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Full text of "Psychologische Arbeiten"

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PSYGH0L06ISGHE  AR6EITEN 


J 


HERAUSGEGEBEN 


YON 


EMIL  KRAEPELIN 

PROFESSOB  IN  HEIDELBEBa 


ZWETTEB  BAin) 

MIT  8  TAFELN  UND  9  FIGUREN  IM  TEXT 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  WILHELM  ENGELMANN 
1899. 

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3r 


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Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


SeiU 
Experimentelle  Studien  ilber  Associationen.    II.  Theil.  Die  Associationen  in 

der  Erschopfiing.    Von  Qustav  Aschaffenburg 1 

Unterauchungen  aber  die  Tiefe  des  Schlafes.    Von  Eduard  Michelson.    Mit 

5  Figuren  im  Text 84 

Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels   aiif  fortlaufende   geistige  Arbeit. 

Von  WiLHELM  Weygandt 118 

Ueber  die  Messung  der  Auffassungsf&higkeit    Von  Ludwig  Cron  und  EitfTL 

Kraepelin 203 

Die  pBychischen  Wirkungen  des  Trionals.    Von  Hans  Haenel.    Mit  einer 

Figur  im  Text 326 

Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistung.     Von  Georg  von 

Voss.    Mit  einer  Figur  im  Text 399 

Unterauchungen  aber  die  Sohrift  Gesunder  und  Geisteskranker.    Von  Adolf 

Gteoss.    Mit  Tafel  I— VIII  und  zwei  Figuren  im  Text 450 

Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psychoge.    Von  Adolf  Gross 569 

Ueber  einfache  psychologischc  Versuche  an  Geaunden  und  Geisteskranken. 

Von  Joseph  Reis ' 587 

Rdmer^B  Versuche  liber  Nahrungsaufnahme  und  geistige  Leistungsfahigkeit. 

Von  WiLHELM  Weygandt 695 


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Experimentelle  Studien  liber  Associationen. 

n.  Theil. 
Die  Associationen  in  der  Erschopfong. 

Von 

Oustay  Aschaffenbnrg. 


Jede  Veranderung  unserer  gleichmaBigen  Lebensweise  muss  auch 
eine  Veranderung  unseres  psychischen  Gleichgewichtes  hervorruf en ;  ja 
wir  konnen  sogar  soweit  gehen,  zu  sagen,  dass  auch  die  anscheinend 
geringfiigigsten  Geschehnisse,  die  eine  Veranderung  des  korperlichen 
Zustandes  hervorbringen,  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Geistesthatigkeit 
bleiben  konnen.  Fraglich  ist  allerdings,  ob  unsere  HUlfsmittel  zur 
Untersuchung  empfindlich  genug  sind,  um  die  Abweichungen  fest- 
stellen  zu  konnen.  Diese  Frage  kann  gewiss  nicht  fiir  alle  Falle 
bejaht  werden,  um  so  weniger,  da  wir  oft  gar  nicht  wissen,  welche 
der  verschiedenen  Airten  der  Geistesthatigkeit  von  den  Veranderungen 
betxoffen  worden  ist;  nicht  alle  Fahigkeiten  werden  durch  dieselbe 
Schadigung  in  Mitleidenschaft  gezogen,  es  sind  auch  nicht  alle  gleich 
empfindlich. 

In  den  Studien  uber  die  Vorstellungsbildung  unter  normalen  Ver- 
haltnissen^)  hat   die   Beeinflussung   des  Associationsvorganges  durch 


1,  Diese  Arbeiten  Bd.  I,  209—299. 

AUes,  was  in  den  folgenden  AusfCihrungen  enthalten  ist,  gilt  nur  fOr  die 
freie  Vorstellungsbildung,  wie  sie  in  dem  ersten  Theile  dieser  Arbeit  eingehender 
dargestellt  wurde.  Ich  bin  mir  wohl  bewusst,  dass  meine  Untersuchungsergeb- 
nisse  nicht  ohne  weiteres  auf  associative  Thfitigkeiten  wie  etwa  das  Addiren  von 
Zahlen  Qbertragen  werden  diirfen. 

Kraepelin,  Pijcbolog.  Arbeit«D.  II.  \ 


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2  Gustav  Aschaflenburg. 

zufallige  auBere  Storungen  das  Verstandniss  erschwert.  Was  aber  in 
jener  Arbeit  als  ein  Nachtheil  empfunden  wurde,  kann  bei  der  vor- 
liegenden  nur  vortheilhaft  sein,  bei  der  es  sich  darum  handelt,  ab- 
sichtlich  abnorme  Zustande  zu  schaffen  und  deren  Einfluss  auf  den 
Associationsvorgang  zu  untersuchen.  Auf  zwei  Wegen  konnen  wir 
dazu  gelangen:  Durch  Gifte,  die  wir  von  auBen  dem  Korper  zufiih- 
ren,  oder  durch  plotzliche  Veranderung  unserer  Lebensgewohnheiten. 
Auf  beiden  Gebieten  liegen  Vorarbeiten  vor,  von  denen  indessen 
nur  die  von  Kraepelin  iiber  die  Einwirkung  des  Alkohols  systema- 
tisch  angestellt  worden  sind. 

Bisher  ist  nur  wenig  iiber  den  Einfluss  der  Ermiidung  und  der 
Erschopfung  auf  den  Associationsvorgang  veroffentlicht  worden. 
Ich  will  deshalb  gleich  meine  eigenen  Versuche  anfuhren  und  dann 
vergleichen,  ob  und  wie  weit  die  bisherigen  Erfahrungen  damit  iiber- 
einstimmen.  Das  Material  lieferten  mir  hauptsachlich  die  im  Theil  I 
S.  213  naher  geschilderten  Nachtversuche,  an  denen  sich  6  Herren  be- 
theiligten.  Der  Normalversuch  des  Herm  cand.  med.  T  (21  Jahre 
alt)  sowie  ein  weiterer  von  K  sind  bei  den  Normalversuchen  nicht 
verwendet  worden,  da  sie  erst  nach  Fertigstellung  des  1 .  Theiles  an- 
gestellt wurden.  Ich  werde  bei  der  Besprechung  derselben  noch 
eingehender  darauf  hinweisen,  dass  sie  durchaus  mit  den  bisherigen 
Ergebnissen  der  Normalversuche  Ubereinstimmen.  Die  Anordnung 
der  Experimente  in  den  Versuchsnachten  war,  wie  frliher  ausgefiihrt 
worden  ist,  folgende:  Alle  drei  Stunden  wurde  eine  Reihe  von  Asso- 
ciationen  gemacht;  die  Zwischenzeiten  waren  mit  andersartigen  Ex- 
perimenten  ausgefuUt.  Die  Reizworte  wiederholten  sich  nicht.  5  Ver- 
suche wurden  mit  einsilbigen,  4  mit  zweisilbigen  Reizworten  gemacht. 
Da  T  in  der  Handhabung  des  Lippenschlussels  nicht  hinreichend 
geiibt  war,  benutzte  derselbe  zur  Stromoffnung  den  Roemer'schen 
Sprechapparat ;  auBerdem  wurde  aus  dem  gleichen  Grunde  auf  die 
Zeitmessung  bei  K  in  dieser  Nacht  verzichtet.  Die  Versuche  wurden 
in  folgender  Reihenfolge  angestellt: 


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Cxperimentelle  Studien  Tiber  Associfttionen.  II. 

Tabelle  L 
Zeitliche  Reihenfolge  der  Yersuche. 


1.  K. 

20/21.  Vni.  92 

4  Reihen 

Yonje   50  einsilbigen  Reizworten 

2.  L. 

19/20.    XI.    92 

.    .    50 

3.  B. 

19/20.    XL    92 

»    .    50 

4.  B. 

28/29.    m.    93 

»    »    50 

5.  E. 

18/19.  VII.    93 

>    »    50 

6.  K. 

16/17.  VII.    94 

»    »  100  zweisilbigen       » 

7.  N. 

16/17.  VII.    94 

»    »  100 

8.  T. 

8/9.      II.     96 

»    »  100 

9.  K. 

8/9.      11.     96 

»    »  100 

ohne  Zeitmessungen. 

I.  Yersnche  mit  zweisilbigen  Reizworten. 

Obgleich  zeitlich  die  Experimente  mit  zweisilbigen  Reizworten 
spater  fallen,  will  ich  dieselben  doch  zuerst  besprechen,  weil  durch  die 
groBere  Anzahl  der  in  jeder  Versuchsreihe  gebildeten  Associationen 
Zufalligkeiten  leichter  auszuschlieBen  waren. 

Tabelle  II. 


Nachtversuch. 
K.  16/17  VII.  94. 

Procentverh&ltniss  der  einzelnen  Associations- 
gnippen  zu  einander 

Innere  Asaocia- 
tionen 

AeuJJere  Asso- 
ciationen 

Nicht  sinnge- 
m&fie  Associa- 
tionen 

Mittelbare 
Associationen 

I.  10.20—10.57  p.m. 

35 

58 

4 

3 

II.  12.59  —  1.25    a.  m. 

27 

58 

11 

4 

III.  3.40  — 4.11    a.  m. 

23 
26 

59 

16 

2 

IV.    6.23  —  6.50    a.  m. 

53 

20 

1 

Die  Versuchsreihe  I  entspricht  alien  Anforderungen,  die  wir  auf 
Grund  der  Normalversuche   zu   stellen  berechtigt   sind.     Die  etwas 


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4  Gustav  Aschaffeoburg. 

groBere  Anzahl  der  auBeren  Associationen  sowohl  als  die  geringe 
Menge  der  nicht  sinngemaBen  bewegen  sich  durchaus  in  den  gewohnten 
Grenzen.  Bei  der  Versuchsreihe,  die  3  Stunden  spater  angestellt  wurde, 
hat  sich  das  Verhaltniss  der  inneren  zu  den  ganz  unverandert  ge- 
bliebenen  auBeren  Associationen  verschoben.  Die  Abnahme  der  in- 
neren um  8  geht  einer  Zimahme  der  nichteinngemaBen  um  7  parallel. 
Damit  ware  schon  die  Anzahl  der  nicht  sinngemaBen  Associationen 
erreicht,  die  wir  im  Versuche  5  der  Tabelle  XIV*^)  als  auffallig 
groB  bezeichneten,  und  zu  deren  Erklarung  wir  die  durch  psychische 
En'egung  (Aerger)  geschaffene  ungimstige  Disposition  heranzogen. 
Die  m.  Versuchsreihe  zeigt  noch  eine  weitere  Zunahme  der  nicht- 
sinnentsprechenden  Reactionen,  die  endlich  in  der  letzten  Reihe  das 
5fache  der  zuerst  gefundenen  Zahl  erreicht.  Diese  merkwiirdige 
Verschiebung  der  einzelnen  Formen  der  Vorstellungsverbindung  findet 
ihre  genauere  Darstellung  in  der  Tabelle  ITI. 

Tabelle  m. 


1      Procentverhaltniss  der  einzelnen  A'saociationsarten  zu 
einander. 

Nachtversuch. 
K.  16/17.  VII.  94. 

n 

II 

11 

* 

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fi 

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i 

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s 

ll 

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1 

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in 

Ill 
111 

i 

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s 

L  10.20—10.57  p.  m. 

12 

15 

8 

14 

6 
3 
3 
5 

38 
46 

48 

2  2 

3  8 







— 

— 

3 
4 
2 

II.  12.59—1.25  a.  m. 

7;i7 

9     9 

3 
5 

3 

9 
S 
3 

— 

m.    3.40  —  4.11  a.  m. 

6 

lu 

— 

:- 

— 

— 

IV.    6.23  —  6.50  a.  m. 

11 

12 

45 

2 

nl  1 

1 

— 

— 

1 

In  den  einzelnen  Alien  der  inneren  Associationen  pragt  sich  keine 
gesetzmaBige  Verschiedenheit  aus,  da  der  Wechsel  in  der  Zahl  zu 
groB  ist.  Dagegen  scheint  eine  groBere  Neigung  zur  Bildung  sprach- 
licher  Reminiscenzen  zu  bestehen,  die  mit  einer  allerdings  geringen 
Zunahme  der  Worterganzungen  einhergeht.    In  der  letzten  Versuchs- 

\j  Mit   einem  Sterne  *  werde   ich    im   Folgenden  stets   die   Tabellen   des 
1.  Theilcs  dieser  Arbeit  kenntlich  machen. 


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Experiinentelle  Stodien  fiber  Associationen.  II.  5 

reihe  nehmen  beide  Associationsarten  wieder  etwas  ab.  Alle  diese 
Abweichungen  sind  indessen  gering  iind  liegen  durchans  im  Rahmen 
des  Physiologischen ,  sodass  wir  vorlaufig  ims  mit  der  Feststellung 
dieser  Verhaltnisse  begniigen  miissen.  Ganz  anders  steht  es  aber 
mit  der  voUig  regebnaBig  im  Laufe  der  Nacht,  d.  h.  mit  zunehmender 
Erschopfung  wachsenden  Anzahl  der  Associationen  nach  Gleichklang. 
In  6  Normalversuchen,  mit  den  verschiedensten  Methoden  angestellt, 
war  fiir  die  Versuchsperson  K  die  hochste  vorkommende  Anzahl  von 
Klangassociationen  3,5^.  Diese  Menge  sehen  wir  also  schon  in  der 
II.  Versuchsreihe  auf  das  Doppelte  steigen  und  zuletzt  das  Fiinf- 
fache  erreichen;  in  dieser  Reihe  trat  auch  eine  sinnlose  Klang- 
association  auf,  die  wir  ganz  zweifellos  als  pathologisch  zu  betrachten 
berechtigt  sind. 

Eine  Gruppe  von  Reactionen  fehlt  ganz;  es  sind  diejenigen,  bei 
denen  weder  der  Inhalt  noch  der  Klang  des  Reizwortes  mit  der  Ant- 
wort  in  nachweisbarem  Zusammenhange  steht.  Derartige  Reactionen 
kamen  je  einmal  in  2,  dreimal  in  einem  von  19  Normalversuchen 
mit  zweisilbigen  Reizworten  (Tab.  XI*  und  XV*)  vor.  Die  zu- 
nehmende  Erschopfung  bUeb  in  dem  besprochenen  Nachtversuche 
ohne  Einfluss  auf  ihr  Vorkommen,  ebenso  wie  die  Anzahl  der  mittel- 
baren  Associationen  nur  Schwankungen  zeigt,  die  wir  auch  bei  nor- 
malen  Verhaltnissen  getroffen  haben. 

Diesem  Versuche  will  ich  unmittelbar  den  von  der  gleichen  Per- 
son stammenden  vom  8/9.  11.  1896  anschlieBen.  Die  Verschiedenheit 
der  Methoden  mit  resp.  ohne  Zeitmessung  kann  die  qualitative  Ver- 
gleichbarkeit  nicht  weiter  beeintrachtigen,  da  wir  bei  den  Normal- 
versuchen keine  Unterschiede  in  dieser  Richtung  gefunden  haben. 


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Gustay  Aschaffenbiirg. 
Tabelle  IV. 


NachtTenuch. 
K.  8/9.  n.  1896. 

Procentvcrhftltnias  der  einielnen 
Associationsfipruppen  £u  einander. 

InnereAsso- 
ciationen 

0     S     O 

Nicht  sinn- 
gem&Oe 
Aasocia- 
tionen 

llittelbare 

Associa- 

tionen 

I.  9.42—9.58  p.  m. 

2a 

74 

2 

1 

II.  12.37  —  12.54  a.  m. 

26 

50 

20 

4 

m.  3.25—3.44  a.  m. 

20 

58 

25 

2 

IV.  6.15—6.24  a.  m. 

'         12 

60 

28 

— 

Tabelle  V. 


Nachtversuch. 

K.  8/9.  n.  96. 

1 

Procentyerh&ltniss  der  eiozelnen  Associationsarten 
zu  einander. 

is 

!l 

1^ 
it 

II 

IJ 

II 

Mi 

1 

1 

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P 

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1 

1 

i 

1 

P 

^1 

I.  9.42—9.58  p.  m. 

11 

12 

— 

9 

3 

62 
39 

-     2 

ll!    9 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

4 
2 

U,  12.37—12.54  a.  m. 

10 

16 
12 

— 

11 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

m.  3.25  —  3.44  a.  m. 

!   8 

6 

1 

2 

1 

50 
52 

8 
5 

15 
20 

2 
3 

— 

— 

— 

IV.  6.15—6.24  a.  m. 

6 

— 

5 

3 

— 

— 

— 

Die  iiuBeren  Umstande  waren  bei  dem  Versuche  etwas  ungunstig. 
In  dem  Protokolle  ist  notirt:  »Sehr  miide;  vorletzte  Nacht  bis  3, 
letzte  bis  1  Uhr  gearbeitet«.  Aus  zwingenden  Griinden  konnte  der 
Versuch  nicht  verschoben  werden.  Vielleieht  ist  es  auf  die  starke 
Abspannung  zuriickzufuhren,  dass  die  Normabeihe  Abends  ^4^0  Uhr 
ein  so  starkes  Ueberwiegen  der  auBeren  Associationen  uber  die  inneren 
erkennen  lasst.  Wie  Tabelle  V  zeigt,  ist  es  hauptsiichlich  die  Gruppe 
der  sprachlichen  Reminiscenzeu,  die  so  auBerordentlich  zahlreich  ver- 
treten  ist,  zahlreich  selbst  fiir  K,  der  objectiv  und  subjectiv  sehr  zu 


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Bxperimentelle  SfodieQ  fiber  Associationen.  II.  7 

dieser  Associationsfonn  neigt.  Die  Klangassociationen  sind  selten, 
durchaus  der  Norm  entsprechend.  Die  Fehlassociationen  (so  will 
ich  der  Einf  achheit  wegen  im  weiteren  Verlauf e  der  Arbeit  die  Gruppe, 
in  der  das  Eeizwort  nur  reactionsauslosend  wirkt,  nennen)  fehlen 
wieder  ganz. 

In  der  11.  Reihe  ist  das  Verhaltniss  der  «inzelnen  Associations- 
gruppen  voUstandig  verandert,  und  zwar  ist  die  Verschiebung  im 
wesentlichen  auf  Kosten  der  auBeren  Associationen,  speciell  der 
sprachlichen  Reminiscenzen  vor  sich  gegangen.  Ein  Theil  derselben 
ist  duroh  Worterganzungen  ersetzt  worden.  Die  Worterganzimgen 
stehen  den  sprachlichen  Reminiscenzen  sehr  nahe;  sie  bedeuten 
sprachlich,  wie  im  ersten  Theile  ausfiihrlicher  dargestellt  wurde, 
einen  Fortschritt,  in  der  Werthschatzung  der  associativen  Thatigkeit 
dagegen  einen  Ruckschritt  wegen  der  wesentlich  geringeren  Beein- 
flussung  der  Associationsbildung  durch  den  Inhalt  des  Reizwortes. 
In  dem  Eintreten  der  Worterganzungen  fiir  die  sprachlichen  Reminis- 
cenzen liegt  also  eine  Verschlechterung  des  Versuches,  die  durch  die 
9  reinen  Klangassociationen  noch  deutlicher  wird.  In  den  weiteren 
Eeihen  dieser  Nacht  nimmt  die  Zahl  der  Worterganzungen  wieder 
ab,  bleibt  aber  noch  immer  ziemlich  groB,  wahrend  gleichzeitig  auch 
die  sprachlichen  Reminiscenzen  wieder  haufiger  werden.  Die  Zu- 
nahme  erfolgt  aber  nicht  auf  Kosten  der  Worterganzungen,  sondem 
der  inneren  Associationen;  zugleich  steigt  die  Zahl  der  Klangasso- 
ciationen noch  weiter  ganz  erheblich.  Auf  der  Hohe  der  Erschopfung 
sind  fast  der  4.  Theil  aller  Reactionen  solche  nach  reiner  Klang- 
ahnUchkeit.  Die  gesteigerte  Neigung,  nach  Gleichklang  zu  associiren, 
geht  auch  aus  dem  Vorkommen  der  zwei  resp.  drei  sinnlosen  Klang- 
associationen hervor,  die  wie  Schellfisch  =  Bellfisch,  Schwelger 
=  Beige r  das  vollige  Fehlen  der  Auffassimg  des  Begriffes  und  das 
alleinige  Vorwiegen  des  Tonfalles  und  Gleichklanges  verrathen. 

Das  Nichtvorhandensein  der  Fehlassociationen  entspricht  durch- 
aus dem  Ergebnisse  des  erstbesprochenen  Nachtversuches,  ebenso  die 
Nichtbeeinflussung  der  mittelbaren  Reactionen. 

Die  Veranderungen  der  Art  zu  associiren  ist  in  den  beiden  Ver- 
suchen  von  K  die  gleiche;  nur  quantitativ  bestehen  deutUche  Unter- 
schiede.  Die  IL  Reihe  des  zweiten  Versuches  steht  qualitativ  vielleicht 
noch  unter  der  HE.  des  ersten ;  die  IH.  Reihe  des  zweiten  entspricht 


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8 


Gustav  Aschftflenburg. 


der  letzten  des  ersten.  AVir  konnen  daraus  schlieBen,  dass  die  Ur- 
sache,  welche  die  Veranderung  hervorruft,  bei  dem  letzten  Versuche 
intensiver  eingewirkt  hat  als  bei  dem  friiheren.  Wir  haben  nun 
einstweilen  aus  dem  Ausfall  des  erstbesprochenen  Versuches  ent- 
nommen,  dass  der  fortschreitenden  Erschopfung  parallel  eine  Ver- 
schlechterung  der  Associationsbildung  sich  zeigte,  die  sich  in  der 
Abnahme  der  inneren  und  der  Zunahme  der  Klangassociationen  am 
deutlichsten  auspragte.  Durch  die  Gleichheit  dieser  Erscheinung  in 
beiden  Versuchen  gewinnt  die  Wahrscheinlichkeit  an  Boden,  dass  es  sich 
nicht  um  ein  zufalUges  zeitliches  Nebeneinander  handelt,  sondem  dass 
die  Erschopfung  die  Veranderung  der  Associationsweise  hervorruft.  Der 
Unterschied  in  dem  Ausfalle  beider  Versuche  ware  dann  unschwer 
so  zu  erklaren,  dass  die  erwahnte  ungiinstige  Disposition  die  Folgen  der 
in  der  Versuchsnacht  entstehenden  Erschopfung  gesteigert  habe;  ja 
wir  konnen  geradezu  in  der  groBeren  Intensitat  der  Wirkung  bei 
dem  letzten  Versuche  eine  Bestatigung  unserer  Annahme  finden,  dass 
es  thatsachhch  die  Erschopfung  ist,  die  in  der  beschriebenen  Weise 
die  Vorstellungsverbindung  beeinflusst  hat. 

Tabelle  VI. 


Nachtveriuch. 
N.  16/17.  VII.  94. 

Procentyerhftltniss  der  einelnen  Amo- 
ciationsgnippen  xu  einander. 

InnereAsso* 
ciationen 

AeaDereAs- 
sociationen 

Nicht  Sinn. 
gemfcOe 
ABsoda- 
tionen 

Mittelbare 
Assoda- 
tionen 

I.  9.64—10.16  p.  m. 

32 

42 

23 

3 

n.  12.35—12.56  a.  m. 

33 

48. 

17 

2 

m.  3.15—3.37  a.  m. 

37 

38 

24 

1 

IV.  6.65  —  6.22  a.  m. 

25 

34 

39 

2 

Dieser  Versuch  von  N  nimmt  von  vornherein  dadurch  eine  be- 
sondere  Stellung  ein,  dass  die  als  normal  geltende  Versuchsreihe  I 
nicht  unter  vollig  normalen  Umstanden  gemacht  worden  ist.  Es  war 
ausdriicklich  im  Protokolle  notirt:  »Nacht  vorher  sehr  schlecht  ge- 
schlafen;  am  Tage  viel  Arbeit*. 


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Cxperiioentelle  Studien  fiber  Associationen.  II.  9 

Ich  habe  bei  der  Besprechung  der  Reihe  (Theil  I,  S.  269)  darauf 
hingewiesen,  dass  zu  anderen  Zeiten  gemachte  Versuche  desselben 
Individuums  sich  durch  die  grolie  GleichmaBigkeit  der  Associationen 
auszeichneten,  und  dass  besonders  die  Associationen  uberhaupt  nicht 
Yorkamen,  in  denen  das  Reizwort  nur  durch  den  Klang  oder  nur 
reactionsauslosend  wirkte.  Die  Bedingungen  der  ersten  Reihe  des 
Nachtversuches  von  N  wurden  also  eigentlich  zur  Annahme  einer 
schon  im  Beginne  ziemlich  groBen  Erschopfung  nothigen.  Damit 
stimmt  auch  der  Ausfall  des  Versuches  uberein.  Der  Vergleich 
wenigstens  der  Ergebnisse  mit  dem  Resultate  der  in  erschopftem  Zu- 
stand  von  K  gemachten  Experimente  zeigt,  dass  N  da  beginnt,  wo 
K  endet. 

Tabelle  VH. 


Naditverauch. 
N.  16/17.  VII.  94. 

Procentverhftltniss  der  einzelnen  AisociationBarten  zu 
einander. 

is 

|:| 

III 

1 

<^S 
If 

1^ 

s 
s 

II 

IS 

ill 

< 

Ill 

s 

II 

L  9.54  —  10.16  p.  m. 

23 

7 

2 

18 

6 

18 

2 

16 

4 

— 

—    — 

1 

3 

U.  12.35—12.66  a.  m. 

22 

9 

2 

6 

8     34 
6  '  19 

1 
4 

12 

16 

3 
2 

4 

1 
1 

-:■ 

1 

2 

1 

III.  3.15—3.37  a.  m. 

20 

14 

3 

13 

IV.  5.65—6.22  a.  m. 

17 

7 

1 

7 

3 

24 

4 

31 

— 

2 

Das  geht  auch  aus  der  Betrachtung  der  einzebien  Associations- 
arten  hervor.  Wahrend  alle  andem  Formen  nichts  Charakteristisches 
zeigen,  sehen  wir  eine  nicht  unbetrachtUche  Menge  von  Reimen ;  vier 
davon  sind  ganz  sinnlos.  Das  vollstandige  Fehlen  aller  Klang- 
associationen  in  zwei  normalen  Versuchen  lasst  also  wohl  in  dieser 
Erscheinung  etwas  Abnormes  erblicken,  flir  das  die  im  Protokolle 
vor  Beginn  des  Versuches  gemachte  Notiz  die  Ei-klarung  abgeben 
kann.  Die  weiteren  Versuchsreihen  11  und  HL  unterscheiden  sich 
nicht  wesentUch  von  der  I.;  die  11.  Reihe  zeigt  im  Gegentheil  eine, 
wenn  auch  nicht  sehr  erhebliche  Abnahme  der  Klangassociationen, 


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10 


GusU?  Aschafleoburg. 


dafiir  allerdings  die  weitaus  groBte  Menge  von  sprachlichen  Reminis- 
cenzen.  Anders  dagegen  verhalt  sich  die  letzte  Reihe.  In  dieser 
steigt  die  Zahl  der  Reime  und  der  Associationen  nach  Gleichklang 
ganz  plotzlich;  sie  erreicht  das  Doppelte  der  ohnehin  schon  hohen 
Anfangszahl,  das  Achtfache  der  als  obere  Grenze  des  Normalen  fest- 
gestellten  Anzahl  von  4  Klangassociationen.  35  Reime  und  Klang- 
associationen,  davon  4  sinnlose,  bei  einer  Person,  die  in  mehreren 
Normalversuchen  nicht  eine  einzige  derartige  Vorstellungsverbindung 
zeigt,  stellen  eine  so  auBergewohnliche  Abweichung  von  der  Norm 
dar,  dass  schon  recht  bedeutende  psychische  Gleichgewichtsstorungen 
zur  Erklarung  angenommen  werden  miissen.  Wenn  die  Deutung 
richtig  ist,  die  wir  fur  das  Auftreten  zahlreicherer  Klangassociationen 
gefunden  haben,  so  miissten  wir  fiir  diesen  Versuch  annehmen:  Die 
zweifellos  bestehende  Erschopfung  hat  den  Versuch  von  Beginn  an 
in  der  charakteristischen  Weise  gestaltet;  die  durch  den  Nachtver- 
such  hinzukommende  Erschopfung  aber  hat  ihre  voile  Wirkung  erst 
in  der  letzten  Versuchsreihe  entfaltet;  bis  dahin  hielt  die  Spannkraft 
noch  auf  dem  von  vomherein  niedrigen  Niveau  vor. 

Auch  N  zeigt  keine  Beeinflussung  der  mittelbaren  Associationen 
und  der  Pehlassociationen. 

Tabelle  Vm. 


Nachtversuch. 
T.  8/9.  n.  1896. 

Procentverh&ltnigs  der  einselnen 
i       AssociatioDsgruppen  zu  einander. 

Innere  Asso- 
ciationen 

AeuDere  As- 
sociationen 

Niobt  sinn- 
gem&Be  As- 
sociationen 

Mittelbare 
Associa- 
tionen 

I.  9.20  —  9.48  p.  m. 

36 

58 

5 
10       . 

1 
3 

II.  12.10—12.35  a.  m.           32 

55 

-  III.  3.01—3.24  a.  m.            30 

58 

U 

1 

IV.  6.52—6.15  a.  m.            23 

1 

66 

9 

2 

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Experimentelle  Studien  fiber  Associationen.  II. 
Tabelle  IX. 


11 


Xachtverauch. 
T.  8/9.  n.  1896. 

! 

Procentverh&ltnis8  der  einzelDen  ABSociationiarten 
zu  einander. 

Hi 
II 

II 

r 

it 
II 

11 

lis 

e 
1 

is 

fs. 

Is 

s 
1 

.2 

> 

33 

e 
1 
1 

"5 

0 

If 

SI'S 

III 

lis 

IF 

Ill 

H 

i 
11 

i 

I.  9.20—9.48  p.  m.     1 

29 

5 
12 

2 
2 
5 

1 

14 

9 

8 

10 

12 

35 
27 
30 
41 

4 
7 
2 
2 

1 
2 
7 
4 

2 

— 

1 

— 

- 

1 
3 

n.  12.10—12.35  a.  m.  ' 

1 

18 

20 

— 

HI.  3.01—3.24  a.  m. 

13 

12 
12 

IS 

— 

2 

— 

— 

1 
2 

IV.  5.52—6.15  a.  m.    j 

10 

13 

1 

— 

— 

Der  Normalversuch  von  T  unterscheidet  sich  nicht  von  den 
ubrigen.  Die  Anzahl  der  inneren  und  auBeren  Associationen  ent- 
spricht  ziemlich  dem  Durchschnitte.  Die  Rubrik  der  Associationen, 
bei  denen  das  Reizwort  nnr  durch  den  Klang  wirkt,  uberschreitet 
mit  5  die  Norm  nicht,  zumal  wenn  wir  in  der  Tabelle  IX  sehen, 
dass  nnr  eine  einzige  reine  Klangassociation  dabei  ist;  die  anderen  4 
sind  Worterganzungen.  Das  Einzige,  \fodurch  der  Normalversuch 
auffallt,  ist  die  groBe  Zahl  von  Identitaten,  die  nicht  mit  einer 
Neigung  zu  Dialect  oder  der  Gewohnheit,  in  fremden  Sprachen  zu 
sprechen,  zusammengebracht  werden  konnte.  Dass  es  sich  nicht  um 
eine  Zufalligkeit  handelt,  geht  aus  dem  Constantbleiben  der  hohen 
Zahl  in  der  Versuchsnacht  hervor;  auBerdem  zeigte  sich  in  anderen, 
hier  nicht  weiter  verwertheten  Normalversuchen  stets  die  gleiche  Er- 
scheinung. 

Die  regelmaBigste  Veranderung  erleiden  im  Laufe  des  Experi- 
mentes  die  inneren  Associationen,  die  fortdauemd  abnehmen,  und  zwar 
sind  es  ausschlieBlich  die  Associationen  nach  Coordination  und  Sub- 
ordination, die  immer  seltener  werden.  Die  auBeren  Associationen 
bleiben  bis  zur  HE.  Reihe  annahemd  gleich,  dann  nehmen  sie  etwas 
zu.  Bis  zur  gleichen  Reihe  vermehren  sich  auch  die  Associationen 
nach  dem  Klange  der  Reizworte.  Es  ist  nun  nicht  unwichtig,  diese 
Gruppe   genauer  zu  betrachten.     In  der  II.  Reihe  haben  eigentlich 


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1 2  Gustav  Aschaflenburg. 

nur  die  Worterganzungen  zugenommen;  in  der  HI.  aber  sind  es 
wieder  weniger  geworden,  wahrend  nun  die  Associationen  nach 
Gleichklang  zahlreicher  geworden  sind.  Trotzdem  also  die  Gruppe 
sich  quantitativ  nicht  verandert  hat,  ist  die  Qualitat  der  Associationen 
noch  geringwerthiger  geworden.  Bei  den  Worterganzungen  bleibt 
doch  wenigstens  das  Gefiige  des  Reizwortes  noch  erhalten,  wahrend 
bei  Reimen  und  Gleichklangen  nur  die  Klangfarbe,  das  AeuBerlichste 
am  Worte,  die  Reaction  anregt.  Wir  haben  also  in  den  Wort- 
erganzungen eine  Art  Vorstufe  der  Klangassociationen.  Diese  waren 
in  den  bis  jetzt  besprochenen  Versuchen  stets  in  der  letzten  Reihe 
weitaus  am  meisten  vertreten;  hier  zeigt  sich  nun  zum  ersten  Male 
eine  Verminderung,  die,  wenn  auch  gering,  doch  um  so  mehr  in's 
Gewicht  fallen  muss,  als  sich  die  Gesammtzahl  von  der  Norm  nicht 
weit  entfemt.  Es  fehlt  trotzdem  aber  auch  dieser  Reihe  nicht  die 
Verschlechterung,  denn  von  den  6  Gleichklangen  sind  2  sinnlos 
(Muschel  =  Huschel,  Durre  =  HUrre).  Gleichzeitig  sehen  wir  in 
derselben  Reihe  die  geringste  Menge  der  inneren  Associationen  und  die 
groBte  Anzahl  der  sprachlichen  Reminiscenzen,  wodurch  die  anschei- 
nende  Verbesserung  des  Versuches  wieder  mehr  als  ausgeglichen  wird. 
Immerhin  mlissen  wir  feststellen,  dass  die  Zahl  der  Klang- 
associationen zwar  mit  der  fortschreitenden  Erschopfung  gegen  die 
Norm  zugenommen  hat,  diss  die  Art  der  Klangassociationen  fort- 
dauemd  minderwerthiger  wird,  dass  aber  im  ganzen  T  nicht  so  aus- 
gepragte  Veranderungen  zeigt  wie  K  und  N.  Normalversuche,  die 
von  T  bei  einer  Untersuchung  Uber  die  Trionalwirkung  angestellt 
wurden,  ergaben  stets  eine  Zunahme  der  Klangassociationen  mit  f ort- 
schreitender  Ermlldung.  Da  unser  Wortmaterial  erschopft  war,  sah 
ich  mich  genothigt,  zu  dem  Nachtversuche  eine  Reihe  von  Reizworten 
zu  benutzen,  in  der  zwar  die  Wortfolge  nicht  mit  den  friiheren  Ver- 
suchen Ubereinstimmte ,  in  der  sich  aber  naturgemaB  fast  alle  Reiz- 
worte  zum  2.  Male  befanden.  Nun  wissen  wir  aus  den  Experimenten 
Kraepelin's  mit  der  »Wiederholungsmethode«,  dass  sich  die  Asso- 
ciationen sehr  schnell  fixiren.  Anfangs  ist  allerdings  diese  Fixirung 
noch  nicht  so  fest,  dass  der  Einfluss  von  Giften  nicht  im  Stande 
ware,  die  nahen  Beziehungen  zweier  >geubter«  Vorstellungsverbin- 
dungen  weit  genug  zu  lockem,  um  die  specifische  Giftwirkung,  d.  h.  beim 
Alkohol  die  Neigung  zu  Klangassociationen,  hervortreten  zu  lassen. 


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Gxperimentelle  Studien  Qber  Assoeiationen.  II.  13 

Aus  der  Betrachtung  der  Tab.  XVII  *)  geht  hervor,  dass  am  3.  Tage 
anter  dem  Einflusse  des  Alkohols  die  Zahl  der  aiiBeren  Assoeiationen, 
zu  denen  Kraepelin  die  Klangassociationen  rechnete,  stark  zunahm. 
Nicht  weniger  als  32  von  42  iiberhaupt  noch  nicht  vorgekommenen 
Assoeiationen  waren  solche  nach  Klang.  Am  folgenden  Tag  sank 
(lie  Zahl  der  auBeren  Assoeiationen  wieder  urn  \A  ^  unter  die  Menge 
der  am  2.  Tage  gebildeten.  Daraus  lasst  sich  wohl  ableiten,  dass 
Klangassociationen  weniger  fixirt  werden,  als  die  begrifflich  ver- 
bundenen.  Es  ist  demnach  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen, 
dass  die  engere  Verwandtschaft  sinnentsprechender  Assoeiationen 
durch  die  vorherigen  Experimente  bei  T  noch  fester  gekniipft  wurde, 
so  dass  die  Erschopfung  weniger  intensiv  wirken  konnte,  als  es  viel- 
leicht  sonst  der  Fall  gewesen  ware.  Beweisen  lasst  sich  diese  An- 
schauung  allerdings  nicht. 

In  Reihe  11  und  IV  findet  sich  je  eine,  in  Reihe  III  zwei  Fehl- 
associationen.  Daraus  zu  schUeBen,  dass  sie  in  irgend  welchem 
Zusanmnenhang  mit  der  Erschopfung  stehen,  geht  wohl  nicht  an,  um 
so  weniger,  als  die  Zahl  ja  nicht  zunimmt. 

11.   Versuche  mit  einsilbigen  Reizworten. 

Bei  den  einsilbigen  Worten  besteht  in  weit  hoherem  Grade  als 
bei  den  zweisDbigen  die  Neigung,  die  Silbe  durch  Anhangen  eines 
Wortes  in  sprachliche  Reminiscenzen  oder  in  Wortergiinzungen  zu 
verwandeln.  Dadurch  wird  es  erklarlich,  dass  dauemd  eine  verhiilt- 
nissmiiBig  groBe  Anzahl  von  Worterganzungen  vorkommt,  abgesehen 
von  den  bei  jedem  Experimente  gesondei-t  zu  besprechenden  Ursachen. 


1,  Kraepelin,   Beeinflussung  einfacher  psychigcher  Yorg&nge  durch  einige 
Arzneimittel.    Jena  1892,  S.  58. 


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14 


Gustav  Ascbaffeiiburg. 
Tal>elle  X. 


Nachtverguch. 
K.  20/21.  Vni.  92. 

Procentverhfiltnbs  der  einzelnen  Abbo- 
ciationsgpruppen  zu  einander. 

1 

InnereAsso- 
ciationen 

AeuBereAs- 
sociationen 

Nicht  sinn- 
gemfcQeAfi- 
sociationen 

Hittelbare 

Aasocia- 

tionen 

L  10.10  —  10.40  p.  m. 

16 

64        i        20 

— 

II.  J.13— 1.35  a.  m. 

20 

58               22 

— 

III.  4.12—4.39  a.  m. 

18 

54 

28 

2 

IV.  6.55—7.12  a.  m. 

14 

48 

36 

Tabelle  XI. 


Nachtverguch. 
K.  20/21.  Vm.  92. 

ProcentverhaltniBB  der  einzelnen  AsBociationegruppen  zu 
einander 

III 

1 

2 

2 

II 

52 
56 
50 
38 

If 

14 

8 
16 
18 

« 
6 

1 

1 

a 
e 
en 

1 

1 
S 

o 

1 

o5 

II 
ll 

SI 

ill 

^1 

1 

ii 

2 

I.  10.10—10.40  p.m.  ' 

II.  1.13—1.35  a.m. 

III.  4.12—4.39  a.  m. 

8|    6,2 

10 

' 

— 

4 

(> 

— 

— 

2     16  1  2 
4,86 

4       8     2 

1 

2 

— 

6i- 

2 

: 

— 

4 

2 

6 
10 

2 

6 

IV.  6.55—7.12  a.m. 

s 

4 

2 

— 

Der  Xormalversuch  von  K  in  Tab.  X  zeigt  eine  sehr  erhebliche 
Anzahl  der  nicht  sinngemaBen  Associationen.  Diese  setzen  sich  zu- 
sammen  aus  2^  Klangassociationen  und  14^  AVorterganzungen, 
denen  sich  noch  4  ^  Wiederholungen  des  Reizwortes  anfUgen. 
Tab.  XX*  zeigt,  dass  die  groBe  Anzahl  der  Worterganzungen  zwar 
fUr  den  vorliegenden  Versuch  den  Durchschnitt  liberragt,  dass  aber 
bei  alien  Versuchen  mit  einsilbigen  Reizworten  ein  deutliches  Ueber- 
wiegen  dieser  Reactionsform  denen  mit  zweisilbigen  Reizworten  gegen- 
iiber  besteht.     In  dem  Verlaufe  der  Nacht  zeigt  die  HI.  und  noch 


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Experimentelle  Sttidien  0ber  Assoeiationen.  11.  1 5 

raehr  die  IV.  Reihe  eine  geringe  Zunahme,  der  aber  in  der  11.  eine 
verhaltnissmaBig  bedeutende  Abnahme  gegeniibersteht.  Der  Einfluss 
der  Erschopfung  auf  das  Auftreten  der  Worterganzungen  ist  also 
edenfalls  in  diesem  Versuche  kein  sehr  intensiver.  Ganz  anders 
verhalten  sich  dagegen  die  Assoeiationen  nach  Gleichklang.  Diese 
sehen  wir  wieder  wie  im  1.  und  2.  Versuche  (Tab.  EH  und  V)  mit 
dem  Vorriicken  der  Nacht  allmahlich  zunehmen ;  nnr  die  letzte  Reihe, 
in  der  auch  wieder,  wie  in  jenen,  sinnlose  Reime  auftreten,  zeigt  ein 
schnelleres  Anwachsen  der  Klangverbindungen.  Die  Zunahme  erfolgt 
hauptsachlich  auf  Kosten  der  auBeren  Assoeiationen,  wahrend  die 
ohnehin  nicht  sehr  zahkeichen  inneren  nur  um  ein  geringes  schwanken. 
hn  ganzen  steht  der  Versuch  in  gutem  Einklange  mit  den  beiden 
andem  von  K  gemachten.  Die  Uebereinstimmung  erstreckt  sich  aber 
nicht  auf  die  Masse  der  Fehlassociationen.  Diese  fehlten  bei  den 
zuerst  besprochenen  2  Versuchen  ganz,  wahrend  in  dieser  Nacht  ihre 
Anzahl  zwischen  4  und  8  %  schwankt.  (Bei  der  GroBe  dieser  Zahlen 
ist  stets  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  es  sich  um  Procentzahlen  handelt, 
die  also  das  Doppelte  der  wirkhchen  Zahl  angeben.)  Die  erste  Reihe 
enthalt  am  wenigsten  solcher  Reactionen,  die  zweite  am  meisten.  Die 
friiheren  Versuche  machten  es  unwahrscheinUch,  dass  die  Erschopfung 
die  Entstehung  dieser  Reactionsform  begiinstige.  Dieser  Annahme 
wiirde  die  Zunahme  derselben  von  der  I.  zur  11.  Reihe  widersprechen; 
nun  verringert  sich  aber  die  Zahl  in  den  beiden  letzten  Reihen  wieder. 
Daraus  folgt  allerdings  noch  keine  Bestatigung  unserer  Annahme  von 
dem  Fehlen  des  Einflusses  der  Erschopfung;  mindestens  aber  wird 
der  anscheinende  Widerspruch  dadurch  etwas  abgeschwacht. 

Es  lohnt  sich  vielleicht,  die  drei  Versuche  von  K  noch  unter- 
einander  zu  vergleichen.  Das  gleichmaBigste  Ergebniss  zeigten  die 
Klangassociationen;  die  vier  Zeitabschnitte  der  Nacht  lassen  eine  all- 
mahUche  Zunahme  der  Wortverbindungen  nach  dem  reinen  Klang 
erkennen,  und  zwar  war  die  Zunahme  in  alien  Versuchen  so,  dass 
der  erste  Zeitabschnitt  die  geringste,  der  zweite  eine  etwas  groBere 
Anzahl  aufwies,  dass  der  dritte  noch  ein  weiteres  Anwachsen  er- 
kennen lieB,  und  dass  endlich  bei  dem  letzten  Versuche  jede  Nacht 
die  Neigung  zu  Klangahnlichkeiten  nochmals  ganz  erheblich  zunahm. 
Sonst  aber  war  eine  einigermaBen  constante  Veranderung  einer  Asso- 
ciationsform  mit  Sicherheit  nicht  nachzuweisen.     Die  Zunahme  der 


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16 


GusU?  AsebafleDborg. 


Klangassociationen  erfolgte  bald  auf  Kosten  der  inneren,  bald  der 
auBeren.  Auch  die  sprachlichen  Reminiscenzen  und  die  Wort- 
erganzungen  lassen  keinerlei  regelmaBige  und  eindeutige  Zunahme 
erkennen. 


Tabelle  XH. 


jl 

il  ProcentvcrhaltniBs  der  einzelnen  Asso- 

1            ciationssruppen  zu  einander. 
Nachtvermich.             i' 

,1 
L.  19/20.  XI.  92.        ||,.„„i^ 

1    ciationen 

AeaBereAs- 
■ociationen 

48 

NichtBian. 
gem&Oe  As- 
sociationen 

14 

Mittelbare 
Asflocia- 
tionen 



2 

I.  9.18—9.36  p.  m.              36 

II.  12.13—12.34  a.  m.           32 

46 

16 
22 

6 

III.  3.10—3.25  a.  m.            30 

42 

6 
4 

IV.  5.43  —  5.55  a.  m.     ,|       14 

1 

62 

20 

Tabelle  XIH. 


Nachtversuch. 
L.  19/20.  XL  92. 

Procentverhftltniis  der  einzelnen  Associationsarten 
zu  einander. 

If  ill 
m'4 

lis 

1  Jl 

il 
li 

e 

1 

— 

> 

a 
a 

1 
1 
% 

1 

II 

El 

i 

2 

I.  9.18  —  9.36  p.m. 

1 10    201  6 

2 

2 

44 

10  1  4 

— 

—    — 

— 

— 

II.  12.13—12.34  a.  m. 

22    10  1  — 

s  !- 

38 

10  1  6 

— 

—  1  — 

— 

— 

6 

III.  3.10  —  3.25  a.  m. 

16    12     2 

2 



40 

-  -     -    1     - 

12-  8  1  — 





2 

6 

IV.  5.43  —  5.55  a.  m. 

lOJ    4    — 

12 

2 

48 

12     8  1- 

— !    —    1    —    1    — 

4 

Dieser  Versuch  weicbt  darin  von  den  bis  jetzt  besprochenen  ab, 
(lass  die  groBte  Anzahl  der  nicbt  sinnentsprecbenden  Associationen 
in  der  Til.  Rt^ibe  erreicbt  winb  wiibrend  bisber  das  Maximum  dieser 
Form  der  Vorstelbmgsverbindungen  in  der  b^tzten  Reibe  lag.  Die 
Nomialreibe    entbiilt    nur    eineii    dem    Durebscbnitt    entspreehenden 


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Experimeiitelle  Studien  uber  Associatiouen.  II.  ]7' 

Procentsatz  von  Reimen,  zu  denen  eine  nicht  ganz  geriuge  Anzahl 
von  Worterganzungen  hinzukommt.  Die  Worterganzungen  bleiben 
in  der  11.  Reihe  ebenso  haufig;  die  IH.  und  IV.  sind  darin  unter- 
einander  ebenfalls  gleich  und  zeigen  eine  geringe  Zunahme  gegeniiber 
den  beiden  ersten  Reihen.  Die  Zahl  der  reinen  Klangassociationen 
wachst  von  Versuch  zu  Versuch  an;  dagegen  bleibt  sie  in  der  letzten 
Reihe  unverandert,  was  um  so  auffalliger  ist,  als  wir  bei  den  Experi- 
menten  der  anderen  Versuchpersonen  gerade  zum  Schluss  oft  ein 
schnelles  Ansteigen  beobachten  konnten.  Ueberhaupt  ist  die  Zahl 
der  Gleichklange  nur  gering,  wenn  auch  groBer  als  unter  normalen 
Umstanden.  Wir  wiirden  also  fur  L  annehmen  miissen,  dass  die 
Neigung  zur  Associationsbildung  nach  dem  Gleichklang  iiberhaupt  nicht 
groB  ist  und  auch  unter  dem  Einflusse  der  Erschopfung  nur  wenig  zu- 
nimmt.  Ersteres  wird  durch  den  Vergleich  mit  einem  2.  Normalversuch 
(Tab.  XX*,  9)  bestatigt;  in  diesem  fehlten  bei  100  Reactionen  solche 
nach  reinem  Klang  voUstandig,  und  auch  Worterganzungen  traten 
nur  ein  einziges  Mai  auf.  Wenn  aber  auch  der  vorliegende  Nacht- 
versuch  die  Einwirkung  der  Erschopfung  auf  die  Zahl  der  Klang- 
associationen weniger  deutlich  hervortreten  lasst,  so  ist  doch  an- 
dererseits  nicht  zu  verkennen,  dass  der  Unterschied  den  anderen 
gegeniiber  nur  ein  quantitativer,  nicht  ein  qualitativer  ist. 

Die  inneren  Associatiouen  nehmen  von  Reihe  zu  Reihe  ab;  in 
der  letzten  wird  diese  Abnahme  nicht  nur  durch  das  Anwachsen  der 
Klangassociationen  hervorgerufen,  sondem  es  gehen  sogar  einige 
innere  in  auBere  iiber.  Die  Zahl  der  sprachlichen  Reminiscenzen  ist 
zuletzt  am  groBten.  Ganz  unbeeinflusst  bleibt  wieder  die  Gruppe  der 
Fehlassociationen.  Das  ganz  vereinzelte  Vorkommen  einer  Association 
ohne  jeden  erkennbaren  Zusaramenhang  in  der  m.  Reihe  beruht  wohl 
sicher  auf  einer  Zufalligkeit. 


Kraepelin,  Pfycholog.  Arbeiten.  IL 


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18 


Gnstar  Aschaffenbor);. 
Tabelle  XIV. 


Nachtversuch. 
B.  19/20.  XL  1892. 

Procentverhfiltnisg  der  einzelnen  Asso- 
ciationsgruppen  zu  einander. 

1         i 

Innere  Asso-  j  AeuBere  As- 
ciationen    ;  sociaiionen 

i 

Nicht  sinn- 
gemaOe  As- 
sociationen. 

Mitielbare 
Associa- 
tionen 

I.  11.04—11.20  p.m. 

20 

30 

50 

— 

II.  1.56—2.12  a.  m. 

14 

28 

58 

~~ 

III.  4.33  —  4.48  a.  m. 

18 

28 

54 

IV.  6.54—7.08  a.  m. 

2 

10 

88 

— 

Tabelle  XV. 


Nachtversuch. 
B.  19/20.  XI.  1892. 

1 

Procentverh&ltniss  der  einzelnen  Associationsarten  zu 
einander. 

is 

11 

6 

•1" 

u 

III 

1 

"a 

o 

s 

is 
1= 

o 
S 

1 

1 
1 
1 

•s 

1 

II 

SI 

jii  sillil 
ir  if  r 

if 

i 

I.  11.04—11.20  p.m. 

16 

8 

2 

6 

2 

10 

8 

2 
2 

18 

20 

16 

6 

6 

10 

4 

6 

—  I  — 

4 

34 

— 

10 

— 

U.  1.56—2.12  a.  m. 
III.  4.33—4.48  a.  m. 

40 

— 

8 

16 

2 

10 
4 

36 

2     \     8 

1 

IV.  6.54—7.08  a.  m. 

' 

30 

8 

30 

6 

8 

Wie  icli  in  dem  1.  Theile  dieser  Arbeit  ausfiihrlicher  dargestellt 
liabe  (vgl.  S.  278,  279),  befand  sich  die  Versuchsperson  B  zur  Zeit 
der  Versuche  in  einem  nervosen  Zustande,  der  hauptsachlich  als  eine 
Steigerung  seiner  angeborenen  Neurasthenie  durch  Gemiithsbewegungen 
aufgefasst  werden  musste.  Auf  diesen  Umstand  glaubte  ich  die  ganz 
auBergewohnlieh  groBe  Anzahl  nicht  sinnentsprechender  Associationen 
zuruckfuhren  zu  konnen,  die  sich  in  dem  Normalversuche  fand.  Dieso 
Zahl  setzt  sich  aus  ganz  anderen  Elementen  zusammen,  wie  ahnlich 
groBe  Mengen   nicht   sinnentsprechender  Associationen  bei  der  Er- 


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Experimentelle  StadieD  Qber  issociationen.  II.  19 

schopfung.  Reime  und  Gleichklange  fehlen  voUstandig,  nur  dreimal 
kommen  Worterganzungen  vor.  Dagegen  war  in  5  Fallen  ein  Zu- 
sanunenhang  des  Reizwortes  mit  der  Reaction  nicht  zu  erkennen.  So 
wnrde  z.  B.  einmal  auf  das  Reizwort  Mai  mit  Uhr  reagirt;  die  Ver- 
anlassung  dazu  war  sichtlich  das  zufallige  Erblicken  der  zur  zeitlichen 
Controle  auf  dem  Tische  liegenden  Uhr  gewesen.  AuBerdem  waren 
I7mal  friihere  Associationen  wiederholt  worden,  ohne  dass  eine  be- 
griffliche  Verbindung  mit  dem  Reizworte  bestanden  hatte.  Die  Fehl- 
associationen  nehmen  nun  zum  1.  Male  im  Laufe  der  Versuchs- 
nacht  an  Zahl  zu;  von  44^  steigt  ihre  Anzahl  auf  48,  auf  50,  um 
dann  allerdings  auf  der  Hohe  der  Erschopfung  wieder  etwas  abzu- 
nehmen  (44^). 

Um  diese  Verhaltnisse  aber  richtig  wurdigen  zu  konnen,  be- 
darf  es  einer  eingehenderen  Betrachtung,  wie  sich  die  an  Zahl  weit- 
aus  groBte  Gruppe  der  Wiederholungen  friiherer  Reactionen  ohne 
Sinn  verhalt.  Bei  der  I.  Reihe  gehoren  die  17  Wiederholungen  frii- 
herer Reactionen  ohne  Sinn  zu  4  Reizworten.  Wie  ich  schon  im 
J.  Theil  erwahnte,  wurde  das  Wort  Stein  Tmal,  darunter  5mal 
ohne  Sinn,  das  Wort  Hut  sogar  14mal,  davon  9mal  ohne  Zu- 
sammenhang  associirt.  Auch  in  der  11.  Reihe  wurde  4mal  ohne 
Zusammenhang  auf  Stein  und  10  mal,  davon  7  mal  sinnlos,  mit  Hut 
reagirt.  Dazu  kommen  aber  noch  8  weitere  Reizworte,  zu  denen  die 
Reactionen  keine  begrifflichen  und  keine  Klangbeziehungen  batten. 
Wir  sehen  also,  dass  dies  zahe  Haftenbleiben  an  der  einmal  ge- 
bildeten  Association  seine  schadliche  Wirkung  auch  noch  in  der  fol- 
genden  Versuchsreihe  entfaltet.  Es  kann  demnach  nicht  weiter  auf- 
fallen,  wenn  die  Anzahl  der  zusammenhangslosen  Wiederholungen  im 
Laufe  der  Nacht  zunimmt,  da  auBer  den  stereotypen  Antworten  jedes 
Versuches  selbst  noch  die  friiheren  fixirten  Reactionen  nach  der 
gleichen  Richtung  hinwirken.  In  der  HI.  Reihe  verringert  sich  die 
Menge  der  nicht  sinnentsprechenden  Wiederholungen  wieder  etwas, 
obgleich  nach  dem  Besprochenen  eher  eine  Vermehrung  zu  erwarten 
gewesen  ware.  Auch  diesmal  wurde  in  2  Fallen  mit  Hut  sinnlos 
reagirt,  ebenso  in  der  letzten  Reihe  noch  3  mal.  Trotz  des  intensiven 
Klebens  an  diesem  und  einigen  anderen  Worten  sind  zum  Schlusse 
der  Versuchsnacht  sogar  noch  weniger  sinnlose  Wiederholungen  vor- 
handen  als  zum  Beginne  des  Experimentes.    Je  groBer  die  Zahl  der 

2* 


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20  Gustav  Aschafleoburg. 

vorgekommenen  Antworten  ist,  um  so  leichter  werden  identische  Ani- 
worten  auftauchen  miissen,  wenn  die  Disposition  dazu  unverandert 
bleibt.  Thatsachlich  sehen  wir  ja  auch  das  Wort  Hut  bis  zum 
Schlusse  des  Versuches  seine  vordringliche ,  zwangsmaBige  Wirknng 
entfalten.  Wenn  nun  trotz  der  groBeren  Anzahl  der  zur  Verfugung 
stehenden  Worte  die  Zunahme  der  nicht  sinnentsprechenden  Ant- 
worten so  gering  ist  und  schlieBlich  sogar  wieder  sinkt,  so  lasst  sich 
wohl  annehmen,  dass  die  Erschopfung  keine  erhebliche  Wirkung  in 
dieser  Richtung  ausgeiibt  hat,  zumal  wenn  wir  die  besondere  Nei- 
gung  von  B  zu  dieser  Reactionsform  zur  Zeit  des  Versuches  mit 
beriicksiehtigen.  Es  bestatigt  also  dieser  Nachtversuch  abennals 
unsere  bisherigefi  Erfahrungen  iiber  das  Verhaltniss  der  Fehlasso- 
ciationen  zur  Erschopfung. 

Sehr  auf  f allender  Weise  zeigen  die  ersten  3  Reihen  ein  ganz  gleich- 
maBiges  Verhalten.  Weder  die  inneren  noch  die  auBeren  Associationen, 
weder  die  sprachUchen  Reminiscenzen  noch  die  Worterganzungen  las- 
sen  eine  nennenswerthe  Veranderung  erkennen,  und,  was  das  MerkwUr- 
digste  ist  und  unseren  bisherigen  Erfahrungen  am  meisten  widerspricht : 
die  Associationen  nach  Gleichklang  sowie  Reime  fehlen  ganzUch.  Wir 
haben  schon  einmal  bei  N  gefunden,  dass  die  allerdings  von  Anfang 
an  hohe  Zahl  von  Klangassociationen  in  den  ersten  3  Reihen  unveran- 
dert blieb ;  erst  zuletzt,  also  auf  der  Hohe  der  Erschopfung,  wuchs  die 
Menge  fast  auf  das  Doppelte.  Bei  B  ist  die  ganz  ahnUche  Veranderung 
der  Associationsbildung  dadurch  um  so  auffallender,  dass  nach  dem  vol- 
Ugen  Fehlen  jeden  Gleichklanges  und  Reimes  plotzlich  38  %  derartiger 
Associationen  in  der  letzten  Reilie  auftreten,  von  denen  8  vollig  sinn- 
los  sind  (Gries  =  Schmies;  Fiirst  =  Wiirst  und  ahnliche).  Es 
muss  also  wohl  auch  fur  diesen  Nachtversuch  wie  bei  N  angenommen 
werden,  dass  die  voile  Wirkung  der  Erschopfung  erst  in  sehr  vor- 
geschrittener  Stunde  zur  Entfaltung  kam.  Ich  kann  nicht  umhin,  hier 
besonders  daran  zu  erinnern,  dass  die  gleiche  Versuchsreihe,  die  eine 
sehr  ausgepragte  Erschopfung  in  dem  massenhaften  Auftreten  von 
Klangassociationen  erkennen  lasst,  eine  Abnahme  der  Fehlassociationen 
zeigt,  eine  neue  und  nicht  unwichtige  StUtze  unserer  Anschauung  iiber 
die  Nichtbeeinflussung  dieser  Reactionsform.  Die  inneren  Associatio- 
nen sind  auf  eine,  die  auBeren  auf  5  reducirt,  wodurch  die  Minder- 
werthigkeit   der  letzten  Reihe  noch  deutlicher  henortritt. 


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Experimentelle  Studien  Qber  Atsoeiationen.  II. 
Tabelle  XVI. 


21 


Nachtversuch. 
B.  28/29.  m.  1893. 

1 

Verhftltiiiss  der  eins^lnen  Associations- 
gruppen  zu  einander. 

InnereAsso- 
ciationen 

AenOereAs- 
sociationen 

Nicbtsinn- 
gem&OeAs- 
sodationen 

Hittelbare 

Associa- 

tionen 

L  9.20—9.32  p.  m. 

24 

60 

12 

4 

II.  12.23—12.34  a.  m. 

30 

54 

12 

4 

IIL  2.55—3.06  a.  m. 

28 

56 

14 

2 

IV.  6.01—6.14  a.m. 

12 

60 

26 

2 

Tabelle  XVH. 


Nachtrersuch. 
B.  28/29.  m.  1893. 

Verhftltniss  der  einzelnen  Associationsarten  zu 
einander. 

% 

11 

III 

2 

2 

CO 

ti 

e 

1 

> 

1 

1 

III 

III 

III 
IIS 

1, 

I.  9.20—9.32  p.  m. 

16 

2 

6 

12 

8 
8 

4 

$ 

40 
32 
44 

38 

6 
12 

6 
14 

2 

4 

8 

2 

"~ 

4 

— 

— 

4 
4 
2 
2 

IL  12.23—12.34  a.  m. 

10 
20 
12 

18 

8 

2 

14 

8 
14 

— 

— 

— 

IL  2.55—3.06  a.  m. 

4 

— 

— 

IV.  6.01—6.14  a.  m. 

2 

__ 

— 

Der  zweite  Nachtversuch  von  B  zeigt  ganz  unzweifelhaft  deut- 
lich,  (lass  die  abnorme  Menge  der  nicht  sinnentsprechenden  Reactionen 
als  eine  voriibergehende  Erscheinung  aufgefasst  werden  musste.  Ich  will 
in  dieser  Beziehung  nochmals  darauf  hinweisen,  dass  auch  die  beiden 
Normalversuche  von  B  vom  19.  und  28.  XL  1892  (vgl.  Tab.  XX*  2 
und  3)  diese  Anhaufung  der  Fehlassociatonen  zeigen,  wahrend  sie  in 
dem  Versuche  am  10.  XL  1892  (Tab.  XX*  1)  und  24.  VH.  1894 
(Tab.  XrV*  1),  sowie  in  sonstigen  von  mir  nicht  bearbeiteten  Ver- 
suchen  vollstandig  fehlten.     Auch   in  diesem  Nachtversuche  ist  ihre 


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22  Gustav  Aschaffenburg. 

Anzahl  auBerordentlich  gering;  eine  Beeinflussung  diirch  die  Er- 
schopfung  fehlt  auch  diesmal  vollstandig. 

Eine  regelmaBige  Zunahme  der  Worterganzungen  lasst  sich  nicht 
nachweisen;  immerhin  ist  ihre  Zahl  besonders  in  der  letzten  Reihe 
recht  hoch,  zumal  uns  der  Vergleich  mit  den  5  Normalversuchen  der 
Tab.  XX*  zeigt,  dass  B  nicht  sonderlich  zu  dieser  Reactionsform  hin- 
neigt.  Die  eigentlichen  Klangassociationen  sind  auch  diesmal  sparlich 
vertreten,  in  der  Normab-eihe  mit  2^,  in  der  11.  Reihe  gar  nicht,  in 
der  m.  mit  4  und  erst  in  der  letzten  mit  10^.  Darin  wurde  also 
dieser  Nachtversuch  mit  dem  vorher  besprochenen  vollstandig  iiberein- 
stimmen,  dass  die  eigentUche  Zunahme  erst  auf  der  Hohe  der  Er- 
schopfung  erfolgt.  Wahrend  aber  in  jenem  die  Menge  der  Klangasso- 
ciationen dann  mehr  als  ein  Drittel  aller  uberhaupt  gebildeten 
Reactionen  betrug,  bleibt  es  hier  bei  der  bescheidenen  Zahl  von 
10)1^.  In  dem  Vorkommen  eines  sinnlosen  Reimes  erkennen  wir  ja 
wohl  die  intensive  Wirkung  des  Klarigbildes  ^ieder;  immerhin  bedarf 
die  geringe  Menge  der  Erklarung.  Ich  glaube  auch  fur  diesen  Ver- 
such,  ahnlich  wie  S.  12  auseinandergesetzt  wurde,  auf  die  gleiche 
Moglichkeit  hinweisen  zu  konnen,  dass  namlich  die  hohens^erthigen 
Associationen  sich  starker  fixiren  als  die  locker  verbundenen  nach 
Klang  oder  die  Fehlassociationen. 

Zu  den  Normalversuchen  am  19.  XI.,  am  28.  XL  1892  imd 
26.  IV.  1893  waren  stets  die  gleichen  Reizworte  genommen  worden. 
Von  den  25  sinnentsprechenden  Antworten  (inneren  und  auBeren 
Associationen)  des  1.  Versuches  kehrten  10  in  alien  3  Versuchen 
und  3  in  2  Versuchen  wieder.  Dagegen  wiederholten  sich  nur 
2  Worterganzungen  in  je  2  Versuchen;  sonst  kehrte  keine  der  nicht 
sinngemaBen  Reactionen  iiberhaupt  in  einem  anderen  Versuche 
wieder.  Ebenso  wiederholten  sich  bei  den  beiden  Nachtversuchen 
von  den  19  Reimen  der  letzten  Reihe  nur  2,  \t)n  den  44  nicht  sinn- 
entsprechenden Antworten  im  Ganzen  nur  4,  wahrend  sich  von  den 
6  inneren  und  auBeren  Associationen  3  in  beiden  Versuchen  finden, 
d.  h.  9^  :50^. 

Ich  glaube,  diese  Erwagungen  werden  genUgen,  um  abermals 
darzuthun,  wie  viel  fester  das  Band  zwischen  Reizwort  und  Reaction 
ist,  wenn  der  WortbegrifT  der  Associationsbildung  zu  Grunde  liegt: 
dadurch  erklart  sich  dann  auch,  warum  ein  spaterer  Versuch  mit  den 


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Lxperimentelle  Studieo  fiber  Associatiouen.  II. 


28 


gleichen  Reizworten  die  Bildung  sinnentsprechender  Associationen 
besonders  begiinstigt,  so  dass  die  Neigung  zu  Gleichklangen  iind  Reimen 
weniger  hervortreten  kann.  Die  auBeren  Associationen  bleiben  sich 
an  Zahl  ziemlich  gleich,  wahrend  die  inneren  in  der  leteten  Reihe 
wie  auch  im  1.  Nachtversuche  von  B  recht  selten  werden. 

Tabelle  XVHI. 


Nachtversuch. 
E.  18/19.  VII.  1893. 

I  Procentyerhfiltniss  der  einzelnen  Asso- 
{           ciationsgruppen  zu  einander. 

1 
t 
'Innere  Asso- 

'   ciationen 

1 

AettO«re  As- 
sociationen 

Nicht  Sinn- 
gem&Be  As- 
sociationen 

Mittelbare 
Associa- 
tionen 

I.  9.25—9.40  p.  m. 

22 

56 

18 

4 

II.  12.02  —  12.14  a.  m. 

8 

54 

34 

4 

III.  2.56—3.11  a.  m. . 

2 

58 

40 

— 

IV.  5.56—6.09  a.  m. 

2 

50 

48 

— 

Tabelle  XIX. 


Nachtversuch. 
K  18/19.  VIL  1893. 

Frocentyerh&ltDisB  der  emzelnen  Assooiatiofisarten 
arten  zu  einander. 

ri2 

If 
1- 

1h 

i 

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111 

it 

ll. 

< 

Assoc,  ohne  er- 

kennbaren  Zu- 

sammenhang 

II 

i 

I.  9.25—9.40  p.  m. 

16 

6 
4 

2 

12 

4 

44 

52 
50 
42 

28 
34 
40 

1 

8 

4 

6 

4 

II.  12.02-12.14  a.  m. 

4 

2 
4 

2 

— 

4 

IIL  2.56—3.11  a.  m. 

2 

2 

~~' 

— 

2 

— 

2 

IV.  5.56—6.09  a.  m. 

2 

— 

— 

6 

2 

4 

— 

4 

Die  Normalreihe  der  Versuchsperson  E  gleicht  insofem  der  in 
Tab.  XV  wiedergegebenen,  als  die  G-ruppe  der  Fehlassociationen  mit 
^^%  starker  in  den  Vordergrund  tritt  Wie  ich  schon  im  1.  Theile 
(8.  278)  hervorhob ,  zeigten  Versuche ,  die  ein  Jahr  spater  angestellt 
warden,  dass  E  auch  zu  der  Zeit  die  gleiche  Neigung  zu  Reactionen 


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24  GusU?  AsobafleDburg. 

hatte,  bei  denen  der  Sinn  und  der  Klang  des  Reizwortes  zu  der 
Antwort  in  keinerlei  Beziehung  stand.  Da  der  betreffende  College 
subjectiv  keinerlei  Empfindung  eines  momentan  bestehenden  abnormen 
psychologischen  Zustandes  hatte  und  auch  irgend  welche  Erklarung 
dnrch  auBere  Umstande  zu  geben  auBer  Stande  war,  so  bleibt  bei 
der  Constanz  der  Erscheinung  nur  die  Annahme  ubrig,  dass  eine 
constitutionelle  Eigenthiimlichkeit  des  Associationsvorganges  bei  E 
vorhanden  ist,  die  mit  der  Erschopfung,  wie  sie  durch  schnelle  Aus- 
nutzung  der  vorhandenen  Spannkrafte  entsteht,  nichts  zu  thun  hat. 
Dies  geht  aus  dem  volligen  Fehlen  der  fiir  die  Erschopfung  als 
charakteristisch  angenommenen  Klangassociationen  hervor.  Eine  nicht 
unwichtige  Bestatigung  liegt  in  der  Erfahrung,  dass  die  Zahl  der 
Reactionen  ohne  Beziehungen  zum  Reizworte  auch  bei  dieser  Ver- 
suchsperson  im  Laufe  der  Nacht  nicht  zu-,  sondem  abnimmt  Die 
Uebereinstimmung  dieser  Erscheinung  bei  alien  bisher  besprochenen 
Versuchen  ist  eine  ganz  voUstandige  und  eindeutige.  Wenn  die 
Neigung  zu  dieser  Reactionsform  auch  bei  Pei*sonen,  die  vortiber- 
gehend  oder  dauemd  eine  besondere  Neigung  dazu  zeigten,  wie  E 
und  B  im  1.  Versuche,  durch  die  Erschopfung  nicht  gesteigert,  sondem 
eher  vermindert  wird,  so  ist  der  Schluss  wohl  berechtigt,  dass  diese 
Art  der  Vorstellungsverbindung  anderen  Ursachen  ihre  Entstehung 
verdankt,  als  der  Erschopfung. 

Nun  fehlen  allerdings  bei  E  die  Reime  und  Associationen  nach 
Klangahnlichkeit  so  gut  wie  voUstandig ;  das  Auftreten  einer  einzigen 
derartigen  Reaction  in  der  HI.  Reihe  lasst  das  sonstige  Fehlen  noch 
auffalliger  erscheinen.  Und  doch  macht  auch  E  keine  Ausnahme 
von  der  bisher  bei  alien  festgestellten  Regel  des  zunehmenden  Ein- 
Husses  des  Wortklanges.'  In  diesem  Nachtversuche  sehen  mr  die 
Worterganzungen  schon  in  der  11.  Versuchsreihe  eine  sonst  nie  er- 
reichte  Bedeutung  beanspruchen,  was  um  so  mehr  in's  Grewicht  fallen 
muss,  als  sie  in  der  Normalreihe  voUstandig  fehlen.  In  stetem  Wachsen 
machen  dann  die  Worterganzungen  auf  der  Hohe  der  Erschopfung 
2/5  aller  Associationen  aus.  Dass  es  wirklich  nur  der  Klang  und 
nicht  die  Bedeutung  des  Wortes  ist,  durch  die  die  Reaction  hervor- 
gerufen  wird,  geht  am  deutlichsten  aus  Beispielen  wie  Most*rich, 
Zelt*ter,  Keil^ler,  Brett  *zel,  Strom  ^mer,  Damm»pfer, 
Stier«en  hervor.    Diese  Zunahme  der  Worterganzungen  findet  fast 


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Cxperimenteile  Stadien  Qber  Associationen. 


25 


ausschlieBlich  auf  Kosten  der  werthvoUsten  Associationen,  der  inneren, 
statt,  die  in  den  beiden  letzten  Reihen  nur  je  einmal  vertreten  waren. 

Aus  dem  Ausfalle  dieses  Versuches  geht  hervor,  dass,  trotz  der 
nahen  Verwandtschaft  zwischen  den  Worterganzungen  und  den  Asso- 
ciationen nach  Klangahnlichkeit,  dieselben  in  ihrer  Bedeutung  entweder 
nicht  ganz  gleich  sind,  oder  dass  wir  in  dem  Unterschiede  zwischen  dem 
Versuche  von  E  und  denen  der  ubrigen  eine  personliche  Eigenthiim- 
lichkeit  vor  uns  haben.  Gegen  die  erstere  Anschauung  spricht,  dass 
sie  genau  in  der  gleichen  Weise  beeinflusst  worden  sind,  wie  die 
reinen  Klangassociationen.  Ich  neige  mich  deshalb  mehr  der  anderen 
Auffassung  zu. 

Damit  ist  das  Material,  das  ich  durch  planmaBige  Erzeugung 
psychischer  Gleichgewichtsstorungen  im  Sinne  einer  Erschopfnng  ge- 
wonnen  habe,  zu  Ende.  Es  war  zu  erwarten,  dass  der  Zustand,  wie 
ihn  etwa  eine  in  Arbeit  durchwachte  Nacht  hervorruft,  in  ahnlicher 
Weise  auf  den  Associationsvorgang  wirken  wUrde,  wie  die  Nacht- 
versuche.  Ich  habe  aus  auBeren  Griinden  leider  verabsaumen  miissen, 
meine  Untersuchungen  nach  dieser  Richtung  bin  zu  erganzen.  Nui* 
einen  einzigen  ahnUchen  Versuch  habe  ich  gemacht,  als  sich  mir  zu- 
faUig  die  Moglichkeit  bot,  eine  der  Versuchspersonen  nach  einem  Balle 
zu  untersuchen.  Der  betreffende  Herr  hatte  von  Y2IO — 3  Ulu'  ziem- 
lich  eifrig  getanzt  unter  Vermeidung  des  G^nusses  geistiger  Ge- 
tranke.  Neben  der  korperUchen  Ermtidung  kam  auch  die  Abkiirzung 
des  Schlafes  in  Betracht,  der  nur  4  Stunden  dauerte. 

Tabelle  XX. 


N. 

Procentverhaltniss  der  einzelnen  Associations- 
gruppen  zu  einander. 

InnereAsso- 
dationen 

AenBore  As- 
sociationen 

Nicht  sinn- 
gem&Be  As- 

Mittelbare 
Associa- 
tionen 

Gesammt- 
daner 

25.  U.  1895. 
9.48  —  10.11  a.m. 

Procent- 
zahl 

36 

32 

29 

3 

1348 

Dauer 

1330 

1371 

1313 

— 

26,  n.  1895. 
9.38  —  10.01  a.  m. 

Procent- 
zahl 

21 

40 

32 

7 

1622 

Dauer 

1632 

1652 

1423 

2028 

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26 

GusU?  1 
Tabe 

Uchaflenburg. 
lie  XXI. 

N. 

ProcentverhfiltnisB  der  einzelnen  Agsociationsartcn  zu 
einander. 

i    'J 

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III 

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6 

III- 

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1 

1 

25 

9 

1 

li 

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1^ 

III 

lit 

it 

|i 
1^ 

III 
1-1 

25.  n.  1895. 
9.48—10.11  a.  m. 

11 

23 

2 

2 

24 

4 

— 

— 

— 

— 

— 

3 

100 

26.  II.  1895. 
9.38  —  10.01  a.m. 

9 

10 

2 

9 

6 

25 

7 

25 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

100 

Leider  war  die  Disposition  N's,  wie  ich  im  1.  Theile  (S.  269) 
auseinandergesetzt  habe,  zur  Zeit  der  Versuche  recht  ungUnstig.  Der 
Normalversuch  fand  2  Tage  nach  der  VoUendimg  des  Staatsexamens 
statt.  Wir  sehen  schon  in  ihin  eine  sehr  groBe  Anzahl  von  Klang- 
assoeiationen,  die  sich  nach  Tab.  XXI  aus  25  reinen  Klangasso- 
ciationen  und  4  Worterganzungen  zusammensetzen.  Nach  dem  Aus- 
falle  des  unter  ahnlichen  Umstanden  gemachten  Nachtversuches 
(S.  9)  gehort  N  zu  den  Personen,  die  erst  auf  der  Hohe  der  Er- 
schopfimg  eine  deutliche  Veranderung  der  associativen  Thatigkeit 
erkennen  lassen.  Es  scheint  nun,  als  ob  die  Schadigung  der  Ball- 
nacht  nicht  hinreichend  groB  war;  jedenfalls  sind  die  qualitativen 
Unterschiede  des  —  sit  venia  verbo  —  Normal-  und  Erschopfungs- 
vei'suches  nicht  deutlich.  Die  geringe  Zunahme  der  Reactionen  nach 
Klangahnlichkeit,  die  sich  auf  das  Hinzutreten  weiterer  3  Wort- 
erganzungen beschrankt,  ist  im  Verhiiltniss  zu  der  Gesammtzahl 
dieser  Reactionsgruppe  so  gering,  dass  sie  eben  so  wohl  auf  einer 
Zufalligkeit  beruhen  kann.  Die  inneren  Associationen  sind  allerdings 
erheblich  seltener  geworden;  der  in  Tab.  XTTT*  dargestellte  Normal- 
versuch von  N,  der  zeitlich  mit  dem  hier  besprochenen  ganz  zu- 
sammenfallt,  enthalt  ebenfalls  eine  groBere  Anzahl  (33),  die  I.  Reilie 
des  Nachtversuches  (Tab.  VI)  32  innere  Vorstellungsverbindungen. 
Wir  sind  deshalb  vielleicht  doch  berechtigt,  wenigstens  die  Abnahme 
der  werthvollsten  Associationsarten  auf  die  Ermlidung  zurlickzufUhren. 

Fehlassociationen  kamen  in  beiden  Versuchen  nicht  vor. 


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ExperimeDtelie  Studien  Qber  Associationen.  II. 


27 


Wahrend  das  Ergebniss  dieses  Experimentes  ein  fast  negatives 
zu  nennen  ist,  stimmte  ein  anderes,  zufallig  gemachtes,  um  so  besser 
mit  den  bisherigen  Resultaten  der  Erschopfungsversuche  uberein. 
Am  23.  V.  97  machte  ich  iin  Anschlusse  an  eine  Yorlesung  uber  die 
Vorstellungsbildung  mit  einigen  Studenten  Associationsversuche  ohne 
Zeitmessnngen,  indem  ich  ihnen  100  zweisilbige  Reizworte  zurief.  Die 
Zahl  der  Klangassociationen  war  bei  den  iibrigen  Herm,  soweit  nicht 
anderweitige  storende  Momente  in  Betracht  kamen,  auBerordentlich 
gering;  dagegen  hatte  U  cand.  med.,  eine  groBe  Menge  von  As- 
sociationen nach  dem  Gleichklange  gebildet.  Vor  dem  Versuche, 
wie  ich  hinzufiigen  muss,  auch  be  vor  von  der  Einwirkung  der  Er- 
schopfung  auf  die  Vorstellnngsverbindung  gesprochen  worden  war, 
hatte  der  Herr  zu  der  Frage  nach  der  Disposition  bemerkt:  Von 
7  Uhr  ab  Arbeit.  Nahere  Nachfrage  ergab,  dass  er  von  Vormittags 
7  Uhr  —  1  und  von  3 — 4  Uhr  CoUeg  gehort  hatte.  Die  Zwischenzeit 
zwischen  1 — 3  war  mit  Anfertigung  von  mikroskopischen  Praparaten 
verbracht  worden,  die  nicht  verschoben  werden  konnte,  so  dass  die 
Versuchsperson  zur  Zeit  des  Experimentes  (4.15  p.  m.)  eine  ununter- 
brochene  angestrengte  neunstiindige  Arbeit  ohne  jede  Nahrungsauf- 
nahme  hinter  sich  hatte.  Ein  wahrend  der  Pfingstferien,  also  bei 
groBerer  Ruhe,  und  zwar  Vormittags  in  voUiger  Frische  gemachter 
Nonnalversuch  zeigt  deutlich,  dass  wir  die  groBe  Neigung  zu  Asso- 
ciationen nach  dem  Klange  auf  die  erschopfenden  Ursachen  des  ersten 
Tages  zuriickzufiihren  berechtigt  sind. 

Tabelle  XXII, 


'  u. 

Procentverhaltniss  der  einzelnen  Abso- 
ciationsgruppen  zu  einander 

Innere  Asso- 
ciationen 

AenOere  As- 
sociationen 

Nicht  Sinn. 
gem&Be  As- 
sociationen 

Mittelbare 
Associa- 
tionen 

23.  V.  97.  4.15  p.  m. 
ErBchdpfungsversuch. 

38 

41 

21 

— 

11.  IV.  97.  10  a.  m. 
Normalversuch. 

42 

55 

2 

1 

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28 


Gustar  AsehalTeDburg. 
Tabelle  XXHI. 


u. 

Procentverhftltniss  der  einzelnen  Associationen  zu  einander. 

11 

TsrS 

l-a 

li 

|1" 

ill 

a 

Is 

1 

1 

• 

1 

e 

9 

s 

1 

II 

II 

hi 

If 

111 

ill 

li 

ii 

23.  V.  97. 

18 

12 

8 

10 
17 

7 

31 
31 

3 

1 

17 

— 

1 



— 

— 

11.  VI.  97. 

17 

23 

2 

1 

— 

— 

1 

In  dem  Normalversuche  findet  sich  neben  einer  Worterganzung 
die  Association  Rector  =  Direktor.  Nach  der  ausdrlicklichen 
Angabe  des  Experimentirenden  hatte  bei  dem  Zustandekommen  dieser 
Reaction  neben  der  begrifflichen  Verwandtschaft  im  Sinne  einer  Co- 
ordination die  Klangahnlichkeit  eine  groBe  RoUe  und  zwar  seiner 
Empfindung  nach  die  groBere  gespielt,  so  daB  sie  als  einzige  dieser 
Associationsart  zugerechnet  werden  musste.  Die  Zahl  der  inneren 
Associationen  ist  relativ  groB;  Fehlassociationen  kommen  Uberhaupt 
nicht  vor.  Auch  in  den  Versuchen  vom  23.  V.  war  nur  eine  einzige 
solche  Reaction  gebildet  worden;  dagegen  traten  neben  3  Worter- 
ganzungen  17  reine  Klangassociationen  auf,  hauptsachlich  an  Stelle 
der  Associationen  nach  raumlicher  und  zeitlicher  Coexistenz  und  der 
Identitaten.  Die  sprachlichen  Reminiscenzen  blieben  in  beiden  Ver- 
suchen gleich  haufig.  Der  Unterschied  zwischen  dem  Ausfalle  die- 
ser beiden  Experimente  ist  so  groB,  dass  wir  in  der  Deutung  wohl 
nicht  fehlgehen,  wenn  wir  den  ersten  unsem  Erschopfungsresultaten 
anreihen. 

Im  allgemeinen  kann  einzelnen  derartigen  Versuchen  wohl  nicht 
viel  Werth  beigemessen  werden;  doch  hielt  ich  mich  nicht  fUr  be- 
rechtigt,  sie  einfach  fortzulassen.  Dasselbe  gilt  in  noch  hoherem 
Grade  fiir  die  beiden  folgenden  Versuche,  die  ich  einem  Zufall 
verdanke.  Am  13.  I.  1895  erkrankte  K  an  einer  typischen  un- 
complicirten  Influenza.  Die  Symptome  waren  die  gewohnten:  All- 
gemeines  Unbehagen,  starke  Abgeschlagenheit,  eingenommener  Kopf, 
leichtes    Fieber    (um  3   Uhr  Nachmittags  38,6).     K,   der  bemerkte, 


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ExperimeDtelle  Stndieo  Qber  Assoeiatioueu.  11. 


29 


dass  er  nicht  im  Stande  war,  eine  complicirte  Gedankenreihe  fest- 
zuhalten,  schrieb  nun  in  der  von  mir  als  »fortlaufende  Methode*  be- 
zeichneten  Weise  Vormittags  1 1  Uhr  schnell  hintereinander  1 00  Asso- 
ciationen  nieder  und  wiederholte  Abends  6  Uhr  diesen  Versuch, 
nachdem  er  vorher  ohne  Arzneimittel  stark  geschwitzt  hatte;  un- 
mittelbar  nach  dem  letzten  Versuch  war  die  Temperatur  auf  38,2 
gesunken. 

Tabelle  XXIV. 


K. 

Procentverh&ltniss  der  einzelnen  Asso- 
ciationsgruppen  zu  einander. 

Normalversuche. 
1.              2. 

Influenzaversuche. 
3.             4. 

26.  V.  04. 
«.  p.  in. 

31.  XII.  94. 
9.  p.  m 

13.  I.  95. 
11.  a.  m. 

13.  I.  95. 

6.  p.  m. 

Innere  Associationen 

53 

45 

24 

9 

AeuGere  Associationen 

43 

52 

26 

34 

Nicht  sinngemaGe  Associationen 

,         3 

41 

56 

Mittelbare  Associationen 

- 

1 

1 

Unterbrechungen 

2 

8 

— 

Tabelle  XXV. 


K. 

Procentverhftltniss  der  einzelnen  Associationsarten   . 
zu  einander. 

si 
11 

18 
11 

^     li 

1 

32     3 
34   — 

Ill 

119 

29 

1 

I' 

4s 
li 

•1 

B 
I 

1 

if 

SI 

41 

if 

< 

^  0  M 

HI 
li 

1. 
U 

i 

If 

Nonnalversuch 
26.  V.  94.      1. 

14 

1 

2 
2 



— 

— 

— 

— 

2 

Nonnalyersuch 
31.  Xn.  94.    2. 

31 

1    20 

I 

— 

— 

— 

InfluensaYersuch 
13.  I.  95.       3. 

6 
4 

1 
18   — 

10 
17 

2    14 



22 
32 

19 
24 



1 

— 

1 
1 

8 

InflueDsaversuch 
13.  I.  95.       4. 

5 

— 

3 

14 

— 

— 

— 

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30  (lusta?  Ascbaffenburg. 

Der  leichteren  Vergleichbarkeit  halber  habe  ich  in  den  beiden 
Tab.  XXTT  und  XXEU  die  mit  der  gleichen  Methode  gemachten 
Normalversuche  aus  Tab.  VI*  und  VII*  nochmals  zum  Abdruck 
gebracht  Beide  eignen  sich  zum  Vergleiche  mit  den  Influenzaver- 
suchen  sehr  gut,  da  sie  ziemlich  gleich  ausgef alien  sind  und  jeden- 
falls  keine  grundsatzlichen  Verschiedenheiten  zeigen;  auBerdem  steht 
der  zweite  den  im  Zustande  der  Erkrankung  gemachten  Experimenten 
zeitlich  sehr  nahe.  Bei  der  Betrachtung  der  Tab.  XXTT  fallt  die 
groBe  Aehnlichkeit  der  Versuche  3  und  4  mit  den  letzten  Reihen 
der  Nachtversuche  sofort  in's  Auge.  Der  einzige  Unterschied  liegt 
in  der  noch  geringeren  Anzahl  der  auBeren  Voi'stellungsverbindungen 
und  der  enormen  Menge  der  nicht  sinngemaBen  Reactionen.  Die 
Versuche  machen  so  im  ersten  Augenblicke  den  Eindruck  einer 
auBerst  hochgradigen  Erschopfung.  Der  Vergleich  der  einzelnen 
Associationsarten  aber  deckt  einen  tiefgreifenden  Unterschied  auf. 
Bei  den  Nachtversuchen  batten  vnr  nur  ganz  vereinzelte  B;eime  und 
Klangahnlichkeiten  beobachtet,  die  jeder  Bedeutung  entbehrten ;  solche 
batten  wir  stets  als  ein  Zeichen  fortgeschrittener  Erschopfung  auf- 
gefasst,  wozu  uns  vor  allem  ihr  vollstandiges  Fehlen  in  normalem 
Zustande  berechtigte.  Bei  den  Influenzaversuchen  aber  sind  ungefahr 
der  5.  resp.  der  4.  Theil  siimmtlicher  Reactionen  Buchstabenconglo- 
merate  ohne  jeden  Sinn,  die  nur  durch  ihren  Anklang  an  das  vor- 
hergehende  Wort  in  ilirer  Entstehung  begreiflich  werden.  Eine  der- 
artige  Wortfolge  war  z.  B. :  Miinchen,  Pinakothek,  Akothek, 
Apothek,  eckig,  beckig,  sackig,  rackig,  Rasen,  Mah- 
maschine,  Line,  Leine,  Weine,  Reine,  Rhein,  Koln, 
Dom,  Rom,  Stom  u.  s.  w.  Ein  weitergehendes  Ueberwuchem  der 
Wortbegriffe  durch  die  Klangahnlichkeit  ist  kaum  denkbar.  Jeder 
Ansatz  zu  associativer  Thiltigkeit  nach  dem  Tnlialte  der  Vorstellungen 
geht  sofort  in  den  aufsteigenden  Reimen  und  Gleichklangen  unter. 
Ob  diese  Gleichklange  nun  selbst  wieder  einen  BegrifE  vorstellen, 
einen  eigenen  Inhalt  haben,  ist  dabei  weniger  wichtig,  als  die  That- 
sache,  dass  alle  diese  Wort-  und  Silbenverbindungen  durch  die  Klang- 
ahnlichkeit vollstandig  erkliirt  werden  konnen.  Sie  sind  —  sinnvoU 
oder  nicht  —  hervorgerufen  durch  die  Neigung,  nach  dem  Klange  zu 
associiren;  diese  Xeigung  aber  muss  unbedingt  auf  den  bestehenden 
pathologischen  Zustand  der  Influenza  infection  zuriickgefiihrt  werden. 


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Experiinentelle  Stiidien  dber  Associationen.  II.  31 

Die  Worterganzungen  fehlen  in  beiden  Versuchen  voUstandig,  ebenso 
die  Gruppe  der  Fehlassociationen. 

Nach  dem  Ergebnisse  der  einzigen  mir  zur  Verfiigung  stehenden 
Experimente  dieser  Art  scheint  ein  deutlicher  Unterschied  zwischen 
der  Wirkung  einer  erschopfenden  Ursache  und  einer  infectiosen  oder 
vielleicht  besser  intoxicatorischen  Erkrankimg  vorhanden  zu  sein;  fur 
letztere  wUrde  eine  noch  starkere  Wirkung  der  Klangahnlichkeit  und 
eine  sehr  viel  weitergehende  Zerstorung  des  begrifflichen  Denkejns  bis 
zur  Auflosung  in  ein  Chaos  ahnlich  klingender  Silben  charakteristisch 
sein.  Ob  diese  Ansicht  berechtigt  ist,  wird  durch  geeignete  Unter- 
suchungen  nicht  einmal  schwierig  klargestellt  werden  konnen.  Bis 
dahin  will  ich  mich  mit  der  Feststellung  der  oben  besprochenen  That- 
sachen  begniigen.  Die  Beobachtung  selbst  ist  richtig;  ob  aber  auch 
deren  GesetzmaBigkeit,  muss  ich  dahingestellt  sein  lassen. 

III.  Stereotypic  der  Torstellnngen. 

Wie  schon  bei  den  Normalversuchen,  habe  ich  auch  bei  den  vor- 
Kegenden  mein  Augenmerk  auf  die  Anzahl  der  in  jeder  Versuchs- 
reihe  vorkommenden  verschiedenen  Worte  gerichtet.  Die  Normal- 
versuche  hatten  uns  gezeigt,  dass  ini  allgemeinen  die  Neigung  zur 
Wiederholung  der  gleichen  Ausdriicke  recht  gering  ist,  und  ich  hatte 
die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  ein  haufigeres  Wiederkehren 
dergelben  Antwort  als  der  Ausdruck  eines  mehr  oder  weniger  hohen 
Grades  von  Gedankenarmuth  angesehen  werden  konne.  Meine  Auf- 
merksamkeit  war  besonders  durch  die  Erfahrungen  gelegentlich  eines 
der  ersten  Experimente  auf  diese  Erscheinung  hingelenkt  worden.  Ich 
meine  den  Versuch  2  der  Versuchsperson  B.  (Tab.  XXI*).  Die  50  Ant- 
worten  vertheilen  sich  auf  nur  27  verschiedene  Worte.  Die  Reactionen 
Stufe,  Mutter  wiederholen  sich  2mal,  Beule  3  mal,  Stein  7mal 
und  Hut  14  mal.  Die  ersten  Wiederholungen  des  Wortes  Hut 
waren  durchaus  sinnentsprechend;  die  dazu  gehorigen  Reizworte 
lauteten:  Helm,  Filz,  Frack,  Plusch  (der  Experimentirende  war 
im  Besitze  eines  Pluschhutes),  Ohr;  dann  aber  folgten  als  Reizworte 
Boot,  Keil,  Leid,  Knall,  Haft,  Fett,  Hohn,  Gluck  und 
Pest;  es  fehlt  also  jeder  begriffliche  und  klangliche  Zusammenhang. 
Dasselbe   gilt   fiir   die  Reaction    Stein   auf   die   in  kurzen  Pausen 


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32  Gustav  Ascbafleuburg. 

einander  folgenden  Worte:  Grab,  Mark,  Krieg,  Hahn,  Gicht, 
Macht,  Recht.  Es  war  ganz  unverkennbar,  dass  bei  diesem  Ver- 
suche  die  eimnal  gebildeten  Vorstellungen  fast  zwangsmaBig  immer 
wieder  in  den  Vordergrund  traten,  dass  sie,  die  normale  Associations- 
bildung  verhindemd,  immer  wieder,  passend  oder  unpassend,  sich 
geltend  machen  konnten.  Die  zwischen  diesem  und  dem  nachsten 
Versuche  der  betreffenden  Nacht  liegende  Pause  von  3  Stunden  war 
nicht  im  Stande,  die  vordringliche  Intensitat  dieser  Vorstellungen 
zum  Schwinden  zu  bringen.  Auch  unter  den  zweiten  50  Antworten 
wiederholt  sich  Stein  4mal  und  Hut  lOmal,  darunter  nur  2mal 
bei  passenden  Reizworten.  In  der  HI.  Reihe  kehrte  Hut  noch  2mal 
und  in  der  IV.  Hut  3mal  und  Stein  je  2mal  wieder.  In  der 
n.  Reihe  wiederholten  sich  auch  noch  einige  andere  Worte  mehr- 
fach,  darunter  Vieh  4mal,  in  der  IH.  das  Wort  Hund  5mal,  in 
der  letzten  das  Wort  Wasser  5mal.  Als  eine  vollig  identische 
Erscheinung  musste  es  aufgefasst  werden,  dass  sich  das  Wort  jetzt 
als  Reaction  je  3,  4  resp.  2mal  in  den  letzten  Versuchsreihen  fand. 
Das  Auffallige  dieser  Antwort  hegt  nicht  so  sehr  in  der  Thatsache, 
dass  sie  ohne  jeden  Zusammenhang  mit  den  Reizworten  sich  mehr- 
fach  wiederholte,  sondem  dass  sie  uberhaupt  vorkam.  Wie  ich  bei 
Besprechung  der  Versuchstechnik  auseinandergesetzt  habe,  ging 
jedem  Reizwort  das  Signal  » jetzt! <  voran,  um  die  Aufmerksamkeit 
stets  von  Neuem  anzuspannen.  Wenn  nun  das  Signalwort  so  lange 
und  stark  nachwirkte,  dass  es  an  Stelle  der  sonst  durch  das  Reiz- 
wort hervorgeruf  enen  Associationen  treten  konnte,  so  muss  auch  hierin 
der  Ausdruck  eines  abnormen  Haftenbleibens  der  einmal  gebildeten 
Vorstellungen  gefunden  werden. 

Es  lag  nahe,  diese  Erscheinung  mit  der  schon  wiederholt  er- 
wahnten  ungiinstigen  Disposition  der  betreffenden  Versuchsperson  zu- 
sammenzubringen,  die  ich  damals  ohne  weiteres  mit  der  experimentell 
hervorgerufenen  Erschopfung  identificirte.  Wie  weit  diese  Auffassung 
berechtigt  war,  lehrt  ein  Blick  auf  die  folgende  Tabelle. 


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Experimentelle  Stiidieii  dber  Associ&tionen.  11. 


33 


Tabelle  XXVI. 
Anzahl  der  in  jedem  Versuchsabschnitt  gebrauchten  verschiedenen 

Worte. 
(Auf  100  berechnet.) 


1 

Versuchsreihen 

L               11. 

IIL 

IV. 

K.  16/17.  VII.  94.    1. 

87 

88 

98 

90 
99 

K.  8/9.  II.  96.       2. 

95 

90 

97 

N.  16/17.  VII.  94.    3. 

95 

m 

92 

99 

T.  8/9.  U.  96.        4. 

93 

96 

92 

96 

K.  20/21.  VIII.  92.  5. 

94 

88 

88 

96 

L.  19/20.  XL  92.     6. 

94 
54 

92 

90 

88 

B.  19/20.  XL  92.     7. 

52 

68 

72 

B.  28/29.  IIL  93.     8. 

96 

88 

96 

90 

E.  18/19.  VIL  93.    9. 

70 

90 

82 

78 

Von  alien  Versuchen  zeigt  nur  der  6-  eine  gleiehmaBig  fort- 
schreitende  Abnahme  der  Zahl  der  verschiedenen  Worte.  Bei  den 
anderen  herrscht  anscheinend  keinerlei  Beziehung  der  Anzahl  iden- 
tischer  Antworten  zu  dem  Fortschreiten  der  Ermudung;  in  einigen, 
z.  B.  dem  ersten,  scheint  sogar  eher  mit  der  Ermudung  die  Gleich- 
formigkeit  der  Vorstellungsbildung  zu  schwinden-  Es  ist  allerdings 
dabei  nicht  auBer  Acht  zu  lassen,  dass  die  Klangassociatiorien  der 
angenommenen  Hervorrufung  groBerer  Stereotypie  entgege'n  wirken, 
da  sie  ja  in  ausschlieBlich  klangUcher  Abhangigkeit  von  dem  Reiz- 
worte  stehen.  Wenn  z.  B.  im  9.  Versuch  anfangs  auf  1 00  sinnentspre- 
chende  Antworten  30  gleiche  kommen,  so  ist  das  Verhaltniss  der 
wiederholten  Worte  doch  noch  geringer,  als  wenn  22  gleiche  Antworten 
auf  die  nach  Abzug  der  Klangassociationen  ubrig  bleibenden  60  sinn- 
entsprechenden  Antworten  entfallen.  Aber  auch  die  Beriicksichtigung 
dieser  Moglichkeit  hat  kein  anderes  Ergebniss  erkennen  lassen,  als  die 
Tab.  XXVI  zeigt.  Im  allgemeinen  sind  die  Schwankungen  uberhaupt 
nicht  sehr  groB.    Ein  nennenswerther  Ausschlag  findet  sich  nur  in  dem 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  IL  3 


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34  Giistav  Aschaflfeiiburg. 

7.  und  9.  Versuche.  In  dem  ersteren  zeigt  nun  eine  genau^re  Betrachtung, 
dass  auf  die  einzelnen  Reihen  nach  Abzug  der  Klangassociationen  50, 
53,  33,  50  %  Wiederholungen  entfallen.  Mit  Ausnahme  der  III.  Reihe, 
die  sogar  einen  deutlichen  Fortschritt  zur  Besserung  bemerken  lasst, 
bleibt  die  Stereotypic  unbeeinflusst  von  der  f ortschreitenden  Ermiidung; 
auch  darin  liegt  eine  geringe  Besserung,  dass  die  Wiederholungen  sich 
nicht  wie  in  der  I.  Reihe  auf  6,  sondem  auf  10  verschiedene  Worte 
vertheilen.  Bei  E.  ist  die  geringste  Anzahl  der  verschiedenen  Worte 
in  der  I.  Reihe  zu  finden;  sie  nimmt  dann  zu,  um  nach  und  nach 
wieder  abzunehmen.  Bei  diesem  Experimente  entfallt  ein  Theil  der 
Wiederholungen  auch  auf  die  Worterganzungen  (Klangassociationen 
im  strengsten  Sinne  fehlten  ja  ganz),  wie  z.  B.  das  Suffix  en  bei 
Spur,  Joch,  Tausch,  Stier,  das  Suffix  er  bei  Druck,  Keil, 
Strom  angehangt  wurde.  Unter  Beriicksichtigung  dieses  tJmstandes 
berechnet  sich  die  Zahl  der  Wiederholungen  auf  32,  11,  16  und  16^. 
Es  fehlt  also  auch  hier  die  Zunahme  der  Stereotypic  im  Laufe  der 
Versuchsnacht;  das  Residtat  stimmt  vollstandig  mit  dem  Ergebnisse 
des  vorher  besprochenen  Experimentes  bei  B.  uberein.  Ein  Beweis  da- 
fiir,  dass  die  Erschopfung  zur  Einformigkeit  des  Associationsvorganges 
fiihrt,  lasst  sich  also  in  den  vorliegenden  Versuchen  nicht  finden. 

In  seinem  Vortrage  >  Experimentelle  Studien  liber  Associatio- 
nen«  ^)- schrieb  Kraepelin  18S3:  »Bei  der  Ermiidung  macht  sich 
eine  stereotype  Wiederkehr  derselben  Worte  bemerkbar.«  Ich  kann 
nach  meinen  Experimenten  dieser  Anschauung  jetzt  nicht  mehr  zu- 
stimmen,  muss  allerdings  dabei  gleich  bemerken,  dass  ich  selbst, 
und  zwar  auf  Grund  der  damals  allein  vorliegenden  Versuche  5,  6, 
7  und*  8,  in  meinem  Vortrage  »uber  die  psychischen  Erscheinungen 
der  Erschopfung « ^)  die  Auffassung  vertreten  habe,  in  der  Enniidung 
werde  die  associative  Verknlipfung  der  Gedanken  stereotyper.  Mich 
hatte  besonders  der  7.  Versuch  zu  dieser,  wie  ich  zugeben  muss,  auch 
damals  nicht  geniigend  begriindeten  Ansicht  gebracht.  Nun  zeigt  ja 
gerade  dieser  Versuch  bei  naherer  Betrachtung,  dass  die  Erschopfung, 
wie  sie  experimentell  erzeugt  w^urde,  keine  Verschlechterung  in  dieser 


1 )  Amtlicher  Bericht  Ctber  die  56.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte.     Freiburg  1884,  S.  259. 

2;  XIII.  Wanderversaramlung  dor  Sadweetdeutschen  Neurologen  und  Irren- 
arzte.     Refcrat  im  Archiv  fQr  Psychiatric.   Bd.  XXV,  S.  594. 


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Cxperimentelle  Stndien  uber  Associationen.  II.  35 

Beziehung  hervomift,  ebenso  wie  auch  das  Auftreten  von  Fehl- 
associationen  durch  die  Erschopfung  sicher  nicht  begiinstigt  wird.  Es 
mag  einstweilen  genugen,  diese  Thatsache  festgestellt  zu  haben;  ich 
werde  spater  den  Versuch  machen,  sie  zu  deuten. 

In  dem  Versuche  von  N.,  der  S.  25  besprochen  worden  ist,  kehrte 
wie  in  dem  dazugehorigen  Normalversuche  nur  eine  Antwort  2  mal 
wieder.  Bei  U  fehlte  ebenfalls  die  Zunahme  der  identischen  Reactio- 
nen,  die  in  dem  Enniidimgsversuche  (S.  27)  3  mal,  im  Normalversuche 
5  mal  vorkommen. 


lY.  Ergebnisse  der  Zeitmessungen. 

Die  Zeitmessungen  bei  den  zweisilbigen  Worten  sind  rait  ganz  zu- 
verlassiger  Methodik  vorgenommen  worden,  soweit  dies  Uberhaupt 
moglich  ist.  Bei  den  zwei  Versuchen  von  K  und  N  arbeiteten  die 
Versuchspersonen  mit  dem  Lippenschliissel ,  dessen  Gebrauch  beiden 
durch  zahlreiche  friihere  Versuche  durchaus  vertraut  war.  Bei  T, 
dem  der  Lippenschliissel  nicht  hinreichend  gewohnt  war,  wurde  statt 
dessen  der  Roemer'sche  Schallschliissel  benutzt,  der  eine  Uebung 
der  damit  arbeitenden  Personen  nicht  voraussetzt  und  durchaus  zu- 
verlassig  ist.  Der  registrirende  K  arbeitete,  wie  auch  sonst  stets, 
mit  dem  Lippenschliissel.  Wenn  Roemer  vorschlagt^),  zu  Asso- 
ciationsversuchen  der  Genauigkeit  halber  nur  den  optischen  Reiz- 
apparat  zu  verwenden,  so  ist  ihm  insofern  durchaus  Recht  zu  geben, 
als  —  zumal  bei  mangelnder  Uebung  —  dieser  dem  Lippenschliissel 
weit  vorzuziehen  ist,  und  die  fiir  das  Aussprechen  ein-  und  zwei- 
sillriger  Worte  bestehenden  Unterschiede  bei  dem  gleichzeitigen  Sicht- 
barwerden  des  ganzen  Wortes  wegfallen.  Es  wiirde  aber  die  Mog- 
lichkeit  der  unmittelbaren  Vergleichung  der  Versuchsergebnisse  in 
Bezug  auf  die  Art  der  Vorstellungsverbindungen  unmoglich  gemacht 
haben,  wenn  ich  bei  diesem  Versuche  von  der  bis  dahin  geiibten 
Methode  des  Zurufens  der  Worte  abgewichen  ware.  Wir  wissen 
einstweilen  noch  nicht,  ob  die  Associationsbildung  nicht  eine  ganz  an- 
dere  ist,  je  nachdem  wir  Worte  sehen  oder  horen,  worauf  ich  auch 


])  R6mer,  Beitrag  zur  Bestimmung  zusammengesetzter  Reactionen.     Diese 
Arbeiten.  Bd.  I,  S.  605. 

3* 


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36  Gusta?  Aschaffeiiburg. 

schon  friiher  aufmerksam  gemacht  habe^);  speciell  das  Auftreten  von 
klangahnlichen  Worten  diirfte  moglicherweise  bei  optischen  Reizen 
nicht  die  gleiche  Bedeutung  haben  wie  bei  akustischen.  Jedenfalls 
sind  vorlaufig  noch  besonders  nach  dieser  Richtung  bin  angestellte 
Versuche  erforderlichi 

In  der  Tab.  XXVII  sind  die  Zeitmessungen  wahrend  der  ein- 
zelnen  Versuchsreihen  der  Nachtversuche  mit  zweisilbigen  Worten 
dargestellt.  Mit  StM  ist  das  Stellungsmittel  bezeichnet,  nach  der 
von  Kraepelin  vorgeschlagenen  Methode  berechnet,  mit  MZ  die 
Mittelzone.  Diese  wurde  in  der  Weise  festgestellt,  dass  ich  bei  den 
aus  je  100  Worten  bestehenden  Reihen  die  26. — 75.  Zahl  in  gleicher 
Weise  wie  die  Stellungsmittel  berechnete ;  dadurcli  wird  die  Streuung 
der  mittelsten  Werthe  in  hinreichend  charakteristischer  Weise  dar- 
gestellt, so  dass  ich  von  einer  Berechnung  der  mittleren  Variation, 
die  bei  dem  groBen  Zahlenmaterial  eine  im  Verhaltniss  zum  Zeit- 
aufwand  nicht  hinlanglich  lohnende  Aufgabe  gewesen  ware,  Abstand 
nehmen  konnte. 

Allerdings  ist  die  Bedeutung  der  mittleren  Variation  nicht  die 
gleiche  wie  die  der  Mittelzone.  In  der  mittleren  Variation  finden  wir 
den  zahlenmaBigen  Ausdruck,  wie  groB  die  Schwankungen  der  erhalte- 
nen  Werthe  gegeniiber  der  Durchschnittszahl  sind.  Wenn  diese  also 
eine  einigermaBen  constante  GroBe  ist,  so  stellt  die  mittlere  Variation 
die  Aufmerksamkeitsschwankungen  dar,  und  in  diesem  Sinne  ist  ihre 
Berechnung  bei  relativ  constanten  Reactionsformen,  wie  z.  B.  bei  den 
einfachen,  den  Wahl-  und  Wortreactionen  sehr  werthvoll.  Die  Werthe 
aber,  die  wir  bei  unsem  Associationsversuchen  erhalten,  werden  je 
nach  der  engeren  oder  entlegeneren  Verkniipfung,  der  groBeren  oder 
geringeren  Uebung  der  zwischen  Reizwort  und  Reaction  bestehenden 
Bcziehungen  verschieden  ausf alien;  die  mittlere  Variation  wiirde  mehr 
dadurch  als  durch  die  unvermeidlichen  Aufmerksamkeitsschwankungen 
bestimmt  werden,  also  bei  den  vorliegenden  Versuchen  ganz  anders 
gedeutet  werden  miissen,  als  sonst  ubUch.  Es  ist  auBerdem  nicht 
zu  verkennen,  dass  einzelne  abnorm  groBe  Werthe,  wie  sie  ja  bei 
Associationsversuchen  nicht  allzu  selten  sind,  diese  Zahl  unverhiiltniss- 
miiBig  stark  beeinflussen  wUrden,  so  dass  leicht  eine  falsche  Vor- 
stollung  von  der  Streuung  der  Werthe  hervorgerufen  werden  konnte. 

1)  Diese  Arbeiten.   Bd.  I,  S.  293. 


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Cxperimeutelle  Studien  uber  Associationcu.  11. 


37 


Aus  alien  diesen  Griinden  habe  ich  mich  auf  die  Berechnung  der 
Mittelzone  beschrankt,  die  demnach  darstellt,  wie  sich  die  mittleren 
50  Zalilen  zu  dem  Stellungsmittel  verhalten. 

Fur  den  Normalversuch  von  K  am  16.  VII.  1894  will  ich,  um 
diese  Verhaltnisse  zu  beleuchten,  die  einzelnen  Werthe  nebeneinander- 
stellen.  Das  Stellungsmittel  ist  1426;  in  der  Differenz  von  45  a 
gegeniiber  dem  arithmetischen  Mittel  (1471)  erkennen  wir  sofort 
wieder,  wie  einzelne  abnorm  lange  Zahlen  den  Gesammtwerth  bei 
arithmetischer  Mittelziehung  in  entstellender  Weise  beeinflussen.  Die 
mittlere  Variation  des  ganzen  Versuches  =  ±:  288,  wahrend  die  mitt- 
lere  Variation  der  50  mittelsten  Zahlen  =±114  ist.  Auch  f  iir  die- 
sen  Unterschied  liegt  die  Ursache  in  den  vereinzelten  langen  Werthen. 

—  196 


Die  Mittelzone  endlich  betragt 


263' 


d.  h.    die  mittleren  Werthe 


bewegen  sich  um  das  Stellungsmittel  in  einem  Abstande  von  196  o 
nach  unten,  263  o  nach  oben.  Wir  konnen  daraus  erkennen,  dass 
die  Differenzen  im  Ganzen  im  Verhaltniss  zur  Lange  der  Reactions- 
zeit  nicht  allzu  groB  sind,  wahrend  uns  die  Zahlen  keinen  Aufschluss 
geben,  wie  regelmaBig  sich  innerhalb  der  mittleren  50  Associationen 
selbst  die  Werthe  vertheilen. 


Tabelle  XXVH. 

Mittlere  Dauer  (Stellungsmittel;  St.  M.)  der  Associationsreihen 
wahrend  der  Nachtversuche  und  mittlere  Abweichung  vom  Stellungs- 
mittel (Mittelzone;  M.  Z.) 


16/17.  VII. 

94. 

N. 
16/17.  VII. 

94. 

T. 

8/9.  II.  96. 

St.M. 

M.Z. 

St.M. 

M.  Z. 

St.M. 

M.  Z. 

l.Reihe 

1426 

—196 
+263 

459 

1180 

-151 
+175 

326 

1116 

—154 
+170 

324 

2.  Reihe 

1418 

—153 
+204 

357 

1165 

—142 
+252 

394 

1140 

—144 
+130 

274 

3.  Reihe 

1433 

—212 
+173 

385 

1361 

—226 
+303 

529 

1088 

—121 
+  122 

243 

4.  Reihe 

1419 

-196 

+277 

473 

1292 

—203 
+212 

415 

"«^, 

331 

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38  Gustav  Ascbaflfenburg. 

Der  Versuch  von  K  in  Tab.  XXVII  liisst  in  der  durchschnittlichen 
Dauer  der  Associationszeiten  keinen  Einfluss  der  im  Verlaufe  der  Nacht 
eintretenden  Ermudung  erkennen.  Es  muss  sogar  geradezu  auffallen, 
wie  auBerordentlich  nahe  bei  einander  die  Mittelwerthe  aus  je  1 00  Ein- 
zelreactionen  liegen.  Die  Mittelzone  schwankt  in  so  maBigen  Grenzen, 
dass  auch  daraus  ein  schadigender  Einfluss  nicht  gefolgert  werden  kann. 

Bei  dem  Experimente  mit  N  blieb  die,  wie  wir  friiher  (S.  9) 
festgestellt  haben,  schon  Anfangs  der  Nacht  vorhandene  Neigung  zu 
Klangassociationen  ziemlich  unverandert  bis  zur  letzten  Reihe;  in 
dieser  nahm  plotzlich  die  Zahl  der  Klangassociationen  ganz  auffallend 
stark  zu.  Diese  Erscheinung  des  plotzlichen  Deutlicherwerdens  der 
Erschopfungswirkung  findet  in  der  Durchschnittsdauer  der  Asso- 
ciationen  keinen  weiteren  Ausdruck.  Zwar  ist  das  Stellungsmittel 
der  m.  Reihe  um  ungefahr  200  o  groBer  als  das  der  beiden  ersten, 
aber  in  der  letzten  wird  die  Zeit  wieder  erheblich  kiirzer.  AuBer- 
dem  darf  wohl  nicht  auBer  Acht  gelassen  werden,  dass  die  Mittel- 
zahlen  der  3  von  N  gemachten  Normalversuche  (vgl.  Tab.  XVII*) 
1180,  1230  und  1348  waren,  also  die  wahrend  der  Nacht  eingetretene 
Verlangerung  nicht  iiber  die  im  Bereich  des  Normalen  vorkommenden 
Schwankungen  hinausgeht.  Auch  in  der  Verbreiterung  der  Mittel- 
zone ist  hochstens  ein  geringer  Einfluss  der  Ermudung  zu  erkennen. 
Die  M.  Z.  fiir  die  3  obigen  unter  ziemlich  ungunstigen  Verhalt- 
nissen  (vgl.  Theil  I  S.  269)  gemachten  Normalversuche  betmgt  326, 
454  und  327  a;  diese  Zeiten  werden  in  der  letzten  Reihe  nicht 
einmal  erreicht,  in  der  vorletzten  allerdings  noch  ubertroffen.  Nur 
von  dem  Standpunkte  aus  ist  iiberhaupt  eine  Versclilechterung  an- 
zunehmen,  dass  wir  sowohl  in  dem  hohen  Stellungsmittel  als  in  der 
GroBe  der  Mittelzone  der  I.  Reihe  die  besondere  Disposition  des 
Versuchstages  erkennen  und  in  dem  Anwachsen  der  Zeiten  dann  eine 
Versclilechterung,  die  aber  durch  den  Vergleich  mit  den  andem 
Experinienten  auf  eine  kaum  nennenswerthe  GroBe  reducirt  wird. 

T  zeigt  wie  K  eine  gi'oBe  GleichmaBigkeit  der  Durchschnitts- 
werthe,  die  ebensowenig  wie  die  M.  Z.  eine  Beeinflussung  durch  die 
Ei-schopfung  erkennen  lassen. 


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Cxperime  ntelle  Studien  uber  Associationen.  11. 
Tabelle  XXVIH. 


39 


Mittlere  Dauer  (St.  M.)  der  einzelnen  Associationsgruppen  wahrend 

der  Nachtversuche. 


K. 

N. 

T. 

16/17.  Vn.  94. 

16/17.  VII.  94. 

8/9,  II.  96. 

Versuchs- 
reihe 

I. 

U. 

UI. 

IV. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

I. 

II. 

III. 

IV. 

1 



^ 

---    - 

"-     — 



_.^-_- 

^-- 

-  ^  -- 

. 

_^^ 

^_-^^-^ 

^  -^ — 

InnercAsBO- 
eiationen 

1455 

1418 

1386 

1555 

1184 

1363 

1540 

1278 

1220 

1185 

1141 

1252 

AcuBcreAs- 
lociationeD 

1390 

1381 

1376 

1336 

1107 

1121 

1230 

1338 

1059 

1102 

1054 

1108 

Nicht  sinn- 
Sani6e(biw. 



1592 

1479 

1605 

1192 

1220 

125S 

1293 



1060 

1110 

1186 

Klang-;  As- 
Mcifttionen 

(1205) 

(1239) 

(1237) 

(=) 

— 

(=] 

(1148) 

(ini) 

Geiammt-    | 

1426 

1418 

1433 

1419 

1180 

1165 

1361 

1292 

1116 

1140 

1088 

1149 

dauer       1 

(=) 

(1405)  1  (1381) 

(1372) 

(1166) 

(1155) 

(1417) 

(1280) 

(=) 

(1151) 

(1060) 

(1145) 

Die  eigenthiimliche  Einwirkung  der  im  Laufe  der  Versuchsnachte 
entstehenden  Erschopfung  auf  eine  specielle  Form  der  Associationen 
nothigt  uns,  die  Durchschnittszeiten  auch  der  einzelnen  Associations- 
formen*)  eingehender  zu  betrachten.  In  Tab.  XXVIII  sind  diese 
Zahlen  wiedergegeben.  Neben  der  Dauer  der  nicht  sinngemaBen 
Associationen  sind  in  Klammem  die  Mittelzahleh  fiir  die  Kllang- 
associationen,  und  neben  der  Gesammtdauer  in  Klammem  die  Dauer 
der  sammtlichen  Einzelreactionen  nach  Abzug  derer  nach  dem  Klange 
verzeichnet.  In  dem  Versuche  von  K  sind  die  auBeren  Associationen 
in  alien  4  Reihen  ziemlich  gleich  und  zwar  stets  etwas  kiirzer  als 


1)  Icb  babe  natUrlicb  nicht  versaumt,  auch  fOr  jede  einzelne  Associationsart 
fdr  sich  die  Mittelzahlen  zu  berechnen.  Diese  auGerordentlicb  mabsame  und  zeit- 
raubende  Berecbnimg  bat  zu  kcinem  braucbbaren  Resultate  gefilbrt.  Es  batte  nur 
zu  einer  unsinnigen  Anbftufung  von  Tabellcn  gefilbrt,  wenn  icb  die  Zablen  im  ein- 
zelnen wiedergegeben  bfttte,  wie  icb  aucb —  einem  Vorwurfe  Ziebens  gegenQber 
tei  dies  erwfibnt  —  scbon  im  ersten  Tbeile  der  Arbeit  gescbrieben  babe.  Die  Ver- 
b&Itnisse  sind  viel  verwickelter  als  z.  B.  aucb  Trautscboldt  angenommen  bat; 
Uebung,  zufUllige  Ideenverbindungen ,  die  unvermeidlicben  Dispositionsscbwan- 
kungen  verbindern  das  Zustandekommen  von  cbarakteristiscben  Mittelzahlen  filr 
einzelne  ganz  specielle  Arten  der  Vorstellungaverknupfung. 


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40  Gustav  Ascliafleiiburg. 

das  Stellungsmittel ,  die  inneren  sind  zweimal  langer,  einmal  gleich 
und  einmal  kurzer.  Dagegen  sind  die  drei  Mittekalilen  fiir  die 
nicht  sinngemaBen  Reactionen  groBer  als  die  Gesammtdauer  und  zwar 
theilweise  nicht  unbetriichtlich.  Wenn  wir  diese  Zeiten  in  Gegensatz 
stellen  zu  der  Mittelzahl,  bei  deren  Berechnung  die  nicht  sinngemaBen 
Associationen  nicht  mit  beriicksichtigt  wurden,  also  in  dem  vorliegenden 
Versuche  das  Stellungsmittel  aus  den  Klangassociationen  vergleichen 
mit  dem  aus  den  inneren  und  auBeren  gebildeten,  so  wird  dieser  Unter- 
schied  noch  deutlicher.  Letzteres  ist  1 87,  98  und  233  o  kleiner  als  ersteres. 
Es  wurde  also  in  diesem  Versuche  die  liingste  Dauer  den  Klangasso- 
ciationen, die  kiirzeste  den  auBeren  zuzusprechen  sein. 

N  zeigt  keine  so  groBen  Differenzen  in  den  IMittelzahlen  wie  K. 
Die  inneren  Associationen  sind  zweimal  dem  Gesammtmittel  annahemd 
gleich,  zweimal  ungefahr  um  200  o  langer;  die  auBeren  dreimal  kurzer, 
einmal  etwas  langer ;  die  nichtsinngemaBen  zweimal  unbedeutend,  ein- 
mal um  55  a  langer,  einmal  um  103  kUrzer.  Die  Associationen  nach 
Klang  allein  unterscheiden  sich  von  den  ubrigen  insgesammt  um  +  39, 
+  84,  +13,  —  180  o.  Es  sind  also  auch  hier  die  Reactionen 
nach  Klangahnlichkeit  im  Ganzen  etwas  langer,  doch  sind  die  Unter- 
schiede  nicht  so  groB,  um  entscheidend  verwerthet  werden  zu  konnen. 

Auch  T  zeigt  zweimal  liingere,  einmal  kiirzere  Zeiten  der  nicht- 
sinngemaBen Associationen;  die  inneren  sind  jedesmal  langer,  die 
auBeren  jedesmal  kurzer  als  das  Gesammtmittel. 

Auf  Grund  meiner  Nomialversuche  glaubte  ich  annehmen  zu 
komien,  dass  im  allgemeinen  fiir  die  werthvoUste  Gruppe  der  Vor- 
stellungsverbindungen ,  die  nach  associativer  Verwandtschaft,  eine 
etwas  langere,  fiir  die  nach  associativer  Gewohnung  eine  kiirzere 
Dauer  angenommen  werden  konne.  In  den  besprochenen  3  Ver- 
suchen  findet  sich  diese  Anschauung  bestatigt.  Da  Associationen 
nach  dem  Klang  unter  normalen  Verhaltnissen  nicht  geniigend  oft 
vorkonmien,  um  ausreichend  zuverlassige  Durchschnittszahlen  zu  bilden, 
lieB  sich  deren  Verhaltniss  zur  Mittelzahl  nicht  genau  feststellen. 
Unter  den  jetzt  vorliegenden  9  Zahlen  sind  nui*  2  kurzer,  wahrend 
7  langer,  zum  Theil  sogar  recht  erheblich  langer  als  die  Stellungs- 
mittel der  anderen  Vorstellungsverbindungen  sind.  Es  wird  nun  er- 
forderUch  sein,  diese  Verhiiltnisse  auch  fiir  die  Versuche  mit  einsU- 
bigen  Reizworten  nachzupriifen. 


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Cxperimenlelle  Siudien  Qber  Associalioiieii.  II. 
Tabelle  XXIX. 


41 


Mittlere  Dauer  (St.  M.)  der  Associationsreihen  wiihrend  der  Versuchs- 
nachte  und  mittlere  Abweichung  (M.  Z.)')  von  dem  Stellungsmittel. 


K. 
20/21.  YIII.  92. 

L. 

19/20.  XI.  92. 

B. 

19|20.  XI.  92. 

B. 
28/29.  III.  93. 

E. 
18/19.V1II.93. 

j 

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^ 

M.Z. 

^ 

^ 

M.Z. 

? 
^ 

M.Z. 

M.Z. 

^ 
^ 

M.Z. 

l.Reihe      Ill20 

11 

—215 
+142 

357 
395 
340 

767 
796 
815 
997 

—137 
+  41 

—  70 
+138 

—117 
+  154 

-137 
+117 

178 

913 

—  62 

+  82 

144 

1090 

—112 

+147 

259 
443 

704 
730 

—  39 

+  80 

119 
118 
168 
143 

2.  Reihe       1020 

—147 

+248 

208 
271 
254 

1010 
1072 

-142 
+152 

294 

1290 

—210 

—  62 

+233 

+  56 

1 

1 

3.  Reihe       1000 

—126 
+214 

—  90 
+239 

329 

1244 

—118 
+289 

407 

742 
743 

-  67 

1 

+  101 

-  62 

+  81 

4.  Reihe     |1108 

II 

—199 
+326 

525 

1145 

—281 
+130 

411 

1366 

—236 
+243 

479 

Auch  in  dieser  Versuchsreihe  zeigt  sich  be;  K  keine  Verlangerung 
der  Reactionszeiten  wahrend  der  Nacht.  Im  Gegentheile,  in  der  zweiten 
und  dritten  Reihe  ist  eher  eine  Verkiirzung  bemerkbar,  doch  ist  die- 
selbe  nicbt  so  groB,  dass  sie  unbedingt  mit  der  Erschopfung  in  Zu- 
sammenhang  gebracbt  werden  miisste ;  eher  konnte  dies  f iir  die  Ver- 
langerung der  Mittelzone  der  letzten  Reihe  mogUch  sein. 

Die  geringe  Verlangerung  der  Durchschnittsdauer  in  den  drei 
ersten  Reihen  von  L  ist  wohl  bedeutungslos ,  obgleich  das  fort- 
schreitende  Wachsen  der  Mittelzone  immerhin  bemerkenswerth  ist. 
Dagegen  kann  in  der  letzten  Reihe  die  Verlangerung  um  230  o  gegen- 
iiber  der  ersten  Reihe  wohl  auf  die  Wirkung  der  durcharbeiteten 
Nacht  zuriickgefiihrt  werden.  Die  beiden  Experimente  von  B  zeigen 
ein  ziemlich  gleichmaBiges  Anwaclisen  der  Reactionszeiten ;  die  maxi- 
male  Differenz  (zwischen  der  ersten  und  letzten  Reihe)  betragt  232 
resp.  276  o.  Im  ersten  Versuche  vergroBert  sich  auch  die  Mittelzone 
parallel  dem  Stellungsmittel  ungefahr  auf  das  Dreifache  des  Anfangs- 
werthes,  wahrend  im  zweiten  das  Ansteigen  weniger  gleichraaBig  und 
nicht  so  hochgradig  ist. 


Ij  Die  Mittelzonen  bei  50  Reactionen  sind  aua  dem  Abstand  der  13.  von 
der  37.  Zahl  gevronnen. 


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42  Gus(av  AscbaSenburg. 

Gerade  bei  der  Gleichartigkeit  des  Ergebnisses  in  beiden  Ex- 
perimenten  konnten  wir  die  Verlangerung  der  Mittelzahlen  sowohl 
als  die  Verbreiterung  der  Mittelzone  durchaus  auf  die  auBeren 
Versuchsbedingungen  zuriickf iihren ,  wenn  nicht  die  Verschiedenheit 
des  Niveaus,  die  sich  gleich  in  der  ersten  Reibe  zeigt,  und  deren 
Differenz  von  177  a  der  Gesammtwirkung  der  Erschopfung  sich 
nahert,  iins  stutzig  machen  miisste.  Die  durch  den  Unterschied 
der  Experimentirmethode  bervorgerufcne  Differenz  betragt,  wie  im 
1.  Theil  der  Arbeit  (I,  281)  besprochen  wurde,  im  Mittel  43  a.  Da- 
durch  wiirden  die  Mittelzahlen  des  1.  Versuches  denen  des  2.  naher 
gebracht.  Der  2.  aber  ist  mit  den  gleichen  Reizworten  gemacht 
worden  und  miisste  deshalb  nach  der  Erfahrung  mit  der  »Wieder- 
holungsmethode*  erheblich  kiirzere  Zeiten  aufweisen.  Eine  Erklarung 
fiir  das  Nichtauftreten  dieser  erwarteten  Verkiirzung  liegt  theilweise 
in  dem  viermonatlichen  Intervall  zwischen  den  beiden  Versuchen,  ist 
aber  nicht  ganz  ausreichend.  Ich  bin  sehr  geneigt  dazu^  in  der  be- 
stehenden  Differenz  den  Ausdruck  •  einer  Thatsache  zu  finden,  deren 
Wichtigkeit  mir  bei  Reactionsversuchen  aller  Art  immer  wieder  von 
Neuem  klar  geworden  ist,  der  Thatsache  namlich,  dass  die  absolute 
Hohe  der  Reactionszeiten  der  einzelnen  Personen  von  einander  auBer- 
ordentlich  stark  abweicht,  und  dass  ebenso  die  Dauer  der  Reactionen 
bei  der  gleichen  Versuchsperson  in  weit  auseinander  gelegenen  Zeit- 
raumen  sich  oft  erheblich  iindert.  Vorlaufig  entzieht  sich  diese 
Thatsache  jeder  Deutung.  Damit  entfiillt  aber  einstweilen  auch  die 
Moglichkeit,  den  absoluten  Zeiten  allzugroBen  Werth  beizulegen,  und 
die  besonders  in  Amerika  beliebte  Methode,  aus  dem  Vergleiche  einiger 
weniger  Reactionen  der  verschiedensten  Personen  w  eitgehende  Schlusse 
zu  Ziehen,  kann  deshalb  nicht  energisch  genug  zuriickgewiesen  werden. 

Die  Mittelzahlen  von  E  bleiben  im  Laufe  der  Versuchsnacht 
ziemlich  unverandert;  auch  die  Mittelzone  wiichst  nicht  in  einem 
Grade,  dass  wir  darin  etwa  den  Ausdruck  einer  Ermiidungswirkung 
finden  konnten. 


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Experiinenlelle  Studien  fiber  Associalionen.  tl. 


43 


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44  GiisUv  Aschaflfcnburg. 

Die  einzelnen  Associationsformen  zeigen  in  ihrer  Dauer  bei  K 
die  gleichen  Verhaltnisse  wie  in  deni  S.  36  besprochenen  Versuche. 
Auch  diesmal  sind  die  auBeren  Associationen  stets  etwas  kiirzer  als 
^  die  Gesammtdauer,  die  inneren  dreimal  langer,  zweimal  sogar  ziemlich 
erheblich,  nur  einmal  kiirzer.  Die  nicht  sinngemaBen  Reactionen 
dauern  mit  einer  Ausnahme  langer,  als  die  sinnentsprechenden,  was 
noch  deutlicher  hervortritt,  wenn  wir  die  Klangassociationen  fiir  sich 
betrachten. 

Auch  bei  L  sind  die  auBeren  Associationen  mit  einer  Ausnahme 
kiirzer,  die  inneren  dreimal  langer  als  die  Durchschnittsdauer.  Die 
nicht  sinngemaBen  setzen  sich  aus  sehr  wenigen  Zahlen  zusammen, 
so  dass  ihr  Werth  nur  ein  sehr  besclu'ankter  ist;  die  DifEerenzen  sind 
nicht  sehr  groB. 

Die  beiden  Versuche  von  B  lassen  erkennen,  dass  die  Unter- 
schiede  in  der  Dauer,  wenn  sie  iiberhaupt  eine  beachtenswerthe  GroBe 
en*eichen,  in  gleichem  Sinne  ausgefallen  sind,  wie  die  von  K  imd  L. 
Die  Fehlassociationen  machen  davon  anscheinend  eine  Ausnahme.  Be- 
rucksichtigen  wir  aber  nur  die  Klangassociationen,  so  sehen  wir,  dass 
dieselben  in  den  beiden  Reihen,  in  denen  sie  sich  aus  genugend  groBen 
Zahlen  zusammensetzen,  um  282  resp.  96  a  groBer  sind  als  die  Mittel- 
zahlen  der  sinnentsprechenden  Vorstellungsverbindungen. 

Die  Unterschiede  in  der  Zeitdauer  der  einzelnen  Associations- 
gruppen  von  E  sind  zu  gering,  um  eine  VervN^erthung  zu  erlauben. 

Passen  wir  das  Ergebniss  dieser  Betrachtungen  kurz  zusammen, 
so  ergibt  sich  die  Bestiitigung  unserer  friiheren  Anschauung.  Die 
inneren  Associationen  sind  im  allgemeinen  etwas  langer,  die  auBeren 
etwas  kiirzer  als  die  Durchschnittsdauer.  Die  nicht  sinngemaBen 
Reactionen  zeigen  meist  langere  Zeiten;  ganz  besonders  aber  gilt  dies 
fur  die  Klangassociationen. 

Fiir  diese  letzteren  hatte  Kraepelin  in  dem  schon  erwahnten 
Freiburger  Vortrag  eine  kiirzere  Dauer  angenonmien.  Um  zu  be- 
stimmen,  wie  lange  durchschnittlich  das  unmittelbare  Suchen  eines 
Reimes  erfordere,  wurde  bei  dem  Nachtversuche  vom  20/21.  VUI.  1892 
von  K  folgendes  Experiment  gemacht.  AnschUeBend  an  die  Asso- 
ciationsversuche  des  3.  und  4.  Vcrsuchsabschnittes  wm'den  je  25  ein- 
silbige  Worte  genannt,  zu  denen  ein  Reim  zu  suchen  war.  Selbst- 
verstandUch    wurde   bei  der  Auswahl  der    Worte    darauf  Rticksicht 


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Gxperimeutelle  Studien  iiber  Associatioiien.  II.  45 

genommen,  dass  nur  solche  gewahlt  wurden,  zu  denen  es  ein  leichtes 
war,  sofort  mehrere  Reime  zu  nennen;  K  war  naturlich  bei  dem  Aus- 
wahlen  nicht  zugegen. 

Fur  die  erste  Reihe  ergab  sich  eine  Mittelzahl  von  995  o  mit 
einer  Mittelzone  von  251,  Der  entsprechende  Versuch  mit  freier 
Associationsbildung  dauerte  ziemlich  genau  ebenso  lang,  1000  o, 
wiihrend  die  Mittelzone  340  a  groB,  also  etwas  langer  war.  In  der 
zweiten  Reihe  ubertraf  die  Durchschnittsdauer  der  Reime  mit  1270 
die  des  dazugehorigen  Versuches  mit  1108  um  voile  162  a,  wahrend 
die  Streuung  fast  ganz  gleich  war  (539 :  525  o). 

Da  nur  dieser  einzige  Versuch  in  dieser  Weise  gemacht  worden 
ist,  so  lasst  sich  aus  dem  Ergebniss  nichts  weiter  schHeBen,  als 
dass  durchschnittlich  das  Reimen  nicht  schneller  vor  sich  geht,  als 
die  Bildung  beliebiger  nicht  bestimmter  Associationen.  Es  ist  dies 
insofem  vielleicht  doch  bemerkenswerth,  als  wir  dabei  beriicksichtigen 
miissen,  dass  die  Neigung  zum  spontanen  Auftreten  von  Reimen  ja 
zu  der  Zeit  der  Experimente  unbedingt  gesteigert  war.  In  dieser 
Beziehung  bestatigt  der  Reimversuch  die  besprochene  Erfahrung,  dass 
die  Bildung  der  spontan  aufgetretenen  Reime  meist  langere  Zeit  in 
Anspruch  nahm  als  die  ubrigen  Associationen.  Ziehen^)  hat  noch  in 
der  dritten  Auflage  seiner  experimentellen  Psychologic  behauptet,  dass 
sich  >Vor8tellungen,  die  mehr  auBerlich  einander  verwandt  sind,  wie 
z.  B.  sich  reimende  Wortvorstellungen «  schneller  reproducirten,  als 
solche,  die  in  sehr  complicirten  Beziehungen  zu  einander  stehen.  Er 
erwahnt  spater  nochmals,  dass  Reime  eine  besonders  groBe  Associations- 
geschwTndigkeit  zeigen.  Das  ist  nach  meinen  Versuchen,  die  mit  den 
Ergebnissen  der  Alkoholexperimente  Kraepelin's^)  in  dieser  Bezie- 
hung ubereinstimmen,  unrichtig.  Welche  Bedeutung  diese  an  und  f  iir 
sich  unwichtig  erscheinende  Peststellung  fur  die  Auffassung  der  Ideen- 
flucht  besitzt,  hoffe  ich  bei  der  Besprechung  meiner  Versuche  mit 
Geisteskranken  noch  eingehender  besprechen  und  begriinden  zu  konnen. 

Bei  jeder  der  Reilien  geschah  es  einige  Male,  dass  ein  sinnloser 
Reim  gebildet  wurde,   in  der  ersten  sechs-,   in  der  zweiten  viermal. 


1)  Ziehen,  Physiol.  Psychologic.  III.  Aufl.  1896,  S.  165. 

2)  Kraepelin,  Beeinflussung  einfacher  psychischer  Vorgftnge  diirch  einige 
Anneimitiel  S.  52. 


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46  Gustav  AschafTenburg. 

Diese  Reime  waren  fiir  die  durchschnittliche  Dauer  nicht  von  nach- 
weisbarem  Einfluss,  da  sie  sich  nicht  auffallig  von  der  Mittelzahl 
entfernten  und,  wohl  zufalligerweise,  sich  beidemal  gleichmaBig  auf 
die  groBeren  und  kleineren  Zeiten  vertheilten.  Auffallig  groB  war 
die  Neigung,  den  Anfangsbuchstaben  des  Reimes  f estzuhalten ,  so 
dass  z.  B.  auf  die  Worte  Fest,  Bild,  Bank,  Macht,  Saal, 
Hut  und  Fall  nacheinander  stets  mit  W  anfangend,  West,  Wild, 
Wank  (sinnlos),  Wacht,  Wahl,  Wuth  undWahl  gereimt  wurde. 
Der  qualitativ  fast  resultatlos  gebliebene  Versuch  von  N  bedarf 
noch  der  Controle  hinsichtlich  der  Associationsdauer.  Die  Zahlen 
sind  bereits  in  der  Tab.  XX  mitgetheilt.  Wir  erkennen  ohne  weiteres, 
dass  hier  eine  deutliche  Einwirkung  hervortritt.  Die  Mittelzahlen 
sind  um  mindestens  1 00  a  langer  als  die  entsprechenden  des  Normal- 
versuches.  Diese  Verlangerung  der  Associationszeiten  ubertrifft  sogar 
bei  weitem  die  durch  die  Zeitmessung  nachweisbare  Wirkung  wahrend 
des  Nachtversuches.  Bemerkenswerth  erscheint  dabei,  dass  die  ge- 
ringste  Verschlechterung  die  nicht  sinngemaBen  Reactionen  erfahren 
haben,  die  in  beiden  Versuchen  die  klirzeste  Dauer  aufweisen.  Das 
Resultat  der  Zeitmessung  ist  deshalb  von  besonderem  Werthe,  weil 
eine  Verschlechterung  in  der  Qualitat  der  Vorstellungsverbindungen 
sich  nicht  nachweisen  lieB.  Wenn  demnach  die  Schadigung  wahrend 
der  Ballnacht  auch  nicht  so  groB  war,  vielleicht  auch  nicht  so  ge- 
artet,  um  eine  Veranderung  der  Associationsbildung  hervorzurufen, 
so  geniigte  sie  doch,  um  die  Dauer  nicht  unerheblich  zu  verlangem. 
Aus  den  mittelbaren  Associationen  lieB  sich  ausnahmsweise  eine 
Mittelzahl  bilden ;  diese  hat  zwar  wegen  der  kleinen  Zahl  von  7  sol- 
cher  Reactionen  nur  einen  relativen  Werth,  doch  ist  die  Lange  der 
Zeiten  so  auffalHg,  dass  sie  in  bester  Weise  die  frliher*)  aufgestellte 
Anschauung  bestatigt. 

V.   Deatang  der  Versuche. 

In  einem  Referate  iiber  meine  Associations  versuche  hat  Ziehen^) 
beanstandet,    dass    ich  keine  scharfe  Definition  fiir   >  Erschopf ung  * 

1)  Theil  I,  Seite  274  und  284. 

2)  Zeitschrift  fQr  Psychologic  und  Physiologie  der  Sinnesorgane .   Bd.  XIII, 
S.  232. 


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Expert menlelle  Studien  fiber  Associationen.  11.  47 

gegeben  habe.  Ich  bin  auch  jetzt  noch  nicht  im  Stande,  eine  solche 
mit  voUer  Exactheit  zu  geben,  obgleich  ich  mich  seit  fast  5  Jahren 
mit  der  experimentellen  Untersuchung  der  psychischen  Erscheinungen 
der  Erschopfung  beschaftige.  Mit  dem  Ausdrucke  »Ersch6pfung«  soUte 
lediglich  ein  hoherer  Grad  der  Schadigung  unserer  geistigen  und 
korperlichen  Spannkrafte  bezeichnet  werden,  als  wir  mit  dem  Be- 
griffe  der  »Ermudung«  zu  verbinden  pflegen.  Vor  allem  aber  woUte 
ich  durch  die  Vermeidung  des  Ausdruckes  Ermiidung  darthun,  dass 
ich  mir  sehr  wohl  bewusst  bin,  bei  meiner  Versuchsanordnung  keine 
einheitliche  Schadigung,  wie  etwa  in  den  Bettmann'schen  Experi- 
menten  vor  mir  zu  haben. 

Wir  pflegen  mit  Ermiidung  denjenigen  Zustand  zu  bezeichnen, 
den  eine  Arbeit  nach  sich  zieht,  nicht  aber  den,  wie  ihn  unter  an- 
derm  auch  bei  voUstandigster  Ruhe  des  Korpers  und  Geistes  der 
langer  dauemde  Mangel  an  Nahrung  hervorruft.  Es  bedeutet  also 
der  Ausdruck  » Erschopfung «  nicht  nur  einen  hoheren  Grad  der 
Schadigung  als  » Ermiidung «,  sondem  er  ist  auch  weniger  einseitig 
und  umfasst  auch  den  Schaden,  den  der  ungeniigende  Ersatz  des 
verbrauchten  Materiales  mit  sich  bringt.  Diese  Auffassung  steht  der 
Verworn'schen*)  sehr  nahe.  Dieser  kommt  bei  der  Besprechung 
der  Muskelermiidung  zu  folgenden  Schliissen:  »Wir  sehen  Ermiidungs- 
erscheinungen  einerseits,  wenn  gewisse  Stoffe,  die  zum  Leben  noth- 
wendig  sind,  durch  die  angestrengte  Thatigkeit  schneller  verbraucht 
als  zugefiihrt  oder  neugebildet  werden,  andererseits  wenn  gewisse 
Stoffe,  die  als  Zerfallsproducte  durch  die  Thatigkeit  entstehen,  sich 
in  solcher  Menge  anhaufen,  dass  sie  eine  lahmende  Wirkung  hervor- 
rufen.  Wegen  dieser  fundamentalen  Verschiedenheit  in  der  Genese 
der  betreffenden  Erscheinungen  erscheint  es  daher  zweckmaBig,-  die- 
selben  auch  durch  die  Benennung  zu  unterscheiden  und  die  durch 
Aufbrauch  der  nothwendigen  Stoffe  eintretenden  Lahmungserschei- 
nungen  als  'Erschopfung',  die  durch  Anhiiufung  und  Vergiftung  mit 
den  Zersetzungsproducten  entstehenden  Lahmungserscheinungen  da- 
gegen  als  'Ermiidung'  zu  bezeichnen.*  Zu  ganz  iihnlichen  Anschau- 
ungen   gelangen   Rivers    und   Kraepelin2).     Aus    der  Thatsache, 


1)  Max  Verworn,  AUgemeine  Physiologic.  Jena  1895,  S.  455. 

2)  W.  H.  R.  Rivers  und  Kraepelin,    Ueber  Ermiidung  und  Erholung. 
Diese  Arbeiten.  Bd.  I,  S.  670. 


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4S  Giistav  AschaflTenbnrg. 

dass  bei  Ergographenversuchen  neben  der  rasch  voriibergehenden 
auch  eine  allmahlich  wachsende,  dauemde  Abnahme  der  Arbeits- 
leistung  zu  bemerken  ist,  schlieBen  sie  auf  zwei  verschiedenartige  Wir- 
kungen  der  Muskelarbeii  Die  erste  beziehen  sie  auf  die  Anhauf  ung 
von  giftigen  Zersetzungsproducten  im  Muskel,  die  zweite  auf  den  Ver- 
brauch  des  verfiigbaren  Kraftvorraths,  In  ahnlicher  Weise  empfehlen 
sie,  die  rasch  voriibergehende  Abspannung  durch  geistige  Anstrengung 
von  den  langsamer  sich  ausgleichenden  Folgen  zu  trennen.  Sie  nehmen 
auch  fur  die  fluchtige  Herabsetzung  der  korperlichen  und  geistigen 
Leistungsfahigkeit  eine  Vergiftung  durch  Zerfallsproducte  an  und 
unterscheiden  diese  als  Ermiidung  von  der  Erschopfung,  »dem 
fortschreitenden  Einschmelzen  unseres  Kraftvorrathes  ohne  hinreichen- 
den  Ersatz «. 

Bei  meinen  Versuchen  vereinigten  sich  Schadigungen  mannig- 
fachster  Art:  die  korperliche,  wie  sie  die  ununterbrochene  Thatigkeit 
ohne  Schlaf,  die  geistige,  wie  sie  die  anstrengende  Aufmerksamkeits- 
spannung  wahrend  annahemd  24  Stunden  rait  sich  brachte;  hierzu 
kam  noch  der  mangelnde  Ersatz  der  verbrauchten  Krafte  durch  die 
Nahrung.  Den  Zustand,  den  der  verraehrte  Krafteverbrauch  und 
der  fehlende  Ersatz  hervorruft,  nenne  ich  einstweilen  Erschopfung, 
wobei  ich  vorderhand  unerortert  lassen  muss,  ob  ersterer  nur  durch 
die  Anhaufung  von  Ermiidungsstoffen  schadlich  wirkt. 

Worin  bestand  nun  uberhaupt  die  Wirkung  der  Erschopfung  auf 
den  Associationsvorgang?  Das,  was  alien  Nachtversuchen  gemeinsam 
zukommt,  ist  die  Verschlechterung  in  der  Qualitat  der  gebildeten  Vor- 
stellungen.  An  die  Stelle  des  begrifflichen  Zusammenhanges  tritt  die 
lockere  Verkniipfung  nach  dem  Klange  des  Reizwortes,  dessen  Be- 
deutung  fUr  die  angereihte  Reaction  ganz  gleichgiiltig  ist.  Von  dieser 
Kegel  findet  sich  keine  Ausnahme,  wenn  auch  der  Umfang,  in  dem 
diese  Erscheinung  zu  Tage  tritt,  sehr  verschieden  ist,  ebenso  wie 
auch  die  Entwicklimg  nicht  uberall  gleichmilBig  vor  sich  geht.  Wahrend 
in  der  Kegel  die  Zunahme  der  Klangassociationen  von  Reihe  zu  Reihe 
deutlicher  wird,  wachst  bei  einigen  die  Zahl  nur  maBig,  um  erst  auf 
der  Hohe  der  Erschopfung  entscheidend  zuzunehmen,  Es  sind  fast 
immer  die  Klangassociationen  im  strengsten  Sinne,  Reime  und  ahnlich 
klingende  Worte,  oft  ohne  jcdon  Inhalt,  die  das  Anwachsen  bedingen; 
nur  in  einem  Versuche,  dem  von  E,  fehlen  diese  ganz,  werden  aber 


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Cxperimentelle  Studien  fiber  Associationen.  II.  49 

durch  die  massenhaften  Worterganzimgen  ersetzt,  die,  im  Beginne 
ganz  fehlend,  zum  Schlusse  2/5  aller  Reactionen  darstellen. 

Das  Typische  der  Erschopfungswirkung  auf  den  Associationavor- 
gang  werden  wir  also  in  dem  Auftreten  der  Klangassociationen,  vor 
aUem  in  dem  der  Reime  und  Gleichklange  zu  suchen  haben.  Diese  Zu- 
nahme  findet  auf  Kosten  der  werthvoUeren  Associationsformen  statt^ 
besonders  der  inneren.  Diejenigen  Vorstellungsverbindungen,  in 
denen  Reizwort  und  Reaction  in  associativer  Verwandtschaft  stehen, 
treten  mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund.  In  den  9  Versuchen 
wurde  achtmal  die  geringste  Zahl  solcher  in  der  letzten  Reihe  gebildet, 
nur  einmal  in  der  vorletzten  etwas  (2)  weniger  als  in  der  letzten.  Bei 
2  Versuchen  zweier  verschiedener  Personen  war  im  letzten  Abschnitt 
nur  je  eine  einzige  innere  Association  mehr  vorgekommen.  Weniger 
deutUch  nimmt  die  Verkniipfung  der  Vorstellungen  durch  associative 
Gewohnheit  ab.  Die  Abnahme  dieser  wird  wenigstens  theilweise  da- 
durch  verhindert,  dass  die  sprachlichen  Reminiscenzen  eine,  wenn 
auch  nicht  sehr  ausgesprochene,  Neigung  zu  leichterem  Auftauchen 
ei4cennen  lassen.  Es  darf  dabei  nicht  unberiicksichtigt  bleiben,  dass 
sich  die  Zahl  der  iiberhaupt  gebildeten  Associationen  mit  begrifflichen 
Beziehungen  zwischen  Reizwort  und  Reaction  dauemd  verringert.  So 
ist  z.  B.  die  im  Versuche  von  E  gebildete  Zahl  der  sprachlichen 
Reminiscenzen  44,  52,  50  und  42,  wahrend  ihr  Procentverhaltniss 
zur  Zahl  der  sinngemaBen  Associationen  iiberhaupt  von  56  auf  84, 
83  resp.  81  steigt. 

Schematisirt  wtirde  sich  demnach  der  Associationsvorgang  unter 
dem  Einflusse  einer  allmahlich  zunehmenden  Erschopfung  etwa 
so  gestalten:  Die  engen  Beziehungen  zwischen  Reizwort 
und  Reaction  werden  nach  und  nach  gelockert.  und 
durch  solche  Associationsformen  ersetzt,  die  der  lang- 
gewohnten  Uebung  ihre  Entstehung  verdanken;  beson- 
ders uberwiegen  dabei  die  sprachlichen  Beziehungen. 
Aber  auch  diese  werden  nach  und  nach  immer  oberflach- 
licher.  Die  zugerufene  Vorstellung  —  dasselbe  gilt  auch 
von  den  spontan  auftauchenden  —  wird  nicht  mehr  als  solche 
aufgefasst,  sondern  wirkt  nur  noch  durch  ihren  Klang, 
durch  ihre  Tonfarbe,  ihren  Rhythmus.  Im  weiteren  Fort- 
schreiten  der  Erschopfung  wachst  die  Neigung,  Klang  an 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  4 


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50  Gusta?  AschafieDborg. 

Klang  anzureihen,  bis  schlieBlich  auch  das  neugebildete 
klangahnliche  Wort  verloren  geht,  und  nur  noch  der  reine 
Anklang,  die  ahnlich  lautende  Silbe  ubrig  bleibt.  Ob  unter 
Umstanden,  die  im  Rahmen  des  Physiologischen  sich  bewegen,  durch 
auBersten  Verbrauch  der  Spannkrafte  ein  so  hoher  Grad  erreicht 
werden  kann,  ist  sehr  fraglich;  wir  werden  aber  unter  krankhaften 
Zustanden  dieser  Erscheinung  begegnen.  Es  liegt  mir  dabei  fern, 
die  beiden  Influenzaversuche,  die  ja  allerdings  dem  Endstadiiun  des 
gegebenen  Schemas  sich  nahem,  als  Belege  fiir  die  Moglichkeit  dieser 
Erscheinung  anzusehen ;  dafiir  beweisen  zwei  Versuche  an  einer  Person 
viel  zu  wenig.  Dass  aber  bei  Kranken  die  ganzliche  Losung  jedes  be- 
grifflichen  Zusammenhanges  vorkommt,  an  dessen  Stelle  dann  die  aus- 
schlieBliche  Herrschaft  des  Klanges  tritt,  kann  ich  aus  meinen  Versu- 
chen  an  Geisteskranken  *)  beweisen,  wie  ich  hier  vorweg  nehmen  will. 

In  dieser  Beleuchtung  erscheint  der  >Beim«  in  einem  eigenthiim- 
lichen  Lichte,  das  noch  greller  wird,  wenn  wir  die  von  Kraepelin 
und  spater  von  Purer  und  Smith  festgestellten  Beziehungen  der 
Klangassociation  zum  Alkoholgenuss  hinzunehmen.  Die  Neigung 
zum  Reimen  muss  unbedingt  als  eine  Verschlechterung  des  Associa- 
tionsvorganges  auf gef asst  werden ;  diese  Ansicht  wird  wohl  dann  auf 
weniger  Widerspruch  stoBen,  wenn  wir  die  scharfe  Trennung  des 
>Reimen8«  vom  »Dichten«  ausdriicklich  hervorheben.  Es  ist  der  Be- 
lesenheit  Nordaus^)  gegliickt,  aus  den  Werken  modemer  Schrift- 
steller  ungezahlte  Beispiele  zusammenzusuchen,  in  denen  dem  Reime 
der  Sinn  geopfert,  oder  noch  haufiger  durch  eine  auftauchende  Ellang- 
ahnlichkeit  der  Sinn  iiberhaupt  verschoben,  oft  auch  ganz  aufgehoben 
wird.  So  werthvoU  der  Reim  an  passender  Stelle  in  der  Hand  des 
Meisters  ist,  so  gefilhrlich  ist  er  dem  StUmper,  dem  er  das  Fehlen 
der  Gedanken  verbirgt,  den  vorhandenen  Zusammenhang  zerstort, 
und  der  sich  selbst  durch  den  einschmeichelnden  Klang  des  Reimes 
iiber  die  inhaltUche  Leere  hinwegtauscht. 

Heine  Versuche  haben,  auf  breiterer  Grundlage  und  mit  dem 
Endzwecke,    die  Storungen  [der  Associationsbildung  durch   die   Er- 


1)  VergL  danlber  Aechaffenburg,  Peychologische  Versuche  an  Geittes- 
kranken.  Bericht  aber  den  III.  internal.  Congress  fflr  Psychologie.  Manchen. 
J.  F.  Lehmann,  1897,  S.  296. 

2,  Nordau,  Entartung.  2.  Aufl.  Berlin  1893. 


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Experiroentelle  Studieo  iiber  Assoeiationen.  II.  5 1 

schopfung  festzustellen,  untemommen,  die  Ansicht  Kraepelins 
bestatigt,  wenigstens  was  das  Auftreten  der  Klangassociationen  betrifft. 
Er  hatte  beobachtet^),  dass  sich  im  Laufe  langerer  Associationsreihen 
gewisse  Veranderungen  bemerkbar  machten: 

»Die  Ermiidung  bewirkt  auBer  einer  entschiedenen  Verlangerung 
und  Erschwerung  der  Assoeiationen,  namentlich  derjenigen,  welche 
hohere  Anforderungen  an  unsere  psychischen  Leistungen  stellen,  ein 
sehr  auffallendes  Hervortreten  von  rein  auBerlichen,  namentlich  von 
Klangassociationen,  Reimen  nnd  dergl.« 

In  der  mir  zuganglichen  Literatur  habe  ich  sonst  nirgends  die 
eigenartige  Veranderung  des  Inhaltes  der  associirten  Vorstellungen  er- 
wahnt  gefunden;  diese  Frage  ist  allerdings  auch  sonst  nur  wenig  ex- 
perimentell  behandelt  worden.  Stimmt  denn  nun  das  von  uns  G^efun- 
dene  mit  der  alltaglichen  Beobachtung  Uberein?  Ich  glaube  diese  Frage 
unbedingt  bejahen  zu  konnen.  Seitdem  meine  Aufmerksamkeit  auf 
das  Vorkommen  von  Klangassociationen  unter  dem  Einflusse  starkerer 
Ermudungen  hingelenkt  war,  habe  ich  sehr  haufig  Gelegenheit  gehabt, 
nicht  nnr  an  mir,  —  das  konnte  immerhin  als  eine  vielleicht  unvermeid- 
liche  Suggestionswirkung  ausgelegt  werden  —  sondem  an  vielen 
andem  Personen  diese  Neigung  zum  Reimen  zu  beobachten.  Schon 
vor  mehreren  Jahren  versuchte  ich  gelegentlich  einiger  Bergtouren 
in  der  Schweiz  mit  den  mich  begleitenden  Personen  in  einer  dem  Ex- 
perimente  ahnlichen  Weise  im  Beginne  und  gegen  Schluss  der  Marsche 
durch  Zunifen  von  Worten  die  Associationsformen  festzustellen. 
Wenn  ich  dabei  auch  durch  die  auBeren  Umstande  verhindert  war, 
genauere  Notizen  zu  machen,  so  kann  ich  doch  versichem,  dass  fast 
stets  eine  auBerordentlich  groBe  Anzahl  von  klangahnlichen  Worten 
und  Reimen  auftrat.  Schon  die  einfache  Beachtung  des  Gespraches 
bei  solchen  Gelegenheiten  aber  geniigt  fur  denjenigen,  der  weiB, 
worauf  er  zu  achten  hat,  um  zu  bemerken,  welche  Rolle  die  Klang- 
association  spielt,  sowohl  in  der  Form  des  Reimes,  als  vor  allem  in 
der  des  typischen  Wortwitzes.  Eine  directe  Bestatigung,  wie  eng  die 
Neigung  zum  Reimen  mit  starker  —  in  solchen  Fallen  allerdings  fast 
ausschlieBlichkorperlicher  —  Anstrengung  verbunden  ist,  bietet  jedes 
beliebige  Fremdenbuch    auf  Berggipfeln   und  in  Schutzhiitten.     Ich 

1;  Kraepelin,  Experimentelle  Studien  aber  Assoeiationen.  Tageblatt  der 
66.  Versammlnng  deutscher  Naturforscher  und  Aenfe  in  Freiburg.    Freiburg  1884. 

4* 


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52  Giutar  Asehaffeoborg. 

sehe  dabei  selbstverstandlich  von  solchen  Producten  ab,  die  unter 
ausschlieBIicher  oder  gleichzeitiger  Wirkung  des  Alkohols  verfasst 
sind.  Es  wird  wohl  jeder  zugeben  miissen,  dass  ein  wirklich  inhalt- 
reiches  Gedicht  niir  selten  die  Fremdenbucher  der  Schutzhiitten  ziert; 
dabei  sind  es  durchaus  nicht  ungebildete  Personen,  wenigstens  nicht 
immer,  die  als  Verf  asser  der  albemsten  Reimereien  unterzeichnet  sind, 
sondem  oft  genug  solche,  die  in  der  Stille  des  Studirzimmers  sich 
schamen  wUrden,  so  gedankenarme  Reimereien  niederzuschreiben.  Es 
geht  mit  diesen  Versen  wie  mit  den  schwungvollen  Poesien  der  Wein- 
laune,  die  bei  Tageslicht  betrachtet  meist  nur  ein  verwundertes  Kopf- 
schiitteln  erregen  konnen,  wie  auch  der  G^eist  eines  Witzes,  einer 
vielbewunderten  schlagfertigen  Bemerkung  sich  mit  dem  Geiste  des 
Weines  zu  verfluchtigen  pflegt.  Das  Gleiche  gilt  durchaus  ftir  die 
Witzeleien  des  Erschopften. 

Die  Bedeutung  und  das  Zustandekommen  dieser  Witzeleien  kann 
nicht  besser  geschildert  werden,  als  es  Nordau>)  fUr  den  Schwach- 
sinnigen  versucht  hat,  Er  sagt  von  ihm  (siehe  dariiber  unten):  »Die 
bloBe  Lautahnlichkeit  bestimmt  den  Lauf  seines  Denkens.  Er  hort  ein 
Wort,  und  es  ruft  ihm  ahnliche  Worte  ins  Bewusstsein,  die  nur  dem 
Klange,  nicht  dem  Sinne  nach  jenem  verwandt  sind,  dann  denkt  und 
spricht  er  in  einer  Reihe  ganzlich  unzusammenhangender  Reime;  oder 
die  Worte  haben  auBer  dem  Gleichklang  auch  eine  sehr  entfemte 
und  schwache  Sinngemeinschaft,  dann  entsteht  das  Wortspiel.  Der 
XJnkundige  ist  geneigt,  den  reimenden  und  wortspielenden  Schwach- 
sinnigen  witzig  zu  nennen,  und  er  bedenkt  nicht,  dass  diese  Art  des 
Verkniipfens  der  Vorstellimgen  nach  dem  Klange  der  Worte  den 
Zweck  des  Denkens  vereitelt,  da  sie  die  Ericenntniss  des  wirklichen 
Zusammenhanges  der  Erscheinungen  nicht  fordert,  sondem  von  ihr 
entfemt.    Keine  Witzelei  hat  jemals  die  Entdeckung  einer  Wahrheit 


1)  Nordau,  Entartong,  2.  Auflage.  1.  Bd.  S.  119.  Das  Buch  Nordaua 
enth&lt  trotz  mancher  Uebertreibungen  und  zahlreicher  IrrthOmer  in  der  paychia- 
triachen  Beurtheilung  eine  Fdlle  interesaanter  Einzelheiten  und  vorstLglicher  Be- 
obaehtongen.  Nordau  verateht  unter  dem  » Schwachsinnigen  <  an  dieaer  Stelle 
den  Typus  des  oberflftchlich  denkenden,  degenerirten  Menaehen.  Seine  Schilde- 
rung  entapricht  am  meiaten  den  Hypomaniachen,  von  denen  auch  wohl  ein  Theil 
der  angezogenen  Beispiele  atammt.  Nur  mit  Rtlckaicht  auf  die  auffallende  Ueber- 
einatimmung  aeiner  ioiaicht  mit  den  Beobachtungen  bei  Erachdpften  und  auf  die 
pr&eise  Schilderung  habe  ich  mich  zur  Citirung  obenatehender  Zeilen  entachloaaen. 


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Experimentelle  Stadien  uber  Associationeo.  11.  53 

erleichtert,  und  wer  einmal  den  Versuch  gemacht  hat,  mit  einem 
witzelnden  Schwachsinnigen  ein  emstes  Gesprach  zu  fiihren,  der  wird 
die  Unmoglichkeit  erkannt  haben,  ihn  bei  der  Stange  zu  halten,  von 
ihm  einen  folgerichtigen  Schluss  zu  erlangen,  ihm  eine  Thatsache 
oder  ein  Causalverhaltniss  begreiflich  zu  machen.*  Wir  brauchen 
nur  fiir  »8chwach8innig«  »ersch6pft«  zu  setzen  und  wir  konnen  jedes 
Wort  auf  unsere  Versuche  anwenden. 

Dass  zuweilen  eine  komische  Wirkung  durch  einen  Wortwitz, 
eine  Wortverdrehung  oder  Wortspielerei  erzielt  werden  kann,  ist 
selbstverstandlich.  Hecker*)  hat  diese  Art  des  Witzes,  die  erste 
Gruppe  seiner  Associations  witze,  als  Klangwitze  bezeichnet,  in 
denen  zwei  Vorstellungen,  die  nicht  den  geringsten  logischen  Zu- 
sammenhang  haben,  durch  den  Gleichklang  zusammengehalten  werden. 
Die  komische  Wirkung  beruht  nach  Heckers  Ansicht  auf  dem 
Gegensatze  zwischen  der  gezwungenen,  unnatiirlichen  Verbindung 
heterogener  Vorstellungen,  die  das  Unlustgefuhl  hervorruft,  und  dem 
Lustgefuhl  durch  die  vollzogene  Verbindung  mittelst  der  Klangahn- 
lichkeit;  vielleicht  wirkt  auch  ebenso  sehr  der  Gegensatz  zwischen 
der  erwarteten  Vorstellung  und  der  gebildeten,  »der  unerwartete 
intellectuelle  Contrast,  der  in  uns  einen  Widerstreit  logi- 
scher  Gefuhle  mit  vorwiegender  Lust  erweckt*^).  Dieses 
Lustgefuhl  kann  aber  allerdings  nur  zu  Stande  kommen,  wenn  die 
Verkniipfung  der  Vorstellungen  nicht  gar  zu  gewaltsam  ist,  nicht 
>an  den  Haaren  herbeigezogen*  wird,  sonst  tritt  geradezu  ein  Un- 
lustgefuhl auf.  Das  ist  bei  dieser  Gattung  der  Witze  entschieden 
das  haufigere.  Dass  sie  trotzdem  ihre  Wirkung  oft  nicht  verfehlen, 
liegt  in  den  Umstanden,  unter  denen  sie  meist  gemacht  werden. 
>Die  komische  Wirkung  des  Klangwitzes,«  sagt  Kraepelin^),  »pflegt 
gemeiniglich  nur  dann  intensiv  zu  sein,  wenn  eine  geringe  Scharfe 
der  begrifflichen  Ausbildung  dem  Subjecte  die  ganzUche  Unhaltbar- 
keit  und  G^waltsamkeit  der  vollzogenen  Verbindung  nicht  in  voUem 
MaBe  zum  BewusstsQin  konunen  lasst« 


Ij  Ewald  Hecker,   Die  PhyBiologie  und  Psychologie   des  Lachens  und 
des  Komischen.  Berlin  1873,  S.  59. 

2)  Kraepelin,  Zur  Psychologie  des  Komischen.     Philosophische  Studien. 
von  Wundt   Band  II,  S.  361. 

3)  Ebenda,  S.  144. 


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54  .  Gustar  AscbaSenborg. 

Diese  Unzulanglichkeit  der  Kritik  findet  sich  auch  dann,  wenn 
der  Alkoholgenuss  das  Urtheil  des  Zuhorers  etwas  beeintrachtigt  hat, 
der  dann  viel  dankbarer  der  Wortwitzeleien  seiner  Gefahrten  sich 
freut.  Die  gleiche  Beobachtung  konnten  wir  bei  unsern  Nachtver- 
suchen  machen.  So  erinnere  ich  mich  z.  B.  der  groBen,  wie  man 
^ewiss  zugeben  wird,  wenig  motivirten  Heiterkeit,  die  der  sinnlose 
Reim  »Wuft«  auf  das  Reizwort  Duft  hervorrief. 

Die  beiden  Abschweifungen  auf  die  Beurtheilung  des  Werthes 
der  B/eime  und  der  Wortwitze  hielt  ich  an  dieser  Stelle  fUr  nothig, 
an  der  wir  zum  ersten  Male  in  groBerer  Anzahl  solchen  Vorstellungs- 
verbindungen  begegnen,  da  von  ihrer  falschen  Auffassung  die  ver- 
kehrte  Beurtheilung  der  Alkoholwirkung  und  der  Reden  mancher 
Kranker .  abhangt ;  auf  letztere  wenigstens  hoffe  ich  noch  an  anderer 
Stelle  eingehender  zuriickkommen  zu  konnen. 

Wahrend  wir  in  unsern  Versuchen  eine  unzweideutige  Zunahme 
der  Klangassociationen  unter  dem  Einflusse  einer  erschopfenden  Ur- 
sache  fanden,  lieB  sich  ein  Anwachsen  der  Zahl  identischer  Reac- 
tionen,  eine  groBere  Neigung  zur  Wiederholung  derselben  Antworten 
nicht  nachweisen.  Ebensowenig  wurde  das  Auftreten  der  Fehlasso- 
ciationen  begUnstigt,  die  zum  groBten  Theil  in  Wiederholungen  des 
Reizwortes  oder  friiheren  Reactionen  ohne  Zusammenhang  zu  bestehen 
pflegten;  ja  wir  fanden  geradezu  eine  Abnahme  dieser  Reactionsformen 
im  Laufe  der  Versuchsnachte.  Dieses  gegensatzliche  Verhalten  der 
Klangassociationen  einerseits,  der  Fehlassociationen  und  der  Stere- 
otypic andererseits,  gibt  uns  vielleicht  eine  Hindeutung  zur  Losung 
einer  sehr  wichtigen  Frage.  Wir  konnten  die  ungunstige  Disposition, 
die  von  der  Wirkung  der  Erschopfung  sich  unterschied  und  nicht 
durch  sie  verschlimmert  wurde,  bei  B  zur  Zeit  des  Versuches  am 
19./ 20.  November  1892  mit  groBter  Wahrscheinlichkeit  auf  eine 
Summe  korperlicher  und  psychischer  Schadigungen  chronischer  Art 
zuriickfiihren.  Auch  fur  E  batten  wir  wegen  der  ganz  ungewohnlich 
groBen  Zahl  von  sinnlosen  Reactionen  die  gleiche  Disposition  und 
zwar  als  dauemde  Eigenthumlichkeit  angenommen.  Nicht  unwichtig 
ist,  dass  bei  E  die  acute  Erschopfung  ebenso  dem  Auftreten  der 
Fehlassociationen  entgegenwirkt ,  wie  sie  auch  die  Stereot)i)ie  ver- 
ringert.  Es  erscheint  mir  nun  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  die 
Zusammenhangslosigkeit  der  Associationen  und  das  Kleben  an  Vor- 


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Cxperimentelle  Siadien  Qber  Associationen.  II.  55 

stellungen,  das  zwangsweise  Wiederkehren  derselben  Worte  nichts 
mit  der  nonnalen,  acuten  Erschopfung  zu  thiin  hat,  um  so  mehr  aber 
mit  dem  Zustande,  den  wir  als  Neurasthenie  bezeichnen;  die 
stete  Wiederkehr  der  gleichen  Vorstellungen  erinnert  geradezu  an 
die  Zwangsvorstellungen  der  Neurasthenischen. 

Wir  wurden  also  die  Erschopfung  principiell  von  den  Zustanden 
trennen,  die  entweder  auf  dem  Boden  constitutioneller  Veranlagung 
direct  oder  im  Verein  mit  affectiver  Schadigung  chronischer  Art 
sich  entwickeln.  Die  Versuche  iiber  die  Erschopfung  lehrten  auch 
sonst  noch  manche  Erscheinung  kennen,  die  fiir  eine  derartige  scharfe 
Trennung  sprechen.  Diese  Anschauung  wird  aus  klinischen  Griinden 
Ton  Kraepelin^j  in  seinem  Lehrbuche  vertreten,  der  die  >chroni8che 
nervose  Erschopfung «  von  dem  »constitutionellen  Zustande  der  an- 
geborenen  Neurasthenic*  untersclieidet,  wahrend  Binswanger  die 
Erschopfungszustande,  deren  leichtere  Grade  er  Dauerermiidung 
nennt,  nicht  von  den  » neuropathischen  Krankheitserscheinungen « 
trennt,  »die  auf  dem  Boden  einer  allgemeinen  functionellen  Er- 
krankung  des  Nervensystems  erwachsen  sind*.^)  Doch  ist  der  G^gen- 
satz  zwischen  diesen  Auffassungen  weniger  schroff,  als  es  vielleicht 
im  ersten  Augenbhcke  erscheint.  Bei  der  Besprechung  der  XJrsachen^) 
betont Binswanger  ausdriicklich,  »dass  gehaufte  und  langandauemde 
korperhche  Ueberanstrengungen  besonders  dann  den  neuropathischen 
Zostand  und  die  Neurasthenie  hervorrufen,  wenn  sie  mit  gemiith- 

lichen    und  intellectuellen  Schadlichkeiten  zusammenf alien* 

>Es  bedarf  nicht  immer  dieses  Zusammenwirkens  korperlicher  und 
geistiger  Ueberanstrengungen,  vielmehr  geniigen  besonders  beischon 
disponirten  Personen  die  korperlichen  allein,  um  eine  voUent- 
wickelte  Neurasthenie  mit  vorwaltend  motorischen  Storungen  hervor- 
znrufen.* 

Es  mag  vielleicht  gewagt  erscheinen,  auf  Grund  der  wenigen 
Experimente  in  dieser  auBerordentlich  verwickelten  Frage  Stellung 
zu  nehmen.     Die  Berechtigung  dazu  lag  allein  in  der  neuen  Frage- 


1)  Kraepelin,  Psychiatrie.    5.  Auflage.   Leipzig  1S96,  S.  761. 

2)  Binswanger,  Die  Pathologie  und  Therapie  der  Neurasthenie.   Jena  1S96, 

3;  Binswanger,  a.  a.  O.,  S.  57. 


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56  "       Gostt?  Ascbaffenbarg. 

stellung,  die  sich  aus  diesen  Ausfuhrungen  ergibt,  and  die  durch  ihre 
nunmehr  mogliche  genaue  Abgrenzung  vielleicht  Klarheit  schaffen 
konnte.  Versuche  an  constitutionellen  Neurasthenikem  einerseits,  ein 
Material,  das  mir  leider  nicht  ausreichend  zur  Verfiigung  steht^  und 
bei  experimentell  unschwer  zu  erzeugender  chronischer  Uebenniidung 
und  Erschopfung  andererseits  wiirden  die  Bichtigkeit  oder  XJnrichtig- 
keit  dieser  Anschauungen  bald  nachweisen  und  uns  damit  nach  der 
einen  oder  der  andem  Richtung  einen  wichtigen  Schritt  vorwarts 
bringen. 

Wahrend  die  qualitative  Veranderung  der  Associationen  durch 
erschopf ende  EinflUsse  der  allgemeinen  Aufmerksamkeit  entgangen  zu 
sein  scheint,  nimmt  dafUr  in  den  Besprechungen  die  Verlangerung 
der  Reactionszeiten  einen  um  so  breiteren  Raum  ein,  besonders  bei 
der  reinen  Construction  der  Ermiidungswirkung.  Experimentell  hat 
sich  eingehender  mit  der  Erschwerung  der  Vorstellungsbildung  durch 
EJrmudung,  soviel  ich  ersehen  konnte,  nur  Marie  Manac^ine>) 
beschaftigt.  Sie  lieB  in  einer  Art  Schrank  ein  Wort  erscheinen;  den 
Moment  des  Erscheinens  und  des  Aussprechens  der  nacheinander  sich 
einstellenden  Associationen  markirten  Signale  auf  einer  rotirenden 
Trommel,  sodass  sich  ein  ziemlich  ubersichtliches  Bild  der  Lebendig- 
keit  des  Associationsvorganges  gewinnen  lieB.  Sie  fand  nun,  dass 
jede  geistige  Ermiidung  einen  sehr  deutlichen  Einfluss  auf  die  Schnellig- 
keit  ausUbte,  mit  der  die  Vorstellungen  gebildet  wurden,  und  ebenso 
auf  deren  Zahl.  Wie  groB  die  Verlangsamung  und  die  Erschwerung 
ist,  hat  die  Verfasserin  leider  nicht  mitgetheilt. 

Bei  meinen  eigenen  Versuchen  trat  die  Verlangerung  der  Associa- 
tionszeiten  im  allgemeinen  nicht  sehr  deutlich  hervor;  einige  Male  bheb 
die  Dauer  sogar  ziemlich  imverandert;  durch  das  Wachsen  der  Mittel- 
zone  ist  eine  Verschlechterung  des  ganzen  Associationsvorganges  ausge- 
drUckt,  doch  ist  auch  diese  nicht  so  groB,  wie  man  vielleicht  von  vomher- 
ein  erwarten  konnte.  Es  muss  allerdings  dabei  beriicksichtigt  werden, 
dass  bei  der  untersuchten  Aufgabe  der  freien  Vorstellungsanreihung 
die  Dauer  des  einzelnen  Versuches  deshalb  mit  den  anderen  schwerer 
zu  vergleichen  ist,  weil  die  qualitative  Veranderung  ebenfalls  die  ge- 


1)  MarieManac^ine,  Le  Burmenage  mental  dans  la  civilisation  moderne. 
Paris  1890,  S.  165. 


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Experimentelle  Stodien  fiber  Associationeo.  IL  57 

messenen  Zeiten  beeinflusst.  Wenn  ich  also  auch  eine  Verlangsamimg 
des  Assodationsvorganges  durch  die  Erschopfung  nicht  in  Abrede 
stellen  mochte,  so  liegen  die  Verhaltnisse  doch  nicht  so,  dass  wir  mit 
Ziehen')  annehmen  dtirften,  »heute  fliegen  meine  Gredanken  iind 
morgen,  wenn  ich  ermiidet  bin,  scheinen  dieselben  zu  kriechen«.  Es 
geht  aus  dem  Zusammenhange  hervor,  dass  dieses  >Scheinen<  nicht 
auf  eine  subjective  Urtheilstauschung  bezogen  werden,  sondem  that- 
sachlich  eine  ganz  erhebliche  Verlangsamung  des  Vorstellungsablauf  es 
bedeuten  soil. 

Bourdon  2)  fand  bei  seinen  Versuchen,  dass  sich  die  Ermtidung 
•fatigue)  bei  Versuchen,  die  lange  Zeit  genug  fortgesetzt  wurden,  in 
der  Abnahme  der  Zahl  der  Antworten  zeige;  eine  Veranderung  in 
der  Art  der  gebildeten  Associationen  ist  ihm  nicht  aufgefallen. 

Damit  ist  das  Wenige  erschopft,  was  aus  den  bisherigen  Be- 
obachtnngen  erwahnenswerth  ist.  Ein  Widerspruch  gegen  meine  Er- 
gebnisse  kann  darin  kaum  gefunden  werden,  besonders  deshalb  nicht, 
weil  wohl  bis  zu  der  Feststellung  der  Veranderungen  durch  Gifte 
seitens  Kraepelins  die  Versuchsbedingungen  oft  nicht  einwandfrei 
gewesen  sein  diirften.  Ich  glaube,  dass  man  schwerlich  einen  dem 
Versuch  vorangehenden  einstiindigen  Spaziergang  in  seiner  Bedeutung 
fiir  den  Ausfcill  der  Experimente  bisher  genUgend  gewiirdigt  und  des- 
halb gescheut  hat.  Vielleicht  erklart  sich  so  die  Beobachtung  Bour- 
dons, dass  eine  seiner  Versuchspersonen  eine  besondere  Neigung 
gezeigt  habe,  den  Sinn  der  Worte  zu  vemachlassigen  und  die 
Klangahnlichkeit  zu  erfassen. 

Bei  dem  Fehlen  weiterer  Vorarbeiten  wird  der  lebhafte  Wunsch 
rege,  die  Feststellung  der  Veranderung  des  Associationsvorganges 
nachzupriifen  und  zu  erweitem.  Nach  welchen  Bichtungen  dies  be- 
sonders erforderlich  ist,  wird  nunmehr  zu  besprechen  sein. 

VI.  Znsammenhang  der  Klangassociationen  mit  Bewegnngsantrieben. 

Es  entsteht  namlich  jetzt  die  Frage,  ob  wir  nicht  weitere  An- 
haltspunkte   finden   konnen,   die   uns    die  Deutung   der  gefundenen 

]/  Th.  Ziehen,  Leitfaden  der  physiologiBchen  Psychologie.  Jena  1S96,  S.  165. 
2;  Bourdon,  Recherches  sur  la  Buccession  des  ph^nom^eB  psychologiques. 
ReTue  philofophique.   1893.  XVIII.  S.  225. 


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58  Casta?  AschAflTenburg. 

Thatsachen  erleichtern.  Die  Associationen  nach  begrifOicher  Ver- 
wandtschaft,  die  sog.  inneren,  zeigten  unter  dem  Einflusse  der 
Erschopf ung  eine  Abnahme.  Die  eingeiibten  Gewohnheitsassociationen, 
die  wir  als  auQere  bezeichneten,  blieben  im  Ganzen  unverandert ;  die- 
jenige  Gruppe,  bei  der  die  sprachKche  Uebung  die  Hauptrolle  spielt, 
nahm  sogar  einige  Mai  deutlich  zu.  Am  meisten  wuchs  die  Zahl  der 
Reactionen,  bei  denen  die  Verknupfung  durch  die  formale  Aehnlich- 
keit  der  Lautbilder  hergestellt  wird,  oft  bis  zu  einem  Grade,  dass 
der  Klangahnlichkeit  sogar  der  Sinn  der  neugebildeten  Vorstellung 
geopfert  wurde.  Es  sind  also  die  mechanischen,  rein  motorischen 
Vorgange  des  Nachplappems  ahnlicher  Buchstaben-  und  Silben- 
complexe  in  erster  Linie  begunstigt.  Auch  bei  den  Worterganzungen 
wird  die  Vorstellungsbildung  hauptsachlich  durch  die  von  dem  Reiz- 
worte  angeregte  Bewegung  bestimtot;  das  Gleiche  gilt  auch  von  den 
sprachlichen  Reminiscenzen,  nur  dass  hier  wenigstens  noch  der  Inhalt 
der  Ausgangsvorstellung  mitwirkt.  Wir  konnen  also  zusammenfassend 
sagen:  Mit  der  fortschreitenden  Erschopfung  tritt  an  die 
Stelle  des  begrifflichen  Zusammenhanges  die  Bewegungs- 
vorstellung. 

Die  Aehnlichkeit  dieses  Ergebnisses  mit  dem,  was  Kraepelin*) 
fur  den  Alkohol  feststellen  konnte,  ist  augenfallig.  »Einmal  werden 
begiinstigt  die  rein  mechanisch  eingelemten,  durch  bestimmte,  gewohn- 
heitsmaBige  Bewegungscoordinationen  vermittelten  Associationen,  dann 
aber  diejenigen,  bei  denen  die  Sprachbewegungen  einander  formal 
sehr  ahnlich  sind.«  Smith 2)  hat  dies  bei  Versuchen  uber  die  Wirkung 
langer  dauemden  Alkoholgenusses,  Furer^)  bei  einmaligen  groBen 
Dosen  Alkohols  bestatigen  konnen,  und  auch  eigene  gelegentliche 
Versuche  stehen  mit  diesen  Erfahrungen  in  bester  Uebereinstimmung. 
Die  Begiinstigung  »derjenigen  Vorstellungsverbindungen,  welche  durch 
ein  motorisches  Band  aneinander  gekniipft  sind«,  bringt  Kraepelin 
in  Beziehung  zu  der  allgemeinen  Erleichterung  der  Bewegungsaus- 
losung,  die  er  auf  Grund  des  Ausfalles  der  Versuche  mit  einfachen 
und  Wahlreactionen,  sowie  der  Lemversuche  feststellen  konnte.     Es 

1)  Kraepelin,  Beeinflusf^uDg  u.  s.  w.  S.  191. 

2}  A.  Smith,  Die  Alkoholfrage ,  Tabingen  1895.  S.  31. 

3j  C.  Ftlrer,  Ueber  die  psychischen  Nachwirkungen  des  AlkoholrauBche:^. 
Bericht  flber  den  V.  internationalen  Congress  zur  BekSmpfung  des  Missbrauchs 
geistiger  Oetr&nke.   Basel  1896. 


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Experimentelle  Studien  Qber  Associationen.  II.  59 

liegt  nahe,  nunmehr  nachzupriifen,  ob  wir  eine  ahnliche  Erleichterung 
der  Bewegungsimpulse  auch  fiir  die  Erschopfimg  annehmen  diirfen. 

Unseren  subjectiven  Empfindungen  nach  ist  dies  durchaus  der 
Fall.  Wir  sind  alle,  soweit  wir  bei  den  Nachtversuchen  betheiligt 
waren,  in  einen  eigenthUmlichen  Zustand  der  Ruhelosigkeit  gerathen, 
der  bei  den  verschiedenen  Personen  mehr  oder  weniger  deutlich  sich 
zeigte  und  fast  stets  den  ganzen  folgenden  Tag  fortdauerte.  Es  trat 
nicht,  wie  die  schwere,  besonders  bei  dem  Auswendiglemen  und 
Zahlenaddiren  deutliche  Intelligenzstomng  erwarten  lieB,  eine  allge- 
meine  Abspannung  und  Erschlaffung  der  Krafte  ein,  die  sofort  zum 
3chlafe  fiihrte;  wir  haben  im  Gegentheil  fast  alle  wahrend  des  fol- 
genden Tages  kaum  ein  Ruhebediirfniss  empfunden,  gar  nicht  oder 
nur  km^  geschlafen  und  uns  im  Verhaltniss  zur  iiberstandenen  An- 
strengung  auffallig  frisch  gefuhlt.  An  dem  nachstfolgenden  Tage 
trat  erst  die  Miidigkeit  deutlich  zu  Tage,  viel  merklicher  als  am  Tage 
nach  dem  Versuche.  Eine  Reihe  von  kleinen  Einzelzugen  erganzen 
diese  Erfahrung.  Fast  stets  war  ein  unverkennbarer  Drang  zum 
Reden  und  zwar  zum  lauten  Reden  vorhanden,  eine  Neigung  zu 
zahlreichen  uberflussigen  Bewegungen,  zum  XJmherlaufen  und  zum 
Lachen,  eine  Unfahigkeit,  ruhig  sitzen  zu  bleiben.  Auch  den  Col- 
legen,  die  Grelegenheit  batten,  die  Theilnehmer  an  den  Versuchen 
bald  nachher  zu  beobachten,  fiel  die  Vielgeschaftigkeit  und  Unruhe 
auf.  Diese  Erscheinung  ist  ja  auch  durchaus  nichts  ungewohntes. 
Nach  jedem  langer  dauemden  Marsche,  nach  jeder  groBeren  korper- 
lichen  Anstrengung  konnen  wir  das  gleiche  Verhalten  constatiren, 
wie  dieselben  Personen,  die  wahrend  des  Gehens  den  Augenblick 
nicht  erwarten  konnten,  wo  sie  zimi  Sitzen  kamen,  am  Ziele  angelangt 
keine  Rube  finden  und  in  zwecklosem  Thatigkeitsdrang  bin-  und  her- 
laufen.  Dahin  gehort  auch  das  oft  unniitz  laut  und  lebendig  ge- 
fiihrte,  nicht  immer  sehr  inhaltsreiche  Gesprach,  die  Neigung  zum 
Singen  und  die  Schlaflosigkeit. 

»Wenn  die  Ermiidung  sehr  groB  ist«,  sagt  Mosso^),  »sei  es,  dass 
eine  geistige  Arbeit  oder  eine  Muskelanstrengung  sie  herbeifuhrt,  voll- 
zieht  sich  eine  Aenderung  in  unserer  Stimmung :  wir  werden  reizbarer, 
und  es  scheint  fast,  als  babe  die  Ermiidung  das,  was  an  edlen  Ge- 
fiihlen  in  uns  war,  jene  Fahigkeit  des  Gehimes,  durch  welche  sich 

1)  A.  M0880,  DieErmtlduDg.  Uebersetzt  von  J.  Glinzer.  Leipzig  1892.  S.218. 


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60  Gusta?  Aschaffenburg. 

der  civilisirte  Mensch  vom  Naturmenschen  unterscheidet,  aufgezehrt. 
Wir  vermogen  uns  nicht  mehr  zu  beherrschen,  und  die  Leiden- 
schaften  brechen  so  heftig  hervor,  dass  wir  sie  nicht  mehr  mit  unserer 
Vemunft  zligeln  und  ihnen  entgegenarbeiten  konnen.  Die  Erziehung, 
welche  die  iinwillkUrlichen  Bewegungen  im  Zaume  hielt,  verliert  ihre 
Macht  und  es  ist,  als  6b  wir  um  einige  Stufen  in  der  gesellschaft- 
Uchen  Hierarchie  hinunterstiegen.* 

Der  Grundgedanke,  der  dieser  etwas  pathetischen  Schilderung  zu 
Grunde  liegt,  ist  der,  dass  eine  Erleichterung  der  motorischen  Reactio- 
nen  zu  unuberlegten  Handlungen  fUhrei\  kann,  wie  es  fiir  den  Alkohol 
in  pragnantester  Weise  von  Kraepelin  auseinandergesetzt  wurde>). 

Mo 8 so')  erwihnt  Ubrigens  auch,  dass  Tauben  nach  Zurticklegen 
einer  Strecke  von  296  km  » nicht  ermUdet  schienen.  Sie  setzten  sich 
auf  das  Penster,  spielten  und  girrten,  als  oh  sie  locken  wollten ;  nach 
einigen  Minuten  entschlossen  sie  sich,  in  ihr  Haus  zu  fliegenc.  Aug 
dem  spateren  Verhalten  geht  aber  hervor,  dass  sie  hochgradig  er- 
schopft  waren. 

Wichtiger  als  alle  diese  Thatsachen  und  Selbstbeobachtungen, 
die  wohl  jeder  aus  eigener  Erfahrung  noch  erganzen  kann,  ist  das 
Experiment.  Es  kann  natiirlich  nicht  meine  Aufgabe  sein,  an  dieser 
Stelle  alle  die  Versuche  eingehender  zu  besprechen,  die  ich  iiber  die 
Erschopfungswirkung^)  angestellt  habe,  und  von  denen  diejenigen 
iiber  die  Veranderungen  des  Associationsvorganges  nur  einen  kleinen 
Theil  darstellen ;  ich  beschranke  mich  darauf ,  im  Polgenden  in  Kurze 
dasjenige  anzufUhren,  was  zur  Aufklarung  der  in  Prage  stehenden 
Anschauung^  dienen  kann. 

In  erster  Linie  kommen  dabei  dieWahlreactionenin  Betracht, 
bei  denen  aus  dem  Auftreten  von  vorzeitigen  und  fehlerhaften  Reac- 
tionen  auf  eine  gesteigerte  motorische  Erregbarkeit  geschlossen  werden 
kann.  Im  Verlaufe  der  Versuchsnachte  wurden  in  Abstanden  von  drei 
zji  drei  Stunden  je  200  Wahlreactionen  gemacht;  die  drei  Reihen, 
aus  drei  verschiedenen  Nach  ten  stammend,  bei  denen  ich  selbst  als 
Versuchsperson  diente,  sind  in  der  folgenden  Tabelle  dargestellt. 


1}  Kraepelin  a.  a.  O.  S.  193.  2)  a.  a.  O.  S.  17. 

3)  Ueber  die  psychiBchen  Erscheinungen  der  £rsch6pfung.  Yortrag  auf  der 
XVin.  Wander?ersaminlung  der  stldwestdeuUchen  Neurologen  und  Irren&rzte. 
Referat:  Archiv  far  Pgychiatrie  Bd.  XXV.  S.  594. 


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Experimentelle  Studien  fiber  Associationen.  II. 

Tabelle  XXXI. 

Nachtversuche. 

Stellungsmittel  aus  je  200  Wahlreactionen  und  Fehlerzahl  in  Procenten. 


61 


'!  ■  ' 

B«ih6        1.  Yersacli 

StM. 

FeUer 

2.  Yennoli 

81 M. 

Fehler 

3.VerBiieh 

St.M. 

FeWer 

I 

20/21.  Vlll. 
1892. 

330 

4 

8/9.  X. 
1892. 

360 

4 

19/20.  XI. 
1892. 

311 
178 
178 
337 

12,5 
42,5 

u 

317 

22,5 

293 

23,5 

m 

192 

36,0 

243 

33,5 

40,0 

IV 

339 

20,5 

380 

11,0 

24,0 

Das  Gemeinsame  der  drei  V^rsuche  ist  die  schnell  zunehmende 
Verkiirzung  der  durchschnittlichen  Reactionsdauer  unter  gleichzeitigem 
starken  Wachsen  der  Fehlerzahl;  znm  Schlusse  verlangert  sich  die 
Beactionsdauer  wieder,  ohne  dass  aber  die  Neigung  zu  Fehlem  in 
gleicher  TVeise  abnahme.  Bei  der  Betrachtung  der  beiden  mittleren 
Beihen  des  letzten  Versuches  wird  die  Deutung  der  Verkiirzung  ohne 
Schwierigkeit  verstandlich.  Wenn  in  beinahe  der  Halfte  aller  Reac- 
tionen  falsch  reagirt  wurde,  so  beweist  das,  dass  wir  keinen  regel- 
rechten  Wahlvorgang  voUzogen  haben,  dass  vielmehr  nur  der  Zufall 
liber  die  Richtigkeit  der  Reaction  entscheidet.  Im  Verein  mit  der 
gleichzeitig  bemerkbaren  Verkurzung  der  Reactionsdauer  miissen  wir 
annehmen,  dass  an  die  Stelle  der  Wahlreaction  die  einfache  Reaction 
getreten  ist;  die  motorische  Erregbarkeit  ist  so  groB,  dass  das  Horen 
des  Buchstabens  E  resp.  0  geniigt,  um  sofort  eine  Bewegung  auszu- 
losen,  noch  ehe  der  Wahlvorgang  beginnen  kann.  Wahrend  bei  mir 
das  Ergebniss  aller  drei  Versuche  durchaus  einheitlich  im  Sinne  einer 
erleichterten  Auslosung  der  Bewegungsantriebe  zu  deuten  war,  trat 
bei  andem  Versuchspersonen  diese  Erscheinung  entweder  gar  nicht 
oder  weniger  deutlich  hervor.  Ich  erinnere  hier  an  die  von  Bett- 
manni)  besprochenen  Versuche.  Um  so  bemerkenswerther  ist  des- 
halb  die  Feststellung,  dass  bei  Personen,  die  wahrend  der  Nachtver- 


1)  S.  Bettmann,  Ueber  die  Beeinflussung  einfacher  psychischer  Yorgange 
durch  kdrperliche  und  geistige  Arbeit.    Diese  Arbeiten.  Bd.  I,  S.  200. 


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62  Gu8t&?  AschaSenburg. 

suche  keine  Verkiirzung  der  Reactionszeiten  und  Vermelining  der 
Fehlerzahl  zeigten,  diese  Erscheinung  durch  korperliche  Ermiidung 
von  kurzerer  Dauer  sofort  auszidosen  war,  wie  Bettmann^)  in  seiner 
Arbeit,  Lowald^)  bei  Gelegenheit  seiner  Bromversuche  auseinander- 
gesetzt  hat,  und  wie  uns  inzwischen  weitere,  noch  nicht  veroffentlichte 
Versuche  durchaus  bestatigt  haben. 

Zu  den  Personen,  deren  Wahh-eactionen  keine  Verkiirzung  auf- 
wiesen,  gehort  auch  B,  von  dem  wir  zwei  Associationsversuche  be- 
sprochen  haben.  An  B  wurden  in  der  Nacht  vom  28./29.  m.  1893 
unter  anderm.  viermal  200  einfache  Eeactionen  gemacht  Als  Signal 
diente  das  beim  Niederdriicken  eines  Morsetasters,  wodurch  gleich- 
zeitig  die  Zeiger  des  Chronoskops  in  Bewegung  gesetzt  wurden,  ent- 
stehende  Gerausch ;  die  Reactionsbewegung,  das  Aufheben  des  Fingers, 
der  einen  2.  Morsetaster  geschlossen  hielt,  unterbrach  den  Strom. 
Bei  den  einfachen  Eeactionen  sind  leider  Fehlreactionen  nicht  fest- 
zustellen;  wir  konnen  aber  voraussetzen,  dass  vorzeitig  reagirt  wurde, 
wenn  die  Reactionsdauer  so  kurz  ist,  dass  sie  sich  mit  der  regel- 
rechten  AusfUhrung  des  gewiinschten  Vorganges  nicht  mehr  vertragt 
Als  untere  Grenze  der  einfachen  Reactionen,  die  hochstens  noch  als 
richtig  vollzogen  betrachtet  werden  durfen,  habe  ich  100  a  angenommen. 
Diese  Zahl  ist  kleiner  als  sammtliche  von  Wundf^)  erwahnten  und 
den  verschiedensten  Autoren  entnommenen  Reactionszeiten  auf  Schall- 
reize,  die,  wie  auch  meine  eigenen  Erfahrungen  mir  bestatigt  haben, 
durch weg  zwischen  120 — 200  und  mehr  a  zu  liegen  pflegen.  Mt 
roller  Bestimmtheit  konnen  wir  endlich  die  Falle  als  vorzeitige  Reac- 
tionen  bezeichnen,  bei  denen  die  Auslosung  der  Reactionsbewegung 
eher  erfolgt,  als  das  auslosende  Gerausch  ertont.  Der  Vorgang  ist 
wohl  so  zu  erklaren:  Schon  der  hochgradig  gesteigerte  Erwartungs- 
affect,  der  den  Moment  der  Reizgebung  vorwegnimmt,  fuhrt  bei  er- 
leichterter  Auslosbarkeit  der  Bewegung  zur  Reaction;  so  ^ird  ein 
negativer  Werth  gewonnen,  der  durch  besondere  Versuchsanordnung 
messbar,  in  unsern  Experimenten  einfach  als  0  registrirt  wurde. 


1)  a.  a.  O.  Seite  195. 

2  A.  Low  aid,  Ueber  die  psychischen  Wirkungen  des  Bromsv  Dieee  Ar- 
beiten.   Bd.  I,  S.  542. 

3j  W.  Wundt,  QrundzOge  der  physiologischen  Psychologie.  4.  Auflage. 
Leipzig  1893.  Bd.  II,  S.  311,  313,  346,  351,  353.. 


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Experimentelle  Stodieo  uber  Associationen.  II. 
Tabelle  XXXH. 


63 


Stellungsmittel  aus  je  200  einfachen  Reactionen;  Zahl  derer  unter 
100  (7  und  der  vorzeitigen  Reactionen. 


Reihe 

St.  M. 

Reactionen 
unter  100  a 

Vorzeitige 
Reactionen 

I 

222 

— 

1 

II 

262 

1 

1 

III 

306 

1 

IV. 

304 

13 

32 

Aus  der  Tab.  XXXTT  geht  hervor,  dass  in  den  drei  ersten  Ver- 
suchsabschnitten  weder  vorzeitige  noch  auffallig  knrze  Reactionen  in 
nennenswerther  Zahl  vorkommen,  wahrend  sich  die  bei  B  uberhaupt 
ziemlich  groBe  Reactionsdauer  unter  dem  Einflusse  der  Erschopfung 
nicht  unerhebKch  verlangert.  In  der  letzten  Reihe  treten  plotzlich 
eine  Eeihe  Reactionen  unter  100  o  auf  und  vor  allem  32,  bei  denen 
uberhaupt  keine  Zeiten  mehr  gemessen  werden  konnten.  Dass  sie  die 
durchschnittliche  Dauer  nicht  verkiirzten,  liegt  an  der  Compensation 
durch  zahlreiche  sehr  lange  Zeiten ;  wahrend  in  der  ersten  Reihe  nur 
eine  Reaction  langer  als  400  o  dauerte,  waren  es  in  den  folgenden  5, 
20  und  zuletzt  sogar  56.  Von  Interesse  ist  fur  uns  hier  nur  der 
Nachweis,  dass  auf  der  Hohe  der  Erschopfung  eine  unverkennbare 
Neigung  zu  vorschnellen  Reactionen  auftrat,  die  wir  nach  dem  Vor- 
hergesagten  als  Beweis  einer  erhohten  motorischen  Erregbarkeit  an- 
sehen  diirfen.  Es  ist  wohl  kein  Zufall,  dass  gerade  bei  B  sich  die 
Erleichterung  der  Bewegungsauslosung  erst  in  der  letzten  Reihe  zeigt; 
wenn  wir  seine  beiden  Associationsversuche  damit  vergleichen,  so 
sehen  wir,  dass  beide  Mai,  besonders  deutlich  aber  bei  dem  ersten, 
die  Klangassociationen  ebenfalls  erst  zum  Schlusse  entscheidend  zu- 
nehmen.  In  dieser  Beziehung  erganzen  sich  die  Ergebnisse  der  beiden 
verschiedenen  Versuchsmethoden  aufs  beste. 

Aus  dem  verschiedenen  Ausfalle  der  Experimente  mit  Wahl- 
reactionen  bei  B  und  mir  geht  hervor,  dass  nicht  fur  jedes  Indivi- 
duum  die  Wahlreaction  ein  gleich  empfindliches  Reagens  zum  Nach- 
weis der  erleichterten  Auslosung  von  Bewegungsantrieben  ist;  denn 


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64  Gustar  AschaSeoburg. 

der  Versuch  mit  einfachen  Reactionen  zeigt,  dass  auch  bei  B  diese 
Erleichtenmg  Torhanden  ist.  Bei  einigen  anderen  Versuchspersonen 
trat  diese  Erscheinung  nur  dann  auf,  wenn  eine  ausschlieBlich  korper- 
liche  Anstrengung  dem  Experimente  voranging.  Trotz  dieser  indivi- 
duellen,  sehr  groBen  Verschiedenheit  kann  aber  wohl  die  Thatsache 
als  feststehend  betrachtet  werden,  dass  unter  dem  Einflusse  der  Er- 
schopfimg  sich  eine  Steigerung  der  motorischen  Erregbarkeit  ent- 
wickelt. 

Mit  dem  experimentellen  Nachweise  dieser  Erscheinung  wird  uns 
nunmehr  auch  ein  besseres  Verstandniss  der  Associationsveranderungen 
ermoglicht.  Aus  der  besonderen  Art  der  wahrend  der  Nachtversuche 
zahkeicher  werdenden  wesentlich  motorischen  Associationen  schlossen 
wir  auf  eine  Dispositionsveranderung  im  Sinne  der  erleichterten  Aus- 
losung  der  Bewegungsvorgange.  Diese  Auffassung  haben  wir  nun 
nicht  nur  durch  die  Gleichartigkeit  der  Veranderung  bei  Alkohol- 
vergiftung  und  die  einfache  Beobachtung  des  Erschopfungszustandes, 
sondem  vor  allem  durch  den  Versuch  als  richtig  bestatigen  konnen. 
Zur  Erganzung  will  ich  endlich  noch  erwahnen,  dass  bei  den  an 
circularem  Irrsinn  leidenden  £j*anken  dem  lebhaften  Bewegungsdrange 
wahrend  der  manischen  Phase  die  Neigung  zum  Associiren  nach 
Klangahnlichkeit  parallel  geht^). 

Wie  das  Verhaltniss  der  Associationsveranderung  zu  der  ge- 
steigerten  motorischen  Erregbarkeit  zu  denken  ist^  kann  wohl  nicht 
zweifelhaft  sein.  Es  sind  nicht  zwei  Vorgange,  die  gleichzeitig,  aber 
unabhangig  von  einander  durch  die  Erschopfung  herrorgeruf en  werden ; 
das  Auftreten  der  Reime  und  klangahnlichen  Worte,  so- 
wie  der  ubrigen,  wesentlich  sprachlichen  Associationen 
an  Stelle  der  begrifflichen  Vorstellungsverbindungen  ist  vielmehr  nur 
eine  Theilerscheinung  der  allgemeinen  Erleichterung  der 
motorischen  Reactionen. 

Wenn  diese  Anschauung  richtig  ist,  so  muss  der  Nachweis  ge- 
fiihrt  werden  konnen,  dass  diejenigen  Veranderungen  der  einfachen 
psychischen   Vorgange,    die    keine    erleichterte   Auslosung   der   Be- 


ll Aschaffenburg,  Psychophysische  Demonstrationen.  Vortrag,  gehalten 
auf  der  Jahresaitzung  des  Vereins  der  deutschen  Irren&rzte  in  Heidelberg.  1896. 
Referat:  Allgemeine  ZeitschrifC  fOr  Psychiatrie.  fid.  53,  S.  852. 


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Experimentelle  Studieo  fiber  Associationen.  11.  65 

wegungsimpulse  erkennen  lassen  oder  dieselben  gar  erschweren,  auch 
keine  Neigung  zu  Klangassociationen  zeigen. 

Bei  seinen  Versuchen  iiber  die  TVirkung  des  Thees*)  kam 
Kraepelin  zu  dem  Schlusse,  dass  der  Thee  >die  Umsetzung  cen- 
traler  Erregungszustande  in  Handlungen  erschwere<;  er  hat  dies 
spater  noch  bestatigen  konnen'^)  mit  der  Erweiterung,  dass  diese 
Wirkung  wahrscheinKch  auf  die  Theeole  zuruckzufuhren  sei.  Seine 
Associations versuche  ergeben  wegen  der  angewendeten  >Wieder- 
holungsmethode*  kein  sehr  ergiebiges  Resultat,  doch  konnte  wenig- 
stens  mit  Sicherheit  festgestellt  werden,  dass  die  Klangassociationen 
in  den  Theeversuchen  nicht  haufiger  auftraten  als  in  den  dazuge- 
horigen  Normalversuchen,  ja  die  sprachlichen  Reminiscenzen  wurden 
sogar  seltener  neugebildet.  Damit  stimmt  auch  die  Beobachtung  des 
taglichen  Lebens  iiberein,  bei  dem  wohl  niemand  eine  auffaUende 
Neigung  zu  rein  sprachlichen  Associationen  unter  der  Einwirkung  des 
Thees  bemerkt  haben  wird. 

Leider  sind  bei  den  meisten  iibrigen  Giften,  deren  psychische 
Wirkung  wir  genauer  kennen,  die  Versuche  nicht  auf  die  freie  Asso- 
dationsbildung  ausgedehnt  worden.  Hier  miisste  vor  allem  das 
Morphium  werthvolle  Aufklarungen  geben;  nach  dem  bisher  Be- 
sprochenen  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  dass  zahkeichere  Klang- 
associationen auftreten,  was  ubrigens  auch  nach  den  Beobachtungen 
an  Morphinisten  nicht  zu  erwarten  ist,  wahrend  die  Aehnlichkeit  der 
psychischen  Wirkung  des  Cocains  mit  dem  Alkohol  eine  Vermehrung 
der  Klangassociationen  vermuthen  lassi 

In  letzter  Zeit  hat  HaneP)  feststellen  konnen,  dass  durch 
Trional  die  motorischen  Vorgange  erschwert  werden.  Trotz  der 
deutlichen  Mtidigkeit  nahmen  die  durch  Klangahnlichkeit  hervor- 
gerufenen  Beactionen  nicht  zu. 

Soweit  also  diese  allerdings  nicht  sehr  umf angreichen  Erfahrungen 
einen  Schluss  zulassen,    finden  wir  uberall  da,  wo  eine  motorische 


1    Kraepelin,  Beeinfliusung  u.  s.  w.,  S.  222. 

2)  August  Hoch  und  Kraepelin,  Ueber  die  Wirkung  der  Theebestand- 
theile  auf  kOrperliche  und  geistige  Arbeit.    Diese  Arbeiten  I,  S.  4S2. 

3]  Die  genauere  Darstellung  seiner  Versuchsergebnisse   wird   im  n&chsten 
Hefte  dieser  Arbeiten  erscheinen. 

Krftepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  5 


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66  Gusta?  Aschaffenbarg. 

Erregbarkeit  iiicht  auftritt,  auch  das  Fehlen  der  Neigung  zu  KHang- 
associationen. 

Nur  eine  Versuchsreihe  scheint  dem  zu  widersprechen.  Bei 
seinen  Versuchen  iiber  den  Schlaf  fand  Roemer*)  eine  Abnahme 
der  inneren  und  eine  bedeutende  Zunahme  (bis  2b  ^)  der  Klang- 
iind  indirecten  Associationen,  wenn  er  seinen  Schlaf  morgens  ver- 
kiirzte.  Er  befand  sich  dann  in  einem  Zustande  der  Ermiidang; 
der  in  seiner  Wirkimg  auf  die  Associationsbildung  den  Nachtver- 
suchen  nahe  stand.  Nach  unseren  Anschauungen  miissten  wir  er- 
warten,  dass  auch  die  Bewegungsvorgange  erleichtert  waren.  Nun 
waren  aber  die  Wahkeactionszeiten  sogar  recht  erheblich  verlangsamt. 
Trotzdem  ist  der  Widerspruch  den  Ergebnissen  meiner  Versuche  gegen- 
iiber  nur  ein  scheinbarer.  Wenn  wir  eine  Verkiirzung  der  Wahl- 
reactionsdauer  unter  gleichzeitiger  Vermehrung  der  Fehlerzahl  nach- 
weisen  konnen,  so  sind  wir  wohl  berechtigt,  das  als  ein  Zeichen  der 
erhohten  motorischen  Erregbarkeit  anzusehen;  wir  konnen  aber  nicht 
umgekehrt,  wie  nach  meinen  Auseinandersetzungen  auf  S.  63  verstand- 
lich  sein  wird,  aus  einer  Verlangenmg  der  Wahlzeiten  auf  das  Nicht- 
vorhandensein  der  Erregbarkeitssteigerung  schlieBen.  Gerade  Roemer 
gehort  zu  den  Personen,  deren  Wahlreactionen  wahrend  der  Nacht- 
versuche  nicht  verkurzt  wurden,  bei  denen  aber  einfache  Reactionen 
das  Bestehen  der  Erleichterung  von  Bewegungsimpulsen  zeigten. 
Leider  sind  nach  dieser  Richtung  hin  seine  Versuche  nicht  fortgesetzt 
worden,  sodass  wir  es  einstweilen  als  durchaus  unentschieden  betrachten 
miissen,  ob  eine  gesteigerte  motorische  Erregbarkeit  bei  den  Experi- 
menten  iiber  die  Schlafverkiirzung  vorhanden  war  oder  nicht. 

Durch  die  Trionalversuche  Hanels  wird  ein  sehr  naheliegender 
Einwand  gegen  unsere  Auffassung  von  dem  Zusammenhang  zwischen 
den  Klangassociationen  und  dem  Grade  der  motorischen  Erregbarkeit 
widerlegt.  Unter  meinen  Normalversuchen  habe  ich  eine  Beobachtung^) 
eingehender  besprochen,  in  der  44  fd  Reime  und  klangahnliche  Worte 
gebildet  worden  waren.    Der  Grund  fur  diese  auffaUige  Abweichung 


1)  £.  Roemer,  Ueber  einige  Beziehungen  zwischen  Schlaf  und  geistigen 
Th&tigkeiten.  Bericht  tiher  den  internationalen  Congress  fOr  Psychologic.  MQn- 
chen  1896.  S.  354. 

2;  Tal^eUe  XI*. 


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Experimentelle  StodieD  fiber  Assodatiooeo.  II.  67 

von  den  ubrigen  Normalversuchen  lag  in  der  dem  Experimentirenden  re- 
lativ  fremden  Sprache.  Selbstverstandlich  konnten  alle  die  Eeactionen 
nicht  verwerthet  werden,  deren  Beizworte  der  Experimentirende  nicht 
aufgefasst  hatte.  Aber  auch  nach  Ausscheidung  dieser  blieben  noch 
44^  Antworten  iibrig,  bei  denen  derKlang  des  Reizwortes  fur  den 
der  deutschen  Sprache  nicht  so  gewohnten-Auslander  (Hollander)  starker 
wirkte  als  der  InhaJt.  Ich  erinnere  neben  dem  friiher  Erwahnten*)  an 
die  eigene  Erfahrung,  die  jeder  beim  Horen  fremder,  nicht  vertrauter 
Sprachen  machen  kann :  mn  wie  viel  leichter  sich  unsere  Vorstellungen 
an  den  Klang  als  an  den  Sinn  des  Gehorten  anschlieBen,  zumal  wenn 
wir  nur  einzelne  Worte  horen,  und  daher  nicht  schon  durch  den 
Zusammenhang  des  Gespraches  unsem  Gedanken  eine  bestinunte 
Eichtung  gegeben  ist. 

Es  ist  nun  ganz  gut  moglich,  dass  eine  Erschwerung  der  Auf- 
f assung  in  ahnlicher  Weise  wirken  konnte  wie  die  mangelhafte  Kennt- 
niss  einer  Sprache.  Dass  die  Erschopfung  eine  Erschwerung  der 
Auff assung  hervorruft,  kann  nicht  bezweifelt  werden;  ich  habe  dies 
in  meinen  ersten  Nachtversuchen  fiir  den  Tastsinn  nachweisen  konnen, 
indem  ich  mit  sehr  kleinen  Gewichten  je  150mal  hintereinander  die- 
selbe  Hautstelle  beriihrte.  In  spateren  Versuchen  habe  ich  diese  nicht 
sehr  ergiebige  Methode  durch  eine  optische  ersetzt,  deren  eingehende 
Schilderung  in  der  Arbeit  von  Kraepelin  und  Cron  im  nachsten 
Hefte  erfolgen  wird^).  In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Ergebnisse 
eines  derartigen,  in  der  Nacht  vom  8./9.  IL  1896  gemachten  Ver- 
suches  mit  ein-  und  zweisilbigen  Worten  dargestellt. 


Ij  Bd.  I,  S.  263. 

2)  Eine  kurze  Darstellung  enth&lt  der  Vortrag  Kraepelins:  Ueber  die 
Messung  von  AuffassungsstOrungen,  gehalten  auf  der  XXII.  Wanderrersammlung 
der  Bddwestdeutschen  Neurologen  und  Irren&rzte  zu  Baden-Baden  am  23.  Y.  1897. 
Referat:  Archiv  far  Psychiatrie  Bd.  XXIX. 


5* 


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68 


Gostay  Aschaffenburg. 

Tabelle  XXXTTT. 
Anzahl  der  falsch  und  nicht  aufgefassten  Worte  in  %, 


8/9.  n.  96. 

Zweisilbige  Worte 

Einsilbige  Worte 

Reihe 

Falsch 
gelesen 

Nicht  auf- 
gefasst 

Falsch 
gelesen 

Nicht  auf- 
gefasst 

I 

10.1 

1.4 

7.2 

— 

II 

13.1 

2.5 

8.1 

— 

III 

12.3 

1.1 

11.6 

0.4 

IV 

13.1 

17.0 

16.7 

11.2 

Mitn  sieht  sofort,  dass  im  Laufe  der  Nacht  die  Zahl  der  falsch 
gelesenen  zweisilbigen  Worte  zunimmt,  aber  nicht  weiter  wachst  und 
im  Verhaltniss  zu  der  Anf angsleistung  tiberhaupt  nicht  sehr  erheblich 
verandert  wird.  Dagegen  steigt  die  Menge  der  nicht  aufgefassten 
Worte  in  der  letzten  Reihe  ganz  auBerordentlich ;  das  Gleiche  findet 
sich  bei  den  einsilbigen  Worten,  nur  dass  hier  auch  die  fabch  auf- 
gefassten Silben  gleichmaBig  und  stark  zunehmen.  Unter  Beiseite- 
lassung  mancher  in  diesem  Versuche  enthaltenen  interessanten  Einzel- 
heiten  wollen  wir  ihm  als  einziges  Ergebniss  die  Erschwerung  und 
Verschlechterung  der  Auffassung  entnehmen. 

Die  gleiche  Methode  zeigte  uns  bei  inzwischen  angestellten  Ver- 
suchen,  dass  auch  der  Alkohol  eine  erhebliche  Auffassungsstorung 
bewirkt,  was  Kraepelin  bereits  auf  Grund  anderer  Methoden  er- 
schlossen  hatte. 

Die  Grundlage  des  oben  erwahnten  Einwandes  ist  also  fur 
beide  Schadigungen ,  die  Erschopfung  sowohl  wie  den  Alkohol,  hin- 
reichend  gegeben.  Nun  haben  aber  gerade  die  Versuche  mit  Trional 
gezeigt,  dass  dessen  Hauptwirkung  auf  der  Abstumpfung  der  Auf- 
fassungsfahigkeit  beruht.  Wir  miissten  also,  wenn  unser  Einwand 
berechtigt  ware,  auch  bei  Trional  eine  Zunahme  der  Klangassociationen 
finden;  das  aber  ist  thatsachlich  nicht  der  Fall. 

Die  Erschwerung  des  Erfassens  auBerer  Eindriicke  kann  dem- 
nach  wohl  in  Beziehung  zu  der  Vermehrung  der  Reactionen  nach 


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Experimentelle  Studieo  Qber  Associationen.  II.  69 

dem  Ellange   stehen,   geniigt   aber  allein  keinesfalls  zur  Erklarung 
dieser  Erscheinung. 

Unsere  Betrachtungen  fiihren  uns,  wie  wir  gesehen  haben,  alle 
zu  dem  Schlusse :  Als  das  wesentlichste  Moment  fur  das  Zu- 
standekommen  einer  die  Norm  uberschreitenden  Zahl  von 
Elangassociationen  muss  die  Erleichterung  der  Auslosung 
motorischer  Antriebe  betrachtet  werden. 

VII.  Ermfidnng  and  ErschSpfnng. 

Die  kiinstliche  Erschopfung  der  Nachtversuche  stellt  keine  ein- 
heitliche  Schadigung  dar,  sondem  muss  auf  eine  Reihe  von  Ursachen 
zuriickgefuhrt  werden.  Es  lohnt  sich  immerhin,  den  Versuch  zu 
machen,  ob  sich  der  Antheil  der  einzelnen  schadlichen  Factoren  fest- 
stellen  lasst.  Dabei  stoBen  wir  sofort  auf  eine  Reihe  von  Schwierig- 
keiten.  Die  erste  ist  die,  dass  wir  die  psychische  Wirkung  einzelner 
nur  unvollstandig  kennen  —  die  der  korperlichen  und  geistigen  Er- 
miidung  — ,  anderer  gar  nicht,  die  der  mangelnden  Nahrungsauf- 
nahme.  Die  zweite  ist  das  Bedenken,  welche  Schadigung  die  ein- 
fache  Schlaflosigkeit  bewirkt,  ob  mehr  eine  korperliche  oder  geistige. 

Bei  der  Betrachtung  scheide  ich  die  mangelnde  Nahrungsauf- 
nahme  von  vomherein  aus.  Bei  dem  vollstandigen  Mangel  an  Kennt- 
nissen  iiber  die  Veranderung  der  einfachsten  psychischen  Vorgange 
durch  den  Hunger  wurde  ich  auf  werthlose  Vermuthungen  angewiesen 
sein,  die  ich  bei  einer  ausschlieBlich  experimentellen  Arbeit  vermeiden 
mochte.  Nur  eine  Thatsache  sei  erwahnt,  die,  auf  anderm  Gebiete 
Kegend,  aber  experimentell  untersucht,  dafiir  zu  sprechen  scheint, 
dass  die  Wirkung  einer  nur  kurzen  Nahrungsentziehung  gering  ist, 
was  auch  durch  die  Versuche  der  Hiingerkunstler  bestatigt  wird. 
Marie  de  Manac^ine  *)  hatte  jungen  Hunden  von  2,  3  und  4  Monaten 
den  Schlaf  vollig  entzogen.  Nach  volliger  Verhinderung  des  Ein- 
schlafens  wahrend  einer  Zeit  von  96 — 120  Stunden  waren  die  Thiere 
nicht  mehr  zu  retten.  Die  Section  ergab,  dass  von  alien  Organen 
das  Gehim  am  tiefsten  und  eingreifendsten  verandert  war.  Im  G^gen- 
satze  zu  diesen  durch  Schlaflosigkeit  getoteten  Thieren  zeigt  bekanntlich 

1]  Marie  de  Manac6ine,  Quelques  observations  exp6rimentales  sur  Tin- 
flaence  de  rinBomnie  absolue.  Yortrag,  gehalten  auf  dem  interoationalen  medici* 
nisehen  Congress  in  Rom  1894.    Archives  italiennes  de  biologie  1894,  S.  322. 


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70  Gustay  Aschaffenbarg. 

das  Gehim  bei  verhungerten  die  geringste  Abnahme^).  Der  Unterschied 
war  schon  bei  der  einfachen  Betrachtung  nach  den  Aussagen  der 
Verfasserin  sehr  deutlich.  Wenn  im  Verhaltniss  zu  der  schweren 
Schadigung  des  Centralnervensystems  durch  kurze  Schlaflosigkeit  ein 
lange  dauemdes  Hungem  so  wenig  auf  das  Grehim  wirkt,  sind  wir 
wohl  berechtigt,  einstweilen  die  Mitwirkung  der  nur  kurze  Zeit  dauem- 
den  Nahrungsenthaltung  zu  vemachlassigen. 

Dagegen  wird  durch  die  Befunde  Man  a  chines  unsere  Auf- 
merksamkeit  um  so  mehr  auf  den  fehlenden  Schlaf  hingelenkt.  Der 
Schlaf  ist  zweifellos  das  wichtigste  Mittel  der  Erholung;  durch  ihn 
wird  der  Korper  und  der  Greist  ausgeruht.  Versuche  liber  die 
Wirkung  einer  schlaflosen  Nacht,  in  der  korperliche  und  geistige 
Anstrengungen  nach  Moglichkeit  vermieden  werden,  wiirden  uns 
die  Wirkung  der  Schlaf entziehung  an  sich  zeigen  konnen;  auch  die 
Pehlerquelle  einer  moglichen  Beeinflussung  durch  den  Hunger  konnte 
durch  Nahrungsaufnahme  vermieden  werden.  Leider  habe  ich  der- 
artige  Experimente  nicht  gemacht.  Wir  sind  deshalb  einstweilen  nur 
auf  die  Ergebnisse  der  Schlafverkiirzung  angewiesen,  die  Roe  me r 
beschrieben  hat^).  Er  fand,  dass  nur  die  Personen,  deren  groBte 
Schlaftiefe  auf  die  Morgenstunden  fallt,  durch  die  Abkiirzung  der 
Schlafzeit  geschadigt  wurden.  Wie  ich  schon  erwahnt  habe^  zeigten 
die  Associationen  dann  die  gleiche  Veranderung  wie  bei  meinen  Nacht- 
versuchen.  Wir  konnen  also  die  Wirkung  der  Erschopfung  und  des 
ungeniigenden  Schlafes,  d.  h.  des  unzulanglichen  Ausruhens  zusammen 
behandeln  und  deshalb  die  Fragestellung  so  formuliren:  Sind  die  als 
Wirkung  der  Erschopfungsversuche  nachgewiesenen  Veranderungen 
auf  die  korperliche  oder  die  geistige  Ermudung  zuruckzufiihren  oder 
auf  beide  zusammen? 

Bevor  ich  auf  die  Versuche  Bettmanns  und  meine  eigenen 
weiter  eingehen  kann,  muss  ich  einem  Irrthum  entgegentreten,  in  den 
Henri 3)  in  Folge    der  Roemerschen  Arbeit*)  verf alien  ist.    Aus 


1;  Luciani,  Das  Hungern.    Uebersetzt  von  Frftnkel.   1890,  8.  79. 

2)  Roemer)  Ueber  einige  Beziehungen  zwischen  Schlaf  und  geistigen  Th&- 
tigkeiten.    Bericht  Aber  den  Psychologencongress,  S.  354. 

3)  y.  Henri,  Referat  aber  die  folgende  Arbeit.  L'ann^e  psychologique.  1896. 
Ill,  8.  655. 

4)  E.  Roemer,  Beitrag  zur  Bestimmung  zusammengesetzter  Reactionszeiten. 
Diese  Arbeiten,  8.  566. 


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Experimentelle  Stadien  fiber  Associationen.  11.  71 

dem  Nachweise,  dass  die  Verschiedenheit  der  Reactionszeiten  beim 
Wechsel  der  registrirenden  Personen  auf  deren  personlichen  Pehler 
zuriickzufuhren  ist,  schlieBt  Henri,  »das8  alle  Expenmente,  die  von 
Kraepelin  irnd  seinen  Schiilem  Uber  die  Veranderungen  der  Reac- 
tionszeiten unter  dem  Einflusse  verschiedener  Bedingungen  gemacht 
worden  sind,  mit  andem  Apparaten  wiederholt  werden  mussen*.  An 
andrer  Stelle*)  lehnt  er  sogar  kurzweg  die  Citirung  der  Bettmann- 
schen  Funde  wegen  der  Fehlerhaftigkeit  der  Apparate  ab.  Ich  bin 
ganz  gewiss  der  Letzte,  der  eine  Wiederholung  der  Versuche,  besonders 
mit  weit  vollkommnerer  Methode,  fiir  uberfliissig  halten  wiirde;  aber 
einstweilen  scheint  mir  doch  deren  Werth  noch  nicht  sehr  erschiittert 
zu  sein.  Zum  Beweise,  wie  genau  nnser  Apparatencomplex  arbeitet, 
will  ich  einen  Versuch  vom  13.  X.  1892  anfiihren.  Um  zu  sehen, 
welche  Veranderung  die  Dauer  der  Wahlreactionen  bei  langerer  Fort- 
setzung  des  Versuches  erfahrt,  habe  ich  bei  durchaus  normaler  Dis- 
position ohne  Pause  1000  Wahlreactionen  gemacht.  Die  Registrining 
des  mehr  als  2  Stunden,  von  3^27 — 5^40,  dauemden  Versuches  hatte 
Bettmann  ubemommen.  Die  Stellungsmitt^l  fiir  je  200  Einzelreac- 
tionen  waren: 

324,  328,  336,  355,  349  o. 

Es  blieben  demnach  die  Zeiten  wahrend  der  ersten  Ys  des  Versu- 
ches, also  langer  als  eine  Stunde,  vollstandig  unverandert.  Ich  glaube, 
eine  Methode,  die  bei  der  Zusammenfassung  groBerer  Reactionsmengen 
zu  einem  Mittel  keine  groBeren  Abweichungen  als  wenige  o  erkennen 
lasst,  entspricht  alien  billigen  Anforderungen  an  Genauigkeit.  Ich 
mochte  femer  darauf  hinweisen,  dass  meine  Normalzahlen  fiir  200  Wahl- 
reactionen am  201  Vm.  1892  —  330,  am  8.  X.  —  325,  am  13.  X. 
—  324  und  am  13.  XTT.  —  322  o  betrugen.  Nach  solchen  Beweisen 
von  Zuverlassigkeit  —  weitere  sind  jederzeit  in  den  bisher  veroffent- 
lichten  Arbeiten  zu  finden  —  sind  wir  wohl  berechtigt,  die  Bedenken 
Henris  ab  nicht  begriindet  zuriickzuweisen.  Die  Voraussetzung 
allerdings  der  Verwerthbarkeit  aller  Zeitmessungen  ist  eine  voU- 
standige  Vertrautheit  mit  den  Apparaten  und  das  Vermeiden  des 
Wechsels  der  registrirenden  Personen. 


1]  V.  Henri,  Travail  psychique  et  physique.   L'ann^e  psycholog^que.   1896, 
S.  270. 


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72 


GosUf  Asehaffenbarg. 


XJeber  den  Unterschied  zwischen  der  Ermiidung  nach  korper- 
licher  und  intellectueller  Arbeit  hat  uns  die  Arbeit  Bettmanns^) 
sehr  wichtige  Aufschlusse  gegeben.  Wahrend  eine  geistige  Arbeit 
die  Wahkeactionen  verlangerte  unter  gleichzeitiger  Verbesserung  ihrer 
Qualitat,  wurden  sie  nach  korperlicher  Anstrengung  verkiirzt  unter 
starker  Zunahme  ihrer  Fehler.  Ich  gebe  hier  einen  an  mir  ge- 
machten  Versuch  wieder,  der  in  folgender  Weise  angestellt  wurde. 
Nach  vorheriger  Feststellimg  der  Tagesdisposition  durch  eine  Beihe 
von  200  Wahkeactionen  wurde  ein  einstiindiger  Marsch  gemacht, 
nach  dessen  Beendigung  sich  sofort  eine  neue  Reihe  von  Wahkeac- 
tionen  anschloss,  dann  abermals  eine  Stunde  marschirt  und  nach  er- 
neuten  Wahkeactionen  noch  eine  dritte  Stunde.  An  einem  f  olgenden 
Tage  wurde  an  die  Stelle  der  korperlichen  Leistung  eine  intellectuelle 
Arbeit  in  Form  halbstUndigen  Addirens  und  halbstundigen  Aus- 
wendiglemens  gesetzt. 

Tabelle  XXXIV. 

Mittlere  Dauer  der  W^hkeactionen  und  deren  Fehler  nach  korper- 
licher und  geistiger  Arbeit. 


8.  Xn.  92. 
K5rperliehe  Arbeit 

13.  XII.  92. 
Oeistige  Arbeit 

a 

Fehkeac- 
tionen  in  %. 

a 

Fehlreac- 
tionen  in  o/q. 

Vorvenuch 

325 

9.0 

322 

13.3 

I 

1 

273 

24.0 

351 

7.5 

n 

184 

44.5 

372 

6.5 

III 

191 

46.5 

356 

6.5 

Die  Veranderung  der  B/Cactionszeiten  bewegt  sich  in  durchaus 
verschiedener  Bichtung;  die  des  ersten  Versuches  zeigt  das  gleiche 
Phanomen,  wie  die  in  Tab.  XXXI  dargestellten  Nachtversuche.  Das 
spricht  sehr  fUr  die  Annahme,  dass  in  beiden  Fallen  die  gleiche 
Ursache  vorliegt:    dass  das  Auftreten   der  Neigung   zu  vorzeitigen 


Ij  a.  a.  O.,  S.  173. 


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Experimentelle  Studien  fiber  Associationen.  If.  73 

Reactionen  in  den  Versuchsnachten,  die  dadurch  bewiesene  Erleichte- 
rung  der  motorischen  Auslosung,  hauptsachlich  auf  die  korperliche 
Anstrengung  zurUckzufuhren  ist,  was  um  so  wahrscheinlicher  wird, 
als  geistige  Arbeit  die  Reactionsweise  verlangsamt  und  verbessert, 
also  vorschnelle  Bewegungen  geradezu  verhindert. 

Diese  Annahme  wird  durch  die  Erfahrung  bestatigt,  dass  die 
Steigerung  der  motorischen  Erregbarkeit  nach  korperlicher  Arbeit 
dnrch  nachfolgende  geistige  Thatigkeit  zum  Verschwinden  gebracht 
wird,  wie  Bettmann  nachgewiesen  hat. 

Da  wir  von  der  motorischen  Erregbarkeit  das  Auftreten  der 
E[langassociationen  abhangig  gemacht  batten,  miissten  wir  also  auch 
fiir  diese  die  Ursache  in  der  korperlichen  Erschopfung  suchen.  Hier 
fehlt  uns  nun  die  Ausdehnung  der  Bettmannschen  Versuche  auf 
die  Vorstellungsbildung.  Bei  dem  Fehlen  derartiger  Versuche,  die 
iibrigens  zur  Zeit  nachgeholt  werden,  sind  wir  auf  die  Beobachtung  des 
taghchen  Lebens  angewiesen;  diese  lasst  uns  jedenfalls  soviel  erken- 
nen,  dass  die  Schadigung  des  Associationsvorganges  nach  vorwiegend 
korperUcher  Anstrengung  sehr  viel  deutlicher  ist,  als  nach  intellec- 
tueller  Thatigkeit.  Ich  verweise  hier  wieder  auf  die  Erfahrung  an 
den  schriftlichen  Ergussen  in  Fremdenbuchem,  bei  deren  Anfertigung 
die  Verfasser  durchweg  unter  dem  Einflusse  einer  korperlichen  Arbeit 
stehen.  Nach  anstrengender  geistiger  Thatigkeit  —  vorausgesetzt,  dass 
nicht  durch  zu  langes  Aufbleiben  auch  die  korperliche  Ermudung  in 
Wirkung  tritt  —  findet  sich  eine  andere  Erscheinung:  wir  sind  sehr 
wohl  noch  im  Stande,  einen  bestimmten  Gedankengang  einzuhalten 
und  nach  alien  Richtungen  bin  zu  uberlegen;  wenn  wir  aber  ihn  in 
Worte  fassen,  ihn  schriftUch  fixiren  wollen  oder  mussen,  so  finden 
wir  nicht  die  passenden  Redewendungen ,  die  Worte  flieBen  nicht. 
Jeder  wird  dann  von  selbst  schon  von  einem  sehr  wirkungsvollen 
Mittel  Grebrauch  gemacht  haben,  dem  einfachen  Umhergehen.  Die 
leichte  motorische  Anregung,  die  dadurch  erzeugt  wird,  erleichtert 
die  Umsetzung  der  Gedanken  in  Sprachvorstellungen,  ahnlich  wie 
eine  kleine  Menge  von  Alkohol  den  Redner  leichter  die  Worte  finden 
lasst  zur  passenden  Einkleidung  seiner  Gedanken. 

Ob  sich  diese  Beobachtungen  bewahren,  wird  das  Experi- 
ment entscheiden  miissen.  Ich  kann  es  also  einstweilen  nur  als 
wahrscheinlich    bezeichnen,    dass    die    eigenartige   Veranderung    des 


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74  Gusta?  Aschaffenburg. 

Associationsvorganges  mehr  der  Wirkung  der  korperlichen,  als  der 
geistigen  Erschopfung  zuzuschreiben  ist. 

Verworn  und  Kraepelin  nannten,  wie  ich  erwahnte,  Er- 
schopfung die  Wirkung  des  Verbrauchs  der  nothwendigen  Stoffe, 
Ermiidung  die  durch  Anhaufung  und  Vergiftung  mit  den  Zer- 
setzungsproducten  entstehenden  Lahmungserscheinungen.  Da  ein  in 
ausgeruhtem  Zustande  untemommener  Marsch  von  einer  Stunde,  wie 
im  Versuche  S.  72,  der  doch  kaum  den  Vorrath  an  Korperkraft 
erschopft  haben  kann,  schon  zu  einer  Erleichterung  der  motorischen 
Auslosung  fiihrt,  so  miissten  wir  diese  Wirkung  als  Ermiidung  auf- 
fassen,  nicht  als  Erschopfung.  Da^gegen  spricht  aber  die  Moglich- 
keit,  durch  eine  weitere  intellectuelle  Arbeit  diese  gesteigerte  moto- 
rische  Erregbarkeit  zum  Schwinden  zu  bringen;  dass  diese,  zumal 
bei  kurzer  Dauer,  nicht  etwa  den  letzten  Rest  der  vorhandenen 
Spannkraft  aufbraucht,  sodass  nur  deshalb  die  Vergiftung  durch  die 
Zersetzungsproducte  nicht  mehr  zur  Wirksamkeit  gelangen  kann, 
geht  aus  der  Moglichkeit  hervor,  durch  neue  korperliche  Arbeit  von 
neuem  die  friiheren  Erscheinungen  hervorzubringen,  ebenso  auch  aus 
der  Erfahrung,  dass  die  Versuchspersonen  noch  stundenlang  un- 
gestort  ihren  Berufspflichten  nachgehen  konnten.  Ich  glaube  des- 
halb, dass  ich  sehr  wohl  gethan  habe,  mit  dem  Ausdrucke  der  » Er- 
schopfung* nichts  weiter  zu  bezeichnen,  als  eine  Summe  von  Scha- 
digungen,  die  zu  einem  das  MaB  der  gewohnlichen  Ermiidung 
iibersteigenden  Zustande  fiihren  sollte. 

Die  Moglichkeit,  dass  es  sich  bei  den  Nachtversuchen  ganz  oder 
theilweise  um  die  Wirkung  von  Zersetzungsproducten  handelt,  wird 
von  dieser  Anschauung  gar  nicht  beriihrt. 

VIII.   Die  ErschSpftingspsychosen. 

Das  Ziel,  das  mir  bei  meinen  Versuchen  iiber  die  »Erschopfung« 
vorschwebte,  war,  fiir  diesen  bei  der  Frage  nach  der  Aetiologie  der 
Psychosen  so  haufig  gebrauchten  Begriff  genauere  Merkmale  zu  finden, 
die  ihn  aus  seiner  Verschwommenheit  und  Unklarheit  herausheben  zu 
einem  bestimmten  klaren  Symptomencomplex.  Es  war  zu  erwarten, 
dass  wir  denselben  Erscheinungen,  die  wir  bei  der  physiologischen 
Erschopfung  finden  wurden,   in  ahnlicher  Weise  auch  bei  den  soge- 


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Cxperimentelle  Studieo  Qber  Associationen.  II.  75 

nannten  » Erschopfungspsychosen «  wiederbegegnen  wurden.  Da  es 
nicht  meine  Aufgabe  sein  kann,  mich  an  dieser  Stelle  mit  den  klini- 
schen  Auffassungen  der  verschiedenen  Autoren  anseinanderzusetzen, 
so  beschranke  ich  mich  darauf,  mich  im  allgemeinen  auf  den  Stand- 
punkt  Kraepelins^)  stellend,  als  Erschopfungspsy chosen  >diejenigen 
Formen  geistiger  Stoning*  zu  bezeichnen,  »al8  deren  Ursache  wir  einen 
ubermafiigen  Verbrauch  oder  einen  ungeniigenden  Ersatz  von  Nerven- 
material  in  der  Himrinde  annehmen  diirfen*.  In  erster  Linie  sind 
es  die  Psychosen,  die  —  unter  selbstverstandlichem  Ausschluss  zu- 
falliger  Coincidenz  oder  einfacher  Auslosimg  von  circnlaren  Psychosen 
und  paralytischen  Zustanden  —  sich  an  schwere  korperliche  Schadi- 
gungen,  wie  Wochenbetten,  acute  fieberhafte  Erkrankungen  und  groBe 
Blutverluste  anschlieBen.  Es  sind  hauptsachlich  die  Krankheitsgruppen 
des  Collapsdeliriums  2)  und  der  acuten  Verwirrtheit,  denen  eine  schwere 
Stoning  der  Auffassung,  der  Verarbeitung  der  Eindriicke  und  Vor- 
stellungen,  Steigerung  der  motorischen  Erregbarkeit  und  meistens  auch 
SinneslAuschungen  gemeinsam  sind. 

Diese  hatte  ich  im  Sinne,  als  ich  meine  Ansicht  dahin  aussprach^), 
»dass  dieldeenflucht  der  Erschopfungspsychosen  mit  der  bei  hoch- 
gradiger  Ermiidung  (miisste  besser  Erschopfung  heiBen)  identisch* 
sei.  Ich  muss  mir  eine  ausfiihrliche  Darlegung  dessen,  was  wir  von 
der  »Ideenflucht«  wissen,  fiir  den  dritten  Theil  dieser  Arbeit,  meine 
Versuche  an  circularen  Kranken,  versparen.  Das  ideenfliichtige  Reden 
kommt  nicht  allein  durch  die  Neigung  nach  dem  Blange  zu  asso- 
diren  zu  Stande.  Eine  Darlegung  des  verwickelten  Vorganges  wiirde 
aber  jetzt  zu  weit  von  unserer  Aufgabe  abseits  fiihren;  es  mag  genug 
sein,  darauf  hinzuweisen,  dass  eins  der  wesentlichsten,  jedenfalls  das 
charakteristischste  Symptom  der  Ideenflucht  das  Auftreten  zahlreicher 
Klangassociationen  ist,    »cette  fa^on  de  parler  par  rimes,   par  asso- 


1}  Lehrbuch  der  Psychiatric,  5.  Auflage,  S.  320. 

2)  Aschaffenburg,  Ein  Beitrag  zur  Lehre  vom  Collapsdelir.  Vortrag,  ge- 
halten  auf  der  XVII.  Wanderyersammlung  der  sadwestdeutschen  Neurologen  und 
Iirenftrzte  in  Baden-Baden  1S92.  Referat:  Archiv  fdr  Psychiatrie.  Bd.  XXIV. 
Heft  2. 

.  3)  As  chaff  enburg,  Ueber  Ideenflucht.  Vortrag,  gehalten  auf  der  XIX. 
Wanderyersammlung  der  sadwestdeutschen  Neurologen  und  Irren&rzte  zu  Baden- 
Baden.    Referat:  Archiv  f.  Psych.  XXVI.  Heft  2. 


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76  Gosta?  Aschaffenborg. 

nances, « ^)  bei  welcher  der  Satz  nicht  mehr  zu  Ende  construirt  werden 
kann,  unzusammenhangend  wird,  schlieBlich  nur  die  Worte  aUein 
iibrig  bleiben,  » attires  Tun  apr^s  Tautre  par  I'assonance  seiile«.  Bei 
der  Beobachtung  von  CoUapsdeliranten  oder  an  Amentia  leidendett 
Kranken  gelingt  es  leicht,  einzehie  Beispiele  von  Aneinanderreihung 
der  Vorstellungen  durch  den  zufalligen  Blang  zu  sammehi,  doch 
wird  die  Rede  nicht  oft  so  ausschlieBlich  dadurch  beherrscht,  wie 
in  dem  folgenden  Beispiele,  das  durch  einen  Studenten  nachsteno- 
graphirt  wurde. 

E.  B.,  27jahrige  Kaufmannsfrau.     Piagnose:  Amentia. 

Am  12.  n.  1894  kam  die  friiher  gesunde,  nicht  hereditar  belastete 
Frau  im  6. — 7.  Monat  unter  starkem  Blutverluste  nieder.  Nur  einmal 
stieg  die  Temperatur  in  den  ersten  Tagen  auf  38  <^.  Am  8.  Tage  nach 
der  Gteburt  schnell  wachsende  Erregung  mit  lebhaftem  Bewegungs-  und 
Rededrang,  vollstandiger  Verwirrtheit,  Bathlosigkeit,  massenhaften 
Sinnestauschungen,  Personenverkennung  und  wechselndem  Affect 
Die  Erkrankung  hielt  sich  bis  zum  Juli  auf  gleicher  Hohe;  dann 
verschwanden  erat  schneller,  dann  langsamer  die  sammtlichen  Sym- 
ptome,  zuletzt  die  Sinnestauschungen,  sodass  die  Kranke  am  14.  IX. 
gene  sen  entlassen  werden  konnte.  Den  Ausgleich  der  Erschopfung 
beweist  am  besten  die  Grewichtszunahme  von  18  Vj  Pfund. 

Das  wortliche  und  ungekiirzte  Stenogramm  stammt  vom  2.m.  1894, 
also  aus  der  allerersten  Zeit  der  Krankheit.  >Englein,  Klang- 
lein,  Zanglein,  Tenglein,  Benglein  .  .  .  aber  Geschwisterliebe, 
die  ist  trilbe,  die  ist  Vossius,  Mossius,  Kossius,  Kiissius, 
KUsse,  das  sind  keine  Ktisse,  das  sind  Schlusse,  keine  Schlusse, 
sondem  Plusse.  Wissen  Sie,  vorlhnen  kann  man  sich  nur  geniren, 
und  ich  soil  das  Madchen  sein  zu  Ihnen,  Ihnen  dienen,  geme, 
bin  geme,  so  geme,  Klemmer  (wahrscheinlich  durch  den  Anblick 
hervorgerufen),  Schlemmer,  Bemmer,  Mammer,  Kammer,  babe 
keine  Kammer,  sondem  ein  Kammerle,  das  ist  ein  Beschamer, 
ein  Belehmer.  Tanzen  wir  zusammen!  Die  B.  (Name)  sind  schlecht 
Das  Gretchen,  das  Madchen  ist  ein  Fadchen.  Man  hat  sie 
kommen  lassen  aus  Lyon,  Lyon  bestraft,  Paris  bestraft,  Maria  be- 
lohnt.     Sie   haben   den   Schalter   offen   gelassen,    offen,    offen, 


])  Chaslin,  La  confusion  mentale  primitive.  Paris  1895.  S.  138  und  158. 


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ExperimeDtelle  Studien  fiber  Assooiationen.  II.  77 

knoffen.  Wie  ein  Vieh,  wie  die  Marie,  noch  ein  Rindchen, 
aber  ein  Kindchen,  und  das  war  der  Bruder,  der  hat  den  Hut 
hinausgeworfen  und  den  seidenen  Schleier,  das  ist  der  Freier, 
ihn  diirften  Sie  begleiten  in  die  Weiten.  Sie  hat  frtth  Vemunft 
und  schwer  Verstand.  Aber  geriistet  muss  man  sein,  gertistet  im 
Herzen,  Herzen,  Herzen,  4  Herzen  und  5  Lammer,  ein 
Herz  und  kein  Kammer.  Und  schamen,  schamen,  wir  sind 
beschamt.  Ich  sitze  im  Schlosse,  im  groBen,  bei  der  Netti, 
bei  der  Kathi.  Eine  Frau  hat  gut  geschlafen,  die  Liesel  in  der 
Schiissel.     Ich  bin  im  Bett,   aber  mit  dem  Bett  ins  Fett.  .  .  .« 

Es  wird  selten  moglich  sein,  bei  einer  so  langen  Rede  einer  ver- 
wirrten  Kranken  mit  der  gleichen  Sicherheit  dem  Zusammenhange  nach- 
gehen  zu  konnen,  wie  hier.  Einigemal  fehlt  uns  zwar  jeder  Anhalts- 
punkt  fur  die  Beurtheilung ;  so  z.  B.  ist  das  Auftreten  der  Vorstel- 
lungen  Vossius,  die  Beziehungen  des  Satzes  »8ie  haben  den  Schalter 
ofEen  gelassen*  ganz  unverstandlich.  Wenn  wir  aber  beriicksichtigen, 
dass  eins  der  regehnaBigsten  Symptome  der  Ideenflucht  die  erhohte 
Ablenkbarkeit  ist,  und  dass  als  ablenkende  Reize  nicht  nur  die  eig- 
nen  Reden,  sondem  auch  die  Wahmehmungen  in  der  XJmgebung  und 
innerUch  auftauchende  Vorstellungen  wirken,  so  wird  es  begreiflich, 
dass  wir  nicht  bei  jedem  Schritte  dem  Gedankenflusse  folgen  konnen. 
Dafiir  erkennen  wir  um  so  besser  die  gewaltige  Rolle,  die  das  An- 
klingen  ahnlich  lautender  Worte  spielt.  Die  meisten  Associationen 
sind  ohne  weiteres  Satzgefuge  und  inhaltslos  durch  den  Blang  an- 
einander  gereiht. 

Sehr  haufig  verbindet  sich  mit  der  Neigung  zu  Assonanzen  und 
Reimen  eine  stark  rhythmische  Betonung,  wie  in  dem  f olgenden  Falle : 

B.  W.  49jahrige  Bauersfrau.    Diagnose:  Collapsdelirium. 

Aus  unbelasteter  Familie  stammend;  gebar  16  Kinder!  9  Wochen 
nach  der  Greburt  des  11.  Kindes  im  31.  Jahre  (!)  trat  wahrend  der  Lak- 
tsftion  ein  nur  eine  Woche  dauemder  delirioser  Erregungszustand  ein 
(wahrscheinlich  auch  ein  Erschopfungsdelirium).  Sie  war  dann  ge- 
8und,  fiihrte  aber  eine  sehr  angestrengte  und  diirftige  Lebensweise. 

Am  23.  IV.  92  erkrankte  Patientin  im  Anschluss  an  eine  links- 
seitige  Lungenentzundung.  Schnell  sich  steigemde  Erregung,  vollige 
Verwirrtheit,  Personenverkennung,  heftiger  Bewegungsdrang,  Sinnes- 
tauschungen.  •  Am   28.  IV.    in  die  Klinik   aufgenomraen.     Bei   der 


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78  GosUt  Asebaffenbarg. 

Aufnahme  war  die  Kranke  in  sinnlosester  Erregung,  unaufhorlich 
redend  und  umherspringend.  Hire  Aufmerksamkeit  war  kaum  zu  er- 
regen,  gar  nicht  zu  fixiren.  Sie  hallucinirte  lebhaft.  Schon  in  den 
ersten  Tagen  des  Mai  wurde  sie  ruhiger,  klarer;  vom  10.  Mai  ab  in 
voUer  Reconvalescenz.  Erholte  sich  bald  und  konnte  am  3.  Juli 
geheilt  entlassen  werden.  Ihr  Gewicht  bei  der  Aufnahme  war 
99V2  Pfund,  bei  der  Entlassung  129V2-  Seither  ist  Patientin  ganz 
gesund  geblieben. 

Stenogramm  vom  Tage  der  Aufnahme :  die  Accente  entsprechen 
der  Betonung.  »Ich  bin  ein  Kfnd,  der  mich  verschlagen  zur 
Stiind,  ich  bin  ein  Bliind.  Doctor  schlag  Dd  mir  nein,  sonst 
kriech  ich  nfcht  herein,  schlag  Du  nur  zd  zugleich,  sonst  werd 
ich  g4r  nicht  reich,  sonst  kriech  ich  nfcht  und  quer,  hopp,  hopp, 
hopp,  hdpp,  streif  mich  nicht  kdpp,  Bastian  schlag  Dii,  Doctor 
mach  zii....  Doctor  schlag  Dd  mal  her,  sonst  bin  ich  g&r  zu 
schwer,  Doctor  schlag  rdth,  sonst  bin  ich  tdt.  Ich  hab  Angst 
vor  dem  Mergentheimer  Doctor*. 

Stenogramm  vom  29.  IV.  1892.  »Hopp,  hopp,  hopp,  hdpp, 
jetzt  geh  ich  f<5rt,  jetzt  geh  herefn,  da  mag  ich  sefn,  jetztistein 
Schefn,  jetzt  isteinThrdn,  da  ist  ein  schdn,  jetzt  ist  verbrdnnt, 
das  ist  bekdnnt,  mach  mich  zu  ^nem  Week,  dass  ich  nicht 
schreck*. 

Der  Rhythmus  steht  in  innigster  Beziehung  zu  den  Bewegungs- 
vorstellungen.  »Der  intensive  rhythmische  E^langwechsel  entspricht 
dem  bei  der  natlirlichen  Folge  unserer  Bewegungen,  namentlich  der 
Ortbewegungen  eintretenden  regehnaBigen  Wechsel  der  Bewegungs- 
empfindungen,  der  in  dem  Bau  der  Bewegungswerkzeuge  vorgebildet 
ist.*)«  Die  rhythmische  Betonung  erleichtert  den  Ablauf  der  Bewe- 
gungsinnervation,  wie  jeder  Clavierspieler  bei  Pingenibungen  an  sich 
selbst  beobachten  kann.  Auf  der  gleichmaBigen  taktmaBigen  Wie- 
derholung  beruht  ein  groBer  Theil  der  elektrisirenden  Wirkung  eines 
moglichst  scharf  rhythmischen  Militarmarsches  auf  die  ermildeten 
Soldaten ;  andererseits  beweist  auch  die  Schwierigkeit,  ja  oft  die  Un- 
moglichkeit,  gegen  den  Takt  eines  Marsches  zu  wandem,  den  directen 
Einfluss   des   Rhythmus   auf   Bewegungen.     Von    der   Erleichterung 


1)  Wundt,  Physiologiflche  Piychologie.  4.  Auflage,  Bd.  II,  8.  84. 


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Experimentelle  Studien  Qber  Associationen.  II.  79 

durch  das  taktmaBige  Arbeiten  machen  auch  Drescher  tmd  StraBen- 
pflasterer  Gebrauch.  Auch  bei  unseren  Lemversuchen  stieBen  wir 
auf  ahnliche  Erfaliningeii.  Diejenigen  unserer  Versuchspersonen,  die 
fast  ausschlieBlich  motorisch,  rein  mechanisch  auswendig  lemten,  gaben 
alle  an,  dass  sie  sich  die  zu  lemenden  Zahlen  durch  die  Zusammen- 
fassung  in  Gruppen  von  drei,  vier,  seltener  sechs  Ziffem  erheblich  er- 
leichtert  batten.  Ebenso  fanden  Muller  und  Schumann ^)  bei  ihren 
Gedachtnissstudien,  »dass  die  Zusammenfassung  der  Silben  zu  Takten 
von  durchgreifender  Bedeutung  fiir  das  Auswendiglemen  sei.  For- 
dert  man  eine  imgetibte  Versuchsperson  auf,  ohne  Takt  eine  zwolf- 
silbige  Silbenreihe  zu  erlemen,  so  kommt  sie  damit  kaimi  zu  Stande.* 
Mit  dem  leichteren  Flusse  der  Rede,  wie  ihn  das  erste  Stadium  der 
Alkoholwirkung,  zuweilen  auch  schon  die  einfache  gehobene  Stim- 
mung  mit  sich  bringt,  stellt  sich  von  selbst  die  rhythmische  Gliede- 
rung  der  Rede  ein.  Und  wie  diese  der  Rede  einen  gewissen  Schwung 
verleiht,  so  hebt  seinerseits  wieder  der  Reim  den  Rhythmus^). 

Durch  diese  nahen  Beziehungen  zwischen  Reim  und  Rhythmus 
erscheint  es  verstandlich,  dass  wir  oft  in  den  Reden  der  Kranken 
eine  deutliche  Gliederung  mit  und  ohne  Reim  erkennen  konnen,  der 
dann  meist  der  Zusammenhang  geopfert  wird.  Auch  schon  bei  den 
ersten  Kranken  waren  einzelne  gegliederte  Satztheile  erkennbar;  ein 
weit  besseres  Beispiel  bieten  die  Reden  der  zweiten  Patientip.  Zu- 
weilen durchbricht  eine  Vorstellung  fur  einen  Augenblick  das  takt- 
maBige Aneinanderreihen  von  klangahnlichen  Worten,  wie  z.  B.  bei 
dem  Satze:  Ich  hab  Angst  vor  dem  Mergentheimer  Doctor;  im  all- 
gemeinen  aber  wird  der  Vorstellungsablauf  beherrscht  vom  Rhythmus 
und  Klang. 

Eine  Reihe  weiterer  Beispiele  von  Kranken,  die  ich  ausnahmslos 
selbst  beobachtet  habe,  fUhre  ich  an,  ohne  die  Krankengeschichte 
wiederzugeben. 

»Du  bist  gelaufen,  die  sich  ersaufen«;  »Emmchen,  Emm- 


1)  G.  E.  Mailer  und  F.  Schumann,  Experimentelle  Beitr&ge  zur  Unter- 
suchung  des  Oed&chtnisses.  Zeitschrift  fiir  Psychologie  und  Physiologie  der  Sin- 
neforgane.  YI.  Bd.,  S.  280. 

2]  Besonders  Shakespeare  und  Schiller  haben  in  ihren  dramatischen 
Werken  dem  letzten  Satz  vor  Schluss  einer  Scene  oder  l&ngeren  Rede  durch 
AnfOgen  eines  Xteimes  einen  besonderen  Nachdruck  verliehen. 


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so  GosUf  AsGhaffenborg. 

chen,  nimm  das  Lammchen* ;  >e8  war  kein  Hohn,  es  warLohn*. 
»Wir  gehen  nach  Lyon  und  miissen  nehmen  die  Legion*. 

Auch  diese  Beispiele  zeigen  neben  dem  Reim  und  Gleichklang 
eine  deutliche  Rhythmisirung. 

»Wa8  kann  herrlicher  sein,  als  von  Hirten  herzustammen*, 
citirte  eine  Kranke  und  fuhr  dann  fort  >geboren,  verloren,  aus- 
erkoren*.  Das  erste  Wort  schlieBt  sich  sinngemaB  an  das  Citat 
an,  die  folgenden  sind  einfache  Reime.  Aehnlich  war:  >Ich  brauche 
keinen  Spiegel,  kein  Glas,  kein  Ga8«.  Den  umgekehrten  Vorgang 
finden  wir  in  folgendem  Beispiel:  Bei  der  Wahmehmung,  dass  ich 
stenographirte,  rief  die  gleiche Kranke :  »Stenographi e und Schnell- 
photographie,  Lithographie  und  Buchdruckerkunst*.  Die  ersten 
drei  Vorstellungen  verband  hauptsachlich  die  Blangahnlichkeit,  die 
letzte  der  Lihalt.  Das  gleiche  zeigt  die  folgende  Rede:  »Mein  Vater 
war  ein  reicher  Oekonom,  da  lemt  man  viel  Manner  kennen,  die  einem 
den  Hof  machen,  Hofhund,  Kettenhund,  Nero«  u.  s.  w. 

Es  mag  der  angefUhrten  Beispiele  genug  sein,  die  sich  jeder 
Lrenarzt  aus  seinen  Krankengeschichten  zahlreich  erganzen  kann. 
Es  geht  wohl  zur  Geniige  aus  dem  G^sagten  hervor,  dass  wir  vollauf 
berechtigt  sind,  dem  Associiren  nach  der  Blangahnlichkeit  eine  groBe 
Bedeutung  ftir  die  Auffassung  der  Ideenflucht  beizulegen.  Die  Aehn- 
lichkeit  der  Wirkung  einer  experimentellen  Erschopfung  mit  den  Er- 
schopfungspsychosen  wird,  soweit  es  den  Associationsvorgang  betrifft, 
wohl  hinlanglich  klar  geworden  sein.  Die  Aneinanderreihung  der 
Vorstellungen  erfolgt  nur  selten  nach  dem  Inhalte;  meist  bestimmt 
der  Klang  der  Worte  die  Verbindung  der  Associationen.  Es  erscheint 
dabei  wohl  nicht  weiter  auffallend,  dass  bei  der  groBen  Schwere  der 
Erkrankung  die  ganze  Erscheinung  den  Charakter  des  Pathologischen 
tragt.  Besonders  tritt  dies  in  dem  Vorwiegen  ganz  sinnloser  Klang- 
associationen  hervor.  Leider  gestatteten  die  iibrigen  schweren  Sto- 
rungen,  speciell  die  der  Auffassung,  sowie  die  lebhafte  Erregung  der 
Kranken,  keine  planmaBigen  Versuche.  Aber  das  Naturexperiment, 
die  unbeeinflusste  Rede,  ersetzt  uns  diesen  Mangel  ziemlich  aus- 
reichend. 

Das  gilt  auch  f  iir  den  Nachweis  der  erleichterten  Auslosung  der 
Bewegungsantriebe.  Wenn  wir  auch  der  Versuche  entbehren,  so  zeigt 
doch  die  klinische  Beobachtung  das  Vorhandensein  dieser  motorischen 


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Experimentelle  Studien  tiber  Associationen.  II.  gl 

Erregbarkeit  auBer  in  dem  unschadlichen  Bededrange  in  der  sinnlosen 
Unruhe,  die  zuweilen  fiir  den  Kranken  geradezu  verhangnissvoUe 
Grade  annehmen  kann.  Wir  finden  also  auch  bei  den  Erschopfungs- 
psychosen  die  enge  Beziehung  der  Klangassociationen  zu  der  erleich- 
terten  Auslosung  von  Bewegungsimpnlsen  wieder,  eine  Bestatigung 
unserer,  dem  Experimente  entnommenen  Erfahrungen. 

Zur  XJnterstlitznng  meiner  Anschauungen  fiber  die  Gleichartig- 
keit  der  Ideenflucht  bei  unsem  Versuchen  und  bei  den  Patienten  will 
ich  nnr  kurz  darauf  hinweisen,  dass  ich  neben  der  gleichartigen  Ver- 
anderung  der  Associationsbildung  und  dem  Bewegungsdrange  auch  die 
anderen  Symptome  der  Erschopfungspsychosen  bei  meinen  Experi- 
menten  wiederfand:  die  Erschwerung  der  Auffassung,  illusionare  und 
hallucinatorische  Vorgange,  letztere  allerdings  bescheidenster  Art,  und 
gehobene  Stimmung. 

Dass  aber  mit  diesen  Versuchen  die  ganze  Frage  nach  der  Ideen- 
flucht bei  den  Erschopfungspsychosen  gelost  ist,  liegt  mir  feme,  an- 
zunehmen.  Vieles  bedarf  noch  der  Bestatigung,  der  Erweiterung, 
der  Klarung,  vielleicht  sogar  der  Widerlegung.  Wenn  aber  die 
experimentelle  Ergriindung  der  Ideenflucht  auch  noch  nicht  ganz  zum 
Abschlusse  gekommen  ist,  so  scheint  mir  doch  das  Ziel  naher  ge- 
ruckt,  der  Weg  klarer  geworden  zu  sein. 

Znsammenfassnng  der  Ergebnisse. 

1)  Unter  dem  Einflusse  der  Erschopfung,  die  eine  durcharbei- 
tete,  durchwachte  und  ohne  Nahrung  verbrachte  Nacht  hervorruft, 
werden  die  engen  begrifflichen  Beziehungen  zwischen  Reizwort  und 
Reaction  nach  und  nach  gelockert  und  durch  solche  Associations- 
formeu  ersetzt,  die  der  langgewohnten  XJebung  ihre  Entstehung  ver- 
danken;  besonders  uberwiegen  dabei  die  sprachlichen  Beziehungen. 
Mit  der  Zunahme  der  Erschopfung  wirkt  die  zugerufene  Vorstellung 
immer  weniger  durch  ihren  Inhalt;  an  dessen  Stelle  bestimmen  der 
Klang  und  die  Tonfarbe  die  Reaction. 

2;  Das  Auftreten  der  Klangassociationen  stellt  sich  zuweilen  erst 
auf  der  Hohe  der  Erschopfung  ein. 

3)  Die  Zahl  der  mehrfach  vorkommenden  Antworten,  die  als 
Ausdruck  einer  mehr  oder  weniger  groBen  Einformigkeit  der  Vor- 

Kratpelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  ^ 


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S2  Gosta?  AschaffeDbarg. 

stellungen   angesehen   werden   kann,    wird  durcli  die  Nachtversuche 
nicht  vergroBert. 

4)  Solche  Reactionen,  die  mit  dem  Reizworte  weder  dem  Inhalte 
noch  dem  Elange  nach  zusammenhingen,  kamen  nur  selten  vor  und 
wurden  wahrend  der  Versuchsnachte  nicht  zahlreicher.  Bei  zwei 
Personen,  die  eine  groBere  Anzahl  solcher  Pehlassociationen  zeigten, 
die  eine  als  dauemde  Eigenthiimlichkeit,  die  andere  in  Folge  korper- 
licher  und  affectiver  Schadigungen,  nahm  deren  Zahl  unter  dem  Ein- 
flusse  der  Nachtversuche  ab. 

5)  Wahrscheinlich  hat  diese  Zusammenhangslosigkeit  der  Asso- 
ciationen  ebenso  wie  das  zwangsartige  Wiederkehren  derselben  Vor- 
stellungen  nichts  mit  der  normalen,  acuten  Erschopfung  zu  thun, 
sondem  gehort  zu  den  Erscheinungen  des  constitutionellen  Zustandes 
der  angeborenen  Neurasthenie. 

6)  Auf  die  durchschnittliche  Dauer  der  Associationsreactionen 
ubten  die  Versuchsnachte  entweder  gar  keinen  oder  nur  einen  ge- 
ringen  Einfluss  im  Sinne  einer  Verlangerung  der  Zeiten  und  einer 
groBeren  Streuung  der  Werthe. 

7)  Die  Associationen  nach  sprachlicher  Reminiscenz,  noch  mehr 
die  Worterganzungen  und  am  meisten  die  Reactionen  nach  Ellang- 
ahnlichkeit  sind  fast  ausschlieBlich  mechanische,  rein  motorische 
Vorgange;  es  lasst  sich  daraus  schlieBen,  dass  mit  der  fortschrei- 
tenden  Erschopfung  die  Bewegungsvorstellung  an  die  Stelle  des  be- 
grifflichen  Zusammenhanges  tritt. 

8)  Aus  dem  Verhalten  der  Wahlreactionen  und  einfachen  Re- 
actionen geht  hervor,  dass  durch  die  Erschopfung  eine  erleichterte 
Auslosung  von  Bewegungsantrieben  hervorgerufen  wird. 

9)  Das  Auftreten  der  Reime  und  klangahnlichen  Worte  ist  eine 
Theilerscheinung  der  allgemeinen  Erleichterung  der  motorischen  Re- 
actionen. 

10)  Die  Erschwerung  der  Auffassung  auBerer  Eindriicke  genttgt 
nicht,  um  das  Auftreten  einer  die  Norm  iiberschreitenden  Zahl  von 
Klangassociationen  zu  erklaren;  es  muss  vielmehr  die  Erleichterung 
der  Bewegungsantriebe  als  die  wesentliche  Ursache  fiir  das  Zustande- 
kommen  dieser  Reactionsweise  betrachtet  werden. 

11)  Wahrscheinlich  hangt  diese  Erscheinung  mehr  mit  der  kor- 
perlichen  als  mit  der  geistigen  Ermiidung  zusammen. 


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Experimentelle  Stadlen  Qber  Associationeu,  II.  83 

12)  Bei  den  Erschopfungspsy chosen  kehrt  in  den  Reden  der 
Kranken  besonders  die  Neigung  zu  Klangassociationen  bei  gleichzei- 
tdger  erieichterter  Auslosung  von  Bewegungen  wieder.  Es  entspricht 
also  sehr  wahrscheinlich  die  Stoning  der  Vorstellungsbildimg  durch 
die  in  den  Versuchen  erzeugte  Erschopfung  der  bei  den  Erschopfungs- 
psy chosen  auftretenden  Ideenflucht. 


6* 


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Untersuchungen  Ober  die  Tiefe  des  Schlafes^). 

Von 

Eduard  Michelson. 

(Mit    5  Figuren   im   Text) 

In  seinen  >Elementen  der  Psychophysik*  erwahnt  Fechner^) 
in  einer  Amnerkung  zum  Kapitel  »Schlaf  und  Wachen*  die  Idee 
seines  Zuhorers  Kohlschiitter,  mit  einem  Sehallpendel  >Ver8uche 
liber  die  Tiefe  des  Schlafes  in  den  verschiedenen  Epochen  vom  Ein- 
schlafen  an  und  iinter  verschiedenen  Umstanden  anzustellen,  indem 
die  Starke  des  Schalles,  welche  nothig  ist,  den  Schlafer  zu  wecken, 
zur  Messung  der  Tiefe  des  Schlafes  dienen  kannc. 

Diese  Idee  brachte  Kohlschiitter'*)  spater  wirklich  zur  Aus- 
fuhrung  und  veroffentlichte  1862  in  seiner  Dissertation  die  Resultate, 
welche  nachher  noch  in  der  »Zeitschrift  fiir  rationelle  Medicin*  zum 
Abdruck  kamen.  Als  Weckreiz  benutzte  er  den  Schall,  den  ein  aus 
verschiedenen  Elevationen  gegen  eine  Schieferplatte  herabfallender 
Pendelhammer  hervorbrachte.  Mit  diesem  bereits  von  Fechner  con- 
struirten  Sehallpendel  und  einer  Lampe,  deren  Licht  vom  Gesichte 
des  Schlafers  abgeblendet  wurde,  setzte  er  sich  dicht  an  das  Bett 
der  Versuchsperson.  In  gewissen  Zeitintervallen  lieB  er  den  mog- 
lichst  gerauschlos  gehobenen  Pendelhammer  zunachst  aus  einer  Hohe 


1^  Diese  Arbeit,  die  zuerst  1891  aU  Dorpater  Dissertation  erschien,  wird  hier 
noch  einmal  abgedruckt,  weil  sie  far  Fragen  der  praktischen  Psychologie  sehr 
wichtig  und  Ausgangspunkt  weiterer  Untersuchungen  geworden  iit  Der  He r- 
ausgeber. 

2;  G.  Th.  Fechner,  Elemente  der  Psychophysik.   1860.  Th.  II,  S.  440. 

3)  £.  Kohls  chatter,  Messungen  der  Festigkeit  des  Schlafes.  Z.  f.  rat  Med. 
XVII.  Bd.  3.  Reihe.  1863. 


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UntersncbaDgen  flber  die  Tiefe  des  Schlafes.  S5 

herabfaJlen,  von  der  er  annahm,  dass  sie  noch  nicht  ausreichen  werde, 
den  Schlafer  zu  wecken,  und  fuhr  nun  so  mit  immer  hoheren  Er- 
hebungen,  jede  einzelne  in  Pausen  von  1"  sechsmal  wiederholend, 
fort,  bis  er  ein  Symptom  des  Erwachens  —  und  als  solches  galten 
ihm  schon  geringe  Aenderungen  im  Athmungstypus  sowie  Bewegungen 
im  Schlafe  —  bemerkte  oder  der  Schlafer  das  verabredete  Zeichen  gab. 
Alle  halben  oder  ganzen  Stunden,  je  nachdem,  wurde  der  Versuch 
wiederholt.  Die  erlangten  Resultate  fasst  Kohlscbutter  in  vier 
Satzen  zusammen:  »t)  Die  Festigkeit  des  Schlafes,  der  zum  Erwecken 
nothigen  Schallintensitat  direct  proportional  gesetzt,  andert  sich  stetig 
mit  der  seit  dem  Einschlafen  verflossenen  Zeit  nach  einem  bei  aller 
Verschiedenheit  der  absoluten  Festigkeit  und  unter  den  verschiedenen 
TJmstanden  gleichen  Gesetz;  derart,  dass  der  Schlaf  anfangs  rasch, 
dann  langsamer  sich  vertieft,  innerhalb  der  ersten  Stunde  nach  dem 
Einschlafen  seine  Maximaltiefe  erreicht,  von  da  an  anfangs  rasch, 
dann  langsamer  und  langsamer  sich  verflacht  und  mehrere  Stunden 
vor  dem  Erwachen  merklich  unverandert  eine  sehr  geringe  Festigkeit 
behalt.  2)  Eine  plotzliche  Verflachung  des  Schlafes  durch  auBere 
oder  innere  Reize  bewirkt,  dass  derselbe  unmittelbar  folgends  tiefer 
wird,  als  er  geworden  sein  wiirde,  wenn  keine  Stoning  eingetreten 
ware.  Die  GroBe  und  die  Dauer  dieser  Vertiefung  hangt  ab  von 
der  GroBe  der  veranlassenden  Verflachung,  und  sie  verlauft  nach 
einem  ahnlichen  Q^setz  v\rie  die  Festigkeit  des  Schlafes  im  allge- 
meinen.  3)  Zwischen  der  groBten  erreichteri  Festigkeit  und  der  Ge- 
sammtdauer  des  Schlafes  findet  ein  gesetzliches  Abhangigkeitsver- 
haltniss  statt,  derart,  dass,  je  tiefer  der  Schlaf  gev^rorden,  er  desto 
langer  dauert,  je  flacher  er  geblieben,  er  desto  eher  zum  Envachen 
kommt.  4)  Dem  virachen  Bewusstsein,  dem  Willen,  ist  ein  Einfluss 
auf  die  groBte  zu  erreichende  Festigkeit  und  folgends  auf  die  Ge- 
sammtdauer  des  Schlafes  zuzusprechen*. 

Emeute  Versuche  in  dieser  Eichtung  stellten  Monninghoff 
und  Piesbergen*)  auf  Veranlassung  von  Vierordt  an.  Sie  experi- 
mentirten  gegenseitig  an  sich,  bezogen  daher  ein  gemeinsames  Schlaf- 
zimmer,    welches   fast   vollstandig  verdunkelt  war.     Ein  jeder  hatte 


1]  O.  M6nninghoff  und  F.  Piesbergen,  Messungen  aber  die  Tiefe  des 
Schlafes.  Zeitschr.  f.  Biologie.  Bd.  XIX  (I)  1883. 


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g6  Eduard  Miehelson. 

I 

Vorkehrungen  zum  Experimentiren  getroffen,  so  dass  je  nach  den 
Umstanden  der  zufallig  Erwachende  die  Untersuchung  anstellte, 
wahrend  der  Schlafende  die  Versuchsperson  abgab.  Zum  Wecken 
zogen  auch  sie  Schallreize  in  Anwendung,  welche  durch  das  Herab- 
fallen  einer  Bleikugel  aus  verschiedenen  Hohen  auf  eine  Eisenplatte 
erzeugt  wurden.  Sie  lieBen  die  Schallreize  in  Zeitraumen  von  Yj 
Minute  einwirken,  unter  stetiger  VergroBerung  der  Fallhohe  bis  zum 
Erwachen,  welches  an  der  Abgabe  eines  directen  Zeichens  von  er- 
wachtem  Bewusstsein  erkannt  wurde,  beschrankten  sich  jedoch  darauf, 
in  einer  Nacht  hochstens  zwei  Versuche  zu  machen. 

Die  an  Piesbergen  gewonnenen  Ergebnisse  besagen,  »dass  die 
Festigkeit  des  Schlafes  ihren  Culminationspunkt  erreicht  nach  dem 
dritten  Viertel  der  zweiten  Stunde.  Bis  zum  zweiten  Viertel  der 
zweiten  Stunde  nimmt  die  Tiefe  des  Schlafes  ganz  allmahlich  zu. 
Im  zweiten  imd  dritten  Viertel  derselben  Stunde  steigt  die  Festigkeit 
sehr  rasch  und  sehr  bedeutend,  um  dann  auch  ebenso  rasch  wieder 
abzunehmen  bis  zum  zweiten  Viertel  der  dritten  Stunde.  Von  diesem 
Zeitpunkte  an  tritt  eine  allmahliche  Abnahme  der  Schlaffestigkeit 
ein,  welche  anhalt  bis  zur  zweiten  Halfte  der  funften  Stunde.  Dieser 
Moment  ist  gekennzeichnet  durch  eine  beginnende  Steigerung  der 
Schlafintensitat,  welche  im  Glegensatz  zur  ersten  sehr  gering  ist  und 
lange  andauert.  In  einer  Stunde,  also  nach  Verlauf  von  5V2  Schlaf- 
stunden,  hat  sie  ihren  Culminationspunkt  erreicht,  .von  wo  aus  sie  tjl- 
mahlich  abnimmt,  bis  allgemeine  Verflachung  des  Schlafes  eingetreten 
ist.c  Innerhalb  der  ersten  Schlaf stunde  wurden  die  Weckreize  von 
solcher  Schwache  gefunden,  dass  die  Verfasser  diese  Zeit  gar  nicht 
in  den  Kreis  ihrer  Betrachtimg  gezogen  haben.  Der  Schlaf  von 
Monninghoff,  welcher  an  einem  Mitralfehler  litt,  zeigt  einen  durch- 
aus  anderen,  vor  allem  leiseren  Verlauf.  Die  groBte  Tiefe  des 
Schlafes  findet  sich  in  der  zweiten  Halfte  der  sechsten  Stunde  vor; 
statt  zwei  Zunahmen  der  Schlafintensitat  treten  drei  auf;  die  allge- 
meinen  Schwankungen  der  Schlaffestigkeit  sind  bei  weitem  groBer, 
als  beim  Schlaf  von  Piesbergen. 

Gegen  die  Versuchsanordnung  und  Methodik  der  bisherigen 
Untersucher  auf  diesem  Gebiete  lassen  sich  mehrere  Einwande  er- 
heben.  Die  Erleuchtung  des  Versuchsraumes,  die  unvermeidlich  doch 
etwas  Gerausch   verursachenden  Hantirungen  des  in  nachster  N&he 


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Untersuchungen  Qber  die  Tiefe  des  Schlafes.  87 

der  Versuchsperson  sich  befindenden  Experimentators,  die  haufige 
Einwirkung  der  Schallreize,  endlich  das,  wenigstens  von  Kohl- 
schiitter,  wahrend  einer  Nacht  mehrmals  herbeigefuhrte  Erwecken 
waren  auBere  Umstande,  welche  zunachst  das  Bedenken  wachrufen, 
ob  die  erlangten  Ergebnisse  unzweifelhafte  sind.  Dazu  kamen  als 
innere  den  Schlaf  beeinflussende  TJrsachen  einerseits  die  Voreinge- 
nommenheit  des  Schlafers,  andererseits  seine  Gewohnung  an  die  Schall- 
reize. Alle  sechs  Versuchspersonen  Kohlschiitter's^)  gaben  ihrn 
an,  dass  sie  im  Schlafe  das  Grefuhl  von  Erwartung,  von  Anspannung 
der  Aufmerksamkeit  auf  das  zu  gebende  verabredete  Zeichen  nicht 
los  werden  konnten.  Ebenso  waren  in  Kohlschiitter's  spateren 
Versuchsreihen  die  zum  Erwecken  nothwendigen  Schallstarken  viel 
groBer  ausgefallen,  als  in  den  friiheren,  ein  Verhaltniss,  welches  er 
auf  die  mit  der  ofteren  Wiederholung  der  Versuche  mehr  und  mehr 
heryortretende  Gewohnung  zuriickfuhrt. 

