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Full text of "Regierung und volkswille, eine akademische vorlesung"

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KATBPSERERESTNNEELERER UHREN 
U.B.C. LIBRARY 


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THE LIBRARY 


THE UNIVERSITY OF 
BRITISH COLUMBIA 


1% 
Regierung 
und Volkswille 


Eine akademiſche Vorleſung 
N bon 

Hans Delbruͤck. 
EN, 


EN 


2 


Verlag von Georg Stilke, Berlin NW. 7 
Hofbuchhaͤndler Sr. Kaiſerl. u. Koͤnigl. Hoheit des Kronprinzen 
1914 


Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. 
Copyright 1914 by Georg Stilke, Berlin. 


Vorwort. 


Vor etwa zwei Jahren wurde ich einmal von Studenten 
gebeten, eine Spezialvorleſung über „Parteien und Partei— 
regierung“ zu halten. Ich kam dieſem Wunſche in einigen 
Stunden nach und fand dabei, daß der Gegenſtand ſich 
eigne, zu einer vollſtändigen Vorleſung für ein Semeſter er— 
erweitert zu werden. Dieſe Vorleſung habe ich im Sommer 1913 
gehalten, und indem ich ſie begann, machte ich mir klar, 
daß, was ich vorzutragen gedachte, auch geeignet ſein möchte, 
in den Druck gegeben zu werden. Ich ließ alſo die Vor— 
leſung nachſtenographieren und lege ſie nunmehr vor, nach— 
dem ich ſie hier und da überarbeitet, ergänzt und auch den 
Titel geändert habe. Es ſind die Ideen und Tendenzen, die ich 
ſeit 29 Jahren in den „Preußiſchen Jahrbüchern“ vertrete, 
pſychologiſch analyſiert und breiter fundamentiert durch die 
Ergebniſſe meiner hiſtoriſchen Werke und Studien; auch 
manche Berichtigung hergebrachter Anſchauungen, über die 
meine Unterſuchungen noch nicht veröffentlicht ſind, iſt ein— 
geflochten. 

Wie man auch theoretiſch über das Verhältnis des 
Hiſtorikers zum Politiker urteile, bei mir hängen beide 
jedenfalls in der Weiſe zuſammen, daß meine politiſche 
Stellungnahme durchaus beherrſcht iſt durch meine Auf— 
faſſung als Hiſtoriker und nicht umgekehrt. Ganz gewiß 


4 Vorwort. 


iſt es nicht das Weſen und der Zweck der Geſchichte, aus 
ihr Lehren zu ziehen für das praftifche Handeln. Das 
Weſen der echten Geſchichtsſchreibung iſt die reine Betrachtung. 
Es gibt keine Geſetze der Geſchichte, und man kann keine 
Verhaltungsregeln aus ihr ableiten. Das ſchließt aber 
nicht aus, daß eine klare Einſicht in den Urſprung und 
das Werden der Zuſtände, in denen wir leben, ein un— 
ſchätzbares Hilfsmittel iſt, die Gegenwart zu verſtehen, und 
das beſſere Verſtändnis der Gegenwart, wenn es auch noch 
keine Prophetengabe für die Zukunft verleiht, ſchärft doch 
den politiſchen Blick. Nicht minder werden wir das von 
der Einſicht in das Werden und Vergehen anderer Völker 
erwarten dürfen. Wenn es wahr iſt, daß Politik Voraus— 
ſehen verlangt, ſo hat ſchon hierdurch die echte Geſchichts— 
kenntnis ihren hohen Wert für die Politik, wenn ſchon ihr 
eigentlicher Zweck darin nicht liegt. Das Vorausſehen in 
der Politik erleichtert des weiteren ihre praktiſche Aufgabe, 
die Zielſetzung, der dann endlich der Wille zur Tat in der 
praftifchen Staatskunſt das volle Leben verleihen muß. 
Nationale Geſinnung verlangen wir heute von jedem, aber 
auch wenn die Geſinnung ſich paart mit der Willenskraft, 
kann ſie den nationalen Staat doch nur dann gedeihlich 
fuͤhren, wenn ſie die wohl überlegende und durchgebildete 
Einſicht an der Spitze hat. 

In dieſem Sinne ſind Wiſſenſchaft und Politik in den 
„Preußiſchen Jahrbüchern“ von je verbunden geweſen, und 
was dort nach den Forderungen des Tages gegeben wird, 
habe ich nun hier, freilich nur in der flüſſigen Form einer 
Vorleſung, verſucht ſyſtematiſch zu entwickeln. Die 
„Preußiſchen Jahrbücher“ haben ſich oft dem Strom der 
öffentlichen Meinung entgegengeſtemmt, zuweilen auch bei 
guten Freunden Widerſpruch erregt. Ich gebe mich der 


Vorwort. 5 


Hoffnung hin, daß dieſe zuſammenhängende Darftellung 
manchen Widerſpruch, der mehr auf Mißverſtändnis als 
auf ſachlichem Gegenſatz beruht, überwinden, auch manchen 
wirklichen Gegner ſtutzig machen und ſchließlich dieſen 
meinen Anſchauungen neue Anhänger gewinnen wird. 

Unſere Regierung rühmt ſich über den Parteien zu ſtehen. 
Auch die Wiſſenſchaft ſteht über den Parteien. Die menſch— 
liche Unzulänglichkeit wird es ſelten zulaſſen, daß dieſer 
hohe Standpunkt tatſächlich erreicht und innegehalten wird. 
Aber ſchon daß er erſtrebt wird, gibt eine große Überlegen— 
heit über jeden Parteiſtandpunkt. Der praktiſche Staats— 
mann ſieht zunächſt, wie er ſich mit den Parteien aus— 
einanderſetze. Aber auch was die Wiſſenſchaft ſagt, iſt 
beſonders in Deutſchland immer ſehr beachtet worden, und 
es möchte ratſam ſein, daß man das auch fürderhin wohl 
in Obacht nehme. 


Berlin-Grunewald, 
den 11. November 1913. 


Hans Delbruͤck. 


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University of British Columbia Library 


http://www.archive.org/details/regierungundvolk00delb 


„Regierung und Volfssoille” ift ein einzelnes Kapitel aus 
dem Gebiete der Politik, das ſich zur Spezialbehandlung be— 
ſonders eignet, da die Frageſtellungen, die damit verbunden ſind, 
ſo recht in die Mitte aller der Probleme führen, die heute 
unſer Volk wie alle Völker bewegen, viel mehr, als wenn 
man etwa über Monarchie und Republik oder über Liberalis— 
mus, Klerikalismus und Sozialismus ſprechen wollte. 

Man verlangt heute allenthalben, daß das Volk ver— 
möge der abwechſelnden Parteien ſich ſelbſt regiere. Der 
Volkswille ſoll zum Ausdruck gebracht werden und den Staats— 
willen beſtimmen. Da wollen wir beginnen mit der Frage: 
Was iſt das Volk, nach deſſen Willen man ſich richten ſoll? 
Was iſt das deutſche Volk? Zum deutſchen Volk gehören 
nicht bloß die Reichsdeutſchen, ſondern auch die deutſchen 
Oſterreicher, die deutſchen Schweizer, die vielen Millionen 
von Deutſchen in Ungarn, Rußland und Amerika. Von 
vornherein müſſen wir den Begriff des deutſchen Volkes 
auf die Reichsdeutſchen einſchränken. Sofort aber erkennen 
wir dann, daß zu dem deutſchen Volk in dieſem Sinne 
auch viele Millionen Polen, Dänen und Franzoſen gehören. 
Es gibt in Elſaß⸗Lothringen auch Deutſchſprechende, die fort— 
während den Willen bekunden, daß ſie dem deutſchen Volke 
politiſch anzugehören ablehnen. Sehen wir von dieſen 
immerhin ſehr erheblichen Unſtimmigkeiten ab und erblicken 
im deutſchen Volk in unſerem politiſchen Sinne die Ein— 
wohnerſchaft des deutſchen Reichs — mögen gewiſſe Bruch— 


Volksregierung. 


Was iſt ein 
Volk? 


Sind die Elſaß⸗ 
Lothringer ein 
Volk? 


2 Was iſt ein Volk? 


teile damit einverſtanden ſein oder nicht — ſo haben wir 
damit freilich eine Einheit, aber keineswegs eine von der 
Natur gegebene, ſondern eine durch die geſchichtlichen Er— 
eigniſſe unter tauſend Zufälligkeiten gebildete. 

Als vor einigen Jahren dem Reichslande Elſaß-Lothringen 
eine Verfaſſung gegeben wurde, die dieſes Gebiet den anderen 
Gliedſtaaten des Reiches gleichſtellte, wurde vielfach verlangt, 
daß gemäß dem Prinzip des Selbſtbeſtimmungsrechts der 
Völker die Elſaß-Lothringer ſelber zugezogen werden und 
ihre Verfaſſung beſtimmen ſollten. In dieſem Verlangen, 
das von vielen Liberalen mit Lebhaftigkeit befürwortet wurde, 
waren alſo die Elſaß-Lothringer als ein Volk vorausgeſetzt, 
das einen eigenen Willen produzieren kann. Wer ſind die 
Elſaß⸗Lothringer? Der Abſtammung nach zum Teil Alemannen, 
zum Teil Franken, zum Teil Franzoſen. Der Geſchichte nach 
gehörten einige Teile dieſes Gebiets zu Frankreich ſeit dem 
Jahre 1552, andere ſeit 1648, ſeit 1681, 1735, 1801; bis 
dahin zu Deutſchland; Muͤlhauſen gehoͤrte bis 1794 zur 
Schweiz. Die von militäriſchen Erwägungen beſtimmten 
und inſoweit durchaus willkürlichen Feſtſetzungen einerſeits 
des Friedens von Paris (1815), andererſeits des Frankfurter 
Friedens (1871) haben alle dieſe verſchiedenen Territorien und 
Stammesfragmente zu einer Einheit zuſammengefügt. Bilden 
nun die Bewohner dieſer geographiſchen Einheit ein Volk? 
Kann man dieſem Volk einen Willen zufprechen, und wie ver—⸗ 
hält ſich dieſer Wille zum Willen der Geſamtheit des deutſchen 
Volkes? Es iſt doch offenbar unmöglich, daß jeder einzelne, 
beliebig herausgeſchnittene Bruchteil eines Volkes ein Selbft- 
beſtimmungsrecht habe. Sprechen wir es den Elſaß— 
Lothringern im Ganzen zu, weshalb nicht jedem der drei 
Stämme, Schwaben, Franken und Franzoſen? Und weshalb 
nicht ſchließlich jeder einzelnen Gemeinde? Es iſt möglich, 


Die Elſaß⸗Lothringer. 3 


daß aus den Elſaß-Lothringern mit der Zeit einmal innerhalb 
des deutſchen Volkes eine gewiſſe Einheitlichkeit des Emp— 
findens erwächſt, ſo wie bei den Preußen oder Bayern. 
Die Forderung aber, daß das elſaß⸗-lothringiſche Volk jetzt 
ſeine eigene Verfaſſung beſtimme, war in doppelter Weiſe 
ſinnwidrig: Erſtens, weil die Elſaß-Lothringer in ihrem 
Empfinden noch gar keine organiſche Einheit darſtellen, und 
beſonders weil ſie nur ein Teilſtück des deutſchen Volkes 
find, fo wie fie bis 1870 ein Teilſtück des franzöſiſchen 
Volkes waren. Mit Recht hat deshalb die Entſcheidung 
über die Abtretung des Gebiets zwiſchen Rhein und Vogeſen 
der franzöſiſche Staat als Ganzes, die Volksvertretung in 
Bordeaux, gegeben und nicht eine irgendwie organiſierte 
Willenskundgebung der abzutretenden Gebiete ſelbſt, und 
mit demſelben Recht hat jetzt die Geſetzgebung des deutſchen 
Reiches dieſem Gebiete eine Verfaſſung gegeben. 

Haben wir ſchon den Begriff des deutſchen Volkes ein— 
ſchränken müſſen auf die Einwohner des deutſchen Reiches, 
ſo müſſen wir den Begriff noch weiter einengen durch die 
Feſtſtellung, daß wir es auch in dem weiteren Begriff 
„deutſches Volk“ nicht mit einem von der Natur gegebenen, 
ſondern mit einem durch den Lauf der Geſchichte geſchaffenen 
Gebilde zu tun haben. Man pflegt das deutſche Volk zu 
behandeln als die einfache Fortſetzung jenes Volkstums, 
das vorher Germanen genannt wurde. Das iſt nicht richtig. 
Es iſt gar kein Zweifel, daß nur ein geringer Teil des 
heutigen deutſchen Volkes, nämlich die Bewohner von 
Hannover, Weſtfalen, Braunſchweig, Oldenburg in der 
Hauptſache Germanen ſind. Sämtliche Deutſche aber am 
Rhein wie ſüdlich des Main find ſehr ſtark gemiſcht mit 
Kelten, Rhätiern und anderen romaniſierten Voͤlkern, alle 
Gebiete öſtlich der Saale und Elbe wiederum mit Slaven, 


Das deutſche 
Volk. 


4 Miſchraſſen. 


Preußen und Lithauern. Wie ſtark der Beiſatz von fremdem 
Blute iſt, iſt im einzelnen nicht zu berechnen. In manchen 
Gegenden geht er unzweifelhaft ſehr weit, noch weit über 
die Hälfte hinaus. 

Ganz ebenſo wie die Deutſchen ſind auch alle die anderen 
großen Kulturvölker — die Engländer, Franzoſen, Spanier, 
Italiener Miſchraſſen, durch den Gang der geſchichtlichen 
Ereigniſſe miteinander verſchmolzene Beftandteile der aller— 
heterogenſten Stämme, und es iſt ein Beweis der 
Herrſchaft des Geiſtes über die Natur, daß die Einheit, 
die ſie darſtellen, aus phyſiſch ſo disparaten Elementen auf— 
gebaut iſt. Selbſt dann, wenn, was wir ſelten genug 
finden, der Volkseinheit eine phyſiſche Stammes-Einheit 
zugrunde liegt, ſo iſt doch das Weſen des Volkstums 
nicht in der gemeinſamen Abſtammung, ſondern in ſeiner 
geiſtigen Einheit zu ſuchen. Die Wiſſenſchaft iſt hierüber 
völlig einig, und Treitſchke hat ſogar den Satz aufgeſtellt, 
daß gerade die ſtaatsbildenden Völker ſtets ſtark gemiſcht 
geweſen ſeien, wie die Römer und die Engländer. Die 
Araber und Juden ſeien beſonders reinen Blutes, und von 
ihnen könne man nicht behaupten, daß fie vorzüglich ftants- 
bildend gewirkt hätten; ihre Kraft liege auf ganz anderen 
Gebieten. „Freilich,“ fügt er hinzu, „faſt alle edlen Völker, 
wie die Athener, nannten ſich ſelber autochthon; aber faſt 
alle mit Unrecht.“ Noch heute könne man erkennen, wo 
in Deutſchland die Mädchen die Laſten auf dem Kopfe 
tragen, da ſeien einmal die Römer geweſen. Die Schwaben 
im Mittelalter, die Preußen in der Neuzeit, ſeien die ſtaats⸗ 
bildenden Träger des Deutſchtums geweſen, und gerade ſie 
ſeien beſonders ſtark gemiſcht. Ich möchte mir dieſen 
Schluß, daß Blutmiſchung hervorragend befähigt mache zur 
Staatsbildung, nicht aneignen. Die erſten Staatsbildner in 


Abkunft der Deutſchen. 5 


Deutſchland waren doch die Sachſen unter Heinrich J. und 
Otto J. und waren nicht gemiſcht, und ſchließlich die Nieder: 
lande ſind doch auch eine ſehr bedeutſame germaniſche 
Staatsbildung und getragen von ungemiſchten Germanen. 
Das Richtige und Wertvolle in dieſer Betrachtung iſt aber, 
daß wir wiederum den Begriff „Volk“ nicht als etwas Ge⸗ 
gebenes erkennen, ſondern als etwas in den Kämpfen der 
Geſchichte Gewordenes. Von wo an können wir nun dieſem 
Werdenden, von dem wir eben erfahren haben, daß es aus 
ganz verſchiedenen und entgegengeſetzten Elementen zuſammen⸗ 
geſchmolzen iſt, einen Willen zuſprechen? Seit dem gemein⸗ 
ſamen Siege über die Ungarn auf dem Lechfelde im Jahre 955 
haben ſich die Stämme der Sachſen, Franken, Schwaben 
und Bayern allmählich in einem Einheitsgefühl als deutſches 
Volk zuſammengeſchloſſen, aber noch im Jahre 1815 vermeinte 
jede Landſchaft, z. B. Neu⸗Vorpommern und Altpommern 
eine beſondere „Nation“ zu fein“) und auf dem Wiener 
Kongreß widerſprach der württembergiſche Geſandte „der 
Abſicht, aus verſchiedenen Völkerſchaften, z. B. Preußen 
und Württembergern, ſozuſagen, eine Nation zu bilden.“ 
In der Tat wuͤrden ja auch der pommerſche und der 
württembergiſche Bauer, wenn ſie in ihrer Mutterſprache 
ſprechen, ſich untereinander nicht verſtändigen können. Nur 
indem man ſie in der Volksſchule künſtlich die hochdeutſche 
Schriftſprache lehrt, ſchafft man die für das Weſen eines 
einheitlichen Volkes unentbehrliche Spracheinheit. 

In noch größere Verlegenheit geraten wir, wenn wir 
nun von dem heute trotz dieſer Vorbehalte in einer großen 
nationalen Einheit daſtehenden Volke der Deutſchen abſehen 
und etwa zu den Sſterreichern oder Ungarn gehen. Wo iſt 


*) Treitſchke, Deutſche Geſch. II., 196 ff. 


6 Kulturvolk und Staatsvolk. 


das öſterreichiſche oder ungariſche Volk? Zehn verſchiedene 
Nationalitäten, meiſt auch nur wieder Bruchſtücke von 
größeren Stämmen, ſind hier zu einer politiſchen Einheit 
vereinigt. In Ungarn herrſchen die Magyaren, die nach 
ihrer eigenen Zählung gerade die Hälfte der Einwohnerſchaft 
des Königreichs ausmachen, nach der Meinung der Kenner 
lange noch nicht einmal die Hälfte, etwa 8½ Millionen 
von 20. Wo iſt hier der ungariſche Volkswille zu 
ſuchen? 

Um den Begriff „Volk“ überhaupt ſtaatsrechtlich wieder— 
zugeben, müſſen wir von dem eigentlichen Sinne der 
nationalen oder Kultureinheit, oder wie man ſie ſonſt 
nennen will, abſehen und die Geſamtheit der Bürger— 
ſchaft eines wie auch immer zuſammengeſetzten und be— 

Zum Volk ge- grenzten Staates darunter verſtehen. Das deutſche Volk in 
on dieſem Sinne find alſo die Bürger des deutſchen Reiches. 
Kinder. Sind es aber bloß die Männer? Gehören nicht auch die 
Frauen zum deutſchen Volk? Es gibt bekanntlich ſogar viel 

mehr Frauen als Männer. Von welchem Lebensjahr an 

gehört ein Deutſcher zu demjenigen Teil der Deutſchen, die 

berufen ſind, den Volkswillen darzuſtellen? Gehört zur 
Konſtituierung eines Volkswillens die direkte Abſtimmung 

über eine beſtimmte Frage? Kann man zu dem Volkswillen 

gelangen auch durch Repräſentanten? Wie ſollen dieſe 
Repräſentanten gewählt werden? Das iſt von der aller⸗ 

höchſten Bedeutung. Wir werden noch davon hören. Denn 

durch die Art der Abſtimmung kann es ſehr leicht geſchehen, 

Majorität und daß die Majorität in eine Minorität verwandelt wird. In⸗ 
Minorität. wiefern hat überhaupt die Majorität das Recht, ſich für 
das Ganze auszugeben und den Willen der Minorität zu 

mißachten oder auszuſchalten? Gehört die Minorität nicht 

auch zum Volk? Vor kurzem hat Herr Woodrow Wilſon 


Majoritaͤt und Minoritaͤt. 7 


das Amt als Präſident der Vereinigten Staaten von 
Amerika angetreten; anſcheinend als der Erwählte der 
Majorität der amerikaniſchen Staatsbürger. In Wirklichkeit 
hat ihn nur die Minorität gewählt. 


hat 58157800 Stimmen, 
dagegen Rooſevelt .. 3928000 Stimmen, 
e, ,, 3370000 
dee „ 
Shaping 27322161000 1 
zuſammen 8139000 Stimmen. 


Die Gegenkandidaten zuſammen haben alſo volle 
2 Millionen Wähler mehr hinter ſich gehabt als Herr Wilſon. 
Das iſt möglich geweſen, weil die Wahl nicht direkt war, 
ſondern durch Wahlmänner vollzogen wurde, die in den 
einzelnen Staaten gewählt wurden. Der Zufall wollte es 
nun, daß Herrn Wilſons Wahlmänner mehrfach nur mit 
ganz kleiner Majorität gewählt wurden, daß große Minoritäten 
ſeiner Gegner alſo ausfielen, während dieſe umgekehrt viel— 
fach Wahlmänner mit großen Majoritäten hatten, Wilſon 
dort alſo nur kleine Minoritäten verlor. Überdies gilt bei 
der Wahl der Wahlmänner in den meiſten Staaten bloß 
die relative Majorität. Die Spaltung der Republikaner 
zwiſchen Taft und Rooſevelt verſchaffte alſo in vielen 
Staaten Wilſon die Stimmen der Wahlmänner, obgleich 
er nur die Minorität der Wähler auf ſeiner Seite hatte. 

Iſt es ſchon ſehr bedenklich, die Majorität ohne weiteres 
für das Ganze zu ſubſtituieren und die Minorität aus— 
zuſchalten, ſo wird das Bedenken noch ſehr verſtärkt da— 
durch, daß ja erfahrungsmäßig ſehr viel Bürger ſich über— 
haupt an den Abſtimmungen nicht beteiligen. Der Politiker 
hilft ſich mit dem alten Satz: qui tacet consentire videtur. 


Verbürgt an⸗ 
nähernde Ein⸗ 
ſtimmigkeit den 
Volkswillen? 


8 Die Herrſchaft der Napoleons. 


Aber der Satz genügt hier offenbar nicht. Denn zuſtimmen 
kann man nur einem Beſchluß, den man kennt. Hier 
muß angenommen werden, nicht ſowohl, daß die Nicht— 
wähler zuſtimmen, als daß ſie ſich unterwerfen, was auch 
immer das Ergebnis der Abſtimmung ſei. 

Bei der Wahl des Präſidenten Wilſon haben überdies 
drei Millionen ſtimmberechtigte amerikaniſche Bürger ſich 
der Stimme enthalten, fo daß die jetzige amerikaniſche Re: 
gierung tatſächlich nur von einem Drittel der Bürgerſchaft 
eingeſetzt worden iſt. Ja, wir haben ſehr häufig in demo— 
kratiſch regierten Staaten den Fall, daß nur etwa die Hälfte 
der Berechtigten, oft noch weniger, an der Abſtimmung teil— 
nimmt. Die Majorität dieſer Hälfte macht alſo unter Um— 
ſtänden wenig über ein Viertel aus. Kann man im Ernſte 
behaupten, daß die Kundgebung eines Drittels oder eines 
Viertels der vorhandenen Bürger den Volkswillen darſtelle? 

Vielleicht gibt man zu, daß es nur ein Notbehelf iſt, 
wenn man in ſolchen Fällen vom Volkswillen ſpricht, aber 
wenn ſich nun Einmütigkeit oder ſo gut wie Einmütigkeit 
bei einer Abſtimmung kundgibt, dann wird man doch wohl 
von einem Volkswillen ſprechen können? Sehen wir zu. 
Es iſt tatſächlich nicht ganz ſelten geſchehen, daß ein großes 
Volk in einer allgemeinen Abſtimmung nahezu einſtimmig 
ſeine Meinung kundgegeben hat, z. B. bei der Wahl der 
beiden Bonapartes zu Herrſchern der Franzoſen. Kaiſer 
Napoleon III. hat im Jahre 1868, als ſein Herrſcherrecht 
bereits anfing, ſtark angefochten zu werden, eine Schrift 
verfaſſen laſſen oder ſelber verfaßt: „Les titres de la dynastie 
Napolèonienne“ („Die Rechtstitel der Napeleoniſchen 
Dynaſtie“). Der Schrift iſt das Motto vorgeſetzt: „Vox 
populi vox Dei“. Hier iſt hiſtoriſch ganz richtig feſtgeſtellt, 
daß im Jahre 1799 die Konſulatsverfaſſung, die den General 


Die engliſche Volksvertretung. 9 


Bonaparte als erſten Konſul an die Spitze von Frankreich 
berief, angenommen wurde mit mehr als 3 Millionen 
Stimmen gegen eintauſendfünfhundert. Die Abſtimmung 
wurde im Jahre 1804 wiederholt, als der Konſul ſich zum 
Kaiſer proklamieren ließ, und ergab 4½ Millionen Ja 
gegen 2500 Nein. Napoleon III. wurde am 10. Dezember 
1848 zum Präſidenten gewählt mit 5430000 Stimmen 
gegen Cavaignac mit 1448000 Stimmen, am 2. Dezember 
1851 zum Präſidenten auf zehn Jahre mit 7½ Millionen 
gegen 650000; am 2. Dezember, als er zum Kaiſer gewaͤhlt 
wurde, waren die Nein auf 253000 geſunken. Hat nun 
die Geſchichtsſchreibung und namentlich die demokratiſche 
Geſchichtsſchreibung anerkannt, daß hier wirklich der Wille des 
franzöſiſchen Volkes, den man als ſolchen zu reſpektieren habe, 
zum Ausdruck gekommen ſei? Im Gegenteil. Man ſieht 
die Herrſchaft der beiden Napoleons ganz und gar nicht als 
Ausdruck des Volkswillens, ſondern als Gewaltherrſchaft, 
ein „Säbelregiment“, eine „Tyrannis“ an. 

Halten wir dieſe verſchiedenen Zahlen und hiſtoriſchen 
Erfahrungen zuſammen, fo ergibt ſich, daß in der Konz 
ſtruktion eines Volkswillens vermöge einer allgemeinen Ab— 
ſtimmung irgendwelche Elemente ſtecken müſſen, die wir 
noch nicht ans Licht gezogen haben. Denn auf der einen 
Seite finden wir, daß der Amerikaner ſich ohne jeden Wider— 
ſpruch heute einem Präſidenten unterordnet, der nur die 
Minorität der Wählenden hinter ſich gehabt hat, und auf 
der anderen Seite, daß die Herrſchaft der Napoleons an— 
gefochten wurde, obgleich gerade ſie wirklich von der un— 
geheuren Maſſe getragen worden ſind. 

Prüfen wir aber die Frage, ob Verſammlungen, die in Repräfentiert 
der Geſchichte als Volksvertretungen bezeichnet werden, wirk— e 
lich den Volkswillen darſtellten, noch weiter an der Ge- Voltswillen? 


