von U. b, c, f, v, x, y. Die
betreffenden Buchstaben in der Gruppe der Paralytiker waren bei M.
b, c, q, V, X, y, bei R. b, c, d, e, h, k, m, n, o, v, w, x, bei S. o,
T. c, V, X. Hauptsachlich handelt es sich also um die seltener vor-
kommenden Buchstaben c, q, v, x, y, die nicht richtig erkannt worden
sind. Bei den Gesunden kommt auBerdem nur noch einige Male die
Verwechslung von e und f vor, was sich ja leicht aus der angewandten
Schrift erklart. Desgleichen sind es auch bei den Hebephrenen nur
noch wenige Buchstaben, die falsch bezeichnet werden, wahrend bei
den Paralytikem die Zahl eine groBere ist. Bei R erreicht die Fehler-
zahl fast die Halfte der ausgefuhrten Reactionen.
c. Wortreactionen.
Die Ergebnisse der Zeitmessungen bei Wortreactionen finden sich
in Tabelle XLIV. Als Reizworter kamen, wie angegeben, verschiedene
einsilbige Worter zur Anwendung. Die mittlere Reactionszeit ist am
kleinsten bei den Gesunden, am groBten bei den Paralytikem. Die
gefundenen Werthe verhalten sich wie 100 : 125,2 : 144,1. Die Unter-
schiede zwischen den Versuchspersonen jeder Gruppe sind wieder
recht betrachtliche. Wie bei den Buchstabenreactionen zeigen auch
hier alle Hebephrenen eine ziemlich gleichmaBige Verlangerung der
Reactionszeit, so dass die erhaltenen Reactionszeiten einander ziem-
lich nahestehen, im Verbal tniss zur Liinge der Reactionszeit sogar
naher als bei den Gesunden. Bei den Paralytikem dagegen finden
sich wieder bald normale oder kaum verlangerte, bald auBerst lange
Reactionszeiten. Die mittlere Schwankungsbreite (Tabelle XLV) ist
am kleinsten bei den Hebephrenen, am groBten bei den Paralytikem;
die Gesunden stehen in der Mitte. Die Differenz der kiirzesten und
langsten Reactionszeit ubeiirifft bei den Paralytikem dementsprechend
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660
Joseph Reis.
Tabelle XLIV.
6esiinde.
VersuchBpersoiien
A.
* E.
J.
0.
U.
Gnippen-
mittel
LTag
St.M.
401
457
679
599
703
567
M.Z.
-12.
4- 30)
42
- ^*i 44
-h 20
— 38)
136
-f- 98)
^'' 87
+ 43
— 50)
[l25
-f- 75)
8<
+ 53
f:z.o/o
0
0
0
0
0
0
n.Tag
St.M.
M.Z.
431
470
586
559
676
544
- 22
-h 28
50
— 22) ^
60
+ 38)
— 38)
}105
-f- 67)
— 35 _
88
+ 53
-h 66)
- 30
80
^ 50
F.Z.%
0
0
0
0
0
0
Durch-
schnitt
St.M.
416
-17j
-1- 29)
46
463
633
579
690
554
M. Z.
;S»
- 38
120
-h 82
- ^^1 87
-h 48)
-^Sii
— 32
83
4-51)
F. Z. o/o
0
0
0
0
0
0
Hebephreno.
Versuchspersonen
B.
C.
D.
F.
G.
H.
Gruppen-
mittel
LTag
U.Tag
St.M.
836
640
769
629
778
672
721
M.Z.
-'^'1.99
h 68)
— 36 ^
89
4- 53
4- 94)
— 53)
4-37)
90
+
63)
;!:i»
— 60)
M13
4- W)
F.Z.«V,
8
774
8
0
0
0
4
3,3
St. M.
593
771
588
709
603
673
M.Z.
- 50)
[107
-h 57)
— 43)
} 97
4- 54)
— 45)
138
4- 93)
-40
4- 43
83
4-
::i-
- 31)
+ 3«! •"
4- 52)
F. Z. %
4
8
0
0
0
4
2,6
Durch-
schuitt
St. M.
805 616
770
4- 93)
608
743
637
697
M,Z.
— 90
153
4- 63
- ""i 93
4- 53)
— 47
4- 39
86
4-
34
+• 27l
— 53)
+ 52!"^
F.Z.o/0
6
1 '
0 1 0
1
0
4
3.0
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Ueber cinfache psychologische Versuche an Gesunden und Geisteskrankeii. 661
Paralytiker.
Versuchspersonen
M.
N.
P.
R.
S.
T.
Gruppen-
mittel
I. Tag
St.M.
895
083
538
953
798
1014
812
M.Z.
-1-105
— 79
113
+ 34
;::"
—144
197
+ 53
— 92)
200
+1081
—240
321
+ 81)
—116)
[184
+ 68)
F.Z.0/0
16
4
4
16
0
0
6,7
n.Tag
St.M.
818
548
525
1023
880
913
785
M.Z.
—102
212
-f-110
+ 59
- ^^1 62
+ 40(
+132)
[279
+155)
—115
275
+160)
;.:; -
F. Z. 0/0
8
0
0
4
0
0
2,0
Durch-
schnitt
St.M.
852
615
531
988
839
963
800
M.Z.
+107
— 61)
— 20
—119
.« 212
+ 93
—108)
239
+131 1
—172
298
+126)
- "' 188
+ 91
F. Z. 0/0
12
2
2
10
0
0
4,3
diese Werthe der beiden anderen Classen von Versuchspersonen, am
meisten die der Hebephrenen. Der Durchschnitt der Gesunden wird
von keinem Hebephrenen erreicht; der beste derselben weist eine um
54 a langere Reactionszeit auf . Ein Paralytiker ubertrifft die mittlere
Reactionszeit der Gesunden um 23 a.
Tabelle XLV.
Q^sunde
Hebephrene ' Paralytiker
Mittlere Schwankungs-
breite
±74(13,40/,)
±76(10,90/^)
±151 (18,80/o)
Differenz der kiirzesten
und langsten Reactions-
zeit
274(65,90/o)
197(32,40/o)
457(86,10/0)
Die kUrzeste Reactionszeit unter alien Versuchspersonen findet
sich bei zwei Gesunden. Darauf folgt ein Paralytiker und in groBe-
Digitized by
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662
Joseph Reis.
rem Zwischenraum, nachdem noch ein Gesunder sich dazwischen
eingeschoben, ein Hebephrener, wonach in buntem Wechsel sich Ver-
suchspersonen der drei Classen anreihen. VerhaltnissmaBig rasch
folgen die Hebephrenen aufeinander, wahrend die Paralytiker den
Schluss bilden. Die nachste Tabelle veranschaulicht die Reihenfolge.
Tabelle XLVI.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Gesunde
A.
E.
0.
C.
J.
H.
U.
G.
D.
B.
S.
M.
T.
R.
Hebephrene
1
F.
Paralytiker
p.
N.
Die Betrachtung der durchschnittlichen GroBe der Mittebsone
zeigt einen gleichmaBigen Ausfall der Reactionen jedes Gesunden
oder Hebephrenen, eine groBere Streuung der Reactionen des Para-
lytikers. Im Mittel betragt die Streuung 15,0; 15,1 ; 23,5 % der mitt-
leren Reactionszeit jeder Classe. Vier Paralytiker weisen groBere
Werthe auf als alle iibrigen Versuchspersonen.
Bei den Gesunden finden sich bei dieser Aufgabe keine fehler-
haften Reactionen. Bei den Paralytikem ist die Zahl der Fehler
etwas groBer aJs bei den Hebephrenen. Drei von den letzteren haben
ebenfalls alle Worter richtig erkannt. B. las Dram fiir Darm, Kuss
fiir Nuss; die Reaction auf Pacht war falsch, wurde aber wegen un-
deuthcher Aussprache nicht verstanden. C. las Pilz fiir Filz, Wacht
fiir Pacht, Kock fiir Rock, U. Hahn und Rahn fiir Bahn. Unter
den Paralytikem weisen zwei keine Fehler auf. Die falsch gelesenen
Worter bei M. waren PfiU fiir Pfiff, Pfuhl fur Pult (wohl im An-
klang an das vorhergehende Pfiff), Scharf und Schaf fiir Schaft, E
statt Ei; bei N. Rahn fiir Bahn; bei P. Pracht fur Pacht; bei R.
Pilz fiir Filz, Rahn fiir Bahn; auBerdem wurde Pfiff falsch gelesen,
vom Registrirenden aber nicht verstanden. Einzelne Verlesungen
kamen zweimal vor. Unter den falschen Reactionen der Hebephrenen
sind 4 sinnlose und 14 sinnvoUe Worter, unter denen der Paralytiker
7 sinnlose und 19 sinnvoUe, also annahemd bei beiden das gleiche
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Oeber einfache psychologische Versuche an Gesunden und Geistcskranken. 663
Verhaltniss. Die Zahlen sind auch zu klein, um hieraus weitere
Schlusse zu ziehen. Hier und da wurden die Reactionen noch nach-
traglich verbessert, so dass dann die richtige Reaction erfolgte, da
ja das Reizwort nicht sofort wieder aus dem Auge der Versuchs-
person entschwand. Doch wurde hierauf keine weitere Rucksicht ge-
nommen, sondem die Reaction zu den fehlerhaften gerechnet.
d. Rechenreactionen.
Diesen drei Arten.von Erkennungsreactionen schlossen sich Reac-
tionen an, in welchen ausgedehntere psychische Vorgange zu Zeit-
messungen herangezogen wurden. Zunachst folgte die Aufgabe, zwci
der Zahlen 1 — 19 zu addiren. Wie schon erwahnt, war vermieden,
dass zwei zweistellige Zahlen addirt werden mussten. AuBerdem
war darauf Rucksicht genommen, dass bei der Halfte der Additionen
die Summe sich innerhalb desselben Zehners hielt, dem der groBere
Summand angehorte (z. B. 3 + 5 = 8; 13 +- 6 = 19), bei der anderen
Tabello XLVH.
Gesunde.
Versuchs-
personen
A.
E.
J.
0.
U.
Gruppen-
mittel
LTag
St.M.
779
771
1731
1475
1038
1162
M.Z.
— 60
— 50)
206
+156)
-690)
1154
+464
—235
907
+672)
—170)
276
+106)
-241)
547
+306)
F. Z. 0/,
8
4
8
36
0
11,2
ILTag
St.M.
773
713
1332
1186
—135)
937
988
M.Z.
—130 ^^^
225
+ 951
+ 79)
—390
766
+376
— 84
194
-f-110
—150
323
+173
F. Z. o/o
0
0
12
36
0
9,6
Durch-
Bchnitt
St. M.
776
742
1531
1330
987
1071
M.Z.
- f |209
+114|
— 30
—540)
960
+420)
-185 ^^^
630
+445
—127)
-'^^(435
+240(
P. Z. o/o
4
2
10
36
0
10,4
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Google
664
Joseph Reis.
Hebephrene.
Versuchs- || -g
personen ,|
C.
D.
F.
G.
H.
Gruppen-
mitt^l
I. Tag
St. M.
1397
1014
1650
1202
1079
1650
—644)
{923
+279)
1332
—238
540
+302
M.Z.
—100)
491
+391)
— 55)
355
+300)
-*'' 9.5
+501
;;:;!-
- ^^|l39
+ 93)
F. Z. 0/0
12
8
8
20
<
12
1107
16
12,7
n.Tag
St.M.
1358
953
1353
991
1165
1155
+287
M. Z.
;;^»
+1I6|
+452)
—204
309
+105
24
—127
+ 88)
—159)
J 787
+628)
F. Z. o/o
12
4
0
0
20
10,0
Durch-
schnitt
St. M.
1377
983
1501
1096
1093
1407
1243
M. Z.
-"M463
+352
+208
+476
—187
363
+176
— 86)
-*"'i855
+454)
-^«« 493
+293
P. Z. o/o
12
6
4
22
6
18
1
11,3
Paralytiker.
Versuchs-
personen
M.
N.
P.
R.
S.
T.
Ghuppen-
mittel
I. Tag
St.M.
2130
984
+372
4
836
1872
1174
-218)
{372
+154)
1969
1449
-=*««|C97
+331)
M. Z.
;;;:i"«
+148)
—560
829
+269
-"%033
+323)
F.Z.O/,
36
0
20
0
0
10,0
II.Tag
St.M.
1900
995
737
1939
1233
1533
1389
M.Z.
—376)
-^^^]455
+221)
— 47
+ 62
+426)
;;::i-
—409)
920
+511)
+3141
F. Z. o/o
28
0
0
16
0
0
7,3
Durch-
schnitt
St. M.
2015
989
786
1905
1203
1751
1442
M. Z.
1
+627)
—200)
496
+296)
— 82
187
+ 105)
—509)
+349)
+199)
+417)
-''' 654
+332
8,7
F. Z. o/o
32
2
0
18
0
0
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Ueber einfache psychologische Versnche an Gesunden nnd Geisteskranken. 665
Halfte jedoch in den nachst hoheren Zehner fiel (z. B. 6 + 7 = 13;
17 + 9 = 26). Tabelle XLVII giebt die Ergebnisse der Zeitmes-
sungen bei dieser Aufgabe. Die mittlere Reactionszeit ist am kleinsten
bei den Gesunden, am groBten bei den Paralytikem. Die Werthe ver-
halten sich wie 100:115,6:134,6. Auch hier weichen die Leistungen
der einzelnen Hebephrenen am wenigsten von dem fur die Gruppe
festgestellten Mittelwerthe ab ; groBere Verschiedenheit zeigen die Ge-
sunden; am groBten wir4 die Ungleichheit bei den Paralytikem, bei
denen die mittlere Schwankungsbreite (Tabelle XLVIII) mehr als
das Doppelte derjenigen der Hebephrenen betragt. Der Unterschied
der kurzesten und schlechtesten Leistung ist bei diesen geringer als
bei den beiden anderen Gruppen. Bei den Gesunden ist dieser Unter-
schied schon groBer als die kiirzeste Reactionszeit. Der Durchschnitt
der Gesunden wird von einem Hebephrenen und 2 Paraljrtikem iiber-
troffen, und zwar von Ersterem um 88, von Letzteren um 285, bezw. 82 o.