Gestiitzt  auf  letztere  Punkte  hat  denn  auch  For  el  2)  die  Mog- 
Uchkeit  der  Ausfuhrung  derartiger  Versuche  geleugnet,  indem  er  nach 
seinen  Erfahrungen  bei  der  Hypnose  den  in  der  Versuchsperson  auf- 
tauchenden  Autosuggestionen  eine  Rolle  zuerkennt,  welche  die  Zu- 
verlassigkeit  solcher  Untersuchungen  ganzlich  in  Frage  stellt.  Zu- 
vorderst  sind  die  Erfahrungen  in  der  Hypnose,  bei  welcher  die  Ver- 
suchsperson durch  die  Suggestion  des  Schlafenmiissens  beherrscht 
wird,  nicht  ohne  weiteres  mit  den  Verhaltnissen  des  naturlichen 
Schlafes  in  Vergleich  zu  stellen.  Femerhin  aber  sind  die  bei  diesen 
Versuchen  angewandten  Reize  derartig  indifferenter  Natur,  dass  sie 
fiir  die  Ankniipfung  von  associativen  Vorgangen  mit  ihren  Folgen 
fiir  die  Erleichterung  oder  Erschwerung  des  Aufwachens  kaum  An- 
haltspunkte  darbieten.  Endlich,  und  das  ist  der  wichtigste  Punkt, 
kann  iiber  die  Ausfuhrbarkeit  solcher  Untersuchungen  immer  doch 
nur  die  thatsachliche  Erfahrung  entscheiden,  welche  bei  der  wesent^ 
lichen  Uebereinstimmung  der  bisher  gewonnenen  Ergebnisse  ohne 
Zweifel  die  Moglichkeit  der  Auffindung  einer  GesetzmaBigkeit  auf 
diesem  Gebiete  dargethan  hat. 


1)  a.  a.  0.,  S.  219. 

2)  A.  For  el,    Der  Hypnotismus ,  seine  Bedeutung  und  seine  Handhabung. 
1889,  S.  20. 


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88  Eduard  Miehelsoo. 

I.  Anordnung  und  AnsfiUining  der  Yersnche. 

Angesichts  der  im  Vorhergehenden  beriihrten  mannichfaltigen 
Einwande  erschien  es  mir  in  erster  Linie  wunschenswerth,  die  An- 
gaben  der  friiheren  Untersucher  mit  Hiilfe  eines  Verfahrens  nachzu- 
piiifen,  durch  welches  die  aufgezahlten  experimentellen  Fehlerquellen 
nach  Mogliehkeit  ausgeschlossen  erschienen.  Aus  dieser  Erwagung 
ergaben  sich  folgende  Forderungen. 

Zunachst  gait  es,  alle  auBeren  Storungen  abzuhalten,  soweit  dies 
in  meiner  Macht  lag.  Nicht  nur  musste  der  zu  verwendende  Apparat 
gerauschlos  arbeiten,  sondem  auch  der  Reiz  aus  der  Feme  ausgelost 
werden,  sodass  alle  Storungen  wegfielen,  welche  aus  dem  Aufenthalte 
des  Experimentators  im  Versuchszimmer  erwuchsen.  Sodann  kam  es 
darauf  an,  die  inneren  Storungen  nach  Mogliehkeit  auszuschliefien. 
Dadurch,  dass  die  Versuchsperson  nie  etwas  dartiber  erfuhr,  ob  in 
der  f olgenden  Nacht  tiberhaupt  experimentirt  werden  wUrde,  geschweige 
denn,  wann,  —  dass  femer  liber  die  Versuche  bis  auf  das  Allemoth- 
wendigste  tiberhaupt  nicht  gesprochen  wurde,  dass  weiter  der  am 
Bette  stehende  Apparat  durch  einen  Vorhang  in  seiner  besonderen 
Zuriistung  zur  Nacht  dem  Auge  der  Versuchsperson  entzogen  blieb, 
sollte  dieser  ihre  Unbefangenheit  gewahrt  werden.  Endlich  hatte  ich 
den  bei  alien  psychophysischen  Untersuchungen  auftretenden  Einfluss 
der  Uebung  und  Gewohnung  zu  beriicksichtigen.  WeiB  die  Versuchs- 
person, wann  der  Reiz  einwirken  wird,  so  wird  sie  in  der  ersten  Zeit 
leichter  aufwachen,  in  der  spateren  jedoch,  wo  sie  sich  eben  an  die 
Reize  gewohnt  hat,  gar  nicht  mehr.  Zur  Vermeidung  dieser  Ein- 
fliisse  wurde  in  zwei  aufeinanderfolgenden  Nachten  niemals  um  die- 
selbe  Zeit  experimentirt;  sodann  verstrichen  ofters  eine  oder  mehrere 
Nachte,  wo  die  Versuche  unterblieben,  und  endhch  erstreckte  sich 
die  Ajistellung  der  Untersuchungen  iiber  langere  Zeitraume  hinaus, 
selbst  bis  zu  mehreren  Monaten.  Da  jedes  Erwecken  meistens,  in 
den  Vorversuchen  fast  immer,  durch  fortschreitende  Steigerung  der 
Reize  herbeigefiihrt  wurde,  die  noch  nicht  zum  Erwachen  fUhrenden 
Reize  nach  Kohlschiitter's  Beobachtungen  aber  schon  eine  Ver- 
anderung  der  Schlaftiefe  herbeizufuhren  vermogen,  so  musste  schlieB- 
lich  noch  verhiitet  werden,  dass  durch  die  Versuche  selbst  fehlerhafte 
Beobachtungen  zu  Stande  kamen.    Die  Weckreize  sollten  daher  nicht 


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UntersachnDgen  fiber  die  Tiefe  des  Schlafes.  89 

rasch,  sondem  in  groBeren  Zwischenraumen  bis  zum  Erwachen  auf- 
einanderfolgen,  und  dieses  selbst  nur  einmal,  hochstens  zweimal  in 
einer  Nacht  experimentell  erzwungen  werden. 

Wie  die  friiheren  Beobachter  verwandte  auch  ich  Schallreize  zum 
Wecken  des  Schlafers.  Indem  ich  mich  bemiihte,  festzustellen,  eine 
wie  groBe  Schallstarke  nothig  sei,  um  zu  bestimmter  Zeit  das  Be- 
wusstsein  des  Schlafers  gerade  auf  die  Schwelle  zwischen  Schlafen 
und  Wachen  zu  heben,  gewann  ich  ein  MaB  fiir  die  Tiefe,  bis  zu 
welcher  jenes  unter  die  Schwelle  gesunken  war.  In  Analogic  mit 
den  VerhaJtnissen  des  wachen  Seelenlebens  sei  es  gestattet,  diejenige 
Beizstarke,  welche  gerade  geniigt,  um  die  Bewusstseinshelligkeit  bis 
auf  die  Stufe  zwischen  Schlaf  und  Wachen  zu  bringen,  als  die  Weck- 
schwelle  zu  bezeichnen.  Je  groBer  die  Weckschwelle  in  einem  be- 
stimmten  Abschnitte  des  Schlafes  gefunden  wird,  um  so  groBer  ist 
demnach  die  Schlaftiefe  wahrend  derselben  und  umgekehrt. 

-Zur  praktischen  Bestimmung  der  Weckschwelle  ist  es  natiirlich 
von  Wichtigkeit,  fiir  das  Aufwachen  ein  genaues  Kennzeichen  zu 
haben.  Durch  die  Schallreize  erzeugte  Aenderungen  im  Athmungs- 
typus  oder  in  der  Lage  der  GUeder  des  Schlafers,  auf  deren  directe 
Beobachtung  ich  verzichtet  hatte,  konnten  mir  nicht,  wie  Kohl- 
^schiitter,  als  maBgebend  erscheinen;  vielmehr  musste  ich  ein  wirk- 
liches  Erwachen  nur  dann  annehmen,  wenn  der  Schlafer  ein  verab- 
redetes,  die  voile  TJeberlegung  voraussetzendes  Zeichen  geben  konnte. 
Als  solches  Zeichen  war  fiir  meine  Versuchspersonen  ein  zweimaUges 
Glockensignal  zum  Untersucher  hin  festgesetzt  worden.  Um  dies  zu 
geben,  hatte  der  Schlafer  zweimal  auf  den  Contactknopf  einer  elek- 
trischen  Glockenleitung  zu  driicken,  welcher  iiber  dem  Bette  derart 
angebracht  war,  dass  die  Versuchsperson  sich  aufrichten  musste,  um 
an  jenen  zu  gelangen.  Die  weitere  Entfemung  des  Knopfes  sollte  ver- 
hindem,  dass  die  Reaction  bei  mangelhaftem  Wachbewusstsein  erfolgte. 
Als  weitere  Zeichen  waren  noch  verabredet:  einmaliges  Klingeln  fiir 
den  Fall  des  Wachseins  zur  Zeit  der  Einwirkung  des  Schallreizes; 
dreimaliges  Klingeln  fiir  den  Fall,  dass  das  Erwachen  nicht  allein 
durch  den  Weckreiz,  sondem  durch  irgendwelche  gleichzeitig  ein- 
wirkende  Nebeugerausche  zu  Stande  kam. 

Bei  der  Festsetzung  der  Weckschwelle  fiir  jede  Viertelstunde 
der  Schlafdauer  verfuhr  ich  in  der  Weise,   dass  ich  in  mogUchster 


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90  Edoard  Miehelson* 

Abstufung  der  Reize  fur  jeden  Zeitpunkt  den  starksten  Schallwerth, 
der  nicht  mehr  weckte  —  kurz  als  »Unterwerth«  zu  bezeichnen  — 
soMrie  den  schwachsten  Schallwerth,  der  gerade  noch  weckte,  den 
»Oberwerth«,  zu  finden  bestrebt  war.  Zwischen  diesem  Ober-  und 
Unterwerthe  musste  die  Weckschwelle  liegen.  Aus  praktischen  Riick- 
sichten  schien  es  erlaubt,  in  dem  arithmetischen  Mittel  beider  Werthe, 
in  dem  » Mittel  werthe «,  den  Ausdruck  der  jeweiligen  Schlaftiefe  zu 
erblicken,  die  Weckschwelle  mithin  dem  Mittelwerthe  gleichzusetzen, 
wobei  nur  hervorgehoben  werden  muss,  dass  die  Weckschwelle  wie 
alle  Reizschwellen  nicht  einen  Punkt,  sondem  eine  Strecke  darstellt, 
demnach  alle  Weckschwellenwerthe  auch  nur  Annaherungswerthe 
sein  konnen. 

Die  ganze  Versuchsanordnung  gestaltete  sich  folgendermaBen. 
Als  Versuchsraum  diente  das  Schlafzimmer  der  einen  Assistenten- 
wohnung.  Im  Schlafzimmer  der  anderen  befand  sich  der  Experi- 
mentator.  Beide  durch  einen  breiten  Corridor  getrennte  Schlaf- 
zinmier  standen  vermittelst  einer  mehrfachen  elektrischen  Leitung  in 
Verbindung,  derart,  dass  einerseits  der  Untersucher  von  seinem  Zimmer 
aus  den  zur  Schallerzeugung  dienenden  Apparat  in  Thatigkeit  setzen, 
andererseits  die  Versuchsperson  von  ihrem  Bette  aus  zum  Zimmer 
des  Beobachters  klingeln  konnte. 

Am  Kopfende  des  Bettes  der  Versuchsperson  fand  der  Fall- 
apparat,  welcher  die  Schallreize  zu  liefem  bestimmt  war,  seine  Auf- 
stellung.  Auf  einer  holzemen,  unter  einem  Winkel  von  1 0®  geneigten 
Grundplatte  lag  parallel  derselben  auf  Tuchpolsterchen,  die  die 
Schwingungsfahigkeit  erhalten  sollten,  das  Schallbrett  aus  festem 
Eichenholz,  25  cm  im  Quadrat,  3,5  cm  dick.  Am  Herabgleiten  auf 
der  schiefen  Ebene  hinderten  ebenfalls  TuchroUchen.  Die  geneigte 
Lage  des  Schallbrettes  war  erforderlich,  damit  die  Kugeln  nach  dem 
Aufschlag  keine  NebengerSusche  verursachten  und  in  den  dicht  her- 
angeschobenen,  zum  Schallbrett  hin  offenen,  dick  mit  Watte  ausge- 
polsterten  Auffangekasten  zuriickgeschleudert  wtirden.  Die  Entfemung 
der  Mitte  des  Schallbrettes  von  der  Mitte  des  Kopfkissens  der  Ver- 
suchsperson betrug  1  Meter. 

Die  Kugeln,  aus  hartem  Messing,  genau  rund  gedrechselt,  waren 
anfangs  in  einem  Satz  von  acht  StUck  vorhanden.     Sie  wogen 


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UntersuchuDgeD  Qber  die  Tiefe  des  Schlafes.  91 

5  Gramm,  genau  4,996  Gramm 

to  >  >  9,998 

15  »  »  14,995 

20  >  >  19,996 

25  »  V  24,994 

30  >  >  29,997 

35  -  >  35,005 

40  >  >  40,006 

Selir  bald  ergab  sicb  jedoch,  dass  40  g,  von  der  Hohe  2,75  m 
fallend,  nicht  immer  hinreichten,  um  das  Erwachen  herbeizufuhren. 
Es  wurden  daher  6  schwerere  Kugeln  hinzugenommen  von  folgendem 
Gewichte : 

50  Gramm,  genau  49,978  Gramm 

60         >  >       60,015 

70         >  =.       69,975 

80         >  >       79,997 

90         »  >       89,954 

100         >  »     100,002 

Der  Apparat,  in  welchen  diese  14  Kugeln  eingefiigt  werden 
konnten,  um  durch  elektrische  Auslosung  zum  Fallen  gebracht  zu 
werden,  bestand  im  wesentlichen  aus  zwei  glatten,  leicht  aufeinander 
schleifenden  Holzscheiben,  deren  obere  in  zwei  concentrischen  Kreisen 
Locher  von  der  genauen  GroBe  der  beniltzten  Kugeln  trug,  wahrend 
die  untere  nur  an  je  einer  Stelle  jedes  Kreises  derartig  durchbohrt  war, 
dass  gerade  noch  die  groBte  Kugel  der  betreffenden  Gruppe  hindurch- 
fallen  konnte.  Wurde  demnach  die  obere  Scheibe  um  ihre  Achse  ge- 
dreht,  so  mussten  nacheinander  alle  bei  dieser  Bewegung  mitge- 
ncHnmenen  Kugeln  mit  einem  der  Locher  in  der  unteren  Scheibe  zur 
Deckung  kommen  und  dann  herunterfallen.  Dieses  Fallen  konnte 
je  nach  Bedarf  durch  kleine  Verschlussklappen  an  den  unteren 
Lochem  verhindert  werden.  Die  bei  woitem  schwierigste  Aufgabe 
war  es,  die  Drehbewegung  der  oberen  Platte  elektrisch  gerauschlos 
derart  auszulosen,  dass  beim  SchlieBen  eines  Stromes  immer  nur  eine 
einzige  Kugel  fiel.  Als  Triebkraft  diente  ein  Gewicht  an  einem 
Faden,  der  um  den  Umkreis  der  oberen  Scheibe  herumlief;  durch 
seinen  Zug  wurde  die  Drehbewegung  bewirkt.     Um    aber  die  sehr 


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92  Eduard  Miehelsoo. 

rasche  Bewegung  zu  verlangsamen,  wurde  nicht  nur  eine  Schleiffeder 
am  Rande  der  Scheibe  angebracht,  sondem  auch  Windfliigel  aufge- 
setzt  und  endlich  ein  Flaschenzug  eingeschoben.  Die  Auslosung  und 
Unterbrechung  der  Bewegung  geschah  durch  ein  Zahnrad,  gegcn 
dessen  Zahne  sich  ein  Hebel  stemmte,  der  seincrseits  wieder  den 
Anker  eines  Elektromagneten  bildete.  Sobald  der  Strom  geschlossen 
wurde,  gab  der  Hebel  den  Zahn  frei,  so  dass  die  Last  des  Gewichtes 
langsam  die  Drehung  der  Scheibe  einleiten  konnte.  Wurde  der 
Strom  rasch  wieder  geoffnet,  so  konnte  inzwischen  nur  ein  Zahn  an 
ihm  vorbeigehen,  wahrend  der  nachste  schon  wieder  festgehalten 
wurde.  Da  jeder  Zahn  einem  Kugelsector  der  Drehscheibe  entsprach, 
bewegte  sich  unter  diesen  Umstanden  die  obere  Scheibe  bei  jedem 
kurzen  Stromschlusse  gerade  so  weit,  dass  eine  neue  Kugel  mit  dem 
Loche  in  der  unteren  Scheibe  zur  Deckung  kam  und  auf  das  Fall- 
brett  herunterfiel.  Allein  alle  diese  Vorrichtungen,  die  Windfliigel, 
das  Anziehen  des  Ankers,  die  Hemmung  des  Zahnrades  durch  den 
Hebel,  verursachten  ziemlich  starke  Gerausche,  zu  deren  fieseitigung 
^^ahllose,  viele  Monate  dauemde  Versuche  angestellt  wurden.  Alle 
Fedem,  Gummiplatten,  Polsterungen,  alles  Einpacken  des  ganzen 
Apparates  in  Watteumhiillungen  erwies  sich  als  ganzlich  nutzlos,  bis 
endlich  der  Ausweg  gefunden  wurde,  die  Drehscheibe  von  dem  Aus- 
losungsapparate  ganzUch  zu  trennen  imd  diesen  letzteren  in  einem 
benachbarten  Baume,  auch  hier  noch  gut  umschlossen,  unterzubringen. 
Die  Verbindung  wurde  durch  eine  iiber  Rollen  geleitete  Schnur  her- 
gestellt,  welche  einerseits  unter  dem  Zuge  des  Gewichtes  durch  die 
Bewegungen  des  Zahnrades  aufgewickelt  wurde,  andererseits  dabei 
eine  vollig  gerauschlose  Drehung  der  oberen  Scheibe  vermittelte »). 

Um  meinen  Versuchen  eine  weitere  Ausdehnung  zu  geben, 
dachte  ich  urspriinglich  daran,  noch  auf  ein  anderes  Sinnesgebiet 
Weckreize  einwirken  zu  lassen,  und  wahlte  hierzu  Schmerz  erzeugende 
Inductionsschlage,  eine  MogUchkeit,  auf  welche  bereits  Monninghoff 
und  Piesbergen  hingewiesen  batten.  Meine  Versuchsanordnung  dabei 
war  folgende:  Um  den  Oberarm  der  einen  Seite  schnallte  sich  die 
Versuchsperson  eine  groBe  Elektrodenplatte  in  Form  einer  Spange; 


1)  Eine  genauere  Beschreibung  dea  Apparates  mit  Abbildung  findet  sich  in 
der  Dissertation  selbst. 


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Untersaehungeo  Qber  die  Tiefe  des  Scblafes.  93 

am  Handgelenk  der  anderen  Seite  wurde  eine  kleine,  nach  dem  Modell 
der  Erb'schen  Elektrode  fiir  faradocutane  Sensibilitatspriifung  coii- 
struirte  Metallplatte  befestigt.  Von  den  Elektroden  liefen  vollig 
biegsame  Leitungsschniire,  welche  derart  angelegt  wurden,  dass  sie 
den  Schlafer  durchaus  nicht  in  der  freien  Bewegung  hinderten,  zu 
dem  Inductionsapparate ,  von  dem  durch  besondere  Vorrichtungen 
nur  der  OefEnungsschlag  eines  von  zwei  groBen  Leelanch^elementen 
gelieferten  Stromes  abgeleitet  werden  konnte.  Sehr  bald  stellte  es 
sich  indessen  heraus,  dass  die  starkeren  Reize  den  Schlafer  weniger 
durch  die  Schmerzempfindung,  als  durch  die  heftigen  Muskelzuckungen 
erweckten,  in  welche  sie  seine  Anne  versetzten.  Dieser  storende  Um- 
stand  vereitelte  eine  zahlenmaBige  Bestimmung  der  Beziehung  zwischen 
BeizgroBe  und  Schlaftiefe,  so  dass  ich  von  der  weiteren  Anwendung 
des  elektrischen  Reizes  Abstand  nehmen  mftsste. 

GemaB  dem  Versuchsplane  wiu*de  nun,  wie  folgt,  vorgegangen. 
Ohne  Wissen  der  Versuchsperson  wurde  der  Apparat  in  Bereitschaft 
gesetzt.  Jene  legte  sich  abends  wie  gewohnlich  zu  Bette  und  driickte, 
wenn  sie  das  Licht  loschte,  einmal  auf  ihren  Contactknopf,  hiermit 
dem  Experimentator  anzeigend,  dass  sie  sich  endgiiltig  zum  Einschlafen 
anschickte.  Zur  Gewinnung  einer  vorlaufigen  Anschauung  iiber  die 
etwaigen  Weckreize  wurden  in  den  ersten  Nachten  um  den  ge- 
wiinschten  Zeitpunkt,  falls  nicht  die  erste  Kugel  schon  weckte,  alle 
fiinf  Minuten  immer  schwerer  werdende  Kugeln  von  der  fiir  eine 
Kacht  fest  eingestellten  Hohe  bis  zum  Erwachen  fallen  gelassen. 
Wurde  die  Versuchsperson  erweckt,  so  hatte  sie  laut  Verabredung 
ein  zweimaliges  Klingelzeichen  zu  geben.  Nach  dem  Erwecken  konnte 
die  Versuchsperson  ein  bis  zwei  Stunden  ruhig  weiterschlafen,  worauf 
das  Experiment  wiederholt  wurde. 

Waren  auf  diese  Weise  vorlaufige  Anhaltspunkte  fiir  die  zu  ver- 
scbiedenen  Zeiten  nothwendige  Starke  der  Weckreize  gefunden  worden, 
so  gait  es  jetzt,  fiir  jeden  einzelnen  Zeitpunkt  die  Weckschwelle  an- 
nahemd  genau  herauszuarbeiten.  Zur  Feststellung  der  Weckschwellen- 
werthe  wurde  in  einer  Versuchsnacht  nur  einmal,  hochstens  zweimal, 
und  dann  mit  Einschiebung  einer  langeren  Pause,  experimentirt ;  auch 
wirkten  die  einzelnen  Weckreize,  falls  eine  Steigerung  derselben 
iiberhaupt  nothig  war,  in  Zwischenrauraen  von  je  einer  Viertel- 
stunde  ein. 


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94  Edoard  Miehelson. 

An  jedem  Morgen  wahrend  der  ganzen  Versuchszeit,  auch  wenn 
in  der  Nacht  vorher  nicht  experimentirt  worden  war,  wurden  die 
Versuchspersonen  wie  gelegentlich  iiber  die  vorhergehende  Nacht  be- 
fragt  und  etwaige  Bemerkungen  in  das  Versuchsprotokoll  eingetragen. 

Die  Tiefe  des  Schlafes  soUte  fiir  jede  Viertelstunde  seiner  Dauer 
bestimmt  werden,  wobei  als  Ausgangspunkt  das  von  der  Versuchs- 
person  vor  dem  Einschlafen  allabendlich  gegebene  B^lingelzeichen  an- 
genommen  wurde  Zwar  fiel  dieses  nicht  unmittelbar  mit  dem  Ein- 
schlafen zusammen,  jedoch  gaben  alle  Versuchspersonen  an,  zum 
Einschlafen  auBerst  wenig  Zeit  zu  gebrauchen,  ein  bis  zwei  bis 
hochstens  ftinf  Minuten.  Die  Vemachlassigung  der  Verrtickung  des 
Anfangszeitpunktes  bedeutete  somit  hier,  wo  es  sich  um  viertelstiin- 
dige  Zeitraume  handelte,  keinen  zu  groBen  Fehler.  Selbstverstandlich 
wurden  Falle,  in  denen  d&s  Einschlafen  nach  Angabe  der  Versuchs- 
person  am  nachsten  Morgen  langere  Zeit  in  Anspruch  genommen 
hatte,  besonders  notirt  und  die  Zeitverschiebung  in  Riicksicht  gezogen. 

Die  Starke  der  Schallreize  wurde  einfach  gleichgesetzt  dem  Pro- 
duct von  Hohe  und  Gewicht  {p  X  A),  die  lebendige  Kraft  der  fallenden 
Kugel  also  in  Grammcentimetem  ausgedriickt.  Bei  den  noch  be- 
stehenden  Controversen^)  iiber  ein  allgemeingultiges  SchallstarkemaB 
erschien  es  mir  tiberflussig,  in  die  Berechnung  einen  Exponenten 
einzufUhren,  welcher  den  Verlust  ausdriickt,  den  der  Schall  durch 
die  auf  Bruchtheile  sich  beschrankende  Umwandlung  der  lebendigen 
Kraft  in  Deformation  der  Kugel,  Warme  und  RUckstoB  erleidet. 
Die  im  ziemlich  kleinen  Versuchszimmer  waltenden  Interferenz-  und 
Resonanzverhaltnisse  batten  eine  so  feine  Berechnung  werthlos  ge- 
macht;  ich  konnte  darauf  um  so  eher  verzichten,  weil  es  mir  weniger 
auf  die  Feststellung  der  absoluten,  als  der  relativen  Schlaftiefe,  d.  h. 
des  Verlaufes  der  Schlaftiefe  ankam.  Die  Entfemung  des  Kopfes 
von  der  Schallquelle  wurde  bis  auf  zu  vemachlassigende  geringe 
Aenderungen  als  gleichbleibend  angesehen  und  daher  bei  der  Berech- 
nung nicht  beriicksichtigt.    Die  Mittelwerthe  sind  zur  leichteren  Ver- 


1]  Wundt,  PhiloB.  Studien:  £.  Tischer,  Debet  die  Untertcheidung  von 
Schallftftrken.  Bd.  I,  S.  198  und  543.  P.  Starke,  Die  Messung  der  SchallBt&r- 
ken.  Bd.  lU,  8.264.  Derselbe,  Zum  Ma6  der  Schallst&rke.  Bd.  V,  S.  157. 
J.  Merkel,  Das  psychophysische  Orundgesetz  in  Bezug  auf  Schallst&rken.  Bd.  IV, 
S.  117  und  251. 


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UnterauchuDgen  fiber  die  Tiefe  des  Schlafes. 


95 


anschaulichung  graphisch  in  Curven  dargestellt  in  einem  Coordinaten- 
sjstem,  dessen  Abscissenachse  die  Zeit  in  Viertelstunden  tragt,  dessen 
Ordinaten  die  Mittelwerthe  in  Grammcentimetem  darstellen.  An 
Zeitpunkten,  wo  ein  Mittelwerth  nicht  gefunden  werden  konnte,  wurde 
er  interpolirt,  soweit  es  der  Gang  der  Curve  erlaubte.  In  sehr  vielen 
Versuchen  gelang  es,  die  Differenz  zwischen  dem  Ober-  und  Unter- 
werthe  auf  1000  und  weniger  Grammcentimeter  einzuengen,  in  einigen 
sogar  auf  Null  herabzusetzen;  ich  hatte  also  in  letzterem  Falle  mit 
beiden  Werthen  im  Gebiet  der  Weckschwelle  experimentirt.  Die 
Verlegung  des  Mittelwerthes  auf  500  grcm  unter  resp.  iiber  den 
gefundenen  Schallwerth  durfte  somit  bei  dem  erwahnten  Interpola- 
tionsverfahren  keinen  zu  groBen  Fehler  in  sich  schlieBen. 

Als  Versuchspersonen  dienten  meine  CoUegen  im  Amte,  Herr 
Dr.  med.  H.  Dehio  (H.  D.),  Herr  Drd.  med.  L.  D.,  Herr  Drd. 
med.  A.  B.  (B.),  sowie  ich  selbst  (M.).  An  mir  zu  experimentiren, 
hatten  die  beiden  erstgenannten  Herren  die  Liebenswurdigkeit.  Als 
fiir  diese  Uutersuchungen  geeignet  konnten  nur  sie  gelten,  weil  sie 
G^legenheit  boten,  langere  Zeit  hindurch  an  sich  Versuche  anstellen 
zu  lassen.  Alle  waren  kraftige,  gesunde  Leute  im  Alter  von  23 — 29 
Jahren.  Jede  Abweichung  von  der  gewohnten  Lebensweise  wurde 
im  VersuchsprotokoUe  vermerkt  und  bei  der  Zusammenstellung  der 
Werthe  beriicksichtigt.  Ausgefuhrt  wurden  die  Versuche  im  Laufe 
der  Jahre  1888,  1889,  1890  mit  langeren  Unterbrechungen. 

Die  in  den  Curven  wiedergegebenen  Werthe  wurden  in  nach- 
stehender  Zeit  und  aus  folgendem  Material  gefunden: 


Zeit  der  Versuche 

Zahl  der 
berw.  -tage 

ZahlderEinzel- 
beobachtungen 

H.  D.  I  1888,  M&ra-Juli    .... 
H.  D.  II  1889,  October-November . 

L.  D.  1889,  April-Mai 

B.  I  1888,  August-September     .    . 

B.  n  1890,  December 

M.  I  1890,  Juli-October    ..... 

M.  n  1888,  October 

M.  nia  1888,  Mfirz 

M.  Illb  1888,  Juni 

42 
12 
24 
27 

4 
71 
15 
13 

3 

126 
32 
51 
58 
30 

127 
23 
99 
34 

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96 


Eduard  Michelson. 


n.  Allgemeine  Ergebnisse. 

Die  fur  die  einzelnen  Versuchspersonen  gefundenen  Schallstarken 
sind,    berechnet    in    Grammcentimetem,    in    nachfolgender    Tabelle 

Tabelle  L 


0.= 

=  Oberwerthe. 

U.  = 

=  Unterwerthe.  M.  = 

Mittelwerthe. 

M.  I 

L.  D. 

H.  D. 

I 
M. 

B.  I 

Zeit  Dach 
dem  £in- 
Bchlafen 

0. 

U. 

M. 

0. 

U. 

M. 

1 
0. 

U. 

0.  u.  :  M. 

15m. 

1000 

1000 

30  m. 

12000 

10000 

11000 

7875 

2000 

4938 

875 

2000 

1000  1500 

45  m. 

20000 

4950 

3960 

4455 

3000 

2000  2500 

Ih. 

20000 

18000 

19000 

25000 

7000 

5000 

4000  4500 

Ih.  15m. 

20000 

18000 

19000 

20000 

8400 

4000 

40004000 

lh.30m. 

10000 

8000 

9000 

12000 

9800 

5000 

Ih.  45m. 

6000 

3000 

4500 

10000 

6000 

8000 

11200  10500 

10850 

5000 

1 

2h. 

4000 

10000 

7000 

8500 

10000 

5000 

4000,4500 

2h.  15  m. 

6000 

6000 

4000 

2h.  30  m. 

5000 

5000 

5000 

7000 

7000 

8000 

2h.  45m. 

3000 

2000 

2500 

5000 

8000 

1 
1 

3h.      ; 

5000 

8400 

7000 

7700 1'8000'7000 

7500 

3h.l5m.i  2000 

2000 

2000 

|5000| 

3h.30m.l  8000 

2250 

5125 

6000 

5940 

4950 

5445 

7000 

( 

3h.45m.!l 

4500 

3960 

2970 

3465 

1 

4h.     !  4000!  3000;  3500 

5000 

1980 

3000  2000 

2500 

4h.  15m.'  1000 

3960 

5000 

4h.  30  m.  1  1000 

1000 

1000 

6930 

5940 

6435 

4000 

3000 

350U 

4h.45m.,;  2000 

2000 

2000 

5000 

1 

5h.    ; 

2000 

2970 

4000,3000 

3500 

5h.  15m.  ! 

3960 

40001 

5h.  30  m.  2000 

1000 

1500 

4950 

1 

5h.45m.  ;  1000 

2625 

\ 

6h.     1  1000 

1 

2000 

1    4000 

6h.  15m.'  2000     \ 

3000 

1750 

875 

1318  5000  3000 

4000 

6h.  30m.||  1000, 

1   ; 

6h.  45m.|     1 

3000 

'i     - 

• 

7h.     i  1000 

2000 

i:    . 

Th.  15m. 

2000 

II  ' 

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UutersochungeB  Ab«r  He  Tieb  des  Scblafes, 


97 


angeordnet.  AuBer  den  Mittelwerthen,  weldie  nicht  ftir  alle  ZeUr 
pankte  gewoimen  werden  kofinien^  sind  auch  die  Ober"  mid  Unter- 
werthe  hineitigezogen  worden,  weil  sie  beim  Fehlen  de»  Mittehrerthes 
sehr  wohl  ein  Bild  von  dem  Gange  der  Curre  geben. 

Ueberblicken  wir  die  diesen  Zahlen  entsprechenden  Curren,  so 
SUt  zonachst  ins  Augc,  dass  M.  I  (Kg.  1)  md  L,  D.  (Pig.  2^  S.  102) 
eine    sehr   groBe   Aehnlichkeit 

mit  einander  haben,   wakrend  Fig.  J. 

H.  D.  I  (Fig.  3,  S.  103)  und 
B.  I  (Mg.  4,  8.  104)  grSBene 
Abw^hiiHgen  darbieten.  Als 
Auegangspxmkt  ftr  die  Be- 
trachtimg  der  einzelnen  Ab- 
scfanitte  des  ScUafes  wahle 
ich  die  Crave  M.  ly  weil  bei 
ihr  die  meisten  Versuchsnachte 
und  Beobftchtiingswerthe  vor- 
liegen.  Verf olgen  wir  den  Ghmg 
der  Curve:  Bis  znr  ersten  Vier- 
telfltunde  verlauft  sie  ganz 
niedrig,  steigt  aber  wahrend 
der  folgenden  balben  Stimde 
steil  an  und  erreicht  so  nach 
^/4  SchlaiiAmiden  ihire  H5he. 
Mit  einer  anfiusgUdien  Senkvng 
veiiiarrt  sie  eine  balbe  Slunde 
lang  auf  jenem^  vm  dantn 
ebenso  steil  abzafaUen  and  am 
Schlusse  der  2.  Stuftde  m  etvas  SduidM o' 
langmoaerem  Zestmaft  ihr  crste» 

Misimfam  am  erreidien.  Vou'  diesem  Zei^ponkte  an  voUfUfart  sie 
4,  im  Yergleick  mit  der  ersiev  geringgradige  Erhebungen  tmd  ver- 
iaoft  von  %  Yiertei  der  7.  Stunde  an  gans  gleichmaBig  niedrig. 

Die  4  Sdiwankongen  lassen  eine  ge^sse  Gesetzultfigkeit  er-^ 
kemien  —  die  Neigung  der  Curre^  za  smkem.  Der  Qipielpiinkt  jeder 
folgenden  Sehwatikiiiiig  liegt  niedrfger^  als  derjenige  der  vorliergefaei^ 
deSy  ebenso  der  FuSpcmkt  jedes  Abetieges,  mit  der  geringfttgigen 

Eraepelin,  Piycbolof.  Arbeiten.  II.  7 


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98  Cduard  Miebelson. 

Ausnahme  der  beiden  letzten,  was  wohl  nur  auf  die  fiir  diese  letzte 
Zeit  in  imgeniigender  Zahl  vorhandenen  Schallwerthe  zuriickzufuhren 
ist.  Der  Anstieg  ist  in  den  ersten  beiden  Schwankungen  steil,  in  den 
zwei  letzten  flacher,  der  Abfall  in  alien  flach.  Die  Dauer  wechselt 
zwischen  Yj  und  l^/j  Stunden  und  zeigt  in  der  Aufeinanderfolge 
keine  RegelmaBigkeit,  indem  die  letzte  Schwankung  die  kiirzeste  ist, 
die  vorletzte  am  langsten  sich  ausdehnt. 

Diese  Curve  entspricht  im  groBen  und  ganzen  unseren  subjec- 
tiven  Erf ahrungen  und  dem,  was  wir  von  vom  herein  erwarten  soUten. 
Beim  Einschlafen  iiberfallt  uns  anfangs  eine  gewisse  Zeit  lang  ein 
leichter  Dammerzustand  unseres  Bewusstseins,  bis  dieses  plotzlich 
schwindet.  Aehnliches  finden  wir  beim  hypnotischen  Schlaf,  wenn- 
gleich  mit  personlichen  Verschiedenheiten.  In  der  Hypnose  herrscht 
anfangs  auch  nur  ein  leichter  Schlaf,  eine  Benommenheit,  und  dann 
erst  tritt  ziemlich  plotzlich  tiefe  Bewusstlosigkeit  ein.  Zwar  gelingt 
es  in  vielen  Fallen,  durch  Uebung  immer  mehr  ein  sofortiges  Ein- 
schlafen herbeizufiihren,  doch  giebt  es  genug  Personen,  welche  viel- 
leicht  durch  einen  langer  dauemden  Zustand  von  Hypotaxie,\  die  der 
ersten  Viertelstunde  unserer  Curve  entsprechen  wurde,  ganz  allmahlich 
in  die  tiefe  Hypnose  verfallen.  Es  ware  denkbar,  dass  eben  auch 
in  der  Hypnose  diejenigen  Individuen  am  leichtesten  einschlafen, 
welche  Uberhaupt  guten,  rasch  eintretenden  Schlaf  es  sich  erfreuen, 
und  imigekehrt. 

Sehr  auffallend  und  durch  die  subjective  Erfahrung  nicht  weiter 
controlirbar  ist  das  plotzliche  Versinken  in  den  tiefen  Schlaf.  Diesem 
raschen  Versinken  mtissen  in  der  Himrinde  offenbar  bestimmte  physio- 
logische  Vorgange  entsprechen,  welche  bei  dieser  verhaltnissmaBig 
plotzlichen  Umwalzimg  wohl  kaum  anders  als  vasomotorischer  Natur 
sein  konnen.  Pflichtet  man  der  allgemein  verbreiteten  Ansicht  bei, 
dass  es  sich  um  eine  relative  Anamie  des  Himes  im  Schlafe  handele, 
so  liegt  es  nahe,  in  diese  Zeit  die  rasche  Ausbildung  eines  solchen 
Zustandes  zu  versetzen.  Diese  Veranderungen  in  der  Himrinde,  die 
mit  einem  schnellen  Nachlassen  der  Erregungsvorgange  in  derselben 
Hand  in  Hand  gehen,  gleichen  sich  offenbar  im  weiteren  Verlaufe, 
wie  es  scheint,  zuerst  rasch,  spater  langsamer  wieder  aus.  Wir  wissen 
bestimmt,  dass  wesentliche  Veranderungen  in  Blutumlauf  und  Athmung 
wahrend  des  Schlafes  sich  vollziehen,  und  es  ware  in  hohem  Grade 


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V  Untersachnogeo  uber  die  Tiefe  des  Schlafes.  .  99 

interessant,  festzustellen,  wie  weit  sich  eine  Beziehung  der  Schlaf- 
curven  zu  diesen  Veranderungen  auffinden  lieBe. 

Von  der  raschen  Abnahme  der  Schlaftiefe  wissen  wir  durch 
unsere  subjective  Erfahrung  gar  nichts,  well  sich  eben  diese  ganze 
Periode  des  Schlafes  mehr  oder  weniger  tief  unter  der  Schwelle 
imseres  Bewusstseins  abspielt.  Erst  in  den  letzten  Abschnitten  des 
Schlafes  erinnem  wir  nns  bekanntermaBen  nachtraglich,  gelegentlich 
getraumt  zu  haben,  sodass  also  hier  wenigstens  schon  wieder  psychische 
Vorgange  in  unserem  Innem  von  statten  gehen  konnen. 

£s  macht  nach  allem  diesem  fast  den  Eindruck,  als  ob  die  wesent- 
liche  Aufgabe  des  Schlafes  in  sehr  kurzer  Zeit  gelost  wiirde.  In  etwa 
IV4  Stunden  (gemessen  auf  der  Abscisse  vom  ersten  Minimum  nach 
vome  bis  zur  Kreuzung  mit  dem  Anstieg)  ist  der  tiefste  Schlaf  ab- 
gelaufen.  Dieser  Gang  der  Curve  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass 
die  Tiefe  des  Schlafes  fur  die  Erholung  wichtiger  ist,  als  die  Dauer 
desselben,  ein  Satz,  der  mit  gewissen  allgemeinen  Erfahrungen  recht 
wohl  im  Einklange  steht.  So  vermogen  die  Landleute  im  Sommer, 
femer  mit  Wachdienst  betraute  Leute  nach  einem  kurzdauemden 
Schlaf e  ganz  AuBerordentliches  zu  leisten,  wobei  allerdings  im  Laufe 
des  Tages  noch  eine  Schlafzeit  eingeschoben  wird.  So  wissen  wir^ 
dass  ein  bis  in  den  spaten  Morgen  f  ortgesetzter  Schlaf  uns  durchaus 
nicht  die  gewunschte  Erholung  bringt,  dass  wir  uns  nicht  selten  nach 
einem  etwa  2-stundigen  Schlafe  verhaltnissmaBig  erquickter  fiihlen, 
als  nach  eiiiem  6 — 8-stundigen,  Auch  die  landlaufige  Idee,  dass  der 
Schlaf  vor  Mittemacht  der  beste  sei,  steht  wohl  damit  in  Verbindung. 
Fiir  das  praktische  Leben  wiirde  hieraus  der  Schluss  folgen,  dass  es 
fur  die  Erholung  vortheilhafter  erscheint,  mehrmals  am  Tage  kurze 
Zeit  zu  schlafen,  als  dieselbe  Gesammtdauer  des  Schlafes  fortlauf end 
zu  erzielen.  Auch  fiir  die  Behandlung  von  Schlaflosigkeit,  von  er- 
schopften  Kranken  lassen  sich  aus  dieser  Thatsache  gewisse  Winke 
ableiten, 

Eine  sehr  merkwlirdige  Erscheinung  sind  die  immerhin  recht  regel- 
mafiigen  Schwankungen  in  den  letzten  Abschnitten  des  Schlafes. 
Dass  dieselben  nicht  auf  bloBen  Zufalligkeiten  beruhen,  sondem  wahr- 
scheinlich  mit  dem  Wesen  des  Schlafes  in  irgend  einer  inneren  Be- 
ziehung stehen,  wird  durch  den  Umstand  wahrscheinlich  gemacht,  dass 
wir  sie  einmal  bei  alien  Versuchspersonen  in  mehr  oder  weniger  aus- 


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100  Edutfd  Micbetson. 

geprHgter  Form  wiederkehren  sehen^  und  dass  femer  schon  von  den 
friiheren  Beobachtern  ahnliche  Wahmehmungen  gemacht  worden  sind. 
Eine  yoUkonimen  befriedigende  Erklaning  dieser  Erscheinimg  zu  geben, 
ist  im  AngenbHcke  wohl  kaum  moglich.  Yielleicht  ist  es  indessen 
gestattet,  bier  anznknupfen  an  eine  von  Kohlscbutter  gemacbte  Er- 
fahrungy  die  ich  selber  bestatigen  zn  konnen  in  der  Lage  war.  Scbon 
jener  Forscher  hat  namMch  darauf  bingewiesen,  dass  jeder  betracbt- 
lichen  Yerfladinng  der  Schlaftiefe  dorch  ILuBere  St(H*angen  sofort  eine 
erbeblicbe  Yertiefung  zu  folgen  pflegt.  Man  konnte  daber  zunacbst 
versncbt  sein,  die  hier  besprocbenen  Schwankungen  auf  anBere 
Stoningen  zurSckzufObren.  AHein  gegen  diese  Anffassung  spricbt 
der  Umstand,  dass  jene  Erscheinung  bei  den  frfiberen  Beobachtern, 
bei  welchen  ohne  Zweifel  gerade  die  auBeren  Stdmngen  weit  stai^^ 
nnd  zabbeicba*  gewesen  sind,  als  bei  meinen  Versucben,  trotzd«n  riel 
schwacber  und  weniger  eigenartig  s^edeutet  ist,  als  bier. 

Nichtsdestowenig^  kann  uns  rielleicbt  die  erwahnte  Kobl- 
sch^tter^sche  Beobaditnng  nach  einer  andem  Bichtong  bin  einen 
Pingerae^  fftr  die  Erklaning  abgeben.  Offenbar  namlicfa  deutet  jene 
Erfabrung  darauf  bin,  dass  sieb  wabrend  des  Seblafes  in  unserem 
Innem  antagonistiscbe  Yorgange  abspielen,  Ton  denen  bald  der  eine, 
bald  der  andere  die  Ob^rfaand  gewinnt,  je  naeh  der  augenblicldicfaen 
inneren  und  auBeren  Constellation  d^  YerfaEltnisse.  Yon  diesen 
VorgSngen  fiberwiegt  in  der  letzten  Zeit  des  Seblafes  im  groBen  und 
^ainzen  diejenige  Gruppe,  wdche  zu  einer  f  (^rtschreitenden  Yerfiachung 
des  Seblafes  fShrt,  und  nur  zeitw^e  gewinnt  jene  andere  Klasse  von 
Vorgangen  die  Oberband,  welcbe  im  ersten  Absebnitte  des  Seblafes 
offenbar  bei  weitem  uberwiegt  und  eine  Abnabme  der  psycbojAysiscben 
Thatigkeit  berbeizufiibren  bestrebt  ist.  Es  Kegt  nabe,  diesen  Wider- 
streit  entgegengesetzter  Yorgange  in  eine  gewisse  Beziebung  zu  den- 
jenigen  Brfiibnmgen  zn  setzen,  die  wir  bei  der  Arbeit  des  wacfaen 
Lebens  zu  macben  Grelegenheit  baben.  Aucb  wabrend  des  Tages 
laulen  zwei  Terscbiedene  Arten  physiologisdier  Yorgange  in  unserm 
Organismus  immerwahrend  neben  einander  her,  diejenigen,  welche  zu 
einem  Yerbrauch,  und  diejenigen,  welcbe  zura  Wiederersatz  des  Er- 
nabrungsmaterials  in  unseren  Greweben  fuhren.  Je  nach  den  beson- 
deren  Umstand^i  uberwiegt  zeitweiKg  der  Yerbrauch  iiber  den  Brsatz 
und  umgekehrt.    Im  allgemwnen  jedoch  fOhrt  die  Lebensarbeit  unauf- 


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Untersucbungea  fiber  die  Tiefe  des  Scblafes.  101 

haltsam  zu  einer  Erschopfung  des  Kraftvorrathes  in  unserem  Korper, 
da  auf  die  Dauer  der  Ersatz  den  Verbrauch  nidit  zu  decken  ver- 
mag.  Nur  die  periodische  Wiederkehr  eines  Zustandes,  in  welchem 
umgekehrt  die  Emeuerung  der  Gewebe  vor  den  Zersetzungsvorgangen 
den  Vorrang  hat,  vermag  uns  vor  dem  Zusammenbruche  zu  bewahren. 
Denken  wir  nun  daran,  dass  nicht  nur  die  beiden  einander  entgegen- 
gesetzten  Zustande  im  Leben  unseres  Organismus,  das  Wachen  und 
der  Schlaf,  periodische  Functionen  sind,  sondem  dass  auch  die 
vegetativen  Vor^nge  in  unserem  Korper  uberhaupt,  die  CSrculation, 
die  Athmung,  die  Warmeregulirung,  die  Nahrungsaufnahme  u.  s.  w., 
eine  bemerkenswerthe  Periodicitat  erkennen  lassen,  so  erscheinen  da- 
mit  immerhin  die  hier  besprochenen  Schwankungen  in  der  Schlaftiefe 
unserem  Verstandnisse  einigermaBen  naher  geriickt,  wenn  sich  auch 
der  besondere  ursachliche  Zusammenhang  derselben  mit  korperlichen 
Vorgangen  zur  Zeit  noch  nicht  Ubersehen  lasst. 

Als  ein  erfreuliches  Ergebniss  meiner  Untersuchungen  sehe  ich 
es  an,  dass  dieselben  mit  den  Beobachtungen  der  fruheren  Forscher 
in  wesentlicher  Uebereinstimmung  sich  befinden.  Sowohl  der  rasche 
Anstieg  und  Abfall  der  Curve,  als  auch  die  Schwankungen  sind  von 
ihnen  festgestellt  worden,  wenngleich  sie  letztere  bei  ihrer  Erklarungs- 
weise  unberiicksichtigt  lieBen.  Leider  sind  meine  Schallstarkenwerthe 
mit  denen  Kohlschiitter's  wegen  der  andersartigen  Schallerzeugung 
gar  nicht  vergleichbar,  mit  denen  vonMonninghoff  undPiesbergen 
nur  bedingter  Weise,  da,  abgesehen  von  dem  verschiedenen  Material  der 
Kugeln  und  der  Schallplatte,  letztere  TJntersucher  ihre  Schallwerthe 
mit  einem  Exponenten  und  unter  Reduction  auf  die  Schwelle  der 
Schallempfindlichkeit  im  Wachen  berechneten. 


III.  PersSnliche  Yerscliiedenheiten. 

Die  Erfahrungen,  welche  Monninghoff  und  Piesbergen  hin- 
sichtlich  der  durchgreifenden  Verschiedenheit  ihrer  beiderseitigen 
Schlaf curven  gemacht  haben,  legen  die  Vermuthung  nahe,  dass  wir 
es  hier  mit  einem  Gebiete  zu  thun  haben,  auf  welchem  dem  Einflusse 
der  personlichen  Veranlagung  eine  nicht  unwesentliche  Bedeutung 
zugeschrieben  werden  muss.    Diese  Vermuthung  wird  in  vollem  MaBe 


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102 


Cduard  Micbelson. 


bestatigt   durch   den  Vergleich    derjenigen  Curven,    die  von  den  4 
verschiedenen  Versuchspersonen  gewonnen  wnrden. 

Curve  L.  D.  (Fig.  2)  stimmt  am  meisten  mit  Curve  M.  I  (Fig.  1 
S.  97)  uberein.     Auch  hier  sehen  wir  nach  dem  niedrigen  Verlanfe 

wahrend  der  ersten  Viertel- 
Fig.  2.  stunde  das  schnelle  An-  und 

Absteigen  der  Curve,  woran 
sich  die  ganz  allmahliche 
Senkung  derselben  schlieBt. 
Die  Abweichungen  von  M.  I. 
bestehen  darin,  dass  der 
Gipfel  eine  Viertelstunde 
spater  erreicht  wird,  dass 
er  hoher  liegt,  dass  femer 
der  schnelle  Abfall  nicht  so 
tief  erfolgt,  dass  endlich 
die  langsame  Senkung  sich 
unter  nur  schwach  ange- 
deuteten  Schwankungen  voll- 
zieht  und  die  Curve  zum 
Schluss  etwas  hoher  liber 
der  Abscisse  verlauft.  Da- 
bei  muss  ich  indessen  be- 
merken ,  dass  fiir  L.  D.  nur 
wenige  Mittelwerthe  vorlie- 
gen  und  die  meisten  Punkte 
Stundmd     1      ^     '3     '^     ^      '^     7  durch  Interpolation   gewon- 

nen sind. 
Einen  wesentlich  anderen  Eindruck  macht  die  Curve  H.  D.  I. 
(Fig.  3.)  Diese  Curve  steigt  viel  langsamer  an;  noch  nach  einer  hal- 
ben  Stunde  befindet  sie  sich  nahe  an  der  Abscissenachse,  erhebt 
sich  erst  dann  wahrend  der  zweiten  halben  Stunde  etwas  rascher, 
erreicht  von  hier  an  wieder  in  langsamerem  ZeitmaBe  nach  erst 
1^4  Schlafstunden  ihren  Gipfelpunkt,  welcher  bedeutend  niedriger 
liegt,  als  in  M.  I  und  L.  D.  Beim  Abfall  zeigt  die  Curve  nur  im 
Anfang    und    fiir    eine   kurze    Strecke    die    Neigung    zu   schnellem 


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Uutersuchuugea  flber  die  Tiefe  des  Schlafes. 


103 


Sinken;  vielmehr  verflacht  sie  sich  nur  ganz  langsam  unter  be- 
deutend  groBeren  Schwankungen,  als  in  den  beiden  friiheren  Curven- 

Curve    B.  I    schlieBlich  . 
(Fig.  4)  gestaltet  sich  ganz  ab-  Fi«-  3. 

weichend,  Sie  erreicht  in 
einem  schleppenden,  zogem- 
den  Anstiege  erst  nach  2Y2 
Stunden  ihren  noch  niedriger 
als  in  H.  D.  I  liegenden 
Gipfelpunkt.  Dabei  voUzieht 
sich  der  Anstieg  in  hochst 
merkwiirdiger  Weise.  Fiir  die 
erste  Viertelstunde  konnten 
keine  Werthe  gewonnen  wer- 
den;  wahrscheinlich  aber  war- 
den dieselben  einen  tieferen 
Stand  der  Curve  ergeben  ha- 
ben,  als  den  jetzt  interpolir- 
ten.  NacheinerhalbenStunde 
befindet  sich  die  Curve  bereits 
hoher,  aJs  H.  D.  I  zu  dersel- 
ben  Zeit,  und  verlauft  bis 
zum  Schluss  der  ersten  Stunde 
gleichmaBig  langsam  auf  warts 
"Wahrend  der  ganzen  2.  Schlaf-  Stwtdm  (T 
stunde  erfolgt  nun  kein  wei- 

teres  Ansteigen;  voriibergehend  tritt  sogar  eine  Neigung  zum  Sinken 
hervor.  Erst  gegen  Mitte  der  3.  Stunde  erhebt  sich  die  Curve  ziem- 
Uch  plotzhch  bis  zu  ihrem  Hohepunkte,  von  welchem  sie  sehr  lang- 
sam wieder  herabgeht,  um  nach  Ausfiihrung  mehrerer,  verhaltniss- 
maBig  groBer  Schwankungen  bis  an  das  Ende  auf  einem  viel  hoheren 
Stande  zu  verlaufen,  als  sammtliche  vorhergehenden  Curven. 

Diese  4  Curven  lassen  sich  in  eineReihe  einordnen,  deren  eines 
Ende  L.  D.  und  M.  I  darstellen,  deren  anderes  B.  I  bildet,  wahrend 
H.  D.  I  durch  die  langsame  Erhebung  und  Senkung,  durch  die  Ab- 
nahme  der  absoluten  Tiefe  des  Schlafes  sowie  durch  die  durchschnitt- 


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104 


Edaard  Micbelson. 


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liche  Hohenlage  der  Curve  nacfa  langerer  Schlaf  dau^  sich  melir  B.  I 
nahert. 

Aus  dem  Vergleiche  konnen  wir  mit  einer  gewiasen  Wahrschein- 
lichkeit  folgende  allgemeine  Beziehungen  ableiten:  Je  rasdier  das  Ein- 

sdilafen  vor  sich  geht,  um  so 
F»g-  4-  groBer  ist  die  Tiefe  des  Schlar- 

fes,  um  80  schneller  nimmt 
diese  wieder  ab,  desto  niedri- 
ger  liegen  die  SchwankungeiL 
Diese  Elrfahrungen  sind  in  der 
Haiq>t8ache  eine  BestStigung 
der  eingangs  erwahnten  Kohl- 
schtitter'schen  Ergebnisse. 

Die  veriialtnifism^ig  groBen 
Schwankungen  in  H.  D.  I  und 
B.  I  erwecken  fast  den  Ge- 
danken,  als  ob  die  Schlafer 
durch  die  nachtraglidien  er- 
heblichen  Vertiefungen  dee 
Schlafes  das  nadiholen  wollen, 
was  ihnen  M.  I  und  L.  D.  ge* 
geniiber  wahrend  der  ersten 
Sianden  an  Schlaftiefe  verlo- 
ren  gegangen  ist. 

Die  G-riinde  fUr  diesen 
verschiedenen  Veriauf  der  Cur- 
T^i  sind  wahrscheiniicb  nicht 
zufHUige,  wogegen  schon  der 
Umstand  spricht,  dass  jede  einzelne  Curve  aus  den  Beobachtungen 
vieler  Nttchte  gewonnen  worden  ist;  sie  mlissen  vieknehr  mit  dem 
Gesammtzustande  der  betreffenden  Personen,  mit  deren  eigenartiger 
Veranlagung  in  irgendwelcher  Beziehung  stehen.  Ein  Hinweis  auf 
eine  solche  Deutung  liegt  auch  darin,  dass  bei  BL  D.  und  B.  unter 
verd^nderten  Bedingungen  und  zu  anderen  Zeiten  das  allgemeine 
Verhalten  ihrer  Curven  ann&hemd  sich  doch  wiederfindet,  ein  Punkt, 
auf  welchen  in  der  Folge  nMher  eingegangen  werden  soU. 

Wenn  wir  die  Gegensatze  der  vier  Curven  ins  Auge  fassen,  so 


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Uutersachuiig€ii  Ober  die  Tief«  des  Seblafes.  105 

ergeben  sich  /wei  Mo^chkeiten  des  Verlaufes  dev  Sdilaftiefe.  Auf 
d«r  emen  Seite  finden  wir  schnelle  Zu-  und  Abnahme  dec  Schkftiefe, 
welche  gegen  Morgen  bin  ganz  geiing  wird,  auf  der  anderen  kngsame 
Zu-  und  Abnahme  bei  sehr  herabgesetzter  Schlaftiefe,  welche  aber 
dafUr  bis  znm  Ende  ^Ber  blabt,  als  im  vorigen  Falle.  Diese  Gtegen* 
satze  erinnem  unmittelbar  an  Typen,  die  uns  im  taglichen  Leben  be- 
gegnai.  Verfolgen  wir  die  Vertheilung  der  psychischen  Leistungs- 
fahigkdt  auf  die  verschiedenen  Tageszeiten  bei  verschieden^x  Menschen, 
so  ergiebt  sich,  dass  Personen,  welche  morgens  am  leistungsfahigsten 
sind,  solche  gegenuberstehen,  deren  Disposition  zu  psychischen 
Leistungen  abends  eine  besonders  gute  ist  Zwischen  diesen  beiden 
Typen  finden  offenbar  zahkeicbe  Uebergange  statt  Die  psycMscbe 
Leistungsfafaigkeit  scheint  also  mit  dem  Wechsel  der  Tageszeiten  ge- 
wissen  regelmaBigen  Schwankungen  unterworfen  zu  sein,  welche  sich 
bei  versdiiedenen  Personen  verschieden  verhalten.  Kraepelin*)  fUhrt 
dieses  V^halten  nor  zum  Theii  auf  Erziehung  und  Grewohnung  zu- 
rfi^  sieht  vielmehr  darin  vorzugsweise  den  Ausdruck  emer  Anlage. 

Es  liegt  nahe,  diese  Typen  mit  unser^i  Ourven  in  Yerbindung 
zu  bringen,  und  in  der  That  erweist  sich  diese  Vermuthung  fiir  den 
vorliegenden  Fall  als  zutreffehd.  Erkundigen  wir  uns  nach  den 
EigenlMmlichkeiten  der  einzdnen  Versuchspersonen,  so  erf ahren  wir, 
dass  L.  D.  eine  ausgepragte  Morgendisposition  zdgt  Er  steht  friih 
auf,  ist  morgens  und  tagsiiber  ohne  Nachmittagsschlaf  sehr  leistungs- 
fahig,  wird  aber  abends  friihe  miide,  zu  geistigen  Anstrengungen  sehr 
schlecht  aufgelegt  und  legt  sich  zeitig  zu  Bette. 

M.  besafi  urspriinglich  eine  Shnliche  Disposition  wie  L.  D.  Zur 
Zeit  der  Yersuche  war  er  bereits  seit  drei  Jahren  als  Anstaltsarzt 
thatig,  was  eine  Aenderung  in  dem  Sinne  bewiikt  hatte,  dass  er  jetzt 
nicht  nur  morgens  und  Tormittags,  sondem  nach  einem  gewohnheits- 
maBigen  Nachmittagsschlafe  anch  spat  abends,  alla^dings  erst  nach 
Ueberwindung  eines  kurzdauemden  Miidigkeitsgefuhls  zwischen  10 
und  1 1  Uhr,  ohne  Schwierigkeit  geistig  arbeiten  kann.  Kurz  vor  An- 
stellung  der  Yersuche  hatte  er  einen  mehrwochentlichen  TJrlaub  ge- 
nossen,  war  wahrend  der  Sommerferien  in  der  Anstalt  nicht  so  sehr 
in  Anspruch  genommen,  sodass  in  der  Schlafcurve  seine  urspriingliche 


1)  A.  Oehrn,  Diese  Arbeiten,  I,  S.  149. 


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106  Eduard  Miehelson. 

Beanlagung  sich  wieder  mehr  Geltung  verschafft  Ijaben  diirfte. 
Vielleicht  sind  die  geringere  Tiefe  iind  der  etwas  langsamere  Abfall 
gegenliber  L.  D.  auf  diese  Unterschiede  in  der  beiderseitigen  Disposi- 
tion zuriickzufuhren. 

H.  D.  zeigte  bei  Anstrengungen  stets  eine  leichte  Ermiidbarkeit, 
war  morgens  nach  dem  Auf stehen  zu  starkerer  geistiger  Anstrengung 
wenig  gut  aufgelegt,  wurde  abends  trotz  eines  meistens  abgehaltenen 
Nachmittagsschlafes  friih  mude  und  war  durch  langeren  Anstaltsdienst 
ziemUch  angegriffen. 

B.  stellt  in  seiner  Tagesdisposition  den  ausgesprochensten  Gegen- 
satz  von  L.  D.  dar.  Greistige  Arbeit  geht  ihm  spat  abends  am  leich- 
testen  von  statten;  er  setzt  sie  gem  bis  in  die  Nacht  hinein  fort, 
legt  sich  spat  zu  Bette  und  steht  spat  auf.  Zur  Zeit  dieser  Versuche 
war  er  morgens  wenig  erquickt,  hatte  viehnehr  mit  einer  gewissen 
Schlaffheit  zu  kampfen,  die  sich  erst  im  Laufe  des  Tages,  zumal 
nach  dem  Mittagsschlafe,  verier.  Letzteres  Verhalten  ist  zum  Theil 
wohl  auf  Eechnung  der  damals  bei  B.  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
durch  auBere  Umstande  hervorgerufenen  Neurasthenic  zu  setzen, 
welche  sich  u.  a.  in  leichter  Erregbarkeit,  in  haufigen  Migraneanfallen, 
in  vielem  und  lebliaftem  Traumen  auBerte. 

Halten  wir  diesen  verschiedenen  Dispositionen  die  Schlaf curven 
gegenliber,  so  springt  es  in  die  Augen,  wie  die  hohen,  steilen  Curven 
den  riistigen,  frischen  Personen  mit  der  Morgendisposition  angehoren, 
die  flachen  Curven  den  in  ihrer  Leistungsfahigkeit  eingeschrankten  oder 
zur  Abenddisposition  hinneigenden.  Kraepelin's^)  Ansicht,  dass  die 
mit  einer  guten  Morgendisposition  begabten  Menschen  den  gesunderen 
Typus  repriisentiren,  wahrend  die  eine  bessere  Abenddisposition  auf- 
weisenden  Menschen  im  allgemeinen  eine  groBere  Zahl  von  nervos  und 
psychopathisch  pradisponirten  Personen  enthalten,  gewinnt  somit  aus 
dem  Vergleiche  unserer  Curven  eine  weitere  Stiitze. 

Andererseits  stehen  die  von  Heerwagen^)  auf  statistischem 
Wege  gewonnenen  Erf  ahrungen  tiber  das  Verhaltniss  zwischen  Schlaf- 
tiefe  und  Haufigkeit   sowie  Lebhaftigkeit  der   Traume   mit   meinen 


1;  8.  Oehrn^  a.  a.  0. 

2)  F.  Heerwagen,  Statistische  Untersuchungen  aber  Tr&ume  und  Schlaf. 
Wundt's  PhUos.  Stud.  Bd.  V,  S.  301. 


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UutersQchangen  fiber  die  Tiefe  des  Schlafes.  107 

Curven  in  gutem  Einklange.  Er  fand,  dass  der  Sclilaf  um  so  leiser 
wird,  je  haufiger  die  Traume  auftreten.  Die  Nachfrage  nach  der 
fiaufigkeit  der  Traume  bei  meinen  Versuchspersonen  ergab  nun,  dass 
B.,  wie  angefuhrt,  sehr  haufig  und,  entsprechend  Heerwagen's  Er- 
gebnissen,  lebhaft  traumte,  H.  D.  und  L.  D.  dagegen  ziemlich  selten, 
M.  endlich  auBerst  selten  iiber  Traume  berichten  konnte.  Auch 
einige  weitere  Erfahrungen  Heerwagen's,  dass  die  viel  traumenden 
oder  leise  schlafenden  Personen  morgens  noch  miide  sind,  ein  viel 
groBeres  Schlafbediirfniss  haben,  eine  groBere  Nervositat  aufweisen, 
als  die  wenig  traumenden  oder  fest  schlafenden  Menschen,  welche 
morgens  und  vormittags  geistig  gut  aufgelegt  sind,  finden  in  den 
vorliegenden  Curven  ihre  Bestatigung.  Man  sieht  also,  dass  man 
aus  der  ScMafcurve  unmittelbar  gewisse  Auf scMUsse  iiber  die  nervose 
Yeranlagung  des  Menschen  erhalten  kann. 

Durch  diese  Ergebnisse  wird  man  weiter  daran  erinnert,  dass  es 
verschiedene  Formen  der  pathologischen  Schlafstorung  giebt  Wahrend 
manche  Ejranke  durchaus  nicht  einschlafen  konnen,  erst  gegen  Morgen 
in  tieferen  Schlaf  verfallen,  klagen  andere,  dass  sie  zwar  rasch  ein- 
schlafen, jedoch  sehr  bald  wieder  aufwachen  und  dann  entweder 
gar  nicht  oder  nur  sehr  schwer  in  Schlaf  versinken.  Die  erstere 
Form  der  Schlafstorung  ist  offenbar  die  schwerere  und  findet  sich 
am  ausgepragtesten  bei  Melancholikem  und  Neurasthenikem,  deren 
nervose  Erregbarkeit  derart  erhoht  ist,  dass  sie  sich  abends  nicht 
rasch  genug  ausgleichen  und  die  zimi  Einsdilafen  vermuthlich  noth- 
wendige  Anamie  der  Gehimrinde  zu  stande  kommen  lassen  kann. 
Daraus  erklart  sich  auch  die  Miidigkeit  und  Depression  solcher 
Kranken,  welche  wahrend  der  Vormittagsstunden  regelmaBig  in  be- 
sonders  hohem  Grade  sich  geltend  zu  machen  pflegt.  Die  letztere 
Form  hingegen  nahert  sich  mehr  dem  gesunden  Verhalten ;  nur  kommt 
eben  der  letzte  Theil  der  Schlafcurve  in  TVegfall.  Sie  scheint  die 
kennzeichnende  Form  des  Greisenschlafes  darzustellen,  bei  dem  wir 
ja  fruh  abends  Ermiidung  und  gleichzeitig  Wachwerden  in  den  ersten 
Morgenstunden  antreffen. 

In  sehr  ausgepragter  Weise  finden  sich  diese  beiden  verschiedenen 
Schlaftypen  bisweilen  bei  jenen  Kranken  neben  einander,  welche  an 
circularem  Irresein  leiden.  Wahrend  der  depressiven  Periode  schlafen 
die  Patienten  abends  sehr  langsam  ein,  traumen  viel,  erwachen  mor- 


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108  Eioard  MickelsoD. 

gens  spat  mit  wiistem  Kopf  und  sind  den  ganzen  Tag  hindurch  mehr 
Oder  weniger  mUde  und  abgespannt.  Sobald  dagegen  der  Umschlag 
in  die  Erregung  sich  vollzieht,  pflegen  dieselben  Kranken  sehr  rasch 
und  tief  einzuschlafen;  die  Traume  horen  auf,  aber  die  Patienten 
erwacben  schon  sehr  bald  nach  Mittemacht,  um  nunmehr  ihr  rastlos 
geschaftiges  Treiben  in  hohem  subjectivem  Wohlgefiihl  zu  beginnen. 
Nicht  selten  sdiieben  sich  allerdings  hier  auch  tagsUber  kurzdauemde 
Schlafzeiten  ein. 

FUr  die  Behandlung  dieser  Schlafstorungen  und  somit  unter 
Umstanden  auch  dort,  wo  sie  sich  erst  durch  das  Studium  der  Curve 
auf decken  lassen,  kann  man  hieraus  gewisse  Anhaltspunkte  gewinnen. 
Hier  sei  nur  darauf  hingedeutet,  dass  z.  B.  von  den  gebrauchlichen 
Schlafmittebi  das,  wie  wir  spater  sehen  w^:den,  schnell  wiricende 
Paraldehyd  filr  erstere  Form  sich  vorzugsweifite  eignen  wiirde,  wahrend 
das  eine  langere  Wirkung  entfaltende  Sulfonal  fur  die  letztere  Form 
angezeigt  erscheinen  mochte. 


lY.  Einflufs  Xnfserer  Bedmgun^n. 

Die  auf  der  personlichen  Yeranlagung  beruhende  Gestaltung  der 
Schlafcurve  erleidet  unter  dem  Einflusse  auBerer  Yerhaltnisse  mannig- 
fache  Vermiderungen.  Zur  Darstellung  solcher  Beziehungen  dienen 
die  Curve  M.  11  (Fig.  1),  M.  nia  und  b  (Fig.  5,  S.  110),  H.  D.  H 
(Fig.  3),  B.  n  /Fig.  4] ,  deren  grundlegende  Zahlen  in  nachfolgender 
Tabelle  zusammengestellt  sind. 


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o. 


UntenoebuDgen  fiber  die  Tiefe  des  Seblafes. 

Tabelle  11. 
Oberwerthe.    U.  =  Unterwerthe.    M.  =  Mttelwerthe. 


109 


M.n 

M.  Ilia     !l    M.  Illb 

H.  D  n 

B.  H 

Zeitoach 
demEin- 
tehlafen  1 

o. 

u. 

M. 

0.   U. 

M.    0. 

1 

U. 

M. 

0. 

U. 

M. 

0.   U. 

M. 

15  m. 

\(m 

2970 

2500 

2735 

8750 

1000 

1000 

1000 

30  m-  |4000 

45m.l 

200^ 

3000 

19000 

12000 

2000 

5250 

2625 

3938 

M0» 

14000 

12250 

13125 

8000 

5250 

Ih.      |5000 

40«0 

4d00 

7920 

14000 

8750 

lh.l5m.  2000 

2000 

2000 

7000 

17500 

12250 

lh.30m. 

5940 

20000 

lh.45m.| 

2000 

p75 

3960 

4168 

16000 

2h. 

4375 

3113 

3744 

10500 

18000 

16000 

17000 

17500 

15750 

16626 

2h.  15m. 

2970 

3500 

5250 

21i.  30  m. 
2h.45m. 

2970 

booo 

5250 

4375 

4813 

7000 
8000 

3h. 

1 

3960 

7000 

14000 

10500 

12250 

3h.l5m. 

4950 

8000 

18000 

»h.30m. 

20000 

3h.45m. 

8750 

4h. 

10000 

8000 

4h.  15m. 

4h.30m.| 

4h.45m. 

8000 

5h. 

7000 

wilvrr 

5000 

5250 

5h.  15m. 

5h.30m. 

5h.45m. 

6lL 

3500 

6L15m. 

10000 

7000 

5250 

6125 

6L  30m. 

12000 

6L45in. 

4000 

Th. 

4000 

leoo 

2500 

' 

7h.  15in.  , 

Th.30m. 

2000 

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no 


Eduard  MIchelsoD. 


Die  Natur  des  Schlaf  es  als  periodische  Function  erklart  es,  dass 
erfahrungsgemaB  auch  im  Laufe  des  Tages  infolge  von  Ermiidung, 
besonders  nach  Tisch,  kiirzere  Schlafzeiten  sich  einschieben.    Es  ist 

daher   von  Interesse,    den   Nachmit- 
F^K-  ^'  tagsschlaf  mit   in  den  Bereich   der 

Untersuchung  zu  ziehen.  Die  Zeitlage 
dieser  Versuche  zwang  mich  zur  An- 
wendung  ganz  besonderer  VorsichtsmaB- 
regebi.  Das  Expeiimentirzimmer  wurde 
durch  Verhangen  der  Fenster  moglichst 
verdunkelt;  das  SchlieBen  derVorsatz- 
fenster  solltevondraiiBenherandringende 
Gerausche  abhalten.  Anschlagzettel  auf 
dem  Corridor  und  an  alien  in  denselben 
miindenden  Thiiren  geboten  leises  Ge- 
hen,  gerauschloses  Oeffnen  iind 
SchlieBen  der  Thiiren;  das  Klopfen  an 
der  Thiir  der  betreffenden  Assistenten- 
wohnung  oder  das  Betreten  derselben 
war  auf  das  strengste  untersagt.  End- 
lich  wurde  ein  dicht  am  Versuchszim- 
mer  voriiberfiihrender  Treppengang  f ur 
die  Zeit  der  Versuche  vom  Verkehr 
ganz  ausgeschlossen.  Von  vomherein 
waren  nicht  allzu  haufige  oder  starke 
Stondaio      f      1     1     ♦     s      Storungen  zu  erwarten,  da  wahrend  der 

Versuchszeit,  2 — 5  Uhr  nachmittags, 
ohnehin  das  ganze  Anstaltsleben  in  verhaltnissmaBig  groBer  Ruhe 
dahinfloss.  Die  Ergebnisse  dieser  Untersuchungen  veranschaulicht 
Curve  M.  IE  (Fig.  1).  Wir  sehen,  dass  das  Einschlafen  anfangs  rascher 
als  in  M.  I  erfolgt,  indem  schon  nach  der  ersten  Viertelstunde  die 
Schlaftiefe  eine  groBere  ist,  als  in  der  Nacht  zur  entsprechenden  Zeit. 
Die  groBte  Tiefe  wird  ebenfalls  nach  ^4  Stunden  erreicht,  von  wel- 
cher  der  Schlaf  anfangs  rasch,  dann  langsam  verliert,  lun  zum  Schlusse 
eine  groBere  Festigkeit  zu  behalten,  als  in  M.  I.  Die  absolute  Tiefe 
des  Nachmittagsschlafes  ist  etwa  dreimal  kleiner,  als  diejenige  des 
Nachtschlafes,  und  ebenso  ist  seine  Dauer  eine  viel  kiirzere.     Sehen 


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Untersuchongen  fiber  die  Tiefe  des  Schlafes.  Ill 

wir  von  dem  Einflusse  ab,  welchen  die  groBere  Helligkeit  auf  die  Er- 
niedrigung  der  Nachmittagscurve  gehabt  haben  konnte,  so  diirfen  wir 
hieraus  f olgem,  dass  das  Erholungsbediirfniss  nach  Tisch  in  der  Re- 
gel  kein  sehr  groBesist,  mithin  ein  kurzer,  leiser  Schlaf,  in  den  man 
aber  rasch  verfallt,  demselben  Geniige  leistet.  Inwieweit  bei  dem 
raschen  Einschlafen  am  Nachmittage  Autosuggestionen  eine  RoUe 
spielen,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Es  ware  denkbar,  dass  der  Nach- 
mittagsschlafer  in  dem  Bewusstsein,  nur  liber  wenige  Zeit  zur  Er- 
holung  verfiigen  zu  konnen,  deshalb  unwiUkiirlich  bestrebt  ist,  diese 
Kiirze  der  Dauer  durcb  moglichst  schnelles  Versinken  in  einen  tieferen 
Schlaf  auszugleichen. 

Einen  viel  starkeren  Einfluss  auBert  dieJahreszeit.  Die  dunk- 
leren  Nachte  begiinstigen  offenbar  mehr  das  Zustandekommen  eines 
ruhigen  und  tiefen  Schlafes,  als  die  helleren.  Die  den  Curven  H.  D. 
n  und  B.  n  gemeinsame  Hohenzunahme  gegeniiber  H.  D.  I  und 
B.  I  lasst  sich  ungezwungen  auf  diesen  Umstand  zuriickfUhren, 
indem  ersteres  Curvenpaar  aus  dem  Spatherbst  bezw.  Winter,  letzteres 
aus  dem  Priihling  bezw.  Spatsommer  stammt.  Das  sonst  abweichende 
Verhalten  der  Il-Curven  beruht  auf  Ursachen,  die  spater  erortert 
werden  sollen.  Ein  derartiger  Einfluss  der  Jahreszeit  muss  natiirlich 
infolge  Aenderung  der  nachtlichen  Schlaftiefe  auf  die  Ermiidbarkeit 
am  Tage  zuriickwirken  und  demnach  auch  den  Tagesschlaf  umge- 
stalten. 

Dieses  Verhaltniss  ergiebt  sich  deutlich  aus  der  Betrachtung  der 
Curven  M.  m  a  und  b  (Fig.  5),  welche  den  durch  ein  Hypnoticum 
herbeigefiihrten  Nachmittagsschlaf  darstellen.  Genommen  wurde  das 
Paraldehyd,  zu  den  Vorversuchen  in  einer  Gabe  von  3  g,  spater 
von  5  g.  Eine  Gewohnung  an  das  Mittel  wurde  durch  Einschieben 
von  mehrtagigen  Pausen  zwischen  die  einzelnen  Versuche  moglichst 
vermieden.  AuBerdem  verbot  eine  durch  das  Medicament  bedingte 
ziemlich  starke  Magenbelastigung  und  Storung  des  Allgemeinbefindens 
die  haufige  Einverleibung  desselben.  Beide  Curven  haben  im  Ver- 
gleich  mit  M.  11  bedeutend  an  Hohe  zugenommen,  steigen  zugleich 
viel  steiler  an,  als  alle  anderen  Curven,  und  zwar  schon  in  der  ersten 
Viertelstunde.  In  beiden  Curven  zeigt  auch  der  Nachmittagsschlaf 
bei  seiner  kiinstlichen  Verlangerung  die  Neigung,  nach  der  ersten 
Abnahme  seiner  Tiefe  diese  wieder  zu  vergroBem;    es  treten  auch 


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Iti  Edaard  Miehetson. 

bier  wieder  die  friiher  besprochenen  Schwankmigen  der  Schlaftiefe, 
wenn  auch  nor  in  ihrem  B^nn  angedeutet^  mit  merkwitrdiger  E^el- 
maBigkeit  heiror^  ein  weiterer  Beweis  daf&r,  dass  sie  inir  in  inneren 
Yerhaltnissen  ihre  Begrlindong  haben  komien. 

Das  Paraldehjd  erzeugt  mithin  einen  Schlaf,  der  dem  narm^en 
sehr  nahe  zn  kommen  scheint,  diesen  nor  an  Tkfe  Ubertriffty  ein 
Umstand,  welcher  fiir  die  tberapeutische  Yerwendnng  dieses  ScUaf- 
mittels  einen  Fingerzeig  giebt.  Beriicksichtigen  wir,  dass  unter  Paral- 
ddnjd  der  Scfalaf  bereits  innerbalb  der  ersten  Viertelstimde  eine  be- 
deuteode  Tiefe  erhalt,  so  wird  dieses  Mittel  in  Fallen  von  SeUaf- 
losigkeity  in  denen  das  spat  und  schwer  eintretende  Einschlafen  die 
Hauptstfirung  bildet,  in  hobem  MaBe  geeignet  sein^  diese  zu  beseitigen. 

Wahrend  die  Untersdiiede  in  der  Form  der  Corven  vielleicht 
nor  auf  der  zn  geringen  Anzabl  an  Beobachttingen  ftir  b  bemhen^ 
muss  fiir  den  bedentenden  Unterschied  in  der  Hohe,  welebe  in  b 
sogar  M.  I  erreicht,  eiiie  andere  Erklanmg  gesncht  werden.  Pieae 
ergiebt  sidi  aus  dem  Uisstande,  dass  die  Beobacfatmngen  fur  a  im 
Monat  Marz,  fiir  b  im  Monat  Juni  stattfanden.  £s  li^  daher 
am  nachsten^  den  Unterschied  folgendermaBen  aufzofassen.  Der 
Nacfatscfalaf  ist,  wi6  wir  vorbin  sahen,  in  hellen  Nacbten  ein  letserer, 
zumal  bei  den  hiesigen  klimatiscfaen  Yerbaltnissen^  welche  es  er- 
schweren^  in  ^r  Nacht  tiefe  Dimkelheit  im  Schlafzimmer  herznstellen. 
Der  hierdurch  bedingte  Ausfall  an  nachtlicher  Erholung  musa  daher 
durch  tieferen  Scfalaf  am  Tage,  wo  die  Unterscfaiede  in  der  Hellig- 
keit  keine  so  erheblichen  sind,  eingefaoH  werden.  Das  umgekdnrte 
Yerlmltmss  steUt  sick  wabrend  der  dunkleren  Jahreszeit  ber.  Zn 
meinem  Bedauem  li^ien  ans  der  entsprechenden  Zeit  keine  Nacht- 
schlafcnnren  vor.  Dieselben  wnrden  aller  Wahrseheinlichkeit  nacb 
darthun,  wie  zu  verscbiedener  Jahreszeit  Nadit-  und  Tagscblaf  sieh 
gegenseitig  ansgleicben.  Die  Anstellung  ron  Yersucben  iiber  diesen 
Punkt  wurde  dnrch  mein  damaliges  Experimentiren  an  H.  D. 
verkindcrt. 

Weitere  medicamentose  Einfliisse  konnten  nicht  gepriift  werden. 
Jedocb  liegen  aus  der  langen  fieihe  der  Yersuche  in  den  Protokollen 
einige  Angaben  vor^  welche  einen  Ruckschluss  auf  die  Wirkung  des 
A  Ik  oho  Is  erlauben.  Danach  erseheint  es^  als  ob  nach  mafiigeiit 
Alkoholgenuss  der  Schlaf  anfangs  leiser,  als  unter  normalen  Yerhalt- 


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UntersnchungeD  dber  die  Tiefe  des  Schlafes.  1  IS 

nissen,  irnd  haufig  durch  Traume  beunruhigt  ist,  wahrend  in  spateren 
Stunden,  wo  sonst  die  Schwankungen  bei  verhaltnissmaBig  geringer 
Tiefe  statthaben,  sich  eine  langer  dauerade,  bedeutende  Zunahme  der 
Festigkeit  auBert. 

Piesbergen  stellte  ahnliche  Untersuchungen  an  Monninghoff 
an.  Es  fand  sich,  dass  nach  maBigem  Alkoholgenuss  iind  gleich- 
zeitiger  Korperanstrengnng  die  relative  Festigkeit  des  Schlafes  geringer 
war,  als  unter  normalen  Verhaltnissen.  Monninghoff  hot  aber  in 
seiner  Normalcurve  schon  groBe  Abweichungen  dar,  war  fiir  diese 
Versuche  auBerdem  durch  korperliche  Anstrengung  ermiidet,  sodass 
diese  Ergebnisse  nur  sehr  bedingt  mit  den  meinigen  vergleichbar  sind. 
Bei  starkerer  Alkoholzufuhr  ohne  Korperanstrengnng  war  der  Schlaf 
von  Monninghoff  anfangs  zwar  bedeutend  fester,  aber  auch  viel 
unruhiger  und  die  ganze  Dauer  desselben  langer,  als  in  der  Norm. 
Die  Schwankungen  waren  bei  diesen  Versuchen  ganz  auBerordentliche. 
Kohlschutter  fand  bei  leichterer  Alkoholvergiftung  eine  betracht- 
liche  Herabsetzung  der  Tiefe  gegen  den  gesunden  Schlaf  sowie  zeitiges 
und  haufigeres  Erwachen  und  Wiedereinschlafen. 

Aus  meinen  ProtokoUen  geht  weiter  hervor,  dass  nach  warmen 
Badem,  nach  ungewohnter  starkerer  Korperanstrengnng,  wie  Rudem, 
Radfahren,  der  Schlaf  in  den  spateren  Stunden  groBere  Weckreize 
erfordert,  als  wenn  diese  Ursachen  nicht  eingewirkt  hatten. 

Die  personliche  Disposition  muss  naturgemaB  unter  dem  langer 
dauemden  Einflusse  auBerer  Bedingungen  zeitweilig  eine  Veranderung 
erfahren,  von  welcher  zu  erwarten  ist,  dass  sie  sich  auch  in  der 
Schlafcurve  widerspiegele.  Diese  Beziehungen  erlautern  Curve  H.  D. 
II  und  B.  n  im  Vergleich  mit  H.  D.  I  und  B.  I,  wie  mir  scheint, 
aufs  deutlichste. 

Beiden  Il-Curven  geraeinsam  ist  die  bedeutende  Zunahme  der 
Hohe.  H.  D.  IT  erreicht  seinen  erst  auf  3V2  Stunden  fallenden. 
Gipfel  in  anfangs  langsamera,  dann  rascherem,  dann  wieder  langsamem 
Anstiege,  wahrend  B.  11  in  gleichmaBig  langsamer  Weise  sich  bis 
zu  der  am  Schlusse  der  zweiten  Stunde  befindlichen  Hohe  erhebt. 
Der  Abfall  erfolgt  in  beiden  Curven  ziemlich  steil,  in  B.  11  besonders 
jah,  worauf  langgezogene  groBe  Schwankungen  eintreten,  an  deren 
Schluss  die  Curve  noch  immer  ziemlich  hoch  verlauft.    Entsprechend 

Kraepelin, Psychol.  Arbeiien.  I L  8 


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114  Eduard  Micbetson. 

der  VergroBerung  der  Tiefe  finden  wir  auch  eine  Verlangerung  der 
Schlafdauer  gegeniiber  den  I-Curven. 

Indem  in  H.  D.  11  der  Gipfel  IV4  Stunden  spater  fallt  als  in 
H.  D.  I,  in  B.  n  dagegen  V2  Stunde  friiher  als  in  B.  I,  ttberkreuzen 
sich  die  Il-Curven,  was  dazu  fuhrt,  dass  H.  D.  11  sich  B.  I,  B.  11 
umgekehrt  H.  D.  I  nahert.  Eine  einigermaBen  zureichende  Erkliirung 
fiir  diese  tiberraschende  Thatsache  lieBe  sich  vielleicht  darin  finden, 
dass  wir  annehmen,  gewisse  Umstande  haben  beide  Curven  in  ent- 
gegengesetztem  Sinne  beeinflnsst.  Als  solche  Einfliisse  lassen  sich 
beim  Ueberblicken  aller  einschlagigen  Verhaltnisse  nur  die  zeitweilig 
geiinderten  Dispositionen  der  Versuchspersonen  herausfinden.  Die 
Versuche  an  H.  D.  fielen  namlich  in  eine  Zeit,  wo  er  infolge  seines 
kurz  bevorstehenden  Abganges  von  hiesiger  Klinik  durch  Erledigung 
einer  Reihe  von  wissenschaftlichen  und  Anstaltsarbeiten  sich  mehr  als 
gewohnhch  geistig  anstrengen  musste.  B.  dagegen  hatte  wahrend  der 
Sommerferien  und  durch  eine  sich  anschlieBende  Gebirgsreise  seine 
neurasthenischen  Beschwerden  vollig  verloren  und  erfreute  sich  in 
vollem  MaBe  korporlicher  wie  geistiger  Frische.  Walirend  H.  I),  so- 
mit  durch  die  Erregung  und  Ermiidung  sich  dem  neurasthenischen 
Schlafe  (B.  I)  zu  niihem  scheint,  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  B. 
nach  einer  bedeutenden  Kriiftigung  seines  Nervensystems  sich  aus 
seiner  zura  Pathologischen  hinneigenden  Curve  I  zu  einer  mehr  der 
Norm  verwandten  (H.  I).  I)  erhoben  hat. 

Dass  die  in  beiden  Curven  sich  zeigende  Vertiefung  dos  Schlafes 
mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  auf  einen  gemeinsaraen  Einfluss,  die 
dunkle  .lahreszeit,  sich  zuriickfUhren  liLsst,  wurde  bereits  auseinander- 
gesetzt.  Der  Einwurf,  welcher  hier  geraacht  werden  kimnto,  dass  die 
Hohenzunahme  der  Tl-Curven  etwa  auf  einer  (ilewohnung  an  die 
Schallreize  beruhe,  ist  hinfiillig.  Denn  erstens  waren  zwischen  der  Auf- 
nahme  von  B.  I  und  B.  II  etwa  P/4  Jahre  verflossen,  zwischen  der 
von  H.  D.  I  und  H.  D.  II  ungefahr  1 V4  Jahre.  Zweitens  waren  bei 
meiner  Versuchsanordnung  gegen  das  Ende  der  Versuchsreihe  niemals 
zu  bestimmten  Zeiten  sturkere  Weckreize  erforderhch  als  im  Anfang 
derselben.  Nur  bei  H.  D.,  der  als  erste  Versuchsperson  diente,  traten 
in  den  ersten  Versuchsnachtt*n  auffallend  kleine  Weckreize  auf,  fiir 
welche  ich  seine  Voreingenommenheit,  die  Erwartung,  verantwortlich 
machen  miichte.    Sobald  er  seine  Fnbcfangenheit  gegeniiber  den  Ver- 


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Untersuchungen  fiber  die  Tiefe  des  Schlafes.  j  1 5 

suchen  erlangt  hatte,  war  in  den  Weckreizen  bis  an  das  Ende  der 
Versuche  durchaus  eine  fast  gesetzmaBige  GleichmaBigkeit  vorhanden. 
Wir  erhalten  somit  moglicher  Weise  aus  diesen  CuiTen  Aufschliisse 
liber  die  Veranderungen  der  Schlaftiefe  bei  verschiedener  Disposition. 
Diese  lasst  jedoch  auch  in  den  durch  sie  beeinflussten  Curven  noch 
immer  die  in  der  Veranlagung  begriindete  Eigenart  mehr  oder  weniger 
deutlich  wiedererkennen. 

Die  Curve  B.  11  hat  noch  in  anderer  Richtung  unser  Interesse 
in  Anspruch  zu  nehmen.  Nachdem  ich  durch  meine  Ergebnisse  die- 
jenigen  meiner  Vorganger  im  groBen  und  ganzen  hatte  bestatigen 
konnen,  was  die  allgemeine  Form  der  Curve  anbetrifft,  mithin  bei 
iliren  Untersuchungen  die  Anwesenheit  des  Beobachters  im  Versuchs- 
zimmer  keine  zu  groBen  Fehler  ergeben  liatte,  schien  es  erwiinscht, 
behufs  schnellerer  Gewinnung  von  Schlafcurven  auf  das  frlihere  Ver- 
fahren  zuriickzugreifen.  Ich  stellte  daher  die  in  Curve  B.  IT  ver- 
wertheten  Versuche  in  folgender  Weise  an. 

Vor  alien  Dingen  blieb  B.  voUig  ununtemchtet  dariiber,  dass  die 
Versuche  jetzt  in  anderer  Weise  vorgenommen  werden  wurden.  Er 
zeigte  also  wie  friiher  durch  Glockensignale  an,  wann  er  sich  zum 
Einschlafen  anschickte,  und  ebenso,  dass  er  geweckt  worden  war. 
Das  Versuchszimmer  wurde  fast  volUg  verdunkelt,  indem  mittels 
Schirmvorrichtungen  nur  ein  ganz  schwaches  Licht  auf  den  Apparat 
fiel.  Erst  nachdem  ich  annehmen  konnte,  dass  B.  eingeschlafen  sei, 
schlich  ich,  nur  in  Socken  gehend,  in  das  Zimmer  hinein  und  an  den 
Apparat  heran,  durch  dessen  vorher  in  bestimmter  Hohe  eingestelltes 
Fallloch  ich  die  beliebig  mir  zur  Verfugung  stehenden  Kugeln  aus  den 
Fingem  frei  herabfallen  lieB.  Dies  that  ich,  falls  nothig,  alle  5  Minuten 
zu  immer  schwereren  Kugeln  f ortschreitend,  bis  das  Erwachen  durch  das 
Glockenzeichen  vom  Schlafer  angekiindigt  wurde,  worauf  ich  B.  1 — 2 
Stunden  lang  ruhig  schlafen  lieB.  Mein  Kommen  und  Weggehen 
bald  nach  dem  Erwecken  horte  B.  nur  ein  einziges  Mai,  in  der  ersten 
Nacht,  wo  ich  einen  Schritt  etwas  schliirfend  gethan  hatte,  ein  Be- 
weis,  wie  gering  die  Storungen  sein  konnen,  wenn  der  Untersucher 
die  nothige  Vorsicht  anwendet. 

Es  gelang  mir  auf  diesem  Wege,  in  4  durch  je  eine  freie  Nacht 
getrennten  Versuchsnachten  geniigend  Werthe  zu  finden,  um  Curve 
B.  n  festlegen  zu  konnen.    Letztere  beweist  also,  dass  unter  Beobach- 

8* 


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116  Edaard  Hicbebon. 

tung  gewisser  VorsichtsmaBregeln  ein  derartiges  beschleunigtes  Ver- 
fahren  voUkommen  brauchbar  ist.  Im  Hinblick  auf  diese  Erfahrung 
erscheint  es  in  Zukunft  moglich,  auBerordentlich  viel  schneller  die 
personliche  Schlafcurve  festzustellen.  Weiterhin  verspricht  dieses 
Verfahren  die  Durchfiihrung  eines  wirklichen  Stadiums  der  Schlaf- 
storungen  sowie  der  Wirkungen  der  verschiedenartigen  Schlafmittel 
zu  ermoglichen  und  damit  zuverlassige  Anzeigen  ftir  die  Anwendung 
der  letzteren  aufzufinden. 

Bei  diesem  Untersuchungsverfahren  hatte  ich  Grelegenheit ,  das 
Benehmen  des  Schlafers  bei  Einwirkung  der  Schalkeize  bezw.  beim 
Erwecktwerden,  allerdings  nur  mit  meinem  Gehorsinne,  zu  beobachten. 
Schallreize,  welche  noch  lange  kein  Erwachen  herbeifiihrten,  riefen 
bereits  Aenderungen  des  Athmungstypus,  mehr  oder  weniger  starke 
Bewegungen  des  Schlafers  hervor.  Aus  diesen  Reizwirkungen  SchlUsse 
auf  das  Erwachen  zu  Ziehen,  wie  Kohlschiitter  es  that,  wenn  auch 
mittelst  verwickelter  mathematischer  Ansatze,  erscheint  mir  gewagt 
Bestatigen  kann  ich  aber  die  von  Kohlschiitter  mehrfach  erwahnte 
und  auch  hier  fruher  hervorgehobene  Thatsache,  dass  der  "Weck- 
schwelle  sehr  nahe  gelegene,  starke  unbewusste  Reactionen  hervor- 
rufende  Seize  eine  unmittelbare  Vertiefung  des  Schlafes  nach  sich 
Ziehen,  sodass  ein  bald  darauf  folgender  viel  starkerer  Reiz,  der  vor- 
her  zum  Erwecken  hingereicht  hatte,  nicht  geniigend  ist,  um  die  ge- 
ringste  Bewegung  des  Schlafenden  oder  Aenderung  seines  Athmungs- 
typus zu  bewirken. 

Wurde  B.  wirklich  durch  den  Schall  geweckt,  so  schien  er  sich 
meistens  etwas  zu  bedenken,  in  welcher  Weise  er  zu  klingeln  habe. 
Dabei  machte  sich  sein  Aerger  iiber  die  unangenehme  Storung, 
namenthch  wenn  sie  sich  in  derselben  Nacht  wiederholte,  in  einzelnen 
Lauten  oder  kurzen,  abgebrochenen  Siitzen  Luft.  Nach  gegebenem 
Klingelzeichen  schlief  B.  sofort  wieder  ein,  was  an  den  regelmaBigen, 
tiefen  und  langsamen  Athemzugen  zu  erkennen  war,  soweit  sich  das 
Einschlafen  daraus  uberhaupt  beurtheilen  lasst.  Morgens  Uber  die 
vorhergehende  Nacht  befragt,  hatte  B.  entweder  gar  keine  oder  nur 
eine  sehr  verwaschene  Erinnerung  an  das,  was  vorgefallen.  Dasselbe 
war  in  hoherem  MaBe  bei  den  friiheren  Versuchen  der  Fall  gewesen. 
H.  D.  und  L.  D.  batten  schon  eine  deutUchere  Erinnerung,  wiihrend 
M.  fast  iiber  jede  Nacht  riclitige  Rechenscliaft  ablogen,  ja  sogar  den 


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Untersnebiiiigen  fiber  die  Tiefe  des  Scblafes.  1 1 7 

Zeitpunkt,  wann  er  geweckt  worden  war,  ziemlich  genau  angeben 
konnte.  Auch  in  dieser  Beziehung  ist  mithin  der  Parallelismus  mit 
den  Curven  gewahrt,  indem  M.  und  B.  die  auBersten  Gregensiitze, 
H.  D.  und  L.  D.  den  Uebergang  bilden.  Immerhin  kamen  bei  mir 
einige  Weckreize  vor,  bei  denen  ich  mich  nicht  erinnerte,  weshalb  icb 
gerade  in  der  geschehenen  Weise,  namentlich  falsch  reagirt,  insbe- 
sondere  mein  Wachsein  vor  der  Einwirkung  des  Weckreizes  angezeigt 
hatte,  wahrend  ich  in  der  That  erst  durch  den  betreffenden  Schall 
geweckt  worden  war.  Diese  Weckreize  dtirfen  als  sehr  nahe  an  der 
Weckschwelle  befindlich  angesehen  werden.  Sie  waren  nur  hinreichend, 
nm  den  Schlafer  bis  zu  dem  Grade  der  Bewusstseinshelligkeit  zu  er- 
heben,  dass  er  das  Klingeln  liberhaupt  ausfiihren  konnte,  aber  nicht 
in  iiberlegter  und  der  Verabredung  entsprechender  Weise.  Vielleicht 
diirfen  solche  ReizgroBen  als  unmittelbar  gewonnene  Weckschwellen- 
werthe  angesehen  werden. 

Es  kann  nicht  Wunder  nehmen,  dass,  wo  erst  noch  das  Verfahren 
ausgebildet  werden  musste,  die  Ergebnisse  keine  weitreichenden  sind. 
Allein  die  Ueberzeugung  wird  man  gewinnen,  daB  auf  diesem  Wege 
der  Physiologie  und  Pathologic  des  Schlafes  neue  Seiten  abgewonnen 
werden  konnen,  und  dass  es  gelungen  ist,  die  experimentelle  Methode 
in  ein  Gebiet  einzufiihren,  welches  weder  der  subjectiven  Schatzung 
noch  auch  sonst  irgend  einer  andersartigen  objectiven  Betrachtungs- 
weise  zuganglich  erscheint. 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaufende 
geistige  Arbeit. 

Von 

Wilhelm  Weygandt. 


In  friiheren  psychologischen  Arbeiten  war  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen  der  Erforscliung  der  Verhaltnisse  einfacher,  fortlaufender 
geistiger  Arbeiten  gewidmet.  Die  Veranderung  derselben  durch  korper- 
liehe  Anstrengung,  durch  Arzneimittel,  durch  kleinere  oder  groBere 
Pausen  wurde  zum  Gegenstand  besonderer  Experimente  gemacht. 
Uebungszuwachs,  -verlust  und  -festigkeit,  Ermlidung  und  MUdigkeit, 
Anregung  und  Antrieb  wurden  dadurch  naher  bekannt  und  charak- 
terisirt.  Durch  diese  Vorarbeiten  sind  wir  in  den  Stand  gesetzt, 
nunmehr  auch  der  wichtigen  Frage  naher  zu  treten,  wie  denn  ver- 
schiedene  Arten  fortlaufender  geistiger  Arbeit  auf  oinander  einwirken. 
Wird  die  Leistungsfahigkeit  auf  irgend  einera  Gebiete  durch  das 
Einschieben  einer  andersartigen  Thatigkeit  gegeniiber  dera  einfachen 
Fortarbeiten  gesteigert  oder  herabgesetztV  Wirkt  der  Wechsel 
giinstig  oder  ungUnstig? 

Sollte  diese  Frage  kurzweg  nach  der  popularen  Auffassung  be- 
antwortet  werden,  so  ware  die  Entscheidung  nicht  zweifelliaft.  Wohl 
allgemein  huldigt  man  der  Ansicht,  dass  die  Abwechslung  von  segens- 
reichem  Einfluss  sei,  ja  dass  ohne  sie  das  Leben  uberhaupt  unmoglich 
ware.  Freihch  wenn  man  in  diese  Anschauung  tiefer  einzudringen 
sucht,  so  ergiebt  sich,  dass  sie  unter  Wechsel  vorzugsweise  jene  groBen 
Gregensatze  versteht  im  Sinne  des  biblischen  Wortes:  »Solange  die 
Erde  stehet,  soil  nicht  aufhoren  Same  und  Emte,  Frost  und  Hitze, 
Sommer   und   Winter,    Tag   und   Nacht*,    die    ja   thatsachlich    in 


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Ueber  den  Ginduss  des  Arbeitswechsds  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  119 

gewissem  Sinne  fiir  das  Leben  der  Natur  und  des  Menschen  Existenz- 
bedingungen  bedeuten. 

Anders  liegt  die  Sache,  wenn  man  die  Frage  dahin  pracisirt,  ob 
eine  bestimmte  Arbeitszeit  erfolgreicher  verwandt  wird  auf  eine  einzige 
Art  der  Thatigkeit,  oder  ob  die  Leistung  dnrch  angemessene  Ab- 
wechslung  erhoht  wird.  Auch  hier  liegt  wohl  den  meisten  das  Ja 
naher  als  das  Nein.  Wie  eintonig  und  langweilig  erscheint  es,  stunden- 
lang  dieselbe  Arbeit  zu  leisten,  wie  erfrischend  wirkt  dagegen  die 
Abwechslung!  Gewiss,  einen  Stimmungswerth  des  Wechsels,  einen 
giinstigen  Einfluss  gegeniiber  der  Empfindung  der  Langweile  konnen 
wir  nicht  leugnen.  Nun  haben  wir  aber  in  friiheren  psychologischen 
Untersucbungen  zu  unterscheiden  gelemt  zwiscben  Mudigkeit  und  Er- 
miidung.  Jene  erstere  verkniipft  sich  mit  dem  Gefuhle  der  Lang- 
wefle;  sie  hat  aber  keinen  oder  nur  geringen  Einfluss  auf  die  Hohe 
der  Leistung,  die  viehnehr  wesentlich  abhangt  einerseits  von  der 
Debung,  andererseits  von  der  Ermiidung  des  Arbeitenden.  Unsere 
Frage  spitzt  sich  also  daraufhin  zu:  Kann  die  Unterbrechung  einer 
Arbeit  durch  eine  andere  einen  Theil  der  Ermiidung  aufheben?  Auch 
diese  Pragestellung  wird  von  mancher  Seite  riickhaltlos  bejaht.  Zu 
den  entschiedensten  Vertretem  dieser  Anschauung  gehoren  die  Schul- 
manner,  welche  in  der  Abwechslung  verschiedener  Arbeiten  mit  ein- 
ander  geradezu  eine  Panacee  gegen  die  durch  den  heutigen  viel- 
stiindigen  Schulunterricht  bedingte  geistige  Anstrengung  und  Ermu- 
dung  erblicken.  XJm  von  vielen  Stimmen  nur  eine  wiederzugeben, 
erwahnen  wir  die  Schrift  des  Gymnasialdirectors  Dr.  Gustav  Rich- 
ter,  »XJnterricht  und  geistige  Ermiidung*,  Halle  1895,  die  ihre  Er- 
orterungen  Uber  die  erfrischende  Wirkung  guten  Schulunterrichts 
dahin  resiimirt :  »Im  Wechsel  liegt  die  Erholung*  (Seite  16).  Diese 
Auffassung  steht  nun  zu  mancherlei  praktischen  Erfahrungen  iiber, 
die  stark  ermiidende  Wirkung  des  heutigen  Unterrichts  hoherer  Schu- 
len  in  einem  nicht  hinweg  zu  disputirenden  Gegensatz.  Aber  auch 
von  streng  wissenschaftlichem  Standpunkt  diirfen  wir,  wenn  wir  zwi- 
scben Miidigkeit  und  Ermiidung  genau  unterscheiden,  ihr  keineswegs 
unbedingt  zustimmen.  Aus  den  bisher  vorliegenden  Ergebnissen  psy- 
chologischer  Untersucbungen  konnten  wir  von  vom  herein  eher  auf 
einen  ungiinstigen  Einfluss  des  AVechsels  schlieBen,  da  ja,  abgesehen 
vom  Debungsverlust,   entschieden  die  Unterbrechung  der  Anregung 


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120  WUhelm  Weygandt 

(vgl.  die  Arbeit  von  Amberg  in  den  psychologischen  Arbeiten,  Bd.  I.) 
als  werthverringemd  in  Betracht  kommen  muss.  Dadurch  wurde  die 
Beseitigung  der  Mudigkeit  zumeist  wohl  mehr  als  ausgeglichen.  Wenn 
es  sich  urn  zwei  gleich  schwere  Arbeiten  handelt,  mussten  wir  dem- 
nach  erwarten,  dass  der  Erfolg  eines  Wechsels  beider  Thatigkeiten 
ein  geringerer  sein  wird,  als  wenn  denselben  Zeitraum  hindurch  nur 
eine  der  beiden  ausgelibt  worden  ware.  Je  schwerer  die  vorher  gehende 
Thatigkeit,  urn  so  ungunstiger  wird  das  Ergebniss  der  f  olgenden  aus- 
fallen.  Ersetzen  wir  dagegen  den  ersten  Abschnitt  einer  schwierigen 
Arbeit  durch  eine  leichtere,  so  dlirften  wir  fur  den  zweiten  Abschnitt 
eine  bessere  Leistung  erwarten,  vorausgesetzt,  dass  der  so  erzielte 
Gewinn  groB  genug  ist,  um  den  anfanglichen  Mangel  der  Anregung  zu 
uberwiegen.  Es  fallt  also  zunachst  jedenfalls  auch  noch  die  Schwierig- 
keit  der  verschiedenen  Arbeiten  in  die  Wagschale.  Wir  sehen,  dass 
die  Frage  bei  naherer  Betrachtung  immer  verwickelter  wird. 

SoUte  es  uns  aber  doch  gelingen,  sicher  zu  stellen,  dass  der 
Wechsel  bei  zwei  gleich  schweren  Thatigkeiten  wirkUch  einen  giinstigen 
Einfluss  ausUbt,  so  lieBe  sich  daraus  folgem,  dass  wahrend  der  ersten 
Thatigkeit  sich  diejenigen  Theile  unseres  Organs  fur  geistige  Arbeit 
ausruhen  und  erholen  konnten,  welche  fUr  die  zweite  Thatigkeit  in  An- 
spruch  genommen  werden,  so  dass  sie  nachher  wieder  um  so  viel  Bes- 
seres  zu  leisten  im  Stande  sind.  In  diesem  Falle  diirften  wir  erwarten, 
dass  sich  ein  unterschiedUches  Verhalten  nach  dem  Gesichtspunkt  her- 
ausstelle,  ob  die  zwei  Arbeiten  einander  wesensahnlich  oder  verschieden 
sind,  ob  wir  uns  also  die  Thatigkeit  an  die  gleichen  Bestandtheile 
unserer  Himrinde  gebunden  zu  denken  batten  oder  nicht.  Damit 
ware  der  Weg  zimi  Nachweise  einer  partiellen  Ermiidbarkeit  unseres 
Denkorgans  eroffnet. 

Aus  dieser  Vielheit  von  Erwagungen,  die  uns  eine  Annahme  im 
besten  Fall  wahrscheinlich  zu  machen,  nicht  aber  sie  zu  sichem  ver- 
mogen,  kann  uns  nur  eine  exacte  experimentelle  Untersuchung  mit 
gewissenhafter  Deutung  der  Ergebnisse  zur  bestimmten  Klarheit 
hiniiberfiihren. 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  121 


I.  Methodik. 

Zum  Gegenstand  des  Experiments  wurden  moglichst  einfache 
Arbeiten  genommen,  die  meist  schon  erprobt  waren  und  wenigstens 
annahemd  nach  ihrem  psychischen  Ablauf  gekennzeichnet  werden 
konnten.  Da  der  reine  Einfluss  der  Arbeit  ohne  kleinere  Zwischen- 
pausen  zu  untersuchen  war,  konnte  natiirlich  nur  von  einer  Verwen- 
dnng  der  fortlaufenden  Methoden  die  Rede  sein.  Wir  wahlten  das 
Addiren  fortlaufender  Reihen  von  einstelligen  Zahlen,  das  Auswendig- 
lemen  12-stelliger  Zahlen  und  12-stelliger  sinnloserSilbenreihen;  femer 
das  Suchen  eines  bestimmten  Buchstabens  in  einem  zusammenhangenden 
Text,  also  eine  dem  Correcturlesen  etwa  entsprechende  Thatigkeit 
Weiterhin  das  Lesen  fremdsprachlicher  Texte  verschiedener  Art :  La- 
teinisch,  Italienisch,  Ungarisch  und  Hebraisch.  AuBerdem  kam  Nieder- 
schreiben  bekannter  Buchstabenfolgen  in  Anwendung,  und  schlieBlich 
wurden  in  einer  Anzahl  von  Versuchen  statt  der  Wechselarbeit  voU- 
standige  Pausen  eingeschaltet.  Fast  alle  Methoden  sind  sowohl  als 
Grundarbeit  als  auch  als  Wechsel-  oder  Einschiebearbeit  benutzt  wor- 
den.  Von  diesen  mannigfachen  Methoden  vertrat  das  Addiren  vorzugs- 
weise  die  associative  Seite  des  geistigen  Lebens,  das  Zahlen-  und 
Silbenlemen  die  Gedachtnissthatigkeit  und  die  Lesemethoden  sowie  das 
Buchstabensuchen  besonders  die  Auffassung  und  Assimilation.  Auf 
eine  genauere  Kennzeichnung  werden  wir  uns  erst  bei  der  Besprechung 
der  einzelnen  Versuche  einlassen. 

Es  wurde  zunachst  an  einem  Tage,  den  wir  den  Oontroltag  nennen 
wollen,  nur  in  einer  bestimmten  Grundthatigkeit  gearbeitet,  74  Stunden 
lang.  Darauf  folgte  der  Wechseltag,  an  dem  auf  die  erste  halbe 
Stunde  der  Grundthatigkeit,  welche  die  Tagesdisposition  feststellte, 
ein  "Wechsel  erfolgte,  indem  sofort  eine  bestimmte  andere  Thatigkeit, 
die  Wechselarbeit,  auf  V2  Stunde  eingeschoben  wurde,  nach  deren 
Ablauf  wieder  fiir  15  Minuten  die  Grundarbeit  in  ihre  Rechte  trat; 
aus  dem  Ausschlag  der  letzteren  war  der  Einfluss  des  Wechsels  zu 
ermitteln.  In  die  Reihe  der  spateren  Versuche  wurden  auch  noch 
Pausentage  eingeschoben,  bei  denen  auf  Y2  Stunde  Grundarbeit  eine 
halbstundige  Pause  und  dann  wieder  15  Minuten  Grundarbeit  folgte. 
Es  war  eben  im  Laufe  der  Versuche  die  Wichtigkeit  des  aus  den 


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122  Wilhelm  Weygaodt 

Pausentagen  zu  ermittelnden  reinen  Uebungszuwachses  erkannt  worden, 
den  man  vorher  noch  nicht  geniigend  zu  schatzen  gewusst  hatte. 

Im  ganzen  sind  22  Versuchsreihen  gewonnen  worden,  die  sich  auf 
97  Versuchstage  von  je  ^4  Stunden  Arbeitszeit  vertheilen.  Die  groBte 
Anzahl  von  Versuchen  (15  Reihen)  habe  ich  selbst  (damals  25jahrig) 
vorgenommen,  in  der  Zeit  vom  November  1895  bis  zum  April  1896. 
Im  Sommer  1896  gelang  es  mir,  verschiedene  Herren  zu  einigen 
weiteren  Reihen  zu  gewinnen:  die  Herren  Dr.  Massaut,  Arzt  aus 
Belgien  (25  Jahre),  cand.  med.  Manz  (23),  Hanel  (22),  Kirstein  (22) 
und  stud.  med.  Bruckner  (19),  denen  ich  an  dieser  Stelle  meinen  auf- 
richtigen  Dank  ausspreche.  Im  Folgenden  werde  ich  alle  6  Versuchs- 
personen  nach  einer  anderen  Reihenfolge  als  A,  B,  C,  D,  E  und  F 
bezeichnen.  Der  Genuss  von  Alkohol  und  Excitantien  war  vor  und 
wahrend  der  Versuchsreihen  naturlich  ausgeschlossen ;  ein  Theil  der 
Herren  war  Uberhaupt  abstinent.  Ausgiebigere  korperhche  Bewegung 
vor  den  Versuchen  wurde  vermieden.  Die  Disposition,  die  nicht 
immer  auf  gleicher  Hohe  zu  erhalten  war,  wird  bei  jedem  einzelnen 
Versuch  an  der  Hand  der  Protokolle  besonders  abgehandelt  werden. 


XL  Yersuehe  Yon  A. 

a)  Zahlenlemen  unterbroohen  duroh  Addiren. 

Es  wurde  vier  Tage  hintereinander,  vom  12.  bis  15.  XI.  1895, 
gearbeitet,  Nachmittags  5*®  bis  6^^.  Als  Hauptthatigkeit  wurde  eine 
vorwiegendeGedachtnissarbeit,  dasAuswendiglemen  12-stelligerZahlen, 
vorgenommen;  die  Abwechslung  trat  ein  am  2.  und  4.  Tag  in  der  zweiten 
halben  Stunde  durch  die  Addition  fortlaufender  Reihen  einstelhger 
Zahlen;  alles  geschah  in  der  Weise,  wie  sie  schon  oft  in  den  »Psy- 
chologischen  Arbeiten«  besprochen  wurde.  Der  Arbeitswechsel  heB 
sich  bequem  so  rasch  be werkstelligen ,  dass  wohl  nicht  mehr  als 
eine  Secunde  Zeitverlust  anzunehmen  ist.  Die  Disposition  war  als 
gut  zu  bezeichnen.  Wie  sich  schon  aus  der  vorgeriickten  Nach- 
mittagsstunde  ergiebt,  war  die  Leistungsfahigkeit  keine  voUstandig 
frische,  aber  da  tagUch  ganz  in  der  gleichen  Weise  vorher  etwa  8 
Stunden  gearbeitet  worden  war,  muss  die  Disposition  als  annahemd 
gleichmaBig  fiir  die  ganze  Versuchsreihe  bezeichnet  werden. 


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Ueber  den  Cinlluss  des  Arbeitswechsels  aiif  fortlaufeiide  geistige  Arbeit* 

Tabelle  I. 

Zahlenlernen,  unterbrochen*)  durch  Addiren. 

520  _  685  NachmittagB. 


123 


Viertel- 
stonden 

12.  XI.  95 

13.  XL  95 

14.  XL  95. 

15.  XL  95 

55 

120 

228 

314 

1. 

39  197 

131  360 

228  680 

262  864 

103 

119 

224 

288 

87 

180 

256 

304 

2. 

104  269 

141  395 

180  636 

250  780 



78 

74 

200 

226 

66 

230 

256 

249 

3. 

94  250 

229  698 

228  663 

245  745 

90 

239 

179 

251 

110 

216 

197 

244 

4. 

142  310 

239  662 

159  541 

215  689 

58 

207 

185 

230 

63 

130 

113 

252 

5. 

113  238 

137  408 

127  415 

246  672 

62 

141 

175 

174 

Die  kleinen  Zahlen  bedeuten  die  in  jedem  S-Minutenabschnitt, 
die  groBeren  die  in  einer  Viertelstunde  auswendig  gelemten  Zahlen. 
Dasselbe  Verhaltniss  herrscht  in  den  Additionsabschnitten. 

In  der  Versuchsreihe  fallt  zunachst  ein  hoher  Einfluss  der  Ubung 
ins  Auge.  Die  Leistungen  der  ersten  halben  Stunden,  an  denen  wir 
die  Tagesdisposition  am  reinsten,  noch  ganz  wenig  durch  Ermiidung 
beeintrachtigt,  zu  erkennen  vermogen,  schreiten  von  einem  Tage  zum 
andem  um  289,  561  und  328  Zahlen  vor.  Der  groBe  Sprung  vom 
2.  zum  3.  Tag  ftihrt  uns  sogleich  darauf  hin,  dass  die  Lemweise, 
welche  wie  bei  den  meisten  Versuchspersonen,  die  mit  dieser  Methode 
arbeiten,  sensorisch  begann,  immermehr  zu  einer  motorischen  wurde. 


1)  Das  stark  Umrandete  in  denTabellen  bedeutet  tlberall  die  Wechselarbeit, 
aUo  hier  das  Addiren. 


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124  Wiihelm  WeygandL 

Von  Anfang  an  war  laut  gelemt  worden.  Jenem  wichtigen  Deber- 
gang  entsprechend  fand  wahrend  des  Arbeitens  ein  Uebergang  von 
entschieden  unangenehmen  zu  angenehmeren  Begleitgefuhlen  statt,  so- 
dass  schlieBlich,  vor  allem  in  noch  spateren  Versuchsreihen,  die  auf 
den  ersten  Anschein  bin  auBerst  langweilige  Arbeit  mit  einem  gewissen 
Vergniigen  ausgelibt  wurde.  Schon  am  allerersten  Tage  kam  es  bier 
und  da  vor,  dass  auf  ein  einmaliges  Lesen  der  Reibe  aucb  sofort  das 
feblerlose  Hersagen  aus  dem  Kopf  erfolgen  konnte.  Besonders  scbwer 
wurde  es  anfanglich  empfunden,  die  Anregung  auf  der  gleicben  Hobe 
zu  erbalten.  Die  associative  Verkntipfung  der  Ziffem  wurde  immer 
leicbter,  je  mebr  sie  von  dem  sensoriscben  Gebiet,  wo  anfang- 
licb  das  Klangbild  nocb  unterstutzt  war  von  der  Vorstellung  der 
gedruckten  Ziffer,  iiberging  aufs  motoriscbe,  bis  zuletzt  die  Sprecb- 
bewegung  ausscblieBlicb  die  Lemweise  beberrscbte.  Aber  je  mebr 
sieb  dieser  Wandel  des  Lemverfabrens  voUzog,  um  so  storender 
wirkten  die  dazwiscben  nocb  auftretenden  Vorstellungen  aus  anderen 
Sinnesgebieten.  In  jenen  Abscbnitten,  wo  die  Arbeit  am  flottesten 
von  statten  ging,  bestand  bei  den  ersten  Versucbsreiben  eine  gewisse 
AVillensanspannung  gegen  das  Aufkommen  storender  Nebenvorstel- 
lungen.  Wenn  aber  docb  einmal  solcbe  dazwiscben  traten,  war  so- 
fort die  Tbatigkeit  derart  gestort,  dass  oft  nicbt  nur  die  betreffende 
Zablenreibe  mebrerer  Wiederbolungen  bedurfte,  sondem  aucb  nocb 
die  nacbsten  Reiben  darunter  litten.  So  wurden  am  15.  XI.  im  2. 
Funfminutenabscbnitt  262  Zablen  unter  49  Reibenwiederbolungen 
gelemt;  die  Wiederbolungen  vertbeilen  sicb  auf  die  einzelnen  12- 
stelligen  Reiben  in  folgender  Weise:  7,  1,  3,  1,  3,  1,  1,  1,  3,  3,  5, 
3,  1,  1,  3f  Vj  1,  1?  4,  3,  1,  1.  Wenn  also  einmal  die  rascbe  Lem- 
weise, die  nacb  jeder  Lesung  eine  Reibe  sofort  auswendig  bersagen 
lieB,  gestort  war,  sank  der  Wertb  der  Leistung  tief ;  es  waren  nun 
drei  und  mebr  Wiederbolungen  notbig,  und  oftmals  wurde  erst  mebrere 
Reiben  spater  die  bocbste  Lemgescbwindigkeit  wieder  erzielt.  Es 
bandelt  sicb  dabei  tbeilweise  um  einen  RUckfall  ins  sensoriscbe  Lemen. 
Etwas  Aebnlicbes  fand  sicb  in  den  nicbt  gerade  baufigen  Fallen,  wo 
das  Lesen  oder  Aufsagen  einer  Reibe  durcb  ein  Punfminutensignal 
unterbrocben  wurde. 

Am   ersten  und  zweiten  Tage  wurde  die  Arbeit  entscbieden  als 
scbwer  und  unangenebm  empfunden.     Allmablicb  aber  schwand  die 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswecbsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  125 

Unlust,  wahrend  die  Thatigkeit,  zumal  in  Anbetracht  des  Mufigen 
Eingreifens  des  Willens,  immerhin  noch  als  anstrengend  bezeichnet 
werden  musste.  Die  Empfindung,  ob  schwer  oder  leicht,  geht  also 
nicht  parallel  dem  eigentlichen  Grefuhlston.  Im  weiteren  Verlauf  der 
Versucbe  trat  jedoch  auch  beim  schnellsten  Lemen  Uebung  und 
Grewohnung  in  den  Vordergrund  gegeniiber  der  Willensanspannung; 
die  Anstrengung  wurde  immer  geringer. 

Dem  Eingreifen  des  Willens  entspricht  zum  Theil  noch  die  Zick- 
zacklinie,  die  schon  in  den  Viertelstunden  des  dritten  Tages  ausge- 
drtickt  ist,  noch  deutlicher  aber  sich  vielfach  in  den  Funfminutenab- 
schnitten  kundgiebt.  Aehnhches  findet  sich  auch  am  ersten  Tage  an- 
gedeutet  Vielleicht  spielt  hier  bereits  ein  gelegentliches  Uebergehen 
in  das  motorische  Lemen  eine  gewisse  Rolle;  dafttr  wiirden  die  groBen 
Spriinge  wie  39:103,  142:58  sprechen.  Mit  142  ist  hier  schon  eine 
Fiinfminutenleistung  erreicht,  die  am  zweiten  Tag  nur  ein  einziges 
Mai  iibertroffen  wird. 

Bemerkenswerth  ist  das  mehrfache  Auftreten  des  Antriebs,  am 
ersten  imd  vierten,  vielleicht  auch  am  dritten  Tag,  sowie  nach  dem 
Arbeitswechsel  am  vierten  Tag.  In  der  Arbeit  von  Rivers  und 
Kraepelin^)  finden  wir  den  Nachweis,  dass  in  diesen  hohen  Anfangs- 
leistungen  mit  rasch  folgendem  Sinken,  von  dem  aus  dann  die  Werthe 
wieder  allmahUch  anwachsen,  ein  unmittelbares  Eingreifen  des  Willens 
erblickt  werden  darf;  dem  entsprechend  haben  wir  auch  oben  auf 
die  Erfahrung  einer  steten  Willensspannung  zur  Femhaltung  storen- 
der  Nebenvorstellungen  hinweisen  konnen. 

Die  als  Abwechselung  eingeschobene  Arbeit  am  zweiten  und 
vierten  Tag  war  das  bekannte  Addiren  einstelliger  Zahlen.  Da  das 
Niederschreiben  der  Summen  in  den  meisten  Fallen  einen  storenden 
Einfluss  ausubt,  die  Beurtheilung  der  Rechenfehler  aber  doch  nur 
geringe  Ausbeute  Uefert,  wurde  hier  ganz  davon  abgesehen.  Wah- 
rend das  Zahlenlemen  eine  Beschaftigung  darstellte,  die  in  dieser 
Form  von  der  Versuchsperson  noch  nie  getrieben  worden  war,  bestand 
G^legenheit,  sich  im  Addiren  kleiner  Zahlen  zu  iiben,  vorher  schon 
taglich,  wenn  auch  nur  in  bescheidenen  Grenzen.  Aber  wir  finden 
natiirlich   doch,    vom   zweiten   zum  vierten  Tag   fortschreitend,    den 


I)  Diese  Arbeiten,  Bd.  I,  S.  034  ff. 


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126  Wilhelm  WeygaodU 

Erfolg  der  Uebung,  wahrend  die  Leistung  jedes  einzelnen  Tages  bald 
den  Hohepunkt  erreicht  und  dann  langsam  sinkt.  Das  Addiren,  eine 
vorzugsweise  associative  Thatigkeit,  wurde  im  Kopf,  meist  nur  mit 
halblautem  Nachsprechen  der  Resultate,  also  ohne  starkere  Betheiligimg 
der  motorischen  Seite,  ausgefuhrt.  Allerdings  spielt  beim  Addiren, 
zumal  die  Arbeit  bei  kiinstlicher  Beleuchtung  stattfand,  die  Ermiidung 
des  Auges  eine  etwas  groBere  Rplle  als  beim  Lemen,  wo  nach  dem 
Ablesen  der  Reihe  das  Aufsagen  stets  unter  Wegsehen  oder  Lid- 
sehluss  erfolgt  und  somit  den  Augen  eine  kleine  Ruhepause  gewahrt 
wird.  Im  ganzen  wurde  die  Arbeit  als  eine  wenig  angenehme,  maBig 
schwere  empfunden,  aber  doch  erschien  sie  noch  etwas  leichter  als 
das  Auswendiglemen  zu  jener  Zeit,  wo  es  zum  groBen  Teil  noch 
sensorisch  vorgenommen  wurde.  Im  Laufe  der  Versuche  trat  auch 
beim  Addiren  eine  Verringerung  der  Anstrengung  und  eine  Ab- 
stumpfung  des  unlustigen  Grefuhlstons  ein,  jedoch  bei  weitem  nicht 
so  rasch  und  so  stark  wie  beim  Lemen. 

Zu  einer  zahlenmaBigen  Beurtheilung  des  Einilusses  des  Arbeits- 
wechsels  bediirf en  wir  der  Kenntniss  des  Uebungszuwachses.  Ein  Geseiz 
iiber  die  Art  der  Zunahme  der  Uebung  besitzen  wir  nicht  und  werden 
wir  auch  in  absehbarer  Zeit  noch  nicht  erwarten  konnen.  AUe  Be- 
rechnungen  stiitzen  sich  auf  die  sicherlich  falsche  Annahme,  dass  die 
Uebung  gleichmaBig  anwachst.  Die  Unrichtigkeit  dieser  Voraus- 
setzung  beweist  eine  nahere  Betrachtung  zahlreicher  Versuchsergeb- 
nisse.  Auch  deshalb,  weil  es  sich  bei  den  Arbeiten  in  der  Kegel 
um  zusammengesetzte  Thatigkeiten  handelt,  deren  einzelne  Bestand- 
theile  sicher  verschiedene  Uebungsfaliigkeit  und  jedenfalls  auch  zu 
Beginn  der  Arbeit  einen  verschieden  hohen  Uebungsgrad  besitzen, 
ist  jene  Annahme  bedenklich.  Noch  schwieriger  wird  die  Beurthei- 
lung, wenn  der  Ablauf  der  Arbeit  selbst  eine  Veranderung  erfahrt, 
wie  bei  der  vorliegenden  Versuchsreihe.  Wir  mussen  uns  angesichts 
dieser  Verwickelung  an  das  halten,  was  im  Bereich  der  Moglichkeit 
liegt.  In  der  Arbeit  von  Rivers  und  Kraepelin  ist  als  das  ver- 
haltnissmaBig  genaueste  MaB  des  Uebungsfortschritts  der  sogenannte 
reine  Uebungszuwachs  hingestellt  worden,  der  aber  nur  dann  zu  be- 
rechnen  ist,  wenn  uns  Versuche  wie  die  dortigen  zur  Verfiigung 
stehen,  bei  denen  auf  eine  halbe  Stunde  Arbeit  eine  halbstiindige 
Pause    folgte;    in    dieser  Pause  gleicht   sich   die  geringe  Ermiidung 


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Ueber  den  Einfliiss  des  Ar&eiUwechsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  127 

groBten  Theils  aus,  wahrend  der  Uebungsverlust  noch  keine  nennens- 
werthe  Hohe  erreichen  kann.  In  den  spateren  Versuchsreihen  wurde 
darauf  Riicksicht  genommen,  in  der  Anfangszeit  aber  war  die 
Bedeutung  des  reinen  Uebungszuwachses  noch  nicht  genugend  erkannt. 
Es  bleibt  uns  daher  nichts  iibrig,  als  hier  den  taglichen  Uebungszu- 
wachs  zu  berechnen  in  der  Weise,  wie  sie  in  den  »P8ychol.  Arbeiten« 
schon  ofter  zur  Besprechung  kam,  naturlich  unter  Beriicksichtigung 
von  je  fiinf  Lemviertelstunden  fiir  die  Control-  und  je  drei  fur  die 
Wecbseltage.  Auf  diese  Weise  ergiebt  sich  fiir  den  Uebungszuwachs 
einer  Viertelstunde  die  betrachtlich  hohe  Zahl  von  51,5. 

Unter  Einsetzung  dieses  Werthes  erhalten  wir,  ausgehend  von 
dem  Mittel  der  2  ersten  Viertelstunden,  als  berechnetes  Ergebniss 
der  Schlussviertelstunde  mit  theilweiser  Ausgleichung  der  Ermiidung 
die  Werthe  der  ersten  Reihe  der  folgenden  Tabelle  IL  Das  experi- 
mentell  gefundene,  durch  Ermiidung  beeinflusste  Resultat  der  f iinften 
Viertelstunde  findet  sich  in  der  zweiten  B;eihe.  Die  Differenz  zwischen 
berechnetem  und  gefundenem  Werth  wiirde  also  zunachst  einen  Theil 
des  Ermiidungseinflusses  ausdriicken.  Da  wir  annehmen,  dass  die 
Uebungsfahigkeit  wahrend  einer  kiirzeren  B;eihe  sich  nicht  allzusehr 
andert,  im  vorliegenden  Versuche  mit  seiner  Aenderung  des  Lem- 
verfahrens,  die  sich  besonders  in  dem  Sprunge  vom  13.  zum  14.  XT. 
ausdriickt,  zum  mindesten  doch  fiir  die  beiden  ersten  und  fiir  die  bei- 
den  letzten  Tage  annahemd  gleich  ist,  darf  wohl  ein  merklicher  Un- 
terschied  zwischen  den  Differenzen  an  Control-  und  Wechseltagen 
auf  Rechnung  der  Arbeitsverschiedenheit  in  den  vorhergehenden  Ab- 
schnitten  gesetzt  werden.  In  der  That  finden  wir  in  jenen  Differenzen 
Unterschiede,  die  einen  Ausschlag  nach  derselben  Seite  bedeuten. 
Die  Ermiidungserscheinungen  waren  beide  Male  geringer  an  den 
Wechseltagen;  es  hat  also  hier  ein  giinstiger  Einfluss  des  Arbeits- 
wechsels  stattgefunden.  Der  Ausschlag  betragt  —  25,5  und  —  93. 
Der  betrachtliche  Abstand  dieser  Werthe  hat  nichts  zu  sagen,  da  wir 
diese  Berechnung  ja  von  den  absoluten  Zahlen  ausgehen  UeBen,  die 
in  Folge  der  eigenartigen  Uebungs-  und  Lemverhaltnisse,  wie  oben 
gezeigt,  bemerkenswerthe  Unterschiede  aufweisen. 


1 


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128 


Wilhelm  Weygxadl. 
Tabelle  H. 


1895 

12.  XL 

13.  XI. 

14.  XI. 

15.  XI. 

I  t  te         (  ^®'®^^"®*^^  Werth 

387,5 

532 

812,5 

975,5 

Vierteutunde  ^  q^^^^^^^^  ^^^ 

238 

408 

415 

672 

Ennildungswirkung 

149,5 

124 

397,5 

304,5 

Differenz 

—  25,5 

—  93              1 

Gefundener  Werth  in  o/q  deg  be- 
rechneten 

61,4 

76,7 

51,1 

68,8 

Differeni 

+  15,3 

+  17,7             1 

Einheitlicher  wird  das  Resultat  und  klarer  erscheint  die  Bedeu- 
tung  des  Wechsels,  wenn  wir  untersuchen,  wieriel  Procent  des  er- 
warteten  Werthes  der  gefundene  betragt  (vergleiche  die  funfte  und 
sechste  Reihe  von  Tabelle  11).  Zunachst  sehen  wir  hier  deutlich, 
dass  die  Leistung  der  ausschlaggebenden  Controltagsviertelstunde 
weiter  hinter  dem  berechneten  Werthe  zuriickbleibt  als  diejenige  des 
Wechseltages.  Bemerkenswerth  ist  aber  auch,  dass  der  erste  Con- 
troltag  anscheinend  weniger  durch  die  Ermiidung  beeinflusst  wurde 
als  der  zweite.  Letzterer  hat  augenscheinlich  die  Tendenz,  starker 
den  Ermiidungswirkungen  nachzugeben;  besonders  die  letzte  Viertel- 
stunde  zeigt  einen  starken  Abfall  (541  :415). 

Auch  der  zweite  Wechseltag  steht  in  dieser  Hinsicht  hinter  dem 
ei'sten  zuriick.  Hier  ist  jedoch  die  auffallende  Hohe  der  ersten 
Viertelstunde  vorzugsweise  dem  auBerordentlich  starken  Antrieb  zu 
danken,  wahrend  im  iibrigen  die  FUnfminutencurve  in  kleineren 
Schritten  erst  steigt  und  dann  sinkt.  Auch  die  Additionscurve  zeigt 
keine  Zeichen  groBerer  Ermiidung  als  diejenige  des  ersten  Wechsel- 
tages. Wir  konnen  daher  wolil  annehmen,  dass  die  verhaltniss- 
maBig  geringere  Wirkung  des  Arbeitswechsels  am  15.  XI.,  sofem 
es  sich  nicht  um  eine  reine  ZufaUigkeit  handelt,  begrundet  ist  in  der 
besprochenen  Aenderung  der  Arbeitsweise,  dem  Uebergang  zum  moto- 
rischen  Lernen.  Mit  der  Erleichterung  der  Arbeit  wurde  der  Unter- 
schied  von  dem  noch  etwas  leichteren  Addiren  weniger  groB  als  in 
der  ersten  Halfte  der  Versuchsreihe ;  der  giinstige  Endausschlag  fiel 


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Deber  den  EinOuss  des  ArbeltswetAsels  anf  fortlanfende  geistige  Arbeit.  129 

damit  geringer  aus  (68,8  :  76,7)  als  dort,  ein  Verhaltniss,  das  durch 
den  Vergleich  mit  dem  durch  Ermlidung  augenscheinlich  ein  wenig 
beeintrachtigten  zweiten  Controltag  etwas  verwischt  wird.  Wir  erhalten 
die  Differenzen  von  15,3  iind  17,7,  im  Durchschnitt  also  eine  Herab- 
setzung  der  Ermudungswirkung  durch  den  Arbeitswechsel  um  16,5)1^. 
Eine  Bestatigung  und  Erweiterung  der  bisherigen  Ergebnisse 
liefem  uns  die  folgenden  Tabellen,  deren  nachste  die  Wiedernolungs- 
zahlen  angiebt.  Sie  sagen  aus,  wie  viel  mal  in  5  bezw.- 15  Minuten 
die  verschiedenen  Einzelreihen  heruntergdesen  werden  mussten,  ehe 
sie  auswendig  hergesagt  werden  konnten. 

Tabelle  HI. 


12.  XL 

13.  XL 

14.  XL 

115.  XI. 

1 

34 

50 

42 

40 

1. 

42  li4 

49  146 

43  131 

49  132 

38 

47 

46 

43 

35 

43 

41 

41 

2. 

40  113 

46  143 

47  130 

43  130 

38 

54 

42 

46 

47 

41 

3. 

41  131 

43 

45  129 
43 

42 

39 

4. 

46  134 

45  125 

46 

41 

50 

45 

48 

41 

5. 

44  142 

42  135 

43  134 

39  123 

48 

48 

43 

43 

Genau  genommen  sollte  man  die  Zahlen  dieser  Tabelle  als  Lese- 
zahlen  bezeichnen,  da  es  oft  schon  nach  der  ersteii  Lesung  gelang, 
eine  Reihe  auswendig  herzusagen.  Spater  wurde  das  sogar  zur  Kegel, 
so  dass  von  einer  Wiederholung  uberhaupt  kaum  noch  die  Rede  war. 
Die  Zahlen  der  Tabelle  HI  verandern  sich  nur  wenig,  meist  im  Sinne 
einer  Zunahme. 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  9 


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130 


Willielm  WeygandU 


Daraus  abgeleitet  finden  sich  in  Tabelle  IV  die  wichtigeren 
Zahlen  fiir  den  Lemwerth,  der  angiebt,  wieviel  gelemte  Zahlen  auf 
je  too  Wiederholungen  kommen. 

Tabelle  IV. 


12.  XI. 

13.  XL 

14.  XL 

15.  XL 

1. 

172,8 

246,6 

519,1 

654,5 

2. 

238,0 

276,4 

489,2 

600,0 

3. 

190,8 

513,9 

4. 

231,3 

432,8 

5. 

167,6 

302,2 

309,7 

546,3 

Der  schon  mehrfach  betonte  Unterschied  in  der  Arbeitsweise 
der  zwei  ersten  iind  der  zwei  letzten  Tage  der  Reihe  tritt  hier  be- 
sonders  scharf  hervor.  Die  Zahlen  des  ersten  nnd  zweiten  Tages, 
ebenso  diejenigen  des  dritten  und  vierten  bilden  je  eine  Gruppe. 
Immerhin  ist  auch  in  jeder  der  beiden  Versuchshalften  die  Zunahme 
des  Lemwerths  sehr  groB.  Schon  die  Tabelle  IV  ergiebt  deutlich 
die  giinstige  Wirkimg  der  Unterbrechung  durch  eine  andere,  verhalt- 
nissmaBig  leichte  Arbeit;  wahrend  die  letzte  Viertelstimde  der  Con- 
troltage  gegeniiber  der  sonstigen  Leistung  recht  tief  steht,  zeigt  der 
zweite  Wechseltag  nur  ein  geringes  Sinken,  der  erste  sogar  ein  An- 
steigen  des  Lemwerths  der  Schlussviertelstunde.  Bemerkenswerth  ist 
es,  dass  am  ersten  Wechseltage  der  Lemwerth  bis  aim  Ende  noch 
zunimmt  Wir  diirfen  auch  hier  daran  denken,  dass  die  sensorische 
Lemmethode  in  der  ersten  Halfte  der  Reihe  immerhin  noch  schwie- 
riger,  mithin  die  Einschiebimg  einer  etwas  leichteren  Zwischenarbeit 
erholender  war  als  in  der  zweiten  Halfte. 


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Dcber  dcD  EidUdss  des  Arbeitsweehsels  anf  fottliuifende  geistige  Arbeit. 
Tabelle  V. 


131 


12.  XL 

13.  XT. 

14.  XL 

15.  XL 

berechnet 
Letzte 

321,5 

377,6 

620,3 

743,4 

Viertelstunde      ^^^^^^^ 

167,6 

302,2 

309,7 

546,3 

ErmaduDgswirkung 

153,9 

75,4 

310,6 

197,1 

Differenz 

—  78,5 

—  113,5 

Qefiindener  Werth  in  % 
de8  berechneten 

52,1 

8U,0 

49,9 

73,5 

Differens 

4-27,9 

+  23,6                  1 

Tabelle  V  giebt  die  Ausschlagbereclinung  des  Lerawerths  an. 
Der  viertelstundliche  Zuwachs  betragt  38,7.  Davon  ausgehend  ergeben 
sich  die  Verhaltnisse  der  berechneten  und  gefundenen  Endviertel- 
stundenwerthe,  sowie  die  Procentzahlen,  alles  in  der  Weise  wie  bei 
Tabelle  IL    Das  Ergebniss  ist  klar  ersichtlich. 

Tabelle  VI. 


12.  XI. 

13.  XL 

14.  XL 

15.  XL 

40 

60 

61 

66 

1. 

45    132 

60    177 

62    190 

71    204 

47 

57 

67 

67 

42 

58 

62 

66 

2. 

49    135 

58    176 

62    183 

64    105 

44 

60 

59 

65 

52 

62 

3. 

49    152 

51 

64    184 
58 

51 

55 

4. 

58    168 
59 

58    170 
57 

55 

56 

57 

62 

5. 

53     161 

53    169 

54    169 

60     180 

53 

60 

58 

58 

9* 


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132  Wnhelm  Weygandt; 

Tabelle  VI  ist  zu  bezeichnen  als  die  der  Sprechzahl,  d.  h.  sie 
giebt  an,  wie  oft  die  zu  erlemenden  Zahlen  ausgesprochen  worden 
sind,  enthalt  also  die  Sutnme  der  Wiederholungszahl  und  der  ZaU 
der  gelemten  Reihen.  Sie  liefert  uns  somit  ein  gewisses  MaB  fiir 
die  Geschwindigkeit  des  Sprechens  bei  der  Lemthatigkeit.  In  den 
friiheren  Aiifsatzen  der  » Psychol.  Arbeiten*  wurden  diese  Werthe 
als  Wiederholungszahl  *  bezeichnet,  von  der  aus  dann  der  Lemwerth 
berechnet  wurde.  Da  jedoch  das  auswendige  Aufsagen  fUr  das  Lemen 
selbst  und  den  Lemwerth  keine  Bedeutung  mehr  hat,  was  gerade  bd 
meinen  Versuchen,  wo  oft  nach  einer  einzigen  Lesung  die  Reihe  schon 
auswendig  hergesagt  werden  konnte,  besonders  deutlich  werden  musste, 
BO  glaubte  ich,  jenen  Unterschied  machen  zu  miissen  zwischen  der 
eigentlichen  Wiederholungs-  oder  Lesezahl  (Tab-  JH),  von  der  aus 
sich  der  Lemwerth  berechnet,  und  der  Sprechzahl  (Tab,  VI),  die  der 
Wiederholungszahl  friiherer  Arbeiten  entspricht. 

Wir  sehen  auch  hier  ein  Anwachsen  durch  die  Uebung,  doch  in 
weit  bescheideneren  Grenzen  als  bei  der  eigentlichen  Lemiibung.  Die 
Beeinflussung  der  Sprechzahlen  durch  den  Arbeitswechsel  heigt  sich 
ini  Gegensatze  zu  derjenigen  des  Lernwerthes  eher  nach  der  un- 
gunstigen  Seite  hin.  Jedenfalls  wird  das  Sprechen  an  sich,  diese 
leichte  und  wenig  ermiidende  Arbeit,  durch  das  Einschieben  des  Ad- 
direns  nicht  erleichtert.  Gerade  durch  dieses  negative  Ergebniss  wird 
der  Ausschlag  beim  Lemwerth  um  so  bedeutsamer. 

Als  Schlussergebniss  der  ganzen  AusfUhrung  Uber  diese  erste 
Versuchsreihe  steht  demnach  fest,  dass  hier,  wo  die  schwere  Arbeit 
des  Auswendiglemens  zwolfstelliger  Zahlenreihen  durch  die  weniger 
schwere  des  Addirens  unterbrochen  wurde,  der  Wechsel  einen  gun- 
stigen Einfluss  auf  die  Endleistung  ausgeiibt  hat. 


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Ueber  den  Eiiifluss  d«s  Arbeitsweclisels  auf  forliaufeiide  geistige  Arbeit. 

2)  Addiren  unterbroohen  duroh  Zahlenlemen. 
Tabelle  VII. 


133 


18.  XI. 

19.  XL 

20. 

XI. 

21.  XL  95 

257 

321 

270 

318 

1. 

277  800 

313  929 

300 

867 

316  958 

266 

295 

297 

324 

286 

296 

282 

318 

2. 

273  812 

271  839 

301 

920 

320  947 

253 

272 

337 

309 

273 

316 

294 

216 

3. 

251  792 

294  934 

282 

823 

300  801 

268 

324 

247 

288 

255 

264 

262 

300 

4. 

253  763 

291  792 

276 

783 

276  888 

255 

237 

245 

312 

230 

217 

246 

248 

5. 

232  707 

191  638 

253 

757 

219  671 

245 

230 

258 

.204 

Addiren  bildete  diesmal  die  Grundthatigkeit.  In  der  zweiten 
halben  Stunde  des  zweiten  und  vierten  Tages  trat  an  seine'  Sttelle 
das  Zahlenlemen;  in  der  Tabelle  VII  finden  sich  dessen  Resultate 
in  der  stSrkeren  Umrahmung. 

Im  Gegensatze  zum  Lemen  fallt  sofort  die  geringere  Uebungs- 
fihigkeit  bei  dieser  Art  Grundthatigkeit  auf.  Es  war  allerdings  eine 
Arbeit,  die  schon  vor  den  Versuchen  immerhin  des  ofteren  verrichtet 
worden  war,  die  also  schon  von  vomherein  eine  hohere  Uebungsstufe 
zu  den  jetzigen  Versuchen  mitbrachte  als  das  noch  nie  in  solcher  oder 
ahnlicher  Weise  geiibte  Zahlenlemen.  Es  wurde  im  Kopf  aus- 
gerechnet  und  dabei  das  Ergebniss  halblaut  nachgesprochen,  doch 
bietet  letzteres  keine  besondere  Erleichterung  der  Arbeit,  jedenfalls 
.keine  Verlegung  des  Schwerpunktes  auf  das  motorische  Gebiet,  wie 
es  alhnahlich  im  Laufe  der  Lemthatigkeit  stattfand.  Die  Ueber- 
wachung  der  eigenen  Thatigkeit  wShrend  des  Arbeitens  war  hier  viel 
schwieriger    als    beim   Lemen,    wo    jeder   Fehler    fast    unmittelbar 


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134  VVilhelm  WeygAiidt. 

empfunden  wurde.  Meine  Additionen  begleiten  stets  Gesichtsvor- 
stellungen  derart,  dass  ich  die  ZaUenreihe  bis  100  in  einer  aufrechten 
Linie  geschrieben  sehe  und  nun  beim  Addiren  gewissermaBen  an  einer 
Scalar  in  die  Hohe  steige.  Ueber  das  sensorische  Lemen  berichten 
die  einzelnen  Versuchspersonen  ahnliches,  in  mannigfachen  Variationen; 
ich  kann  von  mir,  soweit  ich  sensorisch  lemte,  dasselbe  bestatigen. 

Immerhin  giebt  sich,  wenn  wir  die  Mittelwerthe  der  ersten  2  Viertel- 
stunden  vergleichen,  die  Uebung  in  einem  constanten  Ansteigen  kund. 
Bemerken  muss  ich  freilich,  dass  ich  trotz  spaterer  Additionsversuche 
an  dem  4.  Tage  dieser  Reihe  den  hochsten  von  mir  jemals  erreichten 
Viertelstundenwerth  aufzuweisen  habe.  Das  ist  die  18.  Additions- 
viertelstunde,  die  von  mir  ausgefUhrt  wurde;  in  spateren  Versuchen 
wurde  noch  im  ganzen  24  Viertelstunden  lang  addirt,  ohne  dass  noch 
einmal  dieser  an  sich,  im  Vergleich  mit  den  Ergebnissen  anderer 
Versuchspersonen,  nicht  besonders  hohe  Werth  erreicht  wurde;  aller- 
dings  litten  die  nachsten  Wochen  unter  ungttnstiger  Disposition,  wah- 
rend  die  letzten  Additionsversuche  durch  eine  mehrwochige  Pause  mit 
entsprechendem  Uebungsverlust  von  den  vorhergehenden  getrennt 
waren,  zum  Theil  auch  in  die  minder  gUnstige  2.  HaJbstunde  der 
Arbeitszeit  fielen.  Die  Additionsthatigkeit  wurde  in  der  2.  Versuchs- 
reihe  durchweg  noch  als  maBig  schwer  und  etwas  langweilig  empfunden. 

Als  Zwischenarbeit  diente  das  Auswendiglemen  12  stelliger  Zahlen. 
Der  Uebungszuwachs  gegentiber  den  Leistungen  der  vorigen  Versuchs- 
reihe  iat  noch  betrachtlich,  aber  die  Grenze  der  Uebungsfahigkeit  ist 
noch  nicht  annahemd  erreicht,  denn  in  den  Leistungen  der  nachsten 
4  Wochen,  wo  noch  20  Viertelstunden  gelemt  wurde,  steigt  der  Werth 
um  weitere  67,7%.  Die  Lemarbeit  erschien  der  subjectiven  Auffassung 
mittelschwer,  jedoch  weniger  langweilig  als  das  Addiren.  Ich  vermag 
nicht  mit  Bestimmtheit  anzugeben,  dass  sie  bemerkenswerth  schwerer 
empfunden  wurde  als  das  Addiren;  fast  neige  ich  mich  zu  der  An- 
sicht,  dass  das  Lemen  schon  in  dieser  Versuchsreihe  etwas  leichter 
erschien  als  das  Addiren,  mag  auch  die  wirkliche  Arbeitsleistung  beim 
Lemen  eine  groBere  gewesen  sein.  Dieser  scheinbare  Widerspmch 
zwischen  der  gemessenen  und  empfundenen  Schwere  der  Leistung, 
ganz  abgesehen  von  dem  Gkftihlston,  ob  angenehm  oder  langweilig 
u.  dgL,  darf  uns  nicht  storen,  wenn  wir  uns  vergegenwartigen,  dass 
auch  bei  anderen  psychischen  Arbeiten  ahnliche  Differenzen,  natUrlich 


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Ueber  deu  tiufliiss  des  ArbeiUweclisels  aiif  fortiaufende  geislige  Arbeit. 


135 


immer  nur  geringen  Grades,  zu  Tage  getreten  sind.  So  fand  sich 
bei  Auffassungsversuchen,  bei  denen  durch  einen  Spalt  von  einer 
rotirenden  Trommel  Worte  abzulesen  waren,  dass  das  Lesen  28ilbiger 
"Worte  durch weg  leichter  erschien  als  das  der  einsilbigen,  wahrend 
dieMessung  yielfach  mehr  Fehler  auf  der  Seite  der  2silbigen  ergab. 
Als  Erklarung  fand  sich,  dass  letztere  wegen  ihrer  reicheren  Fiille 
von  Associationshulfen  weniger  Mtihe  verursachen,  wahrend  die  Ge- 
sammtarbeit  bei  ihnen  doch  groBer  ist,  da  sie  anf  der  Trommel  mehr 
Eaum  einnehmen  und  deshalb  unter  ktirzeren  Zwischenpausen  am 
Auge  Yorbeirotiren  als  die  einsilbigen. 

Durchschnittlich  gingen  diesmal  beide  Thatigkeiten  flotter  von 
statten  als  in  der  vorigen  Versuchsreihe.  Die  Disposition  war  un- 
gefahr  dieselbe  wie  in  der  letzten  Woche.  Man  muss  sie  als  im  gan- 
zen  gut  bezeichnen. 

Der  tagliche  Uebungszuwachs  betragt,  auf  die  Viertelstunde  be- 
rechnet,  10,3.  Die  danach,  unter  theilweisem  Ausgleiche  der  Er- 
miidung  erwarteten  und  die  wirklich  gefundenen  Werthe  fUr  die  letzten 
Viertelstunden,  sowie  die  GroBe  der  Ermudungswirkung  zeigt  die 
folgende  Tabelle,  in  absoluten  und  in  Procentzahlen. 

Tabelle  VDI. 


18.  XL 

19.  XI. 

20.  XI. 

21.  XL  95 

,  berechneter  Werth   ^ 

836,9 

914,9 

929,4 

983,4 
671 

Viertelstunde  \  gefundener  Werth 

707 

638 

757 

ErmaduDgswirkung 

129,9 

276,9 

172,4 

312,4 

Differens 

+  145 

+  140 

Gefundener  Werth  in  %  des  be- 
rechneten 

84,5 

69,75 

81,5 

68,2 

Differenz 

—  14,75 

-13,3               1 

Die  Ermudungswirkung  ist  hier  an  den  Wechseltagen  entschieden 
groBer,  als  an  den  Controltagen.  Die  Unterschiede  sind  nicht  sehr 
groB,  stehen  aber,  was  ihre  Beweiskraft  erhoht,  einander  ganz  nah, 
Man  konnte  versucht  sein,   das  starke  Sinken  der  Endviertelstunde 


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136 


Wilhelm  Weygandt. 


am  ersten  Wechseltag  auf  die  in  der  ersten  halben  Stunde  wie  in  den 
Werthen  fttr  das  Auswendigleraen  auftretende  absteigende  Tendenz  des 
ganzen  Versuchstags  zuruckzufuhren.  Aber  diese  ist  im  groBen  Ganzen 
nur  eine  scheinbare,  insofem  die  erste  Viertelstunde  einen  ganz  be- 
trachtlichen  Antrieb  aufweist,  der  ihren  Werth  selbst  iiber  die  Anfangs- 
viertelstunde  des  nachsten  Tags  erhebt.  Der  2.  Wechseltag  zeigt  in 
seiner  halben  Lemstunde  noch  ein  deutliches  Ansteigen,  wahrend  das 
Endresultat  einen  Ausschlag  nach  der  ungunstigen  Seite  ergiebt. 
Bemerkenswerth  ist  der  regelmaBige  Antrieb  nach  der  Einschiebe- 
arbeit;  wir  kommen  spater  noch  einmal  darauf  zuriick. 

Im  Ganzen  wurde  das  Addiren  durch  den  Wechsel  mit  Aus- 
wendiglemen  in  maBigem  Grade  ungUnstig  beeinflusst.  Wie  es 
scheint,  ist  hier  dieser  Einfluss  etwas  geringer  gewesen,  als  der  ent- 
gegengesetzte  bei  der  umgekehrten  Versuchsanordnung. 


3)  BuohBtabensuohMi  unterbroohen  daroh  Addiren. 
Tabelle  IX. 


1 

____  1 

27.  XI. 

28.  XL 

29.  XI. 

30.  XI. 

4015 

4465 

4489 

4941 

1. 

4334  12424 

4630  13875 

4943  14566 

5524  16078 

4075 
3209 

4780 

5134 

5613 
4360 

4569 

5101 

2. 

2888  8176 

3903  11219 

4902  13809 

28(i4  9768 

— 

2079 

2747 

3806 

2544 

16G8 

248 

3212 

262 

3. 

2180  ^*2 

254   711 

2256  7560 

275   790 

1764 

209 

2092 

253 

2382 

158 

2284 

19:) 

4. 

2191  6157 

197  581 

2848  7508 

151   558 

1584 

226 

2376 

217 

1 

3396 

2858 

2340 

2343 

5. 

2071  8876 

2635  9395 

2597  7514 

j  2719  7228 

1 

3409 

3902 

2577 

2166 

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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitsweobseis  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  137 

Nachdem  in  den  vorigen  Versuchen  zwei  Methoden  zur  Geltung 
gekommen  waren,  bei  denen  einerseits  das  Gredachtniss,  andererseits 
associative  Vorgange  die  Hauptrolle  spielten,  schien  es  erwiinscht, 
weiterhin  Methoden  heranzuziehen,  die  in  erster  Linie  die  Auff assung 
beriicksichtigen.  Fiir  die  nachsten  vier  Versuchsreihen  wurde  deshalb 
eine  Arbeit  gewahlt,  die  wir  der  Kiirze  halber  als  Buchstabensuchen 
bezeichnen  wollen.  Es  handelte  sich  darum ,  aus  einem  zusammen- 
hangenden  Text  einen  bestimmten  Buchstaben  herauszusuchen;  wir 
nahmen  Gustav  Freytag's  »Bilder  aus  der  deutschen  Vergangen- 
heit«,  Band  IH,  14.  Auflage,  Leipzig,  Hirzel,  1884.  Es  sollte  ohne 
Beriicksichtigung  des  Sinnes  gelesen  und  dabei  stets  der  Buchstabe  i 
durch  ein  Punktchen  markirt  werden.  Die  motorische  Leistung  des 
Markirens  war  eine  so  geringe,  dass  dadurch  kein  merklicher  Auf- 
enthalt  entstand.  Die  Zahl  der  i  betragt  rund  6^  der  ganzen 
Buchstabenmenge  in  dem  betreffenden  Lesestoff.  Die  Tabelle  giebt 
die  in  je  5  und  15  Minuten  uberlesene  Buchstabenanzahl  an,  freilich 
nur  mit  annahemder  Genauigkeit.  Die  Arbeit  kam  darauf  hinaus, 
einen  bestimmten  Eindruck  seharfer  aufzufassen  aus  einer  Menge  von 
anderen,  die  gewissermaBen  nur  in  die  peripheren  Theile  des  inneren 
Blickfelds  eintraten.  Allerdings  muss  ich  gestehen,  dass  es  nicht 
immer  gelang,  den  Eindruck  der  Worte  und  ihres  Zusammenhanges 
ganz  zu  unterdriicken.  Besonders  im  ersten  Anfange  des  Lesens  und 
dann  in  manchen  Stadien  der  Ermiidung  schimmerte  der  Sinn  nicht 
selten  palimpsestartig  durch,  so  dass  es  sich  also  dann  eigentUch  um 
Versuche  mit  leichter  Stoning  und  Ablenkung  handelte.  Im  GroBen 
und  Ganzen  entsprach  die  Thatigkeit  der  des  Correcturlesers  in  der 
Druckerei  und  findet  auch  ihre  Analoga  in  der  Beschaftigung  des 
Schiilers  bei  der  Durchsicht  seiner  schriftlichen  Aufgaben,  dem  Suchen 
bestimmter  Wortformen  u.  dgl. ;  ja  auch  im  gewohnlichen  Leben  giebt  es 
"  reichlich  Gelegenheit,  in  ahnlicher  Weise  thatig  zu  sein.  Somit  konnte 
es  auch  fiir  die  Versuchsperson  keine  ganz  fremdo  Methode  sein. 
Immerhin  sehen  wir  in  der  Tabelle  noch  einen  betrachtlichen  Grad 
von  XJebungsfahigkeit  ausgedruckt,  indem  die  Anfangsviertelstunde 
des  4.  die  des  1.  Tages  um  29,5^  Ubertrifft. 

Allein  die  zweiten  Viertelstunden,  die  bei  der  Mehrzahl  der  fort- 
laufenden  Versuche  die  hochsten  Werthe  bieten,  zeigen  hier  eine  auf- 
fallende  Verschiedenheit,  meist   ein  enormes  Sinken.     Das  ist  schon 


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138  Wilhelta  Weygandt. 

der  Ausdruck  dessen,  was  das  ProtokoU  aussagt:  Wir  haben  es  in 
dieser  Versucbsreihe  mit  einer  wenig  gunstigen  Disposition  zu  thun. 
Das  Protokoll  giebt  fUr  alle  Tage  der  Versucbsreihe  einen  gewissen 
Grad  von  Ermiidung  an,  durchweg  anf  Qmind  der  vorausgegangenen 
anstrengenden  Tagesarbeit.  Ln  Laufe  der  Versuche  steigerfce  sich  dei> 
selbe  manchmal  zur  Schlafrigkeit,  so  dass  bier  und  da  kleine,  secun- 
denlange  Pausen  entstanden  und  selbst  die  Ansatze  zu  Scblummer- 
bildem  einige  Male  auftraten.  Die  erste  Viertelstunde  ist,  wie 
angedeutet,  am  wenigsten  betroffen,  doch  sagt  das  Protokoll  des 
ersten  Tages  aus,  dass  auch  in  ihr  sebon  allmablicb  die  Ermiidung 
merklich  wurde.  Fiir  die  ungUnstige  Disposition  sprecben  nicbt  nur 
die  starken  Scbwankungen,  sondem  wobl  aucb  der  ofter  auftretende 
Scblussantrieb,  den  wir  als  bewusste  Reaction  des  Willens  gegen  die 
Ermiidung  auffassen  konnen;  im  letzten  Abscbnitt  der  Abbandlung 
kommen  wir  darauf  zuriick.  Am  scblimmsten  bestellt  war  es  mit 
dem  vierten  Versucbstag,  dem  30.  XI. ;  es  war  scbon  ein  Febler,  dass 
ibm,  der  wie  alle  Versucbe  des  Jabres  1895  in  der  angegebenen 
Abendstunde  stattfand,  ein  etwa  1  Yj  stiindiger,  langsamer  Nacb- 
mittagsspaziergang  voraufging;  aber  das  Protokoll  fiibrt  auBerdem 
von  der  zweiten  Viertelstunde  ab  nocb  besondere  Stoning  durch 
Kopfweh  an.  Auf  ibn  diirfen  wir  daber  kein  allzugroBes  Grewicbt 
legen.  Der  dritte  Versuch  stand  unter  dem  Einfluss  einer  gewissen 
psycbiscben  Gereiztbeit,  die  sicb  in  hocbgradigem  Aerger  iiber  aller- 
band  kleines  Missgescbick  in  der  vorbergebenden  Tagesarbeit  kund- 
gab.  Eine  allmabliche  Berubigung  der  Stimmung  konnten  wir  viel- 
leicht  aus  den  gleicbmaBigeren  Resultaten  der  letzten  drei  Viertel- 
stunden  berauslesen« 

Femer  ist  zu  betonen,  dass  die  ganze  Arbeit  des  Buchstabensu- 
chens  nocb  beeinflusst  wurde  durcb  die  Ermiidung  des  Auges.     Es 
war  fortgesetzt  ein  scharfes  Pixiren  notbig,  dazu  nocb  bei  kiinstlicber* 
Beleucbtung,  wabrend  die  Lem-  und  in  geringerem  Grad  aucb  die 
Addirmetbode  eher  kleine  Pausen  im  Fixiren  gestatteten. 

Die  Einscbiebearbeit  des  Addirens  zeigt,  der  Ermiidung  ent- 
sprecbend,  aucb  kleinere  Wertbe  als  die  vorige  Versucbsreibe. 

Der  tagliche  viertelstiindliche  Uebungszuwachs  dieser  Reibe  lieB 
sicb  berecbnen  auf  237.  Die  sicb  daraus  ergebenden  Eesultate  Uefert 
folgende  Tabelle: 


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Ueber  den  CinOnss  des  ArbeiUwechsels  uf  fortlaufeade  geistige  Arbeit. 
Tabelle  X. 


139 


27.  XI. 

28.  XI. 

29.  XI. 

30.  XL 

Letete    1  ***""•""* 

11010 

13258 

14898 

13634 

VierteUtunde  j  ^^^^^ 

8875 

9395 

7514 

7228 

EnnCldungswirkuDg 

2  J  35 

3S63 

7384 

6406 

DiiffereiiK 

+  1728 

—  978        1 

Gefundener  Werth  in  o/^ 
des  berechneten 

80,6 

70,8 

50,4 

53 

Differenz 

-9,8 

+  2,6        1 

Wenn  wir  die  ganze  Versuchsreihe  nicht  ad  acta  legen  woUen, 
miissen  wir  unser  Augenmerk  vorzugsweise  auf  die  beiden  ersten 
Tage  richten,  wo  die  Disposition,  wenn  auch  ungunstig,  so  doch  noch 
einigennaBen  gleichmaBig  war.  Wir  finden  darin  ein  maBiges  Ueber- 
wiegen  der  Ermiidungswirkung  am  Wechseltage.  Das  wiirde  unserer 
Voraussetzung  entsprechen,  dass  das  Buchstabensuchen  in  der  ge- 
schilderten  Weise  eine  weniger  schwere  Arbeit  ist  als  das  Addiren. 

4)  BuohBtabensuohen  unterbroohen  duroh  Zahlenlemen. 
Tabelle  XI. 


3.  xn. 

4.  XII. 

5.  XII. 

6.  xn.  96. 

4870 

4941 

5148 

4333 

1. 

5264  15556 

5229  14890 

5281  16122 

4881  14473 

5422 

4720 

5693 

5259 

5410 

3074 

5327 

5107 

2. 

6039  18281 

1531  8514 

3769  12456 

4635  11882 

6832 

3909 

3360 

2140 

5454 

324 

2351 

348 

3. 

4690  14343 

324   942 

3608  7832 

360  1056 

4190 

294 

1873 

348 

2814 

306 

2530 

348 

4. 

1755  7918 

336   942 

2882  7355 

360  1008 

3349 

300 

194.^ 

300 

2364 

5095 

2258 

6133 

5. 

3024  9546 

2927  10884 

2259  6987 

4877  16322 

4158 

2862 

2470 

5312 

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140 


Wiihelm  Weygandt 


Etwas  auffalliger  erscheint  uns  die  Versuchsreihe  vier.  Zimachst 
ist  hier  eine  noch  ungiinstigere  Disposition  zu  beklagen  als  in  der 
vorigen  Reihe.  Sie  tritt  schon  in  den  ersten  zwei  Viertelstunden  so 
bffenkundig  zu  Tage,  dass  es  nicht  einmal  moglich  war,  einen  XJebungs- 
zuwachs  festzustellen.  Wir  wiirden  nach  der  iiblichen  Berechnungs- 
methode  den  negativen  Werth  —  140,3  erhalten.  Die  Berechnung 
des  S^sultates  geschah  daher  einfach  durch  Feststellung  des  Procent- 
satzes  der  Schlussviertelstunde  vom  Mittel  der  beiden  Anfangsviertel- 
stunden: 


Tabelle  XII. 


SchluBsleistun^  in  %  der 
Anfangsleistung 

2.  xn. 

56,4 

3.  XII. 

4.  xn. 

5.  XII. 

92,2 

48,9 

123,9 

Differens 

+  35,8 

+  75,0                   1 

Das  ware  ein  ganz  bedeutender  Aussclilag  zu  Gunsten  des 
Wechseltages.  Nach  der  bisher  gewonnenen  Einsicht  muss  man 
uber  dies  Resultat  erstaunen.  Wir  sahen  soeben,  dass  das  Lesen 
etwas  ungunstig  beeinflusst  wird  durch  das  Addiren;  vorher  wurde 
festgestellt,  Addiren  wird  ungunstig  beeinflusst  durch  Lemen.  Es 
ware  somit  dringend  zu  erwarten,  dass  Lesen  erst  recht  ungUnstig 
beeinflusst  wiirde  durch  das  Lemen.  Wir  finden  das  Gregentheil  so 
entschieden,  dass  wir  es  durch  die  Zufalle  der  ungUnstigen  Dis- 
position allein  wohl  nicht  geniigend  erklaren  konnen. 

Zwei  besondere  Gesichtspunkte  sind  es,  von  denen  aus  Licht 
auf  dies  eigenartige  Verhalten  fallt.  Es  wurde  schon  friiher  bei 
Besprechung  der  Lemthatigkeit  angegeben,  dass  sich  ihr  Charakter 
durch weg  anderte;  zunachst  fand  ein  entschiedener  Uebergang  von 
der  sensorischen  zur  motorischen  Lemweise  statt,  dann  aber  weiterhin 
ein  fortwahrendes  Steigen  der  Leistung  durch  den  betrachtlichen 
Uebungszuwachs.  Dass  dabei  nicht  nur  die  subjective  Empfindurig  an- 
genehmer,  sondem  allmahUch  auch  die  Thatigkeit  selbst  leichter  wurde, 
erkennen  wir  aus  einer  Vergleichung  des  Lemwerthes  von  1 00  Wieder- 
holungen  in  der  zweiten  und  diitten  Versuchsreihe: 


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Ueber  den  Einflass  des  Arbeitswech^els  anf  F6r(laufende  geistige  Arbeit. 
TabelTe  XTTT  (Lerriwerth). 


141 


19.  XL 

21.  XL 

4.  XIL 

6.  XU. 

1.  eingeschobene  Viertel- 
stunde 

841,4 

744,4 

1038,2 

1056,0 

2.  eingeschobene  Yiertel- 
siunde 

842,5     . 

888,0 

1050,0 

1018,1 

Trotz  der  Pause  von  13  Tagen  ist  der  Lemwerth  der  Wieder- 
holungen  in  auffallender  Weise  angestiegen,  weit  mehr  als  die  ent- 
sprechenden  Tabellen  Viii  und  XI,  welche  (in  starker  XJmrandung) 
die  Anzahl  der  gelemten  Zahlen  wiedergeben,  uns  erkennen  lassen. 
Daraus  lasst  sich  entnehmen,  dass  die  ganze  Lemarbeit  entschieden 
leichter  geworden  ist. 

Ein  anderer  Umstand,  welcher  unter  den  vorliegenden  Disposi- 
tionsverhaltnissen  vielleicht  noch  einflussreicher  war,  liegt  darin,  dass 
beim  Lemen  mehr  und  mehr  die  motorische  Thatigkeit  mit  verhalt- 
nissmaBig  lebhafter  Bewegung  der  Sprechmu$kebi  in  den  Vordergrund 
trat.  Ein  wie  machtiges  Gegenmittel  gegen  die  Ermiidung  aber  in 
der  motorischen  Thatigkeit  liegt,  hat  wohl  jedermann  schon  an  sich 
selbst  zu  erproben  Gelegenheit  gehabt;  wenn  wir  bei  spatabendlicher 
Lecture  schlafrig  werden,  geniigen  oft  eili  Gang  durchs  Zimmer  oder 
ein  paar  Hanteliibungen,  uns  wieder  fiir  einige  Zeit  frisch  zu  machen. 

Andererseits  wurde  das  Buchstabensuchen  nicht  nur  durch  die 
ungiinstige  Disposition  an  sich.  sondem  auch  durch  die  Ermiidung 
des  Auges  bei  dem  angestrengten  Fixiren  unter  Gasbeleuchtung  fort- 
schreitend  erschwert,  um  so  mehr  als  die  V^rsuchsperson  stark  kurz- 
sichtig  ist  und  zu  Bindehautentziindung  neigt.  Also  auch  in  diesem 
Sinne  hot  die  Einschiebearbeit  eine  kleine  Erholung. 

Das  ProtokoU  sagt  vom  ersten  Wechseltag  der  vierten  Reihe 
aus:  »Zunachst  ruhig,  nicht  besonders  flott  gearbeitet;  dann  trat  Er- 
miidung auf,  besonders  in.  dem  fiinften  Fiinfminutenabschnitt.  Das 
Lernen  ging  wieder  ziemlich  gut  und  angenehm;  dabei  jedoch  noch 
etwas  Gefiihl  der  Anstrengung  und  der  Nothwendigkeit  des  Abhaltens 
irgend  welcher  storenden  Reize.  Nachher  Gefiihl  groBer  Frische  zur 
leichten  Arbeit  des  Correcturksens,  das  aber  tiach  vier  Minuten 
schon  wieder  etwas  nachUeB.«  . 


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i4i 


Wilhelm  Weygandt. 


Gimz  deutlich  finden  w  die  Spuren  dieser  Wahmehmungen  in  den 
Versuchsergebnissen  wieder,  wo  nach  der  Unierbrechungsarbeit  der 
erste  Fiinfminutenwerth  5095,  der  nachste  nur  2927  gelesene  Buch- 
staben  betragt.  Einem  ganz  ahnlichen  Yerhaltmsse  begegnen  wir  am 
zweiten  Wechseltage,  dem  6.  XTT.,  wo  auBerdem  noch  ein  geringer 
Schlussantrieb  auftritt 

Wenn  wir  alles  das  beriicksichtigen,  erscheint  es  una  weit  besser 
verstandlich,  dass  im  vorliegenden  Falle  das  Buchstabensuchen  mit 
gUnstigem  Erfolg  dnrch  das  Auswendiglemen  unterbrochen  wurde. 


5) 


Addiren  unterbroq|ien  doroh  BuoliBtabensac^en. 
Tabelle  XTV. 


1 

11. 

xn. 

12. 

XIL 

13. 

xn. 

14. 

xn. 

275 

265 

281 

337 

1. 

249 
280 

804 

260 
268 

793 

289 
294 

864 

217 
151 

705 

277 

286 

236 

126 

2. 

256 
247 

780 

208 
223 

717 

233 
61 

530 

141 
199 

466 

256 

2793 

135 

3204 

3. 

230 

727 

1896 

6872 

186 

501 

1624 

7114 

241 

2183 

180 

2286 

238 

2430 

195 

2745 

4. 

204 
135 

577 

2680 
2164 

7274 

211 
190 

596 

2278 
1496 

6519 

109 

261 

159 

240 

5. 

135 

361 

287 

751 

220 

599 

203 

665 

117 

203 

220 

222 

Auch  in  den  folgenden  beiden  Yersuchsreihen,  wo  Buchstaben- 
suchen die  Unierbrechungsarbeit  bildete,  war  die  Disposition  nicht 
als  giinstig  zu  bezeichnen.  Vor  allem  fur  die  Endviertelstunde  des 
ersten  Tages  obiger  Reihe  mit  ihrem  auffallend  niedrigen  Werth  (361) 
finden  wir  erne  entsprechende  Notiz  im  ProtokolL  Auch  wirkte  hier 
bei  der  geringeren  Uebungsfahigkeit  des  Addirens  die  Ermiidung  oft 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortUufende  geUtige  Arbeit 


143 


derart)  dass  wir  schon  in  der  zweiten  Viertelstunde  einen  recht  tiefen 
Stand  bekommen  iind  dass  die  Berechnimg  des  Uebungszuwachses 
auf  die  gewohnliche  Art  einen  negativen  Werth  ergeben  wlirde  ( —  16). 
Wir  stellen  daher  nur  das  Verhaitniss  der  Endyiertelstunden  zum 
Mittel  der  beiden  Anfangsviertelstunden  in  absoluten  und  in  Procent- 
zahlen  auf: 

Tabelle  XV. 


11.  xn. 

12.  xn. 

13.  XIL 

14.  XII. 

Mittel  der  2  Anfangsviertelituiideii 

792 

755 

697 

586 

LetEte  ViertelBtunde 

361 

751 

599 

665 

ErmCldungtwirkung 

431 

+  4 

98 

—  79 

Different 

—  427 

—  177 

Endleistung  in  %  der  Anfangsleistung 

45,6 

99,4 

85,9 

111,9 

Differenz 

+  53,8 

+  26,0 

Wir  finden  beide  Male  einen  gunstigen  Einfluss  des  Arbeits- 
wechsels.  Der  hohe  Werth  von  53,8  Procent  ist  allerdings  auf 
Rechnung  der  ungewohnlich  niedrigen  Endleistung  des  ersten  Ver- 
suchstages  zu  setzen.  Einen  groBeren  Anspruch  auf  Bichtigkeit  hat 
daher  der  andere  Werth  yon  26  Procent,  immer  noch  eine  ganz 
betrachtliche  Mehrleistung,  zumal  wenn  wir  bedenken,  dass  nach  Aus- 
sage  des  Protokolls  gerade  diese  zwei  Tage  wieder  etwas  mehr  durch 
Mudigkeit  sowie  Kalte  im  Versuchszimmer  betroffen  waren  als  ihre 
Vorganger.  Das  Ergebniss  entspricht  unseren  Erwartungen,  indem 
wir  es  ja  mit  der  Unterbrechung  einer  maBig  schweren  Arbeit  durch 
eine  leichtere  zu  thun  zu  haben  glaubten.  Eine  UnterstUtzung  durch 
motorische  Erregung,  welche  ahnlich  wie  das  motorische  Lemen  hS^tte 
wirken  kSnnen,  fand  das  Addiren  nur  in  geringstem  MaBe;  das  leise 
Aussprechen  der  Summen  bedeutet  wohl  kaum  mehr  Bewegung  als 
das  Markiren  der  gefundenen  i  beim  Correcturlesen;  in  Bezug  auf 
Ermiidung  des  Auges  steht  das  Addiren  ungefahr  in  der  Mitte  zwi- 
schen  Lesen  und  Lemen. 


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144 


Wilb«lin  Weygasdtk 


Zu  bemerken  ist  noch  das  haufigere  Auftreteh  des  Antriebs,  der, 
wie  auch  andere  Versuche  schlieBen  lassen,  bei  dieser  Versachsperson 
sich  gem  im  Zustand  der  Ennudung  einstellt. 

Wir  konnen  bestimmt  aussagen,  die  Unterbrechung  des  Addirens 
durch  Buchstabensuchen  wirkte  gunstig,  was  auch  mit  dem  Ergeb- 
nisse  der  dritten  Versuchsreihe  stimmt,  wo  Buchstabensuchen  durch 
Addiren  ungunstig  beeinflusst  wurde. 

6)  Auswendiglemen  unterbroohen  duroh  BuohBtabensuohen. 
Tabelle  XVI. 


16. : 

XIL 

17. 

XII. 

18.  XII. 

19.  XII.  95. 

288 

384 

408 

432 

1. 

384 

1006 

402 

1122 

468  1284 

456  1356 

336 

336 

408 

468 

324 

372 

420 

516 

2. 

312 

960 

360 

1164 

432  1272 

492  1488 

324 

432 

420 

480 

tJ24 

4828 

360 

4716 

3. 

228 

756 

2503. 

8819  , 

348  106Q 

5017  12125 

204 

1488 

352 

2392 

96 

1581 

96 

1313 

4. 

144 

396 

3229 

7825 

84   360 

1938  4972 

156 

3015 

180 

1721 

1   156 

2j64 

204 

264 

5. 

II   240 

600 

204 

696 

144   720 

180   828 

- 

II   .204 

228 

372 

384 

Bei  der  gechsten  Versuchsreihe  fallt  zunachst  wieder  ein  immer 
noch  andauemder,  betrachtlicber  tagUcher  Uebungszuwachs  des  Aus- 
welidiglemens  auf,.  der  auf  die  Viertelstunde  berechnet  37,5  betragt. 
Wir  finden  die  merkwiirdige  Erscheiriung,  dass  die  Versuchsperson 
A.  schneller  einfache  Zahlen  in  12stelhgen  Gruppen  auswendig  lemt, 
als  sie  kleine  Zahlen  addirt  Mit  dem  Werthe  von  1488  in  einer 
Viertelstunde  au^wendiggelemten  Zahjen  sind  die  15  Versuchspersonen, 
welche  im  ersten  Band  der  >Psychologischen  Arbeiten«   mit  dieser 


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tieber  den  Einflnss  des  Arbeitswechsels  auf  Fortlaufende  geistige  Arbeit.  145 

Methode  auftraten,  weit  uberholt;  das  Hochste,  was  da  erreicht  war, 
bot  Lowald  mit  358  Zahlen  in  der  Viertelstunde,  also  noch  nicht 
den  vierten  Theil  der  Zahlen  von  A.  Allerdings  waren  die  Versuche 
bei  jenen  Peronen  auch  nicht  so  weit  ausgedehnt  wie  hier,  wo  die- 
selbe  Versuchsperson  in  einer  Zeit  von  knapp  sechs  Wochen  im 
ganzen  10  Stunden  der  Lemmethode  widmete. 

Leider  ist  es  nicht  moglich  gewesen,  auch  die  Festigkeit  des 
Geleraten  zu  bestimmen;  sonst  wiirde  sich  vielleicht  haben  nachweisen 
lassen,  dass  die  Hohe  des  Lemergebnisses  durch  einen  Mangel  an 
Festigkeit,  durch  rasches  Verschwinden  der  einmal  gelemten  Zahlen- 
reihen  aus  dem  Gedachtniss,  wieder  ausgeglichen  wird.  Wohl  aber 
sind  wir  berechtigt,  fiir  einen  anderen  Begriff,  welcher  mit  der  Gre- 
dachtnissfestigkeit  verwandt,  aber  durchaus  nicht  gleichbedeutend  ist^), 
nach  Zahlenwerthen  zu  suchen,  fiir  die  Uebungsfestigkeit.  Ihr  MaB 
finden  wir  in  dem  TJebungsverlust,  der  in  einer  Pause  von  hinreichen- 
der  Ausdehnung  auftritt.  Seine  Beurtheilung  ist  insofem  hier  etwas 
erschwert,  als  in  einem  Theile  der  Versuchsreihen  nur  wahrend  der 
zweiten  halben  Stunde  gelemt  wurde.  Die  erste  und  beste  Viertel- 
stunde des  15.  XL  (Tab.  I)  hatte  864  gelemte  Zahlen  aufzuweisen; 
nach  viertagiger  Pause  bot  die  Wechselarbeit  des  19.  XI.  dagegen 
934.  Die  eingeschobene  halbe  Stunde  am  21.  XI.  lieferte  durch- 
schnittlich  846,  die  des  4.  XU.,  also  nach  13tagiger  Pause,  dagegen 
924.  Vom  6.  XTE.  mit  1032  sehen  wir  einen  geringen  Ruckgang  auf 
988  im  Mittel  der  Anfangshalbstunde  des  16.  XTT.  Ohne  uns  auf 
Einzelbetrachtungen  einzulassen,  konnen  wir  behaupten,  dass  nach 
den  angefuhrten  Zahlen  die  Uebungsfestigkeit  bei  A  eine  recht  gute 
ist.  Irgend  welche  Schlusse  daraus  auf  die  Festigkeit  des  Special- 
gedachtnisses  fiir  gelemte  Zahlen  erscheinen  uns  jedoch  zu  gewagt. 

Auch  diese  sechste  Versuchsreihe  erfreute  sich  nicht  einer  be- 
sonders  giinstigen  Disposition.  In  der  vierten  Viertelstunde  des  ersten 
Versuchstags,  noch  mehr  in  der  dritten,  zeigt  sich  ein  sehr  starker 
Einfluss  der  Ermiidung.  Im  vierten  Versuche  haben  wir  zwar  gesehen, 
dass  gerade  die  motorische  Lemthatigkeit  der  Schlafrigkeit  entgegen- 
zuwirken  scheint,  sogar  mit  einer  giinstigen,  allerdings  rasch  voriiber- 
gehenden   Nachwirkung   auf   das   folgende   Buchstabensuchen.     Auf 


1)  Xraepelin,  Diese  Arbeiten  I,  S.  47. 
K  r  A  e  p  e  1  i  n,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  10 


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146 


Wilhclm  Weygandt. 


langere  Zeitraume  scheint  sich  aber  die  erfrischende  Wirkung  der 
motorischen  Thatigkeit  nicht  zu  erstrecken,  wohlgemerkt  wenigstens 
fttr  diese  Versuchsperson.  Einen  so  jahen  Abfall  von  756  auf  396 
Oder  von  960  auf  360  haben  wir  sonst  nirgends  zu  verzdchnen.  Es 
ist  ausdriicklich  zu  betonen,  dass  eine  etwaige  muscul^e  ErmUdung 
bei  diesem  lauten  Lernen  fttr  die  Zeit  von  Y4  Stunden  keine  Rolle 
spielt,  denn  die  Sprechmusculatur  ist,  wie  wir  bei  Sangem,  Red- 
nern,  erregten  Geisteskranken  u.  s.  w.  sehen,  nur  sehr  schwer  zu  er- 
miiden. 

Mit  Hulfe  des  auf  37,5  berechneten  viertelstiindlichen  Uebungs- 
zuwachses  gewinnen  wir  folgendo  Feststellung  des  Endausschlags: 

Tabelle  XVH. 


16.  XII. 

17.  XII. 

18.  XII. 
1390,5 

19.  XII. 

berechnet 
Letzte  Viertelatunde 

1096,5 

1255,5 
696 

U44,5 

828 
716,5 

gefunden       ; 

600 

720 

Ermadungswirkung 

496,5 

559,5 

670,5 

Differenz 

+  63 

+  46              1 

Gefundener  Werth  in  %  des  berech- 
neten 

Differenz 

54,8 

55,4 

51,8 

53,6 

+  0,6 

+  1,8 

Es  findet  sich  also  ein  ziemlich  gleichmaBiger  Ausschlag  zu 
Gunsten  des  Controltages  in  den  absoluten  Zablen;  dagegen  wUrde 
die  Procentberechnung  fiir  ein,  freilich  ungemein  geringes  Ueber- 
wiegen  der  Endleistung  an  den  Wechseltagen  sprechen.  Vielleicht 
kann  uns  die  Tabelle  der  Wiederholungszahlen  einigen  Aufschluss 
liber  dies  Missverhiiltniss  goben. 


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Ueber  den  BinQuss  des  ArbeiUwechsels  auf  fbrtlaafende  geistif^  Arbeit  147 

Tabelle  XVIH. 
Wiederholungszahlen  fur  je  5  und  15  Minuten. 


16.  XTT. 

17.  XII. 

18.  XII. 

19.  XII.  95. 

51 

65 

69 

72 

1. 

69  182 

69  193 

78  216 

77  227 

1 

1 

62 

59 

69 

78 

58 

62 

73 

86 

2-   1 

60  179 

61  200 

73  217 

82  248 

1 

61 

77 

71 

80 

57 

66 

3. 

43  137 

37 

63  172 
43 

16 

16 

4. 

39   88 
33 

14   61 
31 

33 

45 

37 

44 

5. 

39  110 

37  124 

25  125 

30  139 

38 

42 

63 

65 

Wir  sehen,  dass  auch  in  diesem  Versuche  die  Sprechgeschwindig- 
keit  in  viel  engeren  Grenzen  schwankt  als  die  Werthe  an  gelemten 
Zahlen;  nur  die  vierte  Viertelstnnde  der  Normaltage  mit  ihrer  nn- 
gliicklichen  Disposition  fallt  aus  dem  Rahmen  des  Uebrigen.  Stellen- 
weise  war  die  Ermiidung  und  Schlafrigkeit  derart,  dass  sich  kleine 
Pausen  einstellten.  Noch  lehrreicher  ist  die  Beriicksichtigung  des 
Lemwerths  von  100  Wiederholungen: 

Tabelle  XIX. 
Lemwerth. 


16.  Xll. 

17.  XII. 

18.  XU. 

19.  XII. 

1. 

1028,6 

1135,3 

1178 

1190,9 

2. 
3. 

969,7 

1030,1 

1145,9 

1200 

1021,6 

1060,6 

4. 

720 

1161 

5. 

1080 

1054,5 

1107,7 

1182,9 

10* 


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146  Wilhelm  Weygindt. 

Der  Lemwerth  zeigt,  auf  die  Viertelstunde  berechnet,  einen  tag- 
lichen  Zuwachs  von  14,4. 

Hier  finden  wir  wohl  am  ersten  Normaltag  einen  wunden  Punkt, 
(720),  wahrend  wir  an  der  entsprechenden  Stelle  des  zweiten  Nomial- 
tags    die   hohe  Zahl   1161    treffen,    die  also   aussagt,    dass  auf   100 
Wiederholungen  1161  gelemte  Zahlen,  somit  auf  einmaliges  Ablesen 
einer  Reihe  fast  jedesmal  sofort  alle   12  Zahlen  auswendig  wieder- 
gegeben  werden  konnten.    An  sich  ist  das  Resultat  nicht  unmoglich ; 
wir  sehen  es  in  der  einwandfreien  zweiten  Viertelstunde  des  letzten 
Tags  mit  dem  Lemwerth  1200  noch  ubertroffen,  wo  in  der  That  alle 
124  Reihen  hintereinander  gelesen  und  jedesmal  sofort  auswendig  her- 
gesagt  wurden;  das  ist  freilich  die  auBerste  Moglichkeit  des  Lemerfolgs, 
der  von  da  ab  nur  noch  durch  Erhohung  der  Sprechgeschwindigkeit 
gesteigert  werden  konnte.     Aber  auch   diese  wird  nun  bald  an  ihre 
Grenze  kommen,   da  sie  hier  schon  0,3  Secunden  fur  jede  Zahl  er- 
reicht  hat;  wenn  dies  zur  Regel  wiirde,  wiire  es  um  die  Verwerthung 
der  bisher  recht  brauchbaren  Methode  fur  psychophysische  Versuche 
geschehen.     Indessen  die  geringe  Wiederholungszahl  im  vierten  Ab- 
schnitt  des  dritten  Tags  zeigt  an,  dass  hier  durchschnittlich  auf  jede 
ausgesprochene  Zahl   mehr   als    1,2,  in    der   mittleren  FUnfaiinuten- 
gruppe  sogar  zwei  Secunden  kamen.   Nach  dem  hohen  Lemwerth  zu 
urtheilen,  ist  motorisch  gelemt  worden;  wir  wurden  daraus  auf  ein 
weit   schnelleres  ZeitmaB    des  Sprechens   schlieBen.     Dieser  Wider- 
spmch  erklart  sich  vielleicht  dadurch,  dass  die  vorhin  schon  erwRhnten 
Eraiudungspausen  hier  einen  betrachthchen  Theil  (nach  dem  Vergleich 
der  Sprechzahl  mit  der  der  ubrigen  Viertelstunden,  vielleicht  2/3)  der 
Viertelstunde  ausmachten.     Darauf  liin  lasst  sich  schon  eine  gewisse 
Erholung  erwarten,  die  wir  denn  auch  in  der  Endviertelstunde  finden 
mit  ihrem  Anstieg,   der  in  den  letzten  fiinf  Minuten  die  ansehnliche 
Hohe   von   63   gesprochenen  Zahlenreihen  erreicht.     Die  ungunstige 
Disposition   hat   also   nicht   nur    die  storend  niedrigen  Werthe  der 
vierten  Viertelstunde  hervorgerufen,   sondem  auch  in  der  Endviertel- 
stunde mittelbar   einen  Werth   aufkommen  lassen,    der  seilie  Hohe 
gewissermaBen  auf  imrechtmaBige  Weise  erlangt  hat.     Die  auf  Er- 
miidung   und   unfreiwillige  Pausen   zuriickgefuhrte  Stoning  war  am 
ersten  Normaltage  geringer,  folglich  auch  die  erholende  Wirkung  der 
Erschopfungspausen  weniger  groB   als  am  zweiten  Normaltag;  jener 


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Uebcr  den  Binfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaafende  geistige  Arbeit.  149 

yerdient  daher  wohl  mehr  Beriicksichtigung.  Unter  weit  gunstigerer 
Disposition  standen  die  beiden  Wechseltage,  denn  die  Leistung  steigt 
nicht  nur  bis  zur  Mitte  oder  zum  Ende  der  zweiten  Viertelstunde  an, 
sondem  auch  die  eingeschobene  Lesearbeit  in  der  zweiten  halben 
Stunde  zeigt  beim  zweiten  Versuch  noch  eine  deutliche  Zunahme, 
Trotzdem  liefert  die  Endviertelstunde  einen  recht  niedrigen  Werth, 
ohne  dass  wir  aus  der  Sprechzahl  auf  luckenhaftes,  dnrch  Er- 
schopfung^ausen  unterbrochenes  Arbeiten  schlieBen  dUrften. 

Wir  miissen  also  den  Schluss  ziehen,  dass  die  Unterbrechung 
des  Auswendiglemens  durch  Buchstabensuchen  im  Zustande  der  Er- 
miidung  einen  ungunstigen  Einfluss  ausiibte.  Trotzdem  also  auf  die 
nicht  mehr  als  schwer  empfundene  Lemthatigkeit  eine  leichte  Arbeit 
folgte,  bot  die  letztere  keine  Erholung,  sondem  sie  beeinflusste  die 
Hauptthatigkeit  in  ungUnstigem  Sinne.  Als  Grund  diirfen  wir,  vrie 
besprochen,  vielleicht  annehmen,  dass  die  Auffassungsarbeit  des  Buch- 
stabensuchens  mit  ihrer  starken  Anstrengung  der  Augenmuskeln  die 
Ermiidung  mehr  aufkommen  lieB  als  das  motorische  Lemen.  Die 
an  sich  nicht  schwierige  Lesearbeit  wirkte  also  unter  bestimmten 
Umstanden  geradezu  narkotisirend. 

Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  direct  nach  dem  Wechsel  immer- 
hin  eine  verhaltnissmaBig  hohe  Lernzahl  auftritt,  dass  also  trotz  der 
lahmenden  Wirkung  der  Einschiebearbeit  zunachst  sich  ein  Antrieb 
findet,  der  freilich  rasch  genug  verschwindet.  Es  scheint  danach, 
als  ob  im  Zustand  einer  gewissen  Ermiidung  der  Wechsel  als  solcher 
eine  erfrischende,  wenn  auch  nur  sehr  kurze  Wirkung  ausubt,  wozu 
vielleicht  auch  schon  die  motorische  Leistung  des  Wegschiebens  des 
Lesestoffs  und  des  Aufnehmens  der  Lernhefte  das  ihrige  beitragt. 

Lemen  konnen  wir  aus  der  ganzen  Besprechung  auch,  dass  eine 
genaue  Betrachtung  selbst  aus  scheinbar  »verungluckten«  Versuchen 
noch  verwerthbare  Ergebnisse  zu  Uefem  vermag. 

Wir  haben  jetzt  mit  sechs  Versuchsreihen  drei  verschiedene  Ar- 
beitsmethoden  in  ihrer  gegenseitigen  Beeinflussung  untersucht,  von 
denen  die  eine  besonders  das  Gedachtniss,  die  andere  den  associa- 
tiven  Vorgang  und  die  letzte  die  Auffasung  in  Anspmch  nahm. 
Weiterhin  wurden  die  Versuche  von  A  fortgesetzt,  unter  sorgfaltigerer 
Beriicksichtigung  der  guten  Disposition  und  zum  Theil  mit  anderen 
Methoden.     An  die  Stelle  des  bald  an  der  Grenze  seiner  Leistungs- 


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150  Wilhelm  Weygaiidt. 

fahigkeit  angelangten  Zahlenlernens  trat  das  Auswendiglemen  sinn- 
loser  Silben,  imd  statt  des  durch  den  Inhalt  des  Lesestoffs  immerhin 
beeinflussten  Buchstabensuchens  wahlten  wir  einwandfreiere  Auffas- 
sungsmethoden.  An  dieser  Stelle  konnen  wir  schon  darauf  hin- 
weisen,  dass  sich  bisher  die  Verhaltnisse  der  einzelnen  Arbeitsarten 
zu  einander  weit  verwickelter  erwiesen  haben,  als  sie  auf  den  ersten 
Blick  erscheinen  mochten. 

7)  Auswendiglemen  sinnloser  Silben  unterbrochen  duroh  langsMnes 

Sohreiben. 

Psychologisch  eng  umschriebene  Arbeiten  boten  die  bisherigen 
Versuchsanordnungen  nicht.  So  verkniipfte  sich  beim  Addiren 
mit  der  associativen  Thatigkeit  noch  sowohl  ein  Auffassungsvoiv 
gang  als  auch  das  leise  Aussprechen  der  Summen,  wahrend  die 
sinnliche  Auffassungsarbeit  des  Buchstabensuchens  von  den  durch 
den  Inhalt  des  Grelesenen  angeregten,  mehr  oder  weniger  lebhaften 
Associationen  begleitet  wurde.  Am  verwickeltsten  gestaltete  sich  die 
Gedachtnissarbeit,  das  Zahlenlemen.  Bei  ihm  voUzog  sich  ein  Ueber- 
gang  vom  sensorischen  zum  motorischen  Lemen  und  damit  eine 
bedeutsame  Aenderung  der  Arbeitsweise.  Zuerst  handelte  es  sich 
um  eine  schwere,  unangenehme  Arbeit;  zuletzt  war  es  zu  einer  leichten 
und  geradezu  angenehmen  Arbeit  von  ausgepragt  motorischer  Art 
geworden.  Es  erschien  deshalb  wiinschenswerth,  als  nach  6wochiger 
Unterbrechung  die  Versuche  Anfang  Februar  1896  wieder  aufgenom- 
men  wurden,  noch  eine  andere  Gedachtnissmethode  heranzuziehen, 
Wir  wahlten  dazu  das  Lemen  von  sinnlosen  Silben,  das  aller  Vor- 
aussicht  nach  seinen  Ruf  als  recht  schwere  Arbeit  nicht  verleugnen 
wurde.  Es  bew^hrte  sich  in  dieser  Hinsicht.  Die  associative  Unter- 
stutzung  dieser  Gedachtnissarbeit  war  gering,  da  die  Piille  der  vor- 
kommenden  Silbenverbindungen  auBerordentUch  groB  ist.  Das  Lemen 
wurde  mit  zwolfsilbigen  Gruppen  in  der  Art  wie  bei  Lowald^)  aus- 
gefUhrt,  mit  dem  geringen  Unterschiede,  dass  die  Silben  mit  x  aus- 
gemerzt  wurden,  weil  dieses  Zeichen  in  einer  zu  storenden  Weise 
beim  Aussprechen  noch  als  Doppelconsonant  (A; +  5)  empfunden  wird; 
mit    demselben   Recht    konnte    man   sonst   auch    das   Psi   oder   im 


1)  Diese  Arbeiten  I.  S.  528. 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  1 51 

Russischen  das  Schtscha)  verwenden;  x  ist  in  phonetischer  Beziehung 
zwar  auch  ein  zusammengesetzter  Laut,  aber  es  wirkt  weit  weniger 
storend  bei  der  Aussprache  als  das  x.  Es  handelte  sich  im  Ganzen 
um  645  verschiedene  Silben.  Das  Lesen  und  Aufsagen  derselben 
vollzog  sich  laut. 

Der  Charakter  der  reinen  Gedachtnissarbeit  wurde  aber  wieder 
beeintrachtigt  durch  die  Gemiitliserregung,  die  wahrend  des  Lemens 
auftrat.  Mehr  oder  weniger  wird  das  jeder  erkennen  oder  doch 
nachempfinden,  der  sich  auch  nur  funf  Minuten  lang  dieser  wider- 
wartigsten  aller  psychophysischen  Versuchsarbeiten  widmet.  Lowald 
hat  bei  seinen  Bromuntersuchungen  einen  Zustand  der  inneren  Span- 
nung  und  erhohten  gemiithUchen  Reizbarkeit  kiinstlich  erzeugt  durch 
das  Lemen  sinnloser  Silben  unter  einer  Stoning  in  Gestalt  vorgele- 
sener  Stellen  aus  Buchmann's  »Geflugelten  Worten«.  Ich  gestehe, 
dass  es  bei  mir  einer  solchen  Storung  nicht  erst  bedurfte,  um  wah- 
rend des  Silbenlemens  in  einen  Zustand  betrachtlicher  gemiithlicher 
Reizbarkeit  und  zomiger  Erregung  zu  gerathen,  der  auch  bei  Lowald, 
wenn  auch  vielleicht  in  geringerem  Grade,  schon  bei  dem  bloBen 
Silbenlemen  im  Gegensatz  zum  Zahlenlemen  eintrat*). 

Die  Silbenmethode  kam  nun  bei  A  in  drei  verschiedenen  Ver- 
suchsreihen  zur  Anwendung.  Zunachst  wurden  sinnlose  Silben  ge- 
lemt  mit  einer  am  zweiten  und  vierten  Tag  in  der  zweiten  Halb- 
stunde  eintretenden  Unterbrechung  durch  langsames  Schreiben.  Es 
wurden  dabei  fur  spatere  Versuche  Silben  ins  Heft  geschrieben. 
Diese  Einschiebearbeit  ging  jedoch,  wie  die  in  der  Tabelle  XX  mit- 
veriseichneten  Werthe  erkennen  lassen,  in  einem  gleichmaBigen,  durch- 
aus  bequemen,  nicht  anstrengenden  ZeitmaBe  vor  sich;  es  kamen 
auf  die  Minute  ungefahr  neun  oder  zehn  Silben.  Fiir  den  Buch- 
staben  wurden  mehr  als  zwei  Secunden  in  Anspruch  genommen;  die 
Versuche  kommen  somit  Pausenversuchen  ziemlich  nah.  Die  Dis- 
position war  im  ganzen  gunstig  wahrend  der  ersten  Versuchsreihe 
vom  4.  bis  7.  11.  Alle  drei  Reihen  Versuche  fanden  Vormittags  statt, 
in  der  Zeit  von  9  bis  IOV4  Ulir. 


1)  Vgl  diese  Arbeiten  I,  S.  558. 


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152 


Wilbelin  Weyguidl. 
Tabelle  XX. 


4.  II. 

5.  II. 

6.  II. 

7.  n.  96. 

48 

36 

48 

39 

1. 

53  128 

27  101 

36  128 

35  120 

27 

38 

44 

46 

25 

34 

52 

36 

2. 

42  88 

23  91 

28  116 

47  122 

21 

34 

36 

39 

15 

34 

3. 

45  86 
26 

136 

42  120 
44 

155 

30 

27 

4. 

32  80 

18 

137 

34  88 
27 

155 

29 

35 

29 

44 

5. 

18  59 

37  111 

31  88 

38  145 

12 

39 

28 

63 

Zunacbst  zeigt  sich,  dass  die  Anzahl  gelemter  Silben  nicht  be- 
Bonders  groB  ist.  Das  Verhaltniss  zwischen  Silben-  und  Zahlenlemen 
bei  A  erinnert  an  Lowald,  der  auch  viel  besser  Zahlen  als  Silben 
gelemt  hatte,  wahrend  sich  unter  den  Versuchspersonen  von  Oehrn*) 
mehrere  befanden,  die  im  Zahlenlemen  kaum  hohere  Resultate  batten 
als  bei  den  Silben,  ja  spgar  zwei,  die  besser  sinnlose  Silben  als 
Zahlen  lemten.  Bei  meinen  Versuchen  hat  es  sein  Missliches,  ab- 
solute Gesammtdurchschnittezahlen  zu  bestimmen,  schon  weil  dahinein 
auch  die  durch  den  Wechsel  beeinflussten  Endviertelstunden  verarbeitet 
werden  miissten.  Wahrend  die  20.  Viertelstunde  der  Zahlenmethode 
bei  A  einen  Funfminutenwerth  von  360,  die  39.  einen  von  516  auf- 
weist,  steigt  das  Silbenlemen  in  36  Viertelstunden  nur  zu  einem 
Funfminutenmaximum  von  75,  also  auf  14,5  %  der  hochsten  Zahlen- 
lernleistung  an.  Aus  den  Durchschnittszahlen  von  Lowald  ergiebt 
sich,    dass  seine  Silbenlemzahlen  etwa  IZ^'i  %   der  Zahlenlemzahlen 

1)  Diese  ArbeiLen  I,  S.  118. 


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Ueber  den  CinQuss  des  ArbeiUweehsels  aaf  fortlaufeude  geisiige  Arbeit.  153 

ausmachen.  Der  Unterschied  wir  damit  noch  etwas  groBer  als  bei 
A,  mit  dem  Lowald  freilich  eine  Gruppe  bildet  gegentiber  den  Ver- 
suchspersonen  von  Oehrn,  bei  denen  die  Leistung  im  Silbenlemen 
regehnaBig  mehr  als  50^  derjenigen  beim  Zahlenlemen  betrug. 
Wahrend  nun  Lowald's  Zahlenleistungen  die  der  Oehrn'schen  Ver- 
suchspersonf n  ubertreffen,  bleiben  seine  Silbenleistimgen  hinter  denen 
Jener  zuriick.  Bei  A  hingegen  liefert  die  Zahlen-  wie  die  Silben- 
methode  weit  hohere  Werthe  als  bei  irgend  einer  anderen  Versuchs- 
person.  Eine  bestimmte  Erklarung  dafur  steht  mir  zur  Zeit  nicht  zu 
Gebot.  Da  die  Arbeit  des  Lemens,  die  auBeren  Bedingungen  u.  s.  w. 
bei  den  verschiedenen  hier  erwahnten  Versuchspersonen  wesentlich 
die  gleichen  waren,  kann  es  sich  jedoch  lediglich  um  personliche 
Verschiedenheiten  handeln.  Zur  Beurtheilung  der  Uebungsfestigkeit 
bei  A  konnen  wir  die  End-  und  Anfangsergebnisse  vor  und  nach 
einer  groBeren  Pause  vergleichen.  Hier  sehen  wir,  dass  weder  vom 
7.  auf  den  12.  11.,  noch  vom  14.  auf  den  18.,  ja  nicht  einmal  vom 
21.  n.  auf  den  11.  m.  ein  bemerkenswerther  Uebungsverlust  ein- 
trai  Wie  es  sich  mit  der  Gedachtnissfestigkeit  verhalt,  konnen  wir 
leider  nicht  feststellen;  dem  subjectivem  Empfinden  nach  war  sie  recht 
gering.  Beachtenswerth  ist,  dass  von  den  Versuchspersonen  Oehrn's 
keine  das  Auftreten  einer  Gemiithserregung  besonders  betonte,  die 
doch  gewiss  bei  einzelnen  angedeutet  sein  musste,  wahrend  sie 
Lowald  deutlich  und  A,  wie  es  scheint,  in  noch  hoherem  MaBe 
empfand.  Bei  diesen  beiden  konnte  man  sich  versucht  fuhlen,  den 
starken  Abstand  zwischen  Zahlen-  und  Silbenlemen  gegeniiber  den 
Personen  Oehrn's  zum  Teil  auf  die  Gemiithserregung  zu  schieben; 
doch  zeigt  Lowald  einen  noch  etwas  groBeren  Abstand  als  A,  wah- 
rend doch  A  den  starksten  Affect  gehabt  zu  haben  scheint.  Wir 
durfen  vielleicht  eher  aussprechen,  dass  der  Affect  das  Arbeits- 
ergebniss  nicht  stark  schadigte,  sondem  nur  ein  mehr  gleichmaBiges 
Arbeiten  verhinderte.  Das  wurde  etwa  den  Ergebnissen  der  Arbeit 
von  Rivers  und  Kraepelin*)  entsprechen,  wo  der  Nachweis  geliefert 
ist,  dass  auch  die  Langeweile  wohl  unangenehm  empfunden  wird,  die 
Leistung  im  ganzen  jedoch  nicht  besonders  verschlechtert. 

Die   drei  Versuchsreihen  zeigen  wohl  einen  deutlichen  Einfluss 


1)  Diese  Arbeiten  I,  S.  631. 


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154 


Wilheim  Weygaiidt. 


der  Uebung,  doch  ist  er  bei  weitem  nicht  so  groB  wie  fllr  das 
Zahlenlemen.  Auffallend  ist  das  starke  Schwanken  der  Leistung, 
das  sich  in  den  Fiinfminutenzahlen  besonders  des  4.,  6.  und  18.  11. 
kundgiebt.  Es  folgen  da  z.  B.  in  der  mittleren  Viertelstunde  des 
4.  n.  gerade  nach  einander  die  Werthe  15,  45,  26.  Es  handelt  sich 
beim  Silbenlemen  eben  um  eine  Arbeit,  die  starke  Oonceijtration  und 
moglichste  Femhaltung  von  Storungen  verlangt;  damit  aber  ist  Qe- 
legenheit  zu  besonderen  Willensanspannungen  gegeben. 

Der  Verlauf  der  siebenten  Versuchsreihe  zeigt  im  ganzen  eine 
absteigende  Bichtung  schon  von  der  Anfangsviertelstunde  ab.  An- 
trieb  finden  wir  nicht  nur  in  den  Flinfminutenwerthen  des  5.  und 
6.  n.,  sowie  nach  der  Wechselarbeit  des  7.  ausgedrlickt,  sondem 
wir  konnen  auch  daraus  auf  ihn  schlieBen,  dass  die  jedesmal  am 
Anfang  der  Stunde  gelemten  Reihen  fast  immer  nur  recht  weniger 
Wiederholungen  bedurften. 

Schon  die  Haupttabelle  (XX)  lasst  an  den  entscheidenden  Vier- 
telstunden  der  Wechseltage  einen  deutlichen  Ausschlag  nach  der  gun- 
stigen  Seite  hin  erkennen,  wie  es  bei  der  schweren  Grundarbeit  und 
der  uberaus  leichten  Zwischenbeschaftigung  auch  nicht  anders  zu 
erwarten  war.  Unter  Einsetzung  des  geringen  Uebungszuwachses 
von  2,3  erhalten  wir  folgende  Uebersicht: 

Tabelle  XXL 


4.  11. 

5.  II. 

6.  II. 

7.  11.  96. 

_   ^  ^           /  berechnet 
Letste         / 

Viertelstunde  \     \     ,' 
gefunden 

114,9 

102,9 

128,9 

132,9 

59 

111 
-8,1 

88           i         145 

ErmadungswirkuDg 

55,9 

40,9             — 12,1 

Different 

64,0 

63,0 

Gefundener  Werth  in  % 
del  berechneten 

51,1 

107,9 

68,3 

109,1 

Differenz 

+  66,8 

+  40,8                   1 

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Ueber  den  Binfluss  des  ArbeiUwechsels  aiif  fortlaufeiide  geistige  Arbeit.  1 55 

8)  Addiren  unterbroohen  dtirch  AuBwendlglemen  Binnloser  Bilben. 
Tabelle  XXH. 


11. 

11. 

12. 

n. 

13. 

n. 

14.  U. 

251 

303 

257 

232 

1. 

286 

809 

286 

867 

293 

860 

311  836 

272 

278 

310 

293 

301 

325 

279 

289 

2. 

311 

912 

290 

913 

284 

879 

303  883 

300 

298 

316 

291 

264 

47 

270 

45 

3. 

270 

801 

46 

144 

240 

755 

44  146 

267 

51 

245 

57 

242 

47 

261 

41 

4. 

215 

707 

42 

142 

211 

722 

51  126 

250 
218 

--- 

53 

250 

34 

217 

274 

258 

5. 

230 

638 

248 

678 

236 

775 

224  687 

190 

213 

265 

205 

.  In  der  achten  Versuchsreihe  handelt  es  sich  um  Addiren,  unteiv 
brochen  durch  das  Lemen  sinnloser  Silben. 

Das  Addiren  war  schon  auf  einer  ziemlich  hohen  Uebungsstufe 
angelangt;  es  zeigt,  vielleicht  beeinflusst  durch  leichte  Dispositions- 
differenzen,  keinen  bemerkenswerthen  Uebungsfortschritt  mehr,  so 
dass  wir  nach  der  liblichen  Methode  einen  geringen  negativen  Uebungs- 
fortschritt bekommen  wurden  ( —  0,7).  Wenn  wir  die  Differenzen  der 
Endviertelstunden  mit  dem  Mittel  der  beiden  Anfangsviertelstunden 
vergleichen,  erhalten  wir  folgendes: 


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156 


Withelm  Weygandt. 
Tabelle  XXIIL 


11.  n. 

12.  11. 

13.  11. 

14.  U. 

Mittelwerth  der  zwci 
Anf angsviertelstun  den 

860,5 

890 

869,5 

859,5 
686 

Endviertelstunde 

638 

678 

774 

Sinken  der  Leistung 

222,5 

212 

95,5 

172,5 

Differenz 

—  10,5 

+  77,0 

Endwerth  in  ^/o 
des  Anfangswerthes 

Differenz 

74,1 

76,2 

89,0 

79,8 

+  2,1 

-9,2 

Wir  finden  hier  beim  zweiten  Wechseltag  eiaen  Ausschlag  in 
entschieden  ungiinstigem  Sinne,  wahrend  am  ersten  die  Zwischenarbeit 
eine  etwas  gUnstige  Wirkung  gehabt  zu  haben  scheint.  Das  Proto- 
koU  vermerkt  jedoch  am  ersten  Normaltag,  dass  das  Addiren  wohl 
anfangs  frisch  verlief,  spater  aber  eine  leichte  Rachenentzlindung 
storende  Schmerzen  verursachte,  wodurch  die  Arbeit  nur  noch  zer- 
streut  von  statten  ging.  Dadurch  wird  der  Endwerth  dieses  Tags 
zu  gering  gegeniiber  dem  des  ersten  Wechseltags.  Die  spateren 
Tage  zeigten  bessere  Disposition.  Unserer  Benrtheilung  der  Ergeb- 
nisse  mussen  wir  daher  zumeist  die  drei  letzten  Tage  zu  Grunde 
legen,  die  einen  ungUnstigen  Einfluss  des  Silbenlemens  als  Weeh- 
selarbeit  gegeniiber  dem  Addiren  darlegen. 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeiiswechsels  anf  fortliufende  geistige  Arbeit.  157 


9)  AuBwendiglernen  Binnloser  Bilben  unterbroohen  durch  Addiren. 
Tabelle  XXIV. 


18. 

II. 

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II. 

20. 

II. 

21.  II.  96. 

48 

36 

42 

44 

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46 

143 

44 

120 

42 

126 

50  132 

49 

40 

42 

38 
51 

36 

46 

66 

2. 

36 

120 

38 

128 

58 

172 

50  156 

48 

44 

48 

55 

28 

229 

46 

268 

3. 

26 

108 

229 

663 

52 

149 

281  822 

54 

205 

51 

273 

45 

257 

41 

238 

4. 

38 

131 

240 

784 

57 

136 

218  738 

48 

287 

38 

282 

32 

64 

27 

75 

5. 

15 

92 

63 

165 

38 

103 

62  204 

45 

38 

38 

67 

In  der  neunten  Versuchsreihe  haben  wir  die  Umkehrung  des 
soeben  abgehandelten  Versuchs.  Es  wurden  Silben  gelemt,  zweimal 
unterbrochen  durch  Addiren.  Der  erste  Tag,  dessen  Arbeit  nocb 
unter  betxachtlicher  Gtemiithserregung  stand,  weist  starkere  Schwan- 
knngen  in  seinen  Viertelstimden  und  auch  in  den  Funfminuten- 
zahlen  auf,  was  wir  auf  die  schwankende  Lemweise  zuriickfuhren 
konnen,  die  vorwiegend  nocb  sensorisch  war,  jedoch  mit  starker  Nei- 
gung,  ins  Motorische  uberzuf alien.  Bemerkenswerth  ist  besonders, 
dass  im  weiteren  Lauf  der  vier  Tage  das  Protokoll  die  Stimmung 
wieder  als  gut  bezeichnet,  die  Gemiithserregung  also  alhnahlich  einer 
gleichgiiltigeren  Verfassung  Platz  gemacht  hatte.  Von  einer  rein 
motorischen  Lemweise  konnte  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  associa- 
tiven  Elemente  und  der  geringen  Debung  noch  nicht  die  Rede  sein, 
doch  machtiB  sich  wahrend  der  Arbeit  nicht  selten  die  Neigung  nach 
jener  Seite  bin  geltend. 


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158 


Wilhelm  Weygandt. 


Unter  Einsetzung  des  geringen  taglichen  Uebungszuwacbses  von 
1,7  konnen  wir  zu  folgenden  Werthen  gelangen. 

Tabelle  XXV. 


18.  II. 

19.  II. 

20.  11. 

21.  II. 

T      ,          f  berechnet 
LeUte        / 

136,6 

129,1 

154,1 

149,1 

Viertelstunde  I      -.     , 
geninden 

92 

165 

103 

204 

ErmaduDgiwirkung 

44,6 

—  35,9 

6.,. 

—  54,9 

Differenz 

—  80,5 

— 106,0 

Qefundener  Werth  in  o/o 
del  berechneten 

67,3 

127,8 

66,8 

136,8 

DiffereDE 

60,5 

70,0 

Auf  die  schwere  Arbeit  hat  demnach  die  Einschiebung  einer  nur 
maBig  schweren  erholend  gewirkt.  Die  Zuganglichkeit  des  Addirens 
fttr  Ermiidung  trat  hier,  wo  es  sich  nur  mn  halbe  Stunden  handelt, 
weniger  zu  Tage;  auch  war  die  ganze  Disposition  noch  etwas  gUn- 
stiger  als  in  der  vorigen  Woche. 

10)  Ungarisoh  Lesen  iinterbroohen  doroh  Sllbenlernen. 

Wir  wandten  uns  nunmehr  einer  Grundarbeit  zu,  welche  die 
Auffassung  besonders  in  Anspruch  nimmt.  Wir  wahlten  einen  fremd- 
sprachlichen  Lesestoff  dazu,  und  zwar  legten  wir,  um  jede  Stoning 
durch  den  Inhalt  zu  vermeiden,  einen  ungarischen  Text  zu  Grunde, 
bei  dem  das  Verstandniss  des  G^lesenen  vollig  ausgeschlossen  war. 
Es  kam  nur  darauf  an,  Buchstaben  und  Worte  richtig  aufzufassen 
und  auszusprechen.  Die  Differenzen  zwischen  Aussprache  und  Schreib- 
weise  sind  im  Ungarischen  so  gering,  dass  sie,  wie  dj  statt  gy  vor 
Vocalen,  einfach  unberttcksichtigt  bleiben  konnten;  der  Klang  der 
Worter  erscheint  unserem  Sprachgeftthl  fremdartig,  doch  ist  die 
Aussprache  nicht  mit  besonderen  Schwierigkeiton  verknlipft;  vor 
allem  sind  keine  schwierigen  Oonsonanthaufungen  wie  etwa  in  den 
slavischen  Sprachen  vorhanden.  Den  vielleicht  etwas  storenden  viel- 
silbigen  Wortem  steht  doch  auch  eine  reiche  Anzahl  einsilbiger  gegen- 


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Ueber  den  Ginfluss  des  Arbeitswechsels  anf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  1 59 

uber.  Als  Lesestoff  wurden  die  zusammenhangenden  Lesestiicke  eines 
ungarischen  Kalenders  (Pesti  Hirlap  vom  Jahre  1895)  benutzt,  die 
rich  durch  einen  deutlichen  Druck  auszeichneten.  Im  Laufe  der  Ver- 
suche  wurde  allerdings  Material,  das  schon  gelesen  war,  wieder  zum 
Lesen  benutzt,  doch  erschien  dadurch  die  Gelaufigkeit  des  Lesens 
nicht  gehoben;  auBer  etwa  den  Eigennamen  kam  die  Lecture  dabei 
durchaus  nicht  bekannter  vor;  eine  Vergleichung  derjenigen  Ergeb- 
nisse,  welche  aus  ein  oder  mehrere  Male  gelesenem  Stoffe  gewonnen 
sind,  mit  jenen,  die  aus  Experimenten  mit  ganz  neuer  Lecture 
hervorgingen,  zeigt  keine  wesentlichen  Unterschiede. 

Es  wurden  zunachst  zwei  groBe  Versuchsfolgen  angestellf,  deren 
jede  12  aufeinanderfolgende  Tage  zahlte  und  die  nur  durch  eine 
Pause  von  48  Stunden  voneinander  getrennt  waren.  Die  Arbeitszeit 
fiel  durchweg  in  die  gunstigsten  Vormittagsstunden,  ungefahr  von 
9  bis  IOV4  Uhr.  Es  waren  damals  vom  10.  DI.  bis  3.  IV.  1895 
Universitatsferien,  so  dass  eine  gleichmaBige  Disposition  und  eine 
Vermeidung  starker  Ermiidung  leichter  zu  erzielen  war  als  in  den 
vorhergehenden  Monaten.  An  zwei  Tagen  war  die  vorausgehende 
Nachtruhe  durch  eine  geringgradige  asthmatische  Athembeklenunung 
etwas  beeintrachtigt  und  infolge  dessen  die  Stimmung  wahrend  der 
Arbeit  entschieden  unlustig  und  gedriickt  Wir  werden  bei  der 
Einzelbesprechung  auf  diesen  Punkt  zuriickkonmien. 

Die  stattliche  Menge  von  Versuchen  ermoglichte,  einen  Uebungs- 
zuwachs  zu  berechnen,  der  groBeren  Anspruch  auf  Richtigkeit  hat,  da 
zufallige  Dispositionsabweichungen  sich  hier  mehr  ausgleichen.  Die 
zwei  minder  gUnstigen  Tage  der  ersten  Polge  wirkten  somit  weit 
weniger  storend  als  etwa  ein  ungunstiger  Tag  der  vorher  beendeten 
viertagigen  Reihen.  Li  der  zweiten  Gruppe  dieser  Versuche  mit 
ungarischem  Lesen  als  Grundarbeit  wurden  zwei  Pausentage  aufge- 
nommen,  die  es  ermoglichten,  im  Anschlusse  an  die  Aufstellungen 
von  Rivers  und  Kraepelin^)  fiir  jene  12  Tage  auch  den  reinen, 
durch  die  Ermiidung  moglichst  wenig  beeinflussten  Uebungszuwachs 
zur  Berechnung  zu  verwenden. 

Zunachst  besprechen  wir  die  erste  12tagige  Gruppe  im  Ganzen, 


1)  Diese  Arbeiten  I,  S.  69. 


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160  Wilhelm  WeygandU 

deren  taglicher  Uebungszuwachs  auf  25,3  fur  die  Viertelstunde  be- 
rechnet  wurde.  Sodann  werden  wir  die  drei  verschiedenen  Abthei- 
lungen  der  Versuchsreihe  nacheinander  durchgehen.  (Siehe  neben- 
stehende  Tabellen  XXVI,  XXVH,  XXVm.) 

Die  Betrachtung  der  Zahlen,  welche  die  bei  der  ungarischen 
Lecture  gelesenen  Silben  bedeuten,  ergiebt  ein  langsames  Ansteigen 
infolge  des  Uebungszuwachses.  Kleine  Unterbrechungen  erleidet  diese 
aufsteigende  Linie  an  den  zwei  Tagen  mit  nachweislich  weniger 
giinstiger  Disposition  (15.  und  17.  III.)  sowie  nach  dem  neunten 
Versuchstage.  Fiir  letztere  giebt  das  ProtokoU  keinen  Aufschluss. 
Anscheinend  hat  der  18.  m.,  namentlich  im  Beginn,  besonders  gUn- 
stige  Versuchsbedingungen  geboten,  von  deren  Wesen  wir  uns  aller- 
dings  bei  unserer  derzeitigen  Unkenntniss  solcher  Umstflnde  keine 
klare  Vorstellung  machen  konnen.  Der  Verlauf  der  Tagescurven  ist 
wenig  einheitlich,  doch  im  Ganzen  so,  dass  die  groBte  Leistung  in 
der  zweiten  Viertelstunde  erreicht  wird,  worauf  meist  ein  steiler  Ab- 
fall  erfolgt.  An  einzelnen  Punkten  findet  sich  in  der  Schlussviertel- 
stunde  aber  wieder  ein  betrachtliches  Ansteigen,  das  durch  den 
manchmal  auftretenden  Schlussantrieb  nur  mangelhaft  erklart  wird 
(12.  und  14.  m.).  In  mehr  als  der  Halfte  der  Versuche  ist  der 
Anfangsantrieb  mehr  oder  minder  deutlich  ausgepragt  (Tag  3,  4,  7, 
8,  9,  10  und  12).  Das  ist  um  so  auffallender,  als  wir  bei  A.  vorher 
die  Ermiidungsdisposition  als  antriebbefordemd  kennen  gelemt  haben, 
von  der  hier  an  den  Vormittagen  nicht  die  Rede  gewesen  war.  Wenn 
wir  bei  dem  heutigen  ungenligenden  Stande  unserer  Kenntniss  vom 
Wesen  der  Arbeitsvorgange  uns  dieses  Ergebniss  deuten  woUen,  so  lasst 
sich  vermuthen,  dass  zunachst  wohl  jede  Versuchsarbeit  mit  einer 
gewissen  Willensanspannung  in  Angriff  genommen  wird,  die  aber  bei 
manchen  Arbeiten,  z.  B.  beim  Addiren,  rasch  erschlafft  und  daher 
in  den  Punfminutenabschnitten  gegeniiber  den  Einfliissen  der  Anre- 
gung,  Uebung  und  Ermiidung  mehr  zuriicktritt 


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Ueber  deo  EiuOnss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit. 


161 


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Kraepelin,  Psychol.  Arbeiten.  II. 


11 


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162  Wilbelm  Weygandt 

Hier  wiirde  Jann  erst  das  Gefiihl  der  sinkenden  Leistung,  die  Aus- 
sicht  auf  baldigen  Schluss  der  Ai-beit,  auch  wohl  der  Arbeitswechsel 
wieder  starkeres  Eingreifen  des  AVillens  anregen.  Vielleicht  begun- 
stigt  andererseits  eine  besondere  Betheiligung  motorischer  Vorgange 
an  der  Arbeit  das  haufigere  und  nachhaltigere  Auftreten  des  Antrie- 
bes,   wie  z.  B.   gerade  hier  beim  Lesen  und  friiher  beim  Lemen. 

In  Tabelle  XXVI  finden  wir  vom  10.  bis  13.  m.  eine  Unter- 
brechung  der  Grundthatigkeit  dnrch  die  schon  vorher  zur  Verwendung 
gekommene  Arbeit  des  Auswendiglemens  sinnloser  Silben,  der  wich- 
tigsten  Gedachtnissmethode.  Diese  Bezeichnimg  verdient  sie  jetzt 
wenigstens  eher  als  zu  Beginn  ihrer  Anwendung  bei  Versuchsperson 
A,  wo  der  dabei  entstehende  zomige  Affect  storend  dazwischen  trat, 
wahrend  jetzt  nach  der  Gewohnung  an  diese  Arbeit  mit  einer  ge- 
wissen  Gleichgiiltigkeit  gelemt  wurde.  Bemerkenswerth  ist,  dass  trotz 
der  Zwischenzeit  von  19  Tagen,  in  welcher  die  Methode  nicht  mehr 
geiibt  >vurde,  der  Uebungsverlust  sehr  geringfiigig  ist.  Die  zwei 
letzten  Tage  batten  fiir  die  Anfangshalbstunde  einen  viertelstUnd- 
lichen  Mittelwerth  von  149  und  144  Silben;  die  Endviertelstunde 
des  damaligen  Wechseltags  nach  leichter  Zwischenarbeit  en-eichte 
204.  Jetzt  finden  wir  in  der  zweiten  Halbstunde  des  Versuchs  vom 
11.  m.  sofort  eine  Viertelstundenleistung  von  161  Silben.  Vielleicht 
konnen  wir  daran  denken,  dass  nicht  nur  die  Gewohnung  an  diese 
anfangs  so  unangenehme  Arbeit,  sondern  auch  das  Bewusstsein,  dass 
sie  jetzt  voraussichthch  zum  letzten  Mai,  und  nur  fiir  zwei  halbe  Stun- 
den  zu  leisten  war,  ein  gleichmaBigeres,  ertragreicheres  Lemen  zur 
Folge  hatte. 

Immerhin  wurde  das  Silbenlemen  als  eine  schwere  Albeit  gegen- 
iiber  der  zwar  bald  langweilig  werdenden,  aber  doch  leichteren  Lecture 
des  Ungarischen  empfunden.  Die  genaue  Berechnung  der  Ergebnisse 
unter  Zuhulfenahme  des  Werthes  fiir  den  taglichen  viertelstiindlichen 
Uebungszuwachs  =  25,3  ergiebt  folgendes: 


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Ueber  den  Einduss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlaufeade  geistige  Arbeit. 
Tabelle  XXIX. 


163 


10.  m. 

11.  m. 

12.  III. 

13.  III. 

berechnet 

Letzte  Viertelstunde       -             

gefunden 

2752 

2903 

2941 

3157 

2472 

2439 

2659 

2586 

Ennadunggwirkung 

280 

464 

282 

571 

Differenz 

+  184 

+  289 

Oefundener  Werth  in  %  des  be- 
rechneten 

89,8 

84,7 

90,4 

81,9 

Differenz 

-5,1 

—  8,5 

Die  ungUnstige  Wirkung  der  Zwischenarbeit  ist  deutlich,  wenn 
auch  nicht  sehr  stark.  Dass  die  Minderleistung  des  zweiten  Wechsel- 
tags  die  des  ersten  iibertrifft,  konnte  darauf  zuriickgehen,  weil  das 
ungarische  Lesen  hier  schon  einen  groBeren  Uebungsgrad  erreicht 
hatte,  also  etwas  leichter  geworden  war  gegeniiber  dem  ungefahr 
gleich  schwer  gebliebenen  Silbenlemen. 

11)  Ungarisch  Lesen  unterbroohen  duroh  Addiren.  ■ 

(Tabelle  XXVII.) 

Die  vier  Tage  vom  14.  bis  17.  HI.  waren  dem  Wechsel  mit 
Addiren  gewidmet.  Leider  stehen  hier  die  Wechseltage  selbst  unter 
dem  Einfluss  einer  weniger  gtinstigen  Disposition.  Die  Nachwirkung 
von  asthmatischen  Athembeschwerden  in  den  letzten  Stunden  der 
Nacht  gaben  sich  vorzugsweise  in  unlustiger,  gedriickter  Stimmung 
kiind;  auBerdem  bestand  ein  dumpfschmerzendes  Gefiihl  im  Kopf. 
Die  Leistimg  wurde  dadurch  jedenfalls  verschlechtert;  doch  scheint 
in  Anbetracht  der  gleichmaBigen  Arbeit  wahrend  der  ersten  halben 
Stunden  die  Versehlechterung  mehr  in  einem  Tiefstand  der  Gresammt- 
leistung,  die  schon  mit  auffallend  niedrigen  Werthen  einsetzt,  sich 
auszudriicken,  als  in  jenem  raschen  Sinken  der  Zahlen,  das  wir  aus 
friiheren  durch  Ermiidimg  ungiinstig  beeinflussten  Versuchen  kennen 
gelemt  haben.  Es  scheinen  demnach  die  verschiedenen  Pormen  un- 
gunstiger  Disposition  (Ermiidung,  gedriickte  oder  gereizte  Stimmung, 
Mudigkeit)  das  Arbeitsergebniss  in  verschiedenera  Sinne  zu  beeinflussen, 

11* 


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164 


WUhelm  WeygaodU 


wenn  es  audi  bei  dem  Ineinandergreifen  der  mannigfaltigsten  Um- 
stande  in  der  Kegel  schwierig  ist,  diese  Unterschiede  mit  einiger 
Bestimmtheit  auseinander  zu  halten.  Wir  diirfen  bier  wobl  an  die 
Scblussbemerkungen  in  der  Arbeit  von  Kraepelin  und  Rivers^) 
erinnem.  Wenn  wir  nunmehr  die  Leistung  imserer  zwei  Wechseltage 
mit  derjenigen  der  meisten  Normaltage  vergleichen,  miissen  wir  die 
ausscblaggebenden  Werthe  der  Endviertelstunden  an  den  Wechsel- 
tagen  als  ziemlicb  booh  bezeichnen;  der  erste  liegt  nabe  der  Hocbst- 
leistung  der  ersten  balben  Stunde. 

Die  Berecbnung  nacb  der  ublicben  Weise  befert  keine  einheit- 
licben  Ergebnisse. 

Tabelle  XXX. 


Letzte  Viertelfitunde 


Ermadungswirkung 

Differenz 

■Gefundene  Werthe  in  %  der  be- 
rechneten 


16.  III. 


3180,5 


2749 


17.  m. 


2883,5 


2820 


431,5    I         63,5 
—  368 


86,4 


90,9 


Differenz 


-3,6 


4,5 


Wir  finden  danacb  am  zweiten  Versuebstage  eine  Heral)setzung, 
am  vierten  eine  Verbesserung  der  Leistung  durcb  die  eingescbobene 
Addition.  Indess  muss  der  Verlauf  der  Arbeit  am  1 4.  in.  auff alien. 
Diese  Leistung  mit  ibrem  stetigen  Aufstieg  von  der  dritten  Viertel- 
stunde  ab  entspricbt  nicbt  dem,  was  vnr  bei  den  Ubrigen  Normal- 
arbeitstagen  kennen  gelemt  baben.  Nur  am  12.  III.  und  2.  IV. 
finden  wir  etwas  AebnUcbes  angedeutet.  Eine  binreicbende  Erklarung 
flir  dies  Verbalten  baben  wir  zur  Zeit  nocb  nicbt.  Docb  sebeint  es 
geboten,  angesicbts  dieses  Gegensatzes  zu  den  sonst  gewonnenen 
Curven  die  Zablen  des  14.  III.  mit  Vorsicbt  zu  verwenden.  Ver- 
gleicben  wir  daber  lieber  nur  das  Procentergebniss  des  zweiten  Nor- 
maltages  mit  den  gleiclimaBigen  Procentzablen  der  beiden  Wecbseltage, 


1    Diese  Arbeiten  I,  S.  676. 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels  auf  fortlanfende  geistige  Arbeit. 


165 


so  wiirden  wir  eine  gunstige  Beeinflussung  (lurch  die  eingeschobene 
Additionsthatigkeit  finden.  Die  Addirleistung  ist  eine  ziemlich  ge- 
ringe,  wenn  wir  sie  mit  den  Zahlen  der  Tabelle  VULL  vergleichen; 
auch  zeigt  sie  keine  rechten  Fortschritte ;  die  Anstrengung  diirfte 
also  bei  der  Arbeit  nur  eine  maBige  gewesen  sein. 

Ln  ganzen  kommen  wir  zu  dem  Schlusse,  dass  die  Unterbrechung 
der  Lesethatigkeit  durch  die  Addirarbeit  eher  eine  gewisse  Verbesse- 
rung  der  Leistung  ergab,  die  jedoch  leicht  durch  andere  Einfliisse 
ausgeglichen  wurde,  also  jedenfalls  nicht  sehr  ausgesprochen  war. 

12)  Ungarisoh  Lesen  unterbroohen  durch  Sohnellschreiben. 
(TabeUe  XXVIII.) 
In  diesem  Abschnitte  der  Versuche  soUte  die  Lesethatigkeit 
unterbrochen  werden  durch  eine  moglichst  rein  motorische  Arbeit, 
das  Schreiben  der  25  kleinen  Buchstaben  des  Alphabets  (in  Antiqua), 
wobei  die  Associationsvorgange,  wenn  auch  vorhanden,  so  doch  ohne 
besonderen  Einfluss  auf  die  Leistung  waren.  Die  Disposition  war 
ganz  gunstig;  die  Uebung  im  Lesen  schreitet  fort,  jedoch  zeigen, 
wie  schon  bemerkt,  die  Werthe  am  18.  HI.,  namentlich  anfanglich, 
eine  ganz  besondere  Hohe.  Die  Schreibleistung  steigt  in  bemerkens- 
werther  Weise  an,  erreicht  den  Hohepunkt  des  ersten  Tages  am 
Ende  der  halben  Stunde,  setzt  am  zweiten  Tage  gleich  hoher  ein 
und  gipfelt  da  in  dem  4.  und  5.  Fiinfminutenabschnitt.  Die  End- 
ergebnisse  in  Tabelle  XXXI  sind  nicht  einheitlich. 

Tabelle  XXXL 


18.  III. 

19.  III. 

20.  lU. 

21.  III. 

.  berechnet 

3367 

3178 

3200 

3364 
2926 

Letzte  Viertelstunae    J 

gefunden 

2710 
657 

2901 

2810 

Ermadungswirkung 

277 

390 

438 

Differenz 

—  380 

+  48 

Gefandene  Werthe  in  %  der  be- 
rechneten 

80,5      1       91,3      1       87,9 

1                  1 

86,9 

Differenz 

+  10,8 

-1,0 

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166  Wilhelm  Weygandt. 

Der  zweite  Versuchstag  brachte  eine  deutliche  gunstige,  der  vierte 
eine  geringe  ungunstige  Wiikung  des  Arbeitswechsels.  Erscheint 
demnach  das  erstere  Ergebniss  zuverlassiger,  so  erhalten  wir  einen 
weiteren  Fingerzeig  fur  die  Beurtheilung  der  Versuche,  wenn  wir 
ausgehen  von  einer  hier  besonders  auffallenden  subjectiven  Beobach- 
tung.  Es  machte  sich  im  Laufe  des  Schreibens,  welches  hochstens 
2,43  Buchstaben  auf  die  Secunde  lieferte,  eine  immer  mehr  ansteigende 
Ermiidung  der  Schreibmuskeln  geltend,  die  in  der  letzten  halben 
Stunde  sich  auch  schon  durch  ein  Sinken  der  Leistnng  kundgab. 
Es  war.  als  ob  jene  Muskelgrui:)pe  bald  ganz  gelahmt  ware  und  sich 
dies  Gef  iihl  dem  iibrigen  Korper  mittheilte.  Nach  dem  Wechsel  mit 
Lesen  verspiirte  ich  zunachst  eine  Erschlaffung  und  Ermiidung  des 
ganzen  Korpers,  die  deutlich  die  Leseleistung  henunte,  bis  im  Verlauf 
einiger  Minuten  sich  allmiihlich  ^rieder  das  Gefiihl  einer  guten 
Leistungsfiihigkeit  fur  das  Lesen  einstellte.  Bei  genauer  Durchsicht 
der  Tabelle  XXVHl  finden  wu*  nun  ganz  den  Angaben  des  Proto- 
kolls  entsprechend,  dass  nach  Aufhoren  des  Schreibens  die  Leistung 
zunachst  eine  recht  tiefe  ist,  am  zweiten  Wechseltag  so  tief,  wie  sie 
seit  vier  Tagen  uberhaupt  nicht  mehr  vorkam,  wahrend  sich  in  den 
letzten  zehn  IVIinuten  der  Endviertelstunde  die  Leistung  allmahlicli 
auf  eine  hohere  Stufe  erhebt,  als  die  Normaltage  in  derselben  Zeit 
darboten.  Es  findet  von  der  ersten  zur  zweiten  FUnfminutenarbeit 
der  Endviertelstunden  ein  Aufstieg  von  73  und  186  statt.  Der 
zweite  Wechseltag,  der  groBere  Schreibleistung  und  damit  starkere 
Muskelermiidung  brachte,  giebt  natiirlich  auch  liier  einen  weit  be- 
tnichtlicheren  Ausschlag.  Ein  derartiger  Aufstieg  ist  in  der  Ver- 
suchsreihe  nicht  wieder  aufzufinden;  wir  konnen  daher  nicht  etwa 
von  Anregungswirkung  sprechen,  die  ja  sonst  nach  dem  Arbeits- 
wechsel  der  anderen  Versuche  auch  hatte  auftreten  konnen.  Dort 
aber  finden  wir  nirgends  einen  annahemd  so  weit  gehenden  Anstieg ; 
vielmehr  weisen  von  sechs  Yersuchen  der  zweiten  Versuchsreihe  mit 
ungarischer  Lectiire  vier  das  Gegentheil,  einen  deutlichen  Antrieb 
nach  dem  Wechsel  auf.  Wir  haben  angesichts  dieser  sich  gegenseitig 
stUtzenden  Befunde  im  Protokoll  und  in  den  Einzelergebnissen  viel- 
leicht  ein  Recht,  die  Vermuthung  auszusprechen,  dass  die  Thatigkeit 
einer  Muskelgruppe  zuniiehst  eine  voriibergehende  starke  Yerschlechte- 


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Ueber  den  Ginfluss  des  Arbeitswechsels  aaf  fortlaofende  geistige  Arbeit.         167 

rung,    dann    aber    eine    etwas   langer  andauemde  Verbesserung   der 
geistigen  Arbeitsleistung  erzielt. 

13)  Ungarisch  Lesen  unterbrochen  durch  Pausen. 

14)  Ungarisch  Lesen  unterbrochen  durch  Italienisch  Lesen. 

15)  Ungarisch  Lesen  unterbrochen  durch  Hebraisch  Lesen. 
Besonders  klare,  eindeutige  Ergebnisse  lietert  uns  die  zwolftagige 

Versuchsreihe,  die  in  Tabelle  XXXII  bis  XXXIV  niedergelegt  ist. 
Die  Grundarbeit  bildete  auch  in  dieser  Versuchsgruppe,  die  von  der 
vorigen  nui'  durch  einen  Ruhetag  getrennt  war,  das  Lesen  eines 
ungarischen  Textes.  Gearbeitet  wurde  in  derselben  Vormittagsstunde 
wie  dort.  Die  Anfangszahlen  zeigen  ein  gelindes  Ansteigen  durch 
die  noch  wachsende  Uebung.  Die  Disposition  war  durchweg  gUnstig. 
Die  Hauptbedeutung  des  Versuches  liegt  darin,  dass  er  uns 
ermoglicht,  einen  Werth  fiir  den  reinen  Uebungszuwachs  zu  finden. 
An  den  zwei  Pausentagen,  24.  III.  und  26.  III.,  betrug  der  durch 
die  halbstundige  Anfangsarbeit  erzielte  reine  Uebungszuwachs,  be- 
rechnet  auf  die  von  Rivers  und  Kraepelin  angegebene  Weise, 
395,5  und  400,  im  Durchschnitt  398  Silben.  Im  Verhaltniss  zu  der 
durchschnittlichen  Leistung  der  ersten  halben  Stunde  wiirde  also 
durch  viertelstundige  Arbeit  ein  Uebungsgewinn  von  6,1  und  5,9^, 
im  Mittel  von  6^  erreicht  worden  sein.  Die  Endviertelstunden  er- 
gaben  in  Procenten  des  Mittels  der  zwei  Anfangsviertelstunden  112,1 
oder  111,9,  im  Durchschnitt  \\2%,  Vergleichen  wir  nun  die  ge- 
fundenen  Endviertelstunden  der  Normaltage  23.  und  25.  m.  mit  dem 
Ergebnisse,  das  wir  fiir  sie  aus  den  Anfangswerthen  mit  Hiilfe  reinen 
procentischen  Uebungszuwachses  berechnen,  so  ergiebt  sich  eine  Diffe- 
renz  von  729  und  752,5,  im  Mittel  740,8.  Diese  Zahl  bedeutet  fiir  uns  . 
also  annahemd  die  GroBe  der  EinbuBe,  welche  die  Leistung  der  letzten 
Viertelstunde  durch  die  Ermiidung  erlitten  hat.  Das  Procentverhaltniss 
der  Normalendviertelstunden  zu  den  Anfangsdurchschnittsviertelstun- 
den  betragt  89,9.  Die  Ermiidungswirkung  gegeniiber  der  reinen  Uebung 
betragt  demnach  23,1  %.  In  WirkUchkeit  ist  dieser  Werth  zu  klein, 
da  ja  der  End  viertelstunde  des  Pausentages  nur  zwei,  der  des  Nor- 
maltages  aber  vier  ArbeitsvierteLstunden  voraufgehen,  somit  an  letz- 
terem  eine  doppelt  so  reiche  Uebungsgelegenheit  bestanden  haben 
muss.     Es  konnte  nun  eingeworfen  werden,   dass  ein  unter  Beriick- 


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168 


Wilhelm  Weygawit. 


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Ueber  den  Ginfluss  des  Arbeitswechsels  aof  fortlaufende  geistige  Arbeit.        169 

sichtigimg  der  verschiedenen  Anzahl  voraufgehender  Arbeitsviertel- 
stunden  berechneter  reiner  XJebungszuwachs  deshalb  zu  groB  ausfallen 
wurde,  weil  der  Uebungswerth  der  zweiten  und  dritten  Viertelstunden 
doch  nicht  so  hoch  sein  konnte,  wie  der  der  ermudungsfreieren  ersten 
und  zweiten  Viertelstunden.  Wir  berechnen  daher,  um  alien  Einwanden 
entgegenzutreten,  im  Polgenden  lieber  den  XJebungszuwachs  nur  unter 
Berucksichtigung  der  Uebungswirkung  der  zwei  Anfangsviertelstunden, 
obwohl  wir  von  diesen  Werthen  bestimmt  aussagen  konnen,  dass  sie  in 
Wirklichkeit  viel  zu  klein  sind.  Es  ware  vielleicht  noch  sicherer  ge- 
wesen,  die  beiden  Pausentage  nicht  in  das  erste  Drittel  der  ganzen 
Versuchsreihe  zu  setzen,  sondem  sie  etwas  weiter  zu  vertheilen.  Tmmer. 
bin  sind  wir  auch  so  schon  in  den  Stand  gesetzt,  soweit  bis  heute  mog- 
lich,  die  Wirkung  der  Uebung  und  der  Ermiidung  einigermaBen  von 
einander  zu  trennen.  In  iiberraschend  gUnstiger  Weise  kommt  un- 
seren  Erwartungen  die  gute  Uebereinstimmung  der  beiden  Pausen- 
versuche  untereinander  entgegen. 

Ein  zweiter  Umstand,  der  die  Bedeutung  dieser  Versuchsgruppe 
erhoht,  liegt  darin,  dass  wir  es  mit  Unterbrechungsarbeiten  zu  thun 
haben,  die  der  Grundarbeit  in  ziemlich  hohem  Grade  wesensahnlich 
sind.  Es  wurde  zunachst  die  Lekture  eines  italienischen  Textes  ein- 
geschoben  (Tab.  XXXTTT),  daraufhin  die  eines  hebraischen  (XXXIV). 
Auch  wenn  wir  davon  absehen,  die  einzelnen  Arbeiten  in  bestimmte 
Gebiete  unserer  Himrinde  zu  verlegen,  dUrfen  wu*  doch  zweifellos 
annehmen,  dass  bei  so  ahnhchen  Arbeiten  wie  bier  das  geistige  Ge- 
schehen  und  mit  ihm  der  physiologische  Parallelvorgang  ein  ahn- 
Ucher  sein  werde.  Es  handelt  sich  bei  alien  drei  Verfahren  vorzugs- 
weise  um  die  Auffassung,  dann  um  die  Auslosung  einer  motorischen 
Sprachvorstellung.  Itahenisch  war  der  Versuchsperson  nicht  fremd, 
jedoch  war  die  Bekanntschaft  auch  nicht  so  groB,  dass  der  Inhalt 
des  Gelesenen  hatte  storend  dazwischentreten  miissen,  wie  es  sich 
manchmal  beim  Buchstabensuchen  ereignete;  auBerdem  war  ein  in- 
haltlich  recht  langweiliger  Text  gewahlt  worden.  Die  Auffassung 
war  wesentlich  leichter  als  beim  Ungarischen,  weil  die  Aufeinander- 
folge  der  einzelnen  Buchstaben  nichts  Ungewohnliches  mehr  bot;  das 
Protokoll  bemerkt  ausdriicklich,  dass  in  der  Regel  gleich  die  ganzen 
Worter  aufgefasst  wurden;  die  Verkniipfung  mit  der  motorischen 
Sprachvorstellung  war  auch  erleichtert.     Das  Hebraische,  womit  sich 


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170 


Wilhdffl  Weygandt. 


die  Versuchsperson  seit  iiber  fiinf  Jaliren  nicht  mehr  beschaftigt 
liatte,  machte  der  Auffassung  betrachtliche  Schwierigkeit;  es  war 
jedesmal  eine  GedSrChtnissanstrengung  dabei  nothwendig.  Wohl  war 
auch  die  Auslosung  der  Sprachvorstellxmg  schwerer;  sie  spielte  aber, 
da  in  Eolge  der  Auffassungsschwierigkeit  schon  das  Lesen  recht 
langsam  vor  sich  ging,  fUr  das  Ergebniss  keine  erhebliche  Rolle  mehr. 
Italienisch  wurde  ebenso  \de  Ungarisch  nach  Silben  ausgezahlt.  Beim 
Hebraischen  wurde  zwar  das  K'ri,  das  heiBt  die  Worte  mit  der 
ganzen  Vocalpunctation  gelesen;  da  aber  eine  Silbeneintheilung  aus 
manchen  Grlinden,  so  schon  wegen  der  ganz  verscliiedenwerthigen  drei 
Schwa,  im  Hebraischen  auf  besondere  Schwierigkeiten  st^Bt,  wurde 
bei  der  Ausrechnung  das  K'tib,  die  Consonantenschrift,  gezahlt; 
daraus  erklaren  sich  die  anscheinend  recht  hohen  Zahlen  in  der 
TabeUe  XXXIV. 

Tabelle  XXXV.    (Italienisch  Lesen.) 


27.  III. 

28.  III. 

29.  III. 

30.  Ill 

berechnet 
Letzte       \ 

4004,5 

3999 

3987,5 

3936,5 
3542 

ViertelBtunde/       ^     ^ 

gefunden 

3206 
798,5 

3678 

3132 

Ennddungswirkung 
Differenz 

321 

865,5 

394,5 

—  477,5 

—  4( 

161 

Mittel 

Gefiindene  Werthe  in  ^/o 
der  berechneten         | 

59,3 

89,9 

80,1 

90,5 

78,5 

Differenz               i 

+  10,4 

+ 

11,4 

Mittel 

! 

-h 

10,9 

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Ueber  deo  Einfluss  des  Arbeilswechsels  auf  fortlaufeade  geistige  Arbeit.        171 
Tabelle  XXXVI.    (Hebraisch  Lesen). 


1      31.  III. 

1.  IV. 

2.  IV. 

3.  IV. 

Letzte         j  berechnet 

3884                 4010 

4034,5 

4013,5 

Viertelstunde   )      ^     , 

gefunden 

3356                 3147 

3543 

3081 

ErmadungBwirkung 
Differenz 

528 

863 

491 

932,5 

335 

441,5                    1 

Mittel 

388,3 

Erhaltene  Werthe  in  o/q 
der  erwarteten 

86,5 

78,5 

87,8 

76,8 

Differenz 

-8 

—  11 

Mittel 

-0,5 

Die  Endergebnisse  stimmen  mit  unserer  Erwartung  glanzend 
tiberein.  Die  leichtere  Arbeit  des  italienischen  Lesens  bewirkt  einen 
entschiedenen  Ausscblag  nach  der  giinstigen  Seite,  der  auch  wahrend 
der  Endviertelstunde  schon  subjectiv  deutlich  ward.  Das  schwerere 
hebriiische  Lesen  hat  einen  Ausscblag  nach  der  ungiinstigen  Seite  hin 
zur  Folge.  Auch  die  Einzelwerthe  harmoniren  mit  einander  recht 
nahe,  besonders  beim  Versuche  mit  italienischer  Lectiire.  Der  letzte 
hebraische  Tag  hat  einen  ungiinstigeren  Ausscblag  als  der  erste, 
vielleicht  deswegen,  weil  die  hohere  Arbeitsleistung  wahrend  des 
Wechsels  (4076  gegen  3152  Consonanten  am  1.  IV.)  eine  groBere 
Anstrengung  und  somit  eine  starkere  Ermtidung  mit  sich  brachte. 

Der  Einfluss  von  Pause,  leichter  Lectiire  und  schwerer  Lectiire  be- 
tragt  also  in  Procenten  +23,1,  +10,9,  — 9,5.  Ungarisch  Lesen  \^4rd 
durch  die  leichte  Unterbrechungsarbeit  des  Italienisch  Lesens  giin- 
stig,   durch  die  schwere  hebraische  Lectiire  ungiinstig  beeinflusst. 

in.  Versuche  mit  anderen  Personen. 

16)  Versuoh  von  B  mit  Ungarisoh  Lesen  unterbroohen  duroh  Pause 

und  Addiren. 

Vier  Versuchspersonen,  die  ihre  dankenswerthen  Dienste  im 
Sommer  1896  anboten,  beschaftigten  wir  mit  zwei  Methoden,  die  sich 


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172 


Wilbelm  Weygandt 


bisher   besonders  bewahrt  batten  und  zu  Vergleicbsversucben  recht 
geeignet  schienen.    B.  war  bereit,  zwei  Versucbsreihen  zu  ubemebmen. 
Zxmachst  KeBen  wir  ihn  Ungariscb  lesen  im  Wecbsel  mit  Addiren 
dazu  war  ein  Pausentag  vorgesehen. 

Tabelle  XXXVH. 


22.  VI. 

23,  VI. 

24.  VI. 

25.  VI. 

26.  VI.  96. 

979 

1261 

1403 

1462 

1468 

1. 

983  2955 

1199  3733 

1389  4194 

1441  4423 

1510  4452 



993 

1273 
1300 

1402 

1520 

1474 

1042 

1382 

1319 

1467 

2. 

1021  3119 

1302  3891 

1405  4139 

1395  4123 

1495  4468 

1056 

1289 

1352 

1409 

1506 

1053 

226 

1353 

296 

3. 

1093  3232 

212  639 

Pause 

1407  4157 

276  842 

1086 

201 

1397 

270 

1127 

197 

1384 

264 

4. 

1043  323S 

213  623 

Pause 

1342  4173 

266  776 



1068 

213 

1447 

246 

1120 

1289 

1481 

1405 

1569 

5. 

1117  3367 

1344  3913 

1513  4428 

1367  4197 

1458  4545 

1130 

1280 

1434 

1425 

1518 

1074 

Bemerkenswerth  ist  bei  dieser  Versuchsperson,  die  sich  mit  dem 
ganzen  jugendlichen  Eifer  des  ersten  Studiensemesters  den  Versuchen 
Avidmete,  cine  ziemlich  weitgebende  RegelmaBigkeit  des  Arbeitens; 
wenn  wir  die  Fiinfminutenzahlen  durcbgeben,  so  finden  wir  ein  viel 
geringeres  Scbwanken  als  bei  den  Versucben  der  meisten  andem 
Personen. 

Der  Uebungszuwacbs  ist  ganz  betracbtUcb;  vor  allem  steigt 
der  Anfang  der  Reibe  steil  an.  Es  wurde  Nacbmittags  von  5  V4  bis 
6V2  Ulii*  gearbeitet;  die  Disposition  war  gunstig,  der  Verlauf  ohne 
Stoning.  Am  zweiten  und  fUnften  Tag  wurde  eine  balbe  Stunde 
Addiren  eingescboben;  am  dritten  Tage  fand  in  derselben  Zeit  eine 


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Ueber  den  EinQass  des  Arbeitswechseis  aaf  fortlaafende  geistige  Arbeit.        173 

Pause  statt.  Der  reine  Uebungszuwachs  fur  die  halbe  Stunde  belauft 
sich  am  dritten  Tag  auf  261,5  oder  auf  6,3  )|^.  Die  in  der  folgen- 
den  Tabelle  enthaltene  Ausrechnung  liefert  auf  den  ersten  Blick 
auffallende  Ergebnisse. 

Tabelle  XXVIH. 


22.  VI. 

23.  VI. 

25.  VI. 

26.  VI. 

Letete         )  bcrechnet 

Viertelstunde   /       „     , 

gefunden 

3298,5 

4073,5 
3913 

4534,5 

4721,5 

!        3367 

4197 

4545 

Ermildungswirkung 

—  68,5 

4-  160,5 

-+-  337,5 

+  176,5 

Differenz 

-f  229 

—  161 

Gefundene  Werthe  in  o/q 
der  berechneten 

102,1 

1 

96,1 

92,6                  92,2 

Die  Zahlen  des  ersten  Tages  stimmen  nicht  zu  den  Ubrigen 
Leistungen.  Seine  Endviertelstunde  ragt  um  330  iiber  das  Mittel 
der  beiden  Anfangsviertelstunden  hinaus,  wahrend  die  halbstundige 
Pause  nur  einen  Anstieg  von  261,5  erzielte.  Einen  besonderen 
Schlussantrieb  am  22.  VI.  miissen  wir  auch  ausschliefien,  denn  es 
wurde  da  zufallig  noch  fiinf  Minuten  langer  gerechnet,  also  der  Schluss 
noch  gar  nicht  erwartet,  und  dabei  sank  die  Leistung  wieder  von 
1130  auf  1074.  Das  giinstige  Endresultat  dieses  Tages  erklart  sich 
zum  Theil  aus  dem  geringen  Anfangswerth.  Der  ganze  Tag  stand 
zu  sehr  unter  dem  Einfluss  ^ines  besonders  starken  Uebungszuwachses 
gegeniiber  dem  Ende  der  Versuchsreihe.  Wie  groB  fur  ihn  der  wirk- 
liche  Uebungszuwachs  gewesen  sein  mag,  konnen  wir  ermessen  aus 
der  Betrachtung  der  Anfangsleistung  des  nachsten  Tages,  die  trotz 
des  Uebungsverlustes  366  Zahlen  hoher  einsetzt  als  die  Maximal- 
leistung  des  ersten  Tages.  Diese  Erscheinung  entspricht  den  sonstigen 
Erfahrungen  iiber  den  Gang  der  Uebung.  Fast  alle  Personen,  welche 
friiher  noch  niemals  derartige  Versuche  gemacht  haben,  pflegen  vom 
ersten  zum  zweiten  Tage  eine  ganz  besonders  rasche  Steigerung  der 
Leistung  darzubieten,  wahrend  von  da  ab  der  Fortschritt  weit  langsa- 
mer  und  fur  kiirzere  Versuchsreihen  ziemlich  regelmilBig  erfolgt.  Es 
hegt  daher  nahe,  fiir  die  Erklarung  des  uberaus  starken  anfanglichen 


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174 


Wilhelm  Weygaudt. 


Anwachsens  der  Arbeitsgeschwindigkeit  auBer  der  XJebung  noch  an 
eine  andere  Ursache  zu  denken,  welche  rascher  wirkt,  aber  auch 
rascher  ihre  Wirkung  verliert,  die  Gewohnung  an  die  Versuchsbe- 
dingungen.  Daraus  geht  hervor,  dass  es  nicht  angeht,  wie  es  hier 
geschehen,  einen  erwarteten  Werth  gerade  fiir  den  ersten,  vielleicht 
auch  noch  fUr  den  zweiten  Tag  aus  dem  reinen  Uebungszuwachs  zu 
berechnen,  der  an  einem  spateren  Versuchstage  gewonnen  wurde.  Ohne 
Zweifel  ist  der  erwartete  Werth  und  damit  die  fiir  den  ersten  Tag 
berechnete  Ermiidungswirkung  in  Tabelle  XXXVIH  viel  zu  klein 
ausgefallen.  Wir  werden  uns  somit  nur  an  den  Vergleich  des  zweiten 
Normaltages  mit  den  beiden  Wechseltagen  halten  durfen,  die  gluck- 
licherweise  recht  gut  mit  einander  ubereinstimmen.  Daraus  wurde  zu 
schlieBen  sein,  dass  der  Arbeitswechsel  hier  bei  der  Versuchsperson 
gunstig  gewirkt  hat. 

17,  Versuch  von  B:    Addiren  unterbrochen  duroh  Ungarisoh  Leten 

und  Pause. 

Tabelle  XXXIX. 


= -- 

6.  VII. 
283 

7.  VII. 

8.  Vn.  1  9.  VII. 

10.  VII. 

15.  VII. 

325 

362      367 

312 

356 

1. 

290  837 

295  923 

322  10091334  1015 

300  926 

306  987 



264 

303 
293 

325 

314 

314 

325 

256 

300 

294 

325 

293 

2. 

243  724 

263  851 

295  909 

305  914 

311  908 

302  888 

-   - 

225 

295 

314 

315 
305 

272 

293 

242 

1443 

1588 

3. 

!  224  702 

1523  4410 

PauBe 

310  907 

1459  4605 

Pause 

236 

1444 

292 
276 

1558 
1473 

- 

201 

1389 

^-  1 

206  620 

1477  4325 

Pause 

301  841 

1510  4496 

Pause 

213 

1459 

264 

1513 

381 

197 

340 

353 

273 

361 

5. 

185  584 

315  962 

323  971 

287  835 

309  985 

367  1092 

202 

307 

295 

275 

315 

344 

Nunmehr  sollte  auf   die  soeben   besprochene  Versuchsreihe  die 
Probe    gemacht    werden.     B  sollte    sechs  Tage    addiren,    dabei    am 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels  aof  fortlaufend  e  geistige  Arbeit.         175 

zweiten  und  fiinften  Tage  die  zweite  halbe  Stunde  Ungarisch  lesen 
am  dritten  und  sechsten  diese  Zeit  pausiren.  Leider  konnte  der 
zweite  Pausenversuch  erst  nach  f llnftagiger  Unterbrechung  veranstaltet 
werden;  es  war  nicht  anders  moglich,  als  Abends  von  8  bis  9V4  Uhr 
zu  experimentiren.  Der  haufig  auftretende  Antrieb  zeugt  von  dem 
Eifer  der  Versuchsperson;  nicht  weniger  als  f unf  Mai  stoBen  wir  auf 
ihn  im  Anfang,  femer  jedesraal  nach  dem  Wechsel  und  nach  der 
Pause,  endlich  auch  zwei  Mai  als  Schlussantrieb.  Dagegen  muss 
auffallen,  dass  die  Leistung  durchweg  die  Neigung  zum  Sinken  zeigt. 
Doch  ging  die  ganze  Arbeit  regelmaBig  vor  sich,  wie  wir  an  dem 
fast  parallelen  Verlauf  der  einzelnen  Arbeitsstucke  der  Normaltage 
sehen.  Um  so  uberraschender  aber  ist  ein  Ergebniss,  das  bis  jetzt 
in  dieser  Weise  noch  nirgends  gefunden  wurde,  es  sei  denn,  dass  wir 
die  naher  besprochene  Sonderstellung  des  ersten  Tags  der  vorigen 
Versuchsreihe  heranziehen.  Der  in  maBigem  Grade  gunstige  Aus- 
schlag  des  ersten  Pausenversuchs  wird  iibertroffen  von  dem  Ender- 
gebniss  des  ersten  Wechseltags.  Die  Pause  hatte  somit  weniger 
gunstig  gewirkt  als  die  Arbeit!  Das  Protokoll  lasst  uns  mit  einer 
Erklarung  im  Stich.  Dass  Nichtarbeiten  die  Ermiidung  weniger  gut 
beseitigen  soUe  als  irgend  welches  Arbeiten,  das  ist  nach  allem,  was 
wir  vom  Wesen  der  geistigen  Arbeit  wissen,  einfach  ein  unannehm- 
barer  Satz.  Dazu  kommt  hier  auch  keine  groBe  Anregungsstorung 
in  Betracht,  denn  beide  Male  findet  sich  nachher  ein  deutUcher  An- 
trieb. Es  muss  unter  alien  Umstanden  etwas  hinzugekommen  sein, 
das  den  Einfluss  der  Pause  nicht  voU  zur  Geltung  kommen  heB. 
Vielleicht  lasst  sich  eine  Erklarung  darin  finden,  dass  der  lebhafte 
und  geistig  regsame  B  wahrend  der  Pause  nicht  wirkUch  ausruhte. 
Da  es  sehr  schwer  ist,  den  Geist  fiir  eine  gewisse  Zeit  vollstandig 
ruhen  zu  lassen,  batten  wir  den  Versuchspersonen  fiir  die  Pause 
anempfohlen,  in  einem  aufliegenden  Bande  illustrirter  Zeitung  zu 
blattem,  ohne  sich  in  irgend  einen  Artikel  derselben  zu  vertiefen. 
Diese  uberaus  leichte  Thatigkeit  sollte  sowohl  uber  die  Langeweile 
als  auch  besonders  Uber  das  Abschweifen  der  Gedanken  auf  schwie- 
rigere  Gebiete  hinweghelfen.  Immerhin  ist  es  moglich,  dass  in  B 
durch  diese  Thatigkeit  zahlreiche  Gedankenreihen  angeregt  wurden, 
welche  ein  volhges  Ausruhen  verhinderten.  Es  war  deshalb  fiir  die 
Endbeurtheilung  sehr  willkommen,  dass  noch  ein  Pausenversuch,  wenn 


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176 


WUhelm  Weyg&ndt 


auch  mit  einem  Abstand  von  fiinf  Tagen,  vorhanden  war.  Hier 
konnen  vdr  einen  Uebungszuwachs  von  154,5  auf  die  halbe  Stunde 
feststellen.    Wenn  wir  das  einsetzen,  so  erhalten  wir  folgende  Werthe: 

Tabelle  XL. 


6.  VII. 

7.  VII. 

8.  VII. 

9.  vn. 

10.  vn. 

15.  VII. 

Letzte    r  ^"^^*^°^^ 

935 

1041,5  1  1113,5 

1119 

1071,5 

Viertelstunde  I   .  , 

gefunden 

5S4 

962 

971 

835 

985 

1092,0 

ErmUdungswirkung 

351 

79,5 

142,5 

284  1   86,5 

Differenz 

—  271,5    j 

—  197,5 

Gefundener  Werth  in  o/o 
des  berechneten 

6,25    92,4 

1 

87,2 

74,5 

91,9 

100,0 

Erfreulich  ist  auch  hier,  dass  die  Ergebnisse  der  zwei  Wechsel- 
tage  (7.  und  10.  Vil.)  einander  recht  nahestehen.  Wir  konnen  aus 
der  Liste  jedenfalls  herauslesen,  dass  die  XJnterbrechung  der  Addition 
durch  ungarische  Lecture  einen  gUnstigen  Einfluss  gehabt  hat. 

18    Versuch  von  C:  Ungarisch  Iiesen,  unterbroohen  duroh  Addiren 

und  Pause. 

Tabelle  XLI 


1   13.  VII. 
894 

14.  vn. 

15.  VII. 

16.  VU. 

17.  VIL 

894 

952 

1035 

976 

1. 

973  2748 

953  2785 

989  2960 

1034  3135 

991  2970 

881 

938 

1019 

1066 

lOOS 

856 

894 

996 

1035 

1023 

2. 

854  2532 

957  2843 

973  2899 

1044  2999 

1018  2988 



822 

992 

930 

920 

947 

893 

307 

991 

291 

3. 

1034  2835 

292  902 

Pause 

973  2924 

298  905 

----- 

908 

303 
297 

960 

316 

919 

989 

285 

4. 

930  2753 

302  899 

Pause 

959  2889 

267  829 

904 

300 

1070 

941 

277 

923 

964 

952 

910 

4. 

1  844  2665 

972  2894 

1068  3304 

886  2703 

941  2831 

898 

958 

1166 

865 

980 

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Ueber  den  Cinflass  des  Arbeitsweehsels  auf  fortlaafende  geistige  Arbeit.         1 77 

Es  wurde  wieder  ungarische  Lecture  als  Grundarbeit  genommen, 
die  einmal  durch  eine  halbstiindige  Pause  und  zweimal  durch  ebenso- 
langes  Addiren  unterbrochen  war.  Gearbeitet  wurde  abends  von 
8  bis  974  TJhr.  Leider  war  die  Disposition  nicht  immer  giinstig. 
Versuchsperson  0  war  durch  Asthma  etwas  angegriffen  am  13.  und 
14.  Vn.  An  den  beiden  letzten  Tagen  hingegen  wirkte  die  Julihitze 
storend.  Das  Lesen  zeigt  eine  mittlere  Uebungsfahigkeit.  Die  Addi- 
tionswerthe  sind  hoch;  ihr  XJebungszuwachs  ist  gering.  Beides  erklart 
sich  leicht  dadurch,  dass  C  schon  ofter  mit  dieser  Rechenmethode 
gearbeitet  hatte.  Am  ersten  Tag  begegnen  wir  einer  jener  merk- 
wiirdigen  Zickzackcurven  mit  dem  Minimum  in  der  zweiten,  dem 
Gipfel  in  der  dritten  Viertelstunde.  Der  zweite  Normaltag  tragt  die 
Kennzeichen  der  Ermiidung;  die  Leistung  fallt  stetig  ab.  Der  Pausen- 
versuch  bietet  trotz  des  Abfalls  in  der  zweiten  Viertelstunde  einen 
schonen  Aufstieg  am  Ende,  zugleich  auch  Schlussantrieb.  Wir  er- 
mittehi  an  diesem  Tag  einen  halbstundigen  reinen  Uebungszuwachs 
von  374,5  oder  von  12,8  )|^.  Am  ersten  Wechseltage  steigt  der  Aus- 
schlag  liber  die  Hochstleistung  der  ersten  halben  Stunde,  beim  zweiten 
fallt  er,  beides  in  nicht  hohem  Grade. 

Die  Berechnung  liefert  folgendes: 

Tabelle  XLH. 


13.  vn. 

14.  VIL 

15.  VII.  1  16.  VIL 

17.  vn.  96. 

T  X  ^           i  berechnet 
Letztc        j 

3014,5 

3188,5 

3441,5 

3353,5 

Viertelstunde  \      .     , 

gefunden 

2665 

2894 

3304 

2703 

2831 

ErmaduDgswirkung 

349,5 

294,5 



738,5 

522,5 

Differenz 

—  55 

—  216               1 

Erhaltene  Werthe  in  % 
der  erwarteten 

88,4 

90,8 

100 

78,5 

84,4 

Differens 

+  2,4 

+  5,9                1 

Nur  wenn  wir  jeden  Wechseltag  mit  dem  dazu  gehorenden  Nor- 
maltage  vergleichen,  bekommen  wir  ein  eindeutiges  Ergebniss.  Frei- 
lich  haben  wir  dazu,  wie  die  obigen  Bemerkungen  iiber  die  Dispo- 
ffltionsverhaltnisse  zeigen,  mehr  Recht  als  etwa  zu  einer  Beurtheilung 

Kraepelin,  Pgyehol.  Arbeiten.  n.  12 


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178 


Wilklo  Weyi^indt. 


der  voUen  Reihe  nach  ganz  einheitlichem  Gresichtspunkte.  Es  lasst 
sich  danach,  soweit  der  Versuch  uberhaupt  Schliisse  erlaubt,  angeben, 
dass  die  Unterbrechung  des  Lesens  durch  das  Addiren  einen  etwas 
gunstigen  Einfluss  hatte.  Das  wurde  mit  den  Erwartungen  fUr  die 
Versuchsperson,  die  im  Addiren  viel  Uebung  hatte  und  es  mit  ziem- 
licher  Leichtigkeit  betrieb,  wahrend  ihr  die  iingarische  Lecture  fremd 
war,  sowie  mit  ihren  subjectiven  Empfindungen  beim  Vergleiche  der 
Methoden  auch  ubereinstimmen. 

19]  Versuche  von  D:  Addiren  iinterbrochen  durch  ungarisch  Iiesen 

nnd  Pause. 

Die  Versuchsreihe  wurde  zur  selben  Zeit  wie  die  von  C  absol- 

viert.    Tag  eins  und  vier  wurde  durchaddirt,  am  zweiten  und  funften 

Tag  wurde  V'2  Stunde  ungarische  Lecture  eingeschoben;   am  dritten 

fand  in  derselben  Zeit  eine  Pause  statt. 

Tabelle  XLLH. 


'   13. 

VII. 

14.  VII. 

15.  VII. 

16.  VII. 

17.  VII. 

247 

306 

318 

281 

363 

1. 

260 

763 

286  874 

267  843 

285  899 

346  997 



256 

282 

258 

333 

298 

272 

289 

267 

311 

319 

2. 

275 

806 

273  831 

268  843 

301  918 

319  962 

259 

269 

308 

306 
319 

324 

285 

672 

769 

3. 

261 

S09 

704  2109 

Pause 

325  962 

741  2279 

263 

733 

318 

769 

244 

684 

315 

771 

4. 

26() 

760 

761  2083 

Pause 

290  917 

787  2363 

250 

638 

312 

805 

245 

290 

318 

312 

357 

5. 

269 

780 

247  798 

312  928 

304  905 

356  1053 

266 

261 

298 

289 

340 

Die  Versuchsperson  giebt  an,  dass  sie  durch  die  Hitze,  die  in 
jenen  JuHtagen  sehr  stark  war,  wol  beeinflusst  wurde;  am  unange- 
nehmsten  sei  das  gewesen  am  Anfang  der  Reihe,  ganz  im  Gre^ensatz 


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Ueber  deii  Einflnss  des  Arbeitsweehsels  anf  fortlaurende  geistige  Arbeit.         179 

zu  0,  der  zur  selben  Zeit  wie  D  experimentirte  und  in  den  letzten 
Tagen  die  Hitze  am  lastigsten  fand.  Vielleicht  liegt  der  Gnind  auch 
an  den  verschiedenen  Raumlichkeiten,  in  denen  die  Herren  unter- 
gebracht  waren.  D  erklart  femer,  dass  er  beim  ungarischen  Lesen 
deutlich  die  Empfindung  der  Langeweile  gehabt,  sich  aber  allmahlich 
daran  gewohnt  habe,  wahrend  er  das  Addiren  als  weniger  langweilig, 
aber  schwerer  empfunden  habe.  Die  Leistungen  in  der  Lecture  sind 
gegeniiber  anderen  Versuchspersonen  recht  gering,  die  im  Addiren  da- 
gegen  ziemlich  bedeutend.  Da  D  noch  nie  Gelegenheit  zu  psychologi- 
schen  Versuchen  gehabt  hatte,  so  begegnen  wir  hier  einem  ahnlichen 
raschen  Anwachsen  der  Leistung  vom  ersten  zum  zweiten  Tage  wie  bdi 
B;  wir  sind  auch  hier  wohl  berechtigt,  neben  der  Uebung  die  Gewoh- 
nung  an  die  ganz  neue,  ungewohnt^  Arbeitsweise  zur  Erklarung  heran- 
zuziehen.  Der  eigenthiimlich  sprunghafte,  unregelmaBige  Gang  der 
Arbeitsleistung  findet  sich  ebenfalls  haufiger  an  den  ersten  Versuchs- 
tagen  bisher  ungeiibter  Personen.  Der  zweite  Tag  mit  seinem 
starken  Abfall  zeigt  Ermiidungserscheinungen,  wahrend  der  dritte 
Tag  mit  seinen  niedrigen  Anfangswerthen  vielleicht  unter  dem  Ein- 
flusse  einer  andersartigen  ungiinstigen  Disposition  stand;  hier  begegnet 
uns  im  Beginn,  sowie  vor  und  nach  der  Pause  ein  deutlicher  Antrieb. 
An  den  beiden  letzten  Tagen  ist  die  Leistung  gleichmaBiger.  Am 
zwfeiten  Wechseltag  war  die  Disposition  anscheinend  besonders  giinstig. 
Lu  Hinblick  auf  die  schon  bei  den  Versuchen  B's  besprochenen  Ver- 
haltnisse  werden  wir  auch  hier  den  Hauptnachdruck  bei  der  Beur- 
theilung  auf  das  Ende  der  Reihe  legen;  die  subjectiven  Wahmeh- 
mungen  von  D  stehen  damit  im  Einklange. 

Die  Berechnung  fand  unter  Zugrundelegung  des  reinen  Uebungs- 
zuwachses  (85,  oder  10,1  ^)  statt. 


12* 


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180 


Wilhelm  Weyg«ndt. 
Tabelle  XLIV. 


13.  VU. 

14.  VII. 

15.  VII.  \   16.  VII. 

17.  Vn.  96. 

/  berechnet 
Letzte 

869,5 

937,5 

993,5 

1064,5 

Viertelstunde  ^^^^^^^^ 

780 

798 

928 

905 

1053 

ErmClduDgswirkung 

89,5 

139,5 

88,5 

11,5 

Differenz 

—  50 

+  77 

Gefundene  Werthe  in  o/o 
der  berechneten 

89,7 

85,1 

100 

81,1 

98,9 

Differenz 

-4,6 

-4-  17,8 

Da  die  Ermiidungswirkung  am  13.  Vil.  ohne  Zweifel  viel  zu 
gering,  das  Verhaltniss  des  erhaltenen  Werthes  zum  erwarteten  viel 
zu  groB  bemessen  ist,  durfen  wir  aus  diesen  Zahlen  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit  den  Schluss  ableiten,  dass  der  Arbeitswechsel  unter  den 
gegebenen  Verhaltnissen  einen  allerdings  nicht  sehr  bedeutenden  gun- 
stigen  Einfluss  ausgeiibt  hat. 

20)  Versuoh  von  E:  Ungarisoh  Iiesen  unterbroohen  duroh  Addiren. 

Tabelle  XLV. 


15.  VI. 

16.  VI. 

17.  VL 

18.  VI. 

19.  VL 

930 

1190 

1200 

1400 

1770 

1. 

1185  3278 

1231  3870 

949  3349 

1401  4125 

1678  5259 

1  1163 

1249 

1200 

1324 

1811 

1106 

1054 

1260 

1275 

2. 

1038  3475 

1321  3359 

1153  3490 

1206  3340 

1331 

984 

1077 

859 

1207 

192 

1084 

220 

3. 

1196  4088 

196  589 

1225  3347 

214  645 

1685 

201 

1038 

211 

1240 

173 

1000 

191 

4. 