10 Die engliſche Volksvertretung. 


ſchichte von England. Das engliſche Unterhaus iſt bereits 
gebildet worden im 14. Jahrhundert, aber ſehr lange hat 
es neben dem Oberhauſe nichts bedeutet. Erſt nach den 
Revolutionen des 17. Jahrhunderts kann man die Begriffe 
des Parlamentarismus im modernen Sinne auf die engliſchen 
Inſtitutionen anwenden. Das Unterhaus wurde gewählt 
teils von den Grafſchaften, teils von den Städten. In 
den Städten war das Wahlrecht ſehr mannigfaltig geſtaltet. 
In manchen von ihnen hatte ſich das Gewohnheitsrecht 
gebildet, daß die Magiſtrate die Abgeordneten ernannten; 
in andern wählten die ſämtlichen Hausbeſitzer, in noch 
anderen die Gilden. Sehr häufig hatten ganz kleine Städte 
das Recht, Abgeordnete zu ſenden, Staͤdtchen, die ganz und gar in 
der Hand des umliegenden Großgrundbeſitzes und ſogar eines 
benachbarten Großgrundbeſitzers waren. Zum Beiſpiel der 
Herzog von Neweaftle war in einem ſolchen mit dem Wahl— 
recht begnadeten Städtchen der Beſitzer der ſämtlichen Häuſer. 
Als nun einmal die Bürger Abgeordnete gewählt hatten, 
die ihm nicht genehm waren, ſetzte er ſie ſamt und ſonders 
aus ihren Wohnungen hinaus und ließ ſie mit Weib und 
Kind ſechs Wochen im freien Felde biwakieren. Man nannte 
dieſe Städte, die ihre wirtſchaftliche Bedeutung mit der Zeit 
eingebüßt, das Wahlrecht aber behalten hatten, rotten 
boroughs. Im Jahre 1793 wurde berechnet, daß 172 Mit⸗ 
glieder des Unterhauſes für England und Wales direkt vom 
Miniſterium oder von Individuen ernannt wurden und 137 
unter einem ſolchen Einfluß gewählt. 45 ſchottiſche Mit⸗ 
glieder wurden durch 35 Perſonen ernannt; von den 100 
iriſchen wurden 71 von 55 Perſonen ernannt. Das Haus 
hatte im ganzen nach der Union mit Irland 658 Mitglieder. 
Von dieſen 658 Mitgliedern waren alſo im ganzen 424 
durch Ernennung oder Empfehlung von 252 Perſonen ein 


Die engliſche Volksvertretung. 11 


geſetzt. Lord Lonsdale ernannte 9, der Herzog von New— 
caſtle, der Herzog von Buckingham und andere je 6. Die 
Stadt Edinburg hatte nur 33 Wähler. Das berühmteſte von 
den rotten koroughs ift ein Flecken, der ehedem am Meer 
gelegen hatte, aber bei einer Sturmflut von den Wellen 
verſchlungen worden war. Die Wahl vollzog ſich hier ſo, 
daß ein Rechtsanwalt in einem Boot auf den Fleck fuhr, 
wo das Städtchen ehedem geſtanden, und dort das Protokoll 
über die Ernennung der beiden Abgeordneten aufnahm. 
Dieſen Flecken hatte ſich William Pitt als ſeinen Wahlſitz 
ausgeſucht, um völlig unabhängig von jeder Wählerſchaft 
zu ſein. Die rotten boroughs waren durch den Beſitz des 
Wahlrechts zu einem geſuchten Handelsartikel geworden, 
und wenn jemand in Indien Reichtümer erworben hatte, 
nach Hauſe, wie man es nannte, als „Nabob“ zurückkehrte 
und nun eine geſellſchaftliche Stellung anſtrebte, jo war 
das einfachſte Mittel, ein rotten borough zu kaufen und 
ſich ins Unterhaus waͤhlen zu laſſen. Es brauchte das nicht 
einmal ein bloß der Eitelkeit gebrachtes Opfer zu ſein, 
ſondern konnte auch eine ganz gute Kapitalsanlage werden. 
Denn das Mandat als Abgeordneter wurde wiederum aufs 
Kraͤftigſte ausgenutzt, um von der Regierung irgendwelche 
Zuwendungen zu empfangen oder auch zu erpreſſen. Im 
beſonderen wurden die Beamten ausſchließlich auf Emp— 
fehlung ernannt, Empfehlung von den Abgeordneten, die 
als Mitglieder der Majorität die Regierung ſtützten und ihr 
unentbehrlich waren. Die große Maſſe der Abgeordneten 
beſtand demgemäß aus den Söhnen, Vettern, Neffen und 
Schützlingen der großen Herren, die ſelber im Oberhaus 
ſaßen. Dadurch erklärt es ſich, daß wir in dieſer Zeit faſt 
niemals von einem Konflikt zwiſchen Oberhaus und Unter— 
haus hören. Es ſind eben dieſelben Schichten her Geſell— 


Delbrück, Regierung und Volkswille. 


12 Die englifche Volksvertretung. 


ſchaft, die in beiden Häuſern vertreten ſind, und die Parteien, 
die damals um die Regierung kämpften, die Whigs und 
Tories, ſind, die eine ſo gut wie die andere, ariſtokratiſchen 
Charakters“). Das Unterhaus entbehrt nicht völlig eines 
gewiſſen Zuſatzes von Mitgliedern, die unter dem Einfluß 
der öffentlichen Meinung ſtehen. Aber dieſe wirklichen 
Wahlelemente haben im Laufe des 18. Jahrhunderts von 
ihrer Macht allmählich mehr und mehr eingebüßt. 

War dieſes engliſche Unterhaus eine Volksvertretung? 
An dieſe Korporation knüpft ſich der hohe Ruhm des eng— 
liſches Parlamentarismus. Dieſes ſo konſtituierte Parlament 
hat erſt den Kampf gegen Ludwig XIV., dann von neuem 
den Kampf gegen Frankreich im Bunde mit Friedrich dem 
Großen im ſiebenjährigen Kriege, dann ſchließlich den un: 
geheuren Kampf gegen die franzöſiſche Republik und 
Napoleon durchgefochten. Zuweilen hatte es in dieſem 
Kampf die öffentliche Meinung auf feiner Seite, aber keines— 
wegs immer. Namentlich in dem 23 jährigen Kriege gegen 
die Republik und Napoleon (17931815), der den Eng⸗ 
ländern zwar ſchließlich unermeßlichen Gewinn gebracht hat, 
ihnen aber auch ungeheure Laſten auferlegte, iſt die öffent— 
liche Meinung öfter verzweifelt und hat von der Regierung 
die Herſtellung des Friedens gefordert. Im Jahre 1809 
war ſelbſt die City von London ſo weit, zu petitionieren, 
daß Wellington mit ſeinem Heer aus Spanien zurück— 
gerufen werden möge. Zum Heil Englands und der Welt 
iſt die Regierung, die die große Majorität des Unterhauſes 
hinter ſich hatte, feſt geblieben. Sie feſſelte die Mitglieder 
des Hauſes an ſich durch die Wohltaten, die ſie ihnen er— 


) Vgl. meinen Aufſatz „Whigs und Tories“ in der Sammlung 
meiner „Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſätze“. 


Die engliſche Volksvertretung. 13 


wies, ſowie dieſe wieder bei den Neuwahlen durch alle 
Mittel, namentlich aber durch einfachen Stimmenkauf, die 
Wähler für ſich gewannen. Dieſe doppelte Korruption wurde 
als ein unvermeidliches Mittel angeſehen, um auf dem 
ſchwankenden parlamentariſchen Boden eine feſte Regierung 
aufzubauen, und bis tief ins 19. Jahrhundert hinein findet 
man die Spuren davon. Gentz, das literariſche Mundſtück 
des Fürſten Metternich, führte die Unvermeidlichkeit der 
Korruption immer als Hauptargument ins Feld, um die 
Nachahmung der engliſchen parlamentariſchen Inſtitutionen 
auf dem Feſtlande zu bekämpfen. Noch im Jahre 1869 iſt 
es vorgekommen, daß ein Kandidat 6400 Mark in Silber am 
Wahltag in ſeinem Wahlort auf die Straßen ſtreuen ließ. 
Die Wahl wurde angefochten, aber ſchließlich doch für gültig 
erklärt, weil nicht bewieſen werden konnte, daß der Kandidat 
den Wählern Geld gegeben hatte. Es konnten ja irgend— 
welche andere Mitbürger geweſen ſein, die das Geld von 
der Straße aufgerafft hatten. 

Der Notwendigkeit einer Wahlreform verſchloß man ſich 
bereits im 18. Jahrhundert nicht. Ein Herzog von Richmond 
beantragte ſogar einmal im Oberhaus die Einführung des 
allgemeinen gleichen Stimmrechts. Auch Pitt hatte eine 
Reform in Aus ſicht genommen. Um aber den rotten 
boroughs, die nun einmal die Wahlbefugnis als ihr wohl— 
erworbenes Recht anſahen, kein Unrecht zu tun, hatte er die 
uns grotesk anmutende Idee, ihnen dieſes Recht, aus dem 
ſie bisher einen ſo ſchönen Nutzen gezogen, für 1 Million 
Pfund Sterling bar abzukaufen. Aber ehe dieſer Plan noch 
zur Reife gediehen war, kam die franzöſiſche Revolution. 
Schon 1790 ließ Burke den erſten Warnungsruf ertönen, 
und Pitt erklärte, als er die revolutionäre Bewegung jen— 
ſeits des Kanals immer weiter um ſich greifen ſah, daß er 

2 * 


14 Die engliſche Volksvertretung. 


nach wie vor von der Notwendigkeit der Parlamentsreform 
in ſeinem Heimatlande durchdrungen ſei, daß er es aber 
nicht an der Zeit halte, ſo gewagte Experimente vorzunehmen 
angeſichts der Bewegung in Frankreich. Auch in England 
war in den Maſſen eine ungeheure Gärung. Die Fran— 
zoſen ſandten Geld und Agenten herüber und rechneten 
bereits mit Sicherheit darauf, daß es ihnen gelingen werde, 
in England ganz wie in Frankreich eine Volkserhebung 
hervorzurufen. Allenthalben wollten ſie ja die Völker auf— 
rufen zur Freiheit und zum Kampf gegen die Tyrannei. 
Eine Revolution in England hätte ihnen in dem aus— 
gebrochenen Kriege den Sieg gegeben. Die Engländer aber 
hielten die revolutionären Zuckungen mit Gewalt nieder, 
und als im Jahre 1809 der Abgeordnete Burdett es wagte, 
im Unterhauſe einen Antrag auf Parlamentsreform zu ſtellen, 
erzielte er dafür nicht mehr als 15 Stimmen. 

Noch lange nach dem Friedensſchluß hielt dieſe durch 
den Krieg gegen die Franzoſen erzeugte Stimmung an, und 
erſt im Jahre 1832 kam eine Parlamentsreform zuſtande, 
die den Charakter des Unterhauſes ſo gründlich veränderte, 
daß wir von neuem die Frage aufwerfen müſſen, ob Eng— 
land wenigſtens von dieſem Jahr an eine Volksvertretung 
hatte, von der man annehmen kann, daß ſie wirklich einen 
Volkswillen repräſentiere. Die Reform war eine doppelte. 
56 rotten boroughs mit 111 Mitgliedern wurde das Wahl— 
recht entzogen; 30 wurden von zwei auf einen Abgeordneten 
herabgeſetzt. Die ſo gewonnenen Stimmen wurden auf die 
in den letzten Jahrhunderten emporgekommenen großen 
Induſtrie- und Handelsſtädte verteilt. Das früher ge— 
wohnheitsrechtlich ſo verſchieden geſtaltete Wahlrecht wurde 
jetzt auf Grund eines Zenſus durch das ganze Land gleich— 
mäßig normiert. Das Wahlrecht wurde gegeben allen den— 


Die engliſche Volksvertretung. 15 


jenigen, die in den Städten wenigſtens 200 Mark Miete 
bezahlten, oder auf dem Lande 200 Mark Einkommen aus 
Landeigentum oder lebenslänglicher Pacht, oder 1000 Mark 
Einkommen aus einfacher Pacht, nachweiſen konnten. Früher 
waren auf dem Lande alle Pächter, auch die mit lebens— 
länglichen oder erblichen Pachtrechten vom Wahlrecht aus— 
geſchloſſen geweſen. Im Jahre 1867 trat eine neue Reform 
ein, mit der die allzu großen Ungleichmäßigkeiten in den 
Wahlkreiſen etwas ausgeglichen und der Wahlzenſus er— 
mäßigt wurde. 1872 wurde die geheime Abſtimmung ein— 
geführt. 1884 fand eine abermalige Herabſetzung des 
Zenſus ſtatt. Aber bis auf den heutigen Tag ſind die 
Wahlkreiſe ſehr ungleichmäßig (z. B. Durham hat 2600 
Wähler, Romford 53000), und es ſind auch noch immer 
ſehr viele erwachfene Staatsbürger vom Wahlrecht aus: 
geſchloſſen. Man hat die Ausgeſchloſſenen neuerdings auf 
mehr als 4 Millionen berechnet, während umgekehrt noch 
erheblich über eine halbe Million Wähler exiſtieren, die, 
weil ſie in verſchiedenen Wahlkreiſen einen Beſitz haben, 
oder aus ſonſtigen Gründen ein doppeltes oder ſogar mehr— 
faches Stimmrecht ausüben können. Das iſt praktiſch nicht 
ohne Bedeutung, da die Wahlen in England nicht, wie bei 
uns, alle an einem Tage ſtattfinden. 

Will man ſtrikte an dem Satz feſthalten, daß zur 
Herſtellung eines Volkswillens eine irgendwie organifierte, 
aber gleichmäßige Abſtimmung ſämtlicher Staatsbürger, 
oder zum wenigſten aller männlichen Staatsbürger, er— 
forderlich iſt, ſo müſſen wir zugeſtehen, daß das vielgerühmte 
Mutterland des Parlamentarismus, England, ſelbſt heute 
noch keine wahre Volksvertretung beſitzt. 

Recht merkwürdig iſt die Geſchichte dieſer Frage auch in Parlament und 
Italien. Als das Königreich Sardinien-Piemont von 1889 Volt in Statten. 


16 Wahlrecht in Italien. 


an allmählich die anderen Landſchaften von Italien mit 
ſich vereinigte, wurde jedesmal die Bevölkerung befragt 
und entſchied ſich dafür in einer allgemeinen Abſtimmung. 
Aber man hütete ſich ſehr wohl, eben die Staatsbürgerſchaft, 
deren Willen man für die Errichtung des Staates ſelber 
herangezogen hatte, nun auch an der Regierung des Staates 
teilnehmen zu laſſen. Das Wahlrecht blieb vielmehr für 
das neugeſchaffene Königreich Italien ſo, wie es bisher im 
Königreich Sardinien geweſen war, nämlich gebunden an 
eine jährliche direkte Steuerleiſtung von wenigſtens 40 Lire 
32 Mark. Infolgedeſſen beſaßen bei der Armut der 
Italiener das Wahlrecht noch keine 2½¼%/ der Bürgerſchaft. 
Im Jahre 1882 wurde der Zenſus von 40 auf 19,80 Lire 
herabgeſetzt und uͤberdies das Wahlrecht allen Bürgern er— 
teilt, die leſen und ſchreiben konnten; auch dadurch wurde die 
Zahl der Wähler von etwa 600000 doch auf nicht mehr 
als 2½ Millionen gebracht, da die Kunſt des Leſens und 
Schreibens, ſo leicht man auch das Examen darin ge— 
ſtaltete, doch in weiten Provinzen noch recht ſelten war. 
Gerade jetzt in den letzten Wochen hat eine neue Wahl— 
reform ſtattgefunden, deren Träger der Miniſter Giolitti 
iſt. Sie verleiht das Wahlrecht allen Bürgern, die 21 Jahre 
alt ſind und leſen und ſchreiben können oder ihre Militär— 
pflicht erfüllt haben, ſowie allen Bürgern, die 30 Jahre 
alt ſind, auch wenn ſie nicht leſen und nicht ſchreiben 
können. Durch dieſe Beſtimmung wird die Zahl der Wähler 
von rund 3 auf rund 8 Millionen erhöht, und etwa 80% 
der volljährigen Bürger werden in Zukunft wahlberechtigt 
ſein, während es bisher nur 32% waren. Dem Antrag, 
ſofort das allgemeine gleiche Stimmrecht einzuführen, hat 
ſich Giolitti widerſetzt: Der Sprung würde zu groß ſein; 
man ſolle zunächſt einmal einen Übergang ſchaffen. Auch 


Unentbehrlichkeit der Parteien. 17 


das Frauenſtimmrecht lehnte er vorläufig ab: Die plötzliche 
Vermehrung der Zahl der Wähler, wenn man auch die 
Frauen zulaſſe, würde gar zu groß ſein. 

Weder von England noch von Italien wird man leugnen 
wollen, daß ſie Regierungen haben — und ſeit langer Zeit 
haben —, die ſich mit dem Volkswillen im weſentlichen im 
Einklang gehalten haben. Der Gang der Geſchichte hat es 
bewieſen. Aber ebenſo iſt uns jetzt bewieſen, daß dieſer 
Begriff eines Volkswillens von der Forderung der Majorität 
der erwachſenen Männer ſehr weit abliegt, ja, gar nichts 
mit ihm zu tun haben braucht. 

Die Erfahrung der Jahrtauſende lehrt, daß die un- unentbehrlichkeit 
geheure Mehrzahl der Menſchen am Staate nicht fo viel un 
Anteil nimmt, um ganz aus eigenem Antrieb ſich eine 
Meinung über Perſonen- oder Geſetzesvorlagen zu bilden und 
demgemäß abzuſtimmen“). Um größere Mengen in poli— 
tiſche Bewegung zu bringen, bedarf es eines Mittelgliedes 
zwiſchen dem Staat und den Einzelnen, das iſt die Partei. 
Die Parteien bringen die Wahl zuſtande, indem ſie die 
Einzelnen mit Anſichten erfüllen und zur Abſtimmung 
führen. Der Kraftunterſchied zwiſchen den Parteien iſt 
meiſtens nicht ſehr groß; die Entſcheidung liegt in dem oft 
nur kleinen Vorſprung, den die eine Partei vor der anderen 
gewinnt, und dieſer Vorſprung hängt ab von der Organi— 
ſation, der Agitation, den Geldmitteln, die von beiden Seiten 

*) In dem mir erſt nachträglich bekannt gewordenen Buch „Human 
nature in politics“ von Graham Wallas (London, Conſtable & Co. 
1910) S. 232 wird die Anſicht vertreten, daß ſelbſt in einem Lande ſo 
alter politiſcher Erziehung wie England keine Grafſchaft exiſtiere, in der 
die Zahl der tatſaͤchlich in der Politik taͤtigen Perſonen auch nur 10% 
der Waͤhlerſchaft erreiche. Dies Buch iſt von hohem Wert fuͤr alle 
politiſche Pſychologie. Von deutſchen Verhaͤltniſſen hat der Verf. freilich 
recht wunderliche Vorſtellungen. 


Weſen der 
Majorität. 


18 Weſen der Majoritaͤt. 


aufgewendet werden. Wem es gelingt, noch einen Haufen 
ganz Gleichgültiger durch irgendwelche Mittel zur Wahlurne 
zu ſchleppen, der gewinnt. Iſt es alſo das Volk, deſſen Wille 
durch den Wahlakt zur Erſcheinung gebracht wird? Wir 
ſind in einem offenbaren Dilemma. Exiſtieren keine Parteien, 
ſo wird die Wahlbeteiligung ſo klein bleiben, daß von einer 
Volksaktion nicht die Rede ſein kann. Haben wir aber 
Parteien, ſo zerren ſie zwar das Volk auf die Bühne, aber 
die Entſcheidung fällen Mächte, die Meinungsloſe zur Ab: 
gabe ihres Zettels zu beſtimmen verſtehen. 

Wie iſt die Menſchheit uͤberhaupt dazu gekommen, der 
Majorität das Recht der Regierung über die Minorität ein⸗ 
zuräumen? Hat die Idee der Majorität einen tieferen ſitt⸗ 
lichen Grund? So fundamental heute das Majoritätsprinzip 
iſt, ſo findet man in der ſtaatswiſſenſchaftlich-philoſophiſchen 
Literatur doch ſehr wenig darüber, und zwar aus dem durch— 
ſchlagenden Grunde, daß ſich wirklich nicht viel darüber 
ſagen läßt. Daß auf ſeiten der Majorität immer die größere 
Klugheit ſein muß, läßt ſich nicht wohl behaupten. Der 
einzige Grund für ihre Herrſchaft iſt, daß die größere Maſſe 
auch die größere Macht darſtellt. 

Es iſt ein rein praktiſches Prinzip. Wenn man Bürger⸗ 
kriege vermeiden will, läßt man die regieren, die bei einem 
Kampfe auf jeden Fall die Oberhand haben würden, und 
das find die Meiſten“). Da es nun auch noch andere Mächte 

) G. Simmel, Soziologie, S. 186 ff., hat verfucht, das Majoritaͤts⸗ 
prinzip pſychologiſch tiefer zu begruͤnden, m. E. ohne Erfolg und auch 
nicht ohne hiſtoriſche Fehler. 

Gierke, „uͤber die Geſchichte des Majoritaͤtsprinzips“ (S. 320), 
macht darauf aufmerkſam, daß das Majoritaͤtsprinzip bei uns in der 
Tat zuerſt im Kampfe zur Anwendung kam; die Gerichtsurteile mußten 
noch einſtimmig ſein, als beim gerichtlichen Zweikampf bereits die Regel 
galt, daß, wenn Sieben gegen Sieben kaͤmpften, die Siegermehrheit entſcheide. 


Fehler im Majoritaͤts⸗Syſtem. 19 


im Staate gibt, als die Maſſe, ſo iſt es nur natürlich, daß 
das Majoritätsprinzip, auch wo man es formell aufgeſtellt 
hat, doch ſehr häufig umgangen worden iſt, beſonders aber, daß 
manche Epochen der Geſchichte es gar nicht gekannt haben. 
Ich werde noch darauf zurückkommen. 

Schon in dem Augenblick, wo man in England durch 
die zweite Parlamentsreform (1867) dem Ideal einer demo— 
kratiſchen Volksrepräſentation nahegekommen war und man 
vorausſetzen konnte, daß das noch Fehlende in abſehbarer 
Zeit nachfolgen würde, wurde man ſtutzig und warf die 
Frage auf, ob auf dem Wege der Wahl von Abgeordneten 
durch eine Majorität der Wille des Volkes überhaupt zum 
Ausdruck gebracht werde. Die beiden hervorragendſten Ver— 
treter des demokratiſchen Stimmrechts in England waren 
der Philoſoph Stuart Mill und der Hiſtoriker Grote, deſſen 
umfaſſende griechiſche Geſchichte noch heute einen gewiſſen 
wiſſenſchaftlichen Wert hat. Gerade in dieſer ſeiner griechiſchen 
Geſchichte hatte er ſeine demokratiſche Weltauffaſſung am 
anſchaulichſten zum Ausdruck gebracht und hatte ſich ſchließlich 
mit ihr, man kann ſagen: überſchlagen, ſo daß er Perikles 
verwarf und Kleon für den wahrhaft idealen demokratiſchen 
Staatsmann erklärte“). Beide aber, Mill wie Grote, waren 
ſcharfblickend und unbefangen genug, um ſchließlich zu er— 
kennen, daß das, was ſie zu erreichen beſtrebt geweſen 
waren, die Emanzipation und die Herrſchaft der Individuen, 
durch das Syſtem ſelbſt, durch die Herrſchaft der Majorität, 
aufs ſchwerſte gefährdet war. Er habe ſeinen Glauben 
überlebt, ſagte Grote von ſich ſelbſt, denn eine Majorität 
könne gerade ſo tyranniſch ſein wie ein Deſpot, etwa wie 


) Über die Verkehrtheit dieſer Auffaſſung vgl. meinen Artikel „Bebel, 
der Demagog“ in den Preuß. Jahrb. Sept.-Heft 1913. 


Aufkommen des 
Proporz⸗ 
Gedankens. 


20 Proportional-Wahl. 


ein Napoleon. Man ſann nach, wo der Fehler ſtecken könne, 
und Mill ſuchte endlich die Rettung in dem Prinzip der 
Proportionswahl, für die eben Hare das erſte Syſtem aus— 
arbeitete. Das Repräſentativſyſtem leidet ja an dem funda— 
mentalen Fehler, daß der Wähler ſeinen Vertrauensmann 
doch immer nur nach einer oder einigen beſtimmten, gerade 
im Augenblick beſonders hervorſtechenden Eigenſchaften oder 
Tendenzen zu beſtimmen vermag, während er vieles andere, 
der eine dies, der andere das, nicht vertreten findet, oder 
ſogar, obgleich ſeinen Wünſchen widerſprechend, in den Kauf 
nehmen muß. Beſonders wenn die Repräſentation ſich auf 
eine Reihe von Jahren erſtreckt, kann es nur zu leicht vor— 
kommen, daß ſich Wähler und Gewählte immer mehr von— 
einander entfernen. Schon Rouſſeau hat dieſen Fehler des 
Wahlrepräſentativſyſtems richtig erkannt und es deshalb im 
„Contrat social“ ausdrücklich verworfen. Er kennt nur das 
Volk, das unmittelbar ſelbſt regiert. Freilich, ſagt er, daß 
das wohl nur bei ſehr kleinen Gemeinweſen ausführbar 
iſt. Aber weiter als bis zur Frageſtellung iſt er nicht ge— 
langt. Er hat das Problem geſehen, aber keine Löſung dafür 
gefunden und deshalb die Frage ſtillſchweigend fallen laſſen. 
Mill ging in ſeinem Zweifel nicht einmal ſo weit, ſondern 
blieb ſtehen bei dem noch mehr zutage liegenden Einwurf, 
daß ja in ſämtlichen Wahlkreiſen des Landes die Minoritäten 
bei dem beſtehenden Syſtem völlig ausgeſchaltet und mundtot 
gemacht ſeien. Dieſe Minoritäten konnten ja der Majorität 
oft ganz nahe kommen, ſo daß der Ausgang der Wahl für 
das ganze Land ſchließlich dem Zufall anheimgegeben iſt, 
wie ſich die Anhängerſchaft der verſchiedenen Parteien über 
die verſchiedenen Wahlkreiſe verteilt. An der Wahl des 
Präſidenten Wilſon haben wir ja ſchon ein Beiſpiel dafür 
kennen gelernt. 


Proporz. 21 


Mill glaubte, dieſe Schwierigkeiten durch das Pro— 
portionalwahlſyſtem überwinden zu können, und der 
Gedanke hat ſeitdem immer mehr Anklang gefunden. Die 
einfachſte Methode iſt die Minoritätenvertretung, indem man 
Wahlkreiſe mit drei Abgeordneten bildet und nicht alle drei 
der Majorität gibt, ſondern einen davon der Minorität, 
falls dieſe eine gewiſſe Stimmenzahl erlangt hat. Aber 
damit iſt nicht durchzukommen, da es ja auch mehr als 
zwei Parteien geben, und der Ausfall durch den Zufall 
beſtimmt werden kann, wie ſich die Stimmen auf die beiden 
hier vorausgeſetzten Kandidaten der Majorität verteilen. 
Man hat ſeitdem zahlloſe verſchiedene Syſteme für die 
Proportionalwahl ausgeführt (d'Hondt — ein Belgier — 
Hagenbach, Kantorowicz, Siegfried und viele andre). Not— 
wendig ſind dabei immer große Wahlkreiſe mit mehreren 
Kandidaten. Aber noch kein Syſtem hat allgemeinen 
Beifall gefunden. Sie ſind alle unſicher in der Wirkung 
und hängen z. B. davon ab, daß die Parteien ihre Stärke 
richtig einſchätzen und ihre Stimmen ſo verteilen, daß 
keiner der ihrigen zuviel Stimmen erhält. In der 
Schweiz, in einigen Staaten von Nordamerika, in Hamburg 
und in Württemberg iſt dieſe oder jene Art der Pro— 
portionalwahl heute bereits in Kraft. Der Name „Proporz“ 
iſt dafür im Jahre 1890 in Baſel zuerſt mit einem 
ſpöttiſchen Beiklang aufgekommen. Das dort bis dahin 
beſtandene Syſtem der Majoritätswahl wurde „Majorz“ 
genannt. Beſonders wichtig iſt, daß heute in Frankreich 
die Einführung des Proporzes anſtelle der einfachen 
Majoritätswahl mit Eifer betrieben wird. Die franzöſiſche 
Republik hat ſeit 1871 bereits dreimal ihr Wahlſyſtem 
geändert: 1875, 1884, 1889. Aber das franzöſiſche Volk 
iſt dauernd ſehr unzufrieden mit den Ergebniſſen ſeiner 


Auftreten des 
Proporz⸗ 

gedankens in 
Frankreich. 