Tabelle XLVm.
1
Gesunde
1
Hebephrene Paralytiker
Mittlere Schwankungs-
breite
±283 (26,4 o/o)
±186(l4,9o/o)
±449 (31,1 o/o)
Difierenz der kiirzesten
und langsten Reactions-
zeit
789 (106,3 o/o)
518 (52,7 o/o)
1229 (156,4 o/o)
Von den zwei besten Leistungen, die Gesunden zugehoren, ist
diejenige des ersten Paralytikers nur wenig verschieden. Die drei
nachsten, je ein Hebephrener, Gesunder und Paralytiker, haben nahezu
Tabelle XLIX.
1 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Gesunde E.
A.
P.
C.
U.
S.
0.
B.
H.
D.
J.
Hebephrene'
IG.IF.
1 1
i !
Paralytiker '
1
N.
T.
R.
M.
K r a e p e 1 i n , Psycbolog. Arbeiten. II.
44
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666 Joseph Reis.
die gleiche Reactionszeit, die allerdings von den vorangehenden durch
einen groBeren Abstand geschieden ist. Die ubrigen Hebephrenen
folgen in kurzen Zwischenraumen. Ein Gesunder bleibt in seiner
Leistung sogar hinter dem letzten Hebephrenen zuriick. Die langste
Reactionszeit weisen wieder Paralytiker auf.
Die Mittelzone nimmt bei dieser Aufgabe einen betrachtlichen
Raum ein. Dies durfte jedoch erwartet werden, da sie bei den
Rechenreactionen nicht allein Ausdruck der Aufmerksamkeitsschwan-
kungen bei den Versuebspersonen ist, sondem auch durch die ver-
schiedene Schwierigkeit der Rechenaufgabe bedingt vdrd. Auch hier
stehen wieder auf der einen Seite Gesunde und Hebephrene, auf der
anderen die Paralytiker mit einer groBeren Streuung. Dieselbe be-
tragt 40,6; 39,7; 45,3% ^^r mittleren Reactionszeit jeder Gruppe.
Die Fehlerzahl erreichte bei den Additionen einen ziemlich hohen
Procentsatz. Wir finden hier die auffallende Erscheinung, dass die
Paralytiker die geringste Fehlerzahl, die Hebephrenen das schlech-
teste Resultat aufweisen, wenn auch im Ganzen keine groBen Unter-
schiede vorhandcn sind. Dieses Ergebniss stimmt vollig mit dem
friihcr bei den fortlaufenden Rechenaufgaben gefundenen uberein. Zur
Erklarung diirfcn wir wohl ebenso, wie dort, die friihere Beschaftigung
der Kranken N., P. und S. heranziehen, die ihren Einfluss noch
geltend machte. Die schlechte Stellung der Gesunden ist durch die
auffallend minderwerthige Leistung O.'s bedingt, der 36 % Fehler
machte, melu- als irgend eine andere Versuchsperson. Auch dieses
stimmt mit dem Ergebniss der fortlaufenden Rechenaufgaben uberein.
Eine Ursache dafUr ist allerdings nicht bekannt. Man konnte daran
denken, dass die Fehler vielleicht Folgeerscheinung vorzeitiger Reac-
tionen waren; dagegen spricht jedoch die lange Reactionszeit. In
der iiberwiegenden Mehrzahl der Falle wird der Fehler gemacht,
dass die Summe bald um 1 zu groB, bald um 1 zu klein ausfallt.
Die Hebephrenen zeigen eine gleichmilBigerc Verschlechterung ihrer
Leistungen. Bei den Additionen, deren Summe sich innerhalb des
gleichen Zehners wie der groBere Summand befand, kamen Fehler
nur ganz vereinzelt vor (bei 0. 2, bei H. 1, bei R. 1 Fehler). Es
kam also den Ubrigen Additionen eine groBere Schwierigkeit zu, so-
weit man bei den einfachen Aufgaben von einer solchen reden darf,
und zwar machte sich dieselbe bei den drei Classen von Versuchs-
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Ueber einfacbe psychologische Yersuche an (iesnnden iind (ieisteskranken. 667
personen in gleicher Weise geltend. Ob nur .einstellige oder auch
zweistellige Zahlen zu addiren waren, war ohne Einfluss auf den
qualitativen Ausfall der Versuche. Die in diesen beiden Arteft von
Additionen gemachten Fehler belaufen sich bei den Gesunden auf
12 und 14, bei den Hebephrenen auf 15 und 19, bei den Paralyti-
kern beide Mai auf 13.
e. Urtheilsreactionen.
Die funfte und die letzte Reactionsform stellen ebenfalls ver-
wickeltere associative Vorgange dar. Die Reizworter waren wieder
verschiedene einsilbige Hauptworter. Die Versuchspersonen mussten
angeben, ob dieselben etwas Lebendes oder Lebloses bezeichneten,
und die Reaction durch das in den Schallschlussel gesprochene Wort
lebend oder leblos beendigen. Diese Reactionsform, und dies gilt
auch in gleicher Weise fUr den letzten untersuchten psychischen Vor-
Tabelle L.
Glesunde.
Versuchspersonen
A.
E.
J.
0.
U.
Gruppen-
mittel
I. Tag
St.M.
872
767
1065
1018
1292
1003
M.Z.
-^^209
+148(
— 66)
;:::i~
-z\^
+ 73
;::!!-
F. Z. o/o
0
0
0
4
24
5,6
n.Tag
8t.M.
807
718
867
908
996
859
M.Z.
— 60
193
+133)
- *^|204
+159i
;>
-•"|220
+ 69)
- 92
-h 66
+101)
F. Z. o/o
0
0
0 •
0
12
2,4
Dnrch-
schnitt
St.M.
839
742
966
963
1144
931
M.Z.
— 60)
— 55
+122 '"
— 99
215
+116)
-*^^!23«
+ 96
+ 69j
- -^^[205
+108)
P. Z. o/o
0 0
i
0
2 18
1
4,0
44*
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668
Joseph Reis.
Hebephrene.
Versuchspersonen , B.
c.
D.
F.
G.
H.
Gnippen-
mittel
I Tag
St. M.
1 1249
1036
1237
969
1154
1181
1138
M. Z.
'—167)
361
+194)
—125
.n« 264
+139)
+216
;;rj»
-^^^|328
+135)
-171)
-.203!"^
F. Z. o/o
12
0
0
8
0
II. Tag
St. M. 1062
974
1274
834
907
1011
1010
—130
^•^^- :+i67P^^
+116
—152)
f
;.:i'"
— 59)
259
+200 )
— 62)
151
+ 99)
- '' 252
+176
F. Z. o/o
4
1
0
0
8
0
Durch-
schnitt
St. M.
; 1155
1015
1255
901
1055
1046
t074
M.Z.
F. Z. o/o
—148)
— 83)
211
+128) .
+267)
— 92)
[261
+169)
- ^136,
+277)
+117
-'"J313
+190(
1 •
0
0
8
0
Paralytiker.
Versuchspersonen
M.
N.
P.
R.
S.
(Jruppen-
mittel
I. Tag
St.M.
1867
1075
714
2290
1626
1514
M.Z. 1
—367)
« . 643
+276
-^^^1285
+139)
— 36)
106
+ 70)
—326
655
+329
+285|
F. Z. 0/0 1
4
4
0
12
1958
^^'^|ll33
+774)
0
4,0
II. Tag
St. M.
1743
933
772
+ 70(
0
1362
1354
M.Z.
F. Z. 0/0 '
—264)
—166)
346
+I80)
-^^^|360
+226)
-190)
+277)
12
0
4
2124
0
3,2
Durch-
schnitt
1
St. M. '] 1805
1004
743
1494
1434
M. Z. ~ ' [519
+204 1
-156
315
+159
— 32)
(102
+ 70
—422) —230)
+C9.i"'-'+277^»^
;.":!-
F. Z. "/„
8
2
0
h 0
3,6
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Ueber einfache psychoiogische Versucho an (iesuiuien und Gcisteskranken. 669
gang, lieB sich nur bei 5 Paralytikern durchfuhren, da es nicht mog-
lich war, bei T. Verstandniss fiir die zu losende Aufgabe zu er-
wecken. Die Ergebnisse der Zeitmessungen bei den ubrigen Ver-
suchspersonen giebt die vorstehende Tabelle. Die mittlere Reactionszeit
ist am kleinsten in der Gruppe der Gesunden; die Hebephrenen
bleiben um 143, die Paralytiker um 503 o hinter diesem Mittelwerthe
zuriick. Die mittleren Reactionszeiten verhalten sich wie 100 : 1 15,36 :
154,02.
Die Leistungen der Gesunden und namentlich der Hebephrenen
sind wieder gleichartiger als diejenigen der Paralytiker, bei denen
die mittlere Schwankungsbreite fast das Vierfache von deijenigen
Letzterer betragt (Tabelle LI). Die Differenz der extremen Leistungen
ist bei den Paralytikern viel bedeutender als bei den anderen Klassen,
betragt bei ihnen nahezu das Doppelte der kurzesten Reactionszeit,
Tabelle LL
Gesunde
Hebephrene
Paralytiker
Mittlere Schwankungs-
breite
1
±112(12,00/0)
402 (54,2 o/y)
±90(8,40/,)
±448(31,20/o)
Differenz der kurzesten
und langsten Reactions-
zeit
354 (39,3 o/o)
I381(185,90/o)
Die mittlere Reactionszeit der Gesunden wird von einem Hebe-
phrenen und Paralytiker um 37 bezw. 21 5 o iibertroffen. An der
Spitze aller Versuchspersonen steht ein Gesunder, gefolgt von einem
Paralytiker. Der nachste ist der Gesunde A.; bei ihm erweckten
einige der Reizworter wie Schilf, Baum, Stamm, Milz, Fett, Zweifel,
ob er dieselben als Lebewesen bezw. functionirende Organe oder als
leblose Gegenstande betrachten soUte. Derartige Erwagungen tauch-
ten bei den iibrigen Versuchspersonen, die weniger an naturwissen-
schaftliches Denken gewohnt waren (wenn man bei diesen einfachen
Aufgaben von einem solchen reden darf), kaimi auf. Diese Ueber-
legungen A.'s verlangerten jedoch einige Reactionen in abnonner
Weise, so dass sich ein groBeres Mittel ergab und seine Stellung in
der Reihe der Versuchspersonen etwas verschlechtert wurde. Nach
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670
Joseph Reis.
A. folgt der erste Hebephrene, dann zwei weitere Gesunde, ein Para-
lytiker, dann in nahezu geschlossener Reihenfolge, nur den letzten
Gesunden in ihrer Mitte, alle Ubrigen Hebephrenen. Paralytiker
weisen auch bei dieser Reactionsart die langsten, hinter alien ubrigen
weit zuriickstehenden Reactionszeiten auf. Die nachste Tabelle giebt
die Uebersiclit Uber die Reihenfolge der Versuchspersonen.
Tabelle LII.
'l 1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11
12
13
14
15
16
Gosunde
E.
—
A.
F.
0.
J.
N.
c.
H.
G.
U.
B.
D.
S.
M.
R.
Hebephrene
Paralytiker
P.
•
Die GroBe der Mittelzone wachst von den Gesunden zu den
Paralytikem; sie betragt in den drei Classen 22,2; 29,1; 35,7% ^^^
mittleren Reactionszeit. Nur bei je einem Kranken aus beiden Gruppen
ist die Streuung nicht groBer als bei den Gesunden (Tabelle L).
Betrachten wir den qualitativen Ausfall dieser Urtheilsreactionen,
so sind selbst diese Reactionen bei den Gesunden nicht allenthalben
richtig ausgefallen. Der von 0. gemachte Fehler ist vielleicht auf
Versprechen zuriickzufUhren; bei U. findet sich dagegen eine groBere
Zalil falscher Urtheilsbildungen. Die Aufzahlung derselben kann
unterbleiben, da sie kein weiteres Interesse darbietet. Von den Hebe-
phrenen hatte G. kein richtiges Verstandniss fUr die gestellte Auf-
gabe, indem er alles als lebend bezeichnete. Man konnte der Meinung
sein, dass er eben aufs Gerathewohl ohne jede Ueberlegung und ohne
jede Riicksicht auf die Reizworter mit lebend reagirte; dagegen spricht
jedoch die Lange der Reactionszeit, die sich vollig in den Rahmen
der ubrigen einfUgt. Bei B. und D. finden sich einige falsche Reac-
tionen, ebenso bei den Paralytikem M., N. und R. In Anbetracht
des Ausfalls der Leistung G.'s und des Fehlens des Versuchs von
T. miissen wir von der Berechnung einer mittleren Fehlerzahl, die
init den bei den anderen Reactionsarten gefundenen gleichzustellen
ware, absehen.