1089  3575 

219  528 

1153  3301 

183  535 

1246 

136 

1148 

161 

1377 

1125 

985 

1014 

5. 

1167  3780 

916  2850 

775  2642 

1035  2994 

1236 

809 

882 

945 

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Ueber  den  Einfliiss  des  Arbeitsweclisels  Auf  fortlaufende  geistige  Arbeit.        181 

Es  wurde  nachmittags  von  5Y4  bis  6V2  U^^  gearbeitet.  Am  ersten 
und  dritten  Tag  las  E  V4  Stunden  lang  den  ungarischen  Text;  am 
zweiten  und  vierten  wurde  in  der  zweiten  Halbstunde  addirt.  Einen 
an  funfter  Stelle  vorgesehenen  Pausentag  hat  E  nicht  mehr  ausge- 
halten;  es  sind  nur  die  Werthe  fur  die  erste  Viertelstunde  vorhanden; 
bald  darauf  wurde  die  Arbeit  abgebrochen.  So  auffallend  ein  der- 
artiges  Verfahren  ist,  so  wird  es  begreiflich,  wenn  man  ermisst,  dass 
selbst  A,  der  eine  groBe  Reihe  von  Versuchen  untemommen  und  am 
Zustandekommen  dieser  Experimente  personliches  Interesse  hatte, 
wenigstens  das  Lemen  sinnloser  Silben  nur  mit  Selbstuberwindung 
durchzufiihren  vermochte.  Es  ist  daher  gerade  bei  diesen  fortlau- 
fenden  Arbeiten  noch  etwas  schwierig,  iiberhaupt  Versuchspersonen 
heranzuziehen.  Deshalb  muss  man  sich  auch  leider  hier  und  da 
mit  Versuchen  geniigen  lassen,  die  durch  allerlei  Storungen  beein- 
flusst  sind,  um  so  eher,  als  uns  haufig  gerade  die  Abweichungen  will- 
kommenen  Anlass  zu  Beobachtungen  geben,  welche  bei  ganz  glattem 
Verlauf  nicht  batten  gemacht  werden  konnen.  Ein  Recht,  Versuche 
aus  der  Besprechung  fortzulassen  nur  aus  dem  Grunde,  weil  sie  unter 
ungiinstiger  Disposition  zu  steheh  schienen,  besitzen  wir  unserer  An- 
sicht  nach  durchaus  nicht,  wie  schwer  auch  die  Beurtheilung  solcher 
Versuche  werden  kann.  Immerhin  bleibt  das  vorzeitige  Aufgeben  der 
Versuchsreihe  von  E,  der  damit  den  Werth  seiner  vorher  geleisteten 
viertagigen  Arbeit  stark  beeintrachtigt,  recht  bedauerlich.  Die  Arbeit 
selbst  zeigt  allerdings  sehr  ungleichmaBige  Ergebnisse;  neben  recht 
guten  finden  sich  ungemein  niedrige  Werthe.  Darin  wiirde  sich 
ebenso  wie  in  jener  Flucht  am  funften  Tag  unschwer  eine  Ueberein- 
stimmung  finden  lassen  mit  einer  unabhangig  davon  zu  entwerfenden 
Charakteristik  der  betreffenden  Versuchsperson  E,  zu  dessen  Grrund- 
eigenschaften  ein  unstater  Zug  gehort.  Wie  dem  auch  sei,  wir  sind 
verpflichtet,  in  die  Discussion  der  Resultate  einzutreten  und,  wenn 
moghch,  ihre  Beurtheilung  zu  versuchen. 

Auf  den  ersten  Blick  tritt  das  Sprunghafte  der  Leistungen  vor 
Augen.  Die  Fiinfminutenwerthe  fallen  oder  steigen  manchmal  ganz 
auBerordentlich,  bis  zu  40,9  Procent.  Antrieb  ist  verhaltnissmaBig 
selten.  Auffallen  kann,  dass  die  Gesammtleistung  doch  verhaltniss- 
maBig hoch  erscheint.  Die  viertelstundUche  Leistung  von  5259  Silben 
am  funften  Tag  ist  um  14,2  Procent  hoher  als  die  hochste  Leistung 


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182 


WiUielm  WeygandU 


der  ubrigen  Personen.  Offenbar  aber  ist  das  Lesen  sehr  fliichtig 
geschehen,  denn  sechs  Silben  in  der  Secunde  konnen  schwerlich  noch 
ganz  scharf  unterschieden,  geschweige  denn  deutlich  ausgesprochen 
worden  ^ein.  Die  Vergleichbarkeit  mit  den  anderen  Versuchen  wird 
dadurch  natiirlich  aufgehoben.  Die  UngleichmaBigkeit  erklart  sich 
vielleicht  dnrch  die  Annahme,  dass  E  wahrend  des  Lesens  noch  an 
andere  Dinge  dachte;  er  gab  auch  selbst  an,  dass  ihn  das  Lesen 
gleichgiltig  lieB  und  er  indess  seinen  Gredanken  nachhing.  Das 
Rechnen,  das  fiir  Fremdassociationen  keinen  groBen  Spielraum  lasst, 
verlauft  bei  E  au<5h  entschieden  regelmaBiger  als  das  Lesen. 

Der  tagliche  Uebungszuwachs  betragt  19,4  auf  die  Viertelstunde. 

Tabelle  XLVI. 


■      .      II      15.  VI. 

16.  VI. 

17.  VI. 

18.  VI. 

Letzte            berechnet 

3435 

3583 

3478 

3791 

Viertelstunde          ^     , 

gefunden 

3780 

2850 

2642 

2994 

Ermadungswirkung 

—  345 

4-  733 

+  836 

4-  797 

Differenz 

+  388 

—  39 

Gefundener  Werth  in  o/^ 

des  berechneten                  *'"'' 

79,5 

75,7 

78,9 

Berechnen  wir  in  der  Tabelle  XL VI  nach  dem  frtiheren  Ver- 
fahren  des  taglichen  Uebungszuwachses  die  fiir  die  letzten  Viertel- 
stunden  erwarteten  Werthe,  so  ergiebt  sich,  dass  E  eine  sehr  hohe 
Ermiidungswirkung  aufweist.  Nur  am  ersten  Tage  ist  dieselbe  nega- 
tiv  aus  dem  bereits  bei  den  Versuchen  von  B  und  D  erorterten 
Grunde.  Wir  werden  daher  auch  hier  nur  auf  den  Vergleich  der 
drei  letzten  Tage  einigen  Werth  legen  diirfen.  Daraus  wiirde  sich 
ergeben,  dass  wol  ein  geringer  gunstiger  Einfluss  des  Wechsels 
der  Arbeit  stattgefunden  hat. 


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Ueber  den  Eiiifliiss  des  Arbeit sweclisels  auf  fortlaufeude  geistige  Arbeit.         \  83 

2 1 }  Versaehe  von  F. :  ILateinisoh  Lesen  unterbroohen  durch  Silbenlemen 

und  Pause. 

Tabelle  XLVIL 


20.  VII. 

21.  VII. 

22.  VII. 

23.  VII. 

24.  VII. 

:25.vir.96 

1138 

1397 

1328 

1041 

1283 

1148 

1. 

1190  3630 

1443  3967 

1541  4283 

1267  3645 

1203  3874 

1541  4302 

1302 

1127 

1414 

1337 

1388 

1613 

1296 

1169 

1054 

1023 

1217 

1641 

2. 

1138  3740 

1129  3482 

1166  3673 

1231  3421 

1442  4077 

1197  3965 

1306 

1184 

1453 

1167 

1418 

1127 

1217 

20 

1309 

15 

3. 

1023  3576 

11  42 

Pause 

1043  3627 

8  36 

Pause 

1336 

11 

1275 

13 

1260 

9 

1285 

19 

4. 

1495  4085 

5  18 

Pause 

1133  3444 

17  50 

Pause 

1330 

4 

1026 

14 

1196 

1341 

1615 

1034 

1475 

1318 

5. 

1377  4087 

1373  4137 

1301  4316 

1084  3310 

1460  4423 

1571  4551 

1514 

1423 

1400 

1192 

1488 

1662 

Nachdem  nunmehr  eine  reichliche  Anzahl  von  Versuchen  gemacht 
war,  bei  denen  eine  Auffassungsthatigkeit  mit  einer  mehr  associativen 
Arbeit  abwechselte,  sollte  noch  einmal  eine  leichte  Auffassnngsarbeit 
durch  eine  entschieden  schwere  Gedachtnissarbeit  unterbroohen  werden. 
Es  wurde  zunachst  von  F  sechs  Tage  lang  ein  lateinischer  Text 
gelesen,  Julius  Caesar,  de  bello  Gallico,  ohne  irgend  welche  Riick- 
sichtnahme  auf  den  Inhalt.  Die  auf  Tab.  XLVil  verzeichnete  Aus- 
zahlung  erfolgte  in  Silben.  Die  zweite  halbe  Stunde  am  zweiten 
und  funften  Tag  wurden  sinnlose  Silben  gelemt,  am  dritten  und 
sechsten  jedoch  in  derselben  Zeit  pausirt.  F  widmete  sich  mit  vollem 
Eifer  diesen  Versuchen.  Leider  waltet  auch  iiber  seinen  beiden 
Reihen  ein  besonderer  Unstem.  Wie  F  selbst  angiebt,  arbeitet  er 
sehr  ungleichmaBig.  Das  Protokoll  bezeichnet  fiir  die  erste  Reihe 
die  Tagesdisposition  stets  als  gut.    Gearbeitet  wurde  in  der  Morgen- 


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184  Wilheltn  WeygaodU 

stunde  von  9Y4  bis  1072>  die  erfahrungsgemaB  eine  auBerordentlich 
gunstige  Zeit  fiir  solche  Arbeiten  darstellt.  Trotz  alledem  stoBen 
wir,  wie  der  erste  Blick  auf  die  Tabelle  zeigt,  auf  ein  ganz  merk- 
wiirdiges  Schwanken  der  Leistung,  raschen  Wechsel  zwischen  Anstieg 
und  plotzlichem  Absturz.  Nur  am  funften  Tage  finden  wir  Andeu- 
tungen  eines  Antriebes.  Dagegen  zeigt  jeder  von  den  sechs  Ver- 
suchstagen,  oft  in  ganz  auffallender  Starke,  ein  Anschwellen  der  letzten 
Fiinfminutenleistung,  einen  Schlussantrieb.  Solche  RegelmaBigkeit  im 
Schlussantrieb  findet  sich  in  den  Versuchen  von  Rivers*)  nur  im 
Zustand  besonderer  Frische  und  ist  dann  verbunden  mit  Antrieb  und 
spatem  Gipfel,  woven  hier  jedoch  nicht  die  Rede  sein  kann.  Eher 
sollte  man  an  jenen  Zustand  herabgesetzter  Anregbarkeit  denken, 
in  welchem  nach  Rivers  und  Kraepelin  der  Antrieb  schwach,  die 
Anregung  verzogert,  ein  Schlussantrieb  aber  doch  ofter  vorhanden 
jst.  Freilich  sind  jene  Versuche  von  Rivers  ausschlieBlich  mit  der 
Addirmethode  angestellt. 

Die  beiden  Normaltage  bei  F  verlaufen  zickzackformig;  an  den 
Pausentagen  zeigt  sich  ein  starkes  Zuriickbleiben  der  zweiten  Viertel- 
stunde  gegeniiber  der  ersten,  ebenso  am  ersten  Wechseltag.  Immer- 
hin  hat  die  ganze  Versuchsreihe  eine  gewisse  RegelmaBigkeit  im 
Uebungszuwachs.  Mit  Ausnahme  des  vierten  und  funften  Tags  steigt 
die  Durchschnittsleistung  der  ersten  halben  Stunde  an.  Der  tagliche 
viertelstundliche  Uebungszuwachs  lasst  sich  auf  16,5  berechnen. 

Das  Auffallendste  ist  vielleicht  die  geringe  Wirkung  der  Pause; 
dieselbe  betragt  am  ersten  Pausentage  338,  am  zweiten  418  Zahlen, 
im  Mittel  9,3  Procent  der  Durchschnittsleistung  vor  der  Pause.  Diese 
Pausenwirkung  wird  in  beiden  Fallen  iibertroffen  von  der  Wirkung 
der  eingeschobenen  Arbeit,  des  Auswendiglemens  sinnloser  Silben. 
Die  Steigerung  der  Leistung  betrug  hier  nach  demLemen  413  bezw. 
448  Zahlen,  d.  h.  11,2  Procent  der  durchschnittlichen  Anfangsleistung. 
Wir  kommen  zu  dem  merkwurdigen  Refund,  dass  auf  F  die  unan- 
genehmste  und  anstrengendste  Versuchsarbeit,  das  Lemen  sinnloser 
Silben,  erfrischender  gewirkt  hat  als  die  voUstandige  Pause!  Ein 
wenig  anders  gestaltet  sich  allerdings  das  Ergebniss,  wenn  wir  nur 


1-  Diese  Arbeiten  I,  S.  676. 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeitsweehsels  auf  fortlaufende  geistige  Arbeit. 


185 


die  zweiten  mit  den  letzten  Viertelstunden  der  Pausen-  und  Wechsel- 
tage  vergleichen.  Dann  betragt  die  Steigerung  der  Leistung  dort 
16,1,  hier  13,2  Procent,  so  dass  also  doch  ein  geringer  XJeberschuss 
zu  Grunsten  der  Pausenwirkung  zu  verzeichnen  ware.  Selbstverstand- 
lich  koimeii  wir  daraus  nur  den  Schluss  ziehen,  wie  leicht  unsere 
Versuche  durch  unberechenbare  Zufalligkeiten  beeinflusst  werden. 
Die  folgende  Tabelle,  die  auf  Grund  des  reinen  XJebungszuwachses 
von  377,6  auf  die  halbe  Stunde  die  Endergebnisse  berechnet,  stellt 
dies  Verhalten  noch  deutlicher  zur  Schau: 

Tabelle  XLVm. 


20.  VII. 

21.  VII. 

23.  VII. 

24.  VII. 

Letete           berechnet 

4062,6 

4102,1 

3910,6 

4293,1 

Vieneliunde          ^     , 

gefunden 

4087 

4137 

3310 

4423 

ErmCldungswirkung 

-2M 

—  34,9 

4-  600,6 

—  129,9 

Differenz 

—  10,5 

—  730,5 

Gefiindene  Werthe  in  o/^ 
der  berechneten 

100,6 

100,9 

84,7 

103,0 

Die  Ermiidungswirkung  ist  also  nicht  nur  am  ersten  Tage,  sondem 
auch  an  den  beiden  Wechseltagen  negativ.  Wahrend  man  aber  dort  an 
die  wiederholt  besprochenen  Einfliisse  denken  muss,  welche  die  Lei- 
stung im  Beginn  weit  liber  das  berechnete  MaB  hinaus  steigem,  steht 
das  letztere  Ergebniss  in  scharfem  Gegensatze  zu  den  Erfahrungen 
aller  Personen,  die  sich  mit  ahnlichen  Versuchen,  vor  allem  mit  jener 
Silbenlemmethode  einmal  beschaftigt  haben. 

Die  zwei  nachsten  Tabellen  liefem  Wiederholungszahl  und  Lem- 
werth  aus  den  zwei  Wechselhalbstunden,  auf  ftinf  und  fiinfzehn  Minu- 
ten  berechnet.  Wir  erkennen,  dass  die  Wiederholungszahl  sich  nur 
langsam  verandert.  Am  ersten  Wechseltage  blieb  jene  fast  stetig,  am 
zweiten  stieg  sie  an.  Der  Lemwerth  dagegen  sinkt  am  ersten  Tag  sehr 
rasch;  am  zweiten  schwankt  er  und  sinkt  in  der  zweiten  Viertelstunde 
durchweg.  Aus  dieser  Erfahrung  sehen  wir,  dass  die  Leistung  immer 
schlechter  wurde,  wahrend,  wie  schon  die  Wiederholungszahl  andeutet. 


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186 


Wilhelin  Weygaudt. 


die  aufgewandte  Miihe  eher  zunahm.  Zor  Erklarung  konnte  man 
nach  einer  Contrastwirkung  suchen.  Diese  Annahme  wird  aber  un- 
wahrscheinlich  durch  den  Befund,  dass  die  erste  Funfminutenziffer 
nach  der  Wechselarbeit  sich  am  ersten  Wechseltag  zu  der  folgenden 
Leistung  ganz  anders  yerhalt  als  am  zweiten. 

Tabelle  XLIX  (Wiederholungszahl). 


21.  VII. 

24.  VII. 

34 

27 

3. 

34  104 

27   90 

36 

36 

35 

33   94 

33 

4. 

35  108 

26 

40 

Tabelle  L  (Lemwerth). 


21.  VII. 

24.  VII. 

58,8  1 

55,6  ] 

3. 

32,4 
30,6 

.  40,6 

29,6 
50,0 

45,1 

25,7  \ 

57,6  1 

4. 

15,2  I  18,8 

48,6   47,1 
35,0  1 

15,4 

Femer  konnte  man  denken,  dass  in  der  stark  sprachlich-moto- 
rischen  Seite  beider  Arbeiten  ein  hoher  Grad  von  Verwandtschaft 
beruht,  in  Folge  dessen  ein  besonders  storendes  Moment  des  Wechsels, 
der  Anregungsverlust,  beim  Uebergang  vom  Silbenlemen  zum  Latein- 
lesen  auBerordentlich  gering  ware.  Aber  abgesehen  davon,  dass  bei 
A,  der  in  der  Versuchsreihe  10  ganz  ahnliche  Bedingungen  vor- 
fand,  nichts  ahnliches  zu  erkennen  ist,  miissen  wir  doch  auch  von 
vomherein  schon  zugestehen,  dass  die  sprachliche  Anregung  in  erster 
Linio  von  einem  festen  Rhythmus  abhangt,  der  nun  aber  beim  Lesen 
und  Lemen  grundverschieden  ist. 


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Ueber  deu  Einfliiss  des  Arbeilswechsels  aiif  fortiaufende  geistige  Arbeit. 


187 


Die  Lemleistung  an  sich  steht  bei  F  weit  hinter  derjenigen  A's 
und  der  Oehm'schen  Versuchspersonen  zuriick,  mehr  als  sich  aus  dem 
Umstand  erklaren  lasst,  dass  F  als  Auslander  mit  franzosischer  Mutter- 
sprache  besondere  Schwierigkeit  in  der  Aussprache  der  sinnlosen 
Silben  finden  konnte. 


22)  Veraaoh  von  F:  Aaswendiglernen  sinnloser  Silben  unterbroohen 
durch  Lateinisch  Lesen. 

Tabelle  LI. 


27.  VII. 

28.  VII. 

29.  vn. 

30.  vn. 

31.  VII. 

1.  VIIL 

7 

6 

8 

10 

10 

13 

1. 

11  32 

9  27 

7  21 

10 

37 

11  34 

7  31 

14 

12 

6 

17 

13 

11 

14 

10 

3 

9 

14 

14 

2. 

12  36 

14  33 

19  34 

8 

25 

16  44 

16  46 

10 

9 

12 

8 

14 

16 

13 

1227 

11 

1562 

3. 

11  31 

1267  3626 

Pause 

13 

30 

1642  4&51 

Pause 

7 

1132 

6 

1347 

7 

1400 

5 

1398 

4. 

17  40 

1386  4170 

Pause 

6 

16 

1325  4276 

Pause 

16 

1384 

5 

1553 

15 

6 

8 

8 

9 

9 

5. 

15  42 

5  17 

8  22 

11 

30 

12  36 

8  24 

12 

6 

6 

11 

15 

7 

Noch  rathloser  stehen  wir  schlieBlich  den  umgekehrten  Versuchen 
von  F  gegeniiber,  bei  denen  Silbenlemen  durch  Lateinlesen  und 
durch  Pausen  unterbrochen  wurde.  Die  Disposition  wird  auch  hier  als 
gut  angegeben,  mit  Ausnahme  des  dritten  Tags,  wo  die  Nacht  vor- 
her  schlecht  geschlafen  wurde.  Eine  deutliche  Zunahme  durch  die 
Uebung  ist  kaum  ersichtlich;  fast  die  hochste  uberhaupt  erreichte 
Leistung  von  F  im  Silbenlernen  findet  sich  im  letzten  Abschnitt  des 
Anfangstages.     Die   Normaltage   zeigen   wieder   einen    sprunghaften, 


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188 


Wilhelm  Weygandt. 


unregelmaBigen  Verlanf  der  Arbeitsleistung.  Die  Funfminutenzahlen 
lassen  noch  starkere  Schwankimgen  erkennen.  Werthe  von  7  und 
17,  13  und  7,  ja  sogar  6,  3,  19  folgen  unmittelbar  aufeinander, 
letzteres  allerdings  an  dem  nachweislich  ungiinstig  disponirten  dritten 
Tage.  Der  nach  der  ublichen  Methode  berechnete  robe  XJebungszu- 
wachs  betriige  auf  die  Viertelstunde  0,36.  Als  reiner  TJebungszu- 
wachs  kamen  jedoch  die  unmoglichen  Werthe  —  5,5  und  —  14,5 
heraus!  Dieses  Ergebniss  lehrt,  dass  es  nicht  moglich  ist,  das  beim 
Addiren  leidlich  brauchbare  Verfahren  der  halbstundigen  Pausen 
ohne  weiteres  auch  bei  anderen  Arbeiten  zur  Berechnung  des  reinen 
Uebungszuwachses  zu  benutzen*  Offenbar  ist  eben  die  Starke  der 
erzeugten  Ermiidung  und  die  Uebungsfestigkeit  fiir  die  verschiedenen 
Arbeiten  eine  so  verschiedene,  dass  die  Lange  der  zweckmaBigen 
Pause  nicht  uberall  gleich  gewahlt  werden  darf.  Wahrscheinlich 
miissen  auch  personliche  Eigenthiimlichkeiten  dabei  beriicksichtigt 
werden.  Unter  diesen  Umstanden  bleibt  nichts  iibrig,  als  einfach 
die  Schlussleistungen  jedes  Versuches  mit  der  viertelstundigen  Durch- 
schnittsleistung  desselben  wahrend  der  ersten  halben  Stunde  unmittel- 
bar und  nach  dem  Procentverhaltnisse  zu  vergleichen  (Tabelle  LII). 
Auf  diese  Weise  zeigt  sich,  dass  die  Normaltage  das  giinstigste  Er- 
gebniss geliefert  haben.  Die  Wechseltage  sind  etwas  ungunstiger,  die 
Pausentage  noch  ungUnstiger  ausgefallen.  AUe  diese  TJnterschiede 
sind  aber  so  gering  und  so  schwankend,  dass  wir  von  einer  weitge- 
henden  Verwerthung  derselben  werden  absehen  miissen.  Vielleicht 
ist  ein  ganz  unbedeutender  imgiinstiger  Einfluss  des  Arbeitswechsels 
herauszulesen. 

Tabelle  LH. 


i;  27.  VU. 

28.  VII. 

29.  vn. 

30.  vn. 

31.  VII. 

1.  vm. 

Mittel   der    2  An- 
fangsviertelatunden 

34 

30 

28,5 

31 

39 

38,5 

LetiteViertelatunde 

42 

17 

22 

30 
—  1 

36       1 

24 

Different 

+  8 
122,9 

—  13 

-6,5 

—  3 

~14,5 

Schlussleistung  in  % 
der  AnfangsleistuDg 

56,7 

77,2 

96,8 

92,3 

62,3 

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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswecbsels  aiif  fortlaufeiide  geistige  Arbeit. 


189 


Die  Wiederholungszahlen,  die  wir  in  Tabelle  LUI  wiedergeben, 
bieten  verhaltnissmaBig  geringe  Schwankungen  dar  und  lassen  keine 
ausgepragten  Unterschiede  zwischen  den  einzebien  Arten  von  Ver- 
suchstagen  erkennen.  Auf  die  Anfiihrung  der  aus  Tabelle  LI  und 
TiTTT  leicht  zu  berechnenden  Lemwerthe  fiir  100  Wiederholungen 
glauben  wir  daher  verzichten  zu  soUen. 


Tabelle  Lm. 
Wiederholungszahlen. 


27.  VII. 

28.  VII. 

29.  VII. 

30.  VII. 

31.  VII. 

1.  vm. 

1. 

80 

83 

76 

95 

95 

89 

2. 

88 

96 

87 

86 

103 

96 

3. 

100 

Latein- 

Pause 

102 
84 

Latein- 

Pause 

4. 

100 

legen 

Pause 

lesen 

Pause 

5. 

107 

104 

93 

95 

97 

97 

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190 


Wilkelm  Weygitndt 

IT.  Znsammenfassnng  der  Ergebnisse. 
Tabelle  LIV. 


Versuchi- 
person 

Reihen 

Nr. 

Grundarbcit 

Wechselarbeit 

Aus- 
schlag 

Bemerkungen 

A 

1 

Zahlenlernen 

Addiren 

4- 

Lemenmehrsen- 
sorisch. 

6 

» 

Buchfltabensuchen 

_ 

Ermildungsdis- 
position,  Mot. 
Lemen. 

2 

Addiren 

Zahlenlernen 

— 

Lemen  sens,  und 
motor. 

5 

> 

Buohstabensuchen 

4- 

ErmQdungsdis- 
position. 

8 

» 

Silbenlernen 

— 

3 

Buchfltabensuchen 

Addiren 

— 

Ermildungsdis- 
position. 

4 

> 

Zahlenlernen 

■f 

Ermadungsdis- 
position,  Mot. 
Lemen. 

9 

Silbenlernen 

Addiren 

4- 

7 

> 

Langsamschreiben 

-f 

1« 

n 

12 
13 
14 

Ungarisch  Lesen 

> 
> 
» 
> 

Silbenlernen 

Addiren 

Schnellschreiben 

Pause 
Italienisch  Lesen 

-  -f 

Nach  dem  Wech- 
sel  zun&chst 
Verschlechte- 

1     rung,dannVer- 

y    besserung. 

15 

> 

Hebr&isch  Lesen 

— 

B 

16 

Ungarisch  Lesen 

Addiren 

— 

17 

Addiren 

Ungarisch  Lesen 

4- 

C 

18 

Ungarisch  Lesen 

Addiren 

— 

D 

19 

Addiren 

Ungarisch  Lesen 

4- 

E 

20 

Ungarisch  Lesen 

Addiren 

4- 

F 

21 

Latein  Lesen 

Silbenlernen 

4- 

22 

Silbenlernen 

Latein  Lesen 

— 

Wenn  wir  die  Einzelergebnisse  der  verschiedenen  Versuche  neben- 
einander  halten,  so  finden  wir  zunachst,  dass  die  Wirkung  des  Ar- 
beitswechsels  nichts  weniger  als  eine  gleichmaBige  ist.  Vielmehr  steht 
einer  groBen  Zahl  von  Versuchen,  bei  denen  der  Arbeitswechsel 
gunstig  wirkte,  eine  nur   wenig  kleinere  Gruppe  gegeniiber,   welche 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeitswechsels  uf  fbrtlaiifende  geistige  Arbeit.  191 

eine  ungunstige  Beeinflussung  aufzuweisen  hat  Wir  miissen  also  mit 
Bestimmtheit  als  erwiesen  hinstellen,  dass  der  Arbeitswechsel  nicht 
unter  alien  Umstanden  eine  Verbesserung  der  Leistung  be- 
dingt.  Dieses  erste  Ergebniss  steht  in  schroffem  Widerspruch  mit  der 
landlaufigen  Anschauung,  wonach  der  Wechsel  der  Arbeit  an  sich  schon 
als  Erholung  wirken  soil.  NamentUch  in  den  Kreisen  der  Schul- 
manner  ist  diese  Auffassung,  welche  unbeabsichtigt  schon  durch  die 
Versuche  von  R.  Schulze*)  erschiittert  worden  ist'),  vielfach  aus- 
gesprochen  worden.  Der  Umstand,  dass  es  so  viele  Versuche  giebt, 
bei  denen  der  Ausschlag,  wenn  auch  gunstig,  so  doch  nur  gering  ist, 
weist  schon  darauf  bin,  dass  von  einer  entscheidenden  Verbesserung 
der  Leistungsfahigkeit  durch  den  Arbeitswechsel,  wie  sie  so  oft  be- 
hauptet  wurde,  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Unsere  Versuche  waren  vielfach  so  eingerichtet,  dass  die  An- 
ordnung  des  einen  in  einem  folgenden  vollig  umgekehrt  wurde,  so 
dass  wir  denselben  gewissermaBen  als  Probe  auf  den  vorhergehenden 
zu  betrachten  haben.  Wenn  wir  diese  einander  entsprechenden  Paare 
nebeneinander  stellen,  fallt  sofort  die  gegensatzKche  Wirkung  der 
Combinationen  auf.  Was  als  Einschiebearbeit  gunstig  wirkt,  zeigt 
sich  selbst  wieder  durch  die  vorige  Probearbeit  ungiinstig  beeinflusst. 
So  treffen  wir  folgende  Versuchspaare: 

1)  A,  Versuchsreihe  1 :  Addiren,  untcrbpochen  durch  Zahlenlernen:         — 3) 

Versuchsreihe  2:  Zahlenlernen, 

2)  Versuchsreihe  5:  Addiren, 

>  3 :  Buchstabensuchen, 

3)  »  8:  Addiren, 
»  9:  Silbenlernen, 

4)  »  4:  Buchstabensuchen, 
»  6:  Zahlenlernen, 

5)  B,  »  16:  Ungaritchlesen, 

*         17:  Addiren, 

6)  F,  »  »       21:  Lateinlesen, 

»  22:  Silbenlernen, 


»      Addiren:  -|-3) 

»  Buchstabensuchen:  -f- 

*  Addiren :  — 

»  Silbenlernen :  — 

»  Addiren:  + 

»  Zahlenlernen:  -f- 

»  Buchstabensuchen:  — 

»  Addiren :  — 

»  Ungarischlesen:       + 

»  Silbenlernen:  4- 

»  Lateinlesen :  — 


1)  Schulie,    500000  Rechenaufgaben ,    eine   expertmentelle  Untersuchung. 
Der  Schulmann  XLIV,  S.  340. 

2)  Kraepelin,  Zur  Ueberbilrdungsfrage,  1897,  S.  20. 

3)  —  bedeutet  ungiinstig,  -\-  bedeutet  giinstig. 


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192  Wiihelm  Weygandt 

Bei  unseren  Bemuhungen,  eine  Erklarung  fur  diese  Verhaltnisse 
zu  finden,  konnten  wir  zunachst  fragen:  Sind  es  bestimmte  Thatig- 
keiten,  die  gunstig,  andere,  die  ungunstig  wirken?  Davon  kann  nicht 
die  Rede  sein,  denn  wir  finden,  dass  das  Zahlenlemen  als  Unter- 
brechungsarbeit  einmal  gunstig,  einmal  ungunstig  wirkt,  ebenso  das 
Buchstabensuchen;  Addiren  zeigt  zweimal  giinstigen,  zweimal  un- 
gunstigen  Einfluss;  Silbenlemen  giebt  bei  A  immer  ungimstigen,  bei 
F  einmal  gunstigen  Ausschlag.  Also  nicht  die  einzelne  Arbeit  an 
sich  ist  ausschlaggebend  fiir  die  Bedeutung  des  Wechsels,  sondem 
sie  wirkt  nur  in  ihrem  Verhaltniss  zu  einer  andern  erholend 
oder  ermiidend. 

Hier  stoBen  wir  nun  auf  zwei  Moglichkeiten.  Es  konnte  die 
Wirkung  des  Wechsels  in  der  Art  der  Arbeit  begriindet  liegen,  so 
zwar,  dass  wir  eine  Erholung  zu  erwarten  batten,  wenn  zwei  mog- 
lichst  verschieden  geartete  Gteistesthatigkeiten  einander  ablosten.  Es 
ist  schon  des  ofteren  zur  Sprache  gekommen,  dass  die  eine  Arbeit 
mehr  die  Auffassung,  die  andere  die  associative  Seite  unseres  geistigen 
Lebens  und  die  dritte  vorzugsweise  das  Gredachtniss  in  Anspruch 
nimmt.  Von  der  Annahme  aus,  dass  ganz  verschieden  geartete 
Bethatigungen  unseres  Geistes  an  verschiedene,  in  ihren  naheren 
Beziehungen  noch  vollig  hypothetische  Theile  des  Hims  gebunden 
sind,  lasst  sich  leicht  die  Behauptung  aufstellen,  dass  wahrend  der 
Inanspruchnahme  eines  dieser  Gebiete  durch  die  Wechselarbeit  sich 
das  bei  der  Grundarbeit  mehr  beschaftigte  G^biet  wieder  erholen 
konnte.  Ist  unser  geistiges  Centralorgan  nicht  ebensowohl  in  seinen 
Einzeltheilen  gesondert  ermudbar,  wie  es  die  Korpermusculatur  in 
ihren  verschiedenen  Gruppen  ist?  Fiir  diese  Annahme  scheint  auf 
den  ersten  Blick  zu  sprechen,  dass  die  oben  angefiihrten  Versuchs- 
paare  meist  ganz  verschiedene  Arbeiten  enthalten.  Wir  sehen  unter 
1)  die  associative  Addirthatigkeit  mit  einer  mehr  oder  weniger  ins 
motorische  Gebiet  ubergreifenden  Gedachtnissarbeit,  unter  2)  die 
Auffassung  mit  dem  associativen  Denken  abwechseln.  FreiUch  nimmt 
keine  der  Arbeiten,  wie  schon  oft  betont,  streng  isoUrte  Geistes- 
richtungen  in  Anspruch;  vielmehr  handelt  es  sich  zumeist  um  eine 
Verbindung  verschiedener  Thatigkeiten,  von  denen  nur  die  eine  mehr 
oder  weniger  Uber  die  anderen  hervorragt.  Bei  genauerem  Zusehen 
finden  mr  aber  genug  Beispiele  dafiir,  dass  auch  der  Wechsel  wesentlich 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitsweebsels  Mf  fortlaufende  geistige  Arbeit.  1 93 

verschiedener  geistiger  Arbeiten  bald  diese,  bald  jene  Wirkung  hat. 
Die  Unterbrechung  des  Addirens  durch  Zahlenlemen  zeigt  gunstigen 
Ausschlag,  wahrend  das  Einschieben  des  dem  Zahlenlemen  recht  ahn- 
lichen  Silbenlemens  ungunstig  wirkt.  Zahlenlemen  wird  durch  Addiren 
verschlechtert,  Silbenlemen  durch  Addiren  aber  verbessert  in  seinem 
Endergebniss.  Wir  konnen  also  jedenfalls  keine  naheren  Beziehungen 
zwischen  der  Art  der  Arbeit  und  der  Wirkung  des  Wechsels  annehmen; 
hierin  Uegt  nichts  fur  den  Enderfolg  maBgebendes. 

Das  wird  noch  sicherer  bewiesen  durch  jene  Versuche  von  A, 
die  ganz  wesensverwandte  Arbeiten  mit  einaader  abwechseln  lassen. 
In  der  Versuchsreihe  14  wirkt  die  Unterbrechung  des  Ungarisch- 
lesens  durch  Italienischlesen  giinstig,  in  15  der  Wechsel  mit  Hebraisch- 
lesen  ungunstig.  Die  Gmndarbeit  wie  auch  die  beiden  Wechsel- 
arbeiten  bewegen  sich  vorzugsweise  in  der  Auffassungssphare.  Nach 
der  Annahme  einer  partiellen  Ermiidbarkeit  musste  hier  bei  den  nahe 
verwandten  Arbeiten  der'gleiche  Ausschlag,  und  zwar  im  ungUnstigen 
Sinne,  erwartet  werden;  der  Ausfall  des  Versuchs  widerlegt  die  An- 
nahme in  unzweideutigster  Weise. 

Daraus  wird  die  Sachlage  soweit  vollig  klar,  dass  nicht  die  Art 
der  Arbeit  maBgebend  ist  fiir  den  Erfolg  des  Wechsels.  Wir 
miissen  einen  anderen  Ausweg  suchen.  Worauf  es  ankonmit  fiir  die 
Wirkung  des  Wechsels,  das  ist  die  Schwere  der  Arbeit.  Von  die- 
sem  Gesichtspunkte  aus  wird  alles  verstandhch.  Bei  den  Versuchen 
mit  dreierlei  Lesestoff  (Tabelle  XXXTT — XXXIV)  haben  wir  es  jedes- 
mal  mit  einer  Auffassungsthatigkeit  zu  thun,  von  der  aus  ein  Antrieb 
der  Sprachbewegung  erfolgt.  Die  Schwere  der  Arbeit  ist  verschieden, 
je  bekannter  und  durch  Gewohnheit  und  Uebung  gelaufiger  der  Stoff 
und  die  Umsetzung  in  motorische  Sprachvorstellungen  ist.  Ungarisch- 
lesen  war  mittelschwer,  Italienisch  dagegen  entschieden  leicht,  sodass, 
wahrend  letzteres  als  Einschiebarbeit  diente,  weniger  Elrmiidung  auf- 
trat  aJs  wahrend  des  ununterbrochen  fortgesetzten  Ungarischlosens. 
Andererseits  war  Hebraischlesen  schwerer  als  Ungarisch,  seine  Wir- 
kung als  Wechselarbeit  daher  eine  ungiinstige. 

Nicht  immer  ist  freiUch  das  Verhaltniss  so  klar  wie  bei  diesen  letzt- 
genannten  Versuchen.  Wichtige  Aufschliisse  erlangen  wir  noch  aus  der 
auf  den  ersten  Blick  so  erstaunlichen  Verschiedenheit  der  Ergebnisse 
jener  an   mehreren  Versuchspersonen  angestellten   Experimente,   bei 

Kraepelin,  Psycbol.  Arbeiten.   IT.  13 


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194  Wilbelm  Weygandt. 

denen  Ungarischlesen  und  Addiren  in  Wechselwirkung  traten.  Wie 
wir  schon  oben  zur  Geniige  angedeutet,  liegt  diese  Verschiedenheit 
der  Ergebnisse  bei  gleicher  Aufgabestellung  zunachst  begrilndet  in 
der  Verscliiedenheit  der  Personlichkeiten.  Es  handelt  sich  bier  urn 
eine  associative  und  um  eine  assimilirende,  auffassende  Thatigkeit, 
die  beide  als  nnr  maBig  schwer  bezeichnet  werden  miissen.  Die 
Ergebnisse  sind  bei  den  verschiedenen  Versuchspersonen  bald  positiv, 
bald  negativ;  durchweg  aber  gab  es  nur  mittlere  und  kleinere  Aus- 
schlage.  Die  allgemeine  Veranlagung  des  Einzelnen,  besondei-s  die 
Uebungsfahigkeit  der  Versuchsperson,  spielt  dabei  die  HauptroUe. 
Bei  E  sehen  wir  deutlich  eine  eigenartige  Mitwirkung  der  im  Cha- 
rakter  des  Herm  begrundeten  Unaufmerksamkeit  und  hochgradigen 
Langenweile  am  Zustandekommen  des  Erfolgs.  Das  sich  genau  ent- 
sprechende  Versuchspaar  von  B  weist  ebenfalls  in  seinen  Ergebnissen 
den  Gegensatz  auf. 

Auffallend  sind  die  Versuche  von  F.  So  misslich  es  auch  ist, 
von  vomherein  bestimmen  zu  wollen,  ob  eine  Arbeit  im  Verhaltniss 
zu  einer  anderen  schwer  oder  leicht  ist,  so  ist  doch  jedermann,  der 
sich  mit  einigen  Methoden  vertraut  gemacht  hat,  geneigt,  die  Lem- 
arbeit  als  schwer,  insbesondere  das  Silbenlemen  als  recht  anstrengend 
zu  bezeichnen.  Hier  bei  F  sehen  wir  aber,  dass  Silbenlemen  von 
Lateinlesen,  einer  nicht  eben  schweren  Arbeit,  unterbrochen,  ungiin- 
stigen,  die  umgekehrte  Versuchstellung  aber  gunstigen  Ausschlag 
bringt.  Dieses  auffallende  Verhaltniss  wird  wohl  kaum  dadurch  hin- 
reichend  erklart,  dass  etwa  ein  Anregungsverlust  beim  Einschieben 
des  Lesens  fiir  das  nachfolgende  Lernen  eintrete,  nicht  aber  durch 
das  Lernen,  das  ja  unter  starker  Betonung  der  sprachlichen  Seite  vor 
sich  geht,  fiir  das  Lesen,  wenn  auch  der  Ausfall  der  Pausenversuche 
mit  dem  langsamen  Ansteigen  der  FUnfminutenzahlen  nach  der  Pause 
dafiir  zu  sprechen  scheint.  Es  liegt  den  beiden  Versuchen  jedenfalls 
eine  personliche  EigenthUmlichkeit  zu  Grunde,  die  wir  noch  nicht 
niiher  zu  kennzeichnen  wissen ;  so  viel  aber  ist  zweifellos,  dass  auch  bei 
F  der  Wechsel  durchaus  nicht  ohne  weiteres  eine  Erholung  mit  sich 
bringt.  Die  Schwierigkeit  in  der  Beurtheilung  der  Art  und  Schwere 
des  Arbeitens  von  F  fallt  gegeniiber  der  vortrefflichen  Uebereinstim- 
raung  aller  anderen  Versuche  nicht  so  schwer  in  die  Wagschale. 

Die  Kennzeichnung   der   einzelnen  Arbeitsart   hat  jedoch   noch 


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Ueber  den  Binfliiss  des  Arbeilswecbsels  auf  fortlaufeiide  geistige  Arbeit.  195 

ihre  weiteren  Schwierigkeiten.  Es  kommt  nicht  allein  auf  das  all- 
gemeine  personliche  Verhalten  zu  einer  bestimmten  Arbeit  an,  sondem 
auch  auf  den  jeweiligen  Uebungsgrad,  der  in  einem  bestimmten 
Augenblicke  erreicht  ist.  Schon  bei  der  Erklarung  der  Versuche 
mit  Ungarischlesen  und  Addiren  wurde  auf  die  Wahrscheinlichkeit 
des  Einwirkens  der  groBeren  Uebung  im  Addiren  bei  A  und  D  gegen- 
iiber  C  hingewiesen,  Besonders  deutlich  wird  uns  dieser  Gesichtspunkt 
bei  jenen  Versuchen  von  A,  wo  das  Zahlenlemen  seine  RoUe  spielt. 
So  gut  auch  die  oben  aufgestellten  Versuchspaare  mit  ihren  Ergeb- 
nissen  zusammenpassen,  so  konnte  man  doch  in  groBe  Verlegenheit 
gerathen,  wenn  versucht  wurde,  aus  zwei  derartigen  Reihen  zu 
schlieBen,  wie  nun  eine  dritte  ausf alien  mlisste.  Wir  haben  da: 
Addiren  unterbrochen  durch  Zahlenlemen:  ungunstig;  Zahlenlemen 
durch  Buchstabensuchen:  ungunstig.  Man  sollte  demnach  erwarten: 
Addiren  durch  Buchstabensuchen  erst  recht  ungunstig;  der  betreffende 
Versuch  jedoch  bringt  als  Ergebniss:  gunstig.  Ebenso  Zahlenlemen 
durch  Addiren:  gunstig,  Addiren  durch  Buchstabensuchen  gunstig, 
aber  Zahlenlemen  durch  Buchstabensuchen  ungunstig.  Den  Haupt- 
grund  dieser  auffalUgen  Erscheinungen  deuteten  wir  schon  des  ofteren 
an.  Zunachst  wurde  sensorisch  gearbeitet;  A  empfand  die  Lem- 
thatigkeit,  wie  wohl  alle,  welche  sich  mit  ihr  zu  beschaf tigen  anfangen, 
als  recht  schwer.  Aber  sehr  bald  hatte  sich  der  Charakter  der  Ar- 
beit vollstandig  verandert,  Sobald  motorisch  auswendig  gelemt  wurde, 
war  nicht  mehr  die  Rede  von  jener  Anstrengung;  ja,  die  Methode 
wurde  in  ihrem  flotten  Fluss  der  Arbeit  schlieBlich  fast  als  eine  an- 
genehme  Beschaftigung  empfunden.  Es  ist  ein  ziemUch  rascher 
Uebergang  von  einer  Arbeitsweise  zur  anderen  gewesen,  in  den  ersten 
Tagen  schon  angebahnt,  doch  im  ganzen  so,  dass  die  beiden  ersten 
Versuchsstunden  noch  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  den  folgenden 
stehen.  In  den  obigen  Gleichungen  bedeutet  also  das  Zahlenlemen 
jedesmal  einen  ganz  anderen  Werth.  Dadurch  eben  werden  jene 
Schlusse  hinfallig,  welche  davon  ausgehen,  dass  die  relative  Schwere 
verschiedener  Arbeiten  wahrend  langerer  Zeitraume  unverandert 
bleibe.  Beim  Addiren  nimmt  unter  dem  Einflusse  der  Uebung  nur 
die  Schwere  der  Arbeit  allmahhch  ab,  wahrend  ein  Wechsel  in 
der  Art  des  Verfahrens  mit  weiteren  Folgen  fiir  die  Erleichterung 
desselben   nicht   stattfindet.     Die  Abnahme  der  Schwere  wird  aber 

13* 


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196  Wilhela  Weygftndt. 

theilweise  wieder  ausgeglichen  durch  die  Wirkung  der  durch  schnelleres 
Arbeiten  gelieferten  Mehrleistung.  Der  Uebergang  vom  sensorischen 
zum  motorischen  Arbeiten  trat  andeutungsweise  auch  beim  Auswendig- 
lemen  von  sinnlosen  Silben  ein. 

Wichtig  war  fUr  den  Ausfall  der  Versuche  jedenfalls  auch  die 
Disposition,  unter  welcher  gearbeitet  wurde.  Im  Zustand  der  Er- 
miidung  zeigt  sich  die  Leistungsfahigkeit  bei  einigen  Arbeiten  starker 
beeinflusst  als  bei  anderen.  Vorzugsweise  die  auffassende  Arbeit  des 
Buchstabensuchens,  welche  eine  starke  Anstrengung  des  fixirenden 
Auges  verlangt,  liefert  unter  dem  Einflusse  der  Ermiidung  sehr  bald 
schlechte  Ergebnisse,  wahrend  die  mehr  motorischen  Lemarbeiten  sich 
durch  eine  besondere  Widerstandskraft  gegenttber  der  Ermiidung  aus- 
zeichnen. 

Eine  genauere  Betrachtung  verdienen  an  dieser  Stelle  noch  die 
Veriialtnisse  des  Antriebs.  Wie  Rivers  und  Kraepelin  gezeigt 
haben,  deutet  er  auf  besondere  geistige  Frische  und  Begsamkeit  bin; 
doch  wurden  die  Versuche  nur  von  einer  Person  und  mit  einem 
Verfahren,  dem  Addiren,  angestellt  Wir  konnen  naeh  unseren 
Erfahrungen  nicht  ein  ausnahmsloses  Erscheinen  des  Antriebs  unter 
gunstigen  Verhaltnissen  zugeben,  nicht  einmal  bei  unseren  Additions- 
versuchen.  Immerhin  bildet  sein  Auftreten  im  Zustand  der  Frische 
doch  wohl  die  Eegel.  DeutKcher  noch  als  die  Versuche  von  A  und 
D  bringen  ihn  diejenigen  von  B.  Offenbar  spielen  also  personliche 
Verschiedenheiten  auch  hier  eine  BoUe.  Die  durch  Ermtidung  beein- 
ilussten  Versuche  von  A  (Reihe  3  bis  6),  sowie  die  von  C  zeigen  ihn 
nur  selten,  ebenso  die  durch  Mudigkeit  und  Unaufmerksamkeit  beein- 
trachtigten  von  E,  sowie  die  Reihen  von  F  mit  ihren  vielfachen 
Schwankungen  der  Leistungsfahigkeit.  Fast  immer  findet  sich  der 
Antrieb  nach  den  Pausen. 

Schlussantrieb  treffen  wir  im  Gregensatz  zu  den  Rivers'schen 
Befunden  bei  Ermiidung  eher  ofter  als  in  der  Frische.  Tabelle 
XVI  bringt  ihn  fast  ilberall.  Freihch  handelt  es  sich  da  um  die 
motorische  Zahlenlemarbeit,  die  sich  iiberhaupt  gewissermafien  durch 
ihre  groBere  Widerstandskraft  gegen  die  Ermiidung  auszeichnet, 
femer  auch  dem  bewussten  Willen  besonders  reichlich  Anlass  zum 
Eingreifen  bietet.  Ganz  regelmaBig  findet  sich  der  Antrieb  in  der 
Tabelle  XLVII,  in  der  die  Ermiidung  gewiss  ihre  groBe  RoUe  spielt 


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Ueber  den  Cinfluss  des  Arbeitswechsels  aiif  fortlaufeude  geislige  Arbeit.  1 97 

Es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  gerade  motorische  Arbeiten  auch 
im  Zustand  der  Ermiidung  fiir  das  Entstehen  des  Antriebs  besonders 
giinstige  Bedingungen  bieten. 

Wichtiger  als  diese  Verhaltnisse  des  einfachen  Antriebs  und  des 
Schlussantriebs  sind  fiir  uns  hier  noch  die  Falle,  in  denen  sich  nach 
dem  Wechsel  der  Arbeit  sofort  eine  hohere  Leistung  in  der  neuen 
Thatigkeit  zeigt,  die  rasch  wieder  nachl«Lsst.  Das  kann  also  zu  Beginn 
der  zweiten  halben  und  der  fiinften  Viertelstunde  stattfinden.  Dieser 
Wechselantrieb  findet  sich  im  Zustand  der  Frische  besonders 
nach  der  Lernthatigkeit,  auch  schon  wahrend  des  sensorischen,  ubungs- 
armeren  Stadiums.  Es  ist  dabei  einerlei,  ob  die  erste  oder  die  zweite 
halbe  Stunde  gelemt  wurde.  Die  ersten  fiinf  Minuten  zeigen  einen 
hoheren  Werth  als  die  folgende  Leistung.  Merkwiirdig  ist,  dass 
dieser  Wechselantrieb  auch  da  auftritt,  wo  sich  die  Gesammtwirkung 
des  Wechsels  entschieden  als  ungunstig  herausstellt,  so  nach  der 
Unterbrechung  des  Addirens  durch  das  Lemen.  Anscheinend  be- 
gunstigt  die  damals  schon  groBentheils  motorische  Lernweise  zu- 
nachst  das  Zustandekommen  einer  gewissen  Willensanspannung,  wie  sie 
dem  Antriebe  zu  Grunde  Uegt.  Das  ware  eine  bemerkenswerthe,  aber 
nur  ganz  kurz  andauemde  giinstige  Wirkung  des  Arbeitswechsels 
als  solchen.  Besonders  scheint  nach  Erledigung  einer  motorischen 
Arbeit  die  folgende  Thatigkeit  gem  mit  einem  solchen  Wechselantrieb 
einzusetzen.  Diese  etwas  giinstige  Wirkung  einer  motorischen  Be- 
schaftigung  ist  schon  unter  praktischen  Verhaltnissen  ofter  zur  Ver- 
werthung  gekommen;  von  padagogischer  Seite  wurde  darauf  hinge- 
wiesen,  eine  wie  erfrischende  Wirkung  im  Verlaufe  einer  ermiidenden 
Unterrichtsstunde  oft  ein  Lied,  ein  Rundgang  und  dergl.  hervorbringt. 
Sehr  nachhaltig  ist  dieser  giinstige  Einfluss  freilich  nicht.  Vielleicht 
hat  auch  die  geringe  motorische  Erregimg,  welche  bei  unseren  Ver- 
suchen  mit  dem  Akt  des  Arbeitswechsels  im  Zustand  der  Ermiidung 
verbunden  war,  indem  nun  rasch  das  eine  Arbeitsheft  bei  Seite 
gelegt  und  das  andere  ergriffen  werden  musste,  der  Entstehung  des 
Wechselantriebs  Vorschub  geleistet.  Doch  mag  wohl  eine  psychische 
Wirkung,  vor  allem  auf  dem  Stimmungsgebiet,  mit  im  Spiel  gewesen 
sein.  Die  Befriedigung  dariiber,  dass  wieder  ein  Abschnitt  der 
gestellten  Aufgabe  erledigt,  ware  demnach  in  einer  Willensan- 
spannung zu  Beginn  der  neuen  Arbeit  zum  Ausdrucke  gelangt.    Wir 


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198  Wilhelm  Weygandt. 

mlissen  bei  dieser  Beurtheilung  des  Antriebs  uns  stets  vergegen- 
wartigen,  dass  die  bisher  angewandten  Methoden  nur  einen  ganz 
ungefakren  Anhaltspunkt  zur  Feststellung  solcher  feinerer  Beziehungen 
geben  konnten;  in  unserer  ziemlich  plmnpen  Fiinfminuteneintheilung 
mogen  Antriebserscheinungen  geringeren  Grades  sehr  leicht  ver- 
wischt  und  vollstandig  unkenntlich  gemacht  werden.  So  konnten 
auch  die  personlichen  Unterschiede,  die  uns  aufgefallen  sind,  theil- 
weise  wenigstens  recht  gut  darauf  beruhen,  dass  bisweilen  ein  An- 
trieb  zwar  vorhanden,  aber  von  zu  kurzer  Dauer  war,  um  die  Flinf- 
minutenleistung  entscheidend  zu  beeinflussen. 

Als  Endergebniss  aller  unserer  Befunde  und  Beurtlieilungen 
steht  jedenfalls  unerschiitterlich  fest,  das  eine  partielle  Ermiidbarkeit 
auf  dem  Gebiet  geistiger  Thatigkeit  nicht  nachzuweisen  ist,  im 
schroffen  Gegensatz  zu  den  Verhaltnissen  auf  korperlichem  Gebiet. 
Diese  Thatsache  spriclit  nicht  gerade  zu  Gunsten  einer  strengeren 
raumlichen  Beschrankung  der  einzelnen  Formen  geistiger  Arbeit  auf 
getrennte  Hirntheile.  Zum  mindesten  miissen  wir  bestimmt  annehmen, 
dass  sich  die  durch  irgend  eine  Thatigkeit  erzeugte  Ermiidung  regel- 
maBig  auch  uber  die  Trager  anderer  Verrichtungen  in  weiterem  Um- 
fange  ausbreitet. 

Daraus  erwachsen  wichtige  Folgerungen  fiir  die  Hygiene  der 
geistigen  Arbeit,  vor  allem  auch  auf  dem  Gebiet  der  Schule.  Als 
die  bei  weitem  ausgiebigste  Erholung  ist  unter  alien  Umstanden  die 
Pause  anzusehen.  Einzelne  entgegenstehende  Ergebnisse  sind  in  ihrer 
Deutung  unsicher  und  lassen  sich  durch  besondere  Umstande  erklaren, 
vorzugsweise  in  dem  Sinne,  dass  die  Pause  damals  nicht  in  der 
wiinschenswerthen,  wirksamen  Weise  angewandt  war.  Das  ist  natur- 
Uch  unerlasslich,  dass  die  Pause  auch  thatsachlich  der  Erholung 
gewidmet  wird,  dass  also  wahrend  dieser  Zeit  nicht  doch  irgend 
welche  emstere  Beschaftigung  eintritt.  Fiir  die  Schulpausen  ist  da- 
her  streng  darauf  zu  halten,  dass  weder  starkere  korperUche  Ermiidung 
durch  stiirmische  Spiele  und  Raufereien  in  der  Pause  vorkommt, 
noch  etwa  durch  Nachholen  der  haushchen  Aufgaben,  rasches  Ueber- 
lesen  des  Stoffes  fiir  die  nachsten  Stunden  so  viel  und  noch  mehr 
geistig  gearbeitet  wird  als  in  den  eigenthchen  Lehrstunden.  Ein- 
fache  Bewegungsspiele  in  frischer  Luft,  fiir  altere  Schiiler  Herum- 
gehen  bei  ruhiger  Unterhaltung,    dazu  eine  maUige  Nahrungszufuhr 


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Ueber  den  Einfluss  des  Arbeitswechsels  anf  Fortlaurende  geistige  Arbeit.  199 

sind  die  wichtigsten  Mittel,  die  Pausenzeit  in  zweckmaBiger  Weise  aus- 
zufullen. 

Weit  weniger  wirksam  gegen  die  Einflusse  der  Ermiidung  ist 
der  Arbeitswechsel.  Griinstig  wirkt  derselbe  nur,  wenn  eine  leichtere 
Arbeit  eingeschoben  wird.  Es  erheischt  aber  groBe  Vorsicht,  wenn 
von  vom  herein  bestimmt  werden  soil,  ob  eine  Arbeit  leicht  oder 
schwer  im  Verhaltniss  zu  einer  anderen  ist.  Jeder  Schiiler  kann 
freilich  schon  versichem,  dass  es  eine  Reihe  von  Fachem  und  Unter- 
richtsstunden  giebt,  die  entschieden  als  schwer  empfunden  werden, 
z.  B.  die  Extemporalubungen,  wahrend  andere,  so  die  Welt-  und 
Literaturgeschichte ,  als  leicht  gelten;  nach  Ansicht  mancher  Schul- 
manner  gehort  zu  den  letzteren  auch  der  Religionsunterricht.  Die 
meisten  Facher  aber  sind  nicht  sofort  als  leicht  oder  schwer  zu 
bezeichnen,  sondem  der  einen  Gruppe  von  Schiilem  fallt  das  leicht, 
was  einer  anderen  schwer  erscheint,  und  umgekehrt.  Jedem  Lehrer 
ist  ja  die  Thatsache  bekannt,  dass  es  keineswegs  immer  dieselben 
Schiiler  sind,  die  in  den  sprachlichen,  starker  die  Auffassung  und 
das  Gedachtniss  in  Anspruch  nehmenden  Fachem  hervorragen,  und 
die  in  dem  mathematischen  Unterricht,  der  an  das  associative  Denken 
hohere  Anforderungen  stellt,  sich  als  tiichtig  erweisen.  Ein  Wechsel 
zwischen  Latein  und  Griechisch  oder  zwischen  Algebra  und  Geometrie 
wirkt  unter  keinen  Umstanden  erholend,  da  jedesmal  dieselben  Schiiler 
in  derselben  Weise  am  meisten  angestrengt  sind,  wenn  nicht  die 
Schwierigkeit  der  Aufgaben  zugleich  wechselt.  Nicht  nur  die  ver- 
schiedene  Eigenart  der  Schuler  fallt  stark  ins  Gewicht;  auch  der 
schon  erreichte  Grad  der  Uebung  bei  einem  und  demselben  Schiiler, 
ja  geradezu  die  Anpassung  des  einzelnen  an  die  betreffende  Methode, 
alles  miteinander  ist  zu  beriicksichtigen,  wenn  es  gilt,  festzustellen,  ob 
aus  der  Abwechslung  einer  Arbeit  mit  einer  anderen  wirklich  eine 
Erholung  entspringt.  Es  wechselt  zwar  fast  wahrend  jeder  Unter- 
richtsstunde  die  Methode,  sodass  in  der  Kegel  zunachst  beim  Durch- 
nehmen  der  hauslichen  Aufgaben  mehr  die  reproductive  Seite  des 
Geistes,  das  Gedachtniss,  dann  im  Fortschreiten  zu  neuem  Lehrstoff 
die  assimilirende  Thatigkeit,  die  Auffassung  in  Anspruch  genommen 
wird,  aber  dieser  Wechsel  hat  an  sich  auch  noch  keine  geradezu  erfri- 
schende  Wirkung.  Die  Schule,  welche  es  durchweg  mit  Personlich- 
keiten  der  verschiedensten  Art,  sensorischen  und  motorischen  Lemem, 


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200  Wilbelm  Weygandt. 

Leuten  mit  starkem  und  solchen  mit  schwachem  Gedachtniss,  mit 
reger  oder  trager  Auffassung,  mit  raschem  und  sicherem  oder  lang- 
samem  und  unsicherem  associativem  Vermogen  in  jeder  Klasse  zu 
thun  hat,  miisste  demnach  ihre  Lehrplane  einrichten  unter  der  weit- 
herzigsten  Berucksichtigung  der  fur  eine  einzelne  psychische  Thatig- 
keitsart  minder  begabten  Schtiler,  die  ^uf  anderen  Geistesgebieten 
wieder  die  leistungsfahigsten  sein  konnen;  fur  den  Stand  der  Klasse 
durchaus  zu  gering  begabte  Schtiler  schlieBen  wir  naturlich  aus. 

Von  groBem  Einfluss  auf  die  Ermiidungswirkung  eines  Unterrichts 
ist  natlii-lich  auch  die  Frage,  ob  der  Lehrer  selbst  anstrengend  ist 
und  stets  alle  Aufmerksamkeit  auf  seinen  Gegenstand  zieht,  oder  ob 
er  die  Ziigel  milder  fiihrt  und  etwa  durch  Langweiligkeit  die  Schtiler 
nur  zu  geringer  Anspannung  kommen  lasst  Vielleicht  kann  man, 
worauf  unsere  Versuche  hindeuten,  in  AugenbUcken  betrachtlicher 
ErmUdung  der  Klasse  eine  kiirzere  erfrischende  Wirkung  erzielen 
durch  eine  leichte  motorische  Anregung,  z.  B.  ein  Lied,  Aufsagen, 
Herumreichen  von  Abbildungen,  Freiubungen  und  dergl.  Die  beste 
Gewiihr  fiir  eine  segensreiche  Verwerthung  der  erholenden  Wirkung, 
die  in  einem  weise  eingerichteten  Arbeitswechsel  liegen  kann,  ist 
nur  dann  vorhanden,  wenn  neben  der  Berucksichtigung  dieser  Gesichts- 
punkte  filr  den  Lehrplan  auch  der  einzebie  Lehrer  selbst  in  seinen 
Unterrichtsstunden,  die  ja  nur  selten  von  Anfang  bis  zu  Ende  die- 
selben  psychologischen  Aufgaben  stellen,  Abwechselung  zwischen  an- 
strengenderer  und  leichterer  Thatigkeit  nach  MogUchkeit  durchzu- 
fiihren  weiB.  Thatsachhch  hat  ja  auch  die  praktische  Erf  aiming  den 
Schulmann  schon  langst  zu  einem  derartigen  Verfahren  geftihil;  es  ist 
aber  Welleicht  nicht  unwichtig,  dass  demselben  durch  die  vorliegenden 
Versuche  eine  allgemeinere  Begriindung  gegeben  und  dass  zugleich 
die  Lehre  von  der  gunstigen  Wirkung  des  Arbeitswechsels  auf  ihre 
wahi-e  Bedeutung  zuruckgefiihrt  wurde. 

Als  einen  weiteren  Gewinn  aus  unserer  Untersuchung  mochten  wir 
die  Bestatigung  der  Ansicht  betrachten,  dass  die  Frage  nach  den 
Bedingungen  der  geistigen  Arbeit  einer  experimentellen  Priifung 
durchaus  zuganghch,  und  dass  es  sehr  wohl  mogUch  ist,  die  Ergeb- 
nisse  derartiger  Beobachtungen  auch  auf  die  Schule  zu  iibertragen. 
Der  Einwand,  die  fortlaufenden  Methoden  brachten  wegen  ihrer 
Eintonigkeit   besondere,    fremdartige    Bedingungen   in    den  Versuch, 


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Ueber  den  Cinflnss  des  Arbeitswechsds  auf  fortltufnide  geisiige  Arbeit.  201 

wird  entschieden  hinfallig,  denn  wir  konnten  deutlich  ersehen,  dass 
unsere  Ergebnisse  sich  nicht  nach  der  Aimehmlichkeit  oder  Lang- 
weile,  sondem  nur  nach  der  Schwere  der  Arbeit  richten.  Der 
besondere  Gkfuhlston,  die  Arbeitslust  oder  Miidigkeit,  vermag  wohl 
kleinere  Schwankungen  in  den  einzelnen  Werthen  hervorzurufen,  ist 
aber  fiir  das  Gesammtergebniss  so  wenig  von  Bedeutung,  als  es  etwa 
ftir  .den  Nahrwerth  einer  Speise  von  Belang  ist,  ob  wir  sie  wohl- 
schmeckend  finden  oder  nicht.  So  kann  auch  der  Wechsel  der 
Arbeit  eine  Besserung  der  Stimmimg,  einen  augenblicklichen  Antrieb 
und  damit  ein  kurzes  Emporschnellen  der  Leistung  verursachen;  fiir 
die  Beurtheilung  seines  wirkUchen,  dauemden  Einflusses  aber  kommt 
es  nur  darauf  an,  ob  die  folgende  Arbeit  im  Verhaltniss  zur  vorher- 
gehenden  leicht  oder  schwer  ist. 


Schlnrss&tze. 

1)  Der  Wechsel  der  Arbeitsmethode  wirkt  nicht  unter  alien  Um- 
stiinden  gunstig.  Manchmal  ist  der  Ausschlag  positiv,  manchmal 
negativ,  meist  Uberhaupt  nur  gering. 

2)  Als  das  Ausschlaggebende  haben  wir  lediglich  die  Schwere 
der  Arbeiten  in  ihrem  gegenseitigen  Verhaltniss  gefunden.  Eine 
Arbeit,  durch  eine  schwerere  unterbrochen ,  wird  nachher  geringere 
als  die  erwarteten  Ergebnisse  lief  em,  eine  durch  leichtere  Arbeit 
unterbrochene  dagegen  bessere. 

3)  Es  ist  einerlei,  ob  die  mit  einander  abwechselnden  geistigen 
Arbeiten  ahnlich  oder  unahnlich  sind.  Anhaltspunkte  fiir  die  An- 
nahme  einer  partiellen  Ermiidbarkeit  auf  geistigem  Gebiet  ergeben 
sich  nicht. 

4)  Ob  eine  Arbeit  als  leicht  oder  schwer  zu  bezeichnen  ist, 
schwankt  je  nach  der  Individ ualitlit  des  geistigen  Arbeiters. 

5)  Die  Arbeit  veriindert  sich  femer  in  ihrer  Qualitat,  ob  leicht 
oder  schwer,  je  nach  dem  Grad  der  Uebung  der  Versuchsperson, 
so  sehr,  dass  manche  Arbeiten,  besonders  das  Auswendiglernen  von 
Zahlen,  vollstandig  ihren  Charakter  andern  und  aus  einer  entschie- 
den schweren  zu  einer  leichten  und  verhaltnissmaBig  angenehmen 
Beschaftigung  werden  konnen. 

6)  In   vielen  Fallen   scheint   der  Wechsel   wenigstens   insofem 


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202  Wilhelm  Weygandt.  Ueber  den  EinOuss  des  Arbeitswechsels  aiif  fortlaufende  i^eistige  Arbeit. 

einen  giinstigen  Erfolg  zu  haben,  als  er  in  Gestalt  des  W echs el- 
an triebs  eine  kleine,  rasch  wieder  verschwindende  Besserung  bringt, 
manchmal  selbst  da,  wo  seine  Gtesammtwirkung  eine  ungunstige  ist; 
am  deutlichsten  beim  Zahlenlemen.  Es  handelt  sich  dabei  lediglich 
um  eine  geringe  Wirkung  auf  die  Stimmung  und  im  psychomotori- 
schen  Gebiet. 

7)  Der  gunstige  Ausschlag  in  Gestalt  des  Wechselantriebs  tritt 
besonders  haufig  auf  im  Zustand  der  Ermiidung  und  beruht  dann 
vorzugsweise  auf  der  durch  den  Akt  des  Wechselns  bedingten  moto- 
rischen  Erregung. 

8)  Es  giebt  einzelne  labile  Naturen,  bei  denen  die  Beeinflussung 
einer  Arbeit  durch  die  vorhergehende  auBerordentlich  gering  erscheint 
gegeniiber  der  Disposition  des  Augenblicks;  eine  durchweg  gUnstige 
Wirkung  des  Wechsels  ist  auch  hier  nicht  zu  erweisen. 


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Ueber  die  Messung  der  Auffassungsffthigkeit. 

Von 

Ludwig  Cron  und  Emil  Kraepelln. 


uchon  seit  langer  Zeit  wurde  es  bei  den  Versuchen  iiber  die 
geistige  Leistungsfahigkeit  unter  verschiedenen  Bedingungen  als  ein 
storender  Mangel  empfunden,  dass  wir  noch  kein  Verfahren  besitzen, 
welches  uns  gestattet,  bequem  und  sicher  ein  Urtheil  iiber  das  Ver- 
halten  der  Auffassungsfahigkeit  zu  gewinnen.  Allerdings  lassen 
sich  fiir  diesen  Zweck  gewisse  Formen  der  psychischen  Zeitmessung, 
die  Unterscheidungs-  und  Wortreactionen,  heranziehen.  Allein  bei 
diesen  Versuchen  ist  stets  an  den  Auffassungsvorgang  untrennbar 
eine  Willenshandlung  gekniipft,  deren  Dauer  in  die  Messung  mit  ein- 
geht.  Die  Abschatzung  der  Veranderungen  oder  personlichen  Eigen- 
thiimlichkeiten,  welche  auf  die  beiden  verschiedenartigen  Bestandtheile 
des  ganzen  Vorganges  entf alien,  kann  daher  immer  nur  auf  einem 
Umwege  geschehen,  indem  man  das  Verhalten  von  Wort-  und  Wahl- 
reactionen  mit  einander  vergleicht.  Ohne  Zweifel  sind  derartige 
Schliisse  zulassig,  aber  sie  leiden  immer  an  einer  gewissen  Unsicher- 
heit  Dazu  kommt,  dass  die  einzelnen  Messungen  uns  keinen  Auf- 
schluss  uber  diejenigen  Einflusse  gewahren,  welche  die  fortlaufende 
Arbeit  begleiten  und  verandem,  die  Aufmerksamkeitsschwankungen, 
die  Uebung,  G-ewohnung,  Ermiidung  u.  s.  f.;  gerade  die  Kenntniss 
dieser  Wirkungen  aber  ist  oft  fiir  uns  von  ganz  besonderer  Bedeutung. 
Wir  haben  uns  daher  seit  einigen  Jahren  bemiiht,  ein  Verfahren  aus- 
zubilden,  welches  MaBbestimmungen  fiir  die  fortlaufende  Auf- 
fassung  von  G-esichtsreizen  liefert,  nachdem  friihere  Versuche 
mit  Tastreizen  sich  als  nicht  ergiebig  genug  fiir  unsere  Zwecke  er- 
wiesen  batten. 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.   II.  14 


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204  Lndwig  Gron  nnd  Gmil  Kraepelin. 

Die  Gesichtsreize  bieten  den  groBen  Vortheil  einer  unabsehbaren 
Mannigfaltigkeit.  Wahlt  man  Schriftzeichen ,  so  hat  man  die  Mog- 
lichkeit,  namentlich  auch  den  associativen  Vorgangen  nachzugehen, 
welche  sich  mit  der  Auffassung  verkniipfen  und  dieselbe  wesentlich 
beeinflussen.  Nach  anderen  Richtungen  bin  konnten  vielleicht  Sach- 
bilder  mehr  Ausbeute  liefern,  weil  sie  von  dem  Zwange  der  Sprache 
unabhangiger  sind.  Weil  aber  Schriftzeichen  sich  leichter  in  groBeren 
Eeihen  gleichartiger  Reize  herstellen  lassen,  und  weil  sich  das  Lesen 
derselben  unmittelbar  an  eine  haufig  geiibte  Thatigkeit  des  gewohn- 
hchen  Lebens  anlehnt,  haben  wir  mit  ihnen  unsere  Arbeiten  zunachst 
begonnen. 

I.  Das  Verfahren. 

Bei  unseren  Untersuchungen  kam  es  uns  darauf  an,  die  Ver- 
suchsperson  zu  moghchst  fortlaufender  Auffassung  der  Schriftzeichen 
zu  zwingen  und  ihre  Leistung  zu  messen,  ohne  dass  doch  die  Dauer 
des  Vorganges  durch  das  Aussprechen  des  Gelesenen  wesentlich  be- 
einflusst  wiirde.  Zu  diesem  Zwecke  empfahl  es  sich,  das  Gebiet  der 
Auffassungsschwelle  zu  benutzen,  d.  h.  die  Reize  nur  so  kurze 
Zeit  dem  Auge  darzubieten,  dass  sie  zwar  noch  in  einer  Anzahl  von 
Fallen,  aber  nicht  immer  deuthch  wahrgenommen  werden  konnten. 
Die  Zahl  der  richtig  erkannten  Reize  heferte  dann  ein  MaB  fur  die 
Auffassungsfahigkeit;  auBerdem  waren  von  den  falschen  Lesungen 
noch  Aufschlusse  liber  die  Fehlervorgange  bei  der  Auffassung  zu 
erwarten.  Legte  man  endUch  zwischen  die  einzelnen  Reize  Pausen, 
die  zu  kurz  waren,  um  ein  Erschlaffen  der  Aufmerksamkeit  zu  ge- 
statten,  aber  wieder  lang  genug  fur  das  Aussprechen  des  Gelesenen, 
so  war  eine  fortlaufende  Arbeit  gefunden,  bei  welcher  die  gemessene 
Leistung  moglichst  rein  der  Fahigkeit  der  Versuchsperson  entsprach, 
Schriftreize  aufzufassen  und  zu  erkennen. 

Zur  Erreichung  dieses  Zweckes  lehnten  wir  uns  an  ein  Verfahren 
an,  welches  friiher  vonCattell*)  beschrieben  worden  ist.  Wir  lieBen 
Trommeln,  die  in  Schneckenwindungen  mit  Schriftzeichen  beklebt 
waren  und  sich  mit  gleichmaBiger  Geschwindigkeit  unter  Senkung 
auf  dem  Kymographion  drehten,   durch  einen  Spalt  von  verander- 


1)  PhiloBoph.  Studicn  von  W.  Wundt  II.  S.  635  flf. 


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Deber  die  Messung  der  Auffassungsfahigkeit.  205 

licher  Weite  aus  bestimmter  Entfernung  betrachten.  Spaltweite  und 
Drebungsgeschwindigkeit  wurden  so  eingestellt,  dass  von  den  ver- 
schiedenen  Beobachtern  gerade  nicht  mehr  Alles  fehlerlos  erkannt 
werden  konnte.  Die  Versucbsperson  sprach,  wahrend  die  einzelnen 
Reize  vor  ihrem  Auge  vortiberglitten,  laut  aus,  was  sie  gelesen  hatte; 
alle  diese  Lesungen  wurden  von  einer  anderen  Person  stenographiscb 
in  eine  Liste  eingetragen,  welche  im  Vordruck  denselben  StofE  enthielt 
wie  die  Reiztrommel. 

Die  Trommeln  waren  aus  diinnem,  geschwarztem  Blech  hergestellt 
und  lieBen  sich  leicht  und  fest  iiber  die  Kymograpbiontrommel  schieben. 
Als Reize  dienten:  1.  einsilbige,  2.  zweisilbige  Worter,  3.  sinn- 
lose  Silben.  Die  betreffenden  Trommeln  sollen  im  folgenden  regel- 
maBig  mit  A^  B  und  C  bezeichnet  werden.  Alle  Worter  und  Silben 
waren  aus  alien  Jahrgangen  der  Ulustrirten  Zeitung  (ScliriftgroBe: 
®/g  Petit;  Fractur)  ausgeschnitten  und  mit  moglichst  geringem  Rande 
auf  die  Trommeln  derart  aufgeklebt  worden,  dass  die  Schnecken- 
windung  genau  der  Senkungsbewegung  des  Kymographions  entsprach; 
die  ganze  Reihe  der  Reize  zog  daher  in  gleicher  Linie  vor  dem  Spalte 
des  Beobachters  voriiber.  Die  Zahl  der  Worter  auf  Trommel  A  und 
B  betrug  280,  diejenige  der  Silben  auf  Trommel  C  nur  270.  Die 
sinnlosen  Silben  bestanden  regelmaBig  aus  drei  Buchstaben.  Bei  den 
Wortem  konnte  eine  derartige  GleichmaBigkeit  leider  nicht  erzielt 
werden.  Es  ist  aber  auch  fraglich,  ob  das  Suchen  nacli  Wortem 
von  durchaus  gleicher  Buchstabenzahl  wirklich  zweckmaBig  gewesen 
ware.  Nicht  nur  sind  die  Buchstaben  von  so  verschiedener  Breite 
und  Hohe,  dass  sie  fiir  die  Auffassung  schwerlich  als  durchweg  gleich- 
werthig  angesehen  werden  diirfen,  wie  z.  B.  m  und  w  einerseits,  i,  1,  t 
andererseits,  sondern  es  ist  auch  zweifelhaft,  ob  Zusammenstellungen, 
wie  ch,  sch,  tz,  B  als  Einheiten  oder  als  Doppelbuchstaben  aufgefasst 
werden.  Im  ganzen  diirfte  es  sich  daher  mehr  empfehlen,  die 
Lange  der  Worter,  als  die  Buchstabenzahl  einheitlich  zu  gestalten. 
Wenn  wir  jeden  Buchstaben  in  den  angefUhrten  Verbindungen  einzeln 
rechnen,  so  ergiebt  sich  fiir  die  Zahl  der  Schriftzeichen  bei  den 
Wortem  der  Trommeln  A  und  B  folgende  Uebersicht: 


14* 


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206 


Ludwig  Gron  und  Emil  Kraepelin. 
Tabelle  I. 


Buchstabenzahl 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

Trommel  A 

164 

106 

10 

— 

— 

— 

1 

Trommel  B 

1 

— 

68 

135 

65 

11 

Die  durchschnittliche  Breite  der  Worter  betrug  auf  Trommel  A 
6,7,  auf  Trommel -B  10,4,  diejenige  der  siimlosen  Silben  4,0  mm.  Der 
Abstand  der  Anfangsbuchstaben  von  einander  war  uberall  30  mm. 
In  Folge  dessen  fielen  die  Lucken  zwischen  zwei  anfeinander  folgenden 
Reizen  auf  den  verschiedenen  Trommeln  recht  ungleich  aus;  sie  waren 
auf  Trommel  A  23,3,  auf  Trommel  B  19,6  und  auf  Trommel  C 
26,0  mm  breit.  Obgleich  diese  Anordnung  nach  gewisser  Bichtung 
bin  ein  ganz  biibscbes  Ergebniss  geliefert  hat,  wurden  wir  docb  fur 
spatere  Versuche  empfehlen,  lieber  die  Zwischenraimie  zwischen  dem 
Ende  eines  und  dem  Anfange  des  nachsten  Wortes  einander  gleich 
zu  machen.  Es  bedarf  wohl  kaum  der  Erwahnung,  dass  wir  nur 
Hauptworter  auswahlten;  leider  ist  dabei  iibersehen  worden,  dass  auf 
Trommel  A  wie  B  je  zwei  Worter  doppelt  eingereiht  waren. 

Die  Umdrehungsgeschwindigkeit  der  Trommeln  betrug  in  alien 
Versuchen  24  nmi  in  der  Secunde.  Da  sich  die  G-eschwindigkeit  beim 
Anlassen  allmahlich  steigert,  bis  sie  gleichmaBig  wird,  begann  das 
Lesen  erst  9  Secunden  nach  dem  Anfange  der  Drehung.  Die  Zeit, 
welche  der  Leseversuch  dann  noch  in  Anspruch  nahm,  belief  sich  auf 
nahezu  6  Minuten ;  eine  irgend  merkliche  Verlangsamung  der  Drehungs- 
geschwindigkeit  war  dann  noch  nicht  eingetreten.  Nach  jedem  Ver- 
suche wurde  die  Feder  des  Kymographions  frisch  aufgezogen. 

Der  BeobachtungsschUtz  befand  sich  in  der  Entfemung  von  4  cm 
vor  der  Trommel.  Er  hatte  eine  Hohe  von  5  mm  und  war  in  der 
Breite  mit  Httlfe  einer  Mikrometerschraube  in  weiten  Grenzen  ver- 
stellbar;  benutzt  wurden  bei  den  Versuchen  nur  die  Spaltweiten  von 
5,  4  und  3  mm.  Alle  Theile  der  Spaltplatte,  welche  jeden  sonstigen 
Ausblick  auf  die  Trommel  verdeckte,  waren  an  der  dem  Beobachter 
zugewendeten  Seite  geschwarzt.  Wiedenmi  20  cm  vor  dem  Spalte 
war  am  Tischrande  eine  verschiebbare  Gabel  befestigt,  welche  dem 
Kinn  des  Beobachters  als  Stutze  diente,  um  die  Hohe  der  Bhcklinie 


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Ueber  die  Messung  der  Aoffassungsfliliigkeit.  207 

stets  gleich  zu  erhalten.  An  den  oberen  Gabelenden  befand  sich  ein 
starkes  Querband,  an  welches  sich  die  Stirne  des  Beobachters  an- 
lehnte,  so  dass  auch  der  Abstand  des  Auges  vom  Spalte  und  von  der 
Trommel  sich  nicht  verandem  konnte.  Gabel  und  Spaltplatte  waren 
so  aufgestellt,  dass  die  Blicklinie  senkrecht  durch  den  Spalt  hindurch 
auf  die  Trommeloberflache  fiel.  Die  Stellung  aller  dieser  Theile  wurde 
ein  fiir  allemal  durch  geeignete  Vorrichtungen  unverrtickbar  festgelegt. 
Um  seithches  Licht  abzuhalten,  wurde  die  Bahn  zwischen  Kinngabel 
und  Spaltbrett  durch  eine  Papprohre  mit  Tuchumhiillung  voUkommen 
geschlossen;  femer  wurde  ein  Auge  mit  einer  dunklen  Klappe  ver- 
deckt  und  nui*  mit  einem  (jedesmal  demselben)  Auge  gelesen. 

Bei  der  Verengerung  des  Spaltes  nahm  natiirlich  die  Zeit  ab, 
wahrend  welcher  die  Eeize  sichtbar  blieben.  Mit  Hiilfe  einer  Contact- 
vorrichtung,  die  mit  dem  Eintritte  eines  Buchstaben  in  das  Gesichts- 
feld  und  mit  seinem  Verschwinden  eine  Marke  machte,  lieB  sich  die 
»Spaltzeit«,  die  Dauer  der  Sichtbarkeit  jedes  Buchstaben  bei  ver- 
schiedener  Spaltweite,  genau  messen.  Wegen  der  wechselnden  Breite 
der  Buchstaben  konnte  dabei  allerdings  immer  nur  das  Kommen  und 
Gehen  einer  bestimmten,  durch  den  Buchstaben  gelegten  Senkrechten 
beriicksichtigt  werden.  Die  Messung  ergab  fur  die  Spaltweite  von 
5  mm  eine  Zeit  von  290,  fiir  4  mm  230  und  fiir  3  mm  170  Tausendstel 
Secunden.  So  lange  also  blieb  jeder  Bestandtheil  der  Reize  bei  den 
verschiedenen  Spaltbreiten  fiir  das  Auge  sichtbar.  Es  ist  allerdings 
fraglich,  ob  gerade  diese  Zeiten  fiir  die  Auffassung  maBgebend  sind. 
Schon  Cat  tell  hat  nachgewiesen,  dass  wir  Gruppen  von  Zeichen  bis 
zu  einer  gewissen  Grenze  nicht  stiickweise,  sondern  als  Einheit  auf- 
fassen.  Man  konnte  daher  denken,  dass  fiir  die  Auffassung  wesent- 
lich  die  Zeit  in  Betracht  kame,  wahrend  welcher  der  ganze  Reiz 
sichtbar  bleibt,  die  Zeit  also  von  dem  Auftauchen  des  letzten  bis  zum 
Verschwinden  des  ersten  Buchstaben.  Wie  jedoch  der  Vergleich  der 
Spalt-  und  der  Wortbreite  lehrt,  wiirde  sich  hier  nur  fiir  die  sinn- 
losen  Silben  ein  positiver  Werth  ergeben;  die  einsilbigen  Worter  sind 
meist  ganz  knapp,  die  zweisilbigen  iiberhaupt  nicht  voUstandig  mit 
einem  Male  zu  iibersehen.  Bei  diesen  letzteren  ist  aber  von  einer 
einheitlichen  Auffassung  auch  keine  Eede  mehr.  Wie  der  Ausfall 
der  Versuche  zeigt,  spielt  die  gleichzeitige  Sichtbarkeit  des  ganzen 
Wortes  innerhalb   der  hier  gegebenen  Grenzen  iiberhaupt  keine  so 


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208 


Ladwig  Cron  and  Emil  Kraepeliii. 


groBe  RoUe,  offenbar  deswegen,  weil  sie  durch  die  Erinnerungsbflder 
erganzt  wird.  Was  wir  nicht  mehr  oder  noch  nicht  sehen,  sind  wir 
in  uberaus  hohem  Grade  geneigt,  aus  der  unmittelbaren  Eiinnemng 
oder  aus  der  Erwartung  heraus  zu  erganzen,  ganz  abgesehen  davon, 
dass  wohl  auch  die  einfache  Nachwirkung  des  Eeizes  auf  der  Netz- 
haut  die  gemessene  Sichtbarkeitszeit  noch  etwas  verlangert. 

Die  Ausfiihrung  der  Versuche  geschah  derart,  dass  die  Versuchs- 
person  hintereinander  sammtliche  Worter  einer  Trommel  laut  zu  lesen 
suchte.  Man  begann  mit  der  Spaltweite  5  mm  und  ging  dann  nach 
je  einmaliger  Lesung  zu  4  und  3  mm  Spaltweite  iiber;  zwischen  diesen 
Reihen  lagen  je  2  Minuten  Pause.  Nach  einer  nunmehr  folgenden 
Pause  von  5  Minuten  wurden  3  ganz  ahnliche  Reihen  mit  Trommel  B 
und  wiederum  nach  5  Minuten  auch  mit  Trommel  C  gewonnen.  Ein 
solcher  ganzer  Versuch  dauerte  einschlieBlich  der  Pausen  76  Minuten. 
Jede  Versuchsperson  hatte  denselben  an  drei  verschiedenen  Tagen 
vollstandig  zu  wiederholen;  auf  diese  Weise  ergaben  sich  fiir  jede  im 
ganzen  7470  Lesungen.  Leider  konnte  die  Zwischenzeit  zwischen 
den  einzelnen  Versuchstagen  aus  auBeren  Griinden  nicht  uberall 
gleich  lang  gemacht  werden,  wenn  auch  die  Gleichheit  der  Tageszeit 
fast  immer  eingehalten  wurde.  Die  folgende  Tabelle  giebt  eine  Ueber- 
sicht  iiber  die  zeitliche  Lage  der  sammtlich  im  Juli  und  August  1S95 
angestellten  Versuche: 

Tabelle  11. 


Versuchs- 
personen 

0. 

I. 

A. 

S. 

R. 

B. 

Versuch  I 
Versuch  II 

30.  VII. 

8V2  Vm. 

16.  VII. 

38/4  Nm. 

19.  VII. 

8V2  Vm. 

20.  VII. 
81/4  Vm. 

26.  VII. 

8V2  Vm. 

16.  vn. 

9  Vm. 

17.  vn. 

81/8  Vm. 

31.  VII. 

8  Vm. 

3.  VIII. 

SV2  Vm. 

23.  VII. 
31/4  Nm. 

27.  VII. 

38/^  Nm. 

29.  VII. 
IOV2  Vm. 

18.  vn. 

88/4  Vm. 

Versuch  III 

25.  VII. 

31/4  Nm. 

23.  VII. 

8V2  Vm. 

29.  VII. 
9  Vm. 

1.  vm. 

9  Vm. 

22.  VII. 

81/j  Vm. 

Der  Ausfall  der  Versuche  wurde,  wie  schon  erwahnt,  in  bereit 
liegende  Listen  eingetragen.  Dabei  wurden  richtige  Lesungen  durch 
senkrechte  Striche,  die  Auslassungen  durch  ein  » — «-Zeichen 
kenntlich  gemacht,    die  Verlesungen  aber,   soweit  das  moglich  war, 


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Ueber  die  Messung  der  Auffassungsflhigkeit.  209 

nachgeschrieben.  Eine  Schwierigkeit  ergab  sich  namentlicli  fur  die 
Trommel  C.  Sobald  die  Zahl  der  Fehler  hier  iiber  ein  gewisses  MaB 
hinaus  wuchs,  wurde  es  umnoglich,  bei  der  gewahlten  Geschwindigkeit 
die  Fehler  genau  nachzuschreiben,  da  die  Auffassung  des  G-ehorten 
nicht  durch  den  Inhalt  desselben  unterstutzt  wurde,  und  da  die  Aus- 
sprache  des  Verlesenen  meist  ziemlich  undeutlich  war.  Man  musste 
sich  dann  mit  der  einfachen  Feststellung  der  Fehlerzahl  begniigen, 
ohne  auf  ihre  Art  naher  eingehen  zu  konnen.  Bisweilen  kam  es  auch 
vor,  dass  Lesungen  zwar  richtig,  aber  zogemd  und  stottemd  hervor- 
gebracht  wurden.  Auch  solche  Falle  sind  in  den  Listen  besonders 
verzeichnet  worden,  doch  erwies  sich  ihre  Zahl  als  zu  gering,  imi 
weitergehende  Schlusse  zu  gestatten. 

Von  den  Versuchspersonen  waren  die  mit  Vocalen  bezeichneten 
Gesunde,  die  iibrigen  3  Kranke  der  Lrenklinik.  I.  und  0.  waren 
Studenten,  A.  ein  Warter  der  Kh'nik  mit  leidlicher  Bildung  und  gutem 
Verstande;  alle  3  standen  in  den  zwanziger  Jahren.  B.  war  ein 
31jahriger  Eiiufmann,  der  im  October  1892  zum  ersten  Male  wegen 
chronischem  Alkoholismus  in  die  Kh'nik  gekommen  war.  Sein  Zu- 
stand  hatte  sich  damals  bald  gebessert,  so  dass  er  im  Januar  1893 
entlassen  werden  konnte  und  nun  fast  2  Jahre  lang  volUg  enthaltsam 
bheb.  Dann  aber  fing  er  »aus  Neugierde*  wieder  an  zu  trinken,  kam 
rasch  hinein  und  trank  in  den  letzten  Wochen  sehr  stark,  so  dass  er 
am  9.  Juli  1895  von  neuem  aufgenommen  werden  musste.  In  der 
Kh'nik  zeigte  er  sich  einsichtig,  aber  etwas  willensschwach,  war  auch 
nicht  mehr  im  Stande,  so  gut  schriftliche  Arbeiten  zu  machen  wie 
friiher,  schrieb  schlechter  und  fehlerhafter.  Der  Zustand  besserte  sich 
rasch;  am  10.  September  erfolgte  die  Entlassung. 

Der  Kranke  S.,  ein  35jahriger  Cigarrenarbeiter,  Utt  an  dipso- 
manischen  Anfallen  auf  epileptischer  Grundlage.  Bis  in  seine  Jugend 
zuriick  lieB  sich  bei  ihm  das  Auftreten  periodischer  Verstimmungen 
verfolgen,  in  denen  er  zu  seiner  Erleichterung  anfing  zu  trinken;  in 
den  Zwischenzeiten  trank  er  miiBiger.  Bei  den  Verstimmungen  kam 
es  unter  dem  Einflusse  des  Alkohols  mehrf ach  zu  krankhaften  Rausch- 
zustanden,  in  denen  S.  uniiberlegte  strafbare  Handlungen  voUfiihrte, 
ohne  sich  nachher  derselben  zu  erinnern.  Einmal  entwickelte  sich 
unter  solchen  Umstanden  ein  ausgepragter  Dammerzustand,  in  welchem 
S.   einen   ihm   unbekannten  Menschen  ohne    den   geringsten  Anlass 


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210  Ludwig  Oron  und  Emit  KrAepelin. 

schwer  verletzte.  Obgleich  er  unmittelbar  nach  der  That  dieselbe  in 
ganz  abenteuerlicher  und  unsinniger  Weise  zu  begriinden  suchte,  hatte 
er  doch  am  nacbsten  Tage  jede  Eriimerung  daran  verloren.  S.  ist 
wiederholt  langere  Zeit  in  der  Klinik  beobachtet  worden.  'Er  war 
ein  eigenthiinJich  weicher,  schlaffer  Mensch  mit  entschiedener  zeich- 
nerischer  Begabung.  Seine  Schulbildung  war  leidlich;  er  vermochte 
sich  schriftlich  ziemlich  gewandt  auszudriicken.  Seine  Verstandes- 
leistungen  entsprachen  seinem  Bildungsgange  und  boten  jedenfalls 
keine  krankhaften  Storungen  dar.  In  der  spateren  Zeit  ist  bei  S. 
noch  einige  Male  im  Anschlusse  an  Verstimmungen  triebartiges 
Herumirren  mit  sehr  unklarer  und  theilweise  ganz  erloschener  Er- 
innerung  beobachtet  worden. 

Der  letzte  Kranke  endlich,  E.,  war  nahezu  59  Jahre  alt.  Er 
war  friiher  lange  Zeit  Kaufmann  in  Siidamerika  gewesen,  hatte  sich 
dort  ein  kleines  Vermogen  erworben  und  war  1875  in  die  Heimath 
zuriickgekehrt.  Schon  1 — 2  Jahre  friiher  anscheinend  batten  sich  bei 
ihm  Verfolgungs-  und  spater  langsam  auch  gewisse  GroBenideen  ent- 
wickelt,  die  ihn  veranlassten,  unthatig  allmahlich  sein  gauzes  Ver- 
mogen aufzuzehren,  weil  er  sich  durch  feindselige  Einflusse  iiberall 
in  der  Ausfiihrung  seiner  Plane  gehindert  fuhlte,  andererseits  aber 
sicher  war,  dass  es  ihm  jederzeit  ein  leichtes  sein  werde,  sich 
ton  neuem  eine  auskommliche  Stellung  zu  verschaffen.  Auf  diese 
Weise  fiel  er  schlieBlich  der  Armenpflege  zur  Last  und  gelangte  in 
die  Irrenanstalt,  da  er  sich  den  getroffenen  Anordnungen  nicht  fugen 
woUte,  vielraehr  allerlei  harmlose  Brandschatzungen  und  Belastigungen 
seiner  friiheren  Bekannten  verubte.  Es  envies  sich,  dass  bei  ihm 
seit  mehr  als  20  Jahren  ein  nicht  sehr  umfangreiches,  aber  voUig 
festes  Wahngebaude  zur  Ausbildung  gelangt  war.  Er  glaubte  sich 
von  der  Tochter  des  amerikanischen  Consuls  in  Quito  verfolgt,  die 
ihn  habe  heirathen  wollen  imd  ihm,  da  er  sie  verschmaht  babe,  uber 
den  Ocean  gefolgt  sei,  ihn  durch  Spione  beobachten  lasse,  die  Per- 
sonen  seiner  Bekanntschaft  gegen  ihn  einnehme  und  alle  seine  Be- 
miihungen,  wieder  emporzukommen,  planmaBig  durchkreuze.  Anderer- 
seits hielt  er  sich  fur  den  Begriinder  der  Deutschen  Colonialpolitik, 
da  er  den  Grossherzog  von  Baden  immittelbar  vor  der  Uebemahme 
unserer  Schutzgebiete  auf  die  noch  freien  Landstrecken  in  Afrika 
aufmerksam   gemacht   habe.     In    verschiedenen   Kundgebungen   des 


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Ueber  die  Messung  der  AuffassnngsfUhigkeit. 


211 


Kaisers )  in  Zeitungsartikeln  glaubte  er  die  Wirkungen  seines  Ein- 
flusses  wiederznfinden;  endlich  arbeitete  er  noch  an  einer  Reihe  seiner 
Ansicht  nach  sehr  wichtiger  Erfindungen.  Der  Kranke  war  voUig 
besonnen  und  geordnet,  hatte  seine  auBere  Haltung  vorziiglich  be- 
wahrt,  besaB  ein  recht  gutes  Gedachtniss,  legte  aber  bei  langerer 
Unterhaltung  einen  gewissen  Grad  von  Urtheilsschwache  an  den  Tag^ 
die  sich  nicht  nur  bei  der  Besprechung  seiner  Wahnideen,  sondem 
auch  in  Bezug  auf  sonstige  Verhaltnisse,  z.  B.  bei  der  Wiirdigung  an- 
derer  Kranker,  deutlich  zeigte.  Er  wusste  jedoch  ganz  anschaulich  von 
seinen  mannigfaltigen  Erlebnissen  in  fremden  Landem  zu  erzahlen. 
Im  Ubrigen  war  er  lenksam  und  gutmiithig. 

Alle  Personen  batten  ein  klares  Verstandniss  fur  die  Bedeutung 
und  den  Zweck  der  vorliegenden  TJntersuchungen.  Sie  waren  ge- 
halten,  eine  moglichst  gleichformige  Lebensweise  zu  fiihren  und  sich 
mindestens  12  Stunden  vor  dem  einzelnen  Versuche  des  Alkohols, 
mindestens  4  Stunden  vorher  des  Genusses  von  Kaffee  oder  Tbee  zu 
enthalten. 

II.  Versnche  mit  sinnlosen  Silben. 

Die  Besprechung  der  Versuchsergebnisse  wird  am  zweckmaBigsten 
mit  den  Erfahrungen  beim  Lesen  sinnloser  Silben  beginnen,  weil  bei 
dieser  Arbeit  die  Auffassungsthatigkeit  am  wenigsten  durch  anders- 
artige  Vorgange  beeinflusst  wurde.  Einen  ersten  Ueberblick  uber  die 
erhaltenen  Zahlen  gewahrt  uns  die  folgende  Tabelle,  in  welcher  fiir 
die  einzelnen  Spaltweiten  verzeichnet  ist,  wie  viele  Silben  richtig  (r), 
wie  viele   falsch  (/)    gelesen  und  wie  viele  ausgelassen  wurden  [a). 


Tabelle 

iU. 

Spaltweite 

5  mm 

4  mm 

3  imn 

Person  0. 

r 
739 

/ 
44 

a 
27 

2 

r 
69S 

/ 

70 

a 
42 

r 
625 

72  113 

»   I. 

800 

8 

801 

7 

2 

788 

13    9 

»   A. 

700 

100 

10 

674 

118 

18 

548 

200   62 

>   S. 
»   R. 

757 
642 
143 

47 

93 

447 

6 

75 

220 

749 

54 

7 

704 

85   21 

617 

115 

78 
401 

377 

142  291 

>   B. 

104 

305 

66 

365  379 

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212 


Liidwig  Gron  and  Bmil  Kraepelin. 


Wir  ersehen  aus  dieser  Tabelle  zunachst,  dass  bei  der  gewahlten 
Gteschwindigkeit  fast  immer  noch  die  Mehrzahl  der  vorgefiihrten 
Silben  richtig  gelesen  wurde.  Ln  einzelnen  finden  sich  allerdings 
sehr  groBe  Unterschiede.  Namentlich  B.  nimmt  eine  Sonderstellung 
gegenuber  alien  iibrigen  Personen  ein.  Ferner  erkennen  wir,  dass 
auch  R.  in  seinen  Leistungen  durchweg  unter  sammtlichen  ent- 
sprechenden  Zahlen  anderer  Beobachter  bleibt,  wahrend  S.  sich  voU- 
standig  in  den  Rahmen  der  von  den  drei  Gresunden  gelieferten  Werthe 
einfiigt. 

Einen  entscheidenden  EinfluB  auf  den  hier  gemessenen  Vorgang 
zeigt  ans  naheliegenden  Griinden  die  Weite  des  Spaltes.  Die 
Anzahl  der  richtig  gelesenen  Silben  nimmt  mit  der  Verengerung  des 
Beobachtungsschlitzes  regelmaBig  ab.  Offenbar  ist  das  durch  die 
kiirzere  Gesichtsfeldgegenwart  der  Reize  bedingt  AUein  die  Ab- 
nahme  der  richtigen  Lesungeo  erfolgt  weit  langsamer,  als  diejenige 
der  Sichtbarkeit.  Das  lehrt  die  folgende  Tabelle,  welche  das  pro- 
zentische  Sinken  der  Spaltzeit  sowie  die  dem  entsprechenden  richtigen 
Lesungen  bei  verschiedener  Spaltweite  darstellt.  Wir  fassen  dabei 
die  Gesunden  irnd  die  Kranken  je  zu  einer  Gruppe  zusammen. 

Tabelle  IV. 


Spaltbreite 

5  mm 

4  mm 

3  mm 

Sichtbarkeitsdauer 

100,0 

79,3 

58,6 

Richtige  Lesungen,  Gesunde 

100,0 

97,0 

87,7 

»                >           Kranke 

100,0 

95,3 

74,3 

Die  rasche  Abnahme  der  Spaltzeit  mit  Verringerung  der  Spalt- 
breite beruht  zum  groBten  Theile  auf  der  Kxiimmung  der  Trommel, 
welche  bei  weiterem  Schlitze  ein  viel  groBeres  Gebiet  des  Umfanges 
zu  ubersehen  gestattet,  als  bei  engerer  Blende.  Dem  entspricht  aber 
nun  keineswegs  das  Verhalten  der  richtigen  Lesungen.  Vielmehr 
zeigen  dieselben  bei  der  Verkiirzung  der  Sichtbarkeit  imi  Vs  nur  eine 
ganz  geringfugige  Abnahme;  erst  bei  weiterem  Sinken  der  Spaltzeit 
vermindert  sich  auch  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  in  starkerem 
MaBe,  besonders  bei  der  Gruppe  der  Kranken.     Diese  Thatsachen 


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Ueber  die  Messung  der  AiifTassnngsfahigkeit.  213 

erklaren  sich  leicht  im  Hinblicke  auf  die  von  Oattell  mitgetheilten 
Erfahrungen.  Auch  er  fand  namlich,  dass  bei  seinen  Versuchsper- 
sonen  die  Auffassung  von  Buchstabenreihen  durch  Verbreiterung  des 
Spaltes  zunehmend  erleichtert  wurde.  Allein  diese  Erleichterung  hatte 
ihre  bestimmten  personlichen  Grenzen.  Ging  die  Spaltbreite  iiber 
ein  gewisses,  bei  den  einzelnen  Personen  verschiedenes  MaB  hinaus, 
80  erfolgte  keine  weitere  Beschleunigung  der  Auffassung  mehr.  Diese 
Grenze  lag  fiir  seine  Beobachter  zwischen  einer  Spaltzeit  von  145 
und  274  Tausendstel  Secunden.  Es  ist  demnach  klar,  dass  schon 
bei  einer  Annaherung  an  diese  Grenze  der  Einfluss  einer  Verbrei- 
terung des  Spaltes  allmahlich  immer  geringer  werden  muss.  Auf  der 
anderen  Seite  ist  es  sicher,  dass  die  untere  Grenze  der  Auffassungs- 
fahigkeit  fur  sinnlose  Silben  nicht  erst  bei  der  Spaltbreite  0,  sondem 
schon  friiher  erreicht  wird;  es  muss  demnach  bei  Herabminderung 
der  Spaltzeit  ein  Punkt  eintreten,  von  dem  ab  die  Leistung  der 
Auffassung  rascher  sinkt,  als  die  Sichtbarkeit  der  Reize.  Die  in  der 
Tabelle  IV  wiedergegebenen  Werthe  belehren  uns  also  dariiber,  dass 
fiir  die  Gesunden  die  Spaltweite  4  mm  durchschnittUch  schon  sehr 
nahe  jener  Grenze  lag,  jenseits  derer  eine  Verbreiterung  des  Spaltes 
keine  Verbesserung  der  Leistung  mehr  bewirken  konnte.  In  der  That 
wurden  bei  4  mm  schon  nahezu  90  ^,  von  I.  sogar  98,9  %  der 
Reizworter  richtig  gelesen.  I.  wenigstens  war,  wie  die  Zahlen  der 
Tabelle  HI  darthun,  der  Grenze  so  nahe,  dass  die  von  ihm  be- 
gangenen  Fehler  wesentlich  als  zufallige  zu  betrachten  sind.  Bei  O. 
und  namentlich  bei  A.  dagegen  wiirde  sich  durch  eine  weitere  Ver- 
groBerung  des  Spaltes  noch  eine  deutliche  Verbesserung  der  Leistung 
haben  erzielen  lassen.  Die  von  Cattell  bemerkte  Verschiedenheit 
der  Versuchspersonen  begegnet  uns  also  auch  hier.  Wenn  die  obere 
Grenze  des  Auffassungsschwellengebietes  bei  uns  etwas  hoher  lag, 
als  bei  ihm,  so  diirfte  sich  das  in  erster  Linie  aus  der  abweichenden 
Versuchsanordnung  erklaren,  die  hier  eine  langere  Fortsetzung  der 
Arbeit  ohne  Pause  verlangte. 

Bei  den  Kranken  sind  wir  von  der  oberen  Grenze  der  Auf- 
fassungsschwelle  durchschnitthch  etwas  weiter  entfemt.  Namentlich 
B.  liefert  bei  5  mm  erst  1 7,6  %  richtiger  Lesungen.  Bei  ihm  miisste 
also  noch  eine  sehr  betrachtliche  Verbreiterung  des  Spaltes  statt- 
finden,    wenn    alle   Reize   richtig   aufgefasst   werden    soUten.     Dem 


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214  Liidwig  Gron  tind  Emil  Kraepnlin. 

entsprechend  ist  auch  bei  ibm  der  Einfluss  der  Spaltverengerung  am 
starksten.  Die  olinehin  schon  ungemein  geringe  Leistung  sinkt  bei 
3  mm  xun  63,8  ^,  wahrend  die  Spaltzeit  nur  um  41,4  )^  abgenom- 
men  hat.  Wir  nahem  uns  also  bier  scbon  ziemlicb  rascb  der  unteren 
Grenze  der  Auffassung;  die  ricbtigen  Lesungen  betragen  nur  noch 
etwa  8  ^.  Bei  R.  sinkt  die  Leistung  fiir  4  mm  nur  unbedeutend, 
fur  3  mm  aber  schon  ebenso  stark  wie  die  Spaltzeit;  auch  bei  ibm 
ist  daher  bereits  das  Gebiet  erreicht,  innerhalb  dessen  die  Auffassungs- 
fahigkeit  nicht  mehr  langsamer  abnimmt,  als  die  Sichtbarkeitsdauer 
der  Reize.  S.  verhalt  sich  dagegen  ganz  wie  die  gesunden  Personen 
und  wiirde  sogar  dort  unmittelbar  nach  I.  seine  Stelle  finden. 

AuBer  den  ricbtigen  Lesungen  unterscheiden  wir  fehlerhafte 
und  Auslassungen.  Wir  dUrfen  vielleicht  im  allgemeinen  anneh- 
men,  dass  Fehler  und  Auslassungen  verschiedenen  G-raden  mangel- 
hafter  Auffassung  entsprechen.  Bei  den  Fehlem  hat,  wie  es  scheint, 
immerhin  noch  eine,  wenn  auch  unvollkommene  Auffassung  einzelner 
Bestandtheile  des  Reizes  stattgefunden,  wahrend  bei  den  Auslassungen 
eine  verwerthbare  Wahmehmung  iiberhaupt  nicht  zu  Stande  gekom- 
men  ist.  Die  Zahlen  der  Tab.  m  sind  im  ganzen  geeignet,  diese 
Ansicht  zu  stiitzen.  Je  gunstiger  die  Auffassungsbedingungen  sind, 
desto  entschiedener  treten  die  Auslassungen  zuruck;  die  Fehler  da- 
gegen nehmen  mit  wachsender  Erschwerung  der  Auffassung  nur 
maBig  zu.  Bei  den  Gesunden  steigen  die  Auslassungen  von  5  mm 
zu  3  mm  Spaltweite  durchschnittUch  fast  auf  das  5 f ache,  wahrend 
die  Fehler  noch  nicht  die  doppelte  Anzahl  erreichen.  Aehnlich  sehen 
wir  bei  einer  Zusammenfassung  der  Kranken  die  Fehlerzahl  sich 
beinahe  gar  nicht  andem,  indess  die  Auslassungen  auf  das  2, 3  f ache 
anwachsen.  Es  hat  demnach  den  Anschein,  als  ob  im  allgemeinen 
die  Auslassungen  uns  ein  zuverlassigeres  Bild  der  wirklichen  Auf- 
fassungsschwierigkeiten  liefem. 

Ln  einzelnen  allerdings  bedarf  diese  Ansicht  einer  gewissen 
Einschrankung.  Beim  Vergleiche  der  Zahlen  untereinander  tritt  un- 
verkennbar  die  Thatsache  hervor,  dass  die  Beziehungen  zwischen 
Fehlem  und  Auslassungen  unter  denselben  Bedingungen  wesentlich 
auch  von  personlichen  EigenthiimHchkeiten  abhangen.  Wahrend  im 
allgemeinen  Erschwerung  der  Auffassung  vorzugsweise  die  Zunahme 
der  Auslassungen  begunstigt,  sehen  wir  unter  den  Gesunden  doch 


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Ueber  die  Hessong  der  AufTassuDgsf&bigkeit.  215 

diejenige  Person,  die  am  schlechtesten  auffasste,  A.,  eine  ganz  un- 
gewohnlich  hohe  Zahl  gerade  von  Fehlem  liefem.  Umgekehrt  hat  O. 
TerhaltnissmaBig  wenig  Fehler  gemacht;  sie  nehmen  beim  Uebergange 
von  4  mm  Spaltbreite  zu  3  mm  fast  nicht  zu,  wahrend  die  Auslas- 
sungen  nahezu  auf  das  3  f ache  steigen.  Von  den  Kranken  zeiehnet 
sich  in  ganz  ahnUcher  Weise  R.  durch  die  verhaltnissmaBig  geringe 
Zahl  seiner  Fehler  aus,  die  bei  3  mm  Spaltweite  nur  noch  die  Half  te 
der  Auslassungen  betragen.  Andererseits  begeht  S.  auffallend  viele 
Fehler  bei  sehr  wenig  Auslassungen;  er  ist  denmach  A.  an  die  Seite 
zu  stellen.  Eine  Mittelstellung  in  dieser  Beziehung  nimmt  der  sonst 
so  stark  abweichende  B.  ein,  bei  dem  mit  abnehmender  Spaltbreite 
die  Auslassungen  ein  geringes  Uebergewicht  liber  die  Fehler  erlangen. 
Ordnen  wir  die  Versuchspersonen  nach  ihrer  Leistungsfahigkeit  im 
Auffassen  bei  5  mm  Spaltbreite,  so  erhalten  wir  die  Reihenfolge: 
I.,  S.,  0.,  A.,  E.,  B.  Nach  dem  Grade  des  Ueberwiegens  der  Fehlerzahl 
liber  die  Auslassungen  wlirden  wir  dagegen  die  Reihe  erhalten: 
A.,  S.,  L,  B.,  0.,  R.  Wenn  denmach  auch  I.  und  S.  beide  Male  dem 
ersten,  R.  und  B.  dem  zweiten  Theile  dieser  Reihen  angehoren,  eine 
gewisse  Beziehung  zwischen  groBerer  oder  geringerer  Auffassungs- 
fahigkeit  und  schwacherem  oder  starkerem  Ueberwiegen  der  Aus- 
lassungen gegeniiber  den  Fehlem  wohl  auch  beim  Vergleiche 
verschiedener  Personen  bestehen  mag,  so  spielen  hier  andere  Eigen- 
thiimlichkeiten  doch  ohne  Zweifel  mit  eine  maBgebende  Rolle. 

Offenbar  haben  wir  mit  einer  groBeren  oder  geringeren  Neigung  zu 
rechnen,  halb  oder  undeutlich  aufgefasste  Reize  durch  eigene  und 
darum  in  der  Regel  fehlerhafte  Zuthaten  zu  erganzen.  Dass  in  dieser 
Hinsicht  groBe  personliche  Verschiedenheiten  vorkommen,  lehrt  uns 
die  alltagliche  Erfahrung.  Das,  was  wir  die  Zuverlassigkeit  eines 
Beobachters  nennen,  beruht  ja  eben  nur  auf  seiner  Fahigkeit,  nicht 
mehr  und  nichts  anderes  zu  sehen,  als  das  sinnlich  Gegebene,  sich 
bei  der  Auffassung  moglichst  frei  zu  halten  von  der  Beeinflussung 
der  Wahmehmung  durch  Erinnerung  oder  Erwartung.  Wir  werden 
unter  diesem  Gesichtspunkte  zu  dem  Schlusse  kommen,  dass  A.  und 
S.  am  meisten  geneigt  waren,  ihre  Wahmehmungen  durch  eigene  Zu- 
thaten zu  erganzen  und  zu  verfalschen,  wahrend  R.  und  0.  diese 
Neigung  verhaltnissmaBig  am  wenigsten  zeigten.  Man  sieht  schon 
aus  der  Ordnung   der  Personen,   dass  es  sich  hier   nicht   imi  eine 


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2t6  Ludwig  Cron  nnd  Rroil  Kraepeiio. 

Eigenschaft  handelt,  die  in  bestimmter  Beziehung  zum  Krankheits- 
zustande  oder  auch  zum  Bildungsgrade  stehen  kann;  vielmehr  haben 
wir  es  ofEenbar  mit  einer  allgemeinen  Veranlagung  der  einzelnen  Per- 
sonlichkeit  zu  thun.  Ganz  frei  von  der  Neigung  zu  Fehlem,  selbst 
bei  diesen  Reizen,  die  dazu  verhaltnissmaBig  wenig  herausforderten, 
ist  freilich  keine  einzige  unserer  Personen;  wir  sehen  daraus,  in  wie 
hohem  Grade  unsere  Auffassung  auch  im  beaten  Falle  jederzeit  durch 
unsere  Vergangenheit  mitbestimmt  wird. 

Gerade  deswegen  erscheint  es  uns  nunmehr  von  Wichtigkeit, 
auch  die  Art  der  begangenen  Fehler  etwas  naher  zu  betrachten. 
Leider  liegen  w^en  der  Schwierigkeit,  bei  der  gewahlten  Geschwin- 
digkeit  des  Lesens  die  Verlesungen  uberall  zuverlassig  nachzuschreiben, 
nur  von  R  und  O.  je  2,  von  S.  3  Versuche  mit  verwerthbaren  Auf- 
zeichnungen  vor,  aus  denen  wir  ein  Urtheil  liber  die  Art  der  Fehler 
gewinnen  konnen.  Dabei  zeigt  es  sich,  dass  wir  allgemein  zwischen 
Buchstabenfehlern  und  Wortfehlern  zu  unterscheiden  haben. 
Die  Buchstabenfehler  bestehen  in  der  Verwechslung,  Auslassung  oder 
Zusetzung  einzelner  Buchstaben,  ohne  irgend  welche  Beziehung  zum 
Sinne  der  Neubildung;  bei  den  Wortverlesungen  dagegen  wird  mit 
dem  dargebotenen  Eindrucke  ein  anderes,  mehr  oder  weniger  ahn- 
liches  Wortbild  verwechselt.  Im  ersteren  Falle  werden  also  die 
Bestandtheile  des  Reives  fur  sich  verlesen;  im  letzteren  wird  nur 
der  Gesammteindruck  aufgefasst  und  fiilschlicherweise  mit  einer 
nicht  ganz  ubereinstimmenden  Sprachvorstellung  zur  Deckung  ge- 
bracht.  Auch  hier  erscheinen  in  der  Verlesung  einzelne  Buchstaben 
richtig,  andere  falsch  wieder,  aber  im  Grunde  sind  nicht  die  Buch- 
staben, sondem  eben  die  Gesammtbilder  verwechselt  worden.  Um- 
gekehrt  kann  aber  auch  ein  Buchstabenfehler  die  Entstehung  einer 
Wortverlesung  vorbereiten.  NaturUch  ist  es  durchaus  nicht  moglich, 
diese  verschiedenen  Vorgange  im  einzelnen  Falle  auseinander  zu  halten; 
wir  konnen  nur  aus  gewissen  Anzeichen  auf  die  groBere  Haufigkeit 
des  einen  oder  des  anderen  schlieBen.  So  werden  die  Buchstaben- 
fehler in  der  Regel  mehr  sinnlose,  die  Wortfehler  mehr  sinnvoUe  Ver- 
lesungen liefem.  Es  leuchtet  jedoch  ein,  dass  hier  bei  den  sinnlosen 
Silben  uberhaupt  wesentUch  nur  Buchstabenfehler  zu  erwarten  waren, 
wenn  auch,  wie  wir  sehen  werden,  Wortfehler  nicht  ganz  ausge- 
blieben  sind. 


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Ueber  die  llessung  der  AnfTassaD^sflihigkeit.  2t7 

Um  in  den  Ablauf  des  Auffassungsvorganges  einen  naheren 
Einblick  zu  gewinnen,  werden  wir  zunachst  imtersuchen ,  wie  yiele 
Buchstaben  in  jeder  Verlesung  falsch  erkannt  wnrden  und  welche 
Stellung  dieselben  batten. 

Wir  gewinnen  dariiber  ein  Urtheil,  indem  wir  jede  einzelne 
Verlesung  mit  der  Vorlage  vergleichen  und  feststellen,  welche  und  wie 
viele  Buchstaben  mit  einander  iibereinstimmen.  Dabei  ergeben  sich 
bald  gewisse  Schwierigkeiten.  Zunachst  weicht  ofters  die  Zahl  der 
Buchstaben  bei  Verlesung  und  Vorlage  von  einander  ab;  einzelne 
Buchstaben  sind  vom,  in  der  Mitte,  am  Ende  ausgelassen  oder  hin- 
zugesetzt.  Sodann  aber  finden  sich  auch  einfache  Umstellungen  der 
Buchstaben  in  der  Verlesung.  Es  schien  uns  bei  der  Durchsicht 
unserer  Listen,  besonders  mit  Eucksicht  auf  die  kleine  Zahl  der  voU- 
standigen  Versuche,  unmogUch,  auf  alle  diese  Verschiedenheiten  der 
Fehler  genauer  einzugehen.  Vielmehr  haben  wir  zunachst  Aus- 
lassungen  wie  Einschiebungen  und  Umstellungen  in  gleicher  Weise 
als  einfache  Buchstabenfehler  verzeichnet,  deren  Stellung  in  der  Silbe 
lediglich  danach  bestimmt  wurde,  ob  die  Buchstabenreihe  der  Vor- 
lage richtig  wiedergegeben  war  oder  nicht.  Einige  Beispiele  werden 
das  am  besten  erlautem.  Zusatze  vom  oder  hinten  wurden  als  ein- 
facher  Fehler  des  ersten  oder  letzten  Buchstaben  gerechnet,  auch 
wenn  sie  mehrere  Buchstaben  umfassten,  z.  B.  aupt  statt  upt  und 
Strom  statt  rom  einerseits,  freu  statt  fre  und  kraft  statt  kra  anderer- 
seits.  Einschiebungen  zwischen  erstem  und  zweitem  Buchstaben,  wie 
tros  statt  tos  wurden  als  Fehler  des  zweiten,  solche  zwischen  zweitem 
und  drittem  Buchstaben,  wie  tekt  statt  tet  als  Fehler  des  dritten 
Buchstabens  angesehen.  Auslassungen,  wie  ub  statt  aub,  op  statt 
orp,  or  statt  org  galten  als  Fehler  des  ersten,  zweiten  oder  dritten 
Buchstaben.  Umstellungen  endhch,  wie  olg  statt  glo,  ets  statt  tes, 
betrachteten  wir  als  Doppelfehler  des  ersten  und  dritten  bezw.  des 
ersten  und  zweiten  Buchstaben.  Haufiger  fanden  sich  naturlich  auch 
mehrere  Fehler  verschiedener  Art  nebeneinander  in  derselben  Ver- 
lesung. Bei  der  Bearbeitung  nach  diesen  Grundsatzen  ergaben  sich 
fiir  je  zwei  vergleichbare  Versuchsreihen  der  einzelnen  Personen  die 
nachfolgenden  Zahlen  fehlerhaft  gelesener  Buchstaben. 


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218 


Lodwig  Cron  und  Eoiil  Kraepelin. 
Tabelle  V. 


Falsch  gelesen 
wurden  bei 

5  nun 

4  mm 

3  mm 
1      2      3 

Buchstaben 

1       2      3 

1      2 

3 

0. 

37       5     0 

45      9 

1 

40     10     0 

s. 

30      2     0 

(41)     (4)   (2) 

38      5 

(47)     (6) 

0 

(0) 

58      8     1 

(71)  (12)    (2) 

R. 

38     15     3 

41     14 

3 

54    21      5 

Bei  alien  Personen  sind  nur  die  ersten  und  zweiten  Versuchs- 
tage  beriicksichtigt;  bei  S.  sind  in  Klammern  noch  die  Zahlen  fiir 
alle  drei  Tage  mit  angegeben.  Aus  den  Werthen  geht  zunachst 
hervor,  dass  die  einf  achen  Fehler  uberall  weit  uberwiegen.  Mit  der 
Verengerung  des  Spaltes  nehmen  sie  im  allgemeinen  zu,  am  starksten 
bei  S.,  etwas  weniger  bei  R.  und  nur  sehr  wenig  und  unregebnaBig 
bei  0.  Die  ZaU  der  Doppelfehler  betragt  bei  0.  im  Durchschnitt 
16,3,  bei  S.  10,5  (11,9),  bei  R.  25,8  %  aller  Verlesungen.  Die 
Auffassung  scheint  demnach  bei  S.  noch  etwas  zuverlassiger  gewesen 
zu  sein,  als  bei  O.  Dem  entspricht  die  friiher  festgestellte  weit  ge- 
ringere  Zahl  der  Auslassungen,  wahrend  S.  allerdings  auf  der  anderen 
Seite  mehr  die  Neigung  hatte,  liickenhaftel  Wahmehmungen  will- 
kiirlich  zu  erganzen.  In  der  groBen  Zahl  der  Doppelfehler  bei  R. 
tritt  deutlich  seine  Unfahigkeit  zu  scharfer  Erfassung  der  gegebenen 
Reize  hervor.  Mit  der  Abnahme  der  Spaltbreite  wachst  auch  die 
Zahl  der  Doppelfehler  stets  erhebUch  an;  das  Verhaltniss  zu  den 
einfachen  Fehlem  gestaltet  sich  ungiinstiger.  Dreif ache  Fehler  kom- 
men  bei  O.  und  S.  nur  noch  vereinzelt  vor,  wahrend  sie  bei  K  noch 
5,5  %  ausmachen.  Die  Auffassung  geschah  demnach  bei  ihm  nicht 
ganz  selten  so  undeutlich,  dass  es  sich  mehr  um  ein  Errathen,  als 
um  ein  Lesen  handelte.  Diese  Erfahrung  steht  in  einem  gewissen 
Widerspruche  mit  unserer  friiheren  Feststellung,  dass  R.  verhaltniss- 
maBig  am  wenigsten  Neigung  zur  Verfalschung  der  Wahrnehmung 
durch  eigene  Zuthaten  zeigte.     Allein  dieser  Widerspruch  lost  sich, 


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Deber  die  Messong  der  AafTassDngsRlhigkeit. 


219 


wenn  wir  beriicksichtigen,  dass  R.  zugleich  eine  sehr  viel  schlechtere 
Auffassungsfahigkeit  darbot,  als  die  anderen  beiden  hier  verglichenen 
Personen.  Jede  Herabsetzung  oder  Stoning  der  Auffassung  aber 
steigert  an  sich  die  Neigimg  zu  Verlesungen.  Wollen  wir  also  die 
Zuverlassigkeit  der  Auffassung  unabhangig  von  ihrer  Leistungsfahig- 
keit  beurtheilen,  so  diirfen  wir  entweder  nur  die  Fehler  solcher  Per- 
sonen mit  einander  vergleichen,  welche  die  gleiche  Zahl  richtiger 
Lesungen  lief  em,  oder  aber  wir  miissen  wenigstens  nicht  die  Zahl 
der  Fehler  an  sich,  sondem  ihr  Verhaltniss  zu  der  Menge  der  Aus- 
lassungen  in  Betracht  ziehen.  Wie  wir  meinen,  erklart  sich  demnach 
die  groBe  Zahl  der  doppelten  und  dreifachen  Fehler  bei  R.  wesentlich 
aus  seiner  geringen  Auffassungsfahigkeit;  sie  wiirde  noch  weit  hoher 
sein,  wenn  R.  etwa  auBerdem  noch  so  unzuverlassig  in  seinen  Wahr- 
nehmungen  gewesen  ware  wie  S.  mit  seiner  weit  besseren  Auffassungs- 
fahigkeit. 

TJeber  die  Ordnung  der  verlesenen  Buchstaben  giebt  die  fol- 
gende  Tabelle  Aufschluss. 

Tabelle  VI. 


Falsch  gelesen 
wurde  bei 

5  mm 

4  mm 

3  mm 

der  Buchstabe 

12      3 

1 

1       2      3 

1      2      3 

0. 

26      8     13 

31     13    22 

37     16      7 

s. 

lb      8     11 

(26)  (10)  (19) 

22     10     16 

(29)  (12)  (18) 

42     19     16 

(57)  (23)  (21) 

51     27     33 

R. 

26    27     24 

31     23    24 

Aus  diesen  Zahlen  ergiebt  sich  die  uberraschende  Thatsache, 
dass  mit  einer  einzigen,  geringfugigen  Ausnahme  regelmaBig  der  erste 
Buchstabe  der  Vorlage  bei  weitem  am  haufigsten  verlesen  wird.  Viel 
seltener  wurde  der  letzte  und  am  wenigsten  der  mittelste  Buchstabe 
verkannt.  Um  diese  Verhaltnisse  noch  etwas  deutlicher  darzustellen, 
fassen  wir  in  der  folgenden  Tabelle,   was  fur  diesen  Zweck  erlaubt 

Kraepelin,  Psyoholog.  Arbeiten.  II.  15 


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220 


Ludwig  Gron  und  Emil  Kraepelin. 


sein  diirfte,  die  Verlesungen  bei  alien  Spaltweiten  zusammen  und 
geben  die  Zahl  der  Verlesungen,  die  auf  die  einzelnen  Buchstaben 
entfallen,  zugleich  noch  in  Procenten  der  Gesammtfehlerzahl  wieder. 

Tabelle  Vn. 


Verlesen  iruide 
der  Bucbstabe 

1 

2 

3 

0. 

94  [54,3  o/o] 

79    49,70/0] 
(112    52,10/0]) 

108  [40,6  0/0] 

37  (21,40/0] 

42  [24,3  0/0] 

S. 

37  [23,3  0/0] 
(45  [20,90/0]) 

43  [27,0  0/0 
(58    27,00/0) 

B. 

77  [28,90/o] 

81  [30,5  o/o] 

An  der  GesetzmaBigkeit  der  erwahnten  Erscheinung  ist  nicht  zu 
zweifeln,  wenn  auch  der  Grad  ihrer  Auspragung  bei  den  einzelnen 
Personen  etwas  verschieden  ist.  Wir  miissen  daraus  schlieBen,  dass 
sich  die  Aufmerksamkeit  der  Versuchspersonen  allgemein  am  starksten 
dem  mittelsten  Buchstaben  zuwendet,  am  wenigsten  dem  ersten.  Man 
darf  sich  dabei  vielleicht  anCattell's  Erfahrung  erinnem,  dass  wir 
einsilbige  Worter  nicht  buchstabirend  lesen,  sondem  als  Einheit  auf- 
zufassen  pflegen;  so  wurde  es  verstandlich,  wenn  die  Mitte  einer 
dreistelligen  Silbe  verhaltnissmaBig  am  deutlichsten  aufgefasst  wiirde. 
Allein  damit  ware  noch  nicht  der  groBe  Unterschied  in  der  Auf- 
fassung  des  ersten  und  letzten  Buchstaben  erklart.  Hier  muss  noch 
ein  anderer  Umstand  eingreifen.  Es  liegt  nahe,  an  die  unvollkom- 
mene  Einstellung  unserer  Aufmerksamkeit  auf  den  Reiz  zu  denken. 
Trotz  der  RegelmaBigkeit  der  Aufeinanderfolge  werden  wir  doch 
durch  jede  neu  auftauchende  Silbe  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
uberrascht,  zumal  wir  noch  mit  der  Verarbeitung  der  vorhergehenden 
einigermaBen  beschaftigt  sind.  Wir  bediirfen  einer  gewissen  Zeit, 
um  uns  der  neuen  Aufgabe  zuzuwenden,  und  kommen  bei  dem  raschen 
Vorbeiziehen  der  Silben  und  bei  unserer  Neigung,  das  Q^sammtbild 
zu  erfassen,  vielleicht  zu  einer  Vemachlassigung  des  bald  wieder 
verschwindenden  ersten  Buchstaben,  wahrend  wir  fiir  den  letzten 
etwas  mehr  Zeit   iibrig  behalten.      Aus  vielfachen  Erfahrungen    ist 


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Ueber  die  Messang  der  AnfTassnngsfahigkeit. 


221 


bekannt)  dass  fur  eine  moglichst  voUkommene  Einstellung  der  Auf- 
merksamkeit  der  gunstigste  Abstand  zwischen  Signal  und  Reiz  un- 
gefahr  2  Secunden  betragt.  Hier  folgten  die  einzelnen  Silben  mit 
einer  Schnelligkeit  von  IY4  Secunde  aufeinander;  wir  dtirfen  daher 
kaum  zweifeln,  dass  die  jeweilige  Vorbereitung  fur  den  neuen  Reiz 
eine  verhaltnissmaBig  mangelhafte  war.  Dieser  Umstand  konnte  bei 
der  gewahlten  Versuchsanordnung  die  Auffassung  des  ersten  Buch- 
staben  in  weit  hoherem  Grade  storen,  als  die  der  folgenden.  Anders 
wurde  sich  wahrscheinlich  das  Ergebniss  gestaltet  haben,  wenn  die 
Silben  sich  nicht  bewegt  batten,  sondem  durch  einen  Momentver- 
schluss  immer  in  gleichen  Zwischenzeiten  sichtbar  geworden  waren. 
Wir  vermuthen,  dass  dann  der  mittlere  Buchstabe  verhaltnissmaBig 
noch  besser  erkannt  worden  ware,  dass  aber  die  TJnterschiede  zwischen 
dem  ersten  und  dem  letzten  Buchstaben  sich  mehr  verwischt  haben 
wiirden. 

Suchen  wir  uns  zum  Schlusse,  so  weit  es  moglich  ist,  noch  iiber 
die  Art  der  begangenen  Fehler  Rechenschaft  zu  geben,  so  konnen 
wir  wesentlich  Verwechselungen,  Auslassungen  und  Zusatze  ausein- 
anderhalten.  In  der  folgenden  Uebersicht  ist  die  Haufigkeit  dieser 
Fehlerarten  unter  den  Bezeichnungen  c,  a  und  z  wiedergegeben. 

Tabelle  VHI. 


5  mrt\ 

4  mm 

3  mm 

V 

a 

z 

V 

a 

2 

V 

a 

z 

0. 

40 

4 

3 

55 

6 

5 

47 

9 

4 

s. 

12 

4 

18 

33 

2 

13 

54 

11 

12 

R. 

60 

7 

10 

68 

4 

6 

98 

3 

10 

Diese  Zahlen  sind  ohne  weiteres  mit  einander  vergleichbar.  Sie 
zeigen  uns,  dass  zumeist  die  Verwechselungen  der  Buchstaben  weit  iiber- 
wiegen;  das  Verhaltniss  zwischen  Auslassungen  und  Zusatzen  wechselt, 
doch  sind  die  letzteren  wohl  ein  wenig  haufiger.  Auslassungen  diirf  en 
wir  wesentlich  als  den  Ausdruck  unvoUkommener  Auffassung  be- 
trachten,  wahrend  die  Zusatze  ebenso  zweifellos  auf  die  Mitwirkung 

15* 


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222  Lodwig  Gron  und  Emil  Kraepelin. 

der  Einbildungskraft  hinweisen;  bei  den  Verwechselungen  sind  beide 
Entstehungsarten  moglich  und  nicht  von  einander  zu  trennen.  TJeber- 
wiegend  handelt  es  sich  aber  doch  wohl  um  mangelhafte  Auffassung; 
dafur  wiirde  wenigstens  der  Umstand  sprechen,  dass  die  Verwechse- 
lungen am  starksten  den  Einfluss  einer  Verengerung  der  Spaltweite 
erkennen  lassen,  namentlich  bei  dem  schlecht  auffassenden  R.,  aber 
auch  bei  S.,  weniger  entschieden  bei  O.  Die  Zahl  der  Auslassungen 
ist  an  sich  zu  klein,  um  deutliche  Ergebnisse  lief  em  zu  konnen; 
immerhin  scheint  sie  bei  O.  und  S.  mit  der  Abnahme  der  Spaltbreite 
zu  sinken.  R.  dlirfte  bei  Erschwerung  der  Auffassungsbedingungen 
mehr  zu  Verwechselungen  neigen,  wahrend  0.  lieber  auslasst.  R.  bringt 
auch  in  seine  Verlesungen  mehr  eigene  Zusatze  hinein.  Weit  starker 
aber  tritt  diese  Erscheinung,  ubereinstimmend  mit  unseren  fruheren 
Auseinandersetzungen,  bei  S.  hervor.  Wahrend  die  Zusatze  bei  O. 
6,9  )^,  bei  R.  9,8  ^  der  gesammten  Fehlerzahl  betragen,  steigt  dieses 
Verhaltniss  bei  S.  auf  27,0  ^.  Es  ist  sehr  zu  bedauem,  dass  nicht 
auch  von  den  ubrigen  Personen  entsprechende  Zahlen  vorliegen,  da- 
mit  der  Werth  der  Zusatze  fiir  die  Beurtheilung  der  Zuverlassigkeit 
des  Auffassungsvorganges  noch  genauer  gepriift  werden  konnte.  Die 
Zusatze  lassen  keine  Abhangigkeit  von  der  groBeren  oder  geringeren 
Schwierigkeit  der  Auffassungsbedingungen  erkennen.  Das  entspricht 
ihrer  Bedeutung  als  Ausdruck  einer  personUchen  EigenthlimUchkeit. 
Da  sie  freie  Erfindungen  darstellen,  denen  kein  auBerer  Reiz  zu 
Grunde  Uegt,  erscheinen  sie  nach  MaBgabe  der  personUchen  Neigung, 
sobald  iiberhaupt  Fehlervorgange  moglich  sind,  wahrend  die  Ver- 
wechselungen naturgemaB  in  engster  Abhangigkeit  von  der  mehr  oder 
weniger  scharfen  Auffassung  des  Reizes  stehen  miissen,  den  sie  um- 
schreiben. 

Den  inneren  Beweggrund  zur  Entstehung  von  Verwechselungen 
und  Zusatzen  haben  wir  vielf  ach  sicherhch  in  bereit  liegenden  Vor- 
stellungen  zu  suchen ,  welche  unwillkiirUch  die  Wahmehmung  beein- 
flussen.  Allerdings  wird  die  Wirksamkeit  derartiger  Vorstellungen 
hier  durch  den  Umstand  erschwert,  dass  die  Reize  sinnlose  Silben 
waren,  die  nur  sehr  sparliche  Ankniipfungen  fUr  associative  VorgSnge 
darboten.  Immerhin  war  in  einer  Anzahl  von  Fallen  die  Verlesung 
nachweisbar  dadurch  zu  Stande  gekommen ,  dass  die  Versuchsperson 
die  gegebene  Silbe  in  ein  Wort  umgewandelt  hatte.    Beriicksichtigen 


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Ueber  die  Messong  der  AaffassungBfllbigkeit. 


223 


wir,  wie  uberall  bei  unseren  letzten  Betrachtungen,  nur  die  Versuche 
der  beiden  ersten  Tage,  so  ergab  sich,  dass  solche  TJmwandlungen 
bei  0.  15,  bei  R  21  und  bei  S.  30  mal  vorgekommen  wairen.  Setzen 
wir  diese  Zahlen  in  Beziehung  zu  der  Anzahl  der  iiberhaupt  be- 
obachteten  Verlesungen,  so  ergiebt  sich,  dass  sichere  Wortfehler  sich 
nachweisen  lieBen  bei  0.  in  10,2  ^,  bei  R  in  10,8  und  bei  S.  in 
2\y\  %  aller  Verlesungen.  Diese  Zahlen  wiederholen  mit  iiber- 
raschender  Bestimmtheit  unser  friiher  gewonnenes  Ergebniss,  dass  O. 
und  R.  in  geringem  MaBe,  S.  dagegen  sehr  stark  durch  Erinnerungs- 
bilder  bei  der  Auffassung  beeinflusst  wurde.  Wahrend  also  die  Fehler 
bei  jenen  beiden  Personen  wesentlich  durch  mangelhafte  Wahmeh- 
mung  der  Einzelheiten  bedingt  wurden,  spielten  bei  S.  illusionare 
Vorgange  eine  verhaltnissmaBig  groBe  RoUe,  indem  sie  ihn  zu  will- 
kiirUchen  Wandlungen  und  Erganzungen  des  Wahrgenonunenen  durch 
Wortbilder  verfiihrten. 


III.  Versuche  mit  einsilbigen  Wftrtern. 

Die   ersten   Ergebnisse   der  Versuche   mit   einsilbigen  Wortern 
finden  sich  in  der  Tab.  IX.  zusammengestellt. 


Tabelle  EX. 


Spaltweite 

5  ram 

4  mm 

a 

3  mm 

r 

/ 

a 

r 

/ 

r 

/ 

a 

0. 

756 

45 

39 

701 

4S 

91 

737 

43 

60 

I. 

839 

1 

— 

840 

— 

•— 

836 

3 

1 

A. 

818 

22 

— 

814 

25 

1 

783 

49 

8 

S. 

814 

22 

4 

814 

23 

3 

792 

39 

9 

R. 

788 

49 

3 

782 

56 

2 

727 

93 

20 

B. 

383 

205 

252 

356 

179 

305 

245 

197 

398 

Die  hier  gewonnenen  Werthe  sind  durchweg  nicht  unerheblich 
gunstiger,  als  bei  den  sinnlosen  Silben,  trotzdem  die  Aufgabe  der 


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224 


Ludwig  CroD  iind  Emil  Kraepelin. 


sinnlichen  Auffassung  als  solcher  wegen  der  groBeren  Buchstaben- 
zahl  ohne  Zweifel  schwieriger  war.  Wir  ersehen  aus  diesem  Unter- 
schiede  deutlich  die  groBe  ilolle,  die  beim  Auffassungvorgange 
den  vorhandenen  Wortvorstellungen  znkommen  muss.  Sie  ermog- 
lichen  uns,  das  Wort  auch  dann  noch  mit  ziemlicher  Sicherheit  zu 
errathen,  wenn  der  sinnliche  Eindruck  nur  ein  sehr  fliichtiger  und 
unbestimmter  gewesen  ist  und  wir  daher  die  sinnlose  Silbe  nicht  mehr 
aufzufassen  im  Stande  sind.  Da  wir  wissen,  dass  jeder  Eindruck 
sich  mit  einer  bestimmten  Wortvorstellung  decken  muss,  so  wird 
namentlicb  die  Moglichkeit  des  Verlesens  eingeschrankt;  es  wird 
immer  nur  einige  wenige  Worter  geben,  in  welche  sich  die  jeweils 
erfassten  Bestandtheile  des  dargebotenen  Eindruckes  gerade  hinein- 
passen.  Wir  sehen  daher  auch,  dass  die  Zahl  der  Auslassungen 
hier  verhaltnissmaBig  weniger  abnimmt,  als  diejenige  der  falschen 
Lesungen.  Das  wird  deutlich  aus  der  folgenden  Tabelle,  in  der 
iiberall  das  Verhaltniss  der  Auslassungen  zu  den  Verlesungen  wieder- 
gegeben  ist.  Dabei  sei  es  uns  gestattet,  die  Werthe  flir  je  3  Personen 
zu  einem  Mittel  zusammenzufassen. 


Tabelle  X. 


Auf  eine  Auslass. 
kamen  Verlesungen 

Trommel  C 

Trommel  A 

Gesunde 

3,92      3,09      1,56 

1,77     0,77      1,39 

Kranke 

1,96     0,98     0,85 

1,07      0,83     0,77 

Die  Verlesungen  waren  also  unter  gleichen  Bedingungen  bei  den 
sinnlosen  Silben  ausnahmslos  verhaltnissmaBig  zahlreicher,  als  bei 
den  einsilbigen  Wortem. 

Sehr  auffallend  gestaltete  sich  auch  hier  wiederum  der  Einfluss 
der  Spaltweite.  AUerdings  sank  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen 
mit  der  Verengerung  des  Spaltes  von  5  auf  3  mm  bei  den  Gresunden 
durchschnittlich  nur  auf  97,6,  bei  den  Kranken  auf  88,8  ^.  Wie 
der  Vergleich  mit  Tabelle  IV  lehrt,  ist  diese  Abnahme  nicht  nur 
weit  geringer,  als  diejenige  der  Sichtbarkeitsdauer,  sondem  auch  als 
die  entsprechende  Beeintrachtigung  der  Auffassung  bei  sinnlosen  Silben. 


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Deber  die  Messiing  der  AnfTassungsfUhigkeit.  225 

Wir  befinden  uns  also  bei  den  Versuchen  mit  einsilbigen  Wortem 
noch  hoher  iiber  der  unteren  Auffassungsgrenze  als  dort.  Diese 
Thatsache  erklart  sich  ohne  weiteres  aus  der  machtigen  Hulfe,  die 
hier  durch  die  Wortvorstellungen  gewahrt  wird.  Auch  im  einzelnen 
lasst  sich  unschwer  erkennen,  dass  die  Ergebnisse  sich  von  den  frtiher 
erhaltenen  wesentlich  nur  durch  die  Annaherung  an  die  obere  Grenze 
des  Auf f assungsschwellengebietes  unterscheiden ;  gewisse  Abweichungen 
sollen  spaterhin  Beriicksichtigung  finden. 

Mit  der  Verengerung  des  Spaltes  nimmt  auch  hier  die  Zahl  der 
Auslassungen  starker  zu,  als  diejenige  der  Verlesungen.  Allerdings 
ist  diese  Beziehung  nicht  so  scharf  ausgepragt  wie  bei  Trommel  C, 
weil  eben  die  Erschwerung  der  Auffassung  lange  nicht  so  hohe  Grade 
erreicht  Die  Gesunden  haben  sogar  bei  der  Spaltweite  3  mm  we- 
niger  Auslassungen  geliefert,  als  bei  4  mm,  ein  Zeichen  dafiir,  dass 
hier  zufallige  Einfliisse  noch  im  Stande  sind,  jene  Abhangigkeit  zu 
verwischen.  Das  entgegengesetzte  Verhalten  von  0.  hat  die  geringen 
Ausschlage  der  anderen  beiden  Personen  verdeckt.  Dagegen  zeigt 
die  schlechter  auffassende  Gruppe  der  Kranken  ganz  deutlich  die 
stetige  Verschiebung  zu  Gunsten  der  Auslassungen  mit  Abnahme  der 
Spaltbreite.  Die  Betrachtung  der  einzelnen  Versuchspersonen  zeigt 
uns  wie  friiher  bemerkenswerthe  Unterschiede.  I.  hat  wieder  fast 
vollig  tadellos  aufgefasst.  Dagegen  hat  sich  die  Stellung  von  O.  und 
A.  zu  einander  verschoben;  letzterer  hat  dieses  Mai  mehr  richtige 
Lesungen  geliefert,  als  jener.  Zugleich  sehen  wir  bei  O.  ganz  un- 
verhaltnissmaBig  viele  Auslassungen,  wahrend  die  Fehler  in  weit  ge- 
ringerem  MaBe  iiber  diejenigen  von  A.  iiberwiegen,  bei  3  mm  Spalt- 
breite sogar  hinter  jenen  zurtickbleiben.  Wir  diirfen  daraus  schlieBen, 
dass  fur  O.  das  Lesen  einsilbiger  Worter  nur  unbedeutend  leichter 
war,  als  die  Auffassung  sinnloser  Silben.  Er  wurde  anscheinend 
durch  Wortvorstellungen  bei  der  Erkennung  der  Eindrucke  nur  in 
geringem  Grade  unterstiitzt.  Umgekehrt  ist  die  Verbesserung  der 
Leistung  bei  A.  eine  sehr  augenf  allige ;  die  Auslassungen  haben  viel- 
leicht  noch  etwas  starker  abgenommen,  als  die  Fehler.  Bei  ihm  wird 
also  die  sinnliche  Wahmehmung  sehr  bedeutend  durch  Associations- 
hiilfen  unterstiitzt.  Das  ist  liinsichtlich  beider  Personen  genau  das 
gleiche  Ergebniss,  zu  dem  uns  die  Betrachtung  der  ersten  Versuchs- 
reihe  gefiihrt  hatte. 


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226  Ludwig  Gron  iind  Cmil  Kraepelin. 

Aus  der  Gruppe  der  Kranken  fallt  S.  voUkommen  in  den  Bereich 
der  gesunden  Personen.  Er  liefert  verhaltnissmaBig  viel  richtige  Le- 
sungen;  die  Zahl  der  Fehler  und  besonders  der  Auslassungen  ist 
weit  geringer,  als  bei  0.  Auch  bei  ihm  ist  demnach  die  Verbes- 
serung  der  Leistung  gegeniiber  den  friiher  besprochenen  Versuchen 
eine  sehr  bedeutende,  ein  Zeichen  dafiir,  dass  S.  ebenfalls  bei  der 
Auffassung  in  hohem  MaBe  durch  Erinnerungsbilder  unterstutzt 
wurde.  Eine  wesentliche  Zunahme  der  richtigen  Lesnngen  zeigt  femer 
auch  R.,  namentlich  bei  engerem  Spalte.  Trotz  seiner  sonst  schlechten 
Auff assungsfahigkeit  wurde  demnach  auch  er  durch  Wortvorstellungen 
mehr  gefordert,  als  O.  Dem  entsprechend  beging  er  zwar  viel  we- 
niger  Auslassungen,  aber  dafiir  mehr  Fehler,  als  jener.  Sehr  deut- 
Uch  endlich  lasst  sich  auch  bei  B.  die  Verbesserung  der  Leistung 
durch  Associationshulfen  verfolgen.  Dass  an  sich  die  Auffassung 
nicht  weniger  gestort  war,  als  bei  den  Versuchen  mit  sinnlosen  Silben, 
geht  aus  der  nahezu  gleichen  Zahl  von  Auslassungen  hervor.  Da- 
gegen  hat  sich  iiberall  das  Verhaltniss  der  richtigen  und  falschen 
Lesungen  zu  Gunsten  jener  ersten  verschoben.  Wahrend  frtiher  an 
den  undeutUch  erfassten  Eindriicken  planlos  herumgerathen  wurde, 
gaben  nunmehr  Wortvorstellungen  in  einer  groBen  Anzahl  von  Fallen 
den  richtigen  Fingerzeig.  Entsprechend  der  verschiedengradigen  Be- 
einflussung  der  einzelnen  Personen  durch  Erinnerungsbilder  hat  sich 
die  Ordnung  derselben  nach  ihrer  Auffassungsfahigkeit  hier  gegen- 
iiber den  friiheren  Versuchen  etwas  verschoben.  Wir  erhalten  fiir  5  mm 
Spaltweite  die  Reihe  I.,  A.,  S.,  R,  O.,  B.  Die  Aenderung  ist  nament- 
Uch  dadurch  bedingt,  dass  A.  besonders  stark,  0.  dagegen  auffallend 
wenig  durch  Associationshiilfen  imterstiitzt  wird.  Die  iibrigen  Per- 
sonen haben  ihre  gegenseitige  Stellung  beibehalten. 

Die  TJntersuchung  der  Fehler  geschah  nach  denselben  Grund- 
satzen  wie  bei  den  sinnlosen  Silben.  Die  Tab.  XI  lehrt  uns  zunachst 
die  Zahl  der  Buchstaben  kennen,  die  in  je  einem  Wort  verlesen 
wurden. 


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Ueber  die  Messung  der  AuffassaDgsflhigkeit. 
Tabelle  XI. 


227 


Es  wurden  verlesen  bei 

5  nun 

4mm 

3  mm 

Buchstaben 

12     3    4    5     6 

12    3    4    5 

12    3    4    5 

0. 

18  20     5     2  

20  15    9    2     1 

18  17     6     1     1 

I. 

1 

3  ■ 

•  A. 

13    7     2 

12  12     2  —    1 

26  17     5     1  — 

S. 

13     6    2  —     1  — 

16    3  —    3  — 

26  10     1     1  — 

R- 

26  19    4  

25  18  11     3  — 

45  32  15     3  — 

B. 

67  66  52  17     2     1   j  60  57  39  18    5 

50  60  56  24    6 

Die  Zahl  der  einfachen  Fehler  ist  auch  hier  fast  ausnahmslos 
am  groBten;  allerdings  stehen  die  Doppelfehler  ihnen  mehrfach  sehr 
nahe,  anders  als  bei  den  sinnlosen  Silben.  Der  Grund  dafiir  mag 
einmal  in  der  groBeren  Anzahl  der  Buchstaben  uberhaupt,  dann  aber 
in  der  haufigeren  Verfiihrung  zu  mehrfachen  Verlesungen  liegen,  wie 
sie  durch  den  Einfluss  von  Vorstellungen  bewirkt  wurde.  Zweimal, 
bei  O.,  5  mm,  und  bei  B.,  3  mm,  waren  sogar  die  Doppelverlesungen 
haufiger,  als  die  einfachen.  Auch  3-  und  4  f ache  Fehler  sind  nichts 
weniger  als  selten.  Im  ganzen  diirfen  wir  vielleicht  gerade  die  viel- 
fachen  Verlesungen  als  einen  MaBstab  fur  die  Unvollkommenheit  der 
Auffassung  betrachten,  da  sie  auf  eine  geringere  Deutlichkeit  des 
sinnlichen  Eindruckes  hinweisen.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  wurde 
I.  wieder  zweifellos  am  besten  auffassen.  Nach  ihm  kamen  ziemlich 
in  gleicher  Linie  S.  und  R.,  dann  0.,  femer  R  und  zuletzt  B. 
Bei  den  entsprechenden ,  leider  unvoUstandigen  Versuchen  mit  sinn- 
losen Silben  waren  die  mehrfachen  Fehler  bei  S.  haufiger  als  bei  O. 
und  bei  diesem  zahlreicher  als  bei  R.  Ebenso  stimmt  die  hier  ge- 
wonnene  Reihe  mit  der  Ordnung  der  Personen  nach  der  Zahl  richtig 
erkannter  sinnloser  Silben  fast  ganz  iiberein;  nur  hatte  damals  A., 
der  hier  durch  Vorstellungen  besonders  stark  unterstiitzt  wird,  eine 
ungtinstigere  Stellung.  Andererseits  steht  die  Neigung  zu  mehr- 
fachen Verlesungen  auch  ziemlich  genau  im  umgekehrten  Verhalt- 
nisse  zu  der  Auffassungsfahigkeit  fiir  einsilbige  Worter,   doch  bleibt 


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228 


Liidwig  Gron  tmd  Einil  Kraepeliii. 


hier  0.  ein  wenig  hinter  R.  zuriick,  vielleicht  deshalb,  weil  ihm  trotz 
besserer  Auffassungsfahigkeit  weniger  die  Hiilf e  von  Wortvorstellungen 
zu  Gebote  steht.  Die  Verengerung  des  Spaltes  hat  bei  A.  und  S.  eine 
geringe  Zunahme  der  einf achen  wie  der  mehrfachen  Fehler  zur  Folge, 
wahrend  R.  bei  3  mm  eine  deutliche  Vermehrung  aller  Fehler  er- 
kennen  lasst  und  B.  mit  seinen  zahlreichen  Verlesungen  wenigstens 
ein  Anwachsen  der  vielfachen  Fehler  zeigt. 

Die  Ordnung  der  verlesenen  Buchstaben   geht  aus  Tab.  XII 
hervor. 

Tabelle  XH. 


Verlesen  wurde  bei 

5  ram 

4  mm 

3  mm 

der  Buchstabe 

12     3    4    5 

6 

12    3    4    5    6 

12    3    4    5    6 

0. 

15  17  13  19  15 

2 

18  22  18  20  10    2 

11  18  20  17  11     2 

I. 

1 

2     1 

A. 

4     7     7     9     5 

1 

6  11  11  14    4     1 

15  19  15  22    8  — 

S. 
R. 

11     6     5  10    3 

1 

14    8    5     4    3  — 

18  11  11  12     1  — 

13  15  14  20  12 

2 

15  22  20  26  22     1 

35  30  43  39  18     1 

B. 

64  93  113  114  53 

2 

60  94  94  89  47     4 

769  7  125  12142  — 

Wir  ersehen  aus  diesen  Zahlen  zunachst,  dass  fast  iiberall  der 
erste  Buchstabe  des  Wortes  verhaltnissmaBig  gut  erkannt  worden 
ist.  Diese  Thatsache  steht  im  Widerspruche  mit  unseren  Erfah- 
rungen  bei  den  sinnlosen  Silben,  bei  denen  gerade  der  erste  Buch- 
stabe weitaus  am  schlechtesten  aufgefasst  wurde.  Allein  der  Wider- 
spruch  erklart  sich  leicht  dadurch,  dass  hier  der  erste  Buchstabe 
groB  gedruckt  war  und  deswegen  naturgemaB  die  Aufmerksamkeit 
mehr  auf  sich  ziehen  musste.  Durch  diesen  Umstand  ist  demnach 
die  an  sich  ungiinstige  Stellung  des  Anfangsbuchstaben  mehr  als 
ausgeglichen  worden.  Die  Auffassung  der  weiteren  Buchstaben  scheint 
nicht  iiberall  in  derselben  Weise  erfolgt  zu  sein.  Leider  konnen  wir 
bei  dieser  Betrachtung  nur  die  ersten  4  Buchstaben  beriicksichtigen, 
da  5  Buchstaben  nur  bei  41,4  )K^,  6  sogar  nur  bei  dfi  ^  der  Worter 
▼orhanden  waren.    Hochstens  kann  man  ungefahr  schatzen,  wie  viele 


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Ueber  die  Messmif;  der  Auffassungsffthigkeit.  229 

Eehler  an  diesen  Stellen  begangen  sein  wurden,  wenn  alle  Worter 
die  gleiche  Lange  gehabt  batten.  Die  Betrachtung  ergiebt  zunachst, 
das  0.  5  mm  und  4  mm  sowie  A.  3  mm  eine  gewisse  Uebereinstimmung 
darbieten.  Hier  wurde  namlich  auBer  dem  ersten  regelmaBig  auch 
der  dritte,  wemi  auch  in  geringerem  Grrade,  bei  der  Auffassung  be- 
vorzugt,  wahrend  der  zweite  und  vierte  Buchstabe  am  schlechtesten 
aufgefasst  wurden.  Der  fiinfte  Buchstabe  scheint,  wenn  wir  die  Hau- 
figkeitsverhaltnisse  beriicksichtigen,  zum  mindesten  nicht  besser  er- 
kannt  worden  zu  sein.  A.,  5  und  4  mm  zeigt  nur  die  giinstige 
Stellung  des  ersten  und  die  ungUnstige  des  vierten  Buchstaben, 
wahrend  der  Unterschied  zwischen  zweitem  und  drittem  Buchstaben 
verwischt  ist.  Bei  O.  3  mm  ist  die  Bevorzugung  des  ersten  Buchstaben 
sehr  auffallend;  dagegen  wurde  der  dritte  am  schlechtesten  erkannt. 
Will  man  aus  den  Versuchen  L's  etwas  schlieBen,  so  ware  bei  ihm 
die  Auffassung  des  ersten  Buchstaben  nicht  erleichtert,  sondem  eher 
erschwert  gewesen.  Bei  R.,  5  und  4  mm  findet  sich  wieder  die  oben 
besprochene  Verringerung  der  Fehler  beim  dritten  sowie  die  Stei- 
gerung  derselben  beim  zweiten  und  ganz  besonders  beim  vierten 
Buchstaben;  bei  3  mm  sind  im  Gegentheil  die  Buchstaben  1  und  3 
ungiinstig,  2  imd  4  dagegen  gunstig  gestellt.  B.  bietet  in  ausge- 
pragtester  Weise  die  Bevorzugung  des  ersten  Buchstaben  dar;  von 
da  ab  wird  die  Auffassung  mit  jeder  Stelle  schlechter,  wenn  man 
nicht  etwa  aus  den  Zahlen  eine  gelegentliche  geringfugige  Bevor- 
zugung des  vierten  Buchstabens  herauslesen  will.  Ein  wesentlich  an- 
deres  Bild  endlich  bietet  S.  dar.  Von  ihm  wird  der  erste  Buchstabe 
durchweg  am  schlechtesten  erkannt.  Besser  geht  es  mit  dem  zweiten 
und  namentlich  mit  dem  dritten ;  der  vierte  wurde  in  zwei  Versuchs- 
reihen  wieder  schlechter,  in  einer  dagegen  am  besten  aufgefasst. 

So  sehr  man  erstaunt  sein  wird  uber  diese  groBen  Verschieden- 
heiten,  so  wenig  kann  man  doch  dariiber  im  Zweifel  sein,  dass  hier 
ganz  bestimmte  Ursachen  im  Spiele  sein  miissen.  Auf  den  Einfluss 
des  groBen  Anfangsbuchstaben  haben  wir  bereits  hingewiesen.  Der- 
selbe  hat  aber  bei  S.  und  vielleicht  auch  bei  I.  nicht  hingereicht,  um 
die  natiirUche  Neigung  zu  ungenauer  Auffassung  des  ersten  Buch- 
staben zu  uberwinden,  wie  sie  uns  bei  den  sinnlosen  Silben  entgegen- 
getreten  ist.  S.  hat  dort  wie  hier  seine  Aufmerksamkeit  einfach 
aof  die  Mittelglieder  des  dargebotenen  Eindruckes  gerichtet  und 


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230  Ludwig  Gron  and  Emil  Kraepelin. 

deswegen  den  Anf  ang,  meist  auch  das  Ende  des  Wortes  weniger  gut 
erfasst.  Andererseits  scheint  die  Beyorzugung  des  ersten  Buchstaben 
regelmaBig  eine  undeutlichere  Auffassung  der  nachsten  Glieder  zu 
bedingen.  Die  Aufmerksamkeit  haftet  so  lange  an  dem  groBen  An- 
fangsbuchstaben,  dass  die  nachsten  Glieder  inzwischen  vorbeigleiten 
und  nicht  mehr  mit  der  nothigen  MuBe  betrachtet  werden  konnen. 
Das  wird  naturlich  dann  am  leichtesten  geschehen,  wenn  die  Auf- 
fassung uberhaupt  erschwert  oder  die  Spaltzeit  sehr  kurz  ist.  Wir 
finden  daher  dieses  Verhalten  namentlich  bei  B.,  aber  auch  bei  0. 
3  mm.  Indessen  wir  wissen  aus  Cattell's  Versuchen,  dass  wir  nicht 
bloB  einzebie  Buchstaben,  sondem  kleine  Gruppen  derselben  einheit- 
lich  aufzufassen  im  Stande  sind.  Wenn  wir  daher  auch  unsere  Auf- 
merksamkeit zunachst  dem  Anfangsbuchstaben  zuwenden,  so  werden 
wir  gleichzeitig  doch  immer  noch  einige  andere  Glieder  des  Wortes 
mit  erkennen.  In  der  That  sprechen  eine  Reihe  von  Erfahrungen 
aus  der  Tabelle  XJT  dafiir,  dass  vielfach  die  Neigung  zu  einer  be- 
stimmten  Gruppirung  der  Eindriicke,  zum  Einhalten  eines  bestimmten 
Auffassungsrhythmus  besteht.  Wir  haben  darauf  hingewiesen, 
dass  sehr  haufig  auBer  dem  ersten  der  dritte  Buchstabe  bevorzugt 
wird,  wahrend  der  zweite  und  vierte  schlechter  erkannt  werden.  Diese 
Thatsache  dlirfte  dahin  zu  deuten  sein,  dass  die  Aufmerksamkeit 
unter  den  gegebenen  Bedingungen  nicht  gleichmaBig  von  Buchstaben 
zu  Buchstaben,  sondem  von  Wortabschnitt  zu  Wortabschnitt  wandert 
Bei  dieser  Zerlegung  des  zusammengesetzten  Eindrucks  in  Buch- 
stabengruppen  werden  nicht  alle  Bestandtheile  gleichmaBig  beleuchtet, 
sondem  es  scheinen  einzelne  Glieder  heller  beleuchtet  zu  werden, 
wahrend  andere,  dazwischen  liegende,  gewissermaBen  mehr  im  Schatten 
bleiben.  Wie  wir  etwa  bei  einem  MaBstabe  die  Haupttheilstriche  so- 
fort  auffassen,  wahrend  uns  die  Zwischentheilung  undeutlich  bleibt, 
so  diirften  wenigstens  einige  unserer  Versuchspersonen  nur  in  gewissen 
Abstanden  die  Buchstaben  scharf  erfasst,  die  dazwischen  liegenden 
aber  mehr  oder  weniger  vemachlassigt  haben.  In  der  Kegel  war 
dieser  Rhythmus  ein  zweitheiliger,  so  bei  0.,  A.  und  R  Vielleicht 
haben  wir  bei  B.  und  bei  0.  3  mm  auch  Andeutungen  einer  drei- 
theiligen  Gruppirung  vor  uns.  Eine  nahere  Beziehung  aller  dieser 
Erfahrungen  zu  der  besonderen  Zusammensetzung  der  benutzten 
Worter   lieB  sich  nicht   feststellen,  ist  auch  schon  deswegen  nicht 


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Ueber  die  MessoDg  der  AafTassnogsflhigkeit.  231 

gerade  wahrscheinlich,  weil  ja  bei  alien  Personen  und  Versuchen  die- 
selben  Worter  gelesen  wurden,  die  Ergebnisse  aber  trotzdem  so  weit 
von  einander  abwichen. 

Zum  Schlusse  dieser  Erorterungen  miissen  wir  noch  darauf  hin- 
weisen,  dass  im  ganzen  die  Neigung  bestand,  die  letzten  Buchstaben 
schlechter  zu  lesen,  als  die  friiheren,  ahnlich  wie  wir  auch  bei  den 
sinnlosen  Silben  die  Fehler  beim  dritten  Buchstaben  wieder  zunehmen 
sahen.  Die  fiinften  Buchstaben  wurden,  wie  sich  ungefahr  libersehen 
lasst,  bei  gleicher  Haufigkeit  eine  verhaltnissmaBig  recht  groBe  Zahl 
von  Fehlem  geUefert  haben.  Auch  der  vierte  Buchstabe  wurde  auf- 
fallend  haufig  schlecht  aufgefasst.  Das  wiirde  darauf  hindeuten,  dass 
auBer  der  Bevorzugung  des  Anfangsbuchstaben  und  auBer  der  Nei- 
gung zu  rhythmischer  GUederung  noch  eine  wachsende  Schwierigkeit 
bei  der  Auff assung  der  spateren  Buchstaben  bestand.  Dieselbe  wiirde 
sich  sehr  einfach  aus  dem  tJmstande  erklaren,  dass  wir  uns  bei  diesen 
Versuchen  iiberall  im  Bereiche  der  Auffassungsschwelle  bewegten. 
Die  gegebene  Zeit  reichte  zumeist  fUr  eine  vollkommene  Auffassung 
aller  Einzelheiten  nicht  aus;  es  wiirde  daher  natiirUch  erscheinen, 
wenn  die  letzten  Glieder  der  dargebotenen  Eindriicke  unter  dieser 
absichtlich  erzeugten  Ungunst  der  Versuchsbedingungen  am  meisten  zu 
leiden  batten. 

Suchen  wir  uns  nunmehr  iiber  die  Art  der  einzelnen  Verlesungen 
Rechenschaft  zu  geben,  so  wird  es  zunachst  von  Bedeutung  sein,  zu 
priifen,  wie  viele  derselben  sinnlos  waren.  Wir  erwarten  von  dieser 
Feststellung  einen  gewissen  Aufschluss  iiber  die  Starke  des  Einflusses, 
den  Wortvorstellungen  auf  das  Zustandekommen  von  Fehlem  aus- 
iibten.  Je  geringer  verhaltnissmaBig  die  Zahl  von  sinnlosen  Ver- 
lesungen war,  desto  starker  muss  jener  Einfluss  gewesen  sein  und 
umgekehrt.  Allerdings  ist  es  nicht  inuner  leicht,  zu  entscheiden,  ob 
eine  Verlesung  als  unsinnig  anzusehen  ist  oder  nicht.  Die  MogUch- 
keit  des  Hineinspielens  von  mundartlichen  Ausdriicken,  personlichen 
EJrinnerungen,  Eigennamen  und  richtigen  oder  falschen  Anklangen 
an  fremde  Sprachen  kann  die  Entscheidung  sehr  erschweren.  Die 
Lesungen  Trenk  statt  Tracht,  Wang  statt  Zwang,  Ut  statt  Krug, 
Kren  statt  Kreuz,  Lund  statt  Land,  SpeiB  statt  SpieB  konnen  je 
nach  dem  Vorstellungsschatze  und  dem  Bildungsgrade  der  Versuchs- 
person  sinnvoUe  oder  unsinnige  Verlesungen  sein.     Es  ware   daher 


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232 


Liidwig  Gron  nnd  Emit  Kr&epelin. 


geboten,  unmittelbar  nach  dem  Versuche  durcli  die  Personen  selber 
angeben  zu  lassen,  was  von  ihnen  als  sinnlos  betrachtet  wird.  Leider 
ist  das  bei  unseren  Versuchen  versaumt  worden,  weil  diese  Schwierig- 
keit  nicht  vorausgesehen  wurde.  Die  Entscheidung,  die  immerhin 
doch  nur  in  einer  kleineren  Zahl  von  Beispielen  zweifelhaft  war, 
musste  daher  mit  einer  gewissen  Willkiir  nach  der  allgemeinen  Kennt- 
niss  getroffen  werden,  die  wir  von  den  betreffenden  Personen  batten. 
Einen  Ueberblick  liber  das  Verhalten  der  sinnlosen  Verlesungen  giebt 
die  folgende  Tabelle. 

Tabelle  XTTT. 


0. 
135 

I. 
4 

A. 

S. 

R. 

B. 

Verlesungen  tLberhaupt 

98 

82 

201 

64 

567 

Darunter  sinnlos 

8 

— 

22 

21 

109 

% 

5,9 

— 

22,4 

25,6 

31,8 

19,2 

Diese  Zahlen  sind  auf  den  ersten  Blick  vollig  iiberraschend. 
Nach  unseren  bisherigen  Betrachtungen  batten  wir  bestimmt  erwarten 
sollen,  dass  gerade  O.,  bei  dem  sich  Uberall  eine  sehr  geringgradige 
Beeinflussung  der  Wahmehmung  durch  Vorstellungen  herausgestellt 
hatte,  die  groBte  Zahl  von  sinnlosen  Verlesungen  Uefem  wiirde. 
Etwas  weniger  batten  wir  beiR,  erheblich  weniger  aber  bei  A.  und 
S.  erwarten  sollen,  entsprechend  ihrer  groBeren  Neigung,  sich  beim 
Lesen  von  Wortvorstellungen  leiten  zu  lassen.  Wenn  man  will,  wiirde 
sich  das  Verhalten  der  letzten  vier  Versuchspersonen  imgefahr  mit 
den  friiher  gewonnenen  Ergebnissen  in  Einklang  bringen  lassen;  R. 
las  weit  xmbekiimmerter  um  den  Sinn  der  Worter,  als  S.,  A.  und  B. 
Dagegen  erscheint  die  geringe  Zahl  sinnloser  Verlesimgen  bei  O.  mit 
unseren  bisherigen  Erfahrungen  vorerst  imvereinbar.  Einen  Schlussel 
zur  Losung  dieses  Widerspruches  werden  wir  spaterhin,  bei  der  Be- 
trachtimg  der  personlichen  Eigenthiimlichkeiten  des  Auffassungsvor- 
ganges,  aufzufinden  suchen. 

Bei  der  Durchsicht  der  Verlesungen  stellt  sich  heraus,  dass  nicht 
selten  dieselben  Fehler  wiederkehren,  nicht  nur  bei  denselben, 
sondem  auch  bei  verschiedenen  Wortem.    Beide  Falle  sind  natlirUch 


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Ueber  die  Messung  der  AufTassuugsflihigkeit.  233 

wesentlich  verschieden  zu  beurtheilen.  Im  ersteren  Falle  haben  wir 
es  mit  der  Befestigung  eines  einmal  begangenen  Fehlers  zu  thun. 
Wie  wir  einen  Druckfehler  auch  bei  wiederholtem  Lesen  ubersehen, 
uns  an  derselben  Stelle  mehrmals  in  gleicher  Weise  verrechnen 
konnen,  so  kann  sich  auch  eine  Verlesung  so  befestigen,  dass  sie  bei 
Wiederkehr  des  Wortes  nicht  mehr  verbessert  wird.  Das  wird  na- 
mentUch  leicht  bei  fluchtigem  Lesen,  vorwiegender  Beriicksichtdgung 
des  Gesammteindruckes  und  starker  Beeinflussung  durch  Vorstellungen 
geschehen.  Wo  aber  die  gleiche  Verlesung  bei  ganz  verschiedenen 
Reizworten  wiederkehrt,  da  miissen  wir  annehmen,  dass  gerade  diese 
Vorstellung  eine  gewisse  Macht  gewonnen  hat  und  sich  deshalb 
immer  von  neuem  aufdrangt,  unsere  Wahmehmung  beeinflussend. 
Diese  Macht  kann  sie  z.  B.  durch  Gemiithsbewegungen  gewinnen, 
die  unsere  Gedanken  in  eine  bestimmte  Bichtung  zwingen,  bei  unseren 
Versuchen  wohl  meist  durch  haufige  Anregung  von  auBen  oder  von 
innen.  Bei  den  Associationsversuchen  hat  man  nicht  selten  Gelegen- 
heit,  das  Vorherrschen  bestimmter  Vorstellungen  zu  beobachten; 
Aschaffenburg^)  hat  einzelne  sehi'  auff allende Beispiele  dafiir  mit- 
getheilt.  Wie  dort  die  Verbindung  der  Vorstellungen,  so  kann  hier 
das  Lesen  durch  sie  einseitig  bestimmt  werden.  Es  ist  dabei  viel- 
leicht  gar  nicht  einmal  nothig,  dass  es  zu  einer  wirklichen  Verfal- 
schung  der  Auffassung  kommt.  Vielmehr  diirfte  es  sich  ofter  um 
eine  besondere  Bereitschaft  gewisser  Sprachvorstellungen  han- 
deln,  die  sofort  zur  AeuBerung  drangen,  auch  wenn  der  Eindruck 
selber  gar  nicht  oder  doch  nicht  deutlich  dem  Wortbilde  entsprach. 
Griinde,  welche  fur  diese  Moglichkeit  sprechen,  werden  wir  spater 
kennen  lemen. 

Ueber  die  Zahl  und  Art  der  einmaligen  und  wiederholten  Ver- 
lesungen  giebt  die  Tabelle  XIV  Auskunft. 


1)  Diese  Arbeiten.  U.  S.  19. 


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234 


Lodwig  Croo  and  Cnil  KnepeliD. 
Tabelle  XIV. 


0. 

I. 

A. 

Es  kamen  vor  Verlesungen  Qberhaupt 

135 

4 

98 

Davon  einmal 

66  (48,9  o/o) 
69  (51,1  o/o) 
24  (17,8  o/o) 

4  (100,0  0/0) 

77  (78,6  0/,) 

Mehrfach 

— 

21  (21,4  0/,) 

>         bei  denselben  Worten 

11  (11,20/0) 

>         bei  verschiedenen  Worten 

51  (37,8  o/o) 

— 

11  (11,2  0/,) 

Verschiedene  Verlegungen 

92  (68,2  o/o) 

4  (100,00/0) 

86  (87,80/,) 

S. 

R. 

201 

B. 

Es  kamen  vor  Verleiungen  Qberhaupt 

82 

572 

Davon  einmal 

57  (69,5  o/o) 

126(62,7  0/,) 

194(33,90/,) 

Mehrfach 

25  (30,5  o/o) 

75  (37,3  0/0) 
52(25,90/,) 

378  (66,1  0/,) 

>         bei  denselben  Worten 

18  (22,0  o/o) 

121  (21,20/,) 

»        bei  verschiedenen  Worten 

7  (8,50/0) 

28  (13,9  0/0) 
158  (78,6  0/0) 

299(52,30/,) 

Verschiedene  Verlesungen 

69  (84,1  0/0) 

311  (54,40/,) 

Aus  diesen  Zahlen  ersehen  wir  zunachst,  dass  die  Unterschiede 
in  dem  Haufigkeitsverhaltnisse  der  Verlesungen  bei  den  einzelnen 
Beobachtem  recht  bedeutende  sind.  Namentlich  die  in  den  Klammem 
Uberall  hinzugesetzten  Procentbeziehungen  zu  der  Q^sammtzahl  der 
vorgekommenen  Verlesungen  lehren  uns  deutlich,  dass  bei  manchen 
Personen  eine  ausgesprochene  Neigung  zur  Wiederkehr  derselben 
Verlesungen  besteht,  wahrend  andere  immer  neue  Fehler  begehen. 
Am  sttlrksten  zeigt  jene  Neigung  B.,  dann  0.,  am  wenigsten  A.  und, 
so  weit  die  sparlichen  Fehler  ein  Urtheil  daruber  zulassen,  L,  wah- 
rend R  und  S.  eine  mittlere  Stellung  einnehmen.  Die  gleiche  Reihen- 
folge  ergiebt  sich  hinsichtlich  der  Zahl  der  bei  jeder  Person  vor- 
gekommenen verschiedenen  Verlesungen,  die  ja  wesentlich  durch  die 
groBere  oder  geringere  Neigung  zu  Wiederholungen  bestimmt  wird. 
Wiederholungen  bei  denselben  Wortem,  die  wir  der  Kiirze  wegen  als 
^stehende    Wiederholungen «    bezeichnen    woUen ,    waren    bei    den 


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Ueber  die  Messuog  der  AafTassimgsOliigkeit.  235 

E[ranken  durchweg  haufiger,  als  bei  den  Gesunden;  namentlich  R. 
erreicht  emen  sehr  hohen  Procentsatz.  Wir  sind  nicht  ohne  weiteres 
im  Stande,  aus  diesen  Zahlen  eindeutige  Schliisse  zu  Ziehen.  An 
sich  konnten  die  hoheren  Werthe  etwa  eine  groBere  Gedachtaiss- 
festi^eit  bedeuten,  wdche  die  einmal  geschlossene  Verbindung  von 
Schriftreiz  und  fehlerhafter  Lesung  bei  jedem  neuen  Yersuche  mit 
besonderer  Lebhaftigkeit  wieder  auftauchen  lieBe.  Andererseits  aber 
kann  jener  Erscheinung,  wie  schon  angedeutet,  eine  Ungenanigkeit  der 
Wahmehmung  zu  Grande  liegen,  die  eine  Erganzung  durdi  friihere, 
richtige  oder  falsche  Lesungen  begtinstigt  und  die  Aufdeckung  von 
Fdblern  erschweri  Gegen  die  erstere  Deutung  spricht  der  Umstand, 
dass  die  in  Betraoht  kommenden  Personen  sich  sonst  nicht  durch 
eine  besondere  Uebungsfahigkeit  auszeichnen;  eher  ist  das  G^gentheil 
der  Fall,  wie  wir  spater  sehen  werden,  wenigstens  bei  R  Zudem 
wissen  wir  aus  den  Yersuchen  mit  sinnlosen  Silben,  dass  B.  und  be^ 
sonders  B.  sehr  schlecht  auffassen,  und  dass  sich  S.  in  hohem  Grade 
durch  Erinnerungsbilder  beeinflussen  und  zu  Fehlera  verfiihren  lasst. 
Wahrscheinlich  durfte  also  hier  Ungenanigkeit  der  Auffassung  und 
Neigung  zur  Beimischung  von  eigenen  gewohnheitsmaBigen  Zuthaten 
die  richtige  Erklarung  abgeben.  Auffallend  erscheint  die  niedrige  Zahl 
wiederkehrender  Fehler  bei  A.,  nachdem  wir  auch  bei  ihm  frtiher  eine 
groBe  Beeinflussbarkeit  durch  Wortvorstellungen  kennen  gelernt  haben. 
Wie  es  scheint,  hat  er  hier  weder  die  Neigung,  dieselben  Yerlesungen 
zu  wiederholen,  noch  sich  durch  ganz  bestimmte  Yorstellungen  be- 
herrschen  zu  lassen.  Allein  die  friiheren  Fehler  wurden  bei  ihm 
nicht  einfach  berichtigt,  sondern  haufig  von  anderen  abgelost.  Man 
wird  dadurch  auf  die  Yermuthung  gefuhrt,  dass  seine  Yorstellungen 
fltichtiger  und  beweglicher  waren  und  deswegen  weniger  giinstige  Be- 
dingungen  fiir  die  haufigere  Wiederkehr  derselben  Fehler  darboten. 
Die  geringste  Neigung  zum  Wiederholen  derselben  Yerlesungen 
bei  verschiedenen  Reizen,  die  >zer8treute  Wiederholungen«  genannt 
wa*den  sollen,  zeigen  neben  I.  S.,  A.  und  R. ;  0.  dagegen  und  beson- 
ders  B.  brachten  sie  sehr  haufig  vor.  Es  ist  klar,  dass  diese  Yer- 
lesungen weit  weniger  durch  theilweise  Uebereinstimmung  mit  dem 
wirklichen  Eindracke,  als  durch  beliebig  auftauchende,  haufig  wieder- 
kehrende  Yorstellungen  hervorgerufen  worden  sind*  In  der  That, 
wenn  Heft  gelesen  wird  fiir  Kost,  Heil,  Geist  —  Stadt  fiir  Sold,  Stolz, 

Kraepelia,  Psycholog.  Arbeiten.  II.  \Q 


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236 


Lkidwig  Cron  tmd  Emil  Kraepelin. 


Druck,  Stift,  Saar,  Staat,  Staub,  Wohl,  Stem,  so  scheint  wenigstens 
fiir  einige  dieser  Fehler  die  Ankniipfung  an  das  Gesichtsbild  voll- 
stSndig  zvL  fehlen.  Ebenso  steht  es  mit  den  Verlesungen  Brust  — 
Grab,  Vieh  —  Pest,  Vieh  —  Menge,  Kind  —  Brot,  Erug  —  Band, 
Eunst  —  RecHt,  Sohn  —  Meisch,  Geist  —  Hund,  Wuth  —  Milch, 
Stuhl  —  Wand  u.  s.  f.  Bei  anderen  Beispielen,  etwa  bei  Mord  fiir 
Meer,  Mond,  Mund,  Nord  oder  Werth  fiir  Wien,  Werft,  Wolf, 
Wuth,  Wahn  ist  der  Zusammenhang  deutlicher.  Offenbar  wird  diese 
Art  von  Verlesungen  begunstigt  durch  eine  Erschwerung  der  Auf- 
fassung,  wie  sie  namentlich  bei  B.  vorhanden  ist.  AuBerdem  miissen 
aber  noch  bestimmte  Yorstellungen  besonders  leicht  anregbar  sein  und 
auch  dann  auftauchen,  wenn  die  Uebereinstimmung  mit  dem  sinn- 
lichen  Eindrucke  nur  eine  sehr  entfemte  war  oder  sogar  ganz  fehlte. 
Einen  naheren  Einblick  in  diese  YerhS^ltnisse  gestattet  vielleicht  die 
folgende  Zusammenstellung,  in  der  angegeben  wurde,  wie  h^ufig  die- 
selben  Verlesungen  beobachtet  wurden. 


Tab 

elle 

XV. 

Stehende  Wiederholungen 
kamen  vor 

0. 

2mal 

3mal 

4mal 

5  mal 

6  mal 

7mal 

8mal 

Omal 

7 

2 

i 

— 

— 

— 

A. 

4 

1 

— 

J7L 

— 

— 

_"". 

"" 

— 

S. 

9 

2 

— 

1 

— 

R. 

16 

2 

— 

1 
1 

B. 

30 

12 

5 

1 

— • 

Zerstreute  Wiederholungen 



15 

4 

0. 

A. 

7 

— 

— 

— 

— 

-: 

1 

— 

6 

— 

— 

S. 

1 

2  ;  I 

10 

— 

— 

— 

R. 

15 

— 

— 

— 

— 

1 

B. 

62 

26 

3 

— 

— 

Hier  zeigt  ^  sich,  dass  bei  denselben  Wortem  besonders  B.  und 
R.,    aber  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  0.,  die  Neigung  zur 


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Ueber  die  Messan^  der  Aaffassangsfthlgkeit.  237 

Wiederholung  der  gleichen  Vefrlesungen,  ein  gewisses  Beharrungsver- 
mogen  darboten,  wahrend  A.  und  S.  ihre  Fehler  weniger  haufig  wieder- 
holten.  Durch  diese  Betrachtang  wird  demnach,  anders  als  durch 
die  Zahlen  der  Tabelle  XIV,  A.  und  S.  einander  naher  geruckt;  eine 
zweite  Gruppe,  der  sich  0.  annahert,  bilden  R.  und  B.  Diese  Ord- 
nung  entspricht  ganz  derjenigen,  die  sich  uns  friiher  hinsichtlich  der 
Zahl  verschiedener  Verlesungen  ergab,  ebenso  der  Haufigkeit  nur 
einmal  begangener  Fehler.  Bei  verschiedenen  Wortem  wiesen  A.,  S. 
und  R.  nur  vereinzelte  iibereinstimmende  Verlesungen  auf ;  auch  hier 
zeigen  sie  sich  nicht  von  bestimmten  Vorstellungen  dauemd  beein- 
flussi  R  bringt  zwar  ofters  dieselben  Verlesungen  vor,  aber  jede 
einzdne  nicht  mehr  als  zweimal;  bei  ihm  genligt  daher  wohl  die 
Erklarung,  dass  er  ungenau  auffasste  und  dadurch  gelegentlich  zur 
Wiederkehr  der  gleichen  Fehler  verfiihrt  wurde.  Dagegen  sehen  wir 
bei  B.  ganz  deutlich  bestimmte  Vorstellungen  immer  wiederkehren, 
auch  wo  sie  gar  nicht  passen.  Wo  dieselbe  Verlesung  bei  5,  6, 
ja  bei  9  verschiedenen  Wortem  vorgebracht  wird,  kann  nicht  die 
Aehnlichkeit  des  Wortbildes  allein  maBgebend  gewesen  sein.  Das 
Auftreten  des  gleichen  Fehlers  bei  vollig  verschiedenen  Wortem 
dUrfte  vielmehr  darauf  hinweisen,  dass  hier  ofters  motorische  Sprach- 
vorstellungen  sich  vorgediungt  haben,  ohne  jede  Beziehung  zum  Q-e- 
sichtsbilde.  In  der  That  waren  gerade  bei  B.  die  Verlesungen  auf- 
fallend  haufig,  welche  gar  keine  Aehnlichkeit  mit  dem  Reizworte 
darboten.  Wir  haben  es  dabei  wohl  geradezu  mit  »Fehlle8ungen«  zu 
thun,  entsprechend  den  Fehlreactionen  beim  Wahlvorgange  und  den 
von  Aschaffenburg  beschriebenen  Fehlassociationen*).  Vielleicht 
hat  ahnliches  auch  bei  O.  mitgespielt,  doch  lieB  sich  bei  seinen  Ver- 
lesungen durchweg  noch  ein  gewisser  Zusammenhang  mit  dem  Reiz- 
worte nachweisen.  Jedenfalls  hat  auch  bei  ihm  ein  Kleben  an  ein- 
zelnen,  sich  haufiger  wieder  darbietenden  Vorstellungen  stattgefunden 
und  dadurch  eine  auffallende  Einformigkeit  der  Verlesungen  verur- 
sacht.  Dagegen  konnte  bei  R.  das  ganzliche  Fehlen  vielfacher 
gleicher  Verlesungen  bei  verschiedenen  Wortem  darauf  hindeuten, 
dass  auch  die  Hartnackigkeit  seiner  stehenden  Wiederholungen  weniger 
auf  ein  besonders   festes  Haften  seiner  Vorstellungen,    als  auf   die 


1)  Diese  Arbeiten.  II.  S.  7. 

16* 


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238 


ladwig  Groii  nod  £inil  KraepeUii. 


Unfahigkeit   zur   Verbesserung    einmal   begangener    Fehler   zu    be- 
ziehen  sei. 

Eine  besondere  Beleuchtung  erfahrt  der  TJnterschied  zwischen 
stehenden  und  zerstreuten  Wiederholnngen,  wenn  mr  untersuchen, 
wie  viele  Buchstaben  jeweils  bei  denselben  verlesen  wurden.  Da  nur 
B.  eine  groBere  Menge  von  Wiederholungen  zu  verzeichnen  hat,  fassen 
wir  in  der  folgenden  Tabelle  die  Ergebnisse  aller  Personen  zusammen 
und  geben  zugleich  die  Yerlesungen  mit  gleicher  Buchstabenzahl  in 
Procenten  aller  einschlagigen  Wiederholungen. 

Tabelle  XVI. 


Buchstaben  wurden  verleien 

1 

2 

a 

4 

5 

e 

Stchende  Wiederholungen 

63,9 

29,1 

4,4 

2,6 

— 

— 

Zerstreute  Wiederholungen 

25,7 

32,0 

29,0 

10,2 

2,8 

0,3 

Man  erkennt  ohne  weiteres,  dass  bei  den  stehenden  Wieder- 
holungen die  einfachen  Buchstabenverlesungen  auBerordentlich  stark 
Uberwiegen,  wahrend  bei  den  zerstreuten  die  doppelten  und  selbrt  die 
dreif achen  Buchstabenf ehler  haufiger  sind,  als  die  einfachen.  Zudem 
finden  sich  hier  noch  fUnf-  und  gar  sechsfache  Fehler,  die  dort  voUig 
fehlen.  Daraus  geht  klar  hervor,  dass  die  Beaiehungen  zwischen 
Beizwort  und  Yerlesung  bei  den  stehenden  Yerlesungen  viel  engere 
sind,  als  bei  den  zerstreuten.  Wenn  in  A2^  der  F&lle  drei  oder  m^ 
Buchstaben  bei  einsilbigen  Wortem  nicht  mehr  mit  einander  Uber- 
einstimmen,  kann  der  Zusammenhang  der  Yerlesung  mit  dem  Beiz* 
worte  nur  noch  ein  recht  lockerer  sein.  Der  Sinneseindruck  hat  also 
thatsachlich  bei  den  zerstreuten  Yerlesungen  nur  noch  den  AnstoB 
zum  Aussprechen  einer  Yorstellung  geliefert,  dwen  Inhalt  wesentlidi 
aus  anderer  Quelle  stammte.  Wir  wollen  nicht  verfehlen,  darauf 
hinzuweisen,  dass  wir  zu  demselben  Ergebnisse  auch  kommen,  wenn 
wir  B.  aus  der  Reihe  der  Beobachter  ausscheiden.  Die  einfachen 
Yerlesungen  bilden  dann  bei  den  stehenden  Wiederholungen  69,0, 
bei  den  zerstreuten  38,8)1^  der  gesammten  Fehler.  Mit  diesen  Erfah- 
rungen  hangt  es  wohl  auch  zusammen,  wenn  wir  oben  gerade  bei  O. 
und  B.,  die  sich  durch  zahlreiche  zerstreute  Wiederholungen  auszeich- 
nen,  je  einmal  die  Doppelfehler  iiber  die  einfachen  uberwiegen  sahen. 


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Ueber  die  Nessang  der  Aiifl^sungsfilbigkeit. 


239 


Die  Beobachtung,  dass  einzelne  Personen  sich  beim  Lesen  in 
besonderem  MaBe  durch  Vorstellungen  beeinflussen  lieBen,  legt  die 
Frage  nahe,  ob  nicht  geradezu  die  durch  das  Lesen  erregten 
Vorstellungen  das  Zustandekommen  bestimmter  Verlesungen  be- 
giinstigt  haben.  Wir  woUen  daher  untersuchen,  ob  die  Reizworter 
mit  einer  gewissen  Haufigkeit  bei  den  Verlesungen  wiederkehrten.  Da 
die  Zahl  einsilbiger  Hauptworter  uberhaupt  keine  sehr  groBe  ist,  wird 
man  von  vomherein  darauf  gefasst  sein  miissen,  dass  bei  dem  Be- 
streben  nach  sinngemaBem  Verstfilndniss  des  dargebotenen  Stoffes 
dieFehler  bier  und  daReizwortem  entsprachen;  der  Nachweis  einer 
unmittelbaren  Beeinflussung  des  Lesens  durch  die  angeregten  Vor- 
stellungen wird  erst  dann  erbracht  sein,  wenn  jene  Uebereinstimmung 
sehr  haufig  bemerkbar  wird  oder  sonstige  TJmstande  diese  Deutung 
nahe  legen.  Wir  haben  zunachst  in  der  Tabelle  XVii  dargelegt, 
wie  haufig  sich  die  Verlesungen,  uberhaupt  und  getrennt  nach  ihrem 
einmaUgen  oder  wiederholten  Vorkommen,  mit  Reizworten  deckten; 
in  Klammem  sind  die  betreffenden  Procentzahlen  hinzugefiigt. 


Tabelle  XVH. 


■" 1 

IteiKWdrtern  entsprachen 

Verlemingen 
Clberhaupt 

Einmalige 
Verlesungen 

36  (54,5  o/o) 

Wiederholte 
Verlesungen 

51  (73,9  o/o) 

0. 

87  (64,4  o/o) 

I. 

4  (100,0  o/o) 

4  (100,0  O/o) 

A. 

42(42,9  0/0) 

29  (37,7  O/o) 
27  (47,4  O/o) 

13  (61,9  o/o) 

S. 

34  (41,5  o/o) 

7  (28,0  o/o) 

R. 

73  (36,3  o/o) 

34  (27,0  o/o) 

39  (52,0  o/o) 

B. 

299  (52,8  o/o) 

40  (20,6  o/o) 

259  (68,50/0) 

Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  dass  durchschnittlich  etwa  die 
Halfte  der  Verlesungen  mit  B^izwortem  ttbereinstimmten.  Bedenkt 
man,  dass  sich  unter  den  Fehlem  eine  groBere  Zahl  von  ganz  un- 
sinnigen,  femer  auch  einzelne  Eigenschafts-  und  selbst  Zeitworter 
befanden,  so  kann  daruber  kein  Zweifel  sein,  dass  der  Sprachschatz 
der  Trommel  tbatsachlich  ofters  zu  falscben  Lesungen  in  bestimmter 


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240  Ludwig  CroQ  nod  Cmil  Kraepeiio. 

Bichtung  verfUhrt  hat.  Der  Grad  dieses  Einfiusses  ist  bei  den  ein- 
zelnen  Personen  ein  verschiedener  gewesen,  am  starksten,  wenn  wir 
von  I.  absehen,  bei  0.,  dann  bei  B.,  am  schwachsten  bei  R.,  S.  und 
A.  Das  Yerhalten  von  0.,  der  nach  unseren  sonstigen  Erfahrungen 
nicht  sehr  zu  einer  Beeinflussung  der  Wahmehmung  durch  Vor- 
stellungen  zu  neigen  schien,  muss  hier  besonders  auffallen;  wir  wer- 
den  spater  auf  diesen  Punkt  noch  naher  einzugehen  haben. 

Sehr  deutlich  zeigt  sich  die  Bolle  des  Lesestoffes  in  der  G^egen- 
uberstellung,  welche  die  zweite  und  dritte  Spalte  der  Tabelle  giebt. 
Wir  erkennen  daraus,  dass  fast  iiberall  die  Beizworter  unter  den 
wiederholten  Yerlesungen  weit  haufiger  wieder  auftauchen,  als  unter 
den  einmaligen.  Mit  anderen  Worten,  die  Beizworter  begUnstigten 
geradezu  die  "Wiederkehr  derselben  Verlesungen.  Nur  bei  S.,  der 
Uberhaupt  wenig  wiederholte  Verlesungen  zu  verzeichnen  hat,  kehrt 
sich  das  Yerhaltniss  um;  seine  Wiederholungen,  die  fast  ausschlieB- 
lich  stehende  waren,  mUssen  demnach  eine  andere  Grundlage  gehabt 
haben.  Die  Begiinstigung  der  mehrfachen  Verlesungen  durch  B^z- 
worter  ist  bei  A.,  R  und  B.  verhaltnissmaBig  viel  starker,  als  bei  0. 
Namentlich  B;  und  in  etwas  geringerem  Grade  auch  B.,  die  sonst 
nur  maBig  durch  den  Lesestoff  beeinflusst  wurden,  haben  sich  durch 
ihn  zu  einem  groBen  Theile  ihrer  mehrfachen  Yerlesungen  be- 
stimmen  lassen.  Wahrend  also  A.  und  noch  mehr  0.  sich  fUr  die 
Beeinflussung  durch  Beizworter  Uberhaupt  nicht  zuganglich  erwiesen, 
hafteten  dieselben  bei  S.  nur  ganz  kurze  Zeit  und  fUhrten  nicht  oft 
zu  wiederholten  Yerlesungen;  umgekehrt  wurde  bei  R  und  B.  die 
Auffassung  durch  den  Lesestoff  im  allgemeinen  nicht  sehr  stark  ab- 
gelenkt;  wo  aber  einmal  ein  solches  Wort  haftete,  gewann  es  alsbald 
groBe  Macht  und  kehrte  in  den  Yerlesungen,  namentlich  bei  B.,  auf* 
fallend  haufig  wieder. 

Yon  einer  noch  anderen  Seite  her  werden  diese  Yerhaltnibse  be- 
leuchtet,  wenn  wir  untersuchen,  ob  die  in  den  Yerlesungen  wieder- 
kehrenden  Beizworter  bei  dem  betreffenden  Yersuche  der  falschen 
Lesung  voraufgegangen  waren  oder  folgten. 


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Ueber  die  Hetsnog  der  AofTusnDgsllhigkeU. 
Tabelle  XVIIL 


241 


Das  beeinflusste  Reiz- 
wort  kam 

vorher 

nachher 

kun  vorher 

unm^ttelbar 
vorher 

0. 

35 

20 

7 

2 

I. 

2 

2 

13 

5 

'     — 

A. 

21 

— 

S. 

13 

19 

2 

— 

It 

28 

22 

2 

— 

B. 

79 

37 

9 

1 

Wir  bemerken,  dass  hier  nur  die  verschiedenen  Verlesiingen 
und  nicht  die  Wiederholungen  beriicksichtigt  wurden.  Mm  sieht 
sofort,  dass  die  voraufgehenden  Lesungen  in  weit  hoheriBm  Grd-de  die 
Verlesungen  beeinflussten,  als  die  folgenden.  Es  war  also  zumeist 
die  frische  Wirkung  des  Lesestoffes,  welche  die  Fehlor  der  Wahr- 
nehmung  in  eine  bestimmte  Bichtung  lenkte.  Ganz  besonders  stark 
schdnt  dieser  Einfluss  bei  B.  gewesen  zu  sein,  aber  aUch  bei  0.  lind 
A.  ist  die  Wirkung  der  voraufgegangenen  Lesungen  noch  eine  augen-r 
fillige.  Bei  S.  dagegen  und  wohl  auch  bei  R  erweist  sich  diese 
Beziehung  als  weniger  deutlich.  Bd  ihnen  diirfte  demnach  die  all- 
mahliche  Befestigung  des  gegebenen  Wortschatzes  durch  die  neun- 
malige  Wiederholung  des  Versuches  erne  RoUe  gespielt  haben.  Um 
die  Bedeutung  des  sinnlichen  Eindruckes  noch  weiter  zu  verfolgen, 
findet  sich  in  den  letzten  Spalten  der  Tabelle  besonders  angegeben, 
wie  oft  das  Beizwort  der  entsprechenden  Verlesung  innerhalb  der 
letzten  zehn  Worter  und  wie  oft  es  ihr  unmittelbar  vorausging.  Auch 
hier  zeigen  sich  B.,  0.  und  A.  am  meisten  durch  die  kurz  vorher 
angeregte  Vorstellung  beeinflussbar,  S.  und  R.  in  weit  geringerem 
Grade. 

Bei  der  Durchsicht  der  Listen  bemerken  wir,  dass  bisweilen  ein 
Beizwort  das  Lesen  beeinflusst  hat,  ohne  selbst  richtig  gelesen  worden 
zu  sein.  Ein  Beispiel  daftir  geben  die  beiden  unmittelbar  auf einander 
folgenden  Verlesungen  Golf  —  Keld  und  Wolf  —  Q^lf.  Die  Ver- 
suchsperson,  0.,  hat  hier  zunachst  Golf  nicht  ^kannt,  sondem  statt 


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242  Ludwig  GroB  and  Emil  KraepeliB. 

dessen  ein  ganz  imsinniges  Wort  vorgebracht.  Nachtraglich  scheint 
sie  aber  doch  noch  das  Beizwort  aufgefasst  zu  haben,  vielleicht  imter- 
stiitzt  durch  das  ahnliche  folgende  Wort,  das  nun  im  Sinne  des 
vorhergehenden  verlesen  wurde.  S.  las  einmal  hinter  einander  Mond 
—  Sonn  nnd  Prag  —  Mond.  Auch  hier  bleibt  nur  die  Deutung, 
dass  er  das  Wort  Mond  erst  spater  erkannte,  nachdem  er  bereits 
eine  Verlesung  vorgebracht  hatte.  Die  nun  sich  aufdrangende  Vor-» 
stellung  wurde  ausgesprochen,  obgleich  sie  zu  dem  folgenden  Reizworte 
in  gar  keiner  Beziehung  stand.  Dieses  Beispiel  kann  die  friiher  ausge* 
sprochene  Yermuthung  bestatigen,  dass  bisweilen  motorische  Sprachvor- 
stellungen  zur  Auslosung  drangten,  weil  sie  eine  gewisse  Lebhaftigkeit 
eriangt  batten,  wobei  das  Beizwort  nur  bewegungsauslosend  wirkte. 
Zugleich  aber  begegnen  wir  hier  der  sehr  merkwiirdigen 
Erfahrung,  dass  anscheinend  bei  der  ersten  Lesung  nicht  das 
Beizwort,  sondem  eine  Association  zu  demselben  gelesen  wurde. 
Ohne  Zweifel  wurden  ja  durch  das  Lesen  immer  noch  eine  Beihe 
von  Nebenvorstellungen  erweckt.  Man  konnte  daher  denken,  dass 
gelegentlich  einmal  die  Auslosung  der  Sprachbewegung  von  einer 
solchen  Nebenvorstellung  aus  leichter  erfolgte,  als  von  dem  richtig 
aufgefassten  Worte.  Gerade  der  Umstand,  dass  hier  sofort  noch 
die  richtige  Lesung,  allerdings  an  falscher  Stelle,  der  anscheinenden 
Association  folgte,  wUrde  diese  Annahme  nahe  legen.  Lnmerhin  kann 
es  sich  natttrlich  auch  um  eine  einfache  Verlesung  handeln.  Bine 
solche  Moglichkeit  aber  ist  ausgeschlossen  in  dem  von  B.  gelieferten 
Beispiele  Ohor  —  Singer.  Hier  hat  an  Stelle  der  Lesung  unzweifel- 
haft  eine  Association  stattgefunden.  Man  konnte  von  einer  »mittel- 
baren«  Lesung  sprechen,  insofem  eben  die  Sprachbewegung  nicht 
durch  das  offenbs^  richtig  aufgefasste  Wort,  sondem  erst  durch  eine 
weitere  sich  daran  anknUpfende  Vorstellung  ausgelost  wurde.  Ver- 
dachtig  ist  auch  das  ebenfalls  bei  B.  verzeichnete  Beispiel  Wohl  — 
Stadt.  Wort  und  Lesung  sind  hier  einander  so  unlUmlich  wie  mdg- 
lich;  sie  zeigen  keinen  einzigen  gleichen,  kaum  einen  ahnlichen  Buch- 
staben.  Nimmt  man  aber  an,  dass  ursprtinglich  Wahl  fiir  Wohl 
gelesen  worden  sei,  so  wUrden  wir  nach  unseren  soeben  angestellten 
Erorterungen  wohl  begreif en  konnen,  dass  in  Wirklichkeit  Stadt  aus- 
gesprochen wurde.  Die  Lesung  Stadt  war  namlich  von  B.  schon  sehr 
haufig  vorgebracht  worden;    sie   war  ihm  aufierordentlich  gel&ufig. 


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Ueber  die  Messuu}^  dor  AuffassuugstHhigkeit. 


243 


Wurde  also,  wie  wir  vermuthen,  Wahl  gelesen,  so  lag  das  Auftauchen 
der  Association  Wahlstatt  sehr  nahe.  Zugleich  aber  drangte  die  oft 
wiederkehrende  Lesung  Stadt  besonders  stark  zur  Auslosung  der 
Sprachbewegung,  so  dass  abo  bier  gerade  diejenigen  Bedingongen 
gegeben  waren,  die  wir  als  Voraussetzung  fiir  das  Zustandekommen 
mittelbarer  Verlesungen  betrachtet  batten.  Die  Verlesung  Wahl  fiir 
Wobl  war  zudem  schon  einmal  dagewesen,  und  endlich  folgte  un- 
mittelbar  darauf  das  Reizwort  Krieg,  welches  vielleicht  schon  bei 
fruheren  Lesungen  die  etwa  aufgetauchte  Nebenvorstellung  Wahlstatt 
verstarken  konnte.  Ein  weiteres,  etwas  anders  li^endes  Beispiel  hat 
sich  bei  A.  gefunden.  Er  las  namlich  Fels  —  Pfalz.  Die  Buch- 
stabeniibereinstimmung  dieser  beiden  Worter  beschrankt  sich  auf  das 
eine  1,  wahrend  die  Klangahnlichkeit  eine  recht  groBe  ist.  Es  er- 
scheint  daher  nicht  ausgeschlossen,  dass  wir  es  hier  nicht  mit  einer 
einfachen  Verlesung,  sondem  mit  einer  Klangassociation  zu  thun 
haben,  deren  Zustandekommen  durch  den  Umstand  begunstigt  wurde, 
dass  sich  Pfalz  unter  den  Reizwortem  befand.  Mit  Sicherheit  lasst 
sich  das  leider  hier  wie  in  einer  Reihe  ahnlicher  Beispiele  heute  nicht 
mehr  feststellen,  doch  diirften  diese  Ausfiihrungen  ausreichen,  um 
die  Moglichkeit  mittelbarer  Verlesungen  iiberhaupt  und  die  besonderen 
Bedingungen  ihrer  Entstehung  etwas  naher  zu  beleuchten. 

Es  ist  am  Schlusse  dieser  Betrachtung  vielleicht  nicht  unniitz, 
sich  dariiber  Rechenschaft  zu  geben,  ob  sich  unter  den  Reizwortem 
vielleicht  manche  befanden,  die  an  sich  leicht  bei  Verlesungen  wieder- 
kehren  konnten,  sehr  gelaufige  Vorstellungen,  die  jeder  Versuchsperson, 
auch  abgesehen  von  den  hier  gegebenen  Bedingungen,  nahe  lagen. 
Zur  Beantwortung  dieser  Frage  steht  uns  nur  das  Mittel  zu  Gebote, 
festzustellen,  wie  viele  der  Reizworter  von  mehreren  oder  gar  alien 
Personen  bei  den  Verlesungen  vorgebracht  wurden.  Die  Tab.  XIX 
giebt  dartiber  in  Procentzahlen  Auskunft. 

Tabelle  XTX. 


Reiiwdrter  kebrten  wieder 
bei  Versuchspersonen 

0 

1 

2 

3 

4 

5 

0 

37,8 

35,3 

16,2 

^5 

2,9 

0,3 

— 

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244 


Ladwig  Cron  and  Cmil  Kraepelin. 


Wir  ersehen  daraus,  dass  fast  ^4  aUer  Beizworter  gar  nicht  oder 
doch  nur  von  einer  einzigen  Person  vorgebracht  warden;  nur  eine  ver- 
schwindend  kleine  Zahl  kehrte  bei  vier  oder  gar  fiinf  Personen  wieder, 
im  ganzen  neun.  Auch  dieses  Ergebniss  spricht  dafiir,  dass  die  in 
Tab.  XVll  niedergelegten  Erfahrungen  nicht  auf  allgemeine  associa- 
tive Neigungen,  sondem  auf  die  besonderen  Yersuchsbedingungen  zu 
beziehen  sind,  auf  die  Anregung  bestimmter  Yorstellungen  durch  die 
Lesearbeit  selbst 

IV.  Versnclie  niit  zweisilbigen  WSrtern. 

Einen  ersten  Ueberblick  Uber  die  Ergebnisse  der  Versuche  mit 
zweisilbigen  Wortem  giebt  die  Tab.  XX, 

Tabelle  XX. 


Spaltweite 

5  mm 

4  mm 

3  mm 

r 

/ 

a 

r 

/ 

a 

r 

/   « 

0. 

807 

15 

18 

811 

10 

19 

797 

15   28 

I. 

839 

1 

— 

839 

1 

— 

839 

—    1 

A. 
S. 

802 

31 

7 

807 

26 

7 

773 

34   33 

786 

29 

26 

802 

27 
76 

11 

776 

34   30 

R. 

758 

50 

32 

662 

102 
398 

676 

78   86 

B. 

280 

131 

429 

282 

160 

231 

130  479 

Der  Yergleich  dieser  Zahlen  mit  der  Tab.  IX  lehrt  uns,  dass 
die  einzelnen  Beobachter  durch  die  Yeranderung  der  Bedingungen 
in  verschiedener  Weise  beeinflusst  worden  sind.  Bei  O.  und  vielleicht 
auch  bei  I.  lasst  sich  eine  Besserung  der  Auffassung  nachweisen, 
wahrend  die  Ubrigen  Personen  eine  allerdings  verschieden  starke  Ab- 
nahme  der  richtigen  Lesungen  darbieten.  Wir  werden  uns  fiber 
diese  letztere  Erfahrung  nicht  besonders  wundem.  Bei  den  zwei- 
silbigen Wortem  war  nicht  nur  die  Zahl  der  aufzufassenden  Einzel- 
heiten  weit  groBer,  als  bei  den  einsilbigen,  sondem  es  waren  nament- 
lich  auch  die  Fausen  zwischen  zwei  Wortem  kUrzer,  da  der  Baum 


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Ueber  die  Messoog  der  Auffusaogsflhigkeit.  245 

fiir  ein  Beizwort  iiberall  gleich  groB  bemessen  war.  In  Folge  dessen 
hatten  die  Versuchspersonen  hier  einerseits  eine  schwierigere  Aufgabe 
zu  ISsen,  andererseits  weniger  Zeit,  sich  auf  den  neuen  Eindruck 
vorzubereiten.  Auffallend  erscheint  daher  nur  die  Verbessenmg  der 
Leistung  bei  O.,  auffallend  aber  auch  die  Angabe  der  Versuchsper- 
sonen, dass  ihnen  selber  die  Auffassung  zweisilbiger  AVorter  trotz 
der  geringeren  gemessenen  Leistung  doch  leichter  erschien,  als  die 
Erkennung  einsilbiger. 

Bei  genauerer  Betrachtung  stellt  sich  heraus,  dass  die  Yer- 
schlechterung  der  Auffassung  sich  ganz  uberwiegend  in  einer  Zu- 
nahme  der  Auslassungen  bemerkbar  macht,  wahrend  die  Fehlerzahl 
fast  gleich  geblieben  ist  oder  sogar  entschieden  abgenommen  hat, 
Es  muss  sich  also  die  Aufgabe  dahin  verandert  haben,  dass  zwar  das 
Erkennen  der  Worter  uberhaupt  erschwert  war,  dass  aber  die  Gro- 
fahr  des  Verlesens  sich  verringerte.  Besonders  bei  engem  Spalte  war 
hier  die  Neigung  zu  falschem  Lesen  geringer,  als  bei  den  einsilbigen 
Wortem.  Dieser  letztere  XJmstand  legt  uns  die  Frage  nahe,  ob  nicht 
etwa  der  ganze  Yorgang  der  Auffassung  sich  hier  anders  abspielte, 
als  dort.  Bei  einer  Spaltweite  von  3  nun  war  von  den  einsilbigen 
Wortem  nicht  viel  mehr  als  die  Halfte,  von  den  zweisilbigen  etwa 
ein  Drittel  gleichzeitig  zu  iibersehen.  Gerade  diese  Beschrankung 
scheint  zwar  die  Auffassung  uberhaupt  beeintrachtigt,  das  Verlesen 
aber  eingeschrankt  zu  haben.  Das  ware  erklarlich,  wenn  wir  uns 
Yorstellten,  dass  die  Auffassung  der  einsilbigen  Worter  mehr  mit 
einem  Male,  diejenige  der  zweisilbigen  dagegen  mehr  buchstabirend 
erfolgt  ware.  Im  ersteren  Palle  ware  offenbar  dem  Errathen,  der  Be- 
einflussung  durch  Vorstellungen  ein  breiterer  Spielraum  gegeben,  wah- 
rend im  letzteren  mit  der  Schwierigkeit  der  Aufgabe  zugleich  die 
Zuverl&ssigkeit  ihrer  Losung  zunahme,  die  Oefahr  eigener  Zuthaten 
sanke.  Diese  Auffassung  wiSrde  den  Erfahrungen  Cattell's  ent- 
sprechen;  sie  wird  auBerdem  durch  eine  weitere  Thatsache  gestiitzt. 
Die  Zahl  der  Verlesungen  stieg  bei  den  einsilbigen  Wortem  mit  Ab- 
nahme  der  Spaltbreite  und  unvollkommenerer  Uebersicht  iiber  das 
Wort  rasch  an,  namentlich  bei  denjenigen  Personen,  bei  denen  wii- 
uns  anderen  Grunden  eine  erheblichere  Neigung  zur  Beeinflussung 
der  Auffassung  durch  Vorstellungen  angenommen  hatten.  Bei  den 
zweisilbigen  Wdrtem  dagegen  ist  die  Steigerung  der  Verlesungen  ganz 


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246 


Ludwig  CroB  uiid  EmU  Knepelio. 


unbedeutend  und  schwankend,  obgleich  man  von  vornherein  anneh* 
men  soUte,  dass  hier  die  Verengenmg  des  SpaJtes  viel  einschneidender 
wirken  miisste.  In  der  That  ist  auch  bei  den  Auslassungen  dieser 
Einfluss  deutlich  genug. 

Um  der  Losung  dieser  Fragen  naher  zu  kommen,  wird  es  sich 
empfehlen,  Zahl  und  Ordnung  der  verlesenen  Buchstaben  naher  ins 
Auge  zu  fassen.  Tab.  XXI  lehrt  uns  zun&chst  die  Zahl  der  jeweik 
verlesenen  Buchstaben  kennen. 

Tabelle  XXI. 


Es  wurden 
verleien  bei 

5  mm                                      4  mm 

3  mm 

Buchstaben 

12345678123456789 

12     3    4     5     6     7     8 

0. 

7     3     3 

4     1     5 

16    3     3    2—1  — 

I. 

1-1 

1    . 

A. 

18    7    2    3    2 

13    6    2    32 

17    5    4     7     2     1      1   — 

8. 

14  12  ^     1 

13     6    8—    2 

13  10    4    5    2 

R. 

18  14  15    3  

14  21  14  17    9  —    1  

20  19  24  12  11     2     1  — ' 

B. 

12  29  30  21  18  12     5     3 

10  35  28  42  21   17     4    2     1 

6  24  25  34  18     8  13     1 

Wenn  wir  auch  hier  die  vielfachen  Verlesungen  als  MaBstab  flir 
die  Auffassungsfahigkeit  im  allgemeinen  betrachten,  so  zeigt  sich,  dass 
die  einfachen  Pehler,  abgesehen  von  I.,  welcher  der  oberen  Auffas^ 
sungsschwelle  wieder  ganz  nahe  ist,  am  entschiedensten  bei  A.  und 
S.  Uberwiegen,  die  auch  bei  den  einsilbigen  Wortem  dieselbe  Stellung 
einnahmen.  Dann  folgt,  ganz  wie  dort,  O.,  R.  und  zuletzt  B.  Ur- 
theilen  wir  nur  nach  der  Zahl  der  richtigen  Lesungen,  so  wtirde  O. 
besser  dastehen,  als  A.  und  S.  Wenn  er  trotzdem  verhaltnissmaBig 
mehr  zu  vielfachen  Fehlem  neigte,  so  kann  uns  das  vielldcht  darauf 
hinweisen,  dass  er  zwar  an  sich  schlechter  auffasste,  als  jene  beiden 
Personen,  hier  aber  durch  einen  besonderen  Umstand  unterstiitzt 
wurde.  Bei  den  einsilbigen  Wortem  las  er  in  der  That  schlechter 
als  beide,  bei  den  sinnlosen  Silben  wenigstens  schlechter  als  S.,  vnih- 
rend  der  sehr  auf  die  Mitwirkung  von  Erinnerungsbfldem  angewiesene 


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Ueber  die  Messiing  der  AuRastnoj^RUiigkeit. 


247 


A.  hinter  ihm  zuruckblieb.  Bei  R  und  B.  iiberwiegen  die  vielfachen 
Fehler  fast  immer  erheblich  uber  die  einfachen;  an  sich  ist  ja  auch 
bei  der  groBen  Buchstabenzahl  vielfache  Gelegenbeit  dazu  gegeben. 
Die  Verengenmg  des  Spaltes  hat  im  ganzen  nur  eine  recht  gering- 
fiigige  Zunahme  namentlich  der  vielfachen  Verlesungen  bewirkt. 

Ueber  die  Ordnung  der  einzehien  verlesenen  Buchstaben  giebt 
die  f  olgende  Tabelle  Auf  schluss.  Der  bessem  Uebersicht  halber  sind 
dabei  die  Werthe  fiir  verschiedene  Spaltweiten  zusammengefasst. 

Tabelle  XXH. 


Verles.  wurde 
d.  Buehstabe 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

bei  0. 

15 

19 

16 

12 

9 

14 

10 

3 

— 

— 

»  I. 

— 

— 

I 

1 

1 

2 

— 

— 

— 

— 

.  A. 

19 

33 

28 

23 

30 

23 

34 

10 

3 

— 

•  S. 

10 

27 

13 

25 

15 

24 

41 

22 

1 

— 

»  R. 

52 

84 

68 

77 

65 

86 

88 

46 

9 

— 

»  B. 

135 

184 

187 

238 

235 

262 

219 

96 

13 

2 

Die  Tabelle  zeigt  uns  vor  allem  in  ganss  unzweideutiger  Weise, 
dass  auch  hier  wie  bei  den  einsilbigen  Wortem  der  erste  Buehstabe 
von  der  Auffassung  entschieden  bevorzugt  wird.  Unsere  frliher  aus- 
gesprochene  Ansidit,  dass  der  groBe  Anfangsbuchstabe,  im  G^gen- 
satze  zu  dan  Yerhalten  bei  sinnlosen  Silben ,  die  Aufmerksamkeit 
zunachst  auf  sich  zieht,  gewinnt  dadurch  eine  neue  StUtze.  Mit  der 
gleichen  BegehnaBigkeit,  wie  der  erste  Buehstabe  bevorzugt  wird,  wird 
der  zweite  vemachlassigt,  ganz  wie  bei  den  einsilbigen  Wortem.  Der 
weitere  Yerlauf  der  Auffassung  kann  leider  nur  bis  zum  sechsten 
Buchstaben  einschlieBlich  genauer  verfolgt  werden,  da  sieben  Buch- 
staben nur  bei  75,7  %^  acht  bei  27,5  ^  und  neun  gar  nur  bei  4,3  % 
der  WOrter  vorhanden  sind. 

Wir  erkennen  jedoch  deutlich,  dass  bei  R.  und  S.  bis  zum  sechsten 
fittcbstaben  ein  ganz  regelinaSiger  Wechsel  zwischen  besser 
UQd  schlechter  anfgefassten  Buchstaben  sich  geltend  macht 
Der  erste,  dritte  und  fimfte  Buehstabe  werden  gut,  der  zweite,  vierte 


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248  Lodwig  Cron  ond  Emil  Kraapelin. 

und  sechste  schlechter  erkannt.  Da  wir  friiher  schon  die  gleiche 
Erscheinung  auffanden,  nur  weniger  ausgepragt,  kann  es  sich  schwer- 
lich  um  eine  Zufalligkeit  handeln.  Dagegen  spricht  femer  der  XJm- 
stand,  dass  auch  bei  B.  eine  ahnliche  Neigung  sich  beobachten  lasst^ 
allerdings  verkniipft  mit  einer  fortschreitenden  Verschlechterung  der 
Auffassung  nach  dem  Ende  des  Wortes  zu.  Diese  Verschlechterung 
nimmt  zum  zweiten,  vierten  und  sechsten  Buchstaben  erheblich,  zum 
dritten  unwesentlich  und  zum  fUnften  gar  nicht  zu.  Also  auch  hier 
handelt  es  sich  um  eine  Begiinstigung  der  Buchstaben  1,  3  und 
5'  gegeniiber  2,  4  und  6.  Andeutungen  dieses  Verhaltens  finden 
wir  endlich  auch  bei  A.;  nur  ist  hier  der  erste,  vierte  und  sechste 
Buchstabe  begiinstigt,  der  zweite  und  fUnfte,  weniger  der  dritte, 
benachtheiligt.  Bei  0.  dagegen  wird  nach  dem  zweiten  Buch- 
staben die  Auffassung  inmier  besser  bis  zum  fUnften,  um  dann  wieder 
schlechter  zu  werden.  Diese  Erfahnmgen  sind  sehr  auffallend.  Na- 
mentlich  bemerkenswerth  ist  es,  dass  nun  der  Rhythmus  der  Auf- 
fassung, dem  wir  frtther  in  ausgeprfigter  Weise  nur  bei  A.  und  0. 
begegneten,  gerade  am  deutlichsten  bei  den  andem  Versuchspersonen 
hervortritt.  £s  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  bei  ihnen  eine  Aen- 
derung  in  der  Art  der  Betrachtung  stattgefunden  hat  R.  und  B. 
richteten  friiher  ihre  Aufmerksamkeit  wesentlich  auf  den  Anfang  des 
Wortes,  S.  auf  die  Mitte;  jetzt  aber  werden  in  ganz  regelmS.Biger 
Folge  einzelne  Buchstaben  bevorzugt,  wahrend  die  dazwischen  lie- 
genden  im  Schatten  bleiben.  Es  ist  also  in  der  That  bei  diesen 
Personen  an  Stelle  der  friiheren  Betrachtungsweise,  die  nur  einen 
Theil  des  Eindruckes  genauer  ins  Auge  fasste,  den  undeutUcher  wahr- 
genommenen  Rest  mehr  oder  weniger  richtig  errieth,  ein  mehr  buch- 
stabirendes  Lesen  getreten.  Allerdings  werden  auch  dabei  nicht 
alle  einzelnen  Buchstaben  gleichmaBig  berttcksichtigt,  sondem  es 
werden  offenbar  Gruppen  gebildet,  von  denen  immer  der  erste  Buch- 
stabe scharf,  der  nachste  weniger  deutlich  aufgefasst  wird. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  eine  solche  Aenderung  des  Ver- 
fahrens  mit  zunehmender  Ausdehnung  des  Reizes  ganz  unwillkiirlicfa 
sich  einstellen  musste.  Bei  kleinen  Gruppen  von  Eindrttcken  haben 
wir,  wie  Cattell  gezeigt  hat,  zunachst  immer  die  Neigung,  das  G^mze 
als  Einheit  zu  erfassen.  Unsere  Yersuche  haben  gelehrt,  dass  auch 
dabei  eine  Yerschiedene  Beleuchtung  der  einzelnen  Bestandtheile  statt- 


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Oeber  die  Messung  der  Aaffassuogsflhigkeit.  249 

findet,  dass  wenigstens  unter  den  gegebenen  Bedingungen  immer  ein 
Buchstabe  besser  erkannt  wird,  als  alle  iibrigen.    Bei  kurzen  Reihen 
nimint  die  Deutlichkeit  der  Wahmehmung  nach  beiden  Seiten  bin 
aUmahlich  ab,  soweit  nicht  besondere  Umstande  Abweichungen  be- 
dingen.    Auf  diese  Weise  entstehen  die  Auffassungswerthe  fiir  die 
einzelnen   Buchstaben    der  sinnlosen   Silben.      Bei   den   einsilbigen 
Wortem  hatte  S.  noch  dasselbe  Yerfahren  beibehalten;  bei  B.  und 
B.  lag  hier   der   deutlichste  Buchstabe   am   Anfange,   so   dass   die 
sp&teren  eine  immer  abnehmende  Sch^e  der  Auffassung  darboten. 
Dagegen  fanden  wir  bei  0.  und  A.  damals  schon  die  ersten  Andeu- 
tungen  einer  Gruppenbildung;  die  Worter,  deren  Lange  zwischen  vier 
und  sechs  Buchstaben  schwankte,  wurden  in  zwei  Abschnitte  zerlegt, 
deren  jeder  einen  Hohepunkt  der  Deutlichkeit  besaB.    Da  die  Schwan- 
kungen  der  Deutlichkeit  im  ganzen  nur  sehr  geringe  waren,  ist  es 
wohl   moglich,   dass  nur  bei  einer  kleineren  Zahl   der  buchstaben- 
reicheren  Worter  eine  solche  Zerlegung  stattfand,  wahrend  die  meisten 
vielleicht  ebenso   als  Einheit   aufgefasst  wurden,    wie  das  bei    den 
iibrigen  Versuchspersonen  geschah.   Mit  der  Verlangerung  der  Worter 
wurde  es,  schon  mit  Bucksicht  auf  die  Enge  des  Spaltes,  ganz  unmog- 
Uch,  fide  zu  einem  einheitlichen  Eindrucke  zusammenzuf  assen,  und  es  trat 
daher  nun  die  allgemeine  Neigung  zum  Zerlegen  der  Worter  in  kleinere 
Abschnitte  auf,  die  gesondert  aufgefasst  und  erst  aUmahlich  zu  einem 
Worte  zusammengesetzt  wurden.    B.,  R.  und  S.  bildeten  offenbar  vor- 
wiegend  Gruppen  von  zwei  Buchstaben,  von  denen  jeweils  der  erste  ge- 
nauer  ins  Auge  gefasst  wurde.    Dazu  mochte  der  groBe  Anfangsbuch- 
stabe  den  AnstoB  geben,  der  zunadist  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zog. 
Etwas   abweichend   sind    die  Ergebnisse  bei  0.  und  A*     Wir 
wissen    durch   Oattell,    dass   die  Fahigkeit   zur  einheitlichen  Auf- 
fassung von  Buchstabengruppen  personlich  verschiedene  Grenzen  hat; 
es  ware  daher  sehr  moglich,   dass  bei  S.,  R.  und  B.  das  G^fUhl 
groBerer  Unsicherheit  gegeniiber  den  langen  Wortem  zu  einer  engeren 
Gruppenbildung  gefiihrt  hatte,  als  bei  A.  und  0.    Wir  diirften  dann 
annehmen,    dass   A.  zunachst    den  ersten   und   zweiten,    dann   die 
Buchstaben  3,   4   und  5  erkannt   habe,   indem    er  den    mittelsten 
derselben   ins   Auge   fasste;   endlich   kamen  noch   der  sechste  und 
vielleicht  mit  ihm  einige  folgende  Buchstaben  an  die  Reihe.    Leider 
konnen  wir  hier  den  Gang  der  Dinge  nicht  weiter  verfolgen,  nicht 


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250  Lndwig  Gron  and  Emil  Kniepelin. 

nur,  wefl  die  verschiedene  Zahl  der  Buchstaben  keinen  Vergleich 
gestattet,  sondem  auch  deshalb,  well  die  Gruppirung  beim  Lesen 
selbst  ohne  Zweifel  je  nach  der  Wortl&nge  verschieden  gewesen  ist. 

Bei  O.  erscheint  die  Auffassung  des  ersten  und  fiinften  Buch- 
stabens  begunstigt.  Das  wUrde  an  eine  noch  weitlaufigere  Gruppen- 
bildimg  denken  lassen.  Die  ersten  beiden  Buchstaben  bilden  offen- 
bar  auch  bei  ihm,  wie  iiberaU,  eine  Auffassungsgruppe.  Alsdann 
aber  scheint  er  seine  Aufmerksamkeit  sofort  auf  den  fiinften  Buch- 
staben gericntet  zu  haben,  um  die  Buchstaben  drei,  vier,  fiinf  und 
sechs  ab  Einheit  aufzufassen.  Demnach  waren  also  die  Worter  bis 
zum  sechsten  Buchstaben  in  nur  zwei,  nicht  einmal  gleich  groBe 
Abschnitte  zerlegt  worden.  Ob  bei  den  zaUreichen  Uuigeren  Wortem 
noch  ein  weiterer  Abschnitt  gebildet  wurde,  lasst  sich  leider  nicht 
entscheiden.  Im  allgemeinen  nimmt  iibrigens,  wenn  wir  die  Haufig- 
keit  der  einzelnen  Wortlangen  in  Betracht  ziehen,  gegen  das  Ende 
des  Wortes  wie  bei  den  einsilbigen  W6rtem  die  Undeutlichkeit  der 
Auffassung  zu.  Am  besten  ist  das  bei  A.  und  besonders  bei  B.  zu 
erkennen.  Die  Buchstaben  7,  8  und  9  sind  iiberall  ganz  unverhalt- 
nissmaBig  oft  verlesen  worden. 

Auffallend  erscheint  es,  dass  gerade  0.,  der  schon  bei  den  ein- 
silbigen Wortem  die  Neigung  zur  Gruppenbildung  erkennen  lieB, 
hier  eigentlich  die  weit  langeren  Worter  mehr  einheitlich  aufzufassen 
sucht,  als  die  Ubrigen  Personen,  welche  die  kurzen  Worter  noch 
nicht  zu  zerlegen  suchten.  Indessen  ein  wirklicher  Widerspruch  liegt 
in  diesen  Erfahrungen  nicht  Wir  haben  frUher  gesehen,  dass  O. 
zwar  langsam,  aber  verhaltnissmaBig  zuverlassig  auffasst.  Es  w&re 
daher  aehr  wohl  denkbar,  dass  er  in  dem  Bestreben  nach  moglichst 
genauer  Auffassung  mit  der  Gruppenbildung  schon  bei  jenen  langeren 
einsilbigen  Wortem  begonnen  hat,  die  ihm  eine  einheitliche  Erken- 
nung  nicht  mehr  zu  erlauben  schienen,  namentlich  weil  er  dabei 
weniger  als  andere  durch  Erinnerungsbilder  unterstUtzt  wurde.  Da 
die  ersten  beiden  Buchstaben  wegen  der  starken  Bevorzugung  des 
Anfangsbuchstabens  sich  iiberall  besonders  gem  zu  einer  Gmppe  zu- 
sammenzuschlieBen  scheinen,  so  konnte  die  folgende  Gmppe  nur  den 
Best  des  Wortes  enthalten,  in  der  B.egel  also  nicht  mehr  ab  zwei 
bis  drci  Buchstaben.  Nehmen  wir  aber  an,  dass  O.  an  sich  die 
FHhigkeit    hatte,     auch    noch    vier    Buchstaben    zu    einer    Einheit 


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Ueber  die  Messung  der  Anffassungsflliigkeit.  251 

zusammenzufassen,  was  nach  CattelPs  Erfahrungen  durchaus  nicht 
ungewohnlich  ist,  so  ware  es  verstandlich,  dass  er  bei  den  zweisflbigen 
Wortem  nach  der  gewohnten  kurzen  Anfangsgruppe  nicht  wie  die 
andem  Personen  zwei,  sondem  vier  Buchstaben  gleichzeitig  ins  Auge 
fasste,  wobei  aUerdings  die  Aufmerksamkeit  am  scharfsten  auf  den 
dritten  eingestellt  war.  Wenn  diese  Ueberlegungen  zutreffend  sind, 
so  wtirden  wir  zu  dem  Schlnsse  kommen,  dass  O.  zwar  znmeist  lang- 
samer  erkannte,  als  z.  6.  A.  und  S.,  dass  er  aber  andererseits  im 
Stande  oder  geneigt  war,  groBere  Gruppen  von  einfachen  Eindriicken 
noch  einheitlich  aufzufassen,  als  jene  Personen.  Vielleicht  spielt 
gerade  in  diesem  Punkte  der  Bildungsgrad,  insbesondere  die  XJebung 
im  Lesen,  eine  gewisse  Bolle.  Leider  f  ehlt  uns  Uberall  der  Yergleich 
mit  dem  Verhalten  von  L,  dessen  sparliche  Pehler  eine  derartige 
Betrachtung  nicht  gestatten;  es  ist  jedoch  klar,  dass  es  nicht  allzu- 
schwierig  sein  kann,  durch  weitere  Ausdehnung  solcher  Yersuche  die 
hier  angeregten  Fragen  zu  einer  gewissen  Elarung  zu  bringen. 

Die  unmittelbare  Folge  des  scandirenden  Lesens  muss  eine  Er- 
schwerung  der  Auffassung  sein,  da  gerade  dabei  die  UntersttLtzung 
durch  Erinnerungsbilder  nur  in  sehr  beschranktem  MaBe  moglich 
ist.  Ein  Glesammteindruck  wird  immer  in  ungleich  hoherem  Grade 
geeignet  sein,  bestimmte  Wortvorstellungen  anzuregen,  als  die  kleinen 
BruchstUcke,  die  erst  nach  und  nach  zu  einem  Worte  zusammen- 
gesetzt  werden  miissen.  Es  ware  demnach  zu  erwarten,  dass  beim 
Buchstabiren  eine  groBere  Zahl  von  Wortem  unerkannt  bleibt,  da 
kleine  entstellende  Versehen  im  einzelnen  nicht  durch  den  XJeberblick 
ttber  das  Gknze  ausgeglichen  werden.  Andererseits  aber  wird  der 
Leser  bei  schrittweisem  Vorgehen  vielleicht  besser  die  Q^fahr  ver- 
meiden,  sich  durch  auftauchende  Erinnerungsbilder  zu  falschen  Le* 
sungen  der  nur  im  Q^sammteindruck  aufgefassten  Worter  verleiten 
zu  lassen.  Die  Zerlegung  der  Worter  in  Buchstabengruppen  soUte 
demnach  die  Wirkung  haben,  dass  sich  das  Yerhaltmss  der  Aus- 
lassungen  zu  den  Fehlem  nach  der  Seite  jener  ersteren  hin  verschiebt 
Wir  haben  in  der  folgenden  Tabelle  die  Zahl  der  Pehler  in  Pro- 
centen  der  Auslassungen  fur  das  Lesen  einsilbiger  und  zweisilbiger 
Worter  ausgedrttckt. 


E  r  A  e  p  •  1  i  n ,  Psyeholof .  Arbeiten.  II.  \  ^ 


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252 


Lttdwig  CroD  und  Emil  KrMpelii. 
Tabelle  XXTTT. 


i  ^' 

I. 

A. 

S: 

R. 

B. 

Zweisilbige       j 

76 

400 

1067 

525 

792 

66 

« 

200 

194 

119 

92 

32 

Aus  diesen  ZaMen  erkennen  wir,  dass  bei  den  zweisilbigen 
Wortern  Uberall  das  Verhaltniss  der  Fehler  zu  den  Auslassungen 
abgenommen  hat;  wie  wir  schon  frtiher  feststellten,  sind  also  die 
Bedingungen  fUr  das  Zustandekommen  von  Auslassungen  bei  den 
zweisilbigen  Wortern  thatsachlich  erheblich  gtinstiger.  Allein  der 
Grad  dieser  Verschiebung  ist  ein  sehr  verschiedener.  Vergleichsweise 
am  wenigsten  verminderten  sich  die  Fehler  bei  0.  und  fi.,  am  starksten 
bei  R.,  S.  und  A.  Diejenigen  Personen  also,  die  frUher  schon  ver- 
h&ltnissm&Big  wenig  Fehler  und  viel  Auslassungen  gehabt  hatten, 
wurden  durch  die  Aenderung  der  Versuchsbedingungen  nicht  allzusehr 
beeinflusst,  wahrend  bei  starkem  Ueberwiegen  der  Fehler  Uber  die  Aus- 
lassungen ein  vollstandiger  Umschwung  herbeigefiihrt  wurde.  Diese 
Ek*fahrung  erklart  sich,  wenn  man  bedenkt,  dass  eben  der  XJebeiyang 
zum  stUckweisen  Lesen  um  so  mehr  die  Zunahme  der  Auslassungen 
und  das  Sinken  der  Verlesungen  begUnstigen  musste,  je  mehr  bei  den 
einsilbigen  Wortern  die  Neigung  zu  einheitlicher  Auffassung  und 
namentlich  zu  einer  Mitwirkung  von  Ennnerungsbildem  bestand 
Letzteres  war  besonders  bei  A.  und  S.  der  Fall.  Bei  R  fand  eine 
Steigerung  der  Auslassungen  auf  das  neunfache  statt,  wohl  ein 
Zeichen  daflir,  dass  seiner  langsamen  und  darum  sehr  unzuverlassigen 
Auffassung  das  buchstabirende  Lesen  ganz  besondere  Schwierigkeiten 
bereitete.  B.  hatte  schon  bei  den  einsilbigen  Wortern  eine  .ungemein 
groBe  Zahl  von  Auslassungen  zu  verzeichneh,  tiie  sich  hier  noch  um 
fast  ein  Drittel  gesteigert  hat;  dagegen  zeigt  die  Fehlerzahl  eine  yer- 
hfUtnissmaBig  ebenso  bedeutende  Abnahme,  obgleich  die  Zerlegung 
des  Wortes  in  einzelne  Abschnitte  sich  bei  ihm  wegen  der  ungemein 
starken,  vom  Anfang  des  Wortes  fortschreitendfiu  Erschwenmg  der 
Auffassung  nur  mangelhaft  geltend  machen  konnte.  0.  endlich,  der 
schon  frUher  wenig  durch  Von^tellungen  beeinflusst  wurde,  Uberrascht 


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Ueber  die  MessuDg  der  Attffnssaiigsflhigkeit.  253 

uns  durch  eine  ganz  bedeutende  Abnahme  .der  Pehler  wie  der  Aus- 
lassungen,  so  dass  deren  VerMltniss  sich  nur  in  geringfugigem  MaBe 
andert.  Im  Vergieiche  sra  d6n  iibrigen  Personen  haben  mithin  die 
Pehler  bei  ihm  wenig^r  abgenommen.  Vidleicht  steht  das' in  Ver- 
bindung  mit  der  von  O.  durchgefulirten  Bildung.  einer  groBeiJen  mitt- 
leren  Auf f assungsgruppe ,  die  das  Auftreten  von  Pehlem  mehr  be- 
giinstigen  musste,  als  die  kleinen  Theilstucke,  in  welche  die  Worter 
von  den  iibrigen  Personen  zerlegt  warden.  Merkwurdig  bleibt  dabei 
aber  immer  noch  der  Umstand,  dass  O.  die  fiir  alle  iibrigen  vergleich- 
baren  Beobachter  schwierigere  Arbeit  mit  Trommel  B  entschieden 
besser  verrichtete,  als  die  Auffassnng  einsilbiger  Worter.  Zwar  er? 
schien  auch  den  andem  Personen  die  Arbeit  leichter,  ab^  dieses 
Gefiflil  ist  vielleicht  alif  die  geringere  Anstrengung  beim  Zerlegen  in 
kleinere  Gruppen  zu  beziehen,  da  das  thatsachliche  Ergebniss  trotz- 
dem  ungunstiger  war.  Eine  bestimmte  Erklarung  fiir  jenes  auffal- 
lende  Verhalten  O.'s  sind  wir  nicht  im  Stande  zu  geben.  Vielleicht 
aber  hat  sich  gerade  die  von  ihm  angewandte  Gruppenbildung  hier 
als  besonders  zweckmaBig  erwiesen  und  ihm  die  Aufgabe  erleichtert. 
Die  Zerlegung  in  Abschnitte  von  zwei  Buchstaben,  wie  sie  von  0. 
bei  einsilbigen,  von  S.,  R.'  und  B.  bei  zweisilbigen  Wortem  Mgfibei- 
nend  vielfach  angewendet  wurde,  musste  den  Zusammenhang  der 
Worter  dort  wie  hier  zerreiBen  und  so  das  Verstandniss  erschweron. 
Dagegen  konnte  die  Zusammenfassung  der  ersten  beiden  und  d^r 
n&chsten  vier  Buchstaben  oft  fiir  die  Erkennung  voii  groBem  V<ir- 
theil  sein,  bei  Wortem  wie  Erfolg,  Losung,  Empfang,  Ankunft,  Be- 
sland,  Gebrauch,  Olzweig,  Bezirk,  Arrest,  Anschluss,  Urtheil,  wie  iie 
faist  eiri  Viertel  aller  benutzten  Worter  bildeten.  Es  wSre  wohl  niclit 
undenlfbar,  dass  gerade  dieses  haufige  ^i^sammentreffen  der  psycl^o- 
logischen  mit  der  sprachlichen  Gruppenbildung  das  Lesen  hier  bei 
O.  in  ganz  besonderer  Weise  erleichtert  und  damit  die  Zahl  4er 
Pehler  wie  der  Auslassungen  herabgesetzt  hat.  | 

Die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  bei  diesen  Versuchen  haben 
wir  in  der  Tab.  XXIV  zusammengestellt.  •    .   _  ; 


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254 


Ludwig  Cron  und  Cmil  KrMpelio. 
Tabelle  XXIV. 


0. 

I. 

A. 

S. 

R. 

B. 

Verlesungen  ilberhaupt 

41 

3 

95 

92 

215 

251 

Daninter  sinnlos 

3 

— 

22 

31 

53 
24,7 

51 
20,3 

% 

7,3 

— 

23,1 

33,7 

Die  allgemeine  Uebereinstimmung  dieser  Zahlen  mit  denjenigen 
bei  den  einsilbigen  Wortem  ist  sehr  lehrreich;  sie  zeigt  uns,  dass  die 
damals  gefundenen  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Personen 
wesentliche  und  nicht  zufalb'ge  sind.  0.  nimmt  auch  hier  den  andem 
vergleichbaren  Personen  gegeniiber  eine  Ausnahmestellung  ein.  Dann 
folgen  B.  und  A.,  die  aber  verhaltnissmaBig  etwa  dreimal  so  viel  un- 
sinnige  Lesungen  lief  em.  Den  Beschluss  machen  R.  und  S.,  die  hier 
ihre  Stellungen  gewechselt  haben,  ohne  dass  ein  bestiramter  Grand 
daftir  erkennbar  ware. 

Wenden  wir  uns  nun  der  Betrachtung  der  Verlesungen  im  ein- 
zelnen zu,  so  erhalten  wir  zunachst  folgende  Uebersicht. 

Tabelle  XXV. 


El  kamen  vor 

0. 

I. 

A. 

VerleiuDgen  aberhaupt 

41 

3 

95 

55  (57,9  o/o) 

Dayon  einmal 

33  (80,5  o/o) 

3  (100,0  o/o) 

Wiederholt 

8  (19,5  o/o) 

"" 

40  (42,10/0) 

>         bei  denielben  Worten 

6  (14,6  o/o) 

— 

35  (36,8  o/o) 

»         bei  yerschied.  Worten 

2  (4,9  o/o) 
37  (90,2 o/o), 

— 

6  (6,30/0) 

Verichiedene  Verleiungen 

3  (100,0  o/o) 

67  (70,5  0/0) 

S. 

R. 

B. 

Yerleiungen  flberhaupt 

92 

215 

251 

1 

Dayon  einmal 

60  (65,2  o/o) 

162  (75,4  0/0) 

79  (31,50/,) 

Wiederholt 

32  (34,8  o/o) 

53  (24,6  o/o) 

172  (68,5  0/j) 

»         bei  denielben  Worten 

32  (34,8  o/o) 

45  (20,9  o/o) 

82  (32,7  «/J 

>         bei  yersohied.  Worten 

— 

8  (3,7  o/o) 

113  (46,0  0/0) 

Verichiedene  Verleiungen 

71  (77,2  o/o) 

180  (83,7  o/o) 

m  (54,2  0/J 

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Ueber  die  Hessung  der  AufTassungsAhigkeit. 


255 


Die  Zahlen  dieser  Tabelle  stimmen  mit  unsern  Erfahrungen  bei 
einsilbigen  Wortem  nur  theilweise  uberein.  Auch  hier  sind  die  Unter- 
schiede  hindchtlich  der  einmaligen  und  wiederholten  Verlesungen  bei 
den  einzelnen  Personen  recht  groB.  I.  hat  gar  keine,  B.  die  starkste 
Neigung  zur  Wiederholung  der  gleichen  Verlesung;  B.  und  S.  zeigen 
ein  mittleres  Yerbalten.  Dagegen  hat  sich  die  Stellung  von  0.  und 
A.  geandert.  Ersterer  neigt  hier  erheblich  weniger^  letzterer  in  sehr 
viel  hoherem  Grade  zu  wiederholten  Verlesungen,  als  fruher.  Ob  es 
sich  dabei  um  zufallige  oder  wesentliche  Unterschiede  im  Ausfalle  der 
Versuche  handelt,  vermogen  wir  nicht  zu  entscheiden.  Ein  Vergleich 
der  Tabellen  XIV  und  XXV  macht  es  deutlich,  dass  bei  A.  aus- 
scUieBlich  die  stehenden  Wiederholungen  zugenommen  haben,  wahrend 
die  Abnahme  bei  O.  sich  wesentlich  auf  die  zerstreuten  Wieder- 
holungen bezieht.  Diese  letztere  Thatsache,  die  sich  iibrigens  in  mehr 
oder  weniger  ausgepragter  Form  bei  sammtlichen  Versuchspersonen 
wiederfindet,  ist  vielleicht  darauf  zuruckzufuhren,  dass  die  Unterschiede 
zwischen  zweisilbigen  Wortem  naturgemaB  viel  mannigfaltigere  sind, 
als  zwischen  einsilbigen;  zudem  ist  die  Zahl  jener  Worter  eine  un- 
gleich  groBere.  Es  wird  daher  hier  die  Versuchung  weit  femer  liegen, 
bei  den  durch  eine  Reihe  von  Kennzeichen  unterschiedenen  Eindrttcken 
haufiger  dieselben  Verlesungen  vorzubringen.  Die  Neigung  zu  stehenden 
Wiederholungen  nahm  bei  S.,  B.  und  A.  zu,  bei  R.  und  0.  ein  wenig 
ab.  Die  Bedingungen  dafur  scheinen  demnach  ziemlich  gunstig  ge- 
wesen  zu  sein,  ganz  besonders  bei  A.  Die  Zahl  der  verschiedenen 
Verlesungen  bei  den  einzelnen  Personen  liefert  uns  dieselbe  Reihen- 
folge  wie  diejenige  der  einmaligen  Pehlen 

Um  uns  auch  hier  ein  Urtheil  iiber  die  Buchstabenahnlichkeit 
der  stehenden  und  zerstreuten  Wiederholungen  mit  den  Reizwortem 
zu  bilden,  stellen  wir  wieder  zusammen,  wie  sich  die  Zahl  der  Buch'- 
stabenverlesungen  im  Procentverhaltnisse  bei  beiden  Arten  von  Ver- 
lesungen durchschnittlich  gestaltete. 

Tabelle  XXVI. 


Yerlesen  wurden  Buchstsben,  % 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

':,» 

SteheDde  VerlesuDgen 

36,0 

35,5 

13,7 

12,7 

1,1 

1,0 

— 

- 

Zentreute  VerleBungen 

7,1 

15,0 

22,8 

22,8 

.... 

12,6 

4,7 

3,2 

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256 


Ladwig  €roD  iind  Emil  fCraepelitt. 


Das  Ergebniss  entspricht  ganz  dem  bei  einsilbigen  Wortem 
erbaltenen.  Die  Zahl  der  verlesenen  Buchstaben  ist  Uberall  sehr  er- 
heblich  groBer  bei  den  zerstreuten,  als  bei  den  stehenden  Verlesungen. 
Die  inhaltliche  Beziehung  zwischen  Verlesung  und  Reizwort  ist  dem- 
nach  bier  eine  weit  innigere,  als  dort.  Beriicksichtigen  wir,  dass  nnr 
etwa  drei  Viertel  der  Reizworter  mehr  als  6  Bucbstaben  batten^  dass 
aber  bei  mehr  als  ein  FUnftel  der  zerstreuten  Verlesungen  6  oder 
mehr  Buchstaben  falsch  erkannt  wurden,  so  wird  es  klar,  dass  bier 
vielfaoh  von  einem  wirklichen  Zusammenhange  der  Verlesung  mit  dem 
dargebotenen  Eindrucke  gar  nicht  mehr  die  Rede  sein  konnte;  viel- 
mehr  wirkte  der  letztere  nur  als  AnstoB  zur  Auslosung  einer  durch 
andere  Ursachen  vorbereiteten  Sprachbewegung.  Lassen  wir  die  sehr 
zahlreichen  Verlesungen  von  B.  unberticksichtigty  so  bilden  die  ein- 
fachen  Buchstabenfehler  bei  den  stehenden  Verlesungen  48,8,  bei  den 
zerstreuten  2b fi^  aller  Buchstabenfehler.  Die  Abweichung  Yon  den 
in  der  Tabelle  mitgetheilten  Zahlen  ist  demnach  nur  eine  gradweise. 

Die  Zahigkeit  der  einzelnen  Wiederholungen  ergiebt  sich  aus 
Tabelle  XXVU. 

Tabelle  XXVH. 


Wiederholte 
Verlesungen 

2mal 

3mal 

4mal 

5mal 

6mal 

7mal 

8mal 

9mal 

lOmal 

llmal 

bei  denselben  W6rtem 

0. 

3 

. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

A. 

5 

1 

1 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

8. 

7 

3 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

R. 

10 

3 

2 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

B. 

25 

« 

2 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

bei  yerschiedenen  W6rtern                                    1 

0. 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

A. 

3 

— 

— 

— 

__ 

— 

— 

— 

— 

— 

8. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

"" 

— 

— 

R. 

4 

_— 

— 



— 

— 

— 

1    __ 

„  — 

B. 

36 

5 

2 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

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Oeber  die  Messung  der  AafTasauDgsflibigkeit.  257 

In  dieser  Tabelle  bitt  vor  allem  wieder  die  auBerordentliche 
Neigung  B.'s  ztun  Kleben  an  denselben  Fehlem  und  noch  mehr  zum 
Vorbringen  derselben  Verjesungen  bei  verschiedenen  Reizwortern  fer- 
vor. Das  Wort  Festung  kehrte  bei  6  verschiedenen  Reizwortern  12mal 
wieder,  die  Lesiing  Mordthat  sogar  15mal  bei  den  Reizwortern  Mad- 
chen,  Marmor,  Modell,  Ponunem,  Product,  Nothruf,  Verzug,  Mantel, 
Monarch,  Rs^uflust,  Mandat.  Offenbar  hat  sich  das  auf  der  Zunge 
liegende  Wort  ohne  jede  Beziehung.  zum  Sinnesreize  eingestellt. 
Dasselbe  kam  Ubrigens  auch  bei  einfachen  Verlesungen  ofters  vor. 
Beispiele  dafur  sind  die  Verlesungen  Landchen  —  Bildung,  Zeugniss 
—  Heilbronn,  Product  —  Stephan,  Abstieg  —  Schrift,  Schraube  — 
Grefilhrt,  Miihlbach  —  Forster.  Bei  alien  anderen  Personen  kamen 
die  zerstreuten  Wiederholungen  nirgends  ofter  als  zweimal  vor.  Da- 
gegen  war  vielfach  ein  zaheres  Haften  der  stehenden  Wiederholungen 
b^nerkbar.  Wie  wir  jetzt  sehen,  war  die  starke  Zunahme  der  Wieder- 
holungen bei  A.  wesentlich  dadurch  bedingt,  dass  einzelne  Fehler 
aoBerordentlich  fest  hafteten  und  sich  unter  den  9  Lesungen  bis  zu 
7mal  in  gleicher  Weise  wiederholten.  Nach  Ausweis  der  Listen 
waren  es  ganz  geringfiigige  Verlesungen,  die  von  ihm  nicht  verbessert 
wurden,  Rundgang  statt  Rundung,  Pflanzer  statt  Pflanze,  Spenden 
statt  Spender,  Schimmel  statt  Schimmer.  Es  ist  also  wohl  die  Nei- 
gung zu  fluchtigem  und  ungenauem  Lesen  gewesen,  die  ihn  sich  bei 
der  ersten  falschen,  aber  sinnvollen  Lesung  beruhigen  lieB,  zumal 
seine  Auffassung  stark  durch  Vorstellungen  bestimmt  wurde.  R.  und 
S.  haben  ihr  Verhalten  nicht  wesentlich  geandert;  auch  sie  zeigen 
eine  gewisse  Neigung  zum  Kleben  an  denselben  Fehlem,  wahrend  O. 
dieselben  fast  immer  rasch  wieder  verbessert,  entsprechend  den  hier 
fur  ihn  besonders  gunstigen  Auffassungsbedingungen. 

Welche  Bedeutung  bei  diesen  Versuchen  der  Anregung  bestimmter 
Vorstellungen  durch  den  Lesestoff  zukam,  ist  aus  der  folgenden  Ta- 
belle zu  ersehen. 


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258 


Ludwig  Cron  und  Emit  Krwpelin. 
Tabelle  XXVDI. 


Rcizwortern 
entsprachen 

Verleiungen 
aberhaupt 

Einmalige 
Verlesungen 

Wiederholte 
VerlesuDgen 

0. 

11  (26,8  o/o) 

9  (27,3  o/o) 

2  (25,0  o/o) 

I. 

3  (100,0  o/o) 

3  (100,0  o/o) 

— 

A. 

16  (16,8  o/o) 

10  (18,2  o/o) 

6  (15,00|o) 

s. 

10  (10,9  o/o) 

6  (10,0  o/o) 

4  (12,5  o/o) 

R. 

36  (16,7  o/o) 

23  (14,2  o/o) 

13  (24,6  o/o) 

B. 

88  (36,1  o/o) 

32  (40,6  o/o) 

56  (32,6  o/o) 

Diese  Zahlen  zeigen  uns  sogleich,  dass  die  Beeinflussimg  der 
Wahrnehmung  durch  den  Lesestoff  hier  durcbgangig  weit  geringer 
ist,  als  bei  den  einsilbigen  Wortem.  Es  scbeint,  als  ob  die  langeren 
Worter  weniger  leicbt  baften  und  darum  weniger  Macbt  gewinnen. 
Darin  diirfte  ein  wesentlicber  Grand  ftir  die  Abnabme  der  zerstreuten 
Wiederbolungen  liegen,  die  bei  Trommel  A  in  naber  Beziebung  zu 
dem  langeren  Haften  der  Beizworter  zu  steben  scbienen.  Nament- 
licb  auf  das  Verbalten  von  0.  fallt  dadurcb  ein  neues  Licbt.  Zu 
einem  Yergleicbe  im  einzelnen  sind  die  Zablen  meist  zu  klein  und 
dadurcb  zu  sebr  von  Zufalligkeiten  abbangig;  dennocb  lasst  sicb 
erkennen,  dass  bier  gerade  wie  friiber  (abgeseben  von  Lj  B.  und  0. 
am  starksten  beeinflusst  erscbeinen.  Zwiscben  den  Ubrigen  Personen 
besteben,  ebenfalls  wie  friiber,  keine  nennenswertben  Unterscbiede, 
docb  ist  der  Grad  der  Beeinflussung  ein  recbt  geringer.  Der  Unter- 
scbied  in  der  Wirkung  der  Beizworter  auf  einmaUge  und  mebrfacbe 
Verlesungen  ist  sebr  geringfUgig  und  scbwankend;  nur  bei  R.  scbeint 
die  Anregung  einer  Vorstellung  durcb  das  Lesen  ibre  baufigere 
Wiederkebr  beim  Verlesen  begUnstigt  zu  baben.  Bei  den  iibngen 
Personen  ist  der  Einfluss  des  Lesestoffes  auf  die  wiederbolten  Febler 
im  G^gentbeil  meist  geringer  als  auf  die  einmaligen.  Der  Grand 
dafur  liegt,  wie  bei  den  Versucben  von  S.  mit  einsilbigen  Wortern, 
offenbar  in  dem  Umstande,  dass  bier  die  zerstreuten  Wiederbolungen 
Uberbaupt  seltener  werden.  Die  stebenden  Wiederbolungen  aber  sind 
von  wesentUcb  anderen  Ursacben  abbangig,  als  von  dem  Einflusse 


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Ueber  die  Messung  der  AufTassuDgsflLbigkeit. 


259 


der  Beizworter.  Hochstens  bei  B.  hatte  man  demnack  eiiie  nabere 
Beadehung  zwischen  Lesestoff  und  wiederliolten  Verlesungen  erwarten 
sollen,  doch  stammten  bei  ihm  gerade  einige  der  Verlesungen,  die 
ungemein  haufig  bei  verschiedenen  Wortem  wiederkehrten,  nicht  aus 
den  Beizwortem. 

Eine  Erganzung  finden  diese  Erfahrungen  in  den  zeitlichen  Be- 
ziehungen  der  Verlesungen  zu  den  Beizwortem,  mit  denen  sie  uber- 
einstimmten. 

Tabelle  XXIX. 


Das  beeinflusiende 
Reizwort  kam 

vorher 

nachher 

kurz  vorher 

unmittelbar 
vorher 

0. 

6 

4 

— 

— 

I. 

— 

— 

1 

— 

A. 

7 

6 

— 

8. 

5 

3 

1 

~ 

R. 

19 

8 

2 

1 

B. 

1 

30 

18 

5 

Auch  bier  wird  es  deutlich,  dass  der  Enfluss  der  Beizworter 
nur  ein  sehr  geringer  gewesen  ist.  Da  jede  Trommel  dreimal  hinter- 
einander  am  gleichen  Tage  gelesen  wurde,  so  ist  naturlicb  aucb  ein 
Einfluss  der  in  der  Liste  folgenden  Beizworter  auf  eine  Verlesung 
nicht  ganz  ausgeschlossen,  als  Erinnerung  von  der  vorigen  Lesung. 
Immerhin  ist  diese  Beziehung  docb  eine  ziemlicb  lockere,  und  wir 
haben  jedenfalls  das  Hauptgewicbt  auf  die  bei  jeder  Lesung  vorauf- 
gegangenen  Beizworter  zu  legen.  Danach  miissten  wir  die  starkste 
Beeinflussung  bei  B.  und  B.  annehmen,  wahrend  bei  0.  die  Beziehung 
weniger  deutlich  ist.  Diese  Ergebnisse  stimmen  nicht  ganz  mit  unseren 
Erfahrungen  bei  einsilbigen  Wortem,  wenigstens  in  Bezug  auf  0.  und 
B.,  doch  sind  die  Zahlen  selbst  zu  klein,  um  irgend  zuverlassigere 
Anhaltspunkte  zu  gewahren.  Auch  in  der  weit  groBeren  Seltenheit 
naherer  zeitlicher  Polge  zeigt  sich  iibrigens  die  geringere  Bedeutung, 
die  den  Beizwortem  bier  fUr  die  Gestaltung  der  Verlesungen  zu- 
kommt    Zu  demselbeu  Schlusse  fUhrt  endlich  die  Feststellung,  bei 


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260 


Ludwig  €ron  tind  Emit  Kraepelin. 


wie  vielen  Versuchspersonen  iiberhaupt  Reizworter  in  Verlesungen 
wiederkehrten.  Ganz  ohne  Beziehung  zn  den  Verlesungen  bliel)en 
70,5^  der  Eeizworter;  von  einer  Person  vorgebracht  wurden  22,7^, 
von  zweien  bfi^y  von  dreien  l,8j^.  Die  zweisflbigen  Worter  spielten 
demnach  in  dem  Vorstellungsschatze  unserer  Versuchspersonen  nicht 
im  entfemtesten  die  BoUe  wie  die  einsilbigen. 


V.  Uebnng,  Oew5hnang,  Oed&chtniss. 

Um  uns  einen  Einblick  in  das  Verhalten  der  Uebung  bei  unseren 

Versuchspersonen  zu  verschaffen,  werden  wir  zu  prUfen  haben,  wie 

sich  die  Zahl  der  richtigen,  der  falschen  Lesungen  und  der  Aus- 

lassungen  an  den  einzelnen  Versuchstagen  gestaltet  hat.    Um  nicht 

zu  viel  Zahlen  zu  bringen,   diirfen  wir  uns  wohl  gestatten,  die  bei 

verschiedener  Spaltweite  gewonnenen  Werthe  zusammenzuziehen,  was 

fur  die  hier  bertihrte  Frage  zulassig  erscheint.    Die  folgende  Tabelle 

giebt  einen  Ueberblick  iiber  die  procentische  Vertheilung  der  rich- 

tigen  Lesungen,  Fehler  und  Auslassungen  an  den  einzelnen  Tagen; 

in  Klammem  ist  Uberall  die  beobachtete  Zahl  der  richtigen  Lesungen 

hinzugefUgt. 

Tabelle  XXX. 


0. 

r             f 

a 

I. 

-      1 

/ 

a 

r 

/ 

a 

Trommel  A 

1-  Tag 

(540)  64,3 

14,2 

21,5 

(839)  99,9      0,1 

— 

(779)  92,7 

7,2 

0.1 

2.  Tag 

3.  Tag 

(819)  97,5 

1,5 

1,0 

(839)  99,9       0,1 
(837)  99,7       0,2 

0,1 

(813)  96,8 

2,5 

0,7 

(835)  99,4 

0,5 

0,1 

(823)  98,0 

1,8 

0,2 

Trommel  B 

«Tag 

(763)  90,8 

3,1 

64 

(838)  99,8       0,1 

0,1 

(775)  92,3 
(793)  94,4 

6,4 
2,9 

1,3 
2,7 

2.  Tag 

(821)  97,7 

1,2 

1,1 

(839)  99,9       0,1 

3.  Tag 

(831)  98,9 

0,5 

0,6 

(840)100,0       — 

— 

(814)  96,9 

I,» 

>,5 

11,7 

Trommel  C 
(793)  97,9       1,0 

1,1 

26,8 

1.  Tag 

2.  Tag 

(627)  77,4 

10,9 

(551)  68,0 

6,2 

(692)  85,4 

7,2 

7,4 

(792)  97,8       1,7 

0,5 

(684)  84,5 

13,7 

1.8 

3.  Tag 

(738)  91,1 

1 

5,6 

3,3 

(804)  99,3       0,7 

— 

(687)  84,8 

12,1 

3,1 

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Ueber  die  Messung  der  AuflassuDgsfkhigkeit. 


261 


S 

R. 

B. 

r 

/ 

a 

r              f 

a 

r 

/ 

a 

Trommel  A 

1.  Tag 

(778)  92,6 

6,0 

1,4 

(769)  91,5       8,2 

0,3 

(286)  34,0 

26,0 

40,0 

2.  Tag 

(814)  96,9 

2,7 

0,4 

(784)  93,3       6,2 

0,5 

(371)  44,2 

22,2 

33,6 

3.  Tag 

(829)  98,7 

1,2 

0,1 

(743)  88,4       9,2 

2,4 

(327)  38,9 

21,0 

40,1 

Trommel  B 

1.  Tag 

(736)  87,6 

6,7 

5,7 

(692)  82,4     10,2 

7,4 

(249)  29,6 

19,0 

51,4 

2.  Tag 

(806)  95,9 

3,0 

1,1 

(718)  85,5       7,6 

6,9 

(344)  40,9 

18,0 

41,1 

3.  Tag 

(821)  97,7 

1,1 

1,2 

(676)  80,5       7,6 

11,9 

(200)  23,8 

13,2 

63,0 

Trommel  C                                                                | 

1.  Tag 

(720)  88,9 

9,7 

1,4 

(627)  77,4     13,8 

8,8 

(109)  13,5 

46,0 

40,5 

2.  Tag 

(733)  90,5 

7,9 

1,6 

(546)  67,4     11,1 

21,5 

(180)  22,2 

56,7 

21,1 

3.  Tag 

(757)  93,5 

5,3 

1,2 

(463)  57,2     18,2 

24,6 

(24)  22,0 

35,2 

61,8 

Wir  ersehen  aus  dieser  Zusammenstellung,  dass  in  der  Kegel 
von  Tag  zu  Tag  eine  Zunahme  der  richtigen  Lesungen  stattgefunden 
hat  Bel  0.,  A.  und  S.  lasst  sich  diese  Erscheinung  ausnahmslos 
nachweisen,  bei  I.  nur  einmal;  doch  sind  bei  ihm,  der  sich  an  der 
oberen  Grenze  des  Schwellengebietes  befindet,  die  uberhaupt  mog- 
lichen  Schwankungen  zu  geringfugig,  um  ein  XJrtheil  iiber  die  XJebungs- 
wirkung  zuzulassen.  R.  und  B.  zeigen  das  Anwachsen  der  Auf- 
fassungsfahigkeit  mit  einer  Ausnahme  wenigstens  vom  ersten  zum 
zweiten  Tage;  am  dritten  findet  sich  wieder  eine  Verschlechterung. 
Yon  Wichtigkeit  ist  der  Umstand,  dass  mit  genngfUgigen  Ausnahmen 
die  Besserung  vom  ersten  zum  zweiten  Tage  viel  bedeutender  ist,  als 
vom  zweiten  zum  dritten.  Man  konnte  zur  Erklarung  etwa  an  die 
verschiedene  Lange  der  Zwischenzeiten  zwischen  den  einzehien  Ver- 
suchstagen  denken.  In  der  That  folgten  bei  O.,  A.,  S.,  B.  die  ersten 
beiden  Yersuchstage  unmittelbar  aufeinander,  wahrend  zwischen  zwei- 
tem  und  drittem  bei  S.  ein  Tag,  bei  O.  und  A.  zwei  und  bei  B.  drei 


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262  Liidwlg  Groii  und  bmii  Kraepeiiii. 

Tage  lagen.  Es  lasst  sich  naturlich  nicht  ausschlieBen ,  dass  der 
Uebungsverlust  in  der  langeren  Zwischenzeit  hier  eine  gewisse  Rolle 
gespielt  bat.  Dass  dieser  Umstand  aber  nicht  mafigebend  gewesen 
ist,  wird  schon  durch  die  auBerordentliche  GroBe  der  Unterschiede 
nahe  gelegt.  Zudem  zeigt  auch  gerade  S.  bei  Trommel  C  ein  ab- 
weichendes  Verhalten.  Bei  I.  und  R.  lagen  zwischen  erstem  und 
zweitem  Versuche  6  bezw.  12  Tage,  wahrend  der  zweite  und  dritte 
Versuch  nur  durch  einen,  bezw.  zwei  Tage  von  einander  getrennt 
waren.  Trotzdem  finden  wir  bei  R.  auch  vom  ersten  zum  zweiten  Ver- 
suche zweimal  ein  Anwachsen  der  richtigen  Lesungen,  vom  zweiten  zum 
dritten  stets  ein  Sinken,  wahrend  I.  gar  keine  bestimmten  Beziehungen 
zwischen  Auff  assungsleistung  und  Lange  der  Zwischenzeit  erkennen  lasst 
Das  hier  beobachtete  Verhalten  ist  uns  aber  aus  anderen 
psychologischen  Versuchen  wohlbekannt.  Es  ist  eine  ganz  ge- 
wohnliche  Erscheinung,  dass  der  Fortschritt  in  der  Leistung  vom 
ersten  zum  zweiten  Tage  namentlich  bei  ganz  neuen  Versuchen  ein 
unverhaltnissmaBig  groBer  ist.  Man  pflegt  meist  anzunehmen,  dass 
dieses  Verhalten  dem  Gauge  der  Uebung  entspreche,  die  eben  zu- 
nachst  sehr  rasch  und  dann  weit  langsamer  zunehme.  Angesichts 
der  zum  Theil  ganz  ungemein  groBen  Unterschiede  zwischen  den  ein- 
zelnen  Tagen  scheint  uns  diese  Auffassung  etwas  gezwungen.  Wir 
wissen  aus  den  Erfahrungen  Uber  den  weiteren  Verlauf  des  XJebungs- 
fortschrittes,  dass  die  GroBe  desselben  sich  nur  langsam  und  allmahlich 
andert;  es  ware  daher  sehr  auffallend,  wenn  gerade  vom  ersten  zum 
zweiten  Versuchstage  immer  ein  so  erheblicher  Sprung  im  XJebungs- 
grade  eintreten  sollte.  Viel  naher  hegt  es,  hier  an  eine  andere  weit 
rascher  wirkende  Ursache  zu  denken,  die  Gewohnung,  deren  Ein- 
fluss  wir  auch  bei  der  Ausfiihrung  derartiger  Versuche  deutlich  an 
uns  selbst  wahmehmen  konnen.  Wahrend  die  Uebung  auf  der  Er- 
leichterung  psychischer  Vorgange  durch  die  Wiederholung  beruht, 
bedeutet  die  Gewohnung  die  Hemmung  aller  Ubrigen  storenden  Vor- 
gange. Wir  iiben  uns  auf  ein  Verfahren  ein,  indem  wir  durch  hau- 
fige  Wiederholung  eine  bleibende  Spur  desselben  in  unserem  Innem 
schaffen,  die  den  kiinftigen  Ablauf  des  gleichen  Vorganges  fortschrei- 
tend  erleichtert.  Die  Uebung  hat  daher  sehr  weite  Grenzen  und 
kann  immer  noch  weitere  kleine  Fortschritte  erzielen,  besonders 
deswegen,  weil  ein  Theil  derselben  in  den  Arbeitspausen  immer  wieder 


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Ueber  die  Messung  der  Anffassangsfiilhigkeit.  263 

verloren  geht  Wir  gewohnen  uns  dagegen  an  eine  Versuchsanordnung, 
wenn  wir  es  lemen,  alle  storenden  Nebenvorstellungen  und  Ge- 
fuhle,  wie  sie  aus  den  besonderen  Bedingungen  oder  Unbequem- 
lichkeiten  der  Arbeit  hervorgehen,  zu  hemmen,  unbeachtet  zu  lassen 
und  unsere  ganze  Aufmerksamkeit  ausschlieBlich  der  gestellten  Auf- 
gabe  zuzuwenden.  Sind  die  Bedingungen,  unter  denen  wir  arbeiten 
miissen,  sehr  schwierige,  so  kann  auch  die  Gewohnung  langere  Zeit 
in  Anspruch  nehmen  oder  nie  eintreten;  die  Thatigkeit  kann  uns 
sogar  immer  unertraglicher  werden.  Es  liegt  indessen  auf  der  Hand, 
dass  wir  zumeist  das  Erreichbare  hier  weit  schneller  erreichen  werden, 
als  bei  der  Uebung.  Das  haben  auch  in  biindiger  Form  die  Versuche 
mit  Ablenkung  gezeigt,  wie  sie  von  zahbreichen  Personen  im  Laufe 
der  letzten  Jahre  bei  uns  angestellt  wurden.  Haben  wir  uns  einmal 
in  die  Bedingungen  eines  Versuches  hineingefunden,  was  je  nach  der 
personlichen  Eigenart  rascher  oder  langsamer  geschieht,  so  ist  im 
Gegensatze  zur  Uebung  ein  erheblicher  Fortschritt  durch  die  Ge- 
wohnung  nicht  mehr  zu  erzielen;  hochstens  konnte  noch  an  einen 
theilweisen  Ausgleich  von  Dispositionsschwankungen  durch  sie  gedacht 
werden.  Aus  den  vorgetragenen  Griinden  ist  es  uns  wahrscheinlich, 
dass  der  uberall  bei  psychologischen  Versuchen  beobachtete  unver- 
haltnissnuLBig  starke  Fortschritt  der  Leistung  im  Anfange  nicht  auf 
Rechnung  der  Uebung,  sondem  zum  groBten  Theile  auf  diejenige  der 
G^wohnung  zu  setzen  ist,  deren  Wirkung  erfahrungsgemaB  weit  rascher 
ihre  Hohe  erreicht. 

WoUten  wir  uns  ein  Urtheil  iiber  die  GroBe  der  Gewohnungs- 
fahigkeit  bei  den  einzehien  Personen  bilden,  so  konnten  wir  daran 
denken,  den  verhaltnissmaBigen  Fortschritt  der  Auffassungsleistung 
vom  ersten  zum  zweiten  Tage  mit  einander  zu  vergleichen.  Unter 
diesem  Gesichtspunkte  wiirden  B.  und  O.  das  gunstigste  Ergebniss 
liefem,  R.  und  I.  das  schlechteste,  wahrend  A.  und  S.  in  der  Mitte 
standen.  Allein  dieser  Schluss  ist  sehr  gewagt.  Wenn  wir  auch 
davon  absehen  wollten,  dass  R.  und  I.  wegen  der  Lange  der  Zwischen- 
zeit  nicht  mit  den  anderen  Personen  zu  vergleichen  sind,  so  ware 
doch  darauf  hinzuweisen,  dass  ein  einzelner  Yersuchstag  immer  zu 
sehr  von  zufalligen  Umstanden  abhangig  ist  und  daher  nicht  als 
sichere  Grundlage  fur  weitere  Folgerungen  dienen  kann.  Noch  wich- 
tiger  ist  wohl,  dass  die  Besserung  der  Leistung  bei  einer  Arbeit  im 


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264  Ladwig  GroD  and  Emit  KraepeliD. 

Schwellengebiete  naturlich  um  so  geringfugiger  ausfallt,  je  mehr  wir 
uns  der  oberen  Grenze  nahem.  Die  gleiche  Erleichterung  der  Auf- 
fassungsbedingungen  wird  daher  bei  B.  eine  weit  starkere  Zunahme 
der  richtigen  Lesungen  erzielen,  ab  bei  denjenigen  Personen,  die 
ohnedies  schon  fast  alle  Worter  richtig  auffassen.  Vergleichbar  waren 
auch  aus  diesem  Grunde  abo  nur  diejenigen  Personen,  die  am  ersten 
Tage  wenigstens  annahemd  die  gleichen  Leistungen  aufwiesen.  Unter 
diesem  Gesichtspunkte  kann  man  wohl  sagen,  dass  in  den  vorliegen- 
den  Versuchen  O.  eine  groBere  Gewohnungsfahigkeit  gezeigt  hat,  als 

A.  und  S.  Ob  das  nur  fiir  diese  Versuchstage  gilt  oder  auf  den 
allgemeinen  personlichen  Eigenschaften  beruht,  muss  dahingestellt 
bleiben. 

Gt^nz  denselben  Schwierigkeiten  begegnen  wir  bei  dem  Versuche, 
uns  iiber  die  Uebungsfahigkeit  der  einzelnen  Personen  Rechen- 
schaft  zu  geben.  Ein  Bild  davon  konnte  uns  hochstens  die  Zunahme 
der  richtigen  Lesungen  vom  zweiten  zum  dritten  Tage  liefem.  Dabei 
wurden  wir  zu  dem  Schlusse  kommen,   dass  O.  die  groBte,   R.  und 

B.  die  geringste  Uebungsfahigkeit  aufzuweisen  batten,  wahrend  A. 
und  S.  wieder  eine  mittlere  Stellung  einnehmen.  Die  starke  Ab- 
nahme  der  richtigen  Lesungen  bei  R.  und  B:  statt  der  erwarteten 
Zunahme  kann  natiirlich  nur  davon  herrlihren,  dass  am  letzten  Ver- 
suchstage die  Disposition  besonders  ungUnstig  war  und  so  der 
Uebungszuwachs  mehr  als  ausgeglichen  wurde.  Aber  auch  das  wird 
im  allgemeinen  am  leichtesten  geschehen,  je  geringer  der  Uebungs- 
einfluss  ist  und  je  mehr  sich  die  Leistung  der  unteren  Grenze  des 
Schwellengebietes  nahert.  Unter  Beriicksichtigung  dieses  letzteren 
Umstandes  und  der  Zwischenzeit  zwischen  zweitem  und  drittem  Tage 
smd  einigermaBen  vergleichbar  nur  O.,  A.  und  R.  Bei  letzterem  war 
allerdings  die  Pause  zwischen  den  beiden  ersten  Versuchen  eine  lan- 
gere,  ein  Umstand,  der  vielleicht  auch  fiir  die  Gestaltung  der  Leistung 
am  dritten  Tage  nicht  ganz  bedeutungslos  geblieben  ist.  Anderer- 
seits  lag  bei  S.  zwischen  zweitem  und  drittem  Versuche  nur  ein  Tag; 
man  muss  das  Ergebniss  bei  ihm  also  im  Vergleiche  als  etwas  zu 
gUnstig  betrachten.  Unter  Beriicksichtigung  dieser  Verhaltnisse  wiirden 
wir  hochstens  so  viel  aus  den  Zahlen  folgem  konnen,  dass  in  den 
vorUegenden  Versuchen  A.  und  S.  ungefilhr  die  gleiche,  O.  eine 
etwas  groBere  Uebungsfahigkeit  ffezeigt  hat,  wahrend  R.  wahrscheinlich 


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Ueber  die  Messong  d^r  AaffMSHogsflUiigkeit.  265 

erheblich  weniger  iibungsfahig  ist  I.  und  B.  mussen  wir  wegen 
ilirer  weit  abweichenden  Leistungen  auBer  Spiel  lassen.  Ob  aber 
auch  die  iibrigen  Vergleiche  allgemeinere  Gtiltigkeit  haben  oder  wesent- 
lich  zufallige  Befunde  darstellen,  vermogen  wir  nicht  zu  entscheiden. 
Der  Antheil  richtiger  Lesungen  am  Yersuchsergebnisse  nimmt 
bei  O.,  A.  und  S.  ganz  regelmaBig  von  Tag  zu  Tag  zu.  Bei  I.  be- 
wegen  sich  die  unbedeutenden  Schwankungen  so  nahe  der  oberen 
Grenze,  dass  sie  kein  Urtheil  mehr  zuiassen.  B.  zeigt  wenigstens 
vom  ersten  zum  zweiten  Tage  iiberall  ein  Ansteigen  der  richtigen 
Lesungen,  am  dritten  ein  Sinken;  bei  R.  lasst  sich  dieses  Sinken  in 
den  Versuchen  mit  Trommel  C  schon  am  zweiten  Tage  nachweisen. 
Das  Yerhaltniss  zwischen  Fehlem  und  Auslassungen  gestaltet  sich 
sehr  verschieden.  Einander  ahnlich  verhalten  sich  A.  und  S.  Beide 
haben  im  Beginne  der  Versuche  wenig  Auslassungen  und  weit  mehr 
Fehler,  namentlich  A.  Die  Zunahme  der  richtigen  Lesungen  erfolgt 
hiOT  wesentlich  auf  Kosten  der  Fehler,  wahrend  die  Auslassungen 
dabei  gar  nicht  oder  doch  viel  weniger  abnehmen.  Beide  Personen 
haben  also,  wie  auch  schon  fruher  festgestellt,  die  Neigung,  undent- 
lich  erfasste  Eindriicke  dennoch  zu  lesen,  wenn  auch  fehlerhaft.  Die 
Uebung  bewirkt  bei  ihnen  eine  grSBere  SchSrfe  und  damit  Brichtig- 
keit  der  Auffassung,  ohne  die  Zahl  der  uberhaupt  gelesenen  Worter 
wesentlich  zu  beeinflussen.  Ganz  anders  verhalt  sich  O.  Bei  ihm 
aberwiegen  von  Anfang  an  die  Auslassungen;  schlecht  erfasste  Ein- 
driicke ist  er  nicht  im  Stande  oder  nicht  geneigt,  wiederzugeben.  Die 
groBere  Sicherheit  der  Auffassung  mit  fortschreitender  Uebung  be- 
wirkt bei  ihm  zwar  auch  eine  erhebliche  Abnahme  der  falschen 
Lesungen,  aber  die  Verminderung  der  Auslassungen  tritt  doch  noch 
starker  in  den  Vordergrund.  R.  nahert  sich  in  der  verhaltnissmaBig 
geringen  Zahl  seiner  Auslassungen  etwas  den  beiden  erstgenannten 
Personen.  Die  anfangliche  Besserung  seiner  Leistung  erfolgt  dem 
ehtsprechend  auch  hauptsachlich  durch  Abnahme  der  Fehler.  Die 
"Verschlechterung  bei  Trommel  C  am  zweiten  Tage  wurde  umgekehrt 
durch.  Zunahme  der  Auslassimgen  bewirkt,  wahrscheinlich  deshalb, 
weil  derKranke  bei  der  ihm  wenig  angenehmen  Aufgabe  des  Lesens 
sinnlolier  Silben  einfach  nicht  mehr  gut  auimerkte.  Aehnlich  ist  auch 
wdU.  die  Verschlechterung  der  Leistung  am  dritten  Tage  zu  deuten; 
hier  nahmen  iiberall  die  Auslassungen  stark  zu,  bei  Trommel  A  und 


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266 


Ladwig  Cron  and  Bmll  Knepelio. 