22 Üble Wirkungen der Wahl⸗Regierung 


eigenen Abſtimmungen. „Die Republik war ſchön,“ hat 
man geſagt, „unter dem Kaiſerreich.“ Man beſchuldigt die 
Deputierten des Mißbrauchs ihrer Gewalt, und der Name 
„Panamiſt“, der ſich für parlamentariſche Korruption als 
techniſcher Ausdruck in der Weltliteratur eingebürgert hat, 
ſtammt von rieſigen Beſtechungen, durch die einſt die 
Panamakanal-Geſellſchaft die franzöſiſche Deputiertenkammer 
mehrfach zu Anderungen des Geſetzes über dieſe Geſellſchaft 
veranlaßte. Die Deputierten haben ſich vor einigen Jahren 
ihre Diäten von 9000 Franks jährlich auf 15000 erhöht 
und ſchließlich auch noch 6000 weitere Franks als Gehalt 
für einen Privatſekretär hinzugefügt. Der Spitzname für 
einen Deputierten iſt deshalb „Un quinze mille“. Vor 
einiger Zeit ging einmal eine Anekdote durch die Zeitungen, 
ein Deputierter habe auf einem Omnibus Streit bekommen, 
ſeine Autorität herauskehren wollen und ſich als Mitglied 
des geſetzgebenden Körpers bekannt. Aber ſtatt damit 
Eindruck zu machen, habe ſich das Publikum fofort gegen 
ihn gewandt: „Un quinze mille! Un quinze mille! A la 
porte! A la portel“ und ihn hinausgeworfen. Anatole 
France, der genialſte Schriftſteller des heutigen Frankreich, 
hat in einem ſeiner reizenden ſymboliſchen Romane, in 
denen er die Geſchichte Frankreichs perſifliert, von dem 
Staate, den er dem Leſer vorführt, geſagt, man nenne dort 
die Erwählten des Volkes mit verſchiedenen Namen: „De— 
putierte“, „Abgeordnete“, „Geſetzgeber“, „Volksvertreter“, 
oder auch — dieſer Name ſei aber weniger beliebt — 
„Gauner“. Dergleichen Geſchichtchen ſind natürlich keine 
Beweiſe. Aber der Kampf um den Proporz hat Stimmen 
laut werden laſſen, die uns nicht daran zweifeln laſſen 
können, daß das bisherige Wahlſyſtem in der Tat recht üble 
Früchte gezeitigt hat. Der Vorkämpfer für die Einführung 


in Frankreich. 23 


der Proportionalwahl ift feit Jahren kein geringerer als der 
nunmehr zum Präſidenten der Republik Frankreich erwählte 
Raymond Poincaré. Poincaré war Advokat und Journaliſt 
von Beruf; ſeit 1893 abwechſelnd Unterrichts-, Finanz- und 
Auswärtiger Miniſter. Er kennt alſo das innere Getriebe 
der franzöſiſchen Verfaſſung und Verwaltung ganz genau. 
Schon im Jahre 1909 (19. September) ſagte er: „Ich 
habe ſeit langer Zeit eine feſtgewurzelte Anſicht: Ich bin 
überzeugt, daß wir den Abgrund immer weiter 
hinuntergleiten, wenn wir uns nicht entſchließen, unſer 
Wahlſyſtem von Grund auf zu ändern, die Abſtimmungs— 
baſis zu erweitern, die Unzuläſſigkeit des Majoritäts— 
verhältniſſes zu vernichten und ehrlich in der franzöſiſchen 
Vertretung ein getreues Abbild aller franzöſiſchen Meinungen 
zu ſuchen. Mögen alle Republikaner, die heute noch dieſer 
unumgänglichen Löſung widerſtreben, ſich ihr anſchließen, 
bevor die Wahlkorruption ihr verderbliches Werk vollendet 
hat und Kataſtrophen unvermeidlich macht.“ Und nachher 
ſchrieb er: „Die ſchlechteſte Verhältniswahl iſt in meinen 
Augen immer noch beſſer als die beſte Majoritätswahl. 
Es iſt freilich nicht weniger wahr, daß die meiſten Ver— 
hältniswahlſyſteme ungenügend ſind. Wir müſſen ein ein— 
faches, leicht verſtändliches und gerechtes Syſtem haben.“ 

Das Übel, das Herr Poincaré bekämpfen will durch den 
Proporz, iſt nicht ſowohl die Korruption im Parlament ſelbſt 
als die von dem jetzigen Wahlſyſtem ausgehende Verderb— 
nis in der Verwaltung. „Die Wahlreform,“ ſagte er darüber 
(25. Juni 1912), „hat den Zweck, dem Regime des Favo— 
ritismus und der Empfehlungen, das die normale Tätigkeit 
der Verwaltungen fälſcht, ein Ende zu machen.“ Als darüber 
in der Kammer von den Gegnern gemurrt wurde, fuhr er 
mit erhöhter Stimme fort: „Ich ſage es laut heraus, was 


Schäden der 
Verwaltung 
infolge der 
Majoritäts⸗ 
Wahlen. 


24 Parlamentarismus 


jo viele im Innern denken: In den kleinen Wahlkreiſen hat 
der Wähler eine zu große Furcht, um ſich immer der Herr— 
ſchaft gewiſſer Intereſſen, die mit den allgemeinen Intereſſen 
im Widerſpruch ſtehen, entziehen zu können. Die Wahl— 
reform müßte die Vorrede zu einer Verwaltungsreform 
werden.“ Herr Poincaré hat nichts Demagogiſches an ſich; 
er iſt eine durchaus ernſte Perſönlichkeit, und wir werden 
fein Zeugnis gelten laſſen müſſen. Seit 1906 hat ſich auch 
die Wählerſchaft wiederholt zugunſten des Proporzes aus— 
geſprochen. Nicht weniger als ſechs Regierungen hintereinander 
ſind dafür öffentlich eingetreten. Aber die Gegner haben 
bisher alle Anſtrengungen zu durchkreuzen vermocht. Die 
Gegner ſind eben die jetzigen Inhaber der Gewalt. Der 
Abgeordnete eines Bezirks, ſei es in der Deputiertenkammer, 
ſei es im Senat, iſt in dieſem Bezirk der abſolute Herr. 
Die Beamten gehorchen ſeinem leiſeſten Wink, vom Präfekten 
an abwärts. Denn wenn ſie den Unwillen des Deputierten 
erregen, würde dieſer ſich beim Miniſter beſchweren können, 
und da der Miniſter wieder von den Stimmen der Depu— 
tierten abhängig iſt, ſo wäre es um den ſteifnackigen 
Beamten bald geſchehen. Nach der Empfehlung des Depu— 
tierten werden die Anſtellungen vollzogen. Nach den Emp— 
fehlungen des Deputierten werden die Staats- und Gemeinde⸗ 
lieferungen vergeben. Ein Deputierter weiß Aufſchub zu 
erlangen oder zu verhindern, handle es ſich um eine Strafe, 
oder ſei es bei der Aushebung, Urlaub zu verſchaffen und ſogar 
Gerichtsurteile zu beeinfluffen*). Beſonders verhängnisvoll 
hat ſich dieſe Abhängigkeit der franzöſiſchen Verwaltung von 


*) Sehr eingehend iſt der verderbliche Einfluß des Parlamentarismus 
auf die Verwaltung juͤngſt geſchildert in den beiden Baͤndchen von 
Emile Faguet: „Le culte de PIncompetence und l’Horreur de 
la Responsabilité“. Paris. Bernh. Graſſet. 


in Frankreich. 25 


den Erwählten des Volkes ſchon lange in der Militär: 
verfaſſung gezeigt. Die Franzoſen hatten verſucht, nach dem 
deutſchen Muſter das Inſtitut der Einjährig-Freiwilligen 
einzuführen. Aber zu dieſer Einrichtung gehört ein Examen 
von einer gewiſſen Strenge, damit der einjährige Dienſt 
nicht einfach das Privilegium der Wohlhabenden werde. 
Dieſes Examen hat ſich in Frankreich nicht halten laſſen, 
da die Protektionswirtſchaft die Examina zu einer Farce 
machte. Die Franzoſen haben alſo, als fie die zweijährige 
Dienſtzeit einführten, dieſe für alle Ausgehobenen gleich— 
zeitig obligatoriſch gemacht. Nunmehr ſind ſie im Begriff, 
zur dreijährigen Dienſtzeit überzugehen. Iſt es für die 
Intelligenz eines Landes bereits kaum zu ertragen, wenn 
die jungen gebildeten Männer volle zwei Jahre hinter— 
einander aus ihren Studien oder aus ihrer Kunſtübung 
herausgeriſſen werden, ſo iſt es klar, daß gar ein Dienſt 
von drei Jahren wahrhaft verwüſtend auf das höhere Er— 
ziehungsweſen des franzöſiſchen Volkes wirken muß. Nur 
durch ein ſehr weitgehendes Urlaubsſyſtem, das wiederum 
der Willkür und damit der Korruption weite Gefilde er— 
ſchließt, wird das Geſetz haltbar gemacht werden können. 

Wie Sie ſehen, iſt es von Wichtigkeit, ob ein Land eine 
ſachliche, zuverläſſige, unabhängige Verwaltung hat oder 
nicht, und dazu wünſchen die ehrlichen Reformer es in 
Frankreich wieder zu bringen. Die Panamiſten aber, und 
was weiter dazu gehört, wünſchen die ſüßen Früchte des 
jetzigen Syſtems, das den einmal im Beſitz Befindlichen 
eine ziemlich ſichere, dauernde Stellung gibt, immer weiter 
zu genießen, und ihr beſter Bundesgenoſſe iſt, daß, wie ja 
auch Poincaré angedeutet hat, ein wirklich befriedigendes 
Syſtem der Proportionalwahl nicht zu finden iſt. Die Er— 
fahrungen, die man hier und da damit gemacht hat, bringen 


26 Proporz. 


immer neue unerfreuliche Erſcheinungen hervor. Daß der 
Proporz eine Verfeinerung und inſofern eine Verbeſſerung 
des Repräſentativſyſtems enthält, iſt unleugbar. Aber gerade 
dieſe Verfeinerung, die den perſönlichen Wünſchen und Be— 
ſtrebungen des Einzelnen gerecht werden will, führt nun 
wieder zu einer Herauskehrung einzelner Wünſche, die mit 
dem Wohl des Ganzen, auf das doch die Wahl gerichtet 
ſein ſoll, nichts mehr zu tun haben und ihm direkt ent— 
gegenwirken. In Hamburg bildete ſich bei einer Wahl aus 
irgendeinem beſtimmten Anlaß eine beſondere Gruppe der 
Schneider, die durch Häufung ihrer Stimmen auf einen 
beſonderen Kandidaten ihr beſonderes Intereſſe wahrzu— 
nehmen trachteten. Dieſe Schneider aber waren wohl mehr 
Konfektionäre und die Vereinigung hatte einen jüdiſchen 
Charakter. Sofort trat ihnen wieder als eine beſondere 
Gruppe die Vereinigung der antiſemitiſchen Schneider ent— 
gegen. In Württemberg hat man geklagt, daß der Proporz 
die Hoffnung, die ganze Maſſe der Bürger an die Wahl: 
urne zu führen, ſich nicht erfüllt habe; nicht mehr als etwa 
60% der Wähler ſeien gekommen. Mit allerhand Kunſt— 
ſtücken aber ſuchten die Kandidaten Intereſſenten für ſich 
einzufangen, indem ſie beſondere Liſten drucken ließen, auf 
denen ihr Name mit dem irgendeiner derartigen Intereſſenten— 
gruppe verbunden war. An die Hundebeſitzer zum Beiſpiel, 
die ja nicht bloß wegen der Steuer, ſondern auch wegen 
des Maulkorbs ein beſonderes Intereſſe haben, wurde ein 
eigener Aufruf gerichtet, um ihr Wohlwollen für einen be— 
ſtimmten Kandidaten zu gewinnen. 

Dem Geiſte des Proporzes widerſpricht das keineswegs. 
Es iſt ja gerade die Abſicht dieſes Inſtituts, alle im Volke 
vorhandenen Beſtrebungen auch wirklich in der Volksver— 
tretung zur Geltung kommen zu laſſen. Aber daß dieſe Art, 


Proporz. 27 


den Einzelintereſſen das Recht des Mitredens zu verleihen, 
dem Staatsganzen nicht zum Heil dienen kann, leuchtet 
ebenſo ein. Der Abgeordnete ſoll ja gerade nicht Einzel— 
intereſſen vertreten, ſondern allein den Staat als Ganzes 
im Auge haben. Man iſt deshalb ſchon ſoweit gegangen, 
das Kumulieren der Stimmen, d. h. daß der Wähler alle 
Stimmen, die er abzugeben hat, auf einen Kandidaten 
vereinigt, zu verbieten; man hat verboten, daß ein Kandidat 
ſich in mehr als einem Wahlkreiſe aufſtellen läßt; man hat 
verboten, daß der einzelne Wähler ſich überhaupt einen 
Wahlzettel nach ſeinem Gutdünken zuſammenſtelle, ſondern 
verlangt, daß er ſich voll, ſei es dieſer, ſei es jener Partei, 
anſchließe; er ſoll nicht etwa einen oder den anderen Namen, 
der von dem Parteivorſtand vorgeſchlagen wird, verwerfen, 
ihn ausſtreichen und einen anderen auf die Liſte ſetzen dürfen, 
vielleicht gar von beiden Parteien ſich die beſten Männer 
nebeneinander erküren; man hat deshalb ſchließlich das 
Wählen von Perſonen überhaupt ausſchalten und an die 
Stelle die Erklärung für eine beſtimmte Partei ſetzen wollen. 
Das Problem muß wirklich verzweifelt ſchwierig ſein, wenn 
man, um das Wählen zu retten, das doch den Willen des 
einzelnen zum Ausdruck bringen ſoll, zu Vorſchriften kommt, 
die das freie Wählen des einzelnen unterbinden, aufheben 
und ihn unter Vormundſchaft ſtellen. 

Man mag den Proporz geſtalten, wie man will, viel— 
leicht wird man dadurch erreichen, daß die Kirchturmsinter— 
eſſen, wie man ſagt, ausgeſchaltet werden, aber mit ihnen 
zugleich auch die perſönlichen Beziehungen zwiſchen den 
Wählern und den zu Wählenden und damit auch der wirk— 
liche Wille der Wählenden. Über einen einzelnen Kandidaten, 
der ſich den Wählern in den Wahlverſammlungen der ein— 
zelnen Ortſchaften perſönlich vorſtellt, mag ſich 5 einzelne 


Delbrück, Regierung und Volkswille. 


Proporz und 
Volkswille. 


Referendum. 


28 Proporz. 


Wähler, auch der kleine Mann, ein gewiſſes perſönliches 
Urteil bilden. Über eine Liſte von vielleicht ſechs, zehn oder 
noch mehr Kandidaten gibt es ſchlechterdings kein eigenes 
Urteil mehr. Der Proporz entzieht alſo die Wahl ſozuſagen 
dem Volke und gibt ſie in die Hand der Wahlorganiſationen 
der Parteien, das heißt ihrer Führer. Der einzelne Ab— 
geordnete iſt nicht mehr der Herr, ſondern wird dienendes 
Glied in der Parteiorganiſation. Damit verliert er auch 
jenen verderblichen Einfluß auf die lokalen Verwaltungs— 
behörden, vor dem Poincaré ſein Volk zu bewahren wünſcht. 
Man ſieht, die Reform iſt in der Tat von erheblicher Trag— 
weite. Aber die Vorſtellung, daß der Wille des Volkes ver— 
möge des Proporzes beſſer zum Ausdruck kommt, erweiſt 
ſich ſofort wieder als eine Illuſion. Das gerade Gegenteil 
iſt der Fall. Nicht die Demokratie wird auf dieſem Wege 
vollendet, ſondern die Herrſchaft eines gewiſſen, ſich ſelbſt 
ergänzenden Kreiſes von Berufspolitikern wird damit or— 
ganiſiert. 

Die Erkenntnis der Mängel des Repräſentativſyſtems 
hat neben der Idee der Proportionalvertretung noch ein 
anderes Korrektiv hervorgelockt, das man das Referendum 
nennt, d. h. die unmittelbare Abſtimmung des Volkes über 
einen beſtimmten Geſetzvorſchlag. Der Sache nach fanden 
ſolche Abſtimmungen ſchon in der großen franzöſiſchen Re— 
volution ſtatt. Die Verfaſſungen von 1791 und 1793 
wurden ebenſo wie nachher die Wahl des Generals Bona— 
parte durch allgemeine Abſtimmung gutgeheißen. Auch die 
Volksabſtimmung bei der Konſtituierung des Königreichs 
Italien, von der wir geſprochen haben, können wir ja als 
Beiſpiel des Referendum nennen. Heute iſt das Referendum 
feſt eingebürgert in der Schweiz, ſowohl im Bunde, wie in 
Kantonen, wie in Gemeinden. Die erſte Einführung fand 


Referendum. 29 


ſtatt im Jahre 1875 in Baſel. Auch in einigen Staaten 
Amerikas und in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik 
Auſtralien iſt es eingeführt worden. In der Schweiz iſt Erfahrungen in 
das Referendum ſehr populär. Aber freilich, die Vorſtellung, “ ein, 
daß nun auf dieſem Wege ganz ſicher der Volkswille zur 
Erſcheinung gebracht werde, hat ſich wiederum als Illuſion 
erwieſen. Auch bei dem Referendum bleibt ſtets ein ſo 
großer Teil der Bürger der Abſtimmung fern, daß von den 
41 Bundesgeſetzentwürfen, die von 1874 bis 1898 dem 
Referendum unterworfen worden ſind, kein einziger von der 
Mehrheit der Wähler angenommen worden iſt. In den 
Kantonen beteiligen ſich manchmal nur 28% der Be— 
rechtigten an der Abſtimmung. Beſonders markant iſt nun 
aber, wie oft das Referendum einen Zwieſpalt zwiſchen 
den Anſichten der Regierenden, dem gewählten Vertretungs— 
körper, und den Anſichten der Wahlberechtigten zutage bringt. 
Nicht ſelten ſind Vorlagen verworfen worden, die von den 
regierenden Räten und ſogar von allen Parteien und von 
der Preſſe einmütig empfohlen waren, und häufig be— 
ſchäftigen ſich die Zeitungen nach einem Referendum mit 
der Frage, weshalb denn nun eigentlich das Volk dagegen 
entſchieden habe. Ein beſonderer Mangel der ſchweizeriſchen 
Verfaſſung iſt das Fehlen eines Penſionsgeſetzes für die 
Beamten. Der Beamte ſoll ſich nach Vorſtellung der 
Schweizer Bürger von ſeinem Gehalt ſoviel ſparen, daß er 
in ſeinen alten Tagen, wenn er dienſtunfähig geworden iſt, 
davon leben kann. Da nun aber die Gehälter ohnehin 
recht mäßig ſind, ſo geſchieht das nicht, und die Behörden, 
vor der Frage, ob ſie einen im Dienſt ergrauten Beamten, 
wenn er nichts mehr leiſten kann, brotlos machen ſollen, 
pflegen das nicht übers Herz zu bringen, ſondern ſchleppen 
den alten Mann mit durch, was natürlich für die Leiſtungen 
3 * 


30 Referendum in der Schweiz. 


des Beamtentums im ganzen ein ſchweres Hemmnis iſt. 
Das iſt ſo klar, daß man ſich endlich entſchloß, ein Penſions— 
geſetz einzubringen. Aber im Referendum wurde es mit 
großer Majorität verworfen. Der Bürger und Bauer ſieht 
es ſchlechterdings nicht ein, warum ein Beamter oder ein 
Offizier eine Penſion erhalten ſolle, da ihm doch auch 
niemand eine ſolche gibt. Auch mir iſt in Deutſchland in 
Wahlverſammlungen dieſe Auffaſſung öfter entgegengehalten 
worden. In Vertretungskörpern kann man ſich mit ſolchen 
kurzſichtigen Selbſttäuſchungen auseinanderſetzen. Man kann 
auf die Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Kon— 
zeſſionen entgegenkommen oder ſie in Kompromiſſen über— 
winden. Mit dem Volk kann man nicht verhandeln, ſon— 
dern muß inſtinktiv ſuchen, die Vorlagen ſo zu geſtalten, 
daß ſie keinen Anſtoß erregen. Im Jahre 1882 wurde in 
der Schweiz auch ein Epidemiegeſetz mit großer Majorität 
verworfen. Denn mit ſolchen Vorbeugungsgeſetzen ſind 
mancherlei läſtige Verbote und Einſchränkungen für den 
einzelnen verbunden. Die Gefahr der Epidemie iſt fern; 
die Schikane der Vorbeugungen iſt nahe. Weiter ſieht die 
Maſſe der Bürger nicht. Beſonders ſchmerzlich war es für 
die Schweizer Patrioten, als im Jahre 1900 ein vortreffliches 
Kranken- und Unfallverſicherungsgeſetz, das nach dem Muſter 
der deutſchen Sozialgeſetzgebung ausgearbeitet war, im 
Referendum abgelehnt wurde. Erſt im Jahre 1912 iſt es 
dann dem erneuten Anlauf gelungen, ein ſolches Geſetz 
durchzubringen, auch nur mit 287565 Stimmen gegen 
241416 bei 63% Beteiligung. Die Mehrheit bildeten alſo 
von den Berechtigten nur etwa 38%, 

Das Referendum wirkt konſervativ. Das Volk wünfcht 
keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa ſchon 
auf der Haut brennt. Eben deshalb iſt das Referendum 


Referendum in Deutſchland? 31 


in der Schweiz populär und wird nicht wieder abaefchafft 
werden. „Mag es auch im einzelnen ſich als Hemmſchuh 
erwieſen haben,“ ſchrieb die Neue Züricher Zeitung 1910, 
„im großen und ganzen hat es doch die fortſchrittliche Ent— 
wicklung der Schweiz nicht aufgehalten.“ Das iſt immerhin 
ein etwas elegiſch klingendes Lob. 

Als eine beſondere geſteigerte Form des Referendums Initiative. 
mag die Initiative gelten, vermöge welcher auch Geſetz— 
entwürfe aus dem Volke heraus, nicht aus der Hand der 
Regierungsbehörden zur Abſtimmung gebracht werden können. 

Für uns iſt es nicht notwendig, darauf einzugehen. 

Ganz wie in der Schweiz hat auch in Auſtralien das das Referendum 
Referendum hemmend gewirkt. Erſt jüngſt find dort zwei "raten 
Geſetze, die von den beiden Häuſern des Bundesparlaments 
angenommen waren, mit großer Majorität im Referendum 
verworfen worden. Beide Geſetze waren, wie wir es heute 
nennen, ſtaats-ſozialiſtiſcher Natur. 

Stellen wir uns vor, daß wir in Deutſchland ein Referendum in 
Referendum hätten, fo unterliegt es gar keiner Frage, daß uam! 
die Geſetze, die für unſer Daſein in jüngſter Zeit den größten 
Fortſchritt bedeuten, und die man, wenn ſchon unter mancherlei 
Kämpfen, glücklich durch den vom allgemeinen, gleichen 
Stimmrecht gewählten Reichstag gebracht hat, bei einem 
Referendum abgelehnt worden wären. Ich meine den ganzen 
Komplex der Sozialpolitik, die Kolonialpolitik und ſchließlich 
die für unſere nationale Zukunft entſcheidende Schaffung 
der deutſchen Kriegsflotte. Die eigentliche Grundlage für Bei der 
eine auf Großmachtverhältniſſe zugeſchnittene Flotte wurde Tee 
ja erſt unter Caprivi gelegt, und die Entſcheidung dafür 
wurde im Reichstag gegeben durch die Stimmen der Polen. 

Man erinnert ſich jetzt ungern daran, wie lange es gedauert 
hat, bis dem deutſchen Volk das Verſtändnis für den 


32 Die deutſche Flotte. 


Flottenbau aufgegangen iſt. Nicht gehoben von der Welle 
einer nationalen Bewegung iſt das große Werk geſchaffen 
worden, ſondern durch geſchickte parlamentariſche Diplomatie. 
Caprivi hatte bereits die Ausſichtsloſigkeit der ſogenannten 
Oſtmarkenpolitik erkannt und war den Polen in den beſonders 
drückenden Beſtimmungen der Schulgeſetzgebung etwas ent— 
gegengekommen. Aus Dankbarkeit bewilligten ſie dem 
deutſchen Volk die deutſche Flotte, als die große Majorität 
der Deutſchen ſelber noch nichts davon wiſſen wollte. Die 
hiſtoriſchen Erſcheinungen ſind manchmal komplizierter, als 
es uns auf den erſten Blick ſcheinen möchte. Bei dem zweiten 
Anlauf, unter dem Kanzlertum des Fürſten Hohenlohe, 
gelang es dann, eine gewiſſe nationale Bewegung für die 
Flotte hervorzurufen. Dabei gab es einen Zwiſchenfall, der 
auch hierher gehört und wohl verdient, der Vergeſſenheit 
entriſſen zu werden. Die konſervative Partei hatte zwar 
den erſten Schiffsforderungen zugeſtimmt, aber, wie die 
Polen, mehr aus parlamentariſcher Taktik als aus innerer 
überzeugung. Im Grunde war man in dieſen Kreiſen noch 
der Meinung, daß Deutſchland von der Natur zu einer 
Landmacht beſtimmt ſei, und daß es eine Abirrung ſein 
würde, die deutſche Politik auf das Weltmeer hinausführen 
zu wollen. Nicht den Export, ſondern den inneren Markt, 
meinten viele Konſervative, ſolle man pflegen; und es iſt 
richtig, daß das agrariſche Intereſſe mit dem Großhandels— 
intereſſe, das über die Ozeane führt, in einem gewiſſen 
Widerſpruch ſteht. Durch eine Indiskretion wurde bekannt, 
das einer der Führer der Agrarier (da es allgemein in den 
Zeitungen geſtanden hat, iſt es jetzt keine Indiskretion 
mehr, es zu wiederholen), Herr Dr. Chriſtian Diedrich 
Hahn, geſprächsweiſe beim Zentrum verſucht hatte, gegen 
die Bewilligung der Schiffe Stimmung zu machen und 


Die deutſche Flotte und die Arbeiter. 33 


dabei den Ausdruck „die gräßliche Flotte“ gebraucht 
hatte. 

Wenn nun das agrariſche Intereſſe in der Tat dem der 
Flotte etwas entgegengeſetzt iſt, ſo iſt es einleuchtend, daß die 
Induſtrie, die auf den Welthandel angewieſen iſt, mit ihr in 
einer naturgemäß guten Beziehung ſteht. Mit der Induſtrie, 
ſollte man meinen, auch die Induſtrie-Arbeiterſchaft, um 
ſo mehr, als dieſe ſich ja ſagen kann, daß bei weitem der 
größte Teil aller Bewilligungen für die Flotte wieder in 
Arbeitslohn umgeſetzt wird. Bewilligung einer Kriegsflotte 
bedeutet: Schaffung einer neuen, umfaſſenden Arbeits— 
gelegenheit. Bei dieſer Lage faßte damals eine Anzahl 
Patrioten in Berlin die Idee, in ſozialdemokratiſche Ver: 
ſammlungen zu gehen und den Verſuch zu machen, der 
Arbeiterſchaft klar zu legen, welch große Entſcheidung jetzt in 
ihre Hand gegeben ſei. Wie ganz anders hätte ſich die 
innere Geſchichte Deutſchlands entwickeln müſſen, wenn es 
dabei geblieben wäre, daß die agrariſchen Konſervativen gegen 
die Flotte ſtimmten, und die ſozialdemokratiſchen Arbeiter 
ſie bewilligten! Im beſonderen kam noch in Betracht, daß 
ja nach einer zwar nicht abſolut unangreifbaren, aber auch 
ſchwer umzuſtürzenden parlamentariſchen Praxis diejenigen 
Parteien, die eine Bewilligung machen, auch das moraliſche 
Recht haben, die dafür notwendigen Steuern zu beſtimmen. 
Nun kam damals der Vorſchlag auf, auch in Deutſchland 
Erbſchaftsſteuern einzuführen, wie ſie ja in England und 
Frankreich ſeit langem beſtehen und große Erträge bringen. 
Man konnte alſo der Arbeiterſchaft ſagen, daß, wenn ſie 
die Flotte bewillige, ſie nicht einmal eine Laſt dafuͤr auf 
ſich nehmen würde, da ſie die Bedingung ſtellen dürfe, 
daß die Mittel durch Erbſchaftsſteuern aufgebracht werden 
ſollten. Auf dieſem Boden kam es wirklich zu einer Volks— 


Bei der Sozial⸗ 
geſetzgebung. 