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Ileber cinfache psychologische Versuche an Gesuudeu iind Geisteskraiiken. 671
Es eriibrigt noch die Betrachtung der Ergebnisse der letzten
Reactionsart, wobei den Versuchspersonen die Aufgabe gestellt war,
anzugeben, ob das Reizwort bei ihnen ein angenehmes oder unan-
genehmes Gefiihl wachrief. Als Reizworter dienten ebenfalls verschie-
dene einsilbige Hauptworter; die Reaction wui*de durch das in den
Schallschliissel gesprochene Wort angenehm oder unangenehm beendigt.
Tabelle LITE giebt das Resultat der Zeitmessungen. Die mittlere
Reactionszeit war, wie bei alien ubrigen untersuchten Reactionsformen,
am kleinsten bei den Gesunden, am groBten bei den Paralytikem.
Die beiden Gruppen der KLranken weisen eine um 241 bezw. 446 o
langere Reactionszeit auf als die Gesunden. Die Zeiten verhalten
sich wie 100 : 127,30 : 150,69. Die Abweichung der Reactionszeiten
der einzelnen Versuchspersonen von diesen Mittelwertlien ist in der
Gruppe der Hebephrenen sowohl an sich wie verhaltnissmaBig am
geringsten. Die mittlere Schwankungsbreite ist bei ihnen weit ge-
ringer als bei den beiden anderen Klassen (Tabelle LIV). Nament-
Tabelle LDI.
Gesunde.
Versnchspersonen
A.
E.
J.
0.
U.
Gnippen-
mittel
I. Tag
8t.M.
736
702
1009
1033
1025
901
M. Z.
+ 47
— 68
+ 96
— 88)
275
+ 187)
+152
—1211
479
+358 1
;:::i-
F. Z. o/o
0
8
0
4
0
2,4
823
n. Tag
St.M.
654
702
778
924
1059
M.Z.
- ''I n
+ 44)
+203)
— 48)
—124
397
+273
-179)
244
+ 65)
0
— 92(
+ U5P^^
0,8
F. Z. o/o
0
0
0
4
St. M.
695
702
893
978
1042
862
Durch-
schnitt
M. Z.
- ^^i 90
+ 45)
;.::i-
— 68
232
+164)
"^^^|381
+212)
—150)
361
+211)
—101
257
+156
F.Z.o/0
0
4
0
4
0
1,6
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t>72
Joseph Rels.
Hebephrene.
Versuchspersonen
B.
0.
D.
h\
G.
H.
1087
Gnippen-
mittel
1156
I. Tag
St. M.
1264
1096
1256
1066
1164
M.Z.
4-304)
4-145
- "Il65
+154J
-"^{452
4-320
;:"!"■
— 61)
—113)
335
4-222
F. Z. o/o
4
16
0
0
0
0
3,3
U. Tag
St. M.
1007
998
1305
863
1112
1006
1048
M. Z.
F. Z. o/„
;;::i-
;:::i-
-^'409
4-318
- «*il4»
4- 85)
;;:!-
- «^(2.9
4-137
— 98)
J257
4-159)
16
12
8
0
0
0
6,0
Durch-
schnitt
St.M.
1135
1047
1280
964
1138
1046
1103
M.Z.
-115)
357
4-242)
-^^^{293
4-124)
-J>
— 98)
300
4-202
—132)
298
4-166)
;,«!»
;;:-
F. Z. 0/, :
10
14
4
0
0
0
4,6
Paralytiker.
Versuchspersonen
St.M.
1
M.
1588
N.
1022
P.
793
R.
1925
S.
1361
.-_- -— -
Gruppen-
mittel
1338
I. Tag
M.Z.
4-317
— 178
313
4-135
0
— 82)
178
4- 96)
—381
744
4-363
—156
465
4-309
—207)
F. Z. o/o
36
0
8
0
1381
8,8
St.M.
1577
839
680
1920
1279
U.Tag
M.Z.
-^"1477
4-190)
- ''il62
4-110)
;!a-
-312 _^
627
4-315
—233)
+.99l«^
—219)
389
+170)
F.Z.00
8
0
0
12
0
4,0
St. M.
1582
930
736 j 1922
1371
1308
Durch-
schnitt
M.Z.
F. Z. 0/0
—263
516
4-253)
0
—147) -346
213 685
4- 66 4-339)
4-254)
+207l«"
22
0 j 10
0
M
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Ueber einfache psychologische Versucbe an Gesunden uiid Geisteskrauken. 673
lich die Leistungen der Paralytiker sind wieder ungleichmaBig. Die
Differenz der besten und schlechtesten Leistung ist bei ihnen auBer-
ordentlich groB.
Tabelle LIV.
' G^sunde
Hebephreno
Paralytiker
Mittlere Schwankungs-
breite
±131(15,20/0)
db66(5,00/y)
±380 (29,1 o/o)
Differenz der kurzesten
und langsten Reactions-
zeit
347 (50,0 o/o)
316 (32,8 o/o)
1186 (16,1 o/o)
Die Durchschnittsleistung der Gesimden wird von keinem Hebe-
phrenen erreicht, von einem Paralytiker um 1 32 a iibertroffen. Die
kiirzeste Reactionszeit findet sich bei den Gesunden A. irnd E. A.
ist bei diesen Associationen wieder an die erste Stelle geriickt; dies
spricht dafiir, dass die Erklarung der Verschlechterung seiner Leistung
bei der vorhergehenden Aufgabe wohl das Bichtige getroffen. An
diese Gesunden schlieBt sich der erste Paralytiker. Der erste Hebe-
phrene nimmt die sechste Stelle ein. An die letzten Gesunden reihen
sich in geschlossener Folge die iibrigen Hebephrenen; den Schluss
machen wie immer die Paralytiker. Folgende Tabelle veranschau-
licht dies.
Tabelle LV.
\'
2
3
4
J.
5
6
7
U.
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Gesunde A.
K'
0.;
1
Hebephrene |
E.
.H.
C. B. G.
D.
Paralytiker '
P.
1
N.
i
1 ' 1
S.
M. R.
Die Betrachtung der Mittelzone ergiebt die gleichen Verhalt-
nisse wie diejenige der Reactionszeiten. Im Verhaltniss zur Lange
dieser ist allerdings der Unterschied in der GroBe der Streuung nicht
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674
Joseph Reis.
sehr betrachtlich. Aber auch hier ist dieselbe bei den Hebephrenen
am geringsten, bei den Paralytikem am groBten. Sie betragt 29,6;
26,7 ; 32,1 % der jeweiligen mittleren Reactionszeii
Der qualitative Ausfall der Versuche ergiebt die geringste Zahl
falscher Urtheile bei den Gesunden, die groBte bei den Paralytikem,
wahrend die Hebephrenen die Mitte einnehmen. In alien Gruppen
finden sich fehlerlose Leistungen. —
Ein Vergleich der fUr die verschiedenen Reactionen erbaltenen
Zeiten gestattet, zu untersuchen, ob nicht der im Gehim sich ab-
spielende Krankheitsvorgang die einzelnen psychischen Leistungen
in verschiedenem Grade beeinflusst hat. Es liegt die Moglichkeit
vor, dass die zerstorende Wirkung der Krankheit auf einzelnen 6e-
bieten starker als auf anderen zum Ausdruck gekommen ist Die
Aenderung kann in den beiden untersuchten Gruppen von Kranken
in gleicher Richtung gewirkt haben, oder es kann bei Hebephrenie
und Paralyse eine verschiedene elective Wirkung festzustellen sein.
In der folgenden Tabelle sind nochmals die mittleren Reactionszeiten
fiir die drei Gruppen von Versuchspersonen zusammengestellt und die
Leistungen der Kranken im Procentverhaltnisse zu denjenigen der
Gesunden angegeben.
Tabelle LVI.
Gosundo
Hebephrcne
Paralytiker
I
Farbreactionen
549 fj
627
554
(100)
(100)
(100)
720 <r
709
697
(131,2)
756 <r
(137,7)
(128,9)
Buch8tal)enreacti()neii
(113,1)
807
Wortreaotionen
(125,2)
(115,1)
799
(144,1)
n
Additionsreactioncn
1071
(100)
(100)
1243
1442
1434
1308
(134,6)
Uriheilsreactionen I.
931
1074
1103
(115,6)
(127,3)
(154,0)
(150,7)
Urthcilsreactionen U.
862
(100)
Unter diesen Reactionen lassen sich zwei Gruppen unterscheiden.
Die erste umfasst diejenigen, bei welchen es sich um die Auffassung
eines Eindnicks: einer Farbe, eines Buchstaben oder eines Wortes,
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Ueber einfache psychologiscbe Versucbe an Gesunden uiid Geistcskranken. 675
handelt; die zweite umschlieBt Beactionen, bei denen zur Auffassung
verschiedener Eindriicke noch ein weiterer associativer Vorgang, die
Addition zweier Zahlen oder eine Urtheilsbildung hinzukommt. Dem-
entsprechend konnen wir auch die Reactionszeiten zu zwei Gruppen
zusammenfassen. In Tabelle LVII ist der Unterschied der kiirzesten
und langsten Reactionszeit in jeder dieser zwei Reactionsgruppen
und die Differenz der langsten Reactionszeit der ersten und dem kiir-
zesten Beobachtungswerthe der zweiten angegeben. Letzterer Abstand
ist am kleinsten bei deji Gesunden, bedeutender bei den Hebephrenen
imd noch groBer bei den Paralytikem.
Tabelle LVH.
Diflferenz von Mini-
mum u. Maximum
in Gruppe I
Differenz von Mini-
mum u. Maximum
in Gruppe II
Differenz vom Maxi-
mum in Gruppe I zum
Minimum in Gruppe 11
Gesunde j 78
203
235
Hebephrene ] 23
169
354
Paralytiker 51
134
501
Die Differenz zwischen den Zeiten der ersten Gruppe ist wenig
betrachtlich. Bei den Gesunden und Paralytikem ist die) Earb-
reactionszeit am kiirzesten, bei den Hebephrenen die Wortreactions-
zeit. Die Buchstabenreactionszeit ist in den 3 Klassen der Ver-
suchspersonen etwas groBer als die Wortreactionszeit. Bei den Ad-
ditionsreactionen erf ordert der hinzutretende Associationsvorgang einen
langeren Zeitraum, der bei den Paralytikem und Hebephrenen nahezu
gleich und relativ nicht groBer ist als bei den Gesunden. Bei den
Urtheilsreactionen verursacht aber der neue Associationsvorgang bei
den Paralytikem eine bedeutendere Verlangerung der Reactionszeit
als in den beiden anderen Classen. Dieselbe ist auch bedeutender
als bei den iibrigen untersuchten VorgS,ngen, wie dies aus Tabelle LVl
hervorgeht. Dabei fallt noch erschwerend ins Gewicht, dass mit T.
iiberhaupt keine Urtheilsreactionen ausgefiihrt werden konnten.
Nachdem wir- schon friiher festgestellt haben, dass alle Reac-
tionen bei den Paralytikem den langsten Zeitraum beanspmchen,
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676
Joseph Reis.
die Reactionszeiten der Hebephrenen ebenfalls hinter denjenigen der
Gesunden zuriickbleiben, linden wir bier nocb besonders, dass nament-
lich der associative Vorgang der Urtheilsbildung bei den Paralytikem
in hoherem Grade beeinflusst ist als die iibrigen Eunctionen. Bei
den Hebephrenen ist ein starkerer Unterschied in der Veranderung
der verschiedenen in Anspruch genommenen Functionen nicht nach-
weisbar.
Auch die nachste Tabelle zeigt, dass der hochste Grad der Ver-
langerung der Reactionszeit sich bei den Urtheilsbildungen der Para-
lytiker findet. Es ist jeweils die DifEerenz der besten und der ge-
ringsten Leistung in Procenten der ersteren fiir jede Reactionsart
zusammenfassend angegeben. Die Zahlen sind bei den Urtbeilsreac-
tionen der Paralytiker am groBten. Zwar besteht auch bei den Ad-
ditionen ein bedeutender Unterschied, aber er ist bei dieser Reactions-
art auch fiir Gesunde und Hebephrene in ahnlicher Weise nachweisbar.
Tabelle LVHI.
Farbrcactioncn
Diffcrenz der bosten und schlechtesten Leistung
Gesunde Hebephrene
126 ff (25,80/o)l 366 <r (59,3o/o)
Paralytiker
496 <r (91,00/o)
Buchstabenreactionen
Wortroac'tionen
329 (71,1)
211
(33,9)
845 (156,2)
274 (65,9)
197
(32,4)
457 (86,1)
1209 (156,4)
1381 (185,9)
161,1 (1186)
Additionsreactionen
789 (106,3)
518
(52,7)
Urtheilsreactionen I !
Urtheilsreactionen 11 '
402 (54,2)
354
(39,3)
347 (50,0)
316
(32,8)
Als wichtigstes Ergebniss der Zeitmessungen diirfen wir wohl
hervorheben, dass hier der Beweis fiir die Moglichkeit der exacten
Durchfiilirung solcher Versuche an Geisteskranken geliefert ist. Die
fiir die Gruppen berechneten mittleren Reactionszeiten sind durchweg
am kleinsten bei den Gesunden, am langsten bei den Paralytikem,
wiilirend die Hebephrenen immer in der Mitte stehen. Die Hebe-
phrenen zeigen eine gleichmaUige Verlangerung der Reactionszeiten;
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Ueber einfache psycholo^ische Versuche an Gesunden uud Geisteskraitken. 677
personliche Verschiedenheiten hoheren Grades finden sich bei ihnen
nicht. Die Differenz der besten und schlechtesten Leistung sowie
die mittlere Variation sind meist sowohl absolut wie relativ geringer
als bei den Gesunden. Die Paralytiker zeigen unter einander die
groBten Unterschiede ; bei ihnen finden sich noch mehr in den Rahmen
des Normalen fallende Leistungen als bei den Hebephrenen, sogar
noch einzelne sehr gute. Andere Kranke zeigen dagegen eine auBer-
ordentliche Abnahme der Leistungsfahigkeit , weit starker als die
Hebephrenen. Der Abstand der extremen Leistungen und die mitt-
lere Schwankungsbreite in der Gruppe der Paralytiker sind daher
absolut und relativ sehr groB. Die Urtheilsreactionen der Paralytiker
zeigen eine starkere Verlangerung als die ubrigen untersuchten Func-
tionen, wahrend bei den Hebephrenen die Verlangerung alle* unter-
suchten Vorgange ziemlich glcichmaBig betrifft. Die Mittelzonen sind
am kleinsten bei den Gesunden, am groBten bei den Paralytikem,
woraus wir auf groBere Schwankungen in der Leistungsfahigkeit der
Paralytiker schlieBen durfen. Die Mittelzonen der Hebephrenen
stehen, relativ genommen, denjenigen der Gesunden sehr nahe, wenn
sie dieselben auch absolut iibertreffen. Der qualitative Ausfall der
Versuche gestattet nicht, irgend welche bestimmten Schlussfolgerungen
zu Ziehen.