C  allerdings  auch  die  Fehler.  B.,  der  meist  mehr  Auslassungen,  als 
Fehler  beging,  zeigte  mit  Besserung  der  Leistung  eine  starkere  Ab- 
nahme  jener  ersteren,  bei  Trommel  C  sogar  neben  gleichzoitiger  Zu- 
nahme  der  Fehler.  Ebenso  war  auch  die  Verschlechterung  am  dritten 
Tage  wieder  durch  Anwachsen  der  Auslassungen  bedingt,  w&hrend 
die  Verlesungen  im  Gegentheil  zurUckgingen.  Im  groBen  und  ganzen 
scheint  demnach  die  Uebung  bald  die  Fehler,  bald  die  Auslassungen 
starker  zu  vermindem,  je  nachdem  die  ersteren  oder  die  letzteren 
beim  Lesen  die  groBere  BoUe  spielen. 

Im  Hinblicke  auf  frUhere  Ausfuhrungen  erscheint  es  nun  viel- 
leicht  zweckmUBig,  auch  der  besonderen  G^staltung  des  Auffassunga- 
vorganges  an  den  einzelnen  Yersuchstagen  noch  genauer  zu  folgen, 
so  weit  das  unsere  Zahlen  gestatten.  Bei  der  geringen  Zahl  gleich- 
artiger  Versuche  wird  es  dabei  allerdings  nothig  sein,  auf  die  Unter- 
scheidung  zwischen  den  verschiedenen  Spaltweiten  zu  verzichten. 
Femer  wird  es  sich  vielfach  empfehlen,  von  der  Betrachtung  der 
Trommel  C,  bei  der  die  Art  der  Fehler  nur  unvoUkommen  aufge- 
zeichnet  werden  konnte,  abzusehen  und  dann  die  Ergebnisse  an  den 
beiden  andem  Trommeln  zusammenzufassen.  Endlich  werden  wir 
hier  I.  mit  seiner  geringen  Zahl  von  Fehlem  ganz  auBer  Acht  lassen 
mttssen. 

Fragen  wir  zunachst  nach  der  Zahl  der  verlesenen  Buchstaben 
in  jedem  falsch  aufgefassten  Worte,  so  erhalten  wir  folgende  Ueber- 
sicht,  in  welcher  das  Procentverhaltniss  der  einfachen  Verlesungen 
zu  alien  Verlesungen  ttberhaupt  bei  Trommel  A  und  B  darge- 
stellt  ist. 

Tabelle  XXXI. 


0. 

A. 

8. 

R. 

B. 

1.  Tag 

35,» 

45,2 

60,0 

32,2 

15,7 

2.  Tag 

43,6 

55,1 

46,9 

40,0 

24,8 

3.  Tag 

75,0 

71,4 

57,2 

35,5 

13,4 

Der  Gang  dieser  Zahlen  ist  kein  einheitlicher.  Bei  0.  und  A. 
nehmen  die  einfachen  Fehler  vom  ersten  zum  dritten  Tage  verhftlt- 
nissmaBig  zu,  die  mehrfachen  also  ab.   Das  wiirde  eine  Verbesserung 


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Ueber  die  Messung  der  AufTassoogsfahigkeit.  267 

der  Leistung  bedeuten,  welche  die  Zunahme  der  richtigen  Lesungen 
begleitet,  nur  noch  scharfer  ausgepragt  erscheint,  als  jene.  Die  Ver- 
mindenrng  der  mehrfachen  Fehler  ist  ja  auch  wohl  die  Vorstufe  zuih 
ganzlichen  Verschwinden  der  falschen  Lesungen.  Fiir  S.  trifft  das 
jedoch  nicht  zu.  Mit  der  fortschreitenden  Vermehrung  der  richtigen 
Lesungen  nimmt  bei  ihm  das  Verhaltniss  der  mehrfachen  Fehler  am 
zweiten  Tage  zu  und  ubertrifft  auch  am  dritten  noch  dasjenige  des 
ersten.  Die  deutliche  Verbesserung  der  Gesammtleistung  beruht  also 
bei  ihm  nicht  oder  doch  nicht  wesentlich  auf  einer  scharferen  Auf- 
fassimg  der  Einzelheiten,  als  deren  Ausdruck  wir  doch  wohl  die 
Abnahme  der  mehrfachen  Fehler  anzusehen  haben.  Das  Verhalten 
von  R,  anfslngliche  Abnahme,  dann  wieder  Zunahme  der  mehrfachen 
Verlesimgen,  wiirde  ungefahr  dem  Gauge  seiner  Gesammtleistung 
entsprechen,  ebenso  dasjenige  von  B.  Auch  bei  ihnen  diirfen  wir 
also  annehmen,  dass  im  ganzen  die  Besserung  der  Auffassung  nicht 
nur  eine  Zunahme  der  richtigen  Lesimgen,  sondem  auch  eine  Ver- 
minderung  der  im  einzelnen  Worte  verlesenen  Buchstaben  bewirkt 
und  umgekehrt.  Wir  wollen  hinzufugen,  dass  die  Betrachtung  der 
Verlesungen  fiir  beide  Trommeln  allein  zu  denselben  Ergebnissen 
fiihrt.  Die  Versuche  mit  Trommel  C  stimmen  fiir  R  und  S.  eben- 
falls  mit  den  gegebenen  Zahlen  iiberein.  Bei  S.  zeigt  das  Verhalt- 
niss der  mehrfachen  Verlesungen  dort  am  zweiten  Tage  eine  Abnahme, 
am  dritten  eine  bedeutende  Zunahme.  Eine  feste  Beziehimg  zwischen 
richtigen  Lesungen  und  Zahl  der  verlesenen  Buchstaben  schien  dem- 
nach  auch  dort  nicht  zu  bestehen. 

Die  Ordnung  der  verlesenen  Buchstaben  entsprach  an  den  ein- 
zelnen Tagen  im  ganzen  unserer  friiheren  Darstellung;  nur  dort,  wo 
die  Zahlen  sehr  klein  waren,  verwischte  sich  der  geschilderte  Auf- 
fassungsrhythmus.  Namentlich  bei  den  zweisilbigen  Wortem  lieB 
sich  die  Gliederung  der  Buchstabenreihe  durch  die  Auffassung  auch 
in  den  Einzelreihen  fast  iiberall  noch  klar  erkennen.  Um  aber  noch 
einen  anderen  Standpunkt  zu  gewinnen,  haben  wir  bei  Trommel  A 
die  Verlesungen  der  ersten  zwei,  bei  Trommel  B  diejenigen  der  ersten 
vier  Buchstaben  in  Procentsatzen  aller  iiberhaupt  verlesenen  Buch- 
staben ausgedrlickt. 


Kraepelin,  PsyebolofT'  Arbeiten.  II.  18 


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268 


Ludwig  Cron  und  Emil  Kracpelin. 
Tabelle  XXXII. 


11 

0. 

A. 

S. 

R. 

B. 

Trommel      A 

B 

A         B 

A         B 

A 

B 

A         B 

1.  Tag   ||  39,2 

63,1 

39,0      55,8 

51,9      45,4 
57,6      46,3 

37,2 

43,4 

37,5      43,8 

2*  Tag 

'  36,8 

55,8 

33,3      44,6 

34,8 

51,2 

37,7      49,2 

3.  Tag 

50,0 

100 

47,6      33,3 

72,7      23,1 

39,2 

54,6 

37,5      48,9 

Durch  die  Theilung  nach  Trommeln  sind  die  G-rundzahlen  leider 
zum  Theil  sehr  klein;  insbesondere  verdienen  die  Angaben  ftir  den 
dritten  Tag  bei  O.  kein  Vertrauen,  da  den  Procentsatzen  Zahlen 
unter  10  zu  Grunde  lagen.  Immerhin  lasst  sich  vielleicht  erkennen, 
dass  bei  O.  und  A.  am  zweiten  Tage  die  eraten  Buchstaben  der  Reiz- 
worter  verfialtnissmaBig  etwas  besser  gelesen  wurden.  Da  der  An- 
fangsbuchstabe  iiberall  die  Aufmerksamkeit  besonders  auf  sich  zog, 
wUrde  es  verstandlich  sein,  wenn  er  von  der  Besserung  der  Auf- 
fassung  zunachst  am  meisten  begiinstigt  wUrde.  R.  scheint  bei  den 
kurzen  Wortem  am  zweiten  Tage  ebenfalls  die  ersten  Buchstaben 
ein  wenig  zu  bevorzugen,  wahrend  die  Verbesserung  bei  den  l&ngeren 
mehr  den  spateren  Stellen  zu  gute  kommt.  Die  Abnahme  der  rich- 
tigen  Lesungen  am  dritten  Tage  geht  bei  ihm  wieder  mit  etwas 
mangelhafterer  Erkennung  der  Anfangsbuchstaben  einher.  Bei  Trom- 
mel C  findet  sich  an  diesem  Tage  sogar  eine  starke  Vemachlassigung 
der  Anfangsbuchstaben.  Von  O.  besitzen  wir  nur  die  Aufzeichnungen 
seiner  Verlesungen  bei  Trommel  C  an  den  ersten  beiden  Tagen;  er 
bevorzugt  am  zweiten  Tage  hier,  wo  seine  Aufmerksamkeit  nicht  durch 
den  Anfangsbuchstaben  angezogen  wird,  entschieden  den  letzten  Buch- 
staben. S.  liest  bei  den  sinnlosen  Silben  fortschreitend  den  mittleren 
Buchstaben  besser,  wahrend  der  erste  immer  mehr  vemachlassigt  wird. 
Diese  letztere  Erscheinung  zeigt  or  auch  bei  den  einsilbigen  Wortem, 
entsprechend  seiner  frliher  erorterten  Neigung,  iiberhaupt  die  Mitte 
kurzerer  Worter  ins  Auge  zu  fassen.  Bei  den  langen  Wortem 
bessert  sich  wenigstens  am  dritten  Tage  die  Auffassung  des  Anfangs 
bedeutend  mehr,  als  die  des  Schlusses.  B.  endlieh  lasst  nur  bei 
Trommel  B  eine  Aenderung  der  Auffassungsrichtung  vennuthen.    Es 


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Oeber  die  Messong  der  AufTassungsfliliigkeit. 


269 


scheint,  dass  die  Besserung  der  Leistung  bei  ihm  vorzugsweise  den 
allerdings  meist  uberaus  schlecht  aufgefassten  Schluss  der  zwei- 
silbigen  Worter  betrifft. 

Ueber  die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  an  den  einzebien 
Tagen,  auch  in  ihren  Procentbeziehungen  zur  Zahl  der  Verlesungen 
uberhaupt,  giebt  die  folgende  Tabelle  Aufschluss. 


Tabelle 

■  xxxm. 

Sinnlo'se 
Verles. 

0. 

A. 

s. 

B. 

B. 

1.  T«g 

10  (6,90/0) 

33  (28,9  0/0) 

37  (34,90/0) 

46  (29,7  0/0) 

67  (17,80/,) 

2.  Tag 

1  (4,4  0/0) 

8  (17,8  o/,J 

11  (22,90/0) 

31  (26,7  0/0) 

61  (18,0  0/0) 

3.  Tag 

— 

3  (10,70/0) 

4  (21 ,00/0) 

40  (28,4  0/0) 

36  (12,50/0) 

Zumeist  wird  demnach  die  Besserung  der  Auffassung  von  einer 
Abnahme  der  unsinnigen  Verlesungen  an  sich  und  im  Verhaltnisse  zu 
alien  Verlesungen  begleitet;  sie  schwinden  noch  etwas  schneller,  als 
die  XJnsicherheit  der  Auffassung.  Die  unsinnigen  Verlesungen  sind 
daher  wenigstens  bei  O.,  A.  und  S.  gewissermaBen  als  eine  Vorstufe 
der  sinnvoUen  aufzufassen,  die  allmahlich  an  ihre  Stelle  riickten.  Wie 
es  scheint,  machte  sich  bei  diesen  Personen  im  Laufe  der  Versuchs- 
tage  mehr  und  mehr  das  Bestreben  geltend,  auch  dort,  wo  noch  nicht 
zuverlassig  erkannt  wurde,  nur  solche  Verlesungen  vorzubringen,  die 
der  Aufgabe  wenigstens  ungefahr  entsprachen.  Dem  gegeniiber  sind 
die  Vemnderungen  im  Verhaltnisse  der  sinnlosen  Verlesungen  bei  R. 
und  B.  auffallend  gering.  Namentlich  bei  R.  scheint  die  Neigung, 
unzweifelhaft  falsche  Lesungen  einigermaBen  sinnvoU  zu  gestalten, 
wahrend  der  Versuchszeit  durchaus  nicht  zugenommen  zu  haben. 
Einen  wesentlichen  Einfluss  der  wachsenden  Uebung  werden  wir  hin- 
sichtlich  der  Haufigkeit  der  wiederholten  Verlesungen  erwarten  diirfen. 
Nach  unseren  friiheren  Erorterungen  werden  wir  dabei  zu  unter- 
scheiden  haben  zwischen  stehenden  und  zerstreuten  Wiederholungen, 
femer  zwischen  gleichen  Wiederholungen  an  demselben  und  an  ver- 
schiedenen  Tagen.  In  der  folgenden  Tabelle  ist  zusammengestellt, 
wie  oft  bei  Trommel  A  und  B  stehende  Wiederholungen  an  dem- 
selben und  an  vorschiedenen  Tagen  wiederkehrten. 

18* 


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270 


laimn  Croo  und  Emil  Kraepeliu. 
TabcUe  XXXIV. 


0. 

A. 

S. 

R. 

B. 

An  demselben  Tage 

1.  Tag 

17 
2 

16 
9 

20 
11 

13 

35 

2.  Tag 

31 

32 

3.  Tag 

— 

5 

4 

19 

41 

An  verechiedenen  Tagen 

2.  Tag 

6 

10 

12 

26 

58 

3.  Tag 

8 

16 

12 

44 

68 

Hier  zeigt  sich  zunachst,  class  bei  O.,  A.  und  S.  von  Tag  zu  Tag 
die  Neigung  abnimmt,  stehende  Verlesungen  am  gleichen  Tage  zu 
wiederholen.  Vergleichen  wir  jedoch  verschiedene  Tage,  so  stellt  sich 
zu  unserer  Ueberraschung  heraus,  dass  dann  von  einer  Abnahme  der- 
selben  Fehler  keine  Rede  mehr  ist,  sondem  eher  eine  Zunahme  statt- 
findet,  besonders  bei  A.  Dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  Zufallig- 
keit  handelt,  wird  durch  das  ebenfalls  starke  Anwachsen  der  gleichen 
Verlesungen  an  verschiedenen  Tagen  bei  R.  und  B.  dargethan.  Im 
Laufe  der  Versuchszeit  werden  also  dieselben  Fehler  seltener  an  dem- 
selben, haufiger  an  auf  einander  folgenden  Tagen.  Die  Losung 
dieses  Widerspruches  diirfte  darin  liegen,  dass  die  Versuchspersonen 
vielfach  zu  unterscheiden  wissen,  ob  sie  richtig  oder  falsch  gelesen 
haben,  auch  wenn  sie  nicht  im  Stande  sind,  den  begangenen  Fehler 
zu  verbessem.  1st  daher  von  den  drei  Lesungen  eines  Tages  etwa 
die  erste  falsch  gewesen  und  als  solche  empfunden  worden,  so  wird 
sie  nicht  leicht  in  derselben  Form  wiederholt  werden,  um  so  weniger, 
je  mehr  die  Verbesserung  durch  den  Fortschritt  der  Auffassungs- 
fahigkeit  erleichtert  ist.  Andererseits  aber  diirfen  wir  annehmen, 
dass  hier  ein  Theil  der  Auffassungserleichterung  gar  nicht  als  Uebung 
im  weiteren,  sondem  als  Gedachtniss  im  engeren  Sinne  betrachtet 
werden  muss.  Nicht  nur  die  Fahigkeit,  uberhaupt  vorbeieilende 
Woi*ter  aufzufassen,  wird  geiibt,  sondem  es  pragen  sich  auch  mehr 
und  mehr   die  bestimmten  Worter  auf  der  gegebenen  Trommel  ein. 


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Ueber  die  Messiing  der  Auffassungsfahigkeit.  271 

Sogar  die  Reihenfolge  derselben  liaftet  schlieBlich,  namentlich  wenn 
rich  zwischen  den  einzelnen  Wortern  unvorhergesehene  associative 
Verbindungen  knilpfen,  wie  bei  Franz  —  Hals,  Pracht  —  Werk  und 
ahnliche.  Das  Lesen  kann  sich  demnach  theilweise  in  ein  Aufsagen 
umwandeln,  so  dass  bei  sehr  hanfigen  Wiederholungen  des  gleichen 
Stoffes  die  Vorstellnngsreihen  sich  mehr  und  mehr  von  den  darge- 
botenen  Sinneseindrticken  loslosen.  Die  ersten  Ansatze  zu  einer  der- 
artigen  Losung  der  Auffassungsaufgabe  durch  das  Gedachtniss  waren 
dem  eigenen  Empfinden  nach  bei  einzelnen  Beobachtem  schon  vorhanden. 
An  dem  Vorgange  der  gedachtnissmaBigen  Einpragung  nehmen 
aber  nicht  nnr  die  richtigen,  sondem  auch  die  falschen  Lesungen 
theil;  je  ofter  sie  wiederholt  werden,  desto  mehr  befestigen  sie 
sich,  und  desto  schwidriger  wird  fiir  die  Versuchsperson  das  Er^ 
kennen  und  Vermeiden  des  Fehlers.  Wir  miissen  dabei  nur  anneh- 
men,  dass  jenes  Gefuhl  der  XJnsicherheit,  welches  falsche  Lesungen 
vielfach  begleitet,  von  einem  Versuchstage  zum  andem  rascher  ver- 
blasst,  als  das  verlesene  Wort  selber,  dass  wir  also  an  einem  spateren 
Tage  zunachst  wenigstens  nicht  mehr  so  rasch  und  sicher  zwischen 
den  Erinnerungsbildem  falscher  und  richtiger  Lesungen  zu  unter- 
scheiden  vermogen  wie  bei  unmittelbar  auf  einander  folgenden  Ver- 
suchen.  Das  entspricht  auch  der  Erfahrung.  Im  Laufe  der  Arbeit 
konnen  bei  jedem  Reizworte  eine  ganze  Reihe  von  verschi^denen  Ver- 
lesungen  vorkommen.  Tmmerhin  aber  sind  es  gewisse  Fehler,  die 
besonders  nahe  liegen  und  daher  ofters  wiederkehren,  nicht  nur  bei 
derselben,  sondem  auch  bei  verschiedenen  Personen.  Je  groBer  die 
Zahl  voraufgegangener  Lesungen  ist,  desto  groBer  auch  die  Wahrschein- 
lichkeit,  dass  dieselbe  Verlesung  schon  einmal  stattgefunden  hat.  Mit 
jedem  folgenden  Tage  wird  demnach  die  Aussicht  geringer,  dass  noch 
neue  Verlesungen  auftreten,  einmal  weil  die  Zahl  derselben  durch  die 
gegebenen  sinnlichen  Anhaltspunkte  einigermaBen  begrenzt  wird,  dann 
aber,  weil  eben  auch  die  falschen  Lesungen  sich  allmaldich  befestigen 
imd  mit  Vorliebe  wiederkehren,  wenn  keine  richtige  Auffassung  statt- 
gefunden hat.  Bei  sehr  haufiger  Anstellung  derselben  Versuche 
werden  also  schlieBlich  alle  Verlesungen,  die  Uberhaupt  noch  vor- 
kommen, Wiederholungen  sein.  •  Wenn  trotzdem  die  Zunahme  der 
Wiederholungen  an  verschiedenen  Tagen  bei  den  ersten  drei  Ver- 
suchspersonen  eine  verhaltnissmaBig  geringe  ist,   so  erklart  sich  das 


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272 


Ludwig  Gron  und  Cmil  Kraepelin. 


aiis  der  gleichzeitigen  Abnahme  der  Verlesungen  iiberhaupt.  B.  und 
besonders  R.,  bei  denen  die  Verlesungen  wenig  oder  gar  nicht  ab- 
nehmen,  zeigen  daher  jene  Erscheinung  deutlicher.  Dabei  lassen 
allerdings  die  Verlesungen  an  demselben  Tage  keine  entschiedene  Ab- 
nahme erkennen.  Wenn  unsere  oben  versuchte  Deutung  richtig  ist, 
wUrden  wir  daraus  auf  eine  geringere  Fahigkeit  schlieBen  dUrfen, 
zwischen  richtigen  und  falschen  Lesungen  zu  unterscheiden.  Es  ist 
vielleicht  niitzlich,  darauf  hinzuweisen,  dass  diese  beiden  Personen 
durchschnittlich  uberall  die  groBte  Zahl  von  Verlesungen  aufzuweisen 
batten. 

Bei  der  Betrachtung  der  bei  verschiedenen  Wortem  wieder- 
kehrenden  Verlesungen  werden  wir  ebenfalls  die  Wiederholung  an 
demselben  und  an  verschiedenen  Tagen  auseinander  halten  miissen. 

Tabelle  XXXV. 


0. 

A. 

S. 

R. 

B. 

An  demielben  Tage 

1.  Tag 

46 

8 

6 

8 

130 

2.  Tag 

— 

4 

— 

6 

96 

3.  Tag 

— 

— 

- 

8 

86 

An 

verschiedenen  Tagen 

2.  Tag 

6 

4 

2 

4                92 

3.  Tag 

— 

— 

10 

,« 

Das  Ergebniss  entspricht  ungefahr  dem  soeben  erorterten.  Die 
Neigung  zu  zerstreuten  Wiederholungen  nimmt  von  Tag  zu  Tag  ab, 
wohl  aus  ahnlichem  Grunde  wie  die  stehenden  Wiederholungen.  Wenn 
eine  Verlesung  schon  einmal  dagewesen  ist,  so  scheint  die  Versuchs- 
person  mit  wachsender  Uebung  sich  vor  einer  Wiederholung  bei 
einem  anderen  Worte  zu  scheuen ;  sie  weiB  ja  auch  sicher,  dass  nur 
eine  der  Lesungen  richtig  sein  kann.  Auf  diese  Weise  entsteht  das 
Bestreben,  jede  Lesung,  nchtige  oder  falsche,  nur  mit  einem  einzigen, 
bestimmten  Eindrucke  in  Verbindung  zu  bringen.    Selbst  O.^  der  am 


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Ueber  die  Mesflung  der  AufrassuogsfUhigkeit. 


273 


ersten  Tage^gewisse  Verlesungen  immer  wieder  vorbrachte,  wusste 
sehr  bald  die  Wiederholung  der  gleichen  Lesungen  ganz  zu  vermei- 
den.  Dafur  hatte  er  auch  an  jedem  Tage  in  der  Erinnerung  an  die 
gerade  gelieferten  Lesungen  einen  bestimmten  Anhalt.  So  kam  es, 
dass  die  zerstreuten  Wiederholungen  auch  an  aufeinander  folgenden 
Tagen  meist  rasch  verschwanden,  im  Gegensatze  zu  dem  Verbal  ten 
der  stehenden  Wiederholungen.  Eine  Ausnahme  machen  nur  die 
beiden  Personen  R.  und  B.  Bei  ihnen  verlieren  sich  die  zerstreuten 
Wiederholungen  schon  am  gleichen  Tage  nur  sehr  langsam  oder  gar 
nicht;  an  verschiedenen  Tagen  finden  wir  sogar  geradezu  eine  Zu- 
nahme.  Auch  dieser  Befund  spricht  dafiir,  dass  beide  Personen  von 
dem  RUstzeug,  das  ihnen  fiir  die  allmahliche  Beseitigung  der  Fehler 
zu  Grebote  stand,  nur  sehr  unvoUkommenen  Gebrauch  machten  oder 
machen  konnten.  Sie  bemiihten  sich  nicht  oder  ohne  rechten  Erf olg, 
die  bei  verschiedenen  Wortem  wiederkehrenden  und  demnach  zweifel- 
los  falschen  Lesungen  zu  beseitigen,  sondem  brachten  sie  immer 
wieder  vor.  Ln  Laufe  der  Versuchstage  mussten  sich  unter  diesen 
Umstanden  die  genannten  Fehler  aus  denselben  Griinden  hauf  en,  die 
wir  friiher  kennen  gelemt  haben. 

Machen  wir  endlich  noch  den  Versuch,  uns  uber  die  Beein- 
flussung  der  Verlesungen  durch  Reizworter  an  den  einzelnen  Tagen 
Kechenschaft  zu  geben,  so  erhalten  wir  folgende  Tabelle. 

Tabelle  XXXVI. 


Durch  Reizv. 
beeinfluut 

0. 

A. 

S.          '         R.                  B. 

1.  Tag 

81  (55,9  O/o) 

39  (34,2  o/o) 
15  (33,3  o/o) 

30  (28,3  o/o)  ;  35  (22,6  o/o)  'l38  (36,6  o/o)  j 

2.  Tag 

11   (47,8  o/o; 

13  (27,1  o/o) 

39  (33,6  o/o) 

121  (35,8  o/o) 

3.  Tag 

4  (50,0  o/o) 

6  (21,4  o/o) 

5  (26,3  o/o)     35  (24,8  o/o) 

126  (43,90/0) 

Wir  treffen  hier  denselben  Gegensatz  zwischen  den  ersten  drei 
und  den  letzten  beiden  Personen  wieder  wie  bei  der  Betrachtung  der 
Wiederholungen.  Bei  O.,  A.  und  S.  nimmt  die  Zahl  der  Reizwortem 
gleichlautenden  Verlesungen  von  Tag  zu  Tag  ab,  wahrend  sie  bei  R. 
und  B.  nur  unregelmaBige  Schwankungen  oder  gar  eine  Zunahme 
erkennen  ISlsst.    Allein  bei  genauerer  Priifung  zeigt  sich,  dass  dieser 


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274  Ludwig  CroD  end  Emil  KriepeliB. 

Unterschied  wesentlich  mit  der  verschiedenen  Haufigkeit  der  Ver^- 
lesungen  iiberhaupt  in  Beziehung  steht.  Driicken  wir  die  Zahl  der 
mit  Reizwortem  tibereinstimmenden  Verlesungen  in  Procenten  der 
iiberhaupt  beobachteten  Fehler  aus,  wie  das  oben  in  Elammem  ge- 
schehen  ist,  so  sehen  wir,  dass  erhebliche  Aenderungen  in  der  Wir- 
kung  der  Reizworter  nicht  zu  verzeichnen  sind;  hochstens  konnte 
man  bei  A.  und  vielleicht  auch  bei  S.  an  eine  geringe  Abnahme  jenes 
Einflusses  wihrend  der  letzten  beiden  Tage  glauben.  In  der  Haupt- 
sache  bleibt  das  Verhaltniss  der  durch  Reizworter  beeinflussten  Ver- 
lesungen gleicfa,  soweit  sich  das  aus  den  freilich  vielfach  sehr  geringen 
Versuchszahlen  schlieBen  lasst. 


VI.  Ermttdnng,  AnregUBg,  Antrieb. 

Die  Wirkung  der  Ermtidung  auf  die  Auffassung  ist  in  unseren 
Versuchen  nur  sehr  unvoUkommen  festzustellen,  weil  die  Arbeit  eines 
Tages  nicht  gleichartig  war,  sondem  unter  stets  wechsebiden  Be- 
dingungen  stattfand.  Wir  sind  nicht  im  Stande,  die  Auffassungs- 
leistung  bei  Trommel  C  mit  derjem'gen  bei  Trommel  A  und  ebenso 
wenig  das  Lesen  bei  verschiedener  Spaltweite  unter  diesem  Q^sichts- 
punkte  zu  vergleichen.  Es  ist  daher  sehr  wohl  moglich,  dass  ein 
Theil  der  Unterschiede  im  Ausfalle  der  Versuche  mit  verschiedenen 
Trommeln  durch  Ermudungseinilusse  bedingt  war;  nur  eine  Umkehr 
der  ganzen  Versuchsanordnung  konnte  dariiber  Klarheit  bringen. 
Unserer  Betrachtung  zuganglich  sind  nur  diejenigen  Zeichen  von  Er- 
mtidung, die  sich  etwa  im  Verlaufe  der  einzelnen  Versuchsreihe  gel- 
tend  gemacht  haben;  wir  konnen  zur  Prtifung  derselben  die  Leistung 
je  in  der  ersten  imd  in  der  zweiten  Halfte  einer  Trommellesung  mit 
einander  vergleichen.  Dabei  wird  es  moglich  sein,  die  verschiedenen 
Versuchstage  und  ebenso  die  verschiedenen  Spaltweiten  zusammen- 
zufassen.  Wir  geben  zunachst  eine  der  Tab.  XXX  entsprechende  Auf- 
stellung,  in  der  fiir  die  erste  und  letzte  Halfte  jeder  Versuchsreihe 
neben  den  Durchschnittszahlen  der  richtigen  Lesungen  das  procen- 
tische  Verhaltniss  zwischen  jenen  letzteren,  falschen  Lesungen  und  Aus- 
lassungen  wiedergegeben  ist. 


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Uebcr  die  MeBmng  der  Auffiusnngil&higkeit. 
Tabelle  XXXVH. 


275 


0. 

I. 

A. 

r 

/ 

a 

/ 

a 

r 

/ 

a 

Trommel  A  1. 

(372)  89,5 

4,9 

5,6 

(418)  99,7       0,2 

0,1 

(406)  96,6 

3,3 

0,1 

2. 

(351)  84,6 

5,9 
1,3 

9,5 

(419)  99,7       0,3 

— 

(399)  94,3 

3,4 

2,3 

Trommel^  1. 

(402)  96,2 

2,5 

(419)  99,9       0,1 

— 

(396)  94,3 

3,4 

2,3 

2. 

(396)  95,5 

1,8 

2,7 

(418)  09,8       0,1 

0,1 

(398)  94,8 

3,8 

1,4 

Trommel  CI. 

(354)  87,4 

7,1 

5,5 

(396)  97,7       1,4 

0,9 

(315)  77,8 

18,0 

4,2 

>         2. 

(333)  82,3 

8,2 

9,7 

(401)  99,0       0,9 

0,1 

(326)  80,4 

16,5 

3,1 

S 
(401)  95,6 

3,7 

0,7 

R. 

B. 

Trommels  1. 

(381)  91,7       7,6 

0,7 

(163)  38,9 

22,5 

38,6 

2. 

(403)  96,4 

3,0 

0,6 

(375)  90,6       8,1 

1,3 

(165)  39,2 

23,6 

37,2 

Trommel^  1. 

(392)  93,5 

4,0 

2,5 

(339)  80,8       8,0 

11,2 

(128)  30,5 

17,4 

62,1 

2. 

(394)  94,1 

3,1 

2,8 

(355)  85,6       8,0 

6,4 
20,0 

(136)  32,5 

16,0 

51,5 

Trommel  C  1. 

(365)  90,2 

8,0 

1,8 

(265)  65,4      14,6 

(39)  9,6 

47,8 

42,6 

2. 

(371)  91,7 

7,3 

1,0 

(281)  69,3     14,2 

16,5 

(65)  16,1 

44,1 

39,8 

Diese  Uebersicht  lehrt  iins,  dass  eine  regelmaBige  Veranderung 
der  Auff assungsleistung  in  einer  bestimmten  Richtung  von  der  ersten 
zm  zweiten  Halfte  einer  Versuchsreihe  durchschnittlich  nicht  statt- 
gefunden  hat.  Zumeist  hat  allerdings  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen 
etwas  zugenommen ,  eine  Erfahrung,  die  bei  der  knrzen  Dauer  eines 
Versuches  wohl  wesentlich  auf  Rechnung  der  Anregung  zu  setzen 
ist  Jedenfalls  erscheinen  die  UebimgseinflUsse  schwerlich  stark  genug, 
um  diesen  raschen  Fortschritt  zu  erklaren,  znmal  wir  die  Besserung 
auch  bei  solchen  Personen,  nnd  zwar  vomehmUch,  fin  den,  die  nur 
sehr  geringe  Uebungswirkungen  dargeboten  haben.  Dagegen  wissen 
wir,  dass  der  erleichtemde  Einfluss  der  Anregung  auf  den  Ablauf 
geistiger  Arbeit  nach  etwa  10 — 15  Minuten  allmahUch  seine  Hohe 
erreicht,    wahrend   die  Lesung   einer   Trommel   nur   6  Minuten   in 


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276  Lodwig  Gron  and  Cmil  Knepelin. 

Anspruch  nahm.  Es  ist  daher  vielleicht  nicht  ganz  zufallig,  dass  zwei 
Personen,  A,  und  R.,  gerade  bei  der  Trommel  A,  die  den  Anfang 
jeder  Versuchsgruppe  bildete,  keine  Zunahme,  sondem  ein  Sinken  der 
richtigen  Lesungen  darbieten;  man  konnte  daran  denken,  dass  hier 
die  Wirkung  der  Anregung  noch  nicht  so  weit  entwickelt  war,  um 
anderen,  entgegengesetzten  Einflussen  die  Wage  zu  halten.  Als  der- 
artigen  Einfluss  kennen  wir,  abgesehen  von  allerhand  Zufalligkeiten, 
namentlich  die  Ermudung.  Man  wird  freilich  zweifelhaft  sein,  ob 
in  der  kurzen  Zeit  einer  halben  Versuchsreihe  schon  eine  nennens- 
werthe  Ermudung  eintreten  konne.  Thatsachlich  zeigen  ja  auch  un- 
sere  Zahlen  nur  an  einzehien  Punkten  derartige  Andeutungen.  Wir 
mlissen  uns  aber  vergegenwartigen,  dass  bei  der  Lesung  jeder  Trom- 
mel die  Aufmerksamkeit  ohne  Pause  auf  das  auBerste  angespannt 
war.  Femer  konnten  bei  dem  scharfen  Betrachten  der  vorbeieilenden 
Buchstaben  wohl  auch  in  dem  Auge  selbst  Ermiidungserscheinungen 
auftreten,  und  endlich  nahmen  die  ganzen  Reihen  eines  Tages  mit 
den  kurzen  Pausen  doch  Uber  eine  Stunde  Zeit  in  Anspruch.  Wir 
wurden  uns  demnach  wohl  auch  nicht  wundem  diirfen,  wenn  wir  an 
diesem  oder  jenem  Pimkte  auf  die  mehr  oder  weniger  deutlichen 
Zeichen  einer  Ermudung  stoBen  wiirden,  obgleich  die  ganze  An- 
ordnung  der  Versuche  fur  den  Nachweis  derselben  sehr  wenig  ge- 
eignet  war. 

Die  einzige  Person,  die  uberall  von  der  ersten  zur  zweiten 
Versuchshalfte  erne  nicht  unbetrachtliche  Abnahme  der  richtigen 
Lesungen  zeigt,  ist  O.  Es  scheint  demnach,  dass  bei  ihm  allein  der 
Einfluss  der  Ermudung  stark  genug  war,  um  denjenigen  der  Uebun^ 
und  Anregung  zu  uberwinden.  Da  wir  ihn  frliher  als  sehr  ubungs- 
fahig  kennen  gelemt  haben,  wUrde  aus  jenem  Verhalten  folgen,  dass 
O.  entweder  sehr  ermudbar  oder  sehr  wenig  anregbar  ist.  Wenn 
eine  geringe  Anregbarkeit  allein  den  Ausfall  der  Versuche  bestimmt 
hatte,  so  wurden  wir  vielleicht  bei  Trommel  A  das  starkste,  bei 
Trommel  C  das  geringste  Ueberwiegen  der  Ermudung  erwartet  haben. 
Andererseits  ist  von  Hoch  imd  Kraepelin  darauf  hingewiesen 
worden  *),  dass  auch  sonst  groBe  Uebungsf ahigkeit  mit  groBer  Ermiid- 
barkeit  Hand  in  Hand  zu  gehen  pflegt. 

1/  Diesc  Arbeiten.  I.  S.  452,  486. 


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Ueber  die  Messuog  der  AufTassungsfabigkeit. 


277 


Die  Vertheilung  der  Fehler  iind  Auslassungen  lasst  kaum 
bestimmte  GesetzmaBigkeiten  erkennen.  Meist  allerdings  verandem 
aie  sich  im  gleichen  Sinne;  beider  Antheil  nimmt  mit  der  Verbesse- 
mng  oder  Verschlechterung  der  Auffassung  ab  oder  zu.  O.  ist  dem- 
nach  der  einzige,  der  in  der  zweiten  Halite  seiner  Versuche  regel- 
maBig  mehr  Fehler  und  mehr  Auslassungen  zu  verzeichnen  hat,  als 
in  der  ersten.  Veranderung  beider  GroBen  in  entgegengesetztem 
Sinne  ist  so  selten  (B.  bei  Trommel  A,  A.  und  S.  bei  Trommel  B), 
dass  sie  wohl  als  Zufalligkeit  angesehen  werden  muss. 

Um  iiber  die  Zahl  der  in  den  einzelnen  Versuchshalften ,  ohne 
Trommel  C,  verlesenen  Buchstaben  ein  Urtheil  zu  gewinnen,  haben 
wir  ¥rieder  die  Verlesungen  der  ersten  Buchstaben  in  Procenten  der 
uberhaupt  verlesenen  Buchstaben  ausgedriickt. 

Tabelle  XXXVIH. 


0. 

A. 

S. 
48,4 

R. 

B. 

Erite  Versuchshftlfte 

38,2 

46,2 

34,3 

22,7 

Zweite  Verguchahftlfte 

36,6 

56,3 

64,6 

36,7 

18,7 

Die  mehrfachen  Verlesungen  haben  demnach  bei  O.  und  B.  ver- 
haltnissmaBig  zugenommen,  bei  A.,  S.  und  R.  dagegen  abgenommen. 
Bei  den  Erstgenannten  ware  im  Laufe  der  einzelnen  Versuchsreihe 
gegen  Schluss  eine  Verschlechterung,  bei  Letzteren  eine  gewisse  Bes- 
serung  der  Auffassung  eingetreten.  Im  einzelnen  sind  die  Ergeb- 
nisse  allerdings  ziemlich  schwankend,  so  dass  jene  Zahlen  nur  als 
grobe  Durchschnitte  angesehen  werden  durfen. 

Die  Ordnung  der  verlesenen  Buchstaben  lasst,  soweit  die  Klein- 
heit  der  Zahlen  ein  Urtheil  gestattet,  im  groBen  und  ganzen  wahrend 
der  beiden  Versuchsabschnitte  dieselbe  GUederung  erkennen;  jeden- 
falls  sind  die  Unterschiede  nicht  groB  und  nicht  regelmaBig  genug, 
um  den  Schluss  auf  bestimmte  Aenderungen  zuzulassen.  Stellen  wir 
wieder  die  Fehler  der  ersten  beiden  Buchstaben  bei  Trommel  A,  der 
ersten  vier  bei  Trommel  B  in  Procenten  aller  Verlesungen  dar,  so 
erhalten  wir  folgende  Werthe. 


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278 


Ludwig  GroD  und  Bmil  Kraepelin. 
Tabelle  XXXTX. 


0. 

A. 

S 

B 

R. 

B. 

A         B 

A         B 

A 

A         B 

A         B 

1. 

38,9      69,2 

41,2      49,5 

52,9 

44,2 

34,7      48,8 

35,8      47,4 

2. 

41,6      59,3 

37,4      51,9 

58,5 

40,5 

39,9      48,8 

39,0      47,0 

Demnach  wurden  gegen  Ende  der  Reihe  meist  die  ersten  Bucli- 
staben  der  einsilbigen  Worter  etwas  schlechter  gelesen,  als  die  letzten ; 
nur  A.  macht  eine  Ausnahme.  Da  wir  frtiher  gefunden  haben,  dass 
eine  allgemeine  Besserung  oder  Verschlechtenmg  der  Auffassung  mit 
einer  Beglinstigung  oder  Vemachlassigung  namentlich  der  ersten  Buch- 
staben  einherzugehen  pflegt,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich ,  dass 
wir  in  jener  kleinen  Aenderung  der  Auffassungsrichtung  hier  ein 
Ermudungszeichen  vor  uns  haben.  Man  konnte  daran  denken,  dass 
gegen  Ende  der  Reihe  die  Vorbereitung  der  Aufmerksamkeit  auf  das 
kommende  Wort  weniger  glatt  stattfindet  und  dadurch  der  Anfang 
desselben  schlechter  aufgefasst  werde.  In  der  That  war  die  Fehler- 
zahl  bei  den  Anfangsbuchstaben  gegen  Schluss  der  Reihe  fUr  die 
genannten  vier  Beobachter  nicht  nur  im  Verhaltnisse,  sondem  auch 
an  sich  groBer,  als  im  Beginne.  Bei  den  zweisilbigen  Wortem  blieb 
das  Verhaltniss  der  Verlesungen  fur  R.  und  B.  unverandert.  A,  las 
gegen  Ende  der  Reihe  die  letzten  Buchstaben  etwas  besser,  doch  ist 
der  Unterschied  bei  ihm  ein  sehr  geringer.  0.  und  S.  endlich  lasen 
zum  Schluss  die  letzten  Buchstaben  verhaltnissmaBig  schlechter  als 
am  Anfange. 

Die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  in  den  beiden  Abschnitten 
der  Versuchsreihen  geben  wir  in  der  folgenden  Tabelle ;  in  Klammem 
ist  das  Procentverhaltniss  zu  den  Uberhaupt  vorgekommenen  Ver- 
lesungen beigefUgt 

Tabelle  XL. 


0. 

A. 

8. 

B. 

B. 

75  (13,3  0/J 

1. 

4(5,lo/o) 

17  (20,0  O/o) 

34  (36,0  O/o) 

55  (27,90/,) 

2. 

1 

{    7(7,20/ol 

27  (26,5  0/,) 

J8  (23,4  o/o) 

62  (30,2  0/,) 

89  (17,80/,) 

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Ueber  die  Messuag  der  AuffassungsfEbigkeit. 


279 


Bei  den  meisten  Versuchspersonen  nimmt  also  die  Zahl  und  das 
Verhaltniss  sinnloser  Verlesungen  gegen  Ende  der  Reihe  deutlich  zu, 
wahrend  wir  friiher  mit  der  Besserung  der  Leistung  durch  die  Uebung 
eine  Abnahme  feststellen  konnten.  Es  liegt  daher  sehr  nahe,  hier 
an  eine  Ermiidungswirkung  zu  denken.  In  dieser  Veranderung  wurde 
sich  die  beginnende  Ermiidung  unter  ttmstanden  bereits  kundgeben, 
bevor  noch  irgend  eine  Herabsetzung  der  richtigen  Lesungen  bemerk- 
bar  geworden  ist.  Das  wird  uns  nicbt  Wunder  nehmen,  wenn  wir 
bedenken,  dass  im  Laufe  des  Versuches  der  Ermiidung  eine  ganze 
Reihe  anderer  Einflusse  entgegenarbeiten,  die  recht  wohl  im  Stande 
sind,  einen  Theil  ihrer  Wirkungen  wieder  auszugleichen,  wenigstens 
fiir  eine  gewisse  Zeit.  Eine  Ausnahme  macht  hier  S.,  der  am  Schlusse 
der  Reihe  weniger  sinnlose  Verlesungen  liefert,  als  am  Anfang.  Auch 
R  hat  iibrigens  bei  den  einsilbigen  Wortem  ein  kleines  Uebergewicht 
der  sinnlosen  Verlesungen  fiir  die  erste  Halfte  der  Reihe  zu  ver- 
zeichnen,  wahrend  die  librigen  Personen  auch  bei  getrennter  Betrach- 
tung  der  Reihen  iibereinstimmende  Ergebnisse  aufweisen. 

Die  Untersuchung  der  wiederholten  Verlesungen  wird  sich  hier 
auf  die  stehenden  Wiederholungen  zu  beschranken  haben,  da  die 
Verlesungen  bei  verschiedenen  Wortem  in  beide  Versuchshalften  hin- 
iibergreifen  und  somit  eine  Trennung  nicht  gestatten.  Auch  so 
iibrigens  ergeben  sich  keine  sicheren  Anhaltspunkte  fiir  eine  Ermii- 
dungswirkung. Die  Zahl  der  stehenden  "Wiederholungen  sowohl  an 
demselben  wie  an  verschiedenen  Tagen  zeigt,  wie  die  folgende  Tabelle 
darthut,  ein  sehr  wechselndes  Verhalten. 

Tabelle  XLI. 


An  demselben  Tage 

An  verschiedenen  Tagen 

0. 

A. 

S. 

R. 

B. 

0. 

A.    S. 

R. 

B. 

1. 

2. 

9 

13 

23 

28 

60 

4 

18 

16    32 

76 

10 

16 

13 

23 

42 

10 

14 

8 

40 

58 

Bei  B.  und  S.  nehmen  die  Wiederholungen  am  Ende  der  Reihe 
zu,  bei  O.  ab,  bei  A.  an  demselben  Tage  zu,  an  verschiedenen  Tagen 
ab,  bei  R.  gerade  umgekehrt.    Irgend  eine  bestimmte  Beziehung  zur 


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280 


Ladwig  Gron  nnd  Eroil  Kraepelin. 


Ermiidung  scheint  demnach  hier  nicht  zu  bestehen;  zudem  sind  meist 

auch  die  Zahlen  zu  klein,  um  eine  weitere  Yerwerthung  zu  gestatten. 

Ganz  ahnlich  steht  es  mit  der  Beinflussung  durch  Reizworter. 

Tabelle  XLII. 


Durch  Reisw.          q 
beeinflueet  || 

A. 

S. 

R. 

B. 

1.          ,1  49  (62,0  o/o) 

26  (30,6  o/o) 

22  (22,7  o/o) 

54  (30,8  o/o) 

199  (35,4  o/o) 

2.           147  (48,5  o/o) 

34  (33,3  o/o) 

26  (33,8  o/o) 

55  (26,8  o/o) 

186  (37,3  o/o) 

Diese  Zahlen  zeigen  so  geringe  und  unregelmUBige  Schwankungen, 
dass  ein  nennenswerther  Einfluss  der  Ermiidung  auf  die  Beeinflussung 
der  Verlesungen  durch  Reizworter  nicht  erkannt  werden  kann.  Auch 
die  Procentbeziehung  auf  die  Gesammtzahl  der  Verlesungen  liefert 
kein  verwerthbares  Ergebniss.  Freilich  ist  dabei  im  Auge  zu  be- 
halten,  dass  hohere  Grade  von  Ermiidung  hier  wohl  iiberhaupt  nicht 
erreicht  wurden,  jedenfalls  aber  bei  der  einfachen  Q^geniiberstellung 
der  ersten  und  letzten  Halften  aller  Versuchsreihen  nicht  zum  Aus- 
druck  kommen  konnten. 

Die  Ungleichartigkeit  der  an  einem  Tage  auf  einander  folgenden 
Versuchsreihen  ist  auch  der  Grund,  warum  es  nicht  moglich  sein 
wird,  ein  genaueres  Bild  von  dem  Verhalten  der  Anregung  zu  ge- 
winnen.  Wir  haben  zwar  gesehen,  dass  bei  den  meisten  Personen 
die  letzte  Halfte  der  Versuchsreihen  bessere  Ergebnisse  lieferte,  als 
die  erste,  und  dass  diese  Steigerung  wahrscheinlich  nicht  auf  die 
viel  langsamer  wirkende  Uebung,  sondem  wohl  auf  die  Anregung 
zuriickzufiihren  war.  Dafur  spricht  namentlich  auch  das  Auftreten 
einzelner  Ermiidungszeichen  trotz  wachsender  Arbeitsleistung.  Allein 
eine  zuverlassige  Feststellung  der  GroBe  und  des  zeitlichen  Ablaufes 
dieses  Einflusses  ware  nur  dann  moglich,  wenn  die  auBeren  Versuchs- 
bedingungen  dauemd  dieselben  geblieben  waren.  Immerhin  kann  es 
niitzlich  sein,  sich  ein  Urtheil  iiber  den  allgemeinen  Verlauf  der 
Lesearbeit  wahrend  der  einzelnen  Versuchsreihe  zu^bilden.  iWir 
wollen  zu  diesem  Zwecke  jede  Reihe  in  zehn  Abschnitte  zerlegen, 
von  denen  demnach  jeder  bei  den  Wortern  28,  bei  den  sinnlosen 
Silben  27  Lesungen  enthalt.  Ilni  dann  die  Zufalligkeiten  besser 
auszugleiclicn,  fassen  wir  alio  Versnche  mit   oinor  Trommel  zu  einer 


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Ueber  die  Messung  der  AaflassungsAhigkeit. 


281 


Gtesammtareihe  zusammen.  Das  Verhalten  der  zehn  Abschnitte  der- 
selben  wird  uns  dann  eine  imgefahre  Vorstellung  von  dem  durch- 
schnittlichen  Gange  der  Arbeitsleistung  geben.  Wir  beschranken  uns 
dabei  auf  die  Betrachtung  der  richtigen  Lesungen,  wie  sie  in  der 
folgenden  Tabelle  aufgeftthrt  sind. 

Tabelle  XLIEL 


Abschnitt 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 
214 

0.,  Tr.  A 

224 

216 

216 

224 

235 

219 

207 

207 

207 

»   »  B 

245 

246 

236 

235 

243 

244 

241 

232 

235 

237 

»   »  C 

196 

221 

219 

209 

204 

210 

216 

199 

178 

183 

A.,  Tr.  A 

244 

244 

243 

239 

245 

238 

244 

235 

242 

239 

»   >  -B 

230 
191 

245 

243 

237 

232 

232 

245 

236 

236 
194 

245 

>   »  C 

187 

192 

182 

193 

189 

208 

183 

203 

S.,  Tr.  A 

223 

244 

233 

247 

245 

239 

240 
241 

246 
233 

246 

238 
243 
214 
229 

>   >  B 

236 

231 

238 

230 

240 

229 

236 

»   >  C 

220 

210 

219 
229 

217 

229 

226 

220 

234 

220 

R.,  Tr.  ^ 

232 

231 

227 

225 

225 

218 

222 

232 
217 

»   »  B 

196 

195 
161 

211 

205 

209 

217 

216 

217 

198 

»   »  C 

173 

163 

151 

146 

181 

149 

182 

162 

163 

B.,  Tr.  A 

84 

98 

94 

109 

105 

87 

11& 
86 

73 

1103 

115 

y      »  B 

72 

67 

103 

60 

82 

71 

82 

80 

88 

>   >  C 

33 

18 

16 

29 

21 

28 

23 

53 

!  ^'^ 

45 

Ein  Ueberblick  iiber  diese  Zahlenreihen  ist  nicht  leicht.  Stellt 
man  sie  sich  jedoch  in  Curven  dar,  so  lasst  sich  erkennen,  dass  trote 
aller  Mannigfaltigkeit  im  einzelnen  doch  gewisse  Grundziige  mehr 
oder  weniger  deutlich  iiberall  wiederkehren.  Zunachst  bemerkt  man, 
dass  die  hochste  Leistung  einer  Durchschnittsreihe  fast  niemals 
am    Anfange    oder   am   Ende    derselben    liegt.     Eine  Ansnahme   in 


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282  Ludwig  GroB  ond  Emil  Kraepelin. 

ersterer  Beziehang  bildet  allenfalls  B.,  Trommel  A^  wo  aber  die 
gleiche  Leistung  spater  noch  eimnal  erreicht  wird;  in  letzterer  Hin- 
sicht  weicht  nur  S.,  Trommel  J?,  von  der  allgemeinen  Kegel  ab.  Be- 
riicksichtigen  wir  uberall  den  Punkt,  an  welchem  znm  ersten  Male 
in  der  Reihe  die  Hochstleistung  erreicht  wird,  so  liegt  derselbe  nnr 
Imal  im  ersten,  3mal  i|n  zweiten,  je  Imal  femer  im  dritten,  vierten 
und  sechsten,  2mal  im  fiinften  und  noch  je  3mal  im  siebenten  und 
achten  Abschnitte.  In  neun  von  den  benutzten  fiin&ehn  Beihen  fallt 
demnach  die  Hohe  in  d|e  Abschnitte  5 — S;  es  wiirden  sogar  11  sein, 
wenn  wir  statt  der  ersten  die  zweiten  gleich  hohen  Leistungen  berilck- 
sichtigen  und  den  Abschnitt  9  noch  heranziehen  wiirden.  Daraus  geht 
soviel  hervor,  dass  zumeist  ein  Hohepunkt  der  Leistung  im  dritten 
und  vierten  Fiinftel  der  Beihen  liegt,  dass  also  bis  dahin  ein 
Ansteigen  der  Leistung  dtattfindet.  Ln  zweiten  und  ebenso  im  letzten 
Fiinftel  ist  die  Leistung  durchschnittlich  am  niedrigsten,  wahrend  sich 
im  ersten  ein  zweiter  Hohepunkt  von  etwas  geringerer  Bedeutung  findet 
Diese  allgemeinen  Ergebnisse  stimmen  mit  unseren  sonstigen 
Erfahrungen  iiber  den  Gang  der  Arbeitsleistung  vollkommen  iiber- 
ein.  Wir  wissen  aus  zahlreichen  Untersuchungen,  dass  bei  fort- 
laufender  Thatigkeit  die  Leistung  erst  nach  einer  gewissen  Zeit 
ibre  Hohe  erreicht  und  dann  wieder  sinki  Das  anfangliche  Steigen 
diirfen  wir  wohl  mit  Recht  auf  die  Einfliisse  der  Uebung,  Ge- 
wohnung  und  Anregung  zuriickfUhren,  w8.hrend  das  spHtere  Sinken 
durch  die  Ermiidung  bewirkt  wird.  Meistens  allerdings  vollzieht 
sich  dieser  Verlauf  weit  langsamer,  als  bier.  Beim  fortlaufenden 
Addiren  einstelliger  Zahlen  bemerken  wir  ein  Sinken  der  Leistung 
oft  nicht  vor  dem  Ende  der  ersten  Stunde;  erst  dann  also  gewinnt 
die  Ermiidung  die  Oberhand  iiber  die  der  Arbeit  giinstigen  Einfliisse. 
Man  konnte  wegen  dieses  Unterschiedes  versucht  sein,  die  angefiihrte 
Erklarung  fiir  den  Verlauf  der  Auffassungsthlltigkeit  zunickzuweisen. 
Allein  einmal  ist  die  allgemeine  Uebereinstimmung  des  Ganges  der 
Leistung  mit  den  Erfahrungen  bei  anderen  fortlaufenden  Arbeiten 
eine  augenf allige ;  sodann  aber  kennen  wir  auch  Arbeiten,  bei  denen 
die  Ermiidungserscheinungen  bisweilen  schon  nach  den  ersten  10  bis 
1 5  Minuten  iiberwiegen,  wie  namentlich  beim  Lemen  sinnloser  Silben  *). 

1    Vgl.  Oehrn,  diese  Arbeiten,  I.  S.  13C. 


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Ueber  die  Mesftung  'd6r  AuffaSsaag^GAigkelt.  "283 

Endlich  aber  bedteht  sswischen  der  hier  geforderten  und  den  sonstigen 
fortlaufenden  Arbeiten  ein  wichtiger  Unterschied,  der  es  uns  zur 
genlige  erklart,  warum  hier  so  viel  rascher  die  Ermiidungszeicheii 
sich  geltend  machen  kSimen,  als  dort.  Bei  den  iibrigen  Arbeiten 
nainlich  h^ngt  das  ZeitmaB  der  Thatigkeit  vollstahdig  von  der  Yer- 
suchs^rson  selber  ab.  Sobald  sich  ein  gewisses  Ruhebedurfniss 
gdtend  macht,  treten  Schwankimgen  in  der  Arbeitsgeschwindigkeit 
und  kleine  Pausen  ein,  die  der  Person  selbst  kaum  oder  gar  nicht 
ziim  Bewus^ein  kommen,  jedenfalls  den  allgemeilien  Fortgang  der 
Arbeit  nicht  wesentlich  storen,  da  sie  immer  wieder  Gelegenheit  zu 
kurzem  Ausruhen  geben.  Hier  dagegen,  wo  die  Eindriicke  mit  gleich- 
maBiger  Geschwindigkeit  vor  dem  Auge  vorbfiiziehen,  muss  sich  jedes 
Nachlassen  der  Aufcnerksamkeitsspannung  dem  Leser  sofort  dtirch 
eine  Verschlechterung  der  Auffassung,  durch  gehauftes  Auslassen  und 
Verlesen  bemerklich  machen.  In  Folge  dessen  wird  hier  die  uner- 
bittlich  fortschreitende  Reihe  von  Eindriicken  einen  Zwang  zu  un- 
aiisgesetzter  hochster  Anspannung  der  Aufmerksamkeit  ausUben,  wie 
er  nicht  vorhanden  ist,  wo  das  ZeitmaB  der  Arbeit  vollkommen  dem 
Arbeiter  selbst  iiberlassen  bleibt.  Wir  werden  es  aus  diesem  Gnmde 
erklarlich  finden,  wenn  hier  die  ersten  Ermiidungszeichen  schon  zu 
einer  Zeit  auftreten,  zu  der  wir  sie  sonst  nur  bei  den  allerschwie^ 
rigsten  Arbeiten  antreffen. 

Diese  Erwagungen  machen  es  uns  wahrscheiniich,  dass  in  der 
That  das  Sinken  der  Arbeitswerthe  nach  dem  Hohepunkte  der  Leistung 
ials  ErmUdungszeichen  aufzufassen  ist.  Aus  unseren  sonstigen  Er- 
fahrungen  ist  es  klar,  dass  die  Wirkungen  der  Ueburig  und  An- 
regung  zweifellos  nicht  etwa  nun  bereits  aufhoren;  andererseits  sind 
wir  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass  die  Ermiidung  schon  vom  ersten 
Beginne  der  Thatigkeit  an  auftritt  und  alhnahlich  je  nach  der  Schwie* 
rigkeit  der  Arbeit  und  der  Lslnge  der  Erholungspausen  starker  und 
starker  anwachst.  Das  Sinken  der  Arbeitsleistung  bezeichnet  also 
einfach  den  Punkt,  an  welchem  die  Ermiidungswirkung  st&rker 
geworden  ist,  als  die  ihr  entgegenarbeitenden  Einfllisse.  Wir  kommen 
demnach  zu  dem  Schlusse,  dass  nicht  nur  bei  alien  unseren  Ver- 
suchspersonen  Ermiidung  eintrat,  was  selbstverstandlich  ware,  sondem 
dass  auch  bei  alien  noch  im  Verlaufe  der  Arbeit  die  Ermiidung  iiber 
Uebung,  Gewohnung  und  Anregung  das  Uebergewicht  erlangte.  Ware 

Kraepelin,  Psycbolog.  Arbeiten.  II.  19 


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284  Ludwig  Cron  nnd  Emil  Kraepelin. 

die  Wirkung  dieser  letzteren  Uberall  gleich  groB,  so  konnte  man  dem- 
nach  aus  dem  frliheren  oder  spateren  Sinken  der  Leistung  tmimttel- 
bar  SchlUsse  auf  die  GroBe  der  Ermiidbarkeit  bei  den  einzehien 
Personen  ziehen.  Natiirlich  bietet  aber  das  Verhalten  der  genannten 
EinflUsse  nicht  minder  personliche  Unterschiede  dar,  als  die  Ermiid- 
barkeit, so  dass  jener  Schluss  hinfallig  wird,  wenn  wir  nicht  noch 
besondere  Anhaltspunkte  haben,  um  die  GroBe  jener  Wirkungen  vor- 
her  kennen  zu  lemen. 

Dazu  kommt  aber  noch  ein  anderer  Umstand.  Wir  haben  in 
unseren  Zahlenreihen  nicht  einen  einzigen,  sondem  vielfach  mehrere 
Hohepunkte  vor  ims,  von  vollig  oder  nahezu  gleicher  Hohe,  aber  ganz 
verschiedener  Lage.  AuBer  den  im  dritten  und  vierten  Ftinftel  der 
Reihen  gelegenen  fallen  uns  namentlich  auch  im  ersten  FUnftel 
noch  besonders  hohe  Werthe  ins  Auge,  die  mehrfach  sogar  die 
hochsten  der  Reihe  sind.  Es  ist  von  vomherein  nnwahrscheinlich, 
ilass  die  Senkung  hinter  diesen  Werthen  schon  als  Ermttdungszeichen 
anzusehen  sei,  namentlich  auch  deshalb,  weil  nach  ihr  ivieder  ein 
regelmUBiges  Ansteigen  stattfindet,  welches  meist  erst  bis  zur  eigent^ 
lichen  Hohe  fUhrt  Vielmehr  werden  wir  kaum  fehlgehen,  wenn  wir 
diese  hohen  Anfangswerthe  als  den  Ausdruck  des  Antriebs  be- 
trachten,  der  erhohten  willkiirlichen  Spannung,  mit  der  wir  an  dne 
neue  Aufgabe  heranzutreten  pflegen,  um  die  erste  Tragheit  zu  iiber- 
winden.  Diese  Erscheinung  ist  uns  aus  anderen  Erfahrungen  mit 
fortlaufender  Arbeit  wie  aus  dem  ttlglichen  Leben  voUkommen  ge- 
l^ufig  \).  Das  stets  sehr  bald  erfolgende  Nachlassen  des  Antriebs  fiihrt 
zu  einer  Abnahme  der  Arbeitswerthe,  die  nichts  mit  der  Ermtidung 
zu  thun  hat.  WoUen  wir  also  im  einzelnen  Falle  den  Punkt  be- 
stimmen,  an  dem  die  Ermtidung  selbst  ein  Sinken  der  Arbeitsleistung 
€rzeugt,  so  diirf en  wir  nicht  die  durch  den  Antrieb  bewirkten  Hohe- 
punkte, sondem  erst  die  spater  langsam  erreichten  Gipfel  der  Leistung 
berlicksichligen,  auch  wenn  jene  ersteren  vielleicht  an  sich  hoher  waren. 

Allein  damit  sind  die  Schwierigkeiten  einer  Zergliederung  der 
Arbeitscurve  noch  nicht  erschopft.  Das  Eingreifen  einer  willktir- 
hchen  Anstrengung  in  den  durch  eine  Reihe  von  anderen  Ursachea 
gesetzmaBig  beherrschten  Ghtng  der  Arbeit  kann  natiirlich  nicht  nur  am 


1)  Vgl.  diese  Arbeiten.  I.  S.  634. 


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Ueber  dje,  Me^ung  der  AafTAMangsnihigkeit.  28^ 

AnfaAge,  sondem  zu  jed^m  beliebigen  Zeitpunkte  geschehen.   Dadurch 

konnen  pl9tzliche  Steigerungen  und  ebenso  plotzliche  Nachlasse  in 

derrLeistung- zu  Stande   kommen.     Ein  Theil   der  Schwankimgen, 

denen:  w  stets  bei  der  Betrachtung  fprtlaufender  Arbeitsleistungen 

begegnen,   beruht   auf   deiurtigen  Antriebswirkungen,   wahrend   ein 

anderer  Theil  allerdings  wesentlich  andere  Ursachen  hat,  auf  die  hier 

nicht  eingegangen  warden  kann.    Immerhin  pflegen  bei  sehr  gleich- 

formiger  Arbeit,  wie  sie  zu  Versuchszwecken  gewahlt  wird,  jene  An- 

triebsschwankungen  meist  nur  an  bestinunten  Stellen  st&rker  her?or- 

zutreten,  namlich  eimns^  und  am  starksten  im  Beginne,  dann  etwas 

schwacher  am  Schlusse  einer  Versuchsreihe   und   endlich   bei  deut- 

licherem  Auftreten  des  Ennudungsgeffihls.     Dort  ist    es   der  Eifer, 

mit  dem  wir  an  die  Aufgabe  herantreten,  oder  der  Wunsch,  noch  zum 

l^hlusse  moglichst.  gut  abzuschneiden,  der  uns  zu  starkerer  Willens- 

anstrengung  veranlasst,  hier  das  Gefiihl  der  sinkenden  Leistungsfahig- 

keit,  die  wir  in  neuem  Anlauf  wieder  auf  ihre  alte  Hohe  zu  bringen 

vtersuchen,  freilich  immer  nur  mit  ganz  voriibergehendem  Erfolge.   , 

Mustem  wir  unter  diesem  Gesichtspunkte  unsere  Zahlenreihen, 

so  ergiebt  sich,  dass  thatsachlich  auch  im  letzten  FUnftel,  meist  so- 

gar  in  dem  allerletzten  Werthe,  noch   einmal    eine  Steigerung   der 

Leistung  eintritt,    obgleich  sich  vorher   schon   deutlich    das  Ueber- 

wiegen  der  Ermiidung  angekiindigt  hat.   Die  Erscheinung  des  Schluss- 

antriebes  ist  ako  unzweifelhaft  vielfach  zu  verzeichnen.     Schwieriger 

ist  es,  Antriebsschwankungen  innerhalb  der  Reihe  aufzudecken.    Als 

Kennzeichen  bleibt  uns  dabei  nur  die  Plotzhchkeit  im  Auftreten  und 

Verschwinden  auffallend  hoher  Werthe,  wahrend  die  stetiger  wirken- 

den  Ursachen  natiirlich  einen  gleichmaBigeren  Verlauf  der  Arbeits- 

leistung  bedingen.    Freilich  konnen  solche  unvermittelte  Steigerungen 

auch  dadurch  vorgetauscht  werden,  dass  ihnen  in  Wirklichkeit  Sto- 

rungen  voraufgingen  und  folgten,  welche  die  Leistung  auBergewohn- 

lich  stark  herabdriickten ;  meist  wird  aber  auch  dann  der  Hohepunkt 

wenigstens  dem  ubrigen  Veriaufe  der  Versuchsreihe  sich  einigermaBen 

einordnen.      Dennoch    werden    wir   auf    den  Versuch,   im  Veriaufe 

unserer   Reihen    die  Antriebsschwankungen    aufzufinden,    verzichten 

mUssen;    nur  ak  Beispiel  mochten  wir  den  dritten  Werth  der  Reihe 

B.,  Trommel  B  anfuhren,  dessen  Sonderstellung  uns  die  Deutung  iij 

dem  besprochenen  Sinne  wahrscheinlich  macht. 


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286 


Lndwig  Cron  and  £aiil  KnepeliD. 


Ueber  die  Haufigkeit  des  Antriebs  am  Anfang  und  am  Schlusse 
bei  den  einzelnen  Personen  konnen  wir  ein  nngefahres  UrtheU  ge- 
wimien,  wemi  wir  untersuchen,  wie  oft  einerseits  der  erste  Werth 
groBer  war,  als  der  zweite,  andererseits  der  zehnte  groBer,  als 
der  neunte.  Ganz  zuverlassig  ist  diese  Anfstellung  deshalb  nicht, 
weil  bei  der  Kurze  der  Abschnitte  bisweilen  der  Antrieb  seine  voile 
Hohe  erst  in  dem  zweiten  Werthe  erreicht  und  ebenso  der  Schluss- 
antrieb  schon  mit  dem  neunten  "Werthe  beginnen  kann,  um  in  dem 
zehnten  bereits  wieder  etwas  nachzulassen.  Die  Zahlen  sind  aus  je 
27  Einzelreihen  fUr  jede  Versuchsperson  gewonnen. 

Tabelle  XLIV. 


0. 

15 

A. 
10 

S. 
19 

R. 

B. 

Antrieb  im  Beginne 
(I.  Werth  grOOer  als  2.) 

17 

15 
18 

Schlussantrieb 
(10.  Werth  h5her,  als  9.) 

14 

18 

14 

12 

Wir  sehen,  dass  im  Beginne  R.  und  S.  am  haufigsten,  A,  am 
seltensten  mit  starkerer  Willensanspannung  arbeiteten,  der  allerdings 
regelmaBig  rasch  ein  NacUassen  folgte.  Gegen  Ende  aber  waren  es 
A.  und  B.,  die  sich  gem  noch  zu  einer  letzten  Kraftleistung  auf- 
rafften,  wahrend  R.  hier  meist  erlahmte. 

Auch  Uber  die  GroBe  des  Antriebs  bei  den  einzelnen  Personen 
konnen  wir  allenfalls  gewisse  Anhaltspunkte  gewinnen.  Um  uns 
dabei  von  Willkiirlichkeiten  moglichst  frei  zu  halten,  haben  wir  in 
der  folgenden  Tabelle  einfach  zusammengestellt,  wie  viel  Reizworter 
im  ersten  Abschnitte  aller  Reihen  mehr  erkannt  wurden,  als  im 
zweiten,  und  wie  viel  mehr  im  zehnten  als  im  neunten. 

Tabelle  XLV. 


UeberschuBs 

_ 

0. 

-28    (+14; 

A. 

8. 

R. 

B. 

von  1  aber  2 

1 

-10  (+6) 

+  4  (-11) 

+  4  (+2) 

+  6  (-40) 

»  10     *     9l 

1 

+  » 

+  14 

-7          ,       -21 

+  18 

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Ueber  die  Messnng  der  Auffassungsflhigkeit.  287 

Der  Antrieb  ware  danach  im  Beginne  bei  0.  und  A.  am 
schwachsteii;  bei  B.  am  starksten  gewesen.  Im  ganzen  sind  iibrigens 
die  Zahlen  ungemein  niedrig,  wenn  man  bedenkt,  dass  dieselben  noch 
sammtlich  durch  27  geiheilt  werden  mUssten,  wemi  man  die  GroBe 
des  durchschnittlichen  Antriebes  fur  jede  Eeihe  ermitteln  woUte. 
Da  die  Zahl  der  B/eihen  mit  Antrieb  auBer  bei  A.  uberall  etwas 
iiberwiegt,  ist  demnach  das  Ansteigen  in  den  Beihen  ohne  Antrieb, 
namentlich-  bei  A.  und  0.  weit  starker  gewesen,  als  das  haufigere, 
aber  geringfugige  Sinken  der  Leistung  vom  ersten  zum  zweiten 
Werthe.  Dasselbe  lehren  die  Durchschnittszahlen  der  Tab.  XLIII. 
Allein  wir  haben  bereits  oben  darauf  hingewiesen,  dass  die  Wirkung 
des  Antriebes  bei  der  Klirze  der  hier  in  Betracht  kommenden  Zeiten 
vielfach  nicht  in  einem  einzigen  Abschnitte  der  Beihe  ablauft,  son- 
dem  sich  noch  liber  den  nachsten  erstrecken  kann.  "Wir  wurden 
daher  falsche  Zahlen  erhalten,  wenn  wir  nur  die  Leistung  der  ersten 
beiden  Abschnitte  mit  einander  vergleichen  woUten.  Wo  die  Antriebs- 
wirkung  noch  erheblich  in  den  zweiten  Abschnitt  hiniibergreift  oder 
gar  in  ihm  erst  recht  zur  Geltung  kommt,  miissen  die  berechneten 
Ueberschusse  viel  zu  geringe  und  selbst  negative  Werthe  fiir  den 
Antrieb  ergeben. 

Dazu  kommt,  dass  unsere  fruheren  Erfahrungen  die  eigentr 
liche  Senkung  nach  dem  ersten  Hohepunkte  der  Arbeitsleistung 
in  den  dritten  und  vierten  Abschnitt  verlegen.  Wir  haben  daher 
auch  noch  die  Leistung  im  ersten  und  zweiten  Abschnitte  mit 
derjenigen  im  dritten  und  vierten  verglichen  und  den  Ueberschuss 
der  beiden  ersteren  in  Elammem  neben  die  friiher  erhaltenen  Zahlen 
gesetzt.  Das  Bild  hat  sich  nunmehr  vollig  geandert.  A.  und  0. 
zeigen  das  groBte  Ueberwiegen,  S.  und  namentlich  B.  dagegen  ein 
erhebliches  Zurlickbleiben  der  Leistung  im  zweiten  Versuchsfunftel 
gegenilber  dem  ersten.  Die  Erklarung  fiir  dieses  auffallende  Ei*- 
gebniss  liegt  in  der  verschiedenen  Fliichtigkeit  des  An- 
triebes bei  den  einzelnen  Personen.  Bei  langerer  Dauer  desselben 
tritt  das  Sinken  der  Leistung  erst  im  dritten  und  vierten  Abschnitte, 
bei  raschem  Nachlassen  desselben  dagegen  schon  im  zweiten  hervor. 
Unsere  erstere  Gruppirung  wird  daher  dann  den  groBten  Ueberschuss 
zu  Gunsten  des  ersten  Abschnittes  lief  em,  wenn  der  Antrieb  rasch 
geschwunden  und  die  folgende  Senkung  schon  im  zweiten  Abschnitte 


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288  Lndwig  Oron  iind  Emil  Kraepelio. 

sehr  ausgesprochen  ist.  Halt  sich  hier  die  Leistung  auf  der  Hobe 
oder  steigt  sie  gar  noch,  so  fallen  die  positiven  Werfhe  sehr  niedrig 
aus  oder  die  negativen  Uberwiegen,  wie  bei  0.  und  A.  In  diesem 
Falle  aber  erhalten  wir  weit  hohere  Zahlen,  wenn  wir  nicht  die 
ersten  Versuchsabschnitte,  sondem  die  VersuchsfUnftel  mit  einander 
vergleichen,  da  nunmehr  das  Uebergewicht  des  Antriebes  gegeniiber 
der  folgenden  Senkung  klar  zum  Ausdruck  kommt.  Bei  kurz  an- 
dauemdem  Antriebe  ist  dagegen  die  Leistung  im  dritten  und  vierten 
Abschnitte  schon  wieder  angestiegen,  oft  iiber  den  ersten  Hohepunkt 
hinaus,  so  dass  hier  die  Vergleichung  der  Fiinftel  ein  weit  ungiinsti- 
geres  Ergebniss  liefem  muss.  Wir  kommen  demnach  zu  dem  Schlusse, 
dass  im  Beginn  der  Yersuchsreihen  bei  S.  und  R  am  haufigsten  An- 
trieb  stattfand,  der  aber  eine  geringe  Hohe  erreichte  und  bei  S.  auch 
sehr  fllichtig  war.  0.  und  B.  zeigten  Antrieb  iminer  noch  in  mehr  als 
der  Halfte  der  Falle,  doch  war  er  bei  0.  von  langer,  bei  B.  von  sehr 
kurzer  Dauer.  A.  lieB  am  selteiisten  Antrieb  erkennen,  der  jedoch 
auch  bei  ihm  ziemlich  nachhaltig  war. 

Bei  der  Untersuchung  des  Schlussantriebes  haben  wir  mit  ahn- 
lichen  Schwierigkeiten  zu  kampfen  wie  hier,  doch  haben  wir  friiher 
gesehen,  dass  ein  Sinken  der  Leistung  in  der  Kegel  erst  im  neunten 
Abschnitte  erfolgt.  Da  der  Hohepunkt  durchschnittlich  im  siebenten 
und  achten  Abschnitte  liegt,  werdeii  wir  hier  nicht  die  beiden  letzten 
Fiinftel,  sondem  nur  die  beiden  letzten  Zehntel  mit  einander  ver- 
gleichen konnen,  wie  das  in  der  Tabelle  geschehen  ist.  Wir  ersehen 
daraus,  dass  B.  und  A.  geneigt  sind,  am  Ende  der  Beihe  noch  ein- 
mal  eine  starkere  Anstrengung  zu  machen,  wahrend  S.  und  beson- 
ders  B.  sich  nicht  nur  seltener  dazu  aufraffen,  sondem  auch  offen- 
bar  einen  weit  geringeren  Erfolg  dabei  erzielen.  Diese  Erfahrungen 
stimmen  mit  den  aus  der  Tab.  XLIV  gezogenen  SchlUssen  vollkom- 
men  uberein. 

Li  den  verschiedenen  Versuchsreihen  gestalteten  sich  natUrhch 
die  Antriebsverhaltnisse  recht  verschieden,  doch  ist  die  Zahl  der 
gleichartigen  Beihen  zu  klein,  als  dass  es  moglich  ware,  bestimmte 
Beziehungen  zwischen  der  Art  der  Versuchsbedingungen  und  dem 
Verhalten  des  Antriebes  aufzufinden.  Nur  eine  Erfahrung  sei  hier 
mitgetheilt,  die  immerhin  einen  gewissen  Einbhck  in  diese  Beziehungen 
gestatten  dUrfte.    Es  handelt  sich  imi  den  yerschiedenen  Ansfall  der 


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Ueber  die  MessuDg  A^t  Auf^suugsf&liigkeit. 


289 


Versuche  mit  den  drei  Trommeln.  Die  folgende  Uebersicht  zeigt  uns, 
wie  oft  bei  den  einzelnen  Trommeln  die  Leistung  im  ersten  Ab- 
schnitte  iiber  die  des  zweiten  und  die  des  zehnten  iiber  die  des 
neonten  uberwog.  Dabei  sind  alle  fiinf  Versuchspersonen  zusammeh- 
gefasst. 

Tabelle  XLVI. 


Es  dberwog 

Trommel  A 

Trommel  B 

Trommel  C 

1  aber  2 

26mal 

25  mal 

25  mal 

10  aber  9 

26mal 

29mal 

21  mal 

Wie  es  scheint,  ging  man  denmach  an  die  gestellten  Aufgaben 
durchschnittlich  mit  gleicher  Freudigkeit.  Dagegen  gestaltete  sich 
die  Neigung  zu  willkiirlicher  Anstrengung  im  Laufe  des  Versuchs- 
tages  etwas  verschieden.  Am  Schlusse  der  Lesung  zweisilbiger  Worter, 
die  den  Beobachtem  am  leichtesten  erschien,  ist  der  Antrieb  am 
haufigsten;  am  Schlusse  der  Versuche  mit  sinnlosen  Silben,  die  nicht 
nur  am  schwersten  und  langweiligsten  waren,  sondem  auch  den 
Schluss'^jeder  Versuchsgruppe  bildeten,  war  in  45  Reihen  nur  noch 
21  mal  Antrieb  nachweisbar.  Die  Deutung  dieser  Ergebnisse  liegt 
so  nahe,  dass  wir  in  den  angefuhrten  Zahlen  wohl  mehr  als  den 
Ausdruck  einfacher  Zufalligkeiten  sehen  diirfen. 

Werfen  wir  zum  Schlusse  noch  einmal  einen  Blick  auf  den  6e- 
sammtverlauf  der  einzelnen  Reihen,  so  wird  es  zweckmaBig  sein, 
festzustellen,  in  welchem  VersuchsfUnftel  bei  den  verschiedenen  Per- 
sonen  jeweils  der  Hohepunkt  der  Auffassungsleistung  lag. 

Tabelle  XLVD. 


Die  H6he  der  Leistung  lag  im 

O. 

A. 

S. 
10 

R. 

B. 

1.  FOnftel 

17 

14 

6 

6 

2. 

4 

4 

7 

8 

3 

3.        > 

4 

2 

5 

6 

4 

4. 

2 

* 

3 

3 

7 

5. 

— 

3 

1 

4 

7 

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290  Ludwig  Gron  mid  Cmil  Kraepelio. 

Bei  0.  und  A.  wurde  demnach  der  Hohepunkt  meist  recht  friiha 
erreicht,  zum  Theil  gewiss  wegen  des  starken  und  langer  dauernden 
Antriebes;  bei  0.  spielt  auBerdem  auch  seine  groBere  Ermtidbarkeit 
eine  Bolle,  wie  das  ganzliche  Ausbleiben  der  Hohepunkte  gegen 
Schluss  der  Reihe  lehrt.  Bei  R.  und  besonders  bei  B.  verschiebt  sich 
die  Lage  der  hochsten  Leistung  immer  mehr  nach  hinten.  Man 
konnte  nach  unseren  friiheren  Erorterungen  geneigt  sein,  aus  diesen 
Zahlen  auf  eine  sehr  geringe  Ermtidbarkeit  von  B.  und  B.  2u  schlieBen, 
da  wir  friihes  Sinken  der  Arbeitsleistung  als  Zeichen  st&rkerer  Er- 
mlidung  kennen  gelemt  haben.  Allein  dieselbe  Erscheinung  kann 
auch  durch  geringe  Uebungsfahigkeit  oder  Anregbarkeit  bedingt  sein. 
Bei  R.  haben  wir  in  der  That  eine  sehr  geringe  Uebungsfahigkeit 
gefunden,  welche  das  spatere  Erreichen  des  Hohepunktes  einiger- 
maBen  erklarhch  machen  wurde.  B.  besaB  zwar  eine  erhebhch 
groBere  Uebungsfahigkeit,  doch  wurde  bei  ihm  das  Ergebniss  nament- 
lich  gegeniiber  A.  und  0.  durch  die  Fluchtigkeit  des  Antriebes  im 
Beginn  sowie  durch  die  Haufigkeit  und  Ausgiebigkeit  des  Schluss- 
antriebes  verschoben. 

AuBerdem  aber  haben  wir  noch  einen  andem  Umstand  zu  be- 
achten.  WoUen  wir  uns  in  die  GroBe  der  Anregungswirkung  bei 
unseren  Versuchen  einen  Einblick  verschafEen,  so  konnen  wir  in  den 
einzehien  Reihen  den  niedrigsten  Anfangswerth  mit  der  hochsten  je- 
weik  erreichten  Leistung  vergleichen;  der  Unterschied  wird  uns  lehren, 
wie  weit  sich  unter  dem  Einflusse  der  Anregung,  den  wir  allerdings 
von  demjenigen  der  Uebung  und  der  Gewolmung  hier  nicht  trennen 
konnen,  die  Leistung  der  einzelnen  Abschnitte  steigerte.  Dabei  ist 
jedoch  das  Auftreton  des  Antriebes  im  Beginne  und  am  Schlusse  in 
derWeise  zu  beriicksichtigen ,  dass  die  durch  ihn  erzeugten  Hohe- 
punkte bei  der  Berechnung  auBer  Ansatz  gelassen  werden.  Wo  also 
Antrieb  im  Anfange  vorhanden  ist,  wird  die  unmittelbar  nach  ihm 
auftretende  Senkung  als  Ausgangspunkt  der  Rechi^ung  zu  benutzen 
sein ;  ebenso  dienen  nur  diejenigen  Hochstleistungen  zum  Vergleiche, 
die  nicht  erst  in  den  letzten  beiden  Abschnitten  nach  vorherigem 
Sinken  der  Leistungen  durch  Schlussantrieb  entstanden  sind.  Dass 
bei  dieser  Betrachtung  gewisse  Fehler  nothwendig  mit  unterlaufen, 
haben  schon  Rivers  und  Kraepelin*)  gezeigt;  sie  sind  aber  unver- 

1)  Diese  Arbeiten.  I.  S.  640. 


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Ueber  die  MMSung  der  AufrissongsfUhigkeit. 


291 


meidlich  und  dlirften  das  Gesammtergebniss,  bei  dem  es  uns  nur  auf 
den  Vergleich  der  verschiedenen  Personen  ankommt,  nicht  allzusehr 
verechieben.  Die  folgende  Uebersicht  zeigt  iins,  wieviel  Reizworter 
nadi  dieser  Berechntmg  im  besten  Abschnitte  durchschnittlich  mehr 
ao^gefasst  wurden,  als  im  voraufgehenden  schlechtesten. 

Tabelle  XLVHI. 


0. 

A. 

S. 

R. 

B. 

Antriebswirknng 

3,2 

3,0 

3,1 

5,2 

6,7 

Die  Steigerung  der  Leistung  im  Verlaufe  des  Versuches  war 
demnach  bei  R.  und  namentlich  bei  B.  eine  nicht  imbedeutend  groBere, 
als  bei  den  Ubrigen  Personen.  Der  Grund  dafur  liegt  aber  wesent- 
lich  in  dem  Umstande,  dass  die  Leistung  der  ersten  drei  Personen 
sehr  bald  keiner  Steigerung  mehr  fahig  war,  da  dieselben  alle  Ein- 
driicke  richtig  erkannten.  Abschnitte  mit  ausschlieBlich  richtigen 
Lesungen  kamen  unter  27  Reihen  bei  0.  15,  bei  A.  14,  bei  S.  ISmal, 
bei  R  dagegen  nur  2mal  und  bei  B.  uberhaupt  nicht  vor.  Durch 
die  haufige  Erreichimg  der  bestmoglichen  Leistung  wurde  natiirlich 
der  Spielraimi  zwischen  schlechtestem  und  bestem  Abschnitte  bedeu- 
tend  beschrankt,  wahrend  bei  R.  und  B.  eine  Besserung  in  viel  wei- 
t«rem  Umfange  moglich  war.  Tmmerhin  scheint  B.  im  allgemeinen 
ein  ausgiebigeres  Ansteigen  seiner  Auffassungsfahigkeit  dargeboten 
zu  haben,  als  R.  Diese  Erfahrung  kann  ihren  Grund  in  einer  groBeren 
XJebungsfahigkeit  oder  Anregbarkeit  haben.  Wir  woUen  aber  auch 
nicht  vergessen,  dass  B.  sich  der  unteren  Schwelle  der  Auffassung 
naher  befand,  als  R. ;  auch  aus  diesem  Grunde  konnte  wahrscheinlich 
der  Einfluss  der  f ortlaufenden  Thatigkeit  das  Versuchsergebniss  starker 
Terandem.  Jedenfalls  kommen  wir  zu  dem  Schlusse,  dass  die  be- 
rechnete  Verschiebung  des  Hohepunktes  bei  R.  und  B.  nicht  als  der 
Ausdruck  geringerer  Ermiidbarkeit  betrachtet  werden  darf.  Bei  den 
anderen  Personen  wurde  eben  die  fiir  sie  sehr  nahe  liegende  Hochst- 
leistung  in  der  Regel  schon  bald  nach  dem  Beginne  des  Versuches 
erreicht,  wahrend  bei  jenen  Beiden  weit  langsamer  die  erheblichere 
Steigerung  der  Leistung  bis  zu  ihrer  jeweiligen  Hohe  voUzogen  wurde. 


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292 


Ladwig  Cron  und  Croil  KraepeliD. 


Nur  fur  S.  trifft  das  nicht  zu.  Bei  ihm  dUrfte  demnach  auBer  der 
Fluchtigkdt  des  Antriebes  im  Beginne  thatsachlich  auch  eine  geringere 
ErmUdbarkeit  bei  der  Yerschiebung  des  Hohepunktes  mitgewirkt  haben. 
Es  ist  vielleicht  nicht  ganz  immoglich,  auch  diesen  Punkt  hier 
noch  einer  kurasen  Erorterung  zu  unterziehen.  Wenn  wir  n&mlich 
nach  denselben  Grundsatzen,  die  wir  vorhin  entwickelt  haben,  be- 
rechnen,  um  wie  viel  Zahlen  durchschnittlich  in  jeder  Beihe  die 
Leistung  von  ihrem  Hohepiinkte  bis  zu  dem  folgenden,  nicht  durch 
Schlussantrieb  beeinflussten  niedrigsten  Stande  herabsinkt,  so  werden 
wir  diese  "Werthe  als  einen  ungefilhren  Ausdruck  fiir  die  GroBe  der 
Ermiidungswirkung  ansehen  dttrfen.  Die  folgende  Tabelle  enthalt  die 
so  gewonnenen  Durchschnittszahlen. 

Tabelle  XLTX. 


0. 

A. 

S. 

R. 
4,4 

B. 

Ermadungs- 
wirkung 

4,3 

2J 

2,3 

5,4 

Naturlich  sind  auch  hier  die  Werthe  fiir  0.,  A.  und  S.  zu  niedrig. 
Da  die  hochstmogliche  Leistung  bei  ihnen  schon  erreicht  war,  bevor 
die  Steigerung  der  Auffassungsfahigkeit  wahrend  der  Beihe  voll  zur 
Entwicklung  gelangen  konnte,  vermochte  sich  auch  der  erschwerende 
Einfluss  der  Ermiidung  nur  in  geringerem  Umfange  geltend  zu  machen. 
Wenn  trotzdem  die  Herabsetzung  der  Auffassungsleistung  beiO.  nahezu 
ebenso  groB  ist  wie  bei  B.,  so  dtirfen  wir  daraus  in  Uebereinstimmung 
mit  unseren  frliheren  Erfahrungen  auf  eine  besonders  hohe  ErmUd- 
barkeit bei  O.  schlieBen.  B.  scheint  etwas  ermtidbarer  gewesen  zu  sein, 
als  R,  wie  er  auch  Ubungsfahiger  war;  allein  auch  hier  gebietet  die 
verschiedene  Lage  der  von  beiden  gelieferten  Auffassungswerthe  im 
Schwellengebiete  Vorsicht  bei  der  Deutung.  Das  gilt  auch  des* 
wegen,  weil  B.  in  4  Beihen  Abschnitte  ohne  eine  einzige  richtige 
Lesung  aufwies;  die  wirkliche  Ermiidungswirkung  konnte  sich  dabei 
natiirlich  in  den  Yersuchswerthen  nicht  vollstSudig  ausdriicken. 

Der  Yerlauf  der  Auffassungsfahigkeit  wahrend  der  Yersuchs- 
reihe  war  bei  den  verschiedenen  Trommeln  etwas  yerschieden.  Indem 
wir  die  Leistungen  aller  Personen  zusammenfassen,  zeigen  wir  in  der 


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Ueber  die  Messuog  der  AufTassuiigsflliigkeit. 


293 


folgenden  Tabelle,  wie  oft  bei  den  einzelnen  Trommeln  der  Hohe- 
pimkt  der  Leistung  auf  die  verschiedenen  YersuchsfUnftel  entfiel. 

Tabelle  L. 


YersuchflfClnftel 

1 

2 

3 

4 

5 

Trommel  A 

21 

10 

8 

4 

2 

>       B 

21 

9 

6 

4 

5 

»        C 

U 

8 

7 

U 

8 

Die  Trommeln  A  und  B  unterscheiden  sich  bier  wesentlich  nur 
durch  das  etwas  haufigere  Auftreten  des  Schlussantriebes  bei  der 
letzteren,  wohl  wegen  der  als  leichter  empfundenen  und  angenehmeren 
Arbeit  mit  zweisilbigen  Wortem.  Bei  Trommel  C  dagegen  verschiebt 
sich  die  Lage  der  Hochstleistung  ganz  bedeutend  nacb  dem  Ende 
der  Reihe  zu.  Hier  befanden  sich  sammtliche  Personen  weit  femer 
von  der  oberen  Grenze  des  Schwellengebietes.  Die  hochstmogliche 
Leistung  wurde  daher  viel  seltener  und  dann  meist  nicht  im  ersten 
Antrieb  erreicht;  vielmehr  mussten  erst  Uebung,  Gewohnung  und 
Anregung  allmaMich  zur  Geltung  kommen,  um  die  Annaherung  an 
die  obere  Grenze  zu  ermoglichen.  Der  Gesammtverlauf  gleicht  daher 
ganz  demjenigen,  den  wir  fUr  die  Durchschnittsleistung  bei  B.  in 
Tabelle  XLVll  festgestellt  haben.  Wir  sehen  in  der  XJebereinstim- 
mung  der  beiden  Zahlenreihen  fiir  Trommel  A  und  B  sowie  in  der 
leicht  verstandlichen  Abweichung  derjenigen  fttr  Trommel  C  eine  neue 
Stutze  daftir,  dass  die  hier  angestellten  Betrachtungen  in  ihren  Haupt- 
ziigen  dem  wirklichen  Verhalten  entsprechen. 

Ueber  das  durchschnittliche  Verhalten  der  Fehler  und  Aus- 
lassungen  im  Laufe  der  Versuchsreihe  konnen  wir  mit  wenigen  Worten 
hinweggehen.  Wir  sind  bemiiht  gewesen,  uns  durch  die  verschie- 
densten  Berechnungen  ein  XJrtheil  Uber  diesen  Punkt  zu  verscha£Een, 
verzichten  jedoch  auf  die  Wiedergabe  der  Zahlen,  da  die  Ergebnisse 
wegen  der  meist  nur  sehr  geringfugigen  Unterschiede  in  den  einzelnen 
Abschnitten  der  Reihen  ziemlich  unsichere  sind.  Nur  so  viel  sei 
bemerkt,  dass  im  groBen  und  ganzen  der  Verlauf  der  Fehler  und 
Auslassungen   ein    Ubereinstimmender  war;    beide    erreicbten    ihren 


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294  Ludwig  GroD  and  Emil  Kraepeliu. 

niedrigsten  Stand  im  dritten  und  vierten  Funftel  der  Beihe.  Nur 
bei  B.  nahmen  zu  dieser  Zdt  die  Auslassungen  zu,  die  Fehler  ab; 
bei  R  war  das  Umgekehrte  der  Fall.  Im  Beginne  und  am  Ende  der 
Reihe  waren  Fehler  wie  Auslassungen  haufiger,  als  in  der  Mitte;  der 
hochste  Stand  fand  sich  meist  am  Anfange;  eine  Ausnahme  machte 
nur  R  und  fiir  die  Auslassungen  0.  Der  Antrieb  scheint  im  Be- 
ginne wie  am  Schlusse  der  Reihe  besonders  eine  Herabsetzung  der 
Auslassungen,  weniger  der  Fehler  bewirkt  zu  haben,  ein  Zeichen  da- 
fUr,  dass  er  weniger  die  Fahigkeit  als  den  guten  Willen  zum  Lesen 
steigerte.  Gegen  den  Schluss  nahmen  bei  0.  und  R  besonders  die 
Auslassungen  zu,  bei  ersterem  wohl  wegen  der  wachsenden  Ermiidung, 
bei  letzterem  vielleicht  noch  mehr  deshalb,  weil  er  die  Lust  an  der 
Arbeit  verlor  und  sich  keine  rechte  Mlihe  mehr  gab;  diese  Deutung 
w^de  uns  wenigstens  durch  das  frtiher  festgestellte  Fehlen  des  Schluss- 
antriebes  bei  ihm  nahe  gelegt  werden. 

VIL  Die  persSnlichen  Yerschiedenheiten  der  Auffassangsf&hlgkeit. 

Das  wesentliche  Ziel  der  vorliegenden  Untersuchungen  war  die 
Feststellung  des  Einflusses,  welchen  die  personliche  Eigenart  auf 
die  Grestaltung  des  Auffassungsvorganges  ausiibt  Die  Erreichbarkeit 
dieses  Zieles  kann  nach  den  gefundenen  Thatsachen  nicht  mehr 
zweifelhaft  sein.  Jedenfalls  ist  der  Nachweis  geliefert  worden,  dass 
gewisse  Eigenthiimlichkeiten  unserer  Beobachter  sich  durch  alle  Ver- 
suchsreihen  hindurch  immer  wieder  in  der  gleichen  Weise  geltend 
gemacht  haben.  Wir  sind  daher  zu  der  Annahme  berechtigt,  dass 
die  Art,  wie  auBere  Eindrttcke  aufgefasst  und  verarbeitet  werden,  in 
nachster  Beziehung  zu  allgemeinen  Eigenschaften  des  einzelnen  Men- 
schen  steht;  unter  denselben  Bedingungen  wird  die  Arbeit  immer 
wieder  in  der  gleichen  Weise,  mit  denselben  Hiilfsmitteln  und  Un- 
vollkommenheiten  geleistet.  Da  sich  aber  der  Yorgang  der  Auffassung 
als  ein  ungemein  vielseitiger  und  verwickelter  erwiesen  hat,  so  ist  ftir 
die  Bethatigung  der  Eigenart  nach  den  verschiedensten  Richtungen 
bin  weiter  Spielraum  geboten.  Natiirlich  reichen  unsere  Versuche 
nicht  im  Entfemtesten  aus,  um  wirklich  alle  Seiten  des  Auffassungs- 
vorganges bei  unseren  Beobachtem  gleichmaBig  zu  beleuchteti;  fur 
die  Losung  dieser  unter  unsem  Handen  wachsenden  Aufgabe  sind 


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Ueber  die  Messong  der  Auftosungsflhigkeit.  295 

sfe  weder  zahlreich  noch  mannigfaltig  genug.  Dennoch  wollen  wir 
wenigstens  den  Versuch  machen,  einige  allgemeine  Gesichtspimkte  fttr 
die  Beurtheilung  der  personlichen  Auffassungsverschiedenheiten  zu 
gewinnen,  so  weit  sie  sich  aus  den  iiberall  zerstreuten  Einzelthat- 
sachen  ableiten  lassen. 

Der  auffallendste  Unterschied  zwischen  den  Beobachtem  lag  in 
der  Zahl  der  von  ihnen  gelief  erten  richtigen  Lesimgen.  Da  naturlich 
sammtliche  Personen  bei  immer  mehr  verlangerter  Spaltzeit  schlieB- 
lich  alle  Eindrucke  richtig  erkannt  haben  wurden,  so  konnen  die 
thatsachlichen  Unterschiede  in  der  Leistung  nur  in  der  verschiedenen 
Schnelligkeit  ihren  Grund  haben,  mit  welcher  der  Einzelne  die 
Eindrucke  in  sich  aufnahm.  Die  bei  derselben  Spaltweite  iiberall 
gleich  bemessene  Zeit  der  Sichtbarkeit  war  bei  dem  Einen  vollig  hin- 
reichend  fiir  die  Auffassung  der  Beize,  so  dass  nur  noch  zufallige 
Pehlervorgange  einmal  die  richtige  Lesung  vereitelten.  Fiir  den 
Andem  geniigte  die  Spaltzeit  unter  etwas  schwierigeren-  Bedingungen, 
z.  B.  bei  sinnlosen  Silben,  nicht  immer  mehr  zum  richtigen  Lesen, 
imd  bei  einem  Dritten  war  nur  die  Erkennung  einzelner,  beson- 
ders  begiinstigter  Eindriicke  noch  moglich.  Wir  besitzen  daher  in 
der  Zahl  der  richtigen  Lesungen  wahrscheinlich  unmittelbar  ein  Mafi 
fiir  die  Schnelligkeit  der  Auffassung. 

Wie  friiher  erwahnt,  lag  es  im  Plane  der  Versuche,  die  Spalt- 
zeit so  zu  wahlen,  dass  gerade  nicht  alle,  aber  doch  eine  Anzahl  von 
Eindriicken  richtig  erkannt  werden  konnten;  die  Versuche  sollten 
sich  im  Schwellengebiete  der  Auffassung  bewegen.  Diese  Absicht 
ist  in  der  HAuptsache  erreicht  worden.  Allein  an  verschiedenen 
Punkten  wurden  doch  die  Grenzen  jenes  Gebietes  iiberschritten. 
Namentlich  I.  lieferte  nahezu  100^  richtiger  Lesungen,  aber  auch 
0.,  A  und  S.  batten  in  einzelnen  Beihen  ihre  Auigabe  nahezu  voU- 
kommen  gelSst  Andererseits  waren  bei  B.  Beihen  zu  verzeichnen, 
in  denen  kaum  noch  richtige  Lesungen  geliefert  waren.  Die  unter 
denselben  auBeren  Bedingimgen  erreichte  Leistung  lag  also  bei  den 
einzehien  Beobachtem  auf  sehr  verschiedenen  Stufen  des  Auffassungs- 
schwellengebietes.  Bei  L  waren  wir  der  oberen,  bei  B.  der  unteren 
&renze  desselben  nahe,  ein  Verhalten,  welches  iiberall  in  gleicher 
Wrise  wiederkehrte.  Eine  mittlere  Gruppe'  bildeten  die  drei  Personen 
S.,  0.  und  A.,  deren  Reihenfolge  bei  den  einzelnen  Trommeln  aiis 


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296  Ludwig  Cron  and  Gmil  Kraepelin. 

sp^ter  zu  erortemden  Griinden  wechselte.  Zwischen  ihnen  und  B., 
aber  diesem  nkher,  als  Jenen,  stand  R.  Leider  sind  wir  nicht  ohne 
Weiteres  im  Stande,  aus  den  von  unseren  Beobacbtem  geliefeiten 
richtig^n  Lesungen  vergleichbare  Werthe  fur  ibre  AuffassungsflUiig- 
.keit  abzuleiten.  Die  einzelnen  Abscbnitte  des  Scbwellengebietes 
sind  nicbt  gleicbartig.  In  der  Nabe  der  oberen  Q-renze  nimmt  die 
Zabl  der  ricbtigen  Lesungen  mit  Yerengerung  des  Spa]tes  langsamer, 
in  der  Nabe  der  unteren  Grenze  dagegen  scbneller  ab,  als  die  Spalt- 
zeit;  dazwiscben  aber  liegt  ein  G^biet,  in  welcbem  die  Veranderungen 
beider  GroBen  ungefabr  einander  entsprecben.  Zu  einer  genaueren 
Verfolgung  dieser  Beziebungen  bei  den  einzehien  Personen  reicben 
unsere  Versucbe  nicbt  aus.  Es  ist  sebr  wobl  moglicb,  dass  die  Aus- 
debnung  der  drei  Abscbnitte  des  Grenzgebietes  sicb  bei  verscbiedenen 
Personen  recbt  verscbieden  verbalt  und  ein  neues  Kennzeicben  der 
persSnlicben  Eigenart  darstellt.  Fur  jetzt  konnen  wir  nur  sagen, 
dass  unter  den  gegebenen  Bedingungen  der  Auffassungsvorgang  sich 
bei  L,  O.,  A.  und  S.  im  oberen  Abscbnitte  des  Scbwellengebietes 
abspielte,  bei  dem  Erstgenannten  sogar  ganz  nabe  der  oberen  Grenze. 
BeiR.  bewegte  sicb  die  Auffassung  im  mittleren,  beiB.  im  unteren 
Abscbnitte  des  Scbwellengebietes. 

Ausser  den  ricbtigen  Lesungen  baben  wir  als  MaBstab  ftir  die 
Auff assungsfabigkeit  nocb  das  Verbaltniss  der  einfacben  zu  den  mebr- 
facben  Bucbstabenverlesungen  sowie  die  Zabl  der  Auslassongen 
kennen  gelemt.  Wir  batten  uns  etwa  vorgestellt,  dass  mit  der  Ver- 
scblecbterung  der  Auffassung  zunacbst  die  einfacben  in  mebrfacbe 
Verlesungen  und  dann  diese  in  Auslassungen  iibergeben.  Li  der 
Tbat  erbalten  wir  bei  Berticksicbtigung  der  mebrfacben  Bucbstaben- 
Terlesungen  genau  dieselbe  Gruppirung  wie  an  der  Hand  der  ricbtigen 
Lesungen.  L  bat  gar  keine,  B.  ungemein  viele  mebrfacbe  Febler 
geliefert.  Die  Mittelgruppe  bilden  wieder  S.,  A.  und  0.;  zwiscben 
ibnen  und  B.  stebt  R.  In  der  Mittelgruppe  selbst  bat  S.  das  beste, 
O.  das  ungUnstigste  Ergebniss  zu  verzeicbnen.  Diese  vollkommene 
Uebereinstimmung  der  Reibenfolge  nnserer  Personen  bei  der  Ord* 
nung  nacb  der  Zabl  der  ricbtigen  Lesungen  und  der  mebrfacben 
Bucbstabenverlesungen  macbt  es  sebr  wabrscbeinlicb,  dass  in  beiden 
Fallen  dieselbe  Ursacbe  maBgebend  ist,  die  groBere  oder  geringere 
Scbnelligkeit  der  Auffassung. 


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Ueber  die  Messung  der  AafrassahgsfUhigkeit.  297 

Etwas  anders  dagegen  gestaltet  sich  die  Sache,  wenn  wir  die 
Fersonen  nach  der  Zahl  der  Auslassungen  ordnen.  Zwar  liefertauch 
hier  immer  I.  das  beste,  B.  das  schlechteste  Ergebniss;  das  Ver- 
haltniss  der  ubrigen  Personen  aber  gestaltet  sich  bei  den  verschiedenen 
Trommeln  etwas  verschieden,  ein  Zeichen  dafUr,  dass  die  Zahl  der 
Auslassungen  durch  UmstS-nde  mitbestimmt  wird,  die  nicht  der  Schnel- 
ligkeit  der  sinnlichen  Auff assung  angehoren,  sondem  zu  dem  Inhalte 
und  der  Art  der  Eindriicke  in  irgend  welcher  Beziehung  stehen.  Nur 
bei  der  Lesung  sinnloser  Silben  finden  wir  an  der  Hand  der  Aus- 
lassungen die  oben  angeftihrte  Ordnung  der  einzelnen  Beobachter 
wieder;  auf  I.  folgt  die  Mittelgruppe  in  der  Reihe  S.,  A.,  0.,  dann  R. 
und  endlich  B.  Hier  also  wird,  wie  es  scheint,  die  Zahl  der  Aus- 
lassungen ebenfalls  wesentlich  durch  die  Schnelligkeit  der  Auffassung 
bestimmt  Bei  den  einsilbigen  Wortem  dagegen  erhalten  wir  die 
Reihenfolge  I.,  A.,  R,  S.,  0.,  B.,  bei  den  zweisilbigen  Wortem  da- 
gegen I.,  A.,  O.,  S.,  R,  B.  Die  XJnterschiede  zwischen  A.,  R,  S. 
dort  und  A.,  0.,  S.  hier  sind  ubrigens  auBerordentlich  gering,  so 
dass  die  B.eihenfolge  bei  verschiedenen  Spaltweiten  nicht  immer  die 
gleiche  bleibt.  S.  lasst  also  bei  W5rtem  verhaltnissmaBig  etwas  mehr 
aus,  als  bei  sinnlosen  Silben;  R  hat  bei  einsilbigen  Wortem  auf- 
fallend  wenig,  O.  auffallend  viel  Auslassungen  zu  verzeichnen.  Jeden- 
falls  also  kann  die  Zahl  der  Auslassungen  bei  der  Lesung  von  Wor- 
tem nicht  als  einfacher  MaBstab  f iir  die  Schnelligkeit  der  Auffassung 
benutzt  werden.  Auf  die  sehr  verwickelten  Griinde  dieser  Thatsache 
werden  wir  spater  zuriickzukommen  haben. 

In  eih  bisher  sehr  wenig  bekanntes  Q-ebiet  haben  uns  die  Er- 
fahrungen  Uber  die  verschiedene  Gliederung  der  Auffassung  bei 
den  einzelnen  Personen  hineingefUhrt.  Bei  den  sinnlosen  Silben 
freilich  fassten  alle  Beobachter,  von  denen  Aufzeichnungen  vorliegen, 
den  ganzen  Eindruck  einheitlich  auf,  indem  sie  ihre  Aufmerksamkeit 
auf  den  mittelsten  Buchstaben  richteten,  der  daher  deutlicher  erkannt 
wurde,  als  der  dritte  und  namentlich  der  erste  Buchstabe.  Schon 
bei  den  einsilbigen  Wortem  aber  begann  di6  Verschiedenheit.  Nur 
S.  bevorzugte  noch  die  Mitte  des  dargebotenen  Eindruckes,  d.  h. 
meist  den  dritten  Buchstaben,  und  suchte  das  Gesammtbild  des 
Wortes  zu  erkennen.  Die  beiden  ftun  an  Schnelligkeit  der  Auf- 
fassung nachststehenden  Personen,  A.  und  0.,   zerlegten  das  Wort 


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298  Lddwig  Cron  'ud4  Cmil  Knepelin. 

bereits  in  zwei  Abschnitte.  Sie  fassten,  wohl  nacheinander,  den 
ersten  und  den  dritten  Buchstaben  ins  Auge,  wahrend  der  zweite 
and  vierte  Buchstabe  weniger  deutlich  erkannt  wurde.  Leider  fefalen 
un8  von  L  verwerthbare  Zahlen,  da  er  zu  wenig  Fehler  beging;  es 
konnte  sonst  die  Vennuthung  gepriift  werden,  ob  es  nicht  das  Gef iihl 
der  langsameren  Auffassung  war,  das  A.  und  O.  im  G^gensatze  zu 
S.  veranlasste,  beim  Lesen  buchstabenreicherer  Worter  eine  Gliede- 
rung  des  Eindruckes  vorzunehmen.  Allerdings  scheint  gegen  eine 
solche  Erklarung  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  gerade  die  bviden 
langsamsten  Personen  keine  derartige  Gliederung  der  Auffassung 
mehr  erkennen  lassen.  Immerhin  zeugt  die  entschiedene  B^Unsti- 
gung  des  ersten  Buchstaben  dafiir,  dass  auch  von  R.  und  B.  das  bei 
den  sinnlosen  Silben  eingehaltene  Verfahren  verlassen  wurde.  Der 
erste  Buchstabe  wurde  bevorzugt,  der  zweite  vemachlassigt.  Wenn 
nunmehr  von  den  spateren  Buchstaben  keiner  wieder  besser  erkannt 
wurde,  so  kann  der  Grund  dafUr  in  dem  Mangel  an  Zeit  gelegen 
haben,  der  eine  scharfere  Auffassung  weiterer  Bestandiheile  nicht 
mehr  gestattete.  Freilich  war  bei  den  zweisilbigen  Wortem  wenig- 
stens  R.  im  Stande,  auBer  dem  ersten  noch  den  dritten  und  fUnften 
Buchstaben  genauer  zu  erkennen,  als  ihre  Nachbam.  Daftlr  dauerte 
aber  das  VorUberziehen  des  Wortes  hier  auch  viel  langer.  Wir  wer- 
den Ubrigens  spater  noch  einige  Erfahrungen  kennen  lemen,  welche 
die  M5glichkeit  nahe  legen,  dass  auBer  der  langsameren  Auffassung 
bei  der  unvollkommenen  Gliederung  der  EindrUcke  vielleicht  auch 
eine  gewisse  Unf Hhigkeit  mitgespielt  hat,  durch  sorgfSltige  Ausnutzimg 
aller  Vortheile  das  Ergebniss  der  Auffassungsarbeit  so  gUnstig  wie 
moglich  zu  gestalten. 

Bei  den  zweisilbigen  W5rtem  tritt  tiberall  die  Gliederung  des 
Eindruckes  an  Stelle  der  hierunmoglich  gewordenen  einheitlichen 
Auffassung.  Wie  es  scheint,  war  dabei  0.  im  Stande,  noch  4,  A. 
wenigstens  3  Buchstaben  zusammenzufassen,  wahrend  S.  und  R.  nur 
Gruppen  von  2  Buchstaben  bildeten.  Schnelligkeit  und  GroBe  des 
BUckfeldes  der  Auffassung  diirften  demnach  nicht  in  unverbriichlichem 
Zusammenhange  stehen.  Bei  B.  wurde  die  Bildung  zweistelliger 
Buchstabengruppen  auch  hier  theilweise  dadurch  verdeckt,  dastt  die 
Enappheit  der  verfugbaren  Zeit  die  Auffassung  der  spateren  Buch- 
staben sehr  erschwerte. 


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Ueber  die  Messung  der  AiiffassungsnihigkeiU  299 

Von  weitaus  groBerer  Bedeutung,  als  alle  diese  kleinen  XJnter- 
schiede,  ist  fiir  die  Kennzeichnung  der  personlichen  Eigenart  die  Zu- 
verlassigkeit  der  Aiiffassung.  Sie  wird  auf  der  einen  Seite  durch 
die  besondere  Veranlagung  der  einzelnen  Beobachter  beeinflusst; 
andererseits  aber  kann  die  goBere  oder  geringere  Treue,  mit  welcher 
die  Auffassung  uns  ein  Bild  der  umgebenden  Welt  vermittelt,  nicht 
ohne  weitreichende  Wirkungen  auf  die  Gestaltung  unseres  Vor- 
stellungslebens  bleiben.  Wir  haben  unter  diesem  Gesichtspunkte 
scharf  zu  scheiden  zwischen  Wahrnehmung  und  Auffassung. 
Die  erstere  lunschlieBt  die  rein  sinnlichen  Vorgange  bis  zum  Auf- 
tauchen  der  Sinnesempfindung,  die  letztere  dagegen  die  Einreihung 
des  wahrgenommenen  Eindruckes  in  den  Schatz  unserer  Vorstellungen, 
die  Verkniipfung  desselben  mit  friiheren  Erfahrungen.  Die  Zuver- 
lassigkeit  der  Wahrnehmung  ist  somit  abhangig  von  den  Veran- 
derungen,  denen  der  Sinnesreiz  bis  zu  seiner  Umwandlung  in  Em- 
pfindung  ausgesetzt  ist,  wahrend  die  Auffassung  des  Eindruckes 
von  alien  jenen  Einflussen  abhangig  ist,  die  aus  der  Eigenart  und 
der  Greschichte  unserer  geistigen  Personlichkeit  entspringen. 

Einen  gewissen  Anhalt  fiir  die  Scheidung  von  Wahrnehmung 
und  Auffassung  bieten  uns  die  Versuche  mit  sinnlosen  Silben.  Bei 
ihnen  war  die  Ankntipfung  an  einen  Vorstellungsinhalt  grundsatzhch, 
wenn  auch  nicht  thatsachlich  ausgeschlossen.  Daher  gewahrte  die 
Genauigkeit,  mit  welcher  jene  bedeutungslosen,  obschon  aus  bekannten 
Bestandtheilen  zusammengesetzten  Eindriicke  gelesen  wurden,  ein 
Urtheil  liber  die  Zuverlassigkeit  der  rein  sinnhchen  Wahrnehmung. 
Als  MaBstab  konnen  wir  dabei  entweder  die  Zahl  der  richtigen 
Lesungen  oder  die  umgekehrte  Zahl  der  begangenen  Fehler  benutzen. 
Auf  Grund  der  richtigen  Lesungen  erhalten  wir  die  Gruppiining  I., 
S.,  0.,  A.,  R.,  B.,  die  sich  bei  alien  Spaltweiten  wiederholt.  Dabei 
ist  zu  bemerken,  dass  die  ersten  fiinf  Personen  nicht  libermaBig  stark 
von  einander  abweichen,  wahrend  B.  mit  seiner  ungemein  niedrigen 
Zahl  von  richtigen  Lesungen  eine  Sonderstellung  einnimmt.  Im  ganzen 
entspricht  die  gefundene  Reihe  der  Schnelligkeit,  mit  welcher  die 
einzelnen  Beobachter  auffassen;  die  Zuverlassigkeit  des  sinnlichen 
Erkennens  wurde  also  unter  den  gegebenen  Bedingungen  in  nahen 
Beziehungen  zu  der  Schnelligkeit  der  Wahrnehmung  stehen.    Fiir 

K  r  a  e  p  e  1  i  n ,  Pay cholog.  Arbeiten.  II.  20 


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300  Ludwig  Gron  uiid  Emil  Kraepel'm. 

das  Schwellengebiet  der  Auffassung,  in  dessen  Bereich  jede  Verkiir- 
zung  der  Spaltzeit  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  herabsetzt,  er- 
scheint  eine  derartige  Beziehung  einleuchtend. 

Zu  einem  etwas  anderen  Ergebnisse  fiihrt  uns  die  Betraclitimg 
der  Verlesungen.  Wir  erhalten  die  Reihenfolge  I.,  0.,  S.,  R.,  A.,  B. 
I.  mit  den  wenigsten  und  B.  mit  den  meisten  Verlesungen  behalten 
ihre  gewohnte  Stelle.  Die  geringe  Verschiebung  der  ubrigen  Personen 
liat  ihren  Grund  in  dem  verschiedenen  Verhalten  der  Fehler  und 
Auslassungen.  O.  liefert  zwar  weniger  richtige  Lesungen,  aber  auch 
weniger  Fehler  als  S.,  A.  mehr  richtige  Lesungen,  aber  auch  mehr 
Verlesungen  als  R.  An  diesem  Punkte  beginnt  sich  die  einfache 
Beziehung  zwischen  Zuverlassigkeit  und  Schnelligkeit  der  Wahrneh- 
mung  zu  verwischen.  Der  langsamere  O.  begeht  weniger  Fehler,  als 
der  schneller  lesende  S.,  der  schwerfallige  R.  weniger  als  der  ihm 
sonst  weit  Uberlegene  A.  Es  muss  demnach  bei  der  Entstehung  der 
Fehler  noch  ein  Umstand  mitwirken,  der  bei  den  richtigen  Lesungen 
keine  oder  doch  keine  so  wichtige  RoUe  spielt.  Dieser  Umstand 
kann  nur  die  groBere  oder  geringere  personliche  Neigung  zur 
Erganzung  ungenauer  Wahrnehmungen  durch  eigene  Zu- 
t  hat  en  sein.  Leider  lassen  uns  bei  dem  tieferen  Eindringen  in  diese 
Frage  unsere  Aufzeichnungen  iiber  die  Verlesungen  sinnloser  Silben 
im  Stiche.  Dennoch  kann  uns  wenigstens  fur  0.,  S.  und  R.  die 
Haufigkeit  eigener  Zusatze  zu  dem  Gesehenen  ein  Urtheil  iiber  die 
Veranderungen  gewahren,  denen  der  Sinneseindruck  bei  der  Auffassung 
ausgesetzt  war.  Solche  Zusatze  waren  bei  O.  verhaltnissmaBig  recht 
selten  und  auch  bei  R  nur  wenig  haufiger;  bei  S.  errreichten  sie 
etwa  den  dreifachen  Werth.  Diese  Erfahrungen  f ugen  sich  vortreff- 
lich  in  unsere  obigen  Ausfuhrungen  ein.  Wir  diirfen  daher  wohl 
annehmen,  dass  S.  und  wahrscheinlich  auch  A.  trotz  der  groBeren 
Schnelligkeit  ihrer  sinnhchen  Wahmehmung  dennoch  verhaltnissmaBig 
mehr  Fehler  lieferten,  als  andere  langsamer  lesende  Personen,  weil 
sie  in  erheblich  hoherem  Grade  die  Neigung  besaBen,  unvollkommene 
Wahrnehmungen  durch  eigene  Zuthaten  zu  erganzen,  wahrend  jene 
anderen  Beobachter  auf  solche  Lesungen  einfach  verzichteten. 

Mit  dieser  allgemeinen  Feststellung  haben  wir  das  Gebiet  der 
Wahmehmung  bereits  verlassen.  Es  muss  nunmelu*  unsere  Aufgabe 
sein,  an  der  Hand  der  Erfahrung  die  Einfliisse  naher  zu  zergliedem, 


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Ueber  die  Messung  der  AiifTassungsfl&higkeit.  301 

welche  die  Sinneseindriicke  zu  verandem  pflegen.  In  erster  Linie 
wiirden  dabei  Buchstabenverwechselungen  in  Betracht  kommen; 
fiir  die  undeutlich  wahrgenommenen  Bestandtheile  des  Eindruckes 
treten  die  uns  gelaufigen  Buchstabenbilder  ein.  Bei  der  Lesung 
sinnloser  Silben  ist  dieser  Vorgang  jedenfalls  der  haufigste  Fehler, 
wie  wir  in  Tabelle  VlJLL  gezeigt  haben.  Schon  damals  aber  konnte 
festgestellt  werden,  dass  S.  verhaltnissmaBig  weit  seltener  einfache 
Buchstabenverwechselungen  beging,  als  0.  und  R.;  wir  haben  auch 
soeben  bereits  erwahnt,  dass  bei  ihm  an  Stelle  der  einfachen  Buch- 
stabenverlesungen  auffallend  haufig  Zusatze  traten.  Eben  diese 
Erfahrung  weist  uns  darauf  hin,  dass  durch  den  Eindruck  im  Be- 
obachter  selbstandige  Vorgange  angeregt  werden  konnten,  die  seine 
Auffassung  maBgebend  beeinflussten.  Offenbar  konnte  es  sich  dabei 
zumeist  um  nichts  anderes  handeln,  als  lun  Wortvorstellungen. 
Hier  und  da  wurden  schon  die  sinnlosen  Silben  mit  sprachlichen 
Erinnerungsbildem  zur  Deckung  gebracht,  bei  O.  allerdings  nur  in 
10,2^  aller  Verlesungen,  bei  R  etwa  ebenso  oft,  bei  S.  dagegen 
iiber  doppelt  so  haufig ;  von  den  ubrigen  Personen  liegen  iiber  diesen 
Punkt  keine  Aufzeichnungen  vor.  Diese  Erfahrung  deckt  sich  voll- 
standig  mit  unseren  bisherigen  Ergebnissen;  sie  zeigt  uns  wiederum, 
dass  S.  in  weit  hoherem  Grade  durch  Vorstellungen  beeinflusst  wurde, 
als  R.  und  besonders  O. 

Die  Bedingungen  fiir  die  Umwandlung  sinnloser  Silben  in  Worter 
werden  offenbar  lun  so  gunstigere  sein,  je  ungenauer  einerseits  die  Wahi*- 
nehmung  der  Einzelheiten  ausfallt,  je  leichter  andererseits  die  Wort- 
vorstellungen zur  Verfugung  stehen.  Da  S.  an  sich  schnell  auffasste, 
diirften  demnach  die  Wortvorstellungen  bei  ihm  sehr  lebhaft  gewesen 
sein.  Wir  konnen  kaum  zweifeln,  dass  beim  Lesen  von  Wortem  der 
groBte  Theil  wenigstens  der  sinnvollen  Fehler  in  ganz  ahnlicher  Weise 
zu  Stande  kommt.  Da  jede  richtige  Lesung  naturgemaB  eine  Vor- 
stellung  wachruft,  kniipfen  sich  auch  an  die  undeutlich  erkannten 
Eindrucke  bestimmte  Erinnerungsbilder  an.  Zumeist  entstehen  also 
falsche  Lesungen  nicht  durch  Verwechselung  einzelner  Buchstabeu, 
sondem  es  werden  umgekehrt  Buchstaben  verlesen,  weil  der  Ge- 
sammteindruck  des  Wortes  eine  bestimmte  Vorstellung  wachgerufen 
hat,  die  nun  ihrerseits  die  Wahmehmung  vemndert.  Es  ist  daher 
wohl   kein   Zufall,    dass   gerade    S.,    der   noch   bei    den   einsilbigen 

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302  Ludwig  Cron  uiid  Cinil  kraepeliii. 

Wortem  die  Neigung  zeigte,  moglichst  einen  Gesammteindruck  zu 
gewinnen,  sich  in  so  hohem  Grade  der  Beeiniiussung  durch  Vor- 
stellungen  zuganglich  erwies.  Die  Richtigkeit  der  hier  vertretenen 
Ansicht  wird  vor  allem  dargethan  durch  die  verhaltnissmaBig  geringe 
Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  bei  Trommel  A  und  B.  Dieselben 
miissten  weit  zahlreicher  sein,  wenn  die  Verlesungen  meistens  durch 
Verwechselung  von  Buchstaben  und  nicht  vielmehr  durch  den  Einfluss 
bestimmter  Wortvorstellungen  zu  Stande  gekommen  waren.  Sinn- 
lose  Verlesungen  sind  daher  auch  fast  iiberall  verhaltnissmaBig  hau- 
figer  bei  den  zweisilbigen  Wortem,  bei  denen  wegen  der  Gliederung 
der  Auffassung  die  Bedingungen  f iir  das  rasche  Auftauchen  von  Wort- 
vorstellungen weniger  giinstig  waren.  Andererseits  kamen  allerdings 
die  sinnlosen  Verlesungen  am  haufigsten  bei  S.  und  R.,  am  seltensten 
bei  0.  zur  Beobachtung,  walu*end  A.  und  B.  ein  mittleres  Verhalten 
darboten.  Diese  Gruppirung  steht  jedenfalls  mit  der  verschiedenen 
Beeiniiussbarkeit  durch  Vorstellungen  in  keiner  Beziehung;  vielmehi* 
batten  wir  nach  unseren  Erfahrungen  Uber  diesen  Punkt  erwarten 
soUen,  dass  O.  und  R.  viele,  A.  und  S.  dagegen  recht  wenig  sinnlose 
Verlesungen  liefem  wUrden.  Jedenfalls  miissen  demnach  beim  Zu- 
standekommen  jener  Erscheinung  noch  andere,  wahrscheinlich  sogar 
machtigere  Einflusse  mitgewirkt  haben,  Uber  deren  Wesen  wir  spater 
noch   etwas  mehr  Klarheit  zu  gewinnen  versuchen  wollen. 

Die  Vorstellungen,  welche  die  Entstehung  einfacher  Wortver- 
wechselungen  bewirkten,  wurden,  wie  sich  leicht  zeigen  lasst,  durch 
die  Uebereinstimmung  mehr  oder  weniger  zahlreicher  Buclistaben 
hervorgerufen,  die  bald  Gruppen  bildeten,  bald  sich  mehr  Uber  das 
ganze  Wort  verrtheilten.  Die  Lesungen  Auftrag  und  Ankunft  fUr 
Ankauf,  Centner  fUr  Entwiu'f,  Montag  fUr  Mandat  geben  dafUr  Bei- 
spiele.  Sehr  wesentlich  unterstUtzt  wurde  aber  das  Auftauchen  jener 
Vorstellungen,  wenn  durch  eine  erstmalige  Verlesung  bereits  eine 
VerknUpfung  zwischen  dem  Gesammteindrucke  des  Wortes  und  einer 
bestimmten  Vorstellung  hergestellt  war.  In  einer  nicht  geringen  Zahl 
von  Fallen  wurde  dadurch  bei  der  Wiederholung  die  richtige  Lesung 
erschwert.  Die  Bedingungen  dafUr  waren  bei  ungenauer  Wahmehmung 
des  Eindruckes  im  allgemeinen  am  gUnstigsten;  wir  dUrfen  somit 
erwarten,  dass  die  Neigung  zu  stehenden  Wiederholungen  in  einer 
gewissen  Beziehung  zur  Wahmehmungsgeschwindigkeit  stehen  werde. 


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Ueber  die  Messung  der  AufTASSungsflhigkeit.  303 

Die  Zusammenstellxing  der  Werthe  aus  den  Tabellen  XIV  und  XXV 
ergiebt  in  der  That  die  Reihenfolge  O.,  A-,  S.,  R.,  B.,  die  mit  Aus- 
nahme  der  ungunstigeren  Stellung  von  S.  der  Gruppirung  nach  rich- 
tigen  Lesungen  sinnloser  Silben  entspricht.  S.  neigte  also  anscheinend 
etwas  mehr  zu  stehenden  Wiederholungen,  als  nach  dem  Grade  seiner 
Wahmehmungsscharfe  zu  erwarten  gewesen  ware.  Noch  deutlicher 
wird  das,  wenn  wir  nicht  die  Zahl  jener  Fehler  an  sich,  sondem  ihr 
Verhaltniss  zu  den  gesammten  Verlesungen  ins  Auge  fassen.  Wir 
erhalten  dann  die  Reihenfolge  O.,  R.,  A.,  B.,  S.  Dieser  Letztere 
wurde  demnach  beim  Lesen  nicht  nur  uberhaupt  durch  Vorstellungen 
in  hohem  Grade  beeinflusst,  sondem  die  einmal  auf  diese  Weise  ent- 
standenen  Verlesungen  kehrten  auch  ungemein  haufig  wieder,  ein 
Zeichen  dafur,  dass  er  sich  weit  weniger  durch  die  Einzelheiten  des 
Wortes,  als  durch  den  Gesammteindruck  bestimmen  lieB,  der  ihm  die 
friihere  Verlesung  leicht  ins  Gedachtniss  zuriickrief.  Er  begeht  der- 
artige  Fehler  verhaltnissmaBig  sogar  haufiger,  als  selbst  B.,  dessen 
weit  langsamere  und  undeutlichere  Auffassung  an  sich  dieselben 
mehr  begunstigte.  Ebenso  sehen  wir  A.  mit  seiner  groBeren  Beein- 
riussbarkeit  durch  Erinnerungsbilder  verhaltnissmaBig  haufiger  die- 
selben Fehler  bei  denselben  Wortem  wiederholen,  als  R.,  dessen  Auf- 
fassung, wie  wir  gesehen  haben,  von  Vorstellungen  unabhangiger  war. 
Hatten  sich  in  diesen  Fallen  stehende  Verbindungen  zwischen 
gewissen  Eindrucken  und  ihnen  ahnUchen  Wortvorstellungen  gebildet, 
so  giebt  uns  das  Auftreten  derselben  Verlesungen  bei  verschie- 
denen  Wortem  Aufschluss  dariiber,  wie  weit  einzelne  besonders 
lebhafte  Vorstellungen  ihren  Einfluss  auf  die  Auffassung  geltend 
machten.  Wie  wir  gesehen  haben,  ist  jene  Erscheinung  bei  zwei- 
silbigen  Wortem  ungemein  viel  seltener,  als  bei  einsilbigen.  Dort 
sind  die  Zahlen  bei  den  meisten  Personen  so  klein,  dass  sie  kaum 
verwerthbar  erscheinen.  Halten  wir  uns  daher  an  das  Ergebniss  bei 
Trommel  A,  so  finden  wir  fur  die  Haufigkeit  der  zerstreuten  Wieder- 
holungen die  Reihe  S.,  A.,  R,  0.,  B. ,  die  sich  auch  nicht  andert, 
wenn  wir  das  Verhaltniss  jener  Fehler  zur  Gesammtzahl  aller  Ver- 
lesungen beriicksichtigen.  Gegeniiber  den  stehenden  Wiederholungen 
hat  sich  demnach  hauptsachhch  die  Stellung  von  O.  und  S.  geandert. 
O.,  der  nicht  leicht  denselben  Fehler  beim  gleichen  Worte  wieder- 
holte,   war  sehr  geneigt,    dieselben    Verlesungen   bei   verschiedenen 


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304  Ludwig  Gron  und  Eroil  Kraepelin. 

Wortern  vorzubringen.  S.  verhielt  sich  gerade  umgekehrt;  R.  und  wohl 
auch  B.  zeigten  verhaltnissmaBig  etwas  mehr,  A.  vielleicht  etwas  weniger 
Neigung  zu  zerstreuten,  als  zu  stehenden  Wiederholungen.  Diesem  Ver- 
halten  entsprechen  im  ganzen  die  Erfahrungen  tiber  die  Beeinflussung 
der  Verlesungen  durch  B-eizworter.  Fur  die  Starke  dieses  Einflusses 
ergiebt  sich  bei  Trommel  A  die  Reihe  R,  S.,  A.,  B.,  O.,  bei  Trom- 
mel B  die  Reihe  S.,  R.,  A.,  O.,  B.  Dabei  ist  zu  bemerken,  dass 
jeweils  die  drei  ersteren  und  die  beiden  letzten  Personen  einander  sehr 
nahe  stehen  und  eigentlieh  eine  Gruppe  bilden.  Es  ist  daher  wahr- 
scheinlich,  dass  Beeinflussbarkeit  durch  Reizworter  und  Haufigkeit  der 
zerstreuten  Wiederholungen  in  einer  gewissen  Beziehung  zu  einander 
stehen.  Darauf  wurde  auch  die  viel  geringere  Auspragung  beider 
Erscheinimgen  bei  den  zweisilbigen  Wortern  hindeuten.  Noch  deut- 
licher  wird  der  Zusammenhang  durch  die  friiher  berichtete  Erfahrung^ 
dass  der  Einfluss  der  Reizworter  die  Entstehimg  zerstreuter  Wieder- 
holungen geradezu  in  besonderem  MaBe  begUnstigt.  Jedenfalls  be- 
steht  in  dieser  Beziehung,  wie  wir  aus  dem  Verhalten  von  S.  wissen, 
ein  durchgreifender  Gegensatz  zu  den  stehenden  Wiederholungen. 
WoUen  wir  diese  Thatsachen  deuten,  so  werden  wir  uns  zunachst 
daran  erinnem,  dass  die  stehenden  Verlesungen  offenbar  wesentKch 
durch  die  feste  Verbindung  eines  Gesammteindruckes  mit  einer  be- 
stimmten,  ihr  ahnlichen  Wortvorstellung,  genauer  gesagt,  mit  dem  ilir 
entsprechenden  Schriftbilde  zu  Stande  kommen.  Diese  Annahme 
vermag  allein  uns  nicht  nur  die  Entstehung,  sondem  auch  das 
Haften  der  Verlesungen  an  demselben  Worte  zu  erklaren. 
Thatsachlich  aber  haben  wir  auch  den  Nachweis  gefuhrt,  dass  die 
Aehnlichkeit  der  stehenden  Verlesungen  mit  ihren  Reizwortem  eine 
recht  weit  gehende  war.  Ganz  das  Gegentheil  aber  ist  bei  den  zer- 
streuten Verlesungen  der  Fall.  Bei  ihnen  ist  der  inhaltliche  Zu- 
sammenhang zwischen  Eindruck  und  Verlesung  ein  so  lockerer,  dass 
er  oft  genug  volUg  fehlt;  femer  wird  die  Entwicklung  gerade  dieser 
Form  der  Wiederholungen  durch  Umstande  befordert,  die  auf  die 
stehenden  Wiederholungen  keinen  Einfluss  ausiiben.  Dahin  rechnen 
wir,  auBer  der  personlichen  Eigenart,  namentlich  das  Lesen  der  Reiz- 
worter, welches  einen  deutlichen,  allerdings  rasch  abnehmenden  Ein- 
fluss ausUbt,  wahrend  diese  Wirkung  fur  die  stehenden  Wiederholungen 
einerseits  Uberhaupt  gering,  andererseits  von  der  verflossenen  Zwischen- 


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Ueber  die  Messuug  der  Aiiffassuiigsfitbigkeit.  305 

zeit  weit  unabh'angiger  zu  sein  scheint.  Alle  diese  TJeberlegungen 
weisen  mit  Bestimmtheit  darauf  bin,  dass  Ursprung  xrnd  Bedeutung 
der  stehenden  xrnd  der  zerstreuten  Wiederholxmgen  verschieden 
sind.  Beruhen  daher  die  ersteren  auf  dem  Haften  bestimmter  Schrift- 
bilder,  so  miissen  wir  fiir  die  letzteren  eine  andere  Erklarung  suchen. 

Alle  Anzeicben  weisen,  wie  wir  meinen,  darauf  bin,  dass  wir  es 
bier  mit  besonders  lebbaften  motoriscben  Spracbvorstellungeu 
zu  tbun  baben.  Nur  so  wird  uns  die  groBe  Selbstandigkeit  der 
Verlesung  gegeniiber  dem  Gesicbtseindrucke  uberbaupt  verstandlicb. 
Wir  begreif en  aucb  den  Einfluss  der  Reizworter,  die  uns  als  Spracb- 
bewegungen  am  nacbdrticklicbsten  zum  Bewusstsein  kommen;  wir 
erkennen,  warum  dieser  Einfluss  nur  kiirzere  Zeit  andauert,  da  die 
motoriscben  Spracbvorstellungeu  einander  ablosen  und  verwiscben, 
wabrend  die  Scbriftbilder  der  stebenden  Wiederbolungen  durcb  den 
bestimmten  Gesicbtseindruck  immer  von  neuem  angeregt  werden.  Da 
die  Neigung  zu  der  einen  und  der  andem  Art  von  Feblem  bei  den 
einzelnen  Beobacbtern  verscbieden  stark  ausgepragt  ist,  UeBe  sicb 
vermutben,  dass  die  Verlesungen  bei  S.  und  vielleicbt  aucb  bei  A. 
und  R  uberbaupt  mebr  von  Scbriftbildem,  bei  O.  und  B. .  dagegen 
mebr  von  spracblicben  Bewegungsvorstellungen  beeinflusst  wurden. 

Unter  diesem  Gesicbtspunkte  wurden  wir  also  annebmen,  dass 
jede  Lesung  oder  Verlesung,  weil  sie  ausgesprocben  wurde,  bei  mo- 
toriscb  leicbt  anregbaren  Personen  eine  starkere  Neigung  zur  Wieder- 
bolung  zurticklieB.  Friibere  Verlesungen  und  ebenso  die  ricbtig 
gelesenen  Reizworter  batten  durcb  die  Anregung  der  entsprecbenden 
Spracbbewegungen  ein  gewisses  Uebergewicbt  iiber  andere  moglicbe 
Verlesungen  erbalten  und  seien  sofort  bervorgetreten,  wo  die  Aebn- 
Ucbkeit  oder  die  ungenaue  Auffassung  des  Reizwortes  das  Zustande- 
kommen  eines  Feblers  begunstigte.  Freilicb  ist  bier  ein  scbwerwie- 
gender  Einwand  zu  macben.  Wenn  namlicb  die  vorgetragene  Deutung 
ricbtig  ist,  so  sollte  man  erwarten,  dass  aucb  die  stebenden  Wieder- 
bolungen durcb  die  namlicben  Ursacben  erleicbtert  worden  waren. 
Das  trifft  aber  nur  fiir  B.,  nicbt  fiir  O.  zu.  Dazu  ist  zu  be- 
merken,  dass  nicbt  selten  solcbe  Verlesungen,  die  bei  einem  Worte 
mebrfacb  vorgekommen  waren,  aucb  bei  anderen  wiederbolt  wurden. 
Jedenfalls  aber  bedurften  die  stebenden  Wiederbolungen  einer  erleicb- 
terten  Auslosbarkeit  von  Spracbbewegungen  nicbt.    Damit  ist  nicbt 


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306  Lndwig  Croii  und  Bmil  Kraepelin. 

gesagt,  dass  dieser  letztere  Umstand  nicht  doch  geeignet  war,  gele- 
gentlich  ihr  Entstehen  zu  fordem.  Indessen  die  stehenden  Wieder- 
holungen  kamen  weit  weniger  haufig  an  demselben  Tage  zu  Stande, 
als  die  zerstreuten.  Bei  diesen  letzteren  konnte  daher  das  am 
gleichen  Tage  und  oft  kurz  vorher  erst  gelesene  Wort  die  Bereit- 
schaft  der  Sprachvorstellung  in  viel  starkerem  MaBe  steigem,  aJs  bei 
jenen  ersteren,  bei  denen  die  Verlesung  auch  im  gunstigsten  Falle 
urn  eine  voile  Trommellesung  zuriicklag,  sehr  oft  aber  am  gleichen 
Tage  uberhaupt  noch  nicht  vorgekommen  war.  Dazu  kommt  aber 
endlich  noch,  dass  die  Versuchsperson  bei  einiger  Scharfe  der 
Wahmehmung  in  dem  Reizworte  selbst  einen  Anhalt  fiir  die  Ver- 
besserung  einer  friiheren  Verlesung  hatte,  wahrend  die  Wiederholung 
bereits  dagewesener  Lesungen  bei  anderen  Wortem  naturlich  uber- 
haupt nur  dann  erfolgte,  wenn  ein  Wort  mangelhaft  aufgefasst  worden 
war.  Es  erscheint  daher  begreiflich,  dass  der  weit  besser  auffassende 
O.  bei  denselben  Wortem  durch  friihere  Verlesungen  und  Lesungen 
nicht  sonderlich  beeinflusst  wird,  wahrend  B.  mit  seiner  auBerst 
ungenauen  Wahmehmung  dort,  noch  mehr  aber  bei  verschiedenen 
Wortem,  haufig  diejenigen  Verlesungen  vorbringt,  die  ihm  gerade 
auf  der  Zunge  liegen.  Dem  entspricht  auch  die  Thatsache,  dass  B. 
sich  ganz  besonders  stark  durch  kurz  vorhergehende  Reizworter  be- 
einflussen  lieB.  In  geringerem  Grade  war  das  auch  bei  O.  und  A. 
der  Fall,  noch  weniger  bei  R.  und  fast  gar  nicht  bei  S. 

Jedenfalls  geht  aus  unseren  Betrachtungen  hervor,  dass  der  Vor- 
gang  des  Verlesens  auf  sehr  verschiedene  Weise  zu  Stande  kommen 
kann,  und  dass  eine  ganze  Reihe  von  Ursachen  dabei  eine  RoUe  spielen. 
Die  ei-ste  Bedingung  ist  naturlich  Uberall  Undeutlichkeit  des  Sinnes- 
eindruckes,  die  bei  unserem  Verfahren  wieder  vomehmlich  von  der 
Schnelligkeit  der  Wahmehmung  abhangt.  Die  Grestaltung  des  Feh- 
lei*s  selbst  wird  dann  wesenthch  davon  bestimmt,  wie  weit  Vor- 
stellungen  dabei  mitwirken  und  welcher  Art  sie  sind.  Ist  der  sinn- 
liehe  Eindruck  allein  fiir  die  Auffassung  maBgebend  gewesen,  so  wird 
in  Folge  von  Auslassungen  und  Buchstabenverwechselungen  meist 
eine  sinnlose  Verlesung  entstehen.  Kniipfen  sich  aber  an  die 
Wahmehmung  sogleich  Vorstellungen,  welche  den  verschwommenen 
Einzelheiten  bestimmte  Gestalt  leihen  und  die  Lttcken  ausfiillen,  so 
haben  wir  sinnvoUe  Verlesungen  zu  erwarten.    Sind  jene  Vorstellungen 


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Ueber  die  Messung  der  AuffassuDgsf&bigkeiL  307 

vorzugweise  Gresichtsbilder,  so  wird  iiberall  eine  nahere  Beziehung 
zwischen  dein  sinnlichen  Eindrucke  iind  der  Verlesung  nachzuweisen 
sein,  und  es  wird  sich  leicht  ein  festeres  Band  zwischen  Reizwort  und 
Verlesung  bilden.  Haben  wir  es  aber  mehr  mit  motorischen  Sprach- 
vorstellnngen  zu  thun,  so  werden  die  Verlesungen  vom  Schriftbilde 
des  Reizwortes  unabhangiger  sein  und  sich  bei  ganz  verschiedenen 
Reizwortem  einstellen  konnen.  Dass  natttrUch  auch  hier  die  Bewe- 
gungsvorstellung  am  leichtesten  durch  Vermittlung  des  mit  ihr  eng 
verkniipften  Schriftbildes  angeregt  wird,  bedarf  keiner  besonderen  Aus- 
f  iihrung.  Nur  dann,  wenn  der  Versuchsperson  das  Aussprechen  eines 
bestimmten  Wortes  auBerordentUch  nahe  hegt,  wird  die  Auslosung  einer 
solchen  Verlesung  ohne  jeden  inhaltlichen  Zusammenhang  mit  dem  gege- 
benen  Eindrucke  erf olgen  konnen.  Wir  haben  friiher  Beispiele  derartiger 
Fehllesungen  kennen  gelemt,  bei  denen  es  sich  gar  nicht  mehr  um  ein 
wirkliches  Lesen,  sondem  um  die  einfache  Auslosung  einer  schon  vor- 
bereiteten  Sprachbewegung  handelte ;  sie  sind  besonders  zahlreich  bei  B. 
Mit  dem  Ablaufe  der  sinnhchen  Wahmehmung  und  der  Auf- 
fassung  sind  die  Bedingungen  fur  die  Entstehung  von  Verlesungen 
noch  nicht  erschopft.  Eine  falsche  Lesung  kniipft  sich,  wenn  wir 
von  den  zuletzt  besprochenen,  nicht  allzu  haufigen  Fallen  absehen, 
immer  noch  an  einen  Eindruck  an,  der  einen  gewissen  Inhalt  auf- 
weist,  mag  derselbe  auch  verschwommen  und  unvoUstandig  sein. 
Wurde  von  dem  Reizworte  wirkUch  gar  nichts  mehr  erkannt,  so  ent- 
steht  im  allgemeinen  keine  Verlesung,  sondem  eine  Auslassung.  Das 
thatsachliche  Versuchsergebniss  ist  in  diesen  beiden  Fallen  voUig 
verschieden,  ein  Fehler  oder  eine  Lucke  in  der  Liste;  fiir  die  Auf- 
fassung  aber  miissen  nattirUch  flieBende  Uebergange  bestehen  zwischen 
DeutUchkeit,  Unklarheit  und  volligem  Versagen  des  Erkennens.  Der 
Beobachter  selbst  hat  also  beim  Versuche  die  Grenze  zu  ziehen,  an 
der  er  sich  auBer  Stande  fiihlt,  noch  irgend  etwas  iiber  den  Inhalt 
des  dargebotenen  Eindruckes  auszusagen.  Der  Punkt  jedoch,  an  dem 
er  diese  Grenze  zieht,  an  dem  also  die  Fehler  durch  Auslassungen 
abgeldst  werden,  wird  vielleicht  durch  eine  ganze  Reihe  von  Um- 
standen,  jedenfalls  aber  auch  wesentlich  durch  die  personliche  Eigen- 
art  mitbestimmt.  In  der  That  hat  sich  bei  unseren  Versuchen  her- 
ausgestellt,  dass  die  gegenseitigen  Beziehungen  zwischen  Fehlem  und 
Auslassungen  bei  den  einzelnen  Beobachtem  recht  verschiedene  waren. 


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308  Ludwig  Gron  uud  Binil  Kraepelin. 

Ordnen  wir  die  Personen  in  alien  Versuchsreihen  nach  dem  Grade, 
in  welchem  die  Fehler  bei  ihnen  uber  die  Auslassungen  uberwiegen, 
so  erhalten  wir  im  Durchsclinitte  die  Gruppirung  A.,  S.,  R.,  O.  B., 
wenn  wir  I.  mit  seinen  geringen  Zahlen  auBer  Betracht  lassen.  A. 
und  S.  stehen  dabei  einander  nahe,  ebenso  O.  und  B.,  wahrend  R. 
eine  Mittelstellung  einnimmt.  Die  beiden  ersteren  Personen  begingen 
also  verhaltnissmaBig  sehr  viele  Fehler  und  wenig  Auslassungen ;  die 
letzten  beiden  verhielten  sich  umgekehrt.  Nach  unseren  friiheren 
Darlegungen  werden  wir  im  allgemeinen  erwarten  diirfen,  dass  die 
Zahl  der  Auslassungen  in  umgekehrtem  Verhaltniss  zu  der  Schnellig- 
keit  der  Wahmehmung  steht.  Fiir  S.,  A.  und  B.  scheint  das  un- 
gefahr  zuzutreffen.  Dagegen  hat  O.  auffallend  viel,  R  dagegen 
weniger  Auslassungen  aufzuweisen,  als  seiner  Wahmehmungsgeschwin- 
digkeit  entsprechen  wiirde.  Bei  0.  ist  das  starke  Ueberwiegen  der 
Auslassungen  iiber  die  Fehler  deswegen  noch  besonders  bemerkens- 
werth,  da  er  an  Zuverlassigkeit  der  Auffassuug  an  sich  noch  A.  zu 
ubertreffen  scheint.  Wir  kommen  daher  zu  der  Annahme,  dass  O. 
grundsatzlich  geneigt  war,  die  Grenze  zwischen  Erkanntem  und  nicht 
Erkanntem  erhebUch  enger  zu  ziehen,  als  mindestens  A.  und  R. 
Wahrend  jene  Beobachter  noch  Lesungen  vorbrachten,  die  sehr  un- 
sicheren  Eindriicken  entstammten,  machte  O.  nur  dann  Angaben, 
wenn  er  seiner  Sache  wenigstens  einigermaBen  sicher  zu  sein  glaubte. 
Eine  Erganzung  erhalt  die  hier  vertretene  Ansicht  durch  das 
Verhalten  unserer  Beobachter  bei  dem  allmahlichem  Schwinden  der 
wiederholten  gleichen  Verlesungen  im  Laufe  der  Versuchszeit.  Wie 
wir  gesehen  haben,  wurden  dieselben  Verlesungen  bei  denselben  wie 
bei  verschiedenen  Wortem  von  O.,  A.  und  S.  bei  weitem  am  hau- 
tigsten  am  ersten  Versuchstage  vorgebracht,  wahrend  R.  und  B.  an 
den  beiden  letzten  Tagen  nur  eine  geringe  oder  gar  keine  Abnahme 
erkennen  lieBen.  Am  raschesten  hat  sich  das  Verschwinden  der 
wiederholten  gleichen  Verlesungen  bei  O.  vollzogen,  etwas  langsamer 
bei  A.  und  S.,  obgleich  die  Zahl  der  Verlesungen  Uberhaupt  bei 
ihnen  ungefahr  ebenso  schnell  sank  wie  dort.  Es  hat  demnach  den 
Anschein,  als  ob  die  Ausmerzung  der  wiederholten  Verlesungen  nicht 
ausschlieBlich  auf  Rechnung  der  scharferen  Wahmehmung  in  Polge 
der  Uebung  zu  setzen  sei,  wenn  dieselbe  auch  ohne  Zweifel  einen 
wesentlichen  Antheil  daran  hat.     Allenfalls  geniigt  diese  Erklarung 


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Ueber  die  Messiiiig  der  AaffassuogsfUhigkeit.  309 

fur  die  stehenden  Wiederholungen.  Das  Schwinden  derselben  voU- 
ziebt  sich  annahemd  entsprechend  dem  Uebungsfortschritte  der 
Auffassung.  Dagegen  ist  sehr  auffallend  das  voUige  Pehlen  der  zer- 
streuten  Wiederholungen  bei  O.  am  zweiten  und  dritten  Tage,  nacb- 
dera  am  ersten  nicbt  weniger  als  46  derartige  Verlesungen  dagewesen 
waren.  Moglich  ware  es,  dass  bei  O.  am  ersten  Versuchstage  in  Folge 
zufalliger  Einfliisse  eine  erhohte  psychomotorische  Erregbarkeit  be- 
standen  hat,  die  sein  Verhalten  einigermaBen  erklaren  konnte.  Wir 
batten  dann  in  dem  iiberwiegenden  Einflusse  motorischer  Sprachvor- 
stellungen  auf  seine  Auffassung  keine  dauemde  personliche  Eigen- 
thiimlichkeit  vor  uns  wie  bei  B.,  sondem  einen  voriibergehenden  Zu- 
stand.  Es  ist  aber  noch  eine  andere  Erklarung  denkbar.  Sobald  O. 
mit  den  Versuchen  vertrauter  geworden  war,  musste  ihm  klar  werden, 
dass  die  Wiederkehr  derselben  Lesung  wahrend  desselben  Trommel- 
laufes  nothwendig  einen  Pehler  bedeute.  Derartige  Ueberlegungen 
haben  jedenfalls  B.  und  auch  R.  nicht  davon  abgehalten,  dieselbe 
Verlesung  bei  verschiedenen  Reizwortem  vorzubringen;  bei  den  iibrigen 
Personen  aber  ist  gerade  dieser  Pehler  rascher  verschyninden,  als  die 
Verlesungen  im  allgemeinen,  besonders  bei  O.  Der  Grund  dafUr 
konnte  recht  wohl  in  der  groBeren  Sorgfalt  gelegen  haben,  mit  der 
alle  augenfallig  falschen  Lesungen  unterdriickt  wurden. 

Wir  wurden  diese  Deutung  hier  nicht  ausf  uhrlicher  erortert  haben, 
wenn  nicht  noch  eine  Erfahrung  vorhanden  ware,  durch  die  sie  unseres 
Erachtens  gestiitzt  wird.  Das  ist  das  schon  friiher  erwahnte  Verhalten 
der  sinnlosen  Verlesungen.  Da  O.  langsamer  auffasste,  als  S.,  und 
weniger  durch  Vorstellungen  beeinflusst  wurde,  als  A.  und  S.,  hatte 
man  bei  ihm  entschieden  mehr  sinnlose  Verlesungen  erwarten  soUen, 
als  bei  jenen  Beiden  oder  mindestens  bei  S.  Wenn  der  Versuch  ein 
ganz  anderes  Ergebniss  geUefert  hat,  so  kann  der  Grund  dafiir 
schwerhch  in  etwas  anderem,  als  in  der  groBeren  Zuriickhaltung 
hegen,  welche  O.  bei  dem  Vorbringen  sinnloser  imd  daher  offenbar 
falscher  Lesungen  geiibt  hat.  Diese  Erfahrung  w.are  nur  ein  Seiten- 
stiick  zu  seiner  Neigung,  iiberhaupt  verhaltnissmaBig  wenig  Pehler, 
aber  viele  Auslassungen  zu  liefem.  Von  ihm  wurden  also  an  den 
Auffassungsvorgang  hohere  Anspriiche  gestellt,  als  von  den  ubrigen 
vergleichbaren  Personen ;  das  endliche  Versuchsergebniss  wurde  nicht 
nur  durch  Schnelhgkeit  und  Scharfe  der  Wahmehmung,  nicht  nur 


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310  Lndwig  Gron  und  Einil  Kraepelio. 

(lurch  auftauchende  Vorstellimgen,  sondem  offenbar  auch  durch  ge- 
wisse  Ueberlegungen  beeinflusst,  die  wenigstens  einen  Theil  der 
undeutlichen  oder  sicher  falschen  Lesungen  schon  im  Entstehen 
imterdriickten.  Bei  den  andem  Beobachtem  diirfte  eine  solche  Aiis- 
wahl  in  weit  geringerem  MaBe  stattgefunden  haben.  Natiirlich  diirfen 
wir  uns  dieselbe  nicht  als  einen  klar  bewussten  Vorgang  vorstellen, 
schon  wegen  der  Schnelligkeit,  mit  der  sich  das  Lesen  abspielte. 
Nach  dem  Verhaltnisse  der  sinnlosen  Verlesungen  batten  wir  friilier 
die  Versuchspersonen  in  die  Reihe  S.,  R.,  A.,  B.,  O.  gebracht. 
Ordnet  man  nach  dem  Ueberwiegen  der  Fehler  iiber  die  Auslassungen, 
so  erhalt  man  die  Reihe  A.,  S.,  R.,  O.,  B.  Jene  drei  Personen  also, 
die  verhaltnissmaBig  am  meisten  sinnlose  Verlesungen  geliefert  batten, 
bevorzugten  am  starksten  die  Fehler  vor  den  Auslassungen  und  um- 
gekehrt.  Die  Uebereinstimmung  wird  noch  groBer,  wenn  man  erwagt, 
dass  mit  langsamerer  Auffassung  die  Zahl  der  Auslassungen  an  sich 
schon  bedeutend  wachst.  Die  beiden  langsam  auffassenden  Personen 
R.  und  B.  wurden  also  verhaltnissmaBig  weniger  Auslassungen  ge- 
liefert haben  und  damit  in  jener  Reihe  etwas  vorgeriickt  sein,  wenn 
sie  ebenso  schnell  batten  wahmelmien  konnen  wie   S.,   A.  und  0. 

Wir  halten  es  daher  nicht  fUr  unwahrscheinUch,  dass  die  Haufig- 
keit  besonders  der  sinnlosen  Verlesungen  wie  der  Verlesungen  iiber- 
haupt  durch  eine  gemeinsame  Ursache  vermindert  wird,  durch  das 
Bestreben,  moglichst  zuverlassig  zu  lesen.  Dieses  Bestreben 
seheint  sich  am  starksten  bei  O.  und  B.,  weit  weniger  bei  den  andern 
drei  Personen  geltend  gemacht  zu  haben.  Freilich  steht  diesem  Be- 
streben uberall  die  Wirksamkeit  der  friiher  besprochenen  Fehler- 
ursachen  entgegen;  es  kann  dalier  nicht  die  Zahl,  sondem  nur  das 
VerhS<ltniss  der  Feliler  zu  den  Auslassungen  beeinflussen.  Auch  die 
Beseitigung  ziihe  haftender  Fehler  braucht  trotz  aller  BemUhungen 
nicht  rasch  zu  gelingen,  wenn  eben  machtige  Fehlerquellen  dem  ent- 
gegenarbeiten.  So  sehen  wir,  dass  B.  trotz  verhaltnissmaBig  weniger 
sinnloser  Verlesungen  wegen  seiner  mangelhaften  Auffassung  und  der 
starkeren  Beeinflussung  durch  Sprachvorstellungen  dieselben  Fehler 
ungemein  haufig  wieder  begeht.  Wenn  dagegen  R.  und  ahnlich  A. 
die  einmal  begangenen  Fehler  nur  sehr  schwer  verbessem,  so  ent- 
spricht  das  vollig  den  soeben  naher  begriindeten  Vermuthungen. 

Einen  weiteren  Beitrag  zu  der  hier  beriihrten  Frage  liefert  uns 


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Ueber  die  Messung  der  AQfTissaugsfEhigkeit.  311 

die  Betrachtung  der  Tabellen  XV  iind  XXVII.  Soweit  die  kleinen 
Zahlen  Schlusse  erlauben,  sehen  wir,  dass  bei  B.  namentlieh  die  zer- 
streuten  Wiederholungen  verhaltnissmaBig  weit  ofter  wiederkehrten, 
als  bei  den  iibrigen  Personen;  0.  ubertraf  darin  die  Andem  wenig- 
stens  bei  den  einsilbigen  Wortem,  wahrend  bei  den  zweisilbigen  jene 
Fehler  fast  verschwunden  waren.  Sehr  haufige  stehende  Wieder- 
holungen finden  wir  bei  A.  und  besonders  bei  R.,  wahrend  S.  und 
O.  diese  Neigung  weit  weniger  zeigen.  Diese  Erfahrungen  wiirden 
sich  etwa  dahin  deuten  lassen,  dass  B.  und  in  geringerem  Grade  O. 
sich  von  einzehien  motorischen  Sprachvorstellungen,  A.  und  R.  da- 
gegen  von  bestimmten  Schriftbildem  bei  ihrer  Auffassung  beeinflussen 
lieBen. 

Auffallend  erscheint  hier  das  Verhalten  von  S.,  der  dieselben 
Feliler  selten  mehr  als  zweimal  wiederholt.  Nach  unseren  ganzen 
sonstigen  Erfahrungen  erscheint  es  jedoch  gewagt,  darin  etwa  den 
Ausdruck  einer  besonderen  Fertigkeit  in  der  Berichtigung  begangener 
Fehler  zu  sehen,  zumal  die  Zahl  stehender  Wiederholungen  bei  ihm 
keineswegs  sehr  gering  ist.  Kaher  Uegt  wohl  die  Erklarung,  dass  hier 
die  Verlesungen  weniger  lange  haft^ten,  als  bei  den  Anderen,  dass  er 
sich  bei  der  nachsten  Lesung  meist  der  friiheren  nicht  mehr  sehr 
deutlich  erinnerte  und  darum  nicht  gerade  durch  sie,  wohl  aber  durch 
beliebige  andere  Vorstellungen  beeinflusst  wurde.  Dass  er  diesen  sehr 
zuganglich  war,  ist  namenthch  durch  die  Versuchsergebnisse  beim 
Lesen  sinnloser  Silben  dargethan  worden. 

Ueber  die  personlichen  Grundeigenschaften  erfahren  wii' 
aus  unseren  Versuchen  leider  verhaltnissmaBig  wenig,  da  die  Anord- 
nung  dafiir  nicht  geeignet  war.  Die  Uebungsfahigkeit  vermogen 
wir  von  der  G^wohnungsfahigkeit  hier  kaum  abzutrennen;  zudem  sind 
die  Werthe  recht  unsicher,  da  sie  nur  aus  dem  Vergleiche  einzelner 
Versuchstage  gewonnen  wurden.  Sow^eit  die  vorliegenden  Zahlen  ein 
Urtheil  zulassen,  war  die  Uebungsfahigkeit  bei  O.  und  wohl  auch  B. 
am  groBten,  bei  R.  am  geringsten;  A.  und  S.  standen  dazwischen. 
Jedenfalls  stand  die  Uebungsfahigkeit,  entsprechend  den  Erfahrungen 
l)ei  anderen  fortlaufenden  Arbeiten,  in  keiner  Beziehung  zu  der 
Schnelligkeit  der  Leistimg.  Dagegen  besserte  die  Uebung  offenbar 
die  G^schwindigkeit  der  Wahrnehmung,  indem  sie  nicht  nur  die  Zahl 
der  richtigen  Lesungen  steigerte,   sondem   auch  eine  Abnahme  der 


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312  Ludwig  Cron  und  Emit  Kraepelin. 

mehrfachen  Buchstabenverlesungen  bewirkte.  Bei  O.  und  B.  fuhrte 
sie  vorzugsweise  zu  einer  Verminderung  der  Auslassimgen;  bei  A., 
S.  und  R  nahmen  fast  ausschlieBlich  die  Pehler  ab.  Offenbar  be- 
stand  also  ein  Zusammenhang  zwischen  Uebungswirkung  und  Art  der 
Verarbeitung  der  Eindriicke.  Bei  denjenigen  Personen,  die  undeut- 
lich  erfasste  Eindriicke  gar  nicht  zu  lesen  pflegten,  bewirkte  die 
Uebung  wesentlich  eine  Abnahme  der  Auslassungen,  d.  h.  es  wurden 
durch  die  Verbesserung  der  Auffassung  ebenso  viele  Auslassungen 
in  Verlesungen  wie  Verlesungen  in  richtige  Lesungen  Ubergefiihrt. 
Wo  aber  die  Neigung  bestand,  lieber  falsch  als  niehts  zu  lesen,  zeigte 
sich  der  Uebungseinfluss  zunachst  hauptsacblich  in  der  richtigeren 
Auffassung  der  fehlerhaft  erkannten  Eindriicke,  wahrend  die  Aus- 
lassungen unberiihrt  blieben.  Dieser  eigenthiimliche  Unterschied  ist 
vielleicht  dahin  zu  deuten,  dass  in  beiden  Fallen  der  Abstand^  zwischen 
der  Deutlichkeit  der  fehlerhaft  und  der  gar  nicht  erkannten  Eittdriicke 
ein  verschieden  groBer  war.  Bei  der  ersten  Gruppe  fand,  wde  es 
scheint,  ein  ganz  allmahlicher  Uebergang  der  Fehler  in  die  i\us- 
lassungen  statt,  so  dass  die  Umwandlung  dieser  in  jene  sich  leiaht 
vollzog.  Wo  aber  moglichst  viele  Reizworter,  wenn  auch  falsch,  gt^- 
lesen  wurden,  fielen  nur  solche  Wahmehmungen  ganz  aus,  die  sehr\ 
tief  unter  der  Schwelle  lagen  und  daher  durch  die  Uebung  zunachst 
nicht  ausreichend  verstarkt  werden  konnten. 

Bei  den  meisten  Versuchen  machte  sich  die  Besserung  der  Auf- 
fassung in  einer  deutlicheren  Erkennung  der  ersten  Buchstaben 
geltend.  Ausnahmen  bildeten,  wenn  wir  die  unvollstandigen  Auf- 
zeichnungen  bei  Trommel  C  hier  auBer  Acht  lassen,  bei  Trommel  A 
nur  S.,  der  fortschreitend  die  mittleren  Buchstaben  bevorzugte,  und 
B.,  der  sich  hier  wie  bei  Trommel  B  in  der  Auffassung  der  Buch- 
staben verhaltnissmaBig  am  meisten  besserte.  Hun  schloss  sich  bei 
den  zweisilbigen  Wortem  R.  an.  Wenn  somit  durch  die  Uebimg 
gewohnhch  derjenige  Theil  der  Eindriicke  am  meisten  begiinstigt 
wurde,  auf  den  sich  die  Aufmerksamkeit  vorzugsweise  richtete,  so 
erwies  sich  ihr  Einfluss  doch  dort  noch  starker,  wo  die  Leistung  von 
vomherein  ganz  besonders  schlecht  gewesen  war.  Dieses  Verhalten 
entspricht  der  allgemeinen  Erfahrung,  dass  die  Uebung  schlechte 
Leistungen  rascher  und  ausgiebiger  verandert,  als  bessere. 

Die   sinnlosen    Verlesungen   nahmen   imter   dem   Einflusse    der 


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) 


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Ueber  die  Messiing  der  Auffassungsflihigkeit.  313 

Uebung  bei  O.,  A.,  S.  sehr  deutlich,  bei  E.  iind  B.  nicht  erkennbar 
ab.  Wenn  wir  friiher  die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  in  Beziehung 
gesetzt  haben  zu  der  Neigung,  zweifellos  unrichtige  Lesungen  zu 
unterdriicken,  so  sehen  wir  jetzt,  dass  die  beiden  langsamsten  Be- 
obachter  in  diesem  Punkte  am  wenigsten  durch  die  Uebung  beein- 
flusst  werden.  Wir  dtirfen  uns  auch  wohl  vorstellen,  dass  eine  kri- 
tische  Auswahl  beim  Lesen  erst  dann  moglich  ist,  wenn  die  Losung 
der  Erkennungsaufgabe  selbst  nicht  mehr  die  ganze  Aufmerksamkeit 
in  Anspruch  nimmt.  AuBer  der  personlichen  Neigung  zur  Ausmer- 
zung  falscher  Lesungen  wird  also  auch  die  Schnelligkeit  der  Wahr- 
nehmung  fur  die  Zahl  sinnloser  Verlesungen  noch  eine  gewisse  Be- 
deutung  behalten. 

Vielleicht  sind  ahnliche  Ueberlegungen  geeignet,  uns  das  Ver- 
halten  der  einzelnen  Personen  gegenliber  den  wiederholten  gleichen 
Verlesungen  verstandUcher  zu  machen.  Wir  haben  gesehen,  dass  die 
stehenden  Wiederholungen  an  denselben  Tagen  bei  O.,  A.,  und  S. 
von  Tag  zu  Tag  seltener  wurden,  wahrend  bei  R.  und  B.  eine  Ab- 
nahme  nicht  bemerkbar  war.  Ein  ahnlicher  Unterschied  war  hin- 
sichtlich  der  zerstreuten  Wiederholungen  festzustellen,  sowohl  an 
denselben  wie  an  verschiedenen  Tagen.  Wie  schon  friiher  dargelegt 
wurde,  weisen  uns  diese  Unterschiede  darauf  hin,  dass  R.  und  B.  im 
Laufe  der  Versuchstage  es  nicht,  wie  die  ubrigen  Personen,  lemten, 
zur  Verbesserung  ihrer  Leistung  von  denjenigen  Hiilfsmitteln  Ge- 
brauch  zu  machen,  die  ihnen  durch  die  Ueberlegung  an  die  Hand 
gegeben  wurden.  Sie  suchten  nicht  eine  friihere  unsichere  Lesung 
bei  der  Wiederkehr  desselben  Wortes  durch  erhohte  Anspannung 
der  Aufmerksamkeit  zu  verbessem;  sie  verwarfen  nicht  eine  Lesung, 
weil  sie  schon  einmal  bei  einem  anderen  Worte  vorgebracht  worden 
war.  Dass  in  diesen  Richtungen  durch  die  Uebung  kein  wesentUcher 
Fortschritt  gebracht  wurde,  konnte,  abgesehen  von  sonstigen  person- 
lichen  Eigenthumlichkeiten,  gewiss  auch  zu  der  immer  noch  sehr 
groBen  Langsamkeit  der  Wahmehmung  in  Beziehung  stehen,  die  das 
Eingreifen  weiterer  Ueberlegungen  erschweren  musste. 

Ueber  die  Ermiidbarkeit  unserer  Beobachter  geben  die  Ver- 
suche  wegen  ihrer  Anordnung  leider  nur  wenig  Aufschluss.  Es  lasst 
sich  kaum  mehr  sagen,  als  dass  O.  wohl  zweifellos  die  groBte  Er- 
miidbarkeit von  alien  Personen  besessen  hat;  jedenfalls  waren  A.,  S. 


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314  Lndwig  Gron  und  Kmil  Kmepeliiu 

iind  R.  weniger  ermiidbar  als  er.  B.  war  anscheinend  ermiidbarer 
als  R;  in  welchem  Verhaltnisse  jedoch  R.  und  B.  zu  A.  und  S. 
stand,  lasst  sich  bei  dem  Mangel  vergleichbarer  Versuchswerthe  zu- 
nachst  nicht  entscheiden.  So  weit  wir  demnach  das  Verhalten  der 
Enniidbarkeit  beurtheilen  konnen,  steht  die  Reihenfolge  der  Personen 
nirgends  im  Widerspruch  mit  ihrer  Ordnung  nach  der  Uebungsfahig- 
keit;  insbesondere  zeichnet  sich  0.  durch  grofie  Uebungsfahigkeit  und 
groBe  Enniidbarkeit  zugleich  vor  alien  Anderen  aus.  Die  Anschauung, 
dass  jene  beiden  Eigenschaften  in  tieferem  Zusammenhange  mit  ein- 
ander  stehen,  wurde  in  den  hier  gewonnenen  Erfahrungen  eine  ge- 
wisse  StUtze  finden. 

Von  den  einzelnen  Wirkungen  der  Ermudung  ist  namentlich 
die  Zunahme  der  mehrfachen  Buchstabenverlesungen  und  die  Ver- 
mehrung  der  sinnlosen  Verlesungen  von  Bedeutung.  Erstere  zeigt 
sich  in  der  zweiten  Halfte  der  Versuchsreihen  bei  O.  und  B., 
fehlt  aber  bei  A.,  S.  und  R. ;  die  letztere  Erscheinung  finden  ^ir 
bei  O.,  B.,  A.  und  in  geringem  Grade  auch  bei  R.,  wahrend  sie 
bei  S.  fehlt.  Diese  Thatsachen  lehren  uns  einmal,  dass  gewisse  Er- 
miidungszeichen  schon  entwickelt  sein  konnen,  wenn  die  durch  Uebung, 
Gewohnung  und  Anregung  wachsende  GroBe  der  Leistung  noch  keine 
Abnahme  darbietet.  Sie  scheinen  femer  darauf  hinzudeuten,  dass 
B.,  der  nach  O.  die  groBte  Uebungsfahigkeit  aufwies,  auch  hinsicht- 
lich  seiner  Ermiidbarkeit  Jenem  nahe  steht.  Die  ersten  Buchstaben 
der  Worter,  die  unter  dem  Einflusse  der  Uebung  zumeist  besser  auf- 
gefasst  wurden,  erkannten  alle  Beobachter,  mit  Ausnahme  von  A., 
in  den  zweiten  Halften  der  Versuchsreihen  verhaltnissmaBig  schlechter. 
Wenn  wir  auch  darin  ein  Ermiidungszeichen  erblicken  diirfen,  so 
wurden  wir  zu  dem  Scldusse  kommen,  dass  sich  bei  den  einzelnen 
Personen  vielleicht  nicht  alle  Erscheinungen  der  beginnenden  Er- 
mudung in  gleicher  Reihenfolge  entwickelten. 

Der  Hohepunkt  der  Leistung  lag  bei  O.  und  A.  verhaltnissmaBig 
am  friihesten  in  der  Reihe,  schien  sich  bei  S.  ein  wenig,  bei  R.  noch 
sUirker  nach  hinten  zu  verschieben  und  fiel  bei  B.  meist  erst  in  die  letzten 
beiden  Funftel.  Die  Ursachen  dieser  Unterschiede  sind  sehr  verwickelte; 
sie  liegen  zum  Theil  im  Verhalten  der  Enniidbarkeit,  wie  das  voll- 
standige  Fehlen  von  Hochstleistungen  in  den  letzten  Abschnitten 
bei  0.,  zum  Theil  in  dem  verschieden  raschen  Wachsen  der  Uebung, 


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Ueber  die  Messung  der  Auffassiingsf&higkeit.  315 

Gewohnimg  und  Anregung,  die  wir  leider  nicht  im  Stande  sind, 
naher  zu  verfolgen. 

EndKch  aber  hat  fiir  den  Verlauf  der  Arbeitsleistung  auch  der 
Antrieb  eine  gewisse  Bedeutung,  obgleich  er  weniger  die  Pehler, 
als  die  Auslassungen  zu  vermindem  scheint.  Der  Antrieb  im  An- 
fange  war  am  haufigsten  bei  S.  und  R,  am  seltensten  bei  A.;  O. 
und  B.  standen  in  der  Mitte.  Bei  R.,  S.  und  B.  war  der  Antrieb 
niedrig  und  fliichtig,  besonders  bei  letzteren  Beiden,  wahrend  er  bei 
A.  und  O.  nachhaltiger,  bei  diesem  auch  ziemlich  hoch  ausfiel.  Schluss- 
antrieb  finden  wir  haufiger  bei  A.  und  B.,  etwas  seltener  bei  0.  und 
8.,  noch  seltener  bei  R. ;  bei  letzteren  Beiden  ist  er  zugleich  auBerst 
unbedeutend.  Wir  sehen  daraus,  dass  S.  und  R.  zwar  mit  einem 
gewissen,  rasch  verfliegenden  Eifer  an  die  Versuche  herangingen, 
aber  gegen  Schluss  einer  Reihe  gleichgultig  geworden  waren,  obgleich 
die  Ermiidung  bei  ihnen  eine  geringe  Rolle  spielte.  Auch  B.  er- 
lahmte  bald,  raffte  sich  aber  am  Ende  von  neuem  wieder  auf ;  wahr- 
scheinUch  hat  bei  ihm  auch  im  Verlaufe  der  Reihe  ofters  Antrieb 
stattgefunden,  wie  wir  friiher  an  einem  Beispiele  zeigten.  A.  ging 
ziemUch  kiihl  an  den  Versuch  heran,  gerieth  aber  spater  in  Eifer; 
ahnlich  verhielt  sich  O.,  bei  dem  jedoch  der  Eifer  im  Anfang  groBer, 
am  Ende  geringer  war,  wohl  wegen  seiner  groBeren  Ermiidbarkeit. 
Dieselbe  Ursache  bewirkte  bei  ihm  gegen  Schluss  der  Reihe  eine 
Starke  Zunahme  der  Auslassungen,  die  wir  besonders  als  Zeichen 
einer  Erschwerung  der  Auff assung  anzusehen  berechtigt  sind.  Aehn- 
Kches  findet  sich  bei  R,  muss  aber  bei  ihm  im  Hinblicke  auf  seine 
geringe  Ermiidbarkeit  und  das  Fehlen  des  Schlussantriebes  wohl  mehr 
auf  das  Erlahmen  seines  Eifers  fiir  den  Versuch  bezogen  werden. 

Die  Erscheinung  des  Antriebes  diirfen  wir  als  den  Ausdruck 
einer  Willensanstrengung  betrachten.  Einen  gewissen  Zusammenhang 
mit  dem  Willen  miissen  wir  femer  auch  wohl  der  Ausmerzung  fehler- 
hafter  Lesungen  zuschreiben;  sie  vnrd  jedenfalls  unter  sonst  gleichen 
Umstanden  um  so  ausgiebiger  erfolgen,  je  lebhafter  der  Wunsch  des 
Beobachters  ist,  gute  Ergebnisse  zu  liefem.  Es  liegt  daher  die  Frage 
nahe,  ob  nicht  Haufigkeit  und  Starke  des  Antriebes  ungefahr  der 
Neigung  entspreche,  fehlerhafte  Lesungen  zu  unterdriicken.  Da  wir 
nicht  jene  Neigung  selbst,  sondern  nur  ihre  Spuren  messen  konnen, 
die  sicher  noch  durch  andere  Ursachen  beeinflusst  werden,  so  werden 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  IL  21 


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316  Ladwig  Cron  uod  Emi)  Kraepelin. 

wir  freilich  kaum  darauf  rechnen  konnen,  in  unseren  Zahlen  klare 
GesetzmaBigkeiten  aufzufinden.  Die  meisten  sinnlosen  Verlesnngen 
waren  von  S.  und  R.,  die  wenigsten  von  O.  geliefert  worden,  von  A. 
und  B.  eine  mittlere  Zahl.  R.  und  S.  aber  sind  auch  diejenigen 
Personen,  deren  Eifer  am  raschesten  und  vollstandigsten  erkaltete. 
0.  zeigte  zwar  nicht  den  haufigsten,  aber  den  nachhaltigsten  und 
hochsten  Antrieb.  B.  erwies  sich  als  eifrig,  aber  rasch  erlahmend, 
wahrend  A.  zunachst  ziemlich  kuhl  war,  aber  wahrend  des  Versuches 
in  Eifer  gerieth.  Das  Verhalten  des  Willens,  soweit  es  aus  dem  An- 
triebe  erkennbar  wird,  lasst  sich  demnach  nicht  so  leicht  in  eine  ein- 
fache  Pormel  bringen;  es  will  uns  aber  doch  scheinen,  als  wenn  die 
Erfahrungen  beim  Antrieb  mit  denjenigen  beim  sinnlosen  Yerlesen 
leidlich  gut  im  Einklange  stehen. 


YIIL  Znsammenfassong. 

Bis  hierher  fiihren  uns  die  aus  den  Versuchen  gewonnenen  Er- 
gebnisse.  Sie  zeigen  uns,  dass  unerwartet  mannigfache  Verschieden- 
heiten  zwischen  den  einzelnen  Beobachtem  bestanden,  entsprechend 
der  unerschopflichen  Vielgestaltigkeit  menschlicher  Personlichkeiten. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  es  dabei,  dass  einige  der  von  uns 
aufgedeckten  Thatsachen  tiefere  Zusammenhange  unter  einander  er- 
kennen  lieBen,  die  auf  gemeinsame  Grundlagen  hinweisen,  wahrend 
andere  Erfahrungen  auf  ganz  selbstandigen  personlichen  Eigenthiim- 
lichkeiten  beruhen  durften.  AUein  diese  Scheidung  ist  keine  strenge; 
in  dem  ununterbrochenen  Getriebe  unseres  Seelenlebens  ilieBen  die 
Wirkungen  fast  unentwirrbar  durch  einander,  so  dass  wir  uns  nur  in 
den  grobsten  Umrissen  uber  die  verschiedenen  EinflUsse  Rechenschaft 
zu  geben  vermogen,  deren  Endergebniss  die  vorliegende  Gestaltung 
des  Auffassungsvorganges  darstellt 

1.  Eine  maBgebende  Rolle  kommt  dabei  ohneZweifel  der  Schnel- 
ligkeit  der  Wahmehmung  zu.  Da  sie  ganz  allgemein  die 
Deutlichkeit  der  vorbeieilenden  Eindriicke  bestimmt,  so  hangt 
von  ihr  unmittelbar  die  Lage  der  Leistung  im  Schwellengebiete, 
die  Zahl  der  richtigen  Lesungen,  der  mehrfachen  Buchstaben- 
verlesungen,  bei  sinnlosen  Silben  auch   der  Auslassungen  ab. 


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Ueber  die  Messnng  der  Aoffassnngsflhigkeit.  317 

Ferner  beeinflusst  sie  alle  jene  Vorgange,  welche  zu  der  groBe- 
ren  oder  geringeren  Klarheit  der  Wahmehmung  in  irgend 
welcher  Beziehung  stehen,  die  Haufigkeit  der  Verlesungen  iind 
Auslassungen  iiberhaupt,  die  Zuverlassigkeit  der  Auffassung 
im  Schwellengebiet,  die  Wiederholung  derselben  Verlesungen, 
die  XJnterdriickung  als  falsch  empfundener,  insbesondere  sinn- 
loser  Lesungen,  vielleicht  auch,  jedoch  nur  bis  zu  einem  ge- 
wissen  Grade,  die  Gliederung  der  Auffassung. 

2.  Die  Gliederung  der  Auffassung  bestimmt  die  Deutlich- 
keit  der  einzelnen  Bestandtheile  des  Eindruckes.  Die  Auf- 
merksamkeit  richtet  sich  bei  kurzen  Buchstabenreihen  auf  die 
Mitte  derselben;  die  Gruppe  wird  als  Einheit  aufgefasst,  der- 
art,  dass  ein  Zeichen  scharf,  die  ubrigen  weniger  deutlich  er- 
kannt  werden.  Langere  Worter  werden  in  kleinere  Abschnitte 
zerlegt,  deren  Umfang  bei  unseren  Beobachtem  zwischen  2  und 
4  Buchstaben  schwankte.  Das  erste  Zeichen  des  vorbeieilenden 
Eindruckes  wird  am  schlechtesten  wahrgenommen,  wenn  es 
nicht  die  Aufinerksamkeit  durch  groBen  Druck  besonders  auf 
sich  zieht.  Ebenso  werden  die  letzten  Zeichen  fortschreitend 
immer  undeutlicher  erkannt.  Die  Zahl  der  richtigen  Lesungen 
wird  vielleicht  etwas  von  der  Gliederung  der  Auffassung  be- 
einflusst, wie  die  hohe  Leistung  von  O.  bei  Trommel  B  anzu- 
deuten  scheint.  Auch  die  Menge  der  Verlesungen  kann  mog- 
licherweise  von  der  Gruppirung  der  Eindriicke  mitbestimmt 
werden;  so  schien  die  Verlesung  mancher  einsilbiger  Worter 
bei  S.  mit  seinem  Streben  nach  einheitlicher  Auffassung  des 
Gesammtreizes  in  Verbindung  zu  stehen. 

3.  Die  Zuverlassigkeit  der  Auffassung  hangt  ab  einmal  von 
der  sinnlichen  Scharfe  der  Wahrnehmung,  die  bei 
gleicher  Tiichtigkeit  des  eigentlichen  Sinneswerkzeuges  unter 
den  gegebenen  Bedingungen  wesentlich  durch  die  personliche 
Wahmehmungszeit  bestimmt  wird.  Weiterhin  aber  ist  maB- 
gebend  die  Beeinflussung  der  Auffassung  durch  Vor- 
stellungen,  seien  es  Schriftbilder,  seien  es  motorische  Sprach- 
vorstellungen.  Der  Grad  dieser  Beeinflussung  macht  sich  in 
der  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen,  der  Worterganzungen  und 

21* 


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3 1 8  Ludwig  Gron  uod  Emil  Kraepelin. 

Zusatze  bei  sinnlosen  Silben,  in  dem  Verhaltnisse  der  Ver- 
lesungen  zu  den  Anslassungen,  endlich  in  der  Haufigkeit  der 
wiederholten  Verlesnngen  bemerkbar.  Begiinstigt  wird  die 
Wirkung  der  Vorstellimgen  durch  alle  Ursachen,  welche  die 
Deutlichkeit  des  Eindruckes  herabsetzen.  Je  fester  einzehie 
Vorstellungen  haften,  desto  haufiger  fuhren  sie  zu  denselben 
Verlesnngen,  doch  konnen  auch  fluchtige  und  wechsehide  Vor- 
stellungen auf  die  Auffassung  wirken,  wie  das  Beispiel  von  S. 
darthut.  Schriftbilder  begiinstigen  mehr  das  Zustandekommen 
stehender,  motorische  Wortvorstellungen  mehr  dasjenige  zer- 
streuter  Wiederholungen. 

4.  AuBer  den  genannten  Bedingungen  wirkt  auf  das  Versuchs- 
ergebniss  noch  das  melir  oder  weniger  ausgepragte  St  re  ben 
der  Versuchsperson  nach  moglichst  guter  Auffas- 
sungsleistung  ein.  Dieses  Streben,  welches  gewisse  Be- 
ziehungen  zum  Antriebe  erkennen  lasst,  fUhrt  zur  Unter- 
driickung  als  falsch  empfundener  Lesungen  und  wird  daher 
erkennbar  in  dem  Verhaltnisse  zwischen  Anslassungen  und 
Fehlem,  in  der  Zahl  sinnloser  Verlesnngen,  in  der  Schnellig- 
keit,  mit  welcher  im  Laufe  der  Versuche  die  wiederholten 
Verlesimgen  desselben  Tages  schwinden,  vielleicht  auch  etwas 
in  der  Q-hederung  der  Auffassung. 

5.  Die  Uebung  kiirzt  die  Wahmehmungszeit  ab  und  verandert 
dadurch  alle  Vorgange,  die  von  jener  beeinflusst  werden.  Sie 
bewirkt  je  nach  der  groBeren  Neigung  zu  Verlesnngen  oder 
zu  Anslassungen  eine  Abnahme  der  ersteren  oder  der  letzte- 
ren.  Da  die  Wahmehmungen  deutlicher  werden,  nehmen  die 
sinnlosen  Verlesnngen,  die  mehrfachen  Buchstabenverlesungen 
und  die  Wiederholungen  am  gleichen  Tage  ab.  Die  ersten 
Buchstaben  werden  meist  besser  erkannt,  nur  bei  den  sehr 
langsam  auffassenden  Personen  die  letzten. 

6.  Die  Ermiidung,  die  auch  hier  mit  der  Uebungsfahigkeit  in 
nahen  Beziehungen  zu  stehen  scheint,  entfaltet  in  alien  Stucken 
genau  die  entgegengesetzten  Wirkungen.  Ihr  Einfluss  auf  die 
Art   der   geleisteten  Arbeit   wird    friiher   erkennbar,    als    die 


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Ueber  die  Messung  der  Auffassungsfiihigkeit.  ^  319 

Herabsetzung  der  richtigen  Lesungen,  die  noch  eine  Zeit  lang 
durch  andere  Ursachen  verdeckt  werden  kann. 

7.  Der  Antrieb  vermehrt  hauptsachlich  die  Zahl  der  richtigen 
Lesungen  iind  scheint  die  Auslassungen  starker  zu  vermindem, 
als  die  Fehler. 

8.  Das  Gedachtniss  macht  seinen  Einfluss  wesentlich  in  der 
haufigen  Wiederkehr  der  stelienden  Verlesungen  geltend ;  auBer- 
dem  verkniipft  es  die  auf  einander  folgenden  Reizworter  und 
f iihrt  dadiirch  zu  einer  Erleichterung  des  Lesens  mit  Hulf e  der 
sich  ausbildenden  Kette  von  Erinnerungsbildem. 

Aus  dem  Zusammenwirken  aller  dieser,  bei  jedem  Beobachter 
verschieden  ins  Gewicht  fallenden  Bedingungen  gelien  die  einzelnen 
Vei-suchsergebnisse  hervor,  wie  wir  ihnen  in  unseren  Listen  begegnen. 
Moglich  ist  es  naturlich,  dass  dabei  noch  weitere  Einfliisse  mitspielen, 
deren  Spuren  wir  nicht  herauszuschalen  vermochten;  sicher  gilt  das 
von  der  Gewohnung  und  der  Anregung.  Trotzdem  durfen  wir  viel- 
leicht  den  Versuch  machen,  auf  Grund  der  vorliegenden  Erfahrungen 
wenigstens  in  allgemeinen  Ziigen  die  Eigenart  der  einzelnen 
Personen  zu  kennzeichnen. 

I.  zeichnete  sich  durch  die  bei  weitem  groBte  Schnelligkeit  der 
Wahmehmung  aus;  seine  Versuche  bewegten  sich  nahe  der 
oberen  Grenze  des  Auffassungsschwellengebietes.  In  Folge 
dessen  kamen  Auslassungen  und  Fehler  uberall  nur  in  ganz 
verschwindender  Zahl,  mehrfache  Buchstabenverlesungen  iiber- 
haupt  nicht  vor.  Ein  genauerer  EinbUck  in  die  besondere  Ge- 
staltung  des  Auffassungsvorganges  war  daher  bei  ihm  nicht 
moghch. 

O.  bot  eine  mittlere  Wahmehmungsgeschwindigkeit  dar;  die  Ver- 
suche fielen  in  den  oberen  Abschnitt  des  Schwellengebietes. 
Er  pflegte  die  Reizworter  in  einzelne  Abschnitte  zu  gliedem, 
die  bei  den  einsilbigen  Wortem  meist  2,  bei  den  zwei- 
silbigen  bis  zu  4  Buchstaben  enthielten.  Die  sinnlichen  Ein- 
driicke  wui'den  mit  groBer  Treue  aufgefasst,  undeutliche  Wahr- 
nehmungen  lieber  gar  nicht,  als  falsch  wiedergegeben.  Die 
Beeinflussung  durch  Vorstellungen  war  sehr  gering;   nur  am 


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320  ,  Ludwig  Gron  uud  Cmii  Kraepelin. 

ersten  Tage  spielten  motorische  Sprachvorstellimgen  erne  ziem- 
liche  Rolle.  Es  bestand  ein  starkes  Bestreben,  moglichst 
richtige  Lesungen  zu  liefem  und  Fehler  im  Entstehen  zu 
unterdriicken.  Uebungsfahigkeit  und  Ermiidbarkeit  waren  sehr 
groB,  Antrieb  im  Beginne  wie  am  Ende  nicht  gerade  haufig, 
aber  kraftig  und  nachhaltig. 

A.  erkannte  mit  maBiger  Schnelligkeit,  docli  lag  auch  seine  Leistung 
im  oberen  Abschnitte  des  Schwellengebietes.  Er  bildete  bei 
einsilbigen  Wortern  zweigliedrige,  bei  dreisilbigen  Gruppen  bis 
zu  3  Buchstaben.  Die  Zuverlassigkeit  der  Wahmehmung  war 
nicht  sehr  groB;  die  Auffassung  wurde  erheblich  durch  Vor- 
stellungen  beeinflusst,  namentlich  durch  Schriftbilder,  von  denen 
einzelne  mit  auffallender  Zahigkeit  hafteten,  viele  andere  fluch- 
tiger  waren.  Undeutliche  Eindriicke  wurden  sehr  viel  lieber 
falsch  gelesen,  als  ausgelassen.  Die  Sichtung  der  Lesungen 
mit  Hiilfe  der  Ueberlegung  war  unvollkommen.  Uebungsfahig- 
keit und  Ermiidbarkeit  waren  maBig  groB;  die  Arbeit  wurde 
selten  mit  Eifer  begonnen,  doch  trat  gegen  Schluss  sehr  oft 
Antrieb  hervor. 

S.  vermochte  recht  schnell  zu  erkennen;  seine  Werthe  gehorten 
dem  oberen  Theile  des  Schwellengebietes  an.  Einsilbige  Worter 
wurden  als  Gesammteindruck,  zweisilbige  in  zweigliedrigen  Buch- 
stabengruppen  aufgefasst.  Die  Wahrnehmungen  waren  an  sich 
scharf,  wurden  aber  in  ungemein  hohem  Grade  durch  Vor- 
stellungen,  wohl  fast  ausschlieBUch  Schriftbilder,  beeinflusst. 
Diese  Vorstellungen  hafteten  aber  nicht  lange,  sondem  waren 
sehr  wechselnden  Inhaltes.  Undeutliche  Eindriicke  wurden  ganz 
vorwiegend  erganzt  oder  fehlerhaft  wiedergegeben,  viel  seltesner 
ausgelassen.  Auf  die  Ausmerzimg  falscher  Lesungen  wurde 
keine  besondere  Sorgfalt  verwendet.  Uebungsfahigkeit  und 
Ermiidbarkeit  waren  gering;  die  Versuche  wurden  meist  mit 
rasch  erkaltendem  Eifer  aufgenonunen,  der  gegen  Schluss  der 
Reihe  noch  mehr  erlahmte. 

R.  nahm  so  langsam  wahr,  dass  seine  Werthe  ins  mittlere  Schwellen- 
gebiet  fielen.  Er  bot  eine  zweigliediige  Gruppirung  der  Ein- 
driicke dar,  die  aber,  wie  es  scheint,  bei  einsilbigen  Wortern 


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Ueber  die  Messung  der  Aiiffassnogsnihigkeit.  32 1 

durch  die  erschwerte  Auffassung  der  letzten  Buchstaben  theil- 
weise  verdeckt  wurde.  Die  Scharfe  seiner  Wahmehmungen 
war,  entsprechend  ihrer  Langsamkeit,  gering,  doch  zeigten  sie 
sich  niir  sehr  wenig  durch  Vorstellungen  beeinflusst.  Dagegen 
hafteten  einzelne  Vorstellungen,  wahrscheinlich  vorwiegend 
Schriftbilder,  mit  groBer  Festigkeit.  Unklar  erfasste  Eindriicke 
wurden  Ueber  fehlerhaft  wiedergegeben,  als  ausgelassen;  ein 
Streben  nach  Unterdriickung  falscher  Lesungen  machte  sich 
kaum  bemerkbar.  Uebungsfahigkeit  und  Ermudbarkeit  waren 
sehr  gering,  der  Antrieb  im  Beginne  haufig,  aber  fluchtig;  am 
Schlusse  versagte  der  Eifer  vollkommen. 

B.  hatte  weitaus  die  geringste  Wahrnehmungsgeschwindigkeit  auf- 
zuweisen;  seine  Zahlen  bewegten  sich  im  unteren  Schwellen- 
gebiete,  z.  Th.  nicht  sehr  fern  der  unteren  Grenze.  Seine 
Auffassung  zeigt  Andeutungen  einer  zweigUedrigen  Gruppirung; 
weit  machtiger  aber  wai*  die  wachsende  Erschwerung  des  Er- 
kennens  gegen  das  Ende  der  Worter  hin.  Die  sehr  geringe 
Zuverlassigkeit  der  Auffassung  entsprach  ihrer  auBerordent- 
lichen  Langsamkeit.  Die  Beeinflussung  durch  Vorstellungen 
war  anscheinend  ziemlich  bedeutend ;  namentlich  waren  es  mo- 
torische  Sprachvorstellungen,  die  mit  sehr  groBer  Zahigkeit 
hafteten  und  auf  die  Verlesungen  bestimmend  einwirkten.  Die 
iiberwiegende  Mehrzahl  ungenau  erkannter  Eindriicke  wurde 
ausgelassen,  so  dass  Fehler  verhaltnissmaBig  selten  zu 
Stande  kamen;  auch  sonst  bestand  wohl  eine  gewisse  Neigung 
zur  Unterdriickung  falscher  Lesungen,  wenn  auch  mit  geringem 
Erfolge.  Uebungsfahigkeit  und  Ermiidbarkeit  waren  ziemlich 
groB,  der  Antrieb  im  Beginne  nicht  sehr  haufig,  dabei  fliichtig 
und  gering,  gegen  Schluss  dagegen  gut  ausgepragt. 

Nach  dieser  kurzen  Kennzeichnung  unserer  Versuchspersonen  wird 
es  zum  Schlusse  erlaubt  sein,  die  Frage  aufzuwerfen,  ob  die  nach- 
gewiesenen  Unterschiede  in  irgend  eine  Beziehung  zu  besonderen  Ein- 
fliissen,  namentlich  zu  den  bei  einigen  bestehenden  geistigen  Storungen 
gebracht  werden  durfen.  Zunachst  konnen  wir  feststellen,  dass  jene 
Unterschiede  keinesfalls  ein  Ausdruck  des  Bildungsgrades  sind, 
Dieser  letztere  ist  etwa  gleich  zu  setzen  bei  I.  und  0. ;  weiter  standen 


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322  Ludwig  Cron  nod  Emil  Kraepelin. 

imgefahr  auf  derselben  Stufe  A.,  R  und  B. ;  die  geringste  Bildung 
hatte  S.  aufzuweisen.  Die  Schnelligkeit  der  Auff assung ,  die  Beein- 
flussung  derselben  durch  Vorstellnngen  wie  die  Neigung  zu  kritischer 
Sichtung  der  Lesungen  sind  demnach  von  der  Bildimg  ebenso  unab- 
hangig  wie  XJebungsfahigkeit ,  Enniidbarkeit  nnd  Antrieb.  Dagegen 
ist  es  nicht  ganz  ausgeschlossen ,  dass  die  erworbene  Fertigkeit  im 
Lesen  einen  gewissen  Einfluss  auf  die  Gliederung  der  Eindriicke  hat. 
Ueber  das  Verhalten  von  I.  haben  wir  uns  leider  kein  Urtheil  bilden 
konnen;  doch  haben  wir  O.  und  A.  die  groBten  Auffassungsgruppen 
bilden  sehen.  Auch  aus  anderen  Erfahrungen  ist  es  genugsam  be- 
kannt,  dass  durch  lange  Uebung  das  Auffassungsfeld  erweitert  wer- 
den  kann. 

Zu  einer  einf achen  Gegenuberstellung  der  Kranken  und  Gesunden, 
wie  wir  sie  gelegenthch  der  Kurze  halber  versucht  haben,  sind  wir 
bei  dieser  Betrachtung  offenbar  nicht  berechtigt.  Will  man  Ginippen 
bilden,  so  gehoren  I.,  S.,  0.,  A.  der  einen,  R.  und  B.  der  andem 
an;  besser  werden  auch  sie  noch  von  einander  getrennt.  Jedenfalls 
entfemt  sich  S.  nach  keiner  Richtung  hin  so  weit  von  den  andem 
gesunden  Personen,  dass  wir  irgend  eine  seiner  Eigenthiimlichkeiten 
als  krankhaft  betrachten  diirften:  seine  Auffassungsfahigkeit  ist  zweifel- 
los  normal  gewesen.  Vielleicht  erscheint  das  starke  Ueberwiegen  der 
Schriftbilder  bei  ihm  nicht  ganz  ohne  Bedeutung,  wenn  wir  uns  er- 
innem,  dass  er  eine  auffallende  zeichnerische  Begabung  besaB,  die 
ihn  ohne  jede  Anleitung  in  kurzer  Zeit  recht  achtbare  Leistungen  er- 
reichen  lieB. 

Von  den  Personen  der  ersten  Gruppe  weicht  R  nicht  unbetracht- 
lich  ab.  So  lange  wir  jedoch  nicht  viel  umfassendere  Kenntniss  von 
dem  Verhalten  gesunder  Personen  besitzen,  fuhlen  wir  uns  nicht  be- 
rechtigt, die  bei  ihm  gewonnenen  Ergebnisse  ohne  weiteres  in  den 
Bereich  des  Ki-ankhaften  zu  verweisen.  Bemerkenswerth  war,  abge- 
sehen  von  der  Langsamkeit  und  Unzuverlassigkeit  seiner  Auffassung, 
die  Zahigkeit  einzelner  Vorstellnngen,  die  mangelhafte  kritische  Aus- 
wahl  der  Lesungen,  die  geringe  Uebungsfahigkeit  und  das  rasche 
Erlahmen  seines  Eifers  bei  den  Versuchen.  Namentlich  aus  den  erst- 
genannten  Ziigen  ware  es  sehr  leicht,  Beziehungen  zu  dem  bei  ihm 
vorhandenen  Kranklieitsbilde  der  Paranoia  herauszulesen ;  wir  mochten 
indessen  darauf  hinweisen,  dass  sich  R.  von  den  Ubrigen  Personen 


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Ueber  die  Mes^un^  der  AufTassiyigsflihigkeit.  323 

vor  aJlem  durch  sein  weit  hoheres  Alter  unterschied ,  welches  die 
Abweichungen  seines  Verhaltens  zumeist  recht  gut  erklaren  wiirde. 
Bis  auf  weiteres  sind  wir  demnach  auch  bei  B,.  nicht  uberzeugt,  dass 
wir  es  mit  krankhaften  Storungen  der  Auffassung  zu  thun  batten. 

Weit  wahrscheinlicher  wird  diese  Annabme  bei  B.  Die  von  ilim 
gelieferten  Werthe  fallen  so  voUstandig  aus  dem  Bahmen  aller  ubrigen 
heraus,  dass  sie  als  sehr  verdachtig  betrachtet  werden  miissen,  um 
80  mehr,  als  in  den  sonstigen  personUchen  Verhaltnissen  B.'s  keinerlei 
Erklamng  fiir  derartig  starke  Abweichungen  aufzufinden  ist;  in  Lebens- 
alter  und  Bildungsgrad  steht  er  den  ubrigen  Personen  z.  Th.  recht 
nahe.  Er  zeichnet  sich  auBer  der  ungemeinen  Langsamkeit  und  Un- 
zuverlassigkeit  seiner  Auffassung  hauptsachlich  durch  die  Lebhaftig- 
keit  und  das  lange  Haften  einzelner  motorischer  SprachvorsteUungen 
aus.  Wir  erinnem  uns  dabei,  dass  Kraepelin  unter  dem  Einflusse 
des  Alkohols  eine  Erschwerung  der  Auffassung  und  Erleichterung 
der  Auslosung  von  Bewegungsantrieben  gefunden  hat  ^).  Insbesondere 
war  von  ihm  eine  Erleichterung  des  motorischen  Lemens  beobachtet 
worden,  und  auch  die  auffallenden  Veranderungen  der  Vorstellungs- 
verbindungen  HeBen  sich  wesentlich  auf  ein  starkeres  Hervortreten 
motorischer  SprachvorsteUungen  zuriickfiihren.  Allerdings  waren  die 
Aufschlusse  iiber  das  Verhalten  der  Auffassung  nur  mit  Hiilfe  von 
Wortreactionen  gewonnen  worden.  Neuere  Versuche  aber,  die  iiber 
die  Beeinflussung  des  Auff assungsvorganges  durch  Alkohol  nach  dem 
von  uns  benutzten  Verfahren  ausgefUhrt  wurden,  haben  gezeigt,  dass 
in  der  That  auch  hierbei  eine  tiefgreifende  Erschwerung  zu  Stande 
konmit.  Das  Bild,  welches  B.  in  unseren  Versuchen  dargeboten  hat, 
entspricht  somit  in  seinen  wesentUchen  Ziigen  vollkommen  den  Ver- 
anderungen, welche  die  acute  Alkoholvergiftung  im  Ablaufe  des  Auf- 
fassimgsvorganges  und  der  Vorstellungen  hervorbringt. 

Man  kann  hier  freilich  den  Einwand  erheben,  dass  die  acute 
und  die  chronische  Wirkung  des  Alkohols,  wie  wir  sie  bei  B.  vor 
uns  batten,  nicht  ohne  weiteres  vergleichbar  seien.  Das  ist  an  sich 
gewiss  richtig,  doch  liegt  die  Annabme  nahe,  dass  der  dauemde  Miss- 
brauch  des  Giftes  nur  eine  Befestigung  der  Wirkungen  herbeifuliren 


1)  Ueber  die  BeeinflussuDg   einfacher    psycbischer  Vorg&nge    durch   einige 
Arzneimittel.  S.  173  ff. 


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324  Ludwig  Cron  und  Emil  Kraepelio. 

werde,  die  wir  beim  einmaligen  Rausche  beobachten.  Es  lasst  sich 
in  der  That  zeigen,  dass  sich  die  Wurzeln  der  wesentlichen  dauem- 
den  Veranderungen,  die  das  Seelenleben  des  Trinkers  darbietet, 
schon  im  Bilde  des  Rausches  aaf zeigen  lassen,  die  geistige  Unfahig- 
keit,  die  sittliche  Stumpfheit  und  die  gemiithliche  Beizbarkeit,  end- 
lich  die  Haltlosigkeit  des  Willens.  Wir  diirfen  femer  darauf  hin- 
weisen,  dass  sich  die  Spuren  dieser  Stomngen  in  den  Versuchen  von 
Ftirer*)  noch  am  zweiten  Tage  nach  einmaligem  Alkoholgenusse 
deutlich  haben  nachweisen  lassen.  Man  wird  es  daher  fur  wahr- 
scheinlich  halten  konnen^  dass  regehnafiiger  Alkohohnissbrauch  die 
Erschwerung  der  geistigen  Thatigkeit  und  die  erleichterte  Auslosung 
von  Bewegungsantrieben  immer  mehr  befestigt;  sie  werden  sich  dann 
endlich  bei  volliger  Enthaltung  von  geistigen  Getranken  nicht  schon 
nach  wenigen  Tagen,  sondem  erst  ganz  allmahlich  wieder  verlieren. 
Diese  Annahme  wurde  unseren  sonstigen  klinischen  Erfahrungen  iiber 
die  Entwicklung  und  den  Ausgleich  der  alkoholischen  Stomngen  vollig 
entsprechen. 

Wir  kommen  also  zu  dem  Schlusse,  dass  die  hier  bei  B.  festge- 
stellte  Stoning  der  Auffassung  gerade  diejenigen  Ziige  tragt,  die  wir 
nach  unserer  Kenntniss  von  der  Alkoholwirkung  erwarten  durften. 
Dieser  Umstand  ist  es  weit  mehr,  als  die  GroBe  der  Storung  an  sich, 
der  uns  zu  der  Ansicht  bestimmt,  dass  es  sich  an  diesem  Punkte 
nicht  um  eine  einfache  personliche  Eigenthiimlichkeit,  sondem  um 
eine  krankhaf  te  Storung  handelt.  Nattirlich  wird  erst  die  Samm- 
lung  weiterer  ahnlicher  Beobachtungen  lehren  konnen,  ob  wir  es  bei 
dieser  eigenartigen  Beeintrachtigung  der  Auffassung  mit  einem  ge- 
legentlichen  oder  mit  einem  regehnaBigen  Zeichen  des  chronischen 
Alkoholismus  zu  thun  haben. 

Am  Ende  dieser  Betrachtungen  wollen  wir  ims  nicht  verhehlen, 
dass  die  Ausbeute,  die  wir  hinsichtUch  der  personlichen  Gestaltung 
des  Auffassungsvorganges  gewonnen  haben,  weit  hinter  den  Erwartun- 
gen  zuriickbleibt,  die  man  an  die  Durchftihrung  von  Massenbeobach- 
tungen  mit  HUlfe  der  einfachsten  » mental  tests*  zu  kniipfen  pflegt 
Haben  doch  Binet  und  Henri 2)   alien  Erastes  die  Forderung  aus- 


1,  Archiv  f.  Piychiatrie.  XXIV.  S.  970. 

2,  L'ann^e  psychologique.  II.  S.  433  ff. 


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Ueber  die  Messaug  der  AufTassuogsfabigkeit.  325 

gesprochen,  dass  uns  eine  nicht  mehr  als  einstiindige,  einmalige  XJnter- 
suchung  uber  die  verschiedensten  Eigenthiimlichkeiten  des  Menschen, 
sogar  uber  seine  kiinstlerischen  und  sittlichen  Gefuhle,  Aufschluss 
geben  solle.  Warum  auch  nicht,  wenn  wii-  selien,  dass  taglich  in  den 
Zeitungen  die  Meister  der  Graphologie  aus  noch  viel  unzulanglicheren 
Anhaltspunkten  weit  vollkommenere  Bilder  der  Personlichkeit  ent- 
werfen  und  die  geheimsten  Regungen  des  Herzens  ergriinden!  Wir 
sind  viel,  viel  bescheidener.  Unsere  Wissenschaft  ist  so  schwerfallig, 
dass  sie  dem  kuhnen  Fluge  der  psychischen  Schnellphotographie  nicht 
zu  folgen  vermag.  Vielmehr  glauben  ^vir,  dass  auch  die  hier  mlihsam 
aus  den  Versuchen  herausgeschalten  Ergebnisse  noch  haufigerNach- 
priifung  und  Erganzung  bediirfen,  bevor  sie  als  sichere  Erkenntniss- 
grundlage  gelten  diirfen.  FUr  uns  wachsen  leider  die  Schwierigkeiten, 
je  weiter  wir  in  finen  Gegenstand  eindringen. 


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Die  psychischen  Wirkungen  des  Trionals. 

Von 

Hans  Haenel. 

Mit  einer  Figur  im  Text. 


1/ie  Untersuchung  der  psychischen  Wirkungen  des  Trionals  mit 
Hilfe  einiger  Methoden  der  experimentellen  Psychologie  ist  der  Gegen- 
stand  dieser  Arbeit.  Auf  die  Wichtigkeit  der  Untersuchung  von 
psycliischen  Arzneimittelwirkungen  ist  von  Kraepelin  und  anderen 
niehrfach  hingewiesen  worden.  Sind  doch  derartige  Forschungen  neben 
dem  Studium  der  Ermiidung,  Uebung,  Erschopfung  und  der  Indivi- 
dualpsychologie  besonders  dazu  angethan,  uns  ein  naheres  Vei»stand- 
niss  der  Geisteskrankheiten  zu  erschlieBen,  deren  Aetiologie  und  Dia- 
gnostik  bisher  noch  nicht  iiber  ahnlich  genaue  Hilfsmittel  verfiigt  wie 
die  iibrigen  Zweige  der  Medicin.  Die  durch  den  Versuch  gebotene 
Moglichkeit,  psychische  Veriinderungen  genauer  zu  zergliedera,  hat 
schon  bei  einer  Reihe  von  Stoffen  mit  anscheinend  ganz  iihnliclier 
Wirkung  feinere  Verschiedenheiten  dieser  letzteren  aufgedeckt.  Al- 
kohol,  Morphium,  Chloralhydrat,  Paraldehyd,  die  sammthch  als  Schlaf- 
und  Beruhigungsmittel  in  Anwendung  gezogen  zu  werden  pflegen, 
zeigen  im  psychologischen  Versuche  ein  wesentlicli  verscliiedenes  Ver- 
halten.  Namenthch  aber  haben  uns  die  uberraschenden  Ergebnisse 
der  Arbeit  Loewald's  iiber  dasBrom*)  von  neuem  die  groBe  Man- 
nigfaltigkeit  der  psychischen  Arzneiwirkungen  auf  diesem  Gebiete  dar- 
gethan.  Es  erschien  daher  wunschenswerth,  die  Untersuchungen  noch 
auf  andere  Schlafmittel  auszudehnen.     Zwei  Stofte  kamen  hier  vor 


1;  Diese  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  489. 


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Die  psycbischen  WirkungeD  des  Trionals.  327 

allem  in  Betracht,  das  Hyoscin  mit  seiner  bekannten  kraftigen  Wir- 
kung  auf  motorische  Erregungszustande ,  und  das  Trional,  das  als 
sicheres  und  angenehm  wirkendes  Schlafmittel  in  der  Praxis  weite 
Verbreitung  gefunden  hat.  Wir  entschieden  uns  fiir  letzteres  und 
geben  im  folgenden  die  Ergebnisse  unserer  Versuche. 


I.  Methodik. 

Die  Versuche  fallen  in  den  Winter  1 895/96  und  den  Sommer 
J  896;  sie  wurden  ziun  groBten  Theile  am  Verfasser  selbst  angestellt. 
Der  Nachtheil,  den  dieser  letztere  Umstand  mit  sich  bringt,  besonders 
in  Bezug  auf  die  Berechtigung,  allgemein  giiltige  Schlussfolgerungen 
zu  Ziehen,  kann  durch  folgende  Umstande  wohl  als  aufgewogen  be- 
trachtet  werden :  Erstens  wurden  die  Versuche  lange  Zeit  f ortgesetzt 
imd  jede  Methode  so  lange  ausgeubt,  bis  wir  iiber  eine  geniigende 
Anzahl  von  Einzelversuchen  verfugten;  wir  batten  dann  ein  Recht 
zu  der  Annahme,  dass  die  erhaltenen  Durchschnittswerthe  durch  Zu- 
falhgkeiten  nicht  mehr  maBgebend  beeinflusst  seien.  Zweitens  erhielt 
die  Versuchsperson  zu  gleicher  Zeit  iiber  ihre  personhchen  Eigen- 
thiimhchkeiten,  soweit  sie  hier  in  Betracht  kamen,  genauen  Aufschluss, 
sodass  also  jede  grobere  Abweichung  von  dem  gewohnlichen  Verhalten 
mit  groBer  Wahrscheinlichkeit  auf  arzneiliche  Beeinflussung  zuriick- 
zufuhren  war.  Als  dritter  wichtiger  Punkt  kommt  hinzu,  dass  alle 
andem  Einfliisse  vermieden  wurden,  die  auf  Grund  friiherer  Versuchs- 
ergebnisse,  personlicher  Erfahrungen  oder  auch  landlaufiger  Vor- 
stellungen  eine  Einwirkung  auf  den  psycbischen  Gleichgewichtszustand 
auszuiiben  im  Stande  sein  konnten.  Ich  richtete  also  meine  Lebens- 
fiihnmg  ganz  so  ein,  wie  sie  von  friiheren  Untersuchem  fiir  noth- 
wendig  erkannt  und  durchgefuhrt  worden  war.  Die  Resultate  der 
Bettmann'schen  Arbeit')  wurden  in  der  Weise  beriicksichtigt,  dass 
groBere  Spaziergange,  Tumen,  Bergbesteigungen  u.  a.  an  den  Ver- 
suchstagen  vermieden  wurden.  Enthaltung  von  Alkohol,  Kxiffee,  Thee, 
Nikotin  etc.  war  selbstverstandlich.  Die  Versuche  wurden  Abends 
meist  gegen  8  Uhr  begonnen,  nachdem  kurz  vorher  regelmaBig  das 
Abendbrot    genommen    worden    war.      Fur    jeden    Abend    wurden 

1}  Diege  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  152  ff. 


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328  Hans  Haenel. 

subjective  Beobachtungen  oder  besondere  Versuchsbedingungen  im 
Protocoll  verzeichnet. 

Die  Trionalwirkung  wurde  untersucht  nach  den  von  Kraepelin 
beschriebenen  und  in  seinem  Laboratorinm  oft  geiibten  Methoden  der 
continuirlichen  und  discontinuirlichen  Arbeit.  Als  erstere  diente  das 
Addiren  1  stelliger  Zahlen,  das  Auswendiglernen  128telliger  Zahlen- 
reihen  und  das  Niederschreiben  von  Associationen  nach  der  fort- 
laufenden  Methode.  Auch  eine  Reihe  von  Ergographenversuchen  und 
4  Schreibversuche  konnen  hierher  gezahlt  werden.  Von  der  zweiten 
Art  wurden  Wahb-eactionen  und  Associationsreactionen  genauer  unter- 
sucht, dazu  eine  Reihe  von  Leseversuchen  am  Kymographion  und 
Auffassungsversuche  besonderer  Art  angestellt.  Bei  den  Wahlreac- 
tionen  wurde  der  Reiz  [o  oder  e)  theils  mit  dem  bekannten  Lippen- 
schliissel  gegeben,  theils  mit  dem  Romer'schen  optischen  Reizapparat  ^). 
Bei  den  Associationsreactionen  bediente  sich  der  Registrirende  eben- 
falls  des  Lippenschliissels ;  die  Versuchsperson  wandte  den  Romer- 
schen  SchallschlUsseP)  an.  Bei  einem  Theile  der  Wahkeactionen 
hatte  Herr  Dr.  Weygandt,  bei  den  Ubrigen  Reactionen  Herr  Dr. 
Aschaffenburg  die  Liebenswiirdigkeit,  die  Arbeit  des  Registrirens 
zu  iibemehmen. 

Die  Versuchsanordnung  war  nach  der  Art  der  Aufgabe  eine 
ziemlich  einfache.  Es  wurden  im  allgemeinen  Gruppen  von  je 
4  Versuchstagen  gebildet,  von  denen  der  1 .  und  3.  Normaltage  waren. 
Am  2.  und  4.  wurde  zur  Prlifung  der  jeweiligen  Disposition  eine 
Viertelstunde  ohne  Trional  gearbeitet,  darauf  das  Mittel  eingenommen 
sammt  Va — V4  ^  Wasser  —  je  nach  der  Dosis  — ,  um  eine  moglichst 
rasche  Losung  und  Resorption  herbeizuf Uhren ,  und  nun  die  Arbeit 
noch  1 — 4  Stunden  lang  fortgesetzt.  Von  dieser  Gruppirung  wurde 
nur  ein  paarmal  bei  den  Associationsreactionen  abgewichen,  indem 
1  Normaltag  zwischen  2  Trionaltage  eingeschoben  wurde. 

Die  Berechnung  der  Resultate  geschah  nach  den  in  friiheren 
Arbeiten  ausgebildeten  Methoden,  bei  den  continuirlichen  Arbeit^n 
mit  moglichst  genauer  Beriicksichtigung  von  Uebungszuwachs,  Uebungs- 
verlust,  Ermiidung  u.  s.  w.,  bei  den  Reactionen  nach  der  Methode  der 
>Stellungsmittel€. 

l;  Diese  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  565  flF.  2)  a.  a.  O. 


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Die  psyebiscben  Wirkungen  des  Trionals. 


329 


II.  Addir-Versuche, 

Die  Ausfuhrung  der  Versuche  geschah  nach  dem  alteren,  von 
Oehrni)  gepriiften  Verfahren.  Von  Loewald  angestellte  Versuche 
batten  ergeben,  dass,  wenn  man  aucb  nur  die  Einer  jeder  Summe  neben 
die  Zahlen  schreibt,  doch  die  Ermiidung  der  Hand  bei  langer  fort- 
gesetzter  Arbeit  unter  Umstanden  eine  Verlangerung  der  gemessenen 
Zeiten  bewirken  kann.  Die  Rivers 'sche  Arbeit  lag  bei  der  Aus- 
fuhrung der  Versuche  noch  nicht  vor,  so  dass  wir  von  der  Wichtigkeit 
der  qualitativen  Sonderung  der  Fehler  noch  nichts  wussten,  wie  sie 
dort^)  auseinandergesetzt  ist.  Da  es  uns  auBerdem  hauptsachlich  auf 
die  Beobachtung  der  GroBe  der  Leistung  ankam,  verzichteten  wir 
auf  eine  Priifung  der  Richtigkeit  unserer  Additionen  und  beschrankten 
uns  auf  das  alte  Oehrn'sche  Verfahren.  Die  folgende  Tabelle  giebt 
die  Anzahl  der  in  je  5  Minuten  addirten  Zahlen  wieder. 

Tabelle  I. 


13.  XL 

N 

174 

188 

233 

199 

213 

204 

183 

211 

194 

224 

196 

194 

200 

222 

190 

14.  XI. 

ro,5 

247 

231 

210 

*I97 

220 

219 

215 

179 

207 

198 

202 

207 

230 

209 

211 

15.  XL 

N 

263 

245 

254 

248 

264 

243 

286 

267 

272 

255 

268 

255 

237 

229 

233 

16.  XI. 

T0,5 

267 

279 

278 

♦187 

244 

231 

233 

247 

246 

245 

237 

236 

239 

231  1211 

18.  XL 

N 

249 

267 

284 

297 

287 

306 

285 

282 

287 

295 

278 

263 

278 

260 

247 

19.  XL 

T1,0 

276 

319 

297 

♦227 

288 

286 

267 

269 

273 

269 

274 

248 

266 

260 

267 

20.  XL 

N 

285 

336 

302 

315 

324 

321 

311 

331  1 320 

332 

324  !  299 

281 

259 

274 

21.  XL 

T1,0 

339 

342 

361 

♦268 

310 

330 

304 

306  279 

297 

292 

307 

279 

278 

260 

Ehe  wir  auf  die  Trionalwirkung  eingehen,  wollen  wir  einige  all- 
gemeine  Verhaltnisse  betrachten,  die  aus  dieser  Tabelle  ersehen  werden 
konnen.     Vor  allem  erkennen  wir  den  starken  Einfluss  der  Uebung: 


1)  Diese  Arbciten.  Bd.  I.  S.  95  ff. 

2)  Diese  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  655  ff. 


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330  Hans  Haenel. 

die  Leistung  der  ersten  5  Minuten  des  letzten  Tages  betragt  fast  das 
Doppelte  der  Anfangsleistung.  Die  Zunahme  der  Leistung  in  den 
1.  Viertelstunden  ist  eine  constante,  mit  Ausnahme  des  18.  XI.;  diese 
Ausnahme  ist  dadurch  zu  erklaren,  dass  durch  die  Pause  des  vorher- 
gehenden  Sonntags  ein  Theil  der  Uebungswirkung  verloren  gegangen 
war,  ein  Verlust,  dessen  GroBe  wir  spater  noch  genauer  berechnen 
werden.  Die  Zahlen  der  ersten  Viertelstunden  zeigen  femer,  dass 
bei  der  Versuchsperson  die  Anregung  fur  die  Gestaltung  der  Leistungs- 
groBe  eine  ziemlich  bedeutende  Rolle  spielt.  Mit  Ausnahme  des  14. 
und  15.  XI.  steigen  die  Zahlen  an  den  iS-Tagen  rasch  in  die  Hohe, 
verweilen  eine  Zeit  lang  auf  diesem  Punkte  oder  lassen  selbst  eine 
geringe  Abnahme  erkennen,  um  nach  einem  zweiten  Anstieg  wieder 
mehr  oder  weniger  rasch  abzufallen.  Unschwer  lasst  sich  in  diesem 
Verlaufe  der  Einfluss  von  Anregung,  Uebung  und  Ermlidung  er- 
kennen. Dass  wir  es  bei  der  Zunahme  in  der  ersten  Viertelstunde 
nicht  schon  mit  einer  Uebungswirkung  zu  thun  haben,  wird  auch 
deutlich  aus  der  Betrachtung  der  Trional-Tage,  an  denen  nach  der 
ersten  Viertelstunde  eine  Pause  von  etwa  2  Minuten  folgte,  die  durch 
das  Einnehmen  des  Mittels  bedingt  wurde.  Der  auBerordentlich  starke 
Verlust  in  den  darauf  folgenden  5  Minuten  (durchschnittlich  69  Zahlen), 
der  von  dem  Trional  allein  unmoglich  schon  verursacht  sein  kann, 
beweist,  dass  meine  Anregbarkeit  zwar  ziemlich  bedeutend  ist,  aber 
auch  schnell  wieder  verloren  geht.  Der  von  Am  berg*)  gefundene 
Satz,  dass  kurze  Arbeitspausen  wesentlich  nur  Erholungswirkungen 
ausuben,  kann  also  hier  nicht  aufrecht  erhalten  werden;  die  Pause 
von  2  Minuten  war  zu  kurz,  um  starker  als  Erholung  wirken  zu 
konnen,  und  doch  lang  genug,  um  die  bei  mir  offenbar  besonders 
tiUchtige  Anregung  zum  Verschwinden  zu  bringen. 

Vom  Antrieb'^)  ist  in  dieser  Tabelle  nur  wenig  zu  bemerken. 
Nur  am  14.  und  15.  XI.  sind  die  ersten  Leistungen  des  Tages  hoher 
als  die  nachstfolgenden,  was  auf  ein  starkeres  Eingreifen  des  Willens 
zu  Beginn  der  Arbeit  deutet.  Den  Schlussantrieb  finden  wir  etwas 
haufiger:  an  4  Tagen  zeigen  die  letzten  5  Minuten  ein  Ansteigen 
gegeniiber  den  vorletzten.    Die  in  dem  citirten  Aufsatz  ausgesprochene 


i;  Diese  Arbeitcn.  Bd.  I.  S.  374. 
2}  Diese  ArbeiteD.  Bd.  I.  S.  634  ff. 


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Die  psychischeo  Wirkapgen  des  Trionals. 


331 


Vermuthimg,  dass  Anregung  und  Antxieb  moglicher  Weise  in  einer 
gewissen  Beziehung  zu  einander  stehen^  wurde  hier  insofern  zutreffen, 
als  bei  but  die  in  bohem  MaBe  wirksame  Anregung  eine  Ausbildung 
des  Antriebes  gewissennaBen  uberflussig  gemacht  hat. 

Zur  Betrachtung  der  Trionalwiricung  fassen  wir  am  besten  je 
3  Fiinfminutenwerthe  zu  einem  Viertelstundenwerthe  zusammen,  wo- 
durch  sich  die  Tabelle  iibersichtlicher  gestaltet. 

Tabelle  11. 


13.  XL  -y 

595 

616 

58S 

614 

612 

14.  XI.  ro,5. 

688 

*636 

601 

607 

650 

15.  XI.  N 

762 

755 

725 

778 

699 

16.  XL  TOfi 

824 

♦672 

726 

718 

681 

18.  XL  N 

800 

890 

854 

836 

785 

19.  XL  TXfi 

892 

♦801 

809 

791 

793 

20.  XL  JV 

923 

960 

962 

955 

814 

21.  XL  ri,o 

1042 

♦908 

959 

896 

817 

Im  folgenden  soUen  die  Trionaltage  kurz.  als:  T-Tage,  die  Nor- 
maltage  und  -Viertelstunden  ak  iV-Tage  gef tihrt  werden.  Das  Stern- 
chen  *  in  den  TabeUen  bedeutet  Uberall  den  Zeitpunkt,  an  dem  das 
Mittel  eingenommen  wurde.  An  den  Trional-Tagen  fallt  vor  alien 
Dingen  der  starke  Abfall  in  der  2.  Viertelstunde  auf.  Da$&  dazu 
der  Verlust  der  Anregung  beitragt,  haben  wir  oben  schon  gesehen; 
dock  zeigen  die  Leistungen  der  folgenden  beiden  5  Minuten  in  Tab.  I, 
dass  die  Leistung  der  ganzen  2.  Viertelstunde  an  den  T-Tagen  nicht 
allein  durch  den  Anriegungsverlust  beeinflusst  sein  kann.  Ware  dieser 
allein  wirksam,  so  ware  nicht  einzusehen,  weshalb  naoh  Verlauf  von 
3x5  Minuten  die  Leistung  unter  dem  Einflusse  von  Anregung  und 
Uebung  nicht  wenigstens  die  Hohe  der  vorhergehenden  iV-5  Minuten 
erreichen  soUte,  zumal  da  ein  Antrieb  nuram  1.  T-Tage  wirksam 
war.  Die  6.  Fiinfminuten  miissten  sogar  die  1.,  2.  und  3.  noch  iiber- 
treffen,  da  ihnen  eine  25  Mijaiiten.;lange.  Efebuiig  .zuigUte  Jkotolmt,  die 


Kraepelin,  Psjcbolog.  Arbeiten.  II. 


22 


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332  Hans  Hieael. 

den  letzteren  fehlt.  Wenn  trotzdem  die  2.  Viertelstunde  so  tief  unter 
der  I.  steht,  so  ist  dies  ein  Beweis,  dass  sohon  in  der  1.  Viertel- 
stunde nach  dem  Einnehmen  das  Mittel  wirkt;  die  niedrige  Leistung 
der  2.  Viertelstunde  ist  durch  eine  Summirung  zweier  EinflUsse,  des 
Anregungsverlustes  und  des  Trionals,  zu  Stande  gekommen.  Wieviel 
von  diesem  Leistungsverlust  auf  jeden  der  beiden  EHnflUsse  zu  be> 
Ziehen  ist,  lasst  sich  genau  nicht  bestimmen;  doch  sprechen  andere 
Erfahrungen  dafiir,  dass  dem  Trional  wohl  der  kleinere  Antheil  dabei 
zukommt.  Beim  Alkohol  war  die  Wirkung  allerdings  schon  in  den 
1.  Fiinfminuten  offenbar;  indessen  ist  zu  bedenken,  dass  dieser  fllissig, 
Trional  dagegen  ein  ziemlich  schwer  losliches  Medicament  ist,  das 
trotz  der  ziemlich  reichlichen  Wassermenge,  die  wir  hinzufttgten,  in 
der  t.  Viertelstunde  schwerUoh  schon  vollstandig  resorbirt  wurde.  Am 
deutlichsten  ware  das  Bild  freilich,  wenn  wir  auch  an  dan  iS^-Tagen 
nach  der  1.  Viertelstunde  eine  Pause  von  2  Minuten  eingeschoben 
batten;  man  hatte  dann  deren  reinen  Einfluss  ohne  weiteres  ablesen 
konnen.  Wir  haben  darin  wieder  eine  Mahnung,  dass  man  nicht 
sorgfaltig  genug  darauf  achten  kann,  die  Versuchsbedingungen  an 
den  zu  vergleichenden  Tagen  so  genau  wie  moglich  einander  gleich 
zu  machen. 

Wenn  der  Einfluss  des  Trionals  in  der  t.  Viertelstunde  auch  nicht 
zweifelhaft  erscheinen  konnte,  so  ist  er  doch  deutlicher  in  den  fol- 
genden  Zeitabschnitten.  Sowohl  der  Vergleich  mit  der  iV- Viertel- 
stunde wie  mit  dem  vorhergehenden  iV-Tage  zeigt  eine  Herabsetzung 
d^  Leistung  an  den  7-Tagen.  Zur  genaueren  Bestimmung  derselben 
aind  von  Amberg,  Rivers  und  Kraepelin*)  Methoden  angegeben 
worden,  die  alle  wiUktirliohen  Annahmen  moglichst  ausschlieBen  soUen. 
Dieselben  sind  in  etwas  modificirter  Weise  auch  ffir  unsere  Zahlen- 
i-eihen  anwendbar.  Unser  Ziel  ist  es,  einen  zahlenmaBigen  Ausdruck 
dafUr  zu  bekommen,  wie  jeder  T-Tag  sich  gestaltet  hatte,  wenn  kein 
Medicament  eingewirkt  h&tte.  Die  Differenz  zwischen  diesem  erwar- 
teten  und  dem  erhaltenen  Werthe  zeigt  dann  die  Wirkung  des  Trio- 
nals an.  Um  den  Ghuig  der  Arbeit  im  einzelnen  bess^  verfolgen 
zu  konnen,  wurde  jede  Arbeitsstunde  in  Viertdstunden  getheilt  und 
fur  diese  die  Bechnung  jedesmal   gesondert  ausgefUhrt     In  einem 


1)  Diese  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  306,  426,  643  if. 


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Die  psycbischen  Wirkuogen  des  Triontls. 


3S3 


Punkte  weicht  nun  unsere  Yersuchsanordnung  von  fruheren  ab.  Da 
nach  dem  4.  Tage  ein  Sonntag  lag,  an  dem  pausirt  wurde,  darf  man 
den  5. — 8.  Tag  mit  den  ersten  vier  nicht  ohne  weiteres  vergleichen. 
Der  tagliche  Uebungszuwachs ,  den  wir  aus  den  Normaltagen  und 
den  1.  Viertelstunden  berechnen  konnen,  ist  namlich,  wie  schon  an 
anderer  Stelle*)  auseinandergesetzt  worden  ist,  kein  einfacher  Werth, 
sondem  stets  sind  in  demselben  Ermiidungswirkungen  und  XJebungs- 
verlust  enthalten.  Beide  Ursadben  wirken  in  dem  Sinne,  dass  sie  den 
reinen  XJebungszuwachs  herabsetzen;  insbesondere  der  Uebungsverlust 
wird  um  so  groBer  sein,  je  langer  die  Pause  zwischen  zwei  Versuchen 
ist.  Der  relative  tagliche  XJebungszuwachs  wiirde  also  unverhaltniss- 
maBig  stark  herabgedriickt  werden,  wenn  wir  die  Pause  eines  ganzen 
Tages  vemachlassigen  wollten.  Daraus  folgt  die  Nothwendigkeit,  die 
L  und  n.  VersuchshaJfte  gesondert  zu  berechnen.  Da  unsere  ganze 
Reihe  nun  aus  nur  8  Tagen  besteht,  ergiebt  sich  aUerdings  der 
etwas  bedenkliche  Umstand,  dass  wir  fiir  jede  Halfte  nur  jedesmal 
2  lY-Werthe  zur  Verfugung  haben;  der  wahrscheinliche  Fehler,  der 
dadurch  bedingt  wird,  ist  indessen  jedenfalls  geringer  und  eher  in 
Kauf  zu  nehmen,  als  der  sichere,  der  mit  einer  gleichmaBigen  Beriick- 
sichtigung  beider  Versuchshalften  verbunden  ware. 

Die  von  Amberg  angegebene  Berechnimgsmethode,  die  sich  bei 
nur  2  Werthen  auf  eine  einfache  Subtraction  beschrankt,  auf  unsere 
Werthe  angewandt,  ergiebt  folgende  Tabelle: 

Tabelle  HE. 


I.  H&lfte 

n.Hftlfte 

Uebungszuwoehi  sw.  den  2.  Viertelstunden  je  zweier  N-Tage 

139 

70 

»                »»3.              »             »»» 

137 

108 

>                     »9     4.                   >                  >>» 

164 

119 

>                »>5.              »              >>» 

87 

29 

Der  niedrigere  Werth  der  5.  Viertelstunde    ist  natiirlich    durch 
die  am  Schluss  jedes  Arbeitstages  sich  geltend  machende  Ermildung 


1)  Dieie  Arbeiten.  Bd.  I.  8.  642 1 


22* 


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334 


Hans  Uaenel. 


bedingt.  Dass  die  Zahlen  der  11.  Halfte  durchgangig  niedriger  sind, 
als  die  der  I.,  hangt  wohl  mit  der  Thatsache  zusammen,  dass  der 
Uebungswerth  zu  Anfang  einer  Versuchsreihe  jedesmal  groBer  ist,  als 
gegen  Ende,  wo  wir  uns  der  Hohe  der  Uebungsfahigkeit  aUmahlieli 
nahem. 

In  Tab.  IH  haben  wir  also  ein  Mittel,  uns  Werthe  fiir  die 
Trionaltage  zu  berechnen.  Wir  konnen  aus  dem  Werth  fiir  die  I.  und 
n.  Versuchshalfte  ein  Mittel  bilden  und  haben  darin  den  2t&gigen 
Uebungsfortschritt  fiir  die  2.,  3.,  4.  und  5.  Viertelstunde.  Der 
1-tagige  Uebungsfortschritt  ist  =  der  HSifte  des  2-tagigen,  und  da 
jede  T- Viertelstunde  genau  1  Tag  von  der  vorhergehenden  gleich- 
werthigen  iV- Viertelstunde  entfemt  ist,  so  ergiebt  der  1-tagige  Uebungs- 
fortschritt, zu  einer  A- Viertelstunde  addirt,  den  erwarteten  Werth  fUr 
die  entsprechende  T- Viertelstunde.  In  Tab.  IV  ist  diese  Rechnung 
ausgefiihrt. 

Tabelle  IV. 


14.  XJ.  0,5 

16.  XL  0,5 

19.  XI.  1,0 

21.  XL  1,0 

erw. 

erb. 

Diff. 

1 

erw. 

erh.    Diff. 

erw. 

erh.    Diff. 

erw. 

erb. 

Diff. 

2yiert6lst'   668 

636 

—32 

802 

672 
726 
718 

—130 

942 

801 

—141,1012 

908 

—104 

3.      -      1   624 

l| 

601 

-23 

761 

—35 

890 

809 

—81 '  99S 

^1   — 

—1161026 

959 

—39 

4.      - 

685 

607 

—78 

—1 

849 

-131 

907 

791 

896  |— 23o| 

5.      .      1  651 

650 

728 

681 

—47. 

1 

814 

793 

—21    843 

817 

-» 

Wir  iiberblicken  hier  die  Verhaltnisse  aufierordentlich  klar,  und 
die  regelmaBi^e  Wiederkehr  von  Ab-  und  Zunahme  ist  uns  eine  Ge- 
wahr  dafUr,  dass  wir  es  hier  thatsachlich  mit  einer  GesetzmaBigkeit 
zu  thun  haben.  Dass  der  starke  Verlust  der  2.  Viertelstunde  iiberall 
nicht  allein  Trional-Wirkung  ist,  haben  wir  schon  oben  dargelegt; 
hier  sehen  wir  nun  weitcr,  dass  die  Wirkung  in  der  3.  Viertelstunde 
deuUich  wird,  in  der  4.  ihr  nicht  unbetrachtliches  Maximum  erreicht, 
urn  in  der  5.  allmahlich  nachzulassen.  Die  letztere  Thatsache  steht 
einigermaBen  in  Widerspruch  mit  andem,  spateren  Ergebnissen,  in- 
dem  z.  B.  bei  Wahlreactionen   die  Wirkung  der   1,0  gr-Dosis    sicli 


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Die  psychischen  Wirkoogeii  des  Trionals. 


335 


durch  fast  vier  Stunden  in  steigender  Weise  verfolgen  lieB;  doch  ist 
hier  die  Abnahme  der  Wirkung  am  Ende  der  1.  Stunde  durch  die 
Rechnung  unzweifelhaft  festgestellt  und  muss  vorlaufig  als  Thatsache 
hingenommen  werden.  Ferner  ist  in  Tab.  IV  der  Unterschied  z^vi- 
schen  der  groBeren  und  kleineren  Gabe  deutlich;  addirt  man  die 
Differenzen  aller  Viertelstunden  eines  Tages,  so  stellt  sich  heraus, 
dass  die  Gabe  von  0,5  gr  am  ganzen  Tage  einen  Verlust  von  134 
und  343  Zahlen  verursacht  hat,  diejenige  von  1,0  gr  einen  solchen 
von  359  und  399  Zahlen. 

Ein  anderer  Weg,  um  zu  einem  Ausdruck  der  Trionalwirkung 
zu  gelangen,  ist  durch  die  Betrachtung  der  iV^ Viertelstunden  gegeben. 
Wir  konnen  aus  ihnen  einen  taglichen  Uebungszuwachs  berechnen, 
der  frei  ist  von  Ermiidungseinflussen  und  nur  noch  den  taglichen 
Uebungsverlust  enthalt.  Auch  hierbei  miissen  wir  aus  den  oben  er- 
orterten  Griinden  zunachst  eine  Trennung  der  beiden  VersuchshaJften 
vomehmen.  Es  tragt  vielleicht  zum  besseren  Verstandniss  bei,  wenn 
wir  bei  dieser  Gelegenheit  hier  einmal  die  ganze  Berechnung  aus- 
fuhren. 


Ts  -g  595 

II  688 

•S'^;  824 

1-5^ 


93 
74 
62 


167 
136 


229 : 3  (=  Zunahme  vom  1.  zum  2.,  3.,  4.  Tage) 


229:3    303:2.2 


76,3        75,1  76,3 

t&gl.  Uebungszuwiiohse 


227,7 : 3 


3.,  4.  Tage) 
4.  Tage) 


75,9: 


3  durch8chnittl.t&gLUebuDgs- 
zuwachs  der  ersten  4  Tage. 


||  892 
1^  ^23 
SJ^  1042 


92 

31 

119 


123 
250 


242:3 


242  :  3     273  :  2  .  2 


80,7        68,2 

tftgl.  Uebungszuwilchse 


80,7       229,6 : 3 

nhfiA     'I 


76,5  ss  durch8chnittl.tftgl.Uebungs- 
zuwachs  der  letzten  4  Tage. 


Mittel  von  75,9  und  76,5  =  76,2,  :  5  =  15,2  =  viertelstUndiger 
Uebungszuwachs. 

Aus  diesem  Durchschnittswerthe  kann  man  sich  nun  Normalwerthe 
fiir  die  ersten  Viertelstunden  berechnen  und  diese  mit  denen  der  Tab.  II 
vergleichen;  auf  diese  Weise  erhalten  wir  fiir  die  1.  Viertelstunden 
eine  eben  solche  Tabelle  wie  fiir  die  2,-4.  Viertelstunden  in  Tab.  IV. 


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336 


Uus  Ha«Del. 
Tabelle  V. 


13.  XL 

N 

14.  XI. 

T0,5 

15.  XX. 

16.  XL 
T0,5 

18.  XL 

N 

19.  XL 
T  1,0 

20.  XL 

21.  XI. 
T  1,0 

erwartet 

671 

764 

838 

900 

876 

968 

999 

erhalten 

505 

688 

762 

824 

800 

892 

923 

1042 

Differens 

— 

-hl7 

—  2 

—  14 

—  100 

+  16 

—  45 

-f-43 

Hieraus  kann  man  zweierlei  Schltisse  Ziehen:  entweder  dass  die 
y^-Tage  unter  besonders  giinstiger,  oder  dass  die  iV-Tage  unter  be- 
sonders  ungiinstiger  Disposition  standen.  Die  Ueberlegung  zeigt^  dass 
wohl  beides  der  Fall  gewesen  ist.  Dass  die  T-Tage  von  vom  herein 
durch  ihre  Stellung  in  der  Reihe  einen  Vorzug  batten,  ist  in  der 
•Rechnung  schon  beriicksichtigt.  Auch  ist  der  Uebungswerth  eines 
iV-Tages  wohl  h5her  anzuschlagen  als  derjenige  der  unter  Trional 
geleisteten  Arbeit.  Ftir  die  iV-Tage  kommt  noch  ein  Punkt  in  Be- 
tracht:  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  das  Trional  in  Folge  seiner 
geringen  Loslichkeit  noch  am  nachsten  Tage  in  geringem  Grade  wirk- 
sam  gewesen  ist;  wir  wissen  z.  B.,  dass  bei  Sulfonal  die  gewohnliche 
Gabe  nicht  selten  flir  2  Nachte  zur  Schlaferzeugung  ausreicht.  Nun 
haben  wir  allerdings  meist  mit  einer  verhaltnissmaBig  geringen  Gabe 
gearbeitet;  trotzdem  konnen  wir  aus  einigen  Ergebnissen,  die  wii* 
spater  bei  den  Wahlreactionen  beschreiben  werden,  auch  fur  die 
Additionen  den  Schluss  ziehen,  dass  2  unserer  i\-Tage  keine  Normal- 
tage  im  strengen  Sinne  gewesen  sind;  dieser  Forderung  geniigen 
eigentlich  bloB  die  iV-Viertelstunden  der  T-Tage  und  der  1.  und  3. 
lY-Tag. 

In  den  Werthen  des  18.  XI.  haben  wir  einen  MaBstab  dafiir, 
welchen  Verlust  an  Uebung  die  Pause  eines  Tages  mit  sich  ge- 
bracht  hat;  da  Trional -Nachwirkung  hier  ausgeschlossen  ist,  so 
kann  der  Werth  von  100  Zahlen  annahemd  als  Ausdruck  fiir  den 
2tagigen  Uebungsverlust  angesehen  werden.  Von  Interesse  wird  es 
femer  sein,  zu  sehen,  wie  sich  die  Arbeitsleistung  in  den  ersten 
Viertelstunden  an  jedem  Tage  gestaltet,  je  nachdem  wir  von  den 
N'  zu  den  T-Tagen  fortschreiten  oder  umgekehrt.  Es  ergiebt  sich 
auf  diese  Weise  von  den  N-  zu  den  T-Tagen  ein  durchschnittlicher 


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Die  psychischeo  Wirkuogen  des  Trionals.  337 

Fortschritt  von  92  Zahlen,  yon  den  T-  zu  den  iV-Tagen  ein  solcher 
von  53  Zalilen^).  Diese  beiden  Werthe  geben  den  TJnterschied 
zwischen  N-  und  T-Tagen  sehr  deutlich  wieder.  Sie  zeigen  von 
Neuem,  dass  die  T-Tage  einen  ungunstigen  Einfluss  auf  die  folgenden 
iV^Viertelstunden  ausgeiibt  haben,  der  entweder  durch  ihren  geringeren 
Uebungswerth  oder  durch  eine  Nachwirkung  des  Medicaments  heiTor- 
gerufen  ist;  wahrscheinlich  sind  beide  Ursadien  wirksam  gewesen. 
Der  Umstand,  dass  der  Zuwachs  von  N- :  T-Tagen  den  durchschnitt- 
lichen  taglichen  Uebungszuwachs  noch  um  1 6  Zahlen  iibertrifft,  kann 
uns  ein  Beweis  dafiir  sein,  dass  der  Rest  von  Trional- Nachwirkung 
jedenfalls  den  Uebungswerth  des  ganzen  A-Tages  nicht  wesentlich  be- 
eintrachtigen  konnte. 

SchHeBHch  ermoglicht  die  obige  Berechnung  (S.  335)  noch,  einen 
procentualen  Ausdruck  fur  die  Uebungszunahme  zu  finden;  wenn  wir 
namlich  die  Leistungen  der  1.  Yiertelstunden  zu  einem  Mittel  zu- 
sammenfassen  und  den  viertelstiindigen  Uebungszuwachs  von  15^2 
Zahlen  in  Procenten  dieses  Mittels  ausdriicken,  so  erhalten  wir  einen 
Uebungscoefficienten ,  der  den  Vortheil  hat,  direct  mit  einem  bei 
andem  continuirhchen  Arbeiten  gewonnenen  vergleichbar  sein.  Dieser 
viertelstiindige  Uebungscoefficient  betragt  bei  uns  1,86^. 

Die  Ausrechnung  der  mittleren  Schwankungen  der  Arbeitsleistung 
ergab  keine  verwerthbaren  Unterschiede. 

Passen  wir  die  Ergebnisse  unserer  Addirversuche  kurz  zusammen, 
80  konnen  wir  sagen:  Die  der  Uebung  in  hohem  MaBe  zugangliche 
Addirarbeit  wird  durch  Trional  nicht  unbedeutend  erschwert,  und 
zwar  wird  nicht  nur  die  Leistung  selbst,  sondem  wohl  auch  ihr 
Uebungswerth,  wie  er  sich  in  der  Anfangsleistung  des  jeweils  folgen- 
den Tages  widerspiegelt,  deutlich  vermindert. 

III.  Zahlenlernen. 

Das  Lemen  wurde  in  der  bekannten,  von  Oehrn  naher  be- 
schriebenen  Weise  ausgefuhrt.  In  Tab.  VI  sind  die  Viertelstunden- 
leistungen  jedes  Tages  zusammengestellt 


1)  Die  Differenz  vom  16.  XL  [T)  :  18.  XL  (N)  durfte  natttrlich  nicht  gebildet 
werdeD. 


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33S 


Hans  Haenel. 
Tab  ell  e  VI. 


26,  XI.  X 

204 
252 

168 

264 

192 

216 
168 

27.  XI.  ro,6 

♦192 

216 

144 

28.  XL  N 

276 

192 

240 

252 

216 

29.  XI.  ro,5 

312 

♦240 

204 

192 

180 

3.  XII.  N    \  276 

384 

360 

372 

348 

4.  XIL  T  1,0 

1  360 

♦240 

288 

264 

288 

5.  XIL  X    !  384 

396 

348 

348 

372 

384 

408 

384 

336 

372 

6.  XIL  T  1,0:|  492  1*408 

396 

322 

384 

322 

300 

312 

396 

348 

Die  Erscheinung  des  Antriebes  ist  hier  deutlicher  ausgepragt  als 
beim  Addiren;  dies  hangt  wohl  mit  der  groBeren  Schwierigkeit  der 
Arbeit  zusammen,  welche  deshalb  mit  lebhafterem  Entschlusse  be- 
gonnen  wurde.  Am  2(>.  und  28.  XI.  ist  der  Antrieb  schon  aus  Tab.  VI 
ersichtlich,  aber  auch  am  4.,  5.  iind  6.  XII.  zeigt  uns  eine  Betrach- 
tirng  der  ersten  3  FUnfminuten-Leistungen  dasselbe;  diese  lauten: 
132,  108,  120;  144,  120,  120;  180,  156,  156-  Auch  der  Schluss- 
antrieb  ist  an  den  beiden  ersten  Tagen  ausgepragt;  am  3.  XII.  zeigt 
ihn  die  letzte  Viertelstunde  allein:  120,  96,  132.  Sehr  deutlich  ist 
er  an  dem  langen  Arbeitstage  des  5.  XII.,  wo  die  letzten  4  FUnf- 
minuten  folgende  Werthe  gaben:  96,  108,  120,  144.  Das  Anwachsen 
der  Werthe  am  Schlusse  des  letzten  T-Tages  kann  wohl  nicht  ohne 
weiteres  als  Schlussantrieb  aufgefasst  werden,  da  wir  nicht  wissen, 
ob  nach  2  Stunden  nicht  vielleicht  schon  ein  Nachlassen  der  Trional- 
wirkung  stattgefunden  hat. 

Wir  sehen  auch  hier  einen  betrachtlichen  Einfluss  der  Uebung 
auf  die  ganze  Dauer  der  Versuchsperiode :  die  Anfangsleistung  des 
letzten  Tages  (180)  ist  gerade  dreimal  so  groB  als  die  des  ersten  (60). 
Dass  hier  der  Zuwachs  noch  bedeutender  ist  als  beim  Addiren,  er- 
klart  sich  aus  der  geringeren  Uebung  im  Beginne  des  Versuches. 
Die  Unterbrechung  von  4  Tagen  zwischen  der  I.  und  11.  Versudis- 
halfte  macht  sich  wieder  durch  die  niedrige  Anfangsleistung  des 
3.  Xn.   bemerkbar;   doch  zeigt  das  rasche  Ansteigen  der  Leifitung 


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Die  psychischen  Wiikiogeb  des  TrioDals.  339 

schon  in  der  2.  Viertelstunde  —  durch  die  Zahlen  fiir  die  1.  Funf- 
minuten:  84  und  die  4.  Fiinfminuten:  156  noch  deutlicher  aus- 
gedriickt  — ,  dass  dieser  Verlust  unter  dem  Einfluss  der  Anregung 
sehr  rasch  wieder  eingebracht  ist.  BeziigUch  des  Protokolls  konnten 
wir  beim  Lemen  eine  Beobachtung  best&tigen,  die  wir  schon  beim 
Addiren  gemacht  batten:  obgleich  es  mit  moglichster  Sorgfalt  die 
subjectiveti  Beobachtungen  wahrend  des  Versuchs  aufnahm,  zeigte  e^ 
doch  recht  haufig  groBe  Abweichungen  von  den  thatsachlichen  Er- 
gebnissen  des  Versuchs.  Es  ist  dies  wichtig,  einmal  weil  es  die  Tin- 
zulanglichkeit  der  Angaben  beweist,  die  allein  auf  Grund  subjectiver 
Beobachtung  die  Wirkungsweise  eines  Arzneimittels  beschreiben  wollen; 
zweitens  wird  damit  aber  auch  ein  Vorwurf  zuriickgewiesen,  der  gegen 
unsere  Arbeiten  erhoben  worden  ist:  dass  namlich  manche  unserer 
Resultate  nur  durch  Autosuggestion  zu  Stande  kamen.  Der  Versuch 
brachte  uns  im  Gegentheil  oft  TJeberraschungen,  die  /Von  dem  er- 
warteten  Ergebniss  in  einer  manchmal  recht  unliebsamen  Weise  ab- 
wichen.  Besondere  Erwahnung  verdient  in  Tab.  VI  der  5.  XII. 
insofem,  als  er  auf  eine  sehr  geringe  Ermiidbarkeit  der  Versuchs- 
persori  hinweist;  wenn  nach  2Y2Stundigem  ununterbrochenem  Lemen 
die  Schlussleistung  gleich  der  Anfangsleistung  ist  (144  Zahlen),  so 
ist  dabei  ja  allerdings,  wie  schon  oben  erwahnt,  ein  Schlussantrieb 
mit  wirksam,  doch  weisen  auch  die  vorhergehenden  Viertelstunden 
Punfminuten-Leistungen  auf,  die  auf  der  Hohe  der  Anfangsleistung 
stehen.  Der  starkere  Uebungseinfluss  dieses  langen  Arbeitstages  zeigt 
sich  sehr  deutlich  an  der  1 .  Viertelstunde  des  nachsten  Tages. 

Der  Gang  der  Arbeit  unter  Trionaleinwirkung  entspricht  im  all- 
gemeinen  den  beim  Addiren  gemachten  Erfahriingen.  Aus  den  gleichen 
GrUnden  wie  dort  muss  auch  hier  schon  die  2.  Viertelstunde  als  von 
Trional  beeinflusst  angesehen  werden.  Die  Unterbrechung  durch  das 
Einnehmen  des  Mittels  wxirde  hier  weniger  storend  empfunden  als 
beim  Addiren,  wohl  deshalb,  weil  bei  der  schwereren  Arbeit  «,uch 
eine  kleine  Pause  eher  als  Erholung  wirken  kann  und  dadurch  den 
nachtheiligen  Einfliissen  derselben  das  Gleichgewicht  gehalten  wird. 
Um  einen  Begriff  von  der  Wirkung  des  Trionals  im  einzelnen  zu 
gewinnen,  halten  wir  uns  am  besten  an  die  schon  beim  Addiren  be- 
schriebenen  Berechnungsmethoden.  Die  Trennung  zwischen  I.  und 
n.  Versuchshalfte  muss  naturUch  hier,  wo  eine  Pause  von  3  Tagen 


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340 


H&08  Hftenel 


den  Versuch  unterbricht,  erst  recht  durchgefuhrt  werden.  Die  un- 
gleiche  Lange  der  Arbeitstage  wird  uns  zwar  eine  gleichmaBige  Be- 
rechnung  erschweren,  doch  wird  dies  nur  fUr  den  letzten  T-Tag  von 
Bedeutung  sein. 

Tabelle  VH. 


LHftlfte 

ILHAlfte 

Uebungszuwache  iw.  den  2.  Viertelstunden  je  zweier  iV-Tage 

24 

12 

»                >»3.            >               >>» 

—  24 

—  12 

»                »>4.             >                »>» 

60 

—  24 

»                »>5.             »                »»» 

0 

24 

Die  Zahlen  der  Tab.  Vll,  die  wie  Tab.  in  berechnet 
wurde,  sind  besonders  wegen  ihrer  grofien  UnregelmaBigkeiten  auf- 
fallend.  Docb  hindem  diese  Abweichungen  nicht,  aus  der  Tabelle 
auf  die  oben  (S.  334)  angegebene  Weise  weiter  die  fiir  die  T-Tage 
erwarteten  Werthe  zu  berechnen.  Wir  erhalten  dadurch  Tab.  VHL 
Der  4  T-Tag  konnte  bei  dieser  Berechnung  nicht  mit  berucksichtigt 
werden,  weil  die  Tab.  VII  keine  Zahlen  fiir  den  Uebungswerth  der 
6. — 10.  Viertelstunde  des  5.  XH.  liefert,  die  doch  auf  die  Leistungen 
des  6.  Xn.  von  wesentlichem  Einfluss  gewesen  sind. 

Tabelle  Vm. 


27.  XL  0,5 

29.  XI.  0,5 

4. 

xn.  1,0 

enr. 

erh. 

Diff. 

enr. 

erh. 

Diff. 

erw. 

erh. 

Diff. 

2.  Viertclst. 

3. 

4. 

177 

192 

+  17 

201 

240 

4-39 

393 

240 

—153 

255 

216 

—  39 

231 

204 

—  27 

361 

288 
264 

—  63 

201 

144 

—  57 

261 

192 

—  69 

381 

—117 

5.        > 

222 

168 

—  54 

222 

180 

—  42 

354 

288 

—  66 

Die  Herabsetzung  der  Leistung  durch  Trional  ist  hier  deutlich; 
der  Typus  der  Wirkung  entspricht  im  ganzen  ungefahr  demjenigen 


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Die  psychischen  Wirkangen  des  Trion&ls.  341 

in  Tab.  IV:  Zunahme  bis  zur  4.,  leichte  Abnahme  in  der  5.  Viertel- 
stunde.  Ein  abweichendes  Verhalten  zeigen  die  2.  Viertelstunden. 
Der  scheinbar  gunstige  Einfluss  an  den  beiden  ersten  T-Tagen  ist  wohl 
darauf  zuruckzufuhren,  dass  im  Anfang  der  Versuchsreihe  die  Uebung 
besonders  groB  war.  Infolge  dessen  vermochte  das  Mittel  zunachst 
nicht  die  Leistung  unter  den  nach  dem  Durchschnitt  berechneten 
Werth  hemnterzudriicken,  zumal  die  Anfangsdisposition  an  den  beiden 
r-Tagen  eine  recht  gunstige  war,  wie  spater  noch  genauer  dargelegt 
werden  soil.  Auch  ist  der  XJebungszuwachs  wohl  zu  klein  angenommen, 
da  in  ihm  bei  unserer  Berechnung  Ermiidung  nnd  taglicher  Uebungs- 
verlust  mit  enthalten  sind.  Dass  eine  Verbesserung  der  Leistung 
durch  Trional  in  Wirklichkeit  nicht  vorliegt,  lehrt  ein  Vergleich  der 
zweiten  mit  den  ersten  Viertelstunden  in  Tab.  VI:  die  Abnahme  in 
der  2.  fallt  um  so  mehr  ins  Gewicht,  als  ein  Antrieb,  der  an  den 
iV-Tagen  die  Differenz  zwischen  1 .  und  2.  Viertelstunde  hauptsachlich 
reranlasst  hat,  an  den  T-Tagen  nicht  oder  kaum  nachzuweisen  ist; 
die  5-Minutenwerthe  an  diesen  sind  in  der  1.  Viertelstunde:  72.  96. 
84  und  96.  120.  96.,  an  den  beiden  entspreohenden  iV-Tagen:  78. 
64.  60.  und  108.  96.  72.  Ob  der  hohe  Werth  des  4.  XII.  auf  eine 
starkere  Wirkung  der  erhohten  Dosis  von  1  g  zu  beziehen  ist,  er- 
scheint  zweifelhaft,  besonders  da  es  sich  um  die  2.  Viertelstunde 
handelt;  allerdings  ist  an  diesem  Tage  auch  die  Differenz  zwischen  1. 
und  2.  Viertelstunde  die  groBte  der  ganzen  Versuchsreihe  (120  Zahlen). 
Wie  bei  den  Addir-Versuchen  konnen  wir  auch  hier  noch  durch 
eine  Betrachtung  der  JV- Viertelstunden  zu  einem  Ausdrucke  der  Trio- 
nalwirkung  gelangen.  Die  I.  Halfte  lasst  sich  genau  wie  auf  S.  335 
berechnen,  fttr  die  11.  Halfte  nothigt  uns  die  ungleiche  Lange  der 
Arbeitstage,  die  Berechnung  nicht  auf  den  tMglichen,  sondem  von 
vomherein  auf  den  viertelstiindigen  XJebungszuwachs  zu  richten,  d.  h. : 
die  Differenz  zwischen  je  zwei  ersten  Viertelstunden  durch  die  Anzahl 
der  jedesmal  inzwischen  geafbeiteten  Viertelstunden  zu  dividiren  und 
mit  den  nun  erhaltenen  Zahlen  so  weiter  zu  verfahren,  wie  vorher 
mit  den  Tageszuwiichsen.  Wir  erhalten  dabei  fur  die  I.  Halfte  einen 
taglichen  XJebungszuwachs  von  35,0  Zahlen,  d.  h.  fUr  jede  Viertelstunde 
7,  fiir  die  H.  Halfte  6  Zahlen;  der  geringe  Unterschied  beider  Werthe 
gestattet  uns,  ein  Mittel  zu  ziehen,  und  fiir  die  ganze  Versuchsreihe  er- 
halten wir  somit  einen  viertelstiindigen  XJebungszuwachs  von  6,5  Zahlen. 


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U2 


Mans  HaeneJ. 


Mit  HUlfe  dieses  Werthes  konnen  wir  uns  nun  genau  wie  bei  Tab.  V 
einen  >normalen«  Gang  der  1.  Viertelstunden  constaiiren  und  diesen 
mit  den  erhaltenen  Werthen  vergleichen.    Dadurch  entsteht  Tab.  IX. 

Tabelle  IX. 


26.  XI. 

27.  XL 

ro,5 

28.  XI. 

29.  XL 

ro,5 

3.  xn. 

N 

4.  XIL 

ri,o 

5.  XIL 

N 

6.  XIL 

ri,o 

enrartet 

237 

285 

309 

345 

276 

309 

393 

449 

erhalten 

204 

1 

252 

276 

312 

360 

384 

492 

Differenz 

-h  15 

—  9 

+  3 

—  69 

+  51 

—  9 

-+-  43 

Wir  erhalten  hier  dasselbe  Bild  wie  in  Tab.  V:  UngUnstiger  Ein- 
fluss  der  T-Tage  auf  die  Anfangsleistung  der  folgenden  iV-Tage, 
wahrend  die  Arbeitsbedingungen  an  den  T-Tagen  selbst  aus  den 
schon  oben  erorterten  Grtinden  besonders  giinstige  waren.  Bin  tJnter- 
schied  zwischen  der  Wirkung  der  kleinen  und  der  groBen  Dosis  ist 
aus  dieser  Tabelle  nicht  zu  ersehen.  Der  Vergleich  der  Anfangs- 
leistungen  der  iV-  und  T-Tage  ergiebt,  wenn  wir  von  iV-  zu  2-Tagen 
fortschreiten,  einen  durchschnittlichen  taglichen  Zuwachs  von63Zahlen, 
beim  Fortschreiten  von  T-  zu  A-Tagen  einen  solchen  von  24  Zahlen. 
Fiir  die  gesammte  I.  Versuchshalfte  betrug  dieser  Worth  35  Zahlen 
(s.  S.  341);  fiir  die  n.  konnen  wir  ihn  aus  dem  Viertelstundenzuwachs 
auf  36  Zahlen  berechnen.  Der  mittlere  tagliche  Uebungszuwachs  fUr 
die  ganze  Versuchsreihe  betragt  also  35,5  Zahlen.  Der  Vergleich 
mit  den  eben  erhaltenen  Werthen  von  63  und  24  Zahlen  lehrt  wie- 
derum,  in  welchem  MaBe  das  Trional  die  Arbeit  des  Lemens  beein- 
trachtigt  hat.  Die  GroBe  des  durch  Trional  noch  am  nachsten  Tage 
bewirkten  Verlustes  ist  hiemach  beim  Addiren  und  beim  Lemen 
beinahe  die  gleiche,  denn  das  Verhaltniss  76  :  53*)  ist  fast  gleich  dem 
von  35,5  :  24;  die  beiden  Quotienten  verhalten  sich  zu  einander  wie 
1824  :  1855. 

Der  viertelstUndige  Uebungscoefficient,  auf  dieselbe  Weise  be- 
rechnet  wie  oben  auf  S.  337,  betragt  beim  Lemen  2,04  ^;  er  ist 


1)  Siehe  S.  335  u.  337. 


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Die  psychiscben  WiAiuigeii  des  Trionals. 


343 


also,  wie  vorauszusehen  war,  fUr  die  schwierigere  und  weniger  geiibte 
Arbeit  grSBer  als  fUr  die  leichtere  und  gelaufigere. 

Ein  Urtheil  dartibef,  auf  welche  Weise  an  den  einzelnen  Tagen 
gelemt  worden  ist,  ennoglicht  uns  die  Anizahl  der  in  je  5  Minuten 
gezahlten  Wiederholungen.  Wir  geben  in  der  folgeiiden  Tabelle  je 
3  Funfminuten-Leistungen  zu  einem  Mittel  zusammengef asst,  weil  die 
Zahlen  einer  ganzen  Viertelstunde  kleinere  Schwankungen  leicht  in 
einer  Weise  vergroBem  wurden,  die  die  richtige  Beurtheilung  er- 
schweren  kSnnte. 

Tabelle  X. 


26.  XL  N 

42 

41 

49 

50 

49 

27.  XL  r0,5' 

1 

56 

♦45 

56 

59 

55 

28.  XL  N 

57 

52 

53 

53 

53 

29.  XL  r0,5 

53 

♦51 

52 

50 

50 

3.  XIL  N 

57 

51 

52 

53 

54 

4.  Xn.  T  1,0 

53 

♦50 

51 

55 

56 

5.  XIL  N 

49 

49 

48 

48 

47 

46 

47 

51 

49 

52 

6. XII.  Ttfi 

53 

♦53 

52 

54 

57 

56 

58 

54    1    54 

53 

Wir  fingen  also  am  ersten  Tage  mit  verhaltnissmaBig  wenigen 
Wiederholungen  an,  erreichten  aber  scfaon  nach  V2  Stunde  eine  etwas 
hohere  Zahl,  die  nun  im  Lauf  e  der  ganzen  Versuchsreihe  mit  groBer 
GleichmaBigkeit  festgehalten  wurde.  Weder  die  Ermiidung  im  Ver- 
lauf  eines  Tages,  noch  die  Uebung  von  einem  Tag  zum  andem,  noch 
das  Trional  oder  die  lange  Arbeit  des  5.  und  6.  XTT.  lassen  irgend 
welchen  nennenswerthen  Einfluss  auf  die  Wiederholungszahl  erkennen. 
Subjectiv  beobachteten  wir  zwar  ofters  Schwankungen  und  verzeich- 
neten  sie  auch  im  ProtokoU;  so  war  in  manchen  Versuchsabschnitten 
das  Bestreben,  zu  gruppiren  und  womoglich  Sinn  in  die  Zahlenreihe 
zu  legen,  entschieden  groBer  als  in  anderen,  wo  deutUch  das  Gefuhl 
des  »Plapperns«,  der  Eippragung  allein  durch  die  motorische  Sprach- 
vorstellung  vorhanden  war.  Doch  decken  sich  dies.e  subjeetiven  Be- 
obachtungen    der   Zeit    nach   fast   nirgeilds.  mit   den   geringfUgigen 


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344  UaM  UaeBel, 

Schwankungen  der  Wiederholungszahl;  im  Gegentheil:  am  28.  XL, 
fiir  den  die  Tab.  X  wohl  das  gleichmaBigste  Lemen  in  der  ganzen 
Versuchsreibe  zeigt,  steht  im  Protokoll  ein  dreimaliger  Wechsel 
zwischen  motorischem  und  sensorisohem  Lernen  verzeichnet;  und  am 
5.  Xn.  mit  seiner  im  ganzen  eher  etwas  niedrigen  Wiederholungs- 
zahl lesen  wir  im  Protokoll:  >Aii8gesprochene  Tendenz  zum  mecha- 
nischen  Lemen*.  Also  auch  hier  wieder  ein  Widerspruch  zwischen 
der  subjectiven  Beobachtimg  iiber  medicamentose  Wirkungen  und  dem 
exacten  Experiment  sammt  seinen  zahlenmaBigen  Schlussfolgerungen. 
Allerdings  ist  es  ja  moglich,  dass  innerhalb  kleinerer  Zeitraume 
Schwankungen  in  der  Lemweise  in  der  That  voi^ekommen  sind,  die 
sich  dadurch,  dass  wir  bloB  5  Minuten  registrirten ,  der  nachtr&g- 
lichen  Beobachtung  entzogen  haben;  doch  ist  es  immerhin  unwahr- 
scheinlich,  dass  derartige  Veranderungen,  wenn  sie  wirklich  in  groBerem 
Umfange  aufgetreten  waren,  das  Bild  der  Tagesleistung  so  ganz  un- 
beeinflusst  gelassen  batten.  Zu  einer  Erklarung  ftir  die  auffallende 
GleichmaBigkeit  der  Wiederholungszahlen  werden  wir  einmal  auf  die 
Weise  gelangen  konnen,  dass  wir  die  Zahlen  friiherer  Beobachter 
zum  Vergleicbe  heranziehen.  Ein  Vergleich  mit  den  von  Kraepelin*) 
angefiihrten  Werthen  zeigt  uns,  dass  die  Versuchsperson  von  vom- 
herein  zu  den  schnell  Wiederholenden  gehort.  Nach  den  dort  und 
bei  Bettmann^)  gegebenen  Ausfiihrungen  handelt  es  sich  also  bei 
mir  um  eine  Bevorzugung  der  motorischen  Lemweise.  Nun  haben 
aber  jene  Versuche  gezeigt,  dass  zwar  recht  haufig  ein  Uebergang 
von  der  sensorischen  zur  motorischen  Lemweise  beobachtet  wird,  das 
Umgekehrte  aber  fast  nie  der  Fall  ist;  und  da  ich  mit  der  motorischen 
Methode  gleich  begonnen  babe,  so  war  eine  weitere  Veranderung  der 
Wiederholungszahl,  die  nach  dem  Gesagten  bloB  in  einer  Erhohung 
derselben  hatte  bestehen  k5nnen,  nicht  zu  erwarten.  Die  etwas 
niedrigeren  Werthe  des  ersten  Tages  machen  den  Eindruck,  als  ob 
ich  erst  ein  wenig  probirt  luLtte,  bis  ich  die  fttr  mich  vortheilhafteste 
und  ftirs  Einpiugen  giinstigste  Becitirgeschwindigkeit  fand.  Dass 
dann  diese  vortheilhafteste  Arbeitsmethode  auch  unter  ungunstigeren 


1}  Ueber   die  Beeinflussung  einfacher   psychischer  Vorgftnge    duroh   einige 
Arzneimittcl.  8.  81  u.  134. 

2)  Diese  Arbeiten.  Bd.  I.  8.  181. 


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Die  psycbischen  Wirkongen  des  Trionals.  345 

Arbeitsbedingungen  beibehalten  wird,  kann  uns  damach  nieht  weiter 
Wander  nehmen.  Ein  anderer  Yersuch  zur  Erklanmg  wird  im  letzten 
Abschnitt  dieser  Arbeit  gegeben  werden. 

Eine  Berechnung  des  Lemwerthes  ist  imter  den  vorliegenden  Ver- 
haltnissen  iiberfliissig;  da  er  aus  dem  Verhaltniss  von  Arbeitsleistung 
zur  Wiederholungszahl  gewonnen  wird  und  diese  letzteren  annahemd 
constant  sind,  so  giebt  der  Lemwerth  nur  eine  Wiederholung  der 
schon  in  Tab.  VI  ersichtlichen  Thatsachen.  Die  mittlere  Variation 
ergab  hier  ebenso  wenig  verwerthbare  Unterschiede  wie  beim  Addiren. 

Der  Einfluss  des  Trionals  lasst  sich  demnach  bei  der  Arbeit  des 
Lemens  in  demselben  Sinne  formuliren  wie  beim  Addiren:  Herab- 
setznng  der  Arbeitsleistung  und  ihres  Uebungswerthes,  wobei  die 
Arbeitsmethode,  so  weit  sie  aus  der  Wiederholungszahl  erkennbar  ist, 
unbeeinflusst  bleibt. 


IV.  Wahlreactienen. 

Mit  Wahlreactionen  wurden  4  Versuchsreihen  ausgefiihrt,  eine 
achttagige  vor  Weihnachten  und  eine  dreitagige  im  Januar,  dazu  noch 
zwei  unter  veranderten  Verhaltnissen,  die  im  X.  Abschnitte  be- 
schrieben  sind.  Die  Methodik  war  die  bekannte;  fiir  die  Reizgebung 
wurde  in  der  ersten  Reihe  der  Romer'sche  Plattenapparat *)  in  An- 
wendung  gebracht.  Dr.  Weygandt,  der  so  liebenswiirdig  war, 
das  Amt  des  Registrirenden  zu  iibemehmen,  wechselte  zugleich  auch 
die  Flatten  mit  dem  Reizbuchstaben,  und  dadurch  nahm  die  Aus- 
fiihrultg  jeder  Reaction  ziemlich  lange  Zeit  in  Anspruch.  Die  dabei 
entstehenden  langeren  Pausen  zwischen  je  2  Reactionen  brachten  es 
mit  sich,  dass  der  Reagirende,  statt  seine  Aufmerksamkeit  angespannt 
auf  die  Auffassungsaufgabe  zu  richten,  ofters  Zeit  fand,  etwas  abzu- 
schweifen,  und  sich  daher  fast  zu  jeder  Reaction  von  neuem  con- 
centriren  musste.  Die  mannigfachen  G^erausche  bei  der  Bedienung 
der  Apparate  brachten  ebenfalls  eine  gewisse  Storung  mit  sich,  be- 
sonders,  da  sie  nicht  immer  in  regelmaBigem  Rhythmus  auf  einander 
folgten;  auBerdem  war  am  3.  und  4.  Tage  noch  mein  Bruder  mit 
im  Zimmer,  um  dem  Registrirenden  die  Arbeit  des  Plattenwechselns 


1}  Dieae  Arbeiten.  Bd.  I.  S.  565. 


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346 


HtDS  Uii^iieU. 


abzunehmen,  ein  Umstand,  der  lioch  mehr  dazu'beitrug,  die  Samm- 
lung  zu  erschweren.  Dies  mag  vorausgeschickt  sein,  um  zu  zeigeo^ 
dass  die  Versuchsbedingungen  bei  diesen  Experiinenten  nicht  die 
giinstigsten  waren  und  die  Ergebnisse  verbesserungsbedUrftig  sein 
werden. 

Die  Wirkung  des  Trionals  wurde  im  allgemeinen  70  Minuten 
lang  verfolgt;  an  jedem  Tage  wurde,  wie  gewohnlich,  eine  normale 
Viertelstunde  zur  Dispositionspriifung  vorausgeschickt.  Die  Berecb- 
nung  der  Zahlen  geschah  nach  der  oft  erprobten  Methodc  der  Stellungs- 
mittel.  Tab.  XI  giebt  die  aus  je  20  Reactionen  gewonnenen  Mittel 
in  a  wieder.  Die  aus  weniger  als  20  Zahlen  gewonneuen  Werthe  sind 
in  Klammer  gesetzt. 

Tabelle  XI. 


a 

ll.XIL 

N 

376 

12.  xn. 
ro,5 

13.  xn. 

14.  XII. 

ro,5 

16.  XII. 

17.  xn.  18.  XII. 

ri,o   JV 

19.  xn. 

T  1,0 

Auf 

einander 

folgende 

Mittel 

aus  je 

20  Rc- 

actionen 

347 

364 

312 

291 

285 

308 

271 

383. 

♦361 

376 

307 

306 

307 

302 

279 

369 

349 

358 

(332) 

296 

♦298 

319 

♦310 

323 

363 

349 

♦347 

255 

347 

298 

301 

311 

368 

352 

325 

272 

325 

297 

305 

329 
308 

390 

380 

324 

266 

325 

278 

345 

341 

359 

330 

286 

332 

293 

329 

348 

326 

393 

318 

(290) 

334 

293 

331 

381 

375 

388 

337 

:- 

266 

346 

(412) 

(372) 

368 

332 

320 

(279) 

355 

324 

398 
366 

--'-: 

1 

1 
381 

• 

:   1 

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Die  psychischen  Wirkongeo  des  TrioDals. 


347 


Auffallend  ist  in  dieser  Tabelle  der  Unterschied  zwischen  der 
I.  und  n.  Halfte  der  Versuchsreihe :  die  Reactionszeiten  sind  in  der 
ersten  nicht  unbetrachtlich  langer  als  in  der  zweiten.  Eine  Erklarung 
fiir  dieses  Verhalten  ist  wohl  in  folgender  Thatsache  zu  finden:  Ein 
Einfluss  der  Uebung,  —  so  weit  man  bei  Wahlreactionen  von  e^ner 
solchen  sprechen  kann  — ,  macht  sich  hier  im  allgemeinen  im  Sinne 
der  allmahlichen  Verkiirzung  der  Reactionszeiten  geltend.  Dieser  Ein- 
fluss konnte  aber  nicht  in  gleichmaBiger  Weise  zur  Entwicklung 
kommen,  weil  die  beiden  ungiinstigen  Tage  am  13.  und  14.  XII.  im 
entgegengesetzten  Sinne  wirksam  waren.  Die  Anwesenheit  eines 
Dritten  wirkte  in  solchem  MaBe  storend  und  ablenkend,  dass  der 
13.  xn.  fast  durchgehend  die  langsten  Reactionszeiten  der  ganzen 
Versuchsreihe  ergeben  hat.  Die  erwahnte  Neigung  zur  Verkiirzung 
der  Zeiten  ist  deutlicher  zu  erkennen  in  den  Werthen  der  1 .  Viertel- 
stunden  in  Tab.  XII. 

Tabelle  XK 


11.  XII.  !  12.  XII. 

13.  XII. 

N 

14.  XII. 
T 

16.  XII. 

N 

17.  xn. 

T 

18.  xn. 