34 Flotte und Arbeiter. 


verſammlungsaktion. Die Sozialdemokraten nahmen es an, 
daß in einer Reihe von Verſammlungen über die Flotte 
diskutiert werden ſolle. Ich ſelber habe in einer großen 
Verſammlung gegen Herrn Paul Singer gefochten und 
kann nur ſagen, er benahm ſich durchaus höflich und loyal 
und erkannte mit beſonderer Betonung immer wieder an, 
daß auf unſerer Seite eine ehrliche patriotiſche Überzeugung 
obwalte. Weniger manierlich benahm ſich die Verſammlung 
ſelber, die doch wohl nicht von der Vorſtellung loskonnte, 
in mir einen Vertreter des ausbeutenden Kapitalismus vor 
ſich zu haben. In anderen Verſammlungen disputierten 
andere, namentlich unſer ſtets tapferer Adolf Wagner gegen 
Bebel; die einen brachten mehr das Argument mit der 
Schaffung der Arbeitsgelegenheit in den Vordergrund, — 
ein Argument übrigens, deſſen Beweiskraft ich mir ſelber 
nicht ſo ganz aneignen möchte —, die anderen mehr das 
Argument der Erbſchaftsſteuer. Einer aber berichtete, damit 
ſei er vollkommen abgefallen; denn ſein ſozialdemokratiſcher 
Gegner habe ihm das Wort zugeſchleudert: „Was hilft uns 
denn die Erbſchaftsſteuer? Wir haben ja nichts zu vererben!“ 
— Gegen ſolche Logik war nicht aufzukommen. Die Be— 
wegung blieb erfolglos, und das deutſche Volk iſt zu ſeiner 
Flotte gekommen, nicht vermöge des Volkswillens, ſondern 
auf dem Wege der parlamentariſchen Taktik, der es gelang, 
die konſervativen Stimmen zu gewinnen. 

Noch frappanter iſt dieſelbe Erſcheinung auf dem Gebiet 
der ſozialpolitiſchen Geſetzgebung. Hier hatte Fürſt Bismarck 
hauptſächlich zu kämpfen gegen die Vorſtellung, daß die 
ſoziale Fürſorge des Staates ſchwächend und lähmend auf 
die Charakterkraft des einzelnen wirke. Wenn man es 
dem einzelnen Arbeiter überlaſſe, für ſich ſelber zu ſorgen 
und fich zu dieſem Zweck mit feinen Genoſſen zuſammen⸗ 


Arbeiterverſicherung und Sozialdemokratie. 35 


zuſchließen, ſo ſei damit eine moraliſche Hebung des 
Arbeiterſtandes gegeben, die viel mehr wert ſei als die 
materielle Fürſorge durch eine Staatsgeſetzgebung. Die 
konſervative Partei lehnte von vornherein dieſe liberale 
Doktrin ab und kam der Sozialreform mit Sympathie 
entgegen; für das Unfallverſicherungsgeſetz wiederum wurde 
der dem Zentrum ſympathiſche Genoſſenſchaftsgedanke zu 
Hilfe gerufen, ſo daß Bismarck abwechſelnd bald mit Hilfe 
des Zentrums, bald der Nationalliberalen, die erſten Geſetze 
durchbrachte. Auf des Meſſers Schneide aber ſtand die 
Entſcheidung über das größte und wichtigſte dieſer Geſetze, 
die Alters- und Invaliditätsverſicherung. Gerade die beiden 
demofratifchen Parteien, die Sozialdemokraten und die 
Freiſinnigen, opponierten mit der größten Leidenſchaft und 
wußten auch in den Maſſen eine gewiſſe Erregung dagegen 
hervorzurufen. Das Geſetz gibt bekanntlich jedem nicht 
mehr arbeitsfähigen, verſicherten Arbeiter, in welchem Alter 
er auch ſtehe, eine Invalidenrente, jedem Siebzigjährigen 
aber auf jeden Fall eine Altersrente, mag er noch ſeine 
Arbeitsfähigkeit haben oder nicht. Gleich im erſten Jahr 
wurden 133000 Altersrenten bewilligt und bis zum 
Jahr 1909 find 1748 137 Invalidenrenten verliehen 
worden. In allen Volksverſammlungen wurde aber von 
den Arbeitern das Geſetz verworfen, immer wieder mit der 
Argumentation „70 Jahre alt werden wir ja gar nicht!“ 
und wenn man ſagte, daß ja die Hauptſache die Invaliden— 
rente ſei, ſo hieß es „ja, wer weiß, wann man die Invalidität 
bei uns anerkennen wird“. Gegen dieſes von der Agitation 
gefliſſentlich genährte Mißtrauen war ſchlechterdings nicht 
aufzukommen, und da nun auch ſehr viele Arbeitgeber ſchon 
anfingen, ſich auszurechnen, wie große Laſten das Geſetz 
ihnen einmal auferlegen würde, ſo wäre bei allgemeiner 


36 Abftimmung über die Invaliditäts-Verficherung. 


Abſtimmung der Entwurf unzweifelhaft mit erdrückender 
Majorität zurückgewieſen worden. Im Reichstag gewann 
er ſchließlich noch eine Majorität von zehn Stimmen, indem 
Bismarck perſönlich im Reichstag erſchien und das ganze 
Gewicht ſeiner Autorität in die Wagſchale warf. Aber 
zehn Nationalliberale ſtimmten aus liberalem Doktrinarismus 
dagegen, und die Majorität kam ſchließlich nur dadurch 
zuſtande, daß 13 Mitglieder des Zentrums, unter Führung 
des Freiherrn von Franckenſtein, ſich von der Majorität der 
Fraktion loslöſten, Windthorſt den Gehorſam aufſagten und 
mit Ja votierten. Ich erinnere mich noch heute der un— 
geheuren Spannung, mit der das Ergebnis der Abſtimmung, 
das bis zum letzten Augenblick ſchwankend blieb, erwartet 
wurde. Die namentlichen Abſtimmungen im Reichstag 
werden ja nach dem Alphabet vorgenommen, und der Zufall 
wollte, daß der Buchſtabe L, der zuletzt an die Reihe kam, 
lauter Ja brachte. 

Wäre das Geſetz damals gefallen, ſo wäre es für alle 
Zeit in Deutſchland mit dieſer Politik vorbei geweſen. Denn 
die Laſten, die es auferlegt, ſind nicht gering, und je länger 
man über das Geſetz in der Preſſe und in den Ver— 
ſammlungen diskutierte, deſto weiteren Kreiſen wurde es 
klar, was ſie auf ſich zu nehmen hatten, und deſto ſtärker 
wurde alſo die Oppoſition. Nicht mit, ſondern gegen den 
Volkswillen iſt, ſo kann man mit Beſtimmtheit ſagen, 
dieſes Geſetz, das ſeitdem allen Völkern der Welt zum 
Muſter geworden iſt, geſchaffen worden. Ein Referendum 
hätte es unweigerlich zu Falle gebracht. 

Das Nach dem Geſagten wird es nicht mehr wundernehmen, 
re in daß es in England die Konfervativen geweſen find, die das 
Reeferendum in Vorſchlag gebracht haben. Jahrhundertelang 

ſind Oberhaus und Unterhaus als gleichberechtigte Faktoren 


Referendum in England. 37 


der Geſetzgebung betrachtet worden, nur daß das Unterhaus 
die alleinige Entſcheidung über Finanzfragen hatte. Mit 
Hilfe dieſes Rechts hat nun im Laufe des 19. Jahrhunderts 
das Unterhaus das Oberhaus allmählich aus ſeiner gleich— 
berechtigten Stellung herausgedrängt und es endlich im 
Jahre 1911 auf ein bloßes ſuſpenſives Veto, ſuſpenſiv für 
zwei Jahre, beſchränkt. Durch direkte Drohung mit der 
Revolution, die zwei Miniſter, Herr Aſquith und Lord Crewe, 
dem König vortrugen, wurde auch dieſer zur Zuſtimmung 
gezwungen, ſo daß man dieſe Verfaſſungsreform wohl als 
eine Art Staatsſtreich bezeichnen kann. Als letzte Hilfe in 
der Not ſchlugen die Konſervativen das Referendum vor für 
den Fall, daß zwiſchen Ober- und Unterhaus eine ſonſt nicht 
beizulegende Differenz entſtehen ſollte. Nichts ſcheint demo— 
kratiſcher zu ſein als eine ſolche direkte Volksentſcheidung. 
Aber die Liberalen lehnten den Vorſchlag ab. Sie führten 
dagegen zunächſt ins Feld, daß er immer nur zugunſten der 
Konſervativen wirken würde, da anzunehmen ſei, daß der 
etwa zu ſchlichtende Konflikt ſich niemals zwiſchen einem 
konſervativen Unterhaus und einem liberalen Oberhaus, 
ſondern ſtets nur umgekehrt abſpielen könne. Des weiteren 
erhoben ſie den Einwand, daß dadurch das parlamentariſche 
Syſtem umgeſtuͤrzt würde. Denn was ſoll werden, wenn 
die Majorität des Unterhauſes hinter dem Miniſterium ſteht, 
das Volk aber im Referendum einen Geſetzesvorſchlag dieſes 
Miniſteriums und dieſer Majorität verwirft? Sollte das 
Miniſterium abgehen, ſo würde das folgende keine Majorität 
im Unterhauſe haben. Sollte es aber bleiben, ſo wäre 
durch das Referendum ſeine moraliſche Autorität ſo ſehr 
geſchwächt, daß es ſchwerlich die Regierung mit Erfolg weiter 
führen könne. Schließlich aber, ſagte man, ſei ein Refe— 
rendum auch keineswegs ſo demokratiſch, wie es ſcheine; im 


Indirekte 
Wahlen. 


38 Gründe gegen das Referendum. 


Gegenteil, es ſei undemokratiſch. Denn der einzelne Bürger 
ſei ſchlechterdings außerſtande, große Geſetze von vielleicht 
vielen hundert Paragraphen, die ihm vorgelegt würden, auch 
wirklich zu ſtudieren und zu verſtehen. Er ſei ganz und gar 
angewieſen auf das, was ihm die Führer oder etwaige 
Demagogen darüber ſagten. Miſter Smith und Miſter 
Jones würde man immer ſoviel politiſche Einſicht zutrauen, 
um ſich nach ihren Wünſchen und Beſtrebungen eine Partei 
auszuſuchen und einen oder zwei Abgeordnete zu wählen. 
Aber die Einzelheiten der Geſetzgebung an ſie zu bringen, 
ſei nicht Durchführung der Volksregierung, ſondern ihre 
Aufhebung. 

Man wird allen dieſen Gründen eine gewiſſe ſachliche 
Berechtigung nicht abſprechen können. Bei dem letzten freilich 
leuchtet ein, daß er bedenklich viel mehr beweiſt, als er be— 
weiſen will. Wenn Miſter Smith und Miſter Jones bei 
der Wertung eines beſonderen Geſetzes ſo ganz und gar in 
Abhängigkeit von Führern und Demagogen geraten, ſollte 
dieſe Abhängigkeit nicht auch einigermaßen ſich geltend 
machen, wenn ſie ihre Partei wählen und ihre Abgeord— 
neten küren? 

Aber wie dem auch ſei, die Vorſtellung, daß der Bürger 
wohl imſtande ſei, Vertrauensmänner zu wählen, aber nicht 
unmittelbar ſelber Geſetze zu geben, iſt nicht erſt hier auf— 
getaucht, ſondern ſchon, ſeitdem das Repräſentativſyſtem 
überhaupt aufgekommen iſt. An vielen Stellen, in Amerika 
wie in Preußen hat man eben aus dieſem Grunde das 
Syſtem der indirekten Wahl angenommen, das ſchon bei 
der Wahl zur franzöſiſchen Nationalverſammlung (1789) 
angewandt worden iſt. Dem Wähler wird nicht zugetraut, 
daß er ſelber einen Abgeordneten ausſuchen könne, ſondern 
er ſoll einen Mann aus ſeiner wirklichen Bekanntſchaft, aus 


Indirekte Wahl. 39 


feiner Nachbarfchaft ſuchen, dem er vertraut, und dieſe fo 
gewählten Wahlmänner erſt ſollen dann den Volksvertreter 
beſtimmen. Dieſes Syſtem hat die darauf geſetzten Hoff— 
nungen allenthalben, wo es eingeführt worden iſt, enttäuſcht. 
Die Wahlmänner in Preußen ebenſo wie die Elektoren in 
Amerika ſind zu bloßen Briefträgern geworden, denen von 
vornherein keine andere Aufgabe zufällt, als einem beſtimmten 
Mann ihre Stimme zu geben. Nur ganz ſelten, etwa 
wenn nachträglich Kompromiſſe geſchloſſen werden, haben 
die Wahlmänner eine gewiſſe ſelbſtändige Bedeutung gehabt, 
und daneben hemmt dieſer Wahlmodus, wenn er mit kleinen 
Urwahlbezirken verbunden iſt, ziemlich ſtark die Wahl— 
agitation und wirkt deshalb mittelbar konſervativ. 

In der Verzweiflung, durch irgendwelche Konſtruktious— 
kunſtſtücke auf dem Wege des Wählens zu einem wirklichen 
und vernünftigen Volkswillen zu gelangen, kommen Theo— 
retiker immer von Zeit zu Zeit wieder auf den alten Stände— 
Gedanken zurück. Auch Bismarck hat zuweilen damit ge— 
ſpielt. Man will das ganze Volk nach Ständen gruppieren, 
oder, anders ausgedrückt, man will die natürlich vorhandenen 
ſtändiſchen Differenzen organiſieren und jedem dieſer Stände 
dann eine beſtimmte Zahl der Abgeordneten zuweiſen. Der 
Erfolg würde ſein, daß dann derjenige Stand oder diejenigen 
Stände, die die Majorität haben, ſtets die Laſten auf die 
Minorität legen würden. Alles hängt alſo davon ab, 
wie die Vertreterzahl der einzelnen Stände normiert wird. 
Die heftigſten Gegner des ſtändiſchen Gedankens ſind 
natürlich die Sozialdemokraten. Aber wenn man von den 
397 Mandaten des Reichstags der Arbeiterſchaft von vorn— 
herein 200 zuweiſen wollte, ſo würden auch ſie ſich vielleicht 
mit dem ſtändiſchen Gedanken befreunden. Deſto weniger 
die anderen. Hier iſt ſchlechterdings kein Ausgleich möglich, 


Ständiſche 
Vertretung. 


Recht der 
Obſtruktion. 


40 Staͤndiſche Vertretung. Obſtruktion. 


vielmehr umgekehrt: Der Ausgleich der tatſächlich vorhandenen 
entgegengeſetzten Intereſſen der verſchiedenen Stände wird 
darin gefunden, daß beim allgemeinen gleichen Wahlrecht 
jeder Stand und jedes Intereſſe den Spielraum hat, ſich 
nach ſeiner Maſſe und ſeinen inneren Kräften geltend zu 
machen. 

Freilich, ob eine auf dieſem Wege gefundene Majorität 
wirklich den Volkswillen vertritt und geeignet iſt, das Beſte 
des Staates wahrzunehmen, dagegen haben wir mancherlei 
Bedenken gefunden, und auch in der allgemeinen Meinung 
greifen dieſe Bedenken immer mehr um ſich. Kann eine 
Majorität nicht ebenſo tyranniſch ſein wie ein Einzelner? 
Die Abwehr einer derartigen Majoritätstyrannei iſt die 
parlamentariſche Obſtruktion. Unter Obſtruktion verſteht 
man das Stillegen der ganzen parlamentariſchen Maſchinerie 
durch mißbräuchliche Anwendung irgendwelcher geeigneter 
Beſtimmungen der Geſchäftsordnung: Die Minorität ver— 
hindert die Majorität zum Beiſpiel, zur Abſtimmung zu 
kommen, indem die Redner nicht aufhören, zu ſprechen (es 
ſind ſchon Reden von 24 Stunden Länge vorgekommen), 
oder aber, wenn die Majorität mit dem Reden Schluß macht, 
ſo ſtellt die Minorität ſoviel Einzelanträge und immer neue 
Einzelanträge, daß man zur Schlußabſtimmung überhaupt 
nicht kommt. Oder aber, wenn die Minorität ſehr ſtark 
iſt, ſo verläßt ſie im entſcheidenden Moment den Saal und 
macht das Parlament beſchlußunfähig. Dieſe Kunſtſtückchen 
ſind im engliſchen Parlament angewendet worden, ſpielen 
aber jetzt eine ganz beſondere Rolle in Sſterreich und in 
Ungarn. Man ſieht hier die Obſtruktion ſogar als ein ganz 
legales Mittel des parlamentariſchen Kampfes an, obgleich 
es auf der Hand liegt, daß mit dieſer Anerkennung das 
Prinzip der Repräſentation und der Majorität ſich ſelber 


Ausſpruͤche Napoleons und Hegels. 41 


aufgehoben hat. Wäre es wahr, daß eine gewählte Re— 
präſentation in ihrer Majorität den Volkswillen darſtellt, 
ſo hätte die Erſcheinung der Obſtruktion ſich nicht wohl 
einſtellen können. Wir haben in ihr alſo einen Beweis, 
wieder von einer anderen Seite, daß die Herſtellung eines 
Volkswillens auf dem Wege der Abſtimmung, wie man ſie 
auch drehe und wende, wie man ſie auch organiſiere, eine 
Fiktion iſt. 
Der Volkswille iſt Geiſt, reiner Geiſt, der phyſiſch weder Was iſt 
greifbar noch darſtellbar iſt. „ 
„Das Volk iſt wie das Waſſer,“ ſagte Napoleon J., Ausſprüche 
„das die Geſtalt jedes Gefäßes annimmt, in das man es ges. 
hinein tut; tut man es aber überhaupt in kein Gefäß, ſo 
fließt es ziel⸗ und zwecklos auseinander.“ 
Noch gewaltiger aber erdröhnt der Ausſpruch Hegels: 
„Das Volk iſt derjenige Teil des Staates, der nicht weiß, 
was er will.“ 
Wie ſchnöde klingt uns dieſer Ausſpruch! Aber er iſt 
nicht ſo ſchnöde. Iſt nicht, zu wiſſen, was man will, ſelbſt 
für den einzelnen oft die allerſchwerſte Aufgabe? Ein Volk 
aber kann gar nicht wiſſen, was es will, weil die Summe 
der einzelnen nicht im Beſitz eines Organs iſt, durch das es 
ſeinen Willen zum Ausdruck bringen könnte. Von welcher 
Seite wir auch immer an den Begriff „Volk“ herangetreten 
ſind, immer wieder haben wir dieſelbe Tatſache feſtgeſtellt. 
Wer gehört zum deutſchen Volk? Auch die Deutſchen außer— 
halb des Reichs? Auch die Polen, Franzoſen und Dänen 
innerhalb des Reichs? Auch die Frauen und Kinder? Wenn 
abgeſtimmt werden ſoll, von welchem Lebensjahr an? Wie 
ſoll zum Zweck der Abſtimmung das Volk eingeteilt werden? 
Wie ſoll der Wille der Minorität zum Ausdruck kommen? 
Welches Wahlſyſtem ſoll gelten? Wer organifiert die Wahlen? 


42 Das Volk in idealem 


Wer ſchleppt die Läſſigen zur Wahlurne? Wer beſtimmt die 
Kandidaten? Wer endlich hat den entſcheidenden Einfluß 
bei der Bearbeitung der Wähler, der Bildung der öffent— 
lichen Meinung? Exiſtiert wie in Frankreich unter Napoleon II. 
eine Regierung, die die Preſſe, Vereins- und Verſammlungs— 
freiheit unterbindet und die Beamtenſchaft anweiſt, die 
Wähler zur Wahlurne zu führen, ſo liegt die Entſcheidung 
nicht beim Volk, ſondern eben bei dieſer Regierung. Exiſtiert 
wie heute in den meiſten demokratiſchen Staaten neben dem 
Wahlſyſtem freie Preſſe, freies Vereins- und Verſammlungs⸗ 
recht, ſo entſcheidet wieder nicht das Volk, ſondern die 
Parteiorganiſation, die Demagogie und das Geld. 

Je weiter wir mit unſeren Betrachtungen vordringen, 
deſto mehr ſehen wir, daß ſich ein breiter, breiter Spalt 
auftut zwiſchen dem idealen Begriffe „Volk“ und dem, was 
wir in der Politik und im Staatsrecht „Volk“ und „Volks— 
vertretung“ nennen. Beide haben kaum etwas miteinander 
zu tun. Das deutſche Volk im idealen Sinne iſt ein ſtaats— 
rechtlich unformulierbarer Begriff. 

Zum deutſchen Volk im idealen Sinne gehören auch 
die Frauen und Kinder, die Vergangenheit und die Zukunft, 
die großen Perſönlichkeiten wie die Maſſe. Die Größe eines 
Volkes ſind ſeine großen Perſönlichkeiten; aber dieſe ſind 
nicht denkbar ohne den Mutterboden der Menge. Ohne die 
großen Perſönlichkeiten iſt das Volk Pöbel; ohne den Wider— 
klang in der gleichſprachigen Menge könnte der Genius nicht 
nur nicht wirken, ſondern nicht einmal werden. Zum deutſchen 
Volk gehören Barbaroſſa und Luther, Goethe und Gneiſenau, 
wie die Erhebung der Geſamtheit im Jahre 1813. Von 
dem breiten Fundament der Maſſe hinauf bis zu den Heroen 
führt eine unendliche Stufenleiter von Mittelgliedern in— 
tellektueller und moraliſcher Tüchtigkeiten, und ebenſo von 


und in politiſchem Sinne. 43 


den Heroen herab bis zu der Maſſe. In dieſer Einheit, 
die auf der Vergangenheit aufbaut und nicht nur der Gegen— 
wart lebt, ſondern in dieſer Gegenwart arbeitet für unab— 
ſehbare ferne Zukunft, haben wir das wahre Weſen eines 
Volkstums, das wir verehren als ein Heiliges. Was hat das 
deutſche Volk in dieſem wahren und tiefen Sinne zu tun mit 
jener Verſammlung von 397 Männern, die den deutſchen 
Reichstag bilden? 110 Sozialdemokraten, 100 Mann 
Zentrum, 25 Polen, Dänen und Franzoſen und eine Anzahl 
kleinerer und größerer Gruppen Konſervative, Agrarier, 
Antiſemiten, Freikonſervative, Nationalliberale, Freiſinnige, 
das ſoll das deutſche Volk ſein? 

Die Demokratie ſelbſt weiß ſehr gut, daß in dieſem 
Sinne zwiſchen „Volk“ und „Volk“ ein Unterſchied iſt; 
denn auch fie erkennt den Satz: „Volkswille — Gottes: 
wille“ nur an, wenn er ihr günſtig iſt, geradeſo wie fie 
den Reaktionären das Sprüchlein zuſchreibt: „Und der 
König abſolut, wenn er uns den Willen tut.“ 

Die Wahl der beiden Napoleons iſt niemals als Aus— 
druck des Volkswillens anerkannt worden, obgleich fie nahe: 
zu einſtimmig war. 

Auch der Begriff der Volksſouveränität, der hiſtoriſch 
eine ſo große Wirkung gehabt hat, iſt hiermit als eine 
bloße Fiktion dargetan. Wenn das Volk in ſtaatsrecht— 
lichem Sinne keinen Willen hat, kann es auch nicht die 
Souveränität, d. h. den höchſten, nur ſich ſelbſt Schranken 
ſetzenden Willen haben. 

Wer mir bis hierher gefolgt iſt, hat vielleicht den Eindruck, 
daß ich damit das Grundprinzip der Demokratie habe 
bekämpfen und verwerfen, ja, geradezu als abſurd habe 
nachweiſen wollen; formell ja — ſachlich nein. Wie wäre 


es möglich, daß die Idee der Demokratie in der Welt— 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 4 


Volks⸗ 
ſouveränität. 


Staat und Volk. 


44 Volksſouveraͤnitaͤt. 


geſchichte eine ſo ungeheure Rolle ſpielte, immer wieder 
unermeßliche Wirkungen ausübte, wenn ſie nichts als eine 
Abſurdität wäre? 

Freilich, die Vorſtellungen von der Volksſouveränität 
und vom Volkswillen haben ſich in der Tat bei genauerem 
Zuſehen als unvollziehbar, d. h. als abſurd erwieſen. Aber 
das mögen ja nur falſche und ungenügende theoretiſche 
Formulierungen ſein fuͤr Wahrheiten, die ſich beſſer formulieren 
laſſen. So iſt es in der Tat. 

Verzichten wir darauf, die Volksvertretung mit feierlichem 
Klange als fleiſchgewordenen Volkswillen zu proklamieren, 
und halten uns einfach daran, daß durch die Wahlen und Ab— 
ſtimmungen, in welcher Art und Begrenzung ſie ſich auch 
immer vollziehen, eine große Maſſe, ja vielleicht die Geſamt— 
heit der Staatsbürger in eine unmittelbare Willens beziehung 
zum Staat und ſeinen Zwecken geſetzt werden. Zum Weſen 
des Staats gehört eine ſolche Beziehung zwiſchen ihm und 
den einzelnen Bürgern nicht. Es hat Staaten gegeben, 
die von dem Bürger nichts verlangten als Gehorſam; wie 
er ſich innerlich zum Staate ſtellte, ob er ſeine Steuern 
mit Freude oder mit Ärger bezahlte, ob er Jubel oder 
Trauer hatte bei ſeinen Niederlagen oder Siegen, war ihm 
gleichgültig; wenn nur eben die Steuern pünktlich bezahlt 
wurden, und die für den Kriegsdienſt Beſtimmten dieſen 
Dienſt pflichtgemäß leiſteten. Ein ſolcher Staat war noch 
das Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrich des Großen. 
Wenn alſo nach der Schlacht bei Jena der Gouverneur von 
Berlin proklamierte: „Ruhe iſt jetzt die erſte Bürgerpflicht!“, 
ſo kam damit der Geiſt des altpreußiſchen Staates, zwar 
in einer unendlich philiſterhaften, aber doch nicht unrichtigen 
Weiſe zum Ausdruck. Eben die Schlacht bei Jena hat 
aber auch gezeigt, wie ſchwach ein Staat iſt, der es noch 


Staat und Staatsbürger. 45 


nicht verſtanden hat, ſich auch in eine innere Beziehung 
zu ſeinen Bürgern zu ſetzen. Freilich, Friedrich der Große 
hat trotzdem den ſiebenjährigen Krieg beſtanden. Aber 
was in der neu herangekommenen Epoche verlangt wurde, 
war mehr. Das Heer, das bei Jena und Auerſtädt ge— 
ſchlagen wurde, war im ganzen nicht etwa ſchlechter als 
die Heere Friedrichs, ſondern ſogar in vieler Beziehung 
beſſer. Auch in der Führung war man keineswegs ſo 
ganz jeden guten Geiſtes bar, wie es dargeſtellt zu werden 
pflegt. Wer war der Generalſtabschef des Herzogs von 
Braunſchweig bei Auerſtädt? Scharnhorſt. Wer komman— 
dierte die Kavallerie bei Auerſtädt? Blücher. Freilich, in 
der eigentlichen oberen Führung fehlte es vollkommen; und 
deshalb ging die Niederlage gleich bis ins Bodenloſe. Aber 
ein Sieg über Napoleon wäre mit den Mitteln des alten 
Staates auch einem Friedrich unmöglich geweſen. 