VII. Uebang and Ermildiing.
Im Laufe der Besprechung der Versuche war wiederholt Ge-
legenheit gegeben, auf die psychischen Grundeigenschaften hinzu-
weisen. Einige andere Versuche wurden noch zu dem Zwecke unter-
nommen, festzustellen, in wie weit Uebung und Ermiidung auf den
Ausfall der Versuche von Einfluss waren, ob sich in diesen Eigen-
schaften vielleicht Unterschiede fur die verschiedenen Classen von
Versuchspersonen ergeben wurden.
Wir konnen zunachst an der Hand der Auffassungsversuche
diese Verhaltnisse naher zu beleuchten suchen. Tabelle LIX giebt
eine Uebersicht Uber das Verhalten von richtigen Lesungen, Fehlem
und Auslassungen an den verschiedenen Versuchstagen und damit
einen Einblick in die Wirkungen der Uebung. Die Ergebnisse ver-
schiedencr Spaltweiten sind dabei fur jede Trommel zusammengefasst
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678
Joseph Reis.
Tabelle LIX.
Trommel A
Trommel C
r
r
1
E.
l.Tag
2. Tag
97,7
98,9
97,8
99,3
J.
l.Tag
2. Tag
96,6
93,8
90,2
94,5
1
B.
l.Tag
2. Tag
3. Tag
56,5
57,5
61,1
46,5
63,2
C.
l.Tag
2. Tag
3. Tag
81,2
88,7
92,0
81,7
72,2
95,0
P.
l.Tag
2. Tag
l.Tag
2. Tag
97,0
71,6
52,0
62,4
Or.
80,7
73,5
71,3
30,4
K.
l.Tag
2. Tag
94,8
96,4
93,7
94,3
L.
l.Tag
2. Tag
77,1
91,6
}
M.
l.Tag
2. Tag
3. Tag
50,7
49,9
36,4
77,7
76,5
N.
l.Tag
2. Tag
P.
l.Tag
2. Tag
3. Tag
98,1
98,2
99,2
75,9
89,5
91,3
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Ueber einfache psychologische Versuche an Gesunden uod Geisteskranken. 679
und nur diejenigen Versuche beriicksichtigt, bei welchen die Versuchs-
anordnung an den zu vergleichenden Tagen ubereinstimmte. Bei den
Versuchen von E., J. nnd P. mit Trommel A und C und den Ver-
suchen von B., C, G. und P. mit letzterer Trommel war am
zweiten und dritten Tage die Reihenfolge der verschiedenen Spalt-
weiten, mit welchen gelesen vmrde, umgekehrt wie am ersten Tage.
Die Betrachtung dieser Verhaltnisse lasst nicht mit Sicherheit
einen Unterschied zwischen den Gruppen der Versuchspersonen er-
kennen. Mit Ausnahme der Versuche G.'s und derjenigen P.'s mit
Trommel A ist bei alien Hebephrenen eine Besserung der Leistung
im Laufe der Versuchstage festzustellen. Dieselbe ist jedoch recht
verschieden und erreicht im allgemeinen bei Trommel C einen hoheren
Grad. Dies erklart sich leicht aus dem Umstande, dass das Lesen
sinnloser Silben eine weniger geiibte und ungewohntere Aufgabe dar-
stellt, als das Lesen von Wortem. Bei den Paralytikem M. und N.
findet sich jedenfalls keine Besserung. P. zeigt einen Fortschritt bei
Trommel C, wahrend seine Leistung bei Trommel A sich ja iiberhaupt
nahe der oberen Auffassungsgrenze befindet.
Bestimmte Aenderungen im Verhaltniss von Fehlem und Aus-
lassungen im Verlauf der Versuche sind nicht erkennbar.
Wie weit Debung und Gewohnung an einer vorhandenen Bes-
serung der Leistungen Antheil haben, ist nach diesen Versuchen nicht
festzustellen, da nur einige Uber mehr als zwei Tage ausgedehnte
Versuchsreihen vorliegen und die Hohe der Anfangsleistung bei
den Versuchspersonen zu verschiedenartig ist. Dazu kommt, dass der
Wechsel der Spaltweiten die Beurtheilung ofters erschwert. So weit
es moglich war, wurden die an einem Versuchstage gelesenen Trom-
meln ebenfalls mit einander verglichen, aber auch hierbei hat sich
kein sicheres Resultat ergeben.
Einen naheren Einblick in die Gestaltung des Auffassungsvor-
ganges an den verschiedenen Tagen konnen wir uns noch durch die
Betrachtung der Fehler zu verschaffen suchen. Folgende Tabelle
giebt liber die Zahl der sinnlosen Verlesungen im Verhaltniss zur
G^sammtzahl der Verlesungen an jedem Versuchstag Aufschluss.
Bei den Gesunden imd alien Hebephrenen mit Ausnahme L.'s
treten an Stelle eines Theiles der sinnlosen sinnvoUe Verlesungen.
Es macht sich das Bestreben geltend, auch unvollkommen aufgefasste
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680
Joseph Reis.
Reize der Aufgabe entsprechend sinnvoU wieder zu geben. Bei den
Paralytikem ist eine solche Neigung nicht erkennbar; es werden im
Gegentheil an den spateren Versuchstagen gewohnlich mehr sinnlose
Lesungen geliefert.
Tabelle LX.
Gesunde
Bebephrene
Paralytiker
[E.
J.
B.
c.
F.
G.
K.
L.
M.
N.
P.
l.TagO/,
15,4
16,8
3,7
20,1
22,3
21,6
17,6
74,4
40,0
8,9
13,0
18,3 5,9
6,2
23,1
2.TagO/o
0
9,1
0
15,6
13,2
16,9
20,4
23,1
15,6
0
20,0
13,3
4.TagO/o
0
19,5
Wenngleich es nach dem Ergebniss friiherer Versuche bekannt
war, dass die discontinuirlichen Arbeitsmethoden zur Untersuchung
der personlichen Grundeigenschaften nicht gerade geeignet sind, war
es doch nicht von der Hand zu weisen, dass auch bei dieser Art der
Arbeit die Uebung und namentlich die Ermiidung ihre Wirkung auf
die weniger widerstandsfahige Organisation der Kranken geltend
mache. Zur Feststellung yon UebungseinflUssen wurden deshalb wei-
tere Zeitmessungen ausgefiihrt, und zwar auBer den friiher besproche-
nen noch an 3 Tagen je 25 Wortreactionen und 25 Urtheilsreactionen
der zweiten Art. Dazu kamen femer eine Reihe von 300 und eine
solche von 25 Additionsreactionen an zwei Versuchstagen. Kurz sei
noch darauf hingewiesen, dass bei der Wiederholung der 6 Reactions-
formen am zweiten Tage bei den Gesunden 23 von 30 mittleren
Reactionszeiten eine Verkiirzung, 7 eine Verlangerung zeigten; bei
den Hebephrenen standen unter 36 vergleichbaren Zeiten 30 verkiirz-
ten 6 verlangerte, bei den Paralytikem unter 34 22 verkiirzten 1 2 ver-
langorte gegeniiber. Da jedoch nur eine einmalige Wiederholung des
ganzen Versuchs vorliegt, bei einer solchen aber ZufalUgkeiten doch
immerhin einen nicht unbetrachtlichen Einfluss haben konnen, soUen
hieraus keine weiteren Schliisse gezogen werden. Tm Ganzen ent-
spricht es zwar der Erwartung, dass die Paralytiker den geringsten
Uebungsfortschritt zeigen.
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Ueber einfache psyehologisehe Versnebe an (iesiinden und Geisteskrankeu. 681
Tabelle LXI.
1^
r^
S
i
CO
00
OS
OS
00
OS
<o^
©
CO
00
©
00
CO
00
©
CO a^
00
E-i
2
o
•-•
CO
o
CO
05
©
uo
00
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Kraepelin, Paycholog. Arbeiten. II.
45
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682 Joseph Reis.
Die Ergebnisse der an den weiteren Versuchstagen ausgefuhrten
Wortreactionen werden in der Tabelle LXT wiedergegeben. Wir
finden bei den 3 Classen der Versuchspersonen eine langsam fort-
schreitende Besserung der Leistung, die durchschnittlich am vierten
Tag eine ziemlich constante GroBe erreicht.
Der Uebungsfortschritt ist am groBten bei den Gesunden, am
kleinsten bei den Paralytikem. Die Hebephrenen stehen den G^
sunden nahe. Die Reactionszeit verkiirzte sich bei alien Versuchs-
personen mit Ausnahme des Gesunden E. und des Paralytikers S.
Der Erstere mit der kiirzesten Reactionszeit zeigt nur unbedeutende
Schwankungen in der GroBe derselben. Bei dem Letzteren ist die
Brcactionszeit des ersten Tages kiirzer als an den folgenden. Die
groBte Verkiirzung findet sich bei dem Gesunden J. Unter den Hebe-
phrenen weist C, unter den Paralytikem T. den groBten Uebungs-
fortschritt auf. Bei den Letzteren ist derselbe weniger gleichmaBig,
so dass die Besserung haufig durch schlechtere Leistungen an ein-
zelnen Tagen unterbrochen wird.
Auch die DurchschnittsgroBe der Mittelzone nimmt bei den Ge-
sunden und Paralytikem ab, wahrend sie bei den Hebephrenen immer
gleich bleibt, im allgemeinen aber in Uebereinstimmung mit den
friiheren Beobachtungen keinen groBefen Umfang aufweist.
Die Untersuchung der qualitativen Verhaltnisse zeigt ebenfalls
eine fortschreitende Bessemng in der Abnahme der Pehlerzahl bei
den Kranken.
Die Urtheilsreactionen lassen bei der Betrachtung der fiinftagigen
Versuchsreihe die gleichen Verhaltnisse erkennen (Tabelle LXTT). Wir
finden auch hier bei den 3 Classen der Versuchspersonen eine allmah-
lich zunehmende Verkiirzung der Reactionszeit. Dieselbe ist bei den Ur-
theilsreactionen sowohl relativ als absolut genommen groBer als bei
den Wortreactionen. Der Grund hierfur ist jedenfalls darin zu suchen,
dass der associative Vorgang bei den Wortreactionen geiibter ist als
derjenige bei den Urtheilsreactionen. Die Verkiirzung der Reactions-
zeit des ersten Tages ist ebenfalls am groBten bei den Gesunden, am
geringsten bei den Paralytikem. Vom vierten Tage an scheint die
Reactionszeit keine wesentUche Verbesserung mehr zu erfahren. Der
Grad derselben ist bei den einzelnen Versuchspersonen recht ver-
schieden. J.'s Leistung bessert sich so sehr, dass er mit E., hinter
welchem er anfangs weit zuriickgeblieben , auf gleicher Stufe steht
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Ueber einfache psycholoi^ische Versiiche an Gesuiiden mid Geisteskranken.
Tabelle LXH.
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684 Joseph Reis.
Ziemlich gleichmaBig hebt sich die Leistung der Hebephrenen, am
meisten diejenige F.'s. Unter den Paralytikem steht einem wesent-
lichen Fortschritt bei N. und R ein geringerer bei M. und S.
gegeniiber.
Die Grenzen der Mittelzone werden bei den 3 Gruppen enger.
Die Eehlerzahl sinkt bei den Gesunden, zeigt bei den Kranken
Schwankungen im Laufe der Tage. Doch sind die entsprechenden
absoluten Zahlen zu gering, um beweiskraftig zu sein.
Ueberblicken wir noch die viertagige Versuchsreihe der Additions-
reactionen, so finden wir auch bier eine Bestatigung der bei den an-
deren Reactionen gefundenen Ergebnisse (Tabelle LXDI).
Fiir den dritten Tag sind die ersten 25 Reactionen der Reihe
von 300 Zeitmessungen zum Vergleich herangezogen. Wir finden in
den 3 Gruppen eine Verklirzung der Reactionszeit; der Uebnngszu-
wachs bei den Gesunden ist fast doppelt so groB wie bei den Para-
lytikem, wahrend die Hebephrenen in der Mitte stehen. Der langere
Versuch des dritten Tages hatte nicht, wie man erwarten sollte, eine
groBere Uebung zur Folge; nur bei den Paralytikem ist vom dritten
auf den viorten Tag ein groBerer Fortschritt festzustellen. Bei den
Gesunden ist am letzten Tage die Leistung sogar erheblich hinter
derjenigen des dritten zuriickgeblieben. Bei den Hebephrenen bleibt
die Reactionszeit Yom zweiten Tage an ziemlich constant. Der Um-
fang der Mittelzone nimmt bei Gesunden und Paralytikem, und zwar
bei ersteren in hoherem Grade ab, zeigt bei den Hebephrenen nur
Schwankungen in engen Grenzen.