N 

19.  XII. 
T 

376 

347 

364 

310 

298 

296 

305 

275 

Hier  sehen  wir,  dass  die  Stoning  der  Versuchsreihe  durch  den 
13.  xn.  schon  am  folgenden  Tage  wieder  ausgegUchen  war,  also  eine 
Gewohnung  an  die  veranderten  Versuchsbedingungen  stattgefunden 
hatte;  der  Anfangswerth  des  nachsten  Tages  fiel  wieder  so  aus,  wie 
er  wahrscheinUch  auch  ausgefallen  ware,  wenn  er  unter  gewohnUchen 
Bedingungen  gestanden  hatte.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  er- 
scheint  der  Unterschied  der  beiden  Versuchshalften  nicht  mehr  so 
auffallend,  und  wir  konnen  mit  mehr  Berechtigung  die  Verkiirzung 
der  Zeiten  als  etwas  GesetzmaBiges  betrachten.  Wir  sehen  femer 
in  Tab.  XI  aus  den  iV-Tagen,  dass  die  Ermiidung  kaum  eine  Rolle 
spielt,  dass  im  Gegentheil  auch  im  Verlauf  jedes  einzelnen  Versuchs 
die  zeitverkiirzenden  Einfliissr  das  Uebergewicht  haben.  Das  ab- 
weichende  Verhalten  des  13.  !2^  U.  widerspricht  dem  nicht,  weil,  wie 
gesagt,  der  ganze  Tag  unter  abnormen  Bedingungen  stand.  Man 
konnte  meinen,  dass  das  Ausbleiben  von  Ermiidungserscheinungen  nur 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  IL  23 


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348  Hans  Haenel. 

durch  die  besonderen  Verhaltnisse  hier  bedingt  war,  iind  zwar  durch 
die  langeren  Pausen  zwischen  je  zwei  Reactionen  und  die  verhaltniss- 
maBig  kurze  Dauer  des  ganzen  Versuchs;  doch  zeigt  ein  Blick  auf 
Tab.  XVI,  die  Januarversuche ,  dass  jenes  Verhalten  doch  nicht 
zuf^lllig  ist,  Obgleich  dort  die  Pausen  zwischen  den  Reactionen  nur 
wenige  Secunden  und  der  ganze  Versuch  3Vj  Stunden  dauerte,  neigen 
die  Reactionszeiten  des  iV-Tages  doch  bis  zum  Schlusse  zur  Ver- 
kiirzung. 

Bei  Beriicksichtigung  dieser  Thatsache  gewinnt  jeder,  auch  ge- 
ringe  Ausschlag  im  Sinne  der  Zeitverlangerung,  sobald  er  unter 
Trional  eintritt,  an  Bedeutung  und  kann  mit  um  so  mehr  Becht  als 
durch  das  Mittel  verursacht  angesehen  werden.  In  der  That  setzt 
eine  Zeitverlangerung  an  den  T-Tagen  sofort  nach  dem  Einnehmen 
des  Mittels  ein  und  ist  uberall  bis  zum  Schlusse  des  Versuchs  zu 
verfolgen.  Am  schonsten  zeigen  diese  Verhaltnisse  die  beiden  letzten 
Tage:  am  A-Tage  eine  gleichmaBig  fortschreitende  Verkurzung  der 
Zeiten,  am  T-Tage  die  1.  Viertelstunde  auf  der  Hohe  der  Schluss- 
leistung  des  vorhergehenden  Tages,  dann  sofort  eine  bis  zum  Schluss 
zunehmende,  ziemlich  betrachtliche  Verlangerung  der  Zeiten. 

Einen  MaBstab  fUr  die  GleichmaBigkeit  der  Arbeit  haben  wir 
in  der  Grofle  der  Mittelzonen.  Dieselbe  ist  gegeben  in  der  Differenz 
der  Grenzwerthe,  die  sich  bei  Berechnung  der  Stellungsmittel  in 
gleichem  Abstande  nach  oben  und  unten  von  diesen  letzteren  ergeben. 
Je  weniger  die  beiden  Grenzwerthe  sich  vom  Mittel  entfemen,  je 
kleiner  also  die  Mittelzone  ist,  um  so  gleichmaBiger  die  Leistung. 
Deshalb  haben  wir  in  der  Mittelzone  auch  einen  Anhalt  zur  Be- 
urtheilung  der  Disposition  jedes  Tages. 


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Die  psjebischen  Wirlcnngen  des  Trionals. 
Tabelle  XIEI. 


349 


a 

ll.XII. 

N 

12.  XII. 

ro,5 

13.  XII. 

N 

U.  XII. 

ro,5 

16.  XII. 

N 

17.  XTT. 
T  1,0 

18.  xn. 

N 

19.  XII. 

ri,o 

36 

Mittelzonen 
aus  je  20 
Reactionen 

06 

47 

92 

72     48 

77 

31 

54 

♦53 

119 

31 

46 

66 

38 

52 

60 

52 

48 

(28) 

'  48 

♦51 

65 

♦46 

51 

41 

53 

♦53 

49 

44 

76 

53 

52 

98 

42 

j   40 

1 

27 

54 

38 

45 

76 

47 

52 

1   *^ 

22 

27 

49 

67 

43 

76 

66  i;  49 

35 

36 

82 

106 

27 

104 

83    (44) 

25 

33 

62 

93 

68 

111 

46 

40 

57 

24 

(72) 

(39) 

82 

72 

(46) 

35 

25 

63   1! 

110  i| 

\ 
: 

(84) 

Mittelzone  d. 
ganzen  Tages, 

105 

64 

94 

73 

i   61 

46 

53 

51 

Eine  GresetzmaBigkeit  lasst  sich  in  dieser  Tabelle  ohne  weiteres 
nicht  herausfinden.  Hohe  und  niedere  Werthe  wechseln  an  den 
einzelnen  Tagen  scheinbar  regellos  ab.  Von  Interesse  sind  die  auBer- 
ordentlich  starken  Schwankungen  des  ungunstigen  13.  XTT.,  ein 
deutliches  Zeicben  der  mangelbaften  Aufmerksamkeit  an  diesem  Tage. 
Auch  bier  zeigen  die  iV-Viertelstunden  eine  mit  einigen  Unterbrechnngen 
f  ortschreitende  Abnahme  der  Werthe,  ein  Umstand,  der  im  Zusammen- 
hang  mit  den  aus  Tab.  XI  und  XTT  gezogenen  Schlussfolgerungen 
von  Wichtigkeit  ist.  Ebenso  lasst  die  Betrachtung  der  Tagesmittel 
einen  im  gleichen  Sinne  wirkenden  Einfluss  erkennen.  Wir  gehen 
wohl  nicht  fehl,  wenn  wir  das  regelmaBige  Abnehmen  der  iV- Werthe 
wie   die  Verkiirzung   der  Reactionszeit   auf  Rechnung   der  Uebung 

23^ 


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350 


Hans  UaeneL 


setzen,  welche  die  sensorielle  Reactionsweise  der  muskularen  anzu- 
nahem  pflegt.  Wir  gedenken  dabei  der  bei  Wundt^)  erwahnten 
Thatsache,  dass  sensorielle  Reactionsweise  mit  groBer  mittlerer 
Variation  einhergeht,  muskulare  mit  kleiner.  Bei  den  Mittelzonen 
der  ganzen  Tage  f  allt  auf ,  dass  auch  das  Trional  dieselben  verkleinert 
Zwei  Umstande,  welche  die  Dauer  der  Wahlreaction  entgegen- 
gesetzt  beeinflussen,  scheinen  demnach  auf  die  Gleichmafiigkeit  der 
Tagesleistung  die  gleiche  Wirkung  zu  haben.  Um  diesen  Widerspruch 
zu  losen,  ist  es  nothig,  die  iV-Viertelstunden  heranzuziehen.  Tab.  XIV 
stellt  die  Mittelzonen  der  1.  Viertelstimden  der  T-Tage  denen  vom 
Rest  des  Tages  gegeniiber. 

Tabelle  XIV. 


Mittekone  der 

12.  XII. 

14.  xn. 

17.  XII. 

19.  XII. 

J^-Viertelstunde    \\       47        |       64 

71 

41 

T-Stunde                !       64               75 

50 

49 

Hierdurch  wird  es  klar,  dass  der  niedrige  Werth  der  T-Tsgej 
der  in  Tab.  XTTT  auffiel,  nicht  durch  Trional  veranlasst  ist;  vielmehr 
stehen  die  T-Tage  von  vomherein  iinter  giinstigeren  Bedingungen, 
und  zwar  aus  denselben  Griinden  wie  beim  Addiren  iind  Lemen,  schon 
durch  ihre  Stellung  in  der  Versuchsreihe.  Dies  erhellt  auch  daraus, 
dass  die  Differenzen  zwischen  je  zwei  auf  einander  folgenden  A-  und 
r-Tagen  immer  kleiner  werden  (41—21  —  15  —  2;  s.  Tab.  XTTT 
Tagesmittelzonen);  ganz  natiirlich,  denn  je  langer  die  Versuche  fort- 
gesetzt  werden,  um  so  mehr  gleichen  sich  die  Unterschiede  aus,  die 
den  r-Tagen  einen  Vorsprung  vor  den  A-Tagen  geben.  Wir  sehen 
aber  femer  in  Tab.  XIV,  dass  unter  Trionaleinfluss  nicht,  wie  es  den 
Anschein  hatte,  die  Leistungen  gleichmaBiger,  sondem  im  Gregentheil 
ungleichmaBiger  werden.  Fur  die  Ausnahme  des  17.  XTT.  mit  seinem 
auff allig  hohen  Anfangswerth  kann  vielleicht  das  ProtokoU  Erklarung 
bringen,  das  an  diesem  Tage  angiebt:  »Im  Anfang  des  Versuchs  be- 
Bonders  groBe  Unruhe  und  Sensibilitat  fUr  die  kleinsten  Storungen. 


1)  Onindzdge  der  physiologischen  Psychologie.    Leipzig  1893.  Bd.  II.  8.  311. 


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Die  psychischen  Wirkungen  des  Trionals. 


351 


Vorher  Aerger.  Die  Unsicherheit  verschwand  bald.«  Femer  ist  aus 
Tab.  XTTT  noch  eine  wichtige  Thatsache  ersichtlich.  Die  beiden 
iV-Tage  am  13.  imd  18.  XII.  zeigen  uns  gegeniiber  dem  vorher- 
gehenden  T-Tage  eine  Zunahme  der  Mittelzonen  im  Tagesmittel. 
Woher  kommt  es,  dass  diese  unter  schlechterer  Disposition  standen? 
Da  eine  Ermiidungswirkung  oder  eine  Herabsetzung  des  Uebungs- 
werthes  durch  Trional  bei  dieser  Art  der  Arbeit  ausgeschlossen  ist, 
80  bleibt  nichts  ubrig  als  eine  Nachwirkung  des  Medicaments  anzu- 
nehmen,  wie  sie  aus  der  Praxis  bekannt  ist.  Schon  bei  den  continuir- 
lichen  Arbeiten  wiesen  uns  einige  Zahlen  auf  eine  solche  Nachwirkung 
bin,  und  hier  finden  wir  eine  Bestatigung  derselben.  Diese  Erkennt- 
niss  nothigt  uns,  auch  femerhin  bei  der  Beurtheilung  der  iV-Tage, 
sobald  sie  auf  einen  T-Tag  folgen,  vorsichtig  zu  sein,  und  zeigt  uns 
auch  von  neuem,  wie  schwierig  es  ist,  eine  einwandsfreie  und  alien 
Anforderungen  geniigende  Versuchsanordnung  aufzustellen. 

Das  Ergebniss  der  Betrachtung  der  Mittelzonen.  konnen  wir  also 
in  folgenden  Worten  zusammenfassen:  Im  Verlaufe  der  Versuchs- 
periode  anderte  sich  die  Keactionsweise  in  der  Art,  dass  die  Arbeit 
gleichmaBiger  wurde  unter  gleichzeitiger  Verkiirzung  der  Eeactions- 
zeiten,  was  nach  Wundt  zu  deuten  ist  als  eine  fortschreitende  An- 
naherung  an  die  muskulare  Reactionsform.  Das  Trional  bedingt  im 
Gegentheil  Verlangerung  der  Zeiten  zugleich  mit  zunehmender  Un- 
gleichmaBigkeit. 

Eine  nothwendige  Erganzung  der  bis  jetzt  gewonnenen  Ergeb- 
nisse  bietet  uns  die  Anzahl  der  Fehlreactionen.  Tab.  XV  giebt  die- 
selben  in  Procenten  der  tiberhaupt  ausgefiihrten  Reactionen  wieder. 

Tabelle  XV. 


FehlrMclionen 

'll.XII. 

1    Jv 

12.  XU. 

ro,5 

13.  XII. 

N 

14.  XII. 

ro,5 

'l6.  XII. 

N 

17.  XU. 
T  1,0 

10,85 

18.  XII. 

N 

16,22 

19.  XII. 

ri,o 

17,02 

l.Viertelstde. 

4,87 

6,66 

7,95 

9,43 

16,86 

Rest  d.  Vers. 

7,95 

8,03 

7,57 

7,21 

10,09 

5,69 

10,45 

6,91 

Oanser  Vera. 

T.07 

7,84 

7,56 

7,71 

11,76 

6,86 

11,59 

7,01 

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352  Hans  Haeiiel. 

Vor  allem  fallt  die  ganz  unverhaltnissmaBige  Zunahme  der  Fehl- 
reactionen  in  den  iV-Viertelstunden  auf.  Der  Werth  des  1.  Tages 
steht  ungefahr  auf  der  Hohe,  die  man  bei  andem  Versuchspersonen 
zu  finden  gewohnt  ist,  aber  Zahlen  von  16  nnd  17)|^  sind  fiir  noi^ 
male  Verhaltnisse  eigentlich  nnerhort  Und  doch  zeigt  das  gleich- 
maBige  Ansteigen  und  die  Festigkeit,  mit  der  die  schlieBlich  erreichte 
Hohe  festgehalten  wird  (s.  auch  Tab.  XVI),  dass  wir  es  dabei  nicht 
mit  zufalligen  Verhaltnissen  zu  thun  haben.  Der  Zusammenhang  mit 
den  Reactionszeiten  ist  unverkennbar:  genau  in  dem  MaBe,  wie  diese 
abnebmen,  nehmen  die  Fehlreactionen  zu.  Dies  steht  in  Ueberein- 
stimmung  mit  der  Thatsache,  dass  beim  Uebergange  zur  muskularen 
Reactionsweise  die  Neigung  zu  Fehkeactionen  ebenfalls  ziinimmt. 

Sehen  wir  in  Tab.  XV  die  letzte  Arbeitsstunde  jeden  Tages  an, 
so  stoBen  wir  vorerst  auf  Widerspriiche.  Dass  an  den  ersten  beiden 
Tagen  die  Fehkeactionen  zaMreicher  sind  als  in  den  entsprechenden 
1.  Viertelstundeu,  ist  wohl  aus  der  im  Anfang  uberhaupt  starkeren 
Neigung  zur  Vermehrung  der  Fehkeactionen  zu  erklaren.  Was  ist 
aber  der  Grund  fiir  die  Verminderung  an  den  beiden  letzten  iV-Tagen? 
Wenn,  wie  die  1.  Viertelstunden  lehrten,  die  Verkiirzung  der  Zeiten 
mit  Vermehrung  der  Fehkeactionen  einhergeht,  so  ist  nicht  klar, 
weshalb  dieselbe  Verkiirzung  im  Laufe  jedes  einzehien  Tages  die 
Fehkeactionen  herabsetzen  soil.  Wir  miissen  zur  Erklarung  wohl 
die  Tab.  XVI  (16.  I.  96)  zu  Hiilfe  holen.  Dort  sehen  wk,  dass  im 
Laufe  der  1 .  Stimde  ebenfalls  eine  Verminderimg  der  Fehlreactionen 
eintritt,  dass  aber  spater,  parallel  mit  einer  weiteren  Verkiirzung  der 
Zeiten,  die  Fehkeactionen  schnell  bis  zu  betrachthcher  Hohe  wieder 
zunehmen.  Jene  anfangliche  Verminderung  konnte  bei  unsem  ersten, 
kurzdauemden  Versuchen  allein  zum  Ausdruck  kommen  und  wk  haben 
in  ihr  vielleicht  eine  etwa  der  Anregung  vergleichbare  Wkkung  zu 
erblicken,  die  fiir  kurze  Zeit  Sicherheit  mit  Schnelligkeit  vereinigen 
konnte  und  so  eine  thatsachliche  Verbesserung  der  Leistung  hervor- 
rief.  Sobald  aber  starkere  Ermiidung  eintritt,  —  der  Versuch  am 
16. 1.  96  dauerte  bis  ll.^^Nachts  — ,  lasst  die  Aufmerksamkeit  nach 
und  die  Fehkeactionen  vermehren  sich  wieder  zugleich  mit  der  Ver- 
kikzung  der  Zeiten;  die  Arbeit  wkd  »motorischer«;  die  Wahkeaction 
nahert  sich  immer  mehr  der  einfachen  Reaction,  Vergleichen  wk 
jetzt   die    T-Tage   mit  diesem    Resultate,    so  bieten   sich  uns   keine 


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Die  psychiscbeo  WirkuDgea  des  Trionals.  353 

Schwierigkeiten  mehr;  wir  kommen  jetzt  zu  der  Ueberzeugung,  dass 
die  Zahl  der  Fehler  im  umgekehrten  Verhaltniss  zur  Lange  der 
Reactionszeiten  steht,  und  befinden  uns  damit  in  Uebereinstimmung 
mit  dem,  was  Wundt^)  iiber  das  Verhaltniss  von  sensorieller  nnd 
muskularer  Reaction  gesagt  hat.  Aehnliche  Erfahrungen,  die  auf  eine 
directe  Abhangigkeit  der  Fehlerzahl  von  der  Arbeitsgeschwindigkeit 
hindeuten,  sind  auch  bei  den  Additionsversuchen  von  Rivers 2)  ge- 
macht  worden.  Das  Interessante  bei  uns  ist  nun,  dass  diese  Gesetz- 
maBigkeit  unter  >physiologischen«  wie  unter  »pathologischen«  Ver- 
haltnissen  aufrecht  erhalten  wird.  Halten  wir  die  aus  den  Reactions- 
zeiten, den  Mittelzonen  und  den  Fehlem  gewonnenen  Schliisse  neben 
einander,  so  erhalten  wir  den  Eindruck,  als  ob  die  Trionalwirkung 
darin  besteht,  die  anfangs  vorherrschende  und  im  Laufe  der  Versuchs- 
reihe  aufgegebene  sensorielle  Reactionsweise  wieder  herbeizufiihren. 
Dass  diese  Auffassung  richtig  ist,  wird  durch  die  Versuchsreihe 
bestatigt,  die  wir  im  Januar  zur  Erganzung  und  unter  etwas  veran- 
derten  Bedingungen  anstellten.  Sie  urafasst  3  Tage;  statt  der  opti- 
schen  Reizgebung  wurde  die  akustische  angewandt,  und  da  Herr 
Dr.  Aschaffenburg,  der  bei  diesen  wie  bei  den  folgenden  Re- 
actionen  die  Gute  hatte,  das  Registriren  zu  iibernehmen,  auf  das 
Arbeiten  mit  dem  Lippenschliissel  maximal  eingeiibt  ist,  folgten  die 
einzelnen  Reactionen  viel  schneller  auf  einander;  durchschnittlich 
brauchten  wir  zur  Ausfuhrung  von  100  Reactionen  7V2  Minute.  Die 
Trionalwirkung  wurde  durch  3V2  Stunden  verfolgt;  die  Pausen 
zwischen  je  1 00  Reactionen  betrugen  20  Minuten,  wahrend  derer  jedes- 
mal  ein  Ergographenversuch  ausgefuhrt  wurde.  Das  subjective  Ge- 
f  lihl  der  Anstrengung,  der  geistigen  Anspannung  war  im  allgemeinen 
viel  starker  als  bei  den  ersten  Versuchen  mit  Dr.  Weygandt,  wo 
langsam  gearbeitet  wurde.  In  Tab.  XVI  sind  die  Resultate  wieder- 
gegeben,  berechnet  genau  wie  fiir  die  friiheren  Reactionsversuche. 
Die  Gabe  betrug  am  15.  L  0,5  g,  am  17.  L  1  g.  Der  16.  I.  war 
iV-Tag,  allerdings  nur  in  dem  oben  besprochenen,  beschrankten  Sinne. 


1)  a.  a.  0.  S.  309f. 

2)  Diese  Arbeiten.  I.  S.  657  fl. 


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354 


Hans  Uaenel. 
Tabelle  XVI. 


Stellungsmittel  aus  je  100  Reactionen 

15.1.  ro,5 

420 

♦468 

502 

548 

500 

502 

453 

411 

16. 1.  iV^ 

371 

325 

329 

335 

361 

355 

322 

330 

17. 1.  T  1,0 

361 

1 

♦377 

430 

442    [    482 

492 

510 

509 

Mittelzonen 

T 

105 

♦117 

113 

110 

100 

85 

101 

108 

N 

82 

69 

66 

79     j     65 

42 

92 

85 

T 

65     j  ^68 

77 

88     j     76 

68 

80 

75 

FeUreactionen  in  %. 

ill 

T 

14,0 

♦9,0 

9,83 

8,79 

12,0 

7,98 

8,90 

12,96 

10,43 

y 

14,0 

14,96 

11,0 

10,95 

15,0 

18,92 

15,0 

20,0 

14,97 

T 

12,0 

♦6,0 

9,0 

7,0 

5,0 

5,0 

8,0       12,0 

8,0 

Alle  die  besprochenen  Verhaltnisse  kommen  hier  sehr  klar  zum 
Ausdruck.  Wie  in  der  ersten  Versuchsreihe  nehmen  die  Reactions- 
zeiten  und  Mittelzonen  der  1.  Viertelstunden  ab,  ein  Beweis,  dass 
auch  hier  wieder  die  Neigung  sich  geltend  macht,  die  motorische 
Reactionsweise  zu  bevorzugen.  Und  was  die  iV-Viertelstunden  zeigen, 
zeigt  ebenso  der  ganze  iV-Tag  fiir  sich,  ein  Beweis,  dass  die  etwaige 
Nachwirkung  des  Trionals  jedenf  alls  nnr  unbedeutend  gewesen  sein  kann 
und  den  Verlauf  der  iV-Tage  nicht  wesentlich  gestort  hat.  Die  hohen 
Werthe.  der  Mittelzonen  in  den  beiden  letzten  Versuchen  des  A-Tages 
konnen  wohl  als  ein  Zeichen  beginnender  Ermiidung  gedeutet  werden; 
sie  fallen  beide  schon  in  die  spatere  Nachtstunde,  !!.*<>  und  1 1.^**  Uhr. 
Die  Ermiidung  verschlechtert  also,  wie  auch  das  Verhalten  der  Fehl- 
reactionen  deutlich  zeigt,  zuerst  die  Qualitat  der  Arbeit,  wahrend  die 
Geschwindigkeit  noch  unbeeinflusst  ist.  Auch  die  Trionalwirkung 
verlauft    in   derselben   Weise    wie   bei    den    ersten   Versuchen;    die 


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Die  psychischen  Wirkuugen  des  Trionals.  355 

Verlangerung  der  Zeiten,  die  Zunahme  der  Mittelzonen,  die  Vermin- 
derung  der  Fehlreactionen  ist  auf  den  ersten  Blick  deutlich;  der 
15. 1,  zeigt  auBerdem,  dass  die  Wirkung  der  kleinen  0,5  g-Gabe.nach 
etwa  2Y2  Stunden  nachzulassen  beginnt,  der  17.  L,  dass  die  groBere 
Gabe  die  Arbeit  bis  zum  Schlusse  in  steigendem  MaBe  beeinflusst. 
Das  Verhalten  der  Fehli'eactionen  am  letzten  Tage,  die  sich  erst 
ungefahr  proportional  der  Zeitvedangerung  vermindem,  gegen  den 
Schluss  aber  wieder  zunehmen,  zeigt,  dass  der  oben  auf gestellte  Satz : 
lange  Reactionszeiten  —  wenige  Fehler,  bei  vorgeschrittener  Ermiidung 
seine  Gultigkeit  verliert. 

Die  Uebereinstimmung  der  aus  der  3-tagigen  Reihe  gewonnenen 
SchlUsse  mit  denen  der  8-tagigen  beweist  uns,  dass  trotz  der  un- 
giinstigeren  auBeren  Bedingungen  die  letzteren  doch  Anspruch  auf 
Zuverlassigkeit  erheben  konnen.  Auf  fallen  konnte  nur  der  XJmstand, 
dass  die  Reactionszeiten  im  allgemeinen  beim  3-tagigen  Versuche 
langer  sind  als  beim  8-tagigen.  Ob  wir  die  Ursache  dazu  in  der 
Aenderung  des  Reizes  oder  in  der  schnelleren  Aufeinanderfolge  der 
einzelnen  Reactionen  oder  in  einem  andem  Umstande  zu  suchen 
haben,  ist  nach  dem  vorliegenden  Material  nicht  zu  entscheiden; 
schon  bei  dem  Wechsel  des  Registrirenden  hat  man  ofters  eine  Ver- 
schiebung  aller  Zeiten  nach  oben  oder  unten  beobachtet.  Jedenfalls 
wird  die  Uebereinstimmung  der  3  Tage  unter  einander  wie  mit  den 
Decemberversuchen  dadurch  nicht  beeintrachtigt. 


V.  Ergographenversaclie. 

Zur  Priif ung  einer  rein  muskularen  Arbeit  stellten  wir  eine  Reihe 
von  Ergographenversuchen  an,  wobei  wir  den  durch  die  Versuche  von 
Hoch*)  bewahrten  und  in  seiner  Arbeit  beschriebenen  Apparat  an- 
wendeten.  Es  wurden  3  Versuchsreihen  ausgefiihrt,  2  zweitagige  und 
1  viertagige.  Zwischen  je  zwei  Versuchen  wurden  langere  Pausen 
eingeschoben,  die  3  mal  V2  Stunde,  1  mal  ^4  Stunde,  4  mal  1  Stunde 
betrugen  imd  theils  mit  Wahl-,  theils  mit  Associationsreactionen  aus- 
gefiillt  waren.  Durch  diese  Pausen  wurde  zwar  das  Auftreten  star- 
kerer  Ermiidungserscheinungen  vermindert,  aber  eben  dadurch  auch 


1)  Diese  Arbeiten.  I.  S.  380  ff. 


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356 


Hans  HaeneU 


das  Studium  derselben  erschwert.  Auch  die  Verschiedenheit  der 
Pausen  beeintrachtigt  die  Vergleichbarkeit  der  Curven  unter  einander 
in  unwillkommener  Weise.  Diese  auBeren  Bedingungen  werden  also 
bei  unseren  Zahlen  zu  beriicksichtigen  sein.  Tab.  XVli  giebt  die 
Leistungen  jedes  Tages  in  mm  wieder.  Da  das  gehobene  Gewicht 
stets  das  gleiche  war  (5  kg),  ebenso  das  ZeitmaB  der  Hubbewegungen 
1  Sec),  so  geniigt  zur  Angabe  der  Arbeitsleistung  die  Hohe,  bis  zu 
der  das  Gewicht  in  jedem  Versuch  gehoben  wurde. 

Tabelle  XVH. 


Tag: 

16.1. 

17.1. 

29.1. 

30.1. 

31.1.  l.Il. 

13.11. 

14.  U. 

Dosis: 

N 

T1,0 
30' 

N 

ro,5 

N     r  1,0 

N 

r2,o 

Pause : 

30' 

60' 

60' 

60' 

60' 

30' 

45' 

815 

1013 

1394   1156 

1190 

1277 

1308 

1334 

763 

♦985 

1   ♦ 
1 

* 

1385 

♦1451 
1325 

739 

699 

1330 

1197 

1170 

955 

1247 
1246 

525 

862 

1207 
1112 

334 

602 

1248  :  1110 

1156 

1172 

945 

286 

682 

' 

688 

435 

855 

1278   1160 

1136 

1141 



459 

459 

1 

Unverkennbar  ist  bei  Betrachtung  der  Anfangsleistungen  ein  fort- 
schreitender  Uebungszuwachs,  wobei  auffallt,  dass  die  beiden  12-ta- 
gigen  Pausen  gar  keinen  Verlust  bewirkt  haben ;  die  einmal  erworbene 
Uebung  muss  also  bei  dieser  Arbeit  eine  auBerordentlich  feste  sein. 
Fiir  die  hohe  Anfangsleistung  des  29. 1.,  die  von  einer  ebenso  un- 
gewohnlichen  Durchschnittsleistung  gefolgt  wird,  ist  ein  Grund  viel- 
leicht  im  ProtokoU  zu  finden.  Der  Apparat,  der  wegen  einer  Re- 
paratur  entfemt  worden  war,  musste  vor  Beginn  des  Versuchs  mit 
Nageln  und  Schrauben  auf  dem  Tische  wieder  befestigt  werden,  was 


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Die  psychischen  Wirkungea  des  Trioiials.  357 

eine  ziemlich  umstandliche  und  anstrengende  Arbeit  erforderte.  Mog- 
lich,  dass  ich  dadurch  in  eine  Art  »Bettmann'8chen  Zustand* 
gerieth  und  dass  der  kurz  darauf  folgende  Versuch  nnter  dem  Einflusse 
erhohter  psychomotorischer  Erregbarkeit  gestanden  hat.  Wie  weit  die 
durch  die  Verzogerung  verursachte  argerliche  Erregung  beim  Zustande- 
kommen  dieser  Anfangsleistung  mitgewirkt  hat,  entzieht  sich  nnserer 
Benrtheilung. 

WoUen  wir  auf  eine  Bestimmung  des  Trionaleinflusses  eingehen, 
so  ist  dies  bei  der  UngleichmaBigkeit  der  Versuchsreihe  nnr  moglich 
dnrch  die  Vergleichnng  solcher  Tage,  die  unter  denselben  Versuchs- 
bedingungen  standen.  Deshalb  miissen  der  16.  und  17.1.  gesondert 
vom  29.  I. — 1.  n.  betrachtet  werden,  und  der  13.  und  14.  11.  sind  fiir 
diesen  Zweck  unbrauchbar.  Die  ersten  beiden  Tage  zeigen  eine  trotz 
ViStundiger  Pausen  ziemlich  starke  Abnahme  der  Leistungen,  die 
am  iV-Tage  annahemd  gleichmaBig  erfolgt,  am  T-Tage  einige  Unter- 
brechungen  aufweist.  Fiir  die  GroBe  des  Verlustes  bietet  einen  MaB- 
stab  die  Differenz  zwischen  der  Anfangsleistung  und  dem  Durchschnitt 
der  folgenden;  dieselbe  betragt  fiir  den  iV-Tag  —  309,  fiir  den 
T-Tag  —  278.  Der  Unterschied  von  31  mm  ist  so  gering,  dass  man 
einen  deutlichen  Trionaleinfluss  darin  nicht  erkennen  kann.  In  der 
zweiten  4-tagigen  Gruppe  sehen  wir  zunachst,  dass  durch  eine  Pause 
von  1  Stunde  die  Ermiidung  ziemlich  vollstandig  aufgehoben  wird. 
Am  29.  I.  haben  wohl  die  Einflusse,  welche  die  Anfangsleistung  er- 
hohten,  im  Laufe  des  Versuchs  nachgelassen,  und  dadurch  durfte  das 
Sinken  der  folgenden  Curven  veranlasst  sein.  Die  beiden  T-Tage  zeigen 
ein  entgegengesetztes  Verhalten:  am  30.  I  eine  Zunahme,  am  1.  11. 
eine  Abnahme  der  Arbeitsleistung;  da  wir  diesen  verschiedenen  Aus- 
fall  nicht  gut  auf  eine  Ursache,  das  Trional,  zuriickfiihren  konnen, 
80  miissen  wir  annehmen,  dass  hier  andere,  unserer  Beobachtung  sich 
entziehende  Ursachen  eingewirkt  haben.  Fiir  die  Abnahme  des  1.  11. 
ist  es  vielleicht  von  Bedeutung,  dass  das  Protokoll  an  diesem  Tage 
verzeichnet:  etwas  Kopfweh,  geringe  Magenverstimmung. 

Ebensowenig  wie  aus  den  Gesammtleistungen  eine  Trionalwir- 
kung  ersichtlich  wird,  ist  dies  der  Fall  bei  Betrachtung  der  Hub- 
zahlen  in  Tab.  XVm. 


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358 


HaDS  lUeoel. 
Tabelle  XVm. 


16.1. 
N 
30' 

17.1. 
Tifi 

30'  J 

29.1. 
N 
60' 

30.1. 

ro,5 

60' 

31.1. 

N 
60' 

l.II. 

ri,o 

60' 

13.  n. 

N 

30' 

i 

14. 11. 

r2,o 

45' 

35 

46 

45 

46 

44 

46 

41 

41 

35 

♦46 

« 

1   * 

48 

*43 

29 

30 

45 

44 

44 

46 

46 

44 

25 

44 

43 

46 

16 

28 

48 

40 

45 

44 

35 

43 

15 

38 

26 

18 

40 

47 

44 

39 

46 

19 

23 

Eine  GesetzmaBigkeit  i3t  nicht  aufzufinden.  Die  Anf angsleistungen 
halten  sich,  abgesehen  vom  1.  Tage,  ungefahr  auf  gleicher  Hohe;  die 
Hubzahl  ist  also  der  Uebung  bei  uns  so  gut  wie  nicht  zuganglich. 
Die  ersten  beiden  Tage  zeigen,  entsprechend  dem  Verhalten  der 
Arbeitsleistung,  wegen  der  nur  1/2  stundigen  Pause  einen  deutlichen  Er- 
miidungsverlust,  der  in  der  zweiten  Gruppe  mit  den  1  stundigen  Pausen 
fehlt  und  am  13.  11.  erst  ziemlich  spat  eintritt.  Die  T-Tage  zeigen 
so  unbedeutende  und  unregelmaBige  Abweichungen  von  den  iV-Tagen, 
dass  darin  eine  Arzneiwirkung  nicht  erblickt  werden  kann.  Wir 
konnen  daher  das  Ergebniss  dahin  zusammenf assen :  die  Hubzahl  ist 
bei  uns  der  Uebung  in  sehr  geringem,  der  Ermiidung  in  hoherem 
Grade  zuganglich,  bleibt  aber  durch  Trional  unbeeinflusst. 

Der  dritte  Factor,  der  bei  der  Beurtheilung  der  Ergographen- 
versuche  in  Betracht  kommt,  ist  die  HubgroBe,  d.  h.  die  Ausgiebigkeit 
jeder  Contraction  in  cm.  Sie  ist  zu  berechnen  aus  dem  Verh^ltniss 
der  Gesammtleistung  zur  Hubzahl. 


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Die  psycbisehen  Wirkongen  des  Trionals. 
Tabelle  XIX. 


359 


16.1. 
N 
30' 

17.1. 

ri,o 

30' 

29.1. 

iV 
60' 

30.1. 

ro,5 

60' 

31.1. 

N 
60' 

l.U. 

ri,o 

60' 

13.11. 

N 
30' 

14.11. 

T2fi 

45' 

23,3 

24,2 

30,9 

25,2 

27,1 

27,7 

31,9 

32,8 

21,8 

♦21,4 

* 

4> 

28,8 

♦33,7 

25,5 

23,3 

29,8 

27,2 

26,6 

20,7 

27,1 

30,1 

21,0 

19,6 

28,9 

26,2 

20,9 

21,5! 

26,0 

27,7 

25,7 

26,6 

27,0 

25,8 

19,1 

17,9 

26,5 

24,2 

21,2  1 

27,2 

26,4 

29,1 

24,7 

24,2 

19.9 

ii 

Es  zeigt  sich,  dass  die  Zunahme  der  Gesammtleistung,  wie  sie 
Tab.  XVII  wiedergiebt,  fast  ausschlieBlich  gewonnen  ist  durch  ein 
aUmahliches  Anwachsen  der  HubgroBen.  Die  Zunahme  der  Anfangs- 
leistungen  ist  eine  constante  —  abgesehen  vom  29.  I.  — ,  wahrend 
im  Verlaufe  jedes  iV-Tages  die  Ermiidung  in  den  Vordergrund  tritt. 
Die  Endwerthe  am  16.  und  31.  L  durften  vielleicht  das  Eingreifen 
eines  Schlussantriebes  ausdriicken.  Von  einer  deutlichen  Trionalwir- 
kung  ist  auch  hier  nichts  zu  merken. 

Um  zu  sehen,  ob  imd  wie  etwa  der  Ablauf  jeder  einzelnen  Curve 
beeinflusst  wurde,  theilten  wir  jede  in  2  Halften  und  verglichen  die 
HubgroBen  erst  der  ersten  und  dann  der  zweiten  Curvenhalften  an  A- 
und  T-Tagen.  Doch  lieBen  sich  auch  hierbei  keine  einheitlichen  Ge- 
sichtspunkte  herausfinden.  SchlieBlich  sei  noch  darauf  hingewiesen, 
dass  die  Einflusse  von  Uebung  und  Ermiidung  sich  bei  uns  in  anderer 
Weise  wirksam  erwiesen  haben,  als  bei  friiheren  Versuchen.  Aus 
den  Hoch'schen  Ergographenversuchen  war  der  Satz  abgeleitet 
worden,  dass  die  Uebung  vor  allem  die  Hubzahl  vergroBert  und  die 
Ermiidung  in  erster  Linie  die  HubgroBe  herabsetzt  ^).     Bei  uns  hat 


1)  Diese  ArbeiteD.  I.  S.  474. 


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360 


Hans  UieneU 


sich  nun  zwar  auch  ergeben,  dass  die  gleichen  Ursachen,  —  Er- 
miidnng  und  Uebung,  —  auf  Hubzahl  und  -groBe  verschieden  wirken; 
doch  erzeugtdie  Uebung  eine  entschiedene  Zunahme  der  HubgroBe, 
wahrend  fur  die  Ermiidung  eher  die  Hubzahlen  die  groBere  Empfind- 
lichkeit  zeigen.  Wir  haben  darin  wohl  nur  eine  personliche  Eigen- 
thiimlichkeit  zu  erblicken.  Als  Ergebniss  der  Ergographenversuche 
steht  also  so  viel  fest,  dass  die  Muskelkraft  durch  Trional  nicht  be- 
einflusst  wird. 


VI.  Schreibversnche. 

Zur  Erganzung  der  Ergographenversuche  sei  hier  noch  eine 
kiirzere  Reihe  von  Versuchen  besprochen,  die  auch  eine  motorische 
Thatigkeit  zum  Ausgangspunkt  batten.  Es  wurden  mit  moglichster 
Geschwindigkeit  die  Buchstaben  des  kleinen  lateinischen  Alphabets 
aufgeschrieben  und  jedesmal,  wie  beim  Lemen,  der  Zeitraum  von 
5  Minuten  markirt.  Wir  beabsichtigten  damit  einmal,  die  Muskel- 
kraft auf  eine  andere  Art  noch  zu  priifen;  dann  aber  woUten  wir 
uns  besonders  auch  ein  Urtheil  bilden  iiber  eine  etwaige  Beeinflussung 
der  Coordination  von  feineren  Bewegungen.  Es  wurde  jedesmal  eine 
iV-Viertelstunde  vorausgeschickt;  dann  folgte  eine  Pause  von  25  Mi- 
nuten, in  der  das  Mittel  genommen  wurde;  nach  V4  8tUndiger  Arbeit 
wurde  wieder  eine  Pause  von  25  Minuten  gemacht,  dann  noch 
1 0  Minuten  geschrieben.  Die  Trionalwirkung  wurde  somit  1 V2  Stunden 
lang  verfolgt.     Tab.  XX  giebt  5  Minuten-Leistungen. 

Tabelle  XX. 


3.m. 

N 

506 

1 
550  508 

616 

605 

575 

1 
549  1  533 

554 

544 

528 

549  1  526 

574 

4.  in. 
ri,og 

1621 

i   '1 

616,608  ,*61 8 

1    1' 

582 

560 

560  560 

527 

519 

514 

524 

1 
560 

526 

20.  III. 

N 

650 

625,671  697 

628 

601 

657  1  623 

624 
617 

647 

609 

612 

607 

628 

21.  m. 
ri,og 

702 

1 

641  658  >653 

1    ' 

626 

660 

627  '  613 

660 

602 

580  B46 

583 

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Die  psychischen  Wirkongen  des  Trionals.  361 

Vor  allem  erhellt  hierbei  aus  den  ersten  Viertelstunden  eine 
Thatsache,  die  nach  den  Ergebnissen  vieler  friiheren  Versuche  jiicht 
mehr  uberraschen  kann:  das  Schreiben  gehort  nicht  zu  den  maximal 
geubten  Thatigkeiten,  sondem  ist  dem  Einflusse  der  Uebung  in  ziemlich 
betrachtlichem  MaBe  zugS,nglich.  Der  Uebungscoefficient,  genau  wie 
oben  beim  Addiren  und  Lemen  aus  den  1 .  Viertelstunden  berechnet, 
betragt  1,82^,  ist  also  nur  wenig  kleiner  als  bei  jenen  Priifungs- 
arbeiten.  Die  iV-Tage  geben  ein  gutes  Bild  von  der  Wirkungsweise  der 
Ursachen,  denen  man  nach  dem  heutigen  Stande  der  Kenntnisse  einen 
Einfluss  auf  die  Arbeitscurve  zuschreibt.  Die  Uebung  erwahnten  wir 
soeben;  die  Ermiidung  macht  sich  im  Laufe  der  ^/^stiindigen  ununter- 
brochenen  Arbeit  deutlich  geltend.  Eine  Wirkung  des  Antriebes 
konnen  wir  vielleicht  in  den  hoheren  Anfangswerthen  der  3  letzten 
Tage  erkennen.  Interessant  ist  die  Wirkung  der  beiden  Pausen.  Die 
erste  von  25  Minuten  Dauer  ist  von  entschieden  giinstiger  Wirkung; 
die  ihr  folgende  Leistung  steht  durchschnittlich  um  67  Buchstaben 
hoher  aJs  die  vorhergehende.  Die  giinstigen  Einflusse,  Ausgleich  der 
Ermiidung,  Fortbestehen  der  Uebung,  haben  also  die  ungiinstigen, 
vor  allem  den  Verlust  der  Anregung,  mehr  als  aufgewogen.  Die 
zweite  Pause  von  15  Minuten  hat  die  umgekehrte  Wirkung  gehabt. 
Hier  steht  die  folgende  Leistung  um  durchschnittlich  14  Buchstaben 
tiefer;  die  Pause  reichte  also  nicht  bin,  die  Ermiidungswirkungen 
wieder  auszugleichen.  Dies  wiirde  aber  nur  ein  Stehenbleiben  auf  der 
Leistungshohe  vor  der  Pause  erklaren;  die  Verschlechterung  miissen 
wir  auf  den  Verlust  der  Anregung  zuriickfiihren,  da  ein  so  erheblicher 
Uebungsverlust  im  Hinblicke  auf  die  Anfangsleistung  des  folgenden 
Tages  unwahrscheinlich  wird.  Die  hohen  Endleistungen  der  iV-Tage 
diirfen  wir  wohl  als  eine  Wirkung  des  Schlussantriebs  betrachten. 
Die  Trionaltage  weisen  eine  gewisse  Verschiebung  dieser  Verhaltnisse 
auf.  Vor  allem  ist  die  giinstige  Wirkung  der  ersten  Pause  fast 
vollig  auf gehoben ;  die  Zunahme  nach  derselben  betragt  durchschnitt- 
lich nur  noch  2,5  statt  67  an  den  iV-Tagen.  Hier  haben  wir  also 
zweifellos  eine  Trionalwirkung  vor  uns,  und  auch  die  starkere  Ab- 
nahme  der  Leistungen  in  den  folgenden  3  Viertelstunden  deutet  auf 
eine  solche  bin.  Auff alHg  ist  dagegen  die  Wirkung  der  zweiten  Pause. 
Statt  der  Abnahme  von  14  an  den  A^-Tagen  sehen  wir  hier  eine 
Zunahme    von    durchschnitthch    55  Buchstaben.      Dies    ist   nur   zu 


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362  Hans  Uaenel. 

erklaren  durch  ein  Nachlassen  der  Trionalwirkung;  da  diirch  sie  die 
Leistung  vor  der  Pause  sehr  tief  herabgesetzt  worden  war,  so  ist 
wohl  begreiflich,  dass  mit  dem  Schwinden  der  Wirkung  und  mit  der 
Erholung  durch  die  Pause  die  Leistung  wieder  zunehmen  kann.  Die 
Ergebnisse  der  friiheren  continuirlichen  Arbeiten  bestatigen  ja  auch, 
dass  die  Wirkung  des  Trionals  nach  etwa  1  Stunde  nachzulassen 
beginnt.  Ein  Schlussantrieb  fehlt  an  den  T-Tagen.  —  Eine  Folge- 
rung  konnen  wir  an  das  erhaltene  Ergebniss  kniipfen:  wir  thaten  recht 
daran,  bei  den  Additionen  auf  das  Niederschreiben  aller  Einzelsummen 
zu  verzichten;  die  Eindeutigkeit  jener  Versuche  ware  durch  die  Be- 
einflussung  des  Schreibens  neben  derjenigen  der  Addirarbeit  stark  in 
Frage  gestellt  worden. 

VII.  Leseversache. 

Nach  den  zuletzt  beschriebenen  Versuchen  hauptsachlich  mo- 
torischer  Art  kam  es  uns  darauf  an,  eine  psychische  Leistung 
zu  untersuchen,  bei  der  auf  der  Auffassung  das  Hauptgewicht 
liegt.  Die  von  Cron^)  zuerst  angestellten  Leseversuche  am  Kymo- 
graphion  gaben  uns  ein  Mttel  dazu  an  die  Hand.  Die  Versuchs- 
anordnung  bUeb  genau  dieselbe,  wie  sie  dort  beschrieben  worden  ist 
Die  Fehler  wurden  eingetheilt  in  Auslassungen  und  in  falsch  ge- 
lesene  Worte,  von  denen  die  kleine  Gruppe  der  sinnlosen  Worte 
abgetrennt  wurde.  Es  kam  auch  vor,  dass  ein  Wort  falsch  gelesen, 
aber  gleich  darauf,  nachdem  es  schon  wieder  verschwunden  war,  ver- 
bessert  wurde.  Dies  kam  auf  zweierlei  Art  zu  Stande:  Entweder 
wurde  nach  dem  Fehler,  der  mir  fast  immer  bewusst  wurde,  das 
Nachbild  im  Auge  oder  Centralorgan  zur  Controle  herangezogen 
und  gleichsam  noch  einmal  in  anderer  Form  abgelesen,  oder  es  lag 
ein  vorzeitiges  Aussprechen  vor.  Da  bei  dem  Voriiberziehen  des 
Wortes  meist  nur  Zeit  ist,  die  auffallendsten  Buchstaben  wirklich  zu 
erkennen,  wahrend  das  Uebrige  dazu  erganzt  wird,  so  liegt  beim  Fehlen 
eines  sinnvollen  Zusammenhanges  oft  die  Moglichkeit  mehrerer  Er- 
g^nzungen  vor.  Nun  kommt  aber  durch  das  gleichmaBige  ZeitmaB 
der  Wortbewegung  auch  in  die  Auslosung  der  Sprachbewegungen  ein 


1)  Diese  Arbeiten.  II.  S.  203. 


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Die  psychischeD  Wirkungen  des  TrioDftls.  363 

so  gleichinS.Biger  Rbythnms,  dass  oft  ein  Wort  wider  Willen  ttod 
wider  bessere  Erkeniytni&d  tlber  die  Zxmge  gebt;  der  erste  ojytiscfae 
AnstoB  geniigt  zur  Auslosuiig  der  Spnachbewegmig,  ehe  das  eigent* 
Mche  Verstandniss,  die  Prttfung  des  gesehenen  WortbiWes  aiif  seineu 
Sinn  voUendet  isl.  Beide  Entstehnngsweisen  von  FeWern  iaaieii 
mir  deutlich  zvm  Bewnsstsein;  die  letetere  war  wohl  die  haufigere. 
Bei  den  Auslassungen  kann  es  sich  ebenfatis  um  zwcierlei  Vor- 
^toge  handeln:  cntwedet  wurde  das  Bild  liberhanpt  mcht  aufgfefasst 
(Lidschluss,  Verschwimmen  der  Bticbetaben,  mangelhaftes  Fixiren  durcb 
Ikmiidnng  der  Augennmskeln);  oder  es  wurden  zwar  eiirige  Buch- 
stabeo  erkannt,  die  Ergfanzung  aber  nicht  mehr  ausgefiihrt.  In  diesem 
Palle  kam  e»  dami  ein  paatmal  vor,  dass  mtr  die  gesehenen  Bach- 
staben  genannt  wtrrden  (statt  MaBstab-— Mess,  Knppei — Kapp,  Product 
— odr),  oder  ich  schwieg,  obwohl  icb  im  Gesichtsfeld  etwas  ertannt 
hatte.  Ueberwiegend  war  bier  die  erste  Art  der  Entstehung^  das 
Versagen  des  Anges,  docb  war  es  naturiich  nicbt  moglich,  im  Einzel* 
falle  wabrend  des  Versucbs  die  Eatsuheidung  darUber  zn  fillen  und 
aufzHscbreiben.  Welcbe  Rolle  bei  diesen  Versuchen  die  rhythmische 
motorische  Tbatigkeii  des  Aussprecbens  spielte,  wird  auch  durch  die 
sinnlosen  Worte  dargethan:  das  Wortbild  ist  nicht  richtig  erkansii 
oder  gedeutet  worden;  statt  dass  nun  aber  nichts  oder  nur  der  wirk- 
lich  aufgefasste  Theil  wiedergegeben  wird,  entsteht  ein  Wort,  welches 
nur  einen  sehr  lockeren  oder  gar  keinen  ^usammenhang  mit  dem  fi-eiz- 
worte  hat  ObwoW  im  selben  Augenblicke  die  Ueberlegung  ganz 
deutlich  dem  ausgesprochenen  Worte  widerspricht,  obwohl  ich  ganz 
genau  weiB,  dass  das  Wort  so  nieht  lauten  kann,  geht  trotzdem  das 
Aussprechen  vor  sdch.  Das  Lesen  ist  zum  einf achen  Reflexe  geworden, 
und  von  einer  eigenftlichen  Erkennung  kann  wohl  nicht  mehr  ge- 
sprochen  werden.  Der  Vorgang  ist  ahnlich  dem,  den  man  beim 
XJebergang  von  der  sensorischen  zur  motorischen  Reactionsweise  bei 
Wahlreactionen  beobachten  kann.  Beispiele  hierfiir  sind:  Statt  Ge- 
schaft — Polg,  Entwurl— zierKch,  Fenster — Zeuster,  Nahe— Nachtigall, 
Hofraum — Versuch.  Vielleicht  spielt  in  solchen  Fallen  der  Einfluss 
friiherer  Worte  mit  hinein,  indem  die  Erinnerung  daran  plotzlich 
aufgeweckt  wird,  oder  auch  eine  Associationsreihe,  die  sich  an  ein 
Wort  angeknlipft  hatte,  aber  unter  der  Schwelle  des  Bewusstseins 
geblieben  war,  unterbrochen  wird  und  nun  mit  dem  eben  vorliegenden 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiton.  U.  24 


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364 


Haos  Uaenel. 


Gliede  zu  Tage  tritt.  Ein  Beweis  fiir  diese  Entstehungsweise  lieB 
sich  allerdings  nachtraglich  nicht  beibringen;  doch  wird  die  Moglich- 
keit  derselben  zugegeben  werden  miissen,  besonders  da  uns  auB  dem 
taglichen  Leben  ahnliche  Vorkommnisse  bekannt  sind.  Beispiele  ftir 
das  Verlesen  oder  vielmehr  die  falsche  Erganzung  der  erkannten 
Buchstaben  sind:  statt  Segnung — Seegang,  Fessel — Scheffel,  Erfolg — 
Ersatz,  Mond— Nord,  Psalm — Pfriem  u.  a.  m.  In  alien  diesen  Bei- 
spielen  ist  die  Vermischnng  illusionarer  Vorgange  mit  dem  Erkennungs- 
act  unverkennbar,  nnd  je  nnvollkommener  dieser  letztere  ist,  um  so 
mehr  Spielraum  werden  jene  haben.  Demnach  konnen  wir  bei  der 
Entstehung  aller  Fehler  3  Falle  unterscheiden :  1.  richtig,  2.  fakch, 
3.  gar  nicht  erkannt,  und  dazu  3  Unterfalle:  a.  richtig,  b.  falsch, 
c.  gar  nicht  ausgesprochene  Worter.  In  den  Verbindungen  dieser 
6  Falle  sind  alle  Fehlerarten  enthalten. 

Es  wurde  an  3  Abenden  experimentirt;  jedesmal  wnrde  erst  die 
Trommel  mit  den  einsilbigen  und  gleich  darauf  die  mit  den  zwei- 
silbigen  Worten  gelesen.  Die  Expositionszeit  fiir  jedes  Wort  betrug 
ca.  •  750  a.  An  jedem  Abende  warden  5  Versuche  in  ^4  stUndigen 
Pausen  gemacht.  Tab.  XXI  giebt  die  Zahl  der  Fehler  jeder  Art 
wieder. 

Tabelle  XXI. 


11.11.96  N 

12.11.96  ri,og 

14.11.96  r2,0g 

Einsilbige  Worte 

ausgelassen 

— 

1 

— 

1 

1 

— 

1 

4 

13 

11 

— 

1 

19 

25 

41 

falsch 

5 

7 

3|    9 

7 

1 

5 

15 

27 

37 
5 

16 

1 

14 
3 

40 

7 

48 

1 

43 
5 

sinnlos 

2 

— 

2 

— 

1 



2 

5 

yerbessert 

1 

3 

6 

' 

6 

2 

3 
♦9 

2 
23 

6 
51 

3 

— 

2 

1 

2 

4 

Summa 

1    8 

11 

9 

17 

14 

4 

56 

17 

•20 

67 

76 

93 

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Die  psyehischen  VVirkungen  des  Trionals. 


365 


11.11.96  ^ 

12. 11. 

96 

Tlfig 

14.  II, 

96 

T2fig 

Zweisilbige  Worte 

ausgelassen 

4 

— 

1 

1 

— 

— 

1 

7 

9 

19 

1 

3 

13 

26 

33 

falBch 

5 

4 

4 

1 

4 

1 

9 

14 

16 

32 

6 

17 

22 

33 

31 

sinolos 

— 

— 

— 

1 

2 

1 

2 

4 

3 

2 

— 

1 

2 

4 

6 

verbessert 

4 

3 

4 

1 

5 

5 

2 

3 

4 

— 

7 

1 

3 

2 

3 
73 

Siunma 

13 

7 

9 

4 

11 

7 

♦14 

28 

32 

53 

♦22 

40 

65 

Vorerst  lehrt  uns  diese  Tabelle,  dass  die  physiologische  Ermiidung 
der  Sicherheit  des  Lesens  nur  wenig  Abbruch  thut.  Nehmen  wir  die 
ein-  und  zweisilbigen  Worte  des  iV-Tages  zusammen,  so  verhalt  sich  die 
Fehlerzahl  des  ersten  Versuchs  zum  letzten  um  IPs  Uhr  wie  100: 109. 
Die  zweisilbigen  Worte  haben  ein  besseres  Resultat  ergeben,  obwohl 
sie  nach  ihrer  Stellung  im  Vearsuche  unter  schlechteren  Verhaltnissen 
standen.  Ihnen  ging  regelmaBig  das  Ablesen  der  einsilbigen  Trommel 
direct  vorauf ;  auBerdem  wurde  in  dem  nur  4  mm  breiten  Spalte  fast 
nie  das  ganze  zweisilbige  Wort  auf  einmal  sichtbar;  der  Anfangs- 
buchstabe  war  schon  wieder  verschwunden,  ehe  der  Schluss  anftauchte. 
Wenn  die  zweisilbigen  Worte  trotzdem  auch  an  den  T-Tagen  ein 
besseres  Ergebniss  lieferten,  so  Uegt  das  wohl  daran,  dass  sie  durch 
die  groBere  Buchstabenzahl  mehr  Anhaltspunkte  zur  Erganzung  bieten 
und  damit  die  Zahl  der  moglichen  sinnvollen  Erganzungen  beschrankt 
wird.  Ein  Beispiel:  Fiir  Stroh  wurde  gelesen:  Stark,  Strunk,  Kohl, 
Spatz,  Stuck,  fiir  Verlauf  nur  einmal  Verlag,  fiir  Neubau  nur  Umbau, 
fur  Erwerb — Gewerbe  und  Erfurt. 

Ein  Blick  auf  die  T-Tage  in  Tab.  XXI  lehrt  sofort  das  Vor- 
handensein  einer  starken  Trionalwirkung.  Im  zweiten  Versuche  jedes 
T-Tages,  der  20  Minuten  nach  dem  Einnehmen  des  Mittels  angestelit 
wurde,  ist  die  Zunahme  der  Fehler  noch  nicht  sehr  auffallend;  sie 
steigen  aber  bei  jedem  folgenden  Versuche  rasch  an,  bis  sie  zum 
Schluss  des  letzten  Tages  die  fiir  normale  Verhaltnisse  unerhorte  Hohe 
von  33,8^  erreicht  haben.  Dieser  Erfolg  ist  um  so  bedeutungsvoUer, 
als   das  Lesen   am   Kymographion   fiir   gewohnhch   zu   den   gleich- 

24* 


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366 


Hans  tUenol* 


maBigsten  der  psychologischen  Experimentalarbeiten  gehort.  Es 
bangt  dies  wohl  mit  der  dabei  eingebftltenen  Yersuchsanordmimg 
zusammen.  Cattell')  fand  in  seinen  auf  die  Erkennungszeit  ge- 
richtcten  Untersuchungen,  dass  dieselbe  fur  ein  kleingedrucktes  Wort 
in  deutschen  Lettem  durchsehnittlich  400  a  betragt.  Da  bei  una  die 
Expositionszeit  wie  erwahnt,  etwa  750  a  betanig,  so  haben  wir  darin 
den  Schlussel  fiir  die  GleicbmaBigkeit  des  Lesens  an  den  j\-Tagen. 
So  konnte  die  physiologische  Ermiidung,  die  sicher  auch  bei  diesen 
Versuchen  vorhanden  war,  die  Erkennnngszeit  nm  fast  die  HUfte 
verlangem,  ehe  sie  sich  als  Fehler  oder  Auslassung  zb  erkennen  zu 
geben  brauchte.  Erst  wenn  diese  langer  als  750  a  wurde,  konnten 
illusionare  Vorgange  in  groBerem  Umfange  in  Thatigkeit  treten.  Ver- 
langenmgen  geringen  Grades  mussten  sich  bei  unserer  Versuchs- 
anordnung  der  Beobachtung  TolKg  entziehen.  Dies  beweist  nns  mit 
emeuter  DentUchkeit,  dass  die  Storungen  durch  das  Trional  bei  dieser 
Arbeit  ganz  besonders  starke  sein  mftssen. 

Die  einzelnen  Arten  von  Fehlem,  die  wir  oben  imterscbieden, 
haben  dem  Trional  gegeniiber  ein  yerschiedenes  Verhaften  gezeigt. 
Es  wird  dies  deutKcher,  wenn  wir  unter  ZitsammenfassTing  der  ein- 
und  zweisilbigen  Worte  die  Anzahl  der  Fehler  jeder  Art  am  A-Tage 
=  100  setzen  und  die  Ergebnisse  der  T-Tage  zn  dieser  Zabl  in  Be- 
ziehung  bringen;  die  erste  Viertelstunde  ist  dabei  unberiicksichtigt 
geblieben.     In  Tab.  XXII  ist  die  Berechnung  ausgefuhrt 

Tabelle  XXH. 


il 

T-Tag  1,0 

T-Tag  2,0 

ausgelassen                100 

800 

2012 

fabch                          100 

3U8 

620 

sinsnlos                        100 

189 

218 

verbeasert                   100         '           78 

68 

1)  Wundt,  Philoa.  Stod.  III.  B4.  S.  107  fi. 


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Die  psychischen  Wiikwigen  des  Trionals.  367 

Wir  sehen  hier,  dass  die  Auslassungen  iind  Fehkr  bei  weitem 
Sim  stariksten  zugenommen  haben;  die  Vermehrung  der  sinnlosen  Worte 
tritt  dagegen  zuriick,  und  die  Verbessenmgen  sind  sogar  seltener  ge- 
word^i  als  am  iV-Tage.  Dass  dies  kein  Zufall  ist,  zeigt  sidi  darin, 
dass  Vermehrung  sowohl  wie  Verminderung  am  2g-Tage  starker  ist 
als  am  1  g-Tage.  Die  Erklarung  dafur  ist  wohl  darin  zu  suchen, 
dass  diese  4  Fehlerarten  verschiedene  Entstehungsweisen  habeii)  und 
zwar  konn^i  wir  nach  der  obigen  Auseinandersetzung  wohl  sagen, 
dass  Fehler  imd  Auslassungen  wesentlich  auf  einer  Ersdiwerung  der 
Auffassung  beruhen,  die  sinnlosen  Worte  und  Verbesserungen  mehr 
durch  psychomotorische  Storungen  veranlasst  werden,  namentlich  durch 
vorzeitiges  Aussprechen.  Der  Ausfall  der  Versuche  erklart  sich  dann 
dadurch,  dass  wir  eine  Verlangsamung  der  Auffassung  durch  Trional 
annehmen  und  dazu  eine  geringfiigige  Erschwerung  des  Aussprechens 
der  Worte;  das  vorschnelle  Aussprechen  wiirde  dadurch  vermindert, 
die  Zahl  der  Verbesserungen  herabgesetzt.  Auch  bei  der  sehr  starken 
Zunahme  der  Auslassungen  unter  Trionaleinfluss  gegeniiber  den  Fehlem 
konnte  die  erschwerte  Auslosung  der  Sprachbewegung  eine  gewisse 
Bolle  spielen.  Da  nun  das  Sprechen  zu  den  Bewegungen  mit  f  einerer 
Coordimttion  gehort,  wiirde  sich  dieses  letzte  Ergebniss  gut  dem  bei 
den  Schreibversuchen  erhaltenen  anfilgen. 


VIII.  Anffassangsversache. 

Die  Ei^ebnisse  der  Leseversuche  am  Kjmiographion  lieBen  es 
wiinschenswerth  erscheinen,  noch  einen  moglichst  reinen  Auff assungs- 
vorgang  zu  untersuchen,  unter  Vermeidung  jeghcher  motorischer 
Thatigkeit  Die  Cattell'schen  Versuche')  gaben  uns  einen  Weg 
dafiir  an.  Wir  anderten  seine  Versuchsanordnung  fur  unsere  Zwecke 
folgendermaBen  ab: 

Der  Momentverschluss  eines  photographischen  Apparats  wurde 
auf  einem  Stativ  verschieblich  so  angebracht,  dass  dicht  dahinter  eine 
Papptafel  mit  dem  optischen  Reiz  eingeschoben  werden  konnte.  Dieser 
bestand  in  9  im  Quadrat  gedruckten  Ziffem,  je  3  auf  einer  Zeile, 
Jedes  dieser  weiBen  kleinen  Quadrate  war  auf  schwarze  Pappe  geklebt 


1)  a.  a.  O.  S.  207. 


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36S  Hans  HaeneL 

und  wurde  von  einer  im  Kiicken  der  Versuchsperson  befindlichen 
Lampe  scharf  beleuchtet,  so  dass  die  optischen  Verhaltnisse  moglichst 
glinstige  waren.  Das  Princip  des  Momentverschlusses  bestand  kurz 
darin,  dass  ein  schwarzer  Vorhang,  der  das  Object  bedeckt,  sich  nach 
oben  aufrollt  und  nach  kurzer  Zeit  von  iinten  vrieder  vorschiebt.  Die 
Expositionszeit  wurde  durch  besondere  Versuche  auf  500  a  bestimmt 
und  constant  gefunden.  Der  Apparat  wurde  in  Augenhohe  und  deut- 
liche  Sehweite  gebracht  und  von  der  Versuchsperson  selbst  bedient. 
Dies  geschah  auf  die  Weise,  dass  die  Papptafel  hinter  den  Vorhang 
geschoben  wurde,  dann  wurde  der  Verschluss  geoffnet  und  die  er- 
kannten  Ziffem  auf  ein  in  Felder  von  9  Quadraten  eingetheiltes  Papier 
aufgeschrieben,  jedesmal  an  den  Ort,  wo  sie  erkannt  waren.  Sodann 
wurde  die  Platte  herausgezogen,  mit  dem  Geschriebenen  verglichen 
und  die  Fehler  sofort  festgestellt.  Ein  vorzeitiges  Ablesen  wurde 
durch  einen  Schirm  verhindert,  der  den  ganzen  Apparat  bis  auf  die 
Sehoffnung  und  die  bewegende  Schnur  verdeckte.  Wir  batten  ca. 
30  Platten  zur  Verfiigung,  so  dass  ein  Auswendiglemen  der  Zahlen 
auch  bei  gehauften  Versuchen  fast  ausgeschlossen  war;  wenn  trotz- 
dem  etwas  derartiges  bemerkt  wurde,  so  lieBen  wir  die  betreffende 
Platte  bei  Seite.  Zwischen  der  1.  und  2.  Viertelstunde  lag 'jedesmal 
eine  Pause  von  5  Minuten,  in  der  das  Trional  mit  der  iiblichen  Menge 
Wasser  eingenommen  wurde.  Von  Fehlem  konnten  wir  3  Arten 
unterscheiden :  Zahlen,  die  voUstandig  verkannt  oder  frei  errathen 
waren,  solche,  die  mangelhaft  erkannt  waren,  5  statt  3,  1  statt  7, 
endlich  Fehler,  die  bloB  auf  einem  Vertauschen  des  Platzes  beruhten, 
wenn  z.  B.  eine  Zeile  527  statt  572  geschrieben  wurde.  Letztere  Art 
war  selten;  sie  trat  in  der  Viertelstunde  mit  ca.  45  Einzelversuchen, 
d.  h.  bei  ca.  400  exponirten  Zahlen  zwei-  bis  hochstens  sechsmal 
auf.  Allerdings  lieB  sie  sich  am  leichtesten  abgrenzen,  wahrend  eine 
Sonderung  zwischen  den  beiden  ersten  Fehlerarten  nicht  durchzu- 
fiihren  war.  Die  Gabe  betrug  am  4.  Vii.  und  8.  Vii  1,0  g,  am 
10.  Vn.  2,0  g. 

Es  wurde  mit  dieser  Methode  eine  sechstagige  Versuchsreihe  aus- 
gefiihrt.  Da  die  Zahl  der  in  jeder  Viertelstunde  ausgefUhrten  Ver- 
suche nicht  immer  die  gleiche  war,  so  bestimmten  wir  der  besseren 
Vergleichbarkeit  wegen  die  Anzahl  der  bei  jeder  Exposition  durch- 
schnittUch   erkannten  Ziffem.     Diese   wurde  leicht    gefunden  durch 


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Die  psychischen  Wirkongen  des  Trionals. 


369 


Division  der  uberhaupt  erkannten  Ziffem  mit  der  Anzahl  der  in  jeder 
Viertelstunde  gemachten  Versuche. 

Tabelle  XXTTT. 


1. 

Vie] 
2. 

rtelstun 
3. 

den 
4. 

5. 

1. 

Vie 
2. 

rtelstun 
3. 

den 

4. 

5. 

3.VIL 

N 

•4J 

1 

1 

3,89 

4,15 

4,60 

5,07 

4,69 

•4J 

i 
t 

1 

2,66 

2,89 

2,99 

3,17 

2,93 

4.  VII. 

ri,og 

7.  VII. 

N 

4,62 

♦4,64 

4,77 

5,02 

5,02 

3,52 

♦3,36 

3,25 

3,36 

3,18 

5,38 

5,35 

5,51 

5,37 

5,50 

3,68 

3,59 

3,51 

3,74 

3,75 

8.  VII. 

5,41 

♦5,23 

5,63 

5,40 

5,73 

3,63 

♦3,64 

3,66 

3,26 

3,13 

9.vn. 

N 

5,76 

6,49 

6,54 

6,45 

6,76 

3,38 

4,07 

3,80 

3,92 
3,72 

4,12 

10.  vn. 
r2,og 

6,49 

*6,02 

5,78 

5,88 

5,26 

3,92 

♦3,52 

3,41 

2,95 

Wir  sehen  hier,  dass  zu  Anfang  nur  wenige  Ziffem  erkannt 
wnrden,  iind  die  Zahl  der  richtig  erkannten  ist  erst  recht  eine  be- 
scheidene.  Sehr  bald  aber,  schon  im  Laufe  des  ersten  Tages,  macht 
sicb  eine  Zunahme  geltend,  die  an  den  folgenden  Tagen  sehr  lebhaft 
und  gleichmaBig  fortschreitet,  so  dass  in  der  letzten  Viertelstunde 
des  9.  vn.  durchschnittlich  75^  aller  exponirten  Zahlen  gelesen 
wurden.  Die  Maximalleistung  von  9  Zahlen  wurde  an  diesem  Tage 
dreimal  erreicht,  und  zweimal  wurden  8  Zahlen  richtig  erkannt.  Die 
richtig  gelesenen  haben  sich  ungefahr  in  demselben  Verhaltniss  ver- 
mehrt  wie  die  Uberhaupt  gelesenen.  Die  Uebungsfahigkeit  meiner 
Auffassung  ist  also  eine  iiberraschend  groBe,  und  ich  hatte  offenbar 
die  Grenze  derselben  mit  9  Ziffem  noch  nicht  erreicht.  Der  tagliche 
Uebungscoefficient,  aus  den  ersten  Viertelstunden  genau  wie  oben  beim 
Addiren  und  Lemen  mit  Beriicksichtigung  der  zweitagigen  Pause 
berechnet,  betragt  2,08^,  ist  also  noch  groBer  als  beim  Lemen. 

Bei  dieser  Neigung  zur  Zunahme  der  Leistungen  ist  jede  Ab- 
nahme,  wie  sie  an  T-Tagen  auftritt,  von  besonderer  Bedeutung.    Wie 


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370 


Haas  HaenoL 


man  sieht,  ist  dieselbe  imverkennbar,  noch  deutlichei*  vielleicht  er«- 
sichtlich  aus  Tab.  XXTV,  in  der  die  1.  Viertelstunde  jedes  Tige« 
gleich  100  gesetzt  und  der  Durchschnitt  der  folgenden  Stunde  darauf 
bezogen  ist. 

Tabelle  XXIV. 


I.  Viertel- 
ftunde 

Rest  des|| 
Versuchs  i 

1.  Viertel- 
stunde 

Rest  des 
Versuchfl 

3.  VII. 

N 

a 

■a 

100 

121 

*■» 

100 

122 

4.  vn. 
rig 

7.vn. 

100 

105 

100 

93 

100 

102 

i 

•s 

1 

100 

99 

8.  VII. 
Tig 

100 

101 

100 

94 

9.  VII. 

N 

100 

114 

100 

119 

10.  VII 
T2g 

100 

87 

100 

87 

Am  7.  vn.  verzeichnet  das  ProtokoU:  »Unruhc  in  Erwartuog 
eines  Besuchs* ;  daher  vielleiobt  die  schlecbte  Durchschnittsleistung. 
Das  Steigen  der  Durchschnitte  infolge  der  Uebung,  an  den  iV-Ta^n 
offenbar,  ist  an  den  T-Tagen  deutlich  vermindert,  besonders  in  der 
2.  Halfte  der  Tabelle,  die  das  Verbaltniss  der  ricbtig  erkannten 
Zahlen  wiedergiebt.  Hier  bleibt  an  alien  T-Tagen  die  Leistung  der 
letzten  Stunde  hinter  der  des  Anfangs  zuriick.  Dass  die  erste  Halfte 
der  Tabelle  keinen  starkeren  Ausschlag  ergeben  bat,  wird  uns  nicbt 
wundem,  wenn  wir  den  psychischen  Vorgang  bei  diesen  Versuchen 
etwas  genauer  ins  Auge  fassen.  Dieser  gestaltete  sich,  wie  sich  durch 
aufmerksame  Selbstbeobachtung  feststellen  lieB,  folgendermaBen:  So- 
fort  nachdem  sich  der  Vorhang  wieder  geschlossen  hatte,  suohte  ich 
mir  unter  Aufbietung  einer  ziemlich  starken  Willensanstrengung  das 
gesehene  Bild  wieder  zu  vergegenwartigen,  indem  ich  zugleich  fast 
zwangsmaBig  die  so  erkannten  oder  wiedererka&nten  Zahlen  halblaut 


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Die  psycbischen  Wirkuagen  des  Trionals.  371 

vor  mich  hinsprach.  Ich  fixirte  dabei  den  schwarzen  Vorhang,  indem 
ieh  gewissermaBen  das  optische  Nachbild  oder  das  ErinnemngBbild 
auf  denselben  projicirte  und  noch  einmal  ablas.  Dabei  bemiihte  ich 
mich,  auch  an  den  Stellen,  die  wahrend  der  Exposition  verschwommen 
geblieben  waren,  eine  deutliche  Zabl  zu  sehen.  Dass  dabei  fiir 
illusionare  Vorgange  ein  breiter  Baum  gegeben  war,  ist  klar.  Wah.- 
rend  dieser  angestrengten  Keproduction  der  mangelhaft  erkannten 
Theile  des  Gresichtsfeldes  ging  nun  ofters  die  optische  Erinnerung  an 
die  urspriinglich  deutlich  gesehenen  Ziffem  yerloren;  doch  trat  dafiir, 
vfemi  es  nun  zum  Niederschreiben  des  Erkannten  kam,  manchmal 
die  acustische  Erinnerung  an  die  eben  ausgesprochenen  Zahlen  ein. 
Es  kam  auch  ror,  dass  durch  dies  Pixiren  des  Nachbildes  eine  schon 
ausgesprochene  Zahl  mit  Bewusstsein  verbessert  werden  konnte,  was 
wohl  mehr  fiir  eine  Inanspruchnahme  des  Nachbildes  auf  der  Betina 
als  des  Erinnerungsbildes  spricht.  Andrerseits  kam  es  vor,  dass  eine 
Zahl  ausgesprochen  wurde,  ohne  dass  sie  mir  als  erkannt  zum  Be- 
wusstsein gekommen  ware  oder  dass  mir  die  optische  Reproduction 
geUngen  wollte;  ich  schrieb  sie  ako  in  Erinnerung  an  das  Sprach- 
bild  auf  und  war  dann  uberrascht,  sie  bei  der  Controle  richtig  zu 
finden.  Wir  mtissen  wohl  annehmen,  dass  in  solchen  Fallen  die 
Sprachvorstellung  angeregt  worden  war,  ohne  dass  das  Gesichtsbild 
deutlich  zum  Bewusstsein  gekommen  war,  gewissermaBen  unter  TJm- 
gehung  dieses  optischen  Bewusstseins.  Bei  den  Versuchen  merkte  ich 
bald,  dass  ein  scharfes  Fixiren  des  Zahlenquadrates  weniger  gunstig 
war,  als  ein  mehr  verlorenes  Hinsehen  auf  die  Stelle,  wo  es  erscheinen 
musste.  Ich  lemte  dadurch  die  Aufmerksamkeit,  die  gewohnt  ist, 
sich  vor  allem  auf  die  macula  lutea  zu  richten,  auch  auf  mehr  peripher 
gelegene  Netzhautabschnitte  gewissermaBen  zu  vertheilen;  aus  einer 
Meinen  Stelle  deutlichsten  Sehens  wurde  so  ein  groBerer  Kreis  we- 
niger deutlicher  "Wahrnehmung.  Das  Nachbild  wird  dabei  zwar 
blasser,  ist  aber  mit  einiger  Anstrenguug  doch  noch  zu  erkennen  und 
zu  reproduciren. 

Die  Deutung  der  Tab.  XXIV  bietet  nun  keine  Schwierigkeiten 
mehr.  Dass  sich  die  Zahl  der  erkannten  Ziffem  nicht  noch  starkw 
vermindert  hat,  ist  einmal  auf  den,  wie  wir  sahen,  sehr  starken  Ein- 
fluss  der  Uebung  zuriickzufiihren,  welcher  der  Trionalwirkung  ent- 
gegenarbeitete.     Femer  aber  erklart  es  sich  aus  dem  Auftreten  von 


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372  Hans  ilaenel. 

Ulusionen,  deren  Neigung,  sich  unter  Trionaleinfluss  zu  vermehren, 
wir  schon  bei  Gelegenheit  der  Leseversuche  feststellen  konnten.  Hier 
war  natiirlich  die  Gelegenheit  dazu  in  noch  hoherem  MaBe  geboten, 
da  die  Zahlen  ja  in  keinen  Zusammenhang  gebracht  zu  werden 
brauchten  wie  die  Buchstaben;  phantastische  Erganzungen  batten  hier 
also  einen  viel  weiteren  Spielraum.  Dass  am  letzten  Tage  mit  der 
groBeren  Trionalgabe  auch  die  Erkennungen  eine  Verminderung  auf- 
weisen,  beruht  vielleicht  darauf,  dass  unter  dem  Einflusse  der  erhohten 
Gabe  auch  die  Auslosung  der  Sprachbewegungen  starker  gehemmt 
wurde,  welche,  wie  wir  sahen,  fiir  die  Erinnerung  beim  endgultigen 
Aufschreiben  des  Erkannten  nicht  ohne  Bedeutung  waren.  Das 
Gleichbleiben  der  Gesammtleistung  an  den  T-Tagen  beruht  that- 
sachlich  auf  einer  Vermehrung  der  Ulusionen,  wie  durch  die  un- 
zweifelhafte  Verminderung  der  richtigen  Erkennungen  dargethan  wird; 
sie  zeigt  uns  deutlich,  dass  wir  es  mit  einer  erheblichen  Stoning  der 
Auffassung  zu  thun  haben.  Dass  der  Ausschlag  nicht  noch  groBer 
ausgef alien  ist,  liegt  wohl  zum  Theil  mit  daran,  dass  bei  9  Zahlen, 
von  denen  dazu  nur  durchschnittlich  6  als  erkannt  in  Betracht  kommen, 
der  Spielraum  fiir  Schwankungen  uberhaupt  kein  groBer  ist;  Maximimi 
und  Minimum  der  Leistung  liegen  hierbei  sehr  eng  beisammen. 

Das  Ergebniss  dieser  Versuche  konnen  wir  also  zusammenfassen 
in  die  Satze:  Erschwerung  der  Auffassung,  Vermehrung  der  illusio- 
naren  Vorgange,  vielleicht  Erschwerung  der  Sprachbewegungen.  Die 
Uebereinstimmung  mit  unsem  friiheren  Ergebnissen  ist  befriedigend. 

IX.  Associations-Versnehe. 

Auf  die  Bedeutung  von  Associationsversuchen  ist  schon  friiher 
von  verschiedenen  Seiten  hingewiesen  worden,  und  die  von  Kraepelin 
bei  Gelegenheit  der  Alkohol-  und  Theeuntersuchungen  *)  und  be- 
sonders  die  von  Aschaffenburg^)  gewonnenen  Ergebnisse  lieBen 
auch  fiir  unsere  Frage  AufschlUsse  erwarten.  Wir  wendeten  3  Ver- 
suchsarten  an:  die  Methode  des  fortlaufenden  Niederschreibens  und 
die  Associationsreactionen  mit  und  ohne  Zeitmessung;  von  den  ersteren 
wurde  eine  Reihe  Abends,  eine  andere  Vormittags  ausgefiihrt. 


1)  a.  a.  O.  S.  51  ff.,  n2ff.  2,  Diege  Arbeiten.  I.  S.  2I0ff.  II.  S.  Iff. 


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Die  psychischen  Wirkangen  des  Triouals. 


373 


Mit  der  schriftlichen  Methode  wurde  an  5  Tagen  experimentirt. 
Mit  '/4  8tundigen  Pausen  wurde  viermal  an  jedem  Abend  Y4  Stunde 
•lang  gearbeitet.  Die  Aufgabe  war,  in  den  ersten  5  Minuten  auf  ein 
zugerufenes  Reizwort  fortlaufende  freie  Associationen  zu  bilden,  in 
den  zweiten  und  dritten  5  Minuten  Worte  aufzuschreiben,  die  mog- 
lichst  ausgepragte  Gesichts-  oder  Gehorsvorstellungen  wiedergeben* 
Diese  Gruppe  wurde  beigefiigt,  um  zu  sehen,  ob  unser  Mittel  etwa 
auf  Associationskreise,  die  sich  an  ein  bestimmtes  Sinnesorgan  kniipfen, 
eine  besondere  Wirkung  ausuben  wiirde.  Bestimmte  Erfahrungen  bei 
individual-psychologischen  Untersuchungen  lieBen  eine  solche  Wirkung 
nicht  ganz  ausgeschlossen  erscheinen. 

Tabelle  XXV. 


24.  I.  96  N 

25 

I.  . 

ro,5g 

30.  L  T0,5g 

31. 1.  N 

1. 11.  T  1,0  g 

frei 

68 

77 

71 

45 

76 

♦55 

66  1  81 1  47 

♦77 

86 

78 

90 

66 

57 

» 

85 

♦60 

56 

64 

opt. 

59 

50 

51 
47 

56 
60 

71 
76 

*72 
♦75 

83|83 

74  [68 

91 
81 

*84 
♦79 

84 
70 

79 
70 

91 
80 

90 
83 

87 
78 

88 
86 

88 

♦83 
♦74 

86 

78 

74 
70 

akiist 

52 

51 

Die  Tabelle  giebl  die  Zahl  der  in  je  5  Minuten  niedergeschrie- 
benen  Worte  wieder.  Bei  der  auBerordentlichen  Mannigfaltigkeit 
und  Unbestandigkeit  der  freien  Associationen  lieB  sich  eine  G^setz- 
maBigkeit  fur  diese  an  den  iV-Tagen  kaum  erwarten.  Aber  auch  an 
den  T-Tagen  lasst  sich  ein  bestimmter  Einfluss  nicht  erkennen.  Die 
Schwankungen  finden  weder  nach  einer  bestimmten  Seite  bin  statt, 
noch  iiberschreiten  sie  ihrer  GroBe  nach  die  an  den  i\-Tagen  be- 
obachtete  Breite;  sie  alle  werden,  wie  ein  Blick  in  die  Schreibhefte 
lehrt,  hauptsachlich  bestimmt  durch  die  Art  des  Vorstellungsgebietes, 
auf  dem  wir  uns  gerade  bewegen.  Befinden  wir  uns  in  einem  uns 
gelaufigen  Vorstellungskreise,  so  werden  uns  die  Gedanken  in  groBerer 
Fulle  zustromen,  als  wenn  wir  auf  weniger  gewohntes  Gebiet  gerathen 
sind.  Denn  in  wie  hohem  Grade  man  sich  bei  dieser  Methode  passiv 
verhalt,  sobald  man  nach  Vorschrift  jede  Willensthatigkeit  moglichst 
vermeidet,  weiB  jeder,  der  einmal  in  dieser  Weise  experimentirt  hat. 
Freilich  ein  wirklich  getreues  Bild  von  der  Verkniipfung  der  Vor- 
stellungen  und  dem  jeweiligen  Bewusstseinsinhalt  kann  diese  Methode 


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374 


Uau  Haenel. 


nicbt  geben.  Aschaffenburg  hat  schon  anf  die  Mangel  derselben 
hingewiesen ')  and  nach  meinen  Beobachtungen  kann  das  dort  €re- 
sagte  noch  erweitert  werden.  Fiir  mich  ivar  der  Act  des  Nieder- 
schreibens  fast  stets  erne  Stoning.  Wabrend  idi  ein  Wort  scbrieb, 
batte  icb  Zeit,  mich  scbon  mit  3  oder  4  nacbsten  zu  bescbaltigen 
and  unter  denselben  eine  Aoswabl  za  treifen;  es  waren  im  Blickfelde 
des  Bewasstseins  mancbmal  eine  ganze  B^e  von  Yorsteliungen  vor- 
banden,  die  alle  als  Association  aaf  die  yorbergebende  gelten  konnten 
and  sicb  gleicbzeitig  zor  Apperception  drangten.  Darcb  die,  freilicb 
nicbt  inuner  bewusste,  Wabl  zwiscben  diesen  warde  dann  wieder  das 
Niederscbreiben  ofters  um  ein  geringes  verlangsamt  Aadi  bekam 
die  Reibe  durcb  diese  Fiille  der  Vorstellungen  zuweilen  etwas  Sprung- 
baftes  and  Zusammenbangsloses,  weil  verscbiedene  verbindende  Glieder 
nicbt  zur  Niederscbrift  gekommen  waren.  Von  einem  »Stillstand  des 
Associirens  wahrend  des  Niederscbreibens*  konnte  icb  nicbts  be- 
obacbten.  Anders  liegt  das  Verhaltniss  bei  den  »optiscben  and 
akustiscben*  Associationen,  wie  wir  sie  karz  nennen  wollen.  Da 
hier  die  Zabl  der  wirklicb  gelaufigen  Vorstellungen  nacb  einiger  Zeit 
erschopft  ist,  stellen  sicb  bald  Wiederbolungen  in  groBer  Zabl  ein 
und  aufierdem  ein  Suchen  nacb  neuen,  der  Aufgabe  gentigenden 
Worten.  Wenn  bier  Stockungen  eintraten,  so  war  meist  nicbt  der 
Ueberfluss,  sondem  der  Mangel  an  Worten  scbuld.  Die  Zunabme, 
welcbe  die  bescbrankten  Associationen  aufweisen,  erklart  sicb  aus  der 
Vermebrung  dieser  Wiederbolungen;  sie  kebrt  sicb  ins  Gregentbeil  am, 
wenn  man  die  Zabl  der  jedesmal  neu  gebildeten  Associationen  za- 
sammenstellt,  wie  es  in  Tab.  XXVI  gescbeben  ist. 

Tabelle  XXVI. 


1                          1 
24. 1.  N 

25. 

11                           '1                           II 
I.  r0,5g  |30.L  T0,5g  ,      31.1.  iV^         1.  U.  T\,Og 

frei 

]  68  '  76  I  72 

45 
42 
50 

64 
45 
50 

55 
51 
46 

5S 

73 '  43 

66 
32 

82    78 
34j32 

89 
41 
25 

64 
39 
27 

51 

5. 

78^54    50    62 

50    34 1  44  ,  31 

opt 

,59    50    43 

; 

'52 '50    41 

1       ' 

49  149,42 

34    36 

aku8t. 

36 

31 '36 

36 

33 

33 

33 

«j 

36 

32    26 

H 

1:  Diese  Arbeiten.  L  S.  25S. 


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Die  psychischeii  WirkuBgon  des  Trionals. 


375 


IHe  Tabelle  zeigt,  dass  wir,  wie  nicht  anders  zu  erwarten,  tuiter 
den  freien  Associatioiieii  am  wenigsten  Wiederbolungen  antreffen; 
sie  f anden  sich  fast  imr  daiin,  wenn  eine  Tagesfrage,  die  Erinnerang 
an  erne  Reise  u.  a.  sich  zu  wiederholten  Malen  in  das  Bewnsstsein 
drangie;  natiirlich  wurden  dann  oft  auch  dieselben  Ausdrucke  wieder 
gebrancht.  Bei  den  bescbrankten  Associationen  ninunt  die  ZaM  der 
neuen  Vorstelliuigen  sehr  bald  erheblieh  ab,  betragt  aber  doch  anch 
zmn  Schlnsse  der  YersuGbsreihe  noch  etwa  35  ^,  Daraus  konnen 
wir  entnehmen,  dass  eine  Erscbopfnng  maseres  Yorrathes  an  Gesidits- 
und  Gehorsvorstellimgen  aucb  nach  starker  Inanspruchnabme  nicht 
so  leicbt  eintritt.  Dieser  Yorrath  ist  jedenfalls  noch  erheblieh  groBer  als 
837  fiir  optische  und  721  fiir  akustische  Yorstellungen  (d.  h.  die  Summe 
der  in  nnsem  5  Tagen  neugebildeten  Associationen) ;  sonst  miisste  die 
Auffindung  neuer  Worte  am  letzten  Tage  noch  groBere  Schwierig- 
keiten  bereitet  haben.  Femer  sehen  wir  aus  den  beiden  Tabellen, 
dass  die  Gesichtsvorstellungen  durchgangig  zahlreicher  sind  ak  die 
akustiachen.  Wir  konnen  darin  vielleicht  eine  personliche  Eigenthiim- 
hchkeit  erkennen. 

Was  die  T-Tage  betrifft,  so  zeigen  uns  die  beiden  Tabellen, 
dass  ein  Einfluss  nach  der  quantitativen  Seite  jedenfalls  nicht  vor- 
liegt.  Aber  aucL  die  Untersnchnng  der  Qnalitat  der  Associationen 
^rgab  ein  n^atives  Besuhat.  Wir  ordneten  zu  diesem  Zwecke  die 
freien  Associationen ,  die  hier  allein  in  Betracht  konmien,  nach  dem 
Yorgange  to»  Asehaf f enburg  in  innere  tind  auBere  an;  in 
Tab.  XXVn  ist  das  Yerfialtniss  beider  in  Procenten  angegeben. 

Tabelle  XXYH. 


% 

24. 1.  N 

25. 1.  T  0,5  g 

3t).  I.  T  0,5  g 

Jl.  I.  W 

l.II.  Tt,Og 

inaere 

44 

52 

35 

47 

45 

♦42 

44 

65 

53 

♦53  51 

1 

57 

46 

U 

54 

57 

45 

♦4& 

37 

19 

81 

&tiBere 

56 

1 

58 

02 

53 

55  |*58 

56 

35 

47 

♦47  49 

43 

54 

36 

46 

43 

55 

♦52 

63 

Anch  bier  keine  Uebareinatinmmng  weder  der  ^-Tage  unter  sich, 
noch  mit  den  T-TageiL  Die  Zunahme  der  aoBeren  Associaticinen 
am  letzten  T-Tage  stcht  zu  yereinaelt  da,  urn  verwerthet  werden  zu 


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376 


Hans  UaeDel. 


konnen;  die  zaMreichen  Beziehungen  nach  raumlicher  Coexistenz 
kamen  durch  eine  Schilderung  meines  Schlafzimmers  und  darauf  der 
Berliner  Frauenklinik  zu  Stande.  Femer  untersuchten  wir  bei  den 
freien  Associationen,  wie  oft  der  Vorstellungskreis  in  jeder  Versuchs- 
viertelstunde  gewechselt  wurde,  und  ob  das  Trional  das  Festhalten 
eines  Themas  erleichterte  oder  erschwerte.  Allerdings  hatte  es  oft 
Schwierigkeiten,  den  Punkt  zu  bestimmen,  wo  ein  Thema  verlassen 
und  wo  ein  anderes  begonnen  worden  war.  Wir  ftihrten  die  Ab- 
grenzung,  so  gut  es  ging,  durch.  Tab.  XXVili  giebt  an,  wie  oft  in 
jeder  Reihe  der  Gredatikenkreis  wechselte. 

Tabelle  XXVIH. 


24. 1.  N 

9 

10 

7 

5 

25.1.  T 

12 

*7 

' 

14 

30.1.  T 

6 

♦13 

12 

9 

31.1.  N 

9 

6 

5 

8 

l.U.   T 

8 

♦3 

5 

5 

Die  Zahlen  des  25. 1,  und  30. 1  erscheinen  auffallend  hoch  und 
konnten  als  Trionalwirkung  angesehen  werden,  wenn  nicht  gerade 
der  1.  n.  mit  der  groBten  Gabe  (1,0  g)  wiederum  die  groBte  Gleich- 
maBigkeit  im  Festhalten  eines  Themas  zeigte.  Wir  haben  abo  kein 
Recht,  diese  Zahlen  fiir  mehr  anzusehen  als  fur  Ergebnisse  des  Zufalls. 

Die  Besultate  der  Associationsreactionen  sind  nicht  viel  er- 
giebiger.  Es  wurde  in  der  Weise  experimentirt,  dass  der  Reiz  mit 
dem  Lippenschliissel  gegeben  wurde;  die  Antwort  wurde  in  den 
Romer'schen  »Schallschlussel«  gesprochen.  Als  Reizworte  wurden 
nur  2silbige  Substantiva  verwendet;  die  Art  der  Association  war  bei 
alien  folgenden  Versuchen  vollig  freigelassen.  In  jeder  Stunde  von 
Abends  y^^ — 72^2  Uhr  wurde  ein  Yersuch  von  50  Reactionen  ge- 
macht,  der  etwa  15  Minuten  in  Anspruch  nahm.  Die  Zwischenzeit 
wurde  zum  Theil  mit  den  fortlaufenden  Associationen,  zimi  andem 
Theil  mit  einer  moglichst  indifferenten  Thatigkeit  ausgefullt  (Blattem 
in  einer  illustrirten  Zeitschrift) ;  es  wurde  dadurch  vermieden,  dass 
die  Gedanken   eine  bestimmte  Richtung   einschlugen.     Das  Trional 


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Die  psychisehen  Wirkungen  des  Trionals. 


377 


wurde  15  Minuten  vor  dem  2.  Versuch  eingenommen.     Tab.  XXIX 
giebt  in  a  die  Stellungsmittel  aus  je  50  Reactionen  wieder. 

Tabelle  XXIX. 


24.  L 

25.1. 
T0,5g 

30.1. 
T0,5g 

31.  L 

N 

I.n. 
^i,og 

1308 

1329 

1222 

1253 

1163 

1339 

♦1339 

♦1351 

1236 

♦1179 

1301 

1236 

1345 

1180 

1376 

1370 

1255 

1178 

1262 

1217 

Die  iV-Tage  zeigen  einen  auffalligen  Unterschied:  der  zweite  hat 
durchschnittlich  um  100  a  kiirzere  Zeiten  als  der  erste.  Um  eine  > asso- 
ciative Uebung«,  wie  bei  der  von  Kraepelin  sogenannten  »Wieder- 
holungsmethode*,  kann  es  sich  dabei  nicht  wohl  handebi,  weil  bei 
uns  alle  Reizworte  verschieden  waren.  Auch  ein  Wechsel  der  Be- 
actionsart  kann  nicht  vorliegen;  die  nicht  sinngemaBen  iind  die  Klang- 
associationen,  die  etwa  den  Fehbeactionen  bei  den  Wahlversuchen 
gleich  zu  rechnen  waren,  spielen  der  Zahl  nach  eine  zu  geringe  Eolle 
und  sind  auch,  wie  sich  nachweisen  lieB,  durchaus  nicht  immer  die 
kiirzesten  Associationen.  Die  Griinde  fiir  diese  auch  sonst  vielfach 
beobachtete  Verschiedenheit  entziehen  sich  also  unserer  Kenntniss. 
Constant  scheint  hier  und  auch  in  den  spateren  Versuchen  (vgl. 
Tab.  XXXIV)  nur  das  Zunehmen  der  Zeiten  am  Schlusse  jedes 
A-Tages  zu  sein;  hier  kann  wohl  Ermiidung  als  Ursache  ange- 
sehen  werden.  Eine  Aehnlichkeit  unter  einander  weisen  die  beiden 
letzten  T-Tage  auf:  erst  Zunahme,  dann  Verkiirzung  der  Zeiten, 
Doch  konnen  wir  darin  keine  Trionalwirkung  erbUcken;  dem  wider- 
spricht  sowohl  der  XJmstand,  dass  am  1.  11.  mit  der  groBeren  Gabe 
das  erwahnte  Verhalten  undeutlicher  ausgepragt  ist  als  am  30. 1.,  als 
auch  der  25.  I.,  an  dem  sich  ein  3maUger  Wechsel  zwischen  Ver- 
langerung  und  Verkiirzung  nachweisen  lasst.  Ebensowenig  ergab  sich 
eine  Beeinflussung  der  Schwankungen  durch  das  Trional;  in  Tab. 
XXX  sind  die  Mittelzonen  aus  je  50  Reactionen  berechnet. 


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378 


Hans  Ha^el; 
Tabelle  XXX. 


24. 1.  iV 

1 
25.1.  T          30.1.  T 

31.1.  N 

l.II.  T 

450 

342 

436 

272 

318 

Ul 

♦368 

♦434 

360 

♦230 

abB 

a32 

dl0 

34» 

JO™ 

4U2 

315 

271 

362 

^68 

EKe  Uebereinstimmung  der  iV-Tage  ist  sehr  unvollkommen,  und 
die  Abweiciiungen  der  T-Tage  von  diesen  sind  zu  gering  oder  zu 
unregehuaBig^  um  als  Trionalwirkuug  angesprochen  zu  werden. 

Als  dritte  und  wichtigste  Betrachtungsweise  der  Associationen 
kommt  ihre  qualitatrre  Eintheikmg  in  Frage.  Wir  hielten  uns  dabei 
ifitt  iillgemeinen  an  da»  von  Asehaffenburg*)  angegebeae  Ver- 
fahren,  welcbes  in  den  meisten  Fallen  fiir  unsere  Zwecke  ausreicbte. 
Tab.  XXXI  giebt  an,  wieriel  Procent  aller  Associationen  jeder 
Gruppe  angeboren;  zur  besseren  Uebersicht  sind  darin  die  3  letzten 
Yers«cbe  jedes  Tages  zn  einem  Mittel  (b)  zusammengefasst  und  dem 
1.  Versuche  des  Tages  (a)  gegeniibergeatellt  worden. 

Lmerhalb  der  einzefaien  Grruj^^n  sind  zu  viele  unregehnaBige 
Schwankungeny  um  einen  bestimmten  Gksiditspunkt  aufstellen  zu 
lassen;  wicbtiger  ist  das  Verhahniss  der  inneren  zu  den  auBeren 
sowie  die  Zahl  der  Klangasaociatianen.  Es  zeigt  sicb^  dass  an  den 
iV-Tagen  im  ganzen  die  inneren  Associationen  ein  wenig  uberwiegpen, 
an  den  T-Tagen  die  auBeren;  die  Unterschiede  sind  zwar  mcht  be- 
deutend,  aber  doch  constant.  Das  geringe  Yorwalten  der  isDeren 
Associationen  mtissen  wir  als  eine  personliche  EigenthUmlichkeit  aft- 
seben;  nacb  einer  Angabe  Aschaffenburg's'^)  sind  in  den  meisten 
Fallen  die  auBeren  etwas  haufiger.  Die  Bemerkung  an  dersdbe* 
Stelle,  dass  dieselben  im  allgemeinen  auch  ktrzere  Zeit  dauem, 
sebeint  darauf  binzuweisen,  dass  der  Denkact,  der  sie  zu  Siande 
bringt,  wen^er  Schwierigkeiten  bereitet,   dass  sie  gewissermaBen  die 


1)  IMese  Arbeiten.  I.  S.  298. 

2)  Diese  Avbeiten.  I.  S.  2^. 


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Die  psycbischeo  Wirkuugen  des  Trionals. 
Tabelle  XXXI. 


379 


% 

24.1. 

N 

a.    '    b. 

25.1. 

ro,5g 

a.        b. 

30.1. 

ro,5g 

a.    1    b. 

31.1. 

N 

a.        b. 

I.n. 

^l,Og 
a.        b. 

Co-  u.  Subordination 

24 

39 

40 
12 

30 
11 

•24 

8 

29 

32 

35 

28 

23 

prftdicativ 

20 

13 

5 

3 

8 

10 

18 

17 

Causalabbangigkeit 

— 

2 

2 

— 

— 

— 

2 

Innere 

44 

53    1   52 

41 

i« 

35 

40 

44 

46 

41 

Coexistenz 

6 

14 

22 
12 

13 

14 

12 

16 

14 

10 

14 

Identit&t 

28 

17 

21 

1    IB 

17 

16 

8 

24 

17 

sprachl.  Reminigc. 

7 

10 

6 

1 

10 

16 

13 

16 

15 

12 

17 

AeuOere 

41 

1 

35    j    40 

45 

48 

! 

42 

19 

48 

37 

i   46 

43 

Klang 

!     4 
1 

8       — 

10 

~ 

4 

10 

1 
,'     8 

15 

Wiederholung 

— 

— 

— 

— 

1'    ' 

3 

— 

5 

— 

2 

parapbasisch 

_ 

2 

3 

II 
il 

6 

2 

2 

1   

6 
2 

mittelbar 

1     ' 

8 

4 

4 

1 

i    * 

4 

6 

8 

— 

bequemeren  sind.  Es  ist  daher  wohl  denkbar,  dass  der  Experimen- 
tirende  auf  eine  Erschwerung  der  Versuchsbedingungen  durch  den 
Uebergang  zur  leichteren  Association  antwortet,  oder  aber  er  lost  die 
Aufgabe  unvollkommener,  wofiir  die  Vermehrung  der  Klangasso- 
ciationen  sprechen  wUrde.  Diese  sind  zwar  auch  an  den  iV-Tagen 
ziemlich  zahlreich,  wofiir  wohl  die  spate  Abendstunde  verantwortlich 
zu  machen  ist;  eine  gewisse  Zunahme  derselben  an  den  T-Tagen  ist 
aber  imverkennbar.  Nun  weisen  die  Aschaffenburg'schen  Unter- 
suchungen  darauf  bin,  dass  die  Klangassociationen  am  wenigsten 
Denkarbeit  erfordern;  sie  nahem  sich  am  meisten  der  Wbrtreaction. 
Dem  widerspricht  nicht  die  Thatsache,  dass  sie  bei  uns  im  Dtirch- 
schnitt  durchaus  nicht  kiirzere  Zeiten  aufweisen  als  andere  Asso- 
ciationen.  Eine  etwa  vorhandene  Verkiirzung  der  eigentlichen  Asso- 
ciationszeit  konnte   nnter  Umstanden    durch  eine  Erschwerung   der 

Kraepelin,  Psycholog.  ArbeitoD.  II.  25 


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380 


Haos  Uaenel. 


Auffassiing  verdeckt  werden.  Der  Ausfall  der  Leseversuche  legt 
diese  Annahme  sogar  nahe.  Wenn  wir  aber  auch  in  der  Tab.  XXXT 
eine  gewisse  Trionalwirkung  erkennen,  so  ist  es  doch  unwahrschein- 
lich,  dass  der  associative  Vorgang  selbst  dabei  betroffen  ist.  Die 
Reaction  lasst  sich  in  3  Hauptabschnitte  zerlegen:  die  Auffassung  des 
Reizwortes,  die  Verkniipfung  mit  einer  anderen  Vorstellung  und  das 
Aussprechen  derselben.  Da  wir  nun  aus  friiheren  Versuchen  wissen, 
dass  der  erste  dieser  Theile  sicher  und  der  letzte  vielleicht  beeinflusst 
wird,  so  genligt  dies  vollig,  um  die  geringen  Ausschlage  bei  den 
Associationsversuchen  zu  erklaren;  ware  auch  noch  der  mittlere  Theil, 
der  eigentliche  associative  Act,  erschwert  worden,  so  miissten  wir 
groBere  Differenzen  in  der  Tab.  XXIX  und  XXXT  erwarten. 

TJm  diesen  zweifelhaften  Ausfall  der  Versuche  nachzupriifen, 
wurden  zunachst  Controlversuche  derart  angestellt,  dass  3  Herren  Asso- 
ciationsreactionen  ausfuhrten,  aber  ohne  Zeitmessungen.  Herr  Dr.  med. 
Weygandt,  cand.  med.  Manz  und  mein  Bruder  cand.  phil.  Erich 
Haenel  stellten  sich  mir  Uebenswurdiger  Weise  dazu  zur  Verfugung. 
Es  kam  hauptsachlich  darauf  an,  zu  sehen,  ob  die  Vermehrung  der 
auBeren  und  Klangassociationen  wirklich  als  Trionalwirkung  aufzu- 
fassen  sei,  oder  ob  andere  Ursachen  dabei  mit  im  Spiele  waren.  Die 
Versuche  fielen  in  die  Zeit  von  8 — Vjl^  Uhr  Abends;  die  Pausen 
betrugen  jedesmal  72  Stunde;  das  Trional  wurde  20  Minuten  vor 
dem  2.  Versuche  genommen.    Die  Resultate  giebt  Tab.  XXXII. 


Tabelle  XXXn. 

20.  n.  96  N 

1 
1 

21.  II.  96  T  1,0  g 

M. 

InDere 

48 

42 

44 

50 
42 

8 

52 

46 

66 
24 

66 

'40 

*54 

44 

2 

52    66 
48|34 

68 
32 

58 
42 

64 
36 

50 
50 

66 

54 
46 

AeuCere 

20 

34 

48 

28 '56 

611    4 

Kiting 

32 

34 

8 
50 

2|10 

Innere 

68 

58 

68 '40 
28    56 
—  *    4 

56    62 

40    38 

_    1 

4   — 

40 

60 

♦46  54    54 

AeuBere   30    38 
Klang         2     4 

48 



2 

64 

46 
2 

46 

H. 

Innere 
AeuBere 

56 
34 

52 
44 

44 

52 
4 

52 

46 

2 

52 

46 

2 

42 

52 

6 

20 
34 
46 

30 

IT 

♦42 

56 
2 

38 
54 

8 

50 
38 
12 

38 
62 

44 
46 
10 

38 

56 

6 

Klang 

10      4 

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Die  psychisehen  Wirkungen  des  Trionals.  3g] 

Die  Tabelle  ist  in  mehr  als  einer  Hinsicht  interessant.  Vorerst 
fordem  die  auffallend  zahlreichen  Klangassociationen  bei  W.  zu  Be- 
ginn  des  20.  IE.  eine  Erklarung.  Wir  finden  diese  in  der  Notiz  des 
Protokolls:  »abge8pannt  und  sehr  gereizter  Stimmung*.  Der  letztere 
Affect  war  auch  objectiv  deutlich  bemerkbar.  Wir  sehen  nun,  dass 
W.  unter  diesen  VerMltnissen  sich  verhielt  wie  ein  stark  Ermiideter 
oder  auch  ein  Manischer.  Offenbar  sind  seine  Gredanken  zu  Beginn 
des  Versuchs  lebhaft  mit  den  Dingen  beschaftigt,  die  seine  Stimmung 
so  stark  beeinflusst  haben.  Die  sinngemaBe  Auffassung  des  Reiz- 
wortes  ist  durch  diese  Ablenkung  der  Aufmerksamkeit  erschwert,  und 
die  Reaction  geschieht  deshalb  nicht  auf  den  unvollkommen  aufge- 
fassten  Sinn,  sondem  nur  auf  den  Reiz  im  allgemeinen.  Da  zudem 
der  Affect  augenscheinlich  mit  einer  erhohten  motorischen  Erregbarkeit 
einherging,  so  waren  die  Bedingungen  zur  Entstehung  von  Klang- 
associationen vollauf  gegeben.  Wir  konnen  nun  in  der  Tab.  XXXTT 
das  alhnahliche  Abklingen  der  argerlichen  Verstimmung  bei  W.  an 
der  Hand  der  Klangassociationen  gut  verfolgen;  am  Schlusse  spielt 
vielleicht  eine  Zunahme  der  Ermiidung  hinein.  Am  T-Tage  wird  die 
schon  von  vomherein  unerhebliche  Zahl  der  Klangassociationen  nach 
dem  Trional  noch  niedriger.  Dasselbe  Verhalten  zeigt  M.,  bei  dem 
sie  uberhaupt  eine  sehr  geringe  Bolle  spielen;  weder  die  Ermiidung 
der  spaten  Stunde,  noch  Trional  bewirken  darin  eine  Aenderung. 
Anders  bei  H. ;  bei  demselben  liegt  von  vomherein  eine  groBere  Nei- 
gung  zu  Klangassociationen  vor,  ohne  dass,  wie  bei  W.,  ein  be- 
stinmiter  Grund  dafiir  anzugeben  ware.  Die  Zahlen  stimmen  unge- 
fahr  mit  denen  in  Tab.  XXXI  uberein.  Ebenso  wie  dort  ist  eine 
gewisse  Zunahme  derselben  unter  Trionaleinfluss  nicht  zu  leugnen. 
Der  abnorm  hohe  letzte  Werth  des  iV-Tages  scheint  darauf  hinzu- 
deuten,  dass  die  Ermiidung  der  Versuchsperson  imi  ^l^\2  Uhr  eine 
nicht  unbetrachtUche  gewesen  ist.  Das  Verhaltniss  der  auBeren  zu 
den  inneren  Associationen  zeigt  bei  W.  und  M.  keinerlei  Veranderung. 
Bei  H.  ist  es  uberhaupt  ein  sehr  wechselndes. 

Die  Trionalwirkung  konnen  wir  also  nach  den  bisherigen  Ergeb- 
nissen  dahin  umgrenzen,  dass  in  Fallen,  wo  Neigung  zu  Klangasso- 
ciationen vorhanden  ist,  dieselbe  etwas  gesteigert  wird,  dass  aber 
Klangassociationen  ohne  diese  Voraussetzung  nicht  direct  hervorge- 
rufen  werden.     Um  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  auch  an  mir  selbst 

25* 


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382 


Uan8  Uaeoel. 


zu  priifen,  suchte  ich  einen  Zustand  auf,  in  welchem  meine  Neigung 
zu  Klangassociationen  voraussichtlich  klein  oder  s=  0  sein  wiirde. 
Dieser  Forderung  entsprach  der  Morgen  iind  Vormittag,  da  ich  an- 
nehmen  konnte,  dass  in  den  ersten  Versuchen  jene  Associationen  zum 
groBten  Theil  hervorgerufen  worden  waren  durch  die  Ermiidimg  in 
der  spaten  Stunde.  Ich  fiihrte  also  eine  Versuchsreihe  aus  in  den 
Vormittagsstunden  von  Y49 — V4I2  Uhr,  taglich  4  Versuche  mit  Y4  8tun- 
digen  Pausen.  Da  dieselben  in  die  ersten  Tage  des  Semesters  fielen 
und  ich  aus  den  Ferien  in  sehr  gutem  Emahrungszustande  wiederge- 
kommen  war,  so  war  die  Disposition  die  denkbar  gunstigste.  Das 
Ergebniss  zeigt  Tab.  XXXTTI;  sie  ist  nach  denselben  Grundsatzen 
aufgestellt  wie  Tab.  XXXI. 


Tabelle  XXXHT. 


«/o 

22.  IV. 

N 

23.  IV. 

ri,og 

24.  IV. 

N 

25.  IV. 

ri,og 

Co-  u.  Subordination 

14     {     25 

32 

22 

22 

21          28 

28 

pr&dicativ 

4     '     19 

10 

7 

10 

9            8 

7 

Innere               i    18 

44 

42 

29 

32 

30 
16 

36 

35 

Ooexistens           \    14    \     11 

12 

12 

14 

18 

10 

Identit&t 

10           8 

10     1       6           6 

t 

9            6 

5 

sprachL  Reminiscens 

8            9 

4 

15 

18 

13 

10 

14 

AeuGere 

32         28 

T6" 

33 

7 

38 

38          34 

29 
2 

Klang 

2 

4 

2 

2 

4 

Wiederholungen 

46 

21 

28 

32     I     26 

25 

22 

31 

mittelbar 

- 

4 

— 

2 

2 

4 

— 

2 

Einer  Erlauterung  bedarf  hier  zuerst  die  Rubrik  der  >  Wieder- 
holungen*. Mit  den  1000  Associationen,  die  wir  im  Januar  ausge- 
fiihrt  hattt^n,  war  die  Zahl  der  brauchbaren  2-silbigen  Reizworte 
ziemlich  erschopft.  Da  wir  zu  der  4-tagigen  Reihe  noch  800  neue 
Reizworte  zu  finden  nicht  hoffen  konnten,  so  wurden  die  alten  wieder 


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Die  psychischeii  Wirkongen  des  Trionals.  3S3 

benutzt,  unter  der  Annahme,  dass  nach  11  Wochen  die  alten  Ant- 
worten  meist  vergessen  sein  wiirden.  Um  dies  moglichst  vollkommen 
zu  erreichen,  beschaftigte  ich  mich  in.  den  Ferien  weder  durch  Ord- 
nen  und  Ausrechnen  noch  sonstwie  mit  den  Januarversuchen.  Trotz 
,  der  ziemlich  langen  Pause  stellten  sich  nun  aber  bei  den  neuen  Ver- 
suchen  eine  ganze  Anzahl  der  alten  Associationen  fast  zwangsmaBig 
wieder  ein,  obgleich  ich  mir  Miihe  gab,  moglichst  wenig  an  die  Ant- 
worten  von  damals  zu  denken.  Die  Menge  derselben  schwankte 
zwischen  12  und  40  ^.  Es  stimmt  dies  Resultat  mit  dem  von 
Kraepelinbei  einer  andem  Gelegenheit ')  erhaltenen  gut  uberein.  Was 
die  Zeitdauer  dieser  Associationen  betriift,  so  fand  sich  durch  ge- 
sonderte  Berechnung,  dass  dieselben  durchaus  nicht,  wie  man  er- 
warten  soUte,  immer  kiirzer  waren  als  in  der  ersten  Versuchsperiode, 
sondem  zum  groBen  Theil  sogar  langer.  Von  Wichtigkeit  ist  der 
Umstand,  dass  die  Zahl  der  Wiederholungen  an  N-  und  T'-Tagen 
fast  dieselbe  ist  (im  Durchschnitt:  lY-Tage  25  ^,  T-Tage  28,5  ^); 
wir  sind  also  sicher,  dass  der  Versuch  durch  die  Reminiscenzen 
nicht  unbrauchbar  geworden  ist.  Wenn  auch  bei  der  Berechnung  der 
Associationszeiten  in  diesen  Wiederholungen  eine  Fehlerquelle  liegt, 
so  ist  dieselbe  doch  an  A-  und  7-Tagen  die  gleiche. 

Hinsichtlich  der  iibrigen  Qualitaten  sehen  wir,  dass  in  Bezug  auf 
die  auBeren  und  inneren  Associationen  das  oben  Gesagte  der  Ein- 
schrankung  bedarf.  Die  Umkehrung  des  Verhaltnisses  beider  tritt 
hier  auch  am  24.  IV.,  einem  A*-Tage,  auf,  wahrend  der  letzte  7'-Tag 
das  Verhalten  aufweist,  das  wir  oben  bei  don  i\-Tagen  fanden.  Da- 
durch  wird  die  dort  vermuthete  Trionalwirkung  sehr  zweifelhaft.  In 
Bezug  auf  die  Klangassociationen  schlieBt  sich  die  Tab.  XXXTTT 
ungefahr  der  Versuchsperson  M.  (Tab.  XXXII)  an:  an  iV-  wie 
an  7-Tagen  erhebt  sich  die  Zahl  derselben  nicht  wesentlich  iiber 
die  Norm. 

Ueber  die  mittlere  Dauer  und  die  Schwankungen  der  Associations- 
zeiten giebt  Tab.  XXXIV  Auskunft. 


1)  Kraepelin,   Experimentelle  Studien  aber  Associationen.    Amtl.  Bericht 
der  56.  Versammlung  Deutscher  Naturf.  u.  Aerzte  in  Freiburg  1883. 


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384 


Hi08  flaenel. 
Tabelle  XXXIV. 


22.  IV.  N             23.  IV.  ri,Og 

24.  IV.  N 

25.  IV.  Tl,Og 

Dauer 

1230 

1324 

1264 

1360  1274 

♦1317 

1212 

1302 

1152 

I235J126I 

1371 

1339 

♦132l!l327 

1 

1322 

Mittelzone 

338 

269 

305 

214 

315 

261 

251 

297 

200 

226|  336 

357 

284 

288 

272 

223 

Die  Zahlen  sind  durch  Berechnung  der  Stellungsmittel  aus  je 
50  Reactionen  gewonnen.  Die  Tabelle  lehrt  uns  dasselbe  wie  Tab. 
XXTX  und  XXX,  d.  h.  gar  nichts.  Weder  stimmen  die  beiden 
iV-Tage  unter  einander  tiberein,  noch  ist  eine  RegelmaBigkeit  im  Ver- 
halten  der  T-Tage  zu  entdecken.  Die  Mittelzonen  scheinen  von  der 
Lange  der  B.eactionszeiten  vollstandig  unabhangig  zu  sein. 

Das  Ergebniss  der  Associationsversuche  miissen  wir  also  als  ein 
negatives  bezeichnen.  Die  geringen  Ausschlage,  die  sich  bier  und 
da  ergeben  haben,  sind  geniigend  durch  die  Annahme  erklart,  dass 
auch  bei  diesen  Versuchen  eine  gewisse  Erschwerung  der  Auffassung 
unter  Trionalwirkung  eingetreten  ist. 

X.  Wahlreactionen  nach  kSrperlicher  Arbeit. 

Nachdem  wir  durch  die  beschriebenen  Versuche  ein  ziemlich  um- 
fassendes  Bild  der  Trionalwirkung  auf  unser  Seelenleben  erhalten 
haben,  erschien  es  nicht  ohne  Werth,  unsere  Untersuchungen  auch 
auf  kiinstliche  Veranderungen  des  psychischen  Zustandes  auszudehnen. 
Namentlich  kam  es  uns  darauf  an,  den  Einfluss  des  Trionals  auf 
Erregungszustande  festzustellen.  Wir  wahlten  daher  zunachst  den 
von  Bettmann  durch  korperliche  Arbeit  erzeugten  Zustand.  Zu 
diesem  Zwecke  wurde  an  eine  Controlreihe  von  100  Wahlreactionen 
unmittelbar  ein  zweistiindiger  schneller  Marsch  in  der  Ebene  an- 
geschlossen.  Sofort  nach  der  Rtickkehr  wurden  50  Reactionen  aus- 
gefuhrt,  um  die  Wirkung  des  Marsches  festzustellen,  sodann  aber 
1,0  g  Trional  genommen.  Es  folgten  nach  5  Minuten  50,  nach 
30  Minuten  noch  100  Wahlreactionen.  An  den  A-Tagen  trank  die 
Versuchsperson  statt  des  Trionals  4  Glas  Wasser  wie  an  den  T-Tagen. 
Wir  gingen  dabei  von  der  Erwagung  aus,  dass  moglicher  Weise  der 


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Die  psychischen  WirkungeD  des  TrioDals. 


385 


»Bettmann'8che  Ziistand«  durch  eine  Anhaufung  von  bestimmten 
Umsetzimgsproducten  im  Organismus  bedingt  sein  konne;  ein  Aus- 
schlag  des  Experiments  an  den  T-Tagen  konnte  dann  vielleicht  nur 
durch  das  Losungswasser  und  nicht  durch  das  Mittel  selbst  bedingt 
sein.  Die  Beobachtung  der  Marschwirkung  erstreckte  sich  bei  unserer 
Versuchsanordnung  auf  50  Minuten;  dass  die  Wirkung,  wenn  sie 
uberhaupt  nachweisbar  war,  auch  so  lange  dauem  wurde,  glaubten 
wir  aus  einigen  Beobachtungen  Bettmann's*)  folgem  zu  durfen.  In 
Tab.  XXXV  sind  die  Reactionszeiten  (Stellungsmittel  aus  je  50  Re- 
actionen)  sowie  die  FehLreactionen  in  Procent  wiedergegeben. 

Tabelle  XXXV. 


a 

1    1 

6.V.  N 

448 

485 

442 

466 

457 

475 

7.V.  ri,og 

455 

512 

436 

*484 

454 

452 

8.V.  N 

428 

406 

386 

365 

393 

427 

9.V.  ri,og 

411 

410 

392 

♦486 

514 

506 

%    j                Fehlreactionen 

6.  V.  iVr 

8 

14 

22 

10 

16 

18 

7.V.  T 

10 

12 

16 

♦8 

8 

6 

8.V.  N 

8 

10 

12 

14 

10 

12 

9.  V.  T 

14 

16 

18 

*6 

8 

8 

Die  Tabelle  ist  zunachst  eine  Bestatigung  der  Bettmann'schen 
Ergebnisse:  Wir  sehen,  dass  nach  dem  Marsche  die  Zeiten  sich  unter 
Vermehrung  der  bei  mir  ohnehin  ziemlich  zahlreichen  Fehlreactionen 
verkiirzen.  An  den  iV-Tagen  hat  sich  diese  Verkiirzung  wahrend  der 
letzten  50  B^actionen  wieder  ausgeglichen,  wahrend  die  Vermehrung 
der  Fehlreactionen  bis  zum  Schlusse  andauert.  Auch  dies  Verhalten 
stimmt  mit  Bettmann's  Resultat  uberein:   er  konnte  ebenfalls  die 


Ij  Dieie  Arbeiten.  I.  S.  169. 


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386  ^&DS  Haenel. 

motorische  Erregung  langer  an  den  Fehlreactionen  als  an  den  Wahl- 
zeiten  nachweisen.  Auch  in  Bezug  auf  die  Trionalwirkung  haben  sich 
die  Fehlreactionen  als  das  empfindlichere  Reagens  erwiesen:  die  Ab- 
nahme  der'Werthe  nach  Trional  ist  beti'achtlich  und  dauert  bis  zum 
Schlusse  des  Versuchs  an.  Dass  auch  am  ersten  iV-Tage  die  Fehl- 
reactionen nach  dem  Wassertrinken  abnehmen,  konnte  man  nach  der 
oben  erwahnten  Vermuthung  vielleicht  eben  diesem  Wasser  zuschreiben, 
wenn  nicht  der  andere  iY-Tag  das  entgegengesetzte  Verhalten  zeigte. 
Bei  Betrachtung  der  Reactionszeiten  bemerken  wir,  dass  die  beiden 
ersten  Tage  einander  ziemlich  entsprechen:  Deutliche  Verklirznng 
nach  der  korperUchen  Arbeit,  allmahlicher  Ausgleich  im  weiteren  Ver- 
such.  Immerhin  fallt  am  jT-Tag  der  ziemlich  betrachtUche  Unterschied 
zwischeii  der  1 .  und  2.  Leistung  nach  dem  Marsche  auf.  Weit  melir 
springt  dies  noch  in  die  Augen  beim  Vergleiche  der  beiden  letzten 
Tage:  am  iV-Tage  fortdauemde  Verkiirzung  der  Zeiten  bis  40  IVIinuten 
nach  dem  Marsche,  am  7-Tage  bedeutende  Verliingerung  sowohl  gegen- 
iiber  der  Leistung  nach  als  auch  vor  dem  Marsche.  Die  Mittelzonen 
zeigten  keinerlei  GesetzmaBigkeit ,  so  dass  wir  uns  ihre  Wiedergabe 
hier  sparen  konnen. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuchsreihe  entsprechen  also  vollstandig 
dem,  was  wir  nacli  unseren  bisherigen  Erfahrungen  uber  Trional- 
wirkung envarten  konnten.  Die  friiheren  Wahlreactionen  batten  die 
verlangsamende  Wirkung  des  Trionals  auf  die  Walilreactionen  wie 
die  Vemiinderung  der  Fehlreactionen  dargethan,  und  dies  hat  sich 
bei  dem  liier  erzeugten  kiinstUchen  Erregungszustande  nach  korper- 
licher  Arbeit  bestatigt.  Immerhin  Uegt  gerade  in  dieser  so  voll- 
kommenen  Uebereinstimmung  des  erhaltenen  mit  dem  erwarteten  Er- 
gebnisse ein  Grund  zum  Verdacht.  Soviel  man  sich  auch  bemiiht, 
beim  Versuche  vollstandig  Object  zu  sein,  so  ist  es  doch  nicht  zu 
vermeiden,  dass  man  sich  ein  ungefahres  Bild  von  dem  Ausfall  des 
Versuchs  schon  vorher  macht,  wenn  man  sich  langere  Zeit  mit  der- 
selben  Frage  beschaftigt  hat.  Nun  weiB  freilicli  Xiemand,  wie  weit 
eine  derartige  Voreingenommenheit  das  Ergebniss  beeinflussen  kann, 
aber  im  allgemeinen  wird  die  Macht  derselben  gewiss  unterschiltzt. 
Und  wenn  es  auch  oft  genug  zum  lebhaften  Missvergniigen  des  Experi- 
mentirenden  vorkam,  dass  die  Erwartungen  vollstandig  getauscht 
wurden,  so  ist  doch  andererseits  nicht  zu  leugnen,  dass  die  Brauch- 


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Die  psycbischeu  Wirkuogen  des  Trionals.  387 

barkeit  einer  Versuchsperson  abnimmt,  je  mehr  sie  mit  den  friiheren 
Ergebnissen  der  Arbeit  vertraut  ist.  Das  beste  ist  es  daher,  jede 
Berechnung  und  Verarbeitung  der  Zahlen  bis  nach  Beendigung  aller 
Versuche  zu  verschieben,  wie  es  ja  einige  Untersucher  auch  gethan 
haben.  Bei  uns  war  dies  nicht  iiberall  durchfiihrbar.  Verschiedene 
Male  wurde  eine  Versuchsreihe  durch  den  Ansfall  der  vorhergehenden 
erst  bestimmt ;  es  gait,  in  ihr  Fehler  zu  vermeiden,  die  sich  erst  durch 
die  Berechnung  herausstellten ;  die  friiheren  Ergebnisse  lenkten  erst 
den  Blick  auf  ein  neues  Verfahren  hin  oder  deckten  neue  Fragen  auf. 

Urn  jedoch  dem  angefiihrten  Einwande  zu  begegnen,  suchten  wir 
eine  Versuchsperson,  die  mit  der  groBtmoglichen  Unbefangenheit  an 
das  Experiment  ging,  die  namentlich  auch  von  den  Bettmann'schen 
Versuchen,  von  der  Bedeutung  der  Fehlreactionen  u.  s.  w.  nichts 
wusste.  Ein  jiingerer  College,  stud.  med.  Arthur  Bruckner,  stellte 
sich  mir  in  dankenswerther  Weise  fur  diesen  Zweck  zur  Verfugung. 
Die  Versuchsanordnung  wurde  in  einigen  Punkten  etwas  geandert. 
Da  ich,  der  Registrirende,  auf  den  Lippenschliissel  nicht  eingeiibt  war, 
bedienten  wir  uns  zur  E-eizgebung  des  Romer'schen  Plattenapparats. 
Die  umstandlichere  Bedienung  desselben  bedingte  etwas  langere  Pausen 
zwischen  den  einzelnen  Reactionen,  sodass,  um  den  Versuch  nicht  zu 
lange  auszudehnen,  nur  1 50  Wahlreactionen  an  jedem  Abend  gemacht 
wurden.  Femer  wurde  das  Mittel  schon  eine  Viertelstunde  vor  der 
Riickkehr  eingenommen.  urn  die  motorische  EiTegung  womoglich  gar 
nicht  erst  zur  Entwicklung  kommen  zu  lassen.  Auch  jetzt  wurde  an 
den  xV-Tagen  die  gleiche  Menge  Wasser  zur  selben  Zeit  getrunken 
wie  an  den  T-Tagen.  Die  durch  den  Marsch  ausgefiillte  Pause  zwischen 
der  1.  und  2.  Versuchsgruppe  betrug  2  Stunden,  zwischen  der  2.  und 
3.  eine  Viertelstunde,  sodass,  da  50  Reactionen  jedesmal  1 5  Minuten 
dauerten,  das  Ende  des  Versuchs  gerade  1  Stunde  nach  dem  Ein- 
nehmen  fiel.  Die  Reactionszeiten  (Stellungsmittel)  giebt  Tab.  XXXVI 
wieder. 

Eine  Tabelle  liber  Fehlreactionen  lasst  sich  nicht  aufstellen,  und 
zwar  deswegen  nicht,  weil  die  Versuchsperson  vor  wie  nach  dem  Marsche, 
mit  und  ohne  Trional  so  gut  wie  keine  Fehlreactionen  aufzuweisen 
hatte.  In  den  600  ausgefuhrten  Versuchen  kamen  im  ganzen  7  Fehl- 
reactionen vor,  die  sich  gleichmaBig  iiber  die  einzelnen  Versuche  ver- 
theilten.     Es  ist   dies  ein  sehr  auffallendes  Verhalten,  um  so  mehr. 


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388 


Hans  Uaenel. 
Tabelle  XXXVI. 


1 

19.  V.  N 

453 

422 

413 

20.  V.  ri,og 

397 

♦409 

401 

9,yi.N 

385 

371 

361 

10.  VI.  ri,og 

374 

♦374 

362 

als  Bettmann  in  den  Fehlreactionen  ein  Merkmal  fiir  die  motorische 
Erregung  nach  korperlicher  Arbeit  gefunden  hat,  das  am  wenigsten 
im  Stiche  zu  lassen  pflegte.  Woher  dieses  abweichende  Verhalten 
riihrt,  lasst  sich  nach  den  wenigen  Versuchen,  die  vorliegen,  nicht 
bestimmen.  Das  langsame  Arbeiten  mit  dem  Plattenapparat  konnte 
man  versucht  sein,  zur  Erklarung  heranzuziehen,  doch  hatte  das  gleiche 
Verfahren  bei  mir  in  den  Decemberversuchen  ziemlich  viele  Fehl- 
reactionen erzeugt.  Wir  miissen  uns  also  mit  der  Annahme  begniigen, 
dass  wir  es  dabei  mit  einer  personlichen  Eigenart  zu  thun  haben:  so 
gut  wie  bei  mir  die  Neigung  zu  Fehlreactionen  entschieden  ungewohn- 
lich  groB  ist,  ist  sie  bei  B.  fast  auf  Null  herabgesetzt,  ohne 
dass  jedoch  seine  Reactionszeiten  langer  waren  als  die  meinigen. 
Einige  Erfahrungen  anderer  Untersucher  lehren,  dass  das  abweichende 
Verhalten  B.'s  nicht  vereinzelt  dasteht.  Die  Zeiten  zeigen  in  den 
iV-Viertelstunden  eine  vom  ersten  bis  zum  letzten  Tage  gleichmaBig 
fortschreitende  Verkiirzung,  die  vielleicht  als  Uebungswirkung  anzu- 
sehen  ist.  Die  Verkiirzung  nach  dem  Marsche  erfolgt  auch  hier  an 
den  A-Tagen  prompt,  doch  ist  der  Ausschlag  ein  kleinerer  als  bei 
mir  und  bei  Bettmann.  B.'s  Reactionsweise  ist  also  eine  auBer- 
ordentlich  gleichmaBige  und  sichere. 

Was  die  Trionalwirkung  anbelangt,  so  konnen  aus  dem  erwahnten 
Grunde  die  sonst  so  wichtigen  Fehlreactionen  hier  nicht  in  Betracht 
kommen.  Dagegen  zeigen  die  Zeiten  ein  typisches  Verhalten:  statt 
des  Abfalls  nach  dem  Marsche  tritt  unter  dem  Einflusse  des  Trionals 
eine  Zunahme  oder  ein  Stillstand  der  Zahlen  ein,  dem  erst  zum 
Schluss  ein  geringer  Abfall  folgt.  Entsprechend  der  Geringfiigigkeit 
der  Schwankungen  iiberhaupt  sind  auch  diese  Ausschlage  nicht  sehr 


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Die  psychischen  Wirkongeii  des  Trionals.  389 

groB;  weil  sie  aber  im  Gegensatze  zu  den  iV-Tagen  stehen  und  an 
beiden  T-Tagen  gleichmaBig  und  in  demselben  Sinne  aufgetreten  sind, 
80  sind  wir  vielleicht  berechtigt,  dennoch  eine  Trionalwirkung  in  ihnen 
zu  sehen.  Und  da  dies  Ergebniss  mit  demjenigen  der  Tab.  XXXV 
in  den  Orundziigen  iibereinstinmit,  so  gewinnen  die  dort  gezogenen 
Schliisse  eine  neue  Stutze.  Die  Betrachtung  der  Mittelzonen  ergab 
auch  bei  diesen  Versuchen  keine  Besonderheiten ;  entsprechend  der 
gleichmafiigeren  B.eactionsweise  waren  sie  im  allgemeinen  etwas  kleiner 
als  bei  mir,  ohne  durch  Trional  eine  erkennbare  Aenderung  zu  er- 
fahren. 


XL  Znsammenfassmig  und  Dentnng  der  Ergebnisse. 

Ein  Riickblick  auf  die  ganze  Reihe  der  von  uns  ausgefuhrten 
Versuche  lehrt  uns,  dass  eine  deutliche  Trionalwirkung  nur  auf  ganz 
bestimmten  Gkbieten  unseres  Seelenlebens  erkennbar  gewesen  ist.  Am 
auffallendsten  fanden  wir  den  Ausschlag  bei  den  Leseversuchen  am 
Kymographion,  bei  denen  unter  dem  Einflusse  des  Trionals  die  Fehler 
und  Auslassungen  sich  stark  vermehrten;  die  Gruppe  der  sinnlosen 
Worter  zeigte  eine  Vermehrung  geringeren  Grades;  die  Verbesserungen 
wurden  im  Gegentheil  seltener.  Die  den  Leseversuchen  am  nachsten 
stehenden  Auffassungsversuche  ergaben  eine  geringfugige  Verminde- 
rung  der  gelesenen  Ziffem,  dagegen  eine  deutliche  Vermehrung  der 
Verkennungen.  Auch  die  Wahlreactionen  haben  ein  positives  Er- 
gebniss geliefert;  dasselbe  konnten  wir  dahin  feststellen,  dass  die 
Wahlzeiten  langer  und  die  Mittelzonen  umfangreicher  wurden,  wah- 
rend  die  Fehlreactionen  sich  verminderten.  Dieselben  Erscheinungen 
beobachteten  wir,  als  wir  die  Wahlreactionen  in  einem  durch  korper- 
Uche  Arbeit  veranderten  Zustande  ausfiihrten.  Die  fortlaufenden 
Arbeiten  zeigten  sich  alle  drei  gegen  Trional  empfindlich:  Addiren 
und  Schreiben  wurde  verlangsamt;  beim  Lemen  wurde  der  Lemwerth 
jeder  einzelnen  Wiederholung  sowie  die  G^sammtleistung  herabgesetzt, 
wahrend  die  Wiederholungsgeschwindigkeit  unverandert  blieb.  Keine 
Wirkung  zeigte  das  Trional  bei  den  Ergographen-  und  Associations- 
versuchen.  Bei  den  letzteren  wurden  weder  die  Reactionszeiten  selbst 
noch  ihre  Schwankungen  verandert,  noch  auch  lieB  sich  bei  den  einzelnen 
Arten  von  Associationen  ein  zweifelloser  Einfluss  auf  die  Haufigkeit 


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390  Hans  Haeuel. 

ihres  Auftretens  erkennen.  Nur  die  Klangassociationen  schienen  sich 
in  einigen  Versuclien  nach  dem  Trional  etwas  zu  vermehren,  doch 
geschah  das  nur  dann,  wenn  wir  aus  anderen  Erscheinungen  von 
vornherein  auf  das  Vorhandensein  einer  Ermiidung  schlieBen  konnten. 
Dazu  kommt  als  unbeeinflusst,  wie  schon  erwahnt.  die  Wiederholungs- 
geschwindigkeit  beim  Lemen. 

Suchen  wir  fur  diese  Ergebnisse  gemeinsame  Gesichtspunkte 
aufzufinden,  so  kommen  wir  zunachst  zu  dem  Schlusse,  dass  die 
eigentlicho  Muskelarbeit  und  ebenso  der  Ablauf  der  Vorstellungs- 
verbindungen  dem  Einflusse  des  Trionals  entzogen  sind.  Was  ist 
nun  aber  das  Gemeinsame  bei  den  Versuchen  mit  positivem  Er- 
gebnisse? Die  Leseversuclie  leiten  uns  auf  den  richtigen  Weg. 
Wir  erkennen,  dass  bei  alien  hier  in  Betracht  kommenden  Ver- 
suchen, mit  Ausnahme  der  Schreibversuche ,  der  Auffassung  eine 
mehr  oder  weniger  bedeutende  Rolle  zufallt.  Nehmen  wir  vorerst  an, 
dass  diese  allein  erschwert  wird,  so  sehon  wir,  dass  dadurch  die  Ver- 
mehrung  der  Auslassungen  und  Fehler  bei  den  Leseversuchen  und 
die  Verminderung  der  richtig  erkunnten  Ziffem  bei  den  Auffassungs- 
v(irsuchen  geniigend  erkliirt  sind.  Aber  auch  die  Verlangsamung  der 
Additionen  wiirde  dureh  diese  Annahnu;  verstiindlich  werden.  AUer- 
dings  miisste  man  wohl  zuniichst  an  eine  Erschwerung  des  associativen 
Theils  der  Aufgabe  denken.  Wir  wiirden  jedoch  alsdann  envarten 
miissen,  dass  sich  auch  bei  den  Associationsversuchen  ein  erschweren- 
d(T  Einfluss  des  Trionals  geltend  machen  miisste.  Da  das  nicht  der 
Fall  war,  werden  wir  mit  groBer  Wahrs(;heinlichkeit  die  Stoning  bei 
den  Additionsversuchen  eben  nicht  auf  den  Associationsvorgang  zuriick- 
fiihren  diirfen;  es  miisste  denn  sein,  dass  die  eingelemten  Associationen 
des  Rechnens  wesentlich  anders  beeinflusst  wiirden  als  andere  Vor- 
stellungsverbindungen.  Zu  einer  derartigen  Annahme  werden  wir  je- 
doch kaum  greifen;  haben  wir  doch  im  Auffinden  der  Summe  zweier 
Zahlen  nur  eine  eindeutig  bestiramte  Association  im  Sinne  Wundt's*) 
vor  uns.  Ueberdies  giebt  uns  der  Ausfall  der  Lese-  und  Auffassungs- 
versuche  in  der  Erschwerung  der  Auffassung  optischer  E-eize  durch 
Trional  eine  anderweitige,    voUkommen  befriedigende  Erkliirung  fur 


1)  Wundt,    GrundzQge    der    physiologischen    Psychologie.     Leipzig    1894. 
II.  S.  376. 


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Die  psycbischen  Wirkungen  des  Trionals.  391 

die  Storung  der  Eechenarbeit  an  die  Hand.  Wie  groB  der  Einfluss 
ist,  welcher  der  Auffassung  beim  Addiren  zukommt,  kam  mir  schon 
wahrend  der  Arbeit  deutlich  zum  Bewusstsein.  Es  ereignete  sich  bei 
Ermudimg  und  besonders  unter  Trionaleinfluss  haufig,  dass  ich  eine 
Ziffer  secundenlang  betrachtete,  ohne  mehr  als  die  auBere  Form  und 
hochstens  die  Sprachvorstellung  dazu  zu  erfassen.  Wenn  dann  mit 
einer  fuhlbaren  Anstrengung  in  der  Ziffer  die  Zahl  erkannt  und  der 
Einheitewerth  derselben  richtig  aufgefasst  war,  so  wurde  auch  die 
Addition  mit  groBer  Schnelligkeit  und  fast  miihelos  vollzogen.  Eine 
Gewahr  fiir  die  Richtigkeit  dieser  subjectiven  Beobachtung  haben  wir 
jetzt  nachtraglich  in  der  Erkenntniss  gewonnen,  dass  der  associative 
Vorgang  selbst  dem  Einflusse  des  Trionals  entzogen  zu  sein  scheint. 

Vielleicht  ist  eine  ahnliche  Erklarung  auch  fiir  den  Ausfall  der 
Lemversuche  verwerthbar.  Der  Lemwerth  jeder  Wiederholung  wird 
ohne  Zweifel  durch  die  Nachhaltigkeit  und  Starke  des  aufgefassten 
Eindruckes  wesentlich  beeinflusst.  Jedes  Einpragungsverfahren  sucht 
daher  vor  allem  die  Auffassung  des  Lernstoffes  moglichst  zu  unter- 
stiitzen.  Ob  dieser  Stoff  selbst  die  Gestalt  von  Gesichtseindriicken 
oder  von  motorischen  Sprachvorstellungen  besitzt,  diirfte  in  dieser 
Beziehung  weniger  wesentlich  sein.  Wenn  daher  das  Trional  die 
Einpragung  der  Eindriicke  selbst  erschwert,  so  werden  wir  begreifen 
konnen,  dass  auch  das  Haf ten  derselben  im  Gedachtnisse  leiden  muss, 
selbst  wenn  das  Lemverfahren  schlieBlich  hauptsachlich  die  moto- 
rischen Sprachvorstellungen  bevorzugt.  Endlich  wurde  auch  die  Ver- 
langerung  der  Wahlreactionen  durch  eine  Erschwerung  des  Auf- 
fassungsvorganges  begreifUch  werden.  Haben  doch  die  Erfahrungen 
uber  Alkoholwirkung  gezeigt,  dass  die  Wahlreactionen  eben  wegen 
der  Erschwerung  der  Auffassung  selbst  dann  verlangert  sein  konnen, 
wenn  die  Auslosung  der  Bewegung  ohne  Zweifel  erleichtert  ist. 

Dagegen  ist  die  Auffassungsstorung  nicht  im  Stande,  uns  eine 
Erklarung  fiir  die  Erfahrung  zu  liefem,  dass  die  Fehlreactionen  sich 
unter  der  Trionalwirkung  vermindem.  Um  diese  Thatsache  zu  verstehen, 
miissen  wir  uns  an  den  Ausfall  der  Schreibversuche  erinnem,  bei  denen 
es  sich  ausschlieBlich  um  die  Ausfiihrung  einer  coordinirten  Bewegung 
handelte.  Hier  spielen  keinerlei  Auf fassungsvorgange  mehr  eine  RoUe, 
und  auch  die  vorbereitenden  Associationen  sind  so  einfacher  Natur, 
dass   sie   den   zeitlichen  Ablauf  des  Versuchs  schlechterdings  nicht 


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392  Hans  Uftenel. 

beeinflussen  konnten.  Trotzdem  sehen  wir  unter  dem  Einflusse  des 
Trionals  hier  eine  deutliche  Erschwerung  eintreten.  Dass  der  rein 
mechanische  Theil  der  Bewegung  dabei  unbeeinflusst  bleibt,  hat  der 
Ausfall  der  Ergographenversuche  gelehrt;  es  bleibt  uns  also  nur  die 
Annahme  einer  Erschwerung  der  centralen  Auslosung  coordi- 
nirter  Bewegungen  durch  das  Trional.  Mit  dieser  Annahme  findet 
ein  weiterer  Theil  unserer  Ergebnisse  leicht  seine  Deutung.  Die  Ver- 
minderung  der  Fehlreactionen  lasst  sich  jetzt  ohne  weiteres  verstehen. 
Da  dieselben,  wie  wir  wissen,  durch  eine  Steigerung  der  centralen 
motorischen  Erregbarkeit  entstehen,  so  muss  umgekehrt  die  Herab- 
setzung  dieser  letzteren  ihre  Zahl  vermindem.  Die  Neigung  zu  Fehl- 
reactionen war  bei  mir  von  vomherein  vorhanden  und  wurde  bei  den 
Marschversuchen  noch  kiinstlich  gesteigert.  Ueberall  wirkte  daher 
das  Trional  dieser  Neigung  entgegen,  wahrend  es  bei  Brtickner, 
der  kaimi  Fehlreactionen  aufwies,  keinen  erkennbaren  Einfiuss  aus- 
iibte.  Haben  wir  nun  bei  den  Schreib-  und  B.eactionsbewegungen 
eine  Erschwerung  der  Auslosung  gefunden,  so  miissen  wir  folgerichtig 
auch  bei  den  Sprachbewegungen  eine  solche  annehmen;  damit  haben 
wir  den  Schlussel  fiir  die  Verminderung  der  Verbesserungen  beim 
Lesen  und  die  im  Verhaltniss  zu  den  iibrigen  Fehlem  geringe  Ver- 
mehrung  der  sinnlosen  Worte.  Die  letzteren  kamen,  wie  wir  gesehen 
haben,  zum  Theil  durch  vorzeitiges  Aussprechen  zu  Stande ;  wird  die 
Neigung  dazu  verringert,  so  wird  nur  noch  die  andere  Ursache  ihrer  Ent- 
stehung,  die  auBerst  mangelhafte  Auffassung  wirksam  bleiben.  Dadurch 
diirfte  es  sich  erklaren,  dass  sie  trotz  der  Verlangsamung  der  psycho- 
motorischen  Reaction  nicht  ab-,  sondem  in  geringem  MaBe  zunehmen. 
Auch  die  Verbesserungen  beruhen  zum  Theil  auf  vorzeitigem 
imd  darum  falschem  Aussprechen,  welches  sofort  als  unrichtig 
erkannt  und  demgemaB  verbessert  wurde.  Je  geringer  die  Neigung 
zu  solchen  vorzeitigen  Beactionen  war,  desto  seltener  musste  auch 
diese  Art  von  Verbesserungen  vorkommen.  Ueberdies  erforderte  die 
wirkliche  AusfUhrung  einer  Verbesserung  bei  der  starken  Spannung 
der  Aufmerksamkeit  und  dem  raschen,  gleichmaBigen  ZeitmaBe  des 
Sprechens  immer  eine  ziemlich  kraftige  Willensanstrengung.  Jeder 
Clavierspieler  weiB,  mit  welchen  Schwierigkeiten  es  verbunden  ist, 
beim  Spielen  vom  Blatt  auf  eine  Frage  nur  ein  einfaches  Ja  oder 
Nein  zu  antworten.   Auch  diese  Schwierigkeit  kann  bei  der  erschwerten 


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Die  psychischen  Wirkuugeu  des  Trionals.  393 

Auslosimg  von  Sprachbewegungen  zu  einer  Verminderung  der  Ver- 
besserungen  beigetragen  haben.  Endlich  ist  auch  die  aus  Tab.  XXII 
ersichtliche  Thatsache,  dass  die  Auslassungen  sich  starker  vermehrt 
haben  als  die  Fehler,  vielleicht  geradezu  auf  die  Erschwerung  der 
sprachlichen  AeuBerungen  zu  beziehen. 

In  einem  gewissen  Widerspruche  mit  alien  diesen  Ausfulirungen 
scheint  jedoch  zunachst  die  Thatsache  zu  stehen,  dass  bei  den  Lern- 
versuchen  die  Wiederholungsgeschwindigkeit  Uberall  unverandert  blieb. 
Wenn  wirklich  das  Trional  eine  Erschwerung  der  psychomotorischen 
Auslosung  mit  sich  bringt,  so  hatte  man,  wie  es  scheint,  auch  eine  Ab- 
nahme  der  Wiederholungsgeschwindigkeit  unter  seinem  Einflusse  er- 
warten  soUen.  Indessen  bei  genauerer  Betrachtung  ergiebt  sich,  dass 
der  hier  aufgedeckte  Widerspruch  nur  ein  scheinbarer  ist.  Wahrend 
nsLmlich  bei  den  Wahlreactionen,  beim  Lesen  und  Schreiben  alle  Be- 
wegungen  mit  groBtmoglicher  Greschwindigkeit  ausgefUhrt  wurden,  ge- 
schah  das  Sprechen  beim  Lemen  in  einem  selbstgewahlten  ZeitmaBe, 
das  bei  weitem  noch  nicht  die  hochste  Sprechgeschwindigkeit  erreichte. 
So  lange  sich  aber  die  Erschwerung  des  Sprechens  innerhalb  gewisser 
Grenzen  halt,  kann  sie  fiir  die  Zeitmessung  nur  dann  deutlich  werden, 
wenn  wir  uns  bemuhen,  die  groBtmogliche  Greschwindigkeit  zu  erreichen. 
Fiir  das  Pferd  in  der  Rennbahn  bedeutet  jedes  Balogramm  Mehrbelastung 
eine  Hemmung;  im  langsamen  Trabe  dagegen  wird  die  gleiche  Last  leicht 
verdoppelt  werden  konnen,  ohne  dass  deshalb  seine  Geschwindigkeit 
sich  zu  verringem  braucht.  Allerdings  kommt  bei  fortschreitender 
Belastung  ein  Punkt,  wo  der  Trab  das  Maximum  der  Schnelligkeit 
darstellt  und  jede  weitere  Erschwerung  das  Thier  nothigen  wiirde, 
im  Schritt  zu  gehen.  Um  im  Bilde  zu  bleiben,  konnen  wir  sagen, 
dass  unsere  Sprachorgane  sich  beim  Lemen  im  Trab  bewegt  haben; 
eine  gewisse  Erschwerung  ist  nun  zwar,  nach  den  anderen  Versuchen 
zu  schlieBen,  gewiss  auch  hier  durch  das  Trional  hervorgerufen  worden, 
doch  war  dieselbe  nicht  so  bedeutend,  dass  wir  deshalb  in  Schritt 
batten  verfallen  miissen.  Sie  geniigte  dagegen  vollig,  um  das  Carri^re 
bei  den  Schreibversuchen  merklich  zu  verlangsamen. 

AuBer  einer  einfachen  Erschwerung  der  Auffassung  und  der 
motorischen  Auslosung  hat  endlich  noch  eine  qualitative  Beeinflussung 
des  Wahmehmungsvorganges  durch  das  Trional  stattgefunden.  Der 
Ausfall  der  Auffassungsversuche  wies  uns  schon  friiher  darauf  hin. 


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394  Uaus  llaenel. 

dass  mit  der  Erschwerung  der  Auffassung  auch  eine  Vermehrung  der 
illusionaren  Vorgange  einhergegangen  sein  muss.  Anders  ware  es 
nicht  verstandlich,  dass  bei  diesen  Versuchen  die  Zahl  der  gelesenen 
Ziffern  nach  dem  Trional  fast  die  gleiche  bleibt  wie  vorher,  wahrend 
die  richtigen  Erkennungen  merklich  abnehmen.  Auch  die  zaMreichen 
Fehler  bei  den  Leseversuchen  sprechen  f  iir  das  Zustandekommen  viel- 
facher  Illusionen;  sonst  miissten  die  mangeihaft  aufgefassten  Worte 
noch  viel  haufiger  zu  Auslassungen  gefuhrt  haben.  Dass  die  Aus- 
lassungen  bei  den  Auffassungsversuchen  fast  ganz  fehlen,  dlirfte  sich 
aus  dem  viel  groBeren  Spiekaum  erklaren,  welcher  hier  fiir  Illusionen 
gegeben  war,  da  dabei  nicht  die  Nothwendigkeit  vorlag,  die  erkannten 
Schriftzeichen  zu  einem  sinnvollen  Worte  zu  erganzen.  Die  geringe 
Vermehrung  der  Klangassociationen  an  einigen  T'-Tagen  scheint  darauf 
hinzudeuten,  dass  bei  deren  Zustandekommen  auBer  den  Beziehungen 
zur  motorischen  Erregbarkeit  auch  solche  zur  Auffassungsfahigkeit 
bestehen,  was  bei  der  Betrachtung  derselben  als  »niederster<  Asso- 
ciationsgattung  ja  auch  nicht  unwahrscheinlich  erscheint. 

Als  das  Endergebniss  dieser  Betrachtungen  konnen  wir  somit 
den  Satz  aufstellen,  dass  die  Wirkung  des  Trionals  in  einer  Storung 
der  Auffassung  auBerer  Reize  mit  Begunstigung  illusionarer 
Vorgange  und  in  einer  Erschwerung  der  Auslosung  coordinirter 
Bewegungen  besteht.  TJeber  die  Dauer  und  Starke  dieser  Wirkung 
lasst  sich  folgendes  aussagen:  Die  Addir-  und  weniger  sicher^auch  die 
Lemversuche  UeBen  schon  am  Ende  der  ersten  Stunde  eine  Abnahme 
der  Wirkung  erkennen;  dasselbe  war  bei  den  Schreib versuchen  der  Fall. 
Die  Verbesserungen  bei  den  Leseversuchen  und  die  Fehlreactionen 
bei  den  372"^^^^^®^  Januarversuchen  zeigten  gegen  Schluss  der- 
selben wieder  eine  Zunahme.  Dagegen  war  bei  dem  durch  3  Stunden 
fortgesetzten  Lesen  am  Kymographion  und  bei  den  Eeactionszeiten 
in  alien  Versuchen  mit  Wahlreactionen,  auch  denen  vom  Januar, 
die  Wirkung  des  Mittels  bis  zum  Schlusse  in  steigendem  MaBe  nach- 
weisbar.  Auch  die  aus  den  Wahl-  und  Addirversuchen  bewiesene 
Nach  wirkung  bis  zum  folgenden  Tage  deutet  darauf  hin,  dass  die 
Wirkung  unseres  Mittels  auf  die  Auffassung  keine  fliichtige  ist.  Diese 
Zusammenstellung  fiihrt  uns  zu  dem  Schlusse,  dass  die  Storung  der 
Auffassung  schon  bei  den  von  uns  angewandten  Trionalgaben  eine 
aachhaltige  und  langere  Zeit  ansteigende  ist,   dass  sich  dagegen  der 


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Die  psychiscben  WirkuDgen  des  Trionals.  395 

Einfluss  auf  die  Bewegungen  nach  etwa  2 — 3  Stunden  verliert.  Anch 
die  Additionsversuche  passen  in  dies  aus  der  Uebereinstimmimg  der 
iibrigen  gewonnene  Schema,  wenn  wir  annehmen,  dass  die  am 
Schlusse  des  Versuchs  beobachtete  Besserung  der  Arbeitsgeschwin- 
digkeit  nicht  ein  Aufhoren,  sondern  nur  ein  Schwanken  des  Trional- 
einflusses  darstellt.  Dafiir  wiirden  gerade  hier  vor  allem  die  deut- 
lichen  Spuren  einer  Nachwirkung  am  nachsten  Tage  sprechen.  Im 
Einklange  mit  der  groBeren  Dauer  der  Trionalwirkung  im  Bereiche 
der  Auffassung  steht  die  auBerordentliche  Starke  der  Beeinflussung 
auf  diesem  Gebiete.  Auch  die  iUusionaren  Vorgange,  welche  damit 
ja  in  innigster  Beziehung  stehen,  waren  ungemein  ausgepragt.  Dem 
gegeniiber  hat  die  psychomotorische  Wirkung  des  Trionals,  wie  sie 
sich  am  reinsten  in  den  Schreibversuchen  darstellt,  einen  verhaltniss- 
maBig  geringen  Ausschlag  ergeben.  Es  hat  also  den  Anschein,  als  ob 
StSrke  und  Dauer  der  Wirkung  in  enger  Beziehung  zu  einander  stehen. 
Auch  in  Form  einer  Curve  konnen  wir  dieses  Verhaltniss  zur 
Darstellung  bringen.  Wir  halten  uns  dabei  am  besten  an  die 
Versuche,  welche  die  beiden  Seiten  der  Trionalwirkung  am  unver- 
mischtesten  wiedergegeben  haben,  die  Schreib-  und  Auffassungsver- 
suche.  In  der  folgenden  Curve  ist  auf  der  Abscisse  die  Zeit  aufge- 
tragen  und  zwar  bedeutet  jeder  Centimeter  1/4  Stunde.  Die  Werthe 
der  Ordinate  stellen  unter  Berucksichtigung  der  iV-Tage  die  durch- 
schnittliche  Erschwerung  der  Leistung 
unter  Trionaleinfluss  dar,  ausgedriickt  jq 
in  Procenten  der  Anfangsleistung; 
jeder  Centimeter  ist  =  10  ^  ge- 
setzt.  Die  ausgezogene  Linie  giebt 
den  Verlauf  der  Auffassungsver- 
suche,  die  punktirte  denjenigen  der 
Schreibversuche  wieder.  Die  oben 
angedeutete  Verschiedenheit  ist  also 
schon    im   Verlauf e    der    1.  Stunde 

deutlich  ausgepragt  Leider  sind  gerade  diese  beiden  Versuchsreihen 
nicht  Itager  als  eine  Stunde  fortgefUhrt  worden,  sodass  wir  nicht  im 
Stande  sind,  die  Fortdauer  der  Wirkung,  die  wir  bei  andem  Ver- 
suchen  beobachten  konnten,  in  dieser  Curve  mit  darzustellen.  An- 
gefiigt  sei  hier  noch  die  Bemerkung,  dass  irgend  welche  unangenehme 

Krftepelin,  Psycholo;.  Arbeit«n.  H.  26 


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396  Haos  Haenel. 

Nebenwirkungen,  besonders  auch  auf  die  Herzthatigkeit,  nicht  be- 
obachtet  wurden. 

Zum  Schlusse  noch  ein  Wort  iiber  die  Bedeutung  des  Trionals 
als  Schlafmittel.  Es  zeigte  sich,  dass  demselben  Yor  allem  die 
Eigenschaft  zukommt,  uns  gegen  die  Einwirkimg  auBerer  Eindrticke 
abzuschlieBen  und  zugleich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  illusio- 
naren  Eigenerregungen  den  Weg  zu  bahnen.  Gerade  die  Femhaltung 
auBerer  Reize  ist  aber  bekanntlich  eine  Grundbedingung  ftir  die  Ent- 
stehung  des  Schlafes.  Wir  wahlen  dafilr  die  Rube  der  Nacht,  irnd 
unsere  Augen  schlieBen  sich  selbst  im  verdunkelten  Zimmer,  wenn 
wir  den  Wunsch  haben,  unser  Schlafbediirfniss  zu  befriedigen.  Ja, 
umgekehrt  geniigt  unter  Umstanden  das  SchlieBen  der  Augen,  um 
die  den  Schlaf  einleitende  Miidigkeit  herbeizufuhren,  wie  alltagliche 
Erfahrung  und  hypnotische  Versuche  lehren.  Dunkelheit  und  Stille 
um  uns,  Entfemung  aller  beengenden  und  belHstigenden  kdrperlichen 
Empfindungen,  die  kostliche  Langeweile  der  Ereignisslosigkeit  machen 
uns  schlafrig  auch  ohne  Yoraufgehende  Anstrengung.  Wir  dtirfen 
hier  auch  an  die  Erfahrung  StrumpeH's^)  erinnem,  welcher  einen 
Yollstandig  anasthetischen ,  einseitig  blinden  Knaben,  der  auf  einem 
Ohre  fast  voUstandig  taub  und  dessen  Geschmack  und  G^ruch  ge- 
lahmt  war,  nach  wenigen  Minuten  in  Schlaf  versetzen  konnte,  sobald 
er  ihm  das  andere  Auge  und  Ohr  verschloss. 

In  hochstem  Grade  Uberrascht  hat  uns  das  Ergebniss  der  Ver- 
suche, dass  die  eigentliche  geistige  Thatigkeit,  soweit  sie  der  Unter- 
suchung  zuganglich  war,  durch  das  Trional  anscheinend  nicht  beeinflusst 
wird.  Wir  batten  zunachst  mit  Bestimmtheit  vermuthet,  dass  gerade  die 
associative  Thatigkeit  unter  der  Wirkung  unseres  Mittels  in  erheblichem 
MaBe  erschwert  wiirde.  Es  erschien  die  Vermuthung  unabweisbar,  dass 
ein  Mittel,  welches  in  so  zwingender  Weise  den  Schlaf  herbeifiihrt,  vor 
allem  auch  die  Verbindung  der  Vorstellungen  und  damit  die  gesammte 
geistige  Thatigkeit  lahmen  miisse.  Diese  Ansicht  hat  in  dem  Ausfalle 
der  Versuche  keine  Bestatigung  gefunden,  obgleich  wir  bemiiht  waren, 
irgendwo  einen  Anhaltspunkt  in  dieser  Bichtung  aufzufinden.  Es  ist 
naturlich  nicht  unmoglich,  dass  durch  das  Trional  noch  eine  Beihe  von 
hoheren  psychischen  Vorgangen  wesentlich  beeinflusst  werden,  welche 

1)  AUgem.  Wiener  mad.  Zeitg.  1877.  Nr.  44. 


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Die  psychischen  Wirkaogen  des  Trionals.  397 

sich  nicht  in  den  Rahmen  unserer  Versuche  fassen  lieBen.  Immerhin 
steht  soviel  fest,  dass  die  schlafmachende  Wirkung  in  erster  Linie 
nicht  an  eine  Beeinflussung  der  associativen  Thatigkeit,  sondem  vor 
allem  an  eine  Beeintrachtigung  der  Auffassung  gekniipft  ist. 

Auf  der  andem  Seite  ist  es  gewiss  fiir  die  praktische  Wirkimg 
des  Trionals  nicht  gleichgiiltig,  dass  dasselbe  auch  die  Auslosung 
von  Bewegungen  erschwert.  Auch  die  dadurch  erzeugte  moto- 
rische  Beruhigung  ist  ohne  Zweifel  eine  fiir  den  Eintritt  des 
Schlafes  besonders  giinstige  Vorbedingung.  Wir  erinnem  uns  dabei, 
dass  gerade  die  beiden  auffallendsten  Wirkungen  des  Trionals, 
die  Erschwerung  der  Auffassung  und  der  Willensantriebe  zugleich 
kennzeichnende  Merkmale  der  haufigsten  und  naturlichsten  Ursache 
des  Schlafes  sind,  der  Ermiidung.  Es  ist  femer  gewiss  kein  Zu- 
fall,  dass,  wie  es  scheint,  wenigstens  fiir  groBere  Gaben  die  Ver- 
bindung  jener  beiden  psychischen  Wirkungen  sich  bisher  bei  alien 
denjenigen  psychologisch  untersuchten  Mitteln  wiedergefunden  hat, 
welche  wir  zur  Erzeugung  kiinstlichen  Schlafes  in  Anwendung  ziehen. 
Von  besonderem  Interesse  ist  dabei  die  Thatsache,  dass  iiberall  die 
Stoning  der  Auffassung  in  ganz  besonderem  MaBe  ausgesprochen  ist, 
vom  Alkohol  und  Paraldehyd  zum  Chloralhydrat,  zum  Aether  und 
zum  Chloroform.  Gerade  darum  ist  auch  das  Morphium,  welchem 
diese  Wirkung  fehlt,  wie  bekannt,  durchaus  nicht  als  ein  Schlafmittel 
anzusehen.  Die  lahmende  Wirkung  auf  psychomotorischem  Gebiete 
finden  wir  am  ausgepragtesten  beim  Chloralhydrat  und  eben  beim 
Trional;  beide  Mittel  sind  erfahrungsgemaB  die  wirksamsten  der 
bisher  psychologisch  untersuchten  Schlafmittel.  Bei  den  iibrigen 
angefiihrten  Mitteln  scheint  sich  die  motorische  Lahmung  erst  bei 
groBeren  Gaben  einzustellen ;  dem  entspricht  das  bei  Chloroform, 
Aether,  Alkohol  beobachtete  Auftreten  von  Erregungszustanden  im 
Beginne  der  Narkose.  Wir  sehen  denn  auch  unter  diesem  G^- 
sichtspunkte,  dass  wahrscheinUch  die  Verbindung  der  beiden 
psychischen  Wirkungen,  welche  uns  der  Versuch  beim  Trional 
aufgedeckt  hat,  fiir  seine  Bedeutung  als  Schlafmittel  wesentlich 
ist.  Noch  mehr,  gerade  diese  Verbindung  macht  es  uns  verstand- 
lich,  warum  es  gegeniiber  so  manchen  anderen  die  ausgezeichnete 
Stellung  in  der  Reihe  der  Schlafmittel  einnehmen  muss,  die  ihm  die 
klinische  Erfahrung  thatsachlich  zugewiesen  hat. 

26* 


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398  Hans  Haenel.  Die  psychischeD  Wirkongen  des  Trionals. 

SeUnsssfttze. 

1.  Trional  verlangsamt  die  Arbeit  des  Rechnens  und  Lernens, 
verlangert  die  Reactionszeiten  bei  Wahlreactionen,  vermindert  die 
Pehlreactionen,  vermehrt  bei  Lese-  und  Auffassungsversuchen  die 
Pehler  und  die  Auslassungen,  verlangsamt  das  Schreiben. 

2.  Nicht  nachweisbar  ist  ein  Einfluss  auf  den  Associationsvor- 
gang,  auf  die  Ergographencurve  und  die  Wiederholungsgeschwindig- 
keit  beim  Lemen. 

3.  Daraus  folgt: 

I.  Trional  beeintrachtigt   die  Auffassung  und  verandert  sie  zu- 

gleich  im  Sinne  einer  Vermehrung  von  Ulusionen. 
n.  Trional    erschwert   die    centrale  Auslosung    coordinirter  Be- 
wegungen. 

4.  Seine  Bedeutung  als  Schlafmittel  ist  dadurch  ausreichend 
erklart. 

5.  Eine  Erleichterung  oder  Beschleunigung  war  auf  keinem  der 
untersuchten  Gebiete  psychischer  Thatigkeit  und  zu  keiner  Zeit  nach- 
weisbar. 

6.  Das  Trional  wirkt  auch  in  kleinerer  Gabe  bis  zum  folgenden 
Abend  nach. 

7.  Einen  durchgreifenden  Unterschied  zwischen  groBerer  und 
kleinerer  Gabe  haben  die  Versuche  nicht  ergeben. 


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Ueber  die  Scbwankiuigen  der  geisttgen  Arbeitsleistung. 

Von 

Oeorg  Ton  Toss. 

Mit  einer  Figur  im  Text. 


I.  Einleitnng. 

Aus  alien  Untersuchungen,  die  iiber  das  Wesen  der  geistigen 
Arbeit  angestellt  worden  sind,  ging  stets  hervor,  dass  der  Ablauf 
derselben  kein  vollkommen  gleichmaBiger  ist,  sondem  dass  Schwan- 
kungen  jederzeit  vorkSmen.  Auch  die  Erfahrung  des  taglichen  Lebens 
lehrt  uns  dasselbe  —  wissen  wir  doch,  dass  es  uns  nur  schwer  mog- 
lich  ist,  angestrengt  geistig  thatig  zu  sein,  ohne  von  Zeit  zu  Zeit 
nachzulassen,  um  dann  mit  emeuter  Kraft  weiter  zu  arbeiten.  Die 
Ursachen  dieser  Erscheinung  konnen  verschiedener  Art  sein;  wir 
miissen  unterscheiden  zwischen  f ordemden  und  verlangsamenden  Ein- 
fliissen  auf  die  Arbeit. 

Zu  den  ersteren  gehoren  die  Uebung,  die  Anregung  und  der 
Antrieb ;  verlangsamend  wirkt  dagegen  die  Ermiidung.  AuBer  diesen, 
wohl  regelmaBig  zu  beobachtenden  Einfliissen  machen  sich  aber  noch 
andere  geltend,  die  mehr  den  Zufalligkeiten  zugerechnet  werden 
diirfen.  XJnter  diesen  ist  es  die  Gewohnung,  welche  die  Leistung 
verbessert,  wahrend  die  Ablenkung  sie  verschlechtert.  Femer  lehrt  uns 
die  subjective  Empfindung,  dass,  auch  abgesehen  von  alien  obenge- 
nannten  Factoren,  noch  die  Aufmerksamkeit  von  groBtem  Einfluss 
auf  den  Ablauf  unserer  Arbeit  ist.  Der  mehr  oder  weniger  regel- 
maBige  Wechsel  unserer  Aufmerksamkeitsspannung  muss  sich  in 
Schwankungen  der  Leistung  widerspiegeln.  — 

Krft  ep  el  in,  Psycholog.  Arbeiten.  IL  27 


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400  Georg  ?oii  Voss. 

Bei  den  bisher  ublichen  Untersuchungsmethoden  mit  5  Minuten- 
zeichnung  (die  Arbeit  wurde  in  den  friiheren  Versuchen  stets  dnrch 
ein  alle  5  Minuten  wiederkehrendes  Glockensignal  unterbrochen)  war 
es  nicht  moglich  gewesen,  die  feineren  Leistungsschwankungen  zu 
verfolgen;  man  hatte  sich  mit  der  Erklarung  der  groben  Ausschlage 
begniigen  miissen  und  hatte  oft  genug  gar  nicht  die  Moglichkeit 
gehabt,  manche  deutliche  Schwankungen  zu  erklaren.  Es  war  daher 
wunschenswerth,  eine  feinere  Methode  anzuwenden,  um  Aufschluss 
zu  erlangen  uber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistimg. 


/^ 


^ 


isz. 


In  der  nebenstehenden  schematischen  Zeichnung  ist  der  Apparat 
wiedergegeben ,  den  Herr  Mechaniker  Runne  nach  den  Angaben 
von  Professor  Kraepelin  construirte  und  dessen  wir  uns  bei  den 
zu  schildemden  Untersuchungen  bedienten. 

Die  »elektri8che  Feder«  besteht  aus  einem  Hohlcylinder  h,  in 
dem  eine  bei  x  um  eine  Achse  drehbare  Rohre  r  liegt.  Das  vordere 
Ende  der  Rohre  tragt  bei  b  eine  Bleistiftspitze ;  das  entgegengesetzte 
Ende  geht  in  eine  Feder  Uber,  die  bei  c  einen  Contact  tragt  und 
bei  e  in  eine  Metallplatte  p  eingeklemmt  ist.  Gegeniiber  dem  Con- 
tact c  ist  an  dem  auBeren  Cylinder  eine  mit  einer  Klemmschraube 
versehene  Ableitung  a^  angebracht.  Die  Zuleitung  erfolgt  von  fi,  aus, 
durch  eine  die  Platte  p  beruhrende,  den  Hohlcylinder  abschlieBende 
Metallhiilse.  Wird  nun  beim  Schreiben  mit  b  ein  Druck  ausgeiibt, 
so  beriihrt  der  Contact  c  die  Ableitimg  a^  und  der  Strom  ist  ge- 
schlossen;  hort  der  Druck  auf,  so  schnellt  die  Feder  zuruck  und  der 
Strom  wird  unterbrochen. 

Der  Apparat  war  mit  zwei  Trockenelementen  und  einer  am 
Kymographion  schreibenden  Feder  verbunden;  jeder  beim  Schreiben 
ausgeiibte  Druck  gab  einen  deutlichen  Ausschlag  auf  der  beruBten 
Trommel. 


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Ueber  die  Schwankongen  der  ^eistigen  Arbeitsleistung.  40 1 

"Unter  dieser  Registrirung  war  noch  ein  Chronograph  befestigt, 
der  1/5  Secunden  schrieb. 

Wir  benutzten  bei  unseren  Versuchen  die  Methode  der  fort- 
laufenden  Additionen  in  den  bekannten  Rechenheften.  Die  Versuchs- 
person  saB  in  einem  besonderen  Zinuner  und  hatte  die  Anfgabe,  eine 
Stunde  lang  je  2  auf  einander  folgende  Zahlen  zu  addiren,  wo- 
bei  die  Ausfuhrung  jeder  Addition  durch  einen  kurzen  Strich  markirt 
wurde;  nach  je  5  Minuten,  die  durch  Glockensignale  abgegrenzt 
waren,  wurden  2  langere  Striche  gezogen.  Auf  diese  .  Weise  erhielten 
wir  Ourven  fur  die  ganze  Versuchsstunde ,  aus  denen  wir  annahemd 
die  Dauer  aller  einzebien  Additionen  bestimmen  konnten.  Auf  eine 
Controlle  der  Bichtigkeit  des  Rechnens  mussten  wir  bei  der  Aus- 
fiihrung  unserer  Versuche  verzichten.  Wir  glaubten  das  thun  zu 
diirfen,  da  einerseits  die  Deutung  der  gefundenen  Fehler  nicht  in 
das  Gebiet  unserer  Arbeit  gehort  und  da  andererseits,  wie  Amberg^) 
festgestellt.hat,  die  Fehlerzahl  schon  an  und  fur  sich  gering  ist  und 
mit  der  Uebung  noch  stark  abnimmt.  — 

Als  Versuchspersonen  dienten  der  Verfasser  (V.),  Dr.  O.  Krause 
(K-)  und  cand.  med.  Diehl  (D.),  und  zwar  fiihrte  V.  eine  8-tagige 
Versuchsreihe  aus,  wahrend  K.  und  D.  nur  je  4  Stunden  rechneten. 
V  rechnete  an  8  auf  einander  folgenden  Tagen  abwechselnd  von 
9 — 10  und  von  8 — 9  Uhr  Morgens,  K.  und  D.  an  vier  Tagen  von 
8 — 9  Uhr.  Unmittelbar  vor  den  Versuchstagen  und  innerhalb  der- 
selben  waren  alle  Personen  vollig  abstinent  in  Bezug  auf  Alkohol; 
Thee  und  Kaffee  wurden  vor  den  Versuchen  nicht  eingenommen; 
auBerdem  wurde  wahrend  der  Zeit  eine  moglichst  geregelte,  gleich- 
maBige  Lebensweise  eingehalten.  Storungen  wahrend  der  Versuche 
kamen  nicht  vor. 

Die  Berechnung  sammtlicher  Additionszeiten  wurde  vorgenom- 
men,  bevor  noch  mit  der  Deutung  der  Versuchsergebnisse  begonnen 
war.  Auf  diese  Weise  konnte  jeder  subjectiven  Beeinflussung  der 
Besultate  vorgebeugt  werden.  Bei  der  Berechnung  der  Additions- 
zeiten stellte  sich  sofort  heraus,  dass  diejenigen  Additionen,  welche 
zu  oberst  in  den  Rechenheften  standen,  mit  groBerem  Zeitaufwand 
gerechnet  waren,  als  die  iibrigen.    Diese  Thatsache  beruhte  auf  dem 


1)  Diese  Arbeiten  Bd.  I,  S.  300. 

27* 


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402  Georg  von  Voss. 

Zeitverlust,  welcher  beim  Aufsuchen  der  neuen  Zahlenreihe  stattfand. 
Aus  einer  groBeren  Menge  wurde  die  GroBe  des  Zeitverlustes  im  Mittel 
=  3/.  Secunden  gefunden,  die  nun  immer  bei  der  obersten  Additionszeit 
in  Abzug  kamen. 

Die  Zeit,  welche  das  Markiren  selbst  in  Anspruch  nahm,  betrug 
meist  Vs  Secunde;  bei  der  zweiten  spater  zu  schildemden  Berech- 
nungsmethode  ist  sie  nicht  beriicksichtigt,  da  es  una  hierbei  nicht 
auf  die  einzelnen  Additionszeiten  ankam,  sondern  auf  die  Zahl  der 
in  einem  gewissen  Zeitabschnitt  ausgefiihrten  Additionen. 

Die  so  erhaltenen  Versuchsergebnisse  waren  unter  3  verschie- 
denen  Gesichtspunkten  zu  betrachten.    Es  war  zu  beriicksichtigen : 

1.  die  Lange  der  einzelnen  Additionszeiten; 

2.  die  GroBe  der  Abweichung  dieser  Additionszeiten  von  ihrem 
Mittelwerth; 

3.  das  Vorkommen  von  Schwankungen  der  Additionszeiten,  die 
Dauer  dieser  Schwankungen  und  die  Anzahl  der  Additionen, 
die  wahrend  derselben  ausgefuhrt  wurden. 

Ueber  die  durchschnittliche  Lange  der  Additionszeiten  suchten 
wir  dadurch  ein  Urtheil  zu  gewinnen,  dass  wir  die  in  je  5  Minuten  ge- 
wonnenen  einzelnen  Zeitwerthe  staffelweise  nach  ihrer  Dauer  ordneten 
und  die  Haufigkeit  procentisch  bestimmten,  mit  der  die  verschiedenen 
Additionszeiten  unter  der  Zahl  der  ausgefiihrten  Rechnungen  ver- 
treten  waren. 

Um  die  GroBe  der  beobachteten  Abweichungen  vom  Mittel  zu 
messen,  bestimmten  wir  die  Anzahl  der  in  je  5  Secunden  vollfuhrten 
Additionen.  Wir  erhielten  auf  diese  Weise  fiir  je  5  Minuten  35 — 45 
Werthe*),  welche  uns  die  Zahl  der  in  den  verschiedenen  5-Secunden- 
abschnitten  ausgefiihrten  Additionen  angaben.  Aus  diesen  Werthen 
lieB  sich  eine  Mittelzone^)  bilden,  in  deren  Bereich  diejenigen  Zahlen- 


1,  Es  sollten  auf  je  5  Minuten  60  5  -  Secundenabschnitte  entfallen;  doch 
kamen  von  der  Gesammtzeit  in  Abzug:  erstens  der  beim  Seitenumwenden  erfol- 
gende  Zeitverlust  und  zweitens  noch  der  ^/^  Secunden  betragende  Zeitverlust  bei 
Berechnung  der  oben  an  der  Seite  stehenden  Additionszeit. 

2^  Die  Bildung  der  Mittelzone  geschah  auf  folgende  Weise:  Aus  den 
Leistungen  der  einzelnen  5"-Ab8chnitte  jeder  5  Minuten  wurde  das  arithmetiscbe 
Mittel  gewonnen;    zu  diesem  wurde  nach  oben  und  unten  je  eine  Zahl  hinzu- 


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(Jeber  die  Schwaokangen  der  geistigen  ArbeiUleistang.  403 

werthe  entfielen,  welche  eine  mittlere  Leistung  vorstellten.  Die  An- 
zahl  der  Werthe,  welche  nach  oben  oder  nach  unten  von  der  Mittel- 
zone  abwichen,  gab  uns  ein  ungefahres  Bild  von  der  Ausgiebigkeit 
der  Veranderungen,  welche  die  Addirgeschwindigkeit  in  je  5  Minuten 
erlitten  hatte. 

Endlich  war  es  unsere  Aufgabe,  die  Dauer  der  Schwan- 
kiingen,  deren  Vorhandensein  schon  bei  oberflachlicher  Durchsicht 
der  Zahlenreihen  auffiel,  zu  bestimmen.    Folgten  z.  B.  fur   10  Ad- 

ditionen   Zeiten    (in  Vs")   wie    2,  2,    3,   2,  3,  5,  4,  2,  7,  8,  so  warden 

sie  als  3  Schwankungen  aufgefasst.  Als  Dauer  einer  Schwankung 
betrachteten  wir  die  Summe  aller  Additionszeiten  von  einem  Maximum 
bis  zum  nachsten  ausschlieBUch.  In  dem  vorhin  citirten  Beispiele 
waren  also  die  mit  "*"  bezeichneten  Zahlen  3,  5  und  8  Maxima  ge- 
wesen;  folgUch  hatte  die  erste  Schwankung  7,  die  zweite  10  und  die 
dritte  21  Vo'Secunden  gedauert.  Eine  Schwankung  fasste  also  immer 
eine  Doppelphase  zusammen:  die  Phase  des  Abnehmens  der  Leistungs- 
geschwindigkeit  und  die  Phase  des  Zunehmens  derselben  bis  zum 
Maximum. 

n.  Die  Lftnge  der  Additionszeiten. 

Eine  XJebersicht  iiber  den  dritten  Versuch  an  V.  giebt  die  Tabelle 
I.  Wenn  wir  mit  der  Betrachtung  des  Verhaltens  der  verschiedenen 
Additionszeiten  beginnen,  so  sehen  wir,  dass  im  Versuch  III  (Ver- 
such I  und  n  waren  wegen  der  anfangs  schwierigen  Technik  nur 
mangelhaft  ausgefaUen  und  infolge  dessen  f iir  die  feinere  Berechnung 
nicht  zu  brauchen)  die  Haufigkeit  der  Additionszeiten  von  0,6"  bei 
weitem  iiberwiegt.  Mit  der  wachsenden  Uebung  steigt  sie  bis  zum 
6.  5-Minuten-Abschnitt  an,  vom  7.  ab  sinkt  sie  progressiv;  wir  konnen 


genommen.  Alle  5"-Ab8clmitte ,  deren  Leistung  in  den  Bereich  dieser  3  Zahlen 
entfiel,  wurden  als  zur  Mittelzone  gehorig  betrachtet.  Wenn  auch  zugegeben 
werden  muss,  dass  unsere  Art  der  Mittelzonenbildung  wissenschaftlich  anfechtbar 
ist,  so  hielten  wir  uns  doch  aus  praktischen  Griinden  fur  berechtigt,  nach  ver- 
schiedenen anderen  Versuchen  zu  dieser  hier  am  bequemsten  verwendbaren 
Methode  zuriick  zu  greifen. 


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404 


Georg  von  Voss. 


die  Abnahme  wohl  mit  Recht  als  Ermiidungswirkung  betrachten. 
Entgegengesetzt  verhalten  sich  die  Additionszeiten  iiber  1,2".  Die- 
selben  nehmen  bis  6  stetig  ab  und  steigen  von  da  ab  wieder,  urn 
nur  uoch  in  12  unter  dem  Einflusse  des  Schlussantriebs  etwas  zu 
sinken.  Die  Zeiten  von  0,8  und  1,0"  zeigen  kein  charakteristisches 
Verhalten;  dagegen  weisen  diejenigen  von  0,4  in  7  und  9  eine  recht 
erhebliche  Zunahme  auf.  Diese  Vermehrung,  verbunden  mit  der 
Steigerung  der  Leistung,  die  besonders  deutlich  in  9  zu  sehen  ist, 

Tabelle  I*) 
Versuch  EEL 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4    1 

2,0 

4,7 

7,0 

4,0 

5,0 

4,0 

J  0,0 

7,5 

10,5 

4,5 

5,0 

4,5 

0,8 

_ 

68,0 

71,5 

68,0 

67,0 

69,0 

72,5 

63,5  i  63,5 

61,5 

61,5 

61,5 

60,5 

0,8 

12,0 

11,5 

8.5 

13,4 

13,5 

12,5 

12,5  11,5 

14,0 

16,0 

10,0 

13,0 

1,0 

6,0 

4,5 

5,5 

4,0 

4,0 

4,5 

5,0 

7,5 

3,5 

6,0 

6,0 

7,0 

1,2 

4,0 

3,2 

4,0 

5,0 

3,0 

4,0 

3,5  4,5 

4,5 

3,0 

6,5 

5,5 

Ueber  1,2 

8,0 

4,6 

7,0 

6,6 

5,5 

2,5 

5,5 

5,5 

6,0 

10,0 

11,0 
350 

9,5 
365 

Leistong 

345 

379 

370 

373 

386 

397 

398 

372 

391 

370 

wirft  ein  Licht  auf  eine  schon  friiher  beobachtete  Thatsache.  Dass 
die  Ermiidung  sich  in  7  schon  geltend  machte,  sehen  wir  in  der  Ver- 
minderung  der  0,6"  Zeiten  und  in  der  Zunahme  der  liber  1,2"  be- 
tragenden  Additionszeiten;  offenbar  kam  diese  Verschlechterung  der 
Leistung   der  Versuchsperson  zu  Bewusstsein,  und   der  Erfolg   der 


1)  Die  links  stehenden  Zahlen  0,4  bis  -Uber  1,2  Secunden  bedeuten  die 
Additionszeiten.  Unter  den  obenstehenden  Zahlen  1  bis  12  sind  die  5-Minaten- 
abschnitte  des  Versuchs  zu  verstehen.  Die  darunter  stehenden  Werthe  ent- 
sprechen  der  Haufigkeit  des  Vorkommens  der  einzelnen  Additionszeiten  in  Pro- 
centen.  Die  Leistung  ist  die  Anzahl  der  im  betrefienden  Abschnitt  ausgefuhrten 
Additionen. 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistung. 


405 


Wiederanspannung  der  Krafte,  die  auf  das  Mtidigkeitsgefiihl  folgte, 
ist  die  zeitweise  Verbessenmg  der  Leistung.  Kraepelin  hat  diese 
Erscheinung  den  »Mudigkeitsantrieb»  genannt. 

Im  Versuch  IV  (Tabelle  11)  sind  wieder  die  Zeiten  von  0,6"  bei 
weitem  am  meisten  vertreten,  sogar  noch  haufiger  als  im  vorhergehenden 
Versuche.  Bemerkenswerth  ist  der  Parallelismus  zwischen  der  Haufig- 
keit  der  0,6' -Zeiten  und  der  Arbeitsleistung:  jedes  Sinken  resp.  Steigen 
der  Leistung  spiegelt  sich  im  Sinken  resp.  Steigen  des  Procentgehalts 
an  0,6"-Zeiten  wieder;  diese  letzteren  entsprechen  eben  der  Haupt- 
masse  der  Additionen.  Auch  hier  ist  das  Verhalten  der  tiber  1,2" 
betragenden  Additionszeiten  den  vorhergenannten  gerade  entgegen- 
gesetzt;  wahrend  die  Leistung  und  die  0,6' -Zeiten  in  11  unter  dem 
Einflusse  des  Schlussantriebs  kraftig  steigen,  sinken  die  Additionszeiten 
iiber  1,2"  betrachtlich  herab. 

Tabelle  H. 
Versuch  IV. 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

1,6 

1,5 

1,5 

1,0 

1,0 

0,8 

4,6  1  1,3 

3,0 

1,8 

1,5 

4,7 

0,6 

73,0 

70,2 

76,0 

76,0 

75,0 

68,0 

72,0  ,  69,2 

65,0 

70,0 

76,6 

67,2 

0,8 

12,1 

10,5 

11,3 

9,5 

7,2 

11,2 

8,4 

14,5 

10,0 

12,6 

8,6 

7,8 

1,0 

4,0 

4,8 

4,0 

4,5 

5,5 

5,4 

6,6  5,2 

7,0 

3,7 

6,0 

5,6 

1,2 

4,5 

2,5 

2,5 

3,5 

6,2 

6,5 

4,2   3,0 

6,1 

6,5 

3,7 

6,7 

Ueber  1,2 

4,8 

4,5 

4,7 

5,5 

5,1 

8,1 

4,2 

6,8 

8,9 

6,4 

3,6 

8,0 

Leistung 

395 

401 

399 

409 

403 

389 

413 

383 

378 

380 

406 

364 

Wie  im  Versuch  in  konnen  wir  wohl  auch  hier  die  im  Abschnitt 
7  auftretende  Verbesserung  der  Leistung,  verbunden  mit  einer  Ver- 
mehrung  des  Procentgehalts  an  0,4",  auf  die  Wirkung  eines  Miidig- 
keitsantriebs  zuriickftthren. 

Wesentlich  anders  sind  die  Resultate  des  Versuchs  V  (Tabelle  IH). 
In  den  beiden  vorigen  Versuchen  batten  wir  eine  regelmaBige 
Zunahme  der  0,6 "-Zeiten  feststellen  konnen,  was  wir  als  TJebungs- 


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406 


Georg  von  Voss. 


wirkimg  auffassten;  hier  dagegen  finden  wir  nur  im  Abschnitt  1 
einen  ahnlich  hohen  Procentsatz  von  0,6"-Zeiten;  dann  Wit  er  ganz 
bedeutend  ab.  Entgegengesetzt  verhalten  sich  die  0,4"-Zeiten;  in 
I.  noch  kaum  vorhanden,  erreichen  sie  in  5.  eine  sonst  nicht  be- 
obachtete  Hohe.  Eine  Erklarung  fUr  dieses  Verhalten  finden  wir  in 
dem  Ablauf  der  Leistung  jenes  Tages:  wahrend  wir  an  anderen 
Tagen  die  Arbeitsleistung  anfangs  zunehmen  sehen,  bis  sie  in  der 
Mitte  der  Zeit  ungefahr  ihren  Hohepunkt  erreicht  und  dann  wieder 
abninmit,  schwankt  sie  hier  ganz  unregebnaBig.  Auffallend  kraftig 
ist  die  Wirkung  des  Schlussantriebs,  der  in  12  die  Leistung  auf  das 
Tagesmaximum  erhebt.  Da  wir  gleichzeitig  auch  einen  deutlichen 
Anfangsantrieb  vorfinden,  so  miissen  wir  den  Schluss  ziehen,  dass  die 
Leistung  jenes  Tages  unter  besonderen  Antriebswirkungen  stand,  denen 
vielleicht  die  UnregelmaBigkeit  der  Arbeit  zugeschrieben  werden  darf . 
Wir  werden  spater  noch  auf  die  Thatsache  zuruckzukommen  Ge- 
legenheit  haben,  dass  ein  gehauftes  Auftreten  der  0,4'-Zeiten  auch 
als  Antriebswirkung  zu  betrachten  ist;  die  Vermehrung  der  Minimal- 
zeiten  auf  Kosten  der  0,6"-Zeiten  bewirkt  auch  ein  UnregebnaBig- 

Tabelle  ZU. 
Versuch  V. 


Secunden 
0,4 
0,6 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 



8 

9 

10 

11 

12 

0,7 

5,8 

13,0 

11,2 

21,2 

14,0 

13,0 

17,0 

11,1  11,7 

11,5  15,7 

76,3 

65,1 

67,2 

65,6 

55,8 

61,0 

53,5 

58,0 

63,1  64,4 

64,7  63,5 

0,8 

9,7 

12,8 

6,7 

7,2 

9,1 

9,1 

12,0 

7,2 

6,4 

6,4 

8,5   8,0 

1,0 

3,9 

6,7 

5,7 

4,8 

3,7 

6,0 

4,6 

4,4 

6,2 

4,0 

2,7!  5,7 

1,2 

4,8 

4,5 

4,2 

3,9 

4,5   5,4 

7,0 

4,7 

4,2 

5,3 

5,2   4,8 

Ueber  1,2 

4,6 

3,1 

3,2 

7,3 

5,7 

4,5 

10,0 

8,7 

9,0 

8,2 

7,4;  2,3 

Leistung 

415,  402 

420 

412 

409 

430 

393 

• 

406 

380 

380 

409 

442 

werden  der  Arbeit.  Die  Zeiten  uber  1,2"  zeigen  von  7  an  eine  starke 
Zunahme ;  nur  zum  Schlusse  nehmen  sie,  entsprechend  dem  Verhalten  in 
friiheren  Versuchen,  mit  dem  Anwachsen  der  Leistung  betrachtlich  ab. 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistang. 


407 


Der  Versuch  VI  (Tabelle  IV)  zeigt  fast  iiberall  einen  hohen  Pro- 
centsatz  an  0,6"-Zeiten;  demgemaB  ist  auch  die  Leistung  recht  gleich- 
maBig.  Ein  deutlicher  Anfangsantrieb  ist  vorhanden;  die  Zahl  der 
iiber  1,2"  betragenden  Additionszeiten  ist  in  1  sehr  gering,  steigt  in 
2  stark  an,  entsprechend  dem  Nachlass  der  Leistung,  sinkt  von  da 
ab  bis  7  und  steigt  dann  wieder  etwas.  Wir  sehen  in  4,  auf  der 
Hohe  der  Leistung,  einen  ganz  geringen  Procentsatz  der  extremen 
Werthe  von  0,4"  und  iiber  1,2";  es  ist  also  wesentlich  die  Haufigkeit 
der  Zeiten  von  0,6"  (und  0,8"),  welche  die  GleichmaBigkeit  der  Ar- 
beit und  zugleich  die  Hohe  der  Leistungen  bestimmt. 

Tabelle  IV. 
Versuch  VI. 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4         1 

1,5!    1,5 

1,0 

1,0 

8,0 

3,5      5,0 

4,5 

2,0     0,5 

2,0 

1,5 

0,6 

68,5 

69,5 

78,0 

76,0 

71,5 

75,5  I  76,0 

81,0 

72,5 

77,5 

71,5 

71,5 

0,8 

18,0 

14,0 

8,5 

13,0 

11,5 

10,5 

9,5 

7,0 

11,5 

6,5 

11,5;    8,5  1 

ho 

6,5 

4,0 

6,5 

5,0 

5,0 

4,5 

5,0 

2,0 

5,0!    7,0 

5,5 

8,0 

1,2 

3,0 

3,5 

2,5 

4,0 

1,5 

2,5 

2,0 

2,0 

5,0  '    3,0 

4,0     6,5 1 

Ueber  1,2 

2,5 

7,5 

3,5 

1,0 

AS 

3,5 

2,6 

3,5     4,0 

5,5 

5,5 

4,0 

Leistung 

423 

398 

419 

444 

440 

437 

440 

441 

412 

401 

4U1 

399 

Im  Versuch  VII  (Tabelle  V)  bemerken  wir  den  sehr  geringen  Pro- 
centsatz an  0,4"-Zeiten.  Wahrend  die  0,6"-Zeiten  unter  dem  Einflusse 
der  Uebung  stetig,  wenn  auch  nur  langsam  zugenommen  haben,  ist  dies 
bei  den  0,4 "-Zeiten  nicht  der  Fall.  Wir  diirfen  daraus  den  Schluss 
Ziehen,  dass  die  Uebung  bei  V.  die  Zahl  der  ganz  kurzen  Zeiten  nicht 
vermehrt,  sondem  eher  vermindert,  dass  also  die  Verbesserung  der 
Leistung  unabhangig  ist  von  der  Verkiirzung  einzelner  Additions- 
zeiten. Die  Uebung  fuhrt  vielmehr  eine  groBere  GleichmaBigkeit  der 
Arbeit  dadurch  herbei,  dass  sich  die  von  vomherein  am  haufigsten 
aufgetretenen  Zeiten  von  0,6"  stetig  vermehren.  Was  von  den  ganz 
kurzen  Zeiten  gesagt  wurde,  gilt  ahnlich  fiir  die  ganz  langen.    Auch 


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408 


G«org  von  Voss. 


die  Zeiten  iiber  1,2"  nehmen  mit  fortschreitender  Uebung  allmahlich 
an  Zahl  ab;  einer  voriibergehenden  Abnahme  der  Leistung  entspricht 
fast  regebnafiig  eine  Zunahme  dieser  Zeiten  und  umgekehrt. 

Tabelle  V. 
Versuch  VII. 


Secnnden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

0,5 

1,0 

0,5 

0,0 

0,5 

1,0 

4,5 

2,0 

2,5 

3,5 

1,0   2,5 

0,6 

74,5 

74,5 

76,0 

75,5 

78,0 

77,5 

79,0 

71,0 

67,5 

68,5 

69,5 

71,5 

O.S 

12,5 

14,0 

11,0 

14,0 

11,5 

11,5 

7,0 

13,0 

14,5 

12,5 

16,5  !  10,5 

1,0 

6,0 

7,0 

4,0 

6,0 

5,0 

5,5 

4,0 

5,5 

7,5 

8,0 

4,0 

6,5 

1,2 

4,5 

2,0 

4,0 

2,5 

1,5 

2,0 

2,5 

4,0 

3,5 

5,0 

3,0 

5,5 

Ueber  1,2 

2,0 

1,5 

J^ 

2,0 

3,5 

2,5 

3,0,  4,5 

4,5 

2,5 

6,0 

3,5 

Leistung 

443 

430 

425 

447 

442 

439 

440 

423 

405 

416 

425 

420 

Dieses  Verhalten  konnen  wir  im  Versuch  "VUJL  (Tabelle  VI) 
deutlich  beobachten.  In  den  Abschnitten  3,  7  und  9  sinkt  die 
Leistung  betrachtlich,  wahrend  zugleich  die  Zeiten  iiber  1,2"  jedesmal 
stark  zunehmen.  Der  Procentgehalt  an  (),6"-Zeiten  ist  gegen  die  friiheren 
Versuche  nicht  gestiegen;  eher  findet  sich  eine  geringe  Abnahme. 
Die  Ermiidung  beginnt  sich  im  6.  Abschnitt  geltend  zu  machen 
und  kennzeichnet  sich  durch  eine  allmahliche  Abnahme  der  0,6"- 
Zeiten.  Von  10  an  hebt  sich  die  Leistung  wieder  bedeutend.  Wir 
diirfen  diese  Thatsache  wohl  auf  die  Wirkung  eines  Schlussantriebs 
am  Ende  der  ganzen  Versuchsreihe  zuriickfUhren;  die  letzte  Willens- 
anstrengung,  verbunden  mit  dem  Gefiihl  der  Befriedigung  uber  den 
erreichten  Abschluss  vermochte  die  Ermiidung  wahrend  der  letzten 
Viertelstunde  fast  voUig  zu  verdecken. 

Den  Ausfall  des  ersten  Versuches  von  K.  giebt  die  Tabelle  VII. 
Die  Arbeitsleistung  ist  in  demselben  recht  gleichmaBig;  sie  zeigt  ein 
fast  ununterbrochenes  allmahliches  Ansteigen  vom  zweiten  bis  zum 
vorletzten  5-Minutenwerth.  Im  ersten  Werthe  macht  sich  eine  deut- 
liche  Antriebswirkung,   im  letzten  die  Ermiidung  geltend;  vielleicht 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigeo  Arbeitsleistung. 


409 


Tabelle  VI. 
Versuch  Vm. 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

6,4 

1,« 

1,5 

0,0 

0,0 

5,5 

7,0 

1,5 

1,0 

4,5 

4,5 

4,0 

5,0 

0,6 

71,0 

76,0 

72,0 

76,0 

75,0 

72,5 

69,0 

72,0  \  66,5 

75,0 

71,5 

72,2 

0,8 
1,0 

14,5 

14,0 

13,0 

10,5 

8,0 

7,0 

12,0 

12,0110,5 

9,5 

9,5 

12,2 

8,0 

4,5  1  5,5 

6,0 

6,5 

6,0 

7,5 

7,0 

6,0 

5,5 

8,0 

4,4 

1,2 

3,0 

1,5 

3,0 

3,0 

2,5 

4,0 

4,0 

3,0 

5,0 

3,0 

3,5 

4,0 

Ueber  1,2 

2,5 

2,5 

6,5 

4,5 

2,5 

3,5 

6,0 

5,0'  7,5 

2,5 

3,5 

2,2 

Leistung 

441 

442 

418 

42(1 

451 

456 

403 

429 

406 

447 

442 

436 

ist  aber  auch  der  vorletzte  Werth  schon  etwas  durch  Antrieb  beein- 
flusst.  Die  Vertheilung  der  einzelnen  Additionszeiten  in  den  ver- 
schiedenen  Versuchsabschnitten  zeigt  uns  einen  ziemlich  hohen  Pro- 
centsatz  der  0,6'-Zeiten.  Der  Gang  dieser  Werthe  entspricht  im 
groBen  und  ganzen  demjenigen  der  Arbeitsleistung.  Namentlich  das 
Anwachsen  vom  2.  bis  zum  5.  Werthe,  das  Sinken  am  Schlusse,  die 


Tabelle  VH. 
Versuch  I  (K.). 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

T,y 

3,7  1  5,0 

4.1 

3,7 

3,3 

3,9 

4,2 

3,5 

7,5 

4,5 

4,5 

0,6 

52,5  36.7  I  52,7  '  58,0 

62,3 

50,2 

52,3 

54,5 

55,5  !  52,5 

57,0 

53,5 

0,8 

22,2 

20,2 

17,0 

12,2 

13,0 

17,2 

16,0 

12,3 

15,5 

15,0 

10,5 

17,0 

1,0 

7,5 

11,2 

8,3 

9,7 

6,0 

10,3 

9,0 

10,5 

9,0 

8,5 

8,2 

7,0 

1,2 

7,2 

7,5!  5,4 

1 

6,0 

4,5 

9,7 

6,0'  7,5 

7,5 

6,5   6,3 

6,5 
11,5 

Ueber  1,2 

6,5 

14,7 

11,6  10,0 

10,5 

9,3 

12,8 

11,0 

9,0 

10,0 '13,5 

Leistung 

322 

294 

316 

322 

326 

334 

337 

339 

343 

340  351 

322 

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410 


Georg  ?on  Voss. 


hohen  Werthe  am  Anfang  und  im  11.  Abschnitte  deuten  auf  die 
inneren  Beziehungen  zwischen  Arbeitsleistung  und  Haufigkeit  der 
0,6'-Zeiten  bin,  wenn  sich  auch  sonst  zahlreiche  Abweichungen  finden. 

Die  Zeiten  von  0,4"  batten  wir  friiber  als  Begleiter  des  Antriebs 
kennen  gelemt.  Hier  konnen  wir  diese  Bedeutung  nur  in  bescbranktem 
MaBe  wiederfinden.  Im  ersten  und  in  den  3  letzten  AbscHnitten 
treten  sie  etwas  starker  bervor,  aber  aucb  im  3.,  scbwacber  im  8. 
und  4.,  in  denen  sonstige  Zeicben  von  Antrieb  nicbt  nacbweisbar 
sind.  Dagegen  finden  wir  im  ersten  Abscbnitt  auff allend  wenig  Wertbe 
von  iiber  1,2".  An  den  iibrigen  Additionszeiten  fallt  uns  die  gleicb- 
maBige  Vertbeilung  auf;  kein  Versucbsabscbnitt  zeicbnet  sicb  durch 
besonders  starke  Abweicbungen  aus.  Eine  gewisse  Neigung  zur  Ver- 
minderung  konnen  wir  in  den  0,8  "-Zeiten  feststellen. 

Gegeniiber  der  Leistung  des  ersten  Tages  zeigt  Vers.  11  (Tab.  Viil) 
einen  betracbtlicben  Uebungsfortscbritt.  Unter  dem  Einflusse  eines 
kleinen  Antriebs  beginnt  die  Arbeit  recbt  bocb,  sinkt  darauf  etwas  und 

Tabelle  Vm. 
Versucb  H  (K.). 


Secunden  ^     1 

2    3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

2,0 

r^i 

3,1 

7,1 

7,0 

7,1 

4,5 

7,0 

4,5 

3,1 

3,4 

2,0 

0,6 
0,8 

59,1  ^60,8160,2 

60,1 

65,8 

62,9 

66,2  56,0 

60,6 

58,5 

66,0 

63,0 

16,6 

14,0 

13,1 

n,6 

8,4 

16,1 

12,5  15,0 

16,5 

16,1 

13,1 

14,0 

1,0 

10,2 

9,0 

7,6 

5,7 

7,3 

3,7 

6,8 

5,4 

6,5 

7,6 

7,0 

8,6 

J, 2 

5,6 

5,2 

6,5 

6,0 

5,0 

4,5 

3,5  1  5,0 

3,5 

6,7 

4,9 

6,9 

Ueber  1,2 

6,5 

8,3 

9,5 

9,5 

6,5 

5,7 

6,5  11,6 

1  8,5 

8,0 

5,6 

6,5 

Leistung 

373 

365 

36T 

363 

368 

380 

375 

354 

368 

367 

388 

373 

bebt  sich  dann  bis  zum  7.  Abscbnitt.  Im  8.  Abscbnitt  folgt  ein  recbt 
steiler  Abfall,  dann  eine  kleine  Erbebung,  wieder  ein  Sinken  und 
endlich  steigt  die  Leistung  unter  dem  Einfluss  eines  Scblussantriebs 
nocbmals  an.  Der  Procentgebalt  an  Zeiten  liber  1,2"  ist  im  ersten 
Abscbnitt  unter  dem  Einfluss  des  Antriebs  ziemlich  gering.     Gregen- 


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Ueber  die  Sehwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistang. 


411 


iiber  dem  vorhergehenden  Versuche  ist  der  Procentsatz  an  0,4'-Zeiten 
ein  wenig  gestiegen,  was  auf  eine  Vermehrung  der  Antriebswirkiingen 
hindeuten  diirfte;  die  0,6'-Zeiten  haben  deutlich  zugenommen,  wah- 
rend  die  Zeiten  von  0,8"  und  liber  1,2"  vermindert  sind.  Auch  hier, 
wie  im  vorigen  Versuch,  ist  das  Verhalten  aller  Additionszeiten  vom 
Anfang  bis  zum  Ende  recht  gleichmaBig. 

Der  Versuch  IH  (Tabelle  IX)  beginnt  ohne  Antrieb ;  die  Leistung 
steigt  langsam,  unter  unbedeutenden  Sehwankungen  bis  etwa  zum 
8.  Abschnitt;  von  hier  an  beginnt  sie  ebenso  gleichmaBig  zu  fallen. 

Tabelle  IX. 
Versuch  EDE  (K.). 


Secunden 

' »  Ll 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

1,5 1    2,2!    0,9 

1,5 

2,2 

1,9 

0,8 

4,5 

2,0 

1,0 

1,0 

0,8 

0,6 

69,2  '  67,7 

71,2 

69,0 

70,0 

70,4  '71,5 

74,9 

09,8 

65,0 

67,8 

64,1 

0,8 

15,0    15,0 

12,0 

12,0 

12,3 

12,2    10,5 

9,4 

13,0 

11,5]  13,2 

13,2 

1,0 

7,5 

5,6 

6,4 

6,2 

5,6 

6,2     9,5 

5,2 

4,8 

8,0 

5,5 

7,4 

1,2 

3,0 

5,0 

5,3 

3,8 

5,0 

4,5     3,2 

3,0 

5,0 

5,5 

6,0 

6,8 

Ueber  1,2 

3,8 

4,5!    4,2 

7,5 

4,9 

4,8  i    4,5 

3,0 

5,4 

9,0 

6,5 

7,7 

Leistung 

402 

402 

411 

393 

414 

416 

409 

414 

399 

389 

392 

392 

Der  Einfluss  der  fortschreitenden  Uebung  zeigt  sich  hier  deut- 
Uch:  die  Zeiten  von  0,6"  haben  ganz  bedeutend  zugenommen,  wahrend 
die  von  0,4,  0,8  und  iiber  1,2"  gesunken  sind.  Im  9.  Abschnitt 
kSnnen  wir  zum  ersten  Mai  eine  deutliche  Ermiidungswirkung  beob- 
achten:  von  diesem  Abschnitt  an  sinken  die  Zeiten  von  0,6",  wah- 
rend die  iiber  1,2"  betragenden  steigen.  Sehr  gering  ist  im  ganzen 
Versuch  der  Procentgehalt  an.  0,4 "-Zeiten;  halten  wir  diese  That- 
sache  mit  dem  Fehlen  der  Antriebswirkungen  am  Schlusse  und  An- 
fang zusammen,  so  scheint  darin  wieder  eine  Bestatigung  des  Parallelis- 
mus  im  Auftreten  des  Antriebs  und  der  ganz  kurzen  Zeiten  zu  liegen. 

Anders  verhalt  sich  der  Versuch  IV  (Tab.  X);  schondie  5-Minuten- 
leistungen   zeigen    betrachtliche    Sehwankungen,    die    uns    auf    eine 


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412 


Georg  von  Voss. 


veranderte  Arbeitsweise  hindeuten.  Der  Procentgehalt  an  0,6"- 
Zeiten  hat  nur  wenig  zugenommen;  im  2.  Abschnitt,  dem  MiTiiTniini 
der  Leistung,  sinkt  er  bis  auf  die  mittlere  Hohe  des  ersten  Versuchs- 
tages  herab;  zugleich  ist  der  Procentsatz  an  0,4  und  0,8"  wieder  ge- 
stiegen.  Die  Zeiten  Uber  1,2  haben  abgenommen,  steigen  aber  in 
12  ganz  bedeutend  an.  Die  Vermehrung  der  extrem  kleinen  Zeiten 
deutet  auf  Antriebswirkungen  bin.  Aus  allem  Gesagten  geht  hervor, 
dass,  im  Gregensatz  zu  der  ruhigen  und  gleichmllBigen  Arbeitsweise 
des  ersten  und  dritten  Versuchstages,  der  vierte  uns  das  Bild  einer 
sprunghaften  und  ungleichmaBigen  Arbeit  darbietet.  Wir  diirfen  wohl 
annehmen,  dass  K.  an  diesem  Tage  bedeutend  schlechter  disponirt 
war  als  an  den  vorausgehenden,  und  dass  er  bestrebt  war,  diesen 
Ausfall  durch  Antriebswirkungen  auszugleichen. 

Tabelle  X. 
Versuch  IV  (K.). 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

It 

12 

0,4 

0,5 

3,6 

8,5 

5,7 

3,8 

7,0 

4,5 

IsJ 

5,5 

3,4 

3,0 

3,6 

0,6 

61,0    56,5  ;  62,0    62,0 

66,6 

71,9 

76,0 '71,2 

72,0 

73,5    73,4 

64,8 

0,8 

22,0 

17,5    13,6    16,2 

14,7 

10,5 

9,0,    8,4 

11,5    13,6 

1 

10,1    16,0 

1,0 

7,5 

9,0  i    6,3     6,3 

5,5 

6,0 

4,0  1    6,0 

5,0  1    6,0 

7,2  1    6,0 

1 

1.2 
Ueber  1,2 
Leistung 

4,0 1    8,5     6,6     4,1 

5,5 

Al 

3,0      4,8 

3,5 

2,4 

3,2'    3,6 

1 

5,0      5,0  1    3,0  1    5,7 

3,9 

2,5 

3,5      4,3 

2,5 

1,1  1    3,1 

6,0 

404 

384 

413 

419 

416 

455 

450 

430 

436  !  464 

1 

444 

411 

Von  den  4  Versuchen  an  D.  sind  leider  nicht  alle  fUr  unsere 
Berechnungen  verwendbar  gewesen;  die  letzten  10  Minuten  des  zweiten 
Tages  und  der  ganze  vierte  Tag  mussten  wegen  technischer  Mfi-ngel 
fortgelassen  werden.  Am  dritten  Tage  veranderten  wir  die  Versuchs- 
anordnung  in  folgender  Weise:  Nur  die  erste  Viertelstunde  wurde 
fortlaufend  addirt;  dann  wurde  mit  Wechsel  zwischen  Arbeit  und 
Pausen  von  je  5  Minuten  Dauer  50  Minuten  lang  fortgefahren.  Wir 
erhielten  auf  diese  Weise  einen  »durchbrochenen  Versuch*,  nach  dem 


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Ueber  die  SchwaiikaDgen  der  geistigen  ArbeitsIeistuDg. 


413 


Vorgange  Amb erg's.  Der  durchbrochene  Versuch  wurde  mit  der 
Absicht  angestellt,  die  Wirkung  der  Pausen  zu  studiren.  Leider 
konnte  der  folgende  4.  Versuch  fur  unsere  f einen  Berechnungsmethoden 
nicht  ausgenutzt  werden;  dadurch  wurde  die  Deutung  der  Resultate 
des  dritten  Tages  sehr  erschwert. 

Die  Anfangsleistung  D.'s  (Tabelle  XI)  steht  weit  unter  derjenigen 

•  der  zwei  ersten  Versuchspersonen.     Die  5-Minutenwerthe   wachsen 

bis    zum  Schluss  des  ersten  Tages  recht  gleichmaBig  an.    Ln  ersten 

Abschnitt  findet  sich  eine  geringfiigige  Antriebswirkung.     Der  Ein- 

fluss  der  Ermiidung  lasst  sich  nicht  nachweisen. 

Tabelle  XL 
Versuch  I  (D.). 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

0,4 

1,0 

0,0 

0,0 

2,5 

2,3 

0,5 

0,9 

3,6 

0,0 

2,7 

2,8 

1,2 

0,6 

2,0 

4,6 

11,1 

11,7 

22,9 

20,0 

29,0 

21,6 

13,5 

25,4 

18,7 

19,0 

0,8 

13,0 

10,4 

23,6 

27,7 

18,4 

23,0 

22,8 

29,3 

35,4 

25,4 

41,0 

31,5 

1,0 

18,0 

16,8 

20,1 

19,7 

22,9 

22,6 

16,0 

19,5 

21,1 

12,5 

16,5 

19,4 

1,2 

19,0 

29,5 

19,6 

16,9 

13,0 

16,9 

15,5 

7,2 

14,4 

12,0 

8,0 

12,4 

Ueber  1,2 

47,0 

38,7 

25,6 

21,5 

20,5 

17,0 

15,8 

18,8 

15,6 

22,0 

13,0 

16,5 

Leistung 

178 

173 

199 

213 

223 

225 

241 

222 

237 

221 

246 

242 

Sehr  auffallend  ist  das  Verhaltniss  der  Additionszdten  im  Ver- 
such I:  im  ersten  Abschnitt  ist  fast  die  Halfte  sammtlicher  Addi- 
tionen  in  Zeiten  von  iiber  1,2"  ausgefiihrt  worden;  0,4,  0,(5  und  0,8"- 
Zeiten  treten  sehr  stark  zuriick.  Dieses  Verhalten  andert  sich  aber 
bald;  der  Procentgehalt  an  0,8"  steigt  recht  betrachthch;  auch  die 
0,6"  nehmen,  wenn  auch  langsamer  als  die  vorigen,  zu.  Die  Zeiten 
iiber  1,2"  und  die  von  1,2"  nehmen  hingegen  regelmaBig  ab;  nur 
zum  Schluss  macht  sich  eine  kleine  Steigerung  in  Folge  von  Er- 
miidungswirkung  geltend.  In  diesem  Versuche  nehmen  die  0,8"  die 
bevorzugte  Stellung  ein,  die  bei  den  2  ersten  Versuchspersonen  den 
0,i5"- Zeiten  zukam.     Die   groBe  Zahl  der  langeren  Additionszeiten 


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414 


Georg  von  Voss. 


(1,0  bis  liber  1,2")  deutet  darauf  bin,  wie  langsam  D.'s  Arbeitsweise 
anfangs  war;  das  fast  voUige  Fehlen  der  Zeiten  von  0,4"  spricbt  hin- 
gegen  fur  eine  gewisse  Stetigkeit  der  Leistung. 

Betrachtlich  iiber  der  Scblussleistimg  des  ersten  Tages  steht 
der  erste  5-Minutenwerth  des  zweiten  Versuches  (Tabelle  XTT); 
er  befindet  sich  unter  dem  Einfluss  eines  kleinen  Antriebs.  Dann 
steigt  die  im  zweiten  Abschnitte  ein  wenig  gesunkene  Leistung  bis* 
zum  Schluss  langsam  an;  doch  finden  wir  im  7.  Abschnitt  einen 
auffallenden  Nachlass,  der  wobl  nicht  als  Ermiidungswirkung  auf- 
gefasst  werden  kann   und  daher  vielleicht   auf  eine  vorubergehende 

Tabelle  Xn. 
Versuch  11  (D.). 


Secunden 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

0,4 

0,0   1,2 

0,4 

1,5 

1,1   2,5 

2,8 

1,6 

3,4 

3,0 

0,6 

15,9  10,1 

13,9 

23,5 

18,0  I  28,5 

28,1 

45,7 

45,0 

49,0 

0,8 

45,8  j  33,3 

40,4 

44,0 

45,4  33,5 

40,5 

31,2 

33,9 

35,6 

1,0 

22,5  32,0 

25,8 

17,0 

20,9  '  18,1 

11,6 

14,2 

10,0 

6,0 

1,2 

6,5  14,6 

10,5 

9,0 

6,6   9,7 

9,5 

3,7 

3,9 

4,2 

Ueber  1,2 

9,3 

8,8 

9,0 

5,0 

8,0 

7,' 

7,5 

3,6   3,8 

2,2 

Leistung 

277 

267 

267 

285 

273 

277 

242 

302  307 

315 

Stoning  zuriickgefuhrt  werden  muss.  Die  0,S"- Zeiten  behaupten 
ihre  am  Schluss  des  ersten  Versuchs  gewonnene  herrschende  Stel- 
lung;  die  0,6  "-Zeiten  treten  gar  nicht  hervor.  Recht  betrachtlich, 
wenn  auch  etwa  5mal  geringer  als  am  Anfang  des  vorigen  Ver- 
suchs, ist  die  Zahl  der  liber  1,2"  betragenden  Zeiten.  Im  Laufe 
des  Versuchs  andert  sich  das  Verhaltniss  der  Additionszeiten  sehr 
allmahlich,  aber  ganz  stetig:  die  Zeiten  von  0,8"  und  liber  1,2"  nehmen 
ab  und  die  0,6"-Zeiten  steigen  so  lange,  bis  sie  im  Abschnitt  10  die 
gleiche  Stellung  einnehmen,  wie  die  0,8"-Zeiten  am  Anfange  dieses 
Tages.  Die  Zeiten  iiber  1,2"  sind  in  10  nur  ganz  gering  an  Zahl; 
iiber  80  Procent  sammtUcher  Additionszeiten  bilden  diejenigen  von 
0,6  und  0,8",  ein  Beweis  fiir  die  langsame  und  gleichmaBige  Arbeits- 


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Ueber  die  Schwanknngeu  der  geistigen  Arbeitsleistang. 


415 


weise  von  D.!  Auch  in  diesem  Versuch  spielen  die  sehr  kurzen 
Additionszeiten  von  0,4"  gar  keine  RoUe,  was  wieder  auf  das  Fehlen 
der  Antriebswirkungen  hinweist. 

Tabelle  XIH.  i) 
Versuch  HI  (D.). 


Secunden 

1 

2 

3* 

4* 

5* 

6* 

7* 

0,4 

1,0 

3,4 

■A 

3,4 
82,4 
13,0 

1 
1 

g 

3,8 

1 

q 

i 

3,0 

1 

3,8 

OS 

1 

q 

5,6 
76,6 

0,6 

54,4 

59,8 

82,9 
11,4 

69,0 
23,7 

80,0 
13,5 

0,8 

29,5 

26,8 

13,8 

1,0 

7,5 

4,5 

0,5 

1,1 
0,4 
0,4 

2,3 
1,0 
1,0 

2,0 
0,5 
0,2 

2,5 

1,2 

4,8 

2,7 

0,5 

1,0 

Ueber  1,2 

2,8 

2.8 

0,2 

'  0,5 

Leistung 

323 

328 

417 

420 

405 

421 

414 

Der  Versuch  III  (Tabelle  XTTT)  begann  mit  einer  f ortlauf enden 
Arbeit  von  15  Minuten,  von  denen  die  letzten  5  Minuten  fiir  unsere 
Methode  der  Berechnung  unbrauchbar  waren;  darauf  folgte  der  »durch- 
brochene  Versuch «.  Die  Leistung  zeigt  zunachst  ein  langsames  An- 
steigen;  nach  der  ersten  Pause  erreicht  sie  eine  bedeutende  Hohe.  Der 
Sprung  von  2  zu  3  *  ist  zu  groB,  als  dass  wir  ihn  nur  als  Uebungswirkung 
betrachten  konnten ;  vielmehr  miissen  wir  einen  ursachlichen  Zusammen- 
hang  mit  der  vorausgegangenen  Pause  annehmen.  Auch  in  den  Ab- 
schnitten  4*,  5*,  6*  und  7*  bleibt  die  Leistung  annahemd  auf 
gleicher  Hohe.  Ermiidungswirkungen  sind  nicht  nachweisbar.  In 
Abschnitt  1  hat  sich  das  Verhaltniss  der  0,6"  zu  den  0,8"-Zeiten 
gegeniiber  dem  Abschnitt  10  des  vorhergehenden  Tages  noch  zu 
Gunsten  der  ersteren  verandert;  wir  diirfen  daraus  schlieBen,  dass 
gegen  Ende  des  Versuchs  die  Ermiidung  das  Auftreten  der  0,6"- 
Zeiten  etwas  beeintrachtigt  hatte.    Sehr  gering  ist  der  Procentgehalt 


*)  Die   mit    einem    *  versehenen  Abschnitte    folgen    auf  die    5-Minuten- 
pausen. 

Kraepelin,  P^ycholog.  Arbeiten.  U.  28 


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416  ^^^i  ▼on  Vo88. 

an  langen  Additionszeiten;  ebenso  verhalt  es  sich  im  2.  Abschnitt, 
in  welchem  die  0,6"-Zeiten  noch  immer  zunehmen.  Nach  der  ersten 
Pause  verhalten  sich  die  Additionszeiten  ganz  anders;  die  0,6"-Zeiten 
haben  eine  maximale  Hohe  erreicht,  die  in  keinem  Abschnitte  aller 
bisher  besprochenen  Versuche  beobacht^ct  wnrde.  Alle  anderen  Addi- 
tionszeiten, mit  Ausnahme  der  0,8",  sind  fast  vollig  verschwunden ; 
mithin  hat  die  Arbeit  beinahe  das  Maximum  der  GleichmaBigkeit 
erreicht.  Ganz  ahnlich  verhalt  sich  der  Abschnitt  4*,  wahrend  in 
5*  die  Zeiten  von  0,6"  zu  Gunsten  der  0,8"  sich  recht  stark  ver- 
mindert  haben.  Wir  sind  nicht  geneigt,  diese  Thatsache  als  Er- 
miidungswirkung  aufaufassen;  viehnehr  mochten  wir  darin  nur  einen 
geringen  Nachlass  des  Arbeitseifers  erblicken.  Diese  Erklarung  scheint 
uns  wenigstens  durch  das  Verhalten  des  Abschnittes  6*  gestiitzt  zu 
werden;  derselbe  bietet  im  wesentlichen  das  gleiche  Bild  wie  3*  und 
4*.  Auch  7*  zeigt  bis  auf  eine  geringe  Zunahme  der  0,4"  keine 
Abweichungen.  In  diesem  Versuche  finden  wir  keine  Antriebswir- 
kungen,  doch  ist  die  Zahl  der  0,4"-Zeiten  gegenttber  den  anderen 
Versuchen  etwas  gestiegen.  Diese  Thatsache  konnte  vielleicht  zu  den 
Pausen  in  Beziehung  stehen. 

Die  Veranderungen  des  Verhaltens  der  einzelnen  Additionszeiten 
unter  dem  Einflusse  der  Uebung  und  der  anderen  Arbeitsfactoren 
lassen  sich  in  folgender  Weise  zusammenfassen: 

Bei  alien  drei  Versuchspersonen  bewirkt  die  Uebung  eine  lang- 
same  Zunahme  der  Additionszeiten  von  0,6",  femer  eine  Abnahme 
der  mehr  als  1,2"  betragenden  Zeiten.  Die  Arbeit  wird  unter  dem 
Einfluss  der  Uebimg  gleichmaBiger.  Die  Uebung  vermehrt  die  An- 
zahl  der  ganz  kleinen  Zeiten  von  0,4"  nur  bei  D.  in  geringem  Grade; 
bei  K.  andert  sich  der  Procentgehalt  an  0,4"-Zeiten  wenig,  bei  V. 
nehmen  dieselben  sogar  ab.  Daraus  scheint  uns  zu  folgen,  dass  die 
Uebung  die  Additionszeiten  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  nicht 
aber  bis  auf 's  MindeatmaB  verkiirzt. 

Die  Ermiidung  hatte  stets  eine  der  Uebung  entgegengesetzte 
Wirkimg:  sie  verminderte  die  0,6"  und  vermehrte  die  liber  1,0"  be- 
tragenden Zeiten. 

Der  Antrieb  bewirkt  eine  rasch  einsetzende  und  verschwindende 
Beschleunigung  der  Arbeit.  Er  verkiirzt  die  einzelnen  Additions- 
zeiten bis  auf  das  MindestmaB  von  0,4".    Gleichzeitig  nehmen  oft  die 


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Ueber  die  Schwaiikuegen  der  geistigen  ArbeitsleistuDg.  41 7 

0,6"-Zeiten  ab  (vgl.  Versuch  V  [V.]);  die  Arbeit  wird  dadurch  un- 
gleichmaBiger. 

Die  Einflusse  schlechter  Disposition  treten  uns  am  deutlichsten 
in  den  Versuchen  V  (V.)  und  IV  (K.)  entgegen.Die  Leistung  ist  in 
diesen  Fallen  ungleichmaBig  und  zeichnet  sich  durch  ausgepragte 
Antriebswirkungen  aus. 


III.  Die  Abweichangen  vom  Mittelwerth. 

Wir  gehen  nunmehr  iiber  znr  Betrachtung  der  GroBe  der  Ab- 
weichimgen  vom  Mittelwerthe  und  wollen  zunachst  noch  in  Kiirze 
auf  die  Besonderheiten  der  Berechnungsmethode  aufmerksam  machen. 
Die  fiir  jede  5  Minuten  bestimmte  Mittelzone  —  M.-Z.  —  giebt  uns 
ein  Bild  der  steigenden  oder  sinkenden  Leistung.  Die  innerhalb  der 
M.-Z.  gelegenen  Werthe  konnten  nur  geringen  Unterschieden  in  der 
Arbeitsgeschwindigkeit  entsprechen;  die  Zahl  der  iiber  oder  unter 
der  M.-Z.  gelegenen  Werthe  giebt  uns  einen  Begriff  davon,  wie  viele 
starkere  Abweichungen  in  jedem  5-Minutenabschnitte  vorkamen.  Wir 
beriicksichtigen  in  dieser  Berechnung  also  nur  die  GroBe  der  Ab- 
weichungen und  vergleichen  die  Anzahl  der  nach  oben  oder  unten 
gerichteten  Abweichungen  mit  den  in  der  M.-Z.  gelegenen  Werten. 

Im  Versuch  m  (vgl.  Tab.  XIV)  nimmt  die  Zahl  der  in  der  1^.-Z. 
gelegenen  Werthe  bis  zum  5.  Abschnitte  zu.  Von  da  an  bemerken 
wir  eine  Abnahme  derselben,  wahrend  dem  entsprechend  die  Ab- 
weichungen nach  oben  und  unten  zunehmen;  im  12.  Abschnitt  sehen 
wir  unter  dem  Einfluss  des  Schlussantriebs  die  Zahl  der  Abweichungen 
nach  oben  hin  stark  anwachsen.  In  den  Abschnitten,  die  eine  ge- 
ringe  Leistung  aufweisen,  beobachten  wir  regelmaBig  eine  Zunahme 
der  auBerhalb  der  M.-Z.  gelegenen  Werthe.  Im  Versuch  IV  ist  die 
Zahl  der  innerhalb  der  M.-Z.  gelegenen  Werthe  bedeutend  groBer 
als  im  vorhergehenden,  aber  nur  bis  zum  7.  Abschnitt;  von  da  ab 
sinkt  dieselbe  stark.  Am  allerungUnstigsten  ist  das  Verhaltniss  in  10 
und  12.  Die  Ermiidung  macht  sich  in  diesem  Versuch  schon  friih 
/in  6)  bemerkbar;  Abschnitt  7  zeigt  uns  eine  Verbesserung  der  Leistung 
imd  des  Verhaltnisses  der  Zahlenwerthe,  die  wir,  wie  in  der  ersten 
Betrachtimg  desselben  Versuchs,  auf  den  Miidigkeitsantrieb  zuriick- 
flihren  konnten. 

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Georg  TOD  Voss. 


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Ueber  die  SehwankuDgen  der  geistigen  Arbeitsleistung. 


419 


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420  Georg  von  Voss. 

Ganz  anders  verhalt  sich  der  VersuchV;  das  Verhaltniss  der 
inn'erhalb  der  M.-Z.  gelegenen  Werthe  zu  den  auBerhalb  liegenden 
ist  mit  alleiniger  Ausnahme  des  ersten  und  des  letzten  Abschnittes 
recht  imgiinstig.  Es  haufen  sich  also  die  groBen  Abweichimgen  in 
diesem  Versuch;  die  Leistung  ist  sehr  imregebnaBig.  Das  gunstigere 
Verhaltniss  der  Werthe  in  1  und  12  diirfen  wir  vielleicht  auf  Antriebs- 
wirkung  zuriickfuhren.  Diese  Auffassung  widerspricht  anscheinend 
^der  von  uns  bei  imserer  ersten  Betrachtimgsweise  gemachten  Annahme, 
dass  der  Antrieb  die  Arbeit  ungleichmaBig  mache  durch  Haufung 
sehr  kleiner  Additionszeiten.  Wir  miissen  aber  in  Betracht  ziehen, 
dass  die  hier  angewandte  Berechnimgsmethode  nicht  die  einzelnen 
Additionszeiten  beriicksichtigt,  sondem  nur  die  groben  Abweichungen 
hervortreten  lasst.  Die  BElufung  dieser  letzteren  ist  eine  Ermiidiings- 
wirkung.  Es  ist  daher  leicht  erklarlich,  dass  der  Antrieb  die  An- 
zahl  der  Abweichungen  herabsetzt,  auch  wenn  die  kleinen,  durch  die 
Zusammenfassung  verloren  gehenden  Schwankungen  der  Additions- 
zeiten zunehmen.  Die  Lage  der  M.-Z.  ist  in  12  hoher  aJs  in  alien 
bisher  geschilderten  Versuchen. 

Im  Versuch  VI  ist  das  Verhaltniss  der  innerhalb  der  M.-Z.  gelege- 
nen Werthe  zu  den  groBen  Abweichungen  viel  giinstiger.  In  den 
Abschnitten  3 — 8  muss  die  Arbeit  recht  gleichmaBig  gewesen  sein; 
dann  machen  sich  wieder  Ermudungswirkungen  geltend  und  mit  der 
Lage  der  M.-Z.  selbst  sinkt  auch  die  Zahl  der  innerhalb  derselben 
gelegenen  Werthe  betrachtlich. 

Aehnlich  verhalt  sich  der  Versuch  VIL ;  auch  hier  beginnt  die 
Verschlechterung  der  Leistung  mit  der  Zunahme  der  groBen  Ab- 
weichungen im  9.  Abschnitt.  Von  1 — 8  ist  die  Zahl  der  innerhalb 
der  M.-Z.  gelegenen  Werthe  recht  bedeutend.  In  beiden  Versuchen 
VI  und  Vn  liegt  die  M.-Z.  recht  hoch.  Aehnlich  verhalt  sich  der 
Anfang  desVersuchs  VUI,  wahrend  gegen  das  Ende  desselben  die  Lage 
der  M.-Z.  ofters  wechselt  imd  auch  nicht  so  hoch  ist  wie  in  den  2 
vorhergehenden  Versuchen.  Auffallend  ist  das  Sinken  der  M.-Z.  im 
3.  Abschnitt;  zugleich  erreicht  die  Zahl  der  groBen  Abweichungen 
hier  fast  diejenige  der  M.-Z.-Werthe.  Der  am  Ende  der  Versuchs- 
reihe  auftretende  starke  Schlussantrieb  hebt  die  M.-Z.,  die  unter  der 
Wirkung  der  Ermiidung  gesimken  war,  wieder  empor,  besonders  stark 
in  10;  doch  ist  diese  Wirkung  offenbar  nur  sprunghaft,  vorubergehend. 


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Ueber  die  SehwaukDngen  dei  geistigen  Arbeitsleistung. 


421 


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422  Georg  von  Voss. 

Die  GleichmaBigkeit  der  Arbeitsweise  von  K.,  die  uns  in  der 
procentischen  Vertheilung  der  Additionszeiten  entgegentrat ,  findet 
ihre  voile  Bestatigung  bei  der  Betrachtung  der  GroBe  der  Ab- 
weichungen.  Es  fallt  uns  sofort  auf,  dass  im  Versuch  I  die  Mittel- 
zone  einzig  iind  allein  im  2.  Abschnitt  ihre  Lage  andert;  sie  sinkt 
hier  mit  der  Leistung.  Die  Anzahl  der  groBeren  Abweichungen  ist 
nicht  bedeutend,  meist  geringer  als  diejenige  der  innerhalb  der  M.-Z. 
gelegenen  Werthe. 

Im  Versuch  11  ist  die  Lage  der  M.-Z.  vom  Anfang  bis  zum  Ende 
unverandert,  das  Verhaltniss  der  Abweichungen  zu  den  Mittelwerthen 
fast  durchweg  gunstig.  Ganz  ahnhch  ist  das  Ergebniss  des  VersuchsIII, 
nur  dass  hier  die  M.-Z.  sich  voriibergehend  erhebt,  ohne  dass  da- 
durch  das  gtinstige  Verhaltniss  der  Mittelwerthe  zu  den  auBerhalb 
gelegenen  sich  andert.  Der  unter  dem  Einfluss  ungiinstiger  Tages- 
disposition  stehende  Versuch  4  zeigt  mehrfachen  Lagewechsel  der 
M.-Z.,  und  zwar  sinkt  sie  im  2.  Abschnitt  herab,  steigt  dann  iiber 
die  Anfangshohe  hinaus,  sinkt  im  8.  auf  die  Anfangshohe,  iiber  die 
sie  sich  in  10  nur  noch  einmal  voriibergehend  erhebt.  Diese  Erhebung 
der  M.-Z.  und  das  anfangliche  Sinken  derselben  sind  das  einzige 
Kennzeichen  der  ungleichmaBigen  Arbeitsweise  jenes  Tages.  Das 
Verhaltniss  der  Mittelwerthe  zu  den  auBerhalb  der  M.-Z.  gelegenen 
ist  in  diesem  Versuche  giinstiger  als  in  den  vorhergehenden. 

Die  Zahl  der  Abweichungen  von  der  M.-Z.  ist  in  den 
D.'schen  Versuchen  nicht  bedeutend.  Die  M.-Z.  des  Versuchs  I 
beginnt,  entsprechend  der  sehr  geringen  Anfangsleistung,  ganz  tief, 
steigt  darauf  allmahlich  bis  zum  11.  Abschnitt  und  sinkt  wieder  ein 
wenig  in  12.  Die  Zahl  der  innerhalb  der  M.-Z.  gelegenen  Werthe 
ist  sehr  gleichmaBig;  weitaus  die  Ueberzahl'gehort  den  Mittelwerthen 
an.  Im  Versuch  11  steigt  die  M.-Z.  immer  hoher;  die  Zahl  der 
groBen  Abweichungen  ist  nur  gering.  Die  ersten  10  Minuten  des 
Versuches  III  zeigen  uns  wieder  eine  stetige  Erhebung  der  M.-Z.  Nach 
der  ersten  5-Minutenpause  erreicht  sie  aber  das  Maximum  ihrer 
Hohe;  wie  der  Procentgehalt  an  0,6"-Zeiten,  so  wird  auch  die  Hohe 
der  M.-Z.  im  durchbrochenen  Versuch  von  keinem  andem  Abschnitte 
erreicht.  Dabei  ist  die  Zahl  der  Abweichungen  verschwindend  klein. 
Nur  im  Abschnitt  5*,  in  welchem  wir  auch  eine  Verminderung  der 
0,6''-Zeiten  zu  Gunsten  der  0,8"  fanden,  sinkt  die  M.-Z.  ein  wenig; 


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Ueber  die  Schwankangen  der  geistigeii  Arbeitsleistiing. 


423 


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424  Georg  ?on  Voss. 

sie  erhebt  sich  in  den  2  folgenden  Abschnitten  aber  wieder  auf  ihre. 
erste  Hohe,  iind  aus  der  Thatsache,  dass  im  Abschnitt  5*  und  6* 
keine  Vennehrung  der  Abweichungen  erfolgt,  konnen  wir  schlieBen, 
dass  es  sich  nur  um  ein  voriibergehendes  Nachlassen,  um  keine  Er- 
mtidungswirkungen  handelt. 

Das  Verhalten  der  Mittelzone  und  die  Zahl  der  Abweichungen 
nach  oben  und  unten  wird  in  folgender  Weise  beeinflusst: 

Die  Uebung  bewirkt  eine  Erhebung  der  Mittelzone  und  ver- 
mindert  die  Zahl  der  Abweichungen  nach  oben  und  unten. 

Die  Ermiidung  zeigt  sich  im  Sinken  der  Mittelzone  und  in 
einer  Zunahme  der  Abweichungen. 

Der  Antrieb  scheint  oft  eine  Zunahme  der  Schwankungen  nach 
oben  zu  bewirken,  die  sich  unter  Umstanden  einfach  in  einer  Erho- 
hung  der  Mittelzone  ausdriickt  (s.  Versuch  VIU,  10;  V). 

Die  schlechte  Disposition  macht  sich  bei  V.  (Versuch  V)  in 
einer  Verminderung  der  Mittelwerthe  und  Zunahme  der  Abweichungen 
nach  oben  und  unten  bemerkbar.  Bei  K.  (Versuch  IV)  pragt  sie 
sich  bei  dieser  Betrachtungsweise  gar  nicht  aus. 


iV.  Die  Daner  der  Schwankungen. 

Um  Uber  die  zeitliche  Dauer  der  beobachteten  Schwankungen 
ein  Urtheil  zu  gewinnen,  haben  wir  in  der  Tabelle  XVll  nach  dem 
frUher  geschilderten  Verfahren  eine  Uebersicht  (uber  die  Haufigkeit 
der  verschieden  langen  Schwankungen  in  den  VersuchenlH — Viii  (V.) 
gegeben.  Die  Tabelle  giebt  an,  in  welcher  Zahl  Schwankungen  von 
der  Dauer  zwischen  7/5  und  25/5"  beobachtet  wurden.  Kurzere 
Schwankungen  kamen  nur  ganz  vereinzelt  vor;  Schwankungen  Uber 
25/5"  fanden  sich  ziemlich  zahlreich  und  betrugen  180  bis  250,  im 
Mittel  also  215  fiir  jeden  Versuch,  doch  zeigten  sie  keine  besonderen 
Eigenthiimlichkeiten  und  sind  daher  nicht  im  Einzelnen  aufgefUhrt 
worden. 

Das  Verhalten  der  dargestellten  Schwankungen  ist  in  alien  Ver- 
suchen  Uberraschend  einheitlich :  wir  sehen,  dass  ausnahmslos  auf  die 
recht  hohe  Zahl  der  7/5"-Schwankimgen  zwei  niedrigere  Werthe  fUr 
8/5  und  9/5"  folgen;  dann  erhebt  sich  die  Zahl  bei  10/5  und  sinkt 
bei  11/5  und  12/5"  wieder.     Sodann  findet  sich  eine  bedeutende  Er- 


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Ueber  die  Schwankuogen  der  geistigen  ArbeitsleistuDg. 
Tabelle  XVIL 


425 


Schwankiin- 
gen  in  1/5" 

1 

1  m 

IV 

V 

VI 

vn 

vm 

7 

45 

38 

37 

33 

50 

40 

8 

20 

30 

25 

23 

33 

22 

9 

37 

32 

21 

17 

26 

17 

10 

41 

52 

33   • 

41 

39 

40 

11 

38 

37 

25 

23 

25 

30 

12 

31 

34 

28 

21 

37 

39 

13 

40 

49 

43 

42 

54 

44 

14 

37 

27 

38 

36 

27 

38 

15 

29 

33 

36 

27 

24 

35 

16 

36 

39 

33 

35 

41 

37 

17 

36 

28 

33 

22 

26 

31 

18 

26 

21 

30 

19 

13 

22 

19 
20 

33 

34 

33 

20 

30 

31 

21 

21 

26 

22 

20 

21 

21 

29 

26 

35 

18 

13 

20 

22 

22 

21 

19 

28 

26 

23 

23 

26 

20 

21 

17 

23 

14 
21 

24 

18 

24 

12 

8 

14 

25    1 

20 

24 

21 

21 

24 

18 

Smnme  aller 
Schwan- 
kungen 

586 

590 

549 

468 

544 

543 

hebung  bei  13/5,  Abnahme  bei  14/5  und  15/5;   endlich  zeigen  16/5 
19/5,  22/5  und  25/5  meist  noch  eine  Zunahme,  wahrend  die  zwischen- 
Kegenden  Werthe   zuriicktreten.      Fassen  wir  diese  Thatsachen   zu- 
sammen,  so  sehen  wir,  dass  Schwankungen  von  7,10  und  13/5"  regel- 


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426  Georg  von  Voss. 

maBig,  solche  von  16/5  und  19/5"  fast  ausnahmslos,  diejenigen  von 
22|5"  in  der  Halfte  der  Versuche  und  die  von  25/5"  meist  vor  den 
dazwischen  gelegenen  bevorzugt  sind.  Wir  haben  es  hier  also  mit 
einer  deutlichen  Periodicitat  der  Schwankungen  zu  thun. 
Nicht  nur  zeigen  Schwankungen  von  ganz  bestimmter  Dauer  die 
groBte  Haufigkeit,  sonderri  die  Schwankungen  von  groBter  Haufig- 
keit  kehren  auch  in  Abstanden  von  3/5"  immer  wieder.  Am  starksten 
vertreten  sind  dabei  die  Schwankungen  von  13/5",  ihnen  nahe  kommen 
diejenigen  von  10,  dann  die  von  7  und  endlich  jene  von  16,  19,  22 
und  25/5"-Dauer. 

Um  nun  das  mehr  oder  weniger  starke  Hervortreten  der  bevor- 
zugten  Schwankungen  in  den  einzelnen  Versuchen  zu  verfolgen,  ver- 
gl^chen  wir  die  Summe  aller  Schwankungen  von  7,  10,  13,  16,  19 
und  25/ 5"- Dauer  in  jedem  Versuche  mit  der  halben  Summe  aller 
iibrigen  Schwankungen  bis  zu  24/5".  Die  bevorzugten  Schwankungen 
uberwogen  danach  an  Haufigkeit  in  den  einzelnen  Versuchen  um 
48,  95,  35,  58,  100  und  60.  Vergleichen  wir  nun  dieses  Ergebniss 
mit  dem,  was  wir  aus  unseren.  ersten  beiden  Berechnungsmethoden 
iiber  den  Ausfall  der  einzelnen  Versuche  wissen,  so  wird  es  uns  zu- 
nachst  auffallen,  dass  die  Versuche  IV,  VI  und  VII,  die  sich  durch 
eine  besonders  gleichmaBige  Arbeit  auszeichneten,  hier  das  starkste 
Ueberwiegen  der  bevorzugten  Schwankungen  aufweisen,  namentlich 
IV  und  Vii.  Der  Versuch  V  war  uns  durch  die  UnregelmaBigkeit 
der  Leistung  und  die  starken  Antriebswirkungen  aufgefallen ;  in  diesem 
uberwiegen  die  bevorzugten  Schwankungen  am  wenigsten.  Wir  dttrfen 
vielleicht  daraus  schlieBen,  dass  der  Antrieb  die  Periodicitat  der 
Schwankungen,  wenn  nicht  zu  verdecken,  so  doch  zu  vermindem 
imStande  ist. 

Von  groBtem  Interesse  ist  das  Ergebniss  unserer  Berechnung  der 
Dauer  der  einzelnen  Schwankungen  bei  K.,  wie  es  uns  die 
Tabelle  XVlil  darstellt.  Wir  begegnen  hier  derselben  Erscheinung 
wie  bei  der  ersten  Versuchsperson:  auf  ein  Maximum  bei  7/5"  folgt 
eins  bei  10  u.  s.  w.,  in  regelmaBigen  Abstanden  von  3/5".  Die 
Maxima  bis  16/5"  treten  in  alien  4  Versuchen  gleich  klar  hervor; 
19/5  werden  einmal  von  18/5,  22/5  zweimal,  25/5  ebenfalls  zweimal 
von  den  vorhergehenden  Zahlen  Ubertroffen.  In  den  2  letzten  Ver- 
suchen bilden  alle  Zahlen,  die  um  je  3/5"  von  einander  entfemt  sind. 


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Ueber  die  Schwankangen  der  geistigen  Arbeitsleutuug. 
Tabelle  XVIH. 


427 


Dauer  der 
Schwankun- 
gen  in  y.^" 

1 

I 

n 

m 

IV 

7 

46 

64 

49 

66 

8 

32 

26 

24 

36 

9 

33 

29 

29 

24 

10 

48 

51 

65 

54 

11 

55 

53 

42 

41 

12 

47 

41 

44 

33 

13 

52 

71 

56 

56 

14 

50 

52 

42 

42 

15 

49 

47 

37 

47 

16 

57 

55 

47 

60 
39 

17 
18 

35 

29 

37 

42 

25 

29 

33 

19 

35 

1 

47 

36 

47 

20 

21 

34 

24 

31 

21 

37 

26 

21 

28 
32 

22 

1   37 

22 

35 

23 

29 

26 

24 

27 

24 

27 
17 

22 
19 

19 
30 

18 

25 

24 

Summe  der 
Schwan- 
kungen 

723 

1 

,   740 

620 

705 

von  7/5"  angefangen,  deutliche  Maxima.  Passen  wir,  wie  bei  unserer 
ersten  derartigen  Betrachtung,  die  Zahl  der  bevorzugten  Werthe  zu- 
sammen   iind  subtrahiren  davon  die  halbe  Summe  aller  dazi^ischen 


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42S  G^org  von  V08& 

liegenden,  so  erhalten  wir  folgende  Zahlen:  51,  128,  122,  105.  Es 
findet  sich  wiederum  eine  Uebereinstimmung  mit  unseren  friiheren 
Ergebnissen,  denn  die  beiden  recht  gleichmaBig  gerechneten  Versuche 
II  und  in  zeigen  das  starkste  Ueberwiegen,  wahrend  der  unter  dem 
Einfluss  schlechter  Disposition  stehende  vierte  Versuch  hinter  seinen 
Vorgangem  zuriickbleibt.  Das  Verhaltniss  der  bevorzugten  Werthe 
unter  einander  ist  folgendes:  am  h^ufigsten  kommen  Schwankungen 
von  13/5"-Dauer  vor,  es  folgen  7,  10,  16/5"  und  die  iibrigen.  Die 
Anzahl  der  in  der  Tabelle  angefuhrten  Schwankungen  gegeniiber 
den  vereinzelt  vorkommenden  einerseits  sehr  kurzen,  andererseits 
sehr  langen  Schwankungen  ist  in  den  K.'schen  Versuchen  recht  be- 
deutend;  die  lange  Dauer  einzehier  Schwankungen  mochten  wir  auf 
die  Annahme  zuruckfuhren,  dass  sie  aus  mehreren  kiirzeren  durch 
Verschmelzung  entstanden  sein  diirften.  Ihre  Anzahl  betragt  etwa 
160 — 200  in  jedem  Versuche. 

Die  Tabelle  XIX  giebt  uns  ein  Bild  von  der  Dauer  der 
Schwankungen  in  den  D.'schen  Versuchen.  In  I  und  II  ver- 
missen  wir  den  bei  V.  und  K.  gefundenen  Bhythmus  fast  vollig. 
Wir  finden  Maxima,  in  I  auf  11,  13,  19  und  20  und  in  II  auf  7, 
9,  11,  13,  17,  19,  22.  Im  letzteren  Versuche  scheint  auch  eine  Art 
RegelmaBigkeit  vorzuliegen,  und  zwar  waren  es  die  ungeraden  Zahlen, 
die  bevorzugt  wurden:  es  konnte  sich  hier  um  eine  Verkiirzimg  der 
Periodicitat  handeln.  Ein  ganz  anderes  Bild  bietet  jedoch  der 
Versuch  HI  dar.  In  der  Tabelle  sehen  wir  imter  HI  a  die  Ergeb- 
nisse  der  ersten  10  Minuten,  unter  b  diejenigen  des  durchbrochenen 
Versuchs.  Unter  a  finden  wir  Maxima  in  7,  10  und  11,  13  und 
16  —  was  schon  mehr  an  das  Verhalten  der  friiher  beschriebenen 
Versuche  V.'s  und  K.'s  erinnert.  Unter  b  tritt  die  3/5"  Periodicitat 
mit  einer  einzigen  imbedeutenden  Ausnahme  bei  22"  vollkommen 
deutlich  wieder  hervor. 

Es  ware  nun  von  Interesse,  eine  Erklarung  zu  finden,  wodurch 
in  den  zwei  ersten  Versuchen  D.'s  die  Periodicitat  der  Arbeits- 
schwankungen  verdeckt  werden  konnte.  Andeutungen  des  bekannten 
Rhythmus  fanden  sich  llbrigens  auch  dort  in  der  Bevorzugung  der 
13/5  und  19/5"-Schwankungen.  Dass  auch  sonst  eine  relativ  groBere 
Haufigkeit  der  bekannten  Zahlen  vorlag,  erhellt  noch  aus  einem 
anderen  Umstande.     Wenn  wir  wieder  die  Summe  aller  bevorzugten 


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Ueber  die  Schwankaogen  der  geistigen  Arbettsleistnng. 
Tabelle  XIX. 


429 


Dauer  der 
Schwankun- 
gen  in  i  5' 

1 

I 

n 

a 

I 

b 

7 

5 

25 

17 

13 

8 

4 

6 

2 

4 

9 

17 

39 

5 
10 

1 

10 

19 

28 

13 

11 

32 

30 

14 

6 

12 

20 

21 

3 

3 

13 

35 

42 

12 

18 

14 

32 

27 

4 

8 

15 

31 

27 

4 

3 

16 

29 

30 

8 

16 

17 

24 

36 

3 

7 

18 

25 

18 

5 

7 

19 

39 

29 

4 

19 

20 

41 

22 

4 

7 

21 

23 

12 
24 

6 

5 

22 

23 

6 

11 

23 

22 

21 

1 

12 

24 
25 

19 

18 

3 

7 

20 

16 

4 

8 

Summe  der 
Schwan- 
kimgen 

438 

456 

111 

160 

Werthe  mit  der  halben  Summe  der  dazwischen  liegenden  Zahlen  ver- 
gleichen,  so  erhalten  wir  in  den  Versuchen  I  und  11  ein  Uebergewicht 


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430  Georg  von  Yoss. 

von  6  und  39;  in  Ilia,  d.  h.  wahrend  der  ersten  10  Minuten  des 
HE.  Versuches,  ein  solches  von  30,  in  lEIb,  dem  durchbrochenen 
Versuche,  von  55! 

Bei  unseren  fruheren  Betrachtungen  war  uns  die  anf anglich  sehr 
langsame  Arbeitsweise  D/s  aufgefallen.  Der  Procentgehalt  der  0,6"- 
Zeiten  war  sehr  gering,  wahrend  die  ganz  langen,  iiber  1,2"  betra- 
genden  Zeiten  sich  hauften.  Ziehen  wir  nun  in  Betracht,  dass  bei 
V.  und  K.  mit  der  steigenden  Uebung  der  Bhythmus  sich  immer 
mehr  verdeutlichte,  dass  er  femer  um  so  mehr  hervortrat,  je  gl^ich- 
maBiger  die  Arbeit  von  statten  ging,  so  wird  es  uns  vielleicht  er- 
klarlich  scheinen,  warum  bei  D.  anf  anglich  diese  Erscheinung  nicht 
deutlich  hervortrat.  Die  neue  Arbeit  des'Addirens  verursachte  D. 
anfangs  viel  groBere  Schwierigkeiten  als  den  anderen  Versuchsper- 
sonen;  er  hatte  bei  jeder  einzehien  Addition  groBe  Widerstande  zu 
iiberwinden.  Es  leuchtet  ein,  dass,  je  automatischer  eine  Arbeit  vor 
sich  geht,  um  so  deutlicher  die  physiologisch  stattfindenden  Schwan- 
kungen  hervortreten  werden.  Mit  der  im  Versuche  HI  rasch  anstei- 
genden  Uebung  sehen  wir  auch  bei  D.  den  bekannten  Rhythmus 
erscheinen,  welcher  bis  dahin  verdeckt  worden  war. 

Wie  bei  V.  und  K.  so  sind  auch  bei  D.  die  Schwankungen  von 
13/5"-Dauer  am  meisten  bevorzugt.  Bei  alien  drei  Versuchspersonen 
hatte  die  Uebung  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  das  Hervortreten 
der  bevorzugten  Schwankungen.  Wie  schon  mehrfach  betont  wurde, 
tritt  der  Bhythmus  um  so  klarer  hervor,  je  gleichmaBiger  die  Arbeit 
ist.  Die  GleichmaBigkeit  der  Arbeit  ist  aber  abhangig  von  der 
Uebung,  wie  wir  schon  friiher  nachgewiesen  haben. 

Den  Einfluss  der  Ermiidung  konnten  wir  in  unseren  zusammen- 
fassenden  Tabellen  nicht  verfolgen. 

Dass  die  schlechte  Disposition,  vielleicht  infolge  der  mit  ihr 
auftretenden  Antriebswirkungen,  den  Bhythmus  der  Schwankungen, 
wenn  auch  nicht  zu  verdecken,  so  doch  zu  verringem  im  Stande  ist, 
beweisen  die  Versuche  V  von  V.  imd  IV  von  K.  In  beiden  Ver- 
suchen  bleiben  die  Maxima  hinter  denen  der  vorausgehenden  Versuche 
zuriick.  — 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistung.  431 

V.  PersSnKche  Yerscliiedeiiheiteii. 

Als  MaBstab  fur  die  Beurtheilung  der  Leistung  des  ersten 
Versuchstages  konnen  wir  die  von  Oehrn  gefundenen  Zahlen  be- 
nutzen;  die  Hochstleistung  bei  seinen  Versuchspersonen  betrug  in 
der  ersten  Stunde  4739  ausgefuhrte  Additionen,  die  Mindestleistung 
2347  Zahlen. 

Unsere  Ergebnisse  waren: 

V.  3782 
K.  3946 
D.  2623 

K.  und  V.  bieten  also  eine  mittlere  Leistung,  D.  eine  recht 
geringe. 

Die  Arbeitsweise  war  bei  K.  und  D.  im  ersten  Versuche  sehr 
verschieden  (V.'s  erster  Versuch  war  leider  unbrauchbar).  Wahrend 
bei  K.  von  vomherein  der  Procentgehalt  an  mittleren  Additionszeiten, 
wie  0,6  und  0,8",  bei  weitem  iiberwiegt,  sind  bei  D.  die  langen  und 
sehr  langen  Additionszeiten  in  der  Ueberzahl.  Dieses  anfangliche 
Verhalten  andert  sich  bei  K.  nur  ganz  allmahlich,  indem  die  Zeiten 
von  0,6"  langsam  zunehmen;  bei  D.  vermindem  sich  die  langen  Ad- 
ditionszeiten sehr  schnell,  wahrend  die  0,8"  rasch,  die  0,6"  langsamer 
anwachsen. 

Beide  Versuchspersonen  arbeiten  ziemlich  gleichmaBig,  D.  noch 
mehr  als  K.,  wie  sich  das  aus  der  Thatsache  ersehen  lasst,  dass  die 
Zahl  der  groBen  Abweichungen  von  der  Mittelzone  bei  K.  viel  be- 
trachtlicher  ist  als  bei  D.  Letzterer  arbeitete  sehr  langsam,  aber 
ohne  dass  erhebliche  Differenzen  in  der  Zahl  der  innerhalb  5"  aus- 
gefuhrten  Additionen  vorkamen.  Die  Dauer  der  einzelnen  Schwan- 
kungen lieB  bei  K.  von  Anfang  an  die  Bevorzugung  bestimmter  Zeiten 
hervortreten,  was  bei  D.  nicht  der  Fall  war;  bei  letzterem  lieB  sich 
nur  feststellen,  dass  am  haufigsten  Schwankungen  von  J  3/5"  Dauer 
aufgetreten  waren;  derselbe  Werth  war  auch  bei  K.  und  V.  in  der 
Mehrzahl  der  Versuche  am  meisten  bevorzugt. 

Die  Berechnung  des  Uebungsfortschritts  nach  der  von 
Amberg  angegebenen  Methode  ergab  fur  V.  einen  durchschnitt- 
lichen  taglichen  Uebungszuwachs  von  63,1  Zahlen  fiir  jede  halbe 
Stunde,  wenn  wir  diesen  Werth  aus  alien  8  Versuchstagen  berechnen. 

Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II,  29 


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432 


Georg  von  Voss. 
Tabelle  XX. 


Versuche'l  . 
von  V.  ; 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

Summe 

I 

272 

291 
348 

300 

311 

310 

329 

327 
370 

324 

330 

318 

314 

356 

3782 

n 

362 
345 

350 

368 

381 

362 

362 

352 

354 

350  317 

4246 

m 

IV 

378 

370 

373 

386 

397 

398 

372 

391 

370 

350  1  366 

4495 

395 

401 

399 

409 

403 

389 

413 

383 

378 

380 

406  364 

4705 

V 

415 
423 

402 

420 

412 

409 
450 
442 

430 

393 

406 

380 

380 
411 

409  1  442 

4901 

VI 

393 

419 

444 

437 
439 

440 

441 

412 
405 
406 

401  j  399 

5055 

vn 

443 

441 

430 

442 

2 

425 

418 

3 

447 

440 

423 

416 

425  420 

5155 

vm 

420 
4 

451 
5 

456 

403 

429 

447 

442  436 

5181 

Versuche  , 
von  K.   ' 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

Summe 

I  322 

294 
365 

316 

322 

326 

334 

337 

339 

343 
368 
399 

340 

351  ;  322 

1 

3946 

n  373 

367 

363 

368 
474 
416 

380 
416 
455 

375 

354 

357 

388  1  373 

1 

4431 

m  402 

402 

384 

411 
413 

393 
419 

409 

414 

389 

392  i  392 

4833 

IV  404 

450 

430 

436 

464 

444  411 

5126 

Versuche  - 
von  D.   * 

2 

173 
267 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

Summe 

I 

178 
277 

199 

213 

223 

225 

277 

241 
242 

222 

237 

221 

246  ;  242 

2623 

n 
m 

267 
365 

285 

273 

302 
Pause 

307 

315 

267  270 

3349 

323  328 

1 

Pause 

417 

Pause  420 

405 

Pause 
402 

421  ! 

1 

IV 

434358 

381 

398 

360 

380  !370 

402 

404 

409  j  406 

4704 

Der  auf  gleiche  Weise  gewonnene  Werth  fiir  den  Uebungszuwachs 
bei  K.  betrug  96  Zahlen.  Fiir  D.  lasst  sich  nur  ein  viertelstiindlicher 
Uebungszuwachswerth  berechnen.  Auch  dabei  stoBen  wir  auf  Schwierig- 
keiten,  da  D.  am  m.  Versuchstage  35  Minuten  lang  gearbeitet  hatte; 
wir  mussten  infolgedessen  in  unsere  Berechnung  statt  15  einmal  20 
Minuten  einschieben.  Der  Werth  des  halbstundigen  Uebungszuwachses 
betragt  bei  D.  etwa  106  Zahlen,  doch  ist  er  nicht  ohne  weiteres  mit 


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Ueber  die  Schwaokiingen  der  geistigen  Arbeitsleistiing,  433 

den  bei  V.  und  K.  gefundenen  Werthen  vergleichbar.  Eine  Erschei- 
nung,  die  schon  bei  friiheren  Versuchen  beobachtet  wurde,  ist  der 
rasche  Fortschritt  der  Leistung  vom  ersten  zum  zweiten  Tage.  Der 
Fortschritt  vom  zweiten  zum  dritten  Tage  war  oft  unverhaltnissmaBig 
geringer.  Es  ist  zweifelhaft,  ob  wir  diesen  groBen  Unterschied  allein 
auf  Rechnung  der  Uebung  setzen  konnen ;  ob  nicht  viebnehr  ein  an- 
derer  Einfluss  sich  hier  geltend  macht.  Die  Neuheit  der  Umgebung, 
die  oft  ungewohnte  Art  der  Arbeit  legen  den  Gedanken  nahe,  dass 
die  Leistung  des  ersten  Versuchstages  nicht  allein  durch  die  Uebung 
gesteigert  wird,  sondem  dass  auch  die  erst  allmahlich  eintretende 
Gewohnung  an  alle  Nebenumstande  von  Wichtigkeit  ist.  Der 
zweite  Tag  ware  dann  durch  die  im  Laufe  des  ersten  erlangte  Ge- 
wohnung bevorzugt  und  der  Sprung  der  Leistung  demnach  auf 
Uebungsfortschritt  und  Gewohnung  zu  beziehen.  Es  ist  sicher,  dass 
hierbei  sehr  oft  personliche  Verschiedenheiten  in  Betracht  kommen, 
denn  in  manchen  Versuchen  (z.  B.  bei  K.)  sind  die  Unterschiede  in 
den  Leistungen  vom  ersten  zum  zweiten  und  vom  zweiten  zum  dritten 
Tage  fast  gleich  groB. 

XJm  den  Einfluss  der  Gewohnung  in  der  Berechnung  auszu- 
schalten  und  den  Werth  des  reinen  Uebungsf ortschrittes  zu  erhalten, 
haben  wir  bei  einer  zweiten  Berechnung  den  ersten  Tag  bei  V.  imd 
K.  f ortgelassen  und  dann  folgende  Werthe  gefunden :  Der  Uebungs- 
fortschritt (ohne  Tag  I)  betrug  bei  V.  47  und  bei  K.  67  Zahlen. 

Auf  Grund  der  gewonnenen  Zahlenwerthe  konnen  wir  sagen,  dass 
V.  die  geringste,  *K.  eine  groBere  und  D.  mit  hochster  Wahrschein- 
lichkeit  die  gr5Bte  Uebungsfahigkeit  besaB.  Es  entsteht  nun  die 
Frage,  ob  sich  mit  wachsender  Uebung  auch  eine  Aenderung  in 
der  Arbeitsweise  unserer  3  Versuchspersonen  nachweisen  lasst. . 

Diese  Untersuchung  beginnt  bei  V.  erst  mit  dem  dritten  Versuche^ 
wo  die  Arbeitsweise  noch  nicht  sehr  gleichmaBig  ausfallt.  Obwohl 
der  Procentgehalt  an  0,6"-Zeiten  ganz  bedeutend  ist,  finden  sich  sehr 
viel  Additionszeiten  liber  1,2".  Dieses  Verhalten  andert  sich  nicht 
sehr  stark,  wenn  auch  im  Vei*suche  Viil  die  Zahl  der  0,6"-Zeiten 
groBer  und  die  der  Zeiten  iiber  1,2"  geringer  ist.  Die  Uebung  von 
8  Stunden  hat  bei  V.  das  Procentverhaltniss  der  Additionszeiten  wohl 
so  umgestaltet,  dass  die  Leistung  hoher  geworden  ist,  doch  konnte 
die  Arbeitsweise  noch  viel  gleichmaBiger  sein.    Dieselbe  Thatsacho 

29* 


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434  Georg  von  Voss. 

pragt  sich  auch  in  dem  Verhalten  der  M.-Z.  und  der  zugehorigen 
Werthe  aus.  Wenn  auch  die  Lage  der  M.-Z.  gestiegen  ist,  so  hat 
die  Zahl  der  groBen  Abweichungen  nicht  entsprechend  abgenommen. 
Endlich  macht  sich  der  Einfluss  der  XJebung  auch  in  einer  deutli- 
cheren  Auspragung  der  periodischen  Schwankungen  in  den  Additions- 
zeiten  geltend. 

Vergleichen  wir  bei  K.  das  Procentverhaltniss  der  Additions- 
zeiten  des  I.  und  IV.  Versuchstages  mit  einander,  so  sehen  wir,  dass 
die  0,6"- Zeiten  zugenommen  haben,  allerdings  nicht  so  stark  wie 
bei  der  gleichzeitigen  Abnahme  der  Zeiten  Uber  1,2"  zu  erwarten  war. 
Dafiir  haben  sich  die  ganz  kurzen  Zeiten  von  0,4"  vermehrt,  ein 
Zeichen  dafiir,  dass  hier  wohl  Antriebswirkungen  aufgetreten  sind. 
Wir  konnen  daraus  auf  eine  im  ganzen  ungUnstigere  Tagesdisposition 
schUeBen.  Noch  deutlicher  ist  der  groBere  Uebungsfortschritt  bei 
K.  wahmehmbar,  wenn  wir  den  Versuch  HI  von  V.  mit  demjenigen 
von  K.  vergleichen.  An  beiden  Tagen  war  die  Tagesdisposition  nicht 
schlechter  als  sonst,  und  doch  wie  viel  gleichmaBiger  ist  K.'s  Leistung 
geworden!  Ebenso  tritt  uns  im  Verhalten  der  M.-Z.  der  beiden 
obengenannten  Versuche  von  V.  und  K.  die  groBere  GleichmaBigkeit 
in  der  Arbeitsweise  bei  K.  entgegen.  Das  Hervortreten  der  bevor- 
zugten  Schwankungen  wird  bei  K.  durch  die  Uebung  erhebUch  ver- 
st^rkt.  In  den  Versuchen  III  und  IV  erstreckt  sich  das  haufigere 
Vorkommen  der  um  3/5"  fortschreitenden  Schwankungen  bis  auf  die 
19/5,  22/5  und  25/5",  wahrend  das  in  Versuch  I  und  IE  noch  nicht 
der  Fall  war.  —         '  * 

Am  schonsten  tritt  die  Wirkung  der  Uebung  auf  die  Arbeits- 
weise bei  D.  hervor,  dessen  Uebungsfahigkeit  ja  auch  die  groBte  war. 
Wahrend  im  Beginn  seines  ersten  Versuchs  die  sehr  langen  Additions- 
zeiten  weitaus  am  haufigsten  waren,  treten  dieselben  spater  allmahlich 
zurlick.  Zunachst  setzen  sich  (Schluss  des  ersten,  Anfang  bis  Mitte 
des  zweiten  Versuchs)  die  0,8"-Zeiten  an  ilire  Stelle;  endUch  werden 
auch  diese  verdrangt,  und  die  auch  bei  V.  und  K.  vorherrschenden 
0,6'-Zeiten  nehmen  stark  zu,  um  im  durchbrochenen  Versuch  HI  die 
groBte  uberhaupt  beobachtete  Haufigkeit  zu  erreichen.  So  kommt 
eine  sehr  bedeutende  GleichmaBigkeit  in  der  Arbeitsweise  zu  Stande. 
Wahrend  in  D.'s  Versuch  I  die  Zeiten  Uber  1,2  viel  zahlreicher  sind 
als  in  irgend  einem  Versuche  der  beiden  anderen  Personen,  sind  im 


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Ueb^er  die  Schwankangen  der  geistigen  Arbeitsleistung.  435 

Anfange  des  Versuchs  III  bei  D.  die  sehr  langen  Additionszeiten  viel 
seltener  als  in  den  entsprechenden  Yersuchen  bei  V.  und  K.  Die 
M.-Z.  und  die  groBen  Abweichungen  andem  sich  bei  D.  bedeutend. 
Die  erstere  steigt  viel  starker  in  die  Hohe  als  bei  V.  und  K.  und 
die  Zahl  der  groBen  Abweichungen  ist  wesentlich  geringer  als  bei 
jenen.  In  den  zwei  ersten  Versuchen  von  D.  treten  die  bevorzugten 
Schwankungen  kaum  hervor;  unter  dem  Einflusse  der  Uebung  sehen 
wir  dieselben  im  Versuch  III  ganz  deutlich  vorherrschen,  genau  wie 
in  den  Versuchen  bei  Y.  und  K. 

Auch  bezugUch  der  Ermiidbarkeit  weisen  unsere  Yersuchs- 
personen  bedeutende  Unterschiede  auf.  Ein  Bild  der  Ermiidungs- 
wirkung  erhalten  wir  nach  Amberg,  wenn  wir  fiir  die  zweite  halbe 
Arbeitsstunde  jedes  Tages  die  Differenz  zwischen  der  auf  Grund  des 
tagUchen  halbstlindigen  Uebungszuwachses  erwarteten  und  der  wirk- 
lich  erhaltenen  Leistung  bilden.  AUerdings  ist  dieser  Werth  zweifel- 
los  noch  zu  klein,  weil  bei  der  Berechnung  des  Uebungszuwachses 
der  tagUche  Uebungsverlust  auBer  Ansatz  bleiben  musste.  Fiir  unsere 
beiden  ersten  Yersuchspersonen  ergeben  sich  auf  diese  Weise  durch- 
schnittliche  Ermiidungswirkungen  von  133  Zahlen  bei  Y.  und  63 
Zahlen  bei  K.  Lassen  wir  auch  hier  aus  den  oben  besprochenen 
Griinden  den  ersten  Yersuchstag  auBer  Acht,  so  erhalten  wir  die 
Werthe  von  117  und  34,  von  denen  jedoch  namentlich  der  letztere 
wegen  der  geringen  Zahl  von  Yersuchstagen  sehr  unsicher  ist.  Dazu 
kommt,  dass  die  erste  halbe  Stunde  des  Yersuchs  lY  von  K.  eine 
viel  geringere  Leistung  aufweist,  als  sich  wohl  mit  Recht  erwarten 
UeB;  wir  haben  schon  mehrfach  Gelegenheit  gehabt,  auf  die  ungUn- 
stige  Disposition  dieses  vierten  Yersuchstages  hinzuweisen.  Immerhin 
kann  es  als  ziemlich  sicher  gelten,  dass  K.  eine  geringere  Ermiidbar- 
keit besaB,  als  Y.  • 

Bei  D.  war  eine  genauere  Berechnung  der  Ermiidungswirkungen 
leider  nicht  moghch;  doch  UeB  sich  am  ersten  Tage  gar  keine  Lei- 
stungsabnahme  im  Laufe  der  zweiten  halben  Stimde  feststellen;  im 
Yersuch  11  betrug  dieselbe  57,  und  im  Yersuch  lY  nur  24  Zahlen. 
Diese  Werthe  wurden  vielleicht  fiir  eine  ziemUch  geringe  Ermiidbar- 
keit bei  D.  sprechen.  Unsere  Ergebnisse  sind  deswegen  iiberraschend, 
weil  sich  bisher  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  ein  gleichailiges 
Yerhalten  des  Uebungsfortschritts  und  der  Ermiidbarkeit  bei  denselben 


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436  Georg  von  Voss.  ^ 

Versuchspersonen  hatte  nachweisen  lassen.  Hier  dagegen  ordnen  sich 
die  Personen  nach  ihrer  XJebungsfahigkeit  in  die  Reihe  D.,  K.,  V., 
nach  ihrer  Ermiidbarkeit  aber  folgen  V.,  K.,  D.  aufeinander.  Aller- 
dings  sind  die  Anhaltspunkte  fiir  die  Beurtheilung  jener  Eigenschaften 
bei  K.  und  D.  nur  sehr  unvoUkommen.  Es  muss  sich  bei  weiteren 
Erfahrungen  zeigen,  ob  wir  es  hier  nur  mit  ungenligenden  Versuchs- 
zahlen  oder  mit  wirklichen  Ausnahmen  von  der  sonst  gefundenen 
Kegel  zu  thun  haben. 

Die  Ergebnisse  unserer  verschiedenen  Berechnungsmethoden 
stiitzen  die  Annahme  von  der  verschiedenen  Ermiidbarkeit  der  3 
Versuchspersonen  voUkommen.  Das  Verhaltniss  der  Additions- 
zeiten  zeigt  uns  bei  V.  den  Zeitpunkt  des  Eintritts  der  Er- 
miidungswirkung  direct  an.  Man  vergleiche  z.  B.  die  Abschnitte  7 
und  8  des  Versuchs  Vli,  wo  sich  ein  steiler  Abfall  der  0,6'-Zeiten 
und  eine  Zunahme  der  Zeiten  tiber  1,2  zugleich  mit  einer  Abnahme 
der  Leistuug  bemerkbar  macht.  Im  allgemeinen  treten  bei  V.  die 
Ermiidungswirkungen  im  6. — 8.  5-Minutenabschnitt  auf.  In  Ueber- 
einstimmung  mit  der  ungUnstigeren  Vertheilung  der  Additionszeiten 
pflegt  auch  die  Zahl  der  groBen  Abweichungen  zuzunehmen.  Auch 
bei  K.  steigt  die  Leistung  in  der  Kegel  bis  zum  6. — 8.  Abschnitt  an; 
doch  erfolgt  die  spatere  Abnahme  der  Leistung  langsamer.  Dement- 
sprechend  ist  dieErmtidungswirkung  auch  im  Verhaltniss  der  Additions- 
zeiten und  der  groBen  Abweichungen  viel  weniger  deutlich  ausgepragt; 
doch  lasst  sich  in  Abschnitt  10  des  Versuchs  III  die  starke  Abnahme 
der  0,6"-Zeiten  und  die  Zunahme  der  Zeiten  iiber  1,2"  wohl  mit  Recht 
auf  Ermiidung  zuriickfUhren. 

In  denD.'schen  Versuchen  konnen  wir  nur  einmal,  im  1 1.  Abschnitt 
des  n.  Versuchs,  eine  deutliche  Ermiidungswirkung  wahmehmen; 
leider  waren  aber  die  beiden  letzten  Abschnitte  dieses  Tages  fiir  die 
feineren  Berechnungsmethoden  unverwendbar.  Es  ist  uns  daher  auch 
nicht  mogUch,  f estzustellen ,  in  welcher  Weise  sich  die  Ermiidungs- 
wirkung bei  D.  auBert. 

Sehr  verschieden  waren  die  Versuchspersonen  beziiglich  der 
Antriebswirkungen.  Wir  finden  dieselben  bei  V.  sehr  stark 
ausgepragt ;  bei  K.  sind  sie  vorhanden,  bei  D.  nur  angedeutet.  Dieses 
Verhalten  erkennen  vdr  auch  in  der  Zusamensetzung  der  einzelnen 
Versuche   aus    den    verschiedenen  Additionszeiten.     Wie    wir   schon 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistang. 


437 


friiher  betont  haben,  deutet  eine  Vermehrung  der  0,4"-Zeiten  auf 
Antriebswirkungen  bin.  Wir  kommen  dadurch  auf  die  Vermuthung, 
dass  moglicherweise  auBer  dem  Antrieb  am  Beginne  und  am  Schlusse 
eines  Versuches  auch  wahrend  der  Arbeit  zerstreute  Antriebswirkungen 
stattfinden.  Bei  der  oberflachlichen  Durchsicht  der  Additionszeiten 
fiel  es  uns   auf,   dass  0,4"-Zeiten  haufig  oben<)  und  unten  an  den 

Tabelle  XXI. 


erhalten 

erwartet 

!     Gt.  Z. 

unten 

oben 

V. 

m 

256 

35 

27 

12 

rv 

95 

12 

14 

6 

V 

493 

64 

47 

28 

vr 

136 

11 

24 

10 

vn 

83 

7 

16 

6 

vm 

158 

12 

36 

10 

K. 

I 

173 

23 

1 

10 

n 

196              29 

5 

11 

m 

81               12 

0 

5 

rv 

233              18 

7 

7 

D. 

I 

30 

— 

— 

— 

n 

50 

23 

1 

3 

m 

84 

26 

0 

' 

Reihen  der  bekannten  Rechenhefte  vorkamen.  Um  diese  Thatsache 
naher  zu  untersuchen,  stellten  wir  fest,  wie  viehnal  die  zu  oberst 
und  zu  unterst  an  den  Reihen  stehenden  Additionen  in  der  extrem 

1)  Wir  machen  darauf  aufinerksam,  dass  die  »oben<  an  der  Spalte  stehende 
Addition  eigentlich  die  zweite  bedeutet.  Die  erste  wurde,  wie  im  Anfang  dieser 
Arbeit  erwahnt  ist,  stets  mit  einem  groOeren  Zeitaufwand  ausgefiihrt,  was  auf 
den  Zeitverlust  beim.  Aufsuchen  der  neuen  Reihe  zuruckgefiihrt  werden  musste. 


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438  G^org  ^on  Yoss. 

kurzen  Zeit  von  0,4"  ansgefuhrt  warden.  Das  Ergebniss  finden  wir 
auf  vorstehender  Tabelle  XXI:  G.-Z.  bedeutet  die  Gesammtzahl  derbei 
einem  Versuch  in  0,4"  ausgefuhrten  Additionen;  daneben  ist  die  Zahl 
der  unten  bez.  oben  stehenden  Additionen  angegeben,  welche  mit 
dieser  Geschwindigkeit  berechnet  wnrden.  Die  Zahl  in  der  letzten 
senkrechten  Reihe  der  Tabelle  giebt  an,  wie  viele  Zeiten  von  0,4" 
nach  deren  Anzahl  im  ganzen  Versuch  auf  die  am  Anfang  und  am 
Ende  der  Spalten  stehenden  Additionen  entfallen  wiirden.  Die  Summe 
der  beim  Uebergange  von  einer  Spalte  zur  anderen  erhaltenen  sehr 
kurzen  Werthe  ubertrifft  die  erwartete  Zahl  in  alien  Vei*suchen  weit, 
bei  V.  durchschnittUch  4,3  mal,  bei  K.  2,8  und  bei  D.  sogar  6,5  mal. 
Aus  diesem  ubereinstimmenden  Befunde  diirfen  wir  wohl  schlieBen, 
dass  die  beim  Wechsel  der  Spalten  ausgefuhi'ten  Additionen  von  alien 
3  Personen  viel  haufiger  in  0,4"  vollendet  wurden,  als  die  ubrigen. 