1813 wurde er möglich, und der Unterſchied des Preußens 
von 1806 und des Preußens von 1813 beruht darauf, daß 
in der Zwiſchenzeit der Wille jedes einzelnen Staatsbürgers 
zur Unterſtuͤtzung des Staatswillens angerufen und wirklich 
in Bewegung geſetzt worden war. 

Dieſe Willensbeziehung des Einzelnen zum Staate iſt der 
reale Inhalt deſſen, was insgemein mit einem Ausdruck, 
den wir als myſtiſch erkannt haben, Volkswille genannt 
wird. Der Kampfruf, unter dem allenthalben im Altertum 
wie in der Neuzeit dieſer Volkswille — wir mögen das 
Wort, nachdem wir uns über ſeinen wahren Inhalt klar 
geworden ſind, beibehalten — für die Regierung des Staates 
angerufen wurde, war immer die Freiheit. Ob die Freiheit 
wirklich in jeder Beziehung bei der Einſetzung dieſer Art 
von Regierungen gewonnen und nicht auch manches verloren 


hat, wollen wir vorläufig dahingeſtellt ſein laſſen, auf jeden 
4 * 


Mängel der 
Volks⸗ 
regierungen. 


Korruption in 
Amerika. 


4 Staͤrke oder Schwaͤche der Volksregierungen. 


Fall iſt die enge Beziehung des Staates zum Willen der 
einzelnen Staatsbürger von ſolchem Wert und ſolcher Be— 
deutung, daß, wie ſchon die antiken Republiken darauf auf: 
gebaut waren, jo auch im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr 
und mehr Staaten zu einer Verfaſſung mit gewählten Volks— 
vertretungen übergegangen find und, wo ſolche ſchon exiſtierten, 
das Stimmrecht erweitert worden iſt. 


Sehr zufrieden iſt man nun aber, wie wir geſehen haben, 
mit den Ergebniſſen doch nicht. Schon das alte Athen iſt nach 
kurzer Blüte an der Unmöglichkeit, mit einer regierenden Volks— 
menge Großmachtpolitik zu treiben, zugrunde gegangen. Die 
modernen Demokratien haben im 19. Jahrhundert ſehr ſchwere 
Proben entweder noch nicht zu beſtehen gehabt oder ſich ihnen 
nur mangelhaft gewachſen gezeigt. Die großen Kämpfe gegen 
Frankreich hat das alte ariſtokratiſche England geführt und 
die amerikaniſche Republik hat einen furchtbaren fünfjährigen 
Bürgerkrieg nicht zu vermeiden vermocht, im beſonderen aber 
klagt man in faſt allen dieſen Staaten, beſonders in Amerika, 
Frankreich und Italien über die den Wahlregierungen imma— 
nente Korruption. 


Am allerlauteſten ſind die Klagen darüber heute in 
Amerika. Der neue Präſident, Wilſon, ſprach in ſeiner 
Inaugurationsrede von dem „vielfachen Mißbrauch der 
Regierung, die zu einem Werkzeug des Böſen gemacht 
wurde“. In einer amerikanischen Enzyklopädie“) (erſchienen 
1908) iſt die Korruption als ſoziales Phänomen in einem 
beſonderen Artikel behandelt. Es exiſtieren dafür befondere 
Organiſationen, deren Haupt der „Boß“ genannt wird, der 
die Wahlen macht und die Amter vergibt. In den in— 
duſtriellen Staaten werden etwa 28% der Stimmen gekauft; 


*) The new Encyclopedia of Social Reform. Bliss, New York. 


Korruption. 47 


ein Neger- Votum wird mit 2 Dollar, ein weißes mit 
3 Dollar bezahlt, in der Stadt New Pork aber ſteigt der 
Preis bis zu 25 Dollar. Das Geld bringen teils die großen 
Erwerbs⸗Geſellſchaften auf, die dafür Gefälligkeiten von der 
Geſetzgebung erwarten, teils die Beamten, die Stellenjäger. 
Für eine Stelle im höchſten Gericht find ſchon 50000 bis 
100 O00 Dollar bezahlt worden. In St. Louis wurde eine 
Konzeſſionsbill mit 30000 Dollar über das Veto des Gouver— 
neurs hinweg durchgebracht und ein Jahr darauf für 
1250000 Dollar weiter verkauft. Beſonders ſchlimm iſt 
die Korruption im Staate Pennſylvanien, weil hier die republi— 
kaniſche Partei ſowohl in Stadt wie Staat regiert, während 
anderswo die Parteien ſich gegenſeitig etwas in Schach 
halten. Im allgemeinen, auch nach der Anſicht von Andrew 
White, gelten die Bauern für weniger angefault als die Stadt— 
bürger, von New Pork aber ſagt Prof. Jenks, es ſei kein 
Unterſchied in der Käuflichkeit. James Bryce in ſeinem 
Buche American Commonwealth meint, daß gegen ein 
Fünftel beider Häuſer des Kongreſſes ziemlich ſicher korrupt 
ſeien und eine viel größere Zahl in dem Verdacht ſtände. 
Neuerdings hat ein Mann, der als Oberagent zehn Jahre 
an der Spitze einer Fabrikanten-Vereinigung ſtand, Mulhall, 
eine Liſte derjenigen Politiker, auch Arbeiterführer, veröffent— 
licht, die „Bargeld“ von ihm nahmen. Der Senator 
Lorimer von Illinois war der erſte, der im vorigen Jahre 
(1912) wegen nachgewieſener Beſtechungen bei der Wahl 
aus dem Senat ausgeſchloſſen wurde. In ſeiner Verteidi— 
gungsrede, die nicht weniger als 20 Stunden dauerte, fragte 
er, wer denn von den Kollegen nicht für ſeine Wahl bezahlt 
und das Geld dazu von den Truſts bekommen hätte. Lorimer 
gab zu, daß Taft wie Rooſevelt ſich von ihm losgeſagt 
hätten; weshalb aber, rief er aus. „Ich bin doch in Chicago 


Korruption in 
der Schweiz. 


48 Korruption. 


dabei geweſen, wie die Freunde Tafts die Stimmen der 
Delegaten kauften und wie die Rooſevelt-Leute dasſelbe ver— 
ſuchten, aber erfolglos blieben, weil die anderen mehr Geld 
hatten.“ 

Ein bemerkenswerter ſtatiſtiſcher Beweis für die Unzu— 
verläſſigkeit der Verwaltung in den Vereinigten Staaten 
iſt der Penſionsfonds für die Veteranen und Hinterbliebenen 
des Sezeſſionskrieges. Obgleich jetzt 48 Jahre ſeit der 
Beendigung dieſes Krieges verfloſſen ſind, iſt die Zahl der 
Rentenempfänger noch immer geſtiegen und die Penſionen 
verſchlingen 175 Millionen Dollars, gleich 700 Millionen 
Mark jährlich. 

Auch in der alten Eidgenoſſenſchaft war die Korruption 
ſehr groß; ſowohl in den ariftofratifchen wie in den 
demofratifchen Kantonen. In erſteren wurden viele Amter 
ſo gut wie erblich, in den letzteren kam man zu den Amtern 
durch Spenden und Beſtechungen. Schon im 16. Jahr— 
hundert wurden ſie verboten, aber die Mißbräuche waren 
ſo unausrottbar, daß man ſie geſetzlich regelte, indem man 
die zu Amtern und Dienſten Beförderten Auflagen bezahlen 
ließ, welche teils zu öffentlichen Zwecken verwendet, teils 
unter alle ſtimmberechtigten Landleute verteilt wurden. Die 
Landvögte, die in der Regel nur auf zwei Jahre für die 
unterworfenen Gebiete gewählt wurden, mußten ſuchen 
durch Erpreſſungen ihre Koſten wieder einzubringen. In 
den Landsgemeinde-Kantonen wurde endlich alles einfach 
zur öffentlichen Verſteigerung gebracht, die Vogteien, die 
Ausübung der Juſtiz, die höchſten Amter im Staat, die— 
jenigen der Ratsherren und ſelbſt des Landammanns, oder 
man verloſte die Amter und wer das Amt nicht wollte, 
verkaufte das gewonnene Los“). 


) Nach Hasbach, Moderne Demokratie. S. 80 ff. 


Mängel der Demokratie, 49 


Die heutige Schweiz ſowie das heutige England find 
frei von Korruption. Weshalb ſie ſich in dieſem Punkt 
von den anderen demokratiſch regierten Staaten ſo ſehr 
zu ihrem Vorteil unterſcheiden, iſt nicht leicht zu ſagen. 
Aber wenn auch gerade dieſes Übel ausgerottet ſcheint, ſo 
klagt man über andere. In der Schweiz fürchtet die 
ſtädtiſche Intelligenz zwiſchen den Bauern auf der einen, 
den Fabrikarbeitern auf der anderen Seite eingequetſcht und 
zerrieben zu werden“) und auch in England, wo man ſich 
ja noch immer im Übergangsftadium von der Ariſtokratie 
zur Demokratie befindet, ſieht man mit großer Beſorgnis 
die neue Demokratie heraufziehen. Die Konſervativen, die 
ſchon jetzt über die drückende Höhe der Einkommen-, Be— 
ſitz- und Erbſchaftsſteuern Stein und Bein klagen, fürchten 
ſozialiſtiſche Erperimente. Früher, ſagen ſie, hätten die— 
jenigen das Parlament gewählt, die die Laſt des Staates 
getragen und die Steuern bezahlt hätten; heute wählten 
die, die vom Staate etwas haben wollten. Das Kapital iſt 
ſchon fo eingeſchuͤchtert, daß es ſich ins Ausland zieht“). 
Namentlich aber bezweifelt man, ob die Demokratie der 
auswärtigen Politik, der Behauptung und Beherrſchung des 
ungeheuren Welt-Imperiums gewachſen ſein wird. 

Alle dieſe Regierungen, dürfen wir ſagen, ſind zwar 
ſtark durch die innere Teilnahme und den guten Willen 
breiter Maſſen der Staatsbürger, aber es fehlt ihnen gar 
zu leicht an der für die Lenkung der Staaten unentbehr— 
lichen Ehrlichkeit, Weisheit und Feſtigkeit. Alle Wünſche 
9 Has bach, Die moderne Demokratie. S. 340. 

) Dies wurde mir bei meinem juͤngſten Aufenthalt in England 
von verſchiedenen Seiten beſtaͤtigt. Beſonders der Niedergang der engliſchen 
Landwirtſchaft ſoll zum Teil daher ruͤhren, daß man ſich aus Furcht vor der 


Enteignung nicht mehr getraut, dem Boden das genuͤgende Kapital zu— 
zuwenden. 


Der beſte Staat. 


50 Der Ideal⸗Staat. 


und Verſuche, durch beſonders ſinnig erfundene Wahlſyſteme 
dieſem Übel abzuhelfen, ſind offenbar hoffnungslos. Wie 
iſt aus dem Dilemma herauszukommen? 

Ehedem haben die Philoſophen ſich viel Mühe gegeben, 
den beſten Staat zu konſtruieren. Dieſe Verſuche ſind aus 
der Mode gekommen und mit Recht. Den idealen Staat 
kann es ſo wenig geben wie die idealen Menſchen. Aber 
als heuriſtiſches Prinzip mit dem Bewußtſein, daß das Er— 
gebnis nur eine Konſtruktion ſein ſoll, iſt die Frageſtellung 
immerhin brauchbar, und wir wollen ſie einmal anwenden 
und nachſehen, was mit dem Ergebnis anzufangen iſt. 

Wir vermißten in den demokratiſchen Repräſentativ— 
regierungen die rechte Ehrlichkeit und Weisheit. Halten wir 
uns alſo einmal an Plato, der verlangte, daß die Philoſophen, 
d. h. die Weiſen, d. h. modern geſprochen, die Gebildetſten 
regieren ſollen, die Beſterzogenen, denen man auch Redlichkeit 
zutrauen kann. Wie müßte das gemacht werden? Zunächſt ein 
ausgezeichnetes Schulſyſtem, in dem die Knaben, die aus 
gebildeten Familien ſtammend ſchon etwas mitbringen, zu— 
ſammen mit den Talentvollſten aus der großen Maſſe 
ſorgſam unterrichtet und ſtreng erzogen werden. Am Ab— 
ſchluß der Schule, ſagen wir mit dem 18. oder 19. Jahr, 
ein ſtrenges Examen, das alle Untauglichen ausſcheidet. 
Dann ein mehrjähriges Studium an einer Hochſchule, 
wiederum mit einem ſtrengen Schlußeramen. Dann Ein: 
ſtellung der ſo vorgebildeten und fein durchgeſiebten jungen 
Männer in die beſtehende Regierung zu praktiſcher Aus— 
bildung. Nachdem ein drittes Examen den Mann auch 
als praktiſch tüchtig gezeigt hat, Berufung in eine der 
verſchiedenen regierenden, richtenden oder lehrenden Be— 
hörden, die ſtufenweiſe aufgebaut ſein müſſen, ſo daß in 
die höheren Inſtanzen immer die Tüchtigſten und Bewähr⸗ 


Preußen nach 1815. 5] 


teften befördert werden, und ſchließlich an der Spitze des 
Staates ein kleines Kollegium von älteren, durch eine 
lange Erfahrung geſchulten Staatsmännern, das beſonders 
darauf achtet, daß immer die Tüchtigſten in den unteren 
Stellen herausgefunden werden und zu den leitenden Poſten 
aufrücken. 

Hat es ein ſolches Staatsweſen jemals gegeben? Wir 
brauchen nicht weit zu ſuchen. Laſſen wir die Gegenwart 
aus dem Spiel und ſagen: „Preußen nach 1815“. Die 
fürchterliche ſiebenjährige Kriſe nach 1806 war durch das 
preußiſche Beamtentum und das preußiſche Offizierkorps 
hindurchgegangen wie ein reinigendes Gewitter. Die ſchwäch— 
lichen und unbrauchbaren Perſönlichkeiten waren durch die 
Gewalt der Ereigniſſe maſſenhaft ausgeſchieden. An der 
Spitze des Staates ſtand in der Perſon des Staatskanzlers 
Fürſten Hardenberg ein Staatsmann, zwar nicht großen 
Stils, aber doch ein feiner und durchaus vorurteilsloſer 
Geiſt und voller Hingabe an ſein Amt. Er iſt es geweſen, 
der Scharnhorſt, Gneiſenau und Blücher an die Spitze 
der Armee gebracht hat. Er ſetzte durch, daß nach dem 
Friedensſchluß einer der beſten Schüler Scharnhorſts, Boyen, 
das Kriegs miniſterium erhielt. Neben ihm der bedeutendſte 
Kopf in der Regierung und 1819 auch im Miniſterium 
war Wilhelm von Humboldt. Etwas ſpäter erhielt das 
Finanzminiſterium der geniale Motz, dem nachher der eben— 
falls ſehr bedeutende Maaßen folgte. Altenſtein, ein 
philoſophiſch gebildeter Mann, der ſorgſame Pfleger des 
preußiſchen Bildungsweſens, der Univerſitäten und Gymnaſien, 
wurde Kultusminiſter. Auch unter den Oberpräſidenten ſind 
nicht wenige, die in der preußiſchen Geſchichte einen bedeutenden 
Namen hinterlaſſen haben. Schön in Preußen, Sack in 
Pommern, Zerboni in Poſen, Merckel in Schleſien, 


Preußen nach 
1815. 


32 Preußen nach 1815. 


Vinke in Weſtfalen. Man darf annehmen, daß eine Re— 
gierung mit ſolchen Spitzen auch in den unteren Inſtanzen 
für tüchtige Perſönlichkeiten geſorgt hat, und wirklich hat ſie 
auch Ungeheures geleiſtet. Unter den mannigfachen Ver— 
dienſten Treitſchkes werden auf die Dauer vielleicht ſeine 
Forſchungen und Feſtſtellungen über die Verdienſte der 
zweiten Friedensperiode Friedrich Wilhelms III. von 1815-1840 
den erſten Rang behaupten. Preußen war durch die Pariſer 
Friedensſchlüſſe und den Wiener Kongreß auf das Doppelte 
ſeines Umfanges von 1813 vergrößert worden. Stücke von 
nicht weniger als neun verſchiedenen Staatsgebieten waren den 
alten Provinzen zugeſchlagen worden: Die Republik Danzig, 
ein Stück des Großherzogtums Warſchau, die Hälfte von 
Sachſen, Schwediſch--Pommern, das Großherzogtum Berg, 
geiſtliche Fürſtentümer, die zum Königreich Weſtfalen gehört 
hatten, das linke Rheinufer, das zu Frankreich gehört hatte: 
Alle kamen ſie gezwungen, gegen ihren Wunſch und Willen 
zu Preußen. Im Laufe einer Generation iſt aus dieſer ſo 
buntſcheckig und zufällig zuſammengeſetzten Maſſe durch 
Armee und Beamtentum eine Staatsgeſinnung herangezogen 
worden, die imſtande war, die Stürme des Revolutions— 
jahres von 1848 zu überſtehen und nachher die Schlacht 
bei Königgrätz zu gewinnen. 

Wir ſuchten nach dem Idealſtaat, der Regierung der 
Weiſen, der Philoſophen, wie ſie Plato entworfen hat, und 
plötzlich waren wir mitten in Preußen. Habe ich Ihnen 
etwa ein Taſchenſpielerkunſtſtückchen vorgemacht? Preußen 
nach 1815, das Preußen Friedrich Wilhelms III., das bei 
Mit⸗ und Nachwelt ſo wenig Anſehen genoſſen hat, das 
ſoll der Staat der reinen Intelligenz, der Idealſtaat ge— 
weſen ſein? Es hat freilich ſchon damals Leute gegeben, 
die es ſo auffaſſen wollten, aber ich will mich nicht länger 


Preußen als Partikularſtaat. 53 


dem Verdacht einer Paradoxie ausſetzen und gleich feſtſtellen, 
daß es nicht richtig iſt. 

Der damalige Staat Preußen entſprach wirklich den 
Prinzipien des Platoniſchen Ideal-Staates und war es 
doch nicht. 

Warum nicht? Der Staat Preußen war damals in 
einem Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Er war angelegt darauf, 
der deutſche Staat zu ſein und war doch ein bloßer Par— 
tikularſtaat, dazu ein Partikularſtaat, dem die Hälfte der 
Staatsbürger gegen ihren Willen mit Gewalt zugefügt war. 
Unmöglich konnte die Staatsidee von allen dieſen neuen 
Bürgern, den Mußpreußen, ſchon begriffen werden. Aber 
auch die Altpreußen befriedigte ſie nur zum Teil. Denn 
die Idee, die man angerufen hatte zur Durchführung des 
großen Kampfes, aus dem dieſer Staat hervorgegangen 
war, das war ja die nationale Idee, und die nationale Idee 
gefiel dieſem preußiſchen Staat nicht nur nicht, ſondern er 
bekämpfte fie jetzt ſogar. Das Deutſchtum, die Anrufung 
der Idee des deutſchen Einheitsſtaates, galt für ein geſetz— 
widriges Vergehen. Damit war es von vornherein un— 
möglich, daß in dieſem Staat — die Regierung mochte ſo 
gut oder ſo ſchlecht ſein, wie ſie wollte — irgendeine Be— 
friedigung herrſchte. Warum bekämpfte denn der preußiſche 
Staat damals die deutſche Idee, die doch ſeine eigene 
Zukunft bedeutete? Nun, aus dem einfachen Grunde, weil 
er ſie nicht erfüllen konnte. Solange Preußen die Zeit 
nicht reif fand, den deutſchen Staat ſelber zu ſchaffen, 
mußte es ihn bekämpfen, und konnte auch all die wahr— 
haften Patrioten — Ernſt Moritz Arndt an der Spitze — 
nicht als ſeine unbedingten Freunde anſehen, weil ſie die 
Gefahr heraufbeſchworen, Preußen in einen Konflikt hinein— 
zureißen, den es ſich damals noch nicht fähig fühlte, zu 


Das Manko 
Preußens in der 
Epoche 
1815-1848. 


54 Die Demagogen⸗Verfolgung. 


beſtehen. Ob man beſſer aus dieſem Konflikt hätte heraus⸗ 
kommen, ob man früher hätte herauskommen können, dar: 
auf haben wir jetzt nicht einzugehen. Nur das ſehen wir, 
daß in dieſem Staate damals in der Tat ein peinlicher 
innerer Widerſpruch lebte, ein Widerſpruch, der ſich nun 
auf das Allerwiderwärtigſte geltend machte in der Dema— 
gogenverfolgung, die ja vielfach gerade die allerbeſten 
Patrioten traf. 

Wir haben in Deutſchland zwei Vaterlandslieder: „Was 
iſt des Deutſchen Vaterland“ von Ernſt Moritz Arndt und 
„Deutſchland, Deutſchland über alles“ von Hoffmann von 
Fallersleben. Welch eine peinliche Erinnerung in unſerer 
Geſchichte, daß die beiden Dichter, beide deutſche Profeſſoren, 
beide von der preußiſchen Regierung verfolgt und ihrer 
Lehrtätigkeit für Deutſchlands Jugend enthoben worden 
ſind! 

Indem der preußiſche Staat nach dem Jahre 1815 
ſich zur deutſchen Idee in Gegenſatz ſtellte, kamen auch 
die Mächte des alten Staates, die durch die Stein-Scharn⸗ 
horſt-Hardenbergſche Reform außer Kraft geſetzt worden 
waren, wieder empor, und indem Preußen eine abſolut 
regierte Monarchie bleibt, ſehen wir es doch erfüllt von 
einem überaus heftigen, oft gehäſſigen Parteikampf, der 
die wahre Natur des Staates, die Regierung durch die 
politiſch erzogene Intelligenz ſo ſehr verdeckte, verdunkelte 
und verzerrte, daß ſie für die Zeitgenoſſen überhaupt nicht 
mehr erkennbar war. 

Es war eine Art von tragiſcher Verwicklung, daß der 
Staat die Ziele, die er ſich hätte ſetzen müſſen, die damals 
auch ſchon von vielen erkannt wurden, ſich nicht nur nicht 
ſetzen konnte, ſondern im Gegenteil immer Kräfte anrufen 
mußte, die eigentlich ſeiner Zukunft entgegenſtanden. Eine 


Der König und der Staatsgedanke. 55 


Regierung, die von ſolchem Geiſt erfüllt war, konnte nicht 
nur bei den Zeitgenoſſen keine Befriedigung hinterlaſſen, 
ſondern auch hinterher noch, auch als man den Zuſammen— 
hang erkannt, die Schwierigkeiten herausgefunden hatte, ſich 
trotzdem der Hochſchätzung als eine Regierung der Weiſen 
im idealen Sinne keineswegs erfreuen. 

Weiter haben Sie vielleicht vermißt in dieſem Aufriß 
des Staates, den ich Ihnen vorgeführt habe, daß die haupt: 
ſächlichſte Stelle, der König, noch gar nicht genannt iſt. Ich 
habe den Staat aufgebaut vom Staatskanzler an auf die 
Miniſter, die Beamtenſchar, die ganze Beamtenhierarchie; 
aber der letzte entſcheidende Wille liegt doch nicht an irgend 
einer dieſer Stellen, ſondern beim König. Wo iſt er ge— 
blieben? Die Antwort iſt: Der König regiert nicht nach 
ſubjektiven Einfällen — oder wenn er es tut, ſo iſt es 
jedesmal ein Fehler — ſondern gemäß dem objektiven, 
mit Hilfe feiner Berater feſtgeſtellten Staatsintereſſe, und 
er kann damit ſo ſehr hinter dieſem objektiven Staats— 
intereſſe verſchwinden, daß Hegel, als er jetzt vor faſt 
100 Jahren von dieſem Katheder das Weſen des Staates 
im allgemeinen und des preußiſchen Staates im beſonderen 
entwickelte, das Wort wagen konnte: „Der König iſt das 
Tüpfelchen auf dem i.“ Es wurde Friedrich Wilhelm III. 
einmal gemeldet, daß hier, unmittelbar ſeinem eigenen 
Wohnhaus gegenüber, einer ſeiner Profeſſoren den König 
bloß für das Tüpfelchen auf dem i erkläre. Aber 
Friedrich Wilhelm III. gab nicht viel auf Theorien, da er 
ja doch die Macht beſaß. Er antwortete einfach: wenn er 
es nun nicht macht? Damit hatte er ſich ſeine königliche 
Gewalt genügend vorbehalten. Er faßte tatſächlich ſein könig— 
liches Amt ſo auf, daß der König die Staatsidee ſo in ſich 
verkörpere, ſich ſo mit dem Staate identifiziere, daß nichts 


Stellung 
des! Königs. 


56 Friedrich Wilhelm II. 


als der organiſierte Staatswille in ſeinem ſubjektiven 
Willen in die Erſcheinung trete. 

Als er Stein in der bekannten grob-ungnädigen Weiſe 
im Januar 1807 entließ, berief er ſich in feinem Entlaſſungs— 
ſchreiben darauf, daß er ſich von jeher beſtrebt habe, „nicht 
nach perſönlichen Launen die Diener des Staates zu wählen, 
ſondern nach vernünftigen Gründen.“ Dem Rate ſolcher 
„nach vernünftigen Gründen“ gewählter Staatsdiener wird 
dann auch der König ſich ſo leicht nicht entziehen, oder 
wie es ehedem ein Miniſterialdirektor einmal etwas 
burſchikos ausgedrückt hat: „über den König kommt 
man weg, über den Referenten im Miniſterium kommt 
man nicht weg!“ 

Die letzte Entſcheidung hat Friedrich Wilhelm III. für alle 
Zeit, vor 1806, während der ganzen Reformbewegung, 
während und nach der Erhebung immer wieder ſelbſt ge— 
geben, oft unter einem furchtbaren Druck, gegen ſeinen 
eigenen inneren Wunſch, gegen ſeine Natur, aber ſtets in 
dem Bewußtſein, nicht der gewählte, aber der geborene 
Repräſentant des Staates zu ſein. Er war der anſpruch— 
loſeſte Menſch und ſtellte durchaus nicht etwa für ſich die 
Forderung, daß ſeine höhere königliche Eingebung als ſolche 
den Staat regieren müſſe, ſondern er nahm nur das für 
ſich in Anſpruch, daß er eben als König die höchſte Ver— 
antwortung trage, mehr als irgendein anderer von dem 
Staatsgedanken erfüllt fein müſſe. Aber natürlich war 
das ſchlechterdings nicht von ſeiner Subjektivität zu ſcheiden, 
einer Subjektivitaͤt, die für eine Epoche umwälzender Re— 
formen und gewaltiger Entſcheidungen, um das ausdrücklich 
hinzuzufügen, ſehr wenig geeignet war. Hierdurch und ſpäter 
noch mehr durch die ſtarke Subjektivität Friedrich Wilhelms IV. 
iſt verdeckt worden, was eigentlich damals das Weſen des 


Die preußiſche Verfaſſung. 57 


Staates war: daß er durch die ſich ſelbſt ergänzende, 
organiſierte politiſche Intelligenz regiert wurde. 