Am ubungsfahigsten erweist sich wieder der Gesunde J. Die
Leistung von S. hat sich auch bei dieser Aufgabe im Laufe der Ver-
suchstage verschlechtert. Im allgemeinen ist der Fortschritt bei alien
Versuehspersonen weit ungleichmaBiger als bei den anderen Reactions-
arten, indem Verkiirzung und Verlangemng der Reactionen unregel-
maBig mit einander wechseln.
In qualitativer Hinsicht bleibt die Besserung der Leistung der
Paral}i;iker gleichfalls hinter den ubrigen zuriick. Bei den Gesunden
schwinden die Fehler ganz. —
Ueber die Wirkungen der Ermlidung konnen wir uns in gldcher
Weise durch Betrachtung der Auffassungsversuche und eines Theik
der Zeitmessungen zu unterrichten suchen. Bei den ersteren kommt
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Ueber eiiifache psychologiscbe Versiiehe an (>fsiiii(leu mid (ipisteskrankeu. 685
Tabelle LXIH
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586 Joseph Reis.
jedoch die Ermudung nicht rein zum Ausdruck, da die Bedingungen
in Folge der Aenderang der Spaltweite zum Beginn des Versuches
andere waren als am Schlusse desselben. Nur diejenigen Versuche, bei
welchen die Versuchsanordnung spater umgekehrt wurde, lassen noch
einen Vergleich der ersten nnd zweiten Trommel zu. Bei alien Per-
sonen lasst sich nur feststellen, ob beim Lesen einer einzelnen Trom-
mel schon Ermiidungszeichen auftreten. Wir konnen unter Zusanunen-
fassung der verschiedenen Spaltweiten und Tage die Ergebnisse der
ersten und zweiten Halfte der Trommeln mit einander vergleicheu.
Tabelle LXIV giebt eine Uebersicht liber die Durchschnittszahlen der
richtigen Lesungen in den beiden Halften.
Eine bestimmte Aenderung der Auffassung im Laufe des Ver-
sucbs ist nicht vorhanden. Im allgemeinen finden wir bei Trommel A
ein maBiges Sinken in der zweiten Versuchshalfte, was bei der ziem-
lich anstrengenden Lesearbeit wohl als Ermudung angesehen werden
darf. 3 Hebephrene zeigen eine maBige Besserung im Laufe des
Versuchs; am bedeutendsten ist dieselbe bei G., bei welchem wir aber
friiher schon den Mangel jeder Uebungsfahigkeit feststellen konnten.
Wir gehen daher wohl nicht fehl, wenn wir die Besserung auch in
Hinsicht auf den Ausfall des Versuchs mit Trommel C wesentlich
auf Kosten einer gewissen Anregung setzen. Auch der Paralytiker
P. zeigt keine Ermiidungserscheinungen. Einen ziemlich groBen Ver-
lust an richtigen Lesungen weisen dagegen die Hebephrenen B., D.,
F., L. und der Paralytiker N. auf; bei den Ubrigen Personen halt
sich der Verlust in engen Grenzen. Ln Ganzen treten die Ermlidimgs-
erscheinungen bei den Kranken deutlicher hervor als bei den G^
sunden.
Bei Trommel C findet sich meistens im Laufe des Versuchs eine
Besserung der Leistung. Nur je ein Hebephrener, L., und ein Para-
lytiker, N., bei denen wir schon eine groBere Ermiidbarkeit gefunden
haben, zeigen auch hier ein deutliches Sinken der Leistungsfahigkeit.
Bei alien Ubrigen ist die Steigerung bei dieser ungewohnten Arbeit
durch Anregung oder Uebung bedingt, welche hier ihre Wirkung
deutlicher entfalten konnen als beim Lesen einsilbiger Worter. Am
stiirksten ist die Zunahme der Zahl der richtigen Lesungen bei G.,
in Uebereinstimmung mit dem Befund bei Tronmiel A^ dahn bei M.
und P. Da wir bei diesen Personen einen deutlichen Uebungseinfluss
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Ueber einraehe psychologisclie Versncbe an Gesundeu uiid Geisteskranken. 687
Tabelle LXIV.
Trommel A
Trommel C
Trommel B
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r
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Gesunde
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1.
2.
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137,8
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1.
2.
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124,3
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1
1
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1.
2.
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74,5
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1.
2.
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133,3
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M.
1.
2.
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P.
1.
2.
136,9
138,2
nicht feststellen konnten, ist der Zuwachs wohl wesentlich durch An-
regung bedingt.
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688 Joseph Reis.
Bei Trommel B bleibt die Leistung K.'s auf gleicher Hohe,
wahrend die Ergebnisse der Versuche L.'s und M/s sinken, bei Letz-
terem recht bedeutend.
Wo Ermiidungserscheinungen auftreten, mehren sich Fehler und
Auslassungen. Dabei kommen gleichfalls wieder personliche Eigen-
thiimlichkeiten, femer die groBei*e Neigung der Hebephrenen zu Aus-
lassungen, diejenige der Paralytiker zu Verlesungen ziun Ausdruck.
Sonstige Unterschiede zwischen den Krankheitsgruppen txeten nicht
hervor.
Eine bestimmte Aenderung im Verhaltniss von sinnvoUen und
sinnlosen Verlesungen ist nicht erkennbar.
Ebensowenig sind bestimmte Beziehungen der stehenden Wieder-
holungen zur Ermiidung nachzuweisen.
Wie schon erwabnt, wurde versucht, auch durch Zeitmessungen
iiber Ermiidungseinflusse Aufschluss zu erbalten, indem eine Reihe
von 300 Additionsreactionen hintereinander ausgefuhrt wurde. Wir
fassten die Reactionen jeweils in Gruppen zu 100 zusammen und
bestimmten fur diese Stellungsmittel, Mittelzone und Fehlerzahl.
Tabelle LXV giebt die auf diese Weise gefundenen Werthe. Schon
ein erster Ueberblick zeigt, dass von ausgesprochenen Ermiidungs-
erscheinungen kaum die Rede sein kann. Die beiden Gesunden
zeigen eine fortschreitende Verkiirzung der Reactionszeit Bei den
Hebephrenen G. und H. ist das Gleiche der Fall, wahrend bei C.
im letzten Drittel des Versuchs nach einer anfanglichen Besserung
die Leistung wieder sinkt und bei F. sogar die kiirzeste Reactions-
zeit in das erste Drittel des Versuchs fallt. Bei den Paralytikem
M., N. und R. finden wir eine fortschreitende Besserung; bei R.
musste der Versuch allerdings gegen Ende des zweiten Drittels ab-
gebrochen werden, weil die Aufmerksamkeit dieser Versuchsperson
sich nicht liinger der Ausfuhrung der Reactionen zuwenden heB.
Bei S. erreicht und uberschreitet die Leistung nach einer Verschlech-
terung im zweiten Drittel im letzten wieder die Hohe des ersten.
Deutliche Ermiidungserscheinungen sind also hier nicht nach-
weisbar, da 8 unter den 10 Versuchspersonen erst im letzten Drittel
des Versuchs die beste Leistung aufweisen. Die beiden iibrigen zei-
gen im Ganzen nicht sehr bedeutende Schwankungen in der GroBe
der Stellungsmittel. Dass die Ermiidung nicht durch einen beson-
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Ueber eiiifache psychologische Verstiche an Gesuiideii und Geisteskraiikeii. 689
ders graBen Uebungszuwachs verdeckt wurde, batten wir scbon friiber
Gelegenbeit darzutbun. Denn die Reactionszeiten des folgenden
Tages sind fast diircbweg langer als die Stellungsmittel des letzten
Drittels der Additionen (Tabelle LXIH).
Tabelle LXV.
(StM. Stellungsmittel; M. Z. Mittelzone; F.Z. Fehlerzahl).
1
E.
1.
Hundert
2. Hundert
3.
Hundert
St.M.
740
M.Z.
195
F.Z.
3
St.M.
684
M.Z.
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F.Z.
2
St.M.
M.Z.
F.Z.
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J.
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1
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5
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374
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352
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450
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12
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1170
308
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345
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240
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H.
1190
602
12
1105
718
11
1090
1056
11
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M.
1816
1046
20
1673
1009
18
1466
817
16
N.
900
402
2
819
312
1
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938
14
1441
712
14
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1192
436
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1295
888
2
1159
320
2
Die GroBe der Mittelzone nimmt parallel derjenigen der Stel-
lungsmittel ab oder zu ; nnr H. maebt in dieser Beziebung eine Aus-
nabme.
Aucb die qualitativen Ergebnisse des Versucbs lassen keine Er-
miidung zum Ausdruck kommen^ da fast durebweg im Laufe des
Versucbs eine Abnabme der feblerbaften Reactionen stattfindet.
Es war ferner die Moglichkeit geboten, sowobl bei dieser Auf-
gabe als bei den Leseversucben dureb Vergleicb der Ergebnisse klei-
nerer Zeitabscbnitte nocb genaueren Einblick in den Ablauf der
geistigen Arbeit zu erbalten. Es wurden die Versucbe jeweils in
10 Abscbnitte zerlegt, die 25 Reactionen oder 28 bezw. 27 Lesungen
entspracben.
Es tritt bei dieser Betracbtung trotz dem bei den Gesunden
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690 Joseph Reis.
nachweisbaren bedeutenderen Uebungsfortschritte ein groBerer Unter-
scliied der Leistung in je zwei auf einander folgenden Zeitabschnitten
bei den Kranken, namentlich den Paralytikem hervor, was wohl als
Ausdruck einer groBeren Labilitat der Aufmerksamkeit angesehen
werden darf .
Weitere sichere Schliisse waren nicht moglich, sodass wir hier
von einer Mittheilung der entsprechenden Zahlen absehen.
Vni. Zusammenfassung der Ergebnisse.
Ein Ueberblick iiber die gesamten Versuchsergebnisse zeigt
uns vor allem, dass es zumeist nicht moglich ist, aus dem AusfaU
einer einzelnen Gruppe von Versuchen bestimmte Schliisse auf den
Krankheitsfall zu ziehen. Immerhin bietet ims das Verhalten der
verschiedenen Gesunden und Kranken bei diesen Versuchen ge¥ris8e
beachtenswerthe Uebereinstimmungen mit den allgemeinen klinischen
Erfahrungen. So finden wir zunachst Unterschiede zwischen den
Gesunden und Kranken und weiterhin auch Abweichungen der Pa-
ralytiker von den Hebephrenen. AUerdings sehen wir bei Gesunden
oft Leistungen, die von manchen Kranken iibertroffen werden; ja
es kann sogar die Einzelleistung eines Kranken den besten der G^
sunden gleichen. Fassen wir aber die Ergebnisse der Gruppen zu-
saramen, so ergiebt sich durchaus die Minderwerthigkeit der Kranken.
Dieselbe erreicht auf alien Gebieten der Verstandesthatigkeit einen
weit hoheren Grad bei den Paralytikem als bei den Hebephrenen.
Wissen wir doch auch, dass bei Letzteren der Krankheitsvorgang
schlieBlich zum Stillstand kommt und der ausgebildete geistige
Schwiichezustand die verschiedensten Abstufungen zeigen kann, wah-
rend bei der Dementia paralytica die Krankheit stets bis zum denk-
bar hochsten MaB von Verblodung fortschreitet Auch Einflusse
friiherer Zeit machen sich manchmal noch recht erheblich geltend;
die starkere Ausbildung gewisser Fahigkeiten durch Beruf und Be-
schaftigung kann dem Krankheitsprocesse langere Zeit Widerstand
leisten. Hieraus erklaren sich meist die noch vorhandenen guten
Einzelleistungen ; es lasst sich aber auch dann durch eine Erschwerung
der Aufgabe fast immer eine starkere Beeintrachtigung der Leistungs-
ftihigkeit erkennen, als dies bei Gesunden der Fall ist, und als der
Steigerung der Schwierigkeit der Arbeit entspricht.
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Ueber einfache psycholo^ische Versiiclie an Gesunden und Geisteskrnuken. 691
Wir konnen Storungen auf alien mitersuchten Gebieten geistiger
Thatigkeit nachweisen. Zur Priifung der Aufassungsfahigkeit dienen
una die Leseversuche imd die verschiedenen Erkennungsreactionen.
Die klinischen Erfahrungen lehren uns, dass bei der Dementia prae-
cox die Auffassung auBerer Eindriicke keine starkere Beeintrachtigung
erleidet, in manchen Fallen sogar ubeiraschend gut bleibt. Bei der
Paralyse dagegen steht die Erschwerung der Auffassung oft schon
im Beginn der Erkrankung im Vordergrund des Krankheitsbildes,
wie dies so haufig in der Unfahigkeit der Kranken, sich zu orien-
tiren, deutlich erkennbar ist. Der Ausfall unserer Versuche steht
damit vollig im Einklang. Das Auffassungsschwellengebiet liegt bei
den Paralytikem viel tiefer als bei Gesunden und Hebephrenen.
Bei mehreren Paralytikem scheitert hieran uberhaupt die Ausfiihrung
mancher Vei'suche. Bei anderen ist das B^ultat ungemein schlecht,
und selbst bei derjenigen Person, bei welcher das Ergebniss der Ver-
suche zunachst noch recht giinstig ist, bewirkt eine Verkiirzung der Auf-
fassungszeit eine unverhaltnissmaBige Herabsetzung der Leistung.