Als  Erklarung  dafiir  konnen  wir  folgendes  anfuliren:  Jede  Reihe  in 
den  Rechenheften  bildet  einen  kleinen  Abschnitt  fur  sich.  Am  Anfang 
und  am  Ende  dieses  Absehnitts  stellte  sich  nun  oft  eine  Beschleu- 
nigung  der  Arbeitsleistung  ein,  ein  kleiner  Anfangs-  bezw.  Schluss- 
antrieb.  Die  drei  Versuchspersonen  verhalten  sich  aber  audi  ver- 
schieden,  wenn  wir  das  Vorkommen  dieser  zwei  Antriebsformen  aus- 
einanderhalten.  So  sehen  wir,  dass  bei  V.  der  Schlussantrieb  bei  den 
letzten  Additionen  einer  Spalte  iiberwiegt;  sp^ter  aber  andert  sich 
das  bei  ihm  zu  Gunsten  des  Anfangsantriebs  bei  den  ersten  Addi- 
tionen der  neuen  Spalte.  Bei  K.  ist  die  Wirkung  des  Anfangsantriebs 
viel  seltener;  bei  D.  kommt  wohl  ausschlieBlich  der  Schlussantneb  in 
Betracht.  Dass  V.  zu  beiden  Antriebsarten  neigt,  bestatigt  unsere 
friihere  Erfahrung  liber  die  groBere  Hiiufigkeit  der  Antriebswirkungen 
bei  ihm  uberhaupt.  Es  konnte  auffallend  erscheinen,  dass  bei  D.  die 
Zahl  der  erwarteten  0,4"-Zeiten  am  weitesten  durch  die  erhaltenen 
Ubertroffen  wird,  was  im  scheinbaren  Widerspruch  zu  der  geringen 
Zahl  an  0,4"-Zeiten  steht,  die  in  den  ganzen  Versuchen  vorkamen. 
Doch  diirfte  dieser  Umstand  gerade  bestatigen,  dass  D.  keine  Neigung 
zur  maximalen  Verkiirzung  der  einzelnen  Additionszeiten  hatte;  die- 
selbe  trat  eben  nur  unter  besonderen  Umstanden  als  Wirkung  eines 
Schlussantriebs  ein! 

Auch  im  Verlauf  der  G^sammtleistungen  (vergl.  Tab.  XX  auf  S.  432) 
treten  bei   den  3  Personen  die  Antriebswirkungen  in  verscliiedener 


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Ueber  die  Schwankongen  der  geistigen  Arbeitsleistuug.  439 

Weise  hervor.  Bei  V.  finden  wir  (allerdings  in  8  Versuchen)  viermal 
einen  Anfangs-  imd  dreimal  einen  Schlussantrieb.  Die  Wirkungen 
derselben  sind  mitunter  recht  kraftig,  so  z.  B.  im  Versuch  V  beim 
Abschnitt  12!  Bei  K.  beginnen  3  Versuche  mit  einem  relativ  schwachen 
Antrieb ;  am  Schluss  finden  wir  nie  einen  solchen.  D.  zeigt  nur  eine 
Andeiitung  von  Anfangsantrieb  in  Versuch  I  und  11;  in  IV  ist  seine 
Wirkung  kraftig;  von  Schlussantrieb  findet  sich  bei  ihm  ebenfalls 
keine  Spur.  Eine  bestimmte  Beziehung  der  Antriebswirkungen 
innerhalb  der  Versuche  zu  denjenigen  im  Beginne  und  am  Schlusse 
ist  somit  nicht  aufzufinden.  Ein  Miidigkeits antrieb  findet  sich 
nur  in  einem  Versuche  von  V.  deutUch  ausgepragt. 

Die  personlichen  Verschiedenheiten  der  drei  Versuchspersonen 
lassen  sich  etwa  in  folgender  Weise  zusammenf assen : 

V.  zeigt  eine  mittelgroBe  Anfangsleistung^  keine  groBe  Uebungs- 
fahigkeit,  dabei  bedeutende  Ermiidbarkeit.  Bei  ihm  sind  alle  Arten 
von  Antriebswirkungen  haufig,  sowol  am  Anfang,  als  am  Schlusse 
wie  im  Verlauf  der  Versuche,  endhch  als  Reaction  auf  das  Mudig- 
keitsgefiihl.  V.  hat  entschieden  die  Neigung,  einzelne  sehr  kurze 
Additionszeiten  zu  hefem;  daher  ist  seine  Arbeitsweise  stets  ungleich- 
maBig;  sehr  kurze  Additionszeiten  wechseln  mit  sehr  langen  ab.  Die 
periodischen  Schwankungen  treten  deuthch  hervor,  wenn  sie  auch 
zeitweilig  von  Antriebswirkungen  verdeckt  werden  konnen. 

K.  beginnt  gleichf  alls  mit  einer  mittleren  Leistung.  Seine  Uebungs- 
fahigkeit  ist  recht  groB,  seine  Ermudbarkeit  gering;  infolge  dessen 
steigt  bei  ihm  die  Arbeitsleistuug  an  den  4  Versuchstagen  sehr  rasch 
an.  K.  hat  nicht  die  Neigung,  die  Additionszeiten  auf  s  MindestmaB 
zu  verkiirzen.  Die  Steigerung  der  Leistung  beruht  vielmehr  auf  der 
bedeutenden  Vermehrung  der  gewohnhchen  Additionszeiten;  seine 
Arbeitsweise  ist  somit  sehr  gleichmaBig;  Antriebswirkungen  sind  nur 
am  Anfang  der  Versuche  in  nicht  sehr  hohem  Grade  vertreten, 
ebenso  am  Ende  der  Spalten.  Die  GrleichmaBigkeit  der  Leistung  lasst 
uns  darauf  schlieBen,  dass  die  Additionsarbeit  bei  K.  sehr  glatt, 
gleichsam  automatisch  von  statten  ging.  Darauf  konnen  wir  bei  ihm 
das  so  klare  Hervortreten  der  Periodicitat  der  Schwankungen  wohl 
mit  Recht  zuriickfiihren. 

D.'s  Anfangsleistung  ist  sehr  gering;  die  einzelnen  Additionen 
werden  recht  langsam  ausgefuhrt;  bald  tritt  jedoch  eine  bedeutende 


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440  C<)org  vou  Voss. 

Beschleunigung  ein.  Die  Leistung  wachst  unter  dem  Einflusse  groBer 
Uebungsfehigkeit  und  bei  sehr  geringer  Ermudbarkeit  rasch  an,  so 
dass  D.,  der  im  Versuch  I  um  1 000  Additionen  hinter  V.  zurtickstand, 
im  Versuch  IV  denselben  bereits  eingeholt  hat.  Auch  D.'s  Arbeits- 
weise  zeichnet  sich  durch  groBe  GleichmaBigkeit  und  Fehlen  der 
Antriebswirkungen  aus,  die  nur  am  Ende  der  Spalten  ofter  hervor- 
treten.  Das  geringe  Uebergewicht  der  bevorzugten  Schwankungen  in 
den  beiden,  ersten  D.'schen  Versuchen  haben  wir  mit  der  anfilnglichen 
SchwerfalUgkeit  seiner  Arbeitsweise  in  Zusammenhang  gebracht.  Im 
dritten  Versuche  trat  die  Periodicitat  inf olge  des  groBen  Uebungsfort- 
schritts  auf  s  schonste  hervor. 


VI.  Znsammenfassnng  der  Ergebnisse. 

Die  bis  hierher  mitgetheilten  Versuchsergebnisse  haben  uns  ge- 
stattet,  die  Einflusse,  welche  die  Arbeitsleistung  verandem,  in  ihren 
Einzelheiten  genauer  zu  verfolgen.  Wir  haben  auf  diese  Weise  fest- 
stellen  konnen,  dass  die  Uebung  zwar  im  ganzen  alle  einzebien 
Additionszeiten  verkurzt,  aber  dieselben  dabei  einer  bestimmten  gun- 
stigsten  Rechengeschwindigkeit  annahert.  Die  Verkiirzung  schreitet 
keineswegs  bis  zu  den  moghchen  auBersten  Werthen  fort;  viehnehr 
scheinen  die  ganz  kurzen  Zeiten  unter  dem  Einflusse  der  Uebung 
geradezu  seltener  zu  werden.  Die  wesentliche  Wirkung  der  Uebung 
besteht  demnach  in  einer  Ausgleichung  der  Zeitdauer  der  einzelnen 
Additionen,  in  moglichster  Annaherung  derselben  an  einen  bestimmten 
kurzen,  aber  nicht  kiirzesten  Werth. 

Dem  gegeniiber  bedingt  dieErmudung  eine  Abnahme  der  kurzea, 
gewohnlichen  Werthe;  sie  fiihrt  zu  einer  Vermehrung  der  langen  und 
sehr  langen  Additionszeiten.  Durch  den  Antrieb  werden  die  ein- 
zelnen Additionszeiten  auf  das  MindestmaB  verkurzt.  Dadurch  wircl 
eine  plotzliche  Beschleunigung  der  Arbeit  bewirkt.  Der  Antrieb  ist 
jedoch  nicht  im  Stande,  die  Leistimg  dauemd  auf  eine  hohere  Stufe 
zu  heben;  er  vermag  nur  innerhalb  eines  oder  des  anderen  Versuchs- 
abschnitts  die  Zahl  der  ausgefiihrten  Additionen  zu  vergroBem.  Auch 
bei  sonst  gleichmaBiger  Arbeit  hat  sich  iibrigens  die  Neigung  nach- 
weisen  lassen,  am  Anfang  und  am  Ende  einer  Rechenspalte  mit 
einem  gewissen  Anfangs-  bezw.  Schlussantrieb  zu  arbeiten. 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigea  Arbeitsleistang.  441 

Das  interessanteste  Ergebniss  unserer  Untersuchungen  scheint  uns 
aber  zu  sein,  dass  es  uns  gelungen  ist,  regebnaBige,  feinere  Schwan- 
kungen der  geistigen  Arbeit  aufzudecken,  deren  Vorhandensein  bisher 
nur  vermuthet  werden  konnte.  Dabei  hat  sich  die  uberraschende 
Thatsache  ergeben,  dass  eine  genaue  Periodicitat  dieser  Schwankungen 
mit  auffallender  Deutlichkeit  hervortrat.  Unsere  Rechengeschwindig- 
keit  zeigt  die  merkwurdige  Neigung,  jeweils  nach  Ablauf  von  solchen 
Zeiten,  welche  nur  3/5"  von  einander  entfemt  sind,  hochste  oder 
niedrigste  Werthe  zu  erreichen.  Am  haufigsten  betrug  die  Dauer 
dieser  Schwankungen  13/5";  dann  folgten  der  Haufigkeit  nach  10/5, 
7/5,   16/5,  19/5,  22/5  und  25/5". 

Wir  woUen  im  folgenden  versuchen,  ob  es  moglich  ist,  eine 
Erklarung  dieser  Erscheinung  zu  finden. 

Grehen  wir  von  der  Wundt'schen  Definition  der  Aufmerksamkeit 
aus,  der  dieselbe  als  periodische  Function  des  Bewusstseins  auffasst, 
so  rechnet  diese  Aufstellung  schon  von  vomherein  mit  der  Thatsache 
der  Aufmerksamkeitsschwankungen.  Pechner  und  nach  ihm  Helm- 
holtz  wiesen  auf  diese  Erscheinung  bin;  sie  beobachteten  u.  a.  die 
wechsehide  Intensitat  einer  gleichmaBig  dauemden  optischen  Empfin- 
dung.  Naher  gepriift  wurde  diese  Frage  zuerst  von  U  rbantschitsch. 
Dieser  Autor  beschaftigte  sich  mit  Untersuchungen  des  Gehororgans; 
er  stellte  Schwankungen  auf  dem  Gebiet  der  akustischen  Wahr- 
nehmung  f  est  und  kam  zu  der  Ueberzeugung,  dass  die  Ursache  dieser 
Erscheinung  eine  Ermiidung  des  N.  acusticus  sei. 

Nach  ihm  zeigte  N.  Lange  durch  eine  Eeihe  griindlicher  experi- 
perimenteller  Untersuchungen,  dass  diese  Auffassung  unrichtig  sei; 
vielmehr  miisse  nach  seiner  Ansicht  die  Entstehung  der  Aufmerksam- 
keitsschwankungen, deren  periodische  Wiederkehr  Lange  feststellte, 
ins  Centrum  verlegt  werden.  Diese  Auffassung  lieB  sich  bequem  mit 
Wundt's  Definition  der  Aufmerksamkeit  in  Einklang  bringen.  Als 
Schwankungsdauer  fand  Lange  bei  der  elektrischen  Empfindung  einen 
Zeitraum  von  2,5",  bei  der  optischen  von  3,4"  und  bei  der  akustischen 
von  3,8".  Munsterberg  stellte  eine  Reihe  neuer  Versuche  mit 
Gresichtsreizen  an.  Er  behauptete,  die  unregelmaBig  wiederkehrenden 
Schwankungen  seien  rein  peripher  bedingt  durch  Ermiidung  der 
Fixations-  und  Accommodationsmuskeln  des  Auges;  im  inneren  Ohr 
solle  es  sich  ahnlich  verhalten.    Die  Unrichtigkeit  einer  rein  peripheren 


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244  G«org  Ton  Voss. 

Erklarung  der  Schwankungen  ergiebt  sich  schon  aus  der  von  Lange 
gezeigten  Thatsache,  dass  bei  der  elektrocutanen  Sensibilitat  die 
gleichen  Schwankungen  auftreten,  obwohl  hier  von  einem  muscularen 
Hilfsapparat  der  Empfindung  keine  Rede  sein  kann.  Eckener  und 
Pace  wiesen  durch  ihi'e  Versuche  an  der  rotirenden  Scheibe  mit 
Ausschaltung  der  Accommodation  nach,  dass  die  Augenmuskeln  keinen 
Einfluss  auf  die  Schwankungen  hatten.  Auch  Miiller's  Anschauung, 
dass  es  sich  bei  den  optischen  Schwankungen  um  ein  temporary 
Unempfindhchwerden  der  Netzhaut  handle,  wurde  von  ihnen  wider- 
legt.  Nach  Eckener  konnen  wir  2  Arten  von  Schwankungen 
unterscheiden: 

1.  bei  klarem  Bewusstsein  fuhlbar  werdende, 

2.  mit  dem  Grefiihl    der  Benommenheit  und    des  Schwindels  auf- 
tretende,  nach  denen  eine  langere  Sammlung  nothwendig  sei. 
Eckener  kommt  zu  der  Annahme  einer  centralen  Entstehung 

der  Schwankungen;  als  Ursache  der  Schwankungen  konne  nur  eine 
positive  psychische  Veranderung  angesehen  werden.  Das  Schwanken 
auch  der  Erinnerungsbilder,  auf  welches  bereits  N.  Lange  hinge- 
wiesen,  halt  Eckener  ebenfalls  fiir  bedeutungsvoll. 

Lehmann  untersuchte  die  Abhangigkeit  der  Aufmerksamkeits- 
schwankungen  von  der  Athmung.  Er  wies  nach,  dass  eine  Haufung 
der  Schwankungen  auftritt: 

1.  wenn  der  Blutdruck  im  Gehim  am  m'edrigsten  ist:  Exspira- 
tionsmaximum,  und 

2.  wenn  das  Gehim  von  der  Innervation  der  Athemmusculatur  am 
meisten  in  Anspruch  genommen  ist:  Inspirationsmaximum.  Femer 
stellte  er  fest,  dass  die  Schwankungen  bei  elektrischer  Hautreizung 
voUkommen  ubereinstimmten  mit  der  Dauer  einer  voUen  Athem- 
phase,  wodurch  ihre  Abhangigkeit  von  der  Athmung  wohl  als  be- 
wiesen  angesehen  werden  kann. 

Mar  be  untersuchte  die  Schwankungen  der  Gesichtsempfindimgen 
und  stellte  ihre  Periodicitat  in  Abrede,  ebenso  ihre  centrale  Ent^ 
stehungsweise.  Die  neueste  Arbeit  stammt  von  Heinrich.  Dieser 
Autor  priifte  ebenfalls  die  Schwankungen  am  Sehorgan  und  stellte 
folgenden  Satz  auf:  »Die  Schwankungen  in  der  Genauigkeit  der 
Accommodation  sind  die  einzige  Ursache  der  Schwankungen  der 
Aufmerksamkeit  bei  optischen  Eindriicken.*     Uns  scheint  das  that- 


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Ueber  die  Schwankiiii|ten  der  geistigen  Arbeitsleistung.  443 

sachliche  Vorhandensein  der  Aufmerksamkeitsschwankungen  auf  dem 
Gebiete  der  cutanen  Sensibilitat  eine  geniigende  Widerlegung  der 
Behauptung  zu  sein,  dass  es  sich  bei  den  entsprechenden  Erschei- 
nungen  auf  optischem  Gebiet  einzig  und  allein  um  accommodative  Vor- 
gange  handehi  komie.  Vielmehr  glauben  wir  durch  den  Nachweis 
der  Aufmerksamkeitsschwankungen  auf  dem  Gebiet  der  geistigen 
Arbeit  einen  weiteren  Beweis  fiir  ihre  centrale  Entstehungsweise 
geliefert  zu  haben. 

Auf  den  gleichen  Ursprung  weist  mit  aller  Bestimmtheit  die 
eigenthiimliche  Periodicitat  bei  der  Zeitschatzung  und  bei  der  Ab- 
lenkung  der  Aufmerksamkeit  bin.  Die  Versuche  von  Est  el  und 
Mehner  batten  eine  gewisse  Periodicitat  der  Schatzungsdifferenz 
festgestellt;  Glass  bestatigte  diese  Behauptung  und  fand,  dass  alle 
Vielfachen  einer  Grundzeit  von  1,25"  mit  groBer  Genauigkeit  ge- 
schatzt  wurden. 

Bert  els,  der  die  Herabsetzimg  der  Empfindlichkeit  fiir  minimale 
Reize  church  vorausgehende  starkere  gleichartige  B.eize  untersuchte, 
fand,  dass  diese  Empfindlichkeit  im  Gegentheil  gesteigert  wurde, 
wenn  der  starke  Eeiz  um  2 — Vj^  oder  um  ein  Vielf aches  dieser 
Zeit  dem  schwachen  vorausging. 

Rufen  wir  uns  nun  die  bei  unseren  Versuchen  gefundenen  Zahlen- 
werthe  fiir  die  Dauer  der  Schwankungen  ins  Gredachtniss  zuriick,  so 
wird  uns  zunachst  die  ziemlich  genaue  Uebereinstimmung  des  von 
Glass  gefundenen  Zeitraums  von  1,25" mit  unseremerstenSchwankungs- 
Maximum  bei  7/5"  auffallen.  Bertelsfand2 — 2V2'')  einen  Zeitraum, 
der  etwa  mit  den  von  uns  gefundenen  Schwankungen  von  10/5  und 
13/5"  Dauer  ubereinstimmen  wiirde.  Die  von  Lange  berechnete 
Dauer  der  Empfindungsschwankungen  variirte  zwischen  13/5  und  19/5"; 
auch  dieser  Werth  entspricht  ziemlich  genau  den  von  uns  gefundenen 
Zeiten. 

Auf  optischem,  akustischem  und  tactilem  Gebiete  so  gut  wie 
auf  demjenigen  des  Zeitsinnes  begegnen  wir  periodisch  wieder- 
kehrenden  Schwankungen  von  einer  gewissen  Dauer.  Es  ist  uns 
gelungen,  auch  auf  dem  Gebiete  der  geistigen  Arbeit  Schwankungen 
nachzuweisen,  deren  Dauer  nicht  wesentlich  von  den  friiher  gefundenen 
Zeitwerthen  verschieden  ist.  Dieser  Umstand  weist  vielleicht  auf 
eine  gemeinsame  Grundlage  bin;  als  solche  konnen  nur  die  uns  aus 


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444  <ieorg  ?on  Voss. 

der  taglichen  Erfahrung  bekannten  Aufmerksamkeitsschwankimgen 
in  Betracht  kommen.  Allein  mit  dieser  Zuriickfiihrung  auf  eine 
gemeinsame  Gnmdlage  sind  wir  der  eigentlichen  Ursache  aller  auf- 
gefiihrten  Schwankiingen  noch  nicht  viel  naher  gekommen.  Viel- 
mehr  erhebt  sich  weiter  die  Frage,  durch  welche  Umstande  denn 
nun  die  Aufmerksamkeitsschwankungen  selber  bedingt  sein  konnen. 
Wir  kennen  in  unserem  Korper  eine  Reihe  von  p^riodischen  Er- 
scheinungen,  deren  rhythmischer  Ablauf  sehr  wohl  einen  gewissen 
Einfluss  auf  das  Kommen  und  Gehen  der  psychischen  Vorgange 
gewinnen  konnte.  Dahin  gehoren  im  Hinblick  auf  die  Dauer  der 
hier  besprochenen  Schwankungen  vor  allem  die  Athmung  und  die 
Herzthatigkeit. 

Sehr  sorgfaltig  hat  Lehmann  den  Zusammenhang  der  Athmung 
mit  den  Schwankungen  der  elektrischen  Empfindung  nachgewiesen. 
Femer  hat  Landmann  an  sich  selbst  eine  deutliche  Beeinflussung 
der  Schmerzempfindung  durch  willkiirliches,  tiefes  Athemholen  be- 
obachtet;  ebenso  constatirte  er  eine  einschlafemde  Wirkimg  des 
tiefen  Athmens.  Wir  lassen  dahingestellt,  wie  groB  der  Einfluss  der 
Autosuggestion  bei  diesen  Beobachtungen  war! 

Den  Zusammenhang  zwischen  Blutdruck  oder  Puis  mit  psychi- 
scher  Thatigkeit  haben  verschiedene  Autoren  untersucht.  Wir  nennen 
hier  nur  Mosso,  der  unter  dem  Einfluss  der  geistigen  Arbeit  und 
der  Affecte  das  Himvolumen  zunehmen  sah.  Nach  ihm  sind  es 
hauptsachlich  franzosische  Forscher  gewesen,  die  sich  mit  diesen 
Pragen  beschaftigten.  Leider  erfahren  wir  aus  diesen  Arbeiten  nichts 
iiber  die  Beeinflussung  der  psychischen  Vorgange  durch  Blutdruck 
und  Puis,  auf  die  es  xms  hier  in  erster  Linie  ankonunt.  Van 
Biervliet  lieferte  anscheinend  den  Beweis,  dass  im  allgemeinen 
(lie  Reactionszeit  auf  Grehors-  und  Gesichtseindriicke  mit  zunehmender 
Pulsgeschwindigkeit  abnimmt.  Endlich  hat  Lehmann  folgende 
Behauptungen  aufgestellt: 

Die  fiir  die  Entstehung  minimaler  Empfindungen  ungunstigsten 
Respirationsphasen  sind,  1.  wenn  der  Blutdruck  im  Gehim  am  ge- 
ringsten  ist,  und  2.  wenn  die  Energie  des  Gehims  von  der  Inner- 
vation der  Athemmuskeln  am  meisten  in  Anspruch  genommen  ist. 
Diese  Satze  weisen  uns  allerdings  schon  auf  eine  combinirte  Wirkung 
der  Athmung  und   des  Pulses  hin.     Im  Einklang  mit  den  meisten 


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Ueber  die  Schwankuogen  der  geistigen  Arbeitsleistung.  445 

andem  Autoren  haben  in  neuester  Zeit  Binet  und  Courtier  fest- 
gestellt,  dass  eine  Volumszunahme  des  Gehims  auf  jede  geistige 
Arbeitsleistimg  f olgt.  Es  darf  f emer  als  bewiesen  betrachtet  werden, 
dass  auf  eine  kurz  dauemde  geistige  Anstrengung  bin  der  Puis  be- 
schleunigt  wird;  ebenso  nimmt  die  Athemfrequenz  zu.  Bei  mehiv 
stiindiger  unausgesetzter  geistiger  Arbeit  verhielt  sich  der  Puis  entgegen- 
gesetzt,  d.  h.  seine  Haufigkeit  nahm  ab.  Binet  und  Sollier  wiesen 
nach,  dass  die  Kopfstellung  von  grpBtem  Einfluss  auf  die  Grestalt 
der  Pulscurve  des  Gehims  sei;  der  Athmung  und  dem  Pulse  sei 
eine  gemeinsame  Wirkung  auf  die  Gehimpulsationen  zuzuschreiben. 

Auf  eine  merkwurdige  Form  periodischer  Empfindungsschwan- 
kungen,  die  sich  auf  alien  psychischen  Gebieten  auBerten,  hat  endlich 
Stern  aufmerksam  gemacht;  er  fand  bei  zwei  Fallen  von  schweren 
Kopfverletzungen  regelmaBig  auftretende  Schwankungen,  in  deren 
Verlauf  zunachst  ein  Abnehmen  und  dann  ein  Zunehmen  der  Empfin- 
dung  nachgewiesen  werden  konnte.  Dies  ist  alles,  was  sich  in  der  uns 
zuganglichen  Literatur  liber  den  Einfluss  von  Puis  und  Athmung 
auf  die  psychische  Thatigkeit  und  iiber  die  Schwankungen  derselben 
auffinden  heB. 

Machen  wir  nunmehr  den  Versuch,  auch  fiir  unsere  Ergebnisse 
die  mogUchen  Beziehungen  zwischen  Schwankungen  der  Arbeitsge- 
schwindigkeit  und  jenen  rhythmischen  Vorgangen  aufzufinden,  so  wird 
es  am  nachsten  Uegen,  dabei  an  die  eigenthiimliche  Periodicitat  der  3/5" 
anzukniipfen.  Allein  es  zeigt  sich  sofort,  dass  hier  eine  Beziehung 
zur  Pulszahl,  an  die  man  etwa  denken  konnte,  nicht  wohl  zu  erkennen 
ist.  Nehmen  wir  als  gewohnliche  Pulszahl  72  in  der  Minute  an,  so 
wird  ein  Pulsschlag  etwa  0,83"  entsprechen,  ein  Worth,  der  sich  weder 
mit  der  Dauer  einer  einzelnen  Schwankung  noch  mit  den  bevorzugten 
Unterschieden  zwischen  den  einzelnen  Schwankungen  zur  Deckung 
bringen  lasst.  Dagegen  fallt  uns  sofort  auf,  dass  die  Zeit  von  0,6 
=  3/5"  bei  weitem  die  haufigste  Dauer  einer  einzelnen  Addition 
bei  alien  Versuchspersonen,  namentUch  in  den  spateren  Versuchen 
darstellt.  Es  hat  demnach  den  Anschein,  als  ob  die  eigenthiimliche 
Periodicitat  wesenthch  durch  die  Verlangerung  der  Schwankungen 
um  je  eine  addirte  Zahl  hervorgerufen  worden  sei.  Mit  dieser  Auf- 
fassung  steht  im  besten  Einklange  die  zunachst  so  verwirrende  That^ 
sache,  dass  in  den  ersten  Versuchen  von  D.  jene  Periodicitat   gar 


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446  ^^org  von  Voss. 

nicht  oder  doch  nur  sehr  undeutlich  hervortrat.  In  diesen  Versuchen 
waren  eben  die  haufigsten  Additionszeiten  erheblich  langer  als  3/5". 
Je  mehr  sich  aber  bei  D.  die  regelmaBige  Rechendauer  dem  Werthe 
von  3/5"  (in  der  Tabelle  0,6)  naherte,  desto  deutlicher  kommt  auch 
bei  ihnen  die  Gliederung  der  Schwankungen  nach  dem  Untersehiede 
von  je  3/5"  zum  Vorschein.  Ebenso  sehen  wir,  dass  bei  den  andern 
Versuchspersonen  mit  fortschreitender  Uebung,  d.  h.  mit  wachsender 
Haufigkeit  der  Additionen  von  3/5"  Dauer,  jene  Periodicitat  iramer 
klarer  sich  geltend  macht. 

Es  kann  somit  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  sich 
in  der  Bevorzugung  der  immer  um  3/5"  von  einander  verschiedenen 
Schwankungen  nichts  anderes  ausdriickt ,  als  die  Verlangerung  der- 
selben  um  je  eine  addirte  Zahl.  Man  wird  nunmehr  auch  leicht 
begreifen,  warum  den  Ausgangspunkt  dieser  Stufenleiter  der  Schwan- 
kungen gerade  die  Zeit  von  7/5"  bilden  muss.  Wenn  die  bei 
weitem  haufigste  Dauer  einer  Addition  3/5"  betrug,  so  wird  im  allge- 
meinen  die  kurzeste  iiberhaupt  beobachtete  Schwankung  diejenige 
zwischen  4/5  und  3/5"  sein  miissen.  Gegenilber  der  Haufigkeit  dieser 
Schwankungen  von  7/5"  Dauer  kommen  die  wenigen  noch  kiirzeren 
nicht  in  Betracht,  die  durch  den  Uebergang  von  der  Additionszeit 
3/5  zu  2/5"  entstehen.  Von  den  gewohnlichen  kleinsten  Schwan- 
kungen im  Betrage  von  7/5"  ausgehend  entstand  alsdann  durch  Hin- 
zufiigung  je  einer  weiteren  Addition  die  friiher  von  uns  mitgetheilte 
Reihe  der  bevorzugten  Schwankungen. 

Mit  dieser  Feststellung  ist  aber  die  durch  unsere  Versuchsergebnisse 
aufgeworfene  Frage  noch  keineswegs  gelost.  Wir  wissen  damit  noch 
nicht,  worauf  die  besondere  Bevorzugung  einzelner  Schwankungs- 
zeiten  aus  der  ganzen  Reihe  zuriickzufiihren  ist.  Es  wUrde  zwar  er- 
klarlich  sein,  wenn  die  kleinsten  Schwankungen  von  7/5"  auch  zugleich 
am  haufigsten  vorkamen.  Das  ist  jedoch  na.ch  unseren  Erfahrungen 
nicht  der  Fall;  vielmehr  werden  in  erster  Linie  uberall  die 
Schwankungen  von  13/5"  Dauer  bevorzugt.  Die  Reihenfolge  in  der 
Haufigkeit  der  iibrigen  Schwankungen  war  allerdings  nicht  durch- 
weg  die  gleiche.  Jedenfalls  muss  demnach  der  Zeitraum  von  13/5" 
und  haufig  auch  derjenige  von  10/5"  durch  irgend  welche  UmstHnde 
besonders  begunstigt  worden  sein,  wenn  dieselben  haufiger  vorkamen 
als  die  kleinsten  Schwankungen,  deren  Auftreten  naturgemaB  von 
vomherein  am  nachsten  lag. 


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Ueber  die  Schwankungen  der  geistigen  Arbeitsleistung.  447 

Eine  bestimmte  Deutung  dieser  Bevorzugung  der  Zeiten  zwischen 
2  und  23/5"  zu  geben,  sind  wir  augenblicklich  nicht  im  Stande.  Es 
ist  sehr  moglich,  dass  hier  bestimmte  Beziehungen  zum  Athmungs* 
rhythmus  bestehen;  doch  vermogen  wir  dieselben  nicht  aufzudecken, 
da  es  bei  unseren  Versuchen  leider  versaumt  wurde,  gleichzeitig 
die  Athmungsbewegungen  aufauzeichnen.  Wir  diirfen  indessen  darauf 
hinweisen,  dass  die  hier  auf gefundene  GroBe  der  bevorzugten  Arbeits- 
schwankungen  auf  das  allemachste  tibereinstimmt  mit  denjenigen 
Zeiten,  denen  schon  nach  den  Erfahrungen  auf  anderen  Gebieten 
eine  bestimmte  Bedeutung  fur  den  Ablauf  der  psychischen  Vorgange 
zugeschrieben  werden  musste.  So  hat  sich  bei  der  Messung  von 
Eeactionszeiten  herausgestellt,  dass  der  gunstigste  Zeitraum  zwischen 
Signal  und  B.eiz  etwas  liber  2"  betragt.  Insbesondere  weisen  wir 
darauf  hin,  dass  nach  den  Untersuchungen  von  Bert  els  die  durch 
einen  Reiz  in  Anspruch  genommene  Aufmerksamkeit  nach  etwa  2 — 
272"  wiederum  einen  Hohepunkt  ihrer  Spannung  erreicht  hat,  der 
sich  nach  weiteren  gleich  groBen  Zeitraumen  noch  mehrmals  in 
gleicher  Weise  einzustellen  scheint.  Wir  diirfen  also  daraus  schlieBen, 
dass  die  Aufmerksamkeit  die  Neigung  besitzt,  in  Zeitabschnitten 
von  etwas  iiber  T  sich  immer  wieder  zur  hochsten  Span- 
nung zu  erheben,  wenn  nicht  besondere  Umstande  diesen  Rhyth- 
mus verwischen. 

Die  von  Bertels  gefundene  Zeit  steht  zwischen  jenen  beiden 
Schwankungszeiten,  die  wir  als  besonders  bevorzugt  kennen  gelemt 
haben,  ziemlich  genau  in  der  Mitte.  Da  unsere  Registrirung  nach 
Additionszeiten  naturgemaB  sich  gewohnUch  nur  um  mindestens 
3/5"  vorwarts  bewegen  musste,  werden  wir  diese  Uebereinstimmung 
fiir  geniigend  halten  diirfen,  um  die  Gleichartigkeit  der  von  Bertels 
und  uns  gemachten  Erfahrungen  darzuthun.  Wenn  die  Dauer  einer 
Aufmerksamkeitsschwankung  in  Wirklichkeit  genau  den  von  Bertels 
festgestellten  Betrag  erreicht,  so  mussten  bei  unsem  Versuchen  die- 
jenigen  Punkte  der  Arbeitscurve  jeweils  den  gleichen  Spannungs- 
grad  der  Aufmerksamkeit  darbieten,  welche  um  diese  Zeitdauer 
von  einander  abstanden.  Da  jedoch  die  Abschnitte  unserer  Arbeits- 
zeit  stets  durch  die  Additionszeiten  bezeichnet  waren  und  somit 
mindestens  um  2/5 — 3/5"  auseinander  lagen,  kommen  wir  zu  dem 
Schlusse,   dass  •  die  thatsiichlich  gef undenen  SchwankungsgroBen  sich 

Kraepalin,  Psycholog.  Arbeiien.  IL  30  « 


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448  Georg  ?on  Voss. 

mit  dem  Litervalle  nicht  genau  decken,  sondem  ihm  nur  bis  zu 
einera  gewissen  Grade  nahe  kommen  konnten.  Aus  dieser  Ueber- 
legung  ergiebt  sich  die  Bevorzugung  der  Schwankungen  von  2  und  Vj^" 
Dauer  ohne  weiteres.  Die  Verlangerung  dieser  bevorzugten  Schwan- 
kungen um  je  eine  addirte  Zahl  musste  dann  zu  den  iibrigen  aus- 
gezeichneten  Zeitabschnitten  fiihren.  Andeutungen  von  einer  Bevor- 
zugung der  doppelten  oder  dreifachen  Schwankungsdauer  lieBen  sich 
freilich  nicht  mehr  nachweisen;  vermuthlich  desw^en,  weil  durch 
die  wechselnde  Schwierigkeit  der  Arbeit  selbst  und  durch  andere 
zufallige  Einfliisse  der  regehnaBige  Ablauf  langerer  Aufmerksamkeits- 
schwankungen  vielfach  gestort  und  verwisctt  wurde. 

Es  bedarf  wohl  nur  eines  kurzen  Hinweises,  um  klar  zu  machen, 
dass  auch  unsere  Erfahrungen  mit  voUer  Bestimmtheit  fUr  die  Ver- 
legung  der  Ursache  der  Aufmerksamkeitsschwankungen  in  das  Central- 
organ  unseres  Bewusstseins  sprechen. 

Schlnsss&tze. 

1.  Die  Verbesserung  der  Arbeitsleistung  durch  die  Uebung 
kommt  beim  Addiren  wesentlich  durch  die  Annaherung  aller  Addi- 
tionszeiten,  der  langen  wie  der  ganz  kurzen ,  an  einen  bestimmten 
bevorzugten  Zeitwerth  zu  Stande;  die  Unterschiede  in  den  einzehien 
Additionszeiten  gleichen  sich  mehr  und  mehr  aus. 

2.  Die  Ermiidung  bewirkt  das  Auftreten  sehr  langer  Addi- 
tionszeiten. 

3.  Antriebswirkungen  lassen  sich  nicht  nur  im  Beginne  und 
am  Schlusse  der  Arbeit,  sondem  auch  wahrend  derselben  vielfach 
nachweisen,  besonders  am  Anfang  und  am  Ende  kleiner  Unter- 
abschnitte. 

4.  Der  Antrieb  bewirkt  das  Auftreten  einzelner  ganz  kurzer 
Additionszeiten  und  macht  dadurch  die  Arbeitsweise  ungleichmaBiger. 

5.  Die  Haufigkeit  und  die  Form  des  Auftretens  von  Antriebs- 
wirkungen ist  groBen  personlichen  Verschiedenheiten  unterworfen. 

6.  Im  Verlaufe  der  Eechenarbeit  finden  sich  zahlreiche  kiirzere 
und  langere  Schwankungen  der  Addirgeschwindigkeit.  Am  hau- 
figsten  sind  die  kurzen  Schwankungen  und  diejenigen,  welche  um  die 
gewohnliche  Additionszeit  einer  oder  mehrerer  Zahlen,  langer  sind. 


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Ueber  die  Sehwanknngen  der  geistigen  Arbeitsleistimg.  449 

7.  Eine  bevorzugte  Stellung  unter  den  Arbeitsschwankungen 
nehmen  diejenigen  von  der  Dauer  2  und  22/5"  ein;  diese  Zeit  ent- 
spricht  genau  der  auch  bei  anderen  Versuchen  gefundenen  Dauer 
einer  Aufmerksamkeitsschwankung. 

8.  Die  Ursache  der  Arbeits-  und  damit  auch  der  Aufmerk- 
samkeitsschwankungen  uberhaupt  ist  in  centralen  Vorgangen 
zu  suchen. 


Literatarverzeichniss. 

Helmholtz,  Physiolog.  Optik  S.  314. 

Urbantschitsch,  Centralbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  1 875.  S.  C»2G ;  Pfliiger's  Archiv 

XXIV.  S.  574  und  XXVn.  S.  446. 
Ribot,  Psychologic  de  I'attention  18S9.  Paris. 
N.  Lange,  Wundt's  Philosophische  Studien  IV.  S.  404. 
Miinsterberg,  Beitrage  zur  Psychol ogie  H.  2.  S.  G9. 
Eckener,  Philosophische  Studien  VIII.  S.  359. 
Pace,  ebenda  VUI.  S.  388. 
Marbe,  ebenda  Vin.  S.  615. 
Lehmann,  ebenda  IX.  S.  66. 
Heinrich,  Zeitschr.  f.  Psychol,  u.  Physiol,  der  Sinnesorgane .  Bd.  IX.  S.  343  u. 

Bd.  XL  S.  410. 
Est  el,  Philosophische  Studien  11.  S.  475. 
Mehner,  ebenda  11.  S.  546. 
Glass,  ebenda  IV.  S.  423. 

Landman n,  Zeitsch.  f.  Psychol,  u.  Physiol.  Bd.  VIIL  S.  424. 
Van  Biervliet,  Philosophische  Studien  X.  S.  161  u.  XI.  S.  125. 
Bertels,  >Ablenkung  der  Aufmerksamkoit*  Dissert.  Dorpat  1889. 
Binet  et  Sollier,  Ref.  L'annee  psychol.  1895.  S.  590. 
Binet  et  Courtier,  L'annee  psychol.  189G.  S.  42. 
Stern,  Arch.  f.  Psychiatric  Bd.  26. 
Oehrn,  Diese  Arbeiten  Bd.  I.  S.  92. 
Am  berg,  Diese  Arbeiten  Bd.  L  S.  300. 


30* 


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Untersuchungen  Uber  die  Schrift  Gesunder  und  Geisteskranker. 

Von 

Adolf  Grors. 

Mit  Tafel  I— Vm  und  2  Figuren  im  Text. 


A.  Anfgabe  und  Verfahren. 

Auf  der  Versammlung  deutscher  Irrenarzte,  die  im  September 
1 896  in  Heidelberg  stattf and,  habe  ich  uber  Untersuchungen  bericbtet^ 
welche  in  der  Absicht  angestellt  wurden,  Stuporzustande  von  ver- 
schiedener  kUnischer  Bedeutung  zu  analysiren.  Ich  wies  damals 
darauf  hin,  dass  solche  Zustande  im  Verlaufe  der  verschiedensten 
Psychosen  vorkommen  konnen,  bei  der  Melancholie,  der  Paralyse, 
der  Katatonie,  dem  circularen  Irresein.  Je  nach  der  klinischen 
Zugehorigkeit  besitzen  sie  eine  verschiedene  Prognose.  Die  ubliche 
klinische  Untersuchung  versagt  nun  entweder  bei  den  wenig  oder 
nichts  sprechenden  Kranken  voUkommen,  oder  aber  sie  giebt  uns 
Aufschluss  darliber,  dass  der  Kranke  hallucinirt,  dass  er  Wahnideen 
hat,  dass  er  gleichmiithiger  oder  heiterer  oder  depressiver  Stimmung 
ist  und  dergl.  Vielleicht  ist  es  sogar  moglich,  f estzustellen ,  was 
zuerst  da  war,  die  Wahnidee  oder  der  Affect,  die  Sinnestauschung 
oder  die  Wahnidee.  In  Ermangelung  eines  positiven  Ergebnisses  der 
Untersuchung  muss  dann  nicht  selten  auch  die  Vermuthung  an  die 
Stelle  des  objectiven  Befunds  treten.  Ich  erinnere  nur  an  die  in 
Krankengeschichten  nicht  seltene  Bemerkimg:  »Der  Kranke  scheint 
zu  halluciniren«. 

Die  Erfahrungsthatsache,  dass  das  Vorhandensein  oder  Fehlen 
von  Sinnestauschungen  und  Wahnideen  fur  den  Verlauf  der  Stoning 
ohne   jede  Bedeutung  ist,    veranlasste    uns,    dem  Nachweiso    dieser 


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(Jiitersachiingen  fiber  die  Schrifl  Gesiindcr  und  Gcisteskraiiker.  451 

psychopathologischen  Symptome  nur  ein  mehr  theoretisches  Interesse 
zuzuerkennen,  und  unsere  Bemiihungen,  Klarheit  in  bisher  unklare 
Verhaltnisse  zu  bringen,  anderen  Dingen  zuzuwenden.  Deshalb  be- 
gannen  wir,  die  psychischen  Grundeigenschaften  zu  studiren,  die  im 
Laboratorium  angestellten  experimentell-psychologischen  Versuche  fiir 
die  klinische  Untersuchung  zu  verwerthen  und  zwecks  ihrer  Verwen- 
dung  bei  Geisteskranken  zu  modificiren. 

Wir  untersuchten  zunachst  die  einfachsten  psychischen  Functi- 
onen,  die  Auffassung,  elementare  Denkvorgange,  einfache  Bewegungen. 
Es  ist  ja  zweifellos  richtig,  wie  von  franzosischen  Autoren  betont 
worden  ist,  dass  complicirtere  psychische  Leistungen  bei  Psychosen 
augenfalligere  Veranderungen  darbieten.  Doch  muss  ich  bestreiten, 
dass  jetzt  schon  etwa  das  Studium  des  geometrischen  Sinns,  des 
ethischen  Gefuhls  unsere  Kenntnisse  von  dem  Wesen  der  psychischen 
Storungen  zu  fordem  im  Stande  sind.  Es  ist  absolut  nothwendig, 
vom  Einfachsten  anfangend  systematisch  vorzugehen. 

Von  den  an  stuporosen  Kranken  angewandten  Untersuchungs- 
methoden  waren  diejenigen,  welche  sich  auf  die  psychomotorische 
Sphare  bezogen,  die  am  wenigsten  exacten  und  vollkommehen.  Ich 
lieB  die  Kjranken  einfache  Bewegungen  ausfuhren,  die  Hand  reichen, 
den  Arm  aufheben  und  dergl.,  oder  ich  provocirte  bei  widerstrebenden 
Kranken  Abwehrbewegungen.  Fur  diese  Bewegimgen  bekam  ich 
Uberhaupt  kein  objectives  MaB ;  ich  war  auf  abschatzende  Vergleichung 
angewiesen.  Femer  UeB  ich  die  Kranken  von  1  —20  zahlen  und  bestimmte 
die  Zeit,  welche  sie  dazu  benothigten,  mit  der  Fttnftelsecundenuhr.  In 
der  gewonnenen  Gesammtzeit  ist  neben  der  Sprechzeit  der  20  Zahlen 
noch  die  Dauer  der  associativen  Aneinanderkniipfung  der  einzelnen 
Zahlen  enthalten.  Doch  ist  letztere  Thatigkeit  so  eingelemt  und  fixirt, 
dass  sie  der  reinen  Sprechzeit  gegeniiber  im  allgemeinen  vemachlassigt 
werden  kann.  Die  Methode  hat  den  Vorzug  der  bequemen  Anwend- 
barkeit  am  Krankenbett.  Sie  hat  aber  auch  eine  Eeihe  von  Nach- 
theilen.  Sie  giebt  nur  ein  summarisches  Resultat,  giebt  kein  Bild  von 
den  einzelnen  Sprechbewegungen  und  den  dazwischen  liegenden  Pausen, 
von  der  Energie  der  Bewegungen,  von  der  Art  ihres  Einsetzens  und 
Endens,  von  Veranderungen  derBewegungsgeschwindigkeit,  Energie  und 
Form  wahrend  des  Versuchs.  Diese  Einzelheiten  lieBen  sich  aus 
dem  Sprechact  nicht  analysiren.    Dagegen  eigneten  sich  hierfiir  vor- 


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452  Adolf  GroB. 

ziiglich  die  Schreibbewegungen.  Das  Studium  des  Schreibens  sollte 
uns  Aufschluss  geben  liber  etwaige  Veriinderungen  der  psychomo- 
torischen  Functionen  im  allgemeinen ;  er  sollte  dasjenige  leisten,  wozu 
die  einfache  klinische  Betrachtung  und  das  bloBe  Sprechenlassen  nicht 
gentigten.  Einen  vorzuglich  geeigneten  Apparat,  um  diese  Schreib- 
bewegungen zu  untersuchen,  fand  ich  in  der  nach  den  Angaben 
Professor  Kraepelin's  von  dcm  Mechaniker  Runne  in  Heidelberg 
construirten  Schriftwage.  Die  Anregnng  zur  Construction  dieses 
Apparats  erhielt  Kraepelin  durch  einen  Aufsatz  Goldscheider's 
»Zur  Physiologic  und  Therapie  der  Handschrift**).  Gold- 
scheider  hat  sich  zur  Untersuchung  der  Druckschwankungen  einen 
Apparat  construirt,  den  er  folgendermaBen  beschreibt: 

»eine  fedemd  befestigte  Metallplatte  dient  als  Tischchen;  das 
Schreibpapier  wird  auf  ihr  mittelst  Klemmen  befestigi  Die  Platte 
ruht  mittelst  eines  FiiBchens  auf  der  Membran  einer  Marey'schen 
Aufnahmekapsel,  welche  auf  gewohnliche  Weise  mit  der  Registrir- 
kapsel  verbunden  ist.  Wahrend  man  auf  diesem  Tischchen  schreibt, 
geben  die  Ausschlage  des  Zeichenhebels  die  gegen  das  Tischchen 
gerichteten  Druckwirkungen  an«. 

Goldscheider  fand  mittelst  dieses  Apparats,  dass  die  Druck- 
schwankungen fiir  jeden  Buchstaben  einen  bestimmten  Typus,  eine 
bestimmte  Curve  durchlaufen,  entsprechend  den  wahrend  der  ver- 
schiedenen  Phasen  des  Buchstabenbildes  eintretenden  Druckwirkungen 
auf  die  Unterlage.  Er  hat  sich  indessen  darauf  beschrankt,  die 
Curven  einiger  Schriftzeichen  unter  verschiedenen  Bedingungen  im 
GroBen  und  Ganzen  zu  schildem,  ohne  sich  auf  exacte  Feststellung 
der  zahlenmaBigen  Verhaltnisse  derselben  einzulassen.  Dazu  diirf te 
wohl  auch  der  von  ihm  verwendete  Apparat  kaum  ausreichen. 

Dagegen  glaube  ich,  dass  die  Kraepelin'sche  Schriftwage 
alien  Anspriichen  auf  exactes,  zuverlassiges  Fimctioniren  Grentige 
leistet 

Sie  ist,  wie  der  Name  sagt,  nach  dem  Princip  einer  Wage  con- 
struirt Die  Abbildung  1  ist  nach  einer  Photographic  des  Apparats 
angefertigt.  Auf  einer,  auf  3  FiiBen  stehenden,  eisemen  Platte  ist 
das  Stativ  S  f est  angeschraubt.    Auf  diesem  befindet  sich  der  Unter- 


1)  Archiv  fur  Psychiatrie  XXIV.  Bd.  S.  503—525. 


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Untersuchungen  Qber  die  Scbrift  Gesiinder  iiud  Geisteskrauker. 


453 


stiitzungs-  und  Drehpunkt  der  auf  feinen  Schneiden  ruhenden  Wage,  a. 
Der  kUrzere  Hebelarm  b  tragi  eine  Platte  P.  Die  Klemmen  k 
dienen  znm  Pesthalten  von  weiBen  Kartchen,  auf  die  geschrieben 
wird.  Infolge  der  Oonstruction  des  Parellelogramms  f  hat  diese 
Platte  immer  eine  horizontale  Lage.  Der  lange  Hebelarm  c  wird 
durch  die  Peder  d,  mit  der  er  durch  den  Stift  e  verbunden  ist,  immer 
wieder  in  dieselbe  wagrechte  Stellnng  zuruckgefuhrt.  Diese  Peder 
vertritt  in  dem  Apparat  die  Stelle  des  Gewichts.  Ist  die  Wage  in 
der  Ruhelage,  so  ist  die  Peder  entspannt,  das  Grewicht  gleich  null. 


ti-i**^ 


Bei  jedem  Druck  auf  die  Platte  wird  die  Peder  so  angespannt,  dass 
der  dadureh  entstehendeGegenziig  gleich  ist  dem  aufgewandten  Drucke, 
oder  dem  Gtewicht,  das  auf  der  Platte  lastet.  Diese  Peder  ist  auf 
einer  Seite  dauemd  fest  fixirt;  die  andere  Seite  kann  durch  Drehen 
der  Schrauben  m  gelockert  werden,  wodurch  der  Apparat  empfindUcher 
wird.  Der  horizontale  Schreibhebel  A,  welcher  senkrecht  zur  Ebene 
des  Armes  c  steht,  ist  durch  den  Stift  g  mit  diesem  verbunden. 
Diese  Terbindungsstelle  kann  naher  oder  entfemter  von  dem  Dreh- 
pimkt  des  Plihlhebels  r  gelegt  werden,  wodurch  die  GroBe  des  Aus- 
schlags  desselben  verandert  wird.  Zur  EquiUbrirung  des  Schreibhebels 
befindet  sich  auf  der  anderen  Seite   des  Unterstiitzungspunktes  ein 


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454  Adolf  Gro6. 

verscliiebbares  Gewicht  /.  Der  Stift  g  muss  natiirlich  immer  senkrecht 
stehen.  Durch  Drehen  der  Schraube  i  kann  das  die  XJnterstutzung 
des  Drehpunkts  r  bildende  Rechteck  verschoben  und  so  bei  jeder 
Lange  des  Schreibhebels  diese  senkrechte  Stellung  von  g  hergestellt 
werden. 

Der  Apparat  wird  in  folgender  Weise  benutzt:  Die  Platte  P 
passt  genau  in  den  Ausschnitt  eines  Stehpults.  Der  Fiihlhebel 
schreibt  auf  eine  rotirende  Kymographiontrommel,  die  mit  beruBtem 
Wachspapier  iiberzogen  ist  und  sich  mit  constanter  Geschwindigkeit 
von  55  mm  in  der  Secunde  und  einer  Senkung  von  15  mm  dreht. 
Stellt  man  den  Fiihlhebel  leicht  gegen  die  beruBte  Flache  an  und 
lasst  die  Trommel  ablaufen,  so  erhalt  man  eine  einfache  Spirale. 
Jeder  Druck  auf  die  Schreibplatte  auBert  sich  in  einem  Ausschlag 
des  Hebels  nach  oben,  in  einer  Erhebung  der  die  Spirale  bildenden 
Linie.  Wir  haben  dann  den  Druck  der  Bewegung  in  der  Ordinate, 
deren  Dauer  in  der  Abscisse  festgelegt.  Um  diese  beiden  Eigen- 
schaften  der  Schreibbewegungen  von  der  Trommel  ablesen  zu  konnen, 
dienen  f olgende  Einrichtungen :  Unter  dem  Fiihlhebel  der  Schriftwage 
befindet  sich  der  Schreibhebel  einer  Fiinftelsecundenuhr,  der  die 
wahrend  der  Bewegung  verflieBende  Zeit  direct  unter  die  Curve 
registrirt.  Die,  je  eine  fiinftel  Secunde  darstellenden  Spatien  lassen 
sich  leicht  noch  viermal  theilen,  so  dass  eine  auf  zwanzigstel  Secunden 
genaue  Ablesung  bequem  mogUch  ist.  Belastet  man  die  Schreibplatte 
mit  100  g  und  lasst  dann  das  Kymographion  laufen,  so  entsteht  eine 
diesem  Gewicht  entsprechende  Druckhnie,  die  iiber  die  ganze  Trommel 
weg  von  der  GrundUnie  denselben  Abstand  hat.  Entsprechend  ver- 
halt  es  sich  bei  irgend  einer  anderen  Belastung.  Eine  Curve,  deren 
hochste  Stelle  bis  zu  dieser  Drucklinie  reicht,  hat  also  einen  maxi- 
malen  Druck  von  100  g.  Da  es  sehr  mlihsam  und  zeitraubend  ware, 
fiir  jeden  Versuch  diese  Drucklinien  besonders  zu  bestinunen,  wurde 
eine  bleibende  Tarirung  auf  f olgende  Weise  erzielt:  Es  wurde  durch 
Auflegen  von  Gewichten  festgestellt,  welcher  Ausschlag  des  Fiihl- 
hebels  einem  Druck  von  100,  200,  300  g  entspricht.  In  den  betref- 
fenden  Hohen  wurden  Fedem  fixirt,  welche  zusammen  mit  dem 
Fiihlhebel  iiber  das  beruBte  Papier  schleifen.  Eine  vierte,  unterste 
Feder  zieht  eine  der  Grundstellung  des  Schreibhebels  entsprechende 
Linie.     So  ist  es  moglich,    den  Druck   auf  ca  20  g  genau   direct 


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Uiitersuchiiiigeii  iiber  die  Schrifl  Gesiiiider  uiid  Geisteskraiiker.  455 

abzulesen.  Um  auch  groBere  Druckstarken  bestimmen  zu  konnen, 
wurden  besondere  MaBstabe  in  der  beschriebenen  Weise  angefertigt, 
die  einen  Druck  bis  zu  lOOOg  abzulesen  gestatten. 

Dem  Beginn  der  Bewegung  entspricht  die  Stelle,  an  der  die 
vom  Schreibhebel  gezogene  Linie  sich  von  der  NuUlinie  entfemt. 
Das  Ende  der  Bewegung  ist  da  anzunehmen,  wo  die  Druckcurve, 
wieder  auf  0  zuriickgekehrt,  die  Grundlinie  zum  ersten  Mai  schneidet. 
Dann  folgen  in  der  Regel  mehr  oder  weniger  intensive  Nach- 
schwingungen. 

Die  Form  der  aufgezeichneten  Curve  giebt  ein  im  Ganzen  getreues 
Abbild  der  wahrend  der  Schreibbewegung  sich  abspielenden  Druck- 
schwankungen. 

Die  erwahnten  Nachschwingungen  sind  eine  Folge  der  Eigen- 
schwingungen  des  Apparats.  Um  diese  auf  ein  moglichst  geringes 
MaB  zuriickzuf uhren ,  musste  die  Wage  so  leicht  als  moglich  sein; 
sie  wurde  deshalb  aus  Aluminium  hergestellt.  Nichtsdestoweniger 
lieBen  sich  die  Eigenschwingungen  nicht  vollig  verhindem.  Am  leb- 
haftesten  sind  sie  meist  nach  Schluss  der  Bewegung,  beeintrachtigen 
aber  da  die  Form  der  Druckcurve  nicht  mehr.  Wahrend  des  Ablaufs 
der  Bewegung  spielen  sie  nur  nach  senkrechtem  Ansteigen  und  Fallen 
des  Drucks  eine  RoUe.  Im  Beginn  der  Bewegung  hangt  ihre  Energie 
ab  von  der  PlotzUchkeit,  mit  der  die  Bleistiftspitze  angesetzt  wird. 
Also:  die  Eigenschwingungen  des  Apparats  sind  wahrend  der  Be- 
wegung nur  bei  plotzUchen  starken  Druckschwankungen  von  Belang 
imd  lassen  dann  die  Curve  noch  charakteristischer  erscheinen.  Am 
Beginn  und  nach  Schluss  der  Bewegung  geben  sie  ein  Bild  von  der 
Schnelligkeit,    mit   der   die  Schreibbewegung   einsetzt   und   aufhort. 

Die  GroBe  und  Form  der  Schriftzuge  finden  wir  auf  dem 
Kartchen.  Es  mag  hier  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  immer 
mit  einem  geniigend  langen,  gut  gespitzten  Bleistift,  und  zwar  mit 
Kohinoor  H  B  geschrieben  wurde. 

Wenn  wir  die  Dauer  einer  Schreibbewegung,  z.  B.  einer  Ziffer  oder 
eines  Buchstabens,  bestimmt  haben,  so  ist  damit  die  Geschwindig- 
keit  des  Schreibens  noch  nicht  gegeben.  Diese  ist  auBerdem 
bedingt  durch  die  Lange  der  Linie,  welche  das  Schriftzeichen  bildet. 
Je  langer  der  Weg  ist,  den  die  Bleistiftspitze  bei  gleicher  Zeitdauer 
zuriickgelegt  hat,  desto  groBer  war  die  Schreibgeschwindigkeit. 


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456  Adolf  GroG. 

Wir  werden  diesen  von  der  Bleistiftspitze  bei  der  Ausfuhrung  einer 
Schreibbewegung  zuriickgelegten  Weg  den  Scbreibweg  nennen. 

Der  Scbreibweg  derjenigen  Zahlen  und  Buchstaben,  fiir  die  die 
Schreibgeschwindigkeit  berechnet  werden  soUte,  wurde  deshalb  in 
Millimetem  ausgemessen.  Dividirt  man  die  Gresammtdauer  der  Schrif t- 
zeichen  durch  deren  Scbreibweg  in  Millimetem,  so  erhiilt  man  ein 
MaB  fiir  ihre  durchschnittliche  Schreibzeit  pro  Millimeter.  Da  die 
Ausdriicke  »Schreibdauer«,  >Millimeterschreibzeit«  und  »Schreibge- 
schwindigkeit«  in  der  Folge  immer  wiederkehren,  so  mag,  um  Irr- 
thiimer  zu  vermeiden,  nochmals  betont  werden:  TJnter  Schreibdauer 
verstebe  icb  die  Zeit,  welche  zur  AusfUhrung  des  ganzen  Schrift- 
zeichens  notbwendig  ist;  unter  Millimeterschreibzeit  die  zur  VoUendung 
je  eines  Millimeters  dieses  Zeichens  erforderliche.  Letztere  ist  natiirlich 
um  so  kleiner,  je  groBer  die  Geschwindigkeit  ist  Diese  »Millimeter- 
schreibzeit«  wurde  durchweg  als  MaB  fiir  die  Schreibgeschwindig- 
keit verwendet;  sie  ist  dieser  umgekehrt  proportional. 

Die  Ablesung  der  Zeiten  von  der  Trommel  erfolgte,  wie  schon 
erwahnt,  in  fUnftel  resp.  zwanzigstel  Secunden.  Fast  alle  diese  Werthe 
wurden,  um  eine  bequemere  Vergleichung  zu  erm5glichen,  in  tau- 
sendstel  Secunden  (a)  umgerechnet.  Doch  geschah  das  nur  aus 
praktischen  Grlinden.  Icb  will  ausdrilcklich  betonen,  dass  damit 
nicht  eine  so  weitgehende  Genauigkeit  beansprucht  werden  soil.  Wo 
es  sich  nim  groBere  Zeiten  handelte,  wurde  auch  mknchmal  eine  Um- 
rechnung  in  hundertstel  oder  in  zehntel  Secunden  vorgenommen. 

Es  war  nun  zunachst  erforderhch,  einen  Versuchsplan  aufzu- 
stellen,  der  ein  moglichst  durchsichtiges  und  unschwer  deutbares 
Material  zum  Studium  einfachster  Schreibbewegungen  zu  liefem  ver- 
sprach.  Ausgiebige  Vorversuche  brachten  uns  dazu,  den  Versuchs- 
plan immer  einfacher  zu  gestalten,  da  die  geringste  Complicirung 
so  viel  neue  Gesichtspunkte  hineinzog,  dass  eine  Deutung  der  Ver- 
suchsergebnisse,  zunachst  wenigstens,  auf  imtiberwindliche  Hindemisse 
stieB.     So  beschrankte  ich  mich  schlieBlich  auf  folgende  Au^aben: 

1.  Zwei  10  cm  von  einander  entfemte  Punkte  durch  eine  gerade 
Linie  zu  verbinden;  diese  Aufgabe  wurde  viermal  nach  einander 
wiederholt. 

2.  Ftinf  Punkte  nacheinander  zu  machen. 

3.  Den  kleinen  deutschen  Buchstaben  »m«  zu  schreiben. 


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Uiitersuchuiigen  fiber  die  Schrift  Gesuiider  iind  Geisteskranker.  457 

4.  Die  Zahlen  1  bis  10  zu  schreiben,  und  im  Anschluss  daran 

5.  von  20  riickwarts  je  3  zu  subtrahiren. 

Um  die  Aufgaben  moglichst  eindeutig  zu  gestalten  und  zugleicli 
um  ein  MaB  der  maximalen  motorischen  Leistungsfahigkeit  zu  be- 
kommen,  wurde  die  Versuchsperson  vor  jeder  Aufgabe  energisch 
aufgefordert,  so  rasch  wie  irgend  moglich  zu  schreiben.  Es  wurde 
beigefiigt,  dass  es  nur  auf  die  Schnelhgkeit,  nicht  auf  die  Schonheit 
und  Exactheit  des  Schreibens  ankomme. 

Die  Gesichtspunkte,  welche  mich  bei  der  Aufstellung  dieses 
Versuchsplanes  leiteten,  waren  folgende: 

Bei  der  Verbindung  zweier,  1 0  cm  von  einander  entf emter  Punkte 
durch  einen  Strich  handelt  es  sich  um  ein^  Bewegung  von  einem 
gegebenen  Ausgangspunkte  ab  nach  einem  bestimmten  Ziele.  Diese 
Bewegung  entspricht  etwa  dem  Handgeben,  dem  Greifen  nach  einem 
vorgehaltenen  Gegenstand. 

Die  Ausfiihrung  der  Punkte  soil  ein  Bild  geben  von  einer  mog- 
lichst kurzdauemden  Bewegung. 

Der  Buchstabe  »m«  wurde  gewahlt  als  Beispiel  einer  eingelemten, 
in  ihrer  Form  gegebenen,  in  ihrer  GroBe  variablen  Schreibfigur. 
Das  »m«  hat  den  Vorzug  vor  anderen  Buchstaben,  dass  seine  GroBe 
mit  einem  MaBstabe  verhaltnissmaBig  leicht  abzumessen  ist.  Es  besteht 
aus  drei  gleichformigen  Bestandtheilen,  je  einen  Grund-  und  einen 
Haarstrich  enthaltend,  die  unter  einander  verglichen  werden  konnen. 

Aehnlich  verhalt  es  sich  mit  den  Zahlen.  Doch  haben  wir 
auBerdem  in  der  Zahlenreihe  1  bis  10  eine  Polge  von  einzelnen  Be- 
wegungen  und  dazwischenliegenden  Intervallen.  Es  ist  uns  moglich, 
festzustellen,  wie  sich  die  Dauer  der  Bewegungen  verhalt  zu  der 
Dauer  der  Pausen,  wie  sich  die  Bewegung  andert  im  Laufe  des 
Versuchs. 

Das  an  das  Zahlenschreiben  sich  anschlieBende  Subtrahiren  hatte 
in  erster  Linie  den  Zweck,  dariiber  Aufschluss  zu  geben,  ob  und 
wie  sich  die  Bewegungsverhaltnisse  andem  unter  dem  Einflusse  einer 
elementaren  Denkfunction.  AuBerdem  giebt  ims  der  Ausfall  der 
B.echenaufgabe  ein  MaB  ftir  etwa  vorhandene  Storungen  dieser  ein- 
fachen  associativen  Thatigkeit. 


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458  Adolf  GroO. 

B.  Versnche  an  Gesnnden. 

Wenn  auch  der  Hauptzweck  unserer  Studien  die  Untersuchung 
der  krankhaften  Storungen  der  Handschrift  bildete,  so  musste  doch 
eine  erste  Grundlage  zunachst  durch  Versuche  an  gesunden  Menschen 
geschaffen  werden.  Es  wurden  17  Gesunde  untersucht  und  zwar  9 
Warterinnen  und  8  Warier.  Ich  habe  absichtlich  das  Wartpersonal 
zu  diesem  Zwecke  herangezogen  irnd  nicht  etwa  Gebildete  gewahlt 
Denn  die  untersuchten  Kranken  entstammen  mit  wenigen  Ausnahmen, 
die  besonders  zu  berucksichtigen  sein  werden,  dem  Arbeiter-  und 
Bauemstand,  aus  dem  sich  auch  unser  Personal  rekrutirt.  Unter 
den  Normalpersonen  sind  solche  von  verschiedenster  Intelligenz  ver- 
treten.  So  glaube  ich,  dass  die  groBe  Anzahl  der  Normal  versuche 
mich  vor  der  Gefahr  bewahrt  hat,  etwa  Dinge  f iir  krankhaft  gehalten 
zu  haben,  die  noch  in  der  Gesundheitsbreite  liegen. 

Die  Versuche  an  Gesunden  konnen  infolge  der  Gleichartigkeit 
der  untersuchten  Personen  gemeinsam  besprochen  werden.  Doch 
empfiehlt  es  sich  aus  spater  zu  erortemden  Griinden  in  der  Regel, 
die  Manner  und  Frauen  gesondert  zu  behandeln.  Die  einzelnen 
Personen  werden  mit  den  romischen  Ziffem  I— XVII  bezeichnet 
werden,  worunter  I — "ViJLL  Manner  und  IX — XVII  Frauen  darstellen. 
Ich  mochte  kurz  darauf  hinweisen,  dass  die  Normalversuche  eine 
Schwierigkeit  darboten,  welche  bei  den  E^rankenversuchen  fehlte. 
Das  Personal,  insbesondere  das  weibhche,  war  zum  Theil  bei  den 
Experimenten  verlegen,  furchtete  sich  bloBzustellen,  und  uberhastete 
sich  infolgedessen  beim  Rechnen;  bei  den  anderen  Aufgaben  trat  das 
nicht  hervor.  Dadurch  wurde  die  Leistung  mehrfach  in  ungunstigem 
Sinne  beeinflusst,  und  einzelne  auffallend  schlechte  Rechenleistungen 
sind  so  zu  erklaren.  Da  wir  es  in  vorUegender  Arbeit  im  wesent- 
hchen  nur  mit  der  Untersuchung  der  Schreibbewegung  zu  thun  haben, 
diese  aber  durch  oben  erwahnten  Umstand  nicht  beeinflusst  wird, 
so  konnen  wir  im  allgemeinen  ohne  weiteres  den  pathologischen  Be- 
funden  die  normalen  gegeniiberstellen. 

Zunachst  gebe  ich  in  Tabellen  die  Zahlen  iiber  die  Geschwin- 
digkeit,  Correctheit  und  den  Druck  bei  der  Ausfuhrung  der  Linien. 
Die  Tabelle  I  giebt  zuerst  die  MilUmeterschreibzeit  jeder  Linie 
in  Sigmen,    dann  die  durchschnittliche  Millimeterschreibzeit  fur  jede 


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Untersuchungen  fiber  die  Schrift  Gesunder  und  Geisteskranker. 


459 


Person  und  deren  mittlere  Variation  in  Procenten;  in  ihrer  zweiten 
H^lfte  sind  in  Millimetern  die  Fehler  bei  der  Ausfuhrung  der  Linien 
verzeichnet.  Zu  lang  gerathene  Linien  tragen  das  Vorzeichen  »+•«, 
zu  kurze  das  Vorzeichen  » — «.  Die  Tabellell  giebt  den  bei  jeder 
einzehien  Linie  erreichten  Druck  und  in  ihrer  letzten  Spalte  ein 
arithmetisches  Mittel  aus  den  fiir  jede  Versuchsperson  gefundenen  4 
Werthen  (D). 

Tabelle  I. 


Versuchs- 
personen 

Mill 
zeit 

1 

imeterschi 
en  der  Lin 

2       3 

*eib- 
ien 

4 

Mittel 

Mittl. 
Var.  in  X 

L 

I 

ange 
in  1 

2 

afehl( 
ma 

3 

4 

Summe 

I 

14 

14 

13 

14 

13,8 

.4        ! 
1 

2,5 

+  3 
+17 

—  2 
+16 

+  10 

+  2 

+  3 

n 

5 

3 

4 

4 

12,5 

+  -> 

+  50 

in 

IV 
V 

13 

12 

10 

10 

11,3 

11,1 

+  2 
+15 

+  2 

+  7 

+  1 
+26 

+  5 
+  77 

3 
6 

3 

7 

4 

4 

3 

3,3 

12,1 

7,7 

+29 

6 

6,5 

+  5 

+  3 

+  4 

+  12 

VI 

vn 
vm 

17 

12 

12 

12 

13,3 

16,2 

!+2 

+  4 

+  2 

+  8 

9 

11 

10 

9 

9,8 
10,3 

7,7 

+  7 

+  1 

—  1 

+  7 

11 

10 

10 

10 

3,9 

—  (i 
+  7 

IX 

16 
16 

11 

8 

13 

7 

15 

13,8 

10,9 

Lio 

+  4 

X 

6 

9,3 

36,6 
34,4 

!+4 

+  1 

+  ^ 

XI 

xn 

13 

8 

9 

7 

6 

5 

8 

—  2 

+  4 

+  7 

8 

6 

7,3 

10,3 

—  2 

—  1 

+  1 

xni 

XIV 

7 

7 

7 

1 

7 

«    r' 

+  2 

+  1 

8 

8 

9 

7 

8 

9,4 

+  6 

+  1 

+  4 

+  11 

XV 

13 

10 

8 

8 

7 
8 

9,5 

8 

2M 

1 

+  2 

4-  3 

+  5 

XVI 
XVII 

8 

8 

0        l+ll 

+  7 

+  6 
+  1 

+  4 

+  28 

12 

9 

10 

9 

10 

i      10,0     1'+ 1 

+  7 

'    +« 

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460 


Adolf  GroS. 
Tabelle  H. 


Manner   I 

1 

n 

m 

IV 

V 

1 
VI 

vn 

L    .   _ 

vm 
no 

1 

100 

300 
220 

220 

360 

190 

280   210 

2 

90 

240 

370 

270 

280  1  150 

100 

3 

100 

190 

230 

320 

260 

2S0  1  150 

130 

4 

120 

280 

300 

290 

230 

300  '  180 

1 

160 

D- 

102,5 

247,5 

247,5 

3H5 

237,5 

285 

172,5 

125 

Frauen 

IX 

X 

XI 

XU 

Xin  j  XIV 

XV 

XVI 

xvn 

Linie: 

1 
2 

140 

110 

160 

190 
180 

160 

150 

290 

150 

130 

180 

140 

210 

200 

180 

270 
310 

100 

170 

3 

190 

200 

240   180 

190   200 

100 

180 

4 

170 

240 

300 

200 

200 

210 

350 

100 

220 

1     j;   D.     170   172,5 

227,5 

187,6 

187,5 

185 

305 

112,5 

175 

Die  Schreibgeschwindigkeit  ist  bei  derselben  Person  fast  durch- 
weg  recht  gleichmaBig.  Zwei  Versuchspersonen,  Frauen  (XITT  und 
XVI),  haben  ganz  constant  gearbeitet;  ihre  mittlere  Variation  ist  gleich 
null.  Im  Ubrigen  schwankt  diese  zwischen  2,5%  imd  36,6%;  nur  bei 
4  Personen  betragt  sie  iiber  12,5%.  Das  ist  dann  ausschlieBlich  eine 
Folge  davon,  dass  die  erste  Linie  inf olge  einer  gewissen  Befangenheit 
auffallend  langsam  ausgefUhrt  wurde.  Die  spateren  Linien  wurden 
im  allgemeinen  mit  groBerer  Oeschwindigkeit  geschrieben  als  die 
ersten.  Elf  Personen  schrieben  die  vierte  Linie  rascher  als  die  erste, 
davon  allerdings  4  bloB  um  la;  bei  6  blieben  die  betreffenden 
Geschwindigkeiten  gleich.  Keine  Versuchsperson  schrieb  die  letzte 
Linie  langsamer  als  die  erste.  Es  ist  hier  jedoch  noch  darauf  hin- 
zuweisen,  dass  es  dem  Experimentator  auf  die  Erzielung  einer  maxi- 
malen  Geschwindigkeit  ankam,  und  er  daher  anhaltend  zum  schneller 
schreiben  anspomte.  Wir  braucben  daher  hier  keine  spontane  Stei- 
gerung  der  Bewegungsgeschwindigkeit  anzunehmen.  Vergleichen  wir 
die  bei  alien  Personen  gefundenen  Mittelwerthe  miteinander,  so  zeigt 


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Untersiichui^n  uber  die  Schrifl  Gesunder  uiid  Geisteskranker.  461 

es  sich,  dass  die  Geschwindigkeit  pro  mm  von  3,3  bis  zu  13,8  a 
variirt.  Auffallend  kurz  sind  die  Zeiten  3,3  und  4,0.  Sie  finden 
sich  bei  den  beiden  Wartern,  die  bei  der  Ausfuhrung  der  Linien 
am  meisten  iiber  das  Ziel  hinausgeschossen  sind.  Diese  haben  ihre 
4  Linien  insgesammt  um  77  (IV)  resp.  50  (11)  nun  zu  lang  gemacht, 
wahrend  sonst,  abgesehen  von  XVI  mit  28,  die  Fehler  nicht  Uber 
12  mm  insgesammt  betragen.  Die  abnorm  raschen  Leistungen  sind 
also  auf  Kosten  der  Correctheit  erzielt.  Die  Schreibgeschwindigkeit 
fur  Linien  schwankt  bei  den  MSimem  zwischen  3,3  und  13,8  a,  bei 
den  Frauen  zwischen  7  und  13,8  a;  die  Frauen  haben  also  unter  sich 
viel  gleichmaBiger  gearbeitet  als  die  Manner.  Noch  deutlicher  tritt 
das  hervor,  wenn  man  die  mittlere  Variation  der  Durchschnittsge- 
schwindigkeiten  berechnet.  Diese  betragt  bei  den  mannlichen  Ver- 
suchspersonen  3a,  bei  den  weiblichen  1,5,  wahrend  die  durchschnitt- 
liche  Geschwindigkeit  bei  Frauen  wie  bei  Mannem  9  a  betragt.  Die 
Unterschiede  sind  also  bei  den  Mannem  doppelt  so  groB.  Schuld 
daran  tragen  vielleicht  die  beiden  abnorm  kleinen  Werthe  von  3,3 
und  4  a.  Schaltet  man  diese  aus,  so  hegen  die  Zahlen  der  Manner 
zwischen  6,5  und  13,8;  also  der  Unterschied  zwischen  den  Greschlech- 
tern  verschwindet  fast  vollig.  Doch  bleibt  naturlich  auch  dann  die 
Thatsache  bestehen,  dass  jene  abnorm  groBen  Geschwindigkeiten  yer- 
bunden  mit  incorrectem  Arbeiten  bis  jetzt  nur  bei  mannlichen  Ver- 
suchspersonen  gefunden  worden  sind. 

Der  durchschnittliche  maximale  Druck,  welchen  die  Warter 
beim  Ziehen  der  Linien  erreicht  haben,  betragt  219  g  gegen  191,4 
der  Warterinnen.  Die  Manner  haben  also  durchschnittlich  27,6  g 
mehr  Druck  aufgewendet.  Noch  groBer  ist  der  Unterschied,  wenn 
wir  an  Stelle  der  Durchschnittswerthe  aus  alien  4  Linien  nur  die 
Durchschnitte  der  ersten  Linien  vergleichen.  Dann  stellt  sich  das 
Verhaltniss  221,2  :  164,4  =  56,8  g  Differenz.  Vergleichen  wir  die 
Durchschnittswerthe  aus  den  vierten  Linien,  go  steht  einem  Durch- 
schnittswerth  von  232,5  bei  den  Mannem  ein  solcher  von  221  bei 
den  Frauen  gegeniiber;  also  nur  noch  eine  Differenz  von  lJ,5g. 
Wir  erhalten  demnach  folgendes  Ergebniss:  Der  durchschnittlich 
aufgewandte  Druck  bei  den  Mannem  ubertrifft  den  der  Frauen 
erheblich.  Diese  Differenz  ist  am  ausgesprochensten  bei  den  ersten 
Linien.     wahrend    sie    bei    den    letzten    Linien    nur    noch    knapp 


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462  Adolf  GroB. 

den  funften  Theil  betragt,  ganz  unerhebKch  geworden  ist.  Kurz: 
Die  Frauen  haben  im  aUgemeinen  mil  gleichmaBig  steigendem  Druck 
gearbeitet,  wahrend  bei  den  Mannern  darin  keine  solche  BegelmaBig- 
keit  obwaltet.  Dem  entspricht  auch,  dass  bei  den  9  weiblichen  Ver- 
suchspersonen  nur  einmal  der  Druck  der  ersten  Linie  den  der  letzten 
Linie  ubertrifft,  wahrend  das  bei  den  8  mannlichen  Versuchspersonen 
dreimal  der  Fall  war. 

Die  mittlere  Variation  des  Dnrchschnittsdrucks  von  219  bei  den 
Mannern  betragt  29,4  %;  bei  den  Frauen  17,4  %  auf  191,4.  Wir 
finden  also  auch  im  Druck  viel  geringere  individuelle  Unterschiede 
bei  den  weiblichen  als  bei  den  mannlichen  Versuchspersonen,  ebenso 
wie  in  der  Geschwindigkeit,  ja  fast  in  demselben  Zahlenverhaltnisse. 

Die  Tafel  I  giebt  von  jeder  Versuchsperson  die  Druckcurve  einer 
Linie.  Den  vier  Linien  derselben  Person  entsprechen  durchaus 
gleichartige  Curven.  Meist  ist  die  dritte  Linie  gewahlt.  Nur  wenn 
diese  beim  Abnehmen  des  Papiers  von  der  Tronimel  durchschnitten 
war,  oder  eine  andere  die  charakteristischen  Eigenschaften  der  be- 
treffenden  Person  scharfer  ausgepragt  zeigte,  wurde  eine  andere  Linie 
genommen.  Die  Tafel  bedarf  nur  kurzer  Erlauterung.  Auch  hier 
fallt  sofort  die  gleichmaBigere  Form  der  weibUchen  Druckcurven 
(IX— XVn)  gegeniiber  der  der  mannlichen  ins  Auge.  Man  achte 
nur  auf  die  Gegensatze  zwischen  den  niederen  und  langgestreckten 
Curven  I  und  Viii  und  den  steilen,  fast  kegelformigen  11  und  IV. 
Bei  den  Frauen  lassen  sich  von  der  Form  XVI  bis  zur  Form  XV 
unschwer  alle  Uebergange  verfolgen.  Das  Einsetzen  des  Drucks  er- 
f olgt  fast  immer  allmahUch ;  nicht  selten  f olgt  dem  Beginn  des  Drucks 
ein  Nachlassen  (I,  HI,  IV,  Vlll,  XTT,  XV).  Am  steilsten  beginnt 
die  Curve  V.  Die  groBte  Druckhohe  wird  meist  gegen  Ende  der 
Linie  erreicht;  einige  Curven  zeigen  zwei  Druckhohen,  eine  am  Anfang 
und  eine  am  Ende  (IH,  EX,  XIV),  dazwischen  liegt  eine  Senkung. 
Bei  XV  folgt  nach  einem  allmahlichen  Anstieg  gegen  Ende  auf  eine 
kurze  Senkung  ein  kurzer  Berg  und  dann  der  Abfall.  Die  Curven 
Xn  und  XVIL  verlaufen  in  ziemlich  gleichmaBigem  Bogen,  mit  dem 
Maximum  des  Druckes  in  der  Mitte.  Erstere  zeigt  ein  Ansteigen 
in  Staffeln.  Das  Aufhoren  des  Drucks  geschieht  nirgends  ganz 
plotzlich.  Es  erf  olgt  jedoch  iiberall  rascher  als  das  Einsetzen.  Am 
steilsten  schlieBt  die  Curve  1 11  mit  ziemlich  energischen  Nachschwin- 


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Uiitersiichungen  uber  die  JScbrifl  Gesunder  und  Geisteskranker.  463 

gungen.  Bei  11  und  XVII  sehen  wir  im  absteigenden  Ast  der  Druck- 
linie  eine  Staffel,  einem  momentanen  Stocken  beim  Loslassen  ent- 
sprechend.  Bei  einigen  Curven,  am  deutlichsten  bei  XTT  und  XVII, 
ist  ein  deutlicher  Tremor  erkennbar. 

Mit  diesen  Betrachtungen  ist  die  individualpsychologische  Aus- 
beute  aus  der  Untersuchung  der  Druckcurven  der  Linien  vielleicht 
nicht  vollig  erschopf t.  Ich  babe  nur  diejenigen  Verhaltnisse  besprochen, 
die  durch  die  beigegebenen  Curven  illustrirt  sind.  Das  Gesagte 
geniigt  jedoch  durchaus  zum  Verstandniss  der  pathologischen  Befunde. 

Bei  den  Punkten  sind  die  individuellen  Differenzen  innerhalb 
der  Gresundheitsbreite  enorm,  und  die  Versuche  bieten  ein  vorwiegend 
individualpsychologisches  Interesse.  Immerhin  werden  wir  bei  der 
Betrachtung  der  Versuche  an  E^ranken  eine  Eeihe  von  Befunden 
kennen  lemen,  die  pathologische  Merkmale  tragen.  Die  Dauer  der 
Punkte  variirt  zwischen  50  (XVI)  und  900  a  (VI),  der  Druck  zwischen 
100  (XII)  und  1400  g  (II).  Die  Formen  der  Druckcurven  sind 
auBerordentlich  verschieden  bei  den  verschiedenen  Personen,  bei  der- 
selben  Person  jedoch  durchaus  typisch  und  principiell  gleichartig. 
Auf  Tafel  11  sind  von  den  Versuchspersonen  V,  X,  XI,  XII  alle  5, 
von  VI  3  Drucklinien  wiedergegeben,  um  diese  Thatsache  zu  illu- 
striren.  Die  DruckUnien  sind  sogar  wesentlich  gleichartiger  als  die 
Punkte  selbst.  Um  dies  zu  erlautem,  sind  bei  VI  und  X  die  Blei- 
stiftpunkte  unter  die  betreffenden  Curven  gezeichnet.  Die  groBen 
individuellen  Verschiedenheiten,  die  sich  gerade  hier,  und  nur  hier, 
darbieten,  beruhen  im  wesentUchen  darauf ,  dass  die  Punkte  von  den 
Versuchspersonen  verschieden  ausgefuhrt  werden.  V,  XII,  XVI 
machen  einfache  Tupfen.  Das  Eesultat  ist  eine  theils  abgerundete, 
theils  spitze  Erhebung,  die  bei  V  einmal,  bei  XVI  immer  mit  zu- 
nehmender  Tiefe  gegabelt  ist.  Sehr  gleichartig  sind  die  Drucklinien 
derjenigen  Personen,  welche  kurze  Striche  als  Punkte  machen  (XIV, 
XV,  m).  An  sie  schlieBen  sich  nahe  die  hakenformigen  Punkte 
an  (VlLi,  XTTT),  die  eine  Stufe  im  Aufstieg  zeigen.  Eine  solche 
lasst,  weniger  energisch  ausgepragt,  auch  die  DrucWinie  der  strich- 
formigen  Punkte  von  XV  erkennen.  Hakenartig  sehen  auch  die 
Punkte  von  XI  aus,  doch  ist  ihre  Druckfigur  zerklufteter  und  mehr- 
gipflig,  entsprechend  zahlreichen  kleinen  Schwankungen  des  Druckes. 
Sie  fiihrt  uns  hiniiber  zu  der  Figur  VI.     Die  Punkte  dieser  Versuchs- 

Eraepelin,  P^ycholog.  Arbeiten.   II.  31 


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464 


Adolf  GroO. 


person  sehen,  auf  dem  Kartchen  betrachtet,  ganz  verschieden  aus, 
wie  Striche,  Haken,  Kleckse.  Und  doch  bestehen  alle  ihre  Druck- 
figuren  aas  vier  ziemlich  gleichmaBigen,  gegen  das  Ende  ansteigenden, 
durch  entsprechende  Einsattelungen  getrennten  Erhebungen.  Drei 
Versuchspersonen  machten  die  Punkte  in  Form  von  kleinen  Kreisen. 
Von  I  und  IV  sind  2,  von  IX  eine  entsprechende  Drucklinie  abge- 
bildet.  Alle  sind  breit  und  bieten  in  der  Mitte  eine  Senkung  dar. 
Bei  I  ist  deutlich  ein  Vorschlag  (a)  zu  erkennen,  der  zunachst  frei 
vor  der  Curve  steht,  dann  (aj)  den  Anstieg  eroffnet.  Dieses  Nach- 
lassen  nach  dem  ersten  Ansetzen  ist  ein  bei  alien  Schreibbewegungen 
haufiger  Befund.    Im  ubrigen  verweise  ich  auf  die  beigegebene  Tafel. 

Tabelle  III. 


Buchstabe 

Manner 

I 

II 

III 

IV 

V 

VI 

vn 

VIII 

« 

Durchschnitt 

mittl.  Var. 

Dauer 

soo 

31 
2(i 

700 
29 
24 

800 
28 
28 

800 
29 
28 

900 

800  1  800 

800 
17 
48 

250 

800 

3,1  X 

Millimeter- 
sc'hreibzeit 

Schreibweg 

19 
47 

19 

42 

260 

42 

19 

250 

26,8 

23,9  X 

32,9 
330 

29,5  X 

Druck 

200 

450 

380 

320 

530 

28  X 

1 
Buchstabe 

Frauen 

IX 

X 

XI 

xn 

xm 

XIV 

XV 

700 

XVI 

600 

xvn 

800 
33 

Durchschnitt 
800 

mittl.  Var. 
19,5  ;j; 

Dauer 

1000 

1100 

700 

600 

700 

1000 

Millimeter- 

schreibzeit 



Schreibweg 

55 
18 

33 

18 

27 

22 

100 

64 

53 
17 

28  1     25 

37,3 

35,2  X 

33 

39 

260 

11 

25, 

24 
100 

24 

23,7 

24,9  X 

Druck 

160 

130 

210 

190  ]  330  ' 

100 

182 

32,5  X 

Die  Schreibdauer  des  Buchstaben  >m«  betmg  zwischen  600 
und  1 100  a.  Die  durchschnittliche  Dauer  war  bei  Mannem  sowohl 
wie  bei  Frauen  800  a.  Jedoch  wies  dieser  Werth  in  vorliegender 
Versuchsreihe  bei  den  Frauen  eine  mittlere  Schwankung  von  19,5%, 
bei  den  Mannem  nur  eine  solche  von  3,1%  ^uf-  Wie  die  obige 
Tabelle   zeigt,   schwankt   die  Schreibdauer  der  Frauen  sowohl  nach 


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Uutersuchungen  ilber  die  Schrift  Gesunder  uiid  Geisteskranker.  465 

oben  wie  nach  iiiiten  mehr  als  die  der  Manner.  Die  Schreibgeschwin- 
digkeit  bewegt  sich  zwischen  17  und  64  a,  doch  weisen  nur  4  Ver- 
suchspersonen  mehr  als  33  a  aut  Die  durchschnittb'che  Geschwindig- 
keit  der  Manner  ist  groBer  als  die  der  Prauen,  26,8  gegen  37,3  Sigmen 
Schreibzeit  pro  Millimeter.  Auch  bier  scheinen  die  individuellen 
Unterschiede  bei  den  Mannern  geringer;  sie  haben  nur  23,9  %  niittlere 
Variation,  die  Frauen  dagegen  35,2.  In  Bezug  auf  Schreibweg  des 
Buchstaben  sind  die  mannlichen  Personen  iiberlegen:  32^  gegen  23,7. 
Dafttr  sind  hierin  auch  ihre  personlichen  Unterschiede  starker,  wenn 
auch  nicht  bedeutend  (29,5%  :  24,9  o/o). 

Die  GroBe  der  Schrift  steht  in  einem  ziemlich  constanten  Ver- 
haltniss  zur  Geschwindigkeit  des  Schreibens.  GroBen  Buchstaben 
entspricht  schnelles  Schreiben  (V,  VI,  VIII,  IX) ,  kleinen  Buchstaben 
geringe  Geschwindigkeit  (VII,  IX,  XIII,  XIV).  Bei  den  Mannern 
ist  dieses  Verhaltniss  so  constant,  dass  die  Gesammtdauer,  welche  dem 
Product  aus  Schreibweg  und  Millimeterschreibzeit  entspricht,  nur  eine 
mittlere  Variation  von  3,1%  aufweist.  Bei  den  Prauen  sind  die 
Schwankungen  der  Geschwindigkeit  groBer  als  diejenigen  der  Buch- 
stabenlange.  Lnmerhin  ist  auch  hier  die  mittlere  Schwankung  der 
Gesammtdauer  wesentlich  geringer  als  die  der  Geschwindigkeit  und 
des  Schreibwegs. 

Der  hochste  Druck  variirt  zwischen  100  und  530  g;  bei  den 
Wartem  zwischen  200  und  530,  den  Warterinnen  zwischen  100  und 
330.  Im  Mittel  betragt  er  bei  ersteren  330,  bei  den  letzteren  182  g; 
wir  finden  also  auch  hier  einen  bedeutend  groBeren  Druck  auf  Seite 
der  Manner.  Die  mittlere  Variation  ist  bei  Mannern  und  Prauen 
annahemd  dieselbe.  Zwischen  Druck  und  Geschwindigkeit  scheint 
kein  bestimmtes  Verhaltniss  zu  bestehen. 

In  den  DruckUnien  begegnet  uns  allgemein  ein  dreigipfliger 
Typus,  den  drei  aus  je  einem  Grund-  und  Haarstrich  bestehenden 
Theilen  des  Buchstaben  m  entsprechend.  Die  ansteigende  Seite 
eines  jeden  Gipfels  wird  durch  einen  Grundstrich,  die  absteigende 
durch  einen  Haarstrich  hervorgerufen,  jener  also  mit  steigendem, 
dieser  mit  abnehmendem  Druck  geschrieben.  Eine  Ausnahme  hiervon 
macht  natiirhch  der  erste  Haarstrich,  mit  dem  die  Schreibfigur,  also 
auch  der  Druck  beginnt:  er  lasst  ein  Steigen  des  Drucks  erkennen. 
Er  markirt  sich  entweder  als  kleinerer  Gipfel  am  Beginn  der  Curve, 

31* 


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466  Adolf  GroO. 

Auf  den  mit  dem  Umwenden  zum  Grundstrich  eine  Einsattelung  folgt 
(H,  VI,  IX,  X,  XI,  XIV,  XV,  XVH),  oder  auch  bloB  als  Stufe 
im  ersten  Anstieg  (m,  IV,  VH,  XH,  Xm,  XVI).  Bei  n,  X,  XVH 
erkennen  wir  auf  den  Schreibkartchen  einen  auffallend  energischen 
Ansatz.  Die  Curve  VH  zeigt  in  dem  Vorschlag  a  ein  zweimaliges 
Ansetzen.  Eine  Staffel  im  Abstieg  verursacht  der  letzte  Haarstrich 
bei  VI  nnd  XH,  bei  V  einen  letzten,  steilsten,  Gipfel.  Durchweg 
zeigen  Thalef  und  Berge  derselben  Curve  ahnliche  Form:  spitz  bei 
n,  V,  VI,  XV,  breit  bei  I,  IV,  XH,  XIV  u.  s.  f.  Zum  Theil  mag  die 
Umbiegungsstelle  dadurch,  dass  die  Schreibhebelspitze  iiber  das  Ziel 
hinausschnellt,  noch  scharfer  erscheinen,  als  es  der  Druckanderung 
entspricht.  Das  kommt  jedoch  nur  bei  groBen  Druckschwankungen 
in  sehr  kurzer  Zeit  in  Betracht  (s.  insbes.  XV)  und  lasst  die  indi- 
viduellen  Unterschiede  noch  mehr  hervortreten.  Sehr  starke  Druck- 
schwankungen entsprechen  flotter  energischer  Schrift,  insbesondere 
scharfen  Ecken;  runde  Formen  sind  entweder  eine  Folge  langsamen, 
correcten  Schreibens,  wie  bei  XTTT,  oder,  haufiger,  fliichtiger  Schrift, 
wie  bei  I,  XTT,  XVI.  Wahrend  der  Ausfuhrung  des  Buchstaben 
ist  fast  durchweg  ein  Ansteigen  des  Drucks  zu  erkennen.  Meist  ist 
der  folgende  Gipfel  hoher  als  der  vorausgehende.  Ausnahmen  machen 
nur  Vn,  Xni  und  XV.  Der  Abfall  ist  fast  durchweg  steiler  als 
der  Anstieg.  V  zeigt  ein  ganz  plotzliches  Loslassen  mit  energischen 
Nachschwingungen. 

Der  ausftihrlichsten Besprechung  bedarf  das  Schreiben  der  Zahlen 
1  — 10.  TabellelV  giebt  einen  Ueberblick  iiber  die  Durchschnitts- 
werthe  fUr  Gesammtdauer,  Schreibzeit  pro  Millimeter  (Schreibge- 
schwindigkeit),  Schreibweg  und  Druck  sammtlicher  in  diesem  Versuch 
und  in  der  Subtractionsarbeit  enthaltenen  Einer. 

Aus  technischen  Griinden  war  es  nicht  moglich,  diese  Einzelheiten 
in  Bezug  auf  jede  Zahl  zu  berechnen.  Es  wurde  die  Zahl  »l« 
herausgegriffen,  weil  ihre  Lange  am  leichtesten  abmessbar  ist,  weil 
sie  in  der  Zahlenreihe  zweimal,  in  der  Subtraction  viermal  vorkommt, 
und  man  daher  im  Stande  ist,  Durchschnittswerthe  aus  6  Zahlen  zu 
gewinnen.  Ich  verhehle  mir  nicht,  dass  die  Beschrankung  auf  die 
Zahl  »1«  ein  Uebelstand  ist.  Doch  stand  mir  bis  jetzt  kein  Instru- 
ment zur  Verfiigung,  um  die  Lange  gekriimmter  Linien,  deren 
Schreibweg,    gonau    auszuniessen.     Fiir    spiitere    Versuche    wird    ein 


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Uiitersuchungeu  Ober  die  Schrifi  Gesuiider  iiiid  Geisteskraiiker. 


467 


>Curvenmes8er«  uns  eimoglichen,  beliebige  Scliriftzuge  in  den  Kreis 
unserer  Betrachtungen  zu  ziehen.  Von  der  Versuchsperson  Vm 
fehlt  mir  die  Subtraction;  die  Warterinnen  XIV  und  XVII  haben 
mir  zur  Mittelberechnung  nur  je  4  Einer  geliefert.  Ich  babe  die 
betreffenden  Mittelwerthe  auf  der  Tabelle  mit  *)  bezeichnet  gegeben, 
jedoch  zur  Berechnung  des  Gesammtdurchschnitts  nicht  verwendet. 
Die  Gesamnitmittel  sind  daher  bei  Mannem  sowohl  wie  Frauen  aus 
je  7  Personen  berechnet. 

Tabelle  IV. 


Einer 
Durchschnitt 

Manner 

I 

u     m 

IV 

t 
V 

VI       VII 

VIII* 

i   ES    -ittlVar. 

Dauer 

2f>7 

158  1  275  '  280 

1           ' 

226 

267 

267 

325 

249 

12,9  X 

M.  Var.  % 

8,3 

29,8 

9,1 

10,7 

11,6 

20,9 

33,3 

7,7 

Millimeter 
Schreibzeit 

28,7 

30,2 

27,9 

32,6 

13,7 

42,5 

47,5 
15,7 

30 

31,9 

24,1  X 

M.  Var.  % 

15     13,9 

13,6 

6,4 

8,6 

19 

23,5 

16,7 

Schreibweg 
M.  Var.  % 

9,5 

5,5 

10 

17,3 

5,9 

5,5 

H 

8,9 

32,H  X 

15,8  !  16,4 

1 

7 

12,8 

13,3 

15,3 

27,3 

11,4 

Druck 

252 

283 

492 

267 

545 

300 

282 
17,1 

165 

346 

36,1  X 

M.  Var.  % 

14,2 

28,3 

9,3 

6,9  |11,6 

8,9 

9,1 

Einer 
Durchschnitt 

Frauen 

IX 

X 

XI 

xn 

XIII 

XIV** 

XV 

XVI** 

xvn 

Durch- 
schnitt 

mittLVar. 
15,6  X 

Dauer 

342 

250 

200 

242 

275 

300 

325 

286 

325 

280 

M.  Var.  y. 

Millimeter 
Schreibzeit 

12,2 

6,7 

8,4 

13,9 

9 

0 

12,8 

12,2 

7,7 

43,7 

23,2 

28,8 

43,5 

66,5 

31,3 

39,3 

20,8 

27 

38 

32,1  X 

M.  Var.  % 

24,3 

15,1 

34,1 

34 

5,8 

13,8 
4,2 

10,8 

12 

20,7 
14 

17,4 

Schreibweg 

8,5 

10,5 

10.7 

9,8 

8,3 

12,3 

8,6 

25,6  X 

M.  Var.  X 

23,5 

180 

9,5 

287 

31,8 
262 

30,3 

13,6 

8,7 

5,2 

14,3 

10,6 

Druck 

127 
10,5 

302 
6,1 

225 
14,1 

318 
12 

183 

333 

273 

21,4  X 

1  M.  Var.  X 

7,4 

,11,3 

10,8 

17,8 

13 

aus  2  Zahlen  berechnet 
>    4        »  > 


I  fiir  die  Durchschnittsberechnung  nicht  rerwendet. 

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468  Adolf  GroB. 

Die  durchsclmittliche  Gesammtdauer  variirt  zwischen  158  und 
342  (7,  die  Millimeterschreibzeit  zwischen  13,7  und  66,5  a;  darunter 
sind  jedoch  nur  5  Werthe  liber  40  a.  Diesem  entsprechen  die  klein- 
sten  Schreibwege  (VI,  VH,  IX,  XII,  XHT).  Insbesondere  XHI 
verbindet  mit  der  groBten  Schreibzeit  die  kleinste  Zahlenlange 
(4,4  :  66,5).  Der  nach  jenen  5  folgenden  Schreibzeit  von  39,3  ent- 
spricht  ebenfalls  der  verhaltnisanaBig  kleine  Schreibweg  von  8,3  mm. 
Die  durchschnittliche  Geschwindigkeit  ist  fur  die  Manner  etwas  groBer 
als  fur  die  Frauen,  der  Schreibweg,  allerdings  nur  wenig,  ebenfalls. 
Wir  finden  hier  also  das  namliche  Verhaltniss  wie  bei  dem  Buch- 
staben  »m«:  kleinen  Schriftzeichen  entspricht  langsames  Schreiben 
und  umgekehrt.  Eine  Ausnahme  hiervon  scheint  11  zu  machen,  bei 
dem  der  sehr  geringen  Lange  von  5,5  mm  die  etwa  mittelgroBe 
Millimeterschreibzeit  von  30,2  a  entspricht.  Diese  Ausnahme  ist  aber 
nur  scheinbar.  Denn  die  Betrachtung  des  betreffenden  Schreibkart- 
chens  zeigt  uns,  dass  11  im  allgemeinen  recht  groBe  Zahlen  schreibt, 
dass  jedoch  ein  Theil  der  Einer  auffallend  klein  gerathen  ist  Die 
kleinen  Langenwerthe,  welche  die  Messung  der  Einer  ergab,  ent- 
sprechen hier  nicht  der  SehriftgroBe  der  Versuchsperson  11  iiberhaupt. 
Alle  andem  Normalpersonen  schreiben  eine  Zahl  ungefahr  so  groB 
wie  die  andere,  so  dass  die  Lange  des  Schreibwegs  der  » t «  als  Norm 
betrachtet  werden  kann. 

Diesem  altemirenden  Verhaltniss  von  Schreibzeit  und  GroBe 
entspricht  es  auch,  dass  die  Zeiten  fur  die  Gesammtdauer  der  Einer 
unter  sich  weniger  variiren,  als  die  Zeiten  f iir  Schreibgeschwindigkeit 
und  Schreibweg,  indem  letztere  sich  in  ersterer  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  ausgleichen.  Den  zahlenmaBigen  Ausdruck  dafur  geben  die 
mittleren  Variationen  der  betreffenden  Werthe,  welche  in  die  letzte 
Spalte  der  Tabelle  4  eingetragen  sind. 

Auch  die  groBeren  individuellen  Unterschiede  in  Bezug  auf  die 
Zahlenltlnge,  die  geringeren  in  Bezug  auf  die  Geschwindigkeit  bei 
den  Mannem  gegeniiber  dem  weiblichen  Geschlecht  decken  sich 
durchaus  mit  den  bei  Betrachtung  des  Buchstabens  »m«  gemachten 
Beobachtungen. 

Der  durchschnittliche  Dnick  ist  auch  hier  bei  den  mannlichen 
Versuchspersonen  erheblicher  als  bei  den  weibhchen  :  346  g  gegen 
273.     Das  Maximum  betragt  fiir  Manner  640  g,  fur  Frauen  430  g, 


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Uiitersiicbangen  fiber  die  Scbrift  fifsnnder  und  Geisteskranker.  469 

das  Minimum  150  resp.  110  g.  Der  Durchschnittsdruck  aller  Ver- 
such^iersoiien  hat  eine  mittlere  Variation  von  36,1  %  au!  Seite  der 
Warter  gegen  21,4  auf  Seite  der  Warterinneri.  Letztere  haben  also 
unter  sich  gleichmaBiger  gearbeitet.  Unter  dem  Durchsdlinittswerth 
fur  Gesammtdauer,  Geschwindigkeit,  Schreibweg,  Druck  der  Einer 
jeder  Versuchsperson  steht  die  mittlere  Variation  des  l)etreffenden 
Mittelwerthes  verzeichnet.  Es  ist  das  vielleicht  ein  Mittel,  Um  ein 
MaB  fur  die  groBere  oder  geringere  GleichmaBigkeit  der  psyphomo- 
torischen  Thatigkeit  jeder  Versuchsperson  zu  bestimmeij.  Danach 
haben  am  gleichmaBigsten  III,  IV  und  XIII,  am  ungleidhmaBigsten 
VII,  Xn,  n  gearbeitet. 

In  welcher  Weise  sich  die  gefundenen  Eigenschaften  der  Schreib- 
bewegungen  unter  dem  Einflusse  der  motorischen  Thatigkeit  und  des 
Rechnens  verandem,  zeigt  die  Tabelle  V.  Diese  Tabelle  bedarf  kurzer 
Erlauterung.  Die  erste  »1«  ist  mit  a,  die  »1«  in  der  »10«  mit  6, 
die  »1«  in  der  »17«  mit  c  bezeichnet.  Dementsprechend  geben  die 
Werthe  in  Tabelle  V  die  Differenz  zwischen  a  und  b  in  Procenten  von 
a,  die  ZMrischen  b  und  c  in  Procenten  von  b,  Ein  -f-  vor  der  Procentzahl 
sagt,  dass  es  sich  um  eine  Zunahme,  ein  — ,  dass  es  sich  um  eine  Ab- 
nahme  des  Werthes  handelt.  Die  in  der  Tabelle  fiir  jede  Versuchs- 
person eingezeichneten  Zahlen  fiir  die  Veranderung  der  MilHmeter- 
schreibzeit,  Schreibweg  und  Druck  ergeben,  dass  wahrend  des  Schrei- 
bens  von  1 — 10  die  Millimeterschreibzeit  im  allgemeinen  ab-,  also  die 
Geschwindigkeit  zunimmt.  Unter  17  Personen  schreiben  13  die  »1« 
in  der  »10«  schneller  als  die  erste  »1«.  Die  Geschwindigkeitszu- 
nahme  betragt  bis  zu  46,2  %  der  Anfangsge^chwindigkeit.  Doch 
steht  dieser  letzte  Werth  vereinzelt  da,  wahrend  bei  den  iibrigen 
Versuchspersonen  die  Zunahme  ein  Drittel  der  Anfangsgeschwindig- 
keit  (30^)  nicht  iiberschreitet.  Viermal  nimmt  die  Schreibgeschwindig- 
keit  ab;  dreimal  nicht  bedeutend,  um  3 — 20^;  einmal  wuchs  die 
Schreibzeit  fiir  den  Millimeter  um  \\1  %.  Die  Lange  der  Schreib- 
figur  auf  dem  Kartchen  nimmt  in  der  Mehrzahl  der  untersuchten 
Falle  zu:  in  10  von  17  Fallen;  einmal  ist  Lange  a  =  Lange  b. 
Die  Zunahme  betragt  ebenfalls  im  allgemeinen  nicht  iiber  30^;  nur 
XVI  und  XVn  Uberragen  mit  61  und  56^  diesen  Werth.  In 
6  Fallen  ist  die  zweite  » 1 «  kleiner  als  die  erste,  darunter  einmal 
um  72,7,  sonst  nicht  iiber  34,4  %,    Wie  Geschwindigkeit  und  Schreib- 


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470 


Adolf  GroO. 


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ODtersiiebiingeD  flber  die  Scbrift  Gesiiiider  iind  Geisteskranker.  47 1 

weg,  so  wachst  in  der  Kegel  auch  der  aufgewandte  Druck  wahrend 
des  Schreibens.  Der  Druck  6  ist  in  13  Fallen  starker  als  der  Druck  or, 
und  zwar  ubertrifft  er  diesen  um  8 — 78^,  darunter  dreimal  um  iiber 
31  ^.  Bei  4  Normalpersonen  ist  eine  Abnahme  des  Drucks  zu  ver- 
zeichnen,  dreimal  unbedeutend,  bis  zu  14,  einmal  allerdings  um  44^. 
Die  Veranderungen  wahrend  des  Schreibens,  wie  sie  uns  nach  dem 
vorhegenden  Material  entgegentreten,  sind  also  folgende:  In  weitaus 
der  Mehrzahl  der  Falle  Zunahme  der  Geschwindigkeit,  des  Schreib- 
wegs,  des  Drucks,  in  einzelnen  Fallen  auch  Gleichbleiben  oder  Ab- 
nahme. Weder  di^Zunahme  noch  die  Abnahme  ubertrifft  im  all- 
gemeinen  ein  Drittel  des  Anfangswerthes. 

Keine  der  vier  Versuchspersonen,  welche  mit  abnehmender  Ge- 
schwindigkeit schrieben,  zeigt  zunehmende  Lange  der  Zahlen;  bei 
dreien  nimmt  auch  die  Weglange  der  Zahlen  ab,  bei  einer  (HI) 
bleibt  diese  gleich.  Die  Versuchsperson  XTT,  bei  der  sich  die 
Millimeterschreibzeit  so  enorm  verlangsamt,  mehr  als  verdoppelt 
(117^),  nimmt  auch  in  Bezug  auf  Kleinerwerden  der  Zahlen  die 
auBerste  Stelle  ein  (72,9^).  Auf  der  anderen  Seite  hat  XVII, 
neben  der  starksten  Schreibbeschleunigung  um  46,2^,  die  zweitgroBte 
Langenzunahme,  um  56^.  Von  den  4  Versuchspersonen,  welche 
mit  abnehmendem  Druck  schrieben,  zeigen  3  abnehmende  Geschwindig- 
keit, 2  abnehmende,  eine  gleich  bleibende  GroBe. 

Das  Verhaltniss  von  Schreibzeit,  Schreibweg  und  Druck  der  » t « 
in  der  »17«  zu  der  in  der  »10«  ist  im  GroBen  und  Ganzen  das  um- 
gekehrte,  vne  das  zwischen  »10«  und  »1«.  Bei  der  17  ist  die  Schreib- 
geschwindigkeit,  Schreibweg  und  Druck  der  »1«  je  in  10  Versuchen 
von  16  kleiner  als  bei  der  10.  Einmal  ist  die  Millimeterschreibzeit, 
dreimal  der  Druck  gleich  groB.  Zun^thme  der  Geschwindigkeit 
wurde  in  5,  der  Schreiblange  in  3,  des  Druckes  in  6  Fallen  beobachtet. 
Die  beiden  Versuchspersonen,  welche  die  starkste  Beschleunigung 
der  Schreibgeschwindigkeit  darbieten  (VH  und  XTT),  zeigen  auch  die 
weitaus  groBte  Langenzimahme.  Bei  m  und  Xm,  mit  16,7^  Ge- 
scbwindigkeitszunahme  ist  die  Lange  b  =  Lange  c,  bei  X  Schreibzeit 
und  Lange  b  =  c,  Auf  der  anderen  Seite  haben  dieselben  5  Ver- 
suchspersonen (I,  n,  V,  rX,  XI,)  die  groBten  Geschwindigkeits- 
und  die  groBten  Langenabnahmen.  I,  11,  V,  EX  lassen  gleichzeitig 
auch   die  starkste  Druckverminderung  erkennen.     IH  und  VII,  mit 


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472 


.\dolf  GroO. 


26  resp.  30^  Drucksteigerung,  weichen  auch  in  Bezug  auf  die 
Aenderung  der  Schreibgeschwindigkeit  betrachtlich  von  der  Eegel  ab: 
sie  ist  um  16,7  nnd  28^  beschleunigt. 

Aus  diesen  Betrachtungen  ergiebt  sich,  dass  im  GroBen  und  Gaiusen 
Greachwindiekfai;,  Schveibweg  and  Drtrck  wahrend  des  Schreibens  an- 
wachsen,  dass  sich  also  eine  gewisse  motorische  Erregung  entwickelt  nnd 
dass  diese  Erregung  durch  die  Denkthatigkeit  des  Eechnens  gedampft 
wird.  Dies  zeigt  sich  darin,  dass  meist  GeschMrindigkeit,  Schreibweg  und 
Druck  der  Zahlen  wieder  abnehmen.  So  verhielt  es  sich  in  den  meisten 
der  bisher  angestellten  Versuche,  jedoch  nicht  hnmer.  Es  ist  dabei 
zii  bedenken,  dass  von  jeder  Person  nur  je  ein  Versuch  voriiegt  und 
in  Folge  dessen  das  Endresultat  fur  die  einzelne  Person  von  ZufilUig- 
keiten  recht  abhangig  erscheint. 

Wie  schon  erwahnt,  warden  die  Geschwindigkrits-,  Schreiblangen- 
und  Druckverhaltnisse  bei  den  Einem  als  MaB  fiir  die  betreffenden 

Tabelle  VI. 


In  Vio  Sec. 

Manner 

I 

II 

m 

IV 

V 

VI 

vn  vui 

Durchschnitt 

mittl.  Var. 

Versuchs- 
dauer 

D.d.  Zahlen 

63,5 
49,5 

70 

63 

68 

50,5 

62,5 

63,5 
49 

'^ 

45,5 
18,5 

8,1  ;tf 
28,1  X 

39,5 

43 

20 

68 
32 

45,5 
22,5 

39,5 

49 

49,5 

D.  d.  Pausen 

14 

30,5 

11 

13,5 

14,5 

22,5 

69 
31 

Verhaltniss 

78 
22 

56 
44 

67        78 
33        22 

78 
22 

77 
'23 

In  Vio  Sec. 

Frauen 

DC 

X 

XI  XTT  *  xm 

XIV 

XV 

XVI 

xvn 

Durchschnitt 

mittl.  Var. 

Versuchs- 
dauer 

85 

57 

40,5 

16,5 

71 
28 

47,5 
36,5 

66    l60,5 

1 

60 

62 

73 

76 

45 

Zahlen 

52,5 



32,5 

62 
38 

43,5 

44 

48 
21 

; 

i  '^ 

30 

1 

42,5 
19,5 

50    ;  48,5 
23       27,5 

9,«X 
22,4  ;tf 

Pausen 

11 

76 
24 

22,5 

16,5 

73 
27 

21 

Verhaltniss 

% 

66 
34 

69 
31 

69         62 
31         38 

1 

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Dntwisoehuiigen  ii6er  die  Schrift  Gesunder  ond  Geisteskranker.  473 

Eigenschaften  der  Zahlen  tiberhaupt  angenommen.  Es  gescbah  dies 
aus  friiher  auseinandergesetzten  technischen  Griinden.  Ob  es 
durchweg  richtig  ist,  die  Einer  als  analog  den  Anderen  Zahlen  in 
Bezug  auf  alle  jene  Eigenschaften  hinzustellen,  will  ich  nicht  «Rt- 
scheiden;  es  ist  hocbst  wahrscheinlich.  Diese  Annahme  gewinnt 
wesentlich  an  Zuverlassigkeit,  wenn  wir  die  Gesammtdauer  aller 
Zahlen  von  1 — 10  betrachten.  Die  Gesammtdauer  aller  Zahlen, 
ohne  die  Pausen,  betragt  fur  die  Manner  durchschnittlich  4,55,  fiir 
die  Prauen  4,5  Secunden,  also  so  gut  wie  gleich  viel.  Aus  der 
Gegeniiberstellung  dieser  Dauer  und  der  durchschnittlicben  Dauer 
jedes  Einers  allein  mit  etwa  2,6  Zehntelsecunden  ist  bei  der  ver- 
schiedenen  GroBe  der  Zahlen  nichts  zuverlassiges  zu  erschlieBen. 
Man  kann  nur  soviel  sagen,  dass  die  Dauer  der  Einer,  als  der 
kleinsten  Zahl,  etwa  in  entsprechendem  Verhaltniss  zu  der  Gesammt- 
dauer stehen  diirfte.  Dagegen  spricht  das  Ergebniss  der  Betrachtung 
der  individuellen  Unterschiede  der  Versuchspersonen  unter  einander 
fiir  das  Bestehen  einer  weitgehenden  Analogie.  Die  mittlere  Variation 
betragt  fiir  die  Einer  allein  12,9^  fiir  die  Frauen,  15,6^  fiir  die 
Manner,  fiir  alle  Zahlen  8,1  und  9,1^.  Die  geringe  Differenz 
dieser  Werthe  ist  in  die  Augen  fallend,  ebenso  bei  beiden  die  groBere 
GleichmaBigkeit  bei  den  Frauen.  Die  kleinere  mittlere  Variation 
fiir  die  Gesammtzahlen  spricht  dafiir,  dass  die  individuellen  Unter- 
schiede mit  VergroBerung  des  Materials  nicht  wachsen,  sondem  ab- 
nehmen,  dass  die  Verhaltnisse  noch  gleichartiger  sind,  als  sie  bei 
Betrachtung  der  Einer  allein  erscheinen.  Ordnen  wir  sammtliche 
Versuchspersonen  nach  der  durchschnittlicben  Dauer  ihrer  Einer  und 
femer  nach  der  Gesammtdauer  aller  Zahlen,  so  zeigt  es  sich,  dass 
dieselben  10  Versuchspersonen  mit  den  Durchschnittswerthen  fur  die 
Dauer  ihrer  Einer  in  eine  Vio  Secunde  breite  Mittelzone  fallen,  und 
fiir  die  Dauer  aller  Zahlen  in  eine  solche  von  einer  Secunde.  In 
beiden  Beziehungen  fallen  II,  VI,  V  nach  oben,  IX  nach  unten  aus 
dieser  Mittelzone  heraus.  Auch  hierin  finde  ich  einen  Anhalt,  dass 
die  bei  den  Einem  erschlossenen  Befunde  im  allgemeinen  fiir  die 
Gesammtheit  der  Zahlen  typisch  sind. 

Wahrend  die  Gesammtdauer  aller  Zahlen,  wie  die  mittlere 
Variation  zeigt,  unter  den  verschiedenen  Versuchspersonen  wenig 
differirt,  sind  die  individuellen  Unterschiede  in  Bezug  auf  die  Pausen 


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474 


Adolf  GroB. 


zwischen  den  Zalilen  viel  groBer.  Zwischen  Mannem  und  Frauen 
ist  im  Ganzen  der  Unterschied  sehr  gering.  Die  durchschnittliche 
Gesammtdauer  der  Pausen  betragt  bei  den  Wartem  1,85,  den 
Warterinnen  2,1  Secunden.  Dagegen  bestehen  unter  den  einzehien 
Versuchspersonen  sehr  groBe  Unterschiede ;  die  mittlere  Schwankung 
betragt  fur  die  Pausen  auf  Seiten  der  Manner  etwa  das  S'/j,  auf 
Seiten  der  Frauen  das  2V2fache  wie  fur  die  Zahlen  selbst.  Es  liegt 
nun  nahe,  zu  vermuthen,  dass  die  verschiedene  Dauer  der  Pausen 
auf  verschiedener  Distanz  zwischen  den  auf  das  Kartchen  geschrie- 
benen  Zahlen  beruht,  dass  also  einer  langeren  Pause  ein  langerer 
Weg  der  Bleistiftspitze  durch  die  Luft  entsprache.  Vergleichende 
Messungen  der  Gesammtlange  der  Zahlenreih^  haben  gelehrt,  dass 
davon  nicht  die  Rede  sein  kann;  es  besteht  kein  constantes  Ver- 
haltniss  zwischen  den  raumlichen  Abstanden  der  Zahlen  und  der 
Dauer  der  Pausen.  Doch  vermuthe  ich  eine  andere  Erklarung  fur 
diesen  Befund.  Diejenigen  3  Versuchspersonen,  welche  die  langsten 
Werthe  fiir  die  Dauer  der  Pausen  erkennen  lassen,  sind  zweifellos 
die  ungewandtesten  und  am  wenigsten  gebildeten  unter  dem  unter- 
suchten  Personal.  Die  Moglichkeit  ist  also  nicht  ausgeschlossen, 
dass  wir  spater  einmal  in  der  Dauer  der  Pausen  ein  MaB  fiir  die 
Schreibgewandtheit  oder  auch  fiir  den  Bildungsgrad  der  betreffenden 
Versuchsperson  erhalten  werden. 

Da  sich  die  Eigenschaf  ten  der  Einer  wahrend  des  Schreibens  in 
ziemlich  eindeutiger  Weise  verandem,  so  Uegt  es  nahe,  auch  auf  Ver- 
anderungen  der  Pausen  wahrend  des  Schreibens  zu  fahnden. 
Zu  diesem  Zwecke  habe  ich  die  Mittelwerthe  aus  den  ersten,  zweiten 
etc.  bis  neunten  Pausen  aller  Versuchspersonen  berechnet. 

Tabelle  VH. 


Pause:              !    1 

1 

2 

3    1    4 

5 

6 

7 

405 
23,S 

8 

345 
20,3 

1 
9 

Durchschn. 

Dauer.  Sa.  in  Vioo  Sec. 

295 

380 

400 

460 
27,1 

430 
25,3 

355 
20,9 

325 
19,1 

22,2 

Durchnittsdauer  pro 
Person  in  Vioo  Sec. 

17,4 

22,4 

23,5 

Tabelle  VIL  giebt  die  Gesanuntdauer  und  die  Mittelwerthe  jeder 
einzelnen  Pause  in  Vioo  Secunden.    Sie  zeigt,  dass  die  Pause  zwischen 


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Untersuchungen  fiber  die  Schrift  Gesuiider  nod  Geisteskranker. 


475 


1  und  2  durchschnittlich  0,174  Secunde 
betragt,  dass  die  Pausen  dann  zunachst 
langer  werden,  um  nach  der  Zahl  »5« 
wieder  abzunehmen.  Die  Vermuthimg  liegt 
nahe,  dass  die  ersten  kurzen  Pausen  auf  den 
«»Antrieb«  *)  zu  beziehen  sind,  der  sich  rasch 
verliert,  wahrend  die  dann  beginnende  all- 
mahliche  Verkiirzung  der  Pausenlange  als 
eine  Folge  der  »Anregimg«2)  aufzufassen 
ist.  Die  letzte  Pause  ist  im  Durchschnitt 
noch  etwas  langer  als  die  erste.  Damit 
stinmit  uberein,  dass  bei  Betrachtung  der 
einzelnen  Versuchspersonen  die  neunte 
Pause  in  10  Fallen  langer  dauert  als  die 
erste,  in  5  Fallen  kiirzer  und  zweinial 
gleich  der  ersten  ist. 

Eine  andere  Bedeutung  als  die  Pausen 
zwischen  den  Zahlen  haben  die  Pausen 
innerhalb  der  Zahlen  4,  5  und  10, 
die  als  »Innenpausen«  bezeichnet  wer- 
den sollen.  In  Tabelle  Vm  giebt  die  erste 
Beihe  die  Summe  aus  diesen  3  Pausen, 
die  zweite  den  Durchschnittswerth  dieser 
Innenpausen  fur  jede  Person  in  hun- 
dertstel  Secunden.  Fiir  alle  Normalper- 
sonen  zusanunengefasst  betragen  sie  durch- 
schnittlich 6,9hundertstel,  also  etwa  ein 
Drittel  der  Zwischenpausen  mit  22,2 
hundertstel.  Hire  mittlere  Variation  ist 
viel  geringer  als  die  der  Hauptpausen;  sie 
entspricht  etwa  jener  der  Einer  und  nahert 
sich  derjenigen  der  Zahlen  iiberhaupt. 
Die  Deutung  ist  folgende.  Wahrend  wir 
in  den  Hauptpausen  die  Zeit  des  Ueber- 


1)  S.  Rivers  und  Kraepelin,  Diese  Ar- 
beiten  Bd.  I.  S.  636. 

2)  S.  Amberg,  Diese  Arb.  Bd.  I.  S.  :i74. 


^1 

X 

^M 

^^ 

OS 

^- 

CO 

00^ 

X 

CM 

^ 

^'V 

CM 

X 

cs 

t^ 

> 

X 

CO 
CM 

00^ 

> 

X 

CM^ 

M 

« 

t 

•M 

X 

00 

» 

p 

g 

O 

l-H 

o 

r- 

X 

CM 

CO 

X 

a 

CM 

O 

t^ 

> 

cs 

CO 

p 

co" 

CM 

00 

^ 

«o" 

CO 

> 

in> 

> 

CM 

s 

O 
CM 

Co" 

a 

CM 

t- 

co 

M 

:o 

»o 

.So 

4  § 

►ss. 

3  S 

2;^ 
OB 

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476 


Adolf  GroO. 
Tabelle  IX. 


Innen- 
pausen 

Dauer  Sa. 
in  Vioo  Sec. 

■ 

4 

! 

5 

10 

105 

132 

117 

D.  Dauer 
pro  Person 

6,2 

7,8 

6,9 

ganges  von  einem  Entschluss  ziun  andern  vor  uns  haben,  stellen 
die  Innenpausen  nur  Theile  der  Zahlen  selbst  vor,  .welche  daher 
auch  die  mittleren  Variationen  der  Zahlen  zeigen.  Dass  sich  die 
mittlere  Schwankung  mehr  derjenigen  der  Einer  als  derjenigen  der 
Zahlen  iiberhaupt  nahert,  findet  seine  Erklarung  darin,  dass  die 
Mittelwerthe  fur  diese  kleinen  Pausen  aus  nur  3  Zahlen  gewonnen 
sind,  also  den  Werthen  aus  6  gleichen  Zahlen  mehr  entsprechen 
miissen,  als  den  aus  10  verschiedenen.  Die  durchschnittliche  Dauer 
der  Innenpausen  ist  bei  der  4  am  kleinsten,  groBer  bei  der  10,  am 
groBten  bei  der  5.  Der  XJnterschied  zwischen  den  Zahlen  4  und 
10  mag  auf  der  vei-schiedenen  Lange  des  Wegs  beruhen,  den  die 
Bleistiftspitze  durch  die  Luft  zurUckzulegen  hat.  Bei  der  Zahl  5 
ist  die  Bichtung  der  zweiten  Bewegung  der  der  ersten  direct  ent- 
gegengesetzt;  der  Uebergang  von  dieser  zu  jener  beansprucht  deshalb 
die  langste  Zeit 

Auf  die  Form  der  Drucklinien  fiir  jede  einzelne  Zahl  naher 
einzugehen,  wiirde  zu  weit  fiihren.  Es  ist  auch  deshalb  nicht  noting, 
weil  die  Curven  der  Zahlen  dieselben  wesentlichen  Kennzeichen 
tragen,  wie  die  des  Buchstaben  »m«  derselben  Person.  Um  dies  zu 
beweisen,  habe  ich  eine  Anzahl  Drucklinien  der  Zahlen  1,  2  und  3 
beigefugt  (Tafel  IV).  Vergleichen  wir  sie  mit  Tafel  HI,  so  finden 
wir  bei  der  Versuchsperson  I  dieselbe  niedrige,  etwas  zittrige,  wenig 
ausgepragte  Form,  bei  VU  dasselbe  ohne  den  Tremor;  dagegen  bei 
V  die  steilen,  tief  ausgebuchteten,  ansteigenden  Linien.  XJnter  den 
von  weiblichen  Versuchspersonen  entnommenen  Beispielen  zeigt  X 
verhaltnissmaBig  tiefe  Einschnitte  bei  niederer  Curve,  wie  sie  auch 
der  Buchstabe  »ni«  derselben  Person  bietet;  XI  erinnert  mit  seinen 
zackigen  und  unruhigen  Formen  lebhaft  an  die  m-  und  Punktcurven 


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UnteraucbuiigeD  Qbtr  die  SehriR  Gesunder  und  Geisleskruiker. 
Tabelle  X. 


477 


Subtrac- 
tionsaufgabe 

1 
I 

II 

m 

IV 

V 

VI 

vn 

IX 

X 

XI  xn 

xin 

XV 

XVI 

xvn 

Zahlen  allein 

61 

49 

41 

82 

53 
28 

58 
44 

57 

32 

55 
52 

« 

65 

59 
60 

77 
17 

129 

51 

60 

Pausen  allein 

36 

50 

44 

76  i  21 

58 

25 

28 

Im  Ganzen 

97 

105 

85 

154 

81 

102 

89 

107    126  J  86 

119 

94 

187 

76 

88 

derselben  Warterin,  wahrend  wir  bei  XVI  die  bekannten  niederen, 
abgerundeten  Linien  wiederfinden. 

Es  ist  frtiher  schon  darauf  hingewiesen  worden,  dass  bei  dem 
Subtrahiren  die  Normalpersonen  durch  Befangenheit  nicht  selten 
in  ihrer  Leistung  beeintrachtigt  wurden.  Bei  einer  Warterin  ging 
das  so  weit,  dass  sie  vor  Verlegenheit  nicht  weiter  rechnen  konnte. 
Zur  Losung  der  genannten  Subtractionsaufgabe  benothigten  die 
normalen  Versuchspersonen  zwischen  7,6  und  18,7  Secunden.  Je- 
doch  nur  2  Werthe  sind  groBer  als  12,6  Secunden,  darunter  der  von 
18,7  eine  Folge  Ueberhastens  mit  mehrfachem  Verrechnen.  Zwei 
Personen  haben  falsch  gerechnet,  sechs  corrigirt.  Das  Studium  der 
Denkstorung  fallt  nicht  in  den  Rahmen  dieser  Arbeit,  und  das 
Subtrahiren  hatte  ja  nur  den  Zweck,  den  Einfluss  des  Denkens  auf 
die  Bewegung  zu  ergrlinden.  Da  es  sich  jedoch  nicht  umgehen 
lassen  wird,  spater,  bei  der  Betrachtung  der  Befunde  an  Kranken 
auf  Storungen  des  elementaren  Denkens  hinzuweisen,  so  habe  ich 
hier  die  in  Betracht  kommenden  Zeiten  in  Kiirze  gegeben;  die  Zahlen 
bedeuten  zehntel  Secunden. 


Zusammenfassung  der  Ergebnisse. 

Die  Gesichtspunkte,  die  mich  bei  der  Aufstellung  des  Versuchs- 
plans  zu  vorliegender  Arbeit  leiteten,  habe  ich  in  der  Einleitung 
auseinandergesetzt.  Innerhalb  dieses  Planes  war  den  Versuchen 
an  Gresunden  zunachst  nur  die  Aufgabe  zugedacht,  dariiber  Auf- 
schluss  zu  geben,  wo,  nach  oben  und  unten,  die  Grenzen  fiir 
gewisse  einfache  Eigenschaften  der  Bewegung  gelegen  sind.  Sie 
soUten  mir  zeigen,   welche  Geschwindigkeit,  welcher  Druck,   welche 


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478  Adolf  GroB. 

Intervalle  u.8.w.  noch  als  normal  anzusehen  sind,  kurz,  die  Gesund- 
heitsbreite  fixiren.  Die  Normalversuche  waren  nicht  als  Selbstzweck 
gedacht,  sondem  nur  als  Vergleichsmaterial  fur  die  pathologischen 
Befunde.  Die  Aufgabe  erweiterte  sich  jedoch  wahrend  der  Verarbei- 
tung  der  Experimente.  Wahrend  es  urspriinglich  gar  nicht  meine 
Absicht  gewesen  war,  auf  rein  individualpsychologische  Dinge  naher 
einzugehen,  erzwangen  sich  eine  Beihe  von  anscheinend  gesetzmaBigen 
Befnnden  Beachtung.  Doch  da  der  Versuchsplan  nur  auf  die  XJm- 
grenzung  der  Normalbreite,  nicht  die  Ergriindung  individueller 
psychomotorischer  Eigenschaften  bei  Gesunden  zugeschnitten  war,  so 
tragt  alles,  was  in  dieser  Hinsicht  gefunden  wurde,  den  Oharakter 
des  Nebenbefundes.  Es  ist  moglich,  vielleicht  auch  wahrscheinlich, 
dass  es  richtig  ist,  doch  es  ist  nicht  sicher,  vomehmlich  deshalb, 
weil  wir  nicht  wissen,  ob  es  uns  gestattet  ist,  aus  dem  von  jeder 
Person  vorliegenden  einen  Versuche  Schliisse  auf  deren  motorische 
Eigenschaften  uberhaupt  zu  ziehen.  Der  Unterschied  ist  der:  fiir 
die  Beurtheilung  dessen,  was  bei  Gesunden  uberhaupt  vorkommt, 
stehen  uns  17  Versuche  zur  Verfugung.  dagegen  zur  Charakterisirung 
jeder  einzelnen  Person  nur  je  einer.  Manches  spricht  aber  doch 
dafUr;  dass  es  sich  nicht  um  zufallige  Ergebnisse,  sondem  urn  Gesetz- 
maBigkeiten  handelt. 

Da  liegt  zunachst  die  erste  Aufgabe,  die  Verbindung  zweier  10  cm 
von  einander  entfemter  Punkte  durch  eine  Linie,  in  vierfacher 
Wiederholung  vor.  Mit  Ausnahme  der  bei  einigen  durch  Befangen- 
heit  beeintrachtigten  Ausfiihrung  der  ersten  Linie  sind  alle  ubrigen 
in  fur  jede  Person  kennzeichnender  Weise  ausgefUhrt. 

Noch  mehr  spricht  jedoch  fur  Q^meingilltigkeit  der  gefundenen 
Ergebnisse  der  Umstand,  dass  gewisse  Gesetze  aus  den  verschiedenen 
Aufgaben  der  angestellten  Versuche  in  gleicher  Weise  sich  ableiten 
lassen.  Bei  einer  Zusammenfassung  der  gefundenen  Ergebnisse 
soUen  deshalb  diese  mehreren  Theilen  des  Versuchs  gemeinsamen 
Eigenschaften  besonders  hervorgehoben  werden. 

Die  zahlenmaBigen  Werthe,  welche  die  Grundlage  zu  alien  an- 
gestellten Berechnungen  boten,  sind  aus  den  auf  die  rotirende 
Trommel  auf gezeichneten  Drucklinien  gewonnen.  Diese  Drucklinien 
geben  ein  Bild  von  dem  Ablaufe  der  Bewegung.  Dieses  Bild  ist  fiir 
jede  Person  charakteristisch.     Ob  wir  den  Buclistiiben    »in«,   ob  wir 


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Uiitersiichungen  ober  die  Schrift  Gesander  and  Geisteskranker. 


479 


eine  Zahl  vor  uns  haben,  wir  werden  sagen  konnen,  welcher  der 
untersuchten  Personen  sie  angehort.  Die  Druckcurven  der  »m«s 
und  der  Zahlen,  ja  selbst  der  in  mancher  Hinsicht,  wie  schon  die 
Bemerkungen  zmn  Versuchsplan  betonten,  principiell  verschiedenen 
Linien  zeigen  einen  einheitlichen  Typus  bei  derselben  Person.  Ein 
Blick  auf  die  verschiedenen  Tafeln  beweist  das.  Auf  Einzelheiten 
wurde  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Versuche  hingewiesen. 
Es  wurde  friiher  auch  betont,  dass  die  Drucklinien  der  Punkte  fiir 
die  ausfiihrende  Person  am  meisten  kennzeichnende  Merkmale  dar- 
bieten,  dass  sie  vor  allem  viel  individueller  sind,  als  die  Punkte 
selbst. 

Bei  der  Betrachtung  der  einzelnen  Eigenschaften  der  Be- 
wegung  stehen  die  der  Linien  denen  der  Buchstaben  und 
Zahlen  gegeniiber;  letztere  stinunen  in  alien  wesentlichen  Merkmalen 
Uberein.  Die  Linien  werden  auBerordentlich  viel  rascher  ausgefuhrt 
als  die  Schriftzeichen.  Ihre  durchschnittliche  Schreibzeit  fiir  den 
Millimeter  betragt  9  a  gegen  26 — 38  der  letzteren.    Die  individuellen 

Tabelle  XI. 


Millimeterschreib- 
zeit  [<f)           1 

Linien 

Manner 
9 

Frauen 
9 

Buchstabe  »m<    | 

26,8 

37,3 

Einer 

31,9 

38 

Unterschiede  sind  hier  bei  den  Mannem  groBer  als  bei  den  Frauen. 
Doch  hat  es  sich  ergeben,  dass  dieser  Befund  nur  die  Folge  zweier 
ganz  ungewohnlich  schneller  Leistungen  auf  Seiten  der  mannlichen 
Versuchspersonen  darstellt,  wahrend  im  ubrigen  die  personlichen 
Unterschiede  in  der  Geschwindigkeit  der  Ausfiihrung  der  Linien  nicht 
sehr  groB  sind.  Diese  beiden  auffallend  schnellen  Bewegungen  sind  auf 
Kosten  der  Qualitat  erfolgt.  Die  betreffenden  Personen  haben  sich 
nicht  an  den  gegebenen  Ausgangspunkt  und  Endpunkt  der  Bewegung 
gehalten,  sondem  sind  iiber  letzteren  weit  hinausgefahren.    In  diesem 


Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II. 


32 


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48Q  Adolf  GroB. 

Verhaltniss  zwischen  Correctheit  und  Geschwindigkeit  der  AusfUhrung 
einer  Bewegung  liegt  vielleicht  auch  ein  Fingerzeig  dafur,  wie  der 
bedeutende  XJnterschied  in  der  Raschheit  der  AusfUhrung  der  Linien 
und  der  doch  vollig  eingeiibten  Schreibbewegung  der  allereinfachsten 
Schrifteiige  zu  deuten  ist.  Der  langsamere  Ablauf  der  Bewegung 
bei  diesen  diirfte  darin  seinen  Grund  haben,  dass  sie,  wenn  auch 
vollig  eingeiibt,  doch  an  eine  bestimmte  Form  geb^^lden,  in  einer  be- 
stinunten  Gestalt  abzulaufen  gezwungen  ist.  Dieser  Zwang  wirkt 
hemmend.  Dazu  kommt  wol  auch  die  unter  Umstiinden  mehrfache 
Richtungsanderung  der  Bewegung. 

Die  zur  AusfUhrung  der  Schriftzeichen,  insbesondere  der  naher 
untersuchten,  der  Zahl  »1«  und  des  Buchstaben  »ni«,  erforderliche 
Schreibbewegung  zeigt  sehr  weitgehende  Uebereinstimmung  in  ihren 
Eigenschaften.  Tabelle  XI  zeigt,  dass  die  aus  alien  Versuchen  be- 
rechnete  mittlere  Schreibgeschwindigkeit  fUr  Manner  wie  fur  Frauen 
fast  genau  dieselbe  ist  bei  AusfUhrung  des  Buchstaben  wie  der 
Zahl.  In  beiden  Fallen  schreiben  die  Manner  schneller.  Ueberein- 
stimmend  fUr  beide  Theile  des  Versuchs  sind  auch  der  Schreibweg 
und  Druck  der  Bewegung  bei  den  Mannem  groBer;  die  Geschwindig- 
keit zeigt  bei  den  mannlichen,  die  Langc  bei  den  weiblichen  Ver- 
suchspersonen  kleinere  individuelle  Unterschiede. 

In  gleicher  Weise  beiden  Theilen  des  Versuchs  gemeinsam  ist 
auch  das  merkwUrdige  Verhaltniss  zwischen  Geschwindigkeit  und 
Schreibweg  der  SchriftzUge.  Die  Gesammtdauer  gleicher  Schrift- 
zeichen ist  im  GroBen  und  Ganzen  unter  den  Versuchspersonen 
wenig  verschieden,  ob  sie  groB  oder  klein,  schnell  oder  langsam 
schreiben.  Zwei  Warter  gebrauchen  in  gleicher  Weise  800  a  fur  die 
AusfUhrung  eines  »ni< ;  der  eine  schreibt  es  19,  der  andere  48  nun 
lang.  Ein  Beispiel  aus  der  AusfUhrung  der  Einer  ist  folgendes: 
Xm  und  XVI  fUhren  in  ca.  280  a  diese  Zahl  aus,  die  hier  14, 
dort  nur  4,2  mm  lang  ist.  Die  Beispiele  lieBen  sich  haufen.  Ilire 
Ursache  hat  diese  relative  GleichmaBigkeit  der  Gesammtdauer  in 
dem  eigenthUmlichen  Verhaltniss,  in  dem  Schreibweg  und  Geschwin- 
digkeit der  SchriftzUge  zu  einander  stehen.  Ueberall  entspricht 
groBen  Schriftzeichen  rasches,  kleinen  langsames  Sclireiben.  TJeber 
den  Grund  dieses  vicariirenden  Verhaltnisses  lassen  sich  bis  jetzt  nur 
Vermuthungen   aufstellen.     Da  ist  zunachst  daran  zu  erinnem,  dass 


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Untersuchungen  Qber  die  Schrift  Gesander  und  Geisteskranker.  481 

wir  bei  der  Analysirung  der  Linien  gesehen  haben,  wie  die  Gre- 
schwindigkeit  auf  Kosten  der  Correctheit  wachst.  Nun  sind  die 
kleinen  Schriftzeichen  im  allgemeinen  sorgfaltiger  als  die  groBen 
ausgefiihrt,  sodass  man  daran  denken  konnte,  dass  sie  desbalb  auch 
langsamer  geschrieben  wurden.  Doch  ist  damit  nur  ein  Anhalts- 
punkt  dafiir  gegeben,  dass  kleinere  Buchstaben  und  Zahlen  langsamer 
zu  Stande  kommen ;  es  ist  nicht  erklart,  warum  sich  Gteschwindigkeit 
und  Schreibweg  in  der  Gesammtdauer  ausgleichen.  Man  konnte 
auch  daran  denken,  dass  wir  es  mit  einem  bestimmten  Schreibrhy  th- 
mus  zu  thun  haben,  mit  dem  Streben,  jedes  Schriftzeichen  in  der 
gleichen  Zeit  fertig  zu  stellen,  sei  es  klein  oder  groB.  Manche  An- 
haltspunkte  sprechen  fiir  eine  solche  Vermuthung,  doch  reichen  zu 
einer  naheren  Priifung  derselben  unsere  Versuche  nicht  aus.  Es 
ware  dafiir  insbesondere  nothwendig,  auch  andere  Schriftzeichen  in 
den  Bereich  der  Betrachtung  zu  ziehen.  Hier  mag  es  genUgen,  die 
Frage  angeregt  zu  haben. 

Ein  weiteres  Ergebniss  dieser  Untersuchungen  ist  der  Nachweis 
der  Art  der  Veranderung,  welche  die  Schreibbewegung  wahrend  des 
Schreibactes  erleidet.  Geschwindigkeit,  Schreibweg  und  Druck  der 
Schrift  nehmen  in  der  Regel  wahrend  des  Schreibens  zu,  und  zwar 
meist  nicht  mehr  als  um  ein  Drittel  des  Anfangswerthes.  Auch  an 
dieser  Stelle  ist  auf  den  Parallelismus  zwischen  Geschwindigkeit  und 
Schriftlange  hinzuweisen,  wobei  als  dritte  Eigenschaft  noch  der 
Druck  in  gesetzmiiBiger  Veranderung  hinzutritt.  Es  unterliegt  wohl 
keinem  Zweifel,  dass  wir  es  hier  mit  einer  sich  entwickelnden  moto- 
rischen  Erregung  zu  thun  haben.  Weitere  Untersuchungen  werden 
zeigen,  ob  es  sich  dabei  imi  einen,  der  von  Am  berg  auf  dem  in- 
tellectuellen  Gebiet  nachgewiesenen  »Anregung«  analogen,  Vorgang 
handelt.  Mir  erscheint  das  sehr  wahrscheinlich.  Es  ist  bereits  friiher 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  wir  die  nach  anfangUcher  Verlange- 
rung  etwa  von  der  4.  Pause  ab  eintretende  allmahliche  Verkiirzung 
der  Pausendauer  als  eine  Folge  der  Anregung  aufzufassen  geneigt 
sind.  Die  kurzen  Pausen  am  Anfang  erkliirten  wir  mit  dem  >An- 
trieb«,  der  sich  bei  dem  Beginn  jeder  Thatigkeit  einzustellen  scheint. 
Diesen  Antrieb  werden  wir  auch  in  den  Eigenschaften  der  Schreib- 
bewegung selbst  suchen,  sobald  wir  im  Stande  sein  werden,  alle 
Schriftzeichen  genauer  zu  analysiren. 

32* 


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482  Adolf  GroB. 

Mit  dem  Beginn  des  Rechnens  werden  die  Folgeerscheinungen 
der  motorischen  Erregung  wieder  in  xungekehrtem  Sinne  beeinflusst; 
die  Bewegung  wird  verlangsamt,  verkiirzt  und  in  ihrer  Kraft  herab- 
gedriickt.  Ob  es  sich  dabei  aber  ausschlieBlich  urn  eine  Wirkung 
des  Denkvorganges  handelt,  ist  mir  zweifelhaft  geworden.  Man  konnte 
auch  daran  denken,  dass  durch  die  Unterbrecbung  und  den  Wechsel 
der  Arbeit  allein  dieser  Erfolg  erzielt  wiirde.  Dass  der  Denkvor- 
gang  dabei  betheiligt  ist,  erscheint  aJlerdings  urn  so  wahrscheinlicher, 
wenn  wir  daran  denken,  wie  sich  die  Geschwindigkeit  der  schlichten 
Linie  von  derjenigen  des  planmaBig  auszufuhrenden  Schriftzeichens 
unterscheidet. 

Die  Gesammtdauer  aller  Zahlen  ist  von  einer  verbliiffenden 
GleichmaBigkeit  fur  alle  Versuchspersonen.  Diese  GleichmaBigkeit 
ist  noch  viel  groBer  als  die  fur  die  Dauer  der  Einer  allein.  Wir 
werden  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  auch  hierin  ein  Resultat  des  aus- 
gleichenden,  erglinzenden  Verhaltnisses  von  Schreibweg  und  Ge- 
schwindigkeit annehmen.  Da  die  Uebereinstimmung  noch  groBer  ist, 
so  haben  wir  bier  einen  Anhalt  dafiir,  dass  mit  Zuganglichmachen 
eines  griiBeren  Materials  die  EinheitUchkeit  der  Resultate  noch  ge- 
winnen  diirfte. 

Die  Dauer  dor  Pausen  ist  im  Gegensatz  zu  der  der  Zahlen 
eine  individuell  sehr  verschiedone.  Ihre  mittlere  Variation  ist  etwa 
*^nial  so  groB.  Die  liingsten  zeitlichen  Intervalle  zwischen  den 
Zahlen  gohorten  den  ungebildetston  und  schreibungewandtestcn  Leuten 
an.  Ob  wir  im  allgemeinen  aus  der  Dauer  der  Pausen  Schliisse 
auf  die  Schreibgewandtheit  thun  durfen,  mochte  ich  bier  nicht 
entscheiden. 

Wir  haben  die  Pausen,  die  innerhalb  der  aus  zwei  Schreibbe- 
wegungen  zusammengesetzten  Zahlen  4,  5  und  10  gelegen  sind, 
principiell  von  den  Pausen  zwischen  den  Zahlen  geschieden.  Sie 
sind  nicht  eigentlich  als  Pausen,  als  Unterbrechungen  der  Bewegungen 
aufzufassen,  sondem  als  Theile  der  Schreibbewegungen  selbst,  die  sich 
jedoch  nicht  auf  dem  Kartchen  markiren,  da  sie  durch  die  Luft  er- 
folgen.  In  Folge  dessen  entspricht  ihre  Dauer  wie  ihre  mittlere 
Variation  derjenigen  der  Bewegungen,  nicht  der  Pausen. 

Das  sind  die  Folgerungen  die  sich  fur  die  psychomotorischen 
Eigenschaften  gesunder  Menschen,  insbesondere   fiir  die  Verhaltnisse 


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(Jntersuchuiigen  Ober  die  iSchrift  Gesiinder  und  Geisteskraiiker. 


483 


des  Schreibens,  aus  den  vorliegenden  Versuchen  niit  groBerer  oder 

geringerer    Wahrscheinlichkeit  erschlieBen   lassen.     Es   eriibrigt  uns 

noch,   dem  Hauptzweck   der  Normalversuche  naher  zu  treten,    ihre 

Resultate  so  zusammenzustellen,   dass  sie  einen  bequemen  Vergleich 

mit   den   pathologischen  Ergebnissen  ermoglichen.     Um  dies  zu  er- 

reichen,  gebe  ich  in  einer  Reihe  von  Tabellen   neben   den   Durch- 

schnittswerihen  (D)  die  Maximal-  und  Minimalwerthe.     Damit  wird 

die   Gesundheitsbreite   festgestellt.     Die   Tabellen   bediirfen   nur 

kurzer  Erlauterung. 

Tabelle  XH. 


m 

1 

in  a 

Linien 

ni 

1 

,  ^• 

F. 

M.     F. 

M. 

F. 

M.      F. 

M. 

F. 

Durchschnitt 

800 

800 

249 

280 

D. 
Max. 

:   9 

13,8 

9 

26,8 

37,3 

31,9 

38 

Maximum 

900 

1100 

325 

342 

13,8 

42 

64 
18 

47,5 

66,5 
20,8 

Minimum 

700 

600 

158    200 

Min. 

3,3 

7 

17 

13,7 

Dauer 

Millimeterschreibzeit 

m           1  .    ;    ^ 

Linien 

m 

1 

M.     F. 

M. 

F. 

M. 

F. 

M. 

F. 

M. 

F. 

Durchschnitt 

32,9  23,7 

8,9 

8,6 

D. 

210 

1 
191,41  330 

182 

346 

273 
333 

Maximum 

48 

39 

17,3 
5,5 

12,3 

4,2 

Max. 
Min. 

335 

305 

530 

330 

545 

JNIiuimum 

■  9 

U 

102,5 

112,5 

200 

100 

165 

127 

!        Schreibweg 

Druck 

In  dieser  Tabelle  sind  die  Durchschnitts-,  Maximal-  und  Mini- 
malwerthe fiir  Millimeterschreibzeit  und  Druck  der  Linien,  fiir  Dauer, 
Millimeterschreibzeit,  Schreibweg  und  Druck  der  Einer  und  des 
Buchstaben  »m«  enthalten. 

Tabelle  Xin  zeigt  neben  der  mittleren  Veranderung  der  Be- 

wegungseigenschaften  durch  das  Schreiben  1 1 00  ^"~  j  und  das  Rech- 
nen  1 1 00  ^  7"  I  die  extremen  Veranderungen  nach  beiden  Seiten.  In 
der  untersten  Spalte  finden  wir  eine  Notiz  dariiber,  ob  Zunahme  oder 


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484 


Adoir  GroC. 
Tabelle  XHT. 


Verandening  jer  Mm.- 
100  ^^  ~  *)     Schreib- 
a             zeit 

des 

Schreib- 

wegs 

des 
Drucks 

Verandening 

loo**-"' 

0 

der  Mm.- 

Schreib- 

zeit 

des 

Schreib- 

wegs 

des 
Dnicks 

1 
Mittlere          —  22,2 

4-9 

+  22 

Mittlere 

Maxim.- 
Abnahme 

+  19 

—  16 

—  10 

—  57 

Maxim.-           i   117 
Zunahme         "*"*^' 

+  64 

+  78 

-34 

-46,2 

Maxim.-              ar  ^y 
Abnahme         ""  ^^'^ 

-72,7 

—  44 

Maxim.- 
Zimahrae 

+  110 

+  100 

+  30 

Diel^geli8t:^^"3^™^ 

Zunahme 
11  :6 

Zunahme 
13:4 

die  Kegel  ist: 

Zunahme  Abnahme 
11:5          13:3 

Abnahme 
10:6 

Abnahme  die  Kegel  ist,  und  mit  welcher  Haufigkeit  die  gewohnliche 
Verandening  gegentiber  der  auBergewohnlichen  vorkommt. 

Tabelle  XIV. 


t 
in  Vio  Sec.         M. 

F. 

M.      1       F. 

D. 

45,5 

45 

D. 

15,5 

21 

Max. 

49,5 
39,5 

52,5 

Max. 
Min. 

30,5 

32,5 

Min. 

36,5 

11 

Dauer  aUer  Zahlen                          Dauer  aller  Pausen 

Tabelle  XV. 


Tabelle  XVI. 


Pausen-  , 
gruppe 

1; 

1 
b          c 

inVioScc.l     6,3 

7,3        6,3 

Innenpausen 

in  ViooSec. 

D. 

6,9 

Max. 
Min. 

1          10 

4,4 

Aus  Tabelle  XIV  ersehen  wir  die  Dauer  der  Zahlen  1—10  und 
der  zwischen  ihnen  liegenden  Pausen,  aus  Tabelle  XV  die  Verande- 
ning der  Dauer  der  Pausen  wahrend  des  Schreibens.  Es  wurden  je 
3  Pausen  zu  einer  Gruppe  zusammengefasst  («,  b  und  c].  Die  erste 
Gruppe  ist  kiirzer  als  die  zweite,  diese  langer  als  die  dritte;  Antrieb 
und  Anregung  sind  also  deutlich  zu  erkennen.  Tabelle  XVI  giebt  die 
durchschnittliche,  maximale  und  minimale  Dauer  der  Innenpausen 
wieder. 


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UnlcraachuDgeD  Qher  die  Schrift  Gesander  iind  GeisleskraDker. 
Tabelle  XVII 


485 


Ganze 

Subtractions- 

zeit 

in  Vio  Sec. 

Zahlen  der 

Subtractions- 

aufgabe 

in  Vio  Sec. 

D. 

106 

97 

D. 

62,5 

58 

Max. 

187 

126 

Max. 

129 

72 

Min. 

76 

85 

Min, 

41 

50 

a:  aritlimetisclies  Mittel;  auGerste  Minimal-  und  Maximalwertbe. 
^:  Stellungsmittel;  dritter  Werth  von  oben  und  unten. 

In  dieser  Tabelle  finden  wir  neben  dem  arithmetischen  (a) 
das  Stellungsmittel  (p)  der  Subtractionszeiten  und  der  darin  ent- 
haltenen  Zahlen  allein.  Das  Stellungsmittel  ist  in  beiden  Fallen  ein 
wenig  kleiner,  eine  Folge  Tereinzelter  auffallend  langer  Werthe,  die, 
wie  friiher  erwahnt,  nicht  auf  eine  Schwierigkeit  des  Rechnens, 
sondem  auf  voriibergehend  auftretende  Verlegenheit  der  normalen 
Versuchspersonen  zuriickzufUhren  sind.  Aus  diesem  Grunde  sind 
dem  Stellungsmittel  als  Minima  und  Maxima  jeweils  die  dritten 
Werthe  von  oben  und  unten  beigegeben.  Die  drittkleinsten  Werthe 
unterscheiden  sich  nicht  erheblich  von  den  kleinsten,  die  drittgroBten 
von  dem  langsten  jedoch  sehr  bedeutend. 

C.  YersQclie  an  Depressiv-Manisclieii  (CircnlXren)  Kranken. 

Nach  den  im  ersten  Theil  geschilderten  Methoden  wurden  17  an 
depressiv-manischem  Irresein  leidende  Kranke  untersucht.  Krae pelin 
rechnet  zum  depressiv-manischen  Irresein,  welches  er  bisher  als  »cir- 
culares  Irresein*  bezeichnete,  alle  diejenigen  Kranken,  bei  denen  auf 
dem  Boden  einer  psychopathischen  Degeneration  ohne  geniigende 
Veranlassung  Anfalle  von  geistiger  Stoning  auftreten,  die  sympto- 
matisch  bestimmte  charakteristische  Eigenschaften  darbieten  und  vor 
allem  prognostisch  darin  iibereinstimmen ,  dass  sie  fast  immer  voll- 
kommen  heilen,  wenn  auch  nach  besonders  schweren  und  gehauften 
Anfallen  eine  gewisse  gemiithliche  und  Willensschwache  zuriick- 
bleiben  kann. 

Die  wichtigsten  Erscheinungsformen  des  circularen  Irreseins  sind: 
mamsche  Erregimg  und  eigenartige  Stupor-Zustande,  die  gewohnlich  der 


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486  Adolf  CiroB. 

Melancholic  zugerechnet  werden.  Fiir  die  manische  Erregung  sind 
Ideenflucht,  Bewegungsdrang,  heitere  oder  reizbareStimmung  kennzeich- 
nend,  fiir  den  Stupor  Hemmung,  depressive  Vei^timmung.  Es  konnen 
sich  schlieBlich  die  Symptome  der  Manie  mit  denen  des  Stupors  in 
der  verschiedensten  Weise  mischen.  Wir  finden  dann  heitere  Stim- 
mung  und  Hemmung,  Depression  mit  Ideenflucht,  selbst  innige  Ver- 
schmelzung  von  Bewegungsdrang  und  Hemmung,  heiterer  und  depres- 
siver  Stimmung,  Verfolgungs-  und  GroBen-Ideen  bei  einem  und 
demselben  Kranken  zu  derselben  Zeit.  Spater,  bei  der  Anfiihrung 
der  einzelnen  Palle,  wird  das  deutlicher  hervortreten. 

Hier  soil  nun  zunachst  dargelegt  werden,  inwieweit  es  bis  jetzt 
moglich  war,  psychomotorische  Storungen  bei  diesen  verschiedenen 
Formen  des  circularen  Irreseins  f estzustellen ;  ob  es  Befunde  giebt, 
die  fiir  die  einzelnen  Erscheinungsformen  charakteristisch  sind  und 
ob  sich  schlieBlich  fiir  das  circulare  Irresein  im  Ganzen  gemeinsame 
Gesichtspunkte  gewinnen  lassen. 

I-  Stuporose  Kranke. 

Falle  von  reinem  circularem  Stupor  sind  nicht  sehr  haufig.  Ich 
habe  drei  untersucht,  einen  Mann  (I)  und  zwei  Frauen  (U  und  HI). 
Die  Krankengeschichten  sind  kurz  folgende: 

Fall  I.  H.  Sch.,  43  Jahre  alt,  Kaufmann.  Erste  Erkrankung 
im  23.  Jahre,  Depression.  Seitdem  hat  er  6,  theils  leichtere,  theils 
schwerere  manische  Erregungen  durchgemacht,  auBerdem  eine  weitere 
Depression.  Die  letzte,  auBerordentlich  sch  were  Manie  dauerte  von 
Ende  93  bis  Ende  95.  Nach  kurzem  freiem  Intervall  begann  De- 
cember 95  ein  Stuporzustand,  der  jetzt  ganz  allmahlich  in  Genesung 
iibergeht.  Der  Kranke  war  traurig,  leicht  angstlich,  lag  unbeweglich 
im  Bett,  aB  schlecht,  sprach  nicht  spontan,  konnte  auch  kaum  ant- 
worten.  Dabei  war  er  immer  besonnen  und  orientirt,  hatte  keinerlei 
Wahnbildungen,  dagegen  intensives  Krankheitsgefiihl.  Am  auffallend- 
sten  war  zur  Zeit  des  Versuches  die  starke  motorische  Hemmung  und 
die  vollige  Entschlussunfahigkeit. 

Fall  II.  B.  Sch.,  30  Jahre  alte  Miillersfrau.  Erste  Erkrankung 
im  21.  Lebensjahr  im  Anschluss  an  das  erste  Puerperium.  Depres- 
sion ,    SelbstvorwUrf e ,    Vergiftungsversuche ,    Nahrungsverweigerun^, 


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(Jotersuchuugeii  flber  die  Sebrift  Gesuiider  uud  Geisteskraoker.  4S7 

psychische  Hemmung.  Sie  wurde  gesund,  uberstand  2  Geburten  ohne 
Folgen.  Ende  Pebruar  96  erkrankte  sie  wieder  mit  Versiindigungs- 
und  Selbstmordideen.  Sie  versank  in  tiefen  Stupor,  der  viele  Monate 
anhielt  und  nur  einigemal  durch  kurzdauemde,  ekstatische  Erregungs- 
zustande  mit  Ideenflucht  und  starkem  Bewegungsdrang  unterbrochen 
wurde.  Ln  Juli  1897  wurde  sie  wenig  gebessert  gegen  Urztlichen 
Rath  entlassen.  Der  erste  Versuch  wurde  zur  Zeit  der  Hohe  der 
Erkrankung  mit  der  Kranken  angestellt;  beim  zweiten  befand  sie 
sich  etwas  besser. 

FalinL  L.  K.,  28jahrigeTaglohnerstochter.  Patientin  erkrankte 
kurz  vor  ihrer  festgesetzten  Hochzeit  im  Pebruar  97 ;  sie  wurde  still, 
angstlich,  auBerte  Versundigungsideen,  hallucinirte.  Hier  in  der 
Klinik  war  sie  stuporos,  angstlich,  gehemmt  und  denkunfahig,  sprach 
auBerst  wenig,  antwortete  langsam.  Dabei  war  sie  immer  orientirt, 
besonnen  und  geordnet.  Seit  Anfang  Mai  besserte  sich  ihr  Zustand 
stetig;  am  S./VII.  97  wurde  sie  genesen  entlassen.  Die  am  6./ni., 
16./in.,  3./IV.,  7./V.  und  20./VI.  angestellten  Versuche  stammen 
also  aus  den  verschiedensten  Zeiten  der  Krankheit.  Am  20./VI  war 
die  Kranke  bis  auf  ein  noch  etwas  gebundenes  Wesen  aijscheinend 
vollig  gesund. 

XJns  interessiren  hier  zunachst  nur  die  psychischen  Storungen, 
insoweit  sie  sich  auf  psychomotorischem  Gebiete  offenbaren.  Die 
klinische  Betrachtung  ergiebt  iibereinstimmend  bei  alien  drei  Pallen 
eine  starke  Herabsetzung  der  motorischen  Leistungen,  eine  psycho- 
motorische  Hypofunction  nach Wernicke.  Spontanbewegungen  fehlten 
im  allgemeinen  uberhaupt,  ausgenommen  zeitweise  leises,  monotones 
Jammem  bei  III.  Die  Reactionen  auf  Fragen,  Befehle  waren  auBerst 
erschwert;  der  Beginn  der  Bewegung  erfolgte  sofort,  die  Ausfiihrung 
sehr  langsam;  oft  gelangte  diese  nicht  iiber  die  Zeichen  der  Inner- 
vation hinaus.  Sehen  wir  nun,  wie  sich  diese  Storungen  bei  der 
Ausfiihrung  der  in  Theil  A  geschilderten  Versuche  offenbaren. 

Die  durchschnittlichen  Millimeterschreibzeiten  der  Linien  bewegen 
sich  zwischen  20  und  39,5  a.  Das  bedeutet  eine  betrachtliche  Ver- 
langsamung  gegen  die  Norm,  da  die  groBte  Millimeterschreibzeit  der 
Normalpersonen  13,8  a,  deren  durchschnittUche  Schreibzeit  9a  betragt. 
Von  I  und  11  liegt  nur  je  ein  Versuch  vor,  von  HI  vier.  Die  ersten 
Versuche   aller   drei  Stuporosen   ergaben   eine  Verlangsamung  [etwa 


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488 


Adolf  GroB. 


a? 

r 

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o 

s 

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CO 

CO 

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1- 

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§ 

o 

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CO 

o 

CO 

o 

§ 

o 

CO 

CO 

-a. 

i6 

s 

o 
o 

•-4 

s 

Druck 

in 
Tiinien : 

1  •I 

•M 

CO 

^ 

p 

CO 

s; 

+ 

+ 

+ 

CO 

+ 
+ 

s 

s 

00 

CO 
CO 

S 

+ 

+ 

00 

o 

CO 

s 

9 

1 

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+ 

«-4 

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CO 
CO 

oo 

CO 

c8 

3 

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1 

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-B. 

CO 

CO 

CO 

CO 



CO 

OO 

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1  1 

I 

1 

00 

1 

(f4 

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CO 

i 
1 

+ 

1 

t 

+ 

Millimeter- 
schreibzeit 
der  Linien: 

«H 

C4 

CO 

1< 

p 

III 

•-4 

c< 

CO 

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Uiitersiichuii^en  uber  die  Schrifl  Gesunder  uiid  Geisteskranker.  489 

um  das  vierfache  des  normalen  Mittels.  Die  4  Durchschnittswerthe 
von  ni  sind  aus  4  aufeinanderfolgenden  Monaten  gewonnen;  c  und 
d  zeigen  auch  gegen  a  eine  allmahKche  Beschleunigung,  entsprechend 
der  Anfang  Mai  einsetzenden  langsamen  Besserung.  Auffallend  ist 
der  kleine  Werth  von  b.  In  den  nach  einem  anderen  Versuchsplan 
angestelltenVorversuchen,  bei  denen  dieVersuchspersonen  jezwei  10  cm 
lange  Linien  zu  ziehen  batten,  findet  sicb  fiir  I  die  enonne  Milli- 
meterscbreibzeit  von  80  a  fiir  beide  Linien.  Damals  (am  26./I.  97) 
war  der  Zustand  des  Kj-anken^  nocb  ein  viel  scbwererer.  Von  11 
liegen  zwei  alte  Versucbe  vor;  am  15./XTT.  96  bat  sie  50  und  48  a 
Scbreibzeit,  am  18./XTT.  96  48  und  42;  also  beide  male  wesentlich 
mebr  als  am  4./in.  97.  Die  Geschwindigkeit  der  4  Linien  derselben 
Person  ist  ziemlicb  gleicbmaBig,  im  allgemeinen  von  1  gegen  4  etwas, 
nicht  viel,  anwacbsend. 

Die  Linien  sind  auBerordentlich  correct  ausgefiihrt,  geben  bei 
den  im  schwersten  Stupor  ausgefubrten  Versucben  I,  11,  Ula  und  b 
nicbt  mebr  als  I  mm  und  aucb  bei  dem  in  die  Reconvalescenz  fal- 
lenden  md  nur  3  mm  iiber  den  Endpunkt  binaus.  Die  Correctbeit 
ist  viel  groBer  als  bei  den  moisten  Gresunden,  wie  eine  Vergleicbung 
der  Tabellen  ergiebt.  Bei  11  bracbte  die  Hemmung  die  Bewegung 
dreimal  scbon  vor  dem  Endpunkte  zum  Stillstand. 

Der  beim  Scbreiben  aufgewandte  Druck  liegt  bei  11  und  HI 
unter  dem  Minimum  des  Normalen;  bei  11  betragt  er  nur  etwa  ein 
Drittel  desselben.  Die  mannlicbe  Versucbsperson  ist  ein  sebr  kraf- 
tiger,  in  gesunden  Tagen  flott  und  energiscb  scbreibender  Kaufmann. 
Es  unterliegt  daber  keinem  Zweifel,  dass  aucb  sein  Druck,  obwobl 
eine  Normalperson  mit  nocb  etwas  (7,5  g!)  geringerem  gescbrieben 
bat,  als  berabgesetzt  aufzufassen  ist.  In  jenem  alten  Versucbe  aus 
dem  Januar  betragt  der  Druck  librigens  nur  50  und  60  g,  war  also 
damals  nur  balb  so  groB  als  das  Minimum  der  Norm. 

Recbt  einbeitlicb  liegen  aucb  die  Verbaltnisse  in  Bezug  auf  den 
Bucbstaben  »m«.  Die  Millimeterscbreibzeiten  ubertreffen  iiberall 
die  Norm,  am  bedeutendsten  bei  HI  im  Marz  und  April.  Bei  I  liegt 
wiederum  ein  Wertb  in  der  Hobe  des  Maximums  der  Gesunden. 
Wenn  wir  aber  bedenken,  dass  dieser  von  einer  scbreibungeiibten 
Warterin,  jener  jedocb  von  einem  gewandten  Kaufmann  stammt,  so 
diirfen  wir  letzteren  wobl  sicber  als  erbeblicb  verlangsamt  betracbten. 


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490 


Adolf  GroB. 
Tabelle  XIX. 


Buchstabe 

1 
5.  m. 

n 
4.m. 

ma 
4.  in. 

mb           nic 

3.  IV                7.  V. 

md 
20.  yi. 

Dauer 

3500 

2600 

1200  '  2200 

2400 
218 

2000 

1600 

1.300 

1400  '   1200 

Mm.  Schrz. 

74 

62 
42 

109       220 

250 

8 

100 

93 

82     j     67 

Schreibweg 

47 

11 

10 

11 
30 

16 

14 

17 

18 

Druck 

140 

140 

35 

40 

50 

100 

80 

80 

100 

Der  Circulare  I  ist  in  Bezug  auf  Schreibgewandtheit  hochstens 
mit  Normalperson  Ylii  vergleichbar;  diese  hat  eine  Schreibzeit  von 
17  a  gegen  74  und  62  des  Stuporosen.  Sehr  deutlich  ist  die  all- 
mahliche  Besserung  in  der  Zunahme  der  Schreibgeschwindigkeit  bei 
in  zu  erkennen.  Dieser  geht  auch  eine  Zunahme  des  Schreibwegs 
parallel,  ahnlich  auch  eine  solche  des  Druckes.  Die  Lange  des 
Buchstaben  ist  bei  11  und  UI  recht  gering ;  I  schreibt  groB ;  dagegen 
liegt  der  Druck  AUer  unter  dem  nonnalen  Minimum  ihrer  Greschlechter. 

In  den  Versuchen,  die  zwei  aufeinanderfolgende  »m«  aufweisen, 
nimmt  meist  vom  ersten  zum  zweiten  die  Geschwindigkeit  zu,  der 
Schreibweg  aber  ab,  oder  bleibt  ungefahr  gleich. 

Die  Zahl  »1«  lasst  im  allgemeinen  dieselben  Eigenschaften  ihrer 
Schreibbewegung  erkennen  wie  der  Buchstabe  »m«.  In  den  Durch- 
schnittswerthen  ist  die  Geschwindigkeit  durchweg  verlangsamt.  Zwei 
Millimeterschreibzeiten  sind  besonders  groB;  von  11 :  315  und  von 
ni  am  7./V. :  232.  Die  ubrigen  bewegen  sich  zwischen  91  und  219  a 
pro  Millimeter;  da  der  Durchschnittswerth  fur  gesunde  Manner  32, 
fiir  Frauen  38  und  der  ganz  vereinzelt  stehende  langste  Werth  fiir 
Gesunde  66,5  cr,  sonst  nirgends  iiber  48  a,  betragt,  so  ist  das  eine 
recht  betrachtliche  Verlangsamung.  Die  beiden  oben  angefuhrten 
noch  wesentlich  groBeren  Werthe  haben  ihre  Ursache  darin,  dass 
unter  den  6  Werthen,  aus  denen  sie  das  Mittel  darstellen,  ein  ganz 
abnorm  groBer  sich  befindet.  11  blieb  mit  der  Bleistiftspitze  mitten 
in  der  Ausf uhrung  der  » 1 «  stehen,  indem  ihr  offenbar  fiir  eine  Zeit- 
lang  die  Fahigkeit,  die  Bewegung  fortzusetzen,  versagte;  derselbe 
Umstand,  der  auch  einige  ihrer  Linien  vor  dem  Zielpunkte  zum  Still- 


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UntereuchungeD  uber  die  8chrifl  Gesuoder  und  Geisteskraiiker. 
Tabelle  XX. 


491 


Einer 
Durchschnitt: 

I 

1 3.  in. 

Ha 

i2.in. 

Hb 
3.  IV. 

nia 
8.m. 

mb 
16.  m. 

IHc 
3.  IV. 

md 

3.  IV. 

me 

7.V. 

mf 

20.  VI. 

Dauer 
Mm.  Schreibzeit 

1192 

1292 

842 

970 

1033 

600 

750 

1130 

690 

108 

315 

91 

219 

182 

126 

143 

232 

93 

Schreibweg 

11,3 

4,5 

9,2 

4,9 

5,3 

5,25 

5,75 

5,5 
90 

7,6 

Druck 

177 

32 

140 

66 

37 

57 

60 

120 

Einer 

I 

i3.m. 

Ha 
12.m. 

Hb 
3.  IV. 

ma 
8.m. 

nib 
i6.m. 

mc 

3.  IV. 

nid 

3.  IV. 

me 

7.V. 

mf 

20.  VI. 

Mm.     \  min. 
Schrz.       max. 

79 
167 

70 
1150 

40 
180 

93 
350 

87 
267 

80 
200 

86 
225 

100 
520 

50 
136 

7 
9 

Schreib-\  min. 
weg     /  max. 

9 
13 

130 
230 

3 
6 

7 
10 

4 

7 

4 

6 

3 

8 

4 

7 

I 

/  max. 

30 
50 

130 
170 

70 
90 

30 

70 

50 
70 

50 
70 

70 
90 

90 
130 

stand  brachte.  Dass  es  sich  so  verhalt,  ist  aus  der  betr.  Drucklinie 
zu  erkennen,  die  3800  a  hindurch  gleichmaBig  auf  derselben  Hohe 
bleibt;  so  ergiebt  sich  der  eine  abnorm  groBe  Werth  von  1150a  pro 
mm.  Berechnet  man  das  Mittel  aus  den  ubrigen  5  Einem,  so  erhalt 
man  anstatt  315  eine  durchschnittliche  MiUimeterschreibzeit  von  132  a. 
Diese  Zahl  diirfte  der  richtige  Ausdruck  der  Schreibgeschwindigkeit 
dieser  Versuehsperson  an  dem  betreffenden  Tage  sein. 

Auf  andere  Weise  kommt  die  eine,  vergleichsweise  lange,  MiUi- 
meterschreibzeit bei  m  am  7./V.  zu  Stande.  Die  Drucklinie  dieser 
» 1 «  —  es  ist  die  letzte  aus  der  sehr  erschwerten  Subtraction  —  hat 
folgende  Druckfigur: 


Die  abnorme  Langsamkeit  der  Bewegung  beruht  also  hier  auf 
mehrfachem  Ansetzen  und  Nachlassen,  auf  einer  Erschwerung  des 
Beginns  der  Bewegung,  auf  Zaghaftigkeit.  Bei  Berechnung  des  Mittels 
vom  7./V.  unter  Vemachlassigung  dieses  Werthes  erhalten  wir  160  a 
als  Ausdruck  der  wirklichen  Schreibgeschwindigkeit. 


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492  Adolf  GroB. 

Der  beim  Schreiben  aufgewandte  Diiick  liegt  bei  der  uberwie- 
genden  Mehrzahl  der  Versuche  unter  der  Norm,  zum  Theil  tief. 
Fiir  I  mit  177  g  gilt  auch  hier  das  bei  Besprechung  des  »m«  Gesagte. 
Tib  und  mf  sind  schon  ein  Ausdruck  der  eingetretenen  Besserung. 
I,  nb  und  mf  weisen  auch  einen  der  Mitte  der  Norm  entsprechenden 
Schreibweg  auf,  wahrend  die  ubrigen  Versuche  zwar  nicht  unter  dem 
Minimum  (4,2  mm),  so  doch  ziemlich  an  der  unteren  Grenze  desNor- 
malen  stehen.  Es  gilt  hier  dasselbe,  was  fiir  ErklHrung  der  Druck- 
verhaltnisse  angefUhrt  wurde. 

UeberbUcken  wir  die  neben  einander  stehenden  Werthe  fiir  G^- 
schwindigkeit,  Schreibweg  und  Druck  von  11  und  m,  so  ist  die  zu- 
nehmende  ZahlengroBe  und  der  wachsende  Druck  als  Ausdruck  der 
psychischen  Besserung  deutlich,  die  auch  klinisch  hervortrat.  Dass 
der  Werth  von  232  a  fiir  die  Geschwindigkeit  von  Hid  iiber  das 
noch  vorhandene  MaB  der  Verlangsamung  tauscht,  ist  friiher  gezeigt 
worden.  So  tritt  auch  bei  in,  wenn  auch  mit  Schwankungen ,  die 
allmahliche  Abnahme  der  motorischen  Verlangsamung  hervor.  Unzwei- 
deutig  ist  die  Zunahme  der  Zahlenlange  und  des  Druckes  bei  beiden 
Frauen. 

Diese  Betrachtungen  beziehen  sich  auf  die  Durchschnittswerthe 
aus  alien  6  Einem.  Ich  habe  in  Tab.  XX  unter  den  Durchschnitts- 
werthen  noch  die  auBersten  Einzelwerthe  nach  oben  und  unten 
wiedergegeben.  Unter  diesen  beanspruchen  die  minimalen  Werthe 
fiir  Millimeterschreibzeit  und  die  maximalen  fttr  Druck  und  Lange 
unsere  Beachtung.     Wir  werden  von  jetzt  ab  bezeichnen: 

1.  als  »mittlere«  Werthe  solche,  die  dem  Mittel  der  Gesunden 
entsprechen ; 

2.  als  »Ubermittlere«  und  »untermittlere«  diejenigen,  die  zwischen 
dem  normalen  Mittel  und  dem  normalen  Maximum  resp.  Minimum, 

3.  als  »Ubermaximale«  und  »unterminimale«  alle  diejenigen,  die 
jenseits  des  Maximums  resp.  des  Minimums  der  Gesunden  liegen. 

Von  den  kleinsten  Einzelwerthen  der  Millimeterschreibzeiten  der 
8  Versuche  sind  6  iibermaximal,  2  iibermittel,  von  den  groBten  Druck- 
werthen  6  unterminimal ,  2  untermittel;  unter  den  Langenwerthen 
fiir  den  Schreibweg  der  Einer  finden  wir,  wenn  wir  aus  den  darge- 
legten  Grlinden  von  Pat.  I  absehen,  5  untermittlere,  3  mittlere,  und 
zwar  sind  die  letzteren  durchweg  bereits  als  Ausdruck  eingetretener 


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Untersuchiingen  uber  die  Schrift  Gesunder  und  Geisteskranker.  493 

Besserung  zu  betrachten.  Es  kommen  demnach  nicht  vor:  unter  dem 
Mittel  der  Gesunden  liegende  Millimeterschreibzeiten,  uber  dem  Mittel 
liegende  Druckwerthe;  auBerdem  scheint  ubermittlere  Lange  des 
Schreibwegs  der  Zahlen  im  schwersten  Stupor  nur  ausnahmsweise 
vorzukommen. 

Ein  Blick  auf  Tafel  V,  welche  eine  Reihe  von  Drucklinien 
der  Kranken  11  und  m  wiedergiebt,  lasst  sofort  die  flache,  niedere, 
langgezogene  Form  dieser  Curven  erkennen.  Allen  gemeinsam  ist  auch 
das  allmahliche  Einsetzen  und  allmahliche  Verschwinden  des  Druckes. 
Das  Enden  erfplgt  in  der  Regel  etwas  schneller  als  das  Beginnen; 
doch  kommen  irgendwie  erheblichere  Nachschwingungen  nicht  von 
Im  Verlauf  der  Drucklinien  fehlen  in  der  acutesten  Zeit  des  Stupors 
alle  groberen  Druckschwankungen.  Bei  dem  Buchstaben  >m«  sind 
die  Thaler  wie  Berge  in  gleicher  Weise  unendlich  in  die  Breite  ge- 
zogen ;  die  Curven  haben  keine  Spur  von  individuellem  Geprage.  Es 
ist  bei  Pat.  Ill  sehr  hubsch  zu  sehen,  wie  mit  eintretender  Besserung 
die  Curven  des  Buchstaben  »m«  an  Charakter  gewinnen,  wie  ihre 
Theile  sich  differenziren.  Dasselbe  zeigen  die  Druckcurven  der  Zahlen ; 
sie  werden  vom  Marz  zum  April  kiirzer,  charakteristischer  und  etwas 
energischer.  Die  Intervalle  zwischen  den  DruckUnien  der  einzelnen 
Zahlen  erscheinen  relativ  kurz  und  gleichmaBig  breit.  Die  wiederge- 
gebene  Curve  der  Linie  von  Pat.  II  ist  ebenfalls  in  typischer  Weise 
verandert;  auch  ihre  Zahlen  lassen  dieselben  unter  sich  und  mit 
den  andem  ubereinstimmenden  Bilder  erkennen,  sind  jedoch  etwas 
weniger  in  die  Lange  gezogen  und  haben  breitere,  ganz  gleichmaBige 
Zwischenraume. 

Die  diesen  Curven  entsprechenden,  durchweg  sehr  kleinen  Schrift- 
zeichen*)  sind  ohne  Unterscheidung  von  Grund-  und  Haarstrichen 
nicht  gerade  sorgfaltig  und  schon  zu  nennen.  Die  Zahlen  sitzen 
meist  in  einer  Ecke  des  Kartchens  dicht  aufeinander.  Auf  zwei 
Besonderheiten  in  den  AusfUhrungen  der  Schreibbewegungen  wurde 
bereits  aufmerksam  gemacht.  Einer  Zaghaftigkeit  im  Beginn  der 
Bewegung  verdankt  auch  die  doppelte  Staffel,  welche  die  Linien  des 
Pat.  in  vom  20./VI.  darbietet,  ihre  Entstehung. 


1)  Die  Schriftzeichen  sind  auf  den  Tafeln  zum  Theil  unter  den  zugehorigen 
Drucklinien  genau  wiedergegeben. 


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494 


Adoir  GroB. 
Tabelle  XXI. 


Veranderung 
in  % 

I 

i3.m. 

Ha 
12.111. 

nb 

3.  IV. 

ma 
8.m. 

mb 
i6.ni. 

IHc 
3.  IV. 

-14,9 

rad 

3.  IV. 

me 

7.V. 

mf 

20.\'L 

100  *"-*' 

a 

-42,l|-30 

—  3S,5 

+  115 

-54,2 

—  14 

+  8 

—  46,8 

100 '*  7^'    1 

0             1 

-2,5    +43+40 

+  75    +210 

+  62 

+  86 

+  116 

+100 

Millimeterschreibzeit 

100  "-*' 

0 

+  16  -16,7 

q=0 

—  28,6 

-33,3'- 37,5*   qzO 

—  33,3 

+  12,5 

loo'*-"' 

b 

1 

—  40     -  20 

—  20 

+  50 

q=o 

-28,6 

—  50 

—  22.2 

Schreibweg 

100  <-"-r-JJ 

a 

+  35 
—  43,5 

—  20 

-13,5  +29 

+  33 

+  17 

+  40 

-12,5 

—  10 

100^*7^' 

-25 

+  15,4J-11,1 

qzO    -28,6^   qiO 

+  29 

+  44 

Dnick 

Auf  dieser  Tabelle  sind  die  Buchstaben  a,  b  und  c  in  derselben 
Weise  angewendet,  wie  sie  im  normaJen  Theile  beschrieben  worden 
ist.  Auch  die  procentuale  Berechnung  ist  die  gleiche.  Die  Verhaltnisse 
scheinen  in  Bezug  auf  die  verschiedenen  Eigenschaften  der  Bewegung 
nicht  so  einheitlich  zu  liegen  wie  bei  den  untersuchten  gesunden  Per- 
sonen.  Das  Verhalten  der  Schreibgeschwindigkeit  ist  ein  entspre- 
chendes,  jedoch  noch  mehr  ausgepragt:  Zunahme  wahrend  des  Schrei- 
bens  und  vor  allem  recht  starke,  iiber  die  Norm  hinausgehende 
Abnahme  mit  Beginn  des  Rechnens.  I,  Ha  und  lib  ergeben  ganz 
einheitliche  Resultate :  mehr  als  mittlere  Zunahme  und  Abnahme  der 
Geschwindigkeit.  Die  Versuche  von  HI  dagegen  sind  wohl  in  Bezug 
auf  die  Einwirkung  des  Rechnens  einheitlich:  tibermaximale  oder 
iibermittlere  Abnahme.  Wahrend  des  Schreibens  jedoch  nimmt  die 
Geschwindigkeit  bei  Hlb  und  f  mehr  als  maximal  zu,  bei  den  tibrigen 
weniger  als  das  Mittel  des  Gesunden,  je  zweimal  sogar  ab.  Ganz 
anders  verhalt  es  sich  mit  dem  Schreibweg.  Wahrend  dieser  bei 
Gesunden  im  Lauf  des  Schreibens  zu-,  mit  Beginn  des  Rechnens 
aber  abzunehmen  pflegt,  haben  wir  liier  im  ersten  Falle  nur  zweimal 


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Untersnehimgen  fiber  die  Schrift  Gesnnder  iind  Geisteskranker. 


495 


(bei  T  und  mf)  eine  geringe  Zunahme,  zweimal  Gleichbleiben,  sonst 
Abnahme,  zum  Theil  in  erheblichem  Grade.  Auch  die  physiologische 
Abnahme  mit  Beginn  des  Rechnens  ist  hier  noch  allgemeiner,  hat  nur 
eine  Ausnahme  (Ilia).  Die  Verandemngen  des  Druckes,  die  ja  schon 
bei  Gesunden  weniger  gleichartig  sind,  lassen  bei  Stuporosen  nur 
geringe  GesetzmaBigkeit  erkennen.  Immerhin  uberwiegt  die  Zunahme 
mit  dem  Schreiben,  die  Abnahme  durch  das  Reehnen  ein  wenig,  so 
dass  sich  die  Stuporosen  hierin  den  Gesunden  nahem.  Grundsatzhch 
verschieden  von  den  Normalversuchen  ist  hier  also  nur  die  vorwiegende 
Abnahme  der  Zahlenlange  wahrend  des  Schreibens. 

Tabelle  XXn. 


Gesammt- 
dauer  in 
Vio  Sec. 

I 

i3.m. 

Ha         b 
I2.in.  3.  IV. 

ma 
s.m 

b 

16.  m. 

c 
3.  IV. 

3.  IV. 

e 
7.V. 

f 
20.  VI. 

Zahlen 
Pausen 
Summa 

190 
29,5 

73 

74 

141 

119,5 

97 

94 

85 

74 

69         43 

21 

38 

32 

31 

20,5 

21 

219,5 

142 

117 

162 

157,5 

129 

125 

105,5 

95 

Die  Gesammtdauer  aller  Zahlen  ist  durchweg  bedeutend 
groBer  als  bei  Gesunden.  Diese  ist,  wie  friiher  dargelegt,  auBer- 
ordentlich  constant  und  betragt  im  Mittel  4,5  Sec.  Am  groBten  ist 
der  Werth  bei  I,  eine  Folge  der  Schreibverlangsamung  bei  verhalt- 
nissmaBig  bedeutender  Zahlenlange.  Bei  11  ist  der  Ausschlag  am 
geringsten;  bei  HI  ist  die  fortschreitende  Besserung  sehr  schon  an 
der  kleiner  werdenden  Zahl  zu  erkennen.  Doch  bietet  die  Betrachtung 
der  Summe  aller  Zahlen  nichts,  was  wir  nicht  schon  zuverlassiger 
aus  dem  Studium  der  Einer  allein  gesehen  batten.  Anders  verhalt 
es  sich  mit  den  Pausen.  Die  Versuchsperson  11,  welche  die  am 
wenigsten  verlangerten  Schreibzeiten  fiir  die  Zahlen  darbietet,  zeigt 
stark  verbreiterte  Pausen;  starker  am  12./in.  als  am  3./IV.,  so  dass 
hier  das  Kiirzerwerden  der  Intervalle  als  ein  Zeichen  der  Besserung 
aufzufassen  ist,  wahrend  die  Schreibzeiten  gleich  blieben.  Am 
15./XTT.  96  habe  ich  diese  Patientin  IT  gelegentlich  orientirender 
Vorversuche  das  Alphabet  schreiben  lassen.    Die  ersten  10  Buchstaben 


Kra«pelin,  Psyoholog.  Arbeiten.  U. 


33 


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496 


Adoir  GroG. 


dauerten  damals  84,  die  9  ersten  Pausen  76  Zehntel  Secunden.  Die 
Uebereinstimraung  dieser  Werthe  mit  den  am  12./in.  fur  die  10  Zahlen 
gewonnenen  ist  in  die  Augen  fallend.  Sie  sind  nur  etwas  langer, 
ent^prechend  der  wenig  langsameren  Ausfuhrung  der  Linien  um  diese 
Zeit.  Es  wird  spater  noch  zu  uberlegen  sein,  wie  es  kommen  mag, 
dass  die  10  Buchstaben  eben  so  lange  dauerten  wie  eben  so  viel  Zahlen. 
Hier  wollte  ich  nur  auf  die  Uebereinstimmung  der  beiden  Tage  unter- 
einander  hinweisen:  erstens  in  Bezug  auf  die  absolute  Dauer  von 
Zahlen  und  Pausen,  zweitens  deren  Verhaltniss  untereinander. 

Im  ubrigen  iiberragen  die  Pausen  bei  I  und  bei  11  zum  Theil 
Uberhaupt  nicht  das  Maximum  der  Norm,  zum  Theil  gehen  sie  nur 
unwesentlich  dariiber  hinaus.  Bei  diesen  beiden  Versuchspersonen  ist 
daher  die  langere  Dauer  des  Schreibens  zum  weitaus  groBten  Theil 
durch  das  langsamere  Ausfuhren  der  Schreibbewegungen  bedingt. 
Allerdings  darf  nicht  iibergangen  werden,  dass  bei  HI  a  und  IIIc  je 
eine  Pause  zur  Berechnung  nicht  verwendet  worden  ist,  da  sie  so 
lang  ist,  dass  sie  durch  ihre  Masse  die  kurzen  Pausen  erdriickt  hStte: 
in  Ilia  eine  Pause  von  60  zwischen  1  und  2,  in  Hie  eine  solche 
von  236  zwischen  7  und  8.  Diese  langen  Pausen  sind  wohl  sicher 
eine  Folge  voriibergehenden  Versagens  der  Willensenergie.  Sie  bilden 
eine  hubsche  Parallele  zu  der  Unfahigkeit  weiter  zu  schreiben,  wie 
wir  sie  frliher  bei  11  gelegentlich  der  Ausfuhrung  einer  »1«  kennen 
gelemt  haben. 

Tabelle  XXm. 


Pausen- 
gruppe 

,  13.  m. 

Ha 
l2.nL 

I) 
3.  IV. 

nia 
8.m. 

b 

i6.in. 

12 

c 
3.  IV. 

d 
3.  IV. 

e. 
7.V. 

f 
20.  XL 

2         b. 

.9"    c." 

-- 

13 
9 

17 

15 

9 

11 

K 

8 

5 

29 

11 

6 

13 

12 

9 

5,5 

8 

2J 

J7 

6 

13 

9 

14 

7 

8 

Die  Tabelle  XXUI  soil  zeigen,  wie  sich  die  Dauer  der  Pausen 
wahrend  des  Schreibens  andert.  Deshalb  sind  in  dieser  Tabelle  je 
drei  aufeinanderfolgende  Pausen  zu  drei  Gruppen  zusammengefasst. 
Wahrend  wir  bei  den  Normalen  als  Durchschnittsbefund  zunachst 
ein  Zunehraen,   dann  ein  Wiederabnehmen  der  Dauer  der  Interyalle 


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Untersncbiingen  ilber  die  Scbrift  Gesunder  und  Geisteskranker. 


497 


gefunden  hatten,  ergiebt  hier  die  Betrachtung  der  in  3  Gruppen 
zusammengestellten  Pausen  keinen  regelmaBigen  Befund.  Die  erste 
Gruppe  ist  in  6  von  den  9  Versuchen  kiirzer  als  die  zweite  und 
ebenfalls  in  6  Fallen  kiirzer  als  die  letzte  Gruppe.  Somit  nimmt  im 
allgemeinen  die  Dauer  der  Pausen  wahrend  des  Schreibens  zu. 

Die  Dauer  der  innerhalb  der  Zahlen  4,  5  und  10  gelegenen 
Pausen  ist  fast  durchweg  gegen  die  Norm  vergroBert,  wenn  auch  im 
allgemeinen  nicht  bedeutend. 

Tabelle  XXIV. 


Innenpausen 

m 
Vioo  Secunden 

I 

i3.in. 

Ha 

i2.m. 

b 
3.  IV. 

ma 
8.m. 

b 

i6.m. 

c 
3.  IV. 

d 
3.  IV. 

e 
7.V. 

f 
20.  VI. 

13,3 

30 

10 

6,7 

16,7 

18,3 

15 

15 

11,7 

Stark  verlangert  sind  sie  nur  bei  Ila,  hier  in  Uebereinstimmung 
mit  den  Pausen  zwischen  den  Zahlen;  wie  dort  nimmt  die  Pausen- 
breite  mit  eintretender  Besserung  auch  hier  betrachtlich  ab.  In  lib 
wird  die  obere  Grenze  des  Normalen  erreicht.  Bei  Ilia  sind  die 
Innenpausen  iiberhaupt  nicht  vergroBert.  Dieser  Befund  ist  um  so 
auffallender,  als  bei  dieser  Versuchsperson  vom  16./in.  ab  eine  be- 
deutende  Verlangerung  einsetzt,  die  allmahlich  mit  eintretender  Ge- 
nesung  nachlasst.  Dieses  Verhalten  der  Innenpausen  deckt  sich  mit 
dem  der  Zwischenzahlenpausen  (s.  Tab.  XXII).  Jedenfalls  kann  man 
so  viel  sagen,  dass  bei  den  Zwischenzahlenpausen  wie  den  Innenpausen 
der  Stuporosen  eine.  Verlangerung  iiberhaupt  fehlen  kann,  eine  be- 
trachtliche  Verlangerung  selten  ist. 

Tabelle  XXV. 


Subtractions- 

aufgabe  in 

Vio  Sec. 

I 

i3.in. 

na 
i2.m. 

b 
3.  IV. 

ma 
8.m 

b 

i6.m. 

c 
3.  IV. 

d 

3.  IV. 

e 

7.V. 

f 

20.VI. 

Zahlen 

206 

208 

149 

00 

00 

00 
00 

00 

00 

156 

Pausen 

59 

132 

102 

00 

00 

00 

00 

172 

Summe 

265 

340         251 

00 

00 

00 

00 

00 

328 

33» 


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498  Adolf  GroB. 

Die  Subtractionsaufgabe  wurde  von  den  Stuporosen  durch- 
weg  langsamer  gelost  als  von  den  Gesunden.  Weitaus  am  bedeu- 
tendsten  war  die  Erschwerung  des  Rechnens  bei  III.  In  den  4  ersten 
Versuchen  gelang  es  dieser  Versuchsperson  hochstens  bis  14,  ein- 
mal  nur  bis  17  zu  kommen  in  den  7  Minuten,  bis  die  Tronunel 
abgelaufen  war.  Am  7./V.  rechnete  sie  im  Ganzen  120  Secunden 
20,  17,  13,  10,  dann  versagte  es.  Auch  am  20./VI.  gilt  die  ange- 
fuhrte  Zeit  nicht  fiir  die  Losung  der  ganzen  gestellten  Aufgabe. 
Die  Patientin  rechnete:  20,  17,  15,  13,  9,  7;  weiter  kam  sie  nicht. 
Bei  I  scheint  die  Verlangsamung  mehr  durch  die  Erschwerung  des 
Schreibens,  als  durch  die  des  Rechnens  bedingt  zu  sein,  wie  ein 
Vergleich  der  Werthe  fiir  die  Zahlen  selbst  und  die  zwischen  ihnen 
liegenden  Intervalle  ergiebt.  Doch  kann  sich  natiirlich  auch  dio 
Erschwerung  des  Rechnens  nicht  bloB  in  einer  Verbreiterung  der 
Intervalle,  sondem  auch  in  einem  langeren  Haften  an  den  Schrift- 
ziigen  auBem.  Ein  Vergleich  mit  der  Tabelle  XXII  ergiebt,  dass 
Pat.  I  dort  zum  Schreiben  der  Zahlen  1  10,  mit  Abrechnung  der 
Intervalle,  19  Secunden  gebraucht  hat.  Fiir  die  in  der  Rechenauf- 
gabe  enthaltenen  10  Zahlen  benothigte  er  20,6  Secunden.  Demnach 
kann  nur  eine  sehr  unbedeutende  Erschwerung  des  Rechnens  da  sein. 
Ausgepragter  ist  dieselbe  bei  11.  Diese  Frau  verrechnete  sich  iibri- 
gens  uberdies  bei  jedem  Versuch  einmal.  Doch  ist  hier  wieder  in 
Betracht  zu  ziehen,  dass  11  auch  beim  einfachen  Zahlenschreiben 
verbreiterte  Intervalle  darbietet.  Diese  Ursache  erklart  aber  nur 
den  kleineren  Theil  der  bei  den  Versuchen  gefundenen  Rechenver- 
langsamung. 

Zusammenfassung. 

Die  gesammte  Dauer  aller  Schriftzeichen  ist  durchweg  vergroBert, 
Die  langere  Dauer  beruht  auf  verlangsamter  Geschwindigkeit  des 
Schreibens.  Diese  Verlangsamung  der  Geschwindigkeit  ist  um  so 
groBer,  je  schwerer  der  Zustand  des  Kranken  ist;  mit  eintretender 
Besserung  nahert  sie  sich  der  Norm. 

Die  Schriftzeichen  sind  meist  klein,  der  Druck  ist  untemormal. 
Auch  GroBerwerden  des  Schreibwegs  und  des  Druckes  sind  Begleit- 
erscheinungen  psychischer  Besserung.  Fiir  die  Schriftzeichen  selbst 
ist  die  Zaghaftigkeit  in  ihrer  Ausfuhrung  charakteristisch :  die  Linien 


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Untersuchungen  dber  die  Sehrift  Gesuoder  uud  Geisteskraoker.  499 

werden  oft  nicht  bis  an  das  Ziel  gefuhrt;  es  treten  im  Beginn  oder 
im  Verlauf  der  Bewegung  Stockungen  ein.  Zahlen  und  Buchstaben 
sind  nicht  individuell  ausgepragt,  ohne  Grund-  und  Haarstriche. 
Dem  entsprechend  beginnen  und  enden  die  Drucklinien  allmahlich 
und  zeigen  im  Verlauf  keine  groberen  Schwankungen. 

Die  durch  die  Bewegung  selbst  hervorgerufene  Veranderung  in 
der  Schreibgeschwindigkeit  der  Zahlen  vollzieht  sich  in  derselben 
Richtung  wie  bei  Gesunden.  Doch  tritt  die  Zunahme  starker  hervor. 
Die  Lange  des  Schreibwegs  der  Schriftzeichen  andert  sich  in  umge- 
kehrter  Eichtung  wie  bei  Gesunden:  die  Zahlen  werden  wahi-end  des 
Schreibens  kleiner.  Dieses  pathologische  Verhalten  konnten  wir  auch 
bei  dem  untersuchten  Buchstaben  »m«  als  Kegel  nachweisen.  Der, 
an  fiir  sich  sehr  niedere,  Druck  anderte  sich  wenig. 

Die  Dauer  aller  Zahlen  insgesammt  ist  durchweg  vergroBert. 
Da  die  Zahlen  in  der  Kegel  klein  sind,  kann  die  Verlangerung  der 
Dauer  nur  auf  der  verminderten  Schreibgeschwindigkeit  beruhen,  wie 
es  fiir  die  Einer  nachgewiesen  wurde.  Bei  einer  Kranken  nimmt  die 
Dauer  der  psychischen  Besserung  entsprechend  ab. 

Die  Dauer  der  Pausen  zwischen  den  Zahlen  ist  bei  zwei  Ver- 
suchspersonen  nicht  wesentlich  verlangert,  bei  der  dritten  jedoch 
stark.  Dem  entsprechend  zeigt  uns  ein  alterer  mit  dieser  Kranken 
angestellter  Versuch,  in  dem  sie  das  Alphabet  schrieb,  zwischen  den 
ersten  zehn  Buchstaben  noch  um  ein  Geringes  starker  verlangerte 
Pausen.  Auch  die  Dauer  der  Buchstaben  selbst  ubertrifft  die  der 
entsprechenden  Zahlen,  imd  zwar  ebenfalls  nicht  viel. 

Wahrend  des  Schreibens  nimmt  in  der  Eegel  die  Dauer  der 
Pausen  erst  zu  und  dann  wieder  ab.  Die  letzten  Pausen  sind  meist 
wesentlich  langer  als  die  ersten,  so  dass  im  Ganzen  die  zeitlichen 
Intervalle  zwischen  den  einzelnen  Bewegungen  langer  zu  werden  pflegen. 

Die  Rechenfahigkeit  kann  bei  Circular-Stuporosen  in  hohem  Grade 
beeintrachtigt  sein,  und  zwar  pflegt  dann  die  Erschwerung  wahrend 
des  Rechnens  zuzunehmen  bis  zum  voUigen  Versagen.  Diese  Denk- 
storung  kann  jedoch  auch  leicht  sein,  vielleicht  sogar  in  gewissen 
Fallen  ganz  fehlen. 


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500  Adolf  QtoQ. 

n.  Manische  Kranke. 

Die  Scheidung  dieser  Gruppe  von  der  folgenden  der  Mischzu- 
stande  ist  sehr  schwierig;  denn  es  giebt  wenig  Manien,  die  nicht 
irgend  welche  depressive  Momente  darbieten.  Ich  habe  in  dieser 
Gruppe  diejenigen  Falle  zusammengefasst,  welche  wahrend  des  Ver- 
suchs  das  Bild  der  reinen  Manie,  Bewegungs-  und  Eededrang,  ge- 
hobene  Stimmung,  Ideenflucht,  darboten  und  dabei  klinisch  keine 
Hemmung  zeigten.  Zu  gewissen  Zeiten  batten  sie  alle  auch  depres- 
sive Momente.  Die  erste  Kranke  ist  auch  in  diesen  klinisch  anders 
aussehenden  Zustanden  untersucht  worden.  Diese  Versuche  werde 
ich  unter  den  Remissionen  in  der  Manie  anfUhren  und  dem  bier  bei- 
gegebenen  gegeniiberstellen. 

Ln  Gegensatz.  zu  den  Fallen  IV,  V  und  VI,  die  sich  im  Hohe- 
punkt  der  Erregung  befinden,  ist  der  Kranke  VH  schon  Reconvalescent. 

Pall  IV.  Prau  M.  L.,  53  Jahre  alt,  belastet.  Sie  machte  mit 
1 8  Jahren  eine  6  Wochen  dauemde  leichte  Depression  durch.  Dann 
blieb  sie  gesund  bis  zu  ihrem  42.  Jahre.  Im  Marz  1886  erkrankte 
sie  an  schwerer  Manie  und  wurde  im  October  86  wieder  gesund. 
Eine  zweite  manische  Erregung  im  November  93  blieb  abortiv.  Im 
April  94  brach  ganz  plotzlich  eine  schwere  tobsUchtige  Erregung 
aus,  die  mit  kurzen  depressiven  Iiltervallen  unverandert  bis  jetzt  an- 
dauert.  In  der  Kegel  zeigte  die  Kranke  lebhaften  Bewegungsdrang, 
Rede-  und  Schreibdrang,  Ideenflucht,  ausgelassene,  reizbare  Stimmung 
mit  Neigung  zu  Gewaltthatigkeiten.  Sie  war  dann  bei  Tag  meist  im 
Dauerbad,  nachts  isoUrt.  Dazwischen  wurde  sie  oft  plotzlich  ruhig, 
deprimirt,  zaghaft  und  gehemmt,  blieb  dabei  aber  ideenfluchtig.  Diese 
Intervalle  dauerten  einige  Stunden  oder  wenige  Tage  und  wurden  in 
der  letzten  Zeit  immer  haufiger.  Sie  schlugen  jeweils  ganz  plotzlich 
wieder  in  flotte  Tobsucht  um. 

Fall  V.  Prl.  St.  R.,  46  Jahre  alt.  Patientin  war  von  Jugend 
auf  verschroben.  Ueber  ihre  Vorgeschichte  ist  nichts  Zuverlassiges 
bekannt,  doch  hat  sie  wahrscheinlich  schon  frtiher  mehrfach  hypo- 
manische  Erregungen  durchgemacht.  Der  jetzige  Anfall  be^ann  im 
Friihjahr  1894:  Manische  Erregung  mit  iippigster  Ideenflucht  imd 
wechselnden  phantastischen  GroBenideen,  die  jetzt  noch  andauert. 
Im  Juli  96  war  sie  voriibergehend  einige  Tage  deutlich  deprimirt. 


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UutersuchuDgeu  Qber  die  Schrift  Gesuiider  und  Geisteskranker.  501 

Pall  VI.  Frau  K.  S.,  54  Jahre  alt,  belastet.  Sie  war  gesund 
bis  zu  ihrem  42.  Lebensjahre.  Nach  vorausgegangener  Depression 
mit  Verfolgungs-  und  Eifersuchtsideen  wurde  sie  im  Herbst  86  erregt, 
redselig,  obscon.  Am  lO./II.  87  wurde  sie  geheilt  entlassen  und  blieb 
gesund  bis  December  95.  Dann  setzte  eine  schwere  Tobsucht  ein, 
die  jetzt  noch  andauert,  allerdings  in  verminderter  Injtensitat.  Die 
Kranke  war  auBerordentlich  erregt,  ideenfluchtig,  hatte  GroBenideen. 
Dazwischen  war  sie  voriibergehend  deprimirt  mit  hysteriformen  An- 
fallen,  die  sich  meist  an  Gelegenheitsursachen  ansehlossen.  Auch 
am  Ende  des  vorliegenden  Versuchs  bekam  Frau  S.  einen  Ohnmachts- 
anfall  mit  Convulsionen. 

Fall  Vn.  J.  G.,  56  Jahre  alter  Schneider.  Erste  Erkrankung 
im  18.  Jahre,  Manie.  Mit  35  Jahren  zweite  manische  Erregung, 
dann  mit  37  Depression.  Diese  drei  Anfalle  machte  Pat.  in  Illenau 
durch.  In  der  Heidelberger  Irrenklinik  war  er  viermal  (1883,  1888, 
1893  und  1897),  immer  wegen  Manie.  1893  erkrankte  er  nach 
vorausgegangener  Depression  unter  dem  Bilde  einer  Hypomanie.  Die 
letzte  Erkrankung  begann  als  schwere  Tobsucht  mit  heiterer  Stimmung, 
Ideenflucht,  GroBenideen,  Rededrang,  Ablenkbarkeit.  Auch  diesmal 
war  eine  Depression  vorausgegangen.  Es  trat  sehr  rasch  Beruhigung 
ein.  Die  angestcUten  Versuche  fallen  in  die  Zeit  der  Reconvalescenz. 
Doch  schien  der  Kj-anke  noch  leicht  hypomanisch. 

Die  Kranken  IV,  V  und  VI  haben  fast  genau  dieselbe  durch- 
schnittUche  Millimeterschreibzeit  der  Linien,  welche  die  durchschnitt- 
hche  normale  unwesenthch  iibertrifft.  Auch  alle  Werthe  fiir  die 
einzelnen  Linien  fallen  in  die  Gesundheitsbreite.  Die  Zeiten  fiir  die 
ersten  Linien  sind  bei  alien  Versuchspersonen  verhaltnissmaBig  lang 
und  nahem  sich  der  oberen  Grenze  der  Norm.  Die  vierten  Linien 
sind  bei  IV  und  V  weitaus  am  raschesten  geschrieben,  bei  VI  aller- 
dings die  dritte.  IV  und  V,  und  in  geringerem  MaBe  auch  VI, 
zeichnen  sich  durch  sehr  mangelhafte  Correctheit  der  Ausfiihrung  aus, 
indem  sie  in  alien  Linien  zusammen,  IV  um  38,  V  um  29,  VI  um 
10  mm  iiber  das  Ziel  hinausfuhren.  VI  endete  ihre  erste  Linie  im 
Gegensatz  zu  den  anderen  jedoch  schon  1  mm  vor  dem  Ziel.  Der 
aufgewandte  Druck  iibertrifft  bei  IV  schon  in  Linie  1  das  Maximum 
des  normalen,  wachst  dann  nach  der  vieiten  Linde  zu  enorm.  Bei 
V  und  VI  liegt  der  Druck  unter  dem  Mittel  der  Gesunden,   steigt 


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502 


Adolf  Gro6. 


^ 


o 

00 

CO 

1 

o 

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o 

5 

CO 

n 

o 

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i 

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i 

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4 

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CO 

CO 

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+ 

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1 

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+ 

o 

+ 

Oi 

+ 

OO 
CO 

+ 

OD 

cs 

- 

OS 

+ 

+ 

+ 

+ 

Millimeter-  i 
Schreibzeit 
der  Linien: 

- 

CO 

Q'     III 

«H 

c< 

CO 

^ 

auch  nicht  besonders  an.     Die  Versuclisperson  VII  unterscheidet  sich 
in  diesem,  wie  auch  in  vielen  spateren  Theilen  der  Versuche  wesent- 


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Untersucbungen  fiber  die  Scbrift  Gesunder  und  Geisteskraiiker. 


503 


lich  von  den  anderen  Manischen.  In  den  beiden  ersten  Versuchen 
ist  die  Schreibgeschwindigkeit  deutlich  verlangsamt,  bei  dem  dritten 
ist  sie  als  normal  zu  betrachten.  Die  Fehler  bei  der  Ausfuhrung 
der  Linien  sind  gering.  AJle  Versuche  zeigen  abnorm  starken,  jedoch 
nicht  ansteigenden  Druck. 

Tabelle  XXVn. 


Buchstabe 

rv 

3.  IV 

V 

29.  m. 

VI 

29.  m. 

Vila 

12.  m. 

VHb 

20.  m. 

VHc 
7.  IV. 

Dauer 

800 

1200 

1400 

1000 

3100 

1000 

1800 

1600 

2000 

1900 

1500 

1700 

Mm.  Schreibz. 

19 

24 

20 

11 

103 

29 

47 

47 

62 

50 

48 

46 

Schreib-Weg 

43 
330 

49 

70 

90 

30 

34 

38 

34 

32 

38 

31 

37 

Druck 

360 

320 

450 

290 

200 

500  1  510 

480      540 

460  1  440 

Die  Zeit,  welche  zur  VoUendung  des  Buchstaben  »tn«'  be- 
nothigt  wurde,  ist  nirgends  gegen  die  Norm  verkiirzt.  Von  den  drei 
flotten  Manien  fallt  je  ein  Worth  in  die  Normalbreite;  der  andere 
ist  verlangert,  darunter  einer  fast  um  das  dreifache.  VII  hat  durch- 
weg  etwa  die  doppelte  Zeit  gebraucht  wie  Gesunde.  Eine  zweifellose 
Beschleunigung  der  Schreibgeschwindigkeit  finden  wir  nur  bei  dem 
zweiten  »m«  von  V,  das  in  dnrchschnittlich  Her  pro  Millimeter  ge- 
schrieben  ist,  wahrend  von  den  untersuchten  gesunden  Personen  keine 
den  Millimeter  unter  17  a  leisten  konnte.  Die  Geschwindigkeit  103 
bei  VI  ist  ganz  abnbrm  langsam,  wahrend  29  wesentlich  uber  dem 
Durchschnitt  liegt.  Die  betreffenden  Buchstaben  auf  dem  Kartchen 
unterscheiden  sich  dadnrch,  dass  der  erste  sehr  sorgfaltig,  der  zweite 
fluchtig  geschrieben  ist.  Vom  ersten  zum  zweiten  »m«  nimmt  die 
Geschwindigkeit  und  der  Schreibweg  mit  je  einer  Ausnahme  zu,  zimi 
Theil  sehr  erheblich.  VII  hat  durchweg  pathologisch  langsam  ge- 
schrieben, wenn  auch  seine  Millimeterschreibzeiten  nicht  viel  iiber 
dem  Maximimi  der  Warter  liegen.  Die  Weglange  des  Buchstaben 
dieses  Kranken  entspricht  etwa  dem  Mittel  der  Norm;  bei  VI  nahert 
sie  sich  dem  Maximum;  bei  IV  und  besonders  bei  V  sind  die  Schrift- 
zeichen  abnorm  groB.  Der  Druck  ist  in  den  zweiten  »m«'s  von  IV 
und  V  gesteigert,  bietet  aber  sonst  nichts  auffallendes. 


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504 


Adolf  GroS. 


Tabelle  XXVUl 


Einer 
Durchschnitt 

IV 
8.IV- 

V 

29.  in. 

VI 

29  m. 

VHa 
12.  m. 

vnb 
20.  in. 

VUc 
7.  IV. 

Dauer 

492 

258 

425 

425 

458 

400 

Millimeter- 
schreibzeit 

18,5 

18,3 

19,8 
22,3 

35,5 

32,2 

39,5 

Schreibweg 

27 

14,5 

12,3 

14 

10,8 

Druck 

617 

328 

283 

553 

•    730 

593 

Einer 

IV 

V 

VI 

VHa 

vnb 

VUc 

Millimeter- 1  min. 
schreibzeit  /  max. 

6 

37 

8 
25 

10 
30 

25 
50 

42 
40 

23 
56 

Schreibweg}"^; 

24 
32 

12 

18 

19 
26 

210 
350 

10 
18 

420 
640 

11 
18 

8 
15 

/max. 

470 
750 

250 
400 

520 
850 

460 
780 

Die  durchschnittliche  Millimeterschreibzeit,  mit  der  die  drei  weib- 
lichen  manischen  Versuchspersonen  die  Einer  schrieben,  ist  ein  wenig 
kleiner  noch  als  das  Minimum  der  Gesunden;  sie  haben  also  patho- 
logisch.  schnell  geschrieben.  Auch  die  GroBe  ihrer  Einer  tibertrifft 
die  Norm,  der  Druck  nur  bei  IV.  Bei  V  war  er  etwa  maximal  und 
auch  bei  VI  Uber  dem  Mittel.  Die  Gesammtdauer  der  Einer  ist  bei 
IV  und  VI  trotz  der  groBen  Schreibgeschwindigkeit  100— 150  a  groBer 
als  das  normale  Maximum:  eine  Folge  der  ganz  ungewohnlichen 
ZahlengroBe  dieser  Versuchspersonen.  Andererseits  beruht  bei  VII 
die  iibemormale  Dauer  der  Einer  auf  dem  Zusammentreffen  von 
normaler  Geschwindigkeit  mit  fast  maximaler  ZahlengroBe.  Hier  ist 
der  Druck  durchweg  gesteigert. 

In  dem  zweiten  Theil  der  Tabelle  sind  die  Maximal-  imd  Mini- 
malwerthe  je  fUr  Millimeterschreibzeit,  Schreibweg  und  Druck  ge- 
geben.  Auch  hierin  mussen  die  drei  ersten  Versuchspersonen  gesondert 
betrachtet  werden.  Jede  hat  Zahlen  mit  iibemormaler  Geschwindig- 
keit geschrieben,  keine  mit  pathologisch  verlangsamter;  auch  die 
Minimalwerthe  fur  die  Zahlenlange  iiberragen  schon  das  Maximum 


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Untersucbungeii  Qber  die  Schrift  Gesunder  uDd  Geisteskranker. 


505 


der  Gesunden  oder  decken  sich  mit  diesem  (V);  fur  den  Druck  gilt 
das  schon  oben  Gesagte.  Bei  VII  kommt  neben  normaler  verlang- 
samte  Geschwindigkeit  vor;  neben  mittelgroBen  finden  sich  abnorm 
groBe  Zahlen;  am  auffallendsten  ist  die  fast  durchgangige  Steigerung 
des  Druckes. 

Es  mag  hier  daran  erinnert  werden,  dass  die  Einer  der  Keihe 
nach  aus  den  Zahlen  1,  10,  17,  14,  11  entnommen  sind.  Unter 
alien  diesen  Einem  besitzt  die  zweite  »1«  durchweg  die  groBte  Ge- 
schwindigkeit und  die  groBte  Lange.  Die  drei  acuten  Manien  haben 
sie  doppelt  bis  dreimal  so  schnell  geschrieben  wie  die  schreibschnellsten 
Gesunden.  Dieser  Umstand  fuhrt  uns  zur  Betrachtung  der  Veran- 
derung der  Eigenschaften  der  Bewegung  wahrend  des 
Schreibens. 

Tabelle  XXIX. 


Einer 

Veranderung 

in  % 

rv 

V 

VI 

VHa 

b 

c 

100  '»-*>  1 

a.      \ 

—  85,6 

—  57,9 

-52,4 

-7,4 

-42,1 

—  54 

-Ml 

+  183 

+  125 

+  200 

+  44 

+  82 

+  35 

Millimeterschreibzeit 

\ 

IV 

V 

VI 

VHa 

b 

c 

100  '»-^' 

a 

+  18 

+  12,5 

+  37 

+  64 

+  38 

+  88 

m  "7" 

—  25 

—  22 

—  15 

—  39 

-39 

—  13 

Schreibweg 

i 

rv 

V  • 

VI 

VHa 

b 

c 

100  '«-*» 

a 

+  56 

+  13 

+  43 

+  48 

+  14,3 

+  22 

loo'*-"' 

0          \ 

-9,3 

+  12,5 

+  16,7 

+  3,2 

-11,2 

+  39 

Druck 

Die  Tabelle  XXIX  giebt  ein  auBerordentlich  Wares  Bild:  Wah- 
rend des  Schreibens  1^00 -"^J  tritt  ausnahmslos  Beschleunigung  der 


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506 


Adolf  Groa 


Bewegung,  Anwachsen  der  GroBe  der  Schreibfigur,  Steigerung  des 
Drucks  ein.  Auch  bei  den  Gesunden  fanden  wir  dies  Verhalten  als 
Kegel  (s.  Tab.  VI),  jedoch  nicht  ausschlieBlich;  femer  ubertrifft  die 
G^schvrindigkeitszunahme  bei  den  florid  Manischen  durchweg  die  bei 
Normalen  nachgewiesene  wesentlich. 

Auf  der  anderen  Seite  zeigen  alle  Versuche  mit  dem  Beginn  des 

Rechnens  (100     "7"    1  Abnahme  der  Geschwindigkeit,  und  zwar  bei 

IV,  V  und  VI  eine  enorm  groBe,  das  Maximum  der  Normalen  weit 
iibertreffende  Abnahme,  bei  VII  eine  solche,  die  iiberall  groBer  ist 
als  das  normale  Mittel.  In  alien  Versuchen  nimmt  die  Lange  der 
Zahlen  ab.  Also  auch  hier  finden  wir  die  Veranderung  in  derselben 
Richtung  wie  bei  den  Gesunden,  nur  noch  eindeutiger  und  energischer. 
Anders  verhalt  es  sich  mit  der  Beeinflussung  des  Drucks  durch  die 
Rechenarbeit:  namlich  in  der  Kegel  erfolgt  eine  weitere  Steigerung 
und  zweimal  geringfugige  Abnahme. 

Tabelle  XXX. 


(jesammtdauer!       j^ 
in  Vio  Sec.  derj       ^^ 

V 

VI 

VHa 

b 

(b)              c 

t 

Zahlen 

60 

50 

63 

63 
36 

83 

(66) 

65 

Pausen 

15 

18,5 
68 

11 

41 

(41) 

37 

Summe 

75 

74 

99 

124 

(107) 

102 

Wie  die  Dauer  der  Einer  allein,  so  ubertrifft  auch  die  Ge- 
sammtdauer  aller  Zahlen  von  1  bis  10  die  Norm;  hier  wie  dort 
macht  nur  V  eine  Ausnahme.  XJebrigens  ist  auch  bei  den  andem 
der  Unterschied  nicht  groB,  nicht  iiber  eine  Secunde.  Eine  schein- 
bare  Ausnahme  hiervon  macht  VHb.  Doch  beruht  der  abnorm  lange 
Werth  von  ^Vio  Secunden  nur  darauf ,  dass  die  Zahl  9  durch  mehr- 
fache  Verbesserung  auf  das  vierfache  ihrer  zu  erwartenden  Dauer 
verlangert  wurde.  Der  entsprechend  reducirte  Werth  ist  daneben 
eingeklammert  und  entspricht  den  iibrigen.  Die  Dauer  der 
Pausen  zvrischen  den  Zahlen  ist  bei  der  letzten  Versuchsperson 
vergroBert,  iibereinstimmend  in  alien  drei  Versuchen.  Bei  IV  und 
V  entspricht  sie  etwa  dem  Mittel;  VI  steht  an  der  unteren  Grenze 
der  Norm. 


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Untersurhiingen  uber  die  Schrifl  Gesnnder  iind  Geisteskranker. 
Tabelle  XXXI. 


507 


Pausen-             jy 
gruppe 

V 

VI 

VHa 

b 

c 

a. 
o       b. 

6 

7 
6 

4 

8 

14 

10 

5,5 

3,5 

19 

15 

13 

.a     c. 

3,5 

5,5 

3,5 

9 

12 

14 

Die  drei  Versuchspersonen,  die  keine  verlangerten  Pausen  haben, 
zeichnen  sich  dadurch  aus,  dass  sich  ihre  Pausen  wahrend  des  Schrei- 
bens  verkiirzen.  Die  Pausen,  in  drei  Gruppen  getheilt,  zeigen  die 
Neigung,  in  ihrer  Dauer  fortschreitend  abzunehmen.  Bei  Vli  ver- 
andert  sich  die  Pausendauer  in  anderer  Weise.  Die  erste  Gruppe 
des  Versuchs  VHa  ist  kaum  halb  so  lang  wie  die  zweite,  die  dritte 
wieder  der  ersten  gleich.  In  Vllb  erfolgt  zunaebst  eine  geringe 
Zunahme,  dann  Abnahme.  Eine  Zunahme  der  Pausendauer  finden 
wir  auch  von  der  ersten  zur  zweiten  Gruppe  von  VIIc;  bier  aber 
von  der  zweiten  zur  dritten  ein,  allerdings  minimales,   Anwachsen. 

Tabelle  XXXH. 


Innenpausen 

IV 

V 

VI 

vna 

b 

c 

ViooSec. 

11,7 

7,5 

7 

15 

10 

10 

Die  innerhalb  der  Zahlen  4,  5  und  10  gelegenen  »Innen- 
pausen«  sind  nirgends  verkiirzt.  Bei  V  und  VI  sind  sie  von 
mittlerer,  bei  den  iibrigen  von  maximaler  oder  etwas  iibermaximaler 
Dauer. 

Tabelle  XXXTTT. 


Subtractions- 
Aufgabe  in 

IV 

V 

VI 

VHa 

b 
195 

0 

124 

Vio  Sec. 

1    360 

141 

187 

200 

Fehler 

0 

3 

4 

0 

0 

1 

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508  Adolf  (iroB. 

Aus  Tabelle  XXXni  ist  zu  ersehen,  dass  bei  IV  in  deutlichem 
MaBe  und  wohl  auch  bei  VI  und  Vila  und  b  die  Rechenauf  gabe 
langsamer  gelost  wurde,  als  bei  Gesunden.  Auch  V  hat  noch 
relativ  langsam  gerechnet;  immerhin  fallt  der  Werth  von  14,1  Sec.  noch 
in  die  Normalbreite.  Die  Qualitat  der  Leistung  ist  hier,  wie  bei  VI, 
eine  recht  schlechte;  es  wurden  dort  3  und  hier  4  Fehler  festgestellt. 
Diese  Fehler  haufen  sich  gegen  den  Schluss  der  Rechenaufgabe, 
wahrend  sie  am  Beginn  derselben  fehlen;  die  Geschwindigkeit  des 
Subtrahirens  steigerte  sich  energisch  vom  Anfang  nach  dem  Ende 
der  Aufgabe  zu.  In  den  vom  1 2./in.,  20./IIL  und  T./TV.  stammenden 
Versuchen  von  VII  findet  sich  eine  fortlaufende  Besserung.  Doch 
handelt  es  sich  vielleicht  um  Uebungswirkung. 

Auf  Tafel  VI  habe  ich  von  Pat.  IV  die  Druckcurven  der  vier 
Linien  und  die  der  Zahlen  1,  2,  9  und  10  gegeben.  Von  Zahl  3  ist 
der  Beginn  des  Auf stiegs,  von  8  das  Ende  des  Abstiegs  eingezeichnet. 
Die  dazwischen  Uegenden  Zahlen  sind  weggelassen,  um  Platz  zu 
sparen.  In  der  gleichen  Weise  habe  ich  die  Zahlen  von  V  und  VI 
wiedergegeben,  auBerdem  von  jener  Kranken  noch  eine  Linie  und 
cin  »m«.  Die  Druckcurven  der  Linien  von  IV  sind  in  nach  der 
vierten  zu  abnehmendem  MaBe  verbreitert;  sie  zeigen  gesteigerten  und 
stark  steigenden  Druck,  wachsende  Nachschwingungen,  wachsenden 
Tremor.  Drucksteigerung  lassen  auch  die  Zahlen  dieser  Versuchs- 
person  erkennen.  Die  letzten  Zahlen  (9  und  10)  unterscheiden  sich 
von  den  ersten  durch  viel  hoheren  Druck,  steilere,  scharfer  zerkliiftete 
Formen,  die  aus  pl5tzhchen  ausgiebigen  Druckschwankungen  hervor- 
gehen,  schmalere  Intervalle,  so  dass  die,  viel  groBer  gewordenen, 
Nachschwingungen  der  vorausgegangenen  direct  in  den  Anstieg  der 
folgenden  Zahl  Ubergehen.  Die  beiden  anderen  floriden  Manien 
zeigen  geringere  Druckhohen.  Die  Linie  von  V  beginnt  ganz  all- 
mahlich  anzusteigen  und  bleibt  recht  flach;  am  Ende  erfolgt  nach 
einem  kurzen  Anstieg  plotzlicher  Abfall,  mit  fur  die  geringe  Hohe 
auffallend  starkem  Nachschwung.  Die  Zahlen  und  der  Buchstabe 
dieser  Versuchsperson  zeigen  lebhafte,  kurze,  im  Verlauf  des  Schrei- 
bens  sich  steigemde  Druckschwankungen;  die  Drucklinie  des  »m<  hat 
am  Schlusse  eine  schroffe,  giebelartige  Erhebung  mit  plotzlichem 
Absturz  und  starken  Nachschwingungen,  einem  brlisk  ausgefiihrten 
letzten  Aufstrich  entsprechend.     Dieser  letzte  steile  Anstieg  vor  dem 


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Untersnehiingen  fiber  die  Scbrift  Gesiinder  iind  Geisteskranker.  509 

Aufhoren  der  Bewegung  kehrt  bei  fast  alien  manischen  Drucklinien 
wieder;  an  den  Linien  der  Kranken  IV  sieht  man  ihn  von  Linie  zu 
Linie  mehr  hervortreten.  Bei  VI  sind  die  ersten  Zahlen  ganz  ruhig 
und  correct  ausgefUhrt,  wahrend  die  9  und  10  eine  lebhafte  XJnruhe 
des  Bewegungsablaufs  in  haufigen  Druckschwankungen  erkennen 
lassen.  Die  beigegebenen  Schriftzeichen,  die  Zahlen  2  und  9  von 
IV,  9  von  VI,  sovrie  9  und  der  Buchstabe  m  von  V  sind,  besonders 
fiir  Frauen,  auffallend  groB  und  energisch  ausgefiihrt. 


Zusammenfassung. 

Die  Dauer  der  untersuchten  Schriftzeichen  fallt  meist  in  die 
Normalbreite,  ist  nirgends  pathologisch  kurz,  in  einigen  Fallen  ver- 
langert.  Geschwindigkeit  und  Schreibweg  der  Schriftzeichen  sind  bei 
den  frischen  Manien  in  der  Regel  vergroBert;  aus  der  verringerten 
Schreibzeit  pro  Millimeter  und  dem  vergroBerten  Schreibweg  ent- 
springt  die  normale  oder  auch  ubemormale  Dauer. 

An  der  Form  der  Schriftzeichen  ist  neben  ihrer  GroBe  am 
meisten  auffallend  die  mangelhafte  Correctheit  ihrer  Ausfiihrung. 
Beim  Linienziehen  kiimmem  sich  die  manischen  Kranken  haufig 
wenig  um  das  gesteckte  Ziel,  Uber  das  sie  mehr  oder  weniger  weit 
hinausfahren. 

Der  Ablauf  der  Schreibbewegung  ist  ein  sehr  unsteter.  Die 
Drucklinien  zeigen  neben  rapidem  Anstieg  und  plotzlichem  Fallen  des 
Druckes  hSufige  kleine  und  groBe  unvermittelt  einsetzende  Schwan- 
kungen,  durch  die  die  spitzgieblige ,  zackige  Form  der  Drucklinien 
hervorgerufen  wird. 

Am  charakteristischsten  fiir  die  Manie  sind  die  Symptome  einer 
steigenden  Erregung.  Diese  lasst  sich  an  den  verschiedensten  Theilen 
der  Versuche  und  bei  alien  Versuchspersonen  nachweisen.  Ich  habe 
schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  Geschwindigkeit  und  Schreib- 
weg das  normale  MaB  in  der  Kegel  iibertreffen.  Das  ist  jedoch  fast 
nirgends,  wenigstens  in  Bezug  auf  die  Geschwindigkeit,  bei  dem  ersten 
Stuck  einer  gleichartigen  Versuchsgruppe  nachzuweisen.  Die  erste 
Linie,  das  erste  »m«,  die  erste  »1«  ist  sogar  nicht  selten  langsamer 
geschrieben,  als  gesunde  Personen  zu  schreiben  pflegen.  Wahrend 
der  Schreibthatigkeit  jedoch  steigert  sich  die  Schnelligkeit  des  Schrei- 


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510  Adolf  GroG. 

bens  in  ganz  abnormer  Weise.  Auch  Lange  und  Druck  nehmen 
pathologisch  stark  zu.  Die  Dauer  der  Pausen  wird  gegen  das  Ende 
der  Zahlenreihe  immer  kiirzer  und  zwar  andauernd.  Es  ist  also  kein 
Anfangsantrieb  f estzustellen ,  der  wohl  in  der  steigenden  Erregung 
aufgeht.  Der  Beginn  und  das  Ende  des  Druckes  wird  immer  un- 
vermittelter,  die  Bewegung  unsteter,  die  Curven  zackiger  und  mit 
mehr  Nachschwingungen  behaftet.  Dabei  nehmen  die  Kranken  immer 
weniger  Riicksicht  auf  die  sorgfaltige  Ausfiihrung  der  Schriftzeichen; 
diese  werden  grotesker,  ausfahrender;  die  Linien  enden  weiter  vom  Ziel. 

Diese  durch  die  motorische  Thatigkeit  gesteigerte  Erregung  wird 
mit  dem  Beginn  des  Rechnens  energisch  herabgedriickt;  der  Zwang, 
sich  geistig  zu  beschaftigen,  wirkt  hemmend.  Es  zeigt  sich  das  in 
einer  pathologisch  starken  Verlangsamung  der  Schreibgeschwindig- 
keit  und  Verkiirzung  des  Schreibwegs.  Der  Druck  wird  allerdings 
nicht  in  dem  MaBe  beeintrachtigt;  er  steigt  sogar  in  der  Kegel  mit 
dem  Einsetzen  der  Subtraction  noch  weiter. 

Die  Subtractionsaufgabe  wurde,  wie  schon  erwahnt,  meist  sehr 
mangelhaft  gelost.  Entweder  brauchten  die  Versuchspersonen  enorm 
viel  Zeit  dazu,  oder  sie  losten  sie  mit  einer,  zwar  untermittleren, 
aber  immer  noch  in  die  Breite  des  Normalen  f allenden  Greschwindigkeit. 
Dann  machten  sie  aber  Fehler  uber  Fehler.  In  letzterem  Falle  war 
es  so,  dass  zunachst  sehr  langsam  und  richtig  gerechnet  wurde,  dann 
mit  steigender  EIrregung  immer  schneller,  ohne  Riicksicht  auf  die 
Bichtigkeit. 

Die  Schilderung  der  Versuchsergebnisse  von  manischen  Kranken 
bezieht  sich  nur  auf  die  drei  flotten  Manien,  nicht  auf  den  Recon- 
valescenten  VII.  Dieser  zeigt  neben  einer  Reihe  von  manischen 
Kennzeichen,  insbesondere  der  charakteristischen  Veranderung  der 
Bewegungseigenschaften  wahrend  des  Schreibens  und  Rechnens,  lang- 
same  Schreibgeschwindigkeit.  Er  fuhrt  ims  hiniiber  zur  nachsten 
Gruppe,  mit  deren  vorwiegend  manischen  Reprasentanten  seine  Ver- 
suchsergebnisse enge  Verwandschaft  zeigen. 

m.  Stuporos-manische  Kranke. 

XJnter  die  stuporos-manischen  Kranken,  die  >Mischzustande«, 
rechnen  wir  alle  diejenigen  Falle,   bei  denen  sich  die  Symptome  der 


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Untersiichungen  iiber  die  Schrift  Qesiinder  nnd  Geisteskranker.  511 

manischen  Erregung  mit  denen  der  Depression  oder  der  Hemmung 
in  irgend  welcher  Combination  zusammengesellen.  Solche  Kranke 
werden  nach  den  iiblichen  Nomenclaturen  theils  zur  Manie,  theils 
zur  Melancholic,  theils  zur  Verwirrtheit  oder  znm  Stupor,  wohl  auch 
zur  acuten  Paranoia  gerechnet.  Sic  sind  aber  klinisch  in  Bezug  auf 
Entstehung  und  Verlauf  und  Prognose  zusammengehorig.  Ob  sic 
auch  gemeinsame  psychologische  Kennzeichen  besitzen,  soil  hier  fiir 
das  psychomotorische  Grcbiet  untersucht  werden.  Dass  sich  zu  dem 
Bild  der  reinen  Manie,  wenigstens  in  der  Reconvalescenz,  Hemmungs- 
erscheinungen  hinzugesellen  konnen,  zeigte  uns  schon  der  Kranke  VII. 
Auch  die  Falle  VJLLL,  IX  und  X  wiirden  wohl  iiberall  unter  die 
Manien  gerechnet,  wahrend  XI  im  allgemeinen  den  Typus  des 
Stupors  zeigt.  Wir  haben  also  directe  klinische  Ankniipfungspunkte 
zur  Greniige  an  die  beiden  ersten  Gruppen. 

Fall  Vlii.  K.  Sch.,  59  Jahre  alter  Bauer,  nicht  erblich  belastet. 
Mit  27  Jahren  war  er  ein  Jahr  lang  in  Illenau,  tobsuchtig.  Dann 
blieb  er  gesund  bis  Juli  1896.  Er  wurde  redselig,  machte  unnothige 
Einkaufe,  renommirte.  Hier  ist  er  unruhig,  auBert  unsinnige  Gros- 
senideen,  er  habe  5  Millionen,  mache  Rothschild  bankerott,  das  Haus 
gehore  ihm  etc.  Er  treibt  allerlei  kleinen  Unfug,  ist  aber  im  Ganzen 
recht  unproductiv.  Patient  ist  ein  sehr  plumper,  schwerfaUiger 
Mensch.  In  der  langen  Zwischenzeit,  zwischen  den  beiden  manischen 
Erregungen,  soil  er  mehrfach  leicht  deprimirt  gewesen  sein  und 
Lebensuberdruss  geauBert  haben. 

Fall  IX.  M.  M.,  53jahriger  Landwirth,  belastet.  Er  erkrankte 
zum  ersten  Mai  im  48.  Lebensjahr  mit  Depression,  Angst,  Verfol- 
gungsideen.  Dieser  Zustand  dauerte  9  Monate;  vom  April  bis  No- 
vember 1888  war  er  in  der  Heidelberger  Klinik.  April  1889  setzte 
eine  heftige  manische  Erregung  ein  mit  Verwirrtheit,  Singen,  Gewalt- 
thatigkeit.  Die  dritte  Erkrankung  begann  im  April  1894.  Er  war 
zunachst  einige  Wochen  heiter,  ausgelassen,  unruhig;  dann  entwickelte 
sich  ein  schwerer  Stupor,  aus  dem  er  allmaMich  erwachte.  Jetzt  ist 
Patient  seit  Mitte  1896  manisch.  Unsinnige  GroBenideen,  Ideenflucht, 
Bewegungsdrang;  dabei  ziemlich  unproductiv.  Ganz  voriibergehend 
war  er  auch  leicht  deprimirt. 

Fall  X.  M.  Sch.,  26  Jahre  alte  Fabrikarbeiterin.  Patientin 
erkrankte  zum  ersten  Mai  mit  18  Jahren,  im  December  1888;    sie 

Kraepelin,  Pnycliolog.  Arbeiten.  H.  34 


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512  Adolf  GroB. 

wurde  angstlich,  schlaflos,  arbeitsunfahig;  hysterische  Symptome.  Am 
7./n.  89  wurde  sie  entlassen  und  blieb  dann  gesund  bis  zum  Februar 
1893;  sie  war  damals  angstlich,  schlaflos,  gehemmt,  hallucinirte. 
Mitte  April  93  wurde  sie  dann  manisch:  sie  sang,  schimpfte,  schmiickte 
sich,  schwatzte,  war  dabei  wenig  productiv.  Im  August  war  sie 
wieder  kurze  Zeit  leicht  deprimirt,  wurde  im  September  geheilt  entn 
lassen.  Die  letzte  Erkrankung  begann  im  December  1896;  Patientin 
war  lustig,  erotisch,  reizbar,  schmiickte  sich;  dabei  recht  stuporos. 
Jetzt  ist  sie  vrieder  gesund. 

Fall  XI.  K.  L.,  51  Jahre  alte  Wittwe.  Sie  war  mit  18  Jahren 
kurze  Zeit  deprimirt,  machte  sich  Selbstvorwurfe.  Mit  28  Jahren 
war  sie  ein  halbes  Jahr  lang  geisteskrank;  Stupor  mit  Selbstvorwiirfen, 
Nahrungsverweigerung  und  mit  manischen  Ziigen.  DerZustand  war 
genau  derselbe  wie  bei  der  jetzigen,  22  Jahre  spater  liegenden  Er- 
krankung. Im  Sommer  1896  wurde  sie  aufgeregt,  schlaflos,  machte 
sich  Selbstvorwurfe.  Im  October  1896  wurde  sie  hier  aufgenommen. 
Sie  war  besonnen,  stark  gehemmt,  angstlich,  dabei  erotisch,  queru- 
lirend,  anspruchsvoll.  Es  entwickelte  sich  ein  schwerer  Stuporzu- 
stand,  unterbrochen  durch  manische  Handlungen  und  bei  manischer 
Stimmung.  Dieser  Zustand  dauert  noch  jetzt  an,  beginnt  sich  jedoch 
allmahlich  zu  bessem. 

Fall  Xn.  M.  U.,  40  Jahre  alte  Flaschnersfrau.  24  Jahre  alt, 
machte  sie  eine  kurzdauemde  Psychose  unbekannten  Charakters  durch. 
Vier  Jahre  darauf,  18S8,  wurde  sie  schlaflos,  verwirrt,  sang,  lachte 
viel,  auBerte  GroBenideen ;  zeitweise  hatte  sie  Angst  und  aB  scldecht, 
Sie  hallucinirte,  fasste  schlecht  auf,  verkannte  die  Personen  ihrer 
XJmgebimg.  Nach  etwa  einem  Jahr  wurde  sie  wieder  gesund.  Im 
Marz  1895  erkrankte  sie  wieder,  war  erregt,  verwirrt,  sang,  betete. 
Rededrang,  Ideenflucht,  Ablenkbarkeit,  Sinnestauschungen,  heitere, 
ausgelassene  Stimmung  wechselt  mit  Reizbarkeit,  Depression,  Ver- 
folgungsideen;  dabei  immer  erregbar,  ideenfluchtig ;  pathetische  Sprache, 
Schwerbesinnlichkeit.     Dieser  Zustand  dauert  noch  jetzt  fort. 

Fall  Xm.  R.  F.,  27  Jahre  alte  Taglohnersfrau.  Nachdem 
Patientin  in  der  Graviditat  deprimirt  gewesen  war,  Todesgedanken 
geiiuBert  hatte,  wurde  sie  im  Anschluss  an  die  Geburt,  im  April  96, 
unruhig ,  Uef  herum,  auBerte  Verfolgungsideen ,  Suicidgedanken.  Im 
Januar  97     wurde    sie    hier   aufgenommen.     Sie   war   orientirt  und 


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Untersiiehun^en  Ober  die  Scbrifl  Gesunder  nnd  Geisteskranker.  513 

besonnen,  gehemmt,  denkunfahig,  machte  sich  Selbstvorwiirfe.  Dabei 
war  sie  lustig,  lachte,  ging  auBer  Bett.  Rededrang  und  depressive 
Ideen,  Rathlosigkeit.  Ihr  Zustand  besserte  sich  allmahlich,  blieb 
immer  eine  innige  Mischung  von  Hemmung  \md  Denkerschwerung 
mit  Hypomanie.  Am  15./VL  97  wurde  sie  entlassen  und  ist  jetzt 
leicht  hypomanisch. 

Fall  XrV.  Ch.  B.,  36  Jahre  alte  Bureaudienersfrau.  Mit  17 
Jahren  war  sie  eine  Zeit  lang  sehr  niedergeschlagen.  Im  22.  Jahre 
wurde  sie  schwermiithig,  hatte  triibe  Gedanken,  Versiindigungsideen, 
war  3/4  Jahr  in  lUenau.  Sie  blieb  dann  14  Jahre  gesund  bis  zum 
Sommer  1896.  Dann  wurde  sie  deprimirt,  hatte  Angst,  machte  sich 
Vorwiirfe.  Zeitweise  war  sie  ganz  stuporos  und  gehemmt;  dazvrischen 
heiter.     Ideenflucht  mit  depressiven  AeuBerungen. 

Fall  XV.  E.  Sch.,  23  Jahre  altes  Dienstmadchen.  Seit  4  Jahren 
hat  Patientin  eine  ganze  Reihe  von  kurzdauemden,  leichten  Depres- 
sionszustanden  durchgemacht.  Im  December  96  erkrankte  sie  wieder 
und  wurde  am  S./HI.  97  hier  aufgenommen.  Sie  war  orientirt,  be- 
sonnen, verstandig,  nicht  gehemmt,  aber  entschlussunfahig.  Ihre 
Stimmung  ist  ein  Gemisch  von  Depression  und  Euphoric.  Denker- 
schwerung. Im  Ganzen  sehr  leichter  Zustand.  AllmahlicheBesserung. 
Jetzt  ist  sie  gesund. 

Die  Schreibgeschwindigkeit  der  Linien  ist  bei  alien  ersten  Ver- 
suchen  sammtlicher  Versuchspersonen,  mit  Ausnahme  von  XV  und 
XIV,  stark  verlangsamt.  Die  durchschnittlichen  Schreibzeiten  fiir  den 
Millimeter  betragen  das  drei-  bis  achtfache  der  Norm.  Auch  der 
zweite  Versuch  von  XI,  der  bei  fast  unveranderter  psychischer  Ver- 
fassung  der  Kranken  vorgenommen  wurde,  gleicht  dem  ersten.  Da- 
gegen  Uegt  der  zweite  Versuch  von  XTTT  an  der  untem  Grenze,  der 
dritte  vneder  ein  wenig  dariiber.  Bei  jenem  war  die  Kranke  rein 
hypomanisch,  bei  diesem  wieder  etwas  deprimirt.  Die  Patientin  XV 
hatte  eine  so  leichte,  kaum  merkliche  Depression,  dass  eine  moto- 
rische  Verlangsamung  auch  im  Experiment  nicht  hervortrat  Patientin 
XrV  war  zur  Zeit  dieses  Versuchs,  der  eine  unbedeutende  Erschwe- 
rung  der  Bewegung  ergab,  bereits  in  der  Reconvalescenz.  Aus  einem, 
Ubrigens  sonst  nach  anderem  Plan  angestellten  friiheren  Versuch  aus 
der  acuten  stuporosen  Zeit  dieser  Kranken  war  ich  in  der  Lage, 
zwei  10  cm  lange  Linien  zum  Vergleich  heranzuziehen,   die  34  und 

34* 


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514 


Adoir  Gro6. 
Tabelle  XXXIV. 


Mm.  Schrz. 
d.  Linien 

vm 

IS.ITT. 

DC 

12.  IV. 

X 

lo.m. 

XEa 
24.m. 

Xlb 
7.V. 

xn 
i2.m. 

xnia 
24.  m. 

xmb 

7.V. 

xmc 

17.  VI. 

XIV 

ii.m. 

XV 

8.m 

1 

42 

58 

21 

55 

41 

108 

36 

17 

16 

16 

6 

2 

21 

35 

28 

25 

38 

79 

34 

12 

15 

15 

6 

3 
4 

19 

33 

27 

16 

35 

53 

23 

12 

15 

13 

8 

16 

37 

29 

22 

33 

66 

24 

10 

13 

17 

7 

D         1 

25 

41 

26 

30 

37 

77     1     29 

13 

15 

15 

7 

Mm.  Pehler 
d.  Linien 

vm 

IX 

X 

XIa 

Xlb 

xn 

xma 

xmb 

xmc 

XIV 

XV 

1 

+  45 

—  8 

-23 

—  1 

+  3 

+  2 

+  3 

2 

+  9 

+  3 

+  3 

+  2 

+  2 

—  4 

3 

+  3 

+  2 

+  3 



+  1 

—  12 

+  1 

+  4 

—  2 

4 

+  2 

—  2 

+  2 

+  4 

+  4 

—  1 

ImCihinzen 

+  5 

+  54 

—  2 

—  18 

0 

+  1 

-13 

+  7 

+  3 

+  12 

—  4 

Druck 
d.  Linien 

vm 

XI 

X 

XIa 

Xlb 

xn 

xma 

xmb 

xmc 

XIV 

XV 

1 

360 

160 

200 

160 

180 

170 

110 

180 

170 

200 

110 

2 

380 

70 

220 

230 

180 

170 

80 

120 

150 

200 

100 

3 

390 

90 

200 

220 

200 

130 

80 

120 

130 

180 

80 

4 

360 

80 

240 

200 

200 

150 

80 

120 

150 

200 

90 

D 

373 

100 

215 

203 

190 

155 

88         135 

150 

195 

95 

B2er  Millimeterschreibzeit  darboten.  Damals  war  also  eine  starke 
Verlangsamung  da.  Auch  bei  der  Patientdn  XIU  zeigt  ein  alterer 
Vorrersuch  eine  noch  starkere  Hemmung,  als  der  am  24./III.  ange- 
stellte  (34(7).  Der  Schreibdruck  bietet  nicht  viel  pathologisches. 
Bei  XV  ist  er  herabgesetzt,  ebenso  bei  IX  und  XJH,  bei  Vlll 
wenig  gesteigert. 

Bei  der  Ausfiihnmg  der  Linien  finden  wir  Fehler  nach  beiden 


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Unterauebungen  fiber  die  Sehritt  flesunder  nud  Geisteskranker. 


516 


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516  Adolf  Gro6. 

Seiten,  nach  der  positiven  wie  der  negativen.  Stairk  iiber  das  Ziel 
hinausgef  ahren  ist  IX,  und  zwar  am  meisten  in  der  ersten,  am  lang- 
samsten,  aber  mit  starkstem  Druck  geschriebenen  Linie,  weniger  XIV. 
Viel  haufiger  ist  die  Bewegung  schon  vor  dem  Ziel  zum  Stillstand 
gekommen,  so  u.  a.  auch  bei  XV.  Bei  XTTT  finden  wir  starken 
Fehler  nach  der  negativen  Seite  zur  Zeit  der  starkeren  Hemmung; 
den  starksten  positiven  bei  dem  Versuch  am  7./V.,  als  die  bypoma- 
nische  Erregung  vorwiegend  war.     Der  Versuch  XTTTb  halt  die  Mitte. 

Die  Besprechung  der  Art  der  Ausfuhrung  des  Buchstabens  »tn« 
und  der  Zahl  » t «  kann  gemeinsam  erf olgen,  da  diese  beiden  Schrift- 
zeichen  bei  alien  Versuchspersonen  in  ihren  Eigenschaften  uberein- 
stimmen.  Jedoch  unter  den  einzelnen  Versuchspersonen  herrschen 
eine  Reihe  von  Verschiedenheiten.  Um  iiber  diese  Verhaltnisse  einen 
verstandlichen  Ueberblick  geben  zu  konnen,  babe  ich  die  Versuchs- 
personen nach  den  Werthen,  die  ich  fiir  Dauer,  MilUmeterschreibzeit, 
Lange  und  Druck  erhalten  babe,  geordnet  und  nach  ihrem  Verhalt- 
niss  zu  den  Normalversuchen  in  iibe^rmaximale,  ubermittlere,  unter- 
mittlere,  unterminimale  eingetheilt,  wie  ich  es  friiher  beschrieben 
habe.  Bei  XI  verhalten  sich  die  beiden  Versuchsreihen  ganz  gleich- 
milBig.  Xin  war  jedoch  an  den  drei  verschiedenen  Versuchstagen 
nicht  in  demselben  Zustand  und  entsprechend  sind  auch  die  Residtate 
nicht  gleich.  Hier  wurde  vorderhand  nur  der  erste  Versuch  zum 
Vergleich  herangezogen. 

XJebermaximale  Werthe  finden  wir  iiberwiegend  fiir  die  Gresammt- 
dauer :  5  fiir  die  Dauer  des  Buchstaben,  6  fur  die  der  Zahl.  Ueber- 
mittel  sind  2  Buchstaben  und  2  Zahlen,  untermittel  ein  »m«. 
Aehnlich  verhalt  es  sich  mit  der  Schreibzeit  pro  Millimeter:  5  Buch- 
staben, 4  Zahlen  iibermaximal ,  2  Buchstaben,  3  Einer  iibermittel, 
eine  Zahl  und  ein  »m«  (XV)  untermittel. 

Die  Lange  der  Schriftzeichen  ergiebt  ein  anderes  Bild:  Ueber- 
maxiraal  ist  kein  Werth;  5  Buchstaben,  3  Zahlen  iiber-,  3  Buch- 
staben, 5  Zahlen  untermittel. 

Beim  Druck  schlieBlich  iiberragt  nur  eine  Versuchsperson  in  den 
Einern  die  Mitte;  alle  andem  haben  schwiicheren  Druck.  Das  >m* 
ist  von  dreien  mit  iiber-,;  von  fiinfen  mit  untermittlerem  Druck 
geschrieben. 

Mit  ihi*em  Minimalwerth  fiir  die  MiUimeterschreibzeit  iiberragen 


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Untersuchungen  dber  die  Sehrifl  Gesunder  uDd  Geisteskraoker. 


517 


noch  das  Maximum  der  Normalen  2  Kranke:  XI  und  XTT.  Die 
kleinsten  Schreibzeiten  fiir  die  Einer  sind  im  iibrigen  zweimal  iiber- 
und  viermal  untermitteL 

Unterminimale  Werthe  kommen  iiberhaupt  nicht  vor. 

Tabelle  XXXVII. 


Veranderung   VHI 
iafi         I3.in. 

IX         X       XIa  '  Xlb 
12.IV.  lO.m.  24.m.|  -.V. 

xn 
i2.m. 

xnia 
24.  m. 

xmb 

7.V. 

xmc 

17.  VI. 

XIV 

ii.ni. 

XV 

8.UI. 

100  '""*■        B.  0 

+  7 

-  76,2  -  80,3 

—  62,9 

+  46? 

+  25 

-r-  0 

-9,1 

—  34 

—  35,7 

«     1 

-+-" 

+  124 

+  13 

+  47     +33 

+  40 

+  33? 

=fo 

+  21 

+  7,5 

+  52 

-14,8 

MillimeterRchreibzeit 

ivm 

rx 

X 

+  14,3 

XIa 

b 

xn 

—  18,2 

xraa 

b 

c 

XIV 

XV 

100  '"^^^ 
a      , 

+  37,4 

—  6,7 

+  20 

+  14,3 

—  54,5 

—  50 

—  44,4 

q=o 

-8,3 

100  ^*-^^ 

j^  ^ 

TO 

TO 

TO 

TO 

-39,1  +  100  j— 16,7 

+  40 

—  33,3 

^0 

100       ^ 

Schreibweg 

' 

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IX 

X 

XIa 

b 

XU 

xma 

b 

c 

XIV 

XV 

100  '«-*'! 

a 

+  73,6 

+  11,6  +21 

+  46,6 

+  25 

+  12,1 

-10,5 

-9,5 

+  0 

-6,2 

+  25 

100  '*-"': 

—  30,5 

-10,3,+ 30,4 

—  22,7 

4-  40  j—  42,8 

-11,2 

qiO       zpO 

^0 

:fo 

Druck 

Die  Eigenschaften  der  Bewegung  andem  sich  wahrend  des 
Scbreibens  und  mit  dem  Begimi  des  Rechnens  im  allgemeinen  in 
demselben  Sinne  wie  bei  Gesunden.  Theils  ist  diese  Verilnderung 
allgemeiner,  theils  auch  weniger  gleichmaBig  als  bei  diesen.  Die 
Geschwindigkeit  nimmt  im  Verlaufe  des  Scbreibens  in  5  von  8  Fallen 
zu,  in  3  ab;  der  Druck  nimmt  sechsmal  zu  imd  nur  zweimal  ab. 
In  Bezug  auf  die  Lange  dagegen  wiegt  die  Abnahme  wahrend  des 
Scbreibens  vor:  4  gegen  3;  einmal  bleibt  sie  gleich.  Die  Beeinflus- 
sung  durch  die  Rechenarbeit  ist  iiberall  eine  der  Norm  entsprechende: 


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518  Adolf  Grofi. 

Verlangsamung  der  Greschwindigkeit  secbsmal,  einmal  Beschleonigimg, 
einmal  Gleicbbleiben;  abnebmender  Scbreibweg  dreimal,  einmal  Zu- 
nabme,  viermal  Gleicbbleiben ;  Abnabme  des  Dru(^  funfmal.  einmal 
Anwacbsen,  zweimal  Gleicbbleiben. 

Vergleicben  wir  die  procentuale  Veranderung  von  Gescbwindig- 
keit,  Lange  nnd  Dnick  der  einzelnen  stuporos-maniscben  Kranken 
mit  den  Mittelwerthen  bei  Gesnnden,  so  ergiebt  sicb  folgendes: 
Wabrend  des  Sebreibens  nimmt  die  Gescbwindigkeit,  die  scbon  unter 
normalen  Verbaltnissen  wacbst,  bier  nocb  mebr  zu;  nnter  den  8 
Wertben  von  Miscbfallen  zeigen  5  starkere,  3  geringere  Zunabme 
als  das  Stellungsmittel  der  Gesunden,  Beim  Druck  liegen  4  Wertbe 
iiber  und  4  unter  dem  Mittel;  docb  kann  man  bier  dennocb  die 
Zunabme  als  die  Norm  iiberwiegend  betracbten,  da  eine  Zunabme 
das  Maximum  des  Normalen  iibersteigt.  Von  den  Veranderungen 
der  Lange  des  Sebreibwegs  der  Zabl  »1«  liegen  3  iiber,  5  unter 
dem  Mittel.  Hier  tiberwiegt,  wie  scbon  erwabnt,  im  Gregensatz  zu 
den  Gesunden  sogar  die  Abnabme.  Die  Veranderungen,  die  sicb  mit 
Beginn  des  Recbnens  einstellen,  zeigen  gegeniiber  der  Norm  keine 
groberen  Unterscbiede. 

Von  den  einzelnen  Versucbspersonen  ist  nocb  folgendes  anzu- 
fiibren.  Vlll  zeigt  durcbweg  Veranderungen  der  verscbiedenen 
Seiten  der  Scbreibbewegung  in  der  Bicbtung  der  Mebrzabl  der  Ge- 
sunden. Sicber  patbologiscb  ist  die  Zunabme  der  Gescbwindigkeit 
wabrend  des  Sebreibens,  die  Abnabme  mit  dem  Recbnen.  Beide 
Wertbe  iibertreffen  das  normale  Maximum.  Patient  VlLL  ist  der- 
jenige  Kranke  unter  den  bei  den  Miscbzustanden  besprocbenen,  der 
der  vorigen  Gruppe  kliniscb  am  nacbsten  stebt.  Eine  patbologiscb 
Starke  G^scbwindigkeitszunabme  wabrend  des  Sebreibens  seben  wir 
auBerdem  nocb  bei  XI  in  ibren  beiden  Versucben  und  bei  X.  Eine 
ganz  eigene  Stellung  nimmt  XII  ein.  Leider  ist  dieser  Versucb 
nicbt  vollig  zuverlassig,  da  die  Druckcurve  durcb  Beriibren  der 
Scbreibplatte  mit  dem  kleinen  Finger  beeintracbtigt  worden  ist  Icb 
babe  sie  so  gut  wie  moglicb  reconstruirt.  Durcb  das  Schreiben 
wie  durcb  das  Eecbnen  wird  die  Grescbwindigkeit  verlangsamt,  die 
Zablenlange  verkiirzt  Der  Druck  jedocb  steigt  wabrend  des 
Sebreibens  in  ganz  abnormem  Grade  an,  um  dann  weitaus  am  stark- 
sten  von  alien  Versucbspersonen  durcb  die  beginnende  Denkarbeit 
berabgedrlickt  zu  werden. 


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Untetsuehaogeo  fiber  die  Sehrlft  Gttuoder  and  Geistesknnker. 
Tabelle  XXXViil. 


519 


G««ammt- 
dauer  der 

vm 

IX 

X 

XIa 

b 

xn 

KTHa      b 

c    !xrv 

1 

XV 

Zahlen 

6 

117 

79 

57 

104 

107 

130 

50 

48 

52         68 

1 

58 

'^  Pausen 

63 

36 

63 

38 

46 

24 

30 

19 

22         24 

22 

Sunmae 

180 

115 

120 

142 

153 

154 

80 

67 

74 

92 

80 

Die  Gesammtdauer  aller  Zahlen  ist  fast  durchweg  groBer 
aJs  die  extremsten  von  Gesiinden  erhaltenen  Werthe.  Bei  Gresunden 
nur  in  sehr  enger  Breite  variirend,  ist  sie  unter  den  hier  vorliegenden 
Fallen  sehr  verschieden.  An  der  unteren  Grenze  der  G^sundheits- 
breite  liegt  noch  XIH  in  alien  3  Versuchen  (a,  b  und  c);  urn  ein 
gei-inges  langer  sind  X  und  XV;  deutlich  vergroBert  ist  schon  die 
Dauer  von  XIV  und  noch  mehr  von  IX.  Mehr  als  doppelte  Dauer 
finden  wir  bei  XI,  in  gleicher  Weise  an  beiden  Versuchstagen,  bei 
vm  und  XTT;  es  sind  das  diejenigen  Versuchspersonen  bei  denen 
die  Dauer  der  Einer  allein  ebenfalls  mehr  als  verdoppelt  ist;  IX  zeigt 
auch  in  den  Einem  die  nachstgroBe  Verlangerung.  Die  vier  Ver- 
suchspersonen mit  groBter  Schreibdauer  fUr  die  Einer  allein  und 
fiir  alle  Zahlen  der  Reihe  nach  nebeneinander  gestellt,  ordnen  sich 
folgendermaBen  an: 


Alle  Zahlen: 

xn 
vm 

XI6 
XIa 
IX 


Einer: 

xn 

XI& 
XIa 

vm 

IX 


Ich  mochte  noch  auf  die  geringen  Unterschiede  der  Zahlen  fiir 
die  2  Versuche  von  XI  und  die  3  von  XTTT  hinweisen. 

Die  Summe  aller  Pausen  zwischen  den  Zahlen  zeigt  eine  Ver- 
groBerung  auf,  das  Dreifache  des  normalen  Mittels,  das  Doppelte 
des  Maximums  bei  VLU  und  X.  Von  jenem  Kranken  wurde  in 
der  kurzen  Krankengeschichte  schon  erwahnt,  dass  er  ein  auffallend 
schwerfalliger  Mann  ist;  X  ist  in  leichtem  Grade  imbecill.  AuBer- 
halb  der  Gesundheitsbreite   fallen  noch  XI  und  EX,   XI   an  dem 


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5?0 


Adolf  GroB. 
Tabelle  XXXTX. 


Pausen- 
gruppe 

-vui 

IX 

X 

XIa 

b 

xn 

XTHa 

b 

C 

XIV 

XV 

a: 

20 
16 

12 

26 

12 

23 

17 

8 

6 

6 

9 

8 

1      b: 

10 

27 

17 

14 

4 

10 

6 

7 

8 

8 

c: 

27 

U 

10 

9 

9 

3 

12 

7 

9 

7 

6 

Tage  der  groBeren  Schreibdauer  in  wesentlich  hoherem  Grade.  Die 
Dauer  der  Pausen  von  XTT,  XTTT,  XIV  und  XV  ist  nicht  patholo- 
gisch;  sie  entspricht  normalen  Mittelwerthen  mit  Ausnahme  des 
ersten  Versuchs  von  XTTT,  der  an  der  unteren  Grenze  der  G^sun- 
den  steht. 

Die  Anordnung  der  Pausen  in  3  Gruppen  ergiebt,  dass  unter  den 
4  Pei'sonen,  deren  Pausendauer  insgesammt  nicht  verlangert  ist, 
die  drei  letzten  in  den  einzelnen  Gruppen  sich  ziemlich  gleichmaBig 
verhalten.  Ganz  anders  ist  es  bei  XTT.  Hier  wird  die  normale 
Summe  dadurch  erzeugt,  dass  die  Dauer  der  Pausen  anfangs 
gegen  die  Norm  stark  verlangert,  in  der  zweiten  und  dritten  Gruppe 
jedoch  fast  ebenso  ausgiebig  verkurzt  ist.  Betrachten  wir  die  Dauer 
der  einzelnen  Pausen,  so  zeigt  es  sich,  dass  diese  Verlangsamung 
wie  Verkiirzung  hervorgerufen  ist  durch  eine  gleichmaBige  Verande- 
rung  der  in  Betracht  kommenden  Pausen.  Eine  gleichmaBige  Ver- 
breiterung  der  zeitlichen  Intervalle  zwischen  den  Zahlen  liegt  bei 
Vin  vor,  wobei  allerdings  das  Ueberwiegen  der  dritten  Gruppe  auf 
Kosten  einer  besonders  breiten  Pause  kommt.  Dagegen  beruht  das 
Starke  Ueberwiegen  der,  ohnehin  verlangerten,  ersten  und  zweiten 
Gruppe  der  Pausen  iiber  die  dritte  bei  X  und  die  erste  iiber  die 
beiden  andem  bei  XI 6  auf  2  resp.  einem  besonders  groBen  Werthe. 
Dieser  Werth  bedingt  auch  allein  den  Unterschied  in  der  G^sammt- 
pausenlange  zwischen  XIa  und  XI6. 

Die  Dauer  der  Innenpausen  ist  bei  VHI,  IX  und  XI  etwa 
auf  das  Doppelte  des  Maximums  der  Gesunden  vergroBert  Bei  IX 
und  XTTT  ist  sie  wenig  langer  als  das  Maximum,  deckt  sich  mit 
diesem  bei  XJV.  Der  Versuch  XV  sowie  der  zweite  und  dritte  von 
XIII  bieten  Mittelwerthe.     Bei  XII  konnten  aus  dem  friiher  ange- 


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Uotereachimgen  Qber  die  Schrifl  Gesunder  iind  Geisteskranker. 


521 


gebenen,  in  einer  Versuchsstorung  liegenden  Grande  die  Innenpausen 
nicht  bestinnnt  werden. 

Tabelle  XL. 


Innenpausen  TrrTT 

m         j 

IX 

X 

XIa 

b 

xn 

xma 

b 

c 

XIV 

XV 

VwSeo. 

20 

20 

11,7 

20 

15 

? 

13,3 

7,7 

7,7 

10 

7,5 

Tabelle  XLI. 


Subtractions- 

aufgabe        Vm 
in  Vio  Sec. 

rx 

X 

XIa 

b 

xn  xma 

b 

c 

XIV 

XV 

Zahlen 

? 

103 

67 

125 

155 

115 

59 

78 

68 

52 

Fausen 

? 

74 

158 

249 

271 

;    270 

203 

137 

42 

73 

Summe 

? 

175 

225 

374 

426 

410+? 

385 

262 

215 

110 

125 

Fehler 

'     \    ' 

0 

0 

0 

2  +  ? 

0 

1 

0 

0 

0 

Die  durchschnittliche  Zeit,  welche  zur  Losung  der  fortlaufenden 
Subtraction  von  3  von  20  abwarts  bei  Gesiinden  nothwendig  ist 
betragt  9,7  Secunden  im  Stellungsmittel,  10,7  im  arithmetischen 
Mittel.  Nehmen  wir  10  Secunden  als  Mittel  an,  so  hat  keine  Ver- 
suchsperson  rascher  gerechnet.  Als  in  die  Normalbreite  fallend 
miissen  XIV  und  XV,  kann  allenfalls  noch  IX  angesehen  werden. 
Alle  andem  sind  sicher  pathologisch,  am  meisten  XTT.  Diese  Frau 
brachte  die  Eechnung  uberhaupt  nicht  vollig  zuStande;  sierechnete  miih- 
sam  20  —  17  —  13  —  11  und  dann  versagte  es.  Bei  XI  und  XTTT,  die 
beide  starke  Denkhemmung  darbieten,  gestaltet  sich  das  Verhaltniss 
der  einzelnen  Versuche  verschieden.  Am  ersten  Versuchstage  finden 
wir  bei  beiden  eine  Verlangerung  der  Subtractionszeit  auf  etwa  das 
Vierfache;  aber  wahrend  bei  XI  diese  im  zweiten  Versuch  sich  noch 
etwas  steigert,  nimmt  sie  bei  XTTT  von  Versuch  zu  Versuch  fort- 
dauemd  ab.  Bemerkenswerth  ist  dabei  das  Verhalten  der  Zahlen 
und  der  Intervalle  gesondert  betrachtet,  verglichen  mit  der  Verande- 
rung  der  Schreibbewegung  von  einem  zimi  andem  Versuchstag.    Bei 


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522  Adolf  GroB. 

XI  nimmt  Zahlen-  und  Pausendauer  zu,  bei  XTTT  die  Pansendauer 
progressiv  ab,  die  Dauer  der  Zahlen  allein  zwar  auch  zunachst  ab, 
dann  aber  wieder  zu.  Tabelle  XXXVm  zeigte,  dass  sich  die  zehn 
Zahlen  an  den  verschiedenen  Versuchstagen  ebenso  zu  einander  ver- 
halten  wie  hier  die  Zahlen  der  Subtractionsaufgabe. 

Tafel  Vii  giebt  Drucklinien  von  stuporos-manischen  Kranken. 
Am  nachsten  den  manischen  Curven  steht  die  des  Buchstaben  »m«  des 
Patienten  IX.  Wir  sehen  daran  den  verzogerten  und  dabei  un- 
ruhigen  Ablauf  der  Bewegung,  die  Steigerung  des  Drucks  am  Schlusse 
mit  den  verhaltnissmaBig  starken  Nachschwingungen.  Viii  und  XTT, 
von  denen  ich  je  einen  Buchstaben  wiedergegeben  habe,  zeigen  in  die 
Breite  gezogene  Curven  mit  starkem  Druck,  der  von  Erhebung  zu  Er- 
hebung  ansteigt.  Die  Bewegung  beginnt  ganz  allmahlich,  um  plotzlicb 
undy  besonders  bei  XII,  mit  ausgiebigen  Nachschwingungen  zu  enden. 
Von  dieser  letzten  Kranken  habe  ich  auBerdem  noch  das  erste  Drittel 
der  Druckcurve  einer  Linie  ausgezeichnet  Die  deutlich  sichtbare 
homformige  Erhebung  findet  sich  bei  alien  Linien  dieser  Kranken 
und  entspricht  einem  Stocken  im  Bewegungsablauf.  Dieses  Horn 
wird  gegen  die  vierte  Linie  zu  immer  kleiner.  Am  ahnUchsten  den 
rein  stuporosen  Curven  sind  die  von  der  Patientin  XI  erhaltenen, 
die  neben  allmahlichem  Einsetzen  des  Drucks  auch  ein  aUmahliches 
Schwinden  desselben  erkennen  lassen.  AuBer  der  Druckcurve  einer 
Linie  und  eines  »m«  habe  ich  hier  auch  die  eines  Punktes  gegeben, 
die  dieselben  Eigenthiimlichkeiten  darbietet.  Besonders  breit  sind 
die  DruckUnien  der  Punkte  bei  XIV,  die  auch  sehr  schon  5 — 6 
flache  Erhebungen  und  Thaler  erkennen  lassen. 

Wie  bei  Vlii  und  XTT  steigt  die  Druckcurve  des  Buchstabens 
»m*  auch  bei  XI  und  XV  staffelformig  an.  Es  sind  das  dieselben 
Kranken,  die  laut  Tabelle  eine  ubermittlere  Drucksteigerung  wahrend 
des  Zahlenschreibens  darbieten.  Bei  XV,  die  sich  durch  sehr  elegante 
und  zierUche  Drucklinien  auszeichnet,  ist  dies  das  einzig  bemerk^iis- 
werthe.  XTTT  und  XIV,  mit  abnehmendem  Druck  wahrend  des 
Zahlenschreibens,  lassen  auch  in  der  Curve  des  Buchstabens  »ni«  jede 
Andeutung  einer  Drucksteigerung  vermissen. 

Die  Schrif  tzeichen  der  StuiK)r68-manischen  sind,  Mrie  die  Bei- 
spiele  auf  Tafel  VI  zeigen,  meist  von  etwa  normaler  Form  und  GroBe, 


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Untersnehangen  fiber  die  Schrift  Gesiinder  iind  Geisteskranker. 
Zusammenfassung. 


523 


Die  zusammenfassende  Besprechung  der  psychomotorischen  Eigen- 
schaften  stoBt  hier  auf  wesentlich  groBere  Schwierigkeiten  als  bei  dem 
reinen  Stupor  oder  der  reinen  Manie.  Ich  werde  versuchen  das  Ge- 
raeinsame  hervorzuheben. 

Tafel  XLn. 


IJnter  den  Misch- 

zustanden 

haben: 

iiberm 

aximal 

1 

libermittel 
m          1 

unterraittel 
m        1 

unterminimal 
m         1 

Dauer 

5 

6 

2 

2 

1 

— 

— 

Millimeterschreibzeit 

5 

4 

2 

3 

1 

— 

— 

— 

Schreibweg 
Druck 

— 

— 

6 

3 

3 

5 

— 

— 

— 

— 

a 

1 

5 

7 

— 

— 

Dauer  und  MflUmeterschreibzeit  der  Schriftzeichen  liegen 
mit  je  einer  Ausnahme  unter  16  Werthen  liber  der  Mitte,  zum 
groBten  Theil  liber  dem  Maximum  der  Gesunden.  Diese  Kranken 
schliefien  sich  also  hierin  vorwiegend  an  die  Stuporosen  an  mit  ihrer 
verlangerten  Dauer  und  verlangsamten  Geschwindigkeit.  Die  Zahlen- 
groBe  ist  im  allgemeinen  der  Norm  entsprechend.  Alle  Werthe 
liegen  in  der  Gesundheitsbreite,  gleichmaBig  innerhalb  derselben  ver- 
theilt.  Der  Druck  liegt  allerdings  auch  durchweg  in  der  Breite  des 
Normalen;  doch  uberwiegen  die  untermittleren  Werthe  die  uber- 
mittleren  um  das  Dreifache.  Die  Druckverhaltnisse  neigen  also 
auch  mehr  nach  der  Seite  des  Stupors.  Die  Drucklinien  sind  zum 
Theil  in  die  Breite  gezogen  und  ahneln  dann  den  depressiven;  nur 
sind  sie  weniger  flach  und  auch  charaktervoller.  Ein  Stocken  im 
Ablauf  der  Bewegung,  Zaghaftigkeit  im  Ansetzen  ist  hie  imd  da 
nachweisbar.  Andere  Mischzustande,  imd  zwar  diejenigen,  welche 
klinisch  den  Manien  nahe  stehen,  zeigen  manische  Eigenthiimlich- 
keiten;  es  ist  dann  besonders  ein  allmahlicher,  stuporoser  Beginn  und 
ein  plotzlicher,  manischer  Schluss  die  Kegel. 

Die  Veranderung  der  Eigenschaften  der  Bewegung  durch  die 
motorische  Thatigkeit   schlieBt  sich  zum  Theil  an   die  Manie,  zum 


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524  Adolf  Gro6. 

andern  an  den  Stupor  an.  Greschwindigkeit  und  Druck  nehmen  all- 
gemeiner  nnd  zum  Theil  auch  starker  zu  als  normal,  entsprechen  der 
Veranderung  bei  der  Tobsucht;  in  Bezug  auf  die  Langenanderong 
der  Zablen  lehnen  sich  die  Mischzustande  an  die  reinen  Depressions- 
zustande  an;  die  Abnahme  der  Lange  iiberwiegt.  Das  Becbnen  be- 
einflusst  die  Bewegung  der  Norm  analog,  indem  die  Einer  an 
Gfescbwindigkeit,  Lange  und  Druck  abnehmen. 

Die  Gesammtdauer  aller  Zablen  ist  meist  vergroBert  und  zwar 
zusammenfallend  mit  der  Dauer  der  Einer  allein.  Die  Dauer  der 
Pausen  ist  zum  Tbeil  verlangert  (VUl,  X),  oder  sie  ist  im  ganzen 
normal.  Eine  deutlicbe  Aenderung  wabrend  des  Scbreibens  zeigen 
die  Pausen  nur  bei  einer  Versucbsperson,  bei  der  sie  anfangs  ver^ 
breitert  sind,  dann  progressiv  kiirzer  und  am  Ende  des  Scbreibens 
patbologiscb  kurz  werden^  um  so  zusammen  mit  der  Steigerung  des 
Drucks   auf  eine  ^ntstebende  motoriscbe  Erregung  binzudeuten. 

Die  Rechenleistung  ist  bei  keiner  der  Versucbspersonen  als  gut 
zu  bezeicbnen.  Zwar  fallt  die  Subtractionszeit  einiger  Kranken  nocb 
in  die  Gesundbeitsbreite;  doch  ist  sie  aucb  dann  langer  als  das 
Mittel.  Zum  groBten  Tbeil  ist  jedoch  diese  einfacbe  Denkarbeit 
sebr  erschwert,  bei  einem  Falle  bis  zu  volligem  Versagen.  Von  den 
beiden  Versucbspersonen,  die  leidlicb  recbnen  konnten,  war  die  eine 
Reconvalescentin,  die  Erkrankung  der  anderen  eine  auBerordentlich 
leicbte.  Bei  alien  bier  untersucbten  scbweren  Fallen  kann  man  eine 
Starke  Erscbwerung  des  Becbnens  als  intellectuelle  Hemmung  neben 
der  motorischen  fiir  ein  Kennzeicben  der  Misszustande  anseben. 

Von  den  zwei  mehr  als  einmal  untersucbten  maniscb-stuporosen 
Kranken  war  die  eine  an  beiden,  einen  Monat  auseinanderliegenden 
Versucbstagen  in  demselben  Zustand.  Die  beiden  Versucbe  gleicben 
einander  in  jeder  Beziebung  vollkommen.  Eine  zweite  Kranke  wurde 
dreimal  untersucht;  auBerdem  stehen  nocb  von  einem  Vorversuche 
aus  deren  stuporosester  Zeit  Linien  zur  Verfiigung.  Zur  Zeit  des 
ersten  Versuchs  der  bier  vorliegenden  Versucbsreibe  war  der  Zustand 
der  Bjanken  etwas  gebessert ;  am  Tage  des  zweiten  war  sie  rein  bypo- 
maniscb,  an  dem  des  dritten  wieder  mehr  depressiv.  Diese  Scbwan- 
kungen  in  dem  Zustande  der  Kranken  sind  auch  an  Theilen  der 
Versucbe  nacbweisbar.  Die  psycbomotoriscbe  Verlangsamung,  in  dem 
Vorversuche  sebr  deutlicb,  nabm  von  da  zum  ersten  Versucbe  deutlich 


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Untersuehnngen  fiber  die  Schrift  Gesonder  nod  Geisteskranker.  525 

ab  und  ist  an  dem  manischen  Tage  nirgends  nachweisbar.  An  diesem 
Tage  sind  jedoch  die  Fehler  in  der  Ausfuhrung  der  Linien  positiy; 
diese  iiberschreiten  das  Ziel,  wahrend  sie  an  den  depressiven  Tagen 
es  zum  Theil  nicht  erreichen.  Der  letzte,  leicht  depressive,  Versuch 
lasst  gegen  den  manischen  wieder  dnrchweg  eine  gewisse  psychomo- 
torische  Verlangsamung  erkennen.  Die  Erschwerung  des  Denkens 
nimmt  von  Versuch  zu  Versuch  ab,  ist  anfangs  sehr  stark  und  auch 
bei  der  Entlassung  der  Kranken  noch  nachweisbar.  Ich  mochte 
nicht  verfehlen,  darauf  hinzuweisen,  dass  sie  auch  in  der  Hypomanie 
deutlich  vorhanden  war.  AUerdings  war  an  diesem  Tage  die  Dauer 
aller  Zahlen  der  Subtractionsaufgabe  kiirzer  als  an  dem  letzten  mit 
leichter  Hemmung;  dafur  waren  die  Pausen  um  so  mehr  verlangert. 
Wir  sehen  also  hier  recht  deutlich,  wie  die  vorwiegende  manische 
Erregung  die  psychomotorische  Verlangsamung  wohl  aufhob,  jedoch 
die  Erschwerung  des  Denkens  bestehen  lieB. 

rv.  Remissionen  in  der  Manie. 