Aber in dem Staat Friedrich Wilhelms III. fehlt nun 
doch noch etwas, was wiederum das Urteil der Mit- und Fehlen einer 
Nachwelt ſehr ungünſtig beeinflußt hat und beeinfluſſen in ane 
mußte. Bei der Neubildung des Staates lebte von An- Preußen. 
fang an, bei Stein, Hardenberg und allen ihren Mit— 
arbeitern die Idee, daß das abſolute Königtum an ſeiner 
Seite eine Volksvertretung haben müſſe. Das eigentliche 
Dokument, welches den Ausdruck und den Rechtstitel für dieſe 
Volksvertretung in der Hiſtorie bildet, iſt der „Aufruf an 
mein Volk“, obgleich darin von einer Volksvertretung nicht 
die Rede iſt. Friedrich der Große hätte niemals einen 
ſolchen Aufruf erlaſſen können und hat niemals daran ge— 
dacht, auch nicht in allen Nöten des ſiebenjährigen Krieges. 
Von einer ſolchen Beziehung des Staates zur Geſamtheit 
der Staatsbürger wußte er noch nichts. Dieſe iſt erſt er— 
wachſen aus dem Staat, der durch ſeine eigenen Taten und 
ihren Ruhm mit einem ganz anderen Bewußtſein erfüllt 
wurde, als es überkommen war. Der Staat hat 1813 
nicht anders gerettet werden können, als indem der König 
appellierte an den guten Willen jedes einzelnen Mannes. 
Dadurch hat er den Krieg gewonnen. Aber indem er 
dieſen Appell ausſprach, alſo jene Verbindung ſchuf zwiſchen 
dem Staat und den Staatsbürgern, die ſeine Vorgänger 
noch nicht gekannt hatten, lag darin auch, daß der Staat, 
der die geſamte Staatsbürgerſchaft aufrief, ſich mit dem 
Speer in der Hand in ſeinen Dienſt zu ſtellen, dann auch 
in Übereinſtimmung mit ihr ſich befinden mußte, daß 
der Wille des Königs, wenn auch noch ſo objektiv geltend 
gemacht, zur Lenkung des Landes nicht genüge, ſondern daß 
in irgendeiner Form eine Volksvertretung neben das König— 


58 Das Dreiklaſſen-Wahlrecht. 


tum treten mußte. Das wurde damals nicht bloß in 
Preußen, ſondern in aller Welt offen bekannt und gefordert, 
und in einer Verordnung, die Hardenberg vom Wiener Kon 
greß aus 1815 verkündete, poſitiv in Ausſicht geſtellt und 
nicht erfüllt. Warum nicht? Eben aus dem Grunde, den 
ich vorhin ſchon angab, war damals eine Verfaſſung un— 
möglich. Eine bloße preußiſche Volksvertretung war ein Un— 
ding in ſich; die preußiſche Volksvertretung mußte trachten, 
die deutſche Volksvertretung zu werden. Mit der Schaffung 
einer preußiſchen Verfaſſung mußte notwendig die deutſche 
Frage ins Rollen kommen. So wirkte die nationale Frage 
hemmend auf die Bildung einer Verfaſſung in Preußen 
und damit zugunſten der Reaktionäre. Das Produkt der 
ponderierenden Kämpfe, die darüber entſtanden, iſt das 
Zwiſchending zwiſchen einer ſtändiſchen Vertretung und 
einer allgemeinen Volksvertretung, das Dreiklaſſenwahlrecht, 
das in Preußen noch heute beſteht, von Bismarck aber für 
das Deutſche Reich fallen gelaſſen und durch das allgemeine 
gleiche Stimmrecht erſetzt worden iſt, um die öffentliche 
Meinung in ganz Deutſchland für das große Ziel eines 
preußiſch-deutſchen Nationalſtaates zu gewinnen. Denn das 
preußiſche Königtum, fo ſtark es war — allein konnte es das 
Ziel der deutſchen Einigung unter dem ſchwarz-weißen Banner 
nicht erreichen. Bismarck wollte deshalb die Maſſe mit auf— 
nehmen, die Maſſe heranziehen mit ihrer ungeheuren Wucht. 
Er hoffte, ihre Unterſtützung zu erlangen, indem er ihr die Volks— 
vertretung gab. Dem Schwarzweiß fuͤgte er das Rot zu. Im 
Frühjahr 1866 verkündigte er, er wolle eine Verfaſſung mit 
einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen gleichen 
Stimmrechts vereinbaren. So iſt der Norddeutſche Reichs— 
tag gewählt worden, mit dem die Verfaſſung vereinbart 
und dann auf das Deutſche Reich erweitert worden iſt. 


Parlamentarismus und Konſtitutionalismus. 59 


Der Reichstag iſt geſchaffen worden nicht gegen die Re— 
gierung, ſondern zur Unterſtützung der Politik der Regierung. 
Die Schöpfung des Reichstages iſt die Entſtehung und 
Vollendung der Politik, die mit dem „Aufruf an mein 
Volk“ im Jahre 1813 begann. Die Schöpfung des Reichs— 
tages iſt die Verkörperung deſſen, was in dem „Aufruf an 
mein Volk“ erſt als Idee in die Erſcheinung getreten war. 

In allen anderen Staaten, wo ähnliche Volksvertretungen 
exiſtieren, im beſonderen in England, Frankreich, Amerika, 
find fie zur Macht gelangt, indem fie die überlieferte Re— 
gierung entweder beiſeite gedrängt oder ganz geſtürzt haben. 
In Deutſchland iſt die Volksvertretung entſtanden, indem 
die Regierung ſie berief und neben ſich ſtellte. 

Daß zwiſchen den Parlamenten in England, Frankreich, 
Amerika, Italien, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien 
auf der einen Seite und Deutſchland auf der anderen ein 
tiefgreifender Unterſchied beſtehe, iſt eine anerkannte Tat— 
ſache. Man nennt wohl das eine das Syſtem des 
Parlamentarismus, das andere des Konſtitutionalismus, 
oder aber bei denjenigen, die den Parlamentarismus für 
das einzig richtige und berechtigte halten, des Schein— 
konſtitutionalismus. Der Reichstag ſei nichts als das Feigen— 
blatt des nackten Abſolutismus, erklärte ſchon 1867 der 
Abgeordnete Liebknecht. Wir werden alſo zu unterſuchen 
haben, ob der Einfluß des Reichstages in Deutſchland 
wirklich ſo gering iſt, daß man ihn als einen bloßen 
Schein bezeichnen darf. Richtig iſt, daß jene anderen 
Parlamente eine viel größere Gewalt haben als unſer 
Reichstag. Jene Parlamente beſtimmen ſelber die Re— 
gierung; das Miniſterium beſteht aus den Führern der 
Majorität. Auch in Italien iſt es ſo, obgleich das 
piemonteſiſche Königtum urſprünglich ſtärker war. Aber 

Delbrück, Regierung und Volkswille. 5 


Unterſchied 
zwiſchen den 
verſchiedenen 
Parlamenten. 


Etellung de3 
deutſchen 
Reichstages. 


60 Macht des deutſchen Reichstags. 


dieſer Kern war im Verhältnis zur Maſſe Italiens zu klein, 
und ſo iſt man auch dort in den Parlamentarismus 
hinübergeglitten. Davon kann in Deutſchland nicht die 
Rede ſein. Der deutſche Reichstag übt entſprechend ſeinem 
ganz anderen Urſprung nur Einfluß auf die Regierung. 
Einfluß kann größer oder geringer ſein. Suchen wir ihn 
auf dem Wege der Feſtſtellung von Tatſachen abzumeſſen. 

Daß der Reichstag bei der Ausarbeitung und Geſtaltung 
der Geſetze ſehr eingreifend mitwirkt, daß er auch eigene 
Ideen durchſetzt, daß er wichtige Vorlagen der Regierung 
ablehnt und dadurch dauernd verhindert, das liegt alles zu— 
tage und braucht nicht beſonders belegt zu werden. Aber 
ſein Einfluß geht noch weiter. Der Reichskanzler Fürſt 
Bülow mußte zurücktreten, als ihm der Reichstag die 
Erbſchaftsſteuer ablehnte. 

Diejenigen, die glauben, daß wir auf dem Wege ſind, 
eine parlamentariſche Regierung mit der Zeit in Deutſchland 
einzuführen, haben geſagt, der Sturz des Fürſten Bülow 
ſei die erſte Etappe hierzu geweſen. Denn hier habe der 
Reichstag den Kanzler gezwungen, abzugehen und das ſei 
ja das Weſen der parlamentariſchen Regierung, daß das Haupt 
der Beamtenregierung ſich nicht behaupten könne gegen den 
Willen des Reichstages. Das iſt aber doch noch etwas 
anderes, als wenn die Regierung aus dem Willen des Reichs— 
tags hervorgeht. Es dürfte zutreffen, daß Bülow ſchließlich 
deswegen, weil er die Erbſchaftsſteuer nicht bewilligt bekam, 
hat zurücktreten müſſen. Falſch iſt aber die Vorſtellung, 
daß es hier zum erſtenmal geweſen ſei, daß ein Kanzler 
dem Reichstag habe weichen müſſen. Von Caprivi und 
Hohenlohe will ich nicht reden; da liegen die Dinge nicht 
ganz ſo klar. Aber das Entſcheidende iſt, daß es gar keiner 
Frage mehr unterliegen kann, daß auch Bismarck im Jahre 


Ruͤcktritt Buͤlows und Bismarcks. 61 


1890 dem Reichstag gewichen iſt. Noch heute wundern Der Rücktritt 
ſich die Leute oft darüber, weshalb Bismarck eigentlich 2 0 
entlaſſen worden ſei. Die meiſten begnügen ſich dann 
mit der Wendung: „Ja, ein junger Kaiſer und ein alter 
Miniſter vertragen ſich eben nicht!“ „die Naturen gingen 
auseinander,“ „das verſchiedene Temperament“ uſw. Das 
war aber keineswegs der Zuſammenhang. Warum ſollen 
ſich ein junger und ein alter Mann nicht vertragen? Auch 
verſchiedene Temperamente ſind ſchon oft lange miteinander 
ausgekommen. Fürſt Bismarck und Kaiſer Wilhelm der 
Alte ſtimmten auch ſehr oft nicht überein. Mag nun im 
einzelnen die Zukunft noch manche Aufklärung bringen, 
jedenfalls eins ſteht feſt: Es war ein Reichstag gewählt 
worden, in dem eine geſchloſſene Majorität gegen den 
Kanzler ſtand. Dieſe Majorität beſtand in den Sozial: 
demokraten, der freiſinnigen Partei unter Führung von 
Eugen Richter, mit dem keine Vereinbarung möglich war, 
und aus dem Zentrum. Solche Majorität war ſchon 
manchmal geweſen, und in den ganzen 80er Jahren hatte 
Bismarck unausgeſetzt ſchwere Kämpfe; doch immer war 
es ihm noch möglich geworden, einen Kompromißweg zu 
finden. Aber jetzt waren die Dinge ſo weit gediehen, daß 
er keine Ausſicht mehr dazu hatte. Wenn er auf dieſe 
Weiſe hätte weiter regieren wollen, hätte er ſich ganz und 
gar von dem Führer des Zentrums, Windthorſt, abhängig 
machen müſſen. Das wollte er nicht, und wir wiſſen es 
nunmehr mit Beſtimmtheit, daß er ſich mit dem Plan ge— 
tragen hat, ſich von dieſem Reichstag zu befreien auf dem 
Wege der Gewalt. Er ſelbſt hatte den Reichstag geſchaffen, 
aber jetzt ſchien es ihm unmöglich, mit fo viel intranfigenten 
Elementen das Reich zu regieren. Ich ſelbſt bin im Be— 


ſitze eines Briefes des damaligen Führers der Konſervativen 
5* 


62 Bismarcks Staatsſtreich-Plan. 


im Reichstag, v. Helldorff, der Fürſt habe ihm im höchſten 
Ernſt geſagt, er wolle die letzten Jahre ſeines Lebens 
daranſetzen, den größten Fehler ſeines Lebens, die Schaffung 
des allgemeinen gleichen Wahlrechtes, wieder gutzumachen. 
Es iſt keine Frage, daß das, was darüber in den Hohenlohe— 
ſchen Memoiren ſteht, daß er dem Kaiſer bereits direkt 
Vortrag über zu erwartende blutige Kämpfe gehalten habe, 
richtig iſt. Wir können jetzt auch aus einer Reihe von 
Außerungen und Erſcheinungen mit Sicherheit entnehmen, 
was er gewollt hat. Schon am Schluß ſeiner „Gedanken 
und Erinnerungen“ ſtehen Andeutungen darüber, daß das 
deutſche Volk einmal, wenn es notwendig ſein ſollte, die 
Kraft und den Mut haben würde, ſich von dem allgemeinen, 
gleichen, geheimen Stimmrecht wieder zu befreien, An— 
deutungen, die klar darauf berechnet ſind, einmal wieder— 
geleſen zu werden, wenn ſeine damaligen Pläne an die 
Offentlichkeit kommen wuͤrden. Was wollte er alſo? Es 
war von weither vorbereitet. Er hatte die letzten zwölf Jahre 
ſeiner Regierung den Reichstag ſtets in der Hand gehabt 
vermöge des Sozialiftengefeges. Nach dem Attentat auf 
den alten Kaiſer Wilhelm, in der furchtbaren Aufregung 
im Volk, hatte er ein Ausnahmegeſetz gegen die Sozialiſten 
durchgebracht, das immer auf 2—3 Jahre gegeben und 
dann verlängert wurde. Es herrſchte die allgemeine Vor— 
ſtellung, das Sozialiſtengeſetz ſei unentbehrlich, um die 
Revolution niederzuhalten. Mit Hilfe dieſer Vorſtellung 
hat er auch die Sozialpolitik gemacht, weil die höheren 
Kreiſe, die Unternehmerkreiſe, durch das Sozialiſtengeſetz 
ebenſo wie durch die Schutzzollgeſetzgebung an ihn gebunden 
waren und ſeiner Direktion folgen mußten. Die große 
Majorität des Reichstages war bereit, das Geſetz noch 
weiter zu verlängern und ſogar dauernd zu machen unter 


Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan. 63 


Beſeitigung einiger Beſtimmungen, die ſich nach allgemeiner, 
auch von vielen Konſervativen geteilter Meinung nicht be— 
währt hatten. Herr von Helldorff fuhr nach Friedrichsruh 
und erbat ſich von dem Fürſten Inſtruktion, ob die Fraktion 
für dieſes neue Sozialiſtengeſetz ſtimmen ſolle oder nicht. 
Ein Wort, ein bloßer Wink des Fürſten hätte genügt und 
das Geſetz war angenommen. Aber er ſprach dieſes Wort 
nicht; er gab überhaupt keine Antwort, woraus Herr 
von Helldorff mit Recht ſchloß, der Fürſt möchte zwar 
die direkte Verantwortung für die Ablehnung nicht über— 
nehmen, wünſche ſie aber. So kam es zu Fall durch 
die Stimmen der Konſervativen, das heißt mit anderen 
Worten: der Kanzler wünſchte, daß Konfliktsſtoff geſammelt 
werden ſolle. Er rechnete darauf, daß ohne ein Ausnahme— 
geſetz, wenn er den Reichstag auflöfe, die Sozialiſten Unruhen 
erregen würden, die mit Gewalt niederzuſchlagen ſeien. Wenn 
dann die Bürgerſchaft durch die Straßenkämpfe genügend 
in Schrecken geſetzt ſei, wollte er erklären oder durch den 
Kaiſer erklären laſſen: Unter dieſen Bedingungen laſſe ſich 
das deutſche Reich nicht regieren; der König von Preußen 
lege hiermit die Kaiſerkrone nieder. Dieſer Akt war bereits 
vorbereitet durch einen im Jahre 1884 vom Bundesrat gefaßten 
und feierlich verkündeten Beſchluß, daß das deutſche Reich 
eine freie Föderation der Fürſten ſei, die auch wieder auf— 
gelöft werden könne. Gleichzeitig mit der Niederlegung 
der Kaiſerkrone aber hätte der König von Preußen ſämtliche 
Bundesfürſten aufgefordert, das Reich wieder aufzurichten 
unter all den alten Geſetzen und Beſtimmungen, mit der 
einen Ausnahme des allgemeinen Stimmrechts, das auch 
nicht prinzipiell abgeſchafft, ſondern nur durch eine Aus— 
nahmebeſtimmung eingeſchränkt werden ſollte. Dieſes neue 
Sozialiſtengeſetz würde vermutlich ſo gelautet haben, daß 


64 Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan. 


durch einen eigenen Gerichtshof jedem, der revolutionärer 
Geſinnung überführt ſei, das aktive und paſſive Wahlrecht 
entzogen werden ſolle. Um das beſſer kontrollieren zu 
können, ſollte zugleich an die Stelle der geheimen die öffent— 
liche Abſtimmung treten“). 

So zweifellos es mir iſt, daß ein ſolcher Staatsſtreich, 
der mit der Verleugnung des Reichsgedankens hätte be— 
ginnen müſſen, uns zum Verderben gereicht haben würde, 
fo möchte ich doch nicht unterlaſſen einzuſchieben, daß 
Bismarck perſönlich darum keineswegs kleiner erſcheint. Denn 
ehe man genau ſeinen eigentlichen Plan kannte, glaubte 
man, daß er überhaupt keine poſitive Idee mehr gehabt 
habe; daß der Recke alt geworden, ſeine Kraft erſchöpft 
geweſen ſei. Vielleicht gibt es auch manche, die ſagen, die 
Zeit werde noch kommen, wo man es bereuen werde, 
daß 1890 nicht nach ſeinem Rat gehandelt worden iſt, 
als es noch Zeit war. Ich fürchte nun nichts dergleichen 
und ſtelle nur hiſtoriſch feſt, daß Bismarck abgehen mußte, 
weil der Kaiſer es ablehnte, ſich auf den Staatsſtreichge— 
danken einzulaſſen. Einige andere Differenzen kamen noch 
dazu, beſonders in der auswärtigen Politik, da Bismarck 
mehr zu Rußland, der Kaiſer mehr zu Ofterreich neigte, 
aber dieſe Differenzen waren geringfügig im Vergleich zu 
den Gegenſätzen, die hierin früher zwiſchen dem alten Kaiſer 
und Bismarck entftanden und überwunden worden waren. 
Der entſcheidende Punkt war der Staatsſtreich-Plan. Weil 
der Reichstag dem Kanzler mit ſolcher Feindſeligkeit gegen— 
überſtand, daß dieſer glaubte, mit friedlichen Mitteln nicht 
länger durchkommen zu können, darum hat er zurücktreten 
müſſen. Mit anderen Worten: Der Reichstag hat eine un— 

*) Das Naͤhere uͤber dieſe Vorgänge: Preuß. Jahrb. Bd. 147, S. 1, 
S. 341; Bd. 153, S. 121. 


Der Reichstag und Bismarck. 65 


geheure Einwirkung auf unſere inneren Zuſtände gehabt und 
hat den Gründer des Reichs und ſeinen eigenen Schöpfer 
ſchließlich am Abend ſeines Lebens zum Rücktritt gezwungen. 
Seine Nachfolger konnten mit dem Reichstag weiter regieren, 
weil ihnen nicht die Summe von Haß, Leidenſchaft und 
Argwohn entgegengetragen wurde, die in ſeiner 27 jährigen 
Amtsverwaltung Bismarck durch die unabläſſigen Kämpfe, 
die er nach allen Seiten zu führen hatte, gegen ſich auf— 
geregt hatte. Eine geſchloſſene, unbedingt zuverläſſige 
Majorität hat er ja in der ganzen Zeit niemals hinter ſich 
gehabt und noch nach ſeinem Abgang verſagte der deutſche 
Reichtstag dem, der ihn ins Leben gerufen, den einfachen 
menſchlichen Glückwunſch zum 80. Geburtstag. Die frei— 
ſinnige Partei kam aber nunmehr Caprivi und nachher 
Hohenlohe ſoweit entgegen, daß immer wieder, wenn auch 
nach wiederholten Auflöſungen, für die entſcheidenden 
Forderungen der Regierung, auch beim allgemeinen gleichen 
Wahlrecht, Majoritäten haben gefunden werden können. 

Ich bin auf dieſe Geſchichte der Entlaſſung Bismarcks 
heute deshalb eingegangen, weil ſie noch immer von vielen 
Seiten beſtritten wird, im beſonderen aber, weil wir in 
ihr das ſtärkſte Zeugnis dafür haben, daß die Vorſtellung, 
der Reichstag ſei bei uns eigentlich nur eine Dekoration, 
grundfalſch iſt. Gewiß iſt es der Kaiſer geweſen und konnte 
nur der Kaiſer ſein, der den Fürſten ſchließlich entlaſſen hat, 
aber die moraliſche Autorität des Mannes, der das deutſche 
Reich geſchaffen und 27 Jahre an der Spitze der Regierung 
geſtanden hatte, war ſo ungeheuer, daß es für den Kaiſer, 
der noch ſo wenig Regierungserfahrung hatte, eine moraliſche 
Unmöglichkeit geweſen wäre, ſich von ihm zu trennen, wenn 
nicht eben der Kanzler durch ſein Verhältnis zur Majorität 
des Reichstages ſich in eine unhaltbare Poſition gebracht hätte. 


Dualismus. 


66 Reichstag und Regierung. 


Wir kennzeichnen alſo unſer Regierungsſyſtem am beſten, 
wenn wir es ein dualiſtiſches nennen. Der Kaiſer mit den 
Bundesfürſten repräſentiert eine in ſich ſelbſt ruhende, 
hiſtoriſche Gewalt, die legitime Obrigkeit, die Obrigkeit „von 
Gottes Gnaden“, ausgewirkt zu dem regierenden Organismus 
des Beamtentums und des Offizierkorps, und neben dieſer 
ſpezifiſchen, organiſierten Regierungsgewalt ſteht als über— 
aus mächtiges Organ der Kontrolle und der Kritik, deſſen 
Zuſtimmung nicht zu entbehren iſt, die Volksvertretung, der 
Reichstag. Im Unterſchied davon ſind die parlamentariſchen 
Staaten nicht dualiſtiſch, ſondern einheitlich aufgebaut, indem 
die Regierung direkt beſtimmt wird vom Parlament, von 
ihm eingeſetzt und jeden Augenblick abrufbar. Deshalb 
macht auch der deutſche Reichstag einen ganz anderen Ein— 
druck als ein engliſches oder franzöſiſches Parlament. Vor 
allen Dingen eins: Es iſt eigentlich noch niemals gegen 
den deutſchen Reichstag der Vorwurf der Korruption er— 
hoben worden, während dieſer Vorwurf doch in den 
Parlamentsſtaaten faſt allenthalben immer wieder laut 
wird. Dahingegen iſt es ganz klar, daß an poli- 
tiſchen Talenten, an Stärke und Bedeutung der Perſön— 
lichkeiten die anderen Volksrepräſentionen den deutſchen 
Reichstag überragen. Man ſteht bei ſeinen Debatten, wenn 
auch viele tüchtige, kluge, eifrige, geſchäftskundige Maͤnner 
darunter ſind, doch häufig unter dem Eindruck „kleine 
Leute“. Nicht ſelten iſt geſagt worden, der Reichstag habe 
einen ſubalternen Zug. Ganz natürlich; Leute von ganz großen 
Dimenſionen laſſen ſich ungern in den Reichstag wählen. Es 
wird zuviel unfruchtbare Zeit da verbracht, und — es iſt keine 
Karriere. In Frankreich liegen die Verhältniſſe ganz anders; ein 
junger Mann, der politiſches Talent in ſich fühlt und das Glück 
hat, in die Deputiertenkammer zu kommen, iſt dort ſicher, daß 


Reichstag und Minifter. 67 


er in ein paar Jahren Miniſter oder zum wenigſten Unter— 
ſtaatsſekretär fein wird. Er wird es nur auf einige Zeit, 
aber er wird es doch, und das befriedigt nicht bloß den 
Ehrgeiz, ſondern gibt auch im Dienſt wie außer Dienſt 
vielfache Gelegenheit zu Erwerb. Ein Mitglied der franzö— 
ſiſchen Deputiertenkammer zu ſein, iſt immer etwas, das 
unendliche Perſpektiven eröffnet. Mitglied des deutſchen 
Reichstages zu ſein, iſt ehrenvoll, bringt aber keinen Gewinn. 
Es iſt nicht die Vorſtufe für einen Miniſter, überhaupt 
nicht für eine hohe Stellung. Es kommt ja vor, daß ein 
Abgeordneter „etwas wird“; ſo war Miquel Abgeordneter, 
bevor er Miniſter wurde. Aber er hat dann ſeine Ver— 
gangenheit als Abgeordneter ſo viel wie möglich verleugnet, 
und ein ſo bedeutender Mann wie Bennigſen hat es bei 
uns niemals zum Miniſter bringen können. Umgekehrt 
aber die abgehenden Miniſter, die in den parlamentariſchen 
Staaten die ſachkundigſten und gefährlichſten Kritiker ihrer 
Nachfolger ſind, laſſen ſich bei uns faſt niemals in den 
Reichstag wählen. Hier ſcheint ja nun die Kluft etwa 
zwiſchen Frankreich und Deutſchland unendlich. Hier eine 
berufsmäßige Regierung mit einer Volksvertretung als eine 
Art Kontrollſtation neben ſich, dort die gewählte Volks— 
regierung. Aber wie iſt es mit der „Volksregierung“? Wir 
haben ja geſehen, daß der Begriff „Volksvertretung“ eine 
optiſche Täuſchung iſt. Das „Volk“ hat ja in Wirklichkeit 
die Deputierten gar nicht gewählt. Läßt ſich der Volkswille 
aber auch auf eine andere Weiſe beſtimmen, als durch Ab— 
ſtimmen und Wählen? Als man in der großen franzöſiſchen 
Revolution die neue Verfaſſung ausarbeitete, die Freiheit 
und Gleichheit begründen ſollte, war man dieſer An— 
ſicht. Es heißt da (Titel 3 Abſchnitt 2): „Das Volk, 
welches die Quelle aller Gewalt iſt, kann dieſe nur durch 


Die wahre Natur 
gewählter 
Volksvertreter. 


Literatur. 


68 Der Koͤnig als Vertreter des Volkes. 


Stellvertreter ausüben. Die franzöſiſche Verfaſſung iſt 
repräſentativ; ihre Repräſentanten find der geſetzgebende 
Körper und der König.“ Alſo auch der erbliche König 
wird als ein Repräſentant des Volkswillens angeſehen. 
Wenn man Volkswillen und Staatswillen gleichſetzt, ſteckt 
darin eine unzweifelhafte Wahrheit, eine Wahrheit, die an 
Gewicht zunimmt, je mehr man ſich klar macht, wie wenig 
Wahrheit in der Darſtellung des Volkswillens durch ge— 
wählte Vertreter ſteckt. 

Wer regiert denn nun aber in den Staaten, in denen 
die obrigkeitliche Gewalt bei gewählten Kammern iſt? 

Nachdem wir negativ feſtgeſtellt haben, daß es das 
„Volk“ nicht iſt, müſſen wir jetzt poſitiv dieſe Frage beant— 
worten. 

Für die öffentliche Meinung ſcheint ſie noch gar nicht 
aufgeworfen zu ſein; ſie begnügt ſich mit dem Schönklang 
des Wortes „Volk“. Aber in der ſtaatswiſſenſchaftlichen 
Literatur iſt darüber bereits vollkommen Aufklärung ge— 
ſchaffen und ich will die wichtigſten Werke an dieſer Stelle 
nennen und überhaupt einige Worte über die einſchlagende 
Literatur einfügen. 