AuBerdem sind die Paralytiker wesentlich auf die Unterstutzung durch
Worterinnerungsbilder angewiesen. Das Fehlen einer solchen Hiilfe
macht sich ungunstig bemerkbar. Unvollkommen erf asste Reize werden
willkiirlich erganzt; es entstehen auf diese Weise theils sinnvoUe, theils
sinnlose Verlesungen. Die groBe Zahl letzterer bei den Paralytikem
weist deutlich auf die bestehende Kritiklosigkeit hin. Die Kranken
lesen auch bei der Aufgabe, sinnvoUe Reize aufzufassen, oft ganz
Unverstandliches, in der festen Ueberzeugung, ihrer Aufgabe voUig
geniigt zu haben. Es sind dies Erfahrungen, die mit den sonstigen
Kenntnissen iiber das Lesen der Paralytiker durchaus iibereinstimmen.
Bei den Hebephrenen bleibt die Auffassung zwar auch meist
hinter derjenigen der Gesunden zuriick, doch uberschreitet diese Ver-
schlechterung immerhin nicht bestimmte Grenzen. AuBerdem ist es
uns wohlbekannt, dass die Stumpfheit und Interesselosigkeit der Hebe-
phrenen eine gut erhaltene Auffassung vollig verdecken kann. Wir
sind oft erstaunt, wenn die Kranken iiber Ereignisse, die man spur-
los an ihnen voriibergegangen glaubt, genaue Auskunft geben konnen.
So erklaren sich wohl die auBerordenthch zahlreichen Auslassungen
der Hebephrenen bei den Leseversuchen, bei welchen nicht auf jeden
neuen Beiz aufmerksam gemacht wird, zum Theil aus der Interesse-
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692 Joseph Reis.
losigkeit der Kranken den Versuchen gegeniiber. Das Vorkommen
associativer Verlesungen, die groBere Anzahl zerstreuter Wieder-
holungen bei den Kranken weisen auf eine gewisse Lebhaftigkeit
motorischer Sprachvorstellungen bin und sind wohl den Wort-
spielereien und Reimereien, der Stereotypie und Sprachverwirrtheit
der Hebephrenen an die Seite zu stellen.
Der Ausfall der Auffassungsversuche lasst femer namentlich
bei den Paralytikem recht erhebliche Schwankungen der Aufmerk-
samkeit erkennen. Bei ihnen wechselt, wie aus alien Versuchen
hervorgeht, die Leistungsfahigkeit auBerordentlich, sowohl wahrend
eines einzelnen Versuchs wie im Verlaufe mehrerer Tage. Bei den
Hebephrenen ist eine groBere GleichmaBigkeit der Arbeitsleistung
vorhanden; sie stehen hierin den gesunden Personen oft recht nahe.
Die Untersuchung des Gedachtnisses beschrankte sich auf die
Priifung friiher erworbener Kenntnisse, wahrend die Fahigkeit zur
Einpragung neuer Vorstellungen ganzlich auBer Acht blieb. Nach den
heutigen klinischen Anschauungen ist das Gedachtniss bei der Demen-
tia praecox verhaltnissmaBig am wenigsten durch den Krankheits-
vorgang beinflusst; es ist eine nicht seltene Thatsache, dass weit vei^
blodete Hebephrene nicht nur liber ihre Vergangenheit gut Bescheid
geben konnen, sondem auch noch iiber recht gute Kenntnisse ver-
fUgen. Andererseits beherrschen bei der Paralyse gerade die Sto-
rungen des Gedachtnisses meist das Ej*ankheitsbild. Das Aufsagen
des Alphabets und der Zahlenreihe, besonders aber die fortlaufenden
Rechenaufgaben und die Rechenreactionen sowie schlieBlich das
Aufz'ahlen bestimmter Vorstellungen kommen bei der Beurtheilung
dieser Verhaltnisse in Betracht. Aber gerade hier wird die Unter-
suchung erschwert durch den Einfluss personlicher Unterschiede, wie
sie verschiedene Bildung und Beschaftigung mit sich bringen. So
kommt es, dass bei einer Reihe von Versuchen Paralytiker noch die
besten Leistungen aufweisen. Andererseits aber finden wir doch bei
mehr als der Hiilfte eine erhebliche Minderleistung , die theilweise
sogar die Durchfiihrung der Versuche vereitelte. Bei den Hebe-
phrenen fallen diese Leistungen meist noch in die Gesundheitsbreite.
Nur eine einzige ist auffallend minderwerthig; aber gerade bei diesem
Kranken spricht der qualitative Ausfall mancher Versuche fur eine
recht bedeutende Interesselosigkeit ; auBerdem lasst die Anamnese
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Ueber einfache psychologische Versnche an Gesunden nnd Geisteskranken. 693
uns betreffs der frliheren Kenntnisse des Kranken im Stich. Eine
erhebliche EinbuBe des Vorstellungsschatzes findet sich nur bei
3 Kranken, wobei allerdings zu bedenken ist, dass nur ein einziges
umschriebenes Gebiet genauer untersucht wurde; es ist daher kaum
gestattet, hieraus weitergehende Schlusse auf don allgemeinen Um-
fang des Vorstellungsschatzes zu ziehen. Aber auch auf dem unter-
suchten Gebiete ist eine groBere Bereitschaft der Vorstellungen bei
den Gesunden als bei den Hebephrenen und namentlich den Para-
lytikem nachweisbar. Wir raachen oft die Erfahrung, dass zwar die
Vorstellungen selbst noch vorhanden, die Kranken aber nicht im
Stande sind, dieselben im geeigneten Augenblicke willkurlich ins Gre-
dachtniss zuriickzurufen.
Die zuletzt besprochenen Versuche dienen neben der Priifung des
Gedachtnisses gleichzeitig der Betrachtung der Vorstellungsverbin-
dungen, die wir auch oben schon gestreift haben. Wir findon meist
eine Verlangsamung der associativen Thatigkeit bei den Kranken.
Ueber die Art der Verbindung von Vorstellungen Aufschluss zu
geben, waren die Versuche wenig geeignet; nur bei den Auffassungs-
versuchen war Gelegenheit, auf gewisse EigenthiimUchkeiten hinzu-
weisen. Auch die Bildung einfacher Urtheile haben wir in den
Bahmen der Betrachtung einzuziehen gesucht; ist doch die Urtheils-
schwache eines der eigenartigsten und wichtigsten Kennzeichen der
in beiden Krankheiten sich ausbildenden Geistesschwache. Auf die
Kritiklosigkeit der Paralytiker ist schon aufmerksam gemacht. Selbst
bei den einfachen Urtheilsreactionen versagt das Verstandniss eines
Hebephrenen und eines Paralytikers der Aufgabe gegeniiber. Nament-
lich bei den Paralytikem wird durch den associativen Vorgang der
Urtheilsbildung eine auBerordentlich lange Zeit in Anspruch ge-
nommen.
Zur genaueren Untersuchung der psychischen Grundeigenschaften
waren die angewandten Methoden ebenfalls meist nur wenig brauch-
bar. Aber die Versuche sind doch auch nach dieser Richtung nicht
ganz ergebnisslos. Wir konnen durchweg eine groBere Ermtid-
barkeit bei den Kranken gegenUber den Gesunden nachweisen, und
zwar erreicht dieselbe bei den Paralytikem immer einen besonders
hohen Grad. Der stetigere, gleichmaBigere Verlauf der Arbeit bei
den Gesunden, der ungleiche, sprunghafte, durch groBere Labilitat
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694 Joseph Reis. Ueber einfacbe psychologische Vennche an Gesunden und Geisteskranken.
der Aufmerksamkeit bedingte bei den Paralytikern ist schon er-
wahnt. Auch der Uebungsfortschritt ist bei den Gesunden immer
am groBten, bei den Paralytikern am geringsten.
Damit waren in groBen XJmrissen die aus den Versuchen sich er-
gebenden Schlussfolgerungen angefiihrt. Leider gestattet auch der Um-
fang der Versuche keine eingehendere Kennzeichnung der einzelnen
Personen. Dennoch war uns nicht selten die Moglichkeit gegeben, auf
personliche Verschiedenheiten hinzuweisen und dieselben in ihrem Zu-
standekommen zu erklaren oder auch scheinbar gleiche Eigenschaften
mehrerer Personen auf verschiedene psychische Ursachen zuriickzufUhren.
Es sei nur an die mehr oder minder lebhafte Neigung zu Wortvorstel-
lungen, an die verschieden stark ausgepragte Gredachtnissschwache oder
an die Stumpfheit imd Interesselosigkeit Einzehier erinnert. Ein weite-
res Eindringen war bei der Neuheit der^Lrtiger Untersuchungen noch
nicht moghch. Dazu kommt der TJmstand, dass wir es bei der Para-
lyse und der Dementia praecox mit zwei in vielen Punkten einander
sehr ahnlichen Krankheitsbildem zu thun haben, und dass manche
auBerordentlich wichtige Theile der psychischen Thatigkeit, nament-
hch der Wille und das Gkmiith, kaimi beriicksichtigt werden konnten.
Als wichtigstes Ergebniss der ganzen Arbeit aber diirfen wir,
glaube ich, nochmals hervorheben, dass die Versuche den Beweis
liefem fur die MogUchkeit und Durchfiihrbarkeit psychologischer
Versuche mit Geisteskranken.
Es hat sich gezeigt, dass ein verhaltnissmaBig groBer Bruchtheil
derselben recht wohl der planmaBigen Erforschung ihres geistigen
Zustandes zuganglich ist. Erst eine tiefer eindringende ZergUederung
der landlaufigen Krankheitszeichen aber wird uns die nahe Verwandt-
schaft mancher anscheinend verschiedener und die Unterschiede auBer-
lich gleichartiger Symptome und Zustande kennen lehren. Mogen
daher auch unsere ersten Schritte auf dem neuen Wege einer psycho-
logischen Untersuchung Gkisteskranker vielfach unsichere sein, so
wird uns doch schheBlich dieses Verfahren unentbehrliche Aufschliisse
auch fiir das klinische Verstandniss der Irreseinsformen zu liefem
vermogen, die auf keine andere Weise erreichbar sind.
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RSmer's Versuche
Uber Nahrungsaufnahme und geistige Leistungsffthigkeit.
Von
Wilhelm Weygandt.
In dem Nachlass Dr. Romer's fanden sich die Zahlenergebnisse
sowie einige Berechnungen und curvenmaBige Veranschaulichungen
einer abgeschlossenen Reihe von Versuchen vor, die er im Jahr 1893
an sich selbst angestellt hat. Wir glauben nicht nur eine Pflicht der
Pietat zu erfiillen, wenn wir hier eine Wiedergabe, Bearbeitung und
Deutung versuchen, sondern es scheint uns das Material auch wegen
seines thatsachlichen Werthes zu einer kurzen Veroffentlichung ein-
zuladen.
Im Sommer 1893 fUhrte Kraepelin auf der XViil. Wander-
versammlung der sUdwestdeutschen Neurologen und Irrenarzte^) in
einem Vortrag >uber psychische Disposition* in allgemeinen ZUgen
den Gang der Tagesdisposition des Individuums aus, die bis gegen
Mittag wachsende Leistungsfahigkeit und dann nach Tisch ein rasches
Sinken derselben zeigt, wahrend sie sich im Laufe des Nachmittags
wieder alhnahlich hebt, bis sich abendliche Ermlidung geltend macht.
Romer hatte sich die Aufgabe gestellt, diese Schwankungen der
Tagesdisposition, die bei den einzehien Individuen wieder groBe Ver-
schiedenheiten zeigen, vorzugsweise nach ihren ursiichlichen Verhalt-
nissen genauer zu untersuchen. Als die wesentlichsten Bedingungen,
die unsere Tagesdisposition beeinflussen, fasste er Schlaf und Nah-
rungsaufnahme auf. Ueber diese Bedeutung des Schlafes theilte
1) Archiv fiir Psychiatrie, XXV., Heft 2, S. 593.
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696 Wilhelm Weygandt
Romer in 2 Vortragen^) auf Grund zahlreicher Versuche eine Reihe
von Thatsachen mit; wichtig ist dabei einerseits die Unterscheidung
von Ermiidung und Mudigkeit, andererseits das abweichende Verhalten
der Personen mit Morgen- und derjenigen rait Abenddisposition.
Zur Erforschung des Antheils, den die Nahrungsaufnahme an
der Beeinflussung unserer Tagesdisposition hat, stellte Romer die
vorliegende Versuchsreihe an. Als Versuchsarbeit wurde fortlaufendes
Addiren einstelliger Zahlen, ohne Niederschreiben der Summen, in
der bekannten Weise vorgenommen. Romer brachte schon einen
betrachtlichen Grad von Uebung in diese Versuchsreihe mit. Femer-
hin waren noch Wahkeactionen geplant, jedoch gelangten sie nicht
zur Ausfuhrung. Die kurzen protocoUarischen Notizen besagen fol-
gendes liber die Versuchsanordnung. Es wurde an 8 Tagen, vom
23. bis 31. Dezember 1893, gearbeitet; nur der 28. fiel aus. Am 1.,
3., 5. und 7. Tage fand der Versuch ohne vorhergehende Nahrungs-
aufnahme statt (o. N.), an den ubrigen 4 Tagen jedoch nach Nah-
rungsaufnahme (m. N.). Um Y28 Uhr stand Romer jedesmal auf; um
7^9 Uhr nahm er an den Tagen mit Nahrungsaufnahme ein Friih-
stiick zu sich, das aus 250 Gramm gebratenem Fleisch und einem
Brotchen bestand. Um 9 Uhr begann dann regelmaBig der eigent-
liche Versuch. Es wurde eine halbe Stunde lang addirt; dann folgte
eine halbstundige Pause. Von 10 — Va^^ U^ wurde wieder addirt;
von Yill~ll Uhr war Pause; 11 — Yjl2Uhr Addiren, dann Pause
und schlieBlich von 12 — YjI Uhr wieder Addiren. Die unerlasslichen
VorsichtsmaBregeln, Enthaltung von Alcohol, Excitantien, korperlicher
Arbeit u. s. w., wurden natiirUch beobachtet. Die Versuchsreihe er-
gab ein Material von 8 mal 4 halben Stunden; einem Tage o. N. en\r
sprach immer einer m. N.