In  diesem  Abschnitt  sollen  diejenigen  Falle  besprochen  werden, 
bei  denen  im  Verlaufe  einer  Tobsucht  plotzlich  klare  Zwischenzeiten 
auftraten,  die  Stunden  bis  Tage  dauerten,  um  dann  dem  alten  Zu- 
stande  wieder  Platz  zil  machen.  Zwei  derartige  Falle  wurden  unter- 
sucht,  die  in  diesen  Remissionen  den  Eindruck  von  gesunden  Menschen 
machten,  bei  oberflachlicher  Betrachtung  nichts  auffallig  krankhaftes 
darboten.  Leider  war  es  nicht  moglich,  diese  beiden  Kranken  auch 
in  der  Tobsucht  zu  untersuchen.  Untersuehnngen  aus  der  manischen 
Zeit  und  aus  den  Remissionen  liegen  jedoch  vor  von  der  Patientin 
IV,  deren  manischer  Versuch  bei  dem  Kapitel  Manie  bereits  ge- 
schildert  wurde.  Die  Versuche  aus  der  Remissionszeit  sollen  hier 
Platz  finden,  wenn  es  sich  auch  nicht  eigentlich  um  lucida  intervalla 
handelt,  sondem  um  eingestreute  Depressionszustande  mit  Erregbar- 
keit  und  Ideenflucht,  also  lun  Mischzustande.  Diesen  sollen  die 
manischen  Resultate  ziun  Vergleich  noch  einmal  gegeniiber  gestellt 
werden. 

Fall  XVI.  E.  v.,  43  Jahre  alte  Naherin.  Mit  13  Jahren 
leichte  Depression.  Mit  16  Jahren  nach  vorausgegangener  Depression 
tobsiichtige  Erregung,  dann  Hypomanie.     Mit  18  Jahren  machte  sie 


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526  Adolf  Gro6. 

wiederum  eine  manische  Erregung  durch,  die  von  einer  Depression 
eroffnet  und  beschlossen  wurde.  Mit  22  Jahren  plotzlich  erregt,  ge- 
waltthatig,  dann  stuporos,  anscheinend  blodsinnig;  nach  2  Jahren 
plotzliche  Gtenesung,  1879.  Nun  blieb  sie  gesund  bis  Dezember  1895. 
Sie  wurde  angstlich,  hallucinirte,  klagte  iiber  Kopfschmerzen.  Im 
Anschluss  daran  versank  sie  in  manischen  Stupor ,  in  dem  sie  sicb 
jetzt  noch  befindet.  Dieser  Stupor  ist  unterbrochen  durch  heftige 
Erregungszustande  mit  ausgelassen  heiterer  Stimmung,  Ideenflucht, 
Gtewaltthatigkeit,  femer,  selten,  durch  Angstzustande,  schlieBUch 
durch  Remissionen,  in  denen  sie  orientirt,  besonnen,  geordnet,  ein- 
sichtig  ist,  sich  vollig  normal  benimmt,  nur  Miidigkeit  und  Schwer- 
besinnlichkeit,  dabei  deutliche  Euphorie  darbietet. 

Fall  XVn.  M.  K.,  18jahriges  Dienstmadchen.  Sie  erkrankte 
zum  ersten  Mai  im  Januar  1895  mit  15  Y2  Jahren,  an  einem  schweren 
Erregungszustand  mit  volliger  Verworrenheit,  heftigem  Bewegungs- 
drang.  Sie  beruhigte  sich  plotzlich,  bekam  einen  Stagigen  Ruckfall 
und  wurde  dann  gesund.  Von  da  an  hatte  Patientin  circa  alle 
5  Wochen  14  Tage  dauemde  leichte  Depressionen.  Im  Februar  1897 
wurde  sie  plotzlich  wieder  erregt,  kam  in  schwerster  Tobsucht  in  die 
Heidelberger  Irrenklinik;  Ideenflucht,  GroBenideen,  Bewegungsdrang. 
Dieser  Zustand  dauerte  bis  zum  2.  V.  97,  unterbrochen  von  einer 
Beihe  von  kurzdauemden  Bemissionen,  in  denen  die  Kranke  vollig 
klar,  einsichtig,  orientirt  und  besonnen  war.    Sie  ist  jetzt  gesund. 

Wir  haben  also  in  diesem  Blapitel  6  Versuche  zu  besprechen:  von 
IV  einen  manischen  (IV a),  2  depressive  (IVb  imd  IVc),  von  XVI 
einen  aus  der  Bemissionszeit,  von  XVTI  einen  aus  einer  kurzdauemden 
Bemission,  einen  zweiten,  der  wenige  Tage  nach  dem  Aufh5ren  der 
schweren  Erregung  in  leichter  Hypomanie  angestellt  wurde. 

Die  Schreibgeschwindigkeit  der  Linien  ist  bei  XVI  am  starksten 
verlangsamt,  auf  etwa  das  4 f ache  der  Norm,  verdoppelt  bei  dem 
Bemissionsversuch  von  XVii  und  noch  etwas  mehr  bei  IVb  und 
rVc.  Wie  der  manische  Versuch  von  IV  bietet  der  hypomanische 
von  XVn  etwa  normale  Durchschnittszeiten.  Im  Gegensatz  zu  dem 
rapiden  Anwachsen  der  Schreibgeschwindigkeit  bei  IVa  ist  die  Ge- 
schwindigkeit  der  4  Linien  bei  IVb  etwa  die  gleiche;  bei  IVc  folgt 
einem  Steigen  bis  zur  dritten  ein  Abnehmen  zur  vierten  Linie.  Bei 
XVn  fallt  ein  lebhaftes  Anwachsen  der  Schreibgeschwindigkeit  in 


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DDlersuehuDKen  Qber  die  Schrift  Gesnnder  nnd  Geisteskranker. 


527 


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8.  IV. 

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Kraepelin,  Psycholog.  Arbeiten.  II. 


35 


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528 


Adoir  GroO. 


der  Remission  auf.  Eigenartig  ist  das  Verhalten  der  Pehler.  Wie 
der  manische  ist  der  erste  depressive  Versuch  bei  IV  sehr  incorrect, 
wiihrend  beim  zweiten  nicht  halb  so  viel  Milliraeterfehler  vorliegen. 
Der  hypomanische  Versuch  von  XVII  zeigt  einen  5mal  so  starken 
Fehler  als  der  in  der  Remission,  welcher  sehr  correct  ausgefuhrt  ist; 
doch  ist  auch  der  andere  noch  correct  zu  nennen. 

Der  aufgewandte  Druck  ist  in  alien  drei  Versuchen  von  IV 
wesentlich  gesteigert;  in  alien  steigt  er  von  Linie  zu  Linie  an.  So- 
wohl  die  absolute  GroBe  des  Druckes  wie  die  Steigerung  von  Linie 
zu  Linie  ist  am  manischen  Tage  am  groBten.  Der  Druck  von  XVI 
steht  etwa  an  der  unteren  Grenze  der  Q^sundheitsbreite,  ebenso  der 
zweite  Versuch  von  XVII.  In  der  Remission  dieser  Patientin  finden 
wir  Herabsetzung  des  Drucks  unter  das  Minimum.  Die  VerS-nde- 
rungen  des  Drucks  gehen  iiberall  einigermaBen  der  Veranderung 
der  Geschwindigkeit  parallel.  So  haben  wir  auch  in  XVHa  aus- 
gesprocheneres  Anwachsen  als  in  XVlLb. 

Tabelle  XLIV. 


Buchstabe 

IVa 
8.  IV. 

IVb 
12.  IV. 

IVc 
15.  TV. 

XVI 

18.  m. 

XVTTa 
7.  IV. 

XVHb 
7.  V. 

Dauer 

800 
19 

1200 
24 

1800 

1200 

1800 

2900 

1400 

1600    1600 

1600 

1600 

Mm.  Schreibzeit 

45 

40 

500 

37 
32 

59 
32 

59 

44 

61 
26 

67 

43 

48 

Schreil)weg 
Druck 

43 
330 

49 
360 

51 

32 

24  j      37 

33 

500 

400 

300 

160 

160 1    190  1    280      210 

Lassen  wir  bei  Besprechung  der  Schriftzeichen  »m«  und  » 1  €  zu- 
niichst  den  Versuch  IVa  auBer  Betracht,  so  haben  die  iibrigen:  IVb 
und  c,  XVI,  XVHa  und  XVIIb  eine  Reihe  gemeinsamer  Eigen- 
thiimlichkeiten. 

Die  Dauer  aller  Schriftzeichen  ist  gcgen  die  Norm  verlangert, 
mit  Ausnahme  der  Einer  von  XVUb.  Die  Verltingerung  ist  ver- 
schieden  stark,  im  allgemeinen  bei  dem  Buchstaben  geringer  als  bei 
der  Zahl.  Diese  abnorme  Dauer  der  Schriftzeichen  ist  bedingt  durch 
die  Llinge  und  die  Geschwindigkeit  derselben.  Mit  Ausnahme  der 
Einer  von  XVII  a  ubersteigt  die  Schreibzeit  pro  Millimeter  nirgends 


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Untennchangen  ilber  die  Schrifl  Gesnnder  uiid  Geisteskranker. 
Tabelle  XLV. 


529 


Einer 
Durchschnitt 

IVa 
8.  IV. 

b 
12.  IV. 

c 

15.  rv. 

XVI 

18.  IV. 

XVHa 
7.  IV. 

b 
7.  V. 

Dauer 

492 

717 

658 

492 

433 

308 
57 

Mm.  Schreibzeit 

18,5 

35,3 

37,3 

48 

75 

Schreibweg 

27 

20,5 

17,7 

4J7 

9,7 

5,8 

5,5 

Druck 

617 

468 

200 

195 

200 

Einer 
Max.  und  Min. 

IVa 
8.  IV. 

b 
12,1V. 

15.  IV. 

XVI 

XVII  a 

b 

Mm.-    i  Min. 
Schreibz.  j  Max. 

6 
37 

16 
45 

19 
22 

28 
52 

16 
20 

33 
75 

64 
90 

43 
70 

Schreib-  |  Min. 
weg      (  Max. 

24 

32 

8 
14 

5 

7 

4 

7 

170 
230 

470 
750 

410 
500 

400 
530 

130 
260 

170 
230 

die  Grenzen  des  Normalen,  und  mit  ihrer  Lange  iibertreffen  allein 
die  3  Versuche  von  IV  das  Maximum  der  Gesunden.  Doch  Milli- 
meterschreibzeit  wie  Lange  aller  »m«  ist  iibermittelgroB ;  daraus  er- 
giebt  sich  eine  iibermaximale  Dauer.  Bei  IVb  und  c  ist  die  Lange 
gar  iibermaximal  und  in  Folge  dessen  trotz  der  nur  mittleren  Schreib- 
zeit die  Dauer  auch.  XViia  ist  der  einzige  Versuch  mit  extrem 
langsamer  G^schwindigkeit,  und  in  Folge  dessen  ergiebt  sich  die 
pathologische  Dauer  trotz  der  geringen  GroBe  der  Einer.  BeiXVIIb 
gesellt  sich  zu  der  geringen  GroBe  der  Einer  eine  nur  mittlere  Ge- 
schwindigkeit,  sodass  keine  iibermaximale  Dauer  dieser  Einer  resultirt. 
Ich  habe  die  Gelegenheit  benutzt,  bier  an  einigen  Beispielen  zu  zeigen, 
wie  das  bei  Gesunden  alternirende  Verhaltniss  von  Geschwindigkeit 
und  GroBe  in  diesen  pathologischen  Zustanden  beeintrachtigt  ist, 
und  nur  bei  dem  fast  normalen  Versuche  von  XViib  wieder  hervor- 
tritt.  Also:  die  Dauer  ist  fast  allgemein  verlangert;  die  Geschwindig- 
keit ist  einmal  sicher  pathologisch  langsam,  sonst  langsamer  als  das 
Mittel  der  Gesunden,  nur  bei  IVb  und  c  etwa  mittel.  Bei  diesen  ist 
die  Lange   der  Schriftzeichen  iibermaximal,   sonst  meist  iibermittel. 

35* 


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530 


Adolf  Gro6. 


Der  Druck   ist  bei  alien  Versuchen   von  IV  8ehr  gesteigert;  sonst 
wiegt  niederer  Druck  weitaus  vor. 

Die  Vergleichung  der  Versuche  IV  b  und  IVc  mit  dem  in  der  Tob- 
sucht  angestellten  Versuche  IV  a  ergiebt  eine  Reihe  von  Dnterschieden. 
Gemeinsam  ist  dem  depressiven  und  dem  manischen  Tage  die  iiber- 
groBe  Lange  der  Schriftzeichen  und  der  gesteigerte  Druck.  Sie 
unterscheiden  sich  dadurch,  dass  am  manischen  Tage  die  Patientin 
mit  Ubermaximaler  Geschwindigkeit  geschrieben  hat,  an  den  de- 
pressiven mit  nur  mittlerer. 

Die  Patientin  XVII  hat  in  der  Remission  uberall  langsamer 
geschrieben  als  in  der  Reconvalescenz.  Die  Langen-  und  Druckverhalt- 
nisse  verhalten  sich  fur  »m«  und  Einer  verschieden.  Wahrend  jene  in 
der  Remission  kleiner  sind,  ist  bei  diesen  kein  deutlicher  Unterschied 
nachweisbar. 

Tabelle  XLVI. 


Verande-       jy 
rung  im     \  c.  jy 

1. 

12.  IV. 

c 
15.  IV. 

IVa 
8.  IV. 

b 

12.  n. 

4-10 

c 
15.  IV. 

IVa 
8.  IV. 

+  56 

1 
b      ,     c. 

i2.iv.  15.  rv. 

a 

—  85,6 

-64,4 

-21,2 

+  18 

-11,1 

-6      +29,3 

100 '*-'=' 

0 

+  183 

-hll3 

-  24,4  -  25 

'  1' 

-13,6 

TO 

-9,3 

-6,4 

-9,4 

!xVI   XVIIa      b 
|l8.ni.  7.  IV.    7.  V. 

XVI 

i8.m. 



±0 

XVHa 
7.  IV. 

±0 

b 

7.V. 

-14,3 

XVI    XVHa      b 
I8.m.   7.  IV.  j  7.  V. 

100  "-*'" 

a 

-25 

-9,9 

+  16 
+  24 

+  54 

+  9 

-13 

100 '*-'•' 

-1-127 

+  25 

^4-66,7 

-28,6 

-33,3 

+  5 

-26,1 

-15 

Millimeterschreibzeit 

Schreibweg 

Druck 

Die  Patientin  XVI  zeigt  wahrend  des  Schreibens  eine  uber- 
mittlere  Steigerung  der  Geschwindigkeit  und  des  Drucks,  wahrend  die 
Zahlenlange  gleich  bleibt.  Sehr  auffallend  ist  die  ganz  abnorm 
Starke  Abnahme  der  Geschwindigkeit  bei  Zunahme  der  Lange  mit 
dem  Beginn  des  Rechnens. 

Bei  XYTLa  finden  wir  in  der  Remission  geringe  Schnelligkeits- 
und  Druckzunahmen  bei  gleich  bleibender  Lange  als  Begleiterschei- 
nung   des  Schreibens;    der  Einfluss  des  Rechnens  offenbart  sich  in 


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Untersuchnngen  fiber  die  Schriit  Gesunder  uud  Geisteskranker. 


531 


iibermittlerer  Abnahme  von  Geschwindigkeit,  Lange  und  Druck. 
Ebenso  wirkt  die  Subtractionsaufgabe  in  XVlIb;  dagegen  nimmt 
hierauch  wahrend  des  Schreibens  Geschwindigkeit,  Lange  und  Druck  ab. 
Um  den  Versuch  I Va  aus  der  Manie  mit  den  beiden  aus  depressiven 
Tagen,  IVb  und  c,  zu  vergleichen,  ist  es  nothig,  zunachst  den 
manischen  Befund  zu  wiederholen.  Er  ergab  als  Resultat  der  Be- 
wegung  iibermaximale  Steigerung  der  Geschwindigkeit,  mehr  als 
mittlere  der  Lange  und  des  Drucks  —  als  Ergebniss  des  Rechnens 
ubermaximale  Verlangsamung  der  Bewegung,  iibermittlere  Verringe- 
rung  der  Lange  und  mittlere  des  Drucks.  Der  Versuch  IVb 
stimmt  in  Bezug  auf  die  Veranderung  der  Bewegungsgeschwindigkeit 
damit  iiberein,  wenn  auch  die  Werthe  nicht  so  hoch  uber  dem 
Maximum  liegen  wie  bei  IV  a.  In  IVc  wachst  die  Geschwindigkeit 
von  a  z\i  b  und  von  b  zu  c,  doch  nicht  ubermaBig.  Ganz  normal 
sind  die  Veranderungen,  welche  die  Schriftlange  bei  IVb  und  der 
Druck  bei  IVc  erleiden,  wahrend  der  Druck  bei  IVb  und  die  Lange 
bei  IVc  eine  geringe  Neigung  zeigen,  abzunehmen. 

Tabelle  XLVH. 


Gesammt- 
dauer  in 
Vio  Sec. 

IVa 
8.  IV. 

b 
12.  IV. 

c 
15.  IV. 

XVI        XVII  a 
18.  m.       7.  IV. 

b 
7.  V. 

Zahlen 

60 

90 
22 

102 

60 

76 

56 

Fausen 

15 

26 

33 

27 

21 

Summe 

75 

112 

128 

93 

103 

77 

Die  Dauer  der  Zahlen  insgesammt  ist  bei  IVa  und  XIV 
deutlich,  bei  XVIIb  kaum  verlangert.  Dagegen  steht  dem  eine 
erhebliche  Verlangerung  bei  XVIIa  und  bei  IVb  und  IVc  gegen- 
iiber.  Die  Pausen,  in  IVa  sehr  kurz,  sind  in  IVb  und  c  mittellang, 
ebenso  in  XVUa  und  XVIIb;  XVI  liegt  an  der  unteren  Grenze 
der  Norm. 

Die  Dauer  der  Intervalle  nimmt  wie  bei  IVa,  so  auch  bei  IVb 
und  c,  allerdings  weniger,  ab.  Bei  XVI  folgt  auf  eine  betrachtliche 
Abnahme  eine  geringe  Zunahme,  beide  durch  die  Uberragende  Dauer 
je   einer  Pause   bedingt.    In   XVIIa  liegt   wiederum   eine    geringe 


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532 


Adolf  Grafi. 
Tab  ell  e  XLVm. 


Pausen-     i      Ty,               ,, 

c 

XVI 

XVHa 

b 

c5        »= 

6 

5,5 

3,5 

8 

13 

18 

10 
9 

7 

o      b: 

9 

8 

6,6 

6,5 
7,5 

.2       c: 

5 

5 

8,5 

8 

abnehmende  Tendenz  vor,  gegeniiber  XVIIb,  wo  die  Dauer  der  Inter- 
valle  sich  nicht  wesentlich  verandert. 

Tabelle  XTjTX. 


Innen-            jy 
pausen 

7,00  Sec.     '       11,7 

b        '        c             XVI 

XVHa 

b 

17,5              15 

6,7 

15 

6,7 

XVI  hat  normal  lange  Innen  pausen,  ebenso  XVIIb,  wahrend 
sie  bei  XVII a  etwa  verdoppelt  sind.  An  den  depressiven  Tagen 
von  rV  sind  die  Innenpausen  ausgesprochener  verlangert,  als  an  dem 
manischen. 

Tabelle  L. 


Subtractions- 
aufga1>c  in 

Zahlon 
Pausen 
Summe 
Fehler 

IVa 

IVb 

IV  c 

XVI 

XVUa 

XVUb 

72 
288 

120 

108 

96 

92 

58 

47 

33 
141 

309 
405 

118 

210 

"    3 

16 

360 
0 

167 

74 

0 

0 

2 

I 

Bei  XVI  linden  wir  eine  ganz  schwere  Stoning  der  DenkfiLhig- 
keit;  diese  Patientin  benothigte,  um  die  Rechenaufgabe  zu  losen, 
etwa  das  vierfache  des  normalen  Durchschnitts  und  verrechnete  sich 
trotzdem  zweimal.     In  der  Remission  bei  XVii  liegt  eine  nicht  so 


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Untersuchungeu  uber  die  Scbrift  Gesuiider  iiud  Geistcskraiiker.  533 

schwere,  aber  deutliche  Denkhemmung  vor,  gegeniiber  dem  ganz 
normalen  Versuch  XVIIb:  eine  Verdreifachung  der  Zeit  und  3  Fehler 
gegen  einen. 

Recht  eigenthiimlich  liegen  die  Verhaltnisse  bei  IV.  Der  starken 
Rechenerschwerung  in  der  Manie  steht  eine  geringfiigige  in  der  De- 
pression gegeniiber;  ja  es  hat  den  Anschein,  als  ob  in  IVc  sogar 
ganz  gut  gerechnet  worden  sei,  bei  bloB  erschwerter  und  verlang- 
samter  Schreibbewegung.  Denn  die  Zahlen  der  Rechenaufgabe 
allein  ohne  die  dazwischen  liegenden  Pausen  dauerten  bei  IV  b  und 
c  nicht  wesentlich  langer  als  die  von  1 — 10  (vgl.  Tab.  XLII).  Beide- 
mal  sind  es  ja  11  ZifEem. 

Die  Form  der  Drucklinien  ist  bei  XVI  gegen  die  Norm  in 
die  Breite  gezogen  und  zeichnet  sich  besonders  durch  allmahliches 
Absteigen  aus.    Plotzliches  Loslassen  kommt  fast  nicht  vor. 

Die  Curven  von  IVb  und  c,  von  denen  Tafel  VII  Beispiele 
giebt,  sind,  im  Gegensatz  zu  den  Manischen,  viel  mehr  in  die 
Breite  gezogen;  die  vielen  Gipfel  und  Zacken  sind  verschwunden 
und  die  Formen  haben  etwas  massiveres,  breiteres ;  auch  der  Tremor 
in  den  Linien  ist  geringer.  Der  Druck  steigt  nicht  staffelformig  an 
wie  in  den  manischen  »m-«s;  der  Abfall  erfolgt  allmahlicher  mit  ge- 
ringeren  Nachschwingungen 

An  den  Cxirven  der  Patientin  XVII  ist  besonders  der  Unter- 
schied  der  Punkte  an  den  2  verschiedenen  Versuchstagen  bemerkens- 
werth  (vgl.  Tafel  VII);  die  5  Punkte  desselben  Versuchstages  sind 
dabei  ganz  einheitlich  gerathen.  Am  7.  IV  sind  sie  flach,  allmahlich 
ansteigend,  am  7.  V  kegelformig.  An  beiden  Tagen  ist  ein  Anstieg 
in  3  Staffeln  bemerkbar,  die  in  der  Remission  sehr  in  die  Breite 
gezogen,  in  der  Reconvalescenz  nur  angedeutet  sind. 

Zusammenfassung. 

Von  den  hierher  gehorigen  Fallen  zeigt  eine  Kranke,  von  der 
nur  ein  Versuch  aus  einer  kurzdauemden  Remission  vorliegt,  durch- 
aus  den  Typus  der  stuporos-manischen  Erkrankungen :  Verlangerte 
Dauer  der  einzelnen  Schreibbewegungen,  verlangsamte  oder  untermittlere 
Geschwindigkeit,  sehr  starke  Denkerschwerung,  langgezogene  Druck- 
linien  mit   allmahlichen   Uebergangen.     Die   zweite    Versuchsperson 


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534  Adolf  GroB. 

ist,  auBer  in  einer  Remission,  noch  nach  Schluss  der  schweren  ver- 
worrenen  Tobsucht  in  leichter,  abklingender  hypomanischer  Erregung 
untersucht  werden.  Die  zwoi  Versuche  zeigen  wesentliche  Unter- 
schiede:  in  der  Remission  finden  wir,  neben  verlangerter  Dauer  der 
Schriftzeichen,  ubermaximale  Millimeterschreibzeiten  und  eine  die 
Norm  uberschreitende  Dauer  der  Subtractionsauf gabe ;  nach  dem  end- 
gUltigen  Schluss  des  Anfalls  fehlt  die  psychomotorische  Hemmung 
sowohl  wie  die  Denkliemmung.  Die  dritte  Kranke  wurde  einmal  in 
Horider  Tobsucht  und  zweimal  in  Remissionen  untersucht.  Beim 
ersten  Versuch  zeigte  sie  die  psychomotorischen  Begleiterscheinungen 
der  Manie  in  reinster  Auspragung:  Beschleunigung  der  Schreib- 
geschwindigkeit,  starken  Druck,  groBe  Schriftzeichen,  sowie  vor  allem 
die  Zeichen  mit  der  Bewegung  enorm  steigender  motorischer  Er- 
regung, wie  sie  friiher  beschrieben  wurden.  Die  beiden  Versuche 
aus  einer  mehrere  Tage  dauemden  Remission  lassen  im  Gegensatze 
dazu  folgende  Eigenthumlichkeiten  hervortreten:  stark  verlangerte 
Dauer  der  Schriftzeichen,  die  aus  der  Combination  von  weit  iiber- 
normaler,  der  manischen  gleichender  ZahlengroSe  mit  mittlerer 
Schreibgeschwindigkeit  entspringt. 

Es  lassen  sich  auch  in  der  Remission  eine  Reihe  von  Zeichen 
fortbestehender  Erregung  nachweisen,  zunachst  in  beiden  Versuchen 
stark  gesteigerter  Druck  und  die  schon  erwahnte  GroBe  der  Zahlen. 
Bei  dem  ersten  der  beiden  sind  auBerdem  noch  die  Symptome  einer 
gesteigerten  motorischen  Erregbarkeit  vorhanden,  geringer  jedoch  als 
an  dem  manischen  Tage.  An  dem  zweiten  Tage  fehlen  diese  letzten 
Anzeichen. 

In  Bezug  auf  die  Fahigkeit,  einfache  Rechenaufgaben  zu  losen, 
verhalten  sich  der  manische  Tag  einerseits,  die  depressiven  anderer- 
seits  vcillig  verschieden:  wir  finden  an  jenem  eine  sehr  starke  Denk- 
erschwerung,  an  diesen  kaum  die  Andeutung  einer  solchen.  Und 
dies,  wahrend  klinisch  in  jenem  Falle  eine  uppige  Productivitat  vorlag, 
an  diesem  fast  alle  Spontanregungen  fehlten. 

Gemeinsam  ist  also  alien  Remissionen  in  der  Manie  eine  mehr 
oder  weniger  erhebUche  psychomotorische  Hemmung;  mit  dieser  kann 
sich  eine  Erschwerung  des  elementaren  Denkens  verbinden. 


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(Jiitersuchungeu  tiber  die  Schrift  Gesander  uud  Geisteskraiiker.  535 

D.  Versnche  an  katatonischen  Kranken. 

Wie  das  circulare  Irresein  tritt  audi  die  Katatonie  oder  Dementia 
praecox  unter  den  Bildem  einer  expansiven  oder  depressiven  Ver- 
stimmung,  des  Stupors,  der  Verwirrtheit  oder  in  Gestalt  von  Combi- 
nationen  dieser  Symptomencomplexe  auf.  Die  Dementia  praecox  hat 
eine  wesentlich  andere  Prognose  als  das  depressiv-manische  Irresein ; 
sie  fuhrt  meist  zu  einem  mehr  oder  weniger  hochgradigen,  eigenartigen 
Schwachsinn.  Es  ist  also  fiir  den  Irrenarzt  von  der  groBten  prak- 
tischen  Wichtigkeit,  in  jedem  einzelnen  Falle  zu  entscheiden,  welcher 
von  den  beiden  groBen  Krankheitsgruppen  der  gerade  vorliegende 
Symptomencomplex  angehort.  Hier  ist  nicht  der  Ort,  auf  die 
Differentialdiagnose  im  allgemeinen  einzugehen.  Es  soil  nur  unter- 
sucht  werden,  ob  sich  in  dem  Verhalten  der  Psychomotilitat  Unter- 
schiede  nachweisen  lassen. 

Jede  Untersuchung  an  Katatonikem  ist  mit  groBen  Schwierig- 
keiten  verbunden,  wegen  des  bei  dieser  Psychose  auBerordcntlich 
haufigen  Symptoms  des  Negativismus,  des  principiellen  Widerstrebens 
gegen  jeden  Versuch,  das  Handeln  des  Kranken  in  einer  bestimmten 
Bichtung  zu  lenken.  In  Folge  dessen  war  es  bei  vielen  Patienten 
dieser  Gruppe  nicht  moglich,  brauchbare  Versuche  zu  erhalten;  von 
andem  erreichte  ich  nur  unvoUstandige  und  willkiirlich  abgeanderte 
AusfUhrung  des  Befohlenen,  jedoch  ausreichend,  um  gewisse  SchlUsse 
auf  das  Verhalten  der  Psychomotilitat  zu  ziehen.  Eine  Anzahl  der 
Experimente  sind  aber  voUstandig;  theils  uberwog  bei  diesen  Kranken, 
dauemd  oder  zeitweise,  die  Suggestibilitat  den  Negativismus,  theils 
handelte  es  sich  um  Besserungen  oder  Remissionen.  Da  von  den 
klinischen  Symptomen  der  Nachweis  des  Negativismus  weitaus  das 
wichtigste  differentialdiagnostische  Hulfsmittel  ist,  so  erscheint  bei 
fehlendem  Negativismus  das  Bediirfniss  nach  anderen  objectiven 
Unterscheidungsmerkmalen  besonders  groB. 

Die  Patienten  XVIU,  XIX,  XX,  XXI,  XXU,  XXIU  haben 
voUstandige  Versuche  geliefert;  ihre  Resultate  sind  in  Tabellen  ge- 
geben.  XXIV,  XXV,  XXVI  sind  ganz  luckenhaft  und  bediirfen 
gesonderter  Besprechung.  Ich  gebe  zunachst  kurze  Krankenge- 
schichten. 

Fall  XVin.     E.  W.,    23   Jahre   altes   Dienstmadchen,   wurde 


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536  Adolf  GroB. 

plotzlich  am  5./n.97  hochgradig  erregt,  sah  Gestalten,  horte  Stimmen, 
weinte  viel,  auBerte  Selbstanklagen.  Dann  wurde  sie  heiter,  zer- 
storungssuchtig,  aB  gierig  oder  verweigerte  die  Nahrung.  Am  22./IL 
erfolgte  die  Aufnahme  in  die  hiesige  Irrenklinik.  Sie  war  theilnahm- 
los,  kataleptisch,  reagirte  schnell,  aber  meist  unsinnig,  zeigte  Echo- 
praxie,  Negativismus.  Stuporzustande  mit  eigenthlimlichen  Stellungen 
wechselten  dann  mit  impulsiven  Erregungszustanden,  Koprolalie, 
Sprachverwirrtheit.  Von  dieser  Kranken  liegen  drei  Versuche  vor: 
zwei  aus  stuporosen  Zeiten,  einer  wahrend  der  Erregung  angestellt. 

Fall  XTX.  L.  H.,  27  Jahre  alter  Landwirth,  war  frliher  gesund, 
arbeitsam.  Er  erkrankte  am  22./XI.  96  mit  Verfolgungsideen,  wurde 
dann  erregt,  lief  im  Hemd  aus  dem  Hause,  auBerte  GroBenideen. 
Bei  der  Aufnahme,  am  2./Xn.  96,  war  er  mangelhaft  orientirt,  be- 
sonnen,  kataleptisch,  zeitweise  negativistisch ,  suggestibel,  faselig; 
Stimmungswechsel,  Verbigeration,  Ablenkbarkeit,  Krankheitsgeftihl, 
aber  keine  Einsicht,  Interesselosigkeit,  GroBenideen.  Er  rechnete 
gut,  fasste  gut  auf.  Spiegelschrift,  katatonische  Stellungen.  Zeit- 
weise erregt  mit  impulsiven,  absurden  Handlungen.  Er  kam  ungeheilt 
nach  Emmendingen. 

Der  vorliegende  Versuch  stammt  aus  erregter  Zeit. 

Fall  XX.  H.  A.,  23jahrige  Malersfrau.  Drei  Monate  nach 
einer  Geburt  wurde  sie  sehr  erregt,  tobte,  betete,  sang.  Am  9./I.  97 
wurde  sie  hierher  verbracht.  Sie  war  besonnen,  mangelhaft  orientirt, 
sehr  ermiidbar,  heiter.  Traumerisches,  faseliges  Wesen,  gute  Auf- 
fassung;  Echolalie,  Echopraxie,  Katalepsie.  Sie  wurde  immer  ver- 
worrener  in  ihren  Reden,  hatte  Manieren  und  katatonische  Stellungen. 
Heftige  Erregungszustande  wechselten  mit  kataleptisphen  Stupor- 
zustanden  und  Remissionen.  Am  23./V.  97  wurde  sie  gebessert 
entlassen. 

Von  den  drei  Versuchen  ist  der  erste  in  stuporosem  Zustand, 
der  zweite  in  einer  Remission  angestellt,  der  letzte  kurz  vor  der 
Entlassung. 

Fall  XXI.  Ch.  W.,  24  Jahre  altes  Dienstmadchen.  Sie  er- 
krankte im  Mai  96,  wurde  stumm,  horte  auf  zu  arbeiten,  schlief 
nicht.  Dann  bekam  sie  Angst,  hatte  Versundigungs-  und  Verfolgungs- 
ideen. Bei  der  Aufnahme,  am  19./ VI.  96,  war  sie  stuporos,  dabei 
orientirt  und  besonnen.     Katalepsie,  Echolalie,  Grimassiren,  Negati- 


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DntersuchuugttD  fiber  die  Schrift  Gesunder  uiid  Geisteskranker.  537 

vismus,  gute  Auffassung,  schnelle  Bewegungen.  Stereotypes,  stunden- 
langes  Hin-  und  Herwandeln.  Im  Laufe  von  -74  Jahren  besserte 
sich  der  Zustand  der  Kranken  soweit,  dass  sie  nach  Hause  entlassen 
werden  konnte.     Doch  war  sie  noch  unfrei  und  manierirt. 

Der  Versuch  ist  in  der  beginnenden  Besserung  angestellt. 

Fall  XXn.  Frau  S.  E.,  35  Jahre  alt,  verheirathet.  Im  Marz 
96  erkrankte  sie  mit  depressiven  Ideen,  wurde  erregt,  betete,  sang. 
Aufnahme  am  r2./in.  96.  Grimassirt,  spricht  scandirend  in  sin- 
gendem  Ton.  Echopraxie,  Echolalie,  Katalepsie,  sinnlose  Reden, 
Krankheitsgefulil,  Sinnestauschungen.  E^atatonische  Bewegungen  bei 
volliger  Besonnenheit ;  >muss  es  so  machen«.  Remissionen.  Zeitweise 
stuporos.    Patientin  wurde  gebessert  entlassen. 

Sie  wurde  in  der  Reconvalescenz  untersucht. 

Fall  XXTTT.  J.  Th.,  29  Jahre  alter  Kellner.  Ueber  seine 
Jugendzeit  ist  nichts  bekannt.  Er  ist  ein  vielfach  bestraftes  Indivi- 
duum,  wurde  als  unsicherer  Heerespflichtiger  eingestellt,  desertirte, 
wurde  bei  einem  Einbruch  ergriffen.  Im  Militargefangniss  wurde  er 
zwolfmal  disciplinarisch  bestraft.  Er  erkrankte  1893,  war  in  den 
Irrenanstalten  SchuBenried,  Breslau,  StraBburg,  Stephansfeld,  Rybnik; 
dazwischen  vagabondirte  er  und  veriibte  Einbruchsdiebstahle.  Am 
8./Xn.  96  wurde  er  hier  aufgenommen.  Er  war  voUig  mutacistisch, 
machte  eigenthiimliche  Bewegungen  mit  den  Handen,  lachelte  lappisch, 
grimmassirte ;  heftiges  Zusammenzucken  bei  gegen  ihn  gerichteten 
Bewegungen,  anscheinend  willkiirliches  Zittem.  Dabei  war  er  orien- 
tirt,  besonnen,  reizbar.  Sein  Zustand  besserte  sich  ziemlich  plotzlich ; 
doch  blieben  Verfolgungsideen  und  Sinnestauschungen  bestehen. 

Versuch  in  Erregung  und  Remission. 

Fall  XXIV.  Frl.  F.  S.,  21  Jahre  alt.  Erkrankte  plotaUch  im 
Januar  97  mit  lebhaften  Sinnestauschungen,  Angst.  Bei  der  Auf- 
nahme stuporos,  theilnahmlos.  Auffassung  gut,  Aufmerksamkeit 
mangell^aft.  Mutacismus,  wenig  Negativismus,  Katalepsie.  Zwangs- 
lachen,  Zwangsbewegungen,  Schnauzkrampf,  Grimassiren.  Wird 
ungeheilt  nach  Hause  entlassen,  bessert  sich  da. 

Versuch  im  Stupor. 

Fall  XXV.  B.  G.,  36jahriger  Landwirth.  Pat.  erhielt  im 
Herbst  1896  eine  fiinfmonatliche  Gefangnissstrafe  wegen  schwerer 
Korperverletzung.    Im  Gefangniss  wurde  er  plotzlich  verwirrt,  erregt. 


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538  Adolf  GroB. 

bekam  Wahnideen  und  Sinnestauschungen.  Wurde  dann  stuporos, 
negativistiscli.  Bei  der  Aufnahme,  am  2./in.  97,  stumm,  negativistisch ; 
grinsendes  Lachen.  Echopraxie,  Stereotypie.  Impulsive  Handlungen. 
Der  Zustand  besteht  im  wesentlichen  jetzt  noch  unverandert  fort. 

Versuch  im  Stupor. 

Fall  XXVI.  Frau  K.  L.,  25  Jahre  alt,  erkrankte  Weihnachten 
96  mit  Eifersuchtsideen,  Sinnestauschungen.  Am  7./IV.  97  wurde 
sie  aufgenommen.  Rhythmisches  Schreien,  Verbigeriren,  impulsive 
Gewaltacte.  Gute  Auffassung,  prompte  Reactionen.  Katatonische 
Bewegungen,  Grimassiren,  Echopraxie,  Echolalie,  Ablenkbarkeit.  Die 
Kranke  beruhigte  sich  allmahlich,  blieb  aber  ganz  confus,  zerfahren, 
manierirt,  stimmungslabil. 

Versuch  in  der  Erregung. 

Unter  sammtlichen  von  katatonischen  Kranken  stammenden  Ver- 
suchen  sind  angestellt: 

im  Stupor :  5  (2  unvollstandig) 

in  der  Erregung  :  4  (2  unvollstandig) 

in  Bemission :  5 

Von  einer  Kranken  liegen  Versuche  aus  stuporoser  und  erregter 
Zeit,  von  einer  aus  Stupor  und  Bemission,  von  einem  dritten  aus 
Erregung  und  Bemission  vor. 

Die  Tabellen  enthalten  die  Werthe  der  ganz  oder  zum  uber- 
wiegenden  Theil  voUstandigen  Versuche.  Soweit  die  Besultate  der 
unvoUstandigen  Experimente  verwerthbar  sind,  habe  ich  sie  an  den 
entsprechenden  Stellen  eingeschaltet. 

Die  durchschnittliche  Geschwindigkeit  der  L  i  n  i  e  n  ist  in  den  3  stupo- 
rosen  Versuchen  deutlich  verlangsamt  (X  Villa,  XVIIIb,  XXa),  ebenso 
in  2  Bemissionen  (XXI,  XXm),  unerheblich  in  2  weiteren  Bemis- 
sionen  (XX  b  und  XXTT)  und  in  einer  Erregung  (XIX).  Normal 
sind  nur  die  Durchschnittswerthe  der  Versuche  XVHIc  (Erregung) 
und  XX  b  (Bemission).  In  einigen  erheblich  verlangerten  Durch- 
schnittswerthen  sind  jedoch  normal  lange  Einzelwerthe  enthalten,  so 
in  dem  Stuporversuch  XV ILL  b,  dem  Bemissionsversuch  XXTTT.  Der 
letztere  ist  insbesondere  durch  die  enorme  Verschiedenheit  der  Milli- 
meterschreibzeiten  fur  die  einzelnen  Linien  auffaJlend:  die  erste  ist 
kiirzer  aJs  das  Mittel  der  Gesunden,  die  letzte  mehr  als  das  vierfache 


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(Intersnchimgen  fiber  din  Schrifl  Gesimder  nnd  Geisteskranker. 
Tabelle  LI. 


539 


Mm.  Schrz. 
d.  Linien 

xvma 

5.  III. 

xvnib 
25.  m. 

xvmc 

3.  IV. 

XTX 

i8.m. 

14 

XXa 

23.m. 

31 

XXb 
6.  IV. 

16 

XXc 

7.V. 

14 

XXI 

ii.m. 

26 

XXTT 

ii.m. 

20 

xxm 
20.  m. 

8 

1 

23 

36 

15 

2 

22 

34 

11 

18 

34 

16 

12 
12 

22 

12 

18 

3 

28 

25 
10 

10 

21 

32 

13 

22 

14 

18 

4 

24 

6 

15 

28 

16 

10 

25 

13 

40 

D. 

24 

26 

10,5 

17 

31 

15 

XXb 
6.  IV. 

12 

XXc 
7.V. 

24 
XXI 

ii.m. 

15 

xxn 
ii.m. 

21 

xxm 
20.  m. 

Mm.  Fehler 
d.  Linien 

xvnia 
5.  m. 

XVlUb 

25.  m. 

XVlilc 
3.  IV. 

XTX 

i8.m. 

XXa 
23.in. 

1 

+  55 

+  16 

+  3 

+  1 

+  1 

-hi 

+  3 

2 

+  45 

+  1 

—  2 

+  2 

+  5 

+  2 

3 

+  45 

-1-2 

—  22 

+  1 

+  2 



4 

+  45 
+  190 

—  4 

—  1 

+  25 

+  17 

+  3 

+  9 

+  1 

+  3 

Im  ganzen: 

+  2       +5 

0 

+  1 

+  8 

+  3 

Druck 
d.  Linien 

xvma 
5.m. 

xvinb 
25.  m. 

xvmc 

3.  IV. 

XIX 

18.  m. 

XXa 

23.  m. 

XXb 
6.  IV. 

XXc 

7.V. 

XXI 

ii.m. 

xxn  xxm 
n.m.|2o.m. 

1 

100 

60 

130 

210 

50 

30 

30 

70 

150 

30 

2 

no 

80 

200 

190 

20 

30 

30 

70 

100 

340 

3 
4 

150 
140 

70 

250 

310 

30 
30 

20 

20 

100 
80 

no 

530 

40 

260 

290 

30 

10 

100 

530 

D. 

125 

63 

210 

250 

33 

28 

j     20 

80 

n5 

358 

desselben;  bei  XVlUb  ist  es  fast  ebenso;  nur  ist  die  Geschwindig- 
keit  der  letzten  Linie  am  groBten,   die  der  ersten  am  geringsten. 

Ganz  extrem  fehlerhafte  AusfUhrung  der  Linien  finden  wir  in 
dem  ersten  Stuporversuch  von  XV ill,  der  sich  also  durch  Lang- 
samkeit  der  Schreibbewegung  mit  incorrecter  AusfUhrung  auszeichnet. 
Ziemlich  fehlerhaft  ist  auch  der  Erregungsversuch  von  XVIH;  an 
ihm  ist  besonders  auffallend,    dass  2  Linien  zu  lang,   2  zu  kurz  ge- 


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540 


Adolf  GroO. 


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rathen  sind,  wodurch  sich  insgesammt 
die  Fehler  bk  zu  einem  gewissen  Grade 
ausgleichen.  Unter  den  ubrigen  Ver- 
suchen  ist  bei  einem  Erregungs-  und 
einem  Remissionsversuch  die  Fehler^ 
gr6Be(inMillimetem)ziemlich  bedeutend, 
sonst  mittel  oder  gering.  Der  Druck 
ist  in  keinem  der  in  den  Tabellen  mit- 
getheilten  Falle  gesteigert,  nur  bei 
l^^TU  in  geringem  Grade.  Li  zwei 
stuporosen  und  drei  Remissionsver- 
suchen  ist  er  abgeschwacht.  Bei  den 
Linien  von  XXIII  fallt,  entsprechend 
der  UngleichmaBigkeit  der  Geschwin- 
digkeit,  die  des  Drucks  ins  Auge.  Die 
schnellst  geschriebene  Linie  hat  einen 
ganz  minimalen  Druck ;  weit  iibermaxi- 
maler  Druck  steht  neben  tief  unter- 
minimalem.  Dem  entspricht  der  Befund 
bei  XVmb,  wo  die  weitaus  am 
raschesten  geschriebene  Linie  den  ge- 
ringsten  Druck  aufweist;  femer,  dass 
mit  der  Zunahme  der  Schreibgeschwin- 
digkeit  von  XX  a  zu  XX  b  und  XX  c 
der  Druck  abnimmt. 

Bei  der  Besprechung  der  Schrift- 
zeichen  will  ich  versuchen,  die  von 
stuporosen  Kranken  erhaltenen  Ergeb- 
nisse  (XVIIIa,  XVIHb,  XX  a)  geson- 
dert  zu  behandeln  und  ebenso  die  kata- 
tonischen  Erregungszustande  (XVJIlc. 
XIX)    und    die    Remissionen    (XX  b, 

xxc,  XXI,  xxn,  xxm). 

Im  katatonischen  Stupor  fallt  die 
Dauer  der  Schriftzeichen  in  die  Ge- 
sundheitsbreite  und  liegt  theils  unter, 
theils    liber   dem   Mittel;    im   Versuch 


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UntersnchiingMi  iiher  die  Sehrift  Gesnnder  mid  Geisteskranker. 


541 


Tabelle  LIU. 


Einer 
Durchschnitt 

xvma 

b 

c 

XIX 

XX  a 

b 

c 

XXI 

xxnxxm 

Dauer 

300 

333 

383 

342 
16,5 

863    ;    542 

225 

425 

317        250 

Mm.  Schreibzeit 

17 

25 

18 

67         54 

36 

36 

33         47 

Schreibweg 

19 

14 

23 

21 

16         11 

1 

7 

13 

9,5 

6 

Druck 

113 

40 

130 

223 

25         23 

43 

83 

102 

388 

Einer         Iyvttt- 
Max.  und  Min.  "^iVlIIa 

b 

c 

XIX 

XX  a 

b 

c 

XXI 

xxn'xxm 

Mm.-     1  Min. 
Schreibz.  J  Max. 

13 
25 

17 
33 

11 

22 

10 
25 

25 
100 

31 
138 

25 
40 

19 
70 

27         22 
44         75 

Schreib-  \  Min. 
weg      /  Max. 

10 

28 

9 

18 

17     1     17 
28     :     26 

6 
29 

8 
16 

5 
14 

10 

16 

8           4 
14     .     12 

^'^^  IE: 

40 

180 

1 

30 
50 

80 
180 

180 
350 

10 
40 

20 

30 

30 
60 

70 
90 

80     1  250 
150     .  500 

XX  a  ist  sie  fiir  »m«  und  »1«  iibermaximal.  Die  Millimeter- 
schreibzeiten  sind  meist  sehr  gering;  die  Geschwindigkeit  ist  groBor 
als  das  Mittel  der  Gesunden;  nur  XX  a  macht  mit  dem  Buch- 
staben  »m«  eine  Ausnahme.  In  einem  Fall  iibertrifft  die  Ge- 
schwindigkeit sogar  diejenige  der  schnellstschreibenden  Gesunden. 
Die  katatonisch  Stuporosen  schreiben  groBe  Schriftzeichen,  deren 
Schriftweg  in  alien  Buchstaben  iiber  dem  Mittel,  in  alien  Zalilen 
liber  dem  Maximum  der  Gesunden  liegt.  Der  Druck  ist  mit  einer 
Ausnahme  (XVJJLLa)  unterminimal ,  auch  bei  XVIHa  untermittel. 

In  den  untersuchten  katatonischen  Remissionen  liegen  die  Ver- 
haltnisse  ahnlich  wie  im  Stupor,  nur  nicht  so  au8gepr§gt.  Die  Dauer 
der  Schriftzeichen  ist  ubermittel  bis  iibermaximal,  mit  einer  Ausnahme 
in  den  Zahlen  (XX  c).  Geschrieben  wird  im  allgemeinen  mit  nor- 
maler  Geschwindigkeit:  die  betreffenden  Werthe  liegen,  ausgenommen 
die  Einer  von  XXITE,  in  der  Gesundheitsbreite;  die  Mehrzahl  der 
m's  wird  langsamer,  der  Einer  rascher  geschrieben,  als  das  Mittel 
der  Gesunden  betragt.  Dor  Schreibweg  der  Schriftzeichen  ist  theils 
normal,  theils  iibemormal;  doch  liegen  von  10  Durchschnittswerthen 


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542  Adolf  GroB. 

von  Buchstaben  und  Zahlen  6  iiber  dem  normalen  Mittel.  Dagegen 
ist  der  Druck  auch  hier  vorwiegend  gering:  6  unterminimalen  und 
einem  untermittleren  stehen  nur  drei  ubermittlere  und  kein  iiber- 
maximaler  Werth  gegeniiber. 

Von  katatonischen  Erregungszustanden  zeigten  sich  nur  zwei  einer 
ausgiebigen  experimentellen  Untersuchung  zuganglich.  Hier  ist  die 
Dauer  der  Schriftzeichen  durchweg  groBer  als  das  Maximum  der 
Norm.  Die  Geschwindigkeit  ist  ganz  verschieden:  einmal  Ubermaxi- 
mal,  einmal  maximal,  einmal  ubermittel  und  einmal  unterminimaL 
Die  Schriftzeichen  sind  meist  pathologisch  groB,  nur  die  m's  in  einem 
Falle  unter  MittelgroBe.  Der  aufgewandte  Durchschnittedruck  fallt 
uberall  in  die  Gesundheitsbreite. 

Nach  diesen  zusammenfassenden  Betrachtungen  sind  noch  eine 
Reihe  von  Einzelheiten  als  wesentlich  hervorzuheben.  Zunachst  finden 
sich  in  den  wenigen  Theilen  der  Experimente,  die  in  den  Durch- 
schnittswerthen  pathologisch  langsame  Geschwindigkeit  aufweisen, 
durchweg  auch  normal  schnell  geschriebene  Schriftzeichen.  Die  am 
schnellsten  geschriebenen  m's  der  Versuchsperson  XX  entsprechen 
uberall  einer  mittleren  Normalgeschwindigkeit;  ihre  kleinste  Milli- 
meterschreibzeit  ist  dazu  in  dem  Stuporversuche  genau  dieselbe  wie 
in  den  beiden  Remissionen.  Bei  derselben  Versuchsperson  ist  noch 
darauf  hinzuweisen,  dass  der  Druck  in  den  Buchstaben  sowohl  als 
den  Zahlen,  genau  wie  bei  den  Linien,  von  dem  Stuporversuch  zum 
ersten  Remissionsversuch  eine  Abnahme,  zum  zweiten  wieder  eine 
Zunahme  zeigt;  femer,  dass  der  Zunahme  der  durchschnittlichen 
Geschwindigkeit  eine  Abnahme  der  durchschnittlichen  GroBe  parallel 
geht.  Die  Lilnge  der  Einer  ist  in  dem  Stuporversuch  ganz  enorm 
verschieden:  im  Maximum  sechsmal  so  groB  als  im  Minimum. 

XXTTT  zeigt  bei  derselben  Buchstabenlange  stark  verlangsamt^ 
und  ganz  normale  Geschwindigkeit. 

In  den  drei  Versuchen  von  XVill  ist  von  Interesse,  dass  die 
durchschnittliche  Geschwindigkeit  fiir  Stupor  und  Erregung  etwa 
gleich  ist,  dass  sie  bei  den  m's  wenig,  bei  den  Einem  bedeutend 
groBer  ist  als  das  normale  Mittel,  dass  schlieBlich  die  Minimal- 
schreibzeiten  ihrer  Zahlen  kleiner  sind  als  die  Minima  der  Gesunden, 
also  ihre  maximalc  Geschwindigkeit  auch  im  Stupor  das  Maximum 
der  Gesunden  ubertrifEt,   dass   schlieBlich   bei   den  Stuporversuchen 


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Untersuchnngen  fiber  die  Schrift  Gesnnder  und  Geisteskranker. 


543 


selbst   die   langsamste  Geschwindigkeit   noch   schneller   ist   als   das 
Mittel  der  Norm. 

Wir  kommen  zur  Besprechung  der  unvoUstandigen  Versuche. 
Bei  den  zwei  stuporosen  Kranken  XXIV  und  XXV  sind  einzelne 
Theile  so  ausgefiihrt,  dass  manche  Schliisse  auf  die  Eigenschaften 
der  Schreibbewegungen  daraus  moglich  sind.  In  den  Versuchen  von 
XXIV  ist  dreimal  der  Buchstabe  »m«  enthalten,  der  einmal  einzeln, 
auf  die  Auff orderung ,  Punkte  zu  machen,  geschrieben  worden  war. 
Zweimal  ist  er  im  Namen  und  Geburtsort  der  Kranken  enthalten; 
diese  Personalien  schrieb  sie  auf  den  Befehl,  von  1 — 10  zu  schreiben. 


Tabelle  LIV. 


Buchstabe  »m< 
von  Pat.  XXTV 

1. 

2. 

3. 

Dauer 

1200 

1000 

67 

15 

170 

800 

Mm.-Schreibzeit 

70 
17 
90 

67 
12 

Schreibweg 

Druck 

90 

Schreibweg  und  Millimeterschreibzeit  liegen  nahe  an  den  alter- 
nirenden  Grenzen  der  Gesundheitsbreite;  dementsprechend  ist  die 
Gesammtdauer  ungefahr  eine  mittlere.  Die  Schriftzeichen  entsprechen 
fast  genau  den  Warterinnen  IX  und  Xm  der  Normalversuche 
(Tab.  rH)  in  Bezug  auf  geringe  Geschwindigkeit  und  geringe 
SchriftgroBe.  Der  Druck  ist  vorwiegend  untemormal.  Hervorzuheben 
ist  die  Gleichartigkeit  des  alleinstehenden  und  der  in  Worten  ent- 
haltenen  tn's. 

Der  Kranke  XXV  lag  im  schwersten  negativistischen  Stupor, 
als  er  untersucht  wurde.  Trotzdem  sind  einige  Theile  des  Versuchs 
verwerthbar,  darunter  zunachst  drei  Linien. 

Die  ganz  enorme  Geschwindigkeit  der  zweiten  und  dritten  Linie, 
der  durchweg  gesteigerte  Druck,  der  in  der  dritten  beinahe  das  f iinff  ache 
des  normalen  Maximums  betragt,  und  schlieBlich  die  groBe  Fehler- 
haftigkeit  der  Ausfuhrung  sind  fiir  diese  Linien  bezeichnend.  An 
Stelle  der  Punkte  wurden  6  Striche  von  7 — 8  mm  Lange  gezeichnet. 


Krft«p«liB,  Ptyuholog.  Arb«it«ii.  11. 


36 


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544 


Adolf  Gro6. 
Tabelle  LV. 


Linien  von 
Pat,  XXV 

1. 

2. 

3. 

Mm.-Schreibzeit    j         S,3 

0,7 

1,3 

Dnick           ' 

790 

1000 

1700 

Fehler           i 

+  50 

+  50 

+  50 

Deren  Schreibzeit  betrug  zwischen  75  und  150a  pro  Millimeter,  im 
Durchschnitt  102(r,  ist  also  als  verlangsamt  zu  betrachten.  Als  er 
die  Zahlen  1—10  schreiben  soUte,  schrieb  der  Kranke  viermal  die 
Silbe  »bi«.  Die  Millimeterschreibzeiten  fur  drei  vollig  ausgefiihrte 
i's  (ohne  die  Tupfen)  betrugen 

21         18        25 
Diese  Schriftzeichen  hat   der  Patient   also  mit   weit  iiber  mittlerer 
Geschwindigkeit  geschrieben.     Wir  haben  demnach: 

1.  Beschleunigte  Geschwindigkeit  in  den  Linien. 

2.  Verlangsamte  Geschwindigkeit  in  den  Strichen. 

3.  Normale  (ubermittlere)  Geschwindigkeit  in  den  »i«s. 

Die  Lange  der  Schriftzeichen  bei  diesem  Kranken  ist  betrachtlich; 
exact  liisst  sich  das  Verhiiltniss  zu  Gesunden  nicht  angeben,  da  normales 
Vergleichsmaterial  fiir  die  von  ihm  ausgefuhrten  Buchstaben  nicht 
vorhanden  ist. 

Die  Veranderung,  welche  die  Eigenschaften  der  Schreibbewegung 
wahrend  des  Schreibens  und  dann  mit  dem  Beginn  des  Rechnens 
erleiden,  bewegen  sich  im  allgemeinen  vorwiegend  in  derselben  Rich- 
tung  wie  bei  Gesunden.  Nach  vorstehender  Tabelle  konnte  dies  nur  fiir 

die  Zunahme  der  Zahlenlange  (100  -^— — ^|  zweifelhaft  erscheinen,  wo 

4  Zunahmen  4  Abnahmen  gegeniiberstehen.  In  den  Versuchen  XXb 
und  XX c  wurde  an  Stelle  der  »I0«  jeweils  eine  »0«  gemacht,  die 
zur  Noth  zur  Berechnung  der  Geschwindigkeit  und  des  Druckes 
verwendet  werden  konnte,  jedoch  in  Bezug  auf  Liinge  naturlich  nicht 
vergleichbar  ist.  Ein  Blick  auf  die  Zahlen  selbst  zeigte  mir  jedoch, 
dass  auch  in  diesen  beiden  Versuchen  zweifellos  mit  zunehmender 
ZahlengroBe  geschrieben  wurde.  Also  die  Veranderung  uberwiegt 
auch  hier   mit  6  gegen  4    in   normalen  Sinne.     Ausnahmslos  nimmt 


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Untersuehiuigen  Qber  die  Sohrifl  Gesoiider  und  Geisteskranker. 
Tabelle  LVL 


545 


Einer.  Verande- 

nmff  wahrend 

des  Schreibens 

in  % 

xvina 

b 

c 

XIX 

XXa 

b 

c 

XXI 

xxn 

YYTTT 

100  («-*) 

a 

-6,1 

-32 

—  50 

—  44 

-64,6 

—  72,5 

-37,5 

—  72,9 

—  25 

—  12 

m^-'> 

+  92,3 

-1-94,1 

+  91 

+  50 

-14,7 

-5,3 

+  60 

4-63 

+  15 

+  182 

Millimeterschreibzeit 

Einer.  Verande- 
rvaig  wahrend  vttttt 
dea  Scireibens  fX:Vina 
in  ^ 

b 

c 

XIX 

XXa 

b 

c 

XXT 

xxn 

xxin 

100  ^--'^ 

a 

-32,, 

4-12,5 

+  21,8 

—  18,2 

+  7,4 

? 

9 

+  60 

-21,4 

-25 

'"'^ 

-47,4 

—  50 

-39,3 

-5,5 

-27,6 

? 

? 

—  18,8 

-27,3 

—  55,5 

Schreibweg 

Einer.  Verande- 

rung  wShrend 

des  Bchreibens 

in  X 

xvnia 

b 

G 

XTX 

XXa 

b 

C 

XXT 

xxn 

xxm 

,00  <«-*) 

a 

—  33,3 

—  40 

+  125 

-4,8 

q=0    +50 
qzO    —33,3 

+  100 

+  28,5 

+  12,5 

+  100 

,00  !*-T-^) 

0 

-66,7 

+  33,3 

—  27,8 

—  5 

—  50 

-11,1 

-11,1 

-16 

Druck 

die  Geschwindigkeit  wahrend  des  Schreibens  zu,  die  Lange  mit  dem 
Rechnen  ab;  fast  ausnahmslos  vennindem  sich  Geschwindigkeit  und 
Druck  mit  dem  Rechnen. 

Ln  Stupor  finden  wir  gegeniiber  der  Norm  die  Geschwindigkeits- 
zunahme  gesteigert,  die  Langenzunahme  herabgesetzt;  beim  Druck 
kehrt  sich  das  normale  Verhaltniss  um,  so  dass  zweimal  Abnahme 
und  einmal  Gleichbleiben  des  Drucks  vorliegt. 

Bei  den  Remissionen  iiberwiegen  in  Geschwindigkeit  und 
Druck  weitaus  die  iibermittleren  Zunahmen;  fUr  die  Lange  lasst 
sich  aus  dem  oben  geschilderten  Grunde  diese  Frage  generell  nicht 
entscheiden. 

36* 


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&46 


Adolf  Oro6. 


Die  beiden  erregten  Katatoniker  zeigen  ubermittlere  oder 
ubermaxnnale  Zunahme  der  Geschwindigkeit  wahrend  des  Schreibens; 
fiir  Lange  und  Druck  sind  die  Ergebnisse  in  beiden  untersuchten 
Fallen  ziemlich  entgegengesetzt. 

Im  Vergleich  zur  mittleren  normalen  Abnahme  von  Geschwindig- 
keit, Lange  und  Druck  mit  dem  Einsetzen  der  Rechenarbeit  finden 
wir  im  katatonischen  Stupor  die  Abnahme  der  Geschwindigkeit 
und  besonders  der  Lange  starker,  des  Druckes  weniger  ausgepragt; 
einmal  findet  im  Gegentheil  Zunahme  statt. 

Abnahme  sammtlicher  Werthe  iiberwiegt  in  den  Remissionen, 
am  wem'gsten  fiir  die  Geschwindigkeit. 

Li  den  Erregungszustanden  zeigten  sich  etwa  normale 
Verhaltnisse. 


Tabelle  LVH. 


Gksammtdauer 
der 

kvma 

b 

c 

XIX 

XXa 

b 

c 

XXT 

XXII 

XXffl 

J        Zahlen 
^       Pausen 

42 

.      52 

62 
170 
232 

50 

77 

82 

46 

60 

48 

42 

64 

29 

45 

81 

55 

29 

63 

25 

14 

Summe        |     106 

81 

95 

158 

137 

75 

123 

73 

56 

Tabelle  LVm. 


Pausengruppe 

1 

xvma 

b 

c 

XIX 

17 

XXa 

b 

0 

XXI 

xxn 

xxni 

o                "• 

12 

9 

5 

33 

11 

10 

22 

1 

9 

3 

©                D. 

11 

8 
12 

151 
14 

16 

26 

24 

11 

12 

9 

s 

.2            c. 

12 

22 

20 

8 

29 

7 

3 

Die  Dauer  aller  Zahlen  entspricht  durchaus  den  fiir  die 
Dauer  der  Einer  allein  festgestellten  Verhaltnissen.  Ich  habe  im 
Folgenden  die  einzelnen  Kranken  nach  der  Dauer  der  Einer  und 
der  Zahlen  uberhaupt  geordnet.  Mit  *  sind  diejenigen  bezeichnet, 
deren  Dauer  das  Maximum  der  Gesunden  ubertri£Et. 


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Untersuchuogeii  Ober  die  Schrifl  Gesimder  und  Geisteskranker.  547 

I.     Stupor. 
Dauer  aller  Zahlen:         ^er  Einer: 

xvm  xvin 

xvma  xvma 

XX*  XX* 

n.    Remission. 
Dauer  aller  Zahlen:         der  Einer: 

xxni  xxb 

xxb  xxm 

xxn'  xxn 

XXI*  XXI* 

XXa*  XXa* 

in.    Erregung. 
Dauer  aller  Zahlen:         der  Einer: 

XIX  XIX 

xvmc*         xvmc* 

Die  vollkommene  Uebereinstimmung  ist  in  die  Augen  fallend. 
Deutlich  ist  femer,  dass  die  ubergroBe  Mehrzahl  der  Werthe  nicht 
verlangert  ist.  Dabei  ist  die  ZahlengroBe  vorwiegend  ubermittel, 
wie  es  f iir  die  Einer  nachgewiesen  wurde  und  fur  die  librigen  Zahlen 
aus  der  Aehnlichkeit  der  Lange  mit  den  Einem  geschatzt  werden 
kann.  So  diirfen  wir  auch  fiir  die  Zahlen  uberhaupt  eine  iiber- 
wiegend  normale  Geschwindigkeit  annehmen. 

Vor  allem  tritt  hier  hervor,  dass  die  Stuporversuche  gegeniiber 
den  Remissionen  und  Erregungen  nicht  etwa  eine  langere  Dauer 
erkennen  lassen.  Bei  XVITE  ist  die  Dauer  der  Zahlen  in  dem  er- 
regten  Versuch  langer  als  in  den  beiden  stuporosen;  bei  XX  iiber- 
trifft  wenigstens  der  eine  Remissionsversuch  den  im  Stupor  angestellten. 

Die  Dauer  der  Pausen  ist  nicht  verlangert  bei  XXIII,  XXTT, 
XXc,  XVnic.  Doch  auch  bei  diesen  ist  sie  mit  Ausnahme  von 
xxm  UbermittelgroB.  Die  groBen  Gesammtwerthe  fiir  die  Pausen 
bei  XVnia  und  XViiib  sind  ausschlieBlich  die  Folge  von  je  einer 
ganz  abnorm  langen  Pause  (39  und  148).  Rechnet  man  diese  auf 
das  Mittel  der  iibrigen  Pausen  um,  so  erhalt  man  normale  Gesanmit- 
pausenlaiige,    und  zwar  etwa  die  gleiche  wie  bei  XVillc.     Daraus 


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548 


Adolf  GroB. 


ergiebt  sich,  dass  die  Pausendauer  in  der  Erregung  bei  Pat.  XVIII 
nicht  etwa  kiirzer  ist  als  im  Stupor.  Eine  von  Versuch  zu  Versuch 
fortschreiteilde  Abnahme  der  Pausendauer  finden  wir  bei  XX;  das 
Verhaltniss  von  Pausen-  zu  Zahlendauer  ist  daher  bei  dieser  Patientin 
wechselnd.  Pat.  XIX,  nur  in  erregtem  Zustand  untersucht,  zeigt 
eine  Dauer,  die  das  Maximum  der  Gesunden  um  die  Halfte  iibertrifft. 
Die  Pausen  zwischen  den  Zahlen  zeigen  fiir  keine  der  Erschei- 
nungsformen  der  Katatonie  eine  gesetzmaBige  Veranderung  im  Ver- 
laufe  des  Schreibens.  Im  Stupor  finden  wir  theils  Abnahme,  theils 
Zunahme,  in  der  Erregung  ebenso.  Dip  Remissionen  weisen  in  der 
Mehrzahl  der  Falle  (3  von  5)  zunachst  eine  Zunahme,  dann  Abnahme  der 
Pausendauer  auf,  in  dem  FallXXm  so  ausgepragt,  dass  bei  verhaltniss- 
maBig  kurzer  Gesammtpausendauer  die  erste  und  letzte  Gruppe  stark 
verkiirzt,  die  mittlere  etwas  verlangert  erscheint.  Bei  XXI  ist  um- 
gekehrt  die  mittlere  Gruppe  erheblich  kurzer  als  die  beiden  auBeren. 
Die  Patientin  XX,  bei  welcher  sich  von  Versuch  zu  Versuch  die 
Gesammtpausendauer  verkiirzt,  hat  am  ersten  Versuchstag  gleich- 
maBig  gegen  das  Maximum  der  Norm  verdoppelte  Dauer  der  Pausen; 
im  zweiten  ist  die  erste  Gruppe  normal  geworden,  die  beiden  andem 
haben  sich  nur  unerheblich  verandert;  im  dritten  endlich  sind  alle 
drei  Gruppen  zur  normalen  Dauer  zuriickgekehrt.  Hervorzuheben 
ist  noch,  dass  Patientin  XVILL,  nach  Reducirung  der  extrem  langen 
Werthe,  in  dem  erregten  Versuch  ein  ausgesprochenes  Zunehmen  der 
zeitlichen  Zwischenraume  zwischen  den  Zahlen  erkennen  lasst,  wahrend 
von  den  stuporosen  Versuchen  der  eine  eine  deutliche  Abnahme, 
der  andere  eine  unwesentliche  Abnahme  und  dann  ebensolche  Zu- 
nahme zeigt, 

Tabelle  LIX. 


Subtractions- 
aafgabe 

1 

!     XX  a 

b 

XXII 

xxm 

g          Zahlen 
g          Pausen 

126 

122 

51 
25 

51 

68 

1        72* 

49 

31 

48 

2          Summe 

'      198 

171 

76 
0 

82 

116 
0 

.9          Fehlcr 

!    » 

0 

0 

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(Jntersachiingen  fiber  die  Schrift  Gesunder  und  Geisteskranker.  549 

Von  den  sechs  katatonischen  Versuchspersonen ,  die  im  ubrigen 
vollstandige  Experimente  geliefert  haben,  fuhrten  nur  drei  die  Sub- 
tractionsaufgabe  vollig  sachgemaB  aus,  darunter  XX  an  dem 
stuporosen  und  den  zwei  Remissionstagen.  Unter  den  so  erhaltenen 
fUnf  Gesammtwerthen  sind  zwei  (XXc  und  XXII)  auffallend  klein 
und  entsprechen  ungefahr  den  Minimalwerthen  der  Gesunden;  XXIII 
hat  in  mittlerer  Zeit  gerechnet;  der  Versuch  XXb  liegt  an  derMa- 
ximalgrenze,  die  XX  a  wenig  uberschreitet.  Der  letzterwahnte 
Versuch  dauerte  aber  nur  deshalb  langer,  weil  die  Patientin  beim 
Rechnen  eine  neue  Zeile  anfing  und  dabei  stoekte,  wobei  eine  ein- 
malige  Pause  von  3,8  Secunden  entstand;  rechnet  man  diese  den 
ubrigen  Pausen  entsprechend  um,  so  fallt  auch  der  erste,  der  Stupor- 
versuch,  von  XX  in  die  Normalbreite  und  gleicht  dem  zweiten,  dem 
ersten  Remissionsversuch.  Es  ist  also  fiir  diese  Versuchsperson  fest- 
zustellen :  die  fiir  die  Subtractionsaufgabe  benothigte  Zeit  fallt  durch- 
weg  in  die  Breite  des  Normalen;  von  der  stuporosen  Zeit  zur  Re- 
mission ist  keine  Besserung  zu  erkennen,  doch  tritt  eine  solche  im 
Laufe  der  Remission  hervor.  Ich  mochte  noch  darauf  hinweisen, 
dass  die  Zwischenzeiten  zwischen  den  Zahlen  beim  einf achen  Schreiben 
durchweg  langer  sind  als  die  beim  Rechnen  erhaltenen.  Alle  Auf- 
gaben  wurden  fehlerlos  ausgefuhrt. 

Unter  den  ubrigen  untersuchten  Kranken  sind  noch  die  Versuche 
von  XXI  und  XIX  soweit  brauchbar,  dass  wir  daraus  Schlusse  auf 
die  Fahigkeit  derselben  ziehen  dUrfen,  einf  ache  Rechenaufgaben  zu 
losen.  Zugleich  aber  ist  dabei  zu  zeigen,  in  welcher  Art  diese 
Kranken  die  befohlene  Aufgabe  ausgefuhrt,  abgeandert  haben.  XXI, 
in  Remission  untersucht,  hat  die  Aufgabe  richtig  gelost,  dabei  jedoch 
gerechnet 

20,     17,     14,     8,     5,    2. 

Aufgefordert,  die  Rechnung  zu  wiederholen,  machte  sie  es  noch  ein-. 
mal  gerade  so.     Die  Gesammtzeit  war 

1.  204, 

2.  118. 

Rechnet  man  die  Pause  zwischen  14  und  8  ab,  so  erhalt  man 

1.  204  —  95  =  109, 

2.  118  —  11  =  107. 


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550  Adolf  Grofi. 

Daraus  sind  folgende  Schliisse  zu  ziehen:  Die  Kranke  hat  die  Auf- 
gabe  normal  schnell  gelost;  sie  hat  beidemal  gleich  schnell  gerechnet; 
beim  ersten  Rechnen  ist  nach  der  14  irgend  etwas  dazwischen  ge- 
kommen,  was  den  normalen  Ablauf  des  Associationsvorgangs  storte, 
und  zwar  nicht  etwa  eine  Schwierigkeit,  die  im  Rechnen  gelegen 
hatte.  Die  Losung  gab  uns  die  Kranke  selbst:  Als  sie  die  11,  die 
ihr  ebenso  leicht  einfiel  wie  die  ubrigen  Zahlen,  niederschreiben 
wollte,  kam  ihr  der  Gedanke,  dass  sie  ja  elf  Geschwister  habe; 
infolgedessen  lieB  sie  die  Zahl  aus.  Beim  ersten  Mai  venirsachte 
dieser  Vorgang  eine  Stockung,  beim  zweiten  Mai  nicht  mehr. 

XIX,  ein  katatonisch  erregter  Kranker,  schrieb  auf  den  Befehl, 
die  Subtractionsaufgabe  auszufuhren, 

1.  20,  17,  14,  11,  8,  5,  1, 

2.  20,  17,  14,  11,  8,  5,  4,  3,  2,  1. 

Die  Rechnung  ist  bis  zur  Zahl  5  richtig  ansgefiihrt;  die  gefundene 
Subtractionszeit  betragt 

1.  108, 

2.  129; 

es  liegt  demnach  keine  nachweisbareErschwemng  dieser  einfachen  Denk- 
thiitigkeit  vor;  auch  stimmen  die  beiden  Subtractionszeiten  annahemd 
iiberein.  Den  Fehler  am  Schlusse  der  ersten  Ausfuhrung  begriindete 
der  Klranke  mit  dem  Ausspruch:  »ich  hab'  mal  4  genommen«.  Wes- 
halb  er  sodann  beim  zweiten  Male,  anstatt  weiter  zu  rechnen,  von 
5  ab  einfach  die  Zahlen  liickwarts  schrieb,  dafur  konnte  ich  keine 
Motivirung  erhalten. 

Ich  muss  hier  noch  einmal  auf  die  Kranke  XX  zuriickgreifen. 
Ehe  sie  am  stuporosen  Versuchstag  die  verwerthete  richtige  Losung 
lieferte,  sclirieb  sie  zunachst 

20,     17,     14,    15, 
dann  stockte  sie.     Ueber  den  Grund  befragt,  antwortete  sie:  »15  Jahre 
war  ich,   wie  meine  Mutter  gestorben  ist<.     Dabei  zeigte  sie  keine 
Spur  von  Affect.     Die  Aehnlichkeit  der  Motivirung  mit  Fall  XXI 
ist  deutlich. 

Die  Reaction  der  ubrigen  Kranken  auf  den  Befehl  der  Ausfuhrung 
der  Subtractionsaufgabe  war  derart,  dass  sie  Schliisse  auf  ihre  Fahig- 
koit,  elcmentare  Denkarbeit  zu  Icisten,  nicht  erlaubte.  XVIII  schrieb 
in  alien  drei  Versuchen  fast  wahllos  Zahlen  nieder,  z.  B. 


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Untersachuogeu^  uber  die  Schrift  Gesunder  und  Geisteskranker.  551 

1.  20,  7,  1,  Oder 

2.  20,  3,  17,  20,  Oder 

3.  20,  17,  3,  14,  12,  3,  4, 

wobei  uberall  Anklange  an  die  Aufgabe  noch  zu  erkennen  sind;  bei 
1.  ist  offenbar  die  Ziffer  1  der  Zahl  17  ansgelassen;  in  2.  und  3.  ist 
ofter  die  zu  subtrahirende  Zahl  dazwischen  geschrieben,  einmal 
addirt,  anstatt  subtrahirt;  zweimal  hat  diese  Kranke  inmitten  der 
Subtractionsaufgabe  begonnen,  die  Zahlen  von  1  bis  10  zu  schreiben. 

Hier  sind  noch  einige  Befunde  anzuschlieBen ,  die,  zwar  nicht 
beimRechnen  erhalten,  doch  deutlich  erkennen  lassen,  wieKatatoniker 
auf  bestimmte  Aufgaben  reagiren  konnen. 

XXIV  schrieb  an  Stelle  kleiner  »m«  ein  »5IK«,  ein  »m«  und  ein 
»tt)«;  sodann  anstatt  Punkte  ein  weiteres  »9}?«,  schlieBlich  an  Stelle 
der  Zahlen  1  bis  10  ihren  Namen  und  Geburtsort.  Letzteres  wurde 
schon  erwahnt,  ebenso  wie  XXV  anstatt  der  Punkte  Striche,  an 
Stelle  der  Zahlenreihe  mehrfach  die  Silbe  »bi«  niederschrieb. 

Von  XXVI  erhielt  ich  nur  ein  unentwirrbares  Durcheinander 
von  Linien,  Buchstaben  und  Zahlen  und  sinnlosem  Gekritzel.  Die 
schnelle  Ausfuhrung  der  Bewegungen  und  die  Nachlassigkeit  und 
Lange  der  Schriftziige  konnte  ich  wahrend  der  Ausfuhrung  des  Ver- 
suchs  erkennen. 

Die  Form  der  Schriftziige  weist  im  katatonischen  Stupor 
drei  verschiedene  Typen  auf:  bei  XX  sehr  nachlassige,  ausfahrende 
Schriftziige ,  die  mit  lose  zwischen  den  Fingem  hangendem  Bleistift 
ohne  Grund-  und  Haarstriche  nur  so  hingeschleift  sind;  ahnlich  ist 
es  bei  XVJLLL,  im  Stupor  nicht  wesentlich  anders  als  in  der  Erregung; 
nur  sind  die  Ziige  etwas  energischer,  bei  XXV  sehr  grob  und  massig, 
aber  ebenfalls  nachl^ssig.  XXIV  hat  auBerordentlich  sorgfaltig  und 
in  schulgemaBem  Wechsel  zwischen  Grund-  und  Haarstrichen  ge- 
schrieben. Dies  ist  fast  durchweg  auch  die  Schreibart  in  den  Remis- 
sionen.  Von  den  erregten  Kranken  habe  ich  XVliic  und  XXVI 
schon  charakterisirt ;  bei  XIX  ist  es  ebenso,  jedoch  finden  sich 
dazwischen  sorgfaltig  gemalte  Schriftzeichen ,  im  vorliegenden  Fall 
ein  Dreieck  und  eine  »IX«. 

Entsprechend  sind  auch  die  Drucklinien  der  katatonischen 
Symptomencomplexe  sehr  verschieden.  .Unter  den  katatonisch  Stupo- 
rosen  konnte  ich  drei  Typen  feststellen.     Zu  dem  ersten  gehoren  die 


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552  Adolf  GroB. 

Curven  von  XX  und  zum  Theil  auch  von  XVIIL  Die  reproducirten 
Curven  des  Buchstabens  »m«  der  Kranken  XX  ahneln  auBerordent- 
lich  den  circular  stuporosen,  doch  ist  bei  der  zweiten  der  Bewegungs- 
ablauf  ein  normal  schneller,  wahrend  er  allerdings  bei  der  ersten 
stark  verlangsamt  ist.  Dem  zweiten  »m<  von  XX  2linelt  dasjenige 
von  XVlll  sehr;  hier  finden  wir  aber  deutlich  ausgepragte  Druck- 
schwankungen  im  Verlauf  der  Schreibbewegung,  trotz  des  minimalen 
Drucks.  Die  Punkte  dieser  Versuchsperson  zeigen  ganz  verschiedene 
Drucklinien,  darunter  eine  mit  erheblichem  Druck. 

Ganz  anders  sind  die  Curven  des  Kranken  XXV  mit  seinen 
machtigen  Schriftzeichen.  Dieser  tief  stuporose  Patient  zeigt  unver- 
haltnissmaBige  Schwankungen  des  Drucks  im  Ablauf  der  einfachsten 
Bewegungen,  z.  B.  der  Linien.  An  dem  hier  aufgezeichneten  Beispiel, 
der  Silbe  >bt«,  fallen  die  scharfen  ecldgen  Formen  auf,  mit  steilem 
An-  und  Abstieg,  doch  ohne  erhebliche  Nachschwankungen.  Man 
konnte  in  dem  Ansteigen  des  Drucks  eine  Erregbarkeitssteigerung 
erblicken;  doch  ist  zu  erwahnen,  dass  in  der  darauffolgenden  Silbe 
Druck  wie  Schriftlange  wieder  kleiner  wird. 

Ein  Beispiel  der  dritten  Form  unter  den  Drucklinien  des  kata- 
toniscben  Stupors  sehen  wir  in  dem  »m«  von  XXIV.  Dessen  Curve 
ist  von  normaler  Lange,  normaler  Druckhohe  und  dabei  auffallend 
schon  ausgearbeitet,  doch  ohne  alle  kleineren  Schwankungen. 

Die  Unruhe,  UngleichmaBigkeit  des  Bewegungsablaufs  ist  das 
hervorstechendste  Kennzeichen  der  erregten  Katatoniker.  Wie  wir 
unter  den  Punkten  aus  der  stuporosen  Zeit  der  Kranken  XVIII 
einen  mit  starkem  Druck  namhaft  machen  konnten,  so  sehen  wir 
unter  den  aufgezeichneten  fiinf  Punkten  aus  der  erregten  Phase 
dieser  Kranken  zwei  mit  niederem  Druck,  und  zwar  handelt  es  sich 
nicht  etwa  um  eine  gesetzmaBige  Veranderung  der  Druckverhaltnisse. 
Vom  ersten  zum  dritten  Punkt  nimmt  der  Druck  rapid  ab,  dann  zu, 
dann  wieder  ab. 

AuBerordentlich  charakteristisch  fiir  die  katatonische  Erregung 
sind  die  Liniencurven  der  Kranken  XXVI  und  XXTTT,  des  letzteren 
aus  seiner  acuten  Zeit.  Wir  sehen,  wie  bei  XXTTT  die  AusfUhnuig 
der  Linic  immer  wieder  unterbrochen  wird,  wie  die  verschiedcnen 
Bewegungsansatze  die  allerbuntestcn  Formen  aufweisen,  ein  stetes 
Ansetzen  und  Loslasscn,  bis  schlieBlich  die  Linie  mit  einer  kranipf- 


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Ootersuchungen  fiber  die  Schrift  Gesnnder  und  Geisteskranker.  553 

haften  Anstrengimg  zu  Ende  gefuhrt  wird.  Das  Product  diesei"  Schreib- 
bewegung,  die  Linie  selbst,  ist  unter  die  Curve  gezeichnet.  Als  der 
Kranke  einige  Monate  darauf  eine  Remission  bekam,  in  der  er  den 
in  den  Tabellen  verwertheten  Versuch  lieferte,  konnte  in  einer  seiner 
Linien  noch  ein  analoges  Stocken,  eine  plotzliche  Unterbrechung  des 
Bewegungsablauf s ,  festgestellt  werden,  offenbar  der  Rest  jener 
Stoning.  Bei  der  schwer  erregten  Patientin  XXVI  mit  ihrem  unent- 
wirrbarenGekritzelfindenwir  ein  unaufhorliches  Auf-  und  Abschwanken 
des  Druckes,  haufige  regellose  Unterbrechungen,  so  dass  schlieBlich 
jede  geregelte  Schreibbewegung  untergeht  in  der  plan-  und  ziellosen 
motorischen  Thatigkeit. 

Die  Druckcurven  der  Remission  zeigen  meist  normale  Verhalt- 
nisse,  sind  sogar  haufig  auffallend  sauber  ausgearbeitet  und  schon; 
dazwischen  finden  sich  bei  den  meisten  einzelne  an  XX  erinnemde 
Formen.  Die  Remissionen  von  XX  selbst  entsprechen  durchaus  dem 
Stuporversuch  dieser  Bj-anken. 

Zusammenfassung  der  Ergebnisse. 

Eine  zusammenfassende  Besprechung  der  katatonischeri  Resultate 
wird  durch  deren  UngleichmslBigkeit  erschwert.  Doch  ist  diese  Un- 
gleichartigkeit  der  gewonnenen  Werthe  fur  dieselben  Bewegungs- 
functionen  einer  Versuchsperson  geradezu  mit  als  ein  wesentliches 
Kennzeichen  der  katatonischen  Bewegungen  zu  betrachten.  Ich  will 
versuchen,  auch  hier  Stupor,  Erregung  und  Remission  gesondert  zu 
besprechen,  wenn  auch  die  daraus  gezogenen  Schliisse  bei  der  geringen 
Zahl  der  vollstandigen  Versuche  einen  geringeren  Anspruch  auf 
Allgemeingiiltigkeit  erheben  diirfen,  als  die  vonOircularen  gewonnenen. 

I.  Stupor.  Wir  finden  hier  bei  Ausfiihrung  der  Linien  neben 
pathologisch  verlangsamterGreschwindigkeit  vereinzelte  normale  Werthe; 
hier  wurde  zusammen  mit  Langsamkeit  der  Ausfiihrung  starke  Fehler- 
haftigkeit  beobachtet.  Die  Schreibgeschwindigkeit  fiir  Schriftzeichen 
ist  durchweg  eine  sehr  groBe,  zum  Theil  pathologisch  schnelle;  abnorm 
rasches  Schreiben  kommt  iibrigens  auch  in  Ausfiihrung  der  Linien 
vor.  Die  katatonisch  Stuporosen  schreiben  in  der  Regel  sehr  groBe 
Schriftzeichen ;  im  Gegensatz  dazu  pflegt  der  auf gewandte  Druck  sehr 
klein   zu   sein.    Es  kommen  auch  bei  derselben  Versuchsperson  in 


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554  Adolf  Groa 

einem  und  demselben  Versuch  pathologisch  groBe  Zahlen  neben  ganz 
kleinen  vor.  Die  Dauer  aller  10  Zahlen,  analog  derjenigen  der 
Einer  allein,  ist  vorwiegend  normal,  wahrend  Schreibweg  und  Ge- 
schwindigkeit  verhaltnissmaBig  groB  sind.  Wahrend  des  Schreibens 
nimmt  die  Geschwindigkeit  vorwiegend  zu,  der  Druck  dagegen  ab; 
dieLange  der  Zahlen  zeigt  keine  hervorstechende  Veranderungsrichtung. 
Entsprechende  Beobachtungen  wurden  auch  bei  der  Analyse  der 
Linien  gemacht.  Die  Pausen  erleiden  keine  charakteristische  Veran- 
derung  wahrend  des  Schreibens. 

II.  Erregung.  Die  Schreibgeschwindigkeit  der  erregten  Kata- 
toniker  ist  ganz  verschieden,  theils  verlangsamt,  theils  normal,  theils 
beschleunigt.  Die  Schreibweise  ist  theils  correct,  theils  fehlerhaft. 
Bei  Ausfuhrung  der  Linien  wurden  in  einem  Versuch  bedeutende 
Fehler  nach  der  positiven  wie  nach  der  negativen  Seite  beobachtet. 
Der  Schreibweg  ist  meist  pathologisch  groB;  doch  kommt  daneben 
auch  in  demselhen  Versuch  untermittlere  Lange  neben  libermaximaler 
vor.  Der  Druck  ist  durchweg  normal.  Wahrend  des  Schreibens 
nimmt  die  Schreibgeschwindigkeit  sehr  stark  zu;  es  besteht  also  ge- 
steigerte  motorische  Erregbarkeit ,  doch  ist  in  der  Veranderung  der 
iibrigen  Bewegungseigenschaften,  Schreibweg  und  Druck,  nichts  gesetz- 
maBiges  festzustellen.  Die  Pausen  zwischen  den  Zahlen  dauem  sehr 
lange  und  nehmen  an  Dauer  theils  ab,  theils  zu.  An  den  DruckUnien 
fallen  dieUngloichmaBigkeiten  desBewegungsablaufs,  in  den  schwersten 
Zustiinden  zahlreiche  Stockungen  auf,  die  an  Stelle  des  planmaBigen 
Schreibens  ein  ziel-  und  planloses  Bewegen  treten  lassen. 

III.  Remissionen:  Auch  hier  ist,  wie  beim  Stupor,  die 
Geschwindigkeit  in  demselben  Versuch  theils  durchweg  normal,  theils 
verlangsamt  oder  normal;  den  stuporosen  Befunden  entspricht  femer 
die  vorwiegende  bedeutende  Schriftlange  bei  geringem  Druck.  Die 
Dauer  der  Schriftzeichen  ist  theils  normal,  theils  verlangert,  und  zwar 
vorwiegend  wegen  VergroBerung  des  Schreibwegs.  Die  Veranderung 
der  Schreibbewegungen  wahrend  des  Schreibens  und  des  Rechnens 
schlieBt  sich  an  die  bei  Gesunden  gefundenen  Verhaltnisse  an; 
ebenso  ist  es  mit  den  Pausen.  Im  GroBen  und  Ganzen  ahneln  die 
Versuchsergebnisse  in  katatonischen  Remissionen  sehr  den  normalen 
Befunden,  wahrend  einzelne  auffallende  Abweichungen  sie  davon  zu 
scheiden  pflegen.  Auf  diese  wurde  in  den  speciellen  Ausfiihrungen 
hingewiesen. 


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Uatersncbnngen  fiber  die  Scbrift  Gesunder  and  Geisteskranker.  555 


£.  Klinische  Verwertbang  der  Ergebnisse. 

Bei  der  zusammenfassenden  Besprechung  der  Normalversuche 
habe  ich  mich  darauf  beschrankt,  allgemeine  Schlusse  auf  die  Ait 
des  Ablaufs  der  Schreibbewegungen  bei  Gesunden  zu  ziehen.  Icb 
habe  geflissentlich  vermieden,  individuelle  motorische  Eigenschafteh 
der  untersuchten  einzelnen  gesunden  Personen  herauszuschalen,  da 
mir  je  eine  Versuchsserie  fUr  diesen  Zweck  nicht  geniigend  er- 
schien.  Doch  wurde  dort  scfaon  daranf  hingewiesen,  dass  der  Ab- 
lauf  der  Schreibbewegnng  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Serie 
derselben  Person  sich  in  der  gleichen  Art  voUzog,  dass  nicht  nur, 
wie  schon  Goldscheider  hervorhob,  jedes  Schriftzeichen  seine  be- 
stimmte  Druckcurve,  sondem  auch  jede  gesunde  Versuchsperson  ihren 
festen  Curventypus  aufweist.  Es  sind  inzwischen  von  Herm  Diehl 
Normalversuche  angestellt  worden,  die  sich  bei  jeder  Person  uber 
10  Tage  erstreckten,  und  aus  denen  sich  mit  Sicherheit  erkennen 
lasst,  dass  jede  gesunde  Person  ihre  fiir  sie  kennzeichnende 
Art  des  Bewegungsablaufs  beim  Schreiben  darbietet,  der 
eine  durchaus  eindeutige  Drucklinie  entspricht.  Die 
Drucklinien  verschiedener  Personen  unterscheiden  sich  durch  deutliche 
Merkmale. 

Auf  Grund  dieser  Bestatigung  meiner  in  der  Zusammenfassung 
der  normalen  Ergebnisse  ausgesprochenen  Vermuthung  mochte  ich 
kurz  einige  normale  Typen  hier  kennzeichnen ;  ein  naheres  Eingehen 
auf  die  Individualpsychblogie  des  Schreibens  soil  jedoch  nicht  statt- 
finden.  Das  will  ich  Herm  Diehl  uberlassen,  dessen  oben  erwahntes 
Versuchsmaterial  zu  diesem  Zwecke  geeigneter  und  vollig  einwandfrei 
erscheint. 

Man  kann  zunachst  von  einem  mittleren  Schreibtypus 
sprechen,  dem  die  Mehrzahl  der  von  mir  untersuchten  Personen  an- 
gehort.  Es  sind  das  Leute  mit  mittlerer  SchriftgroBe,  mittlerer 
Schreibgeschwindigkeit,  mittlerem  Druck. 

Die  beiden  extremen  Typen  sind  in  reinster  Auspragung 
durch  je  ein  Exemplar  vertreten.  Der  eine  derselben  ist  ein  Warter 
mit  groBen  Schriftzeichen,  bedeutender  Geschwindigkeit,  starkem 
Druck;  die  entgegengesetzte  Seite  wird  vertreten  durch  eineWarterin 


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556 


Adolf  GroO. 


mit  kleinen,  zierKchen,   sorgfaltig  ausgefiihrten  Schriftzeichen,  lang- 
samem  Schreiben,  maBigem  Druck. 

Eine  Tabelle  wird  diese  3  Formen  am  besten  erlautem: 

Tabelle  LX. 


Typus 

Ver- 
suchs- 
person 

Einer 

Mm.-       Schreib- 
Schreibz.        weg 

m 

Mm.-      Schreib- 
Schreibz.       weg 

Linien 

Mittlerer 
Typus 
Extrem. 
Typus  a. 
ExtremT 
Typus  b. 

XV 

39,3 

8,3 

26               25 

9,6 

+  6 

V 

13,7 

17,3 

19         i       47 

6,5 

+  12 

xm 

66,5 

4,2 

64               11 

7 

+  1 

Man  debt  aus  dieser  Tabelle,  wie  XY  mit  G^schwindigkeit 
(mm  Schr.-Z.)  und  SchnftgroSe  (Schreibweg)  zwischen  den  beiden 
Extremen  steht.  Man  sieht  auch,  wie  die  Geschwindigkeit,  mit  der 
die  Yersuchspersonen  die  Linien  ziehen,  unabhangig  ist  von  der  in 
ihrer  Schrift  sicb  auBernden  Lidividualitat,  nicht  so  jedocb  die  Ge- 
nauigkeit  ihrer  Ausfiihrung;  der  extrem  schnellschreibende  Typus 
macbt  die  Linien  ungenau,  der  extrem  langsame  sorgfaltig;  die  groBe 
Mehrzahl  steht  in  der  Mitte.  Nachlassigkeit  der  Ausfiihrung  aller 
Schreibbewegungen  ist  uberhaupt  noch  ein  Kennzeichen  des  extremen 
Typus  a,  Sorgfaltigkeit  des  extremen  b, 

Dem  mittleren  Typus  gehoren  9  der  17  Normalpersonen  an;  die 
Ubrigen  bilden  Uebergange  zu  den  geschilderten  Extremen. 

Aber  ganz  abgesehen  von  Schreibgeschwindigkeit  und  Schrift- 
groBe,  nach  denen  dieser  Yersuch  einer  Gruppirung  hier  vorgenommen 
wurde,  hat  jeder  Gesunde  eine  charakteristische  Art  des  Ablaufs  der 
Schreibbewegung ,  die  sich  in  deutlich  erkennbaren  Eigenthttmlicb- 
keiten  seiner  Druckcurven  auBert.  Diese  Eigenthiimlichkeiten  sind 
unter  normalen  Yerhaltnissen  immer  vorhanden.  Li  der  Zusammen- 
fassung  des  normalen  Theils  wurde  darauf  hingewiesen,  die  normalen 
Tafeln  unter  diesem  Gesichtspunkt  vergleichend  zu  betrachten.  Es 
lasst  sich  nun  als  gemeinsame  Wirkung  jeder  Psychose  mit  schweren 
psychomotorischen  Storungen,  sei  es  im  Sinne  der  Mehr-  oder  der 
Minderleistung,  f eststellen : 


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UntersucbuDgen  Qber  die  Scbrift  Gesunder  und  Geisteskranker.  557 

Die  Zerstorung  der  Individualitat  in  der  Schrift,  die 
Ersetzung  der  individuellen  Merkmale  durch  pathologische 
Eigenthiimlichkeiten. 

Die  gleiche  psychische  Stoning  verleiht  verschiedenen  Personen 
gemeinsame  Eigenschaften  ihrer  Schreibbewegnngen,  ahnliche  Druck- 
linien.  Verschiedene  psychische  Storungen  bei  derselben  Person,  wie 
ich  sie  besonders  beim  circularen  Trresein  an  Beispielen  gezeigt  habe, 
haben  zur  Polge,  dass  jene  zu  verschiedenen  Zeiten  in  verschiedener 
Weise  ihre  Schreibthatigkeit  ausiibt. 

Beide  Wirkungen  der  psychischen  Storung,  die  Vemichtung  der 
Individualitat  wie  die  Aufpragiing  gemeinsamer  pathologischer  Cha- 
raktere  auf  verschiedene  Personen,  zeigt  uns  am  besten  die  schwerste 
Form  der  motorischen  Minderleistimg,  der  reine  Stupor  des  cir- 
cularen Irreseins. 

Das  hervorstechendste  Symptom  des  circularen  Stupors  ist  die 
Verlangsamung  des  Bewegungsablaufs;  sie  ist  um  so  energischer,  je 
schwerer  der  Zustand  des  Kranken  ist;  sie  bessert  sich  mit  der  ein- 
tretenden  psychischen  Besserung. 

Wir  bezeichnen  diese  gleichmaBige  Erschwerung  des  Bewegungs- 
ablaufs als  psyehomotorisehe  Uemmung  und  betrachten  sie  als  ein 
Cardinalsymptom  des  circularen  Stupors.  Diese  Hemmung  kann 
sich  wahrend  der  Thatigkeit  so  steigem,  dass  sie  zu  voriibergehender 
Bewegungsunfahigkeit  fiihrt;  sie  kann  auch  ganz  besonders  die  Ent- 
wicklung  einer  Bewegung  erschweren,  auBert  sich  dann  im  mehrfachen 
Nachlassen  des  Drucks  und  wird  am  richtigsten  wohl  als  Zag- 
haftigkeit  aufgefasst.  Die  Hemmung  ist  in  ziemlich  ausgedehntem 
MaBe  dem  Einflusse  der  Gewohnung  zuganglich,  der  sie  vermindert. 
Die  Gewohnung  erfolgt  jedoch  nur  an  eine  ganz  bestimmte  Bewegung, 
nicht  an  die  Schreibbewegnngen  im  allgemeinen.  Wenn  sie  auch  die 
Zeit  der  Ausfuhrung  der  zweiten  Linie  gegen  die  erste,  des  zweiten 
»ni«  gegen  das  erste  vermindert,  so  scheint  doch  die  vorausgegangene 
Ausfuhrung  der  Linien  ohne  Einfluss  auf  die  Geschwindigkeit  zu 
sein,  mit  der  danach  ein  Buchstabe  geschrieben  wird.  Der  Einfluss 
der  Uebung  auf  die  Hemmung  ist  nicht  sicher  festgestellt.  Wenigstens 
zeigen  zwei  direct  nacheinander  angestellte  Versuche  fast  die  gleichen 
Zahlenwerthe.  Doch  sind  hierin  die  Verhaltnisse  auch  bei  Gesunden 
ja  noch   durchaus  nicht  geklart,   und  so  lange,  bis  dies  erfolgt  ist, 


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558  Adolf  GroB. 

werden  wir  ihre  Ergriindung  an  Kranken  noch  zuriickstellen  mlissen. 
Wir  haben  bei  Gresunden  gesehen,  dass  bestimmter  ZahlengroBe  im  all- 
gemeinen  bestimmte  Schreibgeschwindigkeit  entspricht,  dass,  je  groBer 
die  Schriftzeicben  einer  Person  sind,  mit  nm  so  flotterer  GeschA\indig- 
keit  ihre  Ausfuhrung  erfolgt.  Das  Ergebniss  dieses  Verbaltnisses 
ist  eine  annahemde  GleichmaBigkeit  der  gesammten  Dauer 
eines  Schriftzeicbens,  sei  es  groB  oder  klein.  Auf  diese  That- 
sache  miissen  wir  auch  bei  der  Beurtbeilung  der  Hemmungszustande 
Riicksicht  nehmen.  Es  kann  eine  Schreibgeschwindigkeit  an  sich 
noch  an  der  Grenze  des  Gesunden  oder  nnr  wenig  unterhalb  derselben 
liegen,  und  sie  muss  doch  als  stark  verlangsamt  betrachtet  werden, 
wenn  namlich  die  dazu  gehorigen  Schriftzeicben  groB  sind.  Diesen 
groBen  Schriftzeicben  wiirde  eine  Geschwindigkeit,  die  an  der  oberen 
Grenze  des  Normalen  lage,  entsprechen;  nur  sie  wiirde  als  normal 
zu  betrachten  sein.  Ich  schlage  vor,  diese  Hemmung,  die  sich  in  einer 
an  und  fiir  sich  noch  in  die  Gesundheitsbreite  fallenden,  nur  in 
Bezug  auf  die  GroBe  der  Schriftzeicben  als  pathologisch  zu  betrach- 
tenden  Geschwindigkeit  auBert,  als  relativeHemmung  zu  bezeich- 
nen.  Ein  Beispiel  fiir  dieselbe  bietet  der  Kranke  I;  wir  begegnen 
ihr  jedoch  auch  mehrfach  bei  den  stuporos-manischen  Mischzu- 
standen. 

Es  braucht  kaum  noch  besonders  erwahnt  zu  werden,  dass  ich 
die  Ursache  der  Bewegungsverlangsamung  nicht  in  den  motorischen 
Organen  im  weitesten  Sinne  suche.  Die  Bewegungsstorung,  die  wir 
im  circularen  Stupor  finden,  ist  nur  der  Ausfluss  einer  eigenartigen 
centralen  Willensstorung,  die  sich  auch  noch  in  anderer  Weise  zeigt. 
Neben  der  Erschwerung  der  Bewegungen  selbst  finden  wir 
namlich  auch  in  einem  der  untersuchten  Falle  den  Uebergang  von 
einer  Bewegung  in  die  andere  behindert.  Diese  Stoning  auBert  sich 
in  einer  Verlangerung  der  zeitlichen  Intervalle  zwischen  den  geschrie- 
benen  Zahlen.  Sie  stimmt  mit  der  vorher  geschilderten ,  der  moto- 
rischen Hemmung,  darin  iiberein,  dass  sie  im  wesentlichen  gleichmaBig 
ist;  sie  unterscheidet  sich  von  ihr  dadurch,  dass  sie  wahrend  des 
Schreibens  zunimmt,  dass  die  zeitlichen  Intervalle  zwischen  den 
Zahlen  successive  groBer  werden.  Es  handelt  sich  auch  bier  um  ein 
Hemmungssymptom,  das  wir  als  Uebergangserschwerung  be- 
zeichnen  konnen.     Auch  diese  kann  sich  voriibergehend  so  steigem, 


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Ontersuchungen  Qber  die  Schrift  Gesiinder  und  Geisteskranker.  559 

dass  der  Uebergang  von  einer  Bewegung  zur  andern  fast  vollig  un- 
moglich  wird. 

Als  weitere  Symptome  der  abgeschwachten  psychomotorischen 
Function  finden  wir  Verkleinerung  des  Schreibwegs,  deren  Resultat 
kleine  Schriftzeichen  sind,  und  Verringerung  des  aufgewandten 
Druckes.  Die  Schriftzeichen  werden  wahrend  des  Schreibens  im 
Gegensatz  zu  der  Norm  meist  noch  kleiner.  Es  handelt  sich  hier 
also  um  eine  wachsende  Stoning,  wie  bei  der  Uebergangserschwerung. 
Ihre  Ursache  ist  wohl  auch  in  einer  gewissen  Zaghaftigkeit  zu  suchen. 
Diese  auBert  sich  ja  auch  sonst;  z.  B.  lasst  sie  die  Linien  nicht  selten 
schon  vor  dem  Ziel  enden.  Auch  die  Erschwerung  des  Ansetzens 
zur  Bewegung  fuhrten  wir  darauf  zuriick. 

Alle  Bewegungen  von  circular  Stuporosen  setzen  allmahlich  ein, 
verlaufen  langsam  und  verschwinden  allmahlich;  sie  bieten  langge- 
zogene,  flache  Curven  ohne  alle  groberen  Schwankungen.  Die  Curven 
der  Patientinnen  11  und  HE,  einer  MuUersfrau  und  eines  Bauem- 
madchens,  sehen  sich  ganz  gleich;  sie  gleichen  auch  durchaus  denen 
des  Patienten  I  aus  seiner  schwerst  stuporosen  Zeit,  die  wegen  der 
Lange  derselben  nicht  reproducirt  werden  konnten,  eines  schreibge- 
wandten  Kiiufmanns.  Sie  zeigen  also  sehr  schon  das  Verschwinden 
der  individuellen  EigenthiimUchkeiten,  die  Ersetzung  derselben  durch 
die  typischen  Charaktere  der  Psychose. 

Fanden  wir  beim  Stupor  des  depressiv-manischen  Irreseins  die 
verschiedensten  Anzeichen  der  psychomotorischen  Minderleistung,  so 
lag  es  nahe,  bei  der  Manie  von  vomherein  eine  Steigerung  der  mo- 
torischen  Leistungen,  eine  Mehrleistung  zu  erwarten.  Das  ist  aber 
nur  in  sehr  beschranktem  MaBe  der  Fall.  Durchweg  war  bei  den 
floriden  Manien  als  Zeichen  einer  spontanen  motorischen  Er- 
regung  pathologisch  groBe  Schrift,  in  einem  Fall  pathologisch 
starker  Druck  nachzuweisen.  Sonst  zeigen  die  Schreibbewegungen 
unserer  Manien  zunachst  wenig  Krankhaftes,  nicht  selten  an  Stelle 
einer  Mehrleistung  eine  Minderleistung  in  Form  eines  verlangsamten 
Bewegungsablaufs.  Die  spontane  motorische  Erregung  spielt  also  bei 
den  hier  untersuchten  Fallen  keine  hervorragende  Rolle.  Verfolgen 
wir  jedoch  z.  B.  die  Zahlenreihe  vom  Anfang  bis  zum  Ende,  so  sehen 
wir,  dass  nicht  nur  etwa  schon  vorhandene  Erregungssymptome ,  ge- 
steigerte  SchriftgroBe  z.  B.,  enorm  wachsen,  sondem  dass  auch  die 

Kraepelin,  Psyoholog.  Arbeiien.   IL  37 


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560  Adolf  GroB. 

einzelne  Bewegung  immer  schneller  ablauft.  Dann  bieten  sich 
uns  am  Ende  der  Reilie,  wie  es  in  den  speciellen  Ausfiihrungen  nach- 
gewiesen  wurde,  die  Anzeichen  einer  sturmischen  motorischen  Erregung 
dar,  die  mit  der  Bewegung  und  durch  dieselbe  zur  Entwicklung  ge- 
kommen  ist.  Wir  finden  dann  gegen  den  Anfang  abnorm  stark  an- 
gewachsene  SchriftgroBe,  Druck  und  Geschwindigkcit,  die  auch  absolut 
das  Maximum  der  Leistung  gesunder  Personen  zu  Ubertreffen  pflegeu. 
Als  weitere  Sjmptome  der  entstandenen  motorischen  Erregung  sind 
progressives  Kiirzerw^erden  der  zeitlichen  Intervalle  zwischen  aufein- 
anderfolgenden  Bewegungen,  zunehmende  Incorrectheit  der  Schrift- 
zeichen  und  gewisse  Storungen  des  Bewegungsablaufs  selbst  zu  be- 
trachten.  Dieser  kann  manchmal  im  Anfang  nicht  wesentlich  beein- 
trachtigt  erscheinen  und  dann  die  individuellen  Eigenthiimlichkeiten 
der  betreffenden  Versuchspersonen  noch  an  sich  tragen.  Sobald 
jedocli  die  psychomotorische  Erregung  sich  entwickelt,  zerstort  sie  die 
Reste  der  Individualitat  in  der  Schrift  und  giebt  dieser  den  Cha- 
rakter  der  Krankheit.  Die  Schreibbewegungen  beginnen  und  enden 
dann  briisk  und  unvermittelt;  sie  laufen  auBerordentlich  unruhig  ab, 
mit  vielen  plotzlichen  Druckschwankungen.  Wir  bezeichnen  die 
Eigenschaft  manischer  Kranker,  durch  die  Thatigkeit  selbst  in  psy- 
chomotorische Erregung  zu  gerathen,  als  gesteigerte  psychomo- 
torische  Erregbarkeit. 

Diesen  Befund  der  geringen  spontanen  motorischen  Erregung 
bei  manischen  Kranken  und  ilirer  groBen  Erregbarkeit  haben  wir 
uns  fur  die  praktische  Behandlung  solcher  Zustande  langst  zu  nutze 
zu  machen  vorsucht.  Wir  suchen  durch  moglichste  Pernhaltung 
liuBerer  Reize,  durch  Soparirung  der  Kranken  in  besonderen,  an  die 
Wachabtheilung  sich  anschlieBenden  Zimmern,  natiirlich  unter  Bett- 
behandlung,  dies  Ziel  zu  erreichen.  So  untergebracht  verhalten  sich 
viele  derartige  Kranke  vollig  ruhig,  die  in  den  gemeinsamen  Wach- 
sjilen,  mit  iliren  unvermeidlichcn  Storungen,  nicht  zu  halten  sind,  da 
sie  nicht  im  Bett  bleiben,  sich  um  alles  kiimmem,  und  in  immer 
lebhaftere  Erregung  hineingorathen.  Die  Erregbarkeitssteigerung  zeigt 
sich  aufs  deutlichste  in  dor  Art,  wie  manche  manische  Kranke  sich  bei 
einer  Unterhaltung  zu  verhalten  pflogen.  Wtihrend  sie  zunachst  ruhig 
und  correct  antworten,  wcrden  sie  immer  erregter,  um  sich  schlieBhch 
in  eine  sinnlose  Erregung  hinein  zu  reden.     So  erklart  sich  auch, 


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Untersiichungen  fiber  die  Schrift  Gcsunder  uiid  (icisteskranker.  561 

wie  schadlich  es  ist,  Manische  herumlaufen  zu  lassen.  Durch  »Aus- 
toben«  werden  sie  eben  nicht  ruhiger,  sondem  mit  dem  Toben  steigert 
sich  andauemd  die  Erregung. 

Es  ist  uns  ferner  eine  wohlbekannte  klinische  Thatsache,  dass 
die  manische  Erregung,  im  Gegensatz  zu  der  spater  zu  besprechenden 
katatoniscben,  in  hohem  Grade  der  psychischen  Beeinflussung  zu- 
ganglich  ist.  Nun  ist  es  von  Interesse,  dass  wir  auch  in  den  vor- 
liegenden  Untersuchungen  in  der  Lage  waren,  eine  gesteigerte 
Beeinflussbarkeit  des  centralen  Bewegungsablauf s  durch 
intellectuelle  Vorgange  einfachster  Art  feststellen  zu  konnen. 
Bei  gesunden  Personen  entwickelt  sich  ebenfalls  durch  die  Thatigkeit 
eine  gewisse  motorische  Erregung,  die  durch  darauffolgendes  Subtra- 
hiren  gedampft  wird.  Wie  jene  Erregbarkeit  bei  Manien  gesteigert 
erscheint,  so  auch  diese  Beeinflussbarkeit  durch  element  are  Denk- 
vorgange.  Durch  sie  wird  die  Geschwindigkeit  des  Schreibens  ver- 
langsamt,  die  GroBe  der  Schriftzeichen  vermindei-t,  ihre  Ausfiihrung 
ruhiger  und  stetiger.  Doch  ist  die  Wirkung  oft  nur  voriibergehend. 
Indem  die  Erregung  wieder  hindurchbricht,  beeintrachtigt  sie  jedoch 
die  Qualitat  der  intellectuellen  Leistung  in  hohem  Grade:  die  Rech- 
nung  wird  schlecht,  fehlerhaft,  liiderlich. 

Das  wesentlichste  Kennzeichen  der  depressiv-manischen 
Mischzustande  ist  die  Combination  von  Symptomen  des  Stupors 
mit  denen  der  Manie,  in  erster  Linie  der  psychomotorischen  Hemmung 
mit  der  pathologischen  Erregbarkeit.  Je  nachdem  das  Zustandsbild 
sich  mehr  dem  reinen  Stupor  oder  der  rcinen  Manie  niihert,  iiber- 
wiegt  die  eine  oder  die  andere.  Von  den  untersuchten  Fallen  bietet 
Pat.  XI  zur  Zeit  der  Versuche  voUig  das  Bild  eines  schweren  Stupors 
mit  fast  volligerReaction8unfahigkeit,wahrend  die  manische  Beimischung 
durch  euphorische  Stimmung  und  zeitweise  auftretende  scherzhafte 
Handlungen  vertreten  ist.  Wir  linden  im  Versuche  hier  schwere, 
psychomotoiische  Hemmung  bei  mittlerem  Druck  und  mittlerer  Zahlen- 
groBe  und  einen  ebenso  schleichenden,  gleichmaBigen  Bewegungs- 
ablauf wie  bei  den  depressiv  Stuporosen.  Anzeichen  von  Erregbarkeit 
sind  allerdings  auch  vorhanden.  Diese  treten  energisch  hervor  bei 
den  Kj:anken  VIJI,  X  und  XII,  die  am  Beginn  ilirer  Bewegungen 
in  allmiihlichem  Einsetzen,  verlangsamtem  Fortschreiten  mehr  den 
depressiven,  am  Schluss  in  energischen  Druckschwankungen,   plotz- 

'61* 


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562  Adolf  Grofi. 

lichem  Enden  mehr  den  manischen  Bewegungstypus  erkeimen  lassen. 
Das  scbonste  Beispiel  fiir  die  Mischung  der  Elemente  ist  die  Kranke 
Xn.  Sie  ist,  allein  gelassen,  meist  vollig  ruhig,  wird  durch  irgend 
einen  Reiz  zunachst  fast  fascinirt,  kommt  dann  ganz  allmahlich  ins 
Reden,  um  mit  einem  sturmischen  Erregungsausbruch  zu  enden,  dessen 
einzelne  Handlungen  sich  allerdings  auch  noch  langsam  vollziehen. 
Betrachten  wir  die  Art,  wie  sie  eine  Zahlenreihe  schreibt  Die  ersten 
Zahlencurven  sind  flach,  allmahlich  beginnend  nnd  endend,  die  ersten 
Pausen  lang.  Progressiv  steigert  sich  der  Druck;  die  Bewegungen 
werden  unruhig,  die  Drucklinien  hoch,  grotesk  und  auf-  und  abwogend ; 
der  Schluss  erfolgt  plotzlich;  die  letzten  Pausen  sind  pathologisch 
knrz  geworden. 

Eine  wesentliche  Rolle  bei  den  meisten  schweren  Mischzustanden 
spielt  die  Erschwerung  des  elementaren  Denkens,  des  Rech- 
nens.  Sie  tritt  alsDenkhemmung  der  psychomotorischen  Hemmung 
an  die  Seite,  ist  aber  nicht  an  diese  gebunden.  Sie  kann  mit  ihr 
zusammen  da  sein,  wie  bei  XI,  kann  fehlen  bei  schweren  motorischen 
Hemmungszustanden,  wie  bei  dem  Stuporosen  I,  und  kann  auch  da 
sein,  wenn  die  Hemmung  dauemd  oder  voriibergehend  fehlt.  So  ist 
ihr  Vorhandensein  in  der  manischen  Erregung  schon  erwahnt  worden, 
wo  sie  sich  anfangs  in  verlangsamtem,  dann  in  qualitativ  verschlech- 
tertem  Rechnen  auBert.  Ich  stehe  nicht  an,  zu  behaupten,  dass  sich 
in  der  Manie  mit  der  psychomotorischen  Mehrleistung  eine  intelleo- 
tuelle  Minderleistung  regelmaBig  vergesellschaftet.  Bei  der  stuporos- 
manischen  Kranken  Xm  klang  der  schwerere  Stuporzustand  allmahlich 
ab,  indem  bald  mehr  stuporose,  bald  mehr  manische  Ztige  in  dem 
klinischen  Bilde  hervortraten.  Von  drei  Versuchen,  die  in  diesem 
Stadium  der  allmahhchen  Besserung  angestellt  wurden,  fiel  der  erste 
in  mehr  stuporose  Zeit  mit  den  Symptomen  der  Hemmung  und  Zag- 
haftigkeit.  ebenso  in  leichterem  Grade  der  letzte ;  der  mittlere  dagegen, 
in  einer  Phase  vorwiegender  Hypomanie  angestellt,  zeigte  keine  mo- 
torischen Hemmungserscheinungen.  Durch  alle  drei  Versuche  jedoch 
nimmt  eine  anfangs  sehr  schwere  Denkstorung  von  Versuch  zu 
Versuch    ab. 

Nach  alledem  ist  die  gleichmaBige,  mit  der  Denkarbeit  zuneh- 
mende,  einfache  Denkerschwerung  ein  sehr  haufiges  Symptom  aller 
Phasen  des  circularen  Irreseins,  das  von  der  motorischen  Hemmung 
unabhangig  dasteht. 


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Cntersuchungen  uber  die  Sdirifl  Gesunder  und  Geisteskraiiker.  563 

Sie  ist  mit  der  psychomotorischen  Hemmung  auch  ein  regel- 
maBiges  Kennzeichen  der  Remissionen,  wie  ich  sie  im  Lauf 
schwerer  Tobsuchten  mehrfach  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte. 
Die  Bewegungen  in  diesen  Remissionen  zeigen  durchweg  den  Oha- 
rakter  reiner  Depressionszustande,  auch  wenn  die  Kranken  dem  Be- 
obachter  auBer  einer  leichten  Mudigkeit  nichts  auffallendes  darzubieten 
scheinen.  Horen  daher  die  Erscheinungen  einer  schweren  Tobsucht 
ziemlich  schnell  auf  und  finden  wir  durch  die  experimentelle  Unter- 
suchung,  dass  schwere  Hemmungserscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 
Motilitat  und  des  Intellectes  sich  nachweisen  lassen,  so  ist  der  Schluss 
erlaubt,  dass  es  sich  noch  nicht  um  den  Eintritt  der  Reconvalescenz 
handelt,  sondem  dass  wir  auf  ein  Wiederlosbrechen  stiirmischer 
Symptome  gefasst  sein  miissen.  Denn  in  dem  Fall,  den  wir  auch 
noch  nach  dem  endgultigen  Aufhoren  der  floriden  Tobsucht  unter- 
suchen  konnten,  fehlten  dann  die  in  einer  Remission  beobachteten 
Hemmungserscheinungen. 

Allen  hier  nachgewiesenen  central-motorischen  Storungen  beim 
circularen  Irresein  ist  eines  gemeinsam:  das  ist  die  Gleich- 
maBigkeit  der  Veranderung,  die  Harmonic  der  verschie- 
denen  Theile  eines  Versuches  auch  in  ihrer  krankhaft 
veranderten  Form.  Wo  wir  Hemmung  finden,  sehen  wir  sie 
iiberall  gleichmaBig,  nur  beeinflusst  durch  die  Gewohnung;^  Ueber- 
gangserschwerung,  Zaghaftigkeit  steigem  sich  nur  allmahlich,  einer 
bestimmten  Regel  folgend.  Ich  habe  in  der  Zusammenfassung  des 
normalen  Theils  darauf  hingewiesen,  dass  die  Ausfuhrung  einer  Reihe 
von  gleichartigen  Bewegungen,  wie  sie  das  Schreiben  einer  Zahlen- 
reihe  darstellt,  in  einem  gewissen,  individuell  nicht  sehr  verschiedenen 
Rhythmus  stattzufinden  scheint.  So  hat  man  auch  bei  den  circularen 
Hemmungszustanden  den  Eindruck  des  rhythmischen  Functionirens, 
wie  bei  Gesunden,  nur  dass  sich  die  psychomotorischen  Vorgange  hier 
in  verlangsamtem  ZeitmaB  abspielen.  Der  Eindruck  des  erhaltenen, 
aber  verlangsamten  Rhythmus  wird  noch  verstarkt  durch  jene 
Beobachtung  an  der  stuporosen  Kranken  H,  die  eine  Zahlen-  und 
eine  Buchstabenreihe  in  demselben  Tempo  schrieb,  indem  die  ver- 
schiedenartigen  Schriftzeichen  und  die  dazwischen  liegenden  Pausen  in 
beiden  Reihen  sich  fast  vollig  gUchen. 

Wie  die  motorische  Hemmung  ist  auch  die  Denkhemmung,  wo 


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564  Adolf  GroO. 

sie  vorhanden  ist,  gleichmaBig;  sie  wachst  mit  der  Anstrengung; 
in  ihren  schwersten  Formen  fiihrt  sie  zum  Versagen.  Die  Kranken 
klagen,  dass  sie  ihre  Gedanken  nicht  mehr  sammeln  konnen,  dass 
ilinen  die  Losung  immer  schwerer  einfallt;  sie  wenden  sich  schlie^lich 
hiilflos  an  den  Arzt  mit  der  Bitte,  ihnen  zu  helfen. 

Wie  die  Hemmungsvorgange  des  circularen  Irreseins  wirken  auch 
die  Erregungsvorgange  im  Sinne  einer  harmonischen  Veranderung 
der  Motilitat;  und  zwar  ist  es  hier  weniger  die  spontane  Stoning, 
die  in  gleichartiger  Weise  einwirkt,  als  die  Veranderung  der  Leistung 
im  Versuch,  die  Steigerung  der  Erregbarkeit.  Wir  finden  ein  gleich- 
maBiges  Anwachsen  der  Geschwindigkeit,  des  Drucks,  der  Sdirift- 
groBe,  ein  successives  Kiirzerwerden  der  zeitlichen  Intervalle,  eine 
eindeutige  Veranderung  des  Bewegungsablaufs.  Wir  konnen  hier 
von  einem  > Accelerando* ,  von  einem  sich  steigernden  Rhyth- 
mus   reden. 

Den  gemeinsamen  Eigenschaften  des  depressiv-manischen  Irre- 
seins stellen  wir  am  besten  zunachst  das  Gemeinsame  der  katato- 
nischen  Erkrankungen  gegeniiber.  Denn  das  Gremeinsame  ist 
das  fiir  diese  am  meisten  charakteristische,  ob  es  sich  nun  um  Zu- 
stiinde  von  herabgesetzter  oder  gesteigerter  psychomotorischer  Function 
handeln  mag. 

Oliarakteristisch  fiir  die  Art  des  Bewegungsablaufs  in  den  schweren 
acuten  Zustanden  der  Katatonie  ist  die  UngleichmaBigkeit  der- 
selben.  Neben  verlangsamtem  finden  wir  normalen  und  selbst  be- 
schleunigten  Ablauf  bei  derselben  Person  in  demselben  Versuche, 
Die  GroBe  der  Schriftzeichen  ist  ganz  verschieden;  kleine  stehen 
neben  groBen ;  niederen  Druck  finden  wir  mit  hohem  regellos  neben 
einander.  Im  Bewegungsablauf  stoBen  wir  auf  plotzliche,  unvermittelte 
Stockungen,  nach  denen  ebenso  briisk  die  Bewegung  weitergeht,  um 
dann  wieder  zu  stocken;  ich  schlage  vor,  dieses  Symptom,  das  sich 
bei  Stupor-  und  Erregungszustanden  findet,  als  Sperrung  zu  be- 
zeichnen. 

Fiir  die  einzelnen  Erscheinungsformen  des  katatoniscben  Irreseins 
sind  im  Gegensatz  zu  den  circularen  noch  folgende  Unterschiede 
hervorzuheben : 

Bei  der  Differenzialdiagnose  der  Stuporfalle  mussen  wir  fiir  die 
Katatonie  den  kataleptischen  Stupor  vom  negativistischentrennen. 


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Untersuchangen  Qber  die  Scbriit  Gesnnder  nnd  Geisteskranker.  565 

In  jenem,  der  durch  den  Fall  XX  in  unseren  Versuchen  vertreten 
ist,  finden  wir  bei  nicht  erheblich  erschwerter  Reactionsfahigkeit, 
jedoch  fehlenden  Spontanregutigen,  die  meisten  Bewegungen  ganz  er- 
heblich verlangsamt.  Diese  Schreibbewegungen  finden  jedoch  sichtlich 
in  anderer  Weise  statt,  als  die  der  Circularen,  welche  ahnliche  Curven 
erzeugen.  Sie  wurden  von  der  Kranken  extrem  nachlassig  ausgefiihrt, 
der  Bleistift  hing  ihr  lose  in  der  Hand.  Dass  es  sich  dabei  nicht 
urn  eine  Hemmung,  eine  gleichmafiige  psychomotorische  Erschwerung 
handelte,  zeigten  eine  Anzahl  sehr,  selbst  pathologisch  schnell  aus- 
gefuhrter  Schriftzeichen,  das  zeigte  femer  die  groBe,  nachlassig  aas- 
fahrende  Form  dieser  Schriftzuge  selbst.  Wir  haben  es  also  hier 
mit  einer  Nachlassigkeit  in  Bezug  auf  die  zu  leistende  Thatigkeit 
zu  thun. 

Die  untersuchten  Falle  von  negativistischem  Stupor  mit 
sehr  erschwerter  Reactionsmoglichkeit  zeichnen  sich  vorwiegend  durch 
die  allgemeinen  katatonischen  Eigenthiimlichkeiten,  die  UngleichmaBig- 
keit  und  die  Sperrui^g,  aus.  Wichtig  fiir  die  Unterscheidung  von 
reinen  Hemmungszustanden  circularen  Irreseins  sind  die  hier  gewohn- 
lichen  groBen  Schriftzeichen,  die  theils,  wie  beim  kataleptischen  Stupor, 
fliichtig  hingesudelt,  theils  sorgfaltig  und  energisch  gemalt,  theils 
ruckweise  ausgefiihrt  sind.  Wesentlich  ist,  dass  ihre  Druckcurven 
sich  oft  nicht  wesentlich  von  denen  katatonischer  Erregungs- 
zustande  unterscheiden.  Fall  XVili,  der  im  Stupor  und  in  der 
Erregung  untersucht  wurde,  lieB  in  der  Erregung  nur  durchschnittlich 
hoheren  Druck  erkennen.  Sonst  fanden  wir  wahllos  in  beiden  Zu- 
standen  normale  und  verlangsamte  Geschwindigkeit,  kleine  und  groBe 
Schriftzeichen  und  auch  geringen  und  groBeren  Druck.  Die  Unter- 
schiede  des  Vcrhaltens  der  centralen  motorischen  Vorgange  bei  der 
Katatonie  in  den  Zustanden  der  herabgesetzten  und  der  gesteigerten 
Leistung  sind  daher  keine  principiellen.  Es  erfolgen  zwar  im 
Stupor  seltene  oder  keine  Bewegungen;  wenn  sie  aber 
stattfinden,  gleicht  meist  ihr  Ablauf  dem  der  Erregungs- 
zustande.  Ich  will  noch  kurz  auf  die  Uebereinstimmung  dieses 
Befundes  mit  den  khnischen  Thatsachen  hinweisen.  Negativistisch 
stuporose  K>anke  voUenden  oft  unerwartet  blitzschnell  impulsive 
Handlungen,  die  denen  der  katatonisch  Erregt«n  gleichen  und  seltsam 
mit  dem  Zustand  volliger  Starre  contrastiren,  in  den  sie  kurz  darauf 
wieder  verf alien. 


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566  Adolf  Gro6. 

Die  Erschwerung  des  Anschlusses  einer  folgenden  Bewegimg  an 
die  vorausgehende,  wie  wir  sie  bei  dem  circularen  Stupor  als  Ent- 
schlussunfahigkeit  kennen  gelernt,  finden  wir  bei  der  Dementia  praecox 
in  ihren  verschiedenen  Erscheinungsformen,  insbesondere  auch  bei  der 
Erregung.  Bei  letzterer  konnen  energisch  verbreiterte  zeitliche  Inter- 
valle  zwischen  den  einzelnen  Bewegungen  liegen,  ohne  mit  dem 
Schreiben  abzunehmen,  wie  wir  es  als  Symptom  der  gesteigerten 
Erregbarkeit  in  der  Manie  feststellten.  Es  handelt  sich  hier  um 
intervallare  Sperrungen,  die  mit  dem  Bewegungsablauf  selbst 
zweifellos  nichts  zu  thun  haben,  sondem  wohl  sicher  als  das  Resultat 
den  gegebenen  Impuls  durchkreuzender  Gegenmotive  zu 
deuten  sind.  Den  Beweis  hierfiir  glaube  ich  durch  die  Wurdigung 
der  eigenartigen  Veranderung  des  Ablaufs  der  intellectuellen  Vorgange 
erbringen  zu  konnen,  wie  ihn  uns  die  Rechenaufgabe  darbietet. 

Wir  fanden  da  z.  B.  ein  plotzliches  Stocken  im  Rechnen  bei  der 
Zahl  14.  DieKranke  motivirte  es  damit,  dass  sie  14  Jahre  alt  war, 
als  ihre  Mutter  starb.  Einer  anderen  zersprengte  das  Dazwischen- 
kommen  der  in  der  Aufgabe  enthaltenen  Zahl  3  die  ganze  Subtraction. 
In  dem  speciellen  Theil  sind  eine  ganze  Reihe  solcher  den  Ablauf 
hemmender  Gegenmotive  aufgezahlt,  denen  gemeinsam  ist  der  rein 
auBerliche  Zusammenhang  mit  dem  auslosenden  Reize.  Man  erhalt 
so  durchaus  den  Eindruck  der  Pseudomotivirung.  Die  durchkreuzenden 
Impulse  scheinen  das  primare  zu  sein,  fiir  die  nachtraglich  beliebige, 
an  den  Haaren  herbeigezogene  Scheingriinde  auftauchen. 

Fassen  wir  das  Wesen  der  Storung  fur  die  circular  stuporosen 
auf  der  einen,  die  katatonischen  Erkrankungen  auf  der  andem  Seite 
zusammen,  so  haben  wir  dort  das  Bild  des  gleichmaBig  erschwerten, 
verlangsamten  rhythmischen  Ablaufs  der  psychomotorischen  Punc- 
tionen,  hier  dasjenige  des  gestorten,  in  Unordnung  gerathenen, 
seiner  Harmonic  beraubten  Rhythmus.  Wenn  ich  ein  aller- 
dings  unvollkommenes  Bild  gebrauchen  darf,  so  mochte  ich  den  Ablauf 
bei  den  Circularen  mit  einem  Uhrwerk  vergleichen,  das  durch  eine 
schleifende  Feder  gleichmaBig  gehemmt  wird;  bei  den  Katatonischen 
ist  ein  Fremdkorper  in  das  Uhrwerk  gerathen,  der  es  zeitweise  sperrt, 
es  dann  wieder  unbehindert  weiterlaufen  lasst,  um  von  neuem 
sperrende  Storungen  zu  verursachen. 

Ich  bin  am  Schlusse  meiner  Betrachtungen.     Es  liegt  im  Wesen 


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Untersuchungen  Qber  die  Schrift  (iesmider  uiid  GVisteskraiiker.  567 

der  Sache,  dass  eine  erste  Arbeit  auf  einem  bislier  nicht  untersuchten 
Gebiete  nicht  erschopfend  sein  kann.  Es  konnte  sich  nur  daruni 
handeln,  die  Leistungsfahigkeit  der  Methode  zu  priifen  und  zu  sehen, 
wo  mit  den  neugewonnenen  Mitteln  die  H^bel  anzusetzen  sind,  um 
Klarheit  in  bisher  unklare  Verhaltnisse  zu  bringen.  Die  Arbeit  war 
insofem  lohnend,  als  sie  eine  FUUe  neuer  Probleme  ergab.  Das 
Studium  der  psychomotorischen  Verhaltnisse  an  Gesnnden  nnd  an 
Kranken,  der  Hemmung,  der  Erregbarkeit,  der  Spemmg  wird,  so 
hoffe  ich,  im  Lauf e  der  Zeit  uns  auf  unserem  Wege  vorwartsbringen 
und  uns  bei  der  schweren  Aufgabe  behiilflich  sein,  exacte  klinische 
Merkmale  zu  schaffen.  Damit  wird  es  dazu  beitragen,  die  Speculation 
auf  dem  Gebiete  der  klinischen  Psychiatrie  einzuschranken  und  ihre 
Umwandlung  zu  dem  zu  befordem,  was  sie  werden  muss,  um  eine 
wiirdige  Schwester  der  iibrigen  Disciplinen  zu  werden,  zu  einer  Er- 
fahrungswissenschaft. 


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Kraepelin,,  Psyeholvg.  JrbeUen-  BdJI. 


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Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psychose. 

Von 

Adolf  Gross. 


1/er  korperliche  Befund,  den  wir  bei  einem  Kranken  mit  Hilfe  un- 
serer  directen  Sinneswahmehmungen,  der  Inspection,  Palpation  u.  s.  w., 
Oder  indirect  mit  Hilfe  der  chemischen  oder  physikalischen  XJnter- 
suchungsmethoden  erhalten,  beniht  auf  objectiver  Beobachtung.  Er 
isl  um  so  zuverlassiger,  je  objectiver  er  ist,  je  weniger  er  durch  die 
Angaben  des  Kranken,  dessen  »Anamnese«  beeinflusst  erscheint.  Das 
psychische  Greschehen  in  seinem  normalen  und  krankhaften  Verhalten, 
das  wir  in  dem  »psychischen  Status*  festzulegen  versuchen,  kann  als 
solches  nicht  Gregenstand  unserer  directen  Wahmehmung  sein.  Was 
wir  davon  erkennen  konnen,  ist  nur  eine  Seite,  ein  Ergebniss  der- 
selben,  die  Bewegungen  im  weitesten  Sinne,  die  sich  als  Sprechen, 
Schreiben,  Handeln  u.  dergl.  auBem.  Die  ergiebigste  Quelle  fur  die 
Aufstellung  des  psychischen  Status  einer  Person  sind  deren  miind- 
liche  und  schriftliche  Angaben.  Ein  hierauf  gegriindeter  Krankheits- 
befund  entspricht  aber  zum  Theil  mehr  einer  somatischen  Anamnese 
als  einem  somatischen  Status,  namlich  in  Bezug  auf  die  Angaben, 
die  der  Kranke  uber  sein  Leiden  macht;  zum  Theil  sind  die  krank- 
haften motorischen  AeuBerungen  zwar  selbst  eine  Erscheinung  des 
Leidens,  aber  sie  sind  nicht  zuverlassig,  da  sie  der  willkiirUchen  Be- 
einflussung  zuganglich  sind.  Hier  liegt  die  Schwierigkeit  der  Er- 
kennung  der  Simulation.  Wir  haben  keine  Q^wahr  dafur,  dass  die 
Angaben,  die  der  zu  Untersuchende  uber  seine  Beschwerden  macht, 
der  Wirklichkeit  entsprechen,  und  ebenso  wenig  dafur,  dass  die  krank- 
haften Veranderungen,  die  er  im  Augenblick  darbietet,  wirklich  krank- 

Kraepelin,  Psycholof.  Arbeiten.    11.  38 


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570  Adolf  Gross. 

haftem  psychischem  Geschehen  entspringen  und  nicht  absichtlich  ge- 
wollte  sind. 

Der  einzige  MaBstab,  der  uns  bisher  zur  Verfiigung  stand,  urn 
Krankheit  und  Simulation  zu  scheiden,  ist  die  Vergleichung  des  vor- 
liegenden  Krankheitsbildes  mit  solchen,  die  uns  einwandfreie  Beob- 
achtungen  an  die  Hand  geben.  Dieses  Mittel  ist  sehr  werthvoll  und 
geniigt  in  vielen  Fallen.  Bei  der  Vielgestaltigkeit  der  Krankheits- 
bilder  fuhrt  es  aber  nicht  immer  zum  Ziele  und  ist  selten  ganz  zu- 
verlassig,  besonders  dann  nicht,  wenn  es  sich  um  Krankheitsbilder 
handelt,  die  sehr  verbreitet  sind  und  relativ  leicht  nachgeahmt  werden 
konnen.  Jedoch  ist  eine  solche  Nachahmung  nur  im  GroBen  und 
Ganzen  moglich;  sie  muss  versagen,  wenn  es  uns  gelingt,  eine  Storung 
genauer  zu  analysiren. 

Diese  Moglichkeit,  psychische  Vorgange  in  ihre  Bestandtheile  zu 
zerlegen,  bietet  uns  das  psychophysische  Experiment  Die  Anwen- 
dung  des  psychophysischen  Experimentes  zur  Aufdeckung  der  Simu- 
lation beruht  auf  folgender  Ueberlegung:  Wir  kennen  eine  Beihe 
von  psychologischen  Methoden,  die  auf  einer  Haufung  von  moglichst 
schnell  aufeinander  folgenden  Einzelbeobachtungen  beruhen.  Sie  lie- 
fern  uns  einerseits  in  ihrer  G^sammtheit  ein  MaB  fur  die  absolute 
psychische  Leistung  in  einer  bestimmten  Zeit,  andererseits  in  der 
Verschiedenartigkeit  der  Einzelbeobachtungen  innerhalb  dieses  Zeit- 
raumes  ein  MaB  fur  die  Veranderung  der  Leistung  durch  Uebung, 
Ermiidung  und  ahnliche  Einflusse.  Auf  dieser  verwickelten  Zusam- 
mensetzung  der  geistigen  Arbeitsleistung  beruht  ihre  Verwerthbarkeit 
fiir  unsere  Zwecke.  Ein  Simulant  kann  wohl  eine  bestimmte  Hand- 
lung  nach  Belieben  rasch  oder  langsam  vomehmen;  er  ist  aber  nicht 
im  Stande,  diese  groBe  Zahl  ohne  XJnterbrechung  aufeinander  folgen- 
der Einzelhandlungen  so  durch  seinen  Willen  zu  beeinflussen,  dass 
sie  in  ihrer  Gesammtheit  ein  bestimmtes  gewUnschtes  Bild  geben,  das 
ohnedies  nur  dem  Fachmann  durch  die  friiher  vorgenommenen  psy- 
chologischen Analysen  bekannt  ist.  Dass  diese  Simulation  selbst  dem 
Kenner  nicht  moglich  ist,  hat  neuerdings  Roder  *)  nachgewiesen.  Dass 
sie  jedem  anderen  Menschen  grundsatzlich  unmogUch  ist,  leuchtet  ohne 
weiteres  ein. 

1)  Miinchener  medicinische  Wocbenscbrift  1898  Nr.  49. 


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Zar  Psychoiogie  der  traiiroatischen  Psychose.  571 

Voraussetzung  fur  die  Anwendung  einer  psychophysischen  Methode 
zu  diesem  Zwecke  ist,  dass  sie  an  Gesunden  geniigend  erprobt  ist, 
so  dass  ausreichendes  Vergleichslnaterial  zur  Verfiigung  steht.  Ich 
habe  zunachst  in  einem  bestimmten  Falle  den  Versuch  gemacht,  auf 
diesem  Wege  nicht  nur  die  Frage  der  Simulation  zu  entscheiden, 
sondem  auch  dem  Wesen  einer  bestimmten  psychischen  Stoning  naher 
zu  kommen,  und  glaube,  dass  dieser  Versuch  soweit  gegluckt  ist,  als 
er  obige  Voraussetzungen  der  Haufung  von  Einzelbeobachtungen  und 
der  geniigenden  vorausgegangenen  Ergtundung  der  betreffenden  Vor- 
^ange  an  Gresunden  erfiiUt.  An  der  Hand  dieses  Falles  wird  sich 
die  Methodik  am  leichtesten  schildem,  werden  sich  Verbesserungen 
derselben  vprschlagen,  Einwande  zurlickweisen  lassen. 

Es  handelt  sich  imi  den  Griirtler  und  Armenrathsrechner  P.  in 
H.  Dieser  war  vollig  gesund  und  geistig  wie  korperlich  leistungs- 
fahig  bis  zum  6./VL  97.  An  diesem  Tage  erlitt  er  bei  einem  Eisen- 
bahnunfalle  im  Bahnhofe  N.  durch  AufstoBen  einer  Abtheilung  leerer 
Personenwagen  auf  einen  stillstehenden  Personenzug  Verletzungen, 
wegen  deren  er  Entschadigungsanspriiche  geltend  machte.  Dieser 
Unfall  war  anscheinend  kein  sehr  schwerer;  die  daraus  entstandenen, 
durchweg  leichten  auBeren  Verletzungen,  neben  ganz  unbedeutenden 
Quetschungen  am  rechten  Knie,  rechten  Oberarm,  in  der  rechten 
Jochbeingegen^  und  auf  dem  Kopfe  eine  etwas  starkere  Quetschung 
der  rechten  Mittelhand,  heilten  rasch  ab.  Der  eine  von  zwei  sofort 
zugezogenen  Aerzten,  Herr  Dr.  K.,  constatirte  Schi^indelanfalle  und 
Erbrechen  und  schloss  daraus  auf  eine  geringe  Erschiitterung  des 
Gehims.  Am  6./VI.  schildert  der  gleiche  Arzt  den  Zustand  des  P. 
f olgendermaBen :  Das  Metacarpalgelenk  ist  noch  schmerzhaft;  es  treten 
auBerdem  Schmerzen  den  rechten  Arm  entlang  bis  zur  Schulter  hinauf 
auf,  sobald  P.  die  rechte  Hand  etwas  mehr  gebraucht.  Das  rechte 
Bjiie  ermiidet  beim  Gehen  sehr  bald.  Die  Erschiitterung  des  Gehims 
macht  noch  Erscheinungen  in  dem  Sinne,  dass  P.  nach  seiner  An- 
gabe  seit  der  Verletzung  sehr  vergesslich  geworden  ist  und  auch  im 
G^hor  etwas  Mangel  haben  will.  Femer  kann  er  sich  in  Raumen, 
wo  viele  Menschen  sind,  nicht  aufhalten,  da  es  ihm  im  Kopfe 
wirr  wird. 

Bei  einer  am  4.  Januar  1898  durch  Herm  Bezirksassistenzarzt 
Dr.  H.  vorgenommenen  XJntersuchung  klagte  P.  iiber  Vergesslichkeit, 

38* 


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572  Adolf  Gross. 

TJnfahigkeit,  einer  Unterhaltung  zu  folgen,  Reizbarkeit,  Schwindel- 
gefUhle,  Nachlass  des  Gehors,  Schmerzen  im  rechten  Arm  und  rech- 
ten  Knie.  Da  Herr  Dr.  H.  den  Verdacht  einer  »Schreckneurose« 
hatte,  beantragte  er  Begutachtung  des  P.  durch  einen  Fachpsychiater. 

Herr  P.  wnrde  an  13  Tagen  des  Februars  1898  von  mir  unter- 
sucht.  Ueber  den  XJnfall  und  seine  Folgen  gab  er  Folgendes  an: 
Dieser  geschah  gelegentlich  eines  Sonntagnachmittagspazierganges  mit 
Frau  und  Tochter.  Sie  befanden  sich  in  dem  hintersten  Wagen  eines 
stehenden  Personenzugs,  auf  den  abgestoBene  Wagen  aufstieBen.  Sie 
sahen  die  Wagen  herankommen,  konnten  sich  aber  nicht  mehr  retten. 
Die  Frau  wiu'de  leicht,  die  Tochter  erheblich  verletzt.  P.  will  direct 
nach  dem  Unfalle  zweimal  voriibergehend  ohnmachtig  geworden  sein. 
Nacliher  war  er  »ungeheuer«  aufgeregt,  fuhr  in  einer  Droschke  nach 
Hause.  Anfangs  blieb  er  dauemd  zu  Hause,  war  sehr  aufgeregt, 
hauptsachlich  auch  iiber  die  sehr  leidende  Tochter,  hatte  Schmerzen 
in  Hand  und  Knie,  weniger  im  Kopf.  Es  stellten  sich  groBe  Ver^ 
gesslichkeit,  Schlafrigkeit  und  Miidigkeit  ein ;  das  Gehor  wiu'de  rechts 
schlechter.  August  1897  fing  er  wieder  an  auszugehen,  hatte  dabei 
groBe  Schmerzen  im  Kreuz,  ermiidete  rasch.  Als  er  einer  Sitzung  des 
Armenraths  beiwohnte,  konnte  er  nicht  mehr  horen  und  verstehen 
und  es  wurde  ihm  schwindlig.  Er  legte  in  Folge  dessen  im  October 
seine  Stelle  als  Armenpfleger,  im  November  seine  Mitgliedschaft  im 
Burgerausschusse  nieder.  In  der  Scheitelgegend  hatte  er  oft  dum- 
pfen  Druck;  an  einem  Orte,  wo  viele  Menschen  waren,  konnte  er  es 
nicht  aushalten.  Der  Gang  wurde  wackelig;  sobald  er  auf  einen 
Stuhl  stieg,  hatte  er  das  G^fiihl,  als  miisse  er  herunterfallen.  Es 
bestand  Schlaf sucht;  beim  Gehen  stellten  sich  RUckenschmerzen  ein. 

Er  sei  fast  den  ganzen  Tag  in  der  Werkstatt,  konne  aber  nicht 
viel  arbeiten,  wegen  der  Schwache  im  Arm  und  der  Ermlidbarkeit 
Er  gehe  hauptsachlich  in  die  Werkstatt,  um  sich  zu  zerstreuen;  da 
fiihle  er  sich  am  wohlsten,  vergesse  am  ersten  seine  Besorgnisse  wegen 
der  Zukunft.  Seine  Stimmung  sei  sehr  niedergeschlagen ;  er  miisse 
immer  an  seine  Zukunft  denken.     Soweit  die  Angaben  des  P. 

Die  wiederholt  vorgenommene  korperliche  Untersuchung  ergab 
ubereinstimmend  folgenden  Befund: 

P.  ist  ein  kleiner,  recht  wohlgenahrter  Mann  mit  etwas  schlaffen 
Gesichtszugen.     Seine  inneren  Organe  sind  gesund.     Puis  80,  steigt 


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Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psychose.  573 

wahrend  der  Untersuchung  iiber  100  und  wird  gespannt  und  dicrot. 
Ebenso  entwickelt  sich  wahrend  des  Untersuchens  eine  intensive  Rothe 
des  Gresichts,  Halses  und  obersten  Theils  der  Brust,  die  nach  unten 
bin  scbarf  begrenzt  erscheint.  Die  Gesichtsnerven  zeigen  auBer  einer 
leichten  rechtsseitigen  Ptosis  keine  groberen  Storungen.  Der  Augen- 
lidschluss  ist  beiderseits  gleich  kraftig;  dabei  entsteht  zunehmendes 
lebhaftes  Zittem  der  Augenlider.  Die  Zunge  wird  gerade  heraus- 
gestreckt,  zeigt  fibrillares  Wogen  in  ihrer  Musculatur.  Es  besteht 
Strabismus  convergens  und  ziemlich  starke  Kurzsichtigkeit  (—  6  D). 
Beim  Priifen  der  Augenbewegungen  scheinen  die  Augenmuskeln  rasch 
zu  ermiiden;  die  Augen  fangen  an  zu  thranen  (Conjunctivitis).  Die 
Pupillen  sind  gleichweit,  reagiren  gut.  Die  Sehscharfe  betragt  5/7,5; 
Gesichtsfeld  und  Augenspiegelbefund  sind  normal.  Der  Patellar- 
sehnenreflex  ist  rechts  schwach,  links  sehr  lebhaft,  der  FuBsohlen- 
reflex  ebenso.  Auch  der  Bauchdeckenreflex  ist  links  lebhafter  als 
rechts,  der  Cremasterreflex  nur  links  nachweisbar.  Corneal-  und 
Wurgreflexe  sind  erhalten.  Die  Hautempfindlichkeit  ist  vollig  normal, 
ebenso  Temperatur-  und  Schmerzempfindlichkeit. 

Die  Kraft  des  rechten  Beines  und  des  rechten  Armes  erscheint 
viel  geringer  als  die  des  linken.  Der  Druck  der  rechten  Hand  ist 
viel  schwacher  als  der  der  linken  und  erlahmt  schnell.  Beim  Gehen 
wird  das  rechte  Bein  etwas  nachgezogen.  Beim  SchlieBen  der  Augen 
tritt,  auch  beim  Stehen  mit  gespreizten  Beinen,  heftiges  Schwanken  auf . 

Die  Sprache  des  P.  zeigt  eine  eigenartige  Storung.  Wahrend 
das  Sprechen  zunachst  ganz  flott  erfolgt,  treten  nach  kurzer  Zeit 
Stockungen  auf.  Bei  schwierigeren  Worten,  zumal  wo  2  oder  mehr 
Consonanten  aufeinander  folgen,  finden  wir  diese  Storung  von  vom 
herein,  z.  B.  »Donaudampf — sch — schiff — sch — schlepp — sch — schiff- 
fahrt*.  Von  Seiten  des  Gehors  wurde  durch  eine  in  der  Heidel- 
berger  Universitats-Ohrenklinik  vorgenommene  Untersuchung  rechts- 
seitige  Unempfindlichkeit  des  Nervus  acusticus  festgestellt. 

Auf  geistigem  Gebiete  fiel  bei  P.  ein  unstetes,  hastiges  Wesen 
auf,  das  sich  im  Sprechen  wie  in  den  Bewegungen  auBerte.  Er  war 
kleinmiithig,  niedergeschlagen,  verzagt,  weinerlich,  wechselnder,  leicht 
umschlagender  Stimmung.  Dabei  bestand  eine  groBe  Redseligkeit. 
Ueber  seinen  Unf  all  und  dessen  Folgen  redete  er  immer  wieder,  endlos 
umstandlich,  keine  Kleinigkeit  auslassend,  fast  mit  denselben  Worten. 


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574  Adolf  Gross. 

Das  Gedachtniss  des  P.  erwies  sich  im  GroBen  und  Ganzen  als  zu- 
verlassig,  doch  zeigte  sich  eine  gewisse  Unsicherheit  in  Bezng  auf 
zeitliche  Verhaltnisse.  Seinen  Unfall  und  Alles,  was  damit  zusammen- 
hing,  bewahrte  er  lUckenlos  in  seiner  Erinnerung.  Seine  TJrtheils- 
fahigkeit  lieB  keine  Stoning  erkennen ;  liber  Fragen,  die  sein  Q^schaft, 
stadtische  Verhaltnisse  und  andere  Dinge,  die  in  den  Q^ichtskreis 
eines  Mannes  seiner  socialen  Stellung  fallen,  gab  er  durchaus  sach- 
gemaBe  Auskunft.  Er  bot  .einen  normalen  »gesunden  Menschen- 
verstand*  dar. 

Im  Juli  1898  wurde  P.  auch  von  Aschaffenburg  12mal  unter- 
sucht.  Dabei  wurde  in  alien  wesentlichen  Punkten  der  gleiche  Idini- 
sche  Befund  erhoben. 

Das  von  P.  dargebotene,  in  Vorstehendem  skizzirte  Bild  ent- 
spricht  durchaus  dem  einer  traumatischen  Neurose.  Gegen  den  Ver- 
dacht  einer  Simulation  kann  zunachst  das  Ergebniss  der  korperlichen 
Untersuchung  ins  Feld  gefuhrt  werden;  insbesondere  dtirfte  eine  ab- 
sichtliche  Vortauschung  der  Differenz  aller  Reflexe,  des  Tremors  der 
Zunge  und  der  Augenlider  ausgeschlossen  sein.  Die  Zeichen  einer 
gesteigerten  vasomotorischen  Erregbarkeit,  das  Gespannt-  und  Fre- 
quentwerden  des  Pulses,  das  Auftreten  der  scharf  imigrenzten  Haut- 
rothe,  konnen  iiberhaupt  nicht  simulirt  werden. 

Es  war  nun  weiterhin  von  Wichtigkeit,  festzustellen,  inwieweit 
die  psychischen  Storungen  als  zweifellos  vorhandene,  objective,  oder 
mit  anderen  Worten  sicher  nicht  simulirte  anzusehen  seien.  Damit 
kommen  wir  zu  dem  in  der  Einleitung  erlauterten  Zwecke  dieser  Arbeit. 

Unter  den  von  P.  dargebotenen  oder  behaupt^ten  psychischen  Ver- 
anderungen,  die  der  erlittene  Qnfall  erzeugt  haben  soil,  sind  diejenigen, 
welche  auf  gemiithlichem  Gebiete  gelegen  sind,  zur  Zeit  einer  psychophy- 
sischen  Untersuchung  noch  nicht  zuganglich.  Die  zur  Verfugung  stehen- 
den  psychologischen  Untersuchungsmethoden  gestatten  jedoch  immer- 
bin  schon  eine  Priifung  der  Auffassung  und  der  Bewegungsvorgange 
sowie  einfacher  intellectueller  Leistungen.  Daraufhin  babe  ich  den 
angewendeten  Versuchsplan  aufgebaut,  der  sich  zwar  nicht  in  alien 
Theilen  als  brauchbar  erwiesen  hat,  den  ich  aber  zusammen  mit  den 
leitenden  Gesichtspunkten  zunachst  wiedergeben  will. 

Um  die  von  P.  angegebene  Erschwerung  der  Bewegungsvorgange 
zu  studiren,  wurde  das  Sprechen  benutzt,  in  der  gleichen  Wei9e  wie 


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Zar  Psycbologie  der  traiiraatischen  Psy chose.  575 

ich  es  friiher*)  fiir  stuporose  Kranke  angegeben  habe.  Ich  lieB  den 
P.  so  schnell  wie  moglich  von  1 — 20  zahlen  und  ihn  diese  Anfgabe 
je  5mal  wiederholen.  Der  Zweck  der  Wiederholungen  war  einmal, 
Mittelwerthe  zu  gewinnen,  die  Zufalligkeiten  ausschlossen;  dann,  zu 
sehen,  ob  die  einzelnen  Werihe  unter  sich  iibereinstimmten,  und  da- 
mit  die  Moglichkeit  einer  Simulation  zu  erschweren;  drittens,  um  er- 
kennen  zu  konnen,  ob  sich  im  Verlaufe  der  in  die  Lange  gezogenen 
Aufgabe  Ermiidungserscheinungen  bemerkbar  machten.  Zu  diesem 
Zwecke  musste  die  gesammte  Aufgabenreihe  moglichst  rasch  nach 
einander  ohne  Pausen  abgewickelt  werden. 

Um  die  Auffassungsfahigkeit  zu  studiren,  wurde  ein  neues  Ver- 
fahren  angewandt,  das  von  Finzi  an  Gesunden  eingehend  erprobt  und 
als  sehr  brauchbar  bef unden  worden  ist  und  demnachst  veroffentlicht 
werden  soil.  Es  wird  dabei  der  Versuchsperson  eine  Gruppe  von  9  Zah- 
len oder  Buchstaben  fiir  ganz  kurze  Zeit,  etwa  1 — 2  Hundertstel  Secunde, 
auf  durchleuchtetem  Grunde  sichtbar  gemacht.  Diese  muss  dann  sofort 
oder  eine  bestimmte  Zeit  nachher  angeben,  welche  Schriftzeichen  sie 
gesehen  hat,  und  an  welcher  Stelle.  Die  Reactionen  konnen  beliebig 
oft  in  schnellstem  ZeitmaBe  wiederholt  werden.  Die  Versuche  er- 
geben  ein  recht  zuverlassiges  MaB  nicht  nur  fiir  die  Auffassungs- 
fahigkeit, insbesondere  die  GroBe  des  Auffassungsfeldes,  sondem 
auch  fiir  die  Aufmerksamkeit,  die  Merkfahigkeit  und  Ermiidbarkeit. 
Dieselben  sind  an  P.  von  Finzi  selbst  auf  meine  Bitte  angestellt 
worden  und  ergaben  einwandfreie  B;esultate.  Ihre  genauere  Wieder- 
gabe  erscheint  aber  vor  der  Veroffentlichung  der  Finzi'schen  Normal- 
versuche  unzweckmaBig;  ich  muss  mich  daher  darauf  beschranken, 
nur  ihre  allgemeinen  Ergebnisse  anzufiihren,  indem  ich  die  spatere 
ausfiihrliche  Publication  Finzi  iiberlasse. 

Zur  Untersuchung  einfacher  intellectueller  Vorgange  wird  in 
Heidelberg  einmal  das  fortlaufende  Addiren  einstelhger  Zahlen  an  der 
Hand  der  bekannten  Rechenhefte,  dann  das  Auswendiglemen  von 
Zahlenreihen  oder  sinnlosen  Silben  angewandt.  Das  Auswendig- 
lemen schien  mir  fiir  meine  Zwecke  zu  schwierig  und  zu  wenig  con- 
trolirbar;  ich  beschrankte  mich  daher  auf  das  Addiren  und  fiigte 
noch  die  Aufgabe  bei,  von  100  je  7  zu  subtrahiren,   bis  auf  2  ab- 


1)  Allgem.  Zeitschrift  for  Psyohiatrie  Bd.  53,  S.  857. 


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576  Adolf  Gross. 

warts.  Diese  Aufgabe  lieB  ich  4  mal  wiederholen,  ebenfalls  urn  Durch- 
schnittswerthe,  Controlwerthe  und  vielleicht  Ermiidungswerthe  zu  be- 
kommen,  wie  es  oben  fUr  das  Zahlen  beschrieben  worden  ist.  Das 
Subtrahiren  soUte  dem  Addiren  gegeniiber  die  schwierigere  Aufgabe 
sein,  zumal  da  es  im  Kopfe  vorgenommen  werden  musste. 

Mit  alien  Methoden  wurde,  auBer  auf  eine  Veranderung  der  ab- 
soluten  Leistung,  auch  auf  eine  vielleicht  eintretende  Abnahme  der- 
selben  im  Laufe  der  Arbeit  gefahndet,  zumal  da  bei  P.  die  Klagen 
iiber  starke  Ermiidbarkeit  die  erste  Stelle  einnahmen. 

Bei  der  Besprechung  beginne  ich  mit  den  Addirversuchen,  weil 
sie  neben  den  Auf fassungsversuchen  die  reichlichsten  Ergebnisse  dar- 
bieten  und  die  einzigen  sind,  bei  denen  das  normale  Vergleichsmaterial 
einigermaBen  genligt. 

Da  es  bei  diesen  Versuchen,  wenn  sie  an  Kranken  angestellt 
werden  soUen,  auf  eine  bis  ins  Kleinste  peinlich  genaue  Durchfiihrung, 
ja  auf  jedes  Wort,  das  der  Experimentator  dabei  spricht,  ankommt, 
und  zwar  in  einem  Grade,  von  dem  der  nicht  damit  Vertraute  keinen 
Begriff  haben  kann,  so  will  ich  die  Art  der  Vomahme  der  Versuche 
kurz  schildem. 

Sie  wurden  alle  zu  derselben  Tageszeit  vorgenommen,  naturlich 
unter  moglichstem  Ausschluss  der  bekannten  Yersuchsschadigungen, 
wie  Alkohol,  Thee,  Kaffee  u.  s.  w.  Es  wurde  ein  Tisch  an  das  Fenster 
gestellt,  ohne  dass  das  Licht  blenden  konnte.  An  die  Langsseite 
setzte  ich  P.,  mich  an  die  Kurzseite.  Die  Versuchsaufgabe  wurde 
genau  auseinandergesetzt;  dann  kam  der  Befehl,  zu  beginnen.  Zu- 
gleich  mit  dem  Beginn  setzte  ich  eine  Funftelsecunden-Uhr  in  Be- 
wegung  und  markirte  jede  5  Minuten  durch  einen  Strich  unter  die 
letztaddirte  Zahl,  beobachtete  dabei  P.  genau,  ohne  mich  weiter  in 
seine  Thatigkeit  einzumischen.  Er  war  auch  immer  so  eifrig  in  seine 
Arbeit  vertieft,  dass  er  von  meiner  Anwesenheit  keine  weitere  Notiz 
nahm.  Jeder  Versuch  dauerte  Va  Stunde,  nach  deren  Ablauf  ich 
ihm  ohne  weiteres  das  Rechenheft  wegnahm.  P.  schatzte  immer  die 
verflossene  Zeit  zu  kurz,  auf  etwa  V4  Stunde,  ein  sicheres  Zeichen, 
dass  er  eifrig  gearbeitet  hatte,  und  dass  ihm  die  Sache  nicht  lang- 
weilig  war. 

Das  normale  Vergleichsmaterial  fUr  Y2Stundige8  Addiren  ver- 
danke  ich  der  Giite  Aschaffenburg's,  der  mir  von  alien  Versuchs- 


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Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psycbose.  577 

personen,  die  in  Heidelberg  in  den  letzten  Jahren  ^2  Stunde  ununter- 
brochen  addirt  batten,  die  Leistungen  der  ersten  und,  soweit  mog- 
lich,  auch  der  zweiten  Versuchstage  mittheilte.  Aus  diesen  babe  icb 
mir  die  zum  Vergleiche  notbigen  >Ge8undbeit8breiten«  zusammen- 
gestellt.  Zu  diesem  Zwecke  standen  mir  fur  den  ersten  Tag  die  Halb- 
stundepleistungen  von  21  Versucbspersonen  zur  Verfiigung,  die  auf 
den  Tabellen  mit  den  romiscben  Ziffem  I — XXI  bezeicbnet  sind, 
unter  diesen  jedocb  nur  10  braucbbare  Werte  fur  die  zweiten  Ver- 
sucbstage,  fur  die  spateren  uberbaupt  keine. 

Zu  vergleicben  sind  nun  zunacbst  die  absoluten  Leistungen  der 
ersten  und  zweiten  Arbeitstage,  femer  die  Veranderung,  welcbe  die 
Arbeitsleistung  wabrend  desselben  Tages  unter  dem  Einflusse  von 
TJebung  und  Ermiidung  erleidet.    Hierzu  dient  die  Tabelle  I. 

Tabelle  I. 
1.  Tag  2.  Tag 

LdJi   Leistungsveranderung     j^^^^    Leistungsveranderu^ 


I 

2408 

-    3,1 

n 

2325 

+  13,5 

2994 

-4,4 

in 

2206 

-   2,8 

IV 

1565 

+    1.2 

V 

1538 

+  20,4 

1833 

+  2,5 

VI 

1533 

+    7,4 

vn 

1503 

+  14,1 

vm 

1416 

+    1,8 

IX 

1401 

-    1,5 

1669 

-1,8 

X 

1373 

+    4,6 

XI 

1356 

+   8,6 

xn 

1279 

+  17,9 

XUI 

1264 

-    0,6 

1593 

-1,6 

XIV 

1245 

+    8,2 

XV 

1191 

-    0,2 

XVI 

1168 

+  14,7 

1514 

-1,3 

xvn 

1167 

+    6,5 

1538 

+  8,1 

tVlM 

•1002 

+  21,2 

1155 

-0,5 

XTX 

917 

+  14,3 

1080 

-0,7 

XX 

871 

+  16,7 

1225 

+  6,2 

XXI 

775 

+  41,8 

981 

+  2,0 

p. 

618 

-10,4 

988 

-4,4 

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578  Adolf  Gross. 

In  dieser  Tabelle  sind  die  absoluten  Leistungen  in  der  Zahl  der 
vollbrachten  Additionen  dargestellt.  Die  Rubriken  »Leistung8verande- 
rung«  geben  die  Zunahme  (+)  oder  Abnahme  ( — )  der  Leistung  in 
der  zweiten  Viertelstunde  in  Procenten  der  Leistung  der  ersten  Viertel- 
stunde  wieder. 

Betrachten  wir  zunachst  den  ersten  Tag.  Die  Normalen  lieferten 
zwischen  775  und  2408  Additionen  in  der  halben  Stunde.  Die  weit^ 
aus  iiberwiegende  Mehrzahl  der  Werihe,  15  von  21,  liegen  zwischen 
lOOO  und  1600.  P.  steht  mit  618  Additionen  noch  tief  unter  dem 
schlechtesten  Normalwerthe.  Die  Leistung  nahm  bei  fast  alien  Ge- 
sunden  wahrend  des  Arbeitens  zu;  nur  bei  5  zeigt  sich  eine,  3,l7o 
nicht  Ubersteigende  Abnahme.  Bei  P.  finden  wir  eine  Abnahme  von 
10,4%-  JOies  Verhaltniss  wird  noch  auffallender,  wenn  wir  die  Be- 
ziehungen  zwischen  absoluter  Leistung  und  Leistungsverlauf  ins  Auge 
fassen.  Die  niederen  Normalleistungen,  die  denjenigen  von  P.  naher 
stehen,  zeigen  alle  ein  sehr  starkes  Anwachsen  der  Leistung  wahrend 
des  Arbeitens,  wahrend  die  beiden  einzigen  einigermaBen  erheblichen 
Abnahmen  von  3,1  und  2,8%  ^^i  ganz  besonders  hohen  Gesammt^ 
leistungen  vorkommen.  Stellen  wir  die  normale  Person  XXI,  die 
ihm  in  Bezug  auf  die  halbstundige  Gesammtleistung  am  nachsten  steht, 
unserem  Kranken  P.  gegeniiber,  so  erscheint  die  pathologische  Art 
des  Leistungsverlaufs  in  reinster  Auspragung. 

Aehnlich,  wenn  auch  nicht  ganz  so  klar,  liegen  diese  Dinge  am 
zweiten  Versuchstage.  Hier  sind  die  absoluten  Leistungen  durchweg 
hoher,  als  am  ersten  Tage;  sie  bewegen  sich  zwischen  981  und  2994 
Additionen;  P.  steht  auch  hier  mit  933  Additionen  noch  erheblich 
hinter  dem  schlechtesten  Gesunden  zuriick.  Die  Leistung  nimmt  in 
der  Mehrzahl  der  Falle  auch  bei  den  Gesunden  wahrend  des  Ar- 
beitens ab,  am  meisten  bei  11,  der  die  hochste  Gesammtleistung  dar- 
bietet,  und  zwar  um  4,4  % »  ebenso  viel  nimmt  sie  bei  P.  trotz  seiner 
krankhaft  geringen  Arbeitsgeschwindigkeit  ab,  wahrend  wir  unter  nor- 
malen Verhaltnissen  bei  einer  so  niedrigen  Gesammtleistung  eine 
Zunahme  mit  Sicherheit  batten  erwarten  diirfen.  Auch.  hier  giebt  der 
Vergleich  mit  XXI  den  richtigen  MaBstab. 


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Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psychose.  579 

Tabelle  H. 

Uebung  ErmiiduDg 

X  H- 15,3  —   9,3 

IX  -|-ia,3  -17,4 

VI  +  24,2  -  13,5 

Xm  -h  26,6  —  21,5 

XIX  +26,6  —    9,8 

XVin  -h27,8  —    5,2 

V  +29,8  —    7,2 

XVn  +30,8  —18,5 

IV  +32,4  —23,6 

XVI  +40  -18,1 

n  H-  40,6  — 19,3 

XX  +  47,8  —  21 

XXI  +51,9  —    6,4 

Xn  +71,3  —31,2 

P.  +  46,8  -  38,8 

In  der  ersten  Spalte  der  Tabelle  11  sind  die  ersten  Viertelstunden 
beider  Versuchstage  mit  einander  verglichen.  Unter  der  TJeberschrift 
» Uebung «  ist  der  Leistungszuwachs  der  ersten  Viertelstunde  des 
zweiten  Tages  gegeniiber  dem  entsprechenden  Abschnitte  des  ersten 
Tages  in  Procenten  der  ersten  Viertelstundenleistung  des  ersten  Tages 
angegeben.  Da  sich  die  Ermiidung,  welche  die  Schlussleistung  des 
ersten  Tages  herabdriickt,  am  zweiten  Tage  ausgeglichen  hat,  kann 
uns  jener  Zuwachs  ein  ungefahres  Bild  von  der  GroBe  des  Uebungs- 
einflusses  ohne  Ermiidung  geben.  Preilich  ist  dabei  der  Uebungs- 
rerlust  von  einem  Tage  zum  andem  nicht  beriicksichtigt,  doch  ist 
vielleicht  die  Annahme  berechtigt,  dass  auch  jener  rohe  Werth  eine 
gewisse  Vergleichung  der  Versuchspersonen  nach  ihrer  Uebungsfahig- 
keit  erlaubt.  Wie  die  Tabelle  U  lehrt,  betragt  der  thatsachliche  Zu- 
wachs der  Leistung  am  zweiten  Tage  bei  Gesunden  zvrischen  15  und 
72  Procent,  meist  zwischen  20  und  50.  Vergleichen  wir  damit  un- 
seren  Kranken  P.,  so  steht  er  mit  46,3%  Uebungszuwachs  fast  an 
der  Spitze  des  Gesunden;  jedenfalls  ist  er  als  sehr  ubungsfahig  zu 
bezeichnen;  sein  Uebungszuwachs  diirfte  als  sicher  nicht  krankhaft 
verandert  erscheinen. 

Ein  anderes  Bild  giebt  die  zweite  Spalte  dieser  Tabelle.  Sie 
vergleicht  die  erste  Viertelstunde  des  zweiten  Versuchstages  mit  der 


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580  Adolf  Gross. 

jet z ten  des  ersten.  Die  Schlussleistung  des  ersten  Tages  wird  durch 
die  Ermiidung  beeintrachtigt.  Der  Zuwachs  der  Leistung  im  Beginne 
des  nachsten  Tages  giebt  uns  annahemd  ein  Bild  von  der  GroBe 
dieser  EinbuBe.  Allerdings  ist  dieselbe  in  Wirklichkeit  weit  groBer, 
als  es  in  den  Zahlen  erscheint,  weil  die  Leistung  des  zweiten  Tages 
durch  den  Uebungsverlust  herabgedriickt  wird.  Auch  hier  jedoch 
durften  die  Werthe,  welche  die  Minderleistung  der  zweiten  Viertel- 
stunde  des  ersten  Tages  gegeniiber  der  ersten  Viertelstunde  des  zweiten 
in  Procenten  der  Gesanuntarbeit  in  letzterem  Zeitabschnitte  angeben, 
wesentlich  die  verschiedene  Ermiidbarkeit  der  einzelnen  Versuchsper- 
sonen  widerspiegeln.  Natiirlich  sind  alle  Zahlen  negativ,  da  jeder 
Mensch  bei  der  Arbeit  ermiidet;  die  weitaus  meisten  liegen  zwischen 
5  und  20  Vo-  P-  steht  mit  38,8  "/o  iioch  erheblich  unter  dem  ermiid- 
barsten  G^unden. 


Tabelle  TTT. 

1. 

Reihe 

2.B6ihe 

Absol. 
Leistung 

Leistungs- 
verandenmg 

Absol. 
Leistung 

Leistungs- 
veranderong 

Pi 

618 

-10,4 

Pi 

851 

-14,2 

P2 

933 

-   4,4 

Ps 

876 

-15,2 

Pz 

996 

-    5,9 

Ps 

919 

-12,4 

Pi 

900 

-    6,6 

In  Tabelle  m  habe  ich  die  Zahlen  tiber  absolute  Arbeitsleistung 
und  den  Arbeitsverlauf  fur  alle  7  Tage,  an  denen  P.  untersucht 
wurde,  wiedergegeben.  Ich  kann  zwar  diese  Werthe,  wie  oben  er- 
wahnt,  nicht  durchweg  mit  entsprechenden  Ergebnissen  an  G^sunden 
vergleichen,  doch  erlaubt  die  Tabelle  eine  Eeihe  von  Schlussen.  Es 
handelt  sich  um  2  Keihen,  eine  von  3,  eine  von  4  Versuchstagen. 
Die  Leistung  steigt  in  beiden  bis  zum  dritten  Tage,  um  am  vierten 
Tage  unerheblich  abzunehmen.  Das  bedeutet,  dass  die  schlechte  An- 
fangsleistung  durch  die  Uebungsfahigkeit  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
verbesserungsfahig  ist,  und  zwar  noch  mehr  in  der  ersten,  als  in  der 
zweiten  Reihe.  Doch  erreicht  die  beste  Leistung,  die  des  dritten 
Versuchstages,  etwa  gerade  die  schlechteste  des  zweiten  Versuchs- 
tages  der  G^sunden.  Dicj  Leistung  des  ersten  Tages  der  zweiten 
Reihe  ist  um  145  Additionen  geringer,  als  die  des  letzten  Tages  der 


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Zor  Psychologie  der  traiun&tisehen  Psychose.  581 

ersten  Reihe,  jedoch  um  233  hoher,  als  die  von  deren  erstem  Tage; 
Oder:  ein  erheblicher  Theil  der  in  der  ersten  Versuchsreihe  erwor- 
benen  Uebung  ist  uber  die  5  Monate  Zwischenzeit  hinaus  bewahrt 
worden;  ein  anderer  Theil  ist  verloren  gegangen.  An  alien  7  Versuchs- 
tagen  nimmt  die  Leistimg  von  der  ersten  Viertelstunde  zur  zweiten 
ab,  in  der  zweiten  Reihe  meist  bedeutend  mehr  als  in  der  ersten, 
offenbar  wegen  des  mit  fortschreitender  Uebung  allmahlich  geringer 
werdenden  Uebungseinflusses. 

Hieraus  sind  folgende  Schlusse  erlaubt:  Die  fortlaufende  Addi- 
tionsarbeit  vollzieht  sich  bei  P.  in  einer  dnrchaus  unseren  Erfahrungen 
entsprechenden  Weise;  sie  steht  gleichmaBig  unter  den  uns  wohlbe- 
kannten  Einfliissen  der  Uebung,  der  Ermiidung  und  des  Uebungs- 
verlustes,  unter  denen  die  Uebungsfahigkeit  und  wohl  auch  der 
Uebungsverlust  als  normal,  die  Ermudbarkeit  als  krankhaft  gesteigert 
zu  betrachten  sind;  seine  Leistungsfahigkeit  war  geringer,  seine  Er- 
miidbarkeit  starker  im  August  als  im  Februar. 

Es  ware  noch  darauf  hinzuweisen,  dass  P.  beim  Addiren  so  gut 
wie  keine  Fehler  macht.  Vielleicht  ist  es  spater  einmal  moglich, 
hieraus  differentialdiagnostisch  Vortheil  zu  ziehen,  gegeniiber  Fallen  von 
progressiver  Paralyse,  die  sonst  im  ersten  Beginn  moglicher  Weise  ein 
ahnliches  Symptomenbild  darbieten  konnen,  wie  unser  Kranker. 


Tabelle  IV. 

Subtractionsaufgabe.     (Werthe  in  Secunden.) 

Reihe  I. 

1. 

2. 

3. 

4. 

D. 

Pi 

102 

80 

72 

88 

85,5 

P2 

80 

60 

104 

54 

76 

Pz 

113 

90 

70 
Reihe  n. 

80 

88 

Pa 

74 

68,2 

68,2 

83,4 

72 

A 

46,6 

131 

125,2 

60 

90,7 

Pe 

39,4 

50 

48,8 

65,8 

51 

Pi 

56,2 

48,4 

56,2 

48,4 

52 

Z>. 

73 

76,2 

77,8 

68,7 

73,6 

Wenn  auch,  aus  den  friiher  bereits  angefiihrten  Grriinden,   die 
Subtrahirversuche  nicht  in  gleichem  MaBe  einwandfrei  sind   wie  die 


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582  Adolf  (iross. 

Addirversuche,  will  ich  sie  doch  kurz  wiedergeben  iind  beschreiben. 
Dem  Ej-anken  fiel  daa  Subtrahiren  viel  schwerer,  als  das  Addiren. 
Er  meinte,  er  konne  ganz  gut  rechnen,  wenn  er  die  Zahlen  vor  sich 
sehe,  konne  aber  gar  keine  Zahlen  im  Kopfe  behalten.  Es  kamen 
beim  Subtrahiren  auch  mehrfach  Fehler  vor,  die  der  Eranke  aller- 
dings  meist  bemerkte,  und  die  wohl  zumeist  darauf  zurUckzufiihren 
sind,  dass  er  sich  auf  das  Eesultat  der  vorausgegangenen  Subtraction 
nicht  recht  besinnen  konnte.  Die  Folge  dieser  Schwerbesinnlichkeit 
waren  auch  einzelne  sehr  lange  Pausen  wahrend  der  Subtraction,  und 
deren  Folgen  wieder  die  geringe  Uebereinstimmung  der  verschiedenen 
Subtractionszeiten.  Sie  bewegen  sich  im  Ganzen  zwischen  39,4  und 
131  Secunden  und  betragen  im  Mittel  73,6  Secunden.  Da  G^sunde 
zur  Losung  der  Aufgabe  etwa  15—25  Secunden  benothigen,  so  liegt 
zweifellos  eine  erhebliche  Erschwerung  vor,  und  zwar  wahrscheinlich 
eine  starkere,  als  bei  der  leichteren  Arbeit  des  Addirens.  In  der 
zweiten  Reihe  sind  die  Durchschnittswerthe  der  beiden  letzten  Tage 
erheblich  kiirzer,  als  die  der  beiden  ersten;  es  scheint  also  hier  eine 
gewisse  Uebung  vorzuliegen,  wahrend  in  der  ersten  Reihe  nichts  der- 
gleichen  zu  erkennen  ist.  Um  auf  vielleicht  nachweisbare  Ermiidungs- 
erscheinungen  zu  fahnden,  habe  ich  die  Durchschnittswerthe  der  t., 
2.,  3.  und  4.  Subtraction  aller  Tage  zusammengestellt.  Hier  ist  eine 
Ermiidung,  die  sich  in  fortschreitender  Verschlechterung  der  Leistung 
auBem  musste,  nicht  zu  erkennen.  Dazu  ist  die  Zeit,  welche  zur 
viermaligen  Losung  der  Subtractionsaufgabe  nothwendig  war,  etwa 
5  Minuten,  wohl  auch  zu  kurz.  Innerhalb  dieser  Zeit  fand  ich  auch 
beim  Addiren  noch  keine  Ermiidungserscheinungen. 


Tabelle  V. 

Zahlen. 

(Werthe  in 

Secunden.) 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

D. 

Px 

8,0 

9,0 

9,6 

12,0 

15,0 

10,7 

A 

8,4 

8,4 

8,4 

8,0 

8,4 

8,3 

Pi 

10,0 

8,4 

10,0 

9,4 

10,6 

9.7 

A 

7,2 

7,4 

8,4 

8,1 

9,4 

H,l 

A 

8,4 

8,4 

9,4 

10,2 

11,0 

9,4 

P« 

7,0 

8,2 

8,2 

9,2 

9,2 

8,2 

A 

8,0 

8,4 

8,6 

9,2 

9,4 

8.7 

D. 

8,1 

8,3 

8,9 

9,4 

10,4 

9,0 

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Zur  Psychologie  der  traumatiscben  Psychose.  583 

Die  Veranderung  der  psychbmotorischen  Functionen,  speciell  des 
Sprechens,  war  schon  durch  die  einfache  klinische  Beobachtung  recht 
deutlich  zu  erkeimen;  durch  die  psychologische  Untersuchung,  das 
funfmalige  Zahlen  von  1 — 20,  trat  sie  messbar  hervor.  Die  einmalige 
Losung  dieser  Aufgabe  nimmt  beim  Gesunden  3  bis  hochstens  5  Se- 
cunden  in  Anspruch;  hier  finden  wir  als  niedersten  Werth  7,  als 
Durchschnittswerth  9  Secunden.  Eine  durchgehende  Beschleunigung 
des  Sprechens  durch  die  Uebung  ist  nicht  zu  erkennen.  Nur  gegen- 
uber  dem  Durchschnittswerthe  des  ersten  Tages  ist  deutlich  eine  ge- 
wisse  Verkiirzung  der  Zeiten  zu  bemerken,  wobei  wahrscheinhch  die 
Gewohnung  eine  Rolle  spielt.  Dagegen  zeigt  sich  in  den  Durch- 
schnittswerthen  der  an  gleicher  Stelle  stehenden  Aufgaben  der  ver- 
schiedenen  Tage  ein  unverkennbares,  regelmaBiges  Anwachsen,  das 
wohl  auf  motorische  Ermlidung  zuriickzufiihren  ist.  Da  die  sammt- 
lichen  5  Aufgaben  eines  Tages  zusammen  nur  etwa  1  Minute  bean- 
spruchten,  so  diirfen  wir  daraus  schUeBen,  dass  bei  P.  die  psycho- 
motorische  Ermiidung  weit  schneller  eintrat,  als  die  intellectuelle.  Es 
sei  auch  auf  die  groBe  GleichmaBigkeit  hingewiesen,  mit  der  alle  Auf- 
gaben erledigt  wurden;  die  Unterschiede  zwischenden  an  gleicher  Stelle 
stehenden  Werthen  der  verschiedenen  Tage  sind  auffallend  geringe. 

Ein  Versuch  mit  der  Schriftwage,  bei  dem  ich  P.  mit  groBt- 
mogUcher  Geschwindigkeit  2  mal  von  1 — 10  schreiben  lieB,  giebt  zu- 
sammen mit  den  Ergebnissen  der  kUnischen  Beobachtung  einen  Finger- 
zeig  dafur,  worauf  diese  Verlangsamung  des  Sprechens  beruht.  P.  schrieb 
namlich  beide  Reihen  in  je  6  Secunden.  Es  entspricht  das  fast  genau 
dem  Werthe,  den  ich  als  Durchschnittswerth  fiir  Gesunde  gefunden 
habe^).  Die  bei  P.  gefundene  Verlangsamung  ist  daher  keine  Folge 
einer  einfachen  psychomotorischen  Erschwerung.  Sie  ist  vielmehr, 
wie  schon  aus  der  kUnischen  Beobachtung  hervorging,  auf  die  Schwie- 
rigkeit  zuriickzufiihren,  die  P.  bei  dem  Aussprechen  mehrerer  auf- 
einanderfolgender  Consonanten  hatte.  Sie  trat  auch,  wie  ich  beim 
Zahlenlassen  leicht  erkennen  konnte,  erst  von  der  Zahl  10  ab  auf. 
Vielleicht,  oder  sogar  wahrscheinhch,  ware  sie  auch  mit  der  Schrift- 
wage zu  erkennen  gewesen,  wenn  ich  P.  bis  20  hatte  schreiben  lassen, 


I )  S.  diese  Arbeiten,  11,  S.  472. 


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584  Adolf  Gross. 

falls  sie  nicht  etwa  eine  rein  articulatorische  sein  sollte.  Die  G^gen- 
iiberstellung  des  Ergebnisses  der  Schrift-  und  Sprechuntersuchung  ist 
hier  deshalb  so  interessant,  weil  sie  zeigt,  wie  das  gleiche  psycho- 
physische  Ergebniss  verschiedene  psychologische  Ursachen  haben,  und 
wie  man  das  durch  Anwendung  verschiedener  Methoden  manchmal 
leicht  erkennen  kann.  Ich  glaube,  dass  es  keine  erheblichen  Schwie- 
rigkeiten  bieten  diirfte,  durch  daraufhin  angeordnete  Untersuchungen 
dieses  hier  nur  fliichtig  belichtete  Dunkel  voU  zu  erhellen. 

Als  Ergebniss  seiner  an  3  Tagen,  und  zwar  je  1  Stunde  lang, 
ausgefiihrten  Auffassungsversuche  gab  mir  Finzi  an:  Schlechte  Auf- 
fassung,  schlechte  Merkfahigkeit,  groBe  Ablenkbarkeit,  groBe  Ermiid- 
barkeit,  geringe  Uebungsfahigkeit. 

AUe  Methoden  zusammengefasst  ergeben  eine  krankhaft  schlechte 
Leistung  auf  den  verschiedenen  untersuchten  Gebieten,  dem  der  Auf- 
fassung,  der  Bewegung  und  der  einfachen  intellectuellen  Leistungen. 
Wir  stellten  iiberall  eine  krankhaft  gesteigerte  Ermiidbarkeit  fest,  die 
sich  bei  den  Bewegungsvorgangen  von  vomherein,  bei  den  intellec- 
tuellen Leistungen  erst  nach  einer  gewissen  Zeit,  nach  etwa  einer 
Viertelstunde,  offenbarte;  eine  solche  wurde  auch  durch  die  Auffas- 
sungsversuche deutlich  gemacht;  doch  kann  ich  an  der  Hand  der  mir 
mitgetheilten  Ergebnisse  nicht  sagen,  zu  welcher  Zeit  sie  auf  diesem 
Gebiete  hervortritt.  Die  Uebungsfahigkeit  war  auf  intellectueUem 
Gebiete  eine  recht  gute;  fiir  einfache  BewegungsvorgHnge  war  sie  gar 
nicht  nachweisbar.  Doch  ist  es  zweifelhaft,  ob  sie  hier  bei  erwach- 
senen  Gesunden  Uberhaupt  eine  RoUe  spielt.  Fiir  die  Thatigkeit  der 
Auffassung  war  sie  krankhaft  herabgesetzt.  Der  Uebungsverlust,  nur 
fiir  die  Addirversuche  deutlich,  diirfte  sich  in  normalen  Grenzen  be- 
wegen.  Schlechte  Merkfahigkeit,  groBe  Ablenkbarkeit  hat  Finzi  in 
seinen  Auffassungsversuchen  gefunden. 

Dass  die  gefundenen  Abweichungen  von  der  Norm  wirklich  auf 
krankhaften  Storungen  beruhen  und  nicht  etwa  auf  Simulation  — 
dafiir  ist  die  Einheitlichkeit  der  Ergebnisse,  die  iiberall,  mit  aUeimger 
Ausnahme  etwa  der  Subtractionsversuche,  eine  geradezu  verbliiffende 
ist,  beweisend.  Dass  diese  EinheitUchkeit  von  Ungeiibten  nicht  nach- 
geahmt  werden  kann,  hat  Rod er  nachgewiesen ;  da  er  die  Ergebnisse 
seiner  eingehenden  Studien  in  diesen  Arbeiten  veroffentlichen  wird, 
brauche  ich  darauf  nicht  naher  einzugehen. 


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Zur  Psychologie  der  traumatischen  Psychose.  585 

Die  in  Vorstehendem  niedergelegten  Erfahrungen  sind  von  einem 
Kranken  gewonnen ;  sie  sind  demnach  zunachst  nur  als  eine  Art  Vor- 
studie  zu  bezeichnen.  Den  Hauptzweck  einer  solchen  mochte  ich 
weniger  in  der  Ergrlindung  von  Gesetzen,  als  darin  suchen,  jener  die 
Wege  zu  ebenen,  Pfade  fur  sie  zu  finden.  Wenn  ich  das,  was  ich 
mittels  meines  Versuchsplans  gefunden,  mit  den  Problemen  vergleiche, 
bei  denen  er  versagt,  so  drangt  sich  der  Wunsch  auf ,  zu  einem  neuen, 
besseren  Versuchsplan  zu  kommen. 

Die  nothwendige  Voraussetzung  neuer  TJntersuchungen  sind  aus- 
schlieBlich  daraufhin  angestellte  Normalversuche,  die  uns  gestatten, 
jeden  Theil  der  Krankenversuche  mit  einer  ausreichenden  Zahl  genau 
entsprechender  Normalreihen  zu  vergleichen. 

Fiir  die  Auffassungsversuche  ist  diese  Bedingung  bereits  erfullt. 
Ich  brauche  also  nicht  naher  darauf  einzugehen  und  verweise  auf  die 
bevorstehende  Pinzi'sche  Arbeit. 

Zum  Studium  der  Bewegungsvorgange  hat  sich  das  Zahlenlassen 
als  durchaus  brauchbar  erwiesen ;  es  ware  nur  durch  die  nothige  Anzahl 
von  Normalversuchen  zu  erganzen.  Ich  mochte  aber,  um  das  psycho- 
motorische  Gebiet  und  dessen  krankhafte  Veranderungen  im  Sinne 
meiner  TJntersuchungen  uber  einfache  Bewegungsvorgange  eingehender 
ergrttnden  zu  konnen,  noch  folgenden  Versuch  vorschlagen:  an  der 
Schriftwaage  die  Zahlen  1 — 10  mehrfach  schreiben;  dann  in  raschem 
ZeitmaBe  Y4  Stunde  ununterbrochen  die  Zahlen  1 — 10  auf  Papier 
schreiben;  dann  die  Anfangsaufgabe  wiederholen.  Der  Schluss 
des  Versuches  giebt  uns  die  MogUchkeit,  die  Veranderungen,  welche 
die  Schrift  des  Kranken  durch  die  Ermiidungsarbeit  erfahren  hat, 
durch  Vergleich  mit  der  ersten  Schriftwaagenreihe  deutlicher  zu 
erkennen.  Genau  entsprechende  Normalversuche  sind  auch  hier 
nothwendig. 

Zur  XJntersuchung  einfacher  intellectueller  Vorgange  mochte  ich 
die  Subtractionsaufgabe,  als  nicht  ganz  zuverlassig,  ausmerzen.  Jeden- 
falls  waren  hier  erst  umfassende  TJntersuchungen  an  Gesunden  durch- 
zufiihren.  Dagegen  ware  das  V2stiindige  Addiren  an  3  aufeinander- 
folgenden  Tagen  beizubehalten  und  vielleicht  noch  ein  vierter  Tag 
beizufugen,  an  dem  nach  Y2stundiger  Pause  nochmals  V4  Stunde 
addirt    wird,    um    die    Erholungsfahigkeit    festzustellen,    und    allen- 

Krft«peliB,  Pgycholoj.  Arbeiten.   II.  39 


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5S6  Adolf  Gross.    Zur  Psychologie  der  traomatiscben  Psychose. 

falls  noch  ein  fUnfter,  an  dem  wahrend  der  zweiten  Viertelstunde 
mit  Ablenkung  addirt  wird,  um  ein  MaB  fiir  die  Ablenkbarkeit  zu 
bekommen. 

Als  nachste  Aufgabe  betrachte  ich  die  Ausfiihrung  dieses  Ver- 
suchsplans  durch  eine  groBere  Anzahl  von  Normalpersonen.  Damit 
wiirden  wir  eine  Art  »psychi8chen  Status*,  der  gerade  zum  Ver- 
gleiche  mit  leichteren  psychischen  Storungen  und  zur  Ergriindung  der 
Eigenheiten  derselben  geeignet  ware,  gewinnen. 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und 

Geisteskranken. 

Von 

Joseph  Beis. 


Wie  Kraepelin  im  ersten  Hefte  dieser  Arbeiten  erortert  hat, 
ist  der  Hauptzweck  der  im  hiesigen  psychologischen  Laboratorium  an- 
gestellten  Untersuchungen,  die  Methoden  der  experimentellen  Psycho- 
logie  80  zu  gestalten,  dass  sie  als  verwerthbare  diagnostische  Hulfs- 
mittel  bei  der  XJntersuchung  pathologischer  Geisteszustande ,  bei  der 
Erkennung  und  Abgrenzung  von  Geisteskrankheiten  dienen  konnen. 
Messnng  und  Zahlung  psychischer  GroBen  sollen  uns  eine  feste  Grund- 
lage  bei  der  Beuriheilung  der  Storungen  der  psychischen  Thatigkeit 
gewahren.  Die  Wege,  die  uns  diesem  Ziele  entgegenfuhren  sollen, 
die  Schwierigkeiten  und  Hindemisse,  welche  die  Erreichung  des  Zieles 
erschweren,  sind  in  diesen  Arbeiten  geniigend  geschildert.  Die  Unter- 
suchungen der  letzten  Jahre  haben  jedoch  auch  gezeigt,  dass  die  Wege 
mit  Erfolg  betreten  werden  konnen. 

Vor  allem  sind  durch  ausgedehnte  Untersuchungen  an  gesunden 
Personen  auf  den  verschiedensten  Gebieten  sichere  Ergebnisse  ge- 
wonnen,  die  als  vergleichbare  Grundlage  bei  der  Beobachtung  ab- 
normer  Geisteszustande  dienen  konnen.  AuBerdem  haben  wir  in  der 
Methodik  der  Untersuchungen  durch  Vereinfachung  derselben  und 
der  dazu  erforderlichen  Apparate  Fortschritte  gemacht,  so  dass  selbst 
recht  schwicrige  Versuche,  wie  psychische  Zeitmessungen,  mit  Geistes- 
kranken in  einer  hohen  Anforderungen  geniigenden  VoUkommenheit 
ausgefuhrt  werden  konnen. 

39* 


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5S8  Joseph  Reis. 

In  der  Hauptsache  sind  es  auf  dem  Gebiete  der  Verstandes- 
thiitigkeit  liegende  Vorgange,  Auffassung  auBerer  Eindrlicke,  Ge- 
dachtniss,  Verbindung  von  Vorstellungen,  die  bis  jetzt  einer  ein- 
gehenderen  Untersuchung  unterzogen  werden  konnen,  wahrend  andere 
Gebiete  psychischer  Thatigkeit  entweder  noch  gar  nicht  oder,  wie  die 
Willensantriebe,  doch  nur  in  sehr  bescheidenem  Umfange  bisher  der 
exacten  experimentellen  Beobachtung  zuganglich  sind.  Andererseits 
bieten  auch  nicht  alle  Zustandsformen  geistiger  Erkrankung  die  Mog- 
lichkeit  einer  auch  nur  oberflachlichen  experimentellen  Priifung.  In 
erster  Linie  sind  es  gewisse  chronisch  verlaufende  Formen  des  Irre- 
seins,  die  ein  zu  diesen  Untersuchungen  geeignetes  Material  aufweisen. 

Den  Gegenstand  der  hier  zu  besprechenden  Versuche,  die  zum 
groBten  Theile  im  Laufe  des  Wintersemesters  1895/96  ausgeftthrt 
sind,  bilden  zwei  Formen  von  Verblodungsprocessen,  von  Krankheits- 
bildem  also,  deren  kennzeichnendes  Merkmal  in  der  raschen  Ent- 
wicklung  eigenartiger  psychischer  Schwachezustande  liegt  Die  eine 
Gruppe  umfasst  Kranke  aus  dem  Gebiete  der  Dementia  praecox,  bei 
denen  der  Krankheitsprocess  zu  einem  gewissen  Abschluss  gekommen 
und  ein  mehr  oder  minder  hochgradiger  geistiger  Schwachezustand 
zuriickgeblieben  war.  Die  andere  Gruppe  wird  von  Kranken  aus  dem 
Bereiche  der  Dementia  paralytica  gebildet,  und  zwar  von  Kranken  aus 
den  verschiedensten  Stadien  derselben,  zumeist  jedoch  von  solchen, 
bei  denen  ein  gewisser  StiUstand  im  Leiden  eingetreten  oder  nur  ein 
auBerst  langsamer  Fortschritt  nachweisbar  war. 

Die  auBeren  Bedingungen,  unter  welchen  die  Versuche  rich  ab- 
spielten,  waren  fur  ausgedehntere  Versuchsreihen  wohl  die  denkbar 
giinstigsten,  da  alle  kranken  Versuchspersonen  als  Patienten  der 
Heidelberger  Univerritatsirrenklinik  dasselbe  gleichmaBig  geregelte 
Leben  fuhrten.  Zur  Controle  wurden  Versuche  an  G^sunden,  und 
zwar  mit  einer  Ausnahme  an  Wartem  der  Klinik,  durchgefuhrt  Wenn 
nicht  alle  Versuche  in  gleicher  Weise  mit  alien  Personen  angestellt 
werden  konnten,  so  beruht  das  moistens  darauf ,  dass  die  betreffenden 
Patienten  vor  Abschluss  der  Versuche  die  Anstalt  verlieBen.  Selbst- 
verstandlich  sind  auch  bei  den  gesunden  Versuchspersonen  die  sonst 
ublichen  Bedingungen,  Enthaltsamkeit  von  Alkohol  u.  a.  m.,  einge- 
halten  worden.  Bei  den  entsprechenden  Versuchfen  einer  Versuchs- 
person  wurdc  jeweils  die  gleiche  Tageszeit  zum  Experimentiren  gewahlt. 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesuiideo  und  GeisteskraDken.        589 

Dass  diese  Versuche  schon  in  alien  Punkten  gesicherte  Ergeb- 
nisse  liefem,  darf  natUrlich  nicht  erwartet  werden.  Sie  miissten  dazu 
an  einer  groBeren  Anzahl  Kranker  in  ausgedehnteren  Yersuchsreihen 
gewonnen  sein,  was  zunachst  noch  an  auBeren  Schwierigkeiten  schei- 
terte.  Der  nachste  Zweck  dieser  Versuche  war  e^  auch  nur,  zu 
zeigen,  dass  die  Anwendung  der  experimentellen  psychologischen 
Methoden  in  der  Psychiatrie  durchaus  moglich  ist,  dass  Geisteskranke 
in  groBerem  XJmfange  zu  derartigen  Versuchen  herangezogen  werden 
konnen.  Der  psychologische  Versuch  darf  damit  als  werthvolles 
Hulfsmittel  in  der  Psychiatrie  gelten,  von  dem  allmahlich  wichtige 
Aufschliisse  liber  die  Stoning  psychischer  Functionen  erwartet  wer- 
den konnen. 

I.  Versnchspersonen. 

Im  Folgenden  seien  einige  kurze  Notizen  aus  den  Bjranken- 
geschichten  der  an  den  Versuchen  theilnehmenden  Patienten  ange- 
fiihrt.  Es  waren  dies  acht  Hebephrene,  die  in  dieser  Arbeit  mit  den 
Consonantei;i  B.  bis  L.,  und  sechs  Paralytiker,  die  mit  den  Conso- 
nanten  M.  bis  T.  bezeichnet  sind,  wahrend  die  Vocale  zur  Benen- 
nung  der  fiinf  gesunden  Versnchspersonen  dienen. 

B.,  lOjahriges  Dienstmadchen.  Bruder  des  Vaters  geisteskrank. 
Gute  Schiilerin;  braves  fleiBiges  Madchen.  Beginn  der  Erkrankung 
Mai  1895  mit  Depression,  Selbstvorwiirfen,  Gehorstauschungen.  G^ 
driicktes  Wesen;  Kopfschmerzen.  Anfang  September  stetes  Lacheln, 
arbeitete  nicht  mehr,  langsam  in  den  Bewegungen.  Wahnideen, 
flustemde  Lippenbewegungen.  Labile  Stimmung.  Aufnahme  Sep- 
tember 1895.  Mangelhaft  orientirt,  besonnen,  gleichgultig,  unthatig, 
ohne  Krankheitseinsicht;  wechselnde  Wahnideen  und  Sinnestau- 
schungen.  Kein  Affect.  Leicht  erotisch.  Katatonische  Schriftstucke. 
Katalepsie,  Dermatographie ,  erhohte  Reflexerregbarkeit ,  Pupillen- 
differenz.  Struma.  December  1895  ungeheilt  nach  Hause  entlassen. 
Diagnose:  Dementia  praecox. 

C,  34  jahriger  Landwirth.  Bruder  der  Mutter  und  eine  Schwester 
geisteskrank.  Guter  fleiBiger  Schuler,  brav,  ruhig,  viel  krank.  Bei 
Alkoholgenuss  sehr  erregbar.  Vor  12  Jahren  Kopfverletzung.  Seit 
9  bis  10  Jahren  Abnahme  des  Gedachtnisses,  seit  4  bis  5  Jahren  » nicht 
mehr  recht  im  Kopf«.     In  der  der  Aufnahme  voraufgehenden  Zeit 


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niJO  Joseph  Reis. 

verstimmt,  still,  schlaflos.  Verfolgungsideen.  Im  Juni  plotzlich  ver- 
wirrt,  lacht  viel,  gehobener  Stimmung,  arbeitsscheu,  beichtet,  glaubt 
sterben  zu  miissen,  hort  Stiminen  absurden  Inhalts.  Unsinnige  Hand- 
lungen,  Wahnideen;  Selbstmordgedanken.  Erregt  und  zeitweise  ge- 
waltthatig.  Aufnahme  Juli  1895.  In  der  Klinik  ruhig,  schwach- 
sinnig  bei  ziemlich  guten  Schulkenntnissen.  FleiBiger  Arbeiter.  Nach 
einiger  Zeit  euphorisch.  Zuriicktreten  der  Gehorstauschungen  und 
WahnbUdungen.  Auf  einfache  Fragen  zutrefEende  Antwort,  sonst 
faseliges  Gerede.  Patellarreflexe  gesteigert,  Tremor.  Diagnose:  De- 
mentia praecox. 

D.,  23jahriger  Schreiner.  Vater  und  Bruder  geisteskrank.  Sehr 
guter  Schiller.  Seit  3  Jahren  verandert.  Haufiger  Stellungswechsel. 
Klagt  liber  Kopfschmerz,  standige  XJnruhe.  Seit  einem  Jahr  zu  kei- 
ner  Arbeit  zu  bewegen.  Wahnideen,  namentlich  der  Verfolgung. 
Hier  und  da  gewaltthatig.  Hallucinationen.  Blodes  Lachen.  Auf- 
nahme November  1895.  Unverandertes  Verhalten,  unzuganglich, 
widerstrebend,  einsichtslos ,  unthatig.  Sinnloses  Reden  und  Lachen. 
Manchmal  ohne  Grund  sehr  erregt.  Hochgradiger  Schwachsinn,  Pu- 
pillendifferenz,  gesteigerte  Reflexe,  Struma,  Katalepsie.  Diagnose: 
Dementia  praecox. 

F.,  29jahriger  Backer,  Bruder  des  vorigen  Kranken.  Sehr  guter 
Schiller  und  fleiBiger  Arbeiter.  Seit  einigen  Jahren  Zeichen  psychi- 
scher  Veriinderung.  Unruhe,  haufiger  Stellungswechsel;  gait  als  leicht- 
sinnig.  Seit  October  1895  AeuBerung  von  Wahnideen.  Triebartiges, 
zweckloses  Umherlaufen  bis  zur  Erschopfung.  Gewaltthatig,  macht 
unsittliche  Angriffe.  Lacht  stundenlang  vor  sich  hin,  spielt  mit  den 
Kindem.  2  epileptoide  Anfalle.  Aufnahme  November  1895.  Ruhig, 
besonnen,  dabei  blode  und  apathisch.  Arbeitet  fleiBig.  Verfolgungs- 
ideen. ZwangsmaBiges  Marschiren  und  Lachen.  Mydriasis,  Derma- 
tographie,  Katalepsie,  Struma.    Diagnose:  Dementia  praecox. 

G.,  37jahriger  Taglohner.  Sehr  kiimmerliche  Lebensweise.  Be- 
ginn  der  Erkrankung  im  31.  Jahr.  Wahnideen  reUgiosen  Lihalts  und 
Verfolgungsideen,  Hallucinationen.  Infolge  dessen  Conflict  mit  der 
offentlichen  Ordnung.  Beleidigungsprocesse.  Aufregungszustande;  ge- 
ringe  Widerstandsfahigkeit  gegen  Alkohol.  1891  Ohnmachtsanfall. 
Mai  1895  Aufnahme  in  die  Irrenanstalt.  Ruhig,  besonnen  und  orientirt. 
FleiBiger  Arbeiter,   freundlich.    Kern  Verstandniss  fiir  seine  Lage. 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gcsunden  und  Geisteskranken.        591 

Sinnlose  Reden  mit  religioser  Farbung.  Weitschweifig.  Wortneu- 
bildungen.  Stereotypie.  Verfolgungsideen;  besteht  auf  seinem  Recht ; 
leicht  zu  beruhigen.  Gehobene  Stimmung.  Gesteigerte  Reflexe,  Pu- 
piUendifferenz,  Katalepsie.     Diagnose:  Dementia  praecox. 

H. ,  26jahriger  Gartner.  Ueber  Hereditat  nichts  bekannt.  In 
den  letzten  Jahren  unstates  Leben.  Von  Januar  bis  October  1894 
1 1  mal  wegen  Bettelns  bestraft,  dann  in  das  Arbeitshaus  verbracht. 
Daselbst  Arbeitsverweigerung.  Auftreten  von  Hallucinationen  und 
Wahnideen.  Aufnahme  in  die  Irrenanstalt  Mai  1895.  Ruhig,  be- 
sonnen,  orientirt.  Kein  Krankheitsgefiihl.  Weigert  sich  zu  arbeiten. 
Massenhafte  Gehorstauschungen.  Absurde  Wahnideen  auf  geschlecht- 
lichem  G^biete.  Unsinnige  GroBenideen.  Geschlechtlich  sehr  erreg- 
bar.  Schimpft,  ist  unzufrieden,  bier  und  da  gewaltthiitig.  Schlechte 
Kenntnisse.  Kein  Verstandniss  fur  seine  Lage.  Hochgradiger 
Schwachsinn.  Gesteigerte  Reflexerregbarkeit,  Katalepsie.  Diagnose: 
Dementia  praecox. 

K.,  30jahriger  Kaufmann;  von  miitterlicher  Seite  hereditar  be- 
lastet.  Guter  Schiiler.  Erste  Aufnahme  in  die  Irrenanstalt  December 
1885.  In  den  letzten  Jahren  Abnahme  des  Gedachtnisses  und  der 
Leistungen  bei  gutem  korperlichen  Befinden.  Selbstvorwurfe,  Suicid- 
versuch,  Verfolgungsideen,  Gehorstauschungen,  Verschlossenheit,  Nah- 
rungsverweigerung,  Masturbation.  Kein  Affect.  Gute  Schulkenntnisse. 
Marz  1886  gebessert  entlassen.  October  1892  zweite  Aufnahme. 
Deutlicher  Schwachsinn.  Apathie.  Hallucinatorische  Verbigeration. 
FleiBiger  Arbeiter.  Mai  1893  entlassen.  November  1894  dritte  Auf- 
nahme. Kommt  freiwillig  in  die  Klinik,  gleichgiiltig  betreffs  der  Zu- 
kunft.  Krankheitsgefiihl.  Hallucinationen  bestehen  fort.  Keine 
Wahnideen.  Voriibergehende  grundlose  Erregung.  Katalepsie.  No- 
vember 1895  in  die  Pflegeanstalt  iiberfiihrt.  Diagnose:  Dementia 
praecox. 

L.,  1 9  jahriger  Schneider.  Eine  Tante  geisteskrank.  MittelmaBig 
beanlagt.  Technisches  Geschick.  Erkrankt  Mai  1894  mit  Depression, 
Verwirriheit,  triebartigem  Umherlaufen.  Erste  Aufnahme  Juni  1894. 
Besonnen,  orientirt.  Krankheitsgefiihl.  Depressive  Stimmung  ohne 
starkeren  Affect.  Beeintrachtigungswahn.  Hypochondrische  Ideen. 
Geschraubte,  unsinnige  Reden.  Gedachtnissschwa  che.  Katalepsie, 
gesteigerte  Reflexerregbarkeit,  erhohte  mechanische  Erregbarkeit  von 


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592  Joseph  Reis. 

Muskeln  und  Nerven  (Facialisphanomen),  Struma.  Nach  und  nach 
Beruhigung,  aber  keine  Grenesung.  October  1894  entlassen.  Zweite 
Aufnahme  Mai  1895.  Seit  kurzem  ahnlicher  Zustand  wie  frtiher. 
Suicidversuch.  Gewaltthatig.  StimmungswechBel.  Schwachsinmg. 
Confuse  Reden,  unsinnige  Handlungen.  Nach  und  nach  Beruhigung. 
FleiBiger  Arbeiter.  November  1895  in  die  Pflegeanstalt  iiberfUhrt 
Diagnose:  Dementia  praecox. 

M.,  49jahriger  Taglohner.  Ueber  Hereditat  nichts  bekannt  War 
im  Kriege  1870/71.  Typhus,  Scharlach,  Diphtheric.  35  Jahre  in  der- 
selben  Stellung.  Seit  Januar  1894  Kopfschmerzen.  Allmahlich  TJn- 
fahigkeit  zur  Arbeit;  Abnahme  des  Gedachtnisses  und  der  Leistungs- 
fahigkeit.  Haufig  erregt  und  auBerst  reizbar.  Betete  viel;  beschaftigte 
sich  mit  Vorstellungen  reUgiosen  und  ethischen  Inhalts.  Dabei 
Verfolgungs-  und  einzelne  GroBenideen.  Aus  seiner  Stellung  ent- 
lassen; verstimmt,  niedergeschlagen.  Reist  im  Mai  1895  plotzlich 
ohne  Geld  und  Billet  von  Hause  weg,  wird  in  die  Klinik  aufgenom- 
men.  Keinc  Erankheitseinsicht.  Zeitliche  Orientirung  mangelhaft; 
besonnen,  ruhig,  harmlos,  apathisch,  hochgradig  schwachsinnig.  Affect- 
los,  weitschweifig  und  faselig  in  seinen  Reden.  Schlaffe  G^sichtszUge 
Facialisdifferenz;  Mitbewegungen;  Patellarreflexe  sehr  gesteigert; 
Yoriibergehende  Ptosis;  maBige  Sprachstorung;  keine  Pupillenstarre. 
Ohnmachtsanfall.  Ob  luetische  Infection,  unbekannt.  Diagnose:  De- 
mentia paralytica. 

N.,  47  jShriger  Eaufmann.  Vater  und  2  Schwestem  geisteskrank. 
Gute  Anlagen;  14  Jahre  Beisender  im  gldchen  G^schaft.  1890 
Griindung  eines  eigenen  Geschafts ;  schon  damals  auf geregt,  zeitweise 
verstimmt  und  missmuthig.  Kopfschmerz,  Schlaflosigkeit.  1891  Auf- 
treten  von  Yerfolgimgsideen.  Hallucinationen.  Gewaltthatig  g^en 
seine  Frau.  Erste  Aufnahme  in  die  Klinik  Marz  1892,  nachdem 
sich  die  Erankheitserscheinungen  noch  gesteigert.  AeuBert  die 
gleichen  Verfolgungs-,  namentlich  Vergiftungsideen.  Protestirt  gegen 
die  Yerbringung  in  die  Anstalt.  Mehrmalige  Entlassung  und  Wieder- 
aufnahme.  Concurs  des  Geschafts.  Zweckloses  Umheireisen;  be- 
schaftigungslos,  zerstreut,  vergesslich,  dabei  anspruchsvoU.  Letzte 
Aufnahme  December  1895.  Ohne  Einsicht  und  Energie,  schwach- 
sinnig. Bald  auBerst  reizbar,  bald  weich  und  lenksam.  Orientirt 
und  besonnen.    Luetische  Infection  vemeint.     Miosis,  reflectorische 


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Ueber  cinfacbe  psychologisebe  Versuche  au  Gesuudeu  und  Geisteskraokeii.        593 

Pupillenstarre,  in  der  Erregung  leichte  Sprachstorung.  Diagnose: 
Dementia  paralytica. 

P.,  45jahriger  B^aufmann.  Vater  geisteskrank,  Sch wester  durch 
Suicid  gestorben.  Gute  Beanlagung  und  Erziehung.  1877  Tentamen 
suicidii.  Seit  1888  Klagen  iiber  Verdauungsstorungen,  oft  mit  trau- 
riger  Verstimmung  verbunden.  Seit  Sommer  1892  Grefulil  der 
Ueberbiirdung  und  Arbeitsunfahigkeit.  Stellungswechsel.  Schlaflosig- 
keit;  starke  Zunahme  der  hypochondrischen  Ideen.  Gedachtniss- 
schwache.  Deprimirt  und  menschenscheu.  Wiederholte  Suicidversuche. 
Erste  Aufnahme  in  die  Klinik  December  1893.  Daselbst  schlaff, 
energielos;  Depression  ohne  tieferen  Affect.  Labile  Stimmung.  Be- 
schaftigt  sich  nur  mit  seiner  Person.  Deutliche  geistige  Schwache; 
tanzt  wenige  Tage  nach  dem  Tode  seiner  Mutter.  Zweimal  aus  der 
Klinik  gebessert  entlassen;  kann  sich  aber  drauBen  nicht  mehr  be- 
schaftigen.  Sucht  im  Marz  1895  wieder  mit  den  gleichen  hypochon- 
drischen Ideen  die  Irrenklinik  auf ,  urn  daselbst  von  seinen  Beschwer- 
den  befreit  zu  werden.  Im  ubrigen  unverandert.  Lues  vemeint. 
Sehr  lebhafte  Patellarreflexe;  Hypalgesie;  leichte  PupiUendifferenz, 
keine  reflectorische  Starre.  Keine  deuthche  Sprachstorung.  Diagnose: 
Dementia  paralytica.  Wir  miissen  bei  diesem  Kranken  bemerken, 
dass  die  Diagnose  nicht  mit  Sicherheit  gestellt  werden  konnte.  Auch 
wiederholte  Anstaltsbeobachtung  in  den  letzten  Jahren  hat  keine 
Entscheidung  gebracht.  Es  kann  daher  nicht  ausgeschlossen  werden, 
dass  manche  Abweichungen  der  Versuchsergebnisse  dieses  Kranken 
von  denjenigen  der  ubrigen  Paralytiker  auf  diesen  Umstand  zuriick- 
zufUhren  sind. 

R,  44jahrige  Arbeiterfrau.  Bruder  geisteskrank.  1871  Heirath; 
Mann  luetisch;  1874  Abortus.  In  den  letzten  Jahren  Ohnmachts- 
anfalle.  Trieb  sich  in  Wirthschaften  umher;  Potus.  Wurde  im  Juli 
t895  in  einer  fremden  Stadt  aufgegriffen  und  ins  Krankenhaus  ge- 
bracht. WeiB  nicht,  wie  sie  dahin  gekommen.  Singt,  schreit,  ent- 
kleidet  sich;  schwatzt,  heiter,  will  fortreisen.  In  die  Irrenanstalt 
aufgenommen.  Desorientirt;  reizbar,  gewaltthatig.  Bald  Beruhigung. 
Vages  Krankheitsgefuhl.  Im  allgemeinen  heiter;  haufiger  Stimmungs- 
wechsel;  Selbstmordversuch.  Gedachtnissabnahme ;  schwachsinnig. 
Wiederholte  Ohnmachtsanfalle.  Gesteigerte  Patellarreflexe;  Spasmen; 
Facialisdifferenz;    Tremor   der   Zunge;    wenig    ausgiebige   Pupillen- 


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594  Joseph  R«is. 

reaction;  Sprach-  und  Schriftstorung.  Diagnose:  Dementia  pa- 
ralytica. 

S.,  44jahriger  Telegraphensecretair.  Keine  Hereditat  In  der 
Jugend  eine  Gefangnissstrafe  wegen  Diebstahls.  Feldzng.  Ob  Lues, 
unbekannt.  Guter,  gewissenhafter  Beamter.  1887  erkrankt  mit  Ver- 
stimmung,  Versundigungsideen ,  Appetitlosigkeit ,  schlecbtem  Schlaf, 
Verfolgungsideen.  Nach  ^4  Jahren  nicht  ganz  geheilt  entlassen. 
Zu  Hause  anscheinend  genesen.  Macht  ein  Examen;  im  Berufe  tha- 
tig.  Heirath.  Neue  Erkrankung  1892.  Abgeschlagenheit,  Kopfdruck. 
Verstimmung,  depressive  Wahnideen.  Nahrungsverweigerung.  Starke 
Hemmung.  Seit  Anfang  1894  Besserung.  Querulirendes  Wesen. 
Nachher  apathisch.  October  1894  Pupillenstarre.  Entwicklung  von 
hypochondrischen  und  Verfolgungsideen.  Energielosigkeit,  Einformig- 
keit;  kein  Affect.  Seit  Anfang  1895  lebhafter  Umschlag  in  Euphorie; 
GroBenideen;  hochgradiger  Schwachsinn.  Starke  Steigerung  der 
Beflexe;  voriibergehend  Blasenlahmung;  Sprachstorung.  Diagnose: 
Dementia  paralytica. 

T.,  46jahriger  Gasarbeiter.  Keine  Hereditat.  BegelmaBige  Le- 
bensweise.  Ueber  luetische  Infection  nichts  zu  erfahren.  Allmahlicher 
Beginn  der  Erkrankung  1895.  Schlaflosigkeit,  Depression,  Selbst- 
vorwurfe,  Angst,  Verfolgungsideen.  Leicht  erregbar.  Seit  October 
1895  Zunahme  der  Krankheit  Beachtungswahn;  Personenverkennung; 
Selbstmordversuch.  Aufnahme  in  die  IrrenanstaJt  November  1895. 
Benommen,  mangelhaft  orientirt,  angstlich,  kleinmiithig,  rathlos,  ge- 
hemmt,  verwirrt,  widerstrebend.  Nach  und  nach  Beruhigung;  freieres 
Wesen.  Schwachsinnig.  Katalepsie.  Patellarreflexe  gesteigert;  Zunge 
weicht  ab;  wenig  ausgiebige  Pupillenreaction;  Hypalgesie,  Sprach- 
und  Schriftstorung.  Zahlreiche  indurirte  Driisen;  Exostosen  der  Tibia. 
Diagnose:  Dementia  paralytica. 

Die  gesunden  Versuchspersonen  waren  cand.  med.  A.  und  die 
4  Warter  E.,  J.,  0.,  U.  der  Irrenklinik,  alle  junge  Leute  im  Alter 
von  20—30  Jahren. 

Ein  Ueberblick  iiber  die  Reihe  dieser  Versuchspersonen  zeigt, 
dass  dieselbe  recht  verschiedenartige  Elemente  enthalt.  Fur  die  Be- 
urtheilung  dieser  Anfangsversuche  ware  es  wohl  besser  gewesen,  die 
Auswahl  der  Versuchspersonen  so  treffen  zu  konnen,  dass  bei  alien 
mogUchst  der  gleiche  Bildungsgrad  vorhanden  gewesen  ware  und  wir 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuehe  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        595 

im  wesentlichen  nur  mit  den  Factoren  Gesundheit  und  Krankheit 
batten  zu  rechnen  brauchen.  Da  wir  jedocb  von  dem  zur  Zeit  in  der 
Klinik  anwesenden  Krankenmaterial  abbangig  waren,  konnte  bierauf 
keine  Rucksicbt  genommen  werden.  Andererseits  war  gerade  bierdurcb 
die  Moglicbkeit  geboten,  zu  zeigen,  in  wie  weit  Bildung,  Beruf,  Be- 
scbaftigung  und  Neigungen  des  Einzelnen  aucb  das  vom  Krankbeits- 
processe  veranderte  Seelenleben  nocb  beeinflussten.  Wenn  wir  eine 
Gruppirung  der  Versucbspersonen  nacb  dem  Bildungsgrade  versucben, 
80  diirfen  wir  jedenfalls  den  Gesunden  A.  und  die  Paralytiker  N.,  P., 
S.  an  die  Spitze  stellen;  den  3  letzteren  kam  nocb  infolge  ibrer  Be- 
rufstbatigkeit  eine  besondere  XJebung  und  Fertigkeit  bei  den  Recben- 
arbeiten  zu.  Von  dem  Hebepbrenen  K.,  bei  welcbem  in  Folge  seiner 
kaufmanniscben  Bescbaftigung  aucb  eine  besondere  Fertigkeit  bierin 
vorauszusetzen  gewesen  ware,  liegen  keine  derartigen  Versucbe  vor. 
Fast  bei  alien  Hebepbrenen  ist  in  der  Anamnese  auf  gute  Scbulbildung 
bingewiesen,  deren  Reste  bei  mancben  aucb  auf  anderen  als  den  unter- 
sucbten  Gebieten  psycbiscber  Tbatigkeit  nocb  nacbweisbar  waren.  Eine 
nabere  Gruppirung  der  Hebepbrenen  diirfte  wobl  C.  und  K.  an  die 
Spitze,  G.  und  H.  an  den  Scbluss  der  Reibe  stellen,  obne  der  Will- 
kiir  groBeren  Spielraum  zu  lassen.  Jedenfalls  ist  die  Bildungsstufe 
der  Hebepbrenen  keine  geringere  gewesen  als  die  der  Gesunden  E., 
J.,  0.  und  U.  Bei  den  Paralytikem  M.,  T.  und  R.  war  vielleicbt 
scbon  ein  groBerer  Tbeil  der  in  der  Scbule  erworbenen  Kenntnisse 
in  Folge  des  boberen  Lebensalters  und  der  geringen  Uebung  verloren 
gegangen. 

II.  Aaffassungsversnche. 

Die  ersten  Versucbe  dienten  dazu,  ein  Urtbeil  iiber  die  Auf- 
fassungsfabigkeit  der  Versucbspersonen  zu  gewinnen.  Icb  benutzte 
zu  diesem  Zwecke  das  von  Cron  und  Kraepelin  angegebene  Ver- 
fabren  der  fortlaufenden  Auffassung  von  Gesicbtsreizen.  Trommeln, 
die  in  Scbneckenwindungen  mit  Scbriftzeicben  beklebt  waren,  drebten 
sicb  in  gleicbmaBiger  Gescbwindigkeit  unter  Senkung  auf  dem  Kymo- 
grapbion  und  wurden  durcb  einen  Spalt  von  veranderlicber  Weite 
aus  bestimmter  Entfemung  betracbtet.  Wabrend  die  Reize  vor  dem 
Auge  der  Versucbspersonen  vorbeiglitten,  wurden  sie  gelesen  und 
laut  ausgesprocben.    Icb  muss  es  mir  bier  versagen,  ausfubrlicb  auf 


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596  Joseph  Reis. 

das  Yerfahren  selbst  einzngehen,  und  betreffs  aller  Einzelheiten  auf 
die  Arbeit  von  Cron  und  Kraepelin^)  verweisen.  Da  meine  Ver- 
suche  nahezu  gleichzeitig  mit  den  in  jener  Arbeit  besprochenen  aus- 
gefiihrt  warden,  konnten  die  dort  gewonnenen  Erfahrungen  leider 
noch  nicht  zur  Richtschnnr  bei  der  Anordnimg  meiner  Versuche 
dienen. 

Urn  ein  MaB  der  Auffassungsfahigkeit  der  verschiedenen  Ver- 
suchspersonen  zu  erhalten,  war  es  nothig,  wie  in  der  genannten  Ar- 
beit des  naheren  erortert  ist,  die  Reize  nur  so  kurze  Zeit  dem  Auge 
darzubieten,  dass  sie  nicht  alle  richtig  aufgefasst  werden  konnten. 
Drehungsgeschwindigkeit  des  Kymographions  und  Spaltweite,  beide 
veranderlich,  bestimmten  die  Spaltzeit,  d.  h.  die  Zeit,  wahrend  welcher 
die  einzebien  Bestandtheile  der  Reize  dem  Auge  sichtbar  blieben. 
Schon  die  Versuche  von  Cron  und  Kraepelin  haben  gezeigt,  wie 
schwierig  es  ist,  die  Spaltzeit  so  zu  wahlen,  dass  sie  fiir  eine  groBere 
Reihe  von  Versuchspersonen  bei  einheitlicher  Versuchsanordnung 
brauchbare  Ergebnisse  liefert.  Bei  der  dort  gewahlten  Gteschwindig- 
keit  von  24  mm  in  der  Secunde  und  einer  zwischen  3  und  5  nun  wech- 
selnden  Spaltweite  zeigte  es  sich,  dass  bei  einer  Versuchsperson  schon 
nahezu  die  untere  Grenze  der  Auffassung  erreicht  war.  Dass  das 
Gebiet  der  Auffassungsschwelle  bei  der  Verschiedenheit  meiner  Ver- 
suchspersonen auch  recht  ungleich  sein  musste,  durfte  damach  er- 
wartet  werden. 

Schon  die  ersten  Versuche  mit  einigen  Kxanken  zeigten,  dass  die 
Versuchsanordnung  Cron's  und  Kraepelin's,  welche  ich  des  Ver- 
gleichs  halber  geme  beibehalten  hatte,  zu  groBe  Anforderungen  an 
die  Leistungsfahigkeit  stellte.  Es  war  die  Moglichkeit  vorhanden,  die 
Drehungsgeschwindigkeit  und  die  Spaltweite  zu  andem.  Bei  der  Ge 
schwindigkeit  von  24  mm  waren  die  Pausen  zu  kurz,  um  zwischen 
zwei  Reizen  ein  Erschlaffen  der  Aufmerksamkeit  zu  gestatten,  ander- 
seits  lang  genug  zum  Aussprechen  des  Gelesenen.  Es  war  damit  der 
Vortheil  gegeben,  in  der  Methode  eine  fortlaufende  Arbeit  zu  be- 
sitzen,  die  gleichzeitig  Aufschlusse  iiber  die  psychischen  Grundeigen. 
schaften  Uebung,  Ermiidung  u.  a.  m.  lieferte.  Diesen  Vortheil  be- 
Versuchen  mit  Kranken  aus  der  Hand  zu  ge  ben,  war  um  so  weniger 


1)  DieseArbeiten,  n,  S.  203. 


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Ueber  einfacbe  psycbologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        597 

angezeigt,  als  gerade  alle  ubrigen  continuirlichen  Methoden,  die  bisher 
zu  psychologischen  Versuchen  verwandt  wurden,  mangels  einer  Con- 
trole  bei  der  Arbeit  zu  Experimenten  mit  Kranken  nicht  wohl  ver- 
wendbar  erscheinen.  Andererseits  war  aber  gerade  zu  erwarten,  aus 
dem  Verhalten  von  XJebung  und  Ermiidung  wichtige  Aufschlusse  zu 
erhalten.  Die  Geschwindigkeit  wurde  daher  bei  meinen  Versuchen 
nur  um  7c  7  also  auf  20  mm ,  verringert ,  wobei  die  einzelnen  Reize 
in  Zwischenraumen  von  je  1,5  Secunden  einander  folgten.  Die  gleiche 
Geschwindigkeit  wurde  bei  alien  Versuchen  beibehalten.  Die  Spalt- 
weite  betrug  bei  den  moisten  Versuchen  10  und  5  mm;  nur  bei 
einzelnen  kam  auch  eine  mittlere  Spaltweite  von  8  mm  zur  An- 
wendung. 

Von  den  Versuchspersonen,  mit  welchen  zuerst  experimentirt 
wurde,  liegen  groBere  Versuchsreihen  vor.  Bei  anderen  musste  ich 
mich  jedoch  auf  kiirzere  Serien  beschranken,  da  das  Ergebniss  aus- 
gedehnterer  Versuchsreihen  nicht  im  richtigen  Verhaltnisse  zu  dem  bei 
der  XJntersuchung  einer  groBeren  Anzahl  von  Personen  erforderUchen 
betrachtlichen  Zeitaufwande  stand.  Wieder  bei  anderen  Versuchs- 
personen gestattete  es  die  psychische  Leistungsfahigkeit  der  Kranken, 
namentlich  in  Folge  der  erwahnten  Verschiedenheit  des  Auffassungs- 
schwellengebietes ,  nicht,  einen  bestimmten  Versuchsplan  einzuhalten, 
indem  die  Versuchspersonen  den  an  sie  gestellten  Anforderungen 
gegeniiber  versagten.  Diese  leider  nicht  vollig  zu  vermeidende  Ver- 
schiedenheit der  Versuche  maehte  den  Vergleich  derselben  nicht  im- 
mer  einfach. 

Die  Spaltzeit  bei  der  gewahlten  Geschwindigkeit  von  20  mm  in 
der  Secunde  betrug  bei  einer  Spaltbreite  von  5  mm  ungefahr  335  a, 
bei  10  mm  iiber  das  Doppelte.  Von  Cron  und  Kraepelin  ist  schon 
darauf  hingewiesen,  dass  es  fraglich  ist,  ob  gerade  diese  Zeiten  fiir 
die  Auffasung  maBgebend  sind,  da  Gruppen  von  Zeichen  bis  zu  einer 
bestimmten  Grenze  einheitlich  aufgefasst  werden.  Bei  der  geringsten 
angewandten  Spaltbreite  von  5  mm  sind  die  sinnlosen  Silben  mit  einer 
Durchschnittsbreite  von  4  mm  volUg,  die  einsilbigen  Worter  mit  einer 
solchen  von  6,7  nur  zum  Theil  gleichzeitig  zu  iibersehen.  Bei  den 
zweisilbigen  Wortem  mit  einer  Durchschnittsbreite  von  10,4  mm  kommt 
eine  einheitliche  Auffassung  nicht  in  Betracht.  Das  Lesen  einer 
Trommel  erforderte  genau  7  Minuten.   Die  einzelnen  Trommeln  wurden 


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598  Joseph  Reis. 

in  Zwischenraumen  von  1 0  Minuten  vom  Anf ange  eines  bis  zum  An- 
fange  des  nachsten  Versuches  gelesen. 

Hauptsachlich  wurde  mit  einsilbigen  Wortern  (Trommel  A)  und 
sinnlosen  Silben  (Trommel  C)  experimentirt,  wahrend  nur  bei  wenigen 
Versuchen  die  zweisilbigen  Worter  (Trommel  B)  zur  Verwendung 
kamen.  Von  einigen  noch  zu  erwahnenden  Ausnahmen  abgesehen 
wurde  am  einzelnen  Versuchstage  nur  eine  dieser  Trommelarten  be- 
nutzt.  Es  wurde  nur  mit  einem  Auge  gelesen,  wahrend  das  andere 
verdeckt  war;  um  jedoch  einer  starkeren  peripheren  Ermiidung  im 
Auge  moglichst  vorzubeugen,  wurde  jeweils  nach  dem  Lesen  einer 
Trommel  das  Auge  gewechselt.  Anomalien  der  Augen,  welche  die 
Auffassung  beeintrachtigen  konnten,  waren  bei  den  Versuchspersonen 
nicht  vorhanden;  insbesondere  war  bei  den  Paralytikem  normaler 
Augenhintergrund  durch  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  fest- 
gestellt.  Die  bei  einigen  Versuchspersonen  vorhandenen  Refractions- 
anomalien  waren  durch  Glaser  corrigirt.  Irgend  welche  bemerkens- 
werthe  aphasische  Storungen  bei  den  Paralytikern,  welche  trotz  guter 
Auffassung  das  Lesen  hatten  beeinflussen  konnen,  waren  nicht  vor- 
handen. 

Die  Lesungen  wurden  stenographirt,  Auslassungen  besonders  be- 
merkt.  Bei  der  groBen  Zahl  falscher  Lesungen  einzelner  Versuchs- 
personen war  es,  namentlich  bei  Trommel  C,  manchmal  schwierig  zu 
folgen.  Von  dem  Gedanken,  durch  ein  im  gleichen  Tempo  mit  dem 
Erscheinen  der  Reizworte  schlagendes  -Metronom  das  Registriren  zu 
erleichtem,  wurde  wieder  abgesehen,  da  hierdurch  auch  die  Versuchs- 
person  auf  das  Erscheinen  des  neuen  Reizes  aufmerksam  gemacht 
und  somit  ein  neues  Moment  in  den  Versuch  hineingetragen  worden 
ware. 

a.  Versuche  mit  sinnlosen  Silben. 

An  diesen  Versuchen  nahmen  nur  3  Paralytiker  Theil,  da  es 
nicht  moglich  war,  mit  den  ubrigen,  von  denen  andersartige  Versuche 
vorliegen,  diese  auszufuhren.  Es  finden  sich  unter  ihnen  die  Kranken 
N.  und  P.,  die,  wie  aus  spateren  Versuchen  hervorgeht,  immer 
den  Gesunden  am  nachsten  stehen.  Wenn  nur  mit  2  Gesunden 
experimentirt  wurde,  so  geschah  dies  in  der  Voraussicht,  auf  die  Ver- 
suche von  Cron  und  Kraepelin  verweisen  zu  konnen.     Jedenfalls 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesiiiiden  uiid  Geisteskranken.        599 

iat  der  Bildungsgrad  dieser  Beiden  nicht  hoher  als  derjenige  der 
Ejranken. 

Bei  der  Besprechung  der  Versuche  folgen  wir  im  GroBen  und 
Ganzen  dem  in  der  genannten  Arbeit  gewahlten  Gange,  weil  die  dort 
leitenden  Gesichtspunkte  auch  hier  ihre  Geltung  haben.  Beim  Lesen 
sinnloser  Silben  kam  die  Auffassungsfahigkeit  am  reinsten  zum  Aus- 
druck,  da  bei  dieser  Aufgabe  andersartige  Einflusse,  wie  die  Unter- 
stiitzung  der  Auffassung  durch  Worterinnerungsbilder,  kaum  mit- 
spielten.  Dazu  kommt  hier  noch  der  Vortheil,  dass  mit  Ausnahme 
der  Versuche  von  K.  und  L.  die  gleiche  Versuchsanordnung  geplant 
war.  Allerdings  batten  die  Versuchspersonen  vorher  eine  verschieden 
groBe  Zahl  von  Trommeln  A  gelesen.  Es  wurde  mit  Trommel  C  je 
an  zwei  Tagen  experimentirt.  Am  ersten  Tage  wurde  zuerst  eine 
Trommel  mit  1 0  mm  Spaltweite,  darauf  eine  solche  mit  5  mm  gelesen. 
Am  zweiten  Tage  war  die  Reihenfolge  umgekehrt;  es  wurde  mit  5  mm 
begonnen.  Meist  wurde  an  unmittelbar  oder  kurz  auf  einander  folgenden 
Tagen  experimentirt;  nur  einmal  lag  eine  groBere  Anzahl  von  Tagen 
zwischen  den  Versuchen.  Bei  den  Paraljrtikem  M.  und  N.  war  es 
nicht  moglich,  die  Versuche  in  dieser  Weise  vollig  durchzufuhren. 
M.  konnte  nur  jeweils  eine  Trommel  an  einem  Tage  lesen,  wahrend 
seine  Auffassungsfahigkeit  bei  der  zweiten  vollig  versagte.  Auch  N. 
war  am  ersten  Versuchstage  nicht  im  Stande,  bei  der  engeren  Spalt- 
weite zu  lesen.  Bei  K.  und  L.  war  die  Versuchsanordnung  etwas 
geandert.  Sie  lasen  am  ersten  Tage  3  Trommeln  mit  1 0,  8  und  5  mm 
Spaltweite,  nachdem  sie  vorher  in  gleicher  Weise  3  Trommeln  B  ge- 
lesen batten.  Am  zweiten  Tage  wurde  mit  Trommel  C  begonnen, 
bei  L.  musste  der  Versuch  jedoch  wegen  einer  starken  gemiithlichen 
Erregung  schon  nach  dem  Lesen  der  ersten  Trommel  abgebrochen 
werden. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuche  sind  in  Tabelle  I  dargestellt,  wo 
fur  jede  Versuchsperson  die  Zahl  der  richtig  aufgefassten  Silben  (r), 
der  falsch  gelesenen  (f)  und  der  ausgelassenen  (a)  in  %  der  Gesammt- 
zahl  der  Beize  angegeben  ist.  Ein  erster  Ueberblick  iiber  die  Zahlen- 
reihen  zeigt,  dass  der  groBere  Theil  der  Silben  richtig  aufgefasst 
wurde.  Berechnen  wir  zunachst  bei  jeder  Spaltweite  Durchschnitts- 
zahlen  f iir  die  Leistungen  der  3  Gruppen ,  so  ergiebt  sich ,  dass  die 
groBte  Zahl  der  richtig  erkannten  Reize  sich  bei  den  Gesunden  findet, 


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600 


Joseph  Reis. 


die  geringste  den  Paralytikern  zukommt;  die  Hebephrenen  stehen 
beide  Male  in  der  Mitte.  Die  bei  8  mm  in  den  Versuchen  mit  K. 
und  L.  gewonnenen  Ergebnisse  sind,  da  ohne  besonderes  Interesse, 
nicht  angefiihrt. 

Tabelle  I. 


Versuchs- 

10  mm 

5  ram 

personen 

r 

f 

a 

r 

f 

a 

(V- 

1 

E. 

99,07 

0,92 

0 

97,97 

2,03 

0 

CD 

J. 

94,82 

4,81 

0,37 

89,82 

9,44 

0,73 

Gruppen- 
durchschnitt. 

96,94 

2,8G 

0,t9 

93,90 

5,73 

0,37 

B. 

57,95 

6,85 

35,55 

52,03 

7,77 

40,19 

c5 

C. 

88,33 

11,66 

0,37 

65,56 

34,07 

0,25 

-a 

F. 

91,48 

7,59 

0,92 

22,96 

47,41 

29,62 

1* 

G. 

49,07 

31,66 

19,26 

52,69 

13,15 

34,25 

w 

K. 

97,41 

2,59 

0 

90,93 

7,40 

1,66 

L. 

84,08 

8,15 

7,77 

82,22 

10,75 

7,03 

(iruppen- 
durcbschnitt. 

77,97 

11,40 

10,63 

61,10 

20,08 

18,82 

1 

M. 

46,67 

53,33 

0 

20,37 

77,78 

1,85 

N. 

82,80 

14,24 

2,96 

67,04 

17,05 

15,91 

P. 

78,88 

18,90 

2,22 

86,53 

12,73 

0,74 

Gruppen- 
durchschnitt. 

69,45 

1 

28,82 

1,73 

57,98 

35,85 

6,17 

Beim  Vergleich  dieser  Durchschnittszahlen  ist  zu  beriicksichtigen, 
dass  die  Zahlen  fiir  M.  und  N.  meist  nur  das  Ergebniss  des  Lesens 
einer  einzigen  Trommel  sind,  wahrend  sie  bei  der  zweiten  Trommel 
vollig  versagten.  Lage  von  dieser  ein  verwerthbares  Kesultat  Tor,  so 
ware  jedenfaJls  die  Leistung  von  M.  und  N.  und  damit  auch  der 
Durchschnitt  der  Paralytiker  nocb  niedriger. 

Die  Verengerung  des  Spaltes  auf  5  mm  hat  in  alien  Gruppen 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesimden  nnd  Geisteskranken.        601 

ein  Sinken  der  richtigen  Lesungen  zur  Folge.  Wahrend  sich  jedoch 
die  Abnahme  bei  den  Gesunden  in  sehr  maBigen  Grenzen  halt,  ist 
sie  bei  den  Ejranken  recht  betrachtlich.  Folgende  Tabelle  zeigt  das 
Verhaltniss  der  Zahl  richtiger  Lesungen  bei  beiden  Spaltweiten. 

Tabelle  11. 


Spaltweite 

10  mm 

5  mm 

Richtige Lesungen;  Ges. 

100 

96,9 

Heb. 
Paral. 

100 

78,4 

100 

83,4 

Die  Spaltweite  von  5  mm  liegt  bei  den  Gesunden  nahe  der  Grenze, 
jenseits  deren  eine  Verbreiterung  des  Spaltes  keine  wesentliche  Zu- 
nahme  der  richtigen  Lesungen  zur  Folge  hat.  Dies  durften  wir  er- 
warten,  da  in  der  Arbeit  von  Cron  und  Kraepelin  eine  SpaJtzeit 
von  230  a  schon  nahezu  dieser  Grenze  entsprach.  Von  E.  wurden  bei 
5  mm  schon  98  7o  ^^r  Reize  richtig  aufgefasst.  Bei  den  Hebephrenen 
hat  die  Verengerung  des  Spaltes  eine  Abnahme  der  richtigen  Lesungen 
urn  21,6  <^/o  zur  Folge.  Die  einzelnen  Personen  nehmen  daran  aller- 
dings  in  verschiedenem  Grade  Theil.  Bei  G.,  der  in  der  Gruppe  bei 
10  mm  die  geringste  Zahl  richtiger  Lesungen  aufweist,  bessert  sich 
bei  5  mm  die  Leistung  sogar  um  ein  geringes.  Bei  alien  librigen 
sinkt  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen.  Bei  F.  fiihrt  die  Verenge- 
rung des  Spaltes  schon  nahezu  an  die  untere  Grenze  der  Auffassungs- 
f ahigkeit,  trotz  verhaltnissmaBig  guter  Auff assung  bei  1 0  mm.  Ziem- 
lich  betrachtlich  ist  die  Abnahme  richtiger  Lesungen  auch  bei  0. ;  in 
maBigen  Grenzen  halt  sie  sich  bei  B.,  K.  und  L. ;  bei  letzterem  ent- 
spricht  die  Abnahme  der  bei  den  Gesunden  gefundenen.  Li  der 
Gruppe  der  Paralytiker  verringert  sich  die  Zahl  der  richtig  erkannten 
Reize  bei  5  mm  um  16,6%.  Die  Leistung  sinkt  also  etwas  weniger 
als  bei  den  Hebephrenen;  es  ist  dies  auf  eine  merkwurdigerweise  bei 
P.  eintretende  ziemlich  groBe  Zunahme  der  Zahl  richtiger  Lesungen 
bei  5  mm  zuruckzufuhren.  Bei  M.  und  N.  ist  ein  betrachtliches  Sin- 
ken  festzustellen;  bei  ersterem  nahem  wir  uns  rasch  der  unteren 
Grenze  der  Auffassung. 

Bei    10  mm   weisen    unter   alien   Versuchspersonen   die   beiden 

E  r  a  e  p  e  1  i  n ,  Psycholog.  Arbeiten.  n.  40 


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602 


Joseph  fteifi. 


Gesunden  und  der  zwischen  diesen  stehende  Hebephrene  K.  das  besie 
Resultat  auf.  Diesen  schlieBen  sich  3  Hebephrene  an;  es  folgen  die 
Paralytiker  N.  und  P.;  den  Schluss  machen  B.,  G.  und  derParaly- 
tiker  M.  Bei  5  mm  stehen  die  gleichen  Personen  an  der  Spitze;  diesen 
schlieBt  sich  der  Paralytiker  P.  und  der  Hebephrene  L.  an.  Es  folgt 
der  Paralytiker  N.  und,  nachdem  sich  die  tibrigen  Hebephrenen 
angereilit,  zum  Schluss  wieder  der  Paralytiker  M.  Tabelle  in  giebt 
einen  Ueberblick  iiber  die  Reihenfolge  der  Versuchspersonen,  fUr  jede 
Spaltweite  gesondert. 

Tabelle  m. 


10  mm 

Versuchspersonen 
Gesunde 

R 

2 
K. 

3 

4 

5 

^ 

7 

8 

9 

10 
G. 

11 
M. 

J. 

F. 

C. 

L. 



B. 

Hebephrene 

Paralytiker 

N. 

P. 

5  mm 

Gesunde 

E. 

K. 

J. 

Hebephrene 
Paralytiker 

L. 

C. 

G. 

B. 

F. 

M. 

P. 

N. 

Die  neben  den  richtigen  Lesungen  sich  findenden  Pehler  und 
Auslassungen  zeigen  bei  den  verschiedenen  Versuchspersonen  ein  ganz 
ungleiches  Verhalten.  Die  bei  den  Gesunden  vorkommenden  Aus- 
lassungen konnen  bei  ihrer  geringen  Anzahl  wesentlich  nur  auf  Zu- 
falligkciten  beruhen.  Bei  don  Hebephrenen  uberwiegen  im  Durch- 
schnitt  die  Fehler  etwas  iiber  die  Auslassungen.  Bei  den  Paralytikem 
steht  einer  groBen  Zahl  Pehler  eine  kleine  Zahl  Auslassungen  gegen- 
iiber.  Untersuchen  wir,  welchen  Einfluss  die  Verengerung  der  Spalt- 
weite auf  Fehler  und  Auslassungen  gehabt  hat,  so  linden  wir  bei  den 
Gesunden  eine  Zunahme  beider  auf  das  Doppelte.  Bei  den  Hebe- 
phrenen nehmen  Fehler  und  Auslassungen  ebenfalls  in  gleichem  MaBe 
zu.  Bei  den  Paralytikem  wiichst  die  Zahl  der  Auslassungen  im 
Durchschnitt  relativ  starker,  aber  die  Fehler  uberwiegen  bei  der 
engeren  Spaltweite  doch  noch  nahezu  um  das  6  f ache. 

Die  Betrachtung  des  Verhaltens  der  einzelnen  Versuchspersonen 
lasst  bei  den  Gesunden  wegen  der   geringen  Zahl  der  Auslassungen 


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(Jeber  einfache  psychologische  Versuehe  an  Clesunden  und  Geisteskranken.        603 

keine  weiteren  SchlUsse  zu.  Bei  dem  Hebephrenen  K.  treten  bei 
5  mm  einige  Auslassungen  auf ,  bei  Steigerung  der  Fehlerzahl  auf  das 
Dreifache,  wahrend  bei  10  mm  keine  Reize  vollig  ubersehen  werden. 
Bei  0.  spielen  Auslassungen  keine  Rolle;  die  Zahl  der  Eehler  steigt 
bei  5  mm  betrachtlich.  Bei  L.  sinkt  die  Zahl  der  Auslassungen  bei 
5  mm  sogar  unbedeutend,  unter  maBiger  Zunahme  der  Pehler.  Bei 
B.,  wo  die  Zahl  der  Auslassungen  auffallend  groB  ist,  findet  sich  eine 
geringe  Zunahme  von  Fehlem  und  Auslassungen.  Bei  F.  und  G. 
nimmt  die  Zahl  der  Auslassungen  betrachtlich  zu;  bei  ersterem  er- 
halt  gleichzeitig  die  Fehlerzahl  einen  starken  Zuwachs,  wahrend  bei 
letzterem  die  Fehlerzahl  auf  Kosten  der  Auslassungen  abnimmt.  Der 
Paralytiker  M.  begeht  bei  5  mm  mehr  Fehler;  gleichzeitig  treten  einige 
Auslassungen  auf,  die  bei  der  groBeren  Spaltweite  nicht  vorkommen. 
Bei  N.  nehmen  bei  5  mm  Fehler  und  Auslassungen,  letztere  aber  in 
weit  hoherem  MaBe,  zu.  Bei  P.  sinkt,  entsprechend  der  oben  fest- 
gestellten  besseren  Leistung  bei  5  mm,  die  Zahl  der  Fehler  und  Aus- 
lassungen. 

Die  Erschwerung  der  Versuchsbedingungen  steigert  im  allge- 
meinen  Fehler  und  Auslassungen.  Nach  den  Versuchen  von  Or  on 
und  Kraepelin  war  es  wahrscheinlich ,  dass  die  Auslassungen  ein 
richtigeres  Bild  der  Auffassungsschwierigkeiten  lieferten.  Ln  gewissen 
Sinne  geht  dies  auch  aus  den  vorliegenden  Versuchen  hervor.  In  den 
Durchschnittszahlen  ist  die  Eichtigkeit  dieser  Annahme  zwar  nicht 
offenkundig.  Lassen  wir  aber  die  Versuchspersonen,  bei  welchen  die 
engere  Spaltweite  den  Versuch  nicht  wesentlich  erschwert,  und  die- 
jenigen ,  bei  welchen  Auslassungen  uberhaupt  keine  RoUe  spielen, 
auBer  Betracht,  so  lasst  sich  dieselbe  nachweisen.  Sehen  wir  aus 
diesen  Griinden  von  E.,  J.  und  C.  einerseits,  von  L.  und  P.  ander- 
seits  ab,  so  bleiben  noch  K.  und  M.,  bei  welchen  erst  bei  der  engeren 
Spaltweite  Auslassungen  auftreten,  und  B.,  P.,  G.  und  N.,  bei  wel- 
chen die  Verengerung  eine  weit  bedeutendere  Zunahme  der  Aus- 
lassungen als  der  Fehler  zur  Folge  hat. 

Unter  gleichen  Bedingungen  scheinen  jedoch,  wie  auch  die  Ver- 
suehe von  Cron  und  Kraepelin  ergeben  haben,  die  Beziehungen 
zwischen  Fehlem  und  Auslassungen  wesentlich  von  personlichen  Eigen- 
thiimlichkeiten  abzuhangen.  Bei  den  Hebephrenen  scheint  im  allge- 
meinen  eine  groBere  Neigung  zu  Auslassungen  vorhanden  zu  sein,  bei 

40* 


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604  Joseph  Reis. 

den  Paralytikem  zu  Yerlesungen;  der  absoluten  ZaM  nach  uberwiegen 
zwar  letztere  in  beiden  Gruppen  von  Kranken.  Wahrend  dort  auf 
100  Verlesungen  93,4  Auslassungen  kommen,  sind  es  hier  nur  t2,2. 
Nur  der  Hebephrene  C.  weicht  in  dieser  Hinsicht  von  dem  Verhalten 
-der  Gruppe  ab,  da  er  fast  ausschlieBlich  Fehler  begebt.  Ln  ganzen 
haben  demnach  die  Hebephrenen  den  Leseschwierigkeiten  gegeniiber 
leichter  auf  den  Versuch  der  Auffassung  verzichtet,  wahrend  die  Para- 
lytiker  mehr  geneigt  waren,  die  unvollkommen  aufgefassten  Beize 
durch  eigene  willkurliche  Aendenmgen  umzugestalten.  Dass  dies  bei 
der  Art  des  Lesestoffes,  wo  keinerlei  Anhalt  zur  richtigen  Erganzung 
des  unvollkommen  Erkannten  gegeben  war,  meist  zu  fehlerhaften 
Lesungen  fiihren  musste,  ist  selbstverstandlich. 

Weiteren  Einblick  in  diese  Verhaltnisse  wUrde  die  nahere  Be- 
trachtung  der  Fehler  gewahren.  Wegen  der  schon  erwahnten  Schwie- 
rigkeit  des  Registrirens  bei  Haufung  von  Fehlem  muss  jedoch  bei 
dieser  Trommel  davon  Abstand  gonommen  werden. 

b.  Versuche  mit  einsilbigen  Wortern. 

Bei  den  Leseversuchen  mit  Trommel  A  war  leider  die  Versuchs- 
anordnung  recht  verschieden.  Die  beiden  Gesunden  lasen  wie  bei 
Trommel  C  an  jedem  Versuchstage  zwei  Trommeln,  am  ersten  mit 
1 0  und  5  mm  Spaltweite ,  am  zweiten  in  umgekehrter  Beihenf olge. 
Die  gleichen  Versuche  wurden  mit  F.  durchgefUhrt;  fiir  D.,  G.  und 
N.  war  dieselbe  Versuchsanordnung  geplant  Ersterer  war  jedoch 
nur  zu  einem  einmaligen  Versuche  zu  bewegen.  Den  beiden  anderen 
machte  das  Lesen  bei  f)  mm  zu  groBe  Schwierigkeiten.  G.  war  am 
ersten  Tage  nicht  im  Stand,  bei  dieser  Spaltweite  zu  lesen;  am  zweiten 
versagte  seine  Auffassungsfahigkeit  ebenfalls,  als  er  zum  Beginn  des 
Versuchs  mit  5  mm  lesen  soUte,  doch  war  er,  nachdem  er  mit  der 
groBeren  Spaltweite  eine  Trommel  gelesen,  im  Stande,  noch  zwei 
Trommeln  mit  5  mm  zu  lesen.  N.  las  am  ersten  Tage  eine  Trommel 
mit  to  mm;  bei  5  mm  versagte  seine  Leistungsfahigkeit,  ab  er  die 
Halfte  der  Trommel  gelesen  hatte;  am  zweiten  Tage  vermochte  er 
dabei  nichts  aufzufassen,  so  dass  auch  an  diesem  Tage  nur  eine 
Trommel  mit  1 0  mm  gelesen  wurde.  K.  und  L.  lasen  an  zwei  Tagen 
3  Trommeln  mit  10,8  und  5  mm  Spaltweite.  Bei  M.  und  P.  war 
die  Versuchsanordnung  die,   dass  an  3  Tagen  je  3  Trommeln  mit 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        605 

diesen  Spaltweiten  gelesen  wurden,  am  vierten  Tage  in  umgekehrter 
Beihenfolge.  Am  dritten  Versuchstage  konnte  M.  nur  zwei  Trom- 
meln  lesen.  Aehnlich  waren  auch  die  Versuche  C.'s;  nur  las  er  an 
den  beiden  letzten  Tagen  noch  je  zwei  weitere  Trommeln,  mit  5  mm 
am  dritten,  10  mm  am  vierten  Tage,  so  dass  von  diesen  Tagen  je- 
weils  das  Ergebniss  von  5  Trommeln  vorliegt. 

In  Tabelle  IV  sind  die  Ergebnisse  entsprechender  Versuche  zu- 
sammengestellt.  Mit  Ausnahme  von  B.,  C,  M.  und  P.,  von  welchen 
3  Versuchstage  verwerthet  sind,  sind  es  die  Durchschnittsergebnisse 
zweier  Tage. 

Tabelle  IV. 


Versuchs- 

10  mm 

8  mm 

5  mm 

personen 

r 

f 

a 

r 

f 

a 

r 

98,92 

f 

a 

1 

E. 

97,67 

2,32 

0 

1,07 

0 

J. 

94,83 

4,64 

0,53 

95,59 

4,41 

0 

A 

Gruppen- 
durchschnitt 

96,25 

3,48 

0,27 

97,25 

2,74 

0 

B. 

69,87 

1,91 

28,21 

58,59 

1,78 

39,64 

46,66 

2,60 

50,76 

C. 

91,31 

8,69 

0 

91,66 

8,34 

0 

78,89 

22,11 

0 

§* 

D. 

86,54 

1,32 

12,14 

47,86 

3,93 

48,21 

F. 

91,60 

5,66 

2,68 

76,92 

11,99 

11,08 

1 

G. 

77,09 

12,56 

10,35 

66,79 

12,31 

20,89 

K. 

95,53 

4,47 

0 

96,25 

3,57 

0,18 

95,00 

4,82 

0,18 

L. 

79,63 

6,43 

13,94 

87,50 

5,95 

6,55 

86,07 

9,64 

4,28 

Gruppen- 
durchschnitt 

84,56 

5,85 

9,59 

71,19 

9,50 

19,31 

fe 

M. 

47,38 

40,59 

12,03 

46,19 

39,68 

14,13 

46,96 

41,79 

11,25 

1 

N. 

77,01 

13,25 

9,73 

(14,26 

7,85 

77,89) 

1 

P. 

98,93 

1,07 

0 

99,17 

0,83 

0 

97,38 

2,38 

0,24 

Gruppen-    i 
durchschnitt 

74,44 

18,30 

7,36 

Es  sind  auch  hier  wie  bei   der  Trommel  C  zum  Vergleich  die 


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606  Joseph  Reis. 

mittleren  Leistungen-  der  Gruppen  berechnet  Fiir  die  Spaltweite 
von  8  mm  ist  hiervon  abgesehen,  da  ja  nur  von  einem  Theil  der  Per- 
sonen  Versuche  vorliegen.  Die  groBte  Zahl  richtiger  Lesungen  fin- 
det  sich  bei  den  Gesunden;  dann  kommen  die  Hebephrenen  und 
endlich  die  Paralytiker.  Die  fiir  N.  bei  5  mm  angegebenen  Zahlen 
wurden  nur  beim  Lesen  einer  halben  Trommel  gewonnen,  wesbalb 
auch  die  Durchschnittsleistung  der  Gruppe  nicht  berechnet  ist. 

Der  Einfluss  der  Spaltweite  machte  sich  bei  Trommel  A  in 
gleicher  Weise  wie  bei  Trommel  G  geltend.  Bei  den  Gesunden  ist 
bei  der  engeren  Spaltweite  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  sogar 
noch  etwas  groBer  als  bei  10  mm.  Diese  Thatsache  weist  darauf 
bin,  dass  wir  uns  wie  bei  Trommel  C  bei  5  mm  schon  nahe  der 
Grenze  befinden,  jenseits  derer  eine  Verbreiterung  des  Spaltes  das  Le- 
sen nicht  wesentlich  erleichtert.  Von  den  Hebephrenen  werden  bei 
5  mm  13,47o  der  Reize  weniger  erkannt.  Mit  Ausnahme  L.'s  nimmt 
die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  bei  alien,  wenn  auch  in  verschie- 
denem  Grade,  ab.  Bei  den  Paralytikem  ist  ebenfalls  ein  Sinken  der 
richtigen  Lesungen  f estzustellen ;  allerdings  ist  dasselbe  bei  M.  mit 
der  ohnehin  schlechtesten  Leistung  nur  sehr  geringfUgig.  Bei  P. 
finden  wir  uns  mit  dieser  Aufgabe  bei  den  gewiihlten  Spaltweiten 
noch  nahe  der  oberen  Grenze  der  Auffassungsfahigkeit;  es  ist  daher 
bei  5  mm  nur  eine  geringe  Abnahme  der  Zalil  der  richtigen  Lesungen 
festzustellen.  N.  ist  dagegen  der  Aufgabe,  mit  5  mm  zu  lesen,  nicht 
mehr  gewachsen. 

Bei  10  mm  weist  der  Pai*alytiker  P.  die  groBte  Zahl  richtiger 
Lesungen  auf.  Der  Gesunde  E.  kommt  erst  an  zweiter  Stelle;  ihm 
reihen  sich  der  erste  Hebephrene  K.  und  der  Gesunde  J.  an.  Es 
folgen  weiter  5  Hebephrene,  worauf  die  Reihe  durch  den  Paralytiker 
N.  unterbrochen  wird.  Den  Schluss  macht  der  Paralytiker  M.  Bei 
5  mm  nimmt  der  Gesunde  E.  die  erste  Stelle  ein,  gefolgt  von  dem 
Paralytiker  P.  Der  zweite  Gesunde  ubertrifft  noch  etwas  den  ersten 
Hebeplirenen.  Diese  folgen  sich  bis  zum  letzten  in  unvmterbrochener 
Reihenfolge;  erst  mit  diesem  steht  der  zweite  Paralytiker  in  gleicher 
Ijinie.  Folgende  Tabelle  giebt  die  Uebersicht  Uber  die  Reihenfolge 
der  Versuchspersonen  bei  der  groBeren  und  kleineren  Spaltweite. 


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Ueber  einfnche  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geisteskranken.       607 
Tabelle  V. 


Versuchs- 
personen 

1 
P. 

2 
E. 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

10  mm 

Gesunde 

J. 

D. 

B. 

Hebephreno 

K. 

F. 

C. 

L. 

G. 

Paralytiker 

N. 

M. 

5  mm 

Gesunde 

E. 

J. 

L. 

C. 

F. 

G. 

D. 

M. 

B. 

N. 

Hebephreno 

K. 

Paralytiker 

P. 

Ein  Vergleich  der  beiden  Reihen  zeigt,  dass  die  groBere  Schwie- 
rigkeit  der  Aufgabe,  bei  5  mm  zu  lesen,  die  Stellung  der  Kranken 
den  Gresunden  gegeniiber  verschlechtert  hat. 

Das  Verhaltniss  von  Fehlem  und  Auslassungen  ist  auch  beim 
Lesen  der  Worter  recht  verschieden.  Bei  den  Gesunden  finden  sich, 
von  einigen  zufalligen  Auslassungen  abgesehen,  nur  Fehler.  Bei  den 
Hebephrenen  iiberwiegt  die  Zahl  der  Auslassungen  Uber  die  Fehler; 
bei  den  Paralytikem  finden  wir  das  umgekehrte  Verhaltniss.  Die 
Verengerung  der  Spaltweite  bewirkt  ein  starkeres  Ansteigen  der  Aus- 
lassungen als  der  Fehler.  Wenn  auch  Fehler  und  Auslassungen  mit 
der  Schwierigkeit  der  Versuchsbedingungen  zunehmen,  so  finden  wir 
doch  wie  bei  Trommel  C,  dass  die  Auslassungen  ein  getreueres  Bild 
der  Auffassungsschwierigkeiten  geben. 

Die  Betrachtung  des  Verhaltens  der  einzelnen  Versuchspersonen 
bestatigt  diese  Annahme.  Gleichwie  von  den  Gesunden  miissen  wir 
dabei  von  den  Hebephrenen  C.  und  K.  und  dem  Paralytiker  P.  wegen 
der  auBerst  geringfiigigen  Zahl  der  Auslassungen  oder  •  des  Mangels 
solcher  absehen.  Die  Hebephrenen  B.,  D.,  F.,  G.  und  der  Paraly- 
tiker N.  lassen  deutlich  das  starke  Anwachsen  der  Auslassungen  bei 
Verengerung  der  Spaltweite  erkennen.  L.  zeigt  eine  Besserung  seiner 
Leistung  bei  5  mm,  M.  mit  seiner  an  .und  fur  sich  schon  auBerst 
schlechten  Leistung  bei  5  mm  nur  ein  unbedeutendes  Sinken. 

Dabei  treten  in  dem  Verhalten  von  Auslassungen  und  Ver- 
lesungen  wieder  deutlich  personliche  EigenthUmlichkeiten  hervor.    Die 


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608  Joseph  Reis. 

groBere  Neigung  zu  Verlesungen  bei  den  Paralytikem,  zu  Auslas- 
sungen  bei  den  Hebephrenen,  wie  wir  sie  schon  beim  Lesen  sinnloser 
Silben  gefimden  haben,  ist  auch  bei  Trommel  A  vorhanden,  wenn  auch 
nicht  in  gleich  ausgepragtem  MaBe.  Bei  10  mm  Spaltweite  kommen 
dort  auf  100  Verlesungen  40,2  Auslassungen,  wahrend  ihnen  163,9 
bei  den  Hebephrenen  gegeniiberstehen.  Bei  5  mm  konnen  wir  das 
Verhaltniss  wegen  des  mangelhaften  Ausfalls  des  Versuchs  mit  N. 
nicht  berechnen.  0.  und  K.  zeigen  ein  von  ihrer  Gruppe  abweichen- 
des  Verhalten,  indem  sich  bei  ihnen  keine  Auslassungen  finden.  Eine 
Gruppirung  der  Versuchspersonen  nach  der  Zahl  der  Auslassungen 
stimmt  in  den  einzelnen  Gruppen  nahezu  voUig  mit  der  nach  der  Zahl 
der  richtigen  Lesungen  uberein.  Es  geht  also  auch  daraus  wieder 
hervor,  dass  die  Auslassungen  einen  ziemlich  richtigen  MaBstab  fiir 
die  Schwierigkeit  der  Auffassung  geben.  Eine  Ordnung  nach  der 
Zahl  der  Verlesungen  weicht  dagegen  manchmal  recht  betriichtiich 
von  derjenigen  nach  der  Giite  der  Leistung  ab.  Wir  finden  darin 
nur  den  Ausdruck  einer  verschiedengradigen  Neigung,  unvollkommen 
erfasste  Eindriicke  durch  eigene  Zuthaten  zu  erganzen. 

Die  mit  Trommel  A  gewonnenen  Werthe  zeigen  durchweg  eine 
Besserung  gegenuber  den  mit  Trommel  C  erhaltenen.  In  Tabelle  VI 
sind  die  Ergebnisse  entsprechender  Versuche  mit  den  beiden  Trom- 
meln  neben  einander  gestellt.  Es  sind  dabei  jeweils  die  Mittelzahlen 
aus  den  mit  10  und  5  mm  erhaltenen  Ergebnissen  angefUhrt. 

Im  allgemeinen  ist  die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  bei  Trom- 
mel A  groBer  als  bei  Trommel  C.  Bei  den  Gesunden  ist  zwar  der 
Einfluss  des  Lesestoffs  nur  unbedeutend,  da  ja  die  Ergebnisse  der 
oberen  Grenze  der  Auffassungsfahigkeit  nahe  Uegen.  In  der  Gruppe 
der  Hebephrenen  werden  bei  Trommel  A  von  alien  mehr  richtige 
Lesungen  geUefert;  allerdings  ist  der  Grad  der  Besserung  bei  den 
einzelnen  Versuchspersonen  der  Gruppe  recht  verschieden.  Auch  in 
der  Gruppe  der  Paralytiker  ist  im  Durchschnitt  die  gleiche  Aende- 
rung  der  Leistung  bei  Trommel  A  festzustellen.  Nur  N.  zeigt  ein 
abweichendes  Verhalten,  indem  in  seinen  Versuchen  —  er  ist  der 
Einzige,  bei  welchem  nur  mit  10  mm  Spaltweite  ausgeftihrte  vergUchen 
werden  konnten  —  das  Lesen  von  Trommel  C  das  bessere  Ergebniss 
geliefert  hat. 


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Ueber  etnfscbe  psycbologiscbe  Versuche  an  Gesunden  und  UeisteskrankeD.        609 
Tabelle  VI. 


Trommel  A 

Trommel  C 

Versuchs- 
personen 

r 

f 

a 

r 

f 

a 

1 

E. 
J. 

98,30 
95,21 

1,70 
4,53 

0 
0,26 

98,52 
92,32 

1,48 
7,12 

0 
0,55 

Gruppen- 
dnrchschnitt 

96,76 

3,11 

0,13 

95,42 

4,30 

0,28 

Hebephrene 

B. 
C. 
F. 
G. 
K. 
L. 

58,48 
82,74 
84,29 
71,94 
95,27 
82,85 

2,85 
17,26 

8,82 
12,44 

4,65 

8,04 

38,66 

0 

6,88 
15,62 

0,09 

9,11 

54,81 
76,94 
57,22 
50,83 
94,17 
79,82 

7,31 
22,88 
27,50 
22,41 

5,00 
10,56 

37,87 

0,18 

15,27 

26,76 

0,83 

9,62 

Grui 
darchi 

)pen-    1 
Bchnitt 

79,26 

9,01 

11,73 

68,96 

15,95 

15,09 

u 

1 

M. 

N. 
P. 

50,27 
77,01 
97,68 

37,68 

13,25 

2,14 

12,05 
9,73 
0,18 

33,52 
82,80 
82,70 

65,56 
14,24 
15,81 

0,92 
2,96 
1,48 

Grappen-    | 
durchschnitt 

74,99 

17,69 

7,32 

66,34 

31,87 

1,79 

Die  Zunahme  der  richtigen  Lesungen  war  auch  in  den  Versuchen 
Cron's  und  Kraepelin's  festgestellt  worden  und  dort  aus  der  Hiilfe, 
welche  die  Versuchspersonen  beim  Lesen  von  Trommel  A  in  den  Wort- 
vorstellungen  finden,  erklart.  Trotzdem  die  Aufgabe  der  sinnlichen 
Auffassung  der  Worter  bei  der  groBeren  Buchstabenzahl  schwieriger 
ist,  ermoglichen  es  die  Worterinnerungsbilder,  auch  einen  unvollstan- 
dig  aufgefassten  Reiz  in  richtiger  Weise  zu  erganzen,  da  derselbe 
nach  der  gestellten  Aufgabe  einer  bestimmtcn  Wortvorstellung  ent- 
sprechen  muss.  Bei  der  Auffassung  sinnloser  Silben  war  kein  der- 
artiges  Hiilfsmittel  zur  Verfligung. 

Die  Moglichkeit  der  falschen  Lesungen  bei  Trommel  A  musste 


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610 


Joseph  Reis. 


in  Folge  dessen  wesentlich  eingeschrankt  sein,  da  die  Wortvorstel- 
lungen  doch  meist  eindeutig  bestimmt  waren,  die  den  theilweise  auf- 
gefassten  Reizen  entsprechen  konnten.  Es  hat  daher  durchweg  die 
Zahl  der  Verlesungen  bei  alien  Versuchspersonen  abgenommen ;  eine 
damit  parallel  gehende  Abnahme  der  Auslassungen  ist  dagegen  nur 
ausnahmsweise  vorhanden.  Bei  einer  Anzahl  von  Versuchspersonen 
tritt  im  Gegentheil  eine  bedeutende  Vermehrung  derselben  ein. 

Bei  der  Einschrankung  der  Moglichkeit  der  Verlesungen  iiber- 
haupt  tritt  die  Neigung  der  Paralytiker  zu  Verlesungen  gegeniiber 
der  groBeren  Neigung  der  Hebephrencn  zu  Auslassungen  nicht  so 
stark  hervor  wie  dies  bei  Trommel  C  der  Pall  gewesen. 

Ein  Vergleich  der  Gruppirung  der  Versuchspersonen  nach  den 
Resultaten,  welche  das  Lesen  von  Trommel  A  und  C  ergeben  hat, 
zeigt,  dass  beim  Lesen  sinnloser  Silben  die  Paralytiker  den  Gesunden 
und  Hebephrenen  gegeniiber  eine  ungunstigere  Stellung  einnehmen, 
als  dies  beim  Lesen  sinnvollen  Stoffes  der  Fall  ist.  Besonders  deut- 
lich  kommt  dies  in  der  Stellung  P.'s  zum  Ausdruck.  Derselbe  steht 
bei  Trommel  A  mit  der  ersten  und  zweitbesten  Leistung  an  der 
Spitze,  zeigt  aber  bei  Trommel  C,  wo  die  Unterstutzung  durch  Wort- 
erinnerungsbilder  fehlt,  eine  deutliche  Abnahme  der  Auffassungs- 
fahigkeit. 

Suchen  wir  uns  iiber  die  Art  der  Fehler  Rechenschaft  zu  geben, 
so  konnen  wir  zunachst  zwischen  sinnlosen  und  sinnvollen  Verlesungen 
unterscheiden.  Bei  dieser  Feststellung  kam  es  hier  und  da  vor,  dass 
es  nicht  ganz  leicht  war,  zu  entscheiden,  ob  eine  Verlesung  als  sinn- 
voU  oder  sinnlos  angesehen  werden  sollte.  Manchmal  war  die  Ent- 
scheidung  auch  durch  undeutlichc  Aussprache  erschwert.  Doch  war 
diese  Schwierigkcit  im  allgemeinen  nicht  zu  hauiig.  Die  nachste 
Tabelle  giebt  an,  wie  viel  Procent  der  Verlesungen  sinnlos  waren. 


Tabelle  VU. 


Gesunde 
E.  1   J. 


Hebephrene 


B.      C. 


D. 


F.       G. 


K. 


L. 


Paralytiker 

M.  i  N.  i  P. 


%  [  5,3 


11,5 


1,8 


20,5 


6,7 


18,1 


IM 


00,3 


9,6 


19,8 


11,4  "11,8 


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Ueber  einfache  psychologische  Versucbe  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        611 

Cron  und  Kraepelin  haben  die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen 
als  einen  MaBstab  betrachtet,  welcher  die  Beeinflussung  der  Auf- 
fassung  durch  Vorstellungen  in  umgekehrtem  Verhaltniss  wiedergiebt. 
Je  mehr  die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  hinter  der  Anzahl  der 
sinnvollen  zuriicktritt,  um  so  mehr  soUte  der  Einfluss  der  Wortvor- 
stellungen  zur  Geltung  gekommen  sein.  Eine  Stutze  dieser  Auf- 
fassung  wird  durch  meine  Versucbe  nicht  gegeben.  Im  allgemeinen 
Uberwiegen  die  sinnvollen  Verlesungen  bedeutend.  Eine  Ausnahme 
macht  nur  K.,  der  bei  der  geringen  Neigung  zu  Pehlem  iiberhaupt 
auch  wenig  sinnvplle  Verlesungen  aufweist.  Andererseits  finden  wir 
aber  gerade  bei  B.,  trotz  der  noch  geringeren  Zahl  Fehler,  nur  eine 
verschwindende  Zahl  sinnloser  Verlesungen,  ein  vollstandiges  Ueber- 
wiegen  von  Wortvorstellungen  und  bei  G.,  N.  und  M.  mit  der  groBten 
Neigung  zu  Pehlem  eine  nicht  unbetrachtliche  Zahl  sinnloser  Ver- 
lesungen. Die  Entstehungsweise  der  sinnlosen  Verlesungen  ist  jeden- 
falls  verschieden.  Theilweise  kamen  sie  dadurch  zu  Stande,  dass  die 
Versuchspersonen  die  Reizworter  buchstabirend  lasen,  dabei  aber  nur 
einen  Theil  der  Buchstaben  auffassen  konnten  und  diesen  unverandert 
vriedergaben,  bei  anderen  werden  ungenaue  Wahrnehmungen  durch 
eigene  Zuthaten  erganzt.  Ein  Unterschied  zwischen  den  3  Gruppen 
der  Versuchspersonen  lasst  sich  nicht  feststellen. 

Eine  Anzahl  der  Verlesungen  kam  im  Lauf  e  der  Versucbe  wieder- 
holt  vor.  Begreifhcherweise  konnte  bei  der  Betrachtung  dieser  Ver- 
haltnisse  nur  auf  sinnvoUe  Verlesungen  Bucksicht  genommen  wer- 
den. Cron  und  Kraepelin  batten  in  ihren  Versuchen  die  gleiche 
Beobachtung  gemacht  und  batten  diese  Verlesungen  als  zerstreute 
und  stehende  Wiederholungen  unterschieden,  je  nachdem  dieselben 
bei  verschiedenen  oder  bei  gleichen  Reizwortem  wiederkehrten.  Bei 
letzteren  handelt  es  sich  nach  ihrer  Deutung  um  die  Befestigung  eines 
einmal  begangenen  Fehlers,  bei  den  ersteren  um  das  Vorherrschen 
gewisser  Sprachvorstellungen,  die  zur  AeuBerung  drangen,  auch  wenn 
der  wahrgenommene  Reiz  gar  nicht  oder  nur  zum  Theil  dem  Wort- 
bilde  entspricht  Die  nachste  Tabelle  giebt  dariiber  Aufschluss,  wie 
viel  Procent  der  sinnvollen  Verlesungen  einmal ,  wie .  viel  wiederholt 
vorkommen. 


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612 


Joseph  Reis. 
Tabelle  Vin. 


1   Gesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

E. 

J. 

B. 

C. 

D. 

F.  . 

G. 

K. 

L. 

M.  1  N.    1  P. 

Zahl  dor      1 
jTrommeln 

4 

4 

12 

16 

2 

4 

4 

6 

6 

11 

2 

12 

Einmaio/o 

61,1 

70,1 
23,9 

66,7 

42,9 

100 

55,8 

53,9 

65,5 

46,0 

30,9 

65,7 

73,3 

Wiederholto/j) 

38,9 

33,3 

57,1 

0 

44,2 

46,1 

34,5 

54,0 

69,1 

34,3 

26,7 

Leider  sind  die  Versuche  aller  Personen  in  dieser  Hinsicht  nicht 
ohne  weiteres  vergleichbar ,  da  nicht  immer  dieselbe  Zahl  Trommeln 
gelesen  wurde  und  bei  einer  groBeren  Zahl  die  Gelegenheit  zur 
Wiederkehr  derselben  Verlesungen  in  hoherem  MaBe  geboten  ist 
Aus  der  Tabelle  konnen  wir  nur  ersehen,  dass  auch  hier  groBe  per- 
sonhche  Verschiedenheiten  bestehen.  Von  den  beiden  Gesunden  zeigt 
E.  eine  groBere  Neigung  zur  Wiederholung  derselben  Verlesungen. 
Der  Hebephrene  D.  mit  allerdings  nur  2  Trommeln  wiederholt  keine 
Verlesung.  Unter  den  ubrigen  begeht  B.  meist  neue  Fehler,  da  trotz 
der  groBen  Zahl  der  Trommeln  die  Zahl  der  Wiederholungen  nicht 
sehr  bedeutend  ist.  Bei  C.  mit  1 6  Trommeln  finden  sich  etwas  mehr 
Wiederholungen.  Weiterhin  steigt  die  Neigung  zur  Wiederkehr  der- 
selben Verlesungen  bei  K.,  P.,  G.,  L.;  die  3  Letzteren  stehen  einander 
wohl  ziemlich  gleich.  Unter  den  Paralytikem  hat  P.  die  geringste 
Neigung  zu  Wiederholungen.  Unterschiede  zwischen  den  3  Gruppen 
der  Versuchspersonen  sind  nicht  erkennbar. 

Die  niichste  Tabelle  giebt  eine  Uebersicht  liber  die  Vertheilung 
der  wiederholten  Verlesungen  auf  stehende  und  zerstreute  Wieder- 
holungen. 