Nicht gerade viel zu entnehmen iſt aus der oft be— 
nutzten „Allgemeinen Staatslehre“ von Georg Jellinek 
(2. Aufl. 1905). Es iſt ein ſehr ſcharfſinniges juriſtiſches Werk, 
aber ohne hiſtoriſchen Sinn und oft ſogar ohne die nötigen 
hiſtoriſchen Kenntniſſe. Mehr ergibt für unſere Zwecke 
das jüngſt (1912) erſchienene ſehr umfangreiche Werk von 
Wilh. Hasbach: „Die moderne Demokratie“. Es bietet 
Stoff in Hülle und Fülle, auch objektiv der Sache nach, 
wenn fchon der Verfaſſer im Ton öfter eine ſtarke Ab— 
neigung gegen die Demokratie blicken läßt. „Die Ent— 
wicklung des Wahlrechts in Frankreich ſeit 1789“ von 


Literatur. 69 


Adolf Tecklenburg iſt eine wertvolle Monographie. 
J. Unold „Politik im Lichte der Entwicklungslehre“, iſt 
eine journaliſtiſche Arbeit mit treffenden und hübſchen Be— 
merkungen im einzelnen, aber ohne wirkliches Wiſſen. 
Über England nenne ich das etwas breit darſtellende, aber 
im Wiſſen und Urteil ſehr hoch ſtehende Buch von Lowell, 
The constitution of England. Das „Handbuch der Politik“ 
erſchienen im Verlage von W. Rothſchild, hat zwar viele 
angeſehene Namen unter ſeinen Mitarbeitern, der Wert der 
einzelnen Beiträge aber iſt ſehr ungleichmäßig. Von durch— 
ſchlagender Kraft aber iſt Oſtrogorski „La démocratie 
et organisation des partis politiques“ 1903; jüngſt (1912) 
in einer zweiten verkürzten Auflage erſchienen. Es enthält 
ſehr viel vorzüglich geordnetes und zuverläſſiges Material *). 
Dann iſt vor kurzem die zweite Auflage eines Büchleins 
herausgekommen: Belloc and Chesterton „The party 
system“, eine leidenſchaftlich einſeitige Arbeit. DBelloc war 
ſelbſt Mitglied des Unterhauſes und Mitglied der liberalen 
Partei, iſt aber erfüllt von Zorn über den Druck der Partei— 
diſziplin, die er hat auf ſich nehmen müſſen. Er iſt infolge— 
deſſen vielfach verblendet, ſo daß das Buch nur mit Vorſicht 
benutzt werden darf. Aber deutſchen Schwärmern für das 
Syſtem der Parteiregierung iſt die Lektüre ſehr zu empfehlen. 
Belloc trägt das Wichtigſte zuſammen, was ſich dagegen 
ſagen läßt. 

Auch von konſervativer engliſcher Seite iſt jüngſt eine 
Schrift erſchienen von Mac Kechnie“ ), „Die neue Demokratie 
und die Verfaſſung“, die ganz ebenſo wie die vorhergehende 

) Verlag von Calmann-Lévy, Paris. Die zweite Auflage hat 
einen ſehr intereſſanten Nachtrag. 

**) William Sharp Mac Kechnie The new democracy and the 
constitution. London, John Murray, 1912. XII u. 211 S. 86. 


70 Waͤhler und Gewaͤhlte in England. 


klagt über die Tyrannei der Parteiherrſchaft, aber während 
Belloc hofft, dieſe Tyrannei zu überwinden durch die Fort— 
bildung der Demokratie, ſieht Mac Kechnie gerade in der Demo— 
kratie die Beſchwerde der Gegenwart und die Gefahr der 
Zukunft“). ö 

Wer alſo wählt in der modernen Demokratie die ſoge— 
nannte Volksvertretung? 

Vetrachten wir zunächſt England. 

In der Mitte der 60 er Jahre wurde ein ſehr populäres 
Buch über das engliſche Regierungsſyſtem von Bagehot 
geſchrieben, das auch in Deutſchland viel geleſen worden 
iſt und viel Einfluß gehabt hat. Dort wird geſagt, daß 
das Volk gewohnt ſei, bei der Wahl nicht einen Mann 
ſeinesgleichen zu wählen, ſondern einen höherſtehenden. 
Denn aus der alten ariſtokratiſchen Zeit war man gewohnt, 
ſich von den beiden vorhandenen Parteien die auszuſuchen, 
die man haben wollte, und verlangte nicht, daß der 
Repräſentant genau das repräſentiere, was der Wähler 
wollte, ſondern nahm an, daß er ſeinen eigenen Verſtand 
und ſeine eigene Tendenz zum Ausdruck bringe. Das iſt 
wunderſchön von dem großen Staatsmann Burke ſchon 
1791 zum Ausdruck gebracht worden, der als der erſte die 
verhängnisvolle Wirkung der franzöſiſchen Revolution unter 
den europäiſchen Staatsmännern vorausgeſehen hat, und 
zu ſeinen Wählern ſagte: „Euer Vertreter ſchuldet Euch 
nicht nur ſeine Arbeit, ſondern auch ſein Urteil, und er 
verrät Euch, anſtatt Euch zu dienen, wenn er es Eurer 
Meinung zum Opfer bringt.“ Es ſoll alſo den Vertreter 


) Die Gneiſtſchen Werke uͤber engliſche Verfaſſung nenne ich 
nicht mehr, da ſie, bei allem Verdienſt, das ſie ihrerzeit hatten, heute 
als veraltet angeſehen werden muͤſſen. Vgl. meine Beſprechung Preuß. 
Jahrb. Bd. 55 S. 104 (1885). 


Wahlbeteiligung. 7] 


fein eigener Verſtand führen, auch wenn es gegen die 
Meinung ſeiner Wähler iſt, womit freilich die Vorſtellung 
von einem Volkswillen, der regiert vermöge der Wahl, hin— 
fällig wird. 

Dieſer Reſpekt vor dem Unterhaus iſt nach der ein— 
ſtimmigen Meinung aller neueſten Beobachter heute, 
nachdem das Wahlrecht ſo ausgedehnt worden iſt, ge— 
ſchwunden. Die Wähler ſetzen bei ihren gewählten Ver— 
tretern voraus, daß ſie genau nach der Angabe der Partei— 
führer und nach dem Parteiprogramm und nach nichts 
anderem, etwa gar nach ihrer eigenen Einſicht, abſtimmen. 
Dieſe Erſcheinung würde dem demokratiſchen Gedanken völlig 
entſprechen, wenn wirklich die regierende Majorität vom 
Volke oder wenigſtens von den Wählern gewählt würde. 

Im alten England wurden die Wahlen beſtimmt durch 
die Patronage oder durch die maßgebenden Perſönlichkeiten 
in den Wahlkreiſen, geſtützt auf ihren Einfluß und nach— 
helfend durch Geld. Seit den 70er Jahren find an die 
Stelle der einzelnen Perſönlichkeiten die Wahlvereine ge— 
treten, entweder lokale Vereine oder Landesorganiſationen, 
die mit einem amerikaniſchen Ausdruck der „Kaukus“ ge— 
nannt werden. Eine Wählerſchaft als Wählerſchaft iſt ja 
gar nicht fähig, ſich zu einer Wahl zu vereinigen, ſondern 
es iſt dazu notwendig irgendeine Organiſation. Dieſe 
muß den Kandidaten ausſuchen, muß ihn den Wählern 
vorführen und muß namentlich die ungeheure Maſſe der 
Gleichgültigen oder Unſchlüſſigen oder Unaufgeklärten heran— 
bringen. Wenn das nicht wäre, würde immer nur ein 
ganz kleiner Teil der Wähler bei den Wahlen erſcheinen. 
Bei uns, ſelbſt in der ungeheuren Aufregung nach dem 
Krieg 1870/71, find nur 51% ũ der Wähler zur Wahl: 
urne gekommen. Das hat ſich in den 70—8 er Jahren 


Die Wahl⸗ 
maſchinerie in 
England. 


12 Selbftergänzung der Megierenden. 


auf einige 600/, erhöht, in allerlegter Zeit auf etwas 
über 80%; es fehlen alſo ſelbſt heute immer noch 
ein gutes Sechſtel? ). Ohne Wahlorganiſation und die 
damit zuſammenhängende Agitation iſt überhaupt eine 
Wahl, die einigermaßen die Maſſen repräſentiert, nicht 
durchzuführen. Das wird von keinem Erfahrenen und 
keiner Partei beſtritten werden. Sofort aber ergibt ſich 
daraus, daß nun diejenigen Perſönlichkeiten, die die Wahl— 
organiſation in der Hand haben und die Agitation be— 
treiben, auch ſchließlich die Wahl beſtimmen. Dem 
Volke wird der Kandidat ſuggeriert und dann wird durch 
die Organiſation die Wahl durchgeführt. Die Wahl— 
organiſationen find natürlich in der Hand der Parteiführer 
und ihrer zuverläſſigſten Anhänger. Dieſe ſorgen dafür, 
daß immer wieder nur ihre Anhänger entweder ins Parla— 
ment oder in die leitenden Stellen der Wahlorganiſation 
kommen. Die anſcheinende Volkswahl iſt alſo in Wirklich— 
keit eine Selbſtergänzung der im Laufe der geſchichtlichen 
Entwicklung einmal zur Gewalt gelangten Gruppen, und 
das iſt auch der Grund, weshalb die Selbſtändigkeit der 
Abgeordneten faſt völlig aufgehört hat und ſie in ſtrengſter 
Diſziplin verpflichtet ſind, ſo zu ſtimmen, wie es die 
Parteileitung, die Frontbank, wie es in England heißt, vor— 
ſchreibt ). 


) Lowell II, 73 ſtellt die Stimmzahlen fuͤr die engliſchen Wahlen 
zuſammen. Die Beteiligung ſchwankt bedeutend. In England ſtimmten 
im Jahre 1906 etwa 80°), 1895 ſtieg die Beteiligung in den 
walliſiſchen Städten auf 86,6% und ſank 1900 wieder auf 72,3 %,. 
Die geringſte Beteiligung hatten bei dieſen Wahlen die walliſiſchen 
Grafſchaften mit 62,8% und London mit 65,1%. 

% Lowell J, p. 534 ſtellt feſt, daß der Kaukus einſt gegruͤndet 
wurde, um ein wahrhaft demokratiſches Regiment zu organiſieren. Der 
große Volksverein ſollte den Liberalismus im Volke repraͤſentieren und 


Wahre Natur des engliſchen Unterhauſes. 73 


Belloc behauptet auch, es ſei Illuſion zu ſagen, daß 
das heutige engliſche Parlament nicht mehr ſo korrupt 
fei wie im 18. Jahrhundert; nur die Form der Korruption 
ſei anders geworden. Es geſchehe freilich nicht mehr mit 
wirklichen Beſtechungen, aber doch ſo, daß die große Maſſe 
der Gewählten irgendwelche Vorteile von der Regierung zu 
erwarten habe. Er teilt die Vertreter in drei Gruppen: 
1. reiche Leute in ihren Wahlkreiſen, die Ehrgeiz beſitzen 
und ſich durch die Teilnahme an der Regierung einen 
Namen machen wollen; 2. reiche Leute irgendwoher, die 
ſehr große Summen in einen geheimen Wahlfonds ſtiften; 
3. Rechtsanwälte und Geſchäftsleute, die ihre Parlaments: 
mitgliedſchaft irgendwie benutzen, um günſtige Verhältniſſe 
auszukundſchaften und auszunützen für die Geſchäfte, die 
ſie betreiben. 

Ich möchte mir erlauben, eine vierte Gruppe hinzuzu— 
fügen, nämlich die ehrlichen Patrioten, an denen es auch 
in England, wie anderswo, nicht fehlt, und ſchließlich werden 
dieſe Gruppen ſich nicht ſo ſcharf voneinander ſondern, 
ſondern vielfach ineinander übergehen. Es iſt aber richtig, 
daß die geſchloſſenen Parteien zuſammengehalten werden 
eben durch die Wahlmaſchinerie und zum großen Teil auch 
durch den direkten Vorteil, der vielen von den Mitgliedern 
winkt. Das würde ja nun gegen die Vorſtellung, das 
Volk ſei es, das zum Unterhaus wählt und dadurch regiert, 
noch nichts beſagen, wenn das Volk es wäre, das die 
Wahlorganiſationen beherrſchte, aber da ſetzt nun Belloes 
Hauptargument ein: In Wirklichkeit iſt die Führerſchaft 
jetzt ſo geſchloſſen, daß man ſagen kann, das demokratiſche 
das Volk ſelbſt in ihm die Politik beſtimmen. Das iſt voͤllig geſcheitert. 


Die Verſammlungen ſind mehr und mehr ſtreng auf die Akklamation 
und vorher von den Fuͤhrern feſtgeſtellte Reſolutionen beſchraͤnkt worden. 


74 Kooptation der Regierenden. 


England hat eine regierende, ſich ſelbſt ergänzende Ariſto— 
kratie. Dieſer Kreis von Familien, die häufig unter ſich 
verwandt ſind, beſtimmt durch den Wahlkaukus und die 
Einzelwahlorganiſationen die Wahlkandidaten, und durch 
die Gewählten werden ſie wieder ſelbſt gewählt, ſo daß 
eine Art Wechſelwirkung beſteht und tatſächlich eine Re— 
gierung exiſtiert, die ſich ſelbſt kooptiert und eventuell durch 
eine zweite Gruppe, die ſich ebenſo durch Kooptation er— 
gänzt, erſetzt werden kann. Der Einfluß der Wählerſchaft 
iſt darauf befchränft, daß die regierenden Kreiſe, ſich 
ſelber ergänzend, doch gezwungen ſind, auf die Volks— 
ſtimmungen und -ſtrömungen Rückſicht zu nehmen. Sie er— 
gänzen ſich nicht willkürlich, nicht ausſchließlich nach Vetter— 
ſchaft und Freundſchaft, ſondern ſie ergänzen ſich auch 
möglichſt durch Talente, mit denen ſie hoffen, ihre Partei 
und ihre Gruppe zu verſtärken. Wenn ſie das nicht täten, 
würde ein Teil der Wähler übergehen zur anderen Partei, 
und dann wären ſie aus der Regierung heraus. 

Ob dieſes Syſtem gut oder ſchlecht wirkt, davon ſprechen 
wir jetzt nicht. Wir ſprechen nur davon, ob es Wahrheit 
oder Illuſion iſt, daß das engliſche Unterhaus vom Volk 
gewählt wird, und wir haben nun gefunden: Es iſt in der 
Tat eine Illuſion; aber doch keine vollſtändige, wie die 
modernen Kritiker behaupten, weil und inſofern die re— 
gierenden Gruppen fortwährend genötigt ſind, auf das Volk 
Rückſicht zu nehmen. Es iſt nicht eigentlich die Wahl, die 
dem Volke Geltung verſchafft, ſondern die Fühlung, die 
die regierenden Parteien immer mit dem Volk aufrecht er— 
halten müſſen. Sehr ſorgfältig wird aber die Illuſion am 
Leben erhalten, als ob wirklich in den Volkswahlen ein 
Volkswille zum Ausdruck komme, und obgleich es ſo leicht 
kein Unterhausmitglied wagen darf, anders zu ſtimmen, 


Fiktion eines regierenden Unterhauſes. 75 


als der Parteiführer angibt, ſo wird doch auch da die Fiktion 
der Selbſtändigkeit aufrecht erhalten dadurch, daß große 
Debatten ftattfinden, Anfragen an das Miniſterium gerichtet 
werden, Mißtrauensvoten beantragt werden uſw. Aber die 
Freiheit, die ſich darin zeigt, beſchränkt ſich in Wahrheit 
auf die beiden Frontbänke, d. h. die Parteiführer hüben 
und drüben. Als das Buch von Belloc herauskam, be— 
ſtätigte auch die „Frankfurter Zeitung“, die doch ein extrem 
demokratiſches Organ iſt, die Behauptung Belloes, daß 
die Interpellationen und Anfragen beim Miniſterium, die 
das Mitregieren der Abgeordneten zum Ausdruck bringen 
ſollen, ganz wertlos ſeien, ſei vollſtändig wahrheitsgemäß. 
Die Anfragen, ſchrieb der Korreſpondent, werden entweder 
ironiſch oder ausweichend beantwortet, und wenn das 
fragende Mitglied näher darauf eingehen will, ſchneidet ihm 
der Sprecher das Wort ab: Die Frage ſei bereits genügend 
beantwortet. 

Dieſer Zuſtand wird immer mehr als ein ſchwer zu die Abhängig— 
ertragender und beinah unwürdiger Druck empfunden. Es „geerbte 
iſt deshalb ſchon der merkwürdige Vorſchlag gemacht von ihrer Partei 
worden, es ſollten im Unterhaus die Abſtimmungen geheim 
ſtattfinden, weil der einzelne Abgeordnete ſich jetzt nicht 
trauen kann, mit ſeiner wirklichen Überzeugung herauszu— 
kommen. Auf der anderen Seite will man gerade um— 
gekehrt die Oligarchie in der Partei dadurch bekämpfen, 
daß man der Wählerſchaft das Recht geben will, jeden 
Augenblick einzugreifen und den Vertreter abzuberufen. 

Den Gedanken, daß das engliſche Parlament, und in 
Frankreich, Amerika naturgemäß ganz ähnlich, tatſächlich 
eine ſich ſelbſt ergänzende Oligarchie darftellt, können wir 
noch auf ein anderes Gebiet verfolgen, wo es uns noch mehr 


angeht, und wo dieſelbe Erſcheinung noch viel en iſt. 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 


Die Oligarchie 
in der deutſchen 
Sozial⸗ 
demokratie. 


76 Robert Michels. 


Ich mache Sie aufmerkſam auf das Buch von Robert 
Michels, Profeſſor in Turin: „Zur Soziologie des Partei— 
weſens in der modernen Demokratie“ 1911. Michels iſt 
ein deutſcher Gelehrter, der einmal den Verſuch gemacht 
hat, obgleich er Sozialdemokrat war, ſich in Jena zu 
habilitieren. Es wurde ihm aber bedeutet, daß in Jena 
Privatdozenten zur Habilitierung der Beſtätigung der Re— 
gierung bedürfen, und dieſe ihm ſchwerlich zuteil werden 
würde. Er iſt darauf nach Italien gegangen und iſt jetzt 
Profeſſor in Turin. Das war ein ſehr bedauerlicher Zwiſchen— 
fall im deutſchen Univerſitätsleben. Die Freiheit der Wiſſen⸗ 
ſchaft verlangt, daß unbedingt alle Parteien zur Habi— 
litation zugelaſſen werden. Die Fakultäten haben nichts 
zu konſtatieren als die wiſſenſchaftliche Qualifikation und 
die moraliſche Unbeſcholtenheit und ſich dann darauf zu 
verlaſſen, daß Parteianſichten vermöge der nie raſtenden 
Selbſtkritik der Wiſſenſchaft ihre Korrektur finden. Im vor— 
liegenden Falle freilich iſt es eine Art Glück, daß Michels 
in Deutſchland von den regierenden Kreiſen ſchlecht be— 
handelt worden iſt: Nun iſt er wenigſtens vor dem Ber: 
dacht geſichert, etwa das, was wir gleich hören werden, 
aus gouvernementaler Liebedienerei geſchrieben zu haben. 

Michels hat nämlich ſein Buch dem eingehenden Nach— 
weis gewidmet, daß ſogar innerhalb der ſozialdemokratiſchen 
Partei tatſächlich die Demokratie bereits völlig aufge— 
hoben und durch eine regierende Oligarchie erſetzt iſt. Er 
ſagt gleich in der Vorrede: Die Demokratie beſteht in einer 
Oligarchie. Eine Parteivertretung bedeutet eine Herrſchaft 
der Vertretenden über die Vertretenen. 

Der Mangel an geiſtigem Kontakt in der großen Maſſe, 
führt er weiter aus, mache es ganz unmöglich, daß die 
Maſſe ſelber einen direkten Willen kundgebe. Auch die 


Oligarchie in der Sozialdemokratie. 11 


Notwendigkeit, in dem politiſchen Parteikampf ſchnell Be: 
fehle zu erteilen, Direktiven zu geben, alles das verlange 
Führer, und weiter verlange das Leben der Partei eine 
Organiſation mit einem Beamtenapparat und zwar einem 
bezahlten Beamtenapparat. 

Der Sozialdemokratie leiſten oft Mitglieder mit großem 
Eifer freiwillige Dienſte im Zettelaustragen u. dgl., 
aber ſolche Vorgänge ſtellen nur die Ausnahme von der 
in der Sozialdemokratie herrſchenden Regel dar, daß jede 
ihr geleiſtete Arbeit, von der kleinſten Zeitungsnotiz bis zur 
längſten Verſammlungsrede, honoriert wird. Dieſes Syſtem, 
das im ganzen vom Heroismus und Enthufiasmus abftrahiert 
und auf ſpontane Freiwilligendienſte Verzicht leiſtet, dafür aber 
die Arbeitsfähigkeit der Parteimitglieder in ſeinen geregelten 
und beſoldeten Dienſt ſtellt, verleiht der Partei eine unge— 
meine innere Geſchloſſenheit, eine Macht über ihr eigenes 
Menſchenmaterial, die zweifelsohne häufig der Elaſtizität, 
der Initiative, endlich auch dem Geiſt des Sozialismus 
Abbruch tut, gleichzeitig aber eine ihrer wichtigſten und un— 
entbehrlichſten Grundlagen bildet. 

Wir ſehen unſere Sozialdemokratie in einer doppelten 
Organiſation vor uns: 1. die eigentliche Parteiorganiſation, 
2. die Gewerkvereine. Die Gewerkvereine ſind ja prinzipiell 
nicht Parteiorganiſationen, praktiſch aber ſind ſie es dennoch. 
Es iſt ja das Wort geprägt worden: „Gewerkſchaft und 
Sozialdemokratie ſind eins.“ Nun ſind die Gewerkvereine 
ſehr viel ſtärker und zahlreicher als die Partei, und da ſie 
praktiſche Zwecke verfolgen, haben fie viel größere Mittel. 
Sie ſind aber ganz ſcharf zentraliſtiſch organiſiert. Der 
Gewerkſchaftsvorſtand ernennt die Vorſtände der Lokal— 
organiſationen. Die Lokalorganiſationen wählen Abgeordnete, 
die wieder den Gewerkſchaftsvorſtand bilden. Das ſcheint 

6 * 


78 Oligarchie in der Sozialdemokratie. 


durchaus demokratiſch. In Wirklichkeit aber dirigieren die 
vom Zentralvorſtand ernannten Beamten die Wahlen, der 
ſich alſo dadurch in ſeinen eigenen Wählern gefügige Werk— 
zeuge ſchafft. Auch wo die in dieſer Art organiſierten Gewerk— 
ſchaften nicht die politiſchen Wahlen machen, werden ſie 
gemacht, nicht von der Maſſe ſelbſt, ſondern von irgend— 
einer Organiſation. (Michels S. 51.) 

In den großen Städten ſondert ſich durch den Prozeß 
ſpontaner Selektionen ein enger Kreis von regelmäßigen 
Verſammlungsbeſuchern und Teilnehmern an den Beſchlüſſen 
der Organiſation von der organiſierten Maſſe ab. Dieſer 
ſetzt ſich, den Bigotten in der Kirche vergleichbar, aus 
Pflichtbewußten und aus Gewohnheitsläufern zuſammen. 
Der Kreis iſt in allen Ländern ein enger, die Mehrzahl der 
Organiſierten bringt der Organiſation dieſelbe Gleichgültig— 
keit entgegen wie die Mehrheit der Wählerſchaft den 
Parlamenten. 

Die Aufſtellung der Parteikandidaten zu den Parlaments: 
wahlen hängt faſt ſtets von einer kleinen, durch die lokalen 
Ober- und Unterführer gebildeten Clique ab, welche dem 
Gros der Parteigenoſſen die ihr genehmen Kandidaten 
ſuggeriert. Häufig wird der Wahlkreis geradezu als Familien— 
gut betrachtet. Im demokratiſchen Italien iſt es nicht ſelten, 
daß beim Ableben oder Verhindertſein des Vaters, älteren 
Bruders uſw. der Wahlkreis ohne weiteres auf den Sohn, 
jüngeren Bruder uſw. übergeht, alſo in der Familie bleibt. 

Der Marxismus geht von dem Satze aus, daß mit der 
Zeit alles Beſitztum ſich in einigen wenigen Händen kon— 
zentrieren muß, und nun ſchleudert ihm einer der Partei— 
genoffen den Satz entgegen (S. 125): „Die Machtkonzen— 
tration in der marxiſtiſchen Partei iſt offenſichtlicher als 
die Kapitalskonzentration im Wirtſchaftsleben. Nicht die 


Demagogen als Höflinge des Volkes. 79 


Wählerſchaft entſcheidet über die Kandidaten, ſondern die 
Vorſtände der Parteien.“ Mit den ſchärfſten Mitteln und 
Drohungen, z. B. jede Hilfe in der Agitation zu verweigern, 
würden mißliebige Perſönlichkeiten aus der Kandidatur ent— 
fernt. Die Folge ſei Byzantinismus und Kadavergehorfam, 
Als Beiſpiel für dieſen Gehorſam führt Michels S. 137 
an, daß gemäß dem erteilten Wink das Gros der Delegierten 
auf dem Parteitag 1904 den Generalſtreik als Generalunſinn 
verwarf, ihn 1905 proklamierte und ihn 1906 in die Kinder: 
ſtube der Utopien zurückwies. 

Mit der Bildung des Führertums zugleich beginnt durch 
die langjährige Amtsdauer ſein kaſtenmäßiger Abſchluß. 
Nur wenn die herrſchende Klaſſe den Bogen gar zu ſehr 
überſpannte, könnte einmal die Parteimaſſe revolutionieren 
und aktiv dagegen auftreten. 

Die Verehrung und Nachahmungsſucht der Maſſen, 
ſagt Michels, gegenüber den Führern ſei ganz ähnlich wie 
in der höfiſchen Geſellſchaft; ſie würde, wie jemand von 
dem Hofe Ludwig XIV. geſagt hat, in komplette Idololatrie 
ausarten, wenn die Führer ſich auch noch einfallen laſſen 
ſollten, gute Menſchen zu ſein. Aber wie am Hofe ſeien 
die Führer in einem fortwährenden ſtillen Kampf unter— 
einander um die Führerſtellen. „Daher in allen modernen 
Volksparteien jener tiefe Mangel an wahrhaft brüderlichem 
Geiſt, an menſchlichem Vertrauen.“ Die Führer der Gewerk— 
ſchaften geſtänden auch das Streben nach einer oligarchiſchen 
Regierung ſchon offen zu (S. 141). 

Dasſelbe iſt übrigens vor etwa 20 Jahren ſchon in 
Frankreich einmal geſagt worden. 1884 erſchien ein Buch 
„Handbuch des Demagogen“ von Raoul Frary, über: 
ſetzt von Oſtmann, worin das ganze Parteiweſen Frankreichs 
geſchildert und geſagt wird: Der moderne Demagog iſt 


Franz Mehring. 


80 Franz Mehring. 


der Höfling der Maſſe. Genau mit denſelben Mitteln der 
Schmeichelei, der Beſchönigung, dem Zuwillenſein, wie die 
Höflinge den König für ſich zu gewinnen ſuchen, um dann 
durch ihn und über ihn zu herrſchen, ſo ſucht der Demagog 
die Maſſen für ſich zu gewinnen; und wir haben in Michels 
jetzt das Zeugnis, wie weit es damit tatſächlich ſchon ge— 
kommen iſt. Je mehr die Maſſenorganiſation wächſt, deſto 
mehr, ſtellt Michels mit Bedauern feſt, verliert ſie an revo— 
lutionärer Dynamis; man vermeide ängſtlich, den Staat gar 
zu ſehr zu reizen, damit er die koſtbare Parteiorganiſation, 
die fo vielen Leuten Brot gebe, nicht etwa gar zerſtöre. 

Es iſt ja auch von anderer Seite längſt vorausgeſagt 
worden, daß, je größer eine ſolche Revolutionspartei wird, 
ſie ihrem Ziel einer wirklichen Revolution nicht näher kommt, 
ſondern ſich innerlich von ihm entfernt. 