1) Ueber einige Beziehtmgen zwischen Schlaf und geistigen Thatigkeiten.
Vortrag gehalten auf dem 3. intemationalen Congress fur Psychologie in Miincben
1896, Bericht 1897, S. 353.
Experimentelle Studien uber den Nachmittagsschlaf. Vortrag auf der
Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenarzte zu Heidelberg 1896, All-
gemeine Zeitschriffc fUr Psychiatrie Bd. 53, S. 860.
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Rdmefs Versuche Qber NahrungsaufnahiDe und geistige Leistungsfahigkeit. 697
Tabelle I.
Anzahl der in je 5 Minuten addirten einstelligen Zahlen.
Datum: 1893
!23.Xn.
24. xn.
25.XTT
26. xn.
27. XII.
29. xn.
30. xn.
31. xn.
Zustand :
O.N.
M. N.
O.N.
M.N.
O.N.
M. N.
O.N.
M. N.
r§
5-Min.-Abschnitt 1
283
306
356
328
304
444
307
360
rt
2
270
345
308
309
285
418
262
394
m
3
243
357
259
342
292
381
348
383
1
4
243
344
262
313
274
411
271
347
2
5
210
333
292
367
274
371
272
381
'^
6
290
357
266
359
272
358
298
387
Halbstundige
Pause.
0)
5-Min,-Abschnitt 1
288
362
293
316
256
439
265
353
§
2
208
355
255
294
291
380
259
382
s
3
168
349
237
361
257
385
272
402
4
1 159
296
234
308
277
343
290
375
'3
5
' 178
320
190
310
254
356
227
389
c«
6
216
313
210
296
261
379
305
390
Halbstundige
Pause.
^
5-Min.-Abschnitt 1
243
279
244
334
257
369
301
380
0
2
227
286
243
298
250
335
230
382
5
3
238
307
206
365
223
353
251
383
^
4
207
303
262
272
258
353
250
332
1
5
196
278
229
339
216
309
249
386
CO
6
228
300
193
287
211
342
295
328
Halbstundige
Pause.
O)
5-Min.-Ab8chnitt 1
258
354
228
344
255
399
294
366
§
2
239
313
226
335
245
332
250
369
35
3
279
297
238
315
266
340
282
311
2
4
1 275
302
251
288
233
292
244
319
5
201
276
237
295
213
306
283
300
•»*
6 1
236
277
236
310
231
372
290
349
Tabelle I giebt die Anzahl der in je 5 Minuten addirten einfachen
Zahlen wieder. Wir werden spater noch auf Einzelheiten dieser Tabelle
zuruckkommen. Zur Erlangung eines Gresammtuberblickes empfiehlt es
sich jedoch, zuniichst groBere Zeitraume zusammenzufassen. Tabelle 11
K r a e p «> 1 i u , Psycbolog. Arbf itpii. IL
46
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69S
Wilbelm Weygandt.
liefert die Anzahl der einzelnen addirten Zahlen auf viertel und halbe
Stunden berechnet, wahrend Tabelle m die Mengen der an jedem
Tage ausgefiihrten Additionen vergleicht.
Tabelle 11.
Viertel- und HaJbstundenwerihe.
Tag:
23. xn.
24. xn.
25. xn.
26. xn.
27. xn.
29. xn.
30. xn.
31. xn.
Zustand: O.N.
V. St. 1 II 796
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
2 743
1539
1008
1034
2042
923
820
1743
979
1039
2018
881
820
1701
1243
1140
2383
917
841
1758
1137
1115
2252
3 664
4 I; 553
1217
1066
929
1995
785
640
1425
971 i
914
1885
804
792'
1596
1204J
1078
2282
796
822
1618
1137
1154
2291
5 il 708 i
6 , 631
1339
872
881
1753
093
684
1377
99
898
1895
730
685
1415
1057
1004 1
2061
782
794
1576
1151
1046
2197
7 ' 776
8 I 712
1488
964
855
1819
692
724
1416
994
963
1957
766
677
1443
1071
970
2041
826
817
1643
1046]
968
2014
Tabelle m.
Voile Tagesleistungen.
Tag 23.Xn.
24. xn.
25. xn.
26. xn.
27. xn.
29.xn.
3o.xn.
3i.xn.
Zustand 1 0. N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
Absolute Zahl der
Additionen .... 5583
7609
5961
7755
6155
8767
6595
8754
Diflferenz jeder Zahl
von der folgenden . + 2026
— 1648
4-1784
— 1600
+ 2612
— 2172
4-2159
Ein Blick auf Tabelle III giebt schon deutlich zu erkennen, wie
sehr die Tage o. N. in ihrer Leistung hinter den Tagen m. N. zurUck-
bleiben. Auch die Viertel- und Halbstundentabelle spricht dasselbe
Verhalten ohne weiteres aus. Zu einer zahlenmaBigen Feststellung
jedoch bediirfen wir der Berechnung des Uebungszuwachses. Aus der
Arbeit von Rivers und Kraepelin*) ging die spater auch durch
1) Diese Arbeiten I., S. 649.
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R5mcr*s Versuche uber Nahmngsaufnahme uiid geistige Leistungsfahigkeit. 699
Befuhde von Weygandt*) bestatigte Thatsache hervor, dass bei
manchen Personen im Zustande geistiger Frische, wie wir ihn bei
vielen Menschen in den Morgenstunden erwarten konnen, eine halb-
stundige Pause einigermaBen geniigt, um die durch eine vorhergehende
halbstundige Arbeit hervorgerufene Ermiidung wieder auszugleichen.
Da nach so kurzer Prist der Uebungsverlust wahrscheinlich noch sehr
gering ist, bieten uns derartige Pausen ein Mittel, wenigstens annahemd
die GroBe des reinen Uebungszuwachses zu bestimmen. Wenn wir bei
Romer die Werthe der ersten und zweiten BLalbstunde in Tabelle 11
vergleichen, finden wir mit einer geringen Ausnahme uberall eine
Abweichung von jenen Befunden. In der 2. Halbstunde wird weniger
geleistet als in der ersten. Die Erholungswirkung ist entweder zu
gering oder der Uebungsverlust zu groB gewesen, oder endlich, es
haben hier andersartige Einfliisse mitgespielt, welche eine Verschlech-
terung der Leistung im Laufe des Vormittags bewirkten.
Auf eine Eeststellung des reinen Uebungszuwachses miissen wir un-
ter diesen Umstanden verzichten. Wir haben daher versucht, einen tag-
lichen Uebungszuwachs, der den von einem Tage zum andern auftre-
tenden Uebungsverlust nicht ausschlieBt, aus den ersten Viertelstunden
eines jeden Tages (m. N.), die wir fur die ermiidungsfreiesten hielten,
zu gewinnen. Aber auch wenn wir diesen auf 30,7 berechneten Werth
einsetzen und nun die gefundenen mit den erwarteten Zahlen ver-
gleichen, erhalten wir noch kein besonders einheitliches Bild. Das
Procentverhaltniss der gefundenen gegeniiber den erwarteten Werthen
an den Tagen o. N. betragt im Durchschnitt 82,59, an den Tagen
m. N. 99,21. Diese Durchschnitte sind aber wenig zuverlassig, da
die einzelnen Werthe ziemlich weit von einander abweichen. Die Iln-
zulanglichkeit dieses Verfahrens ist leicht zu erklaren. Die Benutzung
der Anfangsviertelstunde wird dadurch erschwert, dass bei Romer
die Werthe der einzelnen Viertelstunden aus sehr ungleichen Theil-
zahlen zusammengesetzt sind. Vorzugsweise in Folge des spiiter noch
genauer zu erortemden Antriebs giebt es da Schwankungen der Fiiiif-
minutenwerthe im Verhaltnisse von 4:5. Auch gegen die halb-
stUndigen Abschnitte wurden sich ahnliche Einwande erheben lassen.
Wir entschlossen uns daher, den Uebungszuwachs zu berechnen
I) Diese Arbeiten 11., S. 167.
46*
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700
Wilhelm Weygaiidl,
ohne Rucksicht auf die im Laufe des S'^stUndigen Vepsuchs auf-
tretende Ermiidung, die ja auch durch die 3 halbstiindigen Pausen
wieder in gewissem Grade ausgeglichen wird. Wir legten die vollen
Werthe der Tage m. N. zu Grunde und erhielten somit einen rohen
taglichen Uebungszuwachs von 217,1 Zahlen. Als Ansgangspunkt
wurde der erste Tag m. N., also der 24. Dec. genommen:
Tabelle IV.
Tag
23.XTT.
24. XII.
25.xn
26. xn.
27. xn.
29.xn.
30. xn.
3i.xn.
Zustand
O.N.
M. N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
Erwarteter
Gefundoner
Tages-
werth
7391,9
5583
7609
7609
7826,1
5961
8043,2
7755
8260,3
6155
8477,4
8767
8694,5
6595
8911,6
8754
Differenz
-1808,9
0
-1865,1
-288,2
-2105,3
4-289,6
—2099,5
— 157,6
Gcfundener Werth in
% des erwarteten .
I
75,53
100
76,29
96,42
74,51
102,61
73,46
98,23
Tabelle IV giebt die Differenzen der gefundenen von den er-
warteten Werthen - sowie deren procentuales Verhalten wieder. Wir
selien, dass der Gang der Uebung sowohl an den Tagen m. N. als
auch an denen o. N. ein recht gleichmaBiger ist. Die Procentzali-
len haben an den Tagen m. N. eine mittlere Variation von 1,99,
an den Tagen o. N. nur von 0,96. Die Differenzen der gefundenen
von den erwarteten AVerthen betrugen an den Tagen m. N. im Durcli-
schnitt 39,1, an denen o. N. 1969,7. Das Procentverhaltniss der er-
haltenen zu den erwarteten AVerthen der Tage m. N. betragt durch-
schnittlich 99,315; an den Tagen o. N. ergiebt es 74,95. Letztere
bleiben somit hinter dem fur ihren normalen Uebungsstandpunkt er-
warteten Werthe durchweg um etwa Y4, in Procenten ausgedriickt
um 24,37 zuriick.
Das bisherige Ergebniss ist also eine durchgehende Minderleistung
an den Tagen o. N., wahrend die Uebung ruhig ihren Gang fort-
setzt, ja sogar noch etwas regelmiiBiger an den Tagen o. N. als m.
N. vorwartsschreitet. Zu bemerken ist noch, dass der eine iiber-
sprungene Tag (28. Dec.) keinen sichtbaren Uebungsverlust zur Folge
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Rdmer's Versuche uber Nahruiigsaufiiahme uiid geistige LeistungsHihigkeit. 701
hatte; gerade der Uebungsfortschritt vom 27. auf den 29. ist der
groBte, der uberhaupt gemacht worden ist.
Mit diesen Befunden ist nun der urspriinglichen Fragestellung
nach dem Einflusse der Nahrungsaufnahme auf die Dispositionsande-
rung noch nicht vol! entsprochen. Wii* miissen den Verlauf der Arbeit
im Einzelnen untersuchen. Zunachst haben wir uns mit der auf-
fallenden Thatsache auseinander zu setzen, dass bei Romer mit einer
kleinen Ausnahme am letzten Tage durchweg die erste halbstundige
Pause nicht so stark erholend wirkte, dass die folgende Leistung
den Werth der durch die erste halbe Arbeitsstunde gewonnenen
Uebung zu Tage treten lieB. Dass im femeren Verlaufe des Vor-
mittags, im 3. und 4. Arbeitsabschnitte, die Leistung noch weiter sinkt,
braucht weniger zu uberraschen, da jetzt alhnahlich die Ermiidung
durch 2 bis 3 vorhergehende Arbeitshalbstunden so groB geworden sein
kann, dass ein voller Ausgleich durch die 30 Minuten Pause nicht
mehr zu Stande kommt. Auch die Versuche von Rivers^) zeigen
in solchen spateren Arbeitsabschnitten ahnUches. Das eine aber ist
noch ein auffalliger Befund, dass beiRomer gerade die letzte halbe
Stunde wieder vielfach eine erhebliche Besserung der Leistung bietet.
Tabeile V.
2., 3. und 4. Halbstunde jedes Tages in Procent der ersten.
Tag:
23. xn.
24. XII.
25. xn
26.xn
27. xn.
29.^11
30. xn.
31. xn.
Durchschnitt
Zustand:
O.N.
M.N.
O.N.
M. N.
O.N.
M.N.
O.N.
M. N. i' 0. N.
M.N.
Halbstunde 1
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
2
79,07
97,69
81,76
93,41
93,S3
95,76
92,04
101,73
86,67
83,9
97,15
90,95
3
83,71
85,85
79,06
93,9
83,19
86,49
89,65
97,56
4
96,69
89,08
81,24
96,97
84,83
85,65
95,73
89,48
89,62
90,3
Tabeile V driickt die Leistungen der 2., 3. und 4. Halbstunde
jedes Tages in Procent der Anfangshalbstunde aus, femer die Durch-
schnittszahlen dieser Procentwerthe, gesondert berechnet fur die Tage
I) a. a. 0. S. 628.