Auch  hier  wird  die  Beurtheilung  der  Verhaltnisse  durch  die  Un- 
gleichheit  der  Versuche  erschwert.  Denn  es  ist  nicht  zu  entscheiden, 
ob  die  beiden  Arten  der  Wiederholungen  mit  der  Zahl  der  Trom- 
meln in  gleichem  MaBe  ansteigen.  Die  groBte  Neigung  zu  stehenden 
Wiederholungen  finden  wir  def^den  Gesunden.  Unter  den  Hebe- 
phrenen  weisen  G.  und  F.  weniger  stehende  Wiederholungen  auf,  als 
die  ubrigen;  allerdings  ist  bei  ihnen  auch  die  Zahl  der  Trommeln  am 
kleinsten.    Ihnen  schlieBt  sich  zunachst  B.  an.     Unter  den  Paralj- 


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Ueber  einfache  psychologisehe  Versnche  an  GesundeD  und  Geisteskranken.        613 
Tabelle  IX. 


1 

Qesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

E. 

'• 

B. 

C. 

F. 

G. 

K. 

L. 

M. 

N. 

P. 

StebendeWie- 
derhol.  o/^ 

100 

Sl,8 

72,2 

85,5 

32,4 

43,4 

80,0 

86,9 

46,9 

50,0 

75,0 

ZerstreuteWie- 
derhol.  o/o 

0 

18,2 

44,4 

19,7 

67,6 

62,3 

20,0 

19,7 

73,1 

58,3 

33,3 

tikern  haben  jedenfalls  N.  und  P.  eine  groBere  Neigung  zur  Bildung 
stehender  Wiederholungen  als  M.  Eine  sicliere  Erklarung  fur  die 
Entstehungsweise  dieser  Wiederholungen  ist  hiemach  nicht  moglich. 
Im  allgemeinen  findet  sich  die  groBere  Zahl  stehender  Wieder- 
holungen bei  den  Versuchspersonen  mit  besserer  Auf fassungsfahigkeit 
und,  wie  wir  spater  sehen  werden,  mit  einer  Besserung  der  Leistung 
im  Laufe  der  Versuchstage.  Cron  und  Kraepelin  haben  zwei  Mog- 
lichkeiten  der  Entstehung  dieser  Art  Wiederholungen  angegeben.  Die 
groBere  Haufigkeit  derselben  konne  einer  groBeren  Gedachtnissfahig- 
keit  entsprechen,  welche  die  einmal  eingetretene  Verbindung  zwischen 
Schriftreiz  und  fehlerhafter  Lesung  festhalt,  oder  einer  ungenaueren 
Wahmehmung,  die  eine  Erganzimg  theilweise  aufgefasster  Reize  durch 
friihere  Wahmehmungen  begiinstigt.  Der  Ausfall  meiner  Versuche 
sprache  eher  fiir  erstere  Erklarung;  doch  mochte  ich  eine  siehere 
Entscheidung  nicht  treffen. 

Die  zerstreuten  Wiederholungen  vertheilen  sich  auch  ziemlich 
ungleich.  Die  geringste  Neigung  dazu  finden  wir  bei  den  Gesunden, 
doch  miissen  wir  auch  hier  wieder  die  Zahl  der  Trommeln  beriick- 
sichtigen.  Am  groBten  scheint  die  Neigung  bei  den  Hebephrenen 
F.  und  Gt.  und  den  Paraly tikern  M.  und  N.  zu  sein;  es  sind  dies 
die  Versuchspersonen,  bei  welchen  wir  die  groBte  Erschwerung  der 
Auffassung  gefunden  haben.  Diese  Verlesungen  werden  durch  be- 
liebige,  haufig  ohne  nahere  Beziehung  zu  den  Reizwortem  auftauchende 
Vorstellungen  hervorgerufen.  Tabelle  X  giebt  an,  wie  oft  die  gleichen 
Verlesungen  wiederkehren. 


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614 


Joseph  Rtis. 
Tabelle  X. 


Stehende 
Wiederhol. 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

-§         E. 
i         J. 

2 
3 

1 

1 

B. 
C. 
F. 
G. 
K. 

3 
26 
4 
6 
4 
8 

11 

1 
3 

2 

1 

4 

3 

2 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

M. 

N. 
P. 

73 
6 
2 

29 

1 
6       2 

1 
1 

1 

3 

2 

1 

1 

Zerstreute 
Wiederhol. 

i 

1 

E. 
J. 

1 

0) 

n 

B. 
C. 
F. 
G. 
K. 
L. 

4 

14 

7 

7 
1 
6 

2 
3 
5 

1 
1 

fe 
^ 

>» 

^ 

M. 

N. 
P. 

67 

7 
3 

45 

1 

19 

9 

8 

7 

1 

Die  groBte  Zahl  zcrstreuter  Verlesungen  finden  wir  bei  M,  Er 
liest  z.  B.  kurz  hintor  cinander  Kampf  statt  folgendcr  Reizworter : 
Hang,  Papst,  Haupt,  Dampf,  Kopf,  Kunst;  es  genligt  hier  also  der 
Reiz  des  ersten  oder  zweiten  Buchstaben,  urn  die  bereitliegende  Wort- 
vorstellung   auszulosen.      Andere    Beispiele    sind    Werft   fiir   Wort, 


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Deber  einfache  psychologisehe  Versoche  an  Gesnnden  nnd  Geisteskranken.        615 

Werth,  Werk,  Wurf,  Bursch,  Gluck,  oder  Wohl  fUr  Kohl',  Vieh, 
Wehr,  Gk)lf ,  Wolf,  Arzt ;  fiir  einzelne  der  Verlesungen  f ehlt  jede  An- 
kniipfung  an  das  Reizwort.  Wenn  Arzt  fiir  Kerl,  FleiB,  Eo'ug  ge- 
lesen  wird,  ist  eine  solche  nicht  mehr  nachweisbar,  und  ahnliche 
Beispiele  UeBen  sich  in  groBer  Zahl  haufen. 

Die  lockeren  Beziehungen  zwischen  zerstreuten  Wiederholungen 
und  Reizwortem,  die  engeren  zwischen  letzteren  und  den  stehenden 
Wiederholungen  kennzeichnet  f olgende  Nebeneinanderstellung,  die  aus 
alien  vorliegenden  Versuchen  gewonnen  ist. 

Tabelle  XI. 


Buchstaben  werden  verlesen 

1 

2 

3 

4 

Stehende  Wiederholungen  o/o 

87,5 

9,8 
34,3 

2,7 

0 

Zerstreute  Wiederholungen  % 

43,3 

19,6 

2,8 

Wahrend  fast  bei  alien  stehenden  Wiederholungen  nur  ein  Buch- 
stabe  verlesen  ist,  stimmt  bei  den  zerstreuten  eine  weit  kleinere  Buch- 
stabenzahl  mit  denen  des  Reizwortes  Uberein.  Dabei  ist  bei  letzteren 
die  Zahl  der  falschen  Buchstaben  eher  noch  zu  gering  angegeben,  da 
bei  starkerer  Abweichung  von  dem  Reizworte  die  Zahlung  der  Fehler 
unsicherer  wird.  ' 

Bei  der  Durchsicht  der  VersuchsprotokoUe  konnte  die  Beobach- 
tung  gemacht  werden,  dass  die  durch  das  Lesen  angeregten  Vor- 
stellungen  mit  einer  gewissen  Hiiufigkeit  unter  den  Fehlem  wieder- 
kehrten.  Tabelle  XII  giebt  daruber  Aufschluss,  wie  viele  Procent 
der  sinnvollen  Verlesungen  sich  mit  Reizwortem  deckten,  und  wie 
sich  dieselben  auf  einfache  und  wiederholte  Verlesungen  vertheilten. 

Tabelle  XH. 


Gesunde 
E.     |j. 

Hel)ephreno 

Paralytiker 

Reizwortem  entsprechen 

B.  1  C. 

59,3  52,1 

1 

D. 
42,9 
42,9 

F. 

68,8 

65,1 
73,5 

G. 

64,3 

54,8 
75,5 

K.     L. 

65,5  i60,l 

1 

47,4  59,6 

M.     N. 

P. 
66,6 
60,6 

Von  sinnvollen  Ver- 
lesungen iiberhaupt  o/o 

55,6    j63,0 

53,0 
17,3 

45,7 
39,1 

Von  einmaligen  % 

45,5    J54,3 

61,1  l44,4 
55,6  59,5 

Von  wiederhulten  % 

71,4     90,9 

100  [60,7 

68,9 

58,3 

83,3 

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616 


Joseph  Reis. 


Mit  Ausnahme  von  D.  und  N.  finden  wir  bei  alien  Versuchs- 
personen  in  mehr  aJs  der  Halfte  der  sinnvollen  Verlesungen  Ueber- 
einstimmung  mit  Reizwortem.  Bei  D.  und  N.  ist  der  Einfluss  des 
Lesestoffes  auf  das  Zustandekommen  der  Verlesungen  nicht  so  stark 
ausgepragt,  da  hier  nur  zwei  Trommeln  gelesen  wurden.  Personliche 
Unterschiede  in  der  Starke  der  Beeinflussung  sind  auch  bei  dieser 
Betrachtung  nachweisbar,  Unterschiede  der  3  Gruppen  nicht  zu  er- 
kennen.  Unter  den  Wiederholungen  kommen  die  Eeizworter  weit 
haufiger  vor  als  unter  den  einfachen  Verlesungen.  Nur  bei  B.  ist 
ein  abweichendes  Verhalten  zu  constatiren.  Ein  groBer  Theil  der 
wiederholten  Verlesungen  lasst  sich  in  der  Entstehung  jedenfalls 
darauf  zuruckfuhren,  dass  einmal  gelesene  Eeizworter  im  Gedachtniss 
festhafton  und  dadurch  andere  Lesungen  beeinflussen.  ^ 

Dass  die  Uebereinstimmung  der  Verlesungen  mit  Reizwortem 
nicht  auf  Zufalligkeiten  beruht,  geht,  von  der  Haufigkeit  dieses  Zu- 
sammentreffens  abgesehen,  daraus  hervor,  dass  nahezu  bei  alien  Per- 
sonen  das  Reizwort  in  mehr  als  der  Halfte  der  Falle  der  mit  ihm 
iibereinstimmenden  Verlesung  in  der  Reihe  der  Reize  voranging.  Des 
nahercn  ist  aus  Tabellc  Xm  zu  ersehcn,  wie  oft  das  mit  der  Ver- 
lesung identische  Reizwort  vorausging. 

Tabelle  XIH. 


Gesnnde 

Hebephrene 

Paralytiker 

E. 

J. 

B.  1  C. 

D. 

F. 

G.  i  K.     L. 

M. 
63,5 

N. 
59,4 

P. 
40,0 

Vorher  % 

100 

62,1 

53,1  51,4 

66,6 

00,4 

51,4  68,4  50,0 

Bei  E.  war  in  alien  hierher  zahlcnden  Verlesungen  das  Reizwort 
vorangegangen.  In  nicht  seltenen  Fallen  kam  das  Reizwort  kurz  zu- 
vor.  Beriicksichtigen  wir  noch,  dass  auch  durch  das  Lesen  vorher- 
gehender  Trommeln  eingepragte  Wortbilder  das  Lesen  beeinflussen 
konnten,  so  ist  die  unmittelbare  Wirkung  des  Lesestoffes  auf  die  Auf- 
fassung  sicher  bewiesen. 

Aber  der  Einfluss  des  Lesestoffes  auf  die  Verlesungen  ist  mit 
dem   Nachwcis    der    haufigen    Uebereinstimmung    beider    keineswegs 


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Deber  einfache  psychologische  Versnebe  an  Gesunden  and  Geisteskranken.        617 

erschopft.  Cron  und  Kraepelin  haben  schon  Beispiele  dafur  ange- 
fiihrt,  dass  nicht  das  Reizwort  als  solches,  sondern  eine  Association 
zu  demselben  gelesen  wurde.  So  finden  wir  bei  der  Durchsicht  der 
Stenogramme  folgende  Verlesungen:  Krieg  —  Zank,  Pelz  —  Thier, 
Vieh  —  Pferd,  Wohl  —  Arzt,  Gluck  —  Glas.  Mit  Ausnahme  des 
letzten  Beispiels  besteht  hier  zwischen  Reizwort  und  Lesung  keinerlei 
Aehnlichkeit.  Es  ist  daher  jedenfalls  die  Annahme  gerechtfertigt, 
dass  die  Sprachbewegung  erst  durch  eine  Association  zum  Reizwort 
ausgelost  wurde.  Bei  der  Verbindung  Gluck  —  Glas  konnte  man 
auch  an  eine  einfache  Verlesung  denken ,  da  ja  die  beiden  Anfangs- 
buchstaben  gleich  sind.  Aber  diese  Verlesung  findet  sich  wiederholt 
bei  einer  Versuchsperson  mit  recht  guter  Auff assung.  Wir  gehen  daher 
wohl  nicht  in  der  Annahme  fehl,  dass  es  sich  dabei  um  eine  durch 
das  bekannte  Spriichwort  hervorgerufene  Association  handelt.  Solche 
Associationen  konnen  sich  auch  an  vorangehende  Worter  anschUeBen, 
wie  z.  B.  Heil  nach  vorangehendem  Forst  Hirsch  gelesen  wird.  In 
anderen  Fallen  wieder  haben  wir  es  mit  Verlesungen  zu  thun,  die 
Klangassociationen  ihre  Entstehung  verdanken  (und  zwar  sind  es  im- 
mer  Associationen  zu  den  vorangehenden  Lesungen,  da  diese  ja  vom 
Gehor  aufgef asst  sind  und  so  durch  ihren  Klang  wirken  konnen,  nicht 
zu  den  Reizwortem  selbst).  Einige  hierher  gehorige  Beispiele  sind 
folgende:  an  Hand  schUeBt  sich  die  Verlesung  Pfad  —  Pfand,  an 
Pirsch  Him  —  Birsch,  an  Gang  Streu  -—  Strang,  an  Berg  Zweck 
—  Zwerg,  an  Mord  Worth  —  Wort  an.  AUe  die  angefiihrten  Bei- 
spiele sind  den  Versuchen  von  Kranken  entnommen,  sind  aber  damit 
keineswegs  erschopft.  Bei  den  Gesunden  konnten  keine  derartigen 
Beobachtungen  gemacht  werden. 

Da  mit  Trommel  B  nur  an  2  Hebephrenen  und  einem  Paraly- 
tiker  experimentirt  wurde,  die  Versuche  des  letzteren  noch  dazu  recht 
liickenhaft  sind,  verlohnt  es  sich  nicht,  des  weiteren  auf  dieselben 
hier  einzugehen. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuche  lassen  sich  folgendermaBen  kurz 
zusammenf assen :  Die  Zahl  der  richtigen  Lesungen  liefert  uns  ein 
MaB  fiir  die  Schnelligkeit,  mit  welcher  die  einzelnen  Versuchspersonen 
Eindriicke  in  sich  aufzunehmen  im  Stande  sind.  An  der  Spitze  stehen 
die  Gesunden;  es  folgt  die  Gruppe  der  Hebephrenen;  den  Schluss 
bildet  die  Gruppe  der  Paralytiker.     Die  Leistungen  eines  Paralytikers 

Kraepelin,  Pfycholog.  Arbeiten.  II.  41 


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618  Joseph  Reis. 

und  eines  Hebephrenen  fallen  noch  nahezu  in  die  Gtesundheitsbreite ; 
die  schlechteste  Leistung  finden  wir  bei  den  Paralytikem.  Bei  ein- 
zelnen  Versuchspersonen  bewegen  wir  uns  mit  den  gestellten  Auf- 
gaben  nahe  der  unteren  Grenze  des  Auffassungsschwellengebietes. 
Die  Erschwerung  der  Versuchsbedingungen  durch  VerkUrzung  der 
Spaltzeit  hat  bei  den  Gesunden  nur  eine  maBige  EinbuBe  an  rich- 
tigen  Lesungen  zur  Folge,  fiihrt  jedoch  bei  den  Eo'anken  ein  starkes 
Sinken  der  Zahl  richtiger  Lesungen  herbei.  Die  sinnliche  Wahr- 
nehmung  der  Reize  findet  eine  wesentliche  Stiitze  in  dem  Einflusse 
von  Wortvorstellungen.  Diese  Hulfe  kommt  fast  ausschlieBlich  beim 
Lesen  von  Wortem  in  Betracht.  Dass  sie  beim  Lesen  sinnlosen 
LesestofEes  f ehlt,  hat  bei  den  Kranken  ebenf alls  eine  wesentliche  Ab- 
nahme  der  richtigen  Lesungen  gegeniiber  den  Versuchen  mit  Wortem 
zur  Folge.  Namentlich  hat  sich  die  Stellung  der  Paralytiker  zu  den 
beiden  anderen  Gruppen  in  ungunstigem  Sinne  verschoben,  ein  Zeichen 
dafiir,  dass  sie  in  besonders  hohem  Grade  auf  die  Unterstiitzung  der 
sinnlichen  Wahmehmung  durch  Wortvorstellungen  bei  der  eigentlich 
schwierigeren  Aufgabe  des  Lesens  von  Wortem  angewiesen  sind. 

Li  dem  Verhaltnisse  von  Fehlem  und  Auslassungen  finden  wir  den 
Ausdruck  personlicher  Eigenthtimlichkeiten.  Es  lassen  sich  in  gewissen 
Grenzen  aber  auch  Unterschiede  zwischen  den  beiden  Gruppen  der 
Kranken  erkennen.  Die  Paralytiker  neigen  dazu,  unvollkommen  auf- 
gef asste  Reize  durch  eigene  Zuthaten  zu  verandem ;  die  Hebephrenen 
scheinen  solche  Reize  meist  zu  unterdriicken.  Dies  kommt  in  hoherem 
Grade  bei  den  sinnlosen  Silben  zum  Ausdruck,  da  hier  der  willkiir- 
Uchen  Aenderung  der  Reize  keine  Schranken  gezogen  sind;  bei  den 
Wortem  ist  dagegen  eine  solche  nur  in  engeren  Grenzen  moglich, 
weil  sich  die  Reize  mit  bestimmten  Wortvorstellungen  decken  miissen 
und  auch  bei  ungenauer  Auf fassung  fur  die  Erganzung  Anhaltspunkte 
gegeben  sind.  Verkurzung  der  Spaltzeit  steigert  sowohl  Fehler  wie 
Auslassungen,  letztere  aber  meist  in  hoherem  Grade.  In  den  ein- 
zelnen  Gruppen  deckt  sich  die  Ordnung  der  Personen  nach  der  Zahl 
der  richtigen  Lesungen  mit  der  Reihenfolge  nach  der  umgekehrten 
Zahl  der  Auslassimgen,  sodass  letztere  ein  richtigeres  Bild  der  Auf- 
fassungsschwierigkeiten  geben,  als  die  Fehler,  welche  nur  der  Aus- 
druck der  groBeren  oder  geringeren  personlichen  Neigung  zur  Deu- 
tung   ungenauer  Wahraehmungen  sind.     Die  Verlesungen  sind  zum 


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Ueber  einfacbe  psychologische  Versiiche  an  Gesundeii  und  Geisteskranken.        619 

Theil  sinnlos,  zum  Theil  sinnvoll;  bestimmte  Unterschiede  in  dem 
Verhaltniss  dieser  beiden  Arten  in  den  drei  Gruppen  lassen  sich  nicht 
feststellen.  Solche  finden  sich  auch  nicht  in  dem  Haufigkeitsverhalt- 
nisse  der  einzehien  Verlesungen,  die  bald  einmal,  bald  wiederholt  vor- 
kommen.  Bei  den  Gesunden  finden  sich  die  letzteren  allerdings  meist 
in  der  Form  der  stehenden  Wiederholungen,  wahrend  zerstreute  Wie- 
derholungen  zuriicktreten.  Die  gleiche  Beobachtung  machen  wir  bei 
den  Kranken  mit  besserer  Auffassungsfilhigkeit.  Da  auBerdem  zwi- 
schen  Reizwortem  und  stehenden  Wiederholungen  eine  weitgehende 
Uebereinstimmung  besteht,  diirfen  wir  dieselben  wohl  auf  das  Haften 
gewisser  Verlesungen  zuriickfiihren.  Die  zerstreuten  Wiederholungen 
herrschen  umgekehrt  bei  den  E^ranken  mit  der  groBten  Storung  der 
Auffassungsfahigkeit  vor;  die  Beziehungen  zwischen  diesen  Verlesun- 
gen und  den  Reizwortem  sind  nur  sehr  locker,  so  dass  sie  ihre  Ent- 
stehung   wohl    sehr  lebhaften   Sprachvorstellungen   verdanken. 

Ein  Theil  der  Verlesungen  ist  durch  den  Lesestoff  selbst  bedingt, 
indem  viele  derselben  Reizwortem,  und  zwar  meist  vorangehenden, 
entsprechen.  Namentlich  ist  dieser  Einfluss  bei  den  Wiederholungen 
deutlich.  Ein  Unterschied  der  Gruppen  in  dieser  Beziehung  ist  nicht 
erkennbar.  Manche  Verlesungen  sind  durch  Klangassociationen  her- 
vorgerufen. 

III.  Fortlanfende  Rechenanfgaben. 

Die  in  der  Form,  wenn  wohl  auch  nicht  in  der  Beurtheilung  der 
Ergebnisse  einfachsten  Versuche  bestanden  in  Aufgaben,  die  alien 
Versuchspersonen  ohne  weiteres  gelaufig  waren,  da  sie  ohne  den 
Aufwand  irgend  welcher  Apparate  —  von  einer  durch  den  Regi- 
strirenden  gehandhabten  Uhr  abgesehen  —  an  Vorgange  des  gewohn- 
lichen  Lebens  sich  anschlossen.  Die  Versuchspersonen  wurden  zuniichst 
aufgef ordert,  in  deutlicher,  lauter  Sprache  das  Alphabet  und  damach 
die  Zahlenreihe  von  1—50  aufzusagen,  dann  zu  7  fortlaufend  7  und 
in  gleicher  Weise  zu  12  fortlaufend  12  zu  addiren.  Die  beiden  letzten 
Arbeiten  wurden  jeweils  eine  Minute  hindurch  fortgesetzt.  Der  zeit- 
liche  Verlauf  der  Versuche  wurde  vom  Registrirenden  mit  einer 
Ftinftelsecunden  anzeigenden  und  mit  Arretirung  versehenen  Uhr  ver- 
folgt,   der  Versuch  nach  Ablauf  der  bestimmten  Zeit  abgebrochen. 

41* 


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620  Joseph  Reis. 

Die  4  Aufgaben  wurden  sofort,  nachdem  sie  einmal  durchgefiihrt 
war  en,  wiederholt,  so  dass  die  Dauer  des  ganzen  Versuchs  nie  den 
Zeitraum  von  10  Minuten  iiberschritt,  einschlieBlich  der  kurzen  Pausen 
zwischen  den  einzelnen  Theilen  des  Versuches,  die  mit  der  Stellung 
der  neuen  Aufgaben  ausgefullt  waren.  Die  gleiche  Versuchsreihe 
wurde  am  daranffolgenden  oder  zweitnachsten  Tage  wiederholt.  Eine 
andere  an  weiteren  Versuchstagen  durchgefuhrte  Versuchsreihe  stellte 
den  Versuchspersonen  die  Aufgabe,  wahrend  eines  abgegrenzten  Zeit- 
raums  die  in  ihnen  auftauchenden  Vorstellungen  eines  bestimmten 
Begrrffsgebietes  laut  aufzuzahlen. 

Ein  Ueberblick  liber  die  Versuche,  deren  Methodik  hier  kurz 
angegeben  ist,  lasst  erkennen,  dass  dieselben  sowohl  Aufgaben  rein 
motorischer  Art  umfassen,  als  auch  solche,  die  vorzuglich  die  asso- 
ciative Seite  der  psychischen  Thatigkeit  zum  Gegenstand  haben.  Als 
fortlaufende  Rechenaufgaben  seien  die  oben  naher  geschilderten  Ad- 
ditionen  zusanunengefasst. 

a.  Addiren  mit  7. 

Die  nachste  TabeUe  giebt  eine  Zusammenstellung  der  bei  der 
Durchfiihrung  dieser  Aufgabe  erhaltenen  Zahlen. 

Die  aus  alien  vorliegenden  Versuchen  fur  jede  Classe  der  Ver- 
suchspersonen berechneten  Mittelwerthe  stehen  einander  auBerordent- 
lich  nahe.  Die  wahrend  einer  Minute  ausgefiihrte  Zahl  von  Additionen 
ist  am  groBten  bei  den  Gesunden,  am  kleinsten  bei  den  Hebephrenen. 
Allerdings  ist  die  Stellung  der  Gesunden  dadurch  etwas  beeintrach- 
tigt,  dass  von  ihnen  meist  nur  zwei  Versuche  vorliegen  und  bei  dieser 
Aufgabe  ein  gewisser  Uebungsfortschritt,  wie  aus  den  Zahlen  der 
TabeUe  XIV  hervorgeht,  nicht  zu  verkennen  ist  Fiir  den  ersten 
Tag  allein  ergeben  sich  Durchschnittsleistungen  von  31,4;  27,7;  29,3 
Additionen  fiir  die  3  Gruppen,  am  zweiten  Tage  erhoht  sich  die  Lei- 
stung  der  Hebephrenen  um  2,9 ;  die  der  Paralytiker  um  2,8  Additionen ; 
die  beiden  in  Versuchen  mit  Gesunden  gewonnenen  Werthe  lassen 
ebenfalls  eine  durchschnittliche  Besserung  um  4,3  Additionen  erkennen. 

Von  den  fiir  die  Gruppen  berechneten  Mittelwerthen  weichen  die 
Mittelzahlen  der  einzelnen  Versuchspersonen  jeder  Classe  nicht  un- 
wesentlich  ab,  wie  das  Verhalten  der  mittleren  Schwankungsbreite 
(M.S.)  erkennen  lasst. 


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Deber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geisteskraokeu.        621 

Tabelle  XIV. 

(A.  Anzahl  der  Additionen,  F.  absolute  Fehlerzahl,  M.  A.  mittlere  Anzahl  der 
Additionen,  M.  F.  mittlere  Fehlerzahl). 


I.  Tag 

n.  Tag. 

1. 
Versuch 

2. 

Versuch 

3. 
Versuch 

4. 

Versuch 

Versuchs- 
personen 

A. 

F. 

A. 

F. 

A. 

F. 

A. 

F. 

M.A. 

M.F. 

M.V. 

»/o 

A. 

35 

3 

39 

2 

43 

0 

42 

0 

39,7 

1,2 

3,7 

9,9 

rS 

B. 

32 

4 

28 

2 

30,0 

3 

2,0 

6,6 

1 

J. 

20 

2 

19 

2 

22 

0 

23 

0 

21,0 

1 

1,5 

7,1 

1 

0. 

23 

6 

21 

6 

22,0 

6 

1,0 

4,5 

U. 

46 

1 

51   1     1 

1 

48,5 

1 

2,5 

5,1 

Gruppen- 
durchschnitt 

31,2 

3,4 

31,6 
34 

2,6 

32,5 

0 

32,5 

0 

32,2 

2,4 

2,15 

6,6 

§ 

C. 

31 

1 

3 

34 

2 

39 

2 

34,5 

2,0 

2,2 

6,5 

1 

F. 

34 

0 

31 

1 

33 

0 

37 

2 

33,7 

0,7 

1,8 

5,2 

1 

G. 

35 

1 

41 

0 

39 

1 

46 

0 

40,2 

0,5 

3,2 

8,1 

& 

H. 

7 
126,7 

3 
1,2 

9 

28,7 

5 
2,2 

8 
28,5 

4 

1,7 

9 
32,7 

3 
1,7 

8,2 
29,2 

3,7 
1,7 

0,8 

9,1 

Gruppen- 
durchschnitt 

2,0 

7,3 

M. 

17 

2 

20  '     3 

14 

3 

14 

1 

16,2 

2,2 

2,2 

13,9 

u 

N. 

36 

2 

34  ,     1 

34 

0 

32 

0 

34,0 

0,8 

1,0 

2,9 

1 

P. 

70 

0 

70  j     0 

75 

0 

83 

0 

74,5 

0 

4,5 

6,0 

R 

13 

2 

21 

2 

25 

4 

22 

1 

20,2 

2,3 

3,7 

18,1 

08 
PL4 

S. 

18 

1 

22 

0 

21 

0 

20 

I     0 

20,2 

0,2 

1,3 

6,2 

T. 

15 

4 

16  1     1 

25 

0 

24 

,     0 

20,0 

1,2 

4,5 

22,5 

Gruppen- 
durchschnitt 

|28,2 

1,8 

30,5 

1,2 

32,3 

1,2 

32,5 

0,3 

30,9 

1,2 

2,9 

11,6 

Gesunde  Hebephrene  Paralytiker 

M.S.     ±  9,52  (29,6%)     ifc  10,45  (35,6%)     ±  15,75  (50,9  o/o). 

Dieselbe  ist  bei  den  Paralytikern  weit  groBer  als  bei  den  Gesunden? 
wahrend  sie  bei  den  Hebephrenen  nur  wenig  letztere  ubertrifft.    Die 


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622 


Joseph  Reis. 


Leistungen  der  einzelnen  Versuchspersonen  sind  bei  den  Gesunden 
und  Hebephrenen  wesentlich  gleichartiger  als  bei  den  Paralytikem. 
Der  Abstand  der  geringsten  von  der  besten  zweitMgigen  Durchschnitts- 
leistung  ist  am  groBten  bei  den  Paralytikem,  bei  weitem  geringer  und 
nahezu  einander  gleich  bei  den  beiden  anderen  Gruppen. 

Tabelle  XV. 


Minimum 

Maximum 
48,5 
40,2 

Differenz 

Gesunde 

21,0 

27,5 

Hebephrene 

8,2 

32,0 

Paralytiker 

16,2 

74,6 

58,3 

Noch  deutlicher  wird  dieser  Unterschied,  wenn  wir  nicht  die  Durch- 
schnittswerthe,  sondem  die  bei  Einzelversuchen  erhaltenen  Additions- 
zahlen  mit  einander  vergleichen,  wobei  sich  dann  Unterschiede  der 
beiden  Grenzleistungen  von  30,  39,  70  Additionen  ergeben.  Wah- 
rend  namlich  4  Paraljrtiker  hinter  der  geringsten  Leistung  der  Ge- 
sunden zuriickbleiben,  ist  die  von  P.  auBerordentlich  gut  und  tiber- 
ragt  noch  weit  die  beste  Leistung  der  Gesunden.  Diese  Thatsache 
muss  wohl  darauf  zuriickgefiihrt  werden,  dass  P.  durch  seine  lang- 
jahrige  Thatigkeit  als  Kaufmann  eine  besondere  Fertigkeit  im  Rechnen 
erworben  hatte,  und  dass  das  feste  Gefiige  dieser  Associationen  durch 
den  Krankheitsprocess  noch  wenig  gelockert  war.  Von  den  Hebe- 
phrenen bleibt  H.  bei  dieser  Aufgabe  weit  hinter  den  letzten  Gesun- 
den und  auch  Paralytikem  zuruck,  wahrend  die  iibrigen  eine  ziemlich 
gleichmaBig  gute  Leistung  aufweisen.  Die  nachste  Tabelle  giebt  einen 
Ueberblick  uber  die  Gmppirung  der  Versuchspersonen. 


Tabelle  XVI. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9     10 

11  1  12 

13 

ujis 

Gesunde              U 

A        1 

1 

E 

0     J 

Hebephrene  '       | 

G 

C| 

F 

H 

Paralytiker     P 

il 

1 

B 

S 

T    m! 

'            1 

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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesuiiden  und  Geisteskranken.        623 

Ebenso  wie  beim  Vergleich  der  Mittelwerthe  der  einzelnen  Ver- 
suchspersonen  eine  groBere  Ungleichheit  in  den  Leistungen  der  Para- 
lytiker  zu  erkennen  war,  kommt  sie  hier,  wenngleich  in  bescheidenem 
MaBe,  auch  beim  Vergleich  der  in  verschiedenen  Versuchen  einer  ein- 
zelnen Person  erhaltenen  Additionszahlen  zum  Ausdruck.  Wir  finden 
bei  den  Gesunden  Differenzen  bis  zu  8,  bei  den  Hebephrenen  bis  zu 
11,  bei  den  Paralytikem  bis  zu  13  Additionen.  Die  GroBe  der  M.V. 
ist  in  Tabelle  XIV  sowohl  fiir  die  Leistungen  jeder  einzelnen  Ver- 
suchsperson,  als  auch  im  Durchschnitt  angegeben.  Sie  ist  am  groBten 
bei  den  Paralytikem,  am  kleinsten  bei  den  Gesunden;  im  Ganzen 
sind  die  Unterschiede,  wie  auch  die  GroBe  der  M.V.  nur  gering  ist, 
wenig  betrachtlich. 

Wahrend  der  Losung  dieser  Aufgabe  wurde  nach  je  10  Addi- 
tionen die  Anzahl  der  gebrauchten  Secunden  notirt,  um  hierdurch 
ein  MaB  fiir  die  Schnelligkeit  des  Ablaufes  der  Associationen  wahrend 
der  verschiedenen  Stadien  des  Versuchs  zu  erhalten.  Die  Division  der 
Secundenzahl  durch  die  Zahl  der  ausgefuhrten  Additionen  ergab  die 
Additionszeit.  Dieselbe  wurde  jeweils  fiir  die  ersten  10  Additionen 
und  fiir  die  iibrigen  wahrend  des  Versuchs  ausgefiihrten  besonders 
berechnet.  Ich  wollte  durch  Vergleich  der  auf  diese  Weise  erhaltenen 
Zahlenwerthe  ein  Urtheil  dariiber  gewinnen,  in  wiefem  die  mit  dem 
Fortschreiten  der  Aufgabe  zunehmende  Schwierigkeit  derselben  bei 
den  3  Gruppen  von  Versuchspersonen  die  Additionszeit  beeinflussten. 
Eine  weitere  Gliederung  des  Versuchs  war  nicht  moglich,  weil  bei 
einer  Anzahl  von  Versuchspersonen  nur  wenig  mehr  als  10  Addi- 
tionen ausgefiihrt  wurden.  Tabelle  XVIL  giebt  eine  Gegeniiberstel- 
lung  der  Additionszeiten.  Dieselbe  ist  bei  den  ersten  10  Additionen 
am  kleinsten  bei  den  Gesunden;  die  der  Paralytiker  ist  in  Folge  der 
guten  Leistungen  von  N.  und  P.  nur  wenig  groBer;  dagegen  ist  die 
Durchschnittszahl  der  Hebephrenen  viel  langer  in  Folge  der  voUstandig 
aus  dem  Rahmen  der  iibrigen  herausfallenden  Leistung  H.'s.  Dabei 
ist  das  Verhaltniss  wohl  etwas  zu  Ungunsten  der  Gesunden  und  zu 
Gunsten  der  Paralytiker  verschoben,  ersteres  in  Folge  des  schon  oben 
angefiihrten  Grundes,  dass  hier  meist  nur  2  Versuche  vorliegen.  Bei 
letzteren  wurde  einige  Male  in  Folge  des  gleichzeitigen  Nachschreibens 
und  der  Beobachtung  der  Uhr  vergessen,  die  Zeit  zu  notiren;  dieses 
Versehen  fand  gerade  bei  einigen  Versuchen  des  ersten  Tages  statt, 


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624 


Joseph  Reis. 


Tabelle  XVH. 

(M.  Z.  Mittlere  Additionszeit  in  Seconden.) 


M.  Z. 

fur  1.- 

—10.  Addition. 

M.Z.  fur 
Rest 

Versuchs-    j 
personen 

1. 

2. 

3. 

4.           Durchschnitt 

I 

Durchschnitt 

i 
A.    1 

1,2 

0,9 

0,8 

0,9 

0,95 

1,70 

©        E. 

1,7 

1,2 

1,45 

2,27 

1    J- 

2,6 

2,7 

1,5 

1,6 

2,10 

3,54 

(S 

0. 

2,0 

2,3 

2,15 

5,50 

U. 

0,7 

0,9 

0,80 

1,35 

Gnippe 

1 

1,49 

2,87 

s 

c. 

1,3 

1,4 

1,6 

1,2 

1,37 

1,89 

1 

F. 

1,3 

1,1 

1,8 

0,9 

1,27 

1,99 

f 

G. 

0,9 

1,1 

1,0 

0,8 

0,95 

1,67 

» 

H. 

8,6 

6,7 

7,5 

6,6 

7,35 

Gruppe 

2,73 

1,85 

M. 





1,7 

1,7 

1,70 

3,44 

Si 

N. 

— 

0,9 

0,7 

0,9 

0,83 

2,21 

! 

P. 

0,6 

0,6 

0,6 

0,5 

0,58 

0,86 

R 

— 

2,5 

2,2 

1,8 

2,17 

3,03 

S. 

3,2 

2,3 

1,9 

1,4 

2,20 

3,80 

T. 

4,4 

2,3 

1,7 

2,0 

2,60 

3,40 

Gruppe 

1,68 

2,79 

80  dass  bei  der  Berechnung  einige  der  langeren  Additionszeiten  nicht 
in  Betracht  kamen.  Denn  es  lasst  sich  hier,  wie  aus  den  einzelnen 
Zahlen  hervorgeht,  fast  bei  alien  Personen  eine  Verkurzimg  der  Addi- 
tionszeiten durch  die  Uebung  erkennen.  Die  Dauer  des  Restes  der 
Additionen  ubertrifft  diejenige  der  ersten,  wie  dies  zu  erwarten  war, 
bei  Gesunden  und  Paralytikem,  bei  letzteren  in  etwas  geringerem 
MaBe,   verringert   sich   jedoch   bei  den  Hebephrenen.     Diese   Uber- 


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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesuiiden  uad  Geisteskranken.        625 

raschende  Thatsache  erklart  sich  dadurch,  dass  bei  den  Kranken  nur 
die  besten  eine  groBere  Anzahl  Additionen  lieferten.  So  kommt  der 
gerade  die  langsten  Additionszeiten  aufweisende  Hebephrene  H.  nur 
bei  den  ersten  Additionen  in  Betracht.  Die  Verlangerung  der  Ad- 
ditionszeit  fur  den  Rest  wird  auch  hier  deutlich,  wenn  bei  den  ersten 
Additionen  auch  nur  C,  F.  und  G.  beriicksichtigt  werden;  es  ergiebt 
sich  dann  eine  Verlangerung  von  0,65  Secunden  fur  den  Rest.  Auch 
bei  den  Paralytikem  bleiben  zuletzt  nur  diejenigen  mit  besonders 
guten  Leistungen  iibrig,  wahrend  bei  den  Gesunden  alle,  auch  die 
schlechter  arbeitenden  mehr  Additionen  zu  Stande  brachten  und  so- 
mit  den  Durchschnitt  verschlechterten. 

Urn  auch  iiber  die  Gute  der  geleisteten  Arbeit  ein  Urtheil  zu 
gewinnen,  wurde  die  Zahl  der  jeweils  begangenen  Fehler  bestimmt 
(Tabelle  XIV).  Dabei  wurde  jede  Zahl,  bei  welcher  die  Differenz 
von  der  vorhergehenden  nicht  +  7  betrug,  als  Fehler  gerechnet.  Die 
durchschnittlich  begangene  Fehlerzahl  betragt  bei  den  Gesunden  9,5  "/o, 
bei  den  Hebephrenen  13,5  %»  bei  den  Paralytikem  5,7%  der  jeweils 
von  den  Einzelnen  ausgefuhrten  Additionen;  die  groBte  Zahl  findet 
sich  in  den  3  Gruppen  bei  0.  mit  27,6;  bei  H.  mit  45,1;  bei  M.  mit 
13,6%  falschen  Additionen.  Wir  haben  also  hier  die  auffallende 
Thatsache  vor  uns,  dass  die  Paralytiker  durchschnittlich  am  wenigsten 
Fehler  machten.  Auf  die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  schon  oben 
hingewiesen,  sie  ist  in  der  besonders  groBen  Uebung  einiger  Paraly- 
tiker gerade  in  dieser  Thatigkeit  begriindet.  Die  schlechte  Stellung 
der  Gesunden  ist  durch  die  besonders  minderwerthige  Leistung  O.'s 
bedingt,  bei  welchem  sich  die  Fehler  trotz  der  geringen  Geschwindig- 
keit  der  Additionen  sehr  hauften.  Er  machte  fast  immer  den  gleichen 
Fehler,  3  +  7  =  9  zu  addiren.  Auffallend  schlecht  ist  die  Leistung 
des  Hebephrenen  H.,  entsprechend  dem  quantitativen  Ausfall  dieser 
Aufgabe.  Man  hatte  dabei  immer  den  Eindruck,  als  ob  H.  iiber- 
haupt  nicht  rechnete,  sondem  nur  einzelne  im  Gedachtniss  haftende 
Zahlen  aufsagte,  andere  uberspringend,  z.  B.  7,  14,  24,  35;  7,  24,  28, 
35;  7,  14,  21,  35  u.  s.  w.  Er  erschien  iiberaus  gleichgiiltig  gegen  die 
Aufgabe.  Bei  den  Paralytikem  kam  es  hier  und  da  vor,  dass  ein- 
zelne Zahlen  wahrend  der  Ausfuhrung  der  folgenden  Additionen 
wiederholt  wurden,  was  jedoch  bei  der  Berechnung  der  Fehler  auBer 
Acht  bleiben  musste.     Bei  den  Gesunden  und  Paralytikem  sank  am 


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626 


Joseph  Reis. 


zweiten  Tage  die  durchschnittliche  Fehlerzahl,  wahrend  sie  bei  den 
Hebephrenen  gleich  blieb. 

b.  Addiren  mit  12. 

Ganz  ahnliche  Resultate  wie  beim  Addiren  mit  7  ergeben  sich 

bei  dieser  Aufgabe. 

Tabelle  XVm. 

(A.  Anzahl  der  Additionen,  F.  absolute  Fehlerzahl,   M.  A.  Mittlere  Anzahl  der 
Additionen,  M.  F.  mittlere  Fehlerzahl). 


I.  Tag 

n.  Tag. 

1. 

Versuch 

2. 

Versuch 

3. 

Versuch 

4. 

Versuch 

Versuchg- 
personen 

A. 

F. 

A.     F. 

1 

A.     F. 

A. 

F. 

M.A. 

M.F. 

M.V.  0/, 

A. 

29 

0 

39    '  0 

41 

0 

39 

0 

37,0 

0 

4,0     10,8 

^ 

E. 

24 

1 

33    '   1 

28,5 

1,0 

4,5     15,8 

J. 

17 

1 

16      0 

21 

0 

20 

0 

18,5 

0,2 

2,0     10,8 

s 

0. 

18 

8 

17    '  2 

17,5 

5,0 

0,5      2,9 

U. 

28 

0 

28      0 

28,0 

0 

0,0      0,0 

Gruppen- 
durchschnitt 

23,2 

2 

26,6 

0,6 

31,0 

0 

29,5 

0 

25,9 

1,2 

2,2      8,1 

s 

C. 

35 

6 

24 

4 

26 

6 

21 

3 

26,5 

4,7 

4,2     16,0 

J 

F. 

17 

0 

24 

0 

23 

0 

27 

2 

22,2 

0,5 

3,2     14,2 

1  !    G. 

30 

0 

28 

2 

35 

0 

37 

0 

32,5 

0 

3,5     10,8 

W        H. 

8 

4 

9 

4 

9 

4 

9 
23,5 

1 
1,5 

8,7 

3,3 

0,4      4,6 

Gruppen- 
durchsohnitt 

«.. 

2,5 

21,3 

2,5 

23,2 

2,5 

22,6 

2,2 

2,8     11,4 

M. 

10 

3 

12 

1 

17    1  2 

14 

0 

13,2 

1.5 

2,2     17,0 

& 

N. 

24 

0 

23 

0 

28    '  0 

24 

0 

24,2 

0 

1,4      5,6 

J4 

P. 

47 

0 

49 

0 

53    1  0 

58 

0 

51,2 

0 

3,8      7,3 

1 

R. 

13 

2 

12 

2     '  10      4 

Il3 

0 

12,0 

2,0 

1,0      9,3 

S. 

13 

3 

12 

1       13    '   1 

'13 

1 

12,7       1,5 

0,4      3,2 

T. 

19 

1 

19 

0       21 

0 

24 

0 

20,7  1    0 

1,3      5,6 

Gnippen- 
durchschnitt 

21,0    1,5 

1         1 

21,2 

0,7 

23,6    1,2 

24,3;  0,2 

1 

22,3 

0,9 

1,7      8,5 

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Ueber  einfAche  psycholog:ische  Versnche  ad  Gesunden  iind  Geisteskranken.        627 

Auch  hier  stehen  die  aus  alien  Versuchen  bcFechneten  Gruppen- 
durchschnittswerthe  einander  auBerordentlich  nahe.  Die  Gesunden 
stehen  an  der  Spitze;  die  kleinste  Zahl  von  Additionen  findet  sich  bei 
den  Paralytikern.  Dabei  miissen  wir  beriicksichtigen,  dass  das  Fehlen 
weiterer  Versuche  am  zweiten  Versuchstage  bei  3  Gesunden  den 
Durchschnitt  im  Vergleich  zu  den  beiden  anderen  Gruppen  etwas  be- 
eintrachtigt.  Die  Durchschnittsleistungen  am  ersten  Versuchstage  be- 
laufen  sich  bei  den  3  Gruppen  auf  25,1;  21,9;  21,1  Additionen.  Am 
zweiten  Tage  kommt  bei  den  Hebephrenen  ein  Zuwachs  von  1,4,  bei 
den  Paralytikern  von  2,8  Additionen  hinzu,  wahrend  die  Zunahme 
bei  den  beiden  Gesunden  durchschnittlich  5  Additionen  betragt. 

Die  mittleren  Leistungen  der  einzelnen  Versuchspersonen  sind  am 
gleichartigsten  bei  den  Gesunden;  bei  den  Hebephrenen  weicht  nur 
eine  Person  sehr  von  dem  Durchschnittswerthe  ab,  wahrend  die  Para- 
lytiker  recht  verschiedenartige  Leistungen  aufzuweisen  haben.  Die 
mittlere  Schwankungsbreite  ist  in  der  Gruppe  der  Paralytiker  fast 
doppelt  so  groB  wie  bei  den  Gesunden,  von  welchen  die  Hebephrenen 
in  dieser  Hinsicht  nur  wenig  abweichen. 

Gesunde  Hebephrene  Paralytiker 

M.S.     dz  6,3  (24,4%)     ±7,0(30,97o)     ±  10,3  (46,1  o/o). 

Die  Differenz  der  besten  und  geringsten  Durchschnittsleistungen  ist 
bei  Gesunden  und  Hebephrenen  nahezu  gleich,  weit  groBer  bei  den 
Paralytikern. 

Tabelle  XIX. 


Minimum       Maximum 

Differenz 

Gesunde 

17,5 

37 

19,5 

Hebephrene 

8,7 

32,6 

23,8 

Paralytiker 

12,0 

51,2 

39,2 

Auch  hier  wird  dieser  Unterschied  noch  deutlicher  beim  Vergleich  der 
in  den  einzelnen  Versuchen  erhaltenen  Additionszahlen,  wo  die  Grenz- 
leistungen  um  25,  29,  48  Additionen  differiren.  3  Hebephrene  und 
3  Paralytiker  fallen  mit  ihrer  Leistung  in  die  Breite  der  Gesunden; 
P.  ragt  wieder  durch  die  beste  Leistung  unter  alien  Versuchspersonen 


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628 


Joseph  Reis. 


hervor;  am  schlechtesten  ist  die  Leistung  H.'s  ausgef alien.  Folgende 
Tabelle  giebt  einen  Ueberblick  liber  die  Reihenfolge  der  Versuchs- 
personen. 

Tabelle  XX. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

Gesunde 

A 

G 

E 

U 

T 

F 

J 

0 

M 

B 

S 

H 

Hebephrene 
Paralytiker 

P 

^ 

N 

In  den  Einzelversuehen  jeder  Versuchsperson  finden  sich  Unter- 
schiede  bis  zu  12,  14,  11  Additionen  bei  den  3  Gruppen.  Die  hier 
festzustellende  groBere  UngleichmaBigkeit  bei  den  Gesunden  ist  eine 
Folge  des  groBeren  Uebungszuwachses.  Die  mittlere  Variation  der 
Einzelversuche  ist  im  Mittel  am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  nahezu 
gleich  bei  den  Paralytikem,  etwas  groBer  bei  den  Hebephrenen  (Ta- 
beUe  XVni). 

In  gleicher  Weise  wie  bei  den  Additionen  mit  7  wurde  bei  dieser 
Aufgabe  fur  die  ersten  10  und  fiir  den  Rest  der  Additionen  die  Ad- 
ditionszeit  gesondert  berechnet.  Tabelle  XXI  giebt  den  Ueberblick 
iiber  die  dabei  gewonnenen  Werthe. 

Die  Additionszeit  fiir  die  ersten  10  Additionen  ist  bei  Gesunden 
und  Paralytikem  gleich,  bei  den  Hebephrenen  wieder  in  Folge  der  min- 
derwerthigen  Leistung  von  H.  betrachtlich  langer.  Die  kiiraeste  durch- 
schnittliche  Additionszeit  findet  sich  bei  den  Paralytikem  P.  und  N. 
Die  Durchschnittsdauer  der  ubrigen  Additionen  ubertrifft  die  10  ersten 
bei  Gesunden  und  Paralytikem,  steigt  bei  den  letzteren  nahezu  auf 
das  Dreifache.  Die  Verkiirzung  der  Durchschnittszeit  bei  den  Hebe- 
phrenen ist  wieder  durch  den  Wegfall  der  Leistung  H.'s  bedingt; 
lasst  man  ihn  auch  bei  den  ersten  10  Additionen  auBer  Betracht,  so 
verlangert  sich  die  Additionszeit  der  Hebephrenen  fiir  den  Rest  um 
0,82  Secunden.  Wahrend  bei  den  ersten  Additionen  sich  nur  ein 
einziger  Paralytiker  nicht  vollig  in  den  Rahmen  der  Gesunden  fiigt, 
hat  die  mit  dem  GroBerwerden  der  Zahlen  zunehmende  Schwierigkeit 
der  Aufgabe  die  Folge,  dass  15  Paralytiker  vollig  aus  diesem  Rahmen 


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Ueber  einfache  psycbologiscbe  Versncbe  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        629 

Tabelle  XXI. 
(M.  Z.  mittlere  Additionszeit  in  Secunden.) 


M.  Z.  fiir  1.— 10.  Addition 

M.  Z.  fiir 
Best 

Versuchs- 
persohen 

1.          2.           3.      4. 

Durch- 
schnitt 

1,15 
1,65 
2,66 
3,05 
2,00 

Durch- 
schnitt. 

1,83 
2,35 
4,17 
3,93 
2,22 

o 

A. 
E. 
J. 
0. 
U. 

1,1         1,1         1,1         0,9 

1.8  1,5 

3,6        3,0         1,4         — 
3,5        2,6 

1.9  2,1 

Gruppe 

2,10 

2,90 

1 

c. 

F. 
G. 
H. 

1,2         1,3         2,0        2,7 
3,1         1,8        2,2         1,5 
1,1         1,2        1,2         1,0 
7,5        6,7        6,7         6,6 

1,80 
2,15 
1,12 
6,87 

2,54 
2,82 
2,17 

Gruppe 

'I 

2,98 

2,51 

t 

1 

M. 

N. 
P. 
R. 
S. 
T.    . 

1 

-         1,4        2,6 
-         1,3         1,1         1,0 
1,3         1,0        1,1         0,8 
3,5        3,6        4,8        2,7 
5,2         -        3,1         3,3 
2,1         2,0         1,5         1,8 

2,00 
1,10 
1,05 
3,65 
2,90 
1,85 

7,27 
3,24 
1,13 
1,75 
7,13 
3,86 

5,73 

1 
Gruppe 

2,09 

herausf alien;  bei  zwei  weiteren  ist  die  Verlangerung  der  Additionszeit 
ebenfalls  betrachtlicher  als  bei  den  Ubrigen  Versuchspersonen,  sogar 
bei  N.,  der  fiir  die  ersten  Additionen  die  zweitkiirzeste  Additionszeit 
aufweisen  konnte. 

Die  Zahl  der  jeweils  begangenen  Fehler  ist  in  Tabelle  XVJJLl 
angegeben.  Jede  Zahl,  deren  Abstand  von  der  vorher  genannten 
nicht  +  1 2  betrug,  wurde  als  Fehler  gerechnet.    Die  durchschnittlich 


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630  Joseph  Reis. 

gemachten  Fehler  betragen  bei  den  3  Gruppen  6,7;  14,4;  6,8%  <ier 
jeweils  im  Mittel  von  den  Einzelnen  ausgefiihrten  Additionen.  Die 
groBte  Fehlerzahl  mit  28,6%  '^Ut  bei  den  Gesunden  auf  O.,  wahrend 
der  nachste  nur  noch  3,5  7o  Fehler  aufweist.  O.  wurde  nnr  durch 
den  Hebephrenen  H.  mit  37,4  7o  iibertroffen.  Die  guten  Leistungen 
von  N.  und  P.  heben  den  Durchschnitt  der  Paralytiker,  unter  wel- 
chen  R.  mit  16,7%  die  qualitativ  schlechteste  Leistung  aufweist. 

Die  Losung  der  Aufgabe,  zu  12  fortlaufend  12  zu  addiren,  war 
im  Ganzen  etwas  schwieriger  als  die  Addition  von  7,  wenn  der  Unter- 
schied  bei  der  haufigen  Anwendung  der  Zahl  12  und  ihrer  Vielfachen 
im  gewohnlichen  Leben  auch  gerade  nicht  bedeutend  ist.  Bei  der 
Stellung  der  Aufgaben  war  der  Unterschied  in  der  Schwierigkeit  der- 
selben  nicht  ins  Auge  gefasst  worden,  aber  der  Ausfall  der  Versuche 
lasst  es  angebracht  erscheinen,  denselben  etwas  naher  zu  beleuchten. 
Die  Zahl  der  ausgefiihrten  Rechnungen  ist  im  Durchschnitt  fiir  die 
Additionen  mit  12  bei  den  3  Gruppen  lun  6,3;  6,6;  8,6  kleiner,  als 
bei  den  Additionen  mit  7.  Das  Verhaltniss  der  Gruppen  hat  sich 
dabei  etwas  verschoben.  Wahrend  sich  die  Leistungen  bei  7  wie 
100:90,6:96,0  verhalten,  ergiebt  sich  bei  12  ein  Verhaltniss  von 
100  :  87,2  :  86,1.  Die  in  Folge  der  groBeren  Schwierigkeit  der  Auf- 
gabe eingetretene  EinbuBe  ist  bei  den  Kranken  groBer  als  bei  den 
Gesunden.  Namentlich  die  Paralytiker  lassen  dies  erkennen,  bei  ihnen 
ubertrifft  der  Verlust  denjenigen  der  Hebephrenen  bedeutend.  Bei 
alien  Gesunden  ist  das  Sinken  der  Leistung  festzustellen.  Dasselbe 
ist  bei  U.  unerklarter  Weise  recht  bedeutend,  wahrend  es  bei  den 
ubrigen  nur  in  bescheidenem  MaBe  auftritt.  Der  Verlust  bei  den 
Hebephrenen  ist  ziemlich  gleichmaBig;  nur  H.  mit  seiner  auBerst  ge- 
ringen  Leistung  zeigt  keine  weitere  Verschlechterung.  Bei  den  Para- 
lytikem  vertheilt  sich  die  EinbuBe  auf  alle  mit  Ausnahme  von  T. 
bei  welchem  sich  die  Leistung  auf  gleicher  Hohe  halt. 

Der  Vergleich  der  Additionszeiten  in  den  verschiedenen  Theilen 
des  Versuchs  zeigt  uns  femer,  dass  die  Dauer  sowohl  der  ersten  10 
wie  der  iibrigen  Additionen  mit  12  diejenige  der  Additionen  mit  7 
ubertrifft.  Bei  den  ersten  Rechnungen  lasst  sich  ein  durchgreifender 
Unterschied  zwischen  den  3  Gruppen  nicht  feststellen,  wahrend  fiir 
den  Rest  der  Additionen  die  Verlangerung  bei  den  Gesunden  sehr 
gering,  bei  den  Hebephrenen  etwas  groBer,  bei  den  Paralytikem  so 
bedeutend  ist,  dass  sie  mehr  als  das  Doppelte   der  Dauer  der  ent- 


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Ueber  einfache  psycboiogische  Versucbe  an  Gesuiiden  und  Geisteskranken.        631 

Tabelle  XXH. 

(M.  A.  mittlere  Anzahl  der  Additionen,  M.  Z.  mittlere  AddiUonszeit  in 

Secunden.) 


M.  A 

M.  Z. 
fiir  1.— 10.  Add. 

M.  Z.  fiir  Rest. 

Versuchs- 
personen 

Diff.zw.  7u.  12 

Diff.  zw.  7  u.  12 

Diff.  zw.  7  u.  12 

A. 

-    2,7 

+  0,20 

+  0,13 

^    i    E. 

-    1,5 

+  0,20 

+  0,08 

CJ 

J. 

-    2,5 

+  0,56 

+0,63 

s 

0. 

-   4,5 

+  0,90 

-1,57 

U. 

-20,5 

+  1,20 

+  0,87 

Gruppen- 
durchschnitt 

1            -    6,3 

+  0,61 

+  0,03 

§     '     C- 

-    8,0 

+  0,43 

+  0,65 

1 

P. 

-11,6 

+  0,88 

+  0,83 

1" 

G. 

-   8,0 

+  0,17 

+  0,50 

w 

H. 

+   0,5 

—  0,48 

Gruppen- 
durchschnitt 

-   6,6 

+  0,25 

+  0,66 

M. 

-   3,0 

+  0,30 

+  3,83 

g 

N. 

-    9,8 

+  0,27 

+  1.03 

^ 

P. 

-23,3 

+  0,47 

+  0,28 

1 

R. 

-   8,2 

+  1,48 

+  8,73 

S. 

-    7,5 

+  0,70 

+  3,33 

T. 

+   0,7 

-0,75 

+  0,46 

Gruppen-   ■ 
dnrchschnitt 

-    8,6 

+  0,41 

+  2,94 

sprechenden  Additionen  mit  7  betragt.  Es  geht  also  hieraus  hervor, 
dass  die  oben  festgestellte  groBere  EinbuBe  der  Additionsleistung  mit 
1 2  bei  den  Hebephrenen  imd  insbesondere  den  Faralytikem  auf  Kosten 
der  langeren  Dauer  der  letzten  Additionen  zu  setzen  ist,  demnach 
die  AusfUhmng  dieser  den  Kranken  unyerhaltnissmaBig  groBere 
Schwierigkeit  bot,  als  dies  bei  den  ersten  10  Additionen  der  Pall  war. 


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632  Joseph  Reis. 

Der  Vergleich  der  qualitativen  Ergebnisse  bei  den  Additions- 
reihen  lasst  kein6  weiteren  Schlusse  zu. 

Fassen  wir  die  Ergebnisse  dieser  Additionsversuche  kurz  zu- 
sammen,  so  ergiebt  sich:  Die  Durchschnittsleistungen  der  3  Gruppen 
stehen  einander  sehr  nahe;  die  Gesunden  uberragen  etwas  die  Kran- 
ken.  Die  fruhere  Beschaftigung  ist  von  groBem  Einfluss  auf  die  Lei- 
stung.  Daher  finden  sich  bei  den  Paralytikem  noch  bessere  Einzel- 
leistungen  als  bei  den  Gesunden;  andererseits  bleibt  iiber  die  Halfte 
hinter  dem  schlechtesten  Gesunden  zuriick.  Die  Hebephrenen  weisen 
neben  mittleren  eine  sehr  minderwerthige  Leistung  auf.  Die  Lei- 
stungen  der  verschiedenen  Paralytiker  differiren  mehr  als  diejenigen 
der  Gesunden  und  Hebephrenen.  In  den  Einzelversuchen  der  Kran- 
ken  besteht  eine  etwas  groBere  UngleichmaBigkeit  als  bei  den  Ge- 
sunden. Die  durchschnittliche  Dauer  der  ersten  10  Additionen  ist 
geringer  als  diejenige  der  ubrigen  eines  Versuches.  Die  Additions- 
zeit  fur  12  ist  groBer  als  die  fur  7 ;  sie  iibertrifft  diese  bei  den  Kranken, 
insbesondere  den  Paralytikem  in  hoherem  Grade  als  bei  den  Ge- 
sunden, und  zwar  auf  Kosten  der  letzten  Additionen.  Mit  wachsen- 
der  Sfehwierigkeit  der  Aufgabe  sinkt  also  die  Leistung  bei  den  Kran- 
ken, namentlich  bei  den  Paralytikem,  starker  als  bei  den  Gesunden. 

IV.    Aufz&hlen  von  Vorstellungen. 

Wie  oben  schon  erwahnt,  wurde  in  anderen  Versuchen  den 
Versuchspersonen  die  Aufgabe  gestellt,  Vorstellungen  eines  bestimm- 
ten  Begriffsgebietes  aufzuzahlen.  Um  diese  Aufgabe  ganz  eindeutig 
und  verstandlich  zu  gestalten,  wurden  die  Versuchspersonen  aufge- 
fordert,  moglichst  viele  bekannte  Thiere  zu  nennen.  Diese  Gruppe 
von  Vorstellungen  hatte  einerseits  einen  nicht  zu  beschrankten  Um- 
fang,  hot  aber  andererseits  immerhin  auch  geniigend  groBe  Schwierig- 
keiten,  wenn  die  Versuchspersonen  den  gegebenen  Zeitraum  von 
10  Minuten  vollstslndig  ausfiillen  wollten.  Die  aufgezEhlten  Vor- 
stellungen wurden  nachgeschrieben;  dabei  wurde  jede  halbe  Minute 
durch  ein  Zeichen  markirt.  In  dieser  Weise  wurde  der  Versuch  an 
zwei  aufeinanderfolgenden  Tagen  ausgefuhrt.  Der  Gesunde  A.  nahm 
nicht  daran  Theil,  da  er  in  Folge  seiner  hoheren  Bildungsstufe  auf 
diesem  Gebiete  sicherlich  keine  vergleichbaren  Resultate  geboten  hatte. 


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Oeber  einfache  psyebologische  Versnche  an^Gesimden  und  Geisteskranken.        633 

Die  Zahl  der  an  beiden  Versuchstagen  aufgezahlten  Vorstellungen 
ist  in  Tabelle  XXIII  angefiihrt.  Berechnen  wir  die  Durchschnitts- 
leistungen  aus  alien  vorliegenden  Versuchen,  so  stehen  die  Gesimden 

Tabelle  XXm. 

(V.  Z.  Zahl  der  Vorstellungen,  W.  Zahl  der  Wiederholungen). 


I.  Tag 

n.Tag 

Durchschnitt  des 
I.  u.  n.  Tages 

Versuchs- 
personen 

V.Z. 

W. 

V.Z.-W. 

V.Z. 

W.    V.Z.-W. 

V.Z. 

W. 

V.Z.-W. 

^ 

E. 
J. 
0. 
U. 

(56 
56 
45 
67 

1 
2 
1 
0 

55) 
54 
44 
67 

62 
70 
41 

80 

1 
2 

1 
3 

61 
68 
40 

77 

59 
63 
43 
73,5 

1 
2 

1 
1,5 

58 
61 
42 
72 

Gruppen- 
durchschnitt 

56 

1 

55 

63,3 

1,7 

61,6 

59,7 

1,3 

58,4 

i 

C.  74 

D.  26 

F.  52 

G.  57 
H.       56 

7 
0 
4 

1 
1 

67 
26 
48 
56 
55 

85 
26 
44 
87 
53 

5 
3 
2 
4 
3 

80 
23 
42 
83 
50 

79,5 

26 

48 

72 

54,5 

6 

1,5 

3 

2,5 

2 

73,5 

24,5 

45 

69,5 

52,5 

Gnippen- 
durchschnitt 

53 

2,6 

50,4 

59 

3,4 

55,6 

56 

3 

53 

u 

1 

M. 
N. 
P. 
R. 
S. 
T. 

57 
74 
69 
29 
116 
33 

3 
10 

5 
39 

0 

53 
71 
59 
24 
77 
33 

75 

88 
53 
25 
92 
31 

7 
2 
3 
3 

14 
0 

68 
86 
50 
22 

78 
31 

66 
81 
61 
27 
104 
32 

5,5 
2,5 
6,5 
4 

26,5 
0 

60,5 

78,5 

54,5 

23 

77,5 

32 

Gruppen-     j  «« 
durchschnitt 

10,2  i       52,8 

1 

60,7 

4,8 

55,9 

61,8 

7,5 

54,3 

in  der  Mitte,  die  Hebephrenen  am  tiefsten,  die  Paralytiker  an  der 
Spitze.  Im  Ganzen  betragt  der  Unterschied  jedoch  nur  5,8  Vor- 
stellungen zwischen  Paralytikem  und  Hebephrenen.    Am  ersten  Ver- 


Kraepelia,  Piycliolog.  Arbeiteo.  II. 


42 


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634 


Joseph  Rpis. 


suchstage  lieferten  die  Gesunden  7,  die  Hebephrenen  10  Vor- 
stellungen  im  Durchschnitt  weniger  als  die  Paralytiker;  am  zweiten 
Tage  dagegen  iibertrafen  die  Gesunden  Hebephrene  und  Paralytiker 
um  4,5  und  2,8  Vorstellungen.  Beim  Vergleiche  dieser  Zahlen  ist 
allerdings  zU  bemerken,  dass  von  E.  nur  ein  brauchbarer  Versuch 
vom  zweiten  Tag  vorliegt.  Er  glaubte  namlich,  sich  am  ersten  Tage 
auf  die  Aufzahlung  von  Saugethieren  beschranken  zu  miissen,  so  dass 
er  nur  einc  weit  geringere  Zahl  von  Vorstellungen  nannte.  Am 
zweiten  Tage  deckte  sich  aber  diese  Zahl  nahezu  mit  der  Durch- 
schnittsleistung  der  Gesunden.  Wir  diirfen  daher  wohl  annehmen, 
dass  durch  den  Ausfall  seiner  Leistung  die  Durchschnittswerthe  des 
ersten  Versuchstages  nicht  wesentlich  geandert  worden  waren.  Der 
Vorsprung  der  Paralytiker  am  ersten  Tage  ist  recht  bedeutend;  am 
zweiten  Tage  wird  er  durch  eine  Zunahme  der  Leistung  der  Gesun- 
den um  7,3,  der  Hebephrenen  um  6  Vorstellungen  und  eine  Abnabme 
der  Paralytiker  um  2,3  ausgeglichen. 

Indessen  ist  auch  die  bcssere  Stellung  der  Paralytiker  am  ersten 
Tage  und  die  hierdurch  bedingte  hohe  Durchschnittsleistung  nur 
scheinbar.  Betracliten  wir  namlich  den  Inhalt  der  angefiihrten  Vor- 
stellungen, so  fallt  auf,  dass  einzelne  derselben  im  gleichen  Versuche 
mehrmals  wiederkehren,  namentlich  bei  den  Paralytikem,  bei  denen 
bis  zu  39  Wiederholungen  vorkoramen.  Bei  den  Gesunden  betragt 
die  hochste  Zahl  der  vorkommenden  Wiederholungen  3,  bei  den  He- 
bephrenen 7.  Tabelle  XXTV  giebt  eine  Uebersicht  uber  die  Haufig- 
keit  der  Wiederkehr  derselben  Vorstellungen. 


Tabelle  XXIV. 


Vorstellungen  wurden 
wiederholt 

bei  4  Gesunden 

Imal 
11 

2Tnal 
0 

3nial 

4mal 
0 

bei  5  He))ephrenen 

24 

2 
4 

0 

0 

bei  6  Paralytikem 

68 

2 

1 

Besonders  groB  ist  die  Zahl  der  Wiederholungen  bei  den  Para- 
lytikem am  ersten  Versuchstage.     Auch  bei  den  Hebephrenen  finden 


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Ueber  einfache  psychologisrhe  Versiiche  an  Gesnnden  and  Geisteskranken.        635 

sich  an  beiden  Versuchstagen  mehr  Wiederholungen,  als  bei  den  Ge- 
sunden.  Bringen  wir  die  wiederholt  genannten  Vorstellungen  in  Ab- 
zug,  so  treten  die  Gesunden  an  beiden  Tagen  an  die  Spitze;  die 
Hebephrenen  bleiben  nur  wenig  hinter  den  Paralytikem  zuriick.  Die 
Zunahme  der  Leistungen  vom  ersten  zum  zweiten  Tage  betragt  12,0; 
10,3;  5,7  7o  bei  den  3  Klassen.  Zwei  psychische  Momente  miissen 
wohl  zur  Erklarung  der  Haufung  der  Wiederholungen  bei  den  Kran- 
ken,  insbesondere  den  Paralytikem,  herangezogen  werden,  einerseits 
die  Gedachtnissschwache ,  andererseits  bei  Einzelnen  eine  gewisse  in 
Rededrang  sich  kundgebende  motorische  Erregung.  Erstere  allein 
geniigt  nicht  zur  Erklarung  der  hier  gefundenen  Thatsache.  Denn 
bei  T.,  bei  welchem  sowohl  auf  diesem  wie  auf  anderen  untersuchten 
G^bieten  der  psychischen  Thatigkeit  der  Einfluss  der  Krankheit  un- 
verkennbar  ist,  finden  sich  gar  keine  Wiederholungen,  und  gerade 
dieser  Kranke  zeigte  ein  auBerst  apathisches  und  gedriicktes  Wesen. 
Andererseits  finden  sich  bei  P.  recht  zahlreiche  Wiederholungen, 
wahrend  sonst  bei  ihm  noch  keine  starkere  Abnahme  der  psychischen 
Leistungsfahigkeit  nachweisbar  war.  Bei  C.  und  namentlich  bei  S. 
war  die  motorische  Erregung  wahrend  der  Versuche  deutlich  wahr- 
nehmbar. 

Die  Leistungen  der  Gesunden  waren  viel  gleichmiiBiger,  als  die- 
jenigen  der  Kranken,  wie  das  Verhalten  der  mittleren  Schwankungs- 
breite  erkennen  lasst,  die  fiir  den  Durchschnitt  der  beiden  Tage  in 
Tabelle  XXV  angegeben  ist. 

Tabclle  XXV. 


M.  S.  (einschlieBlich 
der  "Wiederholungen) 

1 

4  Gesunde 

i 
5  Hebephrene  '    6  Paralytiker 

db  15,8  (28,20/o)  ,  ±21,8  (35,30/o) 

±8,6  (14,40/,) 
±  8,2  (l4,00/o) 

M.  S.  (ohne  Wieder- 
holungen) 

±14,9  (28,1  o/o)  I  ±17,9  (32,90/o) 

Wir  finden  bei  den  Kranken  einerseits  Leistungen,  welche  den 
normalen  entsprechen,  sie  zum  Theil  noch  Uberragen,  andererseits 
solche,  die  hinter  der  schlechtesten  Leistung  der  Gesunden  weit  zu- 

42* 


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636 


Joseph  Reis. 


riickbleiben.    Polgende  Tabelle  giebt  den  Unterschied  zwischen  der 
groBten  und  kleinsten  zweitagigen  Durchschnittsleistung. 

Tabelle  XXVI. 


j       Gesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

Differenz  von  Max.  und 

Min.  (einschlieBlich  der 

Wiederholungen) 

i 

30.5 

53,5 

81,0 

Differenz  von  Max.  und 
Min.  (ohne  Wieder- 
holungen) 

30,0 

49,0 

55,5 

Beriicksichtigen  wir  femer  die  in  einzelnen  Versuchen  erhaltenen 
Vorstellungszahlen,  so  steigen  die  in  der  Tabelle  angegebenen  Zahlen 
noch,  bei  den  Kranken  in  etwas  starkerem  Grade  als  bei  den  Ge- 
sunden.  Diese  TJngleichheit  ist  aber  nicht  etwa  die  Folge  der  am 
zweiten  Versuchstag  eingetretenen  Besserung  der  Leistung,  die  ja  ge- 
rade  bei  den  Gesunden  mit  12%  einen  hoheren  Grad  erreichte. 

Tabelle  XXVII. 


!    Gesundd 

Hebephrene 

Paralytiker 

Differenz  der  beaten  und  schlech- 
testen  Einzelleistunff  (einschlieB- 
lich Wiederholungen) 

39 

Gl 

91 

Differenz  der  besten  und  schlech- 
testen  Einzelleistung  (ohne  Wie- 
derholungen) 

37 

60 

64 

Die  Kranken  N.,  S.  und  0.  Ubertrafen  in  den  Durchschnitts- 
leistungen  (nach  Abzug  der  Wiederholungen)  noch  den  besten  G^- 
sunden;  T.,  D.,  R.  blieben  dagegen  weit  hinter  den  Normal werthen 
zuriick.  Tabelle  XXVIII  giebt  die  Uebersicht  iiber  die  Beihenfolge 
der  Versuchspersonen. 


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Oeber  eiiifache  psychologische  Versuche  ao  Gesunden  und  Geisteskranken.        637 
Tabelle  XXVIH. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

Gesundo 

1 

U. 

G. 

J. 

E. 

P. 

H. 

F. 

0. 

T. 

D. 

R. 

Hebephrene 

C. 

Paralytiker 

N. 

s. 

M. 

Von  den  am  ersten  Tage  genannten  Vorstellungen  kehrt  natur- 
gemaB  ein  groBer  TheU  am  zweiten  Tage  wieder.  Tabelle  XXIX 
giebt  in  der  ersten  Colonne  die  Zahl  der  beiden  Versuchen  gemein- 
samen  Vorstellungen  und  das  Procentverhaltniss  dieser  zu  der  Zahl 
der  im  Durchschnitt  an  einem  Tage  genannten  Vorstellungen  nach 
Abrechnung  der  Wiederholungen.  Die  groBte  Zahl  von  Vorstellungen 
kehrt  bei  den  Gesunden  am  zweiten  Tage  wieder,  9,1  bezw.  13,9% 
der  Gesammtleistung  mehr  als  bei  den  Hebephrenen  und  Paralytikem. 
Es  findet  sich  also  die  groBte  Constanz  der  Vorstellungen  bei  den 
Gesunden.  Bei  den  Kranken  ist  sie  geringer;  bei  den  Paralytikem 
erreicht  sogar  keiner  die  untere  Grenze  der  Gesunden. 

Weiterhin  ist  die  Zahl  der  am  zweiten  Versuchstage  neu  genannten 
Vorstellungen  von  Interesse.  Tabelle  XXTX  giebt  die  Zahl  derselben 
an  und  stellt  sie  den  am  ersten  Tage  genannten  Vorstellungen  gegen- 
iiber.  Wiederholungen  sind  dabei  selbstverstandlich  auBer  Rechnung 
geblieben.  Der  Vergleich  dieser  Werthe  ergiebt,  dass  die  Anzahl  der 
am  zweiten  Tage  neu  auftauchenden  Vorstellungen  am  geringsten  bei 
den  Gesunden,  am  groBten  bei  den  Paralytikem  ist.  Die  Summe  der 
am  ersten  Tage  genannten  verschiedenen  Vorstellungen  und  der  am 
zweiten  neu  auftretenden  entspricht  der  GroBe  des  Vorstellungs- 
schatzes,  uber  welchen  die  Versuchspersonen  auf  dem  untersuchten 
Gebiete  verfiigen.  Wie  sich  der  procentuale  Antheil  an  diesem  Werth 
auf  die  beiden  Versuchstage  vertheilt,  ist  ebenfalls  in  Tabelle  XXIX 
dargestellt.  Ein  Verhaltniss  von  100  :  98,9  :  94,3  am  ersten,  ein  sol- 
ches  von  100  :  103,8  :  121,4  am  zweiten  Tage  giebt  der  Verschieden- 
heit  in  den  3  Gmppen  der  Versuchspersonen  Ausdmck.  Die  Bereit- 
schaft  der  Vorstellungen  ist  bei  den  Kranken,  namentlich  den  Paraly- 
tikem, geringer  als  bei  den  Gesunden,  welche  einen  groBeren  Theil  des 


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638 


Joseph  Reis. 
Tabelle  XXIX. 


Versuchs- 
personen 

Wiederkehrende 
Vorstellungen 

Verschiedenc 

Vorstellungen 

am  I.  Tage 

Neue  verschie- 

dene  Vorstel- 

lui^en  am 

ILTage 

Verschie- 
dene  Vor- 
stellungen an 
beidenTagen 

1 

0.    1 

U.j 

47     (83,40/o) 
35     (83,3  o/o) 
55     (76,4  o/o) 

54     (72,00/o) 
44     (89,80/o) 
67     (75,30/0) 

21  (28,00/o) 
5     (10,20/o) 

22  (24,7  0/0) 

75 
49 
89 

Gruppen-    , 
durchschnitt 

45,7  (81,00/o) 

55     (-9,00/0) 

16        (210/0) 

71 

1 

1 

c. 

D. 
F. 
G. 
H. 

36     (48,90/o) 
22     (89,80/o) 
40     (88,80/o) 
44     (63,40/o} 
36     (68,50/0) 

57     (60,40/0) 
26     (96,3  0/0) 
48     (96,0  0/0) 
56     (58,8  0/0) 
55     (79,70/0) 

44     (39,6Vo) 

1  (3,70/0) 

2  (4,00/o) 
39     (41,2o/o) 
14     (20,30/0) 

101 
27 
50 
95 
69 

Grruppcn- 
durchschnitt 

35,6  (71,90/0) 

50,4  (78,20/o) 

20     (21,80/o) 

68,4 

1 

M. 

N. 
P. 
R. 
S. 
T. 

37     (61,20/o) 
56     (71,30/o) 
40     (73,40/0) 
16     (69,50/o) 
50     (64,50/o) 
20     (62,50/0) 

53     (63,1 0/0) 
71     (70,30/o) 
59     (85,50/o) 
24     (80,00/o) 
76     (73,1 0/0) 
33     (75,00/o) 

31     (36,90/o) 
30     (29,70/,) 

10  (14,50/o) 
6     (20,00/J 

28     (26,90/o) 

11  (25,00/o) 

84 
101 

69 

30 
104 

44 

Gru] 
durch 

flchnitt 

36,5  (67,1 0/0) 

52,8  (74,50/0) 

19,3  (25,50/o) 

72 

vorhandenen  Vorstellungsschatzes  schon  am  ersten  Tage  anfUhren. 
Die  durchschnittliche  Gesammtzahl  der  auf  dem  bearbeiteten  Gebiete 
verfiigbaren  verschiedenen  Vorstellungen  weist  merkwurdiger  Weise 
kaum  Unterschiede  bei  den  3  Gruppen  auf;  die  Paralytiker  iiber- 
treffen  sogar  die  Gesunden  um  1,  die  Hebephrenen  um  3,6  Vorstel- 
lungen. Hier  diirfte  der  Bildungsgrad  der  Versuchspersonen  eine 
erhebliche  RoUe  spielen,  doch  scheint  bei  unseren  Kranken  im  all- 
gemeinen  jedenfalls  kein  sehr  groBer  Verlust  von  Vorstellungen  statt- 
gefunden  zu  haben.    Deutlich  erkennbar  ist  ein  solcher  nur  bei  D. 


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Ueber  eiiirnehe  psycbologische  Versuche  an  Gesiiuden  uiid  Geisteskraiikeu.        639 

und  B-. ;  vielleicht  kann  auch  bei  T.  davon  die  Rede  sein.  Die  Kran- 
ken  C,  N.,  S.  iibertreffen  den  besten  Gesunden.  Die  groBere  Un- 
gleichheit  in  den  Leistungen  der  Kranken  kommt  auch  hier  im  Ver- 
halten  der  mittleren  Schwankungsbreite  zum  Ausdruck. 

Gesunde  Hebephrene  Paralytiker 

M.S.  ±14,7(20,7%)  ±23,9  (34,2  o/o)  ±  24,3  (33,8  «/o)- 
Die  oben  festgestellte  geringere  Bereitschaft  der  Vorstellungen 
bei  den  Kranken  wird  bestatigt,  wenn  wir  den  zeitlichen  Verlauf  des 
Versuchs  betrachten.  Die  folgende  Tabelle  giebt  die  Zahl  der  in 
jeder  Minute  durchschnittlich  aufgezahlten  Vorstellungen  wieder. 
Stellen  wir  uns  diese  Zahlenreihen  fur  jede  Gruppe  durch  eine  Curve 
dar,  so  ist  der  Verlauf  derselben  im  GroBen  und  Ganzen  ziemlich 
gleichartig.  Der  Gipfel  derselben  fallt  jedesmal  in  den  ersten  Zeit- 
abschnitt.  Derselbe  liegt  bei  den  Gesunden  am  hochsten ;  die  Curve 
sinkt  im  zweiten  Abschnitt  rasch  ab,  um  nach  einer  kleinen  Erhebung 
im  achten  Zeitabschnitt  den  tiefsten  Stand  zu  erreichen.  In  den 
letzten  Minuten  steigt  dieselbe  noch  einmal  etwas  an.  Bei  den  Hebe- 
phrenen  liegt  der  Gipfel  der  Curve  etwas  tiefer,  der  Abfall  im  zweiten 
Abschnitt  ist  weniger  steil ;  wahrend  des  nachsten  Abschnitts  halt  sie 
sich  ungefahr  auf  gleicher  Hohe,  so  dass  sie  iiber  der  Curve  der  Ge- 
sunden verlauft.  Dann  fallt  sie  gleichmaBig  langsam  bis  zum  Schlusse 
ab,  nur  im  letzten  Abschnitt  einen  geringen  Anstieg  zeigend.  Die 
Curve  der  Paralytiker  beginnt  noch  tiefer;  der  Abfall  im  zweiten 
Zeitabschnitt  ist  flach,  so  dass  hier  die  Curve  der  Hebephrenen,  im 
nachsten  auch  diejenige  der  Gesunden  gekreuzt  wird.  Dann  verlauft 
sie  fast  durchweg,  nur  einmal  durch  die  Erhohung  bei  den  Gesunden 
im  4.  Abschnitt  iiberragt,  iiber  den  beiden  andern;  der  allmahliche 
Abfall  wird  durch  einen  deutlichen  Anstieg  in  der  0.  und  7.  Minute 
unterbrochen.  Erst  im  letzten  Abschnitt  sinkt  die  Curve  etwas  unter 
die  Hohe  der  Gesunden.  Wahrend  der  Zahl  der  in  der  ersten  Ver- 
suchshalfte  genannten  Vorstellungen  ein  Verhaltniss  von  100:85,5:87,8 
bei  den  Gruppen  entspricht,  verhalten  sich  die  in  der  zweiten  Halfte 
genannten  wie  100  :  108,8  :  141,1.  Also  auch  dies  ist  der  Ausdruck 
einer  geringeren  Bereitschaft  der  Vorstellungen  bei  den  Paralytikern. 
Bei  den  Hebephrenen  ist  diese  Schwerfalligkeit  weniger  ausgepragt, 
aber  doch  deutlich  erkennbar.  Auch  bei  der  Betrachtung  kleinerer 
Zeitabschnitte  wird  dieses  Verhalten  sichtbar. 


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640 


Joseph  Reis. 
Tabelle  XXX. 


Versuchs-    ,,  Minute  1 
pereonen    ' 

2 

3 

4 

5         6 

I 

7          8 

9 

10 

1 

E.           20 

13 

7 

6 

2 

2 

1 

0 

5 

6 

J.            17 
0.           14,5 

9,5 
5,5 

7 
6,5 

6 

6 

3.5 

2,5 

3 

4 

4,5 

4,5 

4 

2,6 

2 

2,5 

0 

3,5 
4,5 

U.           20,5 

8,5 

5 

11 

7 

6 

3,5 

1,5 

6 

Gruppen- 
durchschnitt 

17,7      ■     8,6 

1 

6,3 

7,0 

5,1 

3,7 

2,4 

2,0 

3,7 

4,4 

i 
f 

1 

C. 

19 

9 

8 

9 

6,5 

5,5 

7,5 

7 

4,5 

3,5 
1,5 

D. 

11 

1 

6,5 
8,5 

2 

1,5 

1,5 

0 

0 

1 

F. 

17 

8 
11 

2 
2 

6 

0,5 
7,5 

1,5 

7 

3 

7,5 

1,5 

0,5 

1 
5 

G. 

16,5 

6 

4 

5,5 

H. 

8,5 

10 

7 

8,5 

4,5 

6,5 

4 

0,5 

2,5 
2,7 

Gruppen-           ^^g 
durchschnitt            ' 

7,8 

7,2 

4,7 

4,5 

4,3 

4,0 

3,8 

2,4 

t 
1 

M. 

N. 

12,5 

11 

6 

9 

7,5 

7 

3,5 

3,5 

6 

4,5 

2,5 
3,5 

15 

10 

14,5 

7 
5 
0,5 

7 

7,5 

4 

3,5 

5,5 

P. 

17,5 

8,5 

9,5 

5 

0,5 

6 

2,5 

6 

1 

2,5 

R. 

11,5 

4,5 

1,5 
10,5 

0,5 

3 

1,5 
12 
0 

2 
10,5 

1,5 

S. 

15,5 

11,5 
5 

' 

16       S,5 

5,5 

T. 

4 

5,5 :     5,5     2,5 

4     i  0,5 

4 

Gru] 
durch 

1 
schnitt;      ^^^^ 

8,4 

7,9 

5,8 

4,7 

5,6 

6,3 

4,5 

4,1 

3.3 

Bei  den  gesimden  Versuchspersonen  fallt  die  Hohe  der  Leistimg 
durchweg  in  die  erste  Minute.  Bei  den  Hebephrenen  und  ParaJytikeni 
macht  je  eine  Person  hiervon  eine  Ausnahme;  bei  mehreren  derselben 
wird  jedoch  die  Anfangsleistung  im  Laufe  des  Versuchs  nahezu  wieder 


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Ueber  einfache  psyehoiogiscbe  Versuche  an  Gesunden  and  Geisteskranken.        641 

erreicht,  wahrend  bei  den  Gesunden  der  Abstand  von  dieser  immer 
recht  betrachtlich  bleibt.  Ob  die  bei  alien  Gesunden  und  wenigen 
Kranken  gegen  Schluss  des  Versuchs  eintretende  Besserung  der  Lei- 
stung  Folge  eines  Schlussantriebes  ist,  mochte  ich  nach  diesen  Ver- 
suchen  nicht  entscheiden. 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  gegebene  Aufgabe  von  den  einzelnen 
Versuchspersonen  gelost  wurde,  war  recht  verschieden.  Die  einen 
zahlten  der  Reihe  nach  die  einer  bestimmten  Classe  angehorigen 
Thiere  auf,  um  sich  dann  einer  anderen  zuzuwenden;  andere  gingen 
regellos  von  einer  Gruppe  zur  anderen  iiber,  bald  aus  dieser,  l)ald 
aus  jener  einzelne  Namen  nennend,  durch  zufallig  sich.  ergebende 
Vorstellungsverbindungen  geleitet.  Die  sinnliche  Deutlichkeit  der 
Vorstellungsbilder  spielte  jedenfalls  eine  recht  verschiedene  EoUe; 
der  Kranke  S.  beispielsweise  schien  sich  auf  der  Jagd  zu  sehen  und 
nannte  zunachst  alle  jagdbaren  Thiere.  Aehnliche  Beobachtungen 
konnten  wiederholt  gemacht  werden.  Ein  Abspringen  von  der  ge- 
gebenen  Aufgabe  fand  bei  keiner  Versuchsperson  statt,  so  dass  Vor- 
stellungen  eines  anderen  Gebietes  nicht  vorkamen.  Nur  der  Para- 
lytiker  M.  zahlte  einmal  »Meerfrau«  und  »Mohr«  mit  auf,  was  durch 
die  bei  ihm  deutlich  nachwei8l)are  Urtheilsschwache  erklart  wird.  Die 
Kranken  R.  und  T.  kniipften  manchmal  an  einzelne  Vorstellungen 
kurze  Bemerkungen,  die  durch  friihere  Erlebnisse  bedingt  waren  oder 
auf  die  sie  sonst  beherrschenden  G^danken  Bezug  nahmen.  Der  Name 
Kuckuck  z.  B.  veranlasste  T.  zur  Bemerkung:  »wenn's  doch  schon 
Fruhling  war'.«  Bei  der  Wahl  der  Vorstellungsgruppe  war  ja  be- 
sonders  darauf  Riicksicht  genommen,  die  Aufgabe  moglichst  eindeutig 
und  bestimmt  zu  gestalten.  Mit  einigen  Versuchspersonen  wurden 
ahnliche  Versuche  noch  auf  einem  anderen  Gebiete  durchgefiihrt,  das 
viel  weniger  umschrieben  war.  Hier  war  dann  auch  die  Leistung 
recht  verschieden.  Da  aber  in  Folge  auBerer  Umstande  mit  unseren 
Versuchspersonen  nur  noch  wenige  Versuche  ausgefUhrt  werden  konn- 
ten, soil  hier  von  einer  Mittheilung  derselben  abgesehen  werden. 
Jedenfalls  ist  die  Moglichkeit  gegeben,  durch  Ausdehnung  und  Wie- 
derholung  solcher  Versuche,  durch  die  Wahl  geeigneter  Gruppen  von 
Vorstellungen  ein  Urtheil  iiber  die  Gestaltung  des  Vorstellungsschatzes 
zu  erhalten. 

Eine  Zusammenfassung  der  hier  gefundenen  Thatsachen  ergiebt 


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642  Joseph  Reis. 

folgendes:  Bei  der  Aufgabe,  bekannte  Thiere  aufzuzahlen,  nennen 
die  Gesunden  im  Durchschnitt  eine  etwas  groBere  Zahl  als  die  Kran- 
ken.  Dieses  Ergebniss  kann  verdeckt  sein  durch  das  wiederholte 
Auftreten  derselben  Vorstellungen  im  gleichen  Versuche,  eine  Erschei- 
nung,  die  namentlich  bei  den  Paralytikern,  aber  auch  bei  den  Hebe- 
phrenen  in  hoherem  Grade  auftritt  als  bei  den  Gesunden.  Die  Lei- 
stungen  sind  in  der  Gruppe  der  Gesunden  gleichmaBiger,  als  bei  den 
Kranken,  insbesondere  den  Paralytikern.  Die  Constanz  der  Vor- 
stellungen ist  am  groBten  bei  den  Gesunden,  am  geringsten  bei  den 
Paralytikern.  Der  zeitliche  Verlauf  eines  Versuchs  sowie  die  Zahl 
der  am  zweiten  Tage  neu  auftauchenden  Vorstellungen  lassen  eine 
groBere  Bereitschaft  des  Vorstellungsschatzes  bei  den  Gesunden  er- 
kennen;  die  Hebephrenen  iibertreffen  auch  hierin  die  Paralytiker. 
Der  Umfang  des  Vorstellungsschatzes  bietet  bei  den  3  Classen  keinen 
merklichen  Unterschied  dar;  nur  3  Kranke  zeigen  eine  EinbuBe.  In 
der  Art  der  Losung  der  Aufgabe  machen  sich  personliche  Unter- 
schiede  bemerkbar. 

V.   Wiedergabe  eingelernter  Vorstellungsreihen. 

Die  gewahlten  Vorstellungsreihen  waren,  wie  oben  angegeben, 
das  Alphabet  und  die  Zahlenreihe  von  1 — 50. 

a.  Alphabet. 

Die  beim  Aufsagen  des  Alphabets  erhaltenen  Ergebnisse  finden 
sich  in  Tabelle  XXXI.  Einige  Versuchspersonen  konnten  das  Al- 
phabet nicht  fehlerlos  aufsagen.  Die  Fehler,  die  wahrend  des  Ver- 
suchs notirt  wurden,  und  auf  die  wir  noch  zuriickkommen  werden, 
sind  von  verschiedener  Bedeutung.  Bei  den  Paralytikern  M.  und  R. 
hauften  sich  dieselben  jedoch  so  sehr,  dass  die  angegebene  Zeit  nicht 
thatsachlich  zum  Aufsagen  des  Alphabets  verbraucht  wurde,  sondem 
nur  den  Zeitpunkt  angiebt,  zu  welchem  die  Versuchspersonen  den 
Versuch  abbrachen ,  also  wohl  sut)jectiv  die  Ansicht  von  der  Beendi- 
gun^  ihrer  Aufgabe  gehabt  haben. 


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Deber  einfache  psycbologische  Versiiche  an  Gesunden  und  Geisteskranken. 
Tabelle  XXXI. 


643 


(D.  Versuchsdauer  in  Secunden,  F.  absolute  Fehlerzahl ;  M.  D.  mittlere  Versuchs- 
dauer,  M.  F.  mittlere  Fehlerzahl). 


I.  Tag 

n. 

Tag 

1. 
Vereuch 

2. 
Versuch 

3. 
Versuch 

4. 
Versuch 

Versuchs- 
personen 

Id- 

1 

F.  j  D. 

F. 

D. 

F. 

D. 

F. 

M.D. 

M.F. 

M.V 

•   •/« 

A. 

4,0 

0       5,2 

0 

1 

4,6 

0 

0,6 

13,0 

^ 

E. 

6,0 

2       8,2 

2 

7,1 

2 

1,1 

15,5 

J. 

5,2 

0       5,2 

0 

6 

0 

5,2     0 

5,4 

0 

0,2 

4,6 

i 

0. 

6,0 

0     ;  5,4 

0 

5,7 

0 

0,3 

5,2 

U. 

l.,2 

0 

9,2 

0 

10,2 

0 

1,0 

9,6 

Gruppen- 
durchschnitt 

6,5 

0,4 

6,6 

0,4 

■   i 

6,5 

0,3 

0,6 

9,6 

§      c. 

9,0 

1     |10,2 

1 

11,0 

2 

11,6 

4 

10,4 

2 

0,8 

7,7 

£    '    F. 

12,0 

0 

10,0 

0 

11,0 

0 

9,6 

0 

10,7 

0 

0,9 

8,4 

f  i  «• 

'8,8 

0 

9,0 

0 

6,8 

0 

6,0 

0 

7,7 

0 

1,3 

18,2 

W    1    H.    ^ 

16,4 

0 

15,2 

0 

21,4 

2 

17,4 

0 

17,6 

0,5 

1,9 

10,8 

Gnippen- 
durchschnitt 

11,6 

0,3 

11,1 

0,2 

12,5 

1 

11,2      1 

11,6 

0,6 

1,2 

11,3 

M. 

:}2,o 

8      23,6 

7 

32,0 

7 

37,0 

OO 

31,5 

3,9 

12,2 

N. 

5,8 

0 

6,6 

0 

7,6 

0 

6,0 

0 

6,5 

0 

0,6 

10,0 

P. 

7,2 

0 

6,8 

0 

8,2 

0 

6,8 

0 

7,7 

0 

0,7 

9,1 

R. 

21,2 

OO 

43,0 

OO 

64,0 

7 

24,0 

OO 

38,1 

15,2 

39,9 

Q^ 

S. 

5,0 

0        7,8 

0 

4,0 

0 

6,0 

0 

5,7 

0 

1,2 

21,0 

T. 

1 

23,0 

1      28,6 

1 

2 

10,2 

1 

20,6 

1 

22,9 

1,2 

2,9 

12,9 

Gruppen- 
durchschnitt 

15,7 

19,4 

22,5 

16,7 

18,7 

4,1 

17,5 

Die  aus  alien  vorliegenden  Versuchen  berechnete  Versuchsdauer 
ist  bei  den  Hebephrenen  nahezu  doppelt,  bei  den  Paralytikem  fast 
dreimal  so  groB  wie  bei  den  Gesunden.  Wahrend  wir  von  alien 
Kranken  vier  Versuche  haben,  sind  von  den  meisten  Gesunden  aller- 


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644 


Joseph  Reis. 


dings  nur  zwei  vorhanden.  Aber  die  Leistungen  der  Kranken  am 
zweiten  Tage  unterscheiden  sich  von  denjenigen  des  ersten  nicht 
wesentlich  —  jedenfalls  liegt  keine  Aenderung  im  Sinne  einer  Bes- 
serung  vor  — ,  so  dass  wir,  da  nnter  den  gegebenen  Umstanden  eine 
erhebliche  Uebung  schwerlich  erwartet  werden  darf,  ohne  weiteres 
auch  die  an  einem  einzelnen  Tage  gewonnenen  Werthe  zum  Vergleiche 
heranziehen  konnen.  Die  zum  Aufsagen  des  Alphabets  nothigen 
Durchschnittszeiten  verhalten  sich*  wie  100  :  178,4  :  287,7.  Es  fallen 
hierbei  die  schlechten  Leistungen  der  Paralytiker  M.  und  R.  beson- 
ders  ins  Gewicht.  Aber  selbst  wenn  wir  die  Versuche  dieser  beiden 
bei  der  Berechnung  der  Durchschnittsdauer  aus  oben  besprochenem 
Gnmde  auBer  Acht  lieBen,  ware  dieselbe  noch  derjenigen  der  Hebe- 
phrenen  gleich.  Auch  bei  dieser  Aufgabe  sind  die  Unterschiede  zwi- 
schen  den  Leistungen  der  einzelnen  Gesunden  und  Hebephrenen  viel 
geringer  als  bei  den  Paralytikem.  Ausdruck  hierfiir  ist  das  Ver- 
halten der  mittleren  Schwankungsbreite. 

Gesunde  Hebephi-ene  Paralytiker 

M.S.     ±1,6(24,00/,)     dr3,0(25,9o/„)     dz  12,1  (65,0  o/o). 

Bleiben  auch  hier  M.  und  R.  unberiicksichtigt,  so  verringert  sich 
die  M.  S.  der  Paralytiker  auf  ±  5,6  oder  52,4%  der  dann  sich  ergeben- 
den  Durchschnittsdauer.  Der  Abstand  der  jeweils  kiirzesten  imd 
langsten  Versuche  in  Secunden  wird  in  Tabelle  XXXII  angegeben. 

Tabelle  XXXU. 


Gesunde 
Hebephrene 

Mininium 

Maximum 

Differenz 

4,6 

10,2 

5,6 
9,9 

17,6 
38,1 

Paralytiker 

5,7 

32,4 

Auch  hier  wird  bei  Betrachtung  der  Ergebnisse  von  Einzelversuchen 
der  Unterschied  zwischen  den  Grenzleistungen ,  namentlich  bei  den 
Paralytikem,  groBer.  Er  betragt  7,2;  15,4;  60  Secunden  in  den  drei 
Classen  von  Versuchspersonen.  Die  Halfte  der  Paralytiker  imd  ein 
Hebephrener  ubertreffen  noch  den  an  letzter  Stelle   stehenden   G^ 


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Ueber  einfache  psychologische  Versiiche  an  Gesiinden  und  Geisteskranken.        645 

sunden,  welcher  allerdings  erst  in  bedeutendem  Abstande  den  voran- 
gehenden  nachfolgt.  Die  iibrigen  Hebephrenen  schlieBen  sich  zum 
Theil  unmittelbar  diesem  an;  nur  einer  zeigt  eine  bedeutendere  Ver- 
langerung  der  Versuchsdauer.  Die  schlechtesten  Leistungen  finden 
wir  bei  den  Paralytikem,  wahrend  diese  andererseits  noch  recht  gute 
Leistungen  aufzuweisen  haben.  Tabelle  XXXIII  giebt  die  Reihen- 
folge  der  nach  der  Versuchsdauer  gruppirten  Versuchspersonen. 

Tabelle  XXXIII. 


1      2 

3     4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13    14 

15 

Gesunde 

A. 

J. 

0. 

E. 

T 

u! 

C. 

F. 

H. 

T. 

M. 

R. 

Hel>ephrene 

^• 

Paralytiker 

S. 

N. 

Ebenso,  wie  der  Vergleich  der  Leistungen  der  verschiedenen 
Versuchspersonen  unter  einander  die  groBte  UngleichmaBigkeit  bei 
den  Paralytikem  ergeben  hat,  geht  aus  dem  Ausfall  der  Einzelver- 
suche  jeder  Versuchsperson  eine  groBere  Schwankung  der  Leistungs- 
fahigkeit  bei  dieser  Aufgabe  fiir  die  Paralytiker  gegeniiber  den  Ge- 
sunden  hervor.  Die  Hebephrenen  stehen  auch  hier  in  der  Mitte, 
aber  naher  den  Gresunden.  Die  GroBe  der  Streuung  ist  in  Ta- 
belle XXXI  angegeben. 

Als  Fehler  wurde  jede  unrichtige  Reihenfolge  zweier  Buchstaben 
betrachtet,  eine  Berechnung,  bei  welcher  die  Resultate  den  thatsach- 
hchen  Verhaltnissen  allerdings  nicht  vollstandig  entsprechen,  da  hierbei 
die  Art  der  Fehler  nicht  beriicksichtigt  werden  konnte.  4  Gesunde, 
2  Hebephrene  und  3  Paralytiker  sagten  das  Alphabet  fehlerlos  auf 
(Tabelle  XXXI).  Die  mittlere  Fehlerzahl  ist  bei  den  Hebephrenen 
doppelt  so  groB  wie  bei  den  Gesunden;  bei  den  Paralytikem  ist  es 
nicht  moghch,  eine  Durchschnittszahl  zu  berechnen,  da  ja  einige  der- 
selben  das  Alphabet  nicht  mehr  vollig  aufsagen  konnten.  Die  von  E. 
und  0.  gemachten  Fehler  sind  ungefahr  gleich.  Der  Erstere  endigt  das 
Alphabet  mit  ...0  — QR  — XYZ  undQ  — K  — XYZ,  der  Andere 
mit  ...QR-XYZ,  ...S-XYZ,  ...  QR- F  — W— V -XYZ, 


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646  Joseph  Reis. 

...QR  — F  — VWXYZ,  nachdem  Beide  den  groBeren  TheU  des- 
selben  richtig  aufgesagt  haben.    H.  flicht  einmal  einen  Buchstaben 

an  falscher  Stelle  ein  ...Q  —  V  —  RS Die  von  T.  gemachten 

Fehler  bestehen  immer  in  Auslassungen  einzelner  Buchstaben,  dreimal 
des  U;  einmal  springt  er  von  Q  auf  X  uber.  Bei  M.  iind  R.  haufen 
sich  Auslassungen  und  Wiederholungen.  Beide  sagen  meist  in  nahezu 
richtiger  Reihenfolge  das  Alphabet  bis  zu  einer  bestimmten  Stelle  auf, 
um  dann  den  Faden  zu  verlieren,  frisch  zu  beginnen  oder  die  letzten 
Buchstaben  zu  wiederholen,  ohne  dabei  den  Zweck  zu  erreichen.  R. 
endigt  meist  mit  ...  YJ,  M.  mit ...  XLZ.  Nur  in  je  einem  Versuche 
bestand  bei  Beiden  das  GefUhl,  ihre  Aufgabe  nicht  ganz  gelost  zu 
haben.     (R.  sagte:   »Ich  komm'  nicht  mehr  draus  heraus.*) 

b.   Zahlenreihe  1 — 50. 

Das  Aufsagen  der  Zahlenreihe  erwies  sich  bei  alien  Versuchs- 
personen  als  die  bei  weitem  leichtere  Aufgabe,  indem  sie  von  Allen, 
auch  den  Kranken,  ohne  Fehler  gelost  wurde.  Dieses  Ergebniss  er- 
klart  sich  ja  sehr  leicht  daraus,  dass  die  Zahlenreihe  in  Folge  des 
taglichen  Gebrauchs  besonders  stark  fixirt  ist.  Die  Zeit,  welche 
das  Aufsagen  der  Zahlenreihe  von  1  —  50  durchschnittlich  erfor- 
derte,  ist  in  Tabelle  XXXTV  angegeben.  Die  Zahlen  sind  in 
gleicher  Weise  wie  frUher  durch  Berechnung  des  arithmetischen  Mit- 
tels  aus  alien  Versuchen  gewonnen.  Auch  hier  liegen  wieder  von 
den  Kranken  mehr  Versuche  als  von  den  Gesunden  vor;  die  Ver- 
suche der  beiden  Tage  lassen  keinen  Unterschied  erkennen.  Die 
Durchschm'ttsdauer  des  Zahlens  ist  bei  den  Kranken  ungefahr  um  ein 
Drittel  langer  als  bei  den  Gesimden.  Die  beiden  Classen  der  Kranken 
verhalten  sich  nahezu  gleich.  Aber  auch  bei  dieser  Aufgabe  ist  die 
Abweichung  vom  Gruppenmittel  bei  den  Paralytikem  groBer  aJs  bei 
Gesunden  und  Hebephrenen.  Bei  letzteren  beiden  Gruppen  ist  die 
mittlere  Schwankungsbreite  nahezu  gleich  groB,  im  Verhaltniss  zur 
Versuchsdauer  aber  bei  den  Hebeplirenen  geringer. 

Gesunde  Hebephrene  Paralytiker 

M.S.     ±  6,2  f31,40/„)       dz  5,9  (18,6 o/^)       =b  12,0  (38,6 «/o). 


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Uebfr  einfacbe  psycbolof^isebr  Versucbe  an  Gesiinden  und  Geistfskranken.        647 
Tabelle  XXXIV. 


I.  Tag 

n.  Tapr 

Versuchs-           1. 
personen    1'  Versuch 

2. 
Versuch 

3.         ,        4. 
Versuch  i  Versuch 

M.D. 

M.V.    o/o 

A. 

1        J- 
$        0. 

1^' 

14,6 
10,0 
18,6 
24,4 
30,0 

12,2 
11,8 
22,0 
22,4 
31,0 

20,0 

11,4 

13,4 
10,9 
21,0 
23,4 
30,5 

1,2       9,0 
0,9       8,3 
1,2        5,7 
1,0       4,2 
0,5        1,6 

Gruppen-          -q^ 
durchschnitt        ^^'^ 

19,9 

19,7         1,0        5,8 

f 

C.            19,8 

F.  ,.      28,0 

G.  38,0 
H.    .       39,8 

20,6 
27,2 
33,6 
42,6 

23,8 
32,0 
35,2 
40,0 

21,2 
29,0 
33,8 
39,4 

22,7 
29,1 
35,2 
40,2 

2,2       9,7 
1,2       4,1 
1,5        4,1 
0,9        2,4 

dS^chSiU|      *1'*            ^^'* 

32,7 

30,9 

31,8 

1,5        5,9 

g 

j5 

M. 

N. 
P. 
R. 
S. 
T. 

27,0 
19,2 
19,8 
39,0 
13,6 
1       52,0 

1 

31,4 
26,4 
16,0 
33,8 
20,8 
83,0 

35,2 

41,2 
20,4 
15,0 
34,0 

18,8 
45,0 

30,6 

23,0 
15,0 
37,6 
20,8 

58,4 

31,0 

33,2    ,     5,5      16,6 
22,5         3,4      15,1 
16,2         1,3        8,0 
36,1         2,2       6,1 

18.5  ,     2,5      13,3 

59.6  j  11,8      19,7 

1 

Gruj 
durch 

>pen- 
achnitt 

,       28,3 

31,1 

4,1      13,1 

Der  Abstand  der  extremen  Leistungen  in  jeder  Gruppe  ist  in 
Tabelle  XXXV  angegeben. 

Beriicksichtigen  wir  die  Einzelversuche,  so  vergroBert  sich  dieser 
Abstand  um  1,4;  5,3;  26  Secunden  in  den  3  Gruppen.  Auch  hier 
befindet  sich  die  Durchsclmittsleistung  der  Hailfte  der  Kranken  inner- 
halb  der  Gesundheitsbreite.  Gleichwie  bei  der  vorhergehenden  Auf- 
gabe  stehen  einige  Paralytiker  nur  wenig  hinter  den  an  erster  Stelle 
befindlichen  Gesunden  zurtick;  andererseits  zeigen  sie  zum  Theil  eine 


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648 


Joseph  Reis. 
Tabelle  XXXV. 


Minimum 

Maximum 

Differenz 

Q^sunde 

10,9 

30,5 

19,6 

Hebephrene 

22,7 

40,2 

17,5 

Paralytiker 

16,2 

59,6 

43,4 

erhebliche  Verschlechterung,  bis  zu  einem  Grade  der  von  den  Hebe- 
phrenen  nicht  erreicht  wird.  Diese  letzteren  bioten  alle  eine  gleich- 
maBigere  Verlangerung  des  nothigen  Zeitraumss  dar,  so  dass  die 
besten  nur  der  mittleren  Gruppe  der  Paralytiker  gleichstehen.  Einen 
Ueberblick  iiber  die  Reihenfolge  der  Versuchspersonen  bei  dieser  Auf- 
gabe  giebt  die  nachste  Tabelle. 

Tabelle  XXXVI. 


1 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7      8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

Gesunde 

E. 

A. 

..; 

0. 

U. 

Hebephrene       !' 

--    -  - 

1 

! 

C. 

F. 

G. 

H. 

Paralytiker 

P.    S. 

N. 

i 
1 

M. 

R. 

T. 

Die  einzelnen  Versuche  zeigen  bei  Gesunden  und  Hebephrenen 
die  gleiche  Streuung  (Tabelle  XXXIV) ;  bei  den  Paralytikem  ist 
sie  gleichfalls  wieder  Ausdruck  einer  groBeren  Schwankung  in  der 
Leistungsfahigkeit  der  Einzelnen. 

Der  Vergleich  der  beim  Aufsagen  des  Alphabets  und  der  Zahlen- 
reihe  erhaltenen  Ergebnisse  lasst  wohl  noch  einige  weitere  Schlusse 
zu.  Wahrend  sich  dort  die  zeitlichen  Durchschnittswerthe  fiir  die 
drei  Gruppen  wie  100  :  175,0  :  186,4  verhalten,  ergiebt  sich  hier  ein 
entsprechendes  Verhaltniss  von  100  :  160,1  :  156,6.  Die  Verlangerung 
dort  ist  also,  namentlich  bei  den  Paralytikem,  unverhaltnissmaBig 
groBer.  Wir  gehen  also  wohl  nicht  fehl  in  der  Annahme,  dass  die- 
selbe  in  erster  Linie  nicht  die  Folge  einer  Verlangsamung  der  Sprech- 
geschwindigkeit  ist,  sei  es  nun  der  centralen  Auslosung  der  Sprach- 


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(Jeber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  nnd  Geisteskrankcn.        649 

bewegungen,  sei  es  des  Ablaufs  der  Muskelbewegungen  selbst,  son- 
dem  durch  die  Erschwerung  des  associativen  Vorganges  bedingt  wird. 
Aphasische  Storungen  kamen  ja,  wie  friiher  schon  erortert,  in  be- 
deutenderem  MaBe  nicht  vor.  Dieselben  batten  ihren  Einfluss  bei 
dem  Aufsagen  der  Zahlenreihe  jedenfalls  in  gleichem  oder  hoherem 
Grade  geltend  machen  miissen  als  beim  Alphabet.  Fur  die  Erschwe- 
rung  des  associativen  Vorganges  bei  letzterem  sprach  schon  der  quali- 
tative Ausfall  der  Versuche.  Gerade  die  bei  dieser  Aufgabe  neben 
den  meisten  Fehlem  die  langste  Versuchsdauer  aufweisenden  Para- 
lytiker  M.  und  R.  zeigen  beim  Aufsagen  der  Zahlenreihe  nur  eine 
ganz  geringe  Verlangerung,  bezw.  sogar  eine  Verkiirzung  der  Versuchs- 
zeit  trotz  der  an  und  fiir  sich  langere  Zeit  in  Anspruch  nehmenden 
Aufgabe.  Neben  dieser  Erschwerung  der  associativen  Verbindung 
mag  auch  die  Verlangsamung  der  Sprechgeschwindigkeit  eine  gewisse 
Rolle  spielen.  Bei  T.  ist  vielleicht  die  erhebhche  Verlangerung  der 
Versuchsdauer  beim  Aufsagen  der  Zahlenreihe  zum  Theil  dadurch  be- 
dingt gewesen. 

Ein  Ueberblick  iiber  die  festgestellten  Ergebnisse  zeigt  kurz 
Folgendes:  Bei  den  Aufgaben,  das  Alphabet  und  die  Zahlenreihe 
von  1  —  50  aufzusagen,  bleibt  die  Halfte  der  Kranken  hinter  dem 
schlechtesten  Gesunden  zuriick.  Die  mittlere  Leistung  ist  bei  den 
Kranken  deuthch  niedriger;  beim  Aufsagen  des  Alphabets  stehen  die 
Paralytiker  noch  weit  hinter  den  Hebephrenen  zuriick.  Der  qualita- 
tive Ausfall  ist  bei  ihnen  auch  erhebUch  schlechter.  Die  Hebephrenen 
zeigen  keine  sehr  niedrigen,  aber  auch  keine  allzu  hohen  Zahlen  fiir 
die  Versuchsdauer,  dagegen  eine  gleichmaBige  Verschiebung  der  Scala 
nach  oben.  Bei  den  Paralytikem  kommen  neben  anscheinend  nor- 
malen  sehr  stark  verschlechterte  Leistungen  vor;  wir  finden  eine  stark 
verbreiterte  Stufenleiter.  Die  einzelnen  Paralytiker  zeigen  groBere 
Schwankungen  in  ihren  Leistungen  als  die  Gesunden  und  die  hierin 
diesen  gleichenden  Hebephrenen.  Das  Alphabet  bietet,  besonders  den 
Paralytikem,  groBere  Schwierigkeit  als  die  Zahlenreilie. 


Kraepelin,  Psych olftg.  Arbeiten.  II.  43 


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650 


Joseph  Reis. 


YI.  ZeitmessiiBgeB. 

Die  von  Romer*)  beschriebenen  Apparate  gaben  die  Moglichkeit, 
die  sonst  schwer  ausfuhrbaren  psychischen  Zeitmessungen  auch  mit 
Kranken  in  groBerem  Umfange  auf  verschiedenen  Gebieten  durch- 
zufiihren,  ohne  dass  an  die  Versuchspersonen  irgendwelche  bedeu- 
tendere  Anforderungen  bei  der  Bedienung  der  Apparate  gestellt 
wnrden.  Wahrend  also  einerseits  keinerlei  auBere  Umstande  die  Ver- 
suchsanordnung  erschwerten  oder  storten,  bot  dieselbe  andererseits 
die  Gewahr  fiir  rasches  und  sicheres  Arbeiten.  Die  von  mir  ange- 
wandte  Versuchsanordnung  war  in  der  ganzen  Versuchsreihe  die,  dass 
der  Reiz  mit  dem  optischen  Reizapparat  gegeben  wurde  und  die  in 
den  Schallschliissel  gesprochene  Antwort  die  Reaction  beendigte.  Be- 
treffs  alles  Uebrigen  muss  auf  die  angefuhrte  Arbeit  verwiesen  wer- 
den.  Die  Brauchbarkeit  der  Apparate  wird  wohl  durch  die  nachste 
Tabelle  illustrirt. 

Tabelle  XXXVH. 
(St.  M.  Stellungsmittel,  M.  Z.  Mittelzone). 


Versuchspersonen  Romer's 

A.      E. 

Wortreactionen 

St.M. 

398    398    448    450 

1 

416    463 

M.  Z.     1'        47      49      53      44 

45       52 

Bucbstabenreactionen 

St.  M.    ||      421     375    431     461 

463    485 

M.Z.    li       - 

67      81 

Es  sind  die  in  Romer's  Arbeit  angegebenen  Reactionszeiten, 
mit  einigen  in  meinen  Versuchen  gewonnenen  Werthen  vergKchen. 
Die  mit  A  gewonnenen  Zahlen,  die  bei  der  gleichen  Bildungsstufe 
desselben  mit  den  Versuchspersonen  Rom^^V  ohne  weiteres  ver- 
gleichbar  sind,  reihen  sich  vollig  in  diese  ein.  Die  Werthe  von  E. 
sind  wenig  groBer  ausgefallen.  Da  meine  Versuchspersonen  zmn 
ersten  Male  derartige  Versuclie  ausfuhrten,  und  da  die  VT'erihe  nur 
aus  je  2  X  25  Reactionen  bereclmet  sind,   die  Romer's  aus  einer 

I)  Diese  Arbeiten,  I,  S.  50(5. 


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Ueber  einfache  psychologische  Versiiche  an  Gesunden  und  Geisteskranken.        651 

groBeren  Anzahl  von  Zeitmessungen,  so  sind  die  Werthe  von  A.  iind 
E.  im  Vergleich  zu  den  iibrigen  vielleicht  noch  etwas  zu  groB. 

Der  Gang  des  Versuchs  an  einem  Versuchstage  war  folgender: 
JederVersuch  umfasste  6  verschiedene  Reactionsarten,  von  denen  je 
25  Reactionen  ausgefuhrt  wurden.  Den  Anfang  machten  Farb- 
erkennungsreactionen,  wobei  der  Reiz  durch  farbige  Papptafelchen 
gegeben  wnrde,  welche  auf  dem  optischen  Reizapparat  aufgesteckt 
waren.  Die  angewandten  Farben  dienten  in  verschiedener  Reihenfolge 
zur  Reactionsauslosung;  es  waren  blau,  schwarz,  roth,  griin,  weiB, 
gelb,  Farben,  die  alien  Versuchspersonen  gelaufig  waren.  Es  war 
nicht  moglich,  mehr  Farbentone  anzuwenden,  da  schon  die  Be- 
nennung  von  Farben  wie  grau,  braun,  lila  bedeutendere  Schwierig- 
keiten  machte.  Der  Zweck  dieser  Farberkennungsreactionen  war  in 
erster  Linie,  die  Versuchspersonen  an  die  einfache  Methodik  zu  ge- 
wohnen.  Ihnen  folgten  25  Buchstabenreactionen,  wobei  alle  Buch- 
staben  des  Alphabets  in  willkiirlicher  B;eihenfolge  als  Eeize  dienten. 
Es  wurden,  wie  auch  bei  den  iibrigen  noch  zu  beschreibenden  Ver- 
suchen,  groBe  lateinische  Druckbuchstaben  angewandt.  Die  Hohe 
der  Buchstaben  betrug  2  cm,  die  Entfemung  vom  Auge  ungefahr 
1  m.  Diesen  Reactionen  schlossen  sich  25  Wortreactionen  an;  als 
Reizworter  dienten  einsilbige  Hauptworter.  Weiterhin  f olgte  die  gleiche 
Zahl  von  Rechenreactionen,  bei  welchen  den  Versuchspersonen  die 
Aufgabe  gegeben  war,  zwei  den  Papptafelchen  in  arabischen  Ziffem 
aufgedruckte,  durch  einen  senkrechten  Strich  getrennte  Zahlen  zu 
addiren  und  als  Reaction  die  Summe  in  den  Schallschliissel  zu  sprechen. 
Als  Summanden  dienten  die  Zahlen  1 — 19,  wobei  jedoch  vermieden 
war,  dass  zwei  zweistellige  Zahlen  addirt  werden  mussten.  Den  Schluss 
der  Versuchsreihe  bildeten  zwei  Serien  von  je  25  Urtheilsreactionen. 
Die  Versuchspersonen  hatten  von  einsilbigen  Wortem  anzugeben,  ob 
dieselben  1)  etwas  Lebendes  oder  Nichtlebendes  bezeichneten,  2)  ob 
sie  ihnen  ein  angenehmes  oder  unangenehmes  GefUhl  wachriefen.  Die 
ganze  Versuchsreihe  wurde  zunachst  mit  17  Personen  an  zwei  verschie- 
denen  Tagen  durchgefUhrt.  Zwischen  den  Yersuchen  lagen  meistens 
8 — 10  Tage;  es  war  jedoch  nicht  moglich,  bei  alien  Versuchspersonen 
diesen  Zeitraum  innezuhalten. 


43* 


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652 


Joseph  Rels. 


a.    Farbreactionen. 

Tabelle  XXXVin  giebt  zunachst  die  bei  den  Farbreactionen 
gewonnenen  Werthe.  Es  ist,  wie  iiblich,  jeweils  fur  die  Reactionen 
des  ersten  und  zweiten  Tages  gesondert  das  Stellungsmittel  festgestellt 
und  aus  diesen  beiden  Zahlen  zur  Berechnung  des  Durchschnitts- 
werthes  das  arithmetische  Mittel  genommen.  Leider  konnte  die  Reac- 
tionszeit  von  G.  und  P.  nur  aus  den  Reactionen  des  zweiten  Ver- 
suchstages  erhalten  werden.  Es  waren  beide  die  ersten  Versuchs- 
personen,  mit  denen  Zeitmessungen  ausgefUhrt  wurden,  und  da  bei 
diesen  die  Versuchsbedingungen  noch  nicht  sicher  festgestellt  waren, 
dienten  zur  Reizauslosung  am  ersten  Tage  mehrere  schwer  zu  er- 
kennende  Farbtafelchen,  die  bei  den  ubrigen  Versuchspersonen  nicht 
mehr  zur  Verwendung  kamen.  Die  mittlere  Reactionszeit  ist  am 
kleinsten  in  der  Gruppe  der  Glesunden,  in  den  Gruppen  der  Hebe- 
phrenen  und  Paralytiker  um  64  und  123o  groBer.     Setzen  wir  die 

Tabelle  XXXVDI. 
Gesunde. 


Versuchspersonen 

A. 

491 

E. 
475 

J. 

0. 

U. 

Ghruppen- 
mittel 

St.M. 

628 

602 

584 

556 

I.  Tag 

M.Z. 

F.Z.0/0 

—  40) 

78 
+  38J 

—  62 

141 
+  79 

—  77 

(217 

+  170) 

0 

—  73) 

191 
+  I18( 

0 

;::  ■« 

-65 
+961  •" 

0 

8 

0   • 

l.« 

II.  Tag 

St.M. 

487 

505 

—  67) 

137 
+  70 

4 

592 

628 

499 

542 

M.Z. 

-i-  36 

—  30) 

138 
+108) 

—  36 

110 
+  74 

+81  j 
0 

;::t- 

F.Z.o/n 

0 

0 

0 

0,8 

Durch- 

schnitt 

St.  M. 

489 

490 

611 

615 

541 

549 

M.Z. 

+  38         1 

+  74 

—  53 

192 
+  139 

0 

—  54) 

{l50 
+  96) 

+78) 

F.Z.«V« 

0 

ti 

0 

0                1,2 

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Ueber  einfache  psychologische  Versiiche  an  Gesiiiiden  und  Geisteskranken.        653 
Hebephrene. 


Versuchspersonen 

B. 

C. 

D. 

F. 

G. 

H. 

Gruppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.M. 

719 

732 

1019 

641 

622 

747 

M.Z. 

— .  56 

162 
+106 

—127) 

0 

-  6SL« 

>100 
+122) 

—  45) 

|302 
+257) 

+ 

82 

176 
94 

-  76 

231 
+155 

F.Z.o/o 

0 

0 
900 

8 

8 

3,2 

n.Tag 

St.M. 

584 

592 

660 

779 

—  82) 

189 
+107 

0 

613 

689 

M.  Z. 

+  32 

;.;:i'» 

—  97) 

[253 
+156) 

—  74) 
+  72) 

+ 

>' 

+  96) 

F.  Z.  o/o 

0 

8 

0 

4 

8 

3,3 

Durch- 
schnitt 

St.M. 

651 

662 

983 

650 

779 

617 

720 

M.Z. 

—100) 
+  69) 

—  85) 

—  83 
0 

+165) 

—  82 

189 
+107 

+ 

77 

-  80 

201 
+  121 

F.  Z.  o/o 

0 

4 

6 

0 

8 

3,0 

Paralytiker. 


Versuchspersonen 

M. 

N. 

p. 

R. 

s. 

T. 

Gruppen- 
mittel 

l.Tag 

St.M. 

696 

693 

900 

800 

973 

812 

M.Z. 

—  50) 

+ 

80 ) 

::> 

—  51 

104 
+  53 

—144) 

481 
+337 

—  82 

297 
+215 

F.Z.o/o 

12 

0 

0 

4 

0 
1109 

3,2 

n.Tag 

St.M. 

662 

533 

545 

826 

793 

744 

—  91) 

237 

+146) 

M.Z. 

—  62) 

[310 
+248) 

+ 

> 

—113 

210 
+  97) 

—  91) 

269 

+178) 

—  79) 

—162) 

326 
+164) 

0 

F.  Z.  o/o 

12 

0 

0 

0 

4 

2,7 

Durch- 
schnitt 

St.M. 

679 

—  56) 

.«.  353 
+297) 

12 

+ 

613 
63) 

77r« 

545 

+  97) 

863 

796 

1041 

-153) 

403 
+250 ) 

0 

756 

—  89 

260 
+171 

M.Z. 

-  86) 

305 
+219) 

0 

-  65 
«.  148 

+  87 

4 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

2,7 

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654 


Joseph  Reis. 


Reactionszeit  der  Gesunden  =  100,  so  betragt  diejenige  der  Hebe- 
phrenen  131,15;  diejenige  der  Paralytiker  137,70.  Von  den  fiir  die 
Gruppen  berechneten  Mittelwerthen  weichen  die  Reactionszeiten  der 
einzelnen  Versuchspersonen  in  verschiedenem  Grade  ab,  wie  das 
Verhalten  der  mittleren  Schwankungsbreite  erkennen  lasst.  (Tabelle 
XXXTX.)  Dieselbe  ist  bei  den  Hebephrenen  doppelt,  bei  den  Para- 
lytikem  nahezu  dreimal  so  groB  als  bei  den  Gesunden.  Die  kiirzeste 
und  langste  Reactionszeit  der  Letzteren  stehen  einander  viel  naher,  als 
dies  bei  den  Kranken  der  Fall,  wie  aus  der  folgenden  Tabelle  zu  er- 
sehen  ist.  Bei  den  Paraljrtikem  betragt  die  langste  Reactionszeit  fast 
das  Doppelte  der  kiirzesten. 

Tabelle  XXXTX. 


Gesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

Mittlere  Schwankungs- 
breite 

Differenz  der  kiirzesten 
und  langsten  Reactions- 
zeit 

±51(9,3o/o) 
120(25,80/o) 

±  104  (14,40/o) 

±144(19,00/o) 

366  (59,3  o/o) 

496(91,00/o) 

Die  Procentzahlen  geben  an,  wie  groB  die  Differenz  der  gering- 
sten  und  besten  Leistung  jeweils  in  Procenten  der  letzteren  ist.  Von 
den  Leistungen  der  Hebephrenen  fallt  keine  innerhalb  der  Grenzen 
der  Reactionszeiten  der  Gesunden;  allerdings  schlieBt  sich  die  beste 
Leistung  ersterer  unmittelljar  an  die  schlechteste  der  Gesunden  an. 
Auch  die  drei  nachsten  folgen  in  verhaltnissmaBig  kurzen  Zwischen- 
raumen,  die  zwei  ul)rigen  jedoch  erst  in  groBem  Abstande,  wobei 
namentlich  die  letzte,  gegeniiber  der  kiirzesten  um  mehr  als  die  Halfte 
verlangerte  Reactionszeit  auf fallt.  *  Von  den  Reactionszeiten  der  Para- 
lytiker liegen  zwei  noch  innerhalb  der  Breite  der  Leistungen  der  Ge- 
sunden; die  ubrigen  folgen  in  verschiedenen  groBeren  Zwischenraumen; 
die  langste  bleibt  noch  583  hinter  der  entsprechenden  der  Hebe- 
phrenen zuriick.  Tabelle  XL  giebt  die  Reihenfolge  der  Versuchs- 
personen. 

Der  Durchschnitt  der  Gesunden  wird  von  keinem  Hebephrenen 
erreicht,   dagegen  von  einem  Paralytiker  ubertroffen,   allerdings  nur 


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Deber  einfache  psychologiscbe  Versuche  aii  Gesiindeii  uiid  Geisteskraiiken.        655 
Tabelle  XL. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

U 

15 

16 
D. 

17 
T. 

Gesunde 

A. 

E. 

U. 

J. 

la 

H. 

B. 

F. 

0. 

M. 

G. 

S. 

R 

Hebephrene 

Paralytiker 

P. 

N. 

1 
1 

um  die  auBert  geringe  Zahl  von  4  a.  Doch  da  gerade  diese  Zahl 
nur  aus  25  Reactionen  gewonnen  ist,  soil  ihr  kein  weiterer  Werth  bei- 
gelegt  werden. 

In  Tabelle  XXXVIII  ist  ferner  die  GroBe  der  Mittelzone  (M.Z.) 
angegeben,  d.  h.  der  Abstand  der  7.  und  19.  der  nach  ihrer  GroBe 
geordneten  Reactionszeiten,  wodurch  die  Streunng  derselben  in  an- 
schaulicher  Weise  dargestellt  wird.  Die  Mittelzone  zerfallt  in  zwei 
Abschnitte,  welche  die  Grenzen  wiedergeben,  innerhalb  welcher  die 
mittleren  Werthe  sich  von  dem  Stellungsmittel  nach  unten  oder  oben 
(4^)  bewegen.  Die  Streutog  ist  am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  am 
groBten  bei  den  Paralytikem;  namentlich  bei  den  letzten  derselben 
ist  sie  recht  bedeutend.  Im  Durchschnitte  betragt  die  GroBe  der 
Mittelzone  22,9;  29,3;  34,4%  der  mittleren  Reactionszeit  jeder  Gruppe. 
Wie  also  die  mittleren  Reactionszeiten  am  gleichmaBigsten  bei  den 
Gesunden,  am  verschiedensten  bei  den  Paralytikem  sind,  haben  sich 
auch  die  Reactionen  derselben  Person  am  gleichartigsten  bei  den  Ge- 
sunden gestaltet,  am  schwankendsten  bei  den  Paralytikem,  wahrend 
die  Hebephrenen  beide  Male  in  der  Mitte  stehen. 

Zur  Feststellung  der  qualitativen  Verhaltnisse  wurden  die  Reac- 
tionen aller  Versuchspersonen  auch  nach  ihrem  Inhalte  aufgezeichnet. 
Die  Procentzahl  der  Fehler  ist  ebenfalls  in  Tabelle  XXXVIII  an- 
gegeben. Bei  den  Kranken  finden  wir  eine  groBere  Zahl  von  Fehlern 
als  bei  den  Gesunden.  E.  bezeichnete  2mal  blau  als  griin,  Imal 
griin  als  blau.  F.  bezeichnete  3mal  blau  als  griin;  bei  H.  findet  sich 
der  gleiche  Fehler  4mal,  bei  C.  Imal;  dieser  erklarte  auBcrdem  Imal 
griin  fiir  gelb.  S.  bezeichnete  blau  Imal  als  grUn,  Imal  als  gelb, 
M.  2mal  schwarz  als  grau,  3mal  blau  als  griin,  Imal  roth  als  gelb. 
Bei  den  Ubrigen  Versuchspersonen  waren  alle  Reactionen  richtig. 


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656 


Joseph  Reis. 
b.    Buchstabenreactionen. 


Die  Ergebnisse  der  Zeitmessungen  bei  den  Erkennimgsreactioneii 
von  Buchstaben  finden  sich  in  Tabelle  XLI.  Die  mittiere  Reactions- 
zeit  ist  am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  bei  den  Hebephrenen  um  82, 
bei  den  Paralytikem  um  180  a  langer.  Die  Zeiten  fur  die  3  Gruppen 
stehen  im  Verhaltniss  von  100  :  113,08  :  128,87.  Bei  dieser  Aufgabe 
weichen  die  mittleren  Reactionszeiten  der  Hebephrenen  am  wenigsten 
vom  Gruppenmittel  ab;  verschiedener  sind  diejenigen  der  Gesunden, 
am  meisten  zerstreut  die  Zeiten  der  Paralytiker.  Die  mittiere  Schwan- 
kungsbreite  fur  die  3  Gruppen  (Tabelle  XLII)  bestatigt  dies.  Die 
beste  und  die  schlechteste  Leistung  der  Gesunden  stehen  weiter  von 
einander  ab  als  die  entsprechenden  der  Hebephrenen.  Die  Grenz- 
werthe  der  Paralytiker  sind  jedoch  noch  durch  einen  viel  groBeren 
Zwischenraum  getrennt.  Die  langste  Eeactionszeit  iibertrifft  die  kur- 
zeste  fast  um  das  Dreifache.    Die  Durchschnittsleistung  der  Gesunden 

Tabelle  XLI. 
Gesunde. 


Versuchspersonen 

A. 

E. 

J. 

0. 

U. 

Gruppen- 
mitUI 

I.  Tag 
U.Tag 

1| 
St.  M.           458 

487 

821 

618 

855 

648 

M.Z.     ~  ^^}  58 

+  43) 

+ 

'H  88 
46) 

—121 

302 

+  181 

20 
704 

+277 

—  25)        —156 

-".8J 
+  110 

F.  Z.  o/o           0 
St.  M.           468 

8 
482 

16 

8 
729 

!+    71 

792 

-100 

193 

+  93 

10,4 

605 

—  38) 

627 

647 

M  Z.     "  '^^l  77 
+  33 

+ 

]6 

75 
59) 

+  38 

F.  Z.  o/o          0 

+ 

8 

484 

29 

81 
52 

16 

8 

St.  M.    '      463 

762 

632 

Durch-                      —  30) 
schnitt        M.Z.      _j_37|6^ 

—  88         '—  34 

312              135 
+214)        +101 

-  55) 

I5*i 
+  103) 

1  F.  Z.  •^/o 

0 

8 

lb 

12 

4 

8.4 

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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesuiideii  iind  (ieisteskraiiken.        657 
Hebephrene. 


Versuchspersonen 

B. 

0. 

D. 

F. 

G. 

H. 

Gruppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.  M. 

768 
+190) 

643 

835 

674 

802 

679 

732 

M.Z. 

+  81) 

—  34) 

[  96 
+  62) 

—  40) 

.     >39 
+  99) 

7,;;i'- 

+380) 

—  67) 

221 
+154) 

F.  Z.  o/o 

12 

20 

8 

4 

0 

24 

11,3 

U.Tag 

St.  M. 
M.Z. 

650 

602 

871 

602 

730 
+  96 

654 

689 

—  68 

101 
+  33) 

+  84 

+308) 

—  19 

84 
+  65 

;."l- 

—  40) 

F.  Z.  o/o 

4 

0 

0 

0 

8 

16 

4,- 

St.  M. 

709 

622 

833 

638 

776 

666 

709 

Durch- 
schnitt 

M.Z. 

+111) 

—  55) 

137 

+  82) 

-Jh 

—  30) 

[112 

+  82) 

—  50 

153 
+103) 

'jy 

-   531 

F.  Z.  0/, 

8 

10 

4 

2 

4 

20 

8,0 

Paralytiker. 


Versuchspersonen 

M. 

N. 

P. 

R. 

S. 

T. 

Gruppcn- 
mittel 

I.  Tag 

St.  M. 

727 

582 

537 

1599 

663 

905 

835 

M.  Z. 

—  68 

[400 
+332) 

-18| 
+  54) 

72 

-  ''\  36 
+  18 

;::i™ 

-  ^^1  99 
+  65) 

—  80) 

—119) 

266 
+147) 

F.Z.O/, 

20 

0 

0 

60 
1173 

8 

8 

16,0 

11  Tag 

Durch- 
schnitt 

St.M. 
M.Z. 

763 

538 

546 

702 

—  47) 

127 

+  80) 

951 

—102) 

578 
+476) 

779 

-  73 

251 

+178) 

—  46j 

+  47) 

93 

-  ^^1  40 
+  14( 

-'^^99 
+105) 

-  80) 

_     230 
+150) 

6,0 

F.  Z.  o/o 

16 

0 

0 

16 

0 

4 

St.M. 
M.Z. 

745 

560 

541 

1386 

682 

928 

807 
11,0 

18 

—  32 
+  50 

82 

+  16l 
0 

—346 

.o^  535 
+  189 

38 

+  72 

—  91) 
6 

F.  Z.  o/o 

0 

4 

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658 


Joseph  Reis. 


wird  von  einem  Hebephrenen  erreicht,  von  zwei  Paralytikern  iiber- 
troffen. 

Tabelle  XLU. 


Gesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

Mittlerc  Schwankungs- 
breite 

±102(16,30/0) 

329  (71,1  o/o) 

1 

±65  (9,2  o/o) 

±  233  (28,90/o) 

Differenz  dcr  kiirzesten 

und  langsten  Reactions- 

zeit 

211  (33,9  o/o) 

845  (156,20/o) 

An  der  Spitze  aller  Versuchspersonen  stehen  zwei  Gresunde;  ihnen 
f olgen  zwei  Paralytiker,  dann  kurz  hinter  einander,  nach  einem  weiteren 
Gesunden,  drei  Hebephrene,  die  ubrigen  in  wechselnder  Reihenfolge. 
Den  Schluss  bilden  Versuchspersonen  aus  alien  drei  Gruppen;  ein 
Paralytiker  ist  allerdings  von  den  vorhergehenden  durch  den  auBerst 
groBen  Abstand  von  460  a  getrennt.  Auffallend  ist  die  bunt  durch- 
einander  gcwui'felte  Reihenfolge,  namentUch  die  groBe  Trennung  der 
Leistungen  der  Gesunden.  Tabelle  XLHI  giebt  eine  Uebersicht  liber 
(he  Reihenfolge  der  Versuchspersonen. 

Tabelle  XLIII. 


,  1 

2 

3 

4 

5 

6 
0. 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 
U. 

15 

16 

17 

Gesunde 

a.\e. 

i 

J. 

Hebephrene 

c. 

F.    H. 

B. 

G. 

!d. 

Paralytiker 

P. 

N. 

j. 

M. 

T. 

R. 

Die  Mittelzone  (Tabelle  XLI)  ist  am  kleinsten  bei  den  Gesunden, 
am  groBten  bei  den  Paralytikern.  Relativ  genommen  sind  allerdings 
cUe  Unterschiede  nicht  so  betrachthch,  indem  die  Mittelzone  25,2; 
27,5;  30,7  «/o  der  mittleren  Reactionszeit  jeder  Gruppe  betragt.  Bei 
einem  Paralytiker  zeigen  die  mittleren  Werthe  eine  geringere  Streu- 
ung,  als  dies  bei  den  besten  normalen  Leistungen  der  Fall  ist,  wah- 


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Ueber  einfacbe  psycholoj^ische  Versuche  aD  Gesunden  uiid  Geisteskranken.        659 

rend  andererseits  die  Streuung  bei  den  Paralytikem  insgesamt  wie- 
der  am  groBten  ist. 

Bei  der  Betrachtung  der  qualitativen  Ergebnisse  dieser  Aufgabe 
finden  wii*  bei  Gesunden  und  Hebephrenen  die  gleiche  Fehlerzahl, 
bei  den  Paralytikem  eine  etwas  groBere.  Die  falsch  bezeichneten 
Buchstaben  waren  bei  E.  v  und  y,  bei  J.  c,  e,  f,  v,  x,  y,  bei  0.  c, 
V,  y,  bei  U.  e  und  x.  Bei  den  Hebephrenen  wurden  folgende  Buch- 
staben nicht  richtig  erkannt:  von  B.  q,  u,  y,  von  C.  c,  i,  v,  y,  von 
D.  y  und  z,  von  F.  q,  von  G.  x  und  y,  von  U.  b,  c,  f,  v,  x,  y.  Die 
betreffenden  Buchstaben  in  der  Gruppe  der  Paralytiker  waren  bei  M. 
b,  c,  q,  V,  X,  y,  bei  R.  b,  c,  d,  e,  h,  k,  m,  n,  o,  v,  w,  x,  bei  S.  o, 
T.  c,  V,  X.  Hauptsachlich  handelt  es  sich  also  um  die  seltener  vor- 
kommenden  Buchstaben  c,  q,  v,  x,  y,  die  nicht  richtig  erkannt  worden 
sind.  Bei  den  Gesunden  kommt  auBerdem  nur  noch  einige  Male  die 
Verwechslung  von  e  und  f  vor,  was  sich  ja  leicht  aus  der  angewandten 
Schrift  erklart.  Desgleichen  sind  es  auch  bei  den  Hebephrenen  nur 
noch  wenige  Buchstaben,  die  falsch  bezeichnet  werden,  wahrend  bei 
den  Paralytikem  die  Zahl  eine  groBere  ist.  Bei  R  erreicht  die  Fehler- 
zahl fast  die  Halfte  der  ausgefuhrten  Reactionen. 

c.    Wortreactionen. 

Die  Ergebnisse  der  Zeitmessungen  bei  Wortreactionen  finden  sich 
in  Tabelle  XLIV.  Als  Reizworter  kamen,  wie  angegeben,  verschiedene 
einsilbige  Worter  zur  Anwendung.  Die  mittlere  Reactionszeit  ist  am 
kleinsten  bei  den  Gesunden,  am  groBten  bei  den  Paralytikem.  Die 
gefundenen  Werthe  verhalten  sich  wie  100  :  125,2  :  144,1.  Die  Unter- 
schiede  zwischen  den  Versuchspersonen  jeder  Gruppe  sind  wieder 
recht  betrachtliche.  Wie  bei  den  Buchstabenreactionen  zeigen  auch 
hier  alle  Hebephrenen  eine  ziemlich  gleichmaBige  Verlangerung  der 
Reactionszeit,  so  dass  die  erhaltenen  Reactionszeiten  einander  ziem- 
lich nahestehen,  im  Verbal tniss  zur  Liinge  der  Reactionszeit  sogar 
naher  als  bei  den  Gesunden.  Bei  den  Paralytikem  dagegen  finden 
sich  wieder  bald  normale  oder  kaum  verlangerte,  bald  auBerst  lange 
Reactionszeiten.  Die  mittlere  Schwankungsbreite  (Tabelle  XLV)  ist 
am  kleinsten  bei  den  Hebephrenen,  am  groBten  bei  den  Paralytikem; 
die  Gesunden  stehen  in  der  Mitte.  Die  Differenz  der  kiirzesten  und 
langsten  Reactionszeit  ubeiirifft  bei  den  Paralytikem  dementsprechend 


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660 


Joseph  Reis. 


Tabelle  XLIV. 
6esiinde. 


VersuchBpersoiien 

A. 

*  E. 

J. 

0. 

U. 

Gnippen- 
mittel 

LTag 

St.M. 

401 

457 

679 

599 

703 

567 

M.Z. 

-12. 

4-  30) 

42 

-  ^*i  44 

-h  20 

—  38) 

136 
-f-  98) 

^''    87 

+  43 

—  50) 

[l25 
-f-  75) 

8< 
+  53 

f:z.o/o 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

n.Tag 

St.M. 
M.Z. 

431 

470 

586 

559 

676 

544 

-  22 

-h  28 

50 

—  22)  ^ 

60 
+  38) 

—  38) 

}105 
-f-  67) 

—  35     _ 
88 
+  53 

-h  66) 

-  30 

80 
^  50 

F.Z.% 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Durch- 
schnitt 

St.M. 

416 

-17j 
-1-  29) 

46 

463 

633 

579 

690 

554 

M.  Z. 

;S» 

-  38 

120 

-h  82 

-  ^^1  87 
-h  48) 

-^Sii 

—  32 

83 
4-51) 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Hebephreno. 


Versuchspersonen 

B. 

C. 

D. 

F. 

G. 

H. 

Gruppen- 
mittel 

LTag 
U.Tag 

St.M. 

836 

640 

769 

629 

778 

672 

721 

M.Z. 

-'^'1.99 

h  68) 

—  36    ^ 

89 
4-  53 

4-  94) 

—  53) 
4-37) 

90 

+ 

63) 

;!:i» 

—  60) 

M13 
4-  W) 

F.Z.«V, 

8 
774 

8 

0 

0 

0 

4 

3,3 

St.  M. 

593 

771 

588 

709 

603 

673 

M.Z. 

-  50) 

[107 
-h  57) 

—  43) 

}  97 
4-  54) 

—  45) 

138 
4-  93) 

-40 

4-  43 

83 

4- 

::i- 

-  31) 

+  3«!  •" 

4-  52) 

F.  Z.  % 

4 

8 

0 

0 

0 

4 

2,6 

Durch- 
schuitt 

St.  M. 

805              616 

770 
4-  93) 

608 

743 

637 

697 

M,Z. 

—  90 

153 

4-  63 

-  ""i  93 

4-  53) 

—  47 
4-  39 

86 

4- 

34 

+•  27l 

—  53) 

+  52!"^ 

F.Z.o/0 

6 

1  ' 

0        1        0 

1 

0 

4 

3.0 

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Ueber  cinfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geisteskrankeii.        661 
Paralytiker. 


Versuchspersonen 

M. 

N. 

P. 

R. 

S. 

T. 

Gruppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.M. 

895 

083 

538 

953 

798 

1014 

812 

M.Z. 

-1-105 

—  79 

113 
+  34 

;::" 

—144 

197 
+  53 

—  92) 

200 
+1081 

—240 

321 
+  81) 

—116) 

[184 

+  68) 

F.Z.0/0 

16 

4 

4 

16 

0 

0 

6,7 

n.Tag 

St.M. 

818 

548 

525 

1023 

880 

913 

785 

M.Z. 

—102 

212 
-f-110 

+  59 

-  ^^1  62 
+  40( 

+132) 

[279 
+155) 

—115 

275 
+160) 

;.:;  - 

F.  Z.  0/0 

8 

0 

0 

4 

0 

0 

2,0 

Durch- 
schnitt 

St.M. 

852 

615 

531 

988 

839 

963 

800 

M.Z. 

+107 

—  61) 

—  20 

—119 

.«  212 
+  93 

—108) 

239 
+131 1 

—172 

298 
+126) 

-  "'  188 
+  91 

F.  Z.  0/0 

12 

2 

2 

10 

0 

0 

4,3 

diese  Werthe  der  beiden  anderen  Classen  von  Versuchspersonen,  am 
meisten  die  der  Hebephrenen.  Der  Durchschnitt  der  Gesunden  wird 
von  keinem  Hebephrenen  erreicht;  der  beste  derselben  weist  eine  um 
54  a  langere  Reactionszeit  auf .  Ein  Paralytiker  ubertrifft  die  mittlere 
Reactionszeit  der  Gesunden  um  23  a. 

Tabelle  XLV. 


Q^sunde 

Hebephrene    '     Paralytiker 

Mittlere  Schwankungs- 
breite 

±74(13,40/,) 

±76(10,90/^) 

±151  (18,80/o) 

Differenz  der  kiirzesten 
und  langsten  Reactions- 
zeit 

274(65,90/o) 

197(32,40/o) 

457(86,10/0) 

Die  kUrzeste  Reactionszeit  unter  alien  Versuchspersonen  findet 
sich  bei  zwei  Gesunden.    Darauf  folgt  ein  Paralytiker  und  in  groBe- 


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662 


Joseph  Reis. 


rem  Zwischenraum,  nachdem  noch  ein  Gesunder  sich  dazwischen 
eingeschoben,  ein  Hebephrener,  wonach  in  buntem  Wechsel  sich  Ver- 
suchspersonen  der  drei  Classen  anreihen.  VerhaltnissmaBig  rasch 
folgen  die  Hebephrenen  aufeinander,  wahrend  die  Paralytiker  den 
Schluss  bilden.    Die  nachste  Tabelle  veranschaulicht  die  Reihenfolge. 

Tabelle  XLVI. 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

Gesunde 

A. 

E. 

0. 

C. 

J. 

H. 

U. 

G. 

D. 

B. 

S. 

M. 

T. 

R. 

Hebephrene 

1 

F. 

Paralytiker 

p. 

N. 

Die  Betrachtung  der  durchschnittlichen  GroBe  der  Mittebsone 
zeigt  einen  gleichmaBigen  Ausfall  der  Reactionen  jedes  Gesunden 
oder  Hebephrenen,  eine  groBere  Streuung  der  Reactionen  des  Para- 
lytikers.  Im  Mittel  betragt  die  Streuung  15,0;  15,1 ;  23,5  %  der  mitt- 
leren  Reactionszeit  jeder  Classe.  Vier  Paralytiker  weisen  groBere 
Werthe  auf  als  alle  iibrigen  Versuchspersonen. 

Bei  den  Gesunden  finden  sich  bei  dieser  Aufgabe  keine  fehler- 
haften  Reactionen.  Bei  den  Paralytikem  ist  die  Zahl  der  Fehler 
etwas  groBer  aJs  bei  den  Hebephrenen.  Drei  von  den  letzteren  haben 
ebenfalls  alle  Worter  richtig  erkannt.  B.  las  Dram  fiir  Darm,  Kuss 
fiir  Nuss;  die  Reaction  auf  Pacht  war  falsch,  wurde  aber  wegen  un- 
deuthcher  Aussprache  nicht  verstanden.  C.  las  Pilz  fiir  Filz,  Wacht 
fiir  Pacht,  Kock  fiir  Rock,  U.  Hahn  und  Rahn  fiir  Bahn.  Unter 
den  Paralytikem  weisen  zwei  keine  Fehler  auf.  Die  falsch  gelesenen 
Worter  bei  M.  waren  PfiU  fiir  Pfiff,  Pfuhl  fur  Pult  (wohl  im  An- 
klang  an  das  vorhergehende  Pfiff),  Scharf  und  Schaf  fiir  Schaft,  E 
statt  Ei;  bei  N.  Rahn  fiir  Bahn;  bei  P.  Pracht  fur  Pacht;  bei  R. 
Pilz  fiir  Filz,  Rahn  fiir  Bahn;  auBerdem  wurde  Pfiff  falsch  gelesen, 
vom  Registrirenden  aber  nicht  verstanden.  Einzelne  Verlesungen 
kamen  zweimal  vor.  Unter  den  falschen  Reactionen  der  Hebephrenen 
sind  4  sinnlose  und  14  sinnvoUe  Worter,  unter  denen  der  Paralytiker 
7  sinnlose  und  19  sinnvoUe,  also  annahemd  bei  beiden  das  gleiche 


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Oeber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  und  Geistcskranken.        663 

Verhaltniss.  Die  Zahlen  sind  auch  zu  klein,  um  hieraus  weitere 
Schlusse  zu  ziehen.  Hier  und  da  wurden  die  Reactionen  noch  nach- 
traglich  verbessert,  so  dass  dann  die  richtige  Reaction  erfolgte,  da 
ja  das  Reizwort  nicht  sofort  wieder  aus  dem  Auge  der  Versuchs- 
person  entschwand.  Doch  wurde  hierauf  keine  weitere  Rucksicht  ge- 
nommen,  sondem  die  Reaction  zu  den  fehlerhaften  gerechnet. 

d.   Rechenreactionen. 

Diesen  drei  Arten.von  Erkennungsreactionen  schlossen  sich  Reac- 
tionen an,  in  welchen  ausgedehntere  psychische  Vorgange  zu  Zeit- 
messungen  herangezogen  wurden.  Zunachst  folgte  die  Aufgabe,  zwci 
der  Zahlen  1 — 19  zu  addiren.  Wie  schon  erwahnt,  war  vermieden, 
dass  zwei  zweistellige  Zahlen  addirt  werden  mussten.  AuBerdem 
war  darauf  Rucksicht  genommen,  dass  bei  der  Halfte  der  Additionen 
die  Summe  sich  innerhalb  desselben  Zehners  hielt,  dem  der  groBere 
Summand  angehorte  (z.  B.  3  +  5  =  8;  13  +-  6  =  19),  bei  der  anderen 

Tabello  XLVH. 
Gesunde. 


Versuchs- 
personen 

A. 

E. 

J. 

0. 

U. 

Gruppen- 
mittel 

LTag 

St.M. 

779 

771 

1731 

1475 

1038 

1162 

M.Z. 

—  60 

—  50) 

206 
+156) 

-690) 

1154 
+464 

—235 

907 
+672) 

—170) 

276 
+106) 

-241) 

547 
+306) 

F.  Z.  0/, 

8 

4 

8 

36 

0 

11,2 

ILTag 

St.M. 

773 

713 

1332 

1186 
—135) 

937 

988 

M.Z. 

—130  ^^^ 
225 
+  951 

+  79) 

—390 

766 
+376 

—  84 

194 
-f-110 

—150 

323 

+173 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

12 

36 

0 

9,6 

Durch- 
Bchnitt 

St.  M. 

776 

742 

1531 

1330 

987 

1071 

M.Z. 

-  f  |209 
+114| 

—  30 

—540) 

960 
+420) 

-185  ^^^ 
630 
+445 

—127) 

-'^^(435 
+240( 

P.  Z.  o/o 

4 

2 

10 

36 

0 

10,4 

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664 


Joseph  Reis. 
Hebephrene. 


Versuchs-       ||       -g 
personen        ,| 

C. 

D. 

F. 

G. 

H. 

Gruppen- 
mitt^l 

I.  Tag 

St.  M. 

1397 

1014 

1650 

1202 

1079 

1650 

—644) 

{923 
+279) 

1332 

—238 

540 
+302 

M.Z. 

—100) 

491 
+391) 

—  55) 

355 
+300) 

-*''  9.5 
+501 

;;:;!- 

-  ^^|l39 
+  93) 

F.  Z.  0/0 

12 

8 

8 

20 

< 

12 
1107 

16 

12,7 

n.Tag 

St.M. 

1358 

953 

1353 

991 

1165 

1155 

+287 

M.  Z. 

;;^» 

+1I6| 

+452) 

—204 

309 
+105 

24 

—127 

+  88) 

—159) 

J  787 
+628) 

F.  Z.  o/o 

12 

4 

0 

0 

20 

10,0 

Durch- 
schnitt 

St.  M. 

1377 

983 

1501 

1096 

1093 

1407 

1243 

M.  Z. 

-"M463 

+352 

+208 

+476 

—187 

363 
+176 

—  86) 

-*"'i855 
+454) 

-^««  493 
+293 

P.  Z.  o/o 

12 

6 

4 

22 

6 

18 

1 

11,3 

Paralytiker. 


Versuchs- 
personen 

M. 

N. 

P. 

R. 

S. 

T. 

Ghuppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.M. 

2130 

984 

+372 
4 

836 

1872 

1174 

-218) 

{372 
+154) 

1969 

1449 
-=*««|C97 

+331) 

M.  Z. 

;;;:i"« 

+148) 

—560 

829 
+269 

-"%033 
+323) 

F.Z.O/, 

36 

0 

20 

0 

0 

10,0 

II.Tag 

St.M. 

1900 

995 

737 

1939 

1233 

1533 

1389 

M.Z. 

—376) 

-^^^]455 
+221) 

—  47 
+  62 

+426) 

;;::i- 

—409) 

920 
+511) 

+3141 

F.  Z.  o/o 

28 

0 

0 

16 

0 

0 

7,3 

Durch- 
schnitt 

St.  M. 

2015 

989 

786 

1905 

1203 

1751 

1442 

M.  Z. 

1 

+627) 

—200) 

496 
+296) 

—  82 

187 
+  105) 

—509) 
+349) 

+199) 

+417) 

-'''  654 
+332 

8,7 

F.  Z.  o/o 

32 

2 

0 

18 

0 

0 

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Ueber  einfache  psychologische  Versnche  an  Gesunden  nnd  Geisteskranken.        665 

Halfte  jedoch  in  den  nachst  hoheren  Zehner  fiel  (z.  B.  6  +  7  =  13; 
17  +  9  =  26).  Tabelle  XLVII  giebt  die  Ergebnisse  der  Zeitmes- 
sungen  bei  dieser  Aufgabe.  Die  mittlere  Reactionszeit  ist  am  kleinsten 
bei  den  Gesunden,  am  groBten  bei  den  Paralytikem.  Die  Werthe  ver- 
halten  sich  wie  100:115,6:134,6.  Auch  hier  weichen  die  Leistungen 
der  einzelnen  Hebephrenen  am  wenigsten  von  dem  fur  die  Gruppe 
festgestellten  Mittelwerthe  ab ;  groBere  Verschiedenheit  zeigen  die  Ge- 
sunden; am  groBten  wir4  die  Ungleichheit  bei  den  Paralytikem,  bei 
denen  die  mittlere  Schwankungsbreite  (Tabelle  XLVIII)  mehr  als 
das  Doppelte  derjenigen  der  Hebephrenen  betragt.  Der  Unterschied 
der  kurzesten  und  schlechtesten  Leistung  ist  bei  diesen  geringer  als 
bei  den  beiden  anderen  Gruppen.  Bei  den  Gesunden  ist  dieser  Unter- 
schied schon  groBer  als  die  kiirzeste  Reactionszeit.  Der  Durchschnitt 
der  Gesunden  wird  von  einem  Hebephrenen  und  2  Paraljrtikem  iiber- 
troffen,  und  zwar  von  Ersterem  um  88,  von  Letzteren  um  285,  bezw.  82  o. 


Tabelle  XLVm. 


1 

Gesunde 

1 
Hebephrene        Paralytiker 

Mittlere  Schwankungs- 
breite 

±283  (26,4  o/o) 

±186(l4,9o/o) 

±449  (31,1  o/o) 

Difierenz  der  kiirzesten 
und  langsten  Reactions- 
zeit 

789  (106,3  o/o) 

518  (52,7  o/o) 

1229  (156,4  o/o) 

Von  den  zwei  besten  Leistungen,  die  Gesunden  zugehoren,  ist 
diejenige  des  ersten  Paralytikers  nur  wenig  verschieden.  Die  drei 
nachsten,  je  ein  Hebephrener,  Gesunder  und  Paralytiker,  haben  nahezu 

Tabelle  XLIX. 


1  1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

Gesunde         E. 

A. 

P. 

C. 

U. 

S. 

0. 

B. 

H. 

D. 

J. 

Hebephrene' 

IG.IF. 

1       1 

i    ! 

Paralytiker  ' 

1 

N. 

T. 

R. 

M. 

K  r  a  e  p  e  1  i  n ,  Psycbolog.  Arbeiten.  II. 


44 


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666  Joseph  Reis. 

die  gleiche  Reactionszeit,  die  allerdings  von  den  vorangehenden  durch 
einen  groBeren  Abstand  geschieden  ist.  Die  ubrigen  Hebephrenen 
folgen  in  kurzen  Zwischenraumen.  Ein  Gesunder  bleibt  in  seiner 
Leistung  sogar  hinter  dem  letzten  Hebephrenen  zuriick.  Die  langste 
Reactionszeit  weisen  wieder  Paralytiker  auf. 

Die  Mittelzone  nimmt  bei  dieser  Aufgabe  einen  betrachtlichen 
Raum  ein.  Dies  durfte  jedoch  erwartet  werden,  da  sie  bei  den 
Rechenreactionen  nicht  allein  Ausdruck  der  Aufmerksamkeitsschwan- 
kungen  bei  den  Versuebspersonen  ist,  sondem  auch  durch  die  ver- 
schiedene  Schwierigkeit  der  Rechenaufgabe  bedingt  vdrd.  Auch  hier 
stehen  wieder  auf  der  einen  Seite  Gesunde  und  Hebephrene,  auf  der 
anderen  die  Paralytiker  mit  einer  groBeren  Streuung.  Dieselbe  be- 
tragt  40,6;   39,7;  45,3%  ^^r  mittleren  Reactionszeit  jeder  Gruppe. 

Die  Fehlerzahl  erreichte  bei  den  Additionen  einen  ziemlich  hohen 
Procentsatz.  Wir  finden  hier  die  auffallende  Erscheinung,  dass  die 
Paralytiker  die  geringste  Fehlerzahl,  die  Hebephrenen  das  schlech- 
teste  Resultat  aufweisen,  wenn  auch  im  Ganzen  keine  groBen  Unter- 
schiede  vorhandcn  sind.  Dieses  Ergebniss  stimmt  vollig  mit  dem 
friihcr  bei  den  fortlaufenden  Rechenaufgaben  gefundenen  uberein.  Zur 
Erklarung  diirfcn  wir  wohl  ebenso,  wie  dort,  die  friihere  Beschaftigung 
der  Kranken  N.,  P.  und  S.  heranziehen,  die  ihren  Einfluss  noch 
geltend  machte.  Die  schlechte  Stellung  der  Gesunden  ist  durch  die 
auffallend  minderwerthige  Leistung  O.'s  bedingt,  der  36  %  Fehler 
machte,  melu-  als  irgend  eine  andere  Versuchsperson.  Auch  dieses 
stimmt  mit  dem  Ergebniss  der  fortlaufenden  Rechenaufgaben  uberein. 
Eine  Ursache  dafUr  ist  allerdings  nicht  bekannt.  Man  konnte  daran 
denken,  dass  die  Fehler  vielleicht  Folgeerscheinung  vorzeitiger  Reac- 
tionen  waren;  dagegen  spricht  jedoch  die  lange  Reactionszeit.  In 
der  iiberwiegenden  Mehrzahl  der  Falle  wird  der  Fehler  gemacht, 
dass  die  Summe  bald  um  1  zu  groB,  bald  um  1  zu  klein  ausfallt. 
Die  Hebephrenen  zeigen  eine  gleichmilBigerc  Verschlechterung  ihrer 
Leistungen.  Bei  den  Additionen,  deren  Summe  sich  innerhalb  des 
gleichen  Zehners  wie  der  groBere  Summand  befand,  kamen  Fehler 
nur  ganz  vereinzelt  vor  (bei  0.  2,  bei  H.  1,  bei  R.  1  Fehler).  Es 
kam  also  den  Ubrigen  Additionen  eine  groBere  Schwierigkeit  zu,  so- 
weit  man  bei  den  einfachen  Aufgaben  von  einer  solchen  reden  darf, 
und  zwar  machte  sich    dieselbe   bei  den  drei  Classen  von  Versuchs- 


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Ueber  einfacbe  psychologische  Yersuche  an  (iesnnden  iind  (ieisteskranken.        667 

personen  in  gleicher  Weise  geltend.  Ob  nur  .einstellige  oder  auch 
zweistellige  Zahlen  zu  addiren  waren,  war  ohne  Einfluss  auf  den 
qualitativen  Ausfall  der  Versuche.  Die  in  diesen  beiden  Arteft  von 
Additionen  gemachten  Fehler  belaufen  sich  bei  den  Gesunden  auf 
12  und  14,  bei  den  Hebephrenen  auf  15  und  19,  bei  den  Paralyti- 
kern  beide  Mai  auf  13. 

e.    Urtheilsreactionen. 

Die  funfte  und  die  letzte  Reactionsform  stellen  ebenfalls  ver- 
wickeltere  associative  Vorgange  dar.  Die  Reizworter  waren  wieder 
verschiedene  einsilbige  Hauptworter.  Die  Versuchspersonen  mussten 
angeben,  ob  dieselben  etwas  Lebendes  oder  Lebloses  bezeichneten, 
und  die  Reaction  durch  das  in  den  Schallschlussel  gesprochene  Wort 
lebend  oder  leblos  beendigen.  Diese  Reactionsform,  und  dies  gilt 
auch  in  gleicher  Weise  fUr  den  letzten  untersuchten  psychischen  Vor- 

Tabelle  L. 
Glesunde. 


Versuchspersonen 

A. 

E. 

J. 

0. 

U. 

Gruppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.M. 

872 

767 

1065 

1018 

1292 

1003 

M.Z. 

-^^209 

+148( 

—  66) 

;:::i~ 

-z\^ 

+  73 

;::!!- 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

0 

4 

24 

5,6 

n.Tag 

8t.M. 

807 

718 

867 

908 

996 

859 

M.Z. 

—  60 

193 
+133) 

-  *^|204 
+159i 

;> 

-•"|220 

+  69) 

-    92 
-h  66 

+101) 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

0       • 

0 

12 

2,4 

Dnrch- 
schnitt 

St.M. 

839 

742 

966 

963 

1144 

931 

M.Z. 

—  60) 

—  55 
+122  '" 

—  99 

215 
+116) 

-*^^!23« 

+  96 

+  69j 

-  -^^[205 
+108) 

P.  Z.  o/o 

0                  0 

i 

0 

2                18 

1 

4,0 

44* 


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668 


Joseph  Reis. 
Hebephrene. 


Versuchspersonen    ,       B. 

c. 

D. 

F. 

G. 

H. 

Gnippen- 
mittel 

I  Tag 

St.  M. 

1      1249 

1036 

1237 

969 

1154 

1181 

1138 

M.  Z. 

'—167) 

361 
+194) 

—125 

.n«   264 

+139) 

+216 

;;rj» 

-^^^|328 
+135) 

-171) 

-.203!"^ 

F.  Z.  o/o 

12 

0 

0 

8 

0 

II.  Tag 

St.  M.          1062 

974 

1274 

834 

907 

1011 

1010 

—130 

^•^^-  :+i67P^^ 

+116 

—152) 

f 

;.:i'" 

—  59) 

259 
+200 ) 

—  62) 

151 

+  99) 

-  ''  252 
+176 

F.  Z.  o/o 

4 

1 

0 

0 

8 

0 

Durch- 

schnitt 

St.  M. 

;   1155 

1015 

1255 

901 

1055 

1046 

t074 

M.Z. 

F.  Z.  o/o 

—148) 

—  83) 

211 
+128)     . 

+267) 

—  92) 

[261 
+169) 

-  ^136, 

+277) 

+117 

-'"J313 
+190( 

1      • 

0 

0 

8 

0 

Paralytiker. 


Versuchspersonen 

M. 

N. 

P. 

R. 

S. 

(Jruppen- 
mittel 

I.  Tag 

St.M. 

1867 

1075 

714 

2290 

1626 

1514 

M.Z.    1 

—367) 

«  .  643 
+276 

-^^^1285 
+139) 

—  36) 

106 
+  70) 

—326 

655 
+329 

+285| 

F.  Z.  0/0  1 

4 

4 

0 

12 
1958 

^^'^|ll33 

+774) 

0 

4,0 

II.  Tag 

St.  M. 

1743 

933 

772 

+  70( 
0 

1362 

1354 

M.Z. 
F.  Z.  0/0  ' 

—264) 

—166) 

346 
+I80) 

-^^^|360 
+226) 

-190) 

+277) 

12 

0 

4 
2124 

0 

3,2 

Durch- 
schnitt 

1 

St.  M.    ']     1805 

1004 

743 

1494 

1434 

M.  Z.      ~     '  [519 
+204 1 

-156 

315 
+159 

—  32) 

(102 

+  70 

—422)          —230) 
+C9.i"'-'+277^»^ 

;.":!- 

F.  Z.  "/„ 

8 

2 

0 

h                 0 

3,6 

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Ueber  einfache  psychoiogische  Versucho  an  (iesuiuien  und  Gcisteskranken.         669 

gang,  lieB  sich  nur  bei  5  Paralytikern  durchfuhren,  da  es  nicht  mog- 
lich  war,  bei  T.  Verstandniss  fiir  die  zu  losende  Aufgabe  zu  er- 
wecken.  Die  Ergebnisse  der  Zeitmessungen  bei  den  ubrigen  Ver- 
suchspersonen  giebt  die  vorstehende  Tabelle.  Die  mittlere  Reactionszeit 
ist  am  kleinsten  in  der  Gruppe  der  Gesunden;  die  Hebephrenen 
bleiben  um  143,  die  Paralytiker  um  503  o  hinter  diesem  Mittelwerthe 
zuriick.  Die  mittleren  Reactionszeiten  verhalten  sich  wie  100  : 1 15,36  : 
154,02. 

Die  Leistungen  der  Gesunden  und  namentlich  der  Hebephrenen 
sind  wieder  gleichartiger  als  diejenigen  der  Paralytiker,  bei  denen 
die  mittlere  Schwankungsbreite  fast  das  Vierfache  von  deijenigen 
Letzterer  betragt  (Tabelle  LI).  Die  Differenz  der  extremen  Leistungen 
ist  bei  den  Paralytikern  viel  bedeutender  als  bei  den  anderen  Klassen, 
betragt  bei  ihnen  nahezu  das  Doppelte  der  kurzesten  Reactionszeit, 

Tabelle  LL 


Gesunde 

Hebephrene 

Paralytiker 

Mittlere  Schwankungs- 
breite 

1 
±112(12,00/0) 

402  (54,2  o/y) 

±90(8,40/,) 

±448(31,20/o) 

Differenz  der  kurzesten 
und  langsten  Reactions- 
zeit 

354  (39,3 o/o) 

I381(185,90/o) 

Die  mittlere  Reactionszeit  der  Gesunden  wird  von  einem  Hebe- 
phrenen und  Paralytiker  um  37  bezw.  21 5  o  iibertroffen.  An  der 
Spitze  aller  Versuchspersonen  steht  ein  Gesunder,  gefolgt  von  einem 
Paralytiker.  Der  nachste  ist  der  Gesunde  A.;  bei  ihm  erweckten 
einige  der  Reizworter  wie  Schilf,  Baum,  Stamm,  Milz,  Fett,  Zweifel, 
ob  er  dieselben  als  Lebewesen  bezw.  functionirende  Organe  oder  als 
leblose  Gegenstande  betrachten  soUte.  Derartige  Erwagungen  tauch- 
ten  bei  den  iibrigen  Versuchspersonen,  die  weniger  an  naturwissen- 
schaftliches  Denken  gewohnt  waren  (wenn  man  bei  diesen  einfachen 
Aufgaben  von  einem  solchen  reden  darf),  kaimi  auf.  Diese  Ueber- 
legungen  A.'s  verlangerten  jedoch  einige  Reactionen  in  abnonner 
Weise,  so  dass  sich  ein  groBeres  Mittel  ergab  und  seine  Stellung  in 
der  Reihe  der  Versuchspersonen  etwas  verschlechtert  wurde.     Nach 


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670 


Joseph  Reis. 


A.  folgt  der  erste  Hebephrene,  dann  zwei  weitere  Gesunde,  ein  Para- 
lytiker,  dann  in  nahezu  geschlossener  Reihenfolge,  nur  den  letzten 
Gesunden  in  ihrer  Mitte,  alle  Ubrigen  Hebephrenen.  Paralytiker 
weisen  auch  bei  dieser  Reactionsart  die  langsten,  hinter  alien  ubrigen 
weit  zuriickstehenden  Reactionszeiten  auf.  Die  nachste  Tabelle  giebt 
die  Uebersiclit  Uber  die  Reihenfolge  der  Versuchspersonen. 

Tabelle  LII. 


'l  1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 

9 

10    11 

12 

13 

14 

15 

16 

Gosunde 

E. 

— 

A. 

F. 

0. 

J. 

N. 

c. 

H. 

G. 

U. 

B. 

D. 

S. 

M. 

R. 

Hebephrene 

Paralytiker 

P. 

• 

Die  GroBe  der  Mittelzone  wachst  von  den  Gesunden  zu  den 
Paralytikem;  sie  betragt  in  den  drei  Classen  22,2;  29,1;  35,7%  ^^^ 
mittleren  Reactionszeit.  Nur  bei  je  einem  Kranken  aus  beiden  Gruppen 
ist  die  Streuung  nicht  groBer  als  bei  den  Gesunden  (Tabelle  L). 

Betrachten  wir  den  qualitativen  Ausfall  dieser  Urtheilsreactionen, 
so  sind  selbst  diese  Reactionen  bei  den  Gesunden  nicht  allenthalben 
richtig  ausgefallen.  Der  von  0.  gemachte  Fehler  ist  vielleicht  auf 
Versprechen  zuriickzufUhren;  bei  U.  findet  sich  dagegen  eine  groBere 
Zalil  falscher  Urtheilsbildungen.  Die  Aufzahlung  derselben  kann 
unterbleiben,  da  sie  kein  weiteres  Interesse  darbietet.  Von  den  Hebe- 
phrenen hatte  G.  kein  richtiges  Verstandniss  fUr  die  gestellte  Auf- 
gabe,  indem  er  alles  als  lebend  bezeichnete.  Man  konnte  der  Meinung 
sein,  dass  er  eben  aufs  Gerathewohl  ohne  jede  Ueberlegung  und  ohne 
jede  Riicksicht  auf  die  Reizworter  mit  lebend  reagirte;  dagegen  spricht 
jedoch  die  Lange  der  Reactionszeit,  die  sich  vollig  in  den  Rahmen 
der  ubrigen  einfUgt.  Bei  B.  und  D.  finden  sich  einige  falsche  Reac- 
tionen, ebenso  bei  den  Paralytikem  M.,  N.  und  R.  In  Anbetracht 
des  Ausfalls  der  Leistung  G.'s  und  des  Fehlens  des  Versuchs  von 
T.  miissen  wir  von  der  Berechnung  einer  mittleren  Fehlerzahl,  die 
init  den  bei  den  anderen  Reactionsarten  gefundenen  gleichzustellen 
ware,  absehen. 


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Ileber  cinfache  psychologische  Versuche  an  Gesuudeu  iind  Geisteskraiiken.        671 

Es  eriibrigt  noch  die  Betrachtung  der  Ergebnisse  der  letzten 
Reactionsart,  wobei  den  Versuchspersonen  die  Aufgabe  gestellt  war, 
anzugeben,  ob  das  Reizwort  bei  ihnen  ein  angenehmes  oder  unan- 
genehmes  Gefiihl  wachrief.  Als  Reizworter  dienten  ebenfalls  verschie- 
dene  einsilbige  Hauptworter;  die  Reaction  wui*de  durch  das  in  den 
Schallschliissel  gesprochene  Wort  angenehm  oder  unangenehm  beendigt. 
Tabelle  LITE  giebt  das  Resultat  der  Zeitmessungen.  Die  mittlere 
Reactionszeit  war,  wie  bei  alien  ubrigen  untersuchten  Reactionsformen, 
am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  am  groBten  bei  den  Paralytikem. 
Die  beiden  Gruppen  der  KLranken  weisen  eine  um  241  bezw.  446  o 
langere  Reactionszeit  auf  als  die  Gesunden.  Die  Zeiten  verhalten 
sich  wie  100  :  127,30  :  150,69.  Die  Abweichung  der  Reactionszeiten 
der  einzelnen  Versuchspersonen  von  diesen  Mittelwertlien  ist  in  der 
Gruppe  der  Hebephrenen  sowohl  an  sich  wie  verhaltnissmaBig  am 
geringsten.  Die  mittlere  Schwankungsbreite  ist  bei  ihnen  weit  ge- 
ringer  als  bei  den  beiden  anderen  Klassen  (Tabelle  LIV).    Nament- 


Tabelle  LDI. 
Gesunde. 


Versnchspersonen 

A. 

E. 

J. 

0. 

U. 

Gnippen- 
mittel 

I.  Tag 

8t.M. 

736 

702 

1009 

1033 

1025 

901 

M.  Z. 

+  47 

—  68 
+  96 

—  88) 

275 

+  187) 

+152 

—1211 

479 
+358 1 

;:::i- 

F.  Z.  o/o 

0 

8 

0 

4 

0 

2,4 

823 

n.  Tag 

St.M. 

654 

702 

778 

924 

1059 

M.Z. 

-  ''I  n 

+  44) 

+203) 

—  48) 

—124 

397 
+273 

-179) 

244 
+  65) 

0 

—  92( 
+  U5P^^ 

0,8 

F.  Z.  o/o 

0 

0 

0 

4 

St.  M. 

695 

702 

893 

978 

1042 

862 

Durch- 
schnitt 

M.  Z. 

-  ^^i  90 
+  45) 

;.::i- 

—  68 

232 

+164) 

"^^^|381 
+212) 

—150) 

361 

+211) 

—101 

257 
+156 

F.Z.o/0 

0 

4 

0 

4 

0 

1,6 

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t>72 


Joseph  Rels. 
Hebephrene. 


Versuchspersonen 

B. 

0. 

D. 

h\ 

G. 

H. 

1087 

Gnippen- 
mittel 

1156 

I.  Tag 

St.  M. 

1264 

1096 

1256 

1066 

1164 

M.Z. 

4-304) 

4-145 

-  "Il65 
+154J 

-"^{452 
4-320 

;:"!"■ 

—  61) 

—113) 

335 
4-222 

F.  Z.  o/o 

4 

16 

0 

0 

0 

0 

3,3 

U.  Tag 

St.  M. 

1007 

998 

1305 

863 

1112 

1006 

1048 

M.  Z. 

F.  Z.  o/„ 

;;::i- 

;:::i- 

-^'409 
4-318 

-  «*il4» 

4-  85) 

;;:!- 

-  «^(2.9 
4-137 

—  98) 

J257 
4-159) 

16 

12 

8 

0 

0 

0 

6,0 

Durch- 
schnitt 

St.M. 

1135 

1047 

1280 

964 

1138 

1046 

1103 

M.Z. 

-115) 

357 
4-242) 

-^^^{293 

4-124) 

-J> 

—  98) 

300 
4-202 

—132) 

298 
4-166) 

;,«!» 

;;:- 

F.  Z.  0/,  : 

10 

14 

4 

0 

0 

0 

4,6 

Paralytiker. 


Versuchspersonen 
St.M. 

1 

M. 

1588 

N. 
1022 

P. 
793 

R. 
1925 

S. 
1361 

.-_-  -—    - 

Gruppen- 
mittel 

1338 

I.  Tag 

M.Z. 

4-317 

—  178 

313 
4-135 

0 

—  82) 

178 
4-  96) 

—381 

744 
4-363 

—156 

465 

4-309 

—207) 

F.  Z.  o/o 

36 

0 

8 

0 
1381 

8,8 

St.M. 

1577 

839 

680 

1920 

1279 

U.Tag 

M.Z. 

-^"1477 
4-190) 

-  ''il62 
4-110) 

;!a- 

-312  _^ 
627 
4-315 

—233) 
+.99l«^ 

—219) 

389 
+170) 

F.Z.00 

8 

0 

0 

12 

0 

4,0 

St.  M. 

1582 

930 

736       j      1922 

1371 

1308 

Durch- 
schnitt 

M.Z. 

F.  Z.  0/0 

—263 

516 
4-253) 

0 

—147)        -346 

213             685 
4-  66         4-339) 

4-254) 

+207l«" 

22 

0        j        10 

0 

M 

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Ueber  einfache  psychologische  Versucbe  an  Gesunden  uiid  Geisteskrauken.        673 

lich  die  Leistungen  der  Paralytiker  sind  wieder  ungleichmaBig.  Die 
Differenz  der  besten  und  schlechtesten  Leistung  ist  bei  ihnen  auBer- 
ordentlich  groB. 

Tabelle  LIV. 


'       G^sunde 

Hebephreno 

Paralytiker 

Mittlere  Schwankungs- 
breite 

±131(15,20/0) 

db66(5,00/y) 

±380  (29,1  o/o) 

Differenz  der  kurzesten 

und  langsten  Reactions- 

zeit 

347  (50,0  o/o) 

316  (32,8  o/o) 

1186  (16,1  o/o) 

Die  Durchschnittsleistung  der  Gesimden  wird  von  keinem  Hebe- 
phrenen  erreicht,  von  einem  Paralytiker  um  1 32 a  iibertroffen.  Die 
kiirzeste  Reactionszeit  findet  sich  bei  den  Gesunden  A.  irnd  E.  A. 
ist  bei  diesen  Associationen  wieder  an  die  erste  Stelle  geriickt;  dies 
spricht  dafiir,  dass  die  Erklarung  der  Verschlechterung  seiner  Leistung 
bei  der  vorhergehenden  Aufgabe  wohl  das  Bichtige  getroffen.  An 
diese  Gesunden  schlieBt  sich  der  erste  Paralytiker.  Der  erste  Hebe- 
phrene  nimmt  die  sechste  Stelle  ein.  An  die  letzten  Gesunden  reihen 
sich  in  geschlossener  Folge  die  iibrigen  Hebephrenen;  den  Schluss 
machen  wie  immer  die  Paralytiker.  Folgende  Tabelle  veranschau- 
licht  dies. 

Tabelle  LV. 


\' 

2 

3 

4 

J. 

5 

6 

7 
U. 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

Gesunde           A. 

K' 

0.; 

1 

Hebephrene  | 

E. 

.H. 

C.    B.    G. 

D. 

Paralytiker    ' 

P. 

1 

N. 

i 

1       '      1 

S. 

M.  R. 

Die  Betrachtung  der  Mittelzone  ergiebt  die  gleichen  Verhalt- 
nisse  wie  diejenige  der  Reactionszeiten.  Im  Verhaltniss  zur  Lange 
dieser  ist  allerdings  der  Unterschied  in  der  GroBe  der  Streuung  nicht 


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674 


Joseph  Reis. 


sehr  betrachtlich.  Aber  auch  hier  ist  dieselbe  bei  den  Hebephrenen 
am  geringsten,  bei  den  Paralytikem  am  groBten.  Sie  betragt  29,6; 
26,7 ;  32,1  %  der  jeweiligen  mittleren  Reactionszeii 

Der  qualitative  Ausfall  der  Versuche  ergiebt  die  geringste  Zahl 
falscher  Urtheile  bei  den  Gesunden,  die  groBte  bei  den  Paralytikem, 
wahrend  die  Hebephrenen  die  Mitte  einnehmen.  In  alien  Gruppen 
finden  sich  fehlerlose  Leistungen.  — 

Ein  Vergleich  der  fUr  die  verschiedenen  Reactionen  erbaltenen 
Zeiten  gestattet,  zu  untersuchen,  ob  nicht  der  im  Gehim  sich  ab- 
spielende  Krankheitsvorgang  die  einzelnen  psychischen  Leistungen 
in  verschiedenem  Grade  beeinflusst  hat.  Es  liegt  die  Moglichkeit 
vor,  dass  die  zerstorende  Wirkung  der  Krankheit  auf  einzelnen  6e- 
bieten  starker  als  auf  anderen  zum  Ausdruck  gekommen  ist  Die 
Aenderung  kann  in  den  beiden  untersuchten  Gruppen  von  Kranken 
in  gleicher  Richtung  gewirkt  haben,  oder  es  kann  bei  Hebephrenie 
und  Paralyse  eine  verschiedene  elective  Wirkung  festzustellen  sein. 
In  der  folgenden  Tabelle  sind  nochmals  die  mittleren  Reactionszeiten 
fiir  die  drei  Gruppen  von  Versuchspersonen  zusammengestellt  und  die 
Leistungen  der  Kranken  im  Procentverhaltnisse  zu  denjenigen  der 
Gesunden  angegeben. 


Tabelle  LVI. 


Gosundo 

Hebephrcne 

Paralytiker 

I 

Farbreactionen 

549  fj 

627 

554 

(100) 
(100) 

(100) 

720  <r 

709 

697 

(131,2) 

756  <r 

(137,7) 
(128,9) 

Buch8tal)enreacti()neii 

(113,1) 

807 

Wortreaotionen 

(125,2) 
(115,1) 

799 

(144,1) 

n 

Additionsreactioncn 

1071 

(100) 

(100) 

1243 

1442 
1434 
1308 

(134,6) 

Uriheilsreactionen  I. 

931 

1074 
1103 

(115,6) 

(127,3) 

(154,0) 

(150,7) 

Urthcilsreactionen  U. 

862 

(100) 

Unter  diesen  Reactionen  lassen  sich  zwei  Gruppen  unterscheiden. 
Die  erste  umfasst  diejenigen,  bei  welchen  es  sich  um  die  Auffassung 
eines  Eindnicks:  einer  Farbe,    eines  Buchstaben  oder  eines  Wortes, 


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Ueber  einfache  psychologiscbe  Versucbe  an  Gesunden  uiid  Geistcskranken.        675 

handelt;  die  zweite  umschlieBt  Beactionen,  bei  denen  zur  Auffassung 
verschiedener  Eindriicke  noch  ein  weiterer  associativer  Vorgang,  die 
Addition  zweier  Zahlen  oder  eine  Urtheilsbildung  hinzukommt.  Dem- 
entsprechend  konnen  wir  auch  die  Reactionszeiten  zu  zwei  Gruppen 
zusammenfassen.  In  Tabelle  LVII  ist  der  Unterschied  der  kiirzesten 
und  langsten  Reactionszeit  in  jeder  dieser  zwei  Reactionsgruppen 
und  die  Differenz  der  langsten  Reactionszeit  der  ersten  und  dem  kiir- 
zesten Beobachtungswerthe  der  zweiten  angegeben.  Letzterer  Abstand 
ist  am  kleinsten  bei  deji  Gesunden,  bedeutender  bei  den  Hebephrenen 
imd  noch  groBer  bei  den  Paralytikem. 

Tabelle  LVH. 


Diflferenz  von  Mini- 
mum u.  Maximum 
in  Gruppe  I 

Differenz  von  Mini- 
mum u.  Maximum 
in  Gruppe  II 

Differenz  vom  Maxi- 
mum in  Gruppe  I  zum 
Minimum  in  Gruppe  11 

Gesunde        j               78 

203 

235 

Hebephrene  ]                23 

169 

354 

Paralytiker                    51 

134 

501 

Die  Differenz  zwischen  den  Zeiten  der  ersten  Gruppe  ist  wenig 
betrachtlich.  Bei  den  Gesunden  und  Paralytikem  ist  die)  Earb- 
reactionszeit  am  kiirzesten,  bei  den  Hebephrenen  die  Wortreactions- 
zeit.  Die  Buchstabenreactionszeit  ist  in  den  3  Klassen  der  Ver- 
suchspersonen  etwas  groBer  als  die  Wortreactionszeit.  Bei  den  Ad- 
ditionsreactionen  erf ordert  der  hinzutretende  Associationsvorgang  einen 
langeren  Zeitraum,  der  bei  den  Paralytikem  und  Hebephrenen  nahezu 
gleich  und  relativ  nicht  groBer  ist  als  bei  den  Gesunden.  Bei  den 
Urtheilsreactionen  verursacht  aber  der  neue  Associationsvorgang  bei 
den  Paralytikem  eine  bedeutendere  Verlangerung  der  Reactionszeit 
als  in  den  beiden  anderen  Classen.  Dieselbe  ist  auch  bedeutender 
als  bei  den  iibrigen  untersuchten  VorgS,ngen,  wie  dies  aus  Tabelle  LVl 
hervorgeht.  Dabei  fallt  noch  erschwerend  ins  Gewicht,  dass  mit  T. 
iiberhaupt  keine  Urtheilsreactionen  ausgefiihrt  werden  konnten. 

Nachdem  wir-  schon  friiher  festgestellt  haben,  dass  alle  Reac- 
tionen  bei  den   Paralytikem  den   langsten  Zeitraum  beanspmchen, 


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676 


Joseph  Reis. 


die  Reactionszeiten  der  Hebephrenen  ebenfalls  hinter  denjenigen  der 
Gesunden  zuriickbleiben,  linden  wir  bier  nocb  besonders,  dass  nament- 
lich  der  associative  Vorgang  der  Urtheilsbildung  bei  den  Paralytikem 
in  hoherem  Grade  beeinflusst  ist  als  die  iibrigen  Eunctionen.  Bei 
den  Hebephrenen  ist  ein  starkerer  Unterschied  in  der  Veranderung 
der  verschiedenen  in  Anspruch  genommenen  Functionen  nicht  nach- 
weisbar. 

Auch  die  nachste  Tabelle  zeigt,  dass  der  hochste  Grad  der  Ver- 
langerung  der  Reactionszeit  sich  bei  den  Urtheilsbildungen  der  Para- 
lytiker  findet.  Es  ist  jeweils  die  DifEerenz  der  besten  und  der  ge- 
ringsten  Leistung  in  Procenten  der  ersteren  fiir  jede  Reactionsart 
zusammenfassend  angegeben.  Die  Zahlen  sind  bei  den  Urtbeilsreac- 
tionen  der  Paralytiker  am  groBten.  Zwar  besteht  auch  bei  den  Ad- 
ditionen  ein  bedeutender  Unterschied,  aber  er  ist  bei  dieser  Reactions- 
art  auch  fiir  Gesunde  und  Hebephrene  in  ahnlicher  Weise  nachweisbar. 

Tabelle  LVHI. 


Farbrcactioncn 

Diffcrenz  der  bosten  und  schlechtesten  Leistung 

Gesunde          Hebephrene 
126 ff  (25,80/o)l  366 <r    (59,3o/o) 

Paralytiker 
496  <r   (91,00/o) 

Buchstabenreactionen 
Wortroac'tionen 

329    (71,1) 

211 

(33,9) 

845     (156,2) 

274    (65,9) 

197 

(32,4) 

457       (86,1) 
1209     (156,4) 
1381     (185,9) 

161,1  (1186) 

Additionsreactionen 

789  (106,3) 

518 

(52,7) 

Urtheilsreactionen  I    ! 
Urtheilsreactionen  11  ' 

402     (54,2) 

354 

(39,3) 

347     (50,0) 

316 

(32,8) 

Als  wichtigstes  Ergebniss  der  Zeitmessungen  diirfen  wir  wohl 
hervorheben,  dass  hier  der  Beweis  fiir  die  Moglichkeit  der  exacten 
Durchfiilirung  solcher  Versuche  an  Geisteskranken  geliefert  ist.  Die 
fiir  die  Gruppen  berechneten  mittleren  Reactionszeiten  sind  durchweg 
am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  am  langsten  bei  den  Paralytikem, 
wiilirend  die  Hebephrenen  immer  in  der  Mitte  stehen.  Die  Hebe- 
phrenen zeigen  eine  gleichmaUige  Verlangerung  der  Reactionszeiten; 


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Ueber  einfache  psycholo^ische  Versuche  an  Gesunden  uud  Geisteskraitken.        677 

personliche  Verschiedenheiten  hoheren  Grades  finden  sich  bei  ihnen 
nicht.  Die  Differenz  der  besten  und  schlechtesten  Leistung  sowie 
die  mittlere  Variation  sind  meist  sowohl  absolut  wie  relativ  geringer 
als  bei  den  Gesunden.  Die  Paralytiker  zeigen  unter  einander  die 
groBten  Unterschiede ;  bei  ihnen  finden  sich  noch  mehr  in  den  Rahmen 
des  Normalen  fallende  Leistungen  als  bei  den  Hebephrenen,  sogar 
noch  einzelne  sehr  gute.  Andere  Kranke  zeigen  dagegen  eine  auBer- 
ordentliche  Abnahme  der  Leistungsfahigkeit ,  weit  starker  als  die 
Hebephrenen.  Der  Abstand  der  extremen  Leistungen  und  die  mitt- 
lere Schwankungsbreite  in  der  Gruppe  der  Paralytiker  sind  daher 
absolut  und  relativ  sehr  groB.  Die  Urtheilsreactionen  der  Paralytiker 
zeigen  eine  starkere  Verlangerung  als  die  ubrigen  untersuchten  Func- 
tionen,  wahrend  bei  den  Hebephrenen  die  Verlangerung  alle*  unter- 
suchten Vorgange  ziemlich  glcichmaBig  betrifft.  Die  Mittelzonen  sind 
am  kleinsten  bei  den  Gesunden,  am  groBten  bei  den  Paralytikem, 
woraus  wir  auf  groBere  Schwankungen  in  der  Leistungsfahigkeit  der 
Paralytiker  schlieBen  durfen.  Die  Mittelzonen  der  Hebephrenen 
stehen,  relativ  genommen,  denjenigen  der  Gesunden  sehr  nahe,  wenn 
sie  dieselben  auch  absolut  iibertreffen.  Der  qualitative  Ausfall  der 
Versuche  gestattet  nicht,  irgend  welche  bestimmten  Schlussfolgerungen 
zu  Ziehen. 


VII.  Uebang  and  Ermildiing. 

Im  Laufe  der  Besprechung  der  Versuche  war  wiederholt  Ge- 
legenheit  gegeben,  auf  die  psychischen  Grundeigenschaften  hinzu- 
weisen.  Einige  andere  Versuche  wurden  noch  zu  dem  Zwecke  unter- 
nommen,  festzustellen,  in  wie  weit  Uebung  und  Ermiidung  auf  den 
Ausfall  der  Versuche  von  Einfluss  waren,  ob  sich  in  diesen  Eigen- 
schaften  vielleicht  Unterschiede  fur  die  verschiedenen  Classen  von 
Versuchspersonen  ergeben  wurden. 

Wir  konnen  zunachst  an  der  Hand  der  Auffassungsversuche 
diese  Verhaltnisse  naher  zu  beleuchten  suchen.  Tabelle  LIX  giebt 
eine  Uebersicht  Uber  das  Verhalten  von  richtigen  Lesungen,  Fehlem 
und  Auslassungen  an  den  verschiedenen  Versuchstagen  und  damit 
einen  Einblick  in  die  Wirkungen  der  Uebung.  Die  Ergebnisse  ver- 
schiedencr  Spaltweiten  sind  dabei  fur  jede  Trommel  zusammengefasst 


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678 


Joseph  Reis. 
Tabelle  LIX. 


Trommel  A 

Trommel  C 

r 

r 

1 

E. 

l.Tag 
2.  Tag 

97,7 
98,9 

97,8 
99,3 

J. 

l.Tag 
2.  Tag 

96,6 
93,8 

90,2 
94,5 

1 

B. 

l.Tag 

2.  Tag 

3.  Tag 

56,5 
57,5 
61,1 

46,5 
63,2 

C. 

l.Tag 

2.  Tag 

3.  Tag 

81,2 

88,7 
92,0 

81,7 
72,2 
95,0 

P. 

l.Tag 
2.  Tag 

l.Tag 
2.  Tag 

97,0 
71,6 

52,0 
62,4 

Or. 

80,7 
73,5 

71,3 
30,4 

K. 

l.Tag 
2.  Tag 

94,8 
96,4 

93,7 
94,3 

L. 

l.Tag 
2.  Tag 

77,1 
91,6 

} 

M. 

l.Tag 

2.  Tag 

3.  Tag 

50,7 
49,9 
36,4 

77,7 
76,5 

N. 

l.Tag 
2.  Tag 

P. 

l.Tag 

2.  Tag 

3.  Tag 

98,1 
98,2 
99,2 

75,9 
89,5 
91,3 

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Ueber  einfache  psychologische  Versuche  an  Gesunden  uod  Geisteskranken.        679 

und  nur  diejenigen  Versuche  beriicksichtigt,  bei  welchen  die  Versuchs- 
anordnung  an  den  zu  vergleichenden  Tagen  ubereinstimmte.  Bei  den 
Versuchen  von  E.,  J.  nnd  P.  mit  Trommel  A  und  C  und  den  Ver- 
suchen  von  B.,  C,  G.  und  P.  mit  letzterer  Trommel  war  am 
zweiten  und  dritten  Tage  die  Reihenfolge  der  verschiedenen  Spalt- 
weiten,  mit  welchen  gelesen  vmrde,   umgekehrt  wie  am  ersten  Tage. 

Die  Betrachtung  dieser  Verhaltnisse  lasst  nicht  mit  Sicherheit 
einen  Unterschied  zwischen  den  Gruppen  der  Versuchspersonen  er- 
kennen.  Mit  Ausnahme  der  Versuche  G.'s  und  derjenigen  P.'s  mit 
Trommel  A  ist  bei  alien  Hebephrenen  eine  Besserung  der  Leistung 
im  Laufe  der  Versuchstage  festzustellen.  Dieselbe  ist  jedoch  recht 
verschieden  und  erreicht  im  allgemeinen  bei  Trommel  C  einen  hoheren 
Grad.  Dies  erklart  sich  leicht  aus  dem  Umstande,  dass  das  Lesen 
sinnloser  Silben  eine  weniger  geiibte  und  ungewohntere  Aufgabe  dar- 
stellt,  als  das  Lesen  von  Wortem.  Bei  den  Paralytikem  M.  und  N. 
findet  sich  jedenfalls  keine  Besserung.  P.  zeigt  einen  Fortschritt  bei 
Trommel  C,  wahrend  seine  Leistung  bei  Trommel  A  sich  ja  iiberhaupt 
nahe  der  oberen  Auffassungsgrenze  befindet. 

Bestimmte  Aenderungen  im  Verhaltniss  von  Fehlem  und  Aus- 
lassungen  im  Verlauf  der  Versuche  sind  nicht  erkennbar. 

Wie  weit  Debung  und  Gewohnung  an  einer  vorhandenen  Bes- 
serung der  Leistungen  Antheil  haben,  ist  nach  diesen  Versuchen  nicht 
festzustellen,  da  nur  einige  Uber  mehr  als  zwei  Tage  ausgedehnte 
Versuchsreihen  vorliegen  und  die  Hohe  der  Anfangsleistung  bei 
den  Versuchspersonen  zu  verschiedenartig  ist.  Dazu  kommt,  dass  der 
Wechsel  der  Spaltweiten  die  Beurtheilung  ofters  erschwert.  So  weit 
es  moglich  war,  wurden  die  an  einem  Versuchstage  gelesenen  Trom- 
meln  ebenfalls  mit  einander  verglichen,  aber  auch  hierbei  hat  sich 
kein  sicheres  Resultat  ergeben. 

Einen  naheren  Einblick  in  die  Gestaltung  des  Auffassungsvor- 
ganges  an  den  verschiedenen  Tagen  konnen  wir  uns  noch  durch  die 
Betrachtung  der  Fehler  zu  verschaffen  suchen.  Folgende  Tabelle 
giebt  liber  die  Zahl  der  sinnlosen  Verlesungen  im  Verhaltniss  zur 
G^sammtzahl  der  Verlesungen  an  jedem  Versuchstag  Aufschluss. 

Bei  den  Gesunden  imd  alien  Hebephrenen  mit  Ausnahme  L.'s 
treten  an  Stelle  eines  Theiles  der  sinnlosen  sinnvoUe  Verlesungen. 
Es  macht  sich  das  Bestreben  geltend,  auch  unvollkommen  aufgefasste 


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680 


Joseph  Reis. 


Reize  der  Aufgabe  entsprechend  sinnvoU  wieder  zu  geben.  Bei  den 
Paralytikem  ist  eine  solche  Neigung  nicht  erkennbar;  es  werden  im 
Gegentheil  an  den  spateren  Versuchstagen  gewohnlich  mehr  sinnlose 
Lesungen  geliefert. 

Tabelle  LX. 


Gesunde 

Bebephrene 

Paralytiker 

[E. 

J. 

B. 

c. 

F. 

G. 

K. 

L. 

M. 

N. 

P. 

l.TagO/, 

15,4 

16,8 

3,7 

20,1 
22,3 

21,6 

17,6 

74,4 
40,0 

8,9 
13,0 

18,3      5,9 

6,2 
23,1 

2.TagO/o 

0 

9,1 

0 

15,6 

13,2 

16,9 
20,4 
23,1 

15,6 

0 

20,0 

13,3 

4.TagO/o 

0 

19,5 

Wenngleich  es  nach  dem  Ergebniss  friiherer  Versuche  bekannt 
war,  dass  die  discontinuirlichen  Arbeitsmethoden  zur  Untersuchung 
der  personlichen  Grundeigenschaften  nicht  gerade  geeignet  sind,  war 
es  doch  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  auch  bei  dieser  Art  der 
Arbeit  die  Uebung  und  namentlich  die  Ermiidung  ihre  Wirkung  auf 
die  weniger  widerstandsfahige  Organisation  der  Kranken  geltend 
mache.  Zur  Feststellung  yon  UebungseinflUssen  wurden  deshalb  wei- 
tere  Zeitmessungen  ausgefiihrt,  und  zwar  auBer  den  friiher  besproche- 
nen  noch  an  3  Tagen  je  25  Wortreactionen  und  25  Urtheilsreactionen 
der  zweiten  Art.  Dazu  kamen  femer  eine  Reihe  von  300  und  eine 
solche  von  25  Additionsreactionen  an  zwei  Versuchstagen.  Kurz  sei 
noch  darauf  hingewiesen,  dass  bei  der  Wiederholung  der  6  Reactions- 
formen  am  zweiten  Tage  bei  den  Gesunden  23  von  30  mittleren 
Reactionszeiten  eine  Verkiirzung,  7  eine  Verlangerung  zeigten;  bei 
den  Hebephrenen  standen  unter  36  vergleichbaren  Zeiten  30  verkiirz- 
ten  6  verlangerte,  bei  den  Paralytikem  unter  34  22  verkiirzten  1 2  ver- 
langorte  gegeniiber.  Da  jedoch  nur  eine  einmalige  Wiederholung  des 
ganzen  Versuchs  vorliegt,  bei  einer  solchen  aber  ZufalUgkeiten  doch 
immerhin  einen  nicht  unbetrachtlichen  Einfluss  haben  konnen,  soUen 
hieraus  keine  weiteren  Schliisse  gezogen  werden.  Tm  Ganzen  ent- 
spricht  es  zwar  der  Erwartung,  dass  die  Paralytiker  den  geringsten 
Uebungsfortschritt  zeigen. 


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Ueber  einfache  psyehologisehe  Versnebe  an  (iesiinden  und  Geisteskrankeu.        681 
Tabelle  LXI. 


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OS 

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OS 

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Kraepelin,  Paycholog.  Arbeiten.  II. 


45 

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682  Joseph  Reis. 

Die  Ergebnisse  der  an  den  weiteren  Versuchstagen  ausgefuhrten 
Wortreactionen  werden  in  der  Tabelle  LXT  wiedergegeben.  Wir 
finden  bei  den  3  Classen  der  Versuchspersonen  eine  langsam  fort- 
schreitende  Besserung  der  Leistung,  die  durchschnittlich  am  vierten 
Tag  eine  ziemlich  constante  GroBe  erreicht. 

Der  Uebungsfortschritt  ist  am  groBten  bei  den  Gesunden,  am 
kleinsten  bei  den  Paralytikem.  Die  Hebephrenen  stehen  den  G^ 
sunden  nahe.  Die  Reactionszeit  verkiirzte  sich  bei  alien  Versuchs- 
personen mit  Ausnahme  des  Gesunden  E.  und  des  Paralytikers  S. 
Der  Erstere  mit  der  kiirzesten  Reactionszeit  zeigt  nur  unbedeutende 
Schwankungen  in  der  GroBe  derselben.  Bei  dem  Letzteren  ist  die 
Brcactionszeit  des  ersten  Tages  kiirzer  als  an  den  folgenden.  Die 
groBte  Verkiirzung  findet  sich  bei  dem  Gesunden  J.  Unter  den  Hebe- 
phrenen weist  C,  unter  den  Paralytikem  T.  den  groBten  Uebungs- 
fortschritt auf.  Bei  den  Letzteren  ist  derselbe  weniger  gleichmaBig, 
so  dass  die  Besserung  haufig  durch  schlechtere  Leistungen  an  ein- 
zelnen  Tagen  unterbrochen  wird. 

Auch  die  DurchschnittsgroBe  der  Mittelzone  nimmt  bei  den  Ge- 
sunden und  Paralytikem  ab,  wahrend  sie  bei  den  Hebephrenen  immer 
gleich  bleibt,  im  allgemeinen  aber  in  Uebereinstimmung  mit  den 
friiheren  Beobachtungen  keinen  groBefen  Umfang  aufweist. 

Die  Untersuchung  der  qualitativen  Verhaltnisse  zeigt  ebenfalls 
eine  fortschreitende  Bessemng  in  der  Abnahme  der  Pehlerzahl  bei 
den  Kranken. 

Die  Urtheilsreactionen  lassen  bei  der  Betrachtung  der  fiinftagigen 
Versuchsreihe  die  gleichen  Verhaltnisse  erkennen  (Tabelle  LXTT).  Wir 
finden  auch  hier  bei  den  3  Classen  der  Versuchspersonen  eine  allmah- 
lich  zunehmende  Verkiirzung  der  Reactionszeit.  Dieselbe  ist  bei  den  Ur- 
theilsreactionen sowohl  relativ  als  absolut  genommen  groBer  als  bei 
den  Wortreactionen.  Der  Grund  hierfur  ist  jedenfalls  darin  zu  suchen, 
dass  der  associative  Vorgang  bei  den  Wortreactionen  geiibter  ist  als 
derjenige  bei  den  Urtheilsreactionen.  Die  Verkiirzung  der  Reactions- 
zeit des  ersten  Tages  ist  ebenfalls  am  groBten  bei  den  Gesunden,  am 
geringsten  bei  den  Paralytikem.  Vom  vierten  Tage  an  scheint  die 
Reactionszeit  keine  wesentUche  Verbesserung  mehr  zu  erfahren.  Der 
Grad  derselben  ist  bei  den  einzelnen  Versuchspersonen  recht  ver- 
schieden.  J.'s  Leistung  bessert  sich  so  sehr,  dass  er  mit  E.,  hinter 
welchem  er  anfangs  weit  zuriickgeblieben ,  auf  gleicher  Stufe  steht 


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Ueber  einfache  psycholoi^ische  Versiiche  an  Gesuiiden  mid  Geisteskranken. 
Tabelle  LXH. 


683 


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684  Joseph  Reis. 

Ziemlich  gleichmaBig  hebt  sich  die  Leistung  der  Hebephrenen,  am 
meisten  diejenige  F.'s.  Unter  den  Paralytikem  steht  einem  wesent- 
lichen  Fortschritt  bei  N.  und  R  ein  geringerer  bei  M.  und  S. 
gegeniiber. 

Die  Grenzen  der  Mittelzone  werden  bei  den  3  Gruppen  enger. 

Die  Eehlerzahl  sinkt  bei  den  Gesunden,  zeigt  bei  den  Kranken 
Schwankungen  im  Laufe  der  Tage.  Doch  sind  die  entsprechenden 
absoluten  Zahlen  zu  gering,  um  beweiskraftig  zu  sein. 

Ueberblicken  wir  noch  die  viertagige  Versuchsreihe  der  Additions- 
reactionen,  so  finden  wir  auch  bier  eine  Bestatigung  der  bei  den  an- 
deren  Reactionen  gefundenen  Ergebnisse  (Tabelle  LXDI). 

Fiir  den  dritten  Tag  sind  die  ersten  25  Reactionen  der  Reihe 
von  300  Zeitmessungen  zum  Vergleich  herangezogen.  Wir  finden  in 
den  3  Gruppen  eine  Verklirzung  der  Reactionszeit;  der  Uebnngszu- 
wachs  bei  den  Gesunden  ist  fast  doppelt  so  groB  wie  bei  den  Para- 
lytikem, wahrend  die  Hebephrenen  in  der  Mitte  stehen.  Der  langere 
Versuch  des  dritten  Tages  hatte  nicht,  wie  man  erwarten  sollte,  eine 
groBere  Uebung  zur  Folge;  nur  bei  den  Paralytikem  ist  vom  dritten 
auf  den  viorten  Tag  ein  groBerer  Fortschritt  festzustellen.  Bei  den 
Gesunden  ist  am  letzten  Tage  die  Leistung  sogar  erheblich  hinter 
derjenigen  des  dritten  zuriickgeblieben.  Bei  den  Hebephrenen  bleibt 
die  Reactionszeit  Yom  zweiten  Tage  an  ziemlich  constant.  Der  Um- 
fang  der  Mittelzone  nimmt  bei  Gesunden  und  Paralytikem,  und  zwar 
bei  ersteren  in  hoherem  Grade  ab,  zeigt  bei  den  Hebephrenen  nur 
Schwankungen  in  engen  Grenzen. 

Am  ubungsfahigsten  erweist  sich  wieder  der  Gesunde  J.  Die 
Leistung  von  S.  hat  sich  auch  bei  dieser  Aufgabe  im  Laufe  der  Ver- 
suchstage  verschlechtert.  Im  allgemeinen  ist  der  Fortschritt  bei  alien 
Versuehspersonen  weit  ungleichmaBiger  als  bei  den  anderen  Reactions- 
arten,  indem  Verkiirzung  und  Verlangemng  der  Reactionen  unregel- 
maBig  mit  einander  wechseln. 

In  qualitativer  Hinsicht  bleibt  die  Besserung  der  Leistung  der 
Paral}i;iker  gleichfalls  hinter  den  ubrigen  zuriick.  Bei  den  Gesunden 
schwinden  die  Fehler  ganz.  — 

Ueber  die  Wirkungen  der  Ermlidung  konnen  wir  uns  in  gldcher 
Weise  durch  Betrachtung  der  Auffassungsversuche  und  eines  Theik 
der  Zeitmessungen  zu  unterrichten  suchen.    Bei  den  ersteren  kommt 


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Ueber  eiiifache  psychologiscbe  Versiiehe  an  (>fsiiii(leu  mid  (ipisteskrankeu.        685 
Tabelle  LXIH 


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586  Joseph  Reis. 

jedoch  die  Ermudung  nicht  rein  zum  Ausdruck,  da  die  Bedingungen 
in  Folge  der  Aenderang  der  Spaltweite  zum  Beginn  des  Versuches 
andere  waren  als  am  Schlusse  desselben.  Nur  diejenigen  Versuche,  bei 
welchen  die  Versuchsanordnung  spater  umgekehrt  wurde,  lassen  noch 
einen  Vergleich  der  ersten  nnd  zweiten  Trommel  zu.  Bei  alien  Per- 
sonen  lasst  sich  nur  feststellen,  ob  beim  Lesen  einer  einzelnen  Trom- 
mel schon  Ermiidungszeichen  auftreten.  Wir  konnen  unter  Zusanunen- 
fassung  der  verschiedenen  Spaltweiten  und  Tage  die  Ergebnisse  der 
ersten  und  zweiten  Halfte  der  Trommeln  mit  einander  vergleicheu. 
Tabelle  LXIV  giebt  eine  Uebersicht  liber  die  Durchschnittszahlen  der 
richtigen  Lesungen  in  den  beiden  Halften. 

Eine  bestimmte  Aenderung  der  Auffassung  im  Laufe  des  Ver- 
sucbs  ist  nicht  vorhanden.  Im  allgemeinen  finden  wir  bei  Trommel  A 
ein  maBiges  Sinken  in  der  zweiten  Versuchshalfte,  was  bei  der  ziem- 
lich  anstrengenden  Lesearbeit  wohl  als  Ermudung  angesehen  werden 
darf.  3  Hebephrene  zeigen  eine  maBige  Besserung  im  Laufe  des 
Versuchs;  am  bedeutendsten  ist  dieselbe  bei  G.,  bei  welchem  wir  aber 
friiher  schon  den  Mangel  jeder  Uebungsfahigkeit  feststellen  konnten. 
Wir  gehen  daher  wohl  nicht  fehl,  wenn  wir  die  Besserung  auch  in 
Hinsicht  auf  den  Ausfall  des  Versuchs  mit  Trommel  C  wesentlich 
auf  Kosten  einer  gewissen  Anregung  setzen.  Auch  der  Paralytiker 
P.  zeigt  keine  Ermiidungserscheinungen.  Einen  ziemlich  groBen  Ver- 
lust  an  richtigen  Lesungen  weisen  dagegen  die  Hebephrenen  B.,  D., 
F.,  L.  und  der  Paralytiker  N.  auf;  bei  den  Ubrigen  Personen  halt 
sich  der  Verlust  in  engen  Grenzen.  Ln  Ganzen  treten  die  Ermlidimgs- 
erscheinungen  bei  den  Kranken  deutlicher  hervor  als  bei  den  G^ 
sunden. 

Bei  Trommel  C  findet  sich  meistens  im  Laufe  des  Versuchs  eine 
Besserung  der  Leistung.  Nur  je  ein  Hebephrener,  L.,  und  ein  Para- 
lytiker, N.,  bei  denen  wir  schon  eine  groBere  Ermiidbarkeit  gefunden 
haben,  zeigen  auch  hier  ein  deutliches  Sinken  der  Leistungsfahigkeit. 
Bei  alien  Ubrigen  ist  die  Steigerung  bei  dieser  ungewohnten  Arbeit 
durch  Anregung  oder  Uebung  bedingt,  welche  hier  ihre  Wirkung 
deutlicher  entfalten  konnen  als  beim  Lesen  einsilbiger  Worter.  Am 
stiirksten  ist  die  Zunahme  der  Zahl  der  richtigen  Lesungen  bei  G., 
in  Uebereinstimmung  mit  dem  Befund  bei  Tronmiel  A^  dahn  bei  M. 
und  P.    Da  wir  bei  diesen  Personen  einen  deutlichen  Uebungseinfluss 


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Ueber  einraehe  psychologisclie  Versncbe  an  Gesundeu  uiid  Geisteskranken.       687 
Tabelle  LXIV. 


Trommel  A 

Trommel  C 

Trommel  B 

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r 

r 

Gesunde 

E. 

1. 
2. 

138,8 
137,8 

132,5 
133,5 

J. 

1. 
2. 

134,8 
131,8 

124,3 
125,0 

1 
1 

B. 

1. 
2. 

75,8 
70,2 

73,8 
74,5 

110,3 
113,7 

0. 

1. 
2. 

1. 
2. 

127,5 
128,3 



D. 

98,5 
89,5 

P. 

1.  i       122,5 

2.  |i       113,5 

92,7 
99,7 

— 

G. 
K. 

1. 
2. 

97,3 

103,7 

- 
132,3 

135,3 

55,5 
84,0 

1. 
2. 

127,8 
128,6 

117,3 
116,0 

135,8 
136,3 

L. 

1.  124,7 

2.  1        111,7 

136,3 
133,3 

1 

M. 

1. 
2. 

68,6 
66,8 

110,5 
102,0 

44,0 
52,5 

60,8 
53,2 

N. 

2. 

91,5 

82,5 

108,7 
124,0 

—    ~     - 

P. 

1. 
2. 

136,9 
138,2 

nicht  feststellen  konnten,  ist  der  Zuwachs  wohl  wesentlich  durch  An- 
regung  bedingt. 


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688  Joseph  Reis. 

Bei  Trommel  B  bleibt  die  Leistung  K.'s  auf  gleicher  Hohe, 
wahrend  die  Ergebnisse  der  Versuche  L.'s  und  M/s  sinken,  bei  Letz- 
terem  recht  bedeutend. 

Wo  Ermiidungserscheinungen  auftreten,  mehren  sich  Fehler  und 
Auslassungen.  Dabei  kommen  gleichfalls  wieder  personliche  Eigen- 
thiimlichkeiten,  femer  die  groBei*e  Neigung  der  Hebephrenen  zu  Aus- 
lassungen, diejenige  der  Paralytiker  zu  Verlesungen  ziun  Ausdruck. 
Sonstige  Unterschiede  zwischen  den  Krankheitsgruppen  txeten  nicht 
hervor. 

Eine  bestimmte  Aenderung  im  Verhaltniss  von  sinnvoUen  und 
sinnlosen  Verlesungen  ist  nicht  erkennbar. 

Ebensowenig  sind  bestimmte  Beziehungen  der  stehenden  Wieder- 
holungen  zur  Ermiidung  nachzuweisen. 

Wie  schon  erwabnt,  wurde  versucht,  auch  durch  Zeitmessungen 
iiber  Ermiidungseinflusse  Aufschluss  zu  erbalten,  indem  eine  Reihe 
von  300  Additionsreactionen  hintereinander  ausgefuhrt  wurde.  Wir 
fassten  die  Reactionen  jeweils  in  Gruppen  zu  100  zusammen  und 
bestimmten  fur  diese  Stellungsmittel,  Mittelzone  und  Fehlerzahl. 
Tabelle  LXV  giebt  die  auf  diese  Weise  gefundenen  Werthe.  Schon 
ein  erster  Ueberblick  zeigt,  dass  von  ausgesprochenen  Ermiidungs- 
erscheinungen kaum  die  Rede  sein  kann.  Die  beiden  Gesunden 
zeigen  eine  fortschreitende  Verkiirzung  der  Reactionszeit  Bei  den 
Hebephrenen  G.  und  H.  ist  das  Gleiche  der  Fall,  wahrend  bei  C. 
im  letzten  Drittel  des  Versuchs  nach  einer  anfanglichen  Besserung 
die  Leistung  wieder  sinkt  und  bei  F.  sogar  die  kiirzeste  Reactions- 
zeit in  das  erste  Drittel  des  Versuchs  fallt.  Bei  den  Paralytikem 
M.,  N.  und  R.  finden  wir  eine  fortschreitende  Besserung;  bei  R. 
musste  der  Versuch  allerdings  gegen  Ende  des  zweiten  Drittels  ab- 
gebrochen  werden,  weil  die  Aufmerksamkeit  dieser  Versuchsperson 
sich  nicht  liinger  der  Ausfuhrung  der  Reactionen  zuwenden  heB. 
Bei  S.  erreicht  und  uberschreitet  die  Leistung  nach  einer  Verschlech- 
terung  im  zweiten  Drittel  im  letzten  wieder  die  Hohe  des  ersten. 

Deutliche  Ermiidungserscheinungen  sind  also  hier  nicht  nach- 
weisbar,  da  8  unter  den  10  Versuchspersonen  erst  im  letzten  Drittel 
des  Versuchs  die  beste  Leistung  aufweisen.  Die  beiden  iibrigen  zei- 
gen im  Ganzen  nicht  sehr  bedeutende  Schwankungen  in  der  GroBe 
der  Stellungsmittel.     Dass  die  Ermiidung  nicht  durch  einen  beson- 


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Ueber  eiiifache  psychologische  Verstiche  an  Gesuiideii  und  Geisteskraiikeii.        689 

ders  graBen  Uebungszuwachs  verdeckt  wurde,  batten  wir  scbon  friiber 
Gelegenbeit  darzutbun.  Denn  die  Reactionszeiten  des  folgenden 
Tages  sind  fast  diircbweg  langer  als  die  Stellungsmittel  des  letzten 
Drittels  der  Additionen  (Tabelle  LXIH). 

Tabelle  LXV. 
(StM.  Stellungsmittel;  M.  Z.  Mittelzone;  F.Z.  Fehlerzahl). 


1 

E. 

1. 

Hundert 

2.  Hundert 

3. 

Hundert 

St.M. 
740 

M.Z. 
195 

F.Z. 
3 

St.M. 
684 

M.Z. 
171 

F.Z. 
2 

St.M. 

M.Z. 

F.Z. 

647 

132 

2 

1 

J. 

,  1046 

1 

827 

5 

976 

731 

5 

972 

573 

5 

g 

C. 

872 

374 

7 

799 

352 

3 

860 

365 

2 

2i 

F. 

1115 

450 

22 

1174 

531 

12 

1158 

511 

10 

a, 

G. 

1170 

308 

1 

1058 

345 

7 

975 

240 

3 

H. 

1190 

602 

12 

1105 

718 

11 

1090 

1056 

11 

u 

M. 

1816 

1046 

20 

1673 

1009 

18 

1466 

817 

16 

N. 

900 

402 

2 

819 

312 

1 

741 

220 

1 

g 

R 

1651 

938 

14 

1441 

712 

14 

— 

— 

— 

£ 

S. 

1192 

436 

4 

1295 

888 

2 

1159 

320 

2 

Die  GroBe  der  Mittelzone  nimmt  parallel  derjenigen  der  Stel- 
lungsmittel ab  oder  zu ;  nnr  H.  maebt  in  dieser  Beziebung  eine  Aus- 
nabme. 

Aucb  die  qualitativen  Ergebnisse  des  Versucbs  lassen  keine  Er- 
miidung  zum  Ausdruck  kommen^  da  fast  durebweg  im  Laufe  des 
Versucbs  eine  Abnabme  der  feblerbaften  Reactionen  stattfindet. 

Es  war  ferner  die  Moglichkeit  geboten,  sowobl  bei  dieser  Auf- 
gabe  als  bei  den  Leseversucben  dureb  Vergleicb  der  Ergebnisse  klei- 
nerer  Zeitabscbnitte  nocb  genaueren  Einblick  in  den  Ablauf  der 
geistigen  Arbeit  zu  erbalten.  Es  wurden  die  Versucbe  jeweils  in 
10  Abscbnitte  zerlegt,  die  25  Reactionen  oder  28  bezw.  27  Lesungen 
entspracben. 

Es  tritt  bei  dieser  Betracbtung   trotz   dem   bei   den   Gesunden 


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690  Joseph  Reis. 

nachweisbaren  bedeutenderen  Uebungsfortschritte  ein  groBerer  Unter- 
scliied  der  Leistung  in  je  zwei  auf  einander  folgenden  Zeitabschnitten 
bei  den  Kranken,  namentlich  den  Paralytikem  hervor,  was  wohl  als 
Ausdruck  einer  groBeren  Labilitat  der  Aufmerksamkeit  angesehen 
werden  darf . 

Weitere  sichere  Schliisse  waren  nicht  moglich,  sodass  wir  hier 
von  einer  Mittheilung  der  entsprechenden  Zahlen  absehen. 

Vni.  Zusammenfassung  der  Ergebnisse. 

Ein  Ueberblick  iiber  die  gesamten  Versuchsergebnisse  zeigt 
uns  vor  allem,  dass  es  zumeist  nicht  moglich  ist,  aus  dem  AusfaU 
einer  einzelnen  Gruppe  von  Versuchen  bestimmte  Schliisse  auf  den 
Krankheitsfall  zu  ziehen.  Immerhin  bietet  ims  das  Verhalten  der 
verschiedenen  Gesunden  und  Kranken  bei  diesen  Versuchen  ge¥ris8e 
beachtenswerthe  Uebereinstimmungen  mit  den  allgemeinen  klinischen 
Erfahrungen.  So  finden  wir  zunachst  Unterschiede  zwischen  den 
Gesunden  und  Kranken  und  weiterhin  auch  Abweichungen  der  Pa- 
ralytiker  von  den  Hebephrenen.  AUerdings  sehen  wir  bei  Gesunden 
oft  Leistungen,  die  von  manchen  Kranken  iibertroffen  werden;  ja 
es  kann  sogar  die  Einzelleistung  eines  Kranken  den  besten  der  G^ 
sunden  gleichen.  Fassen  wir  aber  die  Ergebnisse  der  Gruppen  zu- 
saramen,  so  ergiebt  sich  durchaus  die  Minderwerthigkeit  der  Kranken. 
Dieselbe  erreicht  auf  alien  Gebieten  der  Verstandesthatigkeit  einen 
weit  hoheren  Grad  bei  den  Paralytikem  als  bei  den  Hebephrenen. 
Wissen  wir  doch  auch,  dass  bei  Letzteren  der  Krankheitsvorgang 
schlieBlich  zum  Stillstand  kommt  und  der  ausgebildete  geistige 
Schwiichezustand  die  verschiedensten  Abstufungen  zeigen  kann,  wah- 
rend  bei  der  Dementia  paralytica  die  Krankheit  stets  bis  zum  denk- 
bar  hochsten  MaB  von  Verblodung  fortschreitet  Auch  Einflusse 
friiherer  Zeit  machen  sich  manchmal  noch  recht  erheblich  geltend; 
die  starkere  Ausbildung  gewisser  Fahigkeiten  durch  Beruf  und  Be- 
schaftigung  kann  dem  Krankheitsprocesse  langere  Zeit  Widerstand 
leisten.  Hieraus  erklaren  sich  meist  die  noch  vorhandenen  guten 
Einzelleistungen ;  es  lasst  sich  aber  auch  dann  durch  eine  Erschwerung 
der  Aufgabe  fast  immer  eine  starkere  Beeintrachtigung  der  Leistungs- 
ftihigkeit  erkennen,  als  dies  bei  Gesunden  der  Fall  ist,  und  als  der 
Steigerung  der  Schwierigkeit  der  Arbeit  entspricht. 


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Ueber  einfache  psycholo^ische  Versiiclie  an  Gesunden  und  Geisteskrnuken.        691 

Wir  konnen  Storungen  auf  alien  mitersuchten  Gebieten  geistiger 
Thatigkeit  nachweisen.  Zur  Priifung  der  Aufassungsfahigkeit  dienen 
una  die  Leseversuche  imd  die  verschiedenen  Erkennungsreactionen. 
Die  klinischen  Erfahrungen  lehren  uns,  dass  bei  der  Dementia  prae- 
cox  die  Auffassung  auBerer  Eindriicke  keine  starkere  Beeintrachtigung 
erleidet,  in  manchen  Fallen  sogar  ubeiraschend  gut  bleibt.  Bei  der 
Paralyse  dagegen  steht  die  Erschwerung  der  Auffassung  oft  schon 
im  Beginn  der  Erkrankung  im  Vordergrund  des  Krankheitsbildes, 
wie  dies  so  haufig  in  der  Unfahigkeit  der  Kranken,  sich  zu  orien- 
tiren,  deutlich  erkennbar  ist.  Der  Ausfall  unserer  Versuche  steht 
damit  vollig  im  Einklang.  Das  Auffassungsschwellengebiet  liegt  bei 
den  Paralytikem  viel  tiefer  als  bei  Gesunden  und  Hebephrenen. 
Bei  mehreren  Paralytikem  scheitert  hieran  uberhaupt  die  Ausfiihrung 
mancher  Vei'suche.  Bei  anderen  ist  das  B^ultat  ungemein  schlecht, 
und  selbst  bei  derjenigen  Person,  bei  welcher  das  Ergebniss  der  Ver- 
suche zunachst  noch  recht  giinstig  ist,  bewirkt  eine  Verkiirzung  der  Auf- 
fassungszeit  eine  unverhaltnissmaBige  Herabsetzung  der  Leistung. 
AuBerdem  sind  die  Paralytiker  wesentlich  auf  die  Unterstutzung  durch 
Worterinnerungsbilder  angewiesen.  Das  Fehlen  einer  solchen  Hiilfe 
macht  sich  ungunstig  bemerkbar.  Unvollkommen  erf asste  Reize  werden 
willkiirlich  erganzt;  es  entstehen  auf  diese  Weise  theils  sinnvoUe,  theils 
sinnlose  Verlesungen.  Die  groBe  Zahl  letzterer  bei  den  Paralytikem 
weist  deutlich  auf  die  bestehende  Kritiklosigkeit  hin.  Die  Kranken 
lesen  auch  bei  der  Aufgabe,  sinnvoUe  Reize  aufzufassen,  oft  ganz 
Unverstandliches,  in  der  festen  Ueberzeugung,  ihrer  Aufgabe  voUig 
geniigt  zu  haben.  Es  sind  dies  Erfahrungen,  die  mit  den  sonstigen 
Kenntnissen  iiber  das  Lesen  der  Paralytiker  durchaus  iibereinstimmen. 

Bei  den  Hebephrenen  bleibt  die  Auffassung  zwar  auch  meist 
hinter  derjenigen  der  Gesunden  zuriick,  doch  uberschreitet  diese  Ver- 
schlechterung  immerhin  nicht  bestimmte  Grenzen.  AuBerdem  ist  es 
uns  wohlbekannt,  dass  die  Stumpfheit  und  Interesselosigkeit  der  Hebe- 
phrenen eine  gut  erhaltene  Auffassung  vollig  verdecken  kann.  Wir 
sind  oft  erstaunt,  wenn  die  Kranken  iiber  Ereignisse,  die  man  spur- 
los  an  ihnen  voriibergegangen  glaubt,  genaue  Auskunft  geben  konnen. 
So  erklaren  sich  wohl  die  auBerordenthch  zahlreichen  Auslassungen 
der  Hebephrenen  bei  den  Leseversuchen,  bei  welchen  nicht  auf  jeden 
neuen  Beiz  aufmerksam  gemacht  wird,  zum  Theil  aus  der  Interesse- 


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692  Joseph  Reis. 

losigkeit  der  Kranken  den  Versuchen  gegeniiber.  Das  Vorkommen 
associativer  Verlesungen,  die  groBere  Anzahl  zerstreuter  Wieder- 
holungen  bei  den  Kranken  weisen  auf  eine  gewisse  Lebhaftigkeit 
motorischer  Sprachvorstellungen  bin  und  sind  wohl  den  Wort- 
spielereien  und  Reimereien,  der  Stereotypie  und  Sprachverwirrtheit 
der  Hebephrenen  an  die  Seite  zu  stellen. 

Der  Ausfall  der  Auffassungsversuche  lasst  femer  namentlich 
bei  den  Paralytikem  recht  erhebliche  Schwankungen  der  Aufmerk- 
samkeit  erkennen.  Bei  ihnen  wechselt,  wie  aus  alien  Versuchen 
hervorgeht,  die  Leistungsfahigkeit  auBerordentlich,  sowohl  wahrend 
eines  einzelnen  Versuchs  wie  im  Verlaufe  mehrerer  Tage.  Bei  den 
Hebephrenen  ist  eine  groBere  GleichmaBigkeit  der  Arbeitsleistung 
vorhanden;  sie  stehen  hierin  den  gesunden  Personen  oft  recht  nahe. 

Die  Untersuchung  des  Gedachtnisses  beschrankte  sich  auf  die 
Priifung  friiher  erworbener  Kenntnisse,  wahrend  die  Fahigkeit  zur 
Einpragung  neuer  Vorstellungen  ganzlich  auBer  Acht  blieb.  Nach  den 
heutigen  klinischen  Anschauungen  ist  das  Gedachtniss  bei  der  Demen- 
tia praecox  verhaltnissmaBig  am  wenigsten  durch  den  Krankheits- 
vorgang  beinflusst;  es  ist  eine  nicht  seltene  Thatsache,  dass  weit  vei^ 
blodete  Hebephrene  nicht  nur  liber  ihre  Vergangenheit  gut  Bescheid 
geben  konnen,  sondem  auch  noch  iiber  recht  gute  Kenntnisse  ver- 
fUgen.  Andererseits  beherrschen  bei  der  Paralyse  gerade  die  Sto- 
rungen  des  Gedachtnisses  meist  das  Ej*ankheitsbild.  Das  Aufsagen 
des  Alphabets  und  der  Zahlenreihe,  besonders  aber  die  fortlaufenden 
Rechenaufgaben  und  die  Rechenreactionen  sowie  schlieBlich  das 
Aufz'ahlen  bestimmter  Vorstellungen  kommen  bei  der  Beurtheilung 
dieser  Verhaltnisse  in  Betracht.  Aber  gerade  hier  wird  die  Unter- 
suchung erschwert  durch  den  Einfluss  personlicher  Unterschiede,  wie 
sie  verschiedene  Bildung  und  Beschaftigung  mit  sich  bringen.  So 
kommt  es,  dass  bei  einer  Reihe  von  Versuchen  Paralytiker  noch  die 
besten  Leistungen  aufweisen.  Andererseits  aber  finden  wir  doch  bei 
mehr  als  der  Hiilfte  eine  erhebliche  Minderleistung ,  die  theilweise 
sogar  die  Durchfiihrung  der  Versuche  vereitelte.  Bei  den  Hebe- 
phrenen fallen  diese  Leistungen  meist  noch  in  die  Gesundheitsbreite. 
Nur  eine  einzige  ist  auffallend  minderwerthig;  aber  gerade  bei  diesem 
Kranken  spricht  der  qualitative  Ausfall  mancher  Versuche  fur  eine 
recht   bedeutende  Interesselosigkeit ;   auBerdem   lasst  die  Anamnese 


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Ueber  einfache  psychologische  Versnche  an  Gesunden  nnd  Geisteskranken.        693 

uns  betreffs  der  frliheren  Kenntnisse  des  Kranken  im  Stich.  Eine 
erhebliche  EinbuBe  des  Vorstellungsschatzes  findet  sich  nur  bei 
3  Kranken,  wobei  allerdings  zu  bedenken  ist,  dass  nur  ein  einziges 
umschriebenes  Gebiet  genauer  untersucht  wurde;  es  ist  daher  kaum 
gestattet,  hieraus  weitergehende  Schlusse  auf  don  allgemeinen  Um- 
fang  des  Vorstellungsschatzes  zu  ziehen.  Aber  auch  auf  dem  unter- 
suchten  Gebiete  ist  eine  groBere  Bereitschaft  der  Vorstellungen  bei 
den  Gesunden  als  bei  den  Hebephrenen  und  namentlich  den  Para- 
lytikem  nachweisbar.  Wir  raachen  oft  die  Erfahrung,  dass  zwar  die 
Vorstellungen  selbst  noch  vorhanden,  die  Kranken  aber  nicht  im 
Stande  sind,  dieselben  im  geeigneten  Augenblicke  willkurlich  ins  Gre- 
dachtniss  zuriickzurufen. 

Die  zuletzt  besprochenen  Versuche  dienen  neben  der  Priifung  des 
Gedachtnisses  gleichzeitig  der  Betrachtung  der  Vorstellungsverbin- 
dungen,  die  wir  auch  oben  schon  gestreift  haben.  Wir  findon  meist 
eine  Verlangsamung  der  associativen  Thatigkeit  bei  den  Kranken. 
Ueber  die  Art  der  Verbindung  von  Vorstellungen  Aufschluss  zu 
geben,  waren  die  Versuche  wenig  geeignet;  nur  bei  den  Auffassungs- 
versuchen  war  Gelegenheit,  auf  gewisse  EigenthiimUchkeiten  hinzu- 
weisen.  Auch  die  Bildung  einfacher  Urtheile  haben  wir  in  den 
Bahmen  der  Betrachtung  einzuziehen  gesucht;  ist  doch  die  Urtheils- 
schwache  eines  der  eigenartigsten  und  wichtigsten  Kennzeichen  der 
in  beiden  Krankheiten  sich  ausbildenden  Geistesschwache.  Auf  die 
Kritiklosigkeit  der  Paralytiker  ist  schon  aufmerksam  gemacht.  Selbst 
bei  den  einfachen  Urtheilsreactionen  versagt  das  Verstandniss  eines 
Hebephrenen  und  eines  Paralytikers  der  Aufgabe  gegeniiber.  Nament- 
lich bei  den  Paralytikem  wird  durch  den  associativen  Vorgang  der 
Urtheilsbildung  eine  auBerordentlich  lange  Zeit  in  Anspruch  ge- 
nommen. 

Zur  genaueren  Untersuchung  der  psychischen  Grundeigenschaften 
waren  die  angewandten  Methoden  ebenfalls  meist  nur  wenig  brauch- 
bar.  Aber  die  Versuche  sind  doch  auch  nach  dieser  Richtung  nicht 
ganz  ergebnisslos.  Wir  konnen  durchweg  eine  groBere  Ermtid- 
barkeit  bei  den  Kranken  gegenUber  den  Gesunden  nachweisen,  und 
zwar  erreicht  dieselbe  bei  den  Paralytikem  immer  einen  besonders 
hohen  Grad.  Der  stetigere,  gleichmaBigere  Verlauf  der  Arbeit  bei 
den  Gesunden,    der  ungleiche,  sprunghafte,   durch  groBere  Labilitat 


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694    Joseph  Reis.    Ueber  einfacbe  psychologische  Vennche  an  Gesunden  und  Geisteskranken. 

der  Aufmerksamkeit  bedingte  bei  den  Paralytikern  ist  schon  er- 
wahnt.  Auch  der  Uebungsfortschritt  ist  bei  den  Gesunden  immer 
am  groBten,  bei  den  Paralytikern  am  geringsten. 

Damit  waren  in  groBen  XJmrissen  die  aus  den  Versuchen  sich  er- 
gebenden  Schlussfolgerungen  angefiihrt.  Leider  gestattet  auch  der  Um- 
fang  der  Versuche  keine  eingehendere  Kennzeichnung  der  einzelnen 
Personen.  Dennoch  war  uns  nicht  selten  die  Moglichkeit  gegeben,  auf 
personliche  Verschiedenheiten  hinzuweisen  und  dieselben  in  ihrem  Zu- 
standekommen  zu  erklaren  oder  auch  scheinbar  gleiche  Eigenschaften 
mehrerer  Personen  auf  verschiedene  psychische  Ursachen  zuriickzufUhren. 
Es  sei  nur  an  die  mehr  oder  minder  lebhafte  Neigung  zu  Wortvorstel- 
lungen,  an  die  verschieden  stark  ausgepragte  Gredachtnissschwache  oder 
an  die  Stumpfheit  imd  Interesselosigkeit  Einzehier  erinnert.  Ein  weite- 
res  Eindringen  war  bei  der  Neuheit  der^Lrtiger  Untersuchungen  noch 
nicht  moghch.  Dazu  kommt  der  TJmstand,  dass  wir  es  bei  der  Para- 
lyse und  der  Dementia  praecox  mit  zwei  in  vielen  Punkten  einander 
sehr  ahnlichen  Krankheitsbildem  zu  thun  haben,  und  dass  manche 
auBerordentlich  wichtige  Theile  der  psychischen  Thatigkeit,  nament- 
hch  der  Wille  und  das  Gkmiith,  kaimi  beriicksichtigt  werden  konnten. 

Als  wichtigstes  Ergebniss  der  ganzen  Arbeit  aber  diirfen  wir, 
glaube  ich,  nochmals  hervorheben,  dass  die  Versuche  den  Beweis 
liefem  fur  die  MogUchkeit  und  Durchfiihrbarkeit  psychologischer 
Versuche  mit  Geisteskranken. 

Es  hat  sich  gezeigt,  dass  ein  verhaltnissmaBig  groBer  Bruchtheil 
derselben  recht  wohl  der  planmaBigen  Erforschung  ihres  geistigen 
Zustandes  zuganglich  ist.  Erst  eine  tiefer  eindringende  ZergUederung 
der  landlaufigen  Krankheitszeichen  aber  wird  uns  die  nahe  Verwandt- 
schaft  mancher  anscheinend  verschiedener  und  die  Unterschiede  auBer- 
lich  gleichartiger  Symptome  und  Zustande  kennen  lehren.  Mogen 
daher  auch  unsere  ersten  Schritte  auf  dem  neuen  Wege  einer  psycho- 
logischen  Untersuchung  Gkisteskranker  vielfach  unsichere  sein,  so 
wird  uns  doch  schheBlich  dieses  Verfahren  unentbehrliche  Aufschliisse 
auch  fiir  das  klinische  Verstandniss  der  Irreseinsformen  zu  liefem 
vermogen,  die  auf  keine  andere  Weise  erreichbar  sind. 


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RSmer's  Versuche 
Uber  Nahrungsaufnahme  und  geistige  Leistungsffthigkeit. 

Von 

Wilhelm  Weygandt. 


In  dem  Nachlass  Dr.  Romer's  fanden  sich  die  Zahlenergebnisse 
sowie  einige  Berechnungen  und  curvenmaBige  Veranschaulichungen 
einer  abgeschlossenen  Reihe  von  Versuchen  vor,  die  er  im  Jahr  1893 
an  sich  selbst  angestellt  hat.  Wir  glauben  nicht  nur  eine  Pflicht  der 
Pietat  zu  erfiillen,  wenn  wir  hier  eine  Wiedergabe,  Bearbeitung  und 
Deutung  versuchen,  sondern  es  scheint  uns  das  Material  auch  wegen 
seines  thatsachlichen  Werthes  zu  einer  kurzen  Veroffentlichung  ein- 
zuladen. 

Im  Sommer  1893  fUhrte  Kraepelin  auf  der  XViil.  Wander- 
versammlung  der  sUdwestdeutschen  Neurologen  und  Irrenarzte^)  in 
einem  Vortrag  >uber  psychische  Disposition*  in  allgemeinen  ZUgen 
den  Gang  der  Tagesdisposition  des  Individuums  aus,  die  bis  gegen 
Mittag  wachsende  Leistungsfahigkeit  und  dann  nach  Tisch  ein  rasches 
Sinken  derselben  zeigt,  wahrend  sie  sich  im  Laufe  des  Nachmittags 
wieder  alhnahlich  hebt,  bis  sich  abendliche  Ermlidung  geltend  macht. 
Romer  hatte  sich  die  Aufgabe  gestellt,  diese  Schwankungen  der 
Tagesdisposition,  die  bei  den  einzehien  Individuen  wieder  groBe  Ver- 
schiedenheiten  zeigen,  vorzugsweise  nach  ihren  ursiichlichen  Verhalt- 
nissen  genauer  zu  untersuchen.  Als  die  wesentlichsten  Bedingungen, 
die  unsere  Tagesdisposition  beeinflussen,  fasste  er  Schlaf  und  Nah- 
rungsaufnahme  auf.     Ueber   diese   Bedeutung   des   Schlafes   theilte 


1)  Archiv  fiir  Psychiatrie,  XXV.,  Heft  2,  S.  593. 

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696  Wilhelm  Weygandt 

Romer  in  2  Vortragen^)  auf  Grund  zahlreicher  Versuche  eine  Reihe 
von  Thatsachen  mit;  wichtig  ist  dabei  einerseits  die  Unterscheidung 
von  Ermiidung  und  Mudigkeit,  andererseits  das  abweichende  Verhalten 
der  Personen  mit  Morgen-  und  derjenigen  rait  Abenddisposition. 

Zur  Erforschung  des  Antheils,  den  die  Nahrungsaufnahme  an 
der  Beeinflussung  unserer  Tagesdisposition  hat,  stellte  Romer  die 
vorliegende  Versuchsreihe  an.  Als  Versuchsarbeit  wurde  fortlaufendes 
Addiren  einstelliger  Zahlen,  ohne  Niederschreiben  der  Summen,  in 
der  bekannten  Weise  vorgenommen.  Romer  brachte  schon  einen 
betrachtlichen  Grad  von  Uebung  in  diese  Versuchsreihe  mit.  Femer- 
hin  waren  noch  Wahkeactionen  geplant,  jedoch  gelangten  sie  nicht 
zur  Ausfuhrung.  Die  kurzen  protocoUarischen  Notizen  besagen  fol- 
gendes  liber  die  Versuchsanordnung.  Es  wurde  an  8  Tagen,  vom 
23.  bis  31.  Dezember  1893,  gearbeitet;  nur  der  28.  fiel  aus.  Am  1., 
3.,  5.  und  7.  Tage  fand  der  Versuch  ohne  vorhergehende  Nahrungs- 
aufnahme statt  (o.  N.),  an  den  ubrigen  4  Tagen  jedoch  nach  Nah- 
rungsaufnahme (m.  N.).  Um  Y28  Uhr  stand  Romer  jedesmal  auf;  um 
7^9  Uhr  nahm  er  an  den  Tagen  mit  Nahrungsaufnahme  ein  Friih- 
stiick  zu  sich,  das  aus  250  Gramm  gebratenem  Fleisch  und  einem 
Brotchen  bestand.  Um  9  Uhr  begann  dann  regelmaBig  der  eigent- 
liche  Versuch.  Es  wurde  eine  halbe  Stunde  lang  addirt;  dann  folgte 
eine  halbstundige  Pause.  Von  10 — Va^^  U^  wurde  wieder  addirt; 
von  Yill~ll  Uhr  war  Pause;  11 — Yjl2Uhr  Addiren,  dann  Pause 
und  schlieBlich  von  12 — YjI  Uhr  wieder  Addiren.  Die  unerlasslichen 
VorsichtsmaBregeln,  Enthaltung  von  Alcohol,  Excitantien,  korperlicher 
Arbeit  u.  s.  w.,  wurden  natiirUch  beobachtet.  Die  Versuchsreihe  er- 
gab  ein  Material  von  8  mal  4  halben  Stunden;  einem  Tage  o.  N.  en\r 
sprach  immer  einer  m.  N. 


1)  Ueber  einige  Beziehtmgen  zwischen  Schlaf  und  geistigen  Thatigkeiten. 
Vortrag  gehalten  auf  dem  3.  intemationalen  Congress  fur  Psychologie  in  Miincben 
1896,  Bericht  1897,  S.  353. 

Experimentelle  Studien  uber  den  Nachmittagsschlaf.  Vortrag  auf  der 
Jahresversammlung  des  Vereins  deutscher  Irrenarzte  zu  Heidelberg  1896,  All- 
gemeine  Zeitschriffc  fUr  Psychiatrie  Bd.  53,  S.  860. 


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Rdmefs  Versuche  Qber  NahrungsaufnahiDe  und  geistige  Leistungsfahigkeit.       697 


Tabelle  I. 
Anzahl  der  in  je  5  Minuten  addirten  einstelligen  Zahlen. 


Datum:  1893 

!23.Xn. 

24.  xn. 

25.XTT 

26.  xn. 

27.  XII. 

29.  xn. 

30.  xn. 

31. xn. 

Zustand : 

O.N. 

M.  N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.  N. 

O.N. 

M.  N. 

r§ 

5-Min.-Abschnitt  1 

283 

306 

356 

328 

304 

444 

307 

360 

rt 

2 

270 

345 

308 

309 

285 

418 

262 

394 

m 

3 

243 

357 

259 

342 

292 

381 

348 

383 

1 

4 

243 

344 

262 

313 

274 

411 

271 

347 

2 

5 

210 

333 

292 

367 

274 

371 

272 

381 

'^ 

6 

290 

357 

266 

359 

272 

358 

298 

387 

Halbstundige 

Pause. 

0) 

5-Min,-Abschnitt  1 

288 

362 

293 

316 

256 

439 

265 

353 

§ 

2 

208 

355 

255 

294 

291 

380 

259 

382 

s 

3 

168 

349 

237 

361 

257 

385 

272 

402 

4 

1     159 

296 

234 

308 

277 

343 

290 

375 

'3 

5 

'     178 

320 

190 

310 

254 

356 

227 

389 

c« 

6 

216 

313 

210 

296 

261 

379 

305 

390 

Halbstundige 

Pause. 

^ 

5-Min.-Abschnitt  1 

243 

279 

244 

334 

257 

369 

301 

380 

0 

2 

227 

286 

243 

298 

250 

335 

230 

382 

5 

3 

238 

307 

206 

365 

223 

353 

251 

383 

^ 

4 

207 

303 

262 

272 

258 

353 

250 

332 

1 

5 

196 

278 

229 

339 

216 

309 

249 

386 

CO 

6 

228 

300 

193 

287 

211 

342 

295 

328 

Halbstundige 

Pause. 

O) 

5-Min.-Ab8chnitt  1 

258 

354 

228 

344 

255 

399 

294 

366 

§ 

2 

239 

313 

226 

335 

245 

332 

250 

369 

35 

3 

279 

297 

238 

315 

266 

340 

282 

311 

2 

4 

1    275 

302 

251 

288 

233 

292 

244 

319 

5 

201 

276 

237 

295 

213 

306 

283 

300 

•»* 

6  1 

236 

277 

236 

310 

231 

372 

290 

349 

Tabelle  I  giebt  die  Anzahl  der  in  je  5  Minuten  addirten  einfachen 
Zahlen  wieder.  Wir  werden  spater  noch  auf  Einzelheiten  dieser  Tabelle 
zuruckkommen.  Zur  Erlangung  eines  Gresammtuberblickes  empfiehlt  es 
sich  jedoch,  zuniichst  groBere  Zeitraume  zusammenzufassen.  Tabelle  11 


K  r  a  e  p  «>  1  i  u ,  Psycbolog.  Arbf  itpii.   IL 


46 


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69S 


Wilbelm  Weygandt. 


liefert  die  Anzahl  der  einzelnen  addirten  Zahlen  auf  viertel  und  halbe 
Stunden  berechnet,  wahrend  Tabelle  m  die  Mengen  der  an  jedem 
Tage  ausgefiihrten  Additionen  vergleicht. 

Tabelle  11. 
Viertel-  und  HaJbstundenwerihe. 


Tag: 


23.  xn. 


24.  xn. 


25.  xn. 


26.  xn. 


27.  xn. 


29.  xn. 


30.  xn. 


31.  xn. 


Zustand:   O.N. 
V.  St.  1  II 796 


M.N. 


O.N. 


M.N. 


O.N. 


M.N. 


O.N. 


M.N. 


2  743 


1539 


1008 
1034 


2042 


923 
820 


1743 


979 
1039 


2018 


881 
820 


1701 


1243 
1140 


2383 


917 
841 


1758 


1137 
1115 


2252 


3  664 

4  I;  553 


1217 


1066 
929 


1995 


785 
640 


1425 


971  i 
914 


1885 


804 
792' 


1596 


1204J 
1078 


2282 


796 
822 


1618 


1137 
1154 


2291 


5  il  708  i 

6  ,  631 


1339 


872 
881 


1753 


093 
684 


1377 


99 
898 


1895 


730 
685 


1415 


1057 
1004  1 


2061 


782 
794 


1576 


1151 
1046 


2197 


7  '  776 

8  I  712 


1488 


964 


855 


1819 


692 
724 


1416 


994 
963 


1957 


766 
677 


1443 


1071 
970 


2041 


826 
817 


1643 


1046] 
968 


2014 


Tabelle  m. 
Voile  Tagesleistungen. 


Tag 23.Xn. 

24.  xn. 

25.  xn. 

26.  xn. 

27.  xn. 

29.xn. 

3o.xn. 

3i.xn. 

Zustand 1  0.  N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

Absolute     Zahl     der 
Additionen  ....       5583 

7609 

5961 

7755 

6155 

8767 

6595 

8754 

Diflferenz  jeder   Zahl 
von  der  folgenden  .            +  2026 

—  1648 

4-1784 

—  1600 

+  2612 

—  2172 

4-2159 

Ein  Blick  auf  Tabelle  III  giebt  schon  deutlich  zu  erkennen,  wie 
sehr  die  Tage  o.  N.  in  ihrer  Leistung  hinter  den  Tagen  m.  N.  zurUck- 
bleiben.  Auch  die  Viertel-  und  Halbstundentabelle  spricht  dasselbe 
Verhalten  ohne  weiteres  aus.  Zu  einer  zahlenmaBigen  Feststellung 
jedoch  bediirfen  wir  der  Berechnung  des  Uebungszuwachses.  Aus  der 
Arbeit  von  Rivers  und  Kraepelin*)  ging  die  spater  auch  durch 


1)  Diese  Arbeiten  I.,  S.  649. 


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R5mcr*s  Versuche  uber  Nahmngsaufnahme  uiid  geistige  Leistungsfahigkeit.       699 

Befuhde  von  Weygandt*)  bestatigte  Thatsache  hervor,  dass  bei 
manchen  Personen  im  Zustande  geistiger  Frische,  wie  wir  ihn  bei 
vielen  Menschen  in  den  Morgenstunden  erwarten  konnen,  eine  halb- 
stundige  Pause  einigermaBen  geniigt,  um  die  durch  eine  vorhergehende 
halbstundige  Arbeit  hervorgerufene  Ermiidung  wieder  auszugleichen. 
Da  nach  so  kurzer  Prist  der  Uebungsverlust  wahrscheinlich  noch  sehr 
gering  ist,  bieten  uns  derartige  Pausen  ein  Mittel,  wenigstens  annahemd 
die  GroBe  des  reinen  Uebungszuwachses  zu  bestimmen.  Wenn  wir  bei 
Romer  die  Werthe  der  ersten  und  zweiten  BLalbstunde  in  Tabelle  11 
vergleichen,  finden  wir  mit  einer  geringen  Ausnahme  uberall  eine 
Abweichung  von  jenen  Befunden.  In  der  2.  Halbstunde  wird  weniger 
geleistet  als  in  der  ersten.  Die  Erholungswirkung  ist  entweder  zu 
gering  oder  der  Uebungsverlust  zu  groB  gewesen,  oder  endlich,  es 
haben  hier  andersartige  Einfliisse  mitgespielt,  welche  eine  Verschlech- 
terung  der  Leistung  im  Laufe  des  Vormittags  bewirkten. 

Auf  eine  Eeststellung  des  reinen  Uebungszuwachses  miissen  wir  un- 
ter  diesen  Umstanden  verzichten.  Wir  haben  daher  versucht,  einen  tag- 
lichen  Uebungszuwachs,  der  den  von  einem  Tage  zum  andern  auftre- 
tenden  Uebungsverlust  nicht  ausschlieBt,  aus  den  ersten  Viertelstunden 
eines  jeden  Tages  (m.  N.),  die  wir  fur  die  ermiidungsfreiesten  hielten, 
zu  gewinnen.  Aber  auch  wenn  wir  diesen  auf  30,7  berechneten  Werth 
einsetzen  und  nun  die  gefundenen  mit  den  erwarteten  Zahlen  ver- 
gleichen, erhalten  wir  noch  kein  besonders  einheitliches  Bild.  Das 
Procentverhaltniss  der  gefundenen  gegeniiber  den  erwarteten  Werthen 
an  den  Tagen  o.  N.  betragt  im  Durchschnitt  82,59,  an  den  Tagen 
m.  N.  99,21.  Diese  Durchschnitte  sind  aber  wenig  zuverlassig,  da 
die  einzelnen  Werthe  ziemlich  weit  von  einander  abweichen.  Die  Iln- 
zulanglichkeit  dieses  Verfahrens  ist  leicht  zu  erklaren.  Die  Benutzung 
der  Anfangsviertelstunde  wird  dadurch  erschwert,  dass  bei  Romer 
die  Werthe  der  einzelnen  Viertelstunden  aus  sehr  ungleichen  Theil- 
zahlen  zusammengesetzt  sind.  Vorzugsweise  in  Folge  des  spiiter  noch 
genauer  zu  erortemden  Antriebs  giebt  es  da  Schwankungen  der  Fiiiif- 
minutenwerthe  im  Verhaltnisse  von  4:5.  Auch  gegen  die  halb- 
stUndigen  Abschnitte  wurden  sich  ahnliche  Einwande  erheben  lassen. 

Wir  entschlossen  uns  daher,  den  Uebungszuwachs  zu  berechnen 


I)  Diese  Arbeiten  11.,  S.  167. 

46* 

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700 


Wilhelm  Weygaiidl, 


ohne  Rucksicht  auf  die  im  Laufe  des  S'^stUndigen  Vepsuchs  auf- 
tretende  Ermiidung,  die  ja  auch  durch  die  3  halbstiindigen  Pausen 
wieder  in  gewissem  Grade  ausgeglichen  wird.  Wir  legten  die  vollen 
Werthe  der  Tage  m.  N.  zu  Grunde  und  erhielten  somit  einen  rohen 
taglichen  Uebungszuwachs  von  217,1  Zahlen.  Als  Ansgangspunkt 
wurde  der  erste  Tag  m.  N.,  also  der  24.  Dec.  genommen: 


Tabelle  IV. 


Tag 

23.XTT. 

24.  XII. 

25.xn 

26.  xn. 

27.  xn. 

29.xn. 

30.  xn. 

3i.xn. 

Zustand 

O.N. 

M.  N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

Erwarteter 
Gefundoner 

Tages- 
werth 

7391,9 
5583 

7609 
7609 

7826,1 
5961 

8043,2 
7755 

8260,3 
6155 

8477,4 
8767 

8694,5 
6595 

8911,6 

8754 

Differenz 

-1808,9 

0 

-1865,1 

-288,2 

-2105,3 

4-289,6 

—2099,5 

—  157,6 

Gcfundener  Werth  in 
%  des  erwarteten . 

I 

75,53 

100 

76,29 

96,42 

74,51 

102,61 

73,46 

98,23 

Tabelle  IV  giebt  die  Differenzen  der  gefundenen  von  den  er- 
warteten Werthen  -  sowie  deren  procentuales  Verhalten  wieder.  Wir 
selien,  dass  der  Gang  der  Uebung  sowohl  an  den  Tagen  m.  N.  als 
auch  an  denen  o.  N.  ein  recht  gleichmaBiger  ist.  Die  Procentzali- 
len  haben  an  den  Tagen  m.  N.  eine  mittlere  Variation  von  1,99, 
an  den  Tagen  o.  N.  nur  von  0,96.  Die  Differenzen  der  gefundenen 
von  den  erwarteten  AVerthen  betrugen  an  den  Tagen  m.  N.  im  Durcli- 
schnitt  39,1,  an  denen  o.  N.  1969,7.  Das  Procentverhaltniss  der  er- 
haltenen  zu  den  erwarteten  AVerthen  der  Tage  m.  N.  betragt  durch- 
schnittlich  99,315;  an  den  Tagen  o.  N.  ergiebt  es  74,95.  Letztere 
bleiben  somit  hinter  dem  fur  ihren  normalen  Uebungsstandpunkt  er- 
warteten Werthe  durchweg  um  etwa  Y4,  in  Procenten  ausgedriickt 
um  24,37  zuriick. 

Das  bisherige  Ergebniss  ist  also  eine  durchgehende  Minderleistung 
an  den  Tagen  o.  N.,  wahrend  die  Uebung  ruhig  ihren  Gang  fort- 
setzt,  ja  sogar  noch  etwas  regelmiiBiger  an  den  Tagen  o.  N.  als  m. 
N.  vorwartsschreitet.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  der  eine  iiber- 
sprungene  Tag  (28.  Dec.)  keinen  sichtbaren  Uebungsverlust  zur  Folge 


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Rdmer's  Versuche  uber  Nahruiigsaufiiahme  uiid  geistige  LeistungsHihigkeit.       701 

hatte;   gerade  der  Uebungsfortschritt  vom  27.  auf  den   29.  ist  der 
groBte,  der  uberhaupt  gemacht  worden  ist. 

Mit  diesen  Befunden  ist  nun  der  urspriinglichen  Fragestellung 
nach  dem  Einflusse  der  Nahrungsaufnahme  auf  die  Dispositionsande- 
rung  noch  nicht  vol!  entsprochen.  Wii*  miissen  den  Verlauf  der  Arbeit 
im  Einzelnen  untersuchen.  Zunachst  haben  wir  uns  mit  der  auf- 
fallenden  Thatsache  auseinander  zu  setzen,  dass  bei  Romer  mit  einer 
kleinen  Ausnahme  am  letzten  Tage  durchweg  die  erste  halbstundige 
Pause  nicht  so  stark  erholend  wirkte,  dass  die  folgende  Leistung 
den  Werth  der  durch  die  erste  halbe  Arbeitsstunde  gewonnenen 
Uebung  zu  Tage  treten  lieB.  Dass  im  femeren  Verlaufe  des  Vor- 
mittags,  im  3.  und  4.  Arbeitsabschnitte,  die  Leistung  noch  weiter  sinkt, 
braucht  weniger  zu  uberraschen,  da  jetzt  alhnahlich  die  Ermiidung 
durch  2  bis  3  vorhergehende  Arbeitshalbstunden  so  groB  geworden  sein 
kann,  dass  ein  voller  Ausgleich  durch  die  30  Minuten  Pause  nicht 
mehr  zu  Stande  kommt.  Auch  die  Versuche  von  Rivers^)  zeigen 
in  solchen  spateren  Arbeitsabschnitten  ahnUches.  Das  eine  aber  ist 
noch  ein  auffalliger  Befund,  dass  beiRomer  gerade  die  letzte  halbe 
Stunde  wieder  vielfach  eine  erhebliche  Besserung  der  Leistung  bietet. 

Tabeile  V. 
2.,  3.  und  4.  Halbstunde  jedes  Tages  in  Procent  der  ersten. 


Tag: 

23.  xn. 

24.  XII. 

25.  xn 

26.xn 

27.  xn. 

29.^11 

30.  xn. 

31. xn. 

Durchschnitt 

Zustand: 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.  N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.  N.  i'  0.  N. 

M.N. 

Halbstunde  1 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

2 

79,07 

97,69 

81,76 

93,41 

93,S3 

95,76 

92,04 

101,73 

86,67 
83,9 

97,15 
90,95 

3 

83,71 

85,85 

79,06 

93,9 

83,19 

86,49 

89,65 

97,56 

4 

96,69 

89,08 

81,24 

96,97 

84,83 

85,65 

95,73 

89,48 

89,62 

90,3 

Tabeile  V  driickt  die  Leistungen  der  2.,  3.  und  4.  Halbstunde 
jedes  Tages  in  Procent  der  Anfangshalbstunde  aus,  femer  die  Durch- 
schnittszahlen  dieser  Procentwerthe,  gesondert  berechnet  fur  die  Tage 


I)  a.  a.  0.  S.  628. 


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702  Wilhelra  Weygandt. 

o.  N.  und  m.  N.  Wir  sehen  daraus,  dass  der  Abfall  der  2.  Halb- 
stunde  der  Tage  o.  N.  ganz  betrachtlich  ist;  in  der  3.  geht  es  noch 
tiefer,  wahrend  die  4.  wieder  einen  bemerkenswerthen  Aufschwung 
der  Leistung  zeigt.  Die  Tage  m.  N.  sinken  etwas  weniger;  die  letzte 
halbe  Stunde  bietet  zweimal  eine  Verbesserung,  einmal  einen  geringen 
und  einmal  einen  groBeren  Nachlass. 

Wir  miissten  an  immer  weitergreif ende  Ermiidungswirkung  denken, 
wenn  nicht  scblieBlich  diese  Hebung  der  Leistungsfahigkeit  wieder 
zu  Tage  trate.  Man  konnte  allerdings  versucht  sein,  diese  spate 
Besserung  dann  wieder  auf  die  anfangliche  Nahrungsaufnahme  zu- 
riickzufUhren,  doch  ist  sie  gerade  an  den  Tagen  o,  N.  am  besten  aus- 
gesprochen.  Dagegen  diirfen  wir  darauf  hinweisen,  dass  die  Versuchs- 
person  eine  ausgesprochene  »Abendnatur«  war.  Romer  begann  seine 
Tagesthatigkeit  stets  unter  dem  Gefuhle  der  Mudigkeit  mit  einer  ge- 
ringen Leistungsfahigkeit,  die  sich  imLaufe  des  Tages,  einige  Schwan- 
kungen  eingeschlossen,  albnahlich  besserte  und  erst  gegen  Abend 
ihren  Gipfel  erreichte.  In  der  Morgenthatigkeit  zeigt  sich  also  hier, 
der  ungUnstigen  Tagesanfangsdisposition  des  Abendarbeiters  ent- 
sprechend,  auch  eine  groBere  Ermlidbarkeit,  die  aber  in  Folge  der 
sich  hebenden  Tagesdisposition  allmahlich  zuriicktritt.  Die  Ermiid- 
barkeit  ist  groBer  an  den  Tagen  o.  N. ;  freilich  scheint  hier  aber  die 
ausgleichende  Wirkung  der  Dispositioiisbesserung  friiher  einzusetzen 
als  an  den  Tagen  m.  N. 

Die  groBe  Ermiidbarkeit  Romer's  iiberhaupt  ergiebt  sich  aus 
der  Thatsache,  dass  jede  halbe  Stunde  ihren  Hochstwerth  schon  in 
der  ersten  Halfte  erreicht.  Die  Leistung  der  ersten  Viertelstunde 
war  in  25  von  32  Fallen  hoher  als  diejenige  der  zweiten.  Im  Durch- 
schnitte  sinkt  die  Leistung  von  der  ersten  zur  zweiten  Viertelstunde 
an  den  Tagen  o.  N.  um  49,  an  den  Tagen  m.  N.  um  56,8  Zahlen. 

Zur  Ermittelung  der  Anregbarkeit  der  Versuchsperson  liefert  uns 
das  vorhandene  Material  keine  Handhabe.  Hochstens  konnen  wir 
auf  Grund  der  FUnfminutenzahlen  mit  ihren  ziemlich  betrachtlichen 
Schwankungen  einen  hoheren  Grad  von  Anregbarkeit  ausschlieBen. 


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Romeros  Versuche  uber  Nahrungsaufiiabine  und  geistige  Leistiiiigsfabigkelt.       703 

Tabelle  VI. 
Leistungsdifferenzen  zwischen  der  ersten  und  der  zweiten  Viertelstunde. 


Tag: 

23.  xn. 

24.XTT 

25.XTT. 

26.x  FT. 

27.x  FT. 

29.  xn. 

3o.xn 

3i.xn. 

Zustand: 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

Halbstunde  1 

—   63 

+   26 

—  103 

-f  60 

—  61 

—  103 

-76 

—    22 

2 

—  111 

—  137 

—  145 

—  57 

—  12 

—  126 

+  26 

+  n 

3 

—   77 

-h     9 

—     9 

—  99 

—  45 

—   53 

+  12 

—  105 

4 

—   64 

—  109 

-f   32 

—  31 

-89 

—  101 

—   9 

-    78 

Eine  Betrachtung  der  mittleren  Variation  der  Fiinfminutenzahlen 
in  jeder  halben  Stunde  (Tabelle  VII)  zeigt  eine  ziemlich  ausgiebige 
Streuung  der  Werthe.  Die  mittlere  Variation  betragt  an  einer  Stelle 
1 7  Procent  der  Durchschnittsleistung  dieses  Abschnitts.  Es  ist  kein 
besonderer  Unterschied  zwischen  den  Tagen  o.  N.  und  m.  N.  fest- 
zustellen.  An  jenen  belauft  sich  die  mittlere  Variation  durchsdinitt- 
lich  auf  19,67,  bei  diesen  auf  20,31.  Dieser  Mangel  an  GleichmaBig- 
keit  im  Arbeiten  steht  in  einem  gewissen  Gegensatze  zu  dem  oben 
festgestellten  ruhigen  Fortschritte  der  Uebung  im  Gesammtverlaufe 
der  Versuchsreihe. 

Tabelle  VH. 
Mittlere  Variation  der  Fiinfminutenwerthe. 


Tag: 

23.  XII. 

24.XIL 

25.XIL 

26.  xn. 

27.  xn. 

29.xn. 

30.  XU. 

31. xn. 

Zustand : 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

O.N. 

M.N. 

Halbstunde  1 

24,5 

14,0 

28,2 

19,7 

10,2 

27,2 

24,7 

14,7 

2 

34,5 

22,8 

24,5 

16,2 

12,0 

21,0 

19,0 

11,8 

3 

14,5 

11,2 

20,2 

30,2 

19,2 

14,8 

23,7 

24,2 

4 

22,7 

20,2 

6,0 

20,5 

14,8 

30,8 

17,8 

25,7 

Die  schwerwiegendste  Ursache  fur  diese  XJngleichmaBigkeit  liegt 
wohl  in  der  Neigung  der  Versuchsperson  zum  Antrieb.    Es  scheint 


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704  Wilhelm  Weygandt. 

eine  ausgepragte  personliche  Eigenschaft  von  Romer  gewesen  zu  sein, 
in  seine  geistige  Thatigkeit  Willensimpulse  eingreifen  zu  lassen.  Leider 
ist  es  nicht  leicht,  mit  der  groben  Zeiteintheilung  von  5  zu  5  Minuten 
sehr  kleine  Schwankungen,  besonders  das  kurze  Aufschnellen  der 
Leistung,  wie  es  aus  derartigen  Antrieben  hervorgeht,  sicher  zu  er- 
kennen.  Immerhin  diirfen  wir  das  starke  Ueberwiegen  der  ersten 
5  Minuten  iiber  die  folgenden  Abschnitte,  in  denen  sich  ein  allmah- 
liches  Ansteigen  der  Leistung  wieder  einstellt,  entschieden  als  Anfangs- 
antrieb,  die  haufigste  Form  dieser  Erscheinung,  auf fassen.  Besonders 
deutlich  finden  wir  diesen  am  ersten  Tage  der  Versuchsreihe,  wo  er 
bei  keinem  der  4  Arbeitsabschnitte  vermisst  wird.  Hier  sehen  wir 
auch  das  Emporschnellen  der  Leistung  in  GestaJt  des  Schlussantriebes 
kurz  vor  dem  Ende  jeder  Arbeitszeit,  nachdem  schon  ein  allgemeiner 
Nachlass  der  Leistungsfahigkeit  sichtbar  geworden  war. 

Die  vorliegende  Versuchsanordnung,  nach  der  Romer  stets  iiber 
die  zeitliche  Eintheilung  wiihrend  des  Arbeitens  im  Klaren  sein  musste, 
lasst  die  Haufigkeit  des  Schlussantriebes  besonders  begreiflich  erschei- 
nen.  Nur  bei  Versuchen  mit  zeitlicher  Festlegung  jeder  einzelnen  Addi- 
tion, wie  sie  von  von  Voss*)  beschrieben  werden,  ist  es  moglich,  die  Er- 
scheinung des  Antriebes  bis  in  alle  Einzelheiten  hinein  zu  verfolgen. 
Bei  der  Fiinfminuteneintheilung  aber  konnen  schwachere  Antriebswir- 
kungen  sich  nicht  ausdriicken,  wie  wir  sie  etwa  da  vemmthen  diirfen, 
wo  auf  den  Abfall  von  251  auf  237  ein  weiterer,  doch  ganz  geringer, 
auf  236  erfolgt.  Besteht,  wie  in  der  ersten  Hiilfte  des  Versuchs  vom 
31.  Dec,  iiberhaupt  in  den  2.  Viertelstunden  Neigung,  die  Leistung 
zu  bessem  (347,  381,  387  und  375,  389,  390),  so  darf  die  Steige- 
nmg  gegen  das  Ende  hin  natiirlich  nicht  als  Antriebswirkung  an- 
gesehen  werden.  Auf  eine  Ermittelung  von  Antriebsvorgangen  wah- 
rend  des  Verlaufes  der  Arbeit  konnen  wir  bei  unserem  Stoffe  mit 
seinen  immer  nur  sechstheiligen  Abschnitten  gar  nicht  schlieBen,  wenn 
auch  das  starkere  Schwanken  der  einzelnen  Werthe  of  ter  darauf  hin- 
deuten  mag.  Wir  miissen  uns  stets  vergegenwartigen,  dass  neben  dem 
bessemden  Einfluss  des  Antriebes  auch  andere,  nicht  immer  feststell- 
bare,  oft  verschlechtemde  XJmstande  wirksam  sind,  geringe  Dispo- 
sitionsschwankungen  auf  Grund  von  Miidigkeit,  korperlichen  Vorgangen, 
auBeren  Storungen  u.  s.  w. 

1)  Diese  Arbeiten  U.,  S.  399. 


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Romeros  Versuche  fiber  NahruDgsaufiiabme  uod  geistige  Leistuugsfahigkeit.       705 

TabelleVm. 
Haufigkeit  des  Antriebes. 


Zustand 

O.N. 

M.  N. 

Antriebsart  .... 

Anfang 

SchlusB 

Anfang 

Schluss 

Halbstunde  1   .    .   . 

2  .    .    . 

3  .    .    . 

4  .    .    .     1 

1 

4 
3 
4 
4 

2 
4 
3 
3 

2 
3 
3 
3 

1 
1 
2 
4 

Zusammen    .... 

15 

12 

11 

8 

Das  Auftreten  des  Antriebs  am  Anfange  und  am  Schlusse  jeder 
halben  Stunde,  soweit  es  mit  einiger  Bestimmtheit  anzugeben  ist,  lasst 
Tabelle  VIII  erkennen.  Die  einzelnen  Belege  finden  sich  leicht  in 
Tabelle  I.  Im  ganzen  ist  die  Neigung  zum  Antrieb  an  den  Tagen 
o.  N.  groBer  als  an  jenen  m.  N.  Am  schlecbtesten  steht  der  letzte 
Tag  der  Reihe  (m.  N.)  da,  der  iiberhaupt,  wie  die  Betrachtung  des 
Uebungszuwachses  erkennen  lasst,  unter  ungUnstigerer  AUgemein- 
disposition  verlief.  Nur  an  seinem  Ende,  dem  allerletzten  Abscbnitte 
der  ganzen  Versuchsreihe,  treffen  wir  wieder  einen,  bier  leicbt  ver- 
standlichen  Schlussantrieb.  Wenn  wir  die  Antriebshohe  mit  beriick- 
sichtigen,  scheint  im  ganzen  die  erste  Halfte  der  Versuche  an  den 
Tagen  o.  N.  bevorzugt  zu  sein,  wahrend  die  Tage  m.  N.  mehr  im  3. 
und  4.  Arbeitsabschnitte  Antrieb  zeigen.  Wenn  wir  die  Zahlenwerthe, 
um  die  jede  Antriebsperiode  ihren  Nachbarabscbnitt  Ubertrifft,  mit 
einander  vergleichen,  so  verhalt  sich,  ohne  dass  auf  die  absolute  Hohe 
der  Werthe  irgend  welcher  Nachdruck  gelegt  wird,  der  Anfangs- 
antrieb  an  den  Tagen  o.  N.  zu  demjenigen  m.  N.  der  Hohe  nach  wie 
25,8:20,3;  der  Schlussantrieb  wie  18,3  zu  14,4.  — 

Ergebniase: 
1.  Wenn  wir  eine  Deutung  dieser  Bef  unde  versuchen,  so  miissen 
wir  zunachst  das  durchgehende  Zuriickbleiben  der  Tage  o.  N.  um  20 
bis  30^  wohl  auf  die  Wirkung  der  vom  vorigen  Abende  her  be- 
stehenden,  ungefahr  10 — 16  Stunden  andauemden  Nahrungsenthal- 
tung  zuriickfiihren.  In  wie  fern  dies  mit  den  Ergebnissen  neuerer 
Versuche   ubereinstimmt,   soil  in   einem   der  nachsten  Hefte   dieser 


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706  Wilhelin  Weygandt.  Rdmer's  Versucbe  iib.  Nabrungsanfiiahme  u.  geistigeLeistungsRihigkeit. 

Arbeiten  besprochen  werden.  Die  ungUnstige  Wirkung  der  Nahrungs- 
enthaltung  wird  an  den  Tagen  m.  N.  beseitigt,  ohne  dass  jedoch, 
wie  das  nach  der  Mittagsmahlzeit  beobachtet  wird,  zunachst  eine 
Herabsetzung  der  Leistung  bemerkbar  ware.  Dieser  Widerspruch 
diirfte  sich  dadurch  losen,  dass  bei  der  vorliegenden  Versuchs- 
reihe  nur  eine  verhaltnissmaBig  geringe,  vor  allem  wenig  voluminose 
und  recht  leicht  verdauliche  Mahlzeit  vorausgegangen  war,  die  Uber- 
dies  noch  eine  halbstundige  Pause  von  dem  Arbeitsbeginn  trennte. 
Sehr  bemerkenswerth  ist  jedoch,  dass  die  Wirkung  des  Essens 
schon  beim  ersten  Beginne  der  Arbeit,  also  zu  einer  Zeit  deutUch 
war,  wo  eine  Aufsaugung  und  Verwerthung  des  Genossenen  schwer- 
lich  schon  in  irgend  nennenswerthem  XJmfange  geschehen  sein  konnte. 
Vielleicht  hat  also  das  Gefiihl  der  Sattigung  bereits  einen  gunstigen 
Einfluss  ausgelibt.  Jedenfalls  erscheint  es  zweckmaBig,  sehr  ermiid- 
baren  Abendarbeitem  friih  vor  dem  Arbeiten  das  Einnehmen  eines 
reichlicheren  Friihstiickes  zu  empfehlen.  Ob  diese  MaBregel  fur 
andersartige  Personlichkeiten  von  erheblicherer  Bedeutung  ist,  muss 
durch  weitere  Versuche  festgestellt  werden.  Immerhin  dlirften  die  mit- 
getheilten  Erfahrungen  besonders  ftirSchulkinderzu  berUcksichtigen 
sein,  die  so  haufig  die  Neigung  haben,  ihr  Friihstuck  auf  ein  moglichst 
geringes  MaB  zu  beschranken,  zumal  ihnen  bei  dem  friihen  Beginne 
des  Unterrichts  meist  Zeit  und  Ruhe  zu  reichUcherer  Mahlzeit  fehlt. 

2.  Die  Uebung  wird  durch  wechselnde  Versuchsverhaltnisse  nicht 
beeinflusst. 

3.  R.  zeigt  sich  als  eine  leicht  ermlidbare  Natur.  Auf  Grund 
seiner  Abenddisposition  macht  sich  bei  diesen  Arbeiten  am  Morgen 
trotz  der  halbstundigen  Erholungspausen  eine  f ortschreitende  Ermiidung 
maBigen  Grades  geltend,  an  den  Tagen  o.  N.  etwas  starker,  als  an 
denen  m.  N.  Vor  der  sich  bessernden  Tagesdisposition  tritt  im  Laufe 
der  Vormittagsthatigkeit  die  Ermiidungswirkung  etwas  zuriick. 

4.  R.  arbeitet  mit  geringer  GleichmaBigkeit,  ohne  dass  in  dieser 
Hinsicht  an  den  zweierlei  Tagen  Unterschiede  ersichtUch  waren. 

5.  Haufig  giebt  sich  bei  R.  Neigung  zu  Willenseingriffen  kund 
in  dem  Auftreten  des  Anfangs-  wie  des  Schlussantriebs,  die  an  den 
Tagen  o.  N.  am  deutUchsten  ausgepragt  sind.  Vielleicht  spielt  bei 
ihrer  Entstehung  das  Gefiihl  der  herabgesetzten  Leistungsf ahigkeit  eine 
gewisse  RoUe.  

Drnck  Ton  Breiikopf  it  li&rtel  in  Leipzig. 

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