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702 Wilhelra Weygandt.
o. N. und m. N. Wir sehen daraus, dass der Abfall der 2. Halb-
stunde der Tage o. N. ganz betrachtlich ist; in der 3. geht es noch
tiefer, wahrend die 4. wieder einen bemerkenswerthen Aufschwung
der Leistung zeigt. Die Tage m. N. sinken etwas weniger; die letzte
halbe Stunde bietet zweimal eine Verbesserung, einmal einen geringen
und einmal einen groBeren Nachlass.
Wir miissten an immer weitergreif ende Ermiidungswirkung denken,
wenn nicht scblieBlich diese Hebung der Leistungsfahigkeit wieder
zu Tage trate. Man konnte allerdings versucht sein, diese spate
Besserung dann wieder auf die anfangliche Nahrungsaufnahme zu-
riickzufUhren, doch ist sie gerade an den Tagen o, N. am besten aus-
gesprochen. Dagegen diirfen wir darauf hinweisen, dass die Versuchs-
person eine ausgesprochene »Abendnatur« war. Romer begann seine
Tagesthatigkeit stets unter dem Gefuhle der Mudigkeit mit einer ge-
ringen Leistungsfahigkeit, die sich imLaufe des Tages, einige Schwan-
kungen eingeschlossen, albnahlich besserte und erst gegen Abend
ihren Gipfel erreichte. In der Morgenthatigkeit zeigt sich also hier,
der ungUnstigen Tagesanfangsdisposition des Abendarbeiters ent-
sprechend, auch eine groBere Ermlidbarkeit, die aber in Folge der
sich hebenden Tagesdisposition allmahlich zuriicktritt. Die Ermiid-
barkeit ist groBer an den Tagen o. N. ; freilich scheint hier aber die
ausgleichende Wirkung der Dispositioiisbesserung friiher einzusetzen
als an den Tagen m. N.
Die groBe Ermiidbarkeit Romer's iiberhaupt ergiebt sich aus
der Thatsache, dass jede halbe Stunde ihren Hochstwerth schon in
der ersten Halfte erreicht. Die Leistung der ersten Viertelstunde
war in 25 von 32 Fallen hoher als diejenige der zweiten. Im Durch-
schnitte sinkt die Leistung von der ersten zur zweiten Viertelstunde
an den Tagen o. N. um 49, an den Tagen m. N. um 56,8 Zahlen.
Zur Ermittelung der Anregbarkeit der Versuchsperson liefert uns
das vorhandene Material keine Handhabe. Hochstens konnen wir
auf Grund der FUnfminutenzahlen mit ihren ziemlich betrachtlichen
Schwankungen einen hoheren Grad von Anregbarkeit ausschlieBen.
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Romeros Versuche uber Nahrungsaufiiabine und geistige Leistiiiigsfabigkelt. 703
Tabelle VI.
Leistungsdifferenzen zwischen der ersten und der zweiten Viertelstunde.
Tag:
23. xn.
24.XTT
25.XTT.
26.x FT.
27.x FT.
29. xn.
3o.xn
3i.xn.
Zustand:
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
Halbstunde 1
— 63
+ 26
— 103
-f 60
— 61
— 103
-76
— 22
2
— 111
— 137
— 145
— 57
— 12
— 126
+ 26
+ n
3
— 77
-h 9
— 9
— 99
— 45
— 53
+ 12
— 105
4
— 64
— 109
-f 32
— 31
-89
— 101
— 9
- 78
Eine Betrachtung der mittleren Variation der Fiinfminutenzahlen
in jeder halben Stunde (Tabelle VII) zeigt eine ziemlich ausgiebige
Streuung der Werthe. Die mittlere Variation betragt an einer Stelle
1 7 Procent der Durchschnittsleistung dieses Abschnitts. Es ist kein
besonderer Unterschied zwischen den Tagen o. N. und m. N. fest-
zustellen. An jenen belauft sich die mittlere Variation durchsdinitt-
lich auf 19,67, bei diesen auf 20,31. Dieser Mangel an GleichmaBig-
keit im Arbeiten steht in einem gewissen Gegensatze zu dem oben
festgestellten ruhigen Fortschritte der Uebung im Gesammtverlaufe
der Versuchsreihe.
Tabelle VH.
Mittlere Variation der Fiinfminutenwerthe.
Tag:
23. XII.
24.XIL
25.XIL
26. xn.
27. xn.
29.xn.
30. XU.
31. xn.
Zustand :
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
O.N.
M.N.
Halbstunde 1
24,5
14,0
28,2
19,7
10,2
27,2
24,7
14,7
2
34,5
22,8
24,5
16,2
12,0
21,0
19,0
11,8
3
14,5
11,2
20,2
30,2
19,2
14,8
23,7
24,2
4
22,7
20,2
6,0
20,5
14,8
30,8
17,8
25,7
Die schwerwiegendste Ursache fur diese XJngleichmaBigkeit liegt
wohl in der Neigung der Versuchsperson zum Antrieb. Es scheint
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704 Wilhelm Weygandt.
eine ausgepragte personliche Eigenschaft von Romer gewesen zu sein,
in seine geistige Thatigkeit Willensimpulse eingreifen zu lassen. Leider
ist es nicht leicht, mit der groben Zeiteintheilung von 5 zu 5 Minuten
sehr kleine Schwankungen, besonders das kurze Aufschnellen der
Leistung, wie es aus derartigen Antrieben hervorgeht, sicher zu er-
kennen. Immerhin diirfen wir das starke Ueberwiegen der ersten
5 Minuten iiber die folgenden Abschnitte, in denen sich ein allmah-
liches Ansteigen der Leistung wieder einstellt, entschieden als Anfangs-
antrieb, die haufigste Form dieser Erscheinung, auf fassen. Besonders
deutlich finden wir diesen am ersten Tage der Versuchsreihe, wo er
bei keinem der 4 Arbeitsabschnitte vermisst wird. Hier sehen wir
auch das Emporschnellen der Leistung in GestaJt des Schlussantriebes
kurz vor dem Ende jeder Arbeitszeit, nachdem schon ein allgemeiner
Nachlass der Leistungsfahigkeit sichtbar geworden war.
Die vorliegende Versuchsanordnung, nach der Romer stets iiber
die zeitliche Eintheilung wiihrend des Arbeitens im Klaren sein musste,
lasst die Haufigkeit des Schlussantriebes besonders begreiflich erschei-
nen. Nur bei Versuchen mit zeitlicher Festlegung jeder einzelnen Addi-
tion, wie sie von von Voss*) beschrieben werden, ist es moglich, die Er-
scheinung des Antriebes bis in alle Einzelheiten hinein zu verfolgen.
Bei der Fiinfminuteneintheilung aber konnen schwachere Antriebswir-
kungen sich nicht ausdriicken, wie wir sie etwa da vemmthen diirfen,
wo auf den Abfall von 251 auf 237 ein weiterer, doch ganz geringer,
auf 236 erfolgt. Besteht, wie in der ersten Hiilfte des Versuchs vom
31. Dec, iiberhaupt in den 2. Viertelstunden Neigung, die Leistung
zu bessem (347, 381, 387 und 375, 389, 390), so darf die Steige-
nmg gegen das Ende hin natiirlich nicht als Antriebswirkung an-
gesehen werden. Auf eine Ermittelung von Antriebsvorgangen wah-
rend des Verlaufes der Arbeit konnen wir bei unserem Stoffe mit
seinen immer nur sechstheiligen Abschnitten gar nicht schlieBen, wenn
auch das starkere Schwanken der einzelnen Werthe of ter darauf hin-
deuten mag. Wir miissen uns stets vergegenwartigen, dass neben dem
bessemden Einfluss des Antriebes auch andere, nicht immer feststell-
bare, oft verschlechtemde XJmstande wirksam sind, geringe Dispo-
sitionsschwankungen auf Grund von Miidigkeit, korperlichen Vorgangen,
auBeren Storungen u. s. w.
1) Diese Arbeiten U., S. 399.
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Romeros Versuche fiber NahruDgsaufiiabme uod geistige Leistuugsfahigkeit. 705
TabelleVm.
Haufigkeit des Antriebes.
Zustand
O.N.
M. N.
Antriebsart ....
Anfang
SchlusB
Anfang
Schluss
Halbstunde 1 . . .
2 . . .
3 . . .
4 . . . 1
1
4
3
4
4
2
4
3
3
2
3
3
3
1
1
2
4
Zusammen ....
15
12
11
8
Das Auftreten des Antriebs am Anfange und am Schlusse jeder
halben Stunde, soweit es mit einiger Bestimmtheit anzugeben ist, lasst
Tabelle VIII erkennen. Die einzelnen Belege finden sich leicht in
Tabelle I. Im ganzen ist die Neigung zum Antrieb an den Tagen
o. N. groBer als an jenen m. N. Am schlecbtesten steht der letzte
Tag der Reihe (m. N.) da, der iiberhaupt, wie die Betrachtung des
Uebungszuwachses erkennen lasst, unter ungUnstigerer AUgemein-
disposition verlief. Nur an seinem Ende, dem allerletzten Abscbnitte
der ganzen Versuchsreihe, treffen wir wieder einen, bier leicbt ver-
standlichen Schlussantrieb. Wenn wir die Antriebshohe mit beriick-
sichtigen, scheint im ganzen die erste Halfte der Versuche an den
Tagen o. N. bevorzugt zu sein, wahrend die Tage m. N. mehr im 3.
und 4. Arbeitsabschnitte Antrieb zeigen. Wenn wir die Zahlenwerthe,
um die jede Antriebsperiode ihren Nachbarabscbnitt Ubertrifft, mit
einander vergleichen, so verhalt sich, ohne dass auf die absolute Hohe
der Werthe irgend welcher Nachdruck gelegt wird, der Anfangs-
antrieb an den Tagen o. N. zu demjenigen m. N. der Hohe nach wie
25,8:20,3; der Schlussantrieb wie 18,3 zu 14,4. —
Ergebniase:
1. Wenn wir eine Deutung dieser Bef unde versuchen, so miissen
wir zunachst das durchgehende Zuriickbleiben der Tage o. N. um 20
bis 30^ wohl auf die Wirkung der vom vorigen Abende her be-
stehenden, ungefahr 10 — 16 Stunden andauemden Nahrungsenthal-
tung zuriickfiihren. In wie fern dies mit den Ergebnissen neuerer
Versuche ubereinstimmt, soil in einem der nachsten Hefte dieser
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706 Wilhelin Weygandt. Rdmer's Versucbe iib. Nabrungsanfiiahme u. geistigeLeistungsRihigkeit.
Arbeiten besprochen werden. Die ungUnstige Wirkung der Nahrungs-
enthaltung wird an den Tagen m. N. beseitigt, ohne dass jedoch,
wie das nach der Mittagsmahlzeit beobachtet wird, zunachst eine
Herabsetzung der Leistung bemerkbar ware. Dieser Widerspruch
diirfte sich dadurch losen, dass bei der vorliegenden Versuchs-
reihe nur eine verhaltnissmaBig geringe, vor allem wenig voluminose
und recht leicht verdauliche Mahlzeit vorausgegangen war, die Uber-
dies noch eine halbstundige Pause von dem Arbeitsbeginn trennte.
Sehr bemerkenswerth ist jedoch, dass die Wirkung des Essens
schon beim ersten Beginne der Arbeit, also zu einer Zeit deutUch
war, wo eine Aufsaugung und Verwerthung des Genossenen schwer-
lich schon in irgend nennenswerthem XJmfange geschehen sein konnte.
Vielleicht hat also das Gefiihl der Sattigung bereits einen gunstigen
Einfluss ausgelibt. Jedenfalls erscheint es zweckmaBig, sehr ermiid-
baren Abendarbeitem friih vor dem Arbeiten das Einnehmen eines
reichlicheren Friihstiickes zu empfehlen. Ob diese MaBregel fur
andersartige Personlichkeiten von erheblicherer Bedeutung ist, muss
durch weitere Versuche festgestellt werden. Immerhin dlirften die mit-
getheilten Erfahrungen besonders ftirSchulkinderzu berUcksichtigen
sein, die so haufig die Neigung haben, ihr Friihstuck auf ein moglichst
geringes MaB zu beschranken, zumal ihnen bei dem friihen Beginne
des Unterrichts meist Zeit und Ruhe zu reichUcherer Mahlzeit fehlt.
2. Die Uebung wird durch wechselnde Versuchsverhaltnisse nicht
beeinflusst.
3. R. zeigt sich als eine leicht ermlidbare Natur. Auf Grund
seiner Abenddisposition macht sich bei diesen Arbeiten am Morgen
trotz der halbstundigen Erholungspausen eine f ortschreitende Ermiidung
maBigen Grades geltend, an den Tagen o. N. etwas starker, als an
denen m. N. Vor der sich bessernden Tagesdisposition tritt im Laufe
der Vormittagsthatigkeit die Ermiidungswirkung etwas zuriick.
4. R. arbeitet mit geringer GleichmaBigkeit, ohne dass in dieser
Hinsicht an den zweierlei Tagen Unterschiede ersichtUch waren.
5. Haufig giebt sich bei R. Neigung zu Willenseingriffen kund
in dem Auftreten des Anfangs- wie des Schlussantriebs, die an den
Tagen o. N. am deutUchsten ausgepragt sind. Vielleicht spielt bei
ihrer Entstehung das Gefiihl der herabgesetzten Leistungsf ahigkeit eine
gewisse RoUe.
Drnck Ton Breiikopf it li&rtel in Leipzig.
Digitized by VjOOQ IC
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