Geſtatten Sie mir hier wieder eine kleine perſönliche 
Reminiſzenz einzuflechten. Ich hielt im Jahre 1912 die 
Feſtrede in der Univerſitätsaula und hatte mir das Thema 
gewählt: „Geiſt und Maſſe in der Geſchichte“. (Abgedr. im 
Febr.⸗Heft d. Preußiſchen Jahrbücher 1912), worin ich nach— 
zuweiſen verſuchte, daß die Maſſe als ſolche nicht aktions⸗ 
fähig iſt, ſondern daß es erſt die Organiſation, d. h. der 
Geiſt iſt, der die Maſſe aktionsfähig macht, ſo daß die An— 
titheſe: Maſſe gegen Geiſt falſch iſt; wo Maſſe in Bewe— 
gung iſt, muß Geiſt ſein; ſonſt iſt die Maſſe tot. Ich 
ging aus von den Maſſenheeren in der Geſchichte und 
legte den ſo feinen wie gewaltigen Organismus dar, der 
notwendig iſt, um dieſe Maſſen zu bewegen. Darauf kam 
eine Antwort in der Leipziger Volkszeitung, zweifellos aus 
der Feder von Franz Mehring (es hatte unmittelbar vorher 
die Reichstagswahl mit dem großen Sieg der Sozialdemo— 
kraten und ihren 110 Mandaten ſtattgefunden). Dieſe 


Mehring. 81 


Rede von Delbrück, ſagte etwa Mehring, den ich, beiläufig 
bemerkt, für den bei weitem befähigtſten wiſſenſchaftlichen 
Kopf in der Sozialdemokratie halte, dieſe Rede iſt gleich— 
ſam eine Antwort auf unſeren Wahlſieg. Es iſt zwar 
nicht ausgeſprochen, aber es iſt ſo gemeint. Indem ich 
dargelegt hätte, wie kraftlos die Maſſen an ſich ſeien, 
meint Mehring, hätte ich zu verſtehen geben wollen, daß 
wir uns nicht vor ihnen zu fürchten brauchten. Denn mit 
der Organiſation könne man ſich einmal auseinanderſetzen; 
mit den Führern ließe ſich auf dieſe oder jene Weiſe irgend— 
ein Abkommen treffen. Ich habe dieſe Schlüſſe nicht ge— 
zogen, kannte auch damals das Buch von Michels noch 
nicht, aber in der Tat, Mehring hatte nicht ſchlecht in meiner 
Seele geleſen. Ich war begierig, wie der Artikel enden 
würde, wie er den von ihm ſelbſt gezogenen, ſozuſagen in 
mich hineinprojizierten Schluß wieder aufheben, wie er 
ihm entgehen würde. Mehring hofft, daß infolge der 
außerordentlichen Steigerung der Produktivität der Arbeit 
im Zukunftsſtaat eine Geſellſchaft ohne Ausbeutung ent— 
ſtehen werde. Wo aber die Ausbeutung fehle, fehle auch 
die Herrſchaft einer ausbeutenden Klaſſe; da fehle alſo 
auch das Monopol der geiſtigen Bildung, und dieſe würde 
zum Allgemeingut werden. Wenn aber erſt die Maſſe 
dieſelbe Bildung habe, wie die Führer, dann bedürfen ſie 
auch keiner Führer mehr, ſondern führen ſelbſt. Mit dieſer 
Maſſe gäbe es dann auch kein Paktieren und keine Kom— 
promiſſe, ſondern bloße Übergabe. 

Seien wir Mehring zunächſt dankbar für den Blick, den er 
uns in den ſonſt ſo ängſtlich hinter dem Schleier des Geheim— 
niſſes verwahrten Zukunftsſtaat hat tun laſſen. Daß der 
Reichtum der Menſchheit dann ins Unermeßliche ſteigen werde, 
iſt fchon früher zuweilen verſichert worden. Während man 


82 Der Zukunftsſtaat. 


ſonſt annimmt, daß gerade der Kapitalismus mit ſeinem 
Lohn für Fleiß und Intelligenz die Vervollkommnung der 
Technik und die ungeheure Steigerung der Produktion 
hervorgerufen habe, ſoll in Zukunft ohne ſolchen Lohn für 
den Einzelnen und bei viel geringerer Arbeit der Maſſe die 
Produktion noch viel mehr ſteigen. Unterdruͤcken wir unſere 
Zweifel und hören, was der Reichtum für Bildungsfolgen haben 
wird. Alle Menſchen werden der gleichen, höchſten Bildung 
teilhaftig werden. Alle Volksſchulen alſo werden in Gymnaſien 
verwandelt und dann ſtrömen die Maſſen, Männlein wie 
Fräulein in die Univerſitäten. Was würden die Auditorien 
da voll werden! Wo aber iſt geſagt, daß die Menſchen, 
wenn fie erſt gebildet genug find, keiner Organifation und 
keiner Führer mehr bedürfen? Sollte Mehring wirklich 
den Genoſſen haben ſagen wollen, daß ſie ihrer heutigen 
Führer nur bedürften, weil ſie ſelber noch zu dumm ſeien? 
Ein erfahrener Mann dürfte ſagen, daß ganz umgekehrt 
die Gebildeten erſt recht der Organiſation und der Führer 
bedürfen, um einen einheitlichen Willen herzuſtellen, weil 
jeder einzelne ſich zur Selbſtändigkeit berufen wähnt. Die 
Gebildeten des Zukunftſtaats mögen vielleicht anders ſein — 
aber für unſere Frage handelt es ſich ja gar nicht um den Zu— 
kunftsſtaat, ſondern um die Gegenwart, um die Frage, ob 
in den nächſten zehn, zwanzig, dreißig Jahren die Führer der 
Sozialdemokratie für Kompromiſſe zu haben ſein werden 
oder nicht. Für dieſe Übergangszeit, wie wir ſie Mehring 
zu Gefallen einmal nennen wollen, ehe wir die gymnaſiale 
und akademiſche Maſſenbildung durchgeführt haben, bedarf 
es ja auch nach ihm der Organiſation und alſo auch der 
Führer, und ob dieſe Führer ihre Macht benutzen werden, 
die Revolution zu machen und einen allgemeinen Umſturz 
herbeizuführen auf die Gefahr hin, nicht den beſtehenden 


Methode der Geſetzgebung in England. 83 


Staat und die beſtehende Geſellſchaft, ſondern ſich ſelbſt 
zugrunde zu richten, oder ob ſie vorziehen werden von Fall 
zu Fall Kompromiſſe zu ſchließen, das iſt die Frage, deren 
zweite Eventualität Mehring als verkehrt und ausgeſchloſſen 
nachweiſen wollte. Hat er das getan? Wir duͤrfen das ge— 
troſt verneinen und halten dafür das Zugeſtändnis feſt, 
das auch dieſer Vertreter der radikalſten Sozialdemokratie 
wenigſtens mittelbar nicht hat vermeiden koͤnnen, daß das 
Volk im politiſchen Sinne, wie es jetzt iſt, immer nur aktiv 
werden kann in Organiſationen, und wir fuͤgen hinzu, daß 
ſogar die ſozialdemokratiſche Partei, die demokratiſchſte, 
die es gibt, ſich eine Organiſation gegeben hat, die ihre 
Anhängerſchaft aus den Entſcheidungen tatſächlich aus— 
ſchaltet und das Regiment ganz und gar in die Hände 
einer ſich ſelbſt ergänzenden Führerſchaft legt. 

Nachdem wir nunmehr das Weſen der repräſentativen 
Regierungen auch nach der poſitiven Seite aufgehellt haben, 
können wir uns der Frage zuwenden, ob bei dem engliſchensss ift der Ein- 
Syſtem des Parlamentarismus oder bei dem deutſchen f n 56 
Syſtem des Konſtitutionalismus das Volk einen größeren Regierung am 
Einfluß auf die Geſetzgebung hat. Wir wollen uns das Geben 
gleich mit einer ganz konkreten Erſcheinung beantworten. 
Im Burenkrieg beantragte am 5. März 1900 die Regierung 
in London, die Koften des Krieges aufzubringen durch eine 
Erhöhung der Einkommenſteuer auf 7%, ͤ einen ſehr hohen 
Satz, durch neue Stempelſteuern, Bierſteuer, durch eine 
Spiritusſteuer, durch eine Tabakſteuer, durch einen Teezoll. 
Namentlich der letztere belaſtet die große Maſſe in England 
ſehr ſtark. Am 5. März wurde das Geſetz im Unterhaus 
eingebracht, am 7., ohne ein Wort daran zu ändern, an— 
genommen und am nächſten Tage in Kraft geſetzt. Ebenſo 
im April 1901 für die weiteren Kriegskoſten nochmals Er— 


84 Methode der Geſetzgebung 


höhung der Einkommenſteuer um faſt 1%è und ein Zucker⸗ 
zoll. (Zucker wird in England ſehr viel konſumiert). Dazu 
kam, nach einer eigentümlichen neuen Idee, ein Kohlenaus— 
fuhrzoll, über den ſich nicht nur von finanzieller, ſondern 
auch vom wirtſchaftlichen Standpunkt aus ſehr viel ſagen 
läßt. Am 18. April wurde das Geſetz eingebracht, ange— 
nommen, eingeführt, ohne daß das Unterhaus gegen dieſe 
koloſſalen wirtſchaftlichen Laſten und die Art der Verteilung 
wie die Organiſation irgendwelche Einſprüche erhoben 
hãtte. 

Soeben haben wir das Gegenſtück bei uns erlebt. 
Alle Welt iſt erſtaunt, daß der Reichstag binnen wenigen 
Wochen eine ganz außerordentlich große Steuervorlage 
direkter wie indirekter Steuern bis zur Geſetzesreife ge— 
bracht hat, und zwar hat er nicht die von der Regierung 
eingebrachten Vorlagen einfach angenommen, ſondern ſie 
durch und durch umgearbeitet. Jeder Paragraph iſt in 
der Kommiſſion durch zwei oder drei Leſungen durchge— 
hechelt worden, oft find die gefaßten Beſchlüſſe wieder ver: 
worfen, wieder neue Verhandlungen geführt worden; noch 
zwiſchen der zweiten und dritten Leſung iſt Weſentliches ge— 
ändert worden. 1909 ſind ſogar vom Reichstag ganz neue 
Prinzipien aufgeſtellt, ganz andere Steuern, als von der 
Regierung beantragt, erdacht und beſchloſſen worden. Ganz 
ſo war es bei vielen anderen Geſetzen, beſonders bei der 
Sozialgeſetzgebung. Jede einzelne Beſtimmung dieſes Kom— 
plexes von Geſetzen iſt mit der geſamten Volksvertretung 
bis ins einzelne durchgearbeitet worden. Und das iſt nicht 
etwa ein Ausnahmefall, ſondern wird bei uns als das 
Natürliche und Notwendige angeſehen. Auch die Oppoſitions— 
parteien geben ſich doch alle Mühe, Geſetze, die ſie im ganzen 
verwerfen, wenigſtens im einzelnen fo verſtändig wie mög⸗ 


in Deutſchland. 85 


lich zu geſtalten, und oft werden ihre Verbeſſerungs— 
anträge angenommen. Selbſt im Plenum werden die 
Geſetze ſo eingehend beraten, daß ſich ein großer Teil auch 
der politiſch intereſſierten Staatsbürger in Deutſchland ab— 
gewöhnt hat, die Reichstagsverhandlungen zu leſen, wenigſtens 
ſehr genau zu leſen, weil die Details den einzelnen nicht 
intereſſieren. 

Wer hat dieſe Geſetze beſchloſſen? Immer anders kom- Regierung und 
binierte Majoritäten. Vor 1½ Jahren wurden drei große Kerl 
Geſetze ziemlich gleichzeitig zum Abſchied gebracht, eins im 
preußiſchen Landtag, zwei im Reichstag. Im Landtag 
wurde das Feuerbeſtattungsgeſetz angenommen mit Hilfe 
eines Teils der Konſervativen, der Freikonſervativen, der 
Nationalliberalen, der Freiſinnigen und der Sozialdemokraten. 
Die Majorität war ſo gering, daß die ſechs Sozialdemokraten 
den Ausſchlag gaben gegen das Gros der Konſervativen, 
das Zentrum und die Polen. Gleichzeitig wurde die neue 
Verfaſſung für die Reichslande Elſaß-Lothringen im Reichs: 
tag beſchloſſen gegen einen Teil der Konſervativen, einen 
Teil der Freikonſervativen, die Antiſemiten und Polen, mit 
Hilfe eines anderen Teils der Freikonſervativen, des Zentrums, 
der Nationalliberalen, der Freiſinnigen und wieder der Sozial— 
demokraten. Derſelbe Reichstag ſchuf gleichzeitig das Rieſen— 
werk der Reichsverſicherungsordnung. Das Geſetz wurde 
angenommen in einem Zuſammengehen der Konſervativen, 
der Freikonſervativen, des Zentrums, der Nationalliberalen 
und eines kleinen Teils der Freiſinnigen gegen das Gros 
der Freiſinnigen und die Sozialdemokraten. Sie ſehen 
alſo, daß die Majorität nicht nur ganz verſchieden zuſammen— 
geſetzt war, ſondern daß gleichzeitig verſchiedene Majoritäten 
in Bewegung geſetzt wurden. Man kann alſo bei uns von 
Freunden und Gegnern der Regierung ſchlechthin gar nicht 


86 Einfluß des Volkes in England. 


ſprechen, was in England immer der entſcheidende Punkt 
iſt. Bei uns ſtimmen alle Parteien zeitweilig für, zeit— 
weilig gegen die Regierung. Geſtern haben wir das bei— 
nahe ungeheuerliche Bild gehabt, daß eine große Steuer 
angenommen wurde mit allen Stimmen, die Sozialdemo— 
kraten eingeſchloſſen, gegen die Konſervativen und die Polen. 

Kommen wir nun auf die Frage: Wo hat die Volks— 
vertretung eine ſtärkere Einwirkung auf die Geſetzgebung, 
in London oder in Berlin? Man müßte ſagen, in London, 
ſolange man daran feſthält, daß die Regierung dort nichts 
iſt als der Ausdruck des Volkswillens. Der Dualismus 
exiſtiert ja nicht, ſondern die Führer der Majorität bringen 
die Geſetze ein und ihre Gefolgſchaft nimmt ſie an, ſolange 
ſie ſich gegen ihre Führer nicht auflehnt. Es wäre alſo 
alles in Ordnung, wenn es wahr wäre, daß das Unterhaus 
den Volkswillen repräſentiert. Wir wiſſen ja aber, daß 
das nur mit großer Modifikation gilt. Es repräſentiert 
nicht das Volk, es repräſentiert nicht einmal die Wähler— 
ſchaft, es repräſentiert auch häufig nicht einmal die Majo— 
rität der Wählerſchaft, ſondern, wie wir wiſſen, handelt es 
ſich in Wirklichkeit um ein Gremium von Politikern, das 
ſich in freier Weiſe ſelbſt ergänzt und nur in dauernder 
Fühlung mit einem größeren oder kleineren Teile des 
Volkes iſt. Wenn die herrſchende Partei dauernd an der 
Regierung bliebe, würde die Minorität, vielleicht ſogar die 
Majorität der Wähler dauernd ausgeſchloſſen ſein. Aber 
indem die Regierung wechſelt, die Parteien — bald dieſe, 
bald jene — das Ruder in die Hand nehmen, ſo kann 
man doch wohl ſagen, daß das geſamte Volk, wenn es 
auch nicht gleichzeitig, wie bei uns, mitwirkt, doch eben in 
der Abwechſlung ſtark auf die Regierung einwirkt. Ob 
ſtärker, das iſt die Frage, weil man es nicht abmeſſen 


Einfluß des Volkes in Deutſchland. 87 


kann, wie weit wirklich der Wille der Millionen einzelner 
Wähler bei den Wahlen den Ausſchlag gibt. Die radikalen 
Kritiker ſind ja, wie ich vorgetragen habe, ſo weit gegangen, 
zu behaupten, daß das Volk überhaupt ausgeſchaltet ſei; 
in Wirklichkeit ſei das Wählen die Mache von Demagogen, 
die dem Volk einen blauen Dunſt vormachten. Das iſt 
offenbar zu viel behauptet. Denn immerhin müſſen dieſe 
Demagogen ſo geſchickt ſein, daß ſie die Maſſen bei den 
Wahlen hinter ſich herziehen, und immer muß darauf 
Rückſicht genommen werden, daß, wenn man die Maſſen 
gegen ſich erregte, ſie zu der konkurrierenden Partei über⸗ 
gehen würden. Darum beſteht, um es zu wiederholen, in 
England die ſtärkſte Einwirkung, die das Volk ausübt, 
nicht ſowohl in der Abgabe der Wahlzettel als in der 
Beſorgnis der regierenden Männer, die aus Ehrgeiz, des 
Vorteils wegen und auch aus Überzeugung die Regierung 
zu behalten wünſchen und nach ihren Ideen den Staat 
lenken wollen. Wenn ſie eine ſtarke Stimmung gegen ſich 
erregen, werden viele Wähler aus ihrer Partei übergehen 
in die andere, und ſomit würde die Regierung in andere 
Hände kommen. Es handelt ſich, wie wir geſehen haben, 
um gar nicht viele, die bei einem ſolchen Wechſel den Aus⸗ 
ſchlag geben. Ich gebe alſo auf die Frage, wo das Volk 
einen ſtärkeren Einfluß auf die Geſetzgebung hat, in Eng— 
land oder bei uns, keine poſitive Antwort. Es hat ihn offen⸗ 
bar in England; es hat ihn offenbar auch bei uns. Wenn 
im allgemeinen die Meinung herrſcht, daß England ein 
mehr populares Regiment habe als Deutſchland, ſo iſt darin 
etwas Wahres, aber nicht eigentlich in bezug auf die Ge— 
ſetzgebung. Dieſe Meinung iſt in der Hauptſache darauf 
zurückzuführen, daß der ganze Staatsorganismus in Eng⸗ 
land viel lockerer iſt als bei uns. Wir haben den ungeheuer 


Geſchichtliche 


Analogien. 


Die Verfaſſung 
des alten Athen. 


88 Straffheit und Lockerheit des Staats⸗Organismus. 


ſtraffen Aufbau unſeres ganzen Staatsweſens, von der all: 
gemeinen Wehrpflicht und allgemeinen Schulpflicht an, 
während drüben alles viel läſſiger, breiter iſt. Nicht bloß 
in England, auch in anderen Staaten kommt derſelbe Unter— 
ſchied in Betracht. Dieſes Verhältnis wird es hauptſächlich 
ſein, was die Vorſtellung erweckt, daß das Regiment über— 
haupt dort populärer ſei. Wenn wir uns aber in die 
Wirkſamkeit der Arbeitsmaſchine der Geſetzgebung verſetzen, 
dann ſehen wir, wie außerordentlich bedeutend, weil auf 
die Einzelheiten wirkend, gerade bei uns die gewählten 
Volksvertreter tatſächlich ſind. 

Die Frage, die ich hier aufgeſtellt habe, lautet wohl— 
gemerkt nicht: „Wo iſt ein beſſeres Regierungsſyſtem?“, 
ſondern fie lautet: „Wo hat das Volk eine ſtärkere Ein: 
wirkung auf die Regierung?“ Die Fragen ſind nicht iden— 
tiſch, was natürlich nicht ausſchließt, daß ich ſpäter auch 
noch zu entwickeln ſuche, welche Vorzüge das eine Syſtem 
und welche das andere hat. 

Ehe wir aber dazu ſchreiten, lade ich Sie ein zu einem 
Spaziergang durch die Weltgeſchichte. Ich werde Ihnen 
eine Reihe von Abſchnitten vorführen, in denen die jetzt 
gewonnenen Begriffe vom Weſen der Repräſentation, der 
Wahl, der Majorität im Verhältnis zur Regierung, in 
früheren Epochen ſchon bemerkbar wurden. Wir wollen 
unſere Kenntniſſe zu erweitern und zu vertiefen ſuchen, weil 
das uns helfen wird, zuletzt ein Schluß- und Endurteil 
zu fällen. Ich will gleich hinübergehen bis in die aller— 
älteſte Zeit, bis in das klaſſiſche Athen. 

Das klaſſiſche Athen erhielt ſeine Verfaſſung, wie Sie 
ſich erinnern wollen, nach der Vertreibung des Tyrannen 
Hippias, nur 20 Jahre vor der Schlacht bei Marathon. 
Nach einigem Schwanken wurde eine rein demokratiſche 


Athen. 89 


Verfaſſung eingeführt durch den Alkmäoniden Kleiſthenes, 
alſo durch den Sohn eines der vornehmſten ariſtokratiſchen 
Geſchlechter Athens, der ſich an die Spitze der Demokratie 
geſtellt hatte. Wie ſieht nun dieſe Demokratie aus? Die 
entſcheidende Behörde iſt die allgemeine Volksverſammlung. 
Die allgemeine Volksverſammlung iſt aber bis auf einen 
gewiſſen Grad eine Fiktion. Die atheniſche Bürgerſchaft 
wird damals etwa 25000 Männer ſtark geweſen ſein. So viel 
können auf einem Fleck überhaupt nicht zuſammenkommen 
und von einer Stelle nicht gleichmäßig angeſprochen werden. 
Schon zu 10000 Menſchen gleichzeitig zu ſprechen, erfordert 
eine ganz gewaltige Stimme, und es läßt ſich kaum eine 
längere Rede zu einer ſo großen Menge halten. Schon zu 
4—5000 in einer längeren Auseinanderſetzung zu ſprechen, 
iſt ſehr ſchwer, und daß die Menge mehrere Stunden einer 
Diskuſſion folgt, iſt nahezu ausgeſchloſſen. Sie wird ſchon 
zu unruhig, um zu verſtehen. Eine Volksverſammlung 
von 3000 Perſonen iſt ſchon ſehr groß. Wenn alſo einfach 
die Souveränität auf die Volksverſammlung in Athen über: 
tragen wurde, ſo war da von vornherein die Vorausſetzung, 
daß immer nur ein kleiner Teil, nicht entfernt auch nur 
die Hälfte der Bürgerſchaft, ſich dazu einfand. Es war 
auch geographiſch unmöglich, daß ſie ſich alle verſammelten. 
Denn die Grenzorte von Attika find 5—6 Meilen 
von der Hauptſtadt entfernt. Man wird nicht erwarten 
können, daß der kleine Weinbauer oder Köhler einen oder 
zwei Tage lang marſchiert, und dort mal die Hand aufzu— 
heben, für dies oder jenes zu ſtimmen um dann wieder nach 
Hauſe zu pilgern. Eine Verfaſſung, die der Verſammlung 
in der Hauptſtadt die Entſcheidung gibt, legt ſie alſo ganz 
vorwiegend in die Hand der Staatsbürger, die in der 
Hauptſtadt wohnen. Um das auszugleichen und dem Gros 


90 Athen. 


der Bürger, die draußen im Lande wohnten, ihren Einfluß 
zu ſichern, ſchuf man neben der Volksverſammlung den Rat 
von 500 Mitgliedern, die Boule. Um den Rat zuſammen— 
zuſetzen, wird das Volk in zehn Phylen geteilt, jede Phyle 
zu drei Dritteln, die nicht beieinander liegen, ſondern ſo, 
daß ein Drittel in der Stadt liegt, eins mehr am Meer 
für die Seebevölkerung und eins mehr im Lande, alſo ganz 
künſtlich. Dieſe ſo künſtlich aus drei auseinandergezogenen 
Dritteln zuſammengeſetzte Phylen ſind die Grundlage für 
die Organiſation der Regierung. Aus jeder Phyle kommen 
50 Bürger zuſammen, alſo in Summa 500, die die Re— 
gierung bilden. Und nun würden wir einſetzen und ſagen: 
„Alſo gewählt von den Bürgern.“ Keineswegs. Hier fehlt 
der Repräſentativ- und der Wahlgedanke, ſondern es wurde 
ftatt deſſen eine Liſte angelegt von denjenigen, die ſich zur 
Boulé meldeten, und aus dieſen wurden die Mitglieder 
ausgeloſt. Das iſt die wahre, extrem demokratiſche Ver— 
faſſung. Ein Bürger iſt ſo gut wie der andere. Wenn 
ſich zuviel melden, wird geloſt, und von dieſen erloſten 
500 find 50, eine Phyle, immer verſammelt, um für alle 
Fälle ſofort Entſcheidungen treffen zu können, und werden 
auf Staatskoſten geſpeiſt. Es galt als eine beſondere Ehren— 
bezeugung, wenn Bürger das Recht erhielten, an dem Frei— 
tiſch der Abgeordneten im Prytaneum teilzunehmen. Heute 
iſt der Freitiſch verloren gegangen; Robespierre aber pries 
es in ſeinen Reden an die Franzoſen noch gern als die 
höchſte Ehre, die einem Manne zuteil werden könne. 

Die Vorausſetzung dieſes Regierungsmodus iſt, daß in 
der ganzen Bürgerſchaft eine einheitliche Geſinnung herrſcht, 
nicht feſte Parteien einander gegenüberſtehen. Bei uns, 
wo es auf Majorität und Minorität ankommt, könnte 
dieſes Syſtem überhaupt nicht funktionieren. 


Athen. 91 


Um nun zu verhindern, daß ganz Unwürdige in die 
Ehrenſtellen kämen, gab es einen eigenen Prozeß gegen 
ſolche, die ſich gemeldet hatten und aus irgendeinem Grunde 
für unwürdig erachtet wurden. Wer nicht angefochten wurde, 
kam zum Los und kam dann auch in die Boulé. Die Boulé 
hat neben der Funktion, die eigentliche Verwaltung zu 
führen, die Vorbereitungen und Vorberatungen für die 
Beſchlüſſe der Volksverſammlung zu treffen. Allmählich 
ſind auch alle die anderen Amter losbar geworden. Nur 
bei einem ging allerdings das Loſen nicht — nämlich 
bei den Generalen. Einen General durch das Los zu be— 
ſtimmen, iſt doch für jeden einzelnen Bürger, der ſich ſeiner 
Führung anvertrauen ſoll, äußerſt bedenklich; da alſo, wo 
das unmittelbare Intereſſe des atheniſchen Bürgers in 
Frage kommt, wo er, der den Speer in die Hand nehmen 
ſoll, es auszubaden hat, wenn die Sache ſchief gehen 
ſollte, überläßt man das Amt nicht dem Loſe, ſondern über— 
weiſt jeder Phyle die Wahl eines Strategen. 

Da haben wir eine Spur von dem, was uns der natür— 
liche Repräſentationsgedanke fein würde, aber nur eine ſehr 
ſchwache. Nach allem, was wir gehört haben, erkennen wir 
deutlich, warum für die Boulé und für die Regierung über: 
haupt ein Wahlſyſtem nicht eingeführt wurde. Wahlen hätten 
eben keineswegs die Tüchtigſten, ſondern die lauteſten Schreier 
und die Demagogen in den Rat gebracht. Da iſt man alſo 
in der Vorausſetzung der abſolut gleichen Geſinnung in der 
Bevölkerung auf jenes Loſungsſyſtem gekommen. Ideal 
gewirkt hat es freilich nicht. Schon Sokrates hat ſeinem 
Spott darüber Ausdruck gegeben, daß man die Männer, 
die berufen ſein ſollen, den Staat zu regieren, durch das 
Los beſtimme. Aber bei allem Reſpekt vor Sokrates (ich 


halte durchaus daran feſt, daß die Tradition über ſeine 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 7 


92 Rom. 


Größe berechtigt iſt) iſt er doch auch in den Fehler ver— 
fallen, der uns allen ſo naheliegt: zu kritiſieren, ohne etwas 
beſſeres an die Stelle ſetzen zu können. Denn ob es in 
Athen beſſer geweſen wäre, wenn die Regierung gewählt 
worden wäre, muß zum wenigſten ſehr bezweifelt werden. 
Für uns iſt es aber ein ſchönes Beiſpiel dafür, daß der 
Repräſentativgedanke nicht fo natürlich gegeben iſt, wie es 
uns und unſerer Umwelt erſcheint. 

Gehen wir von Athen hinüber nach Rom. Da finden 
wir ja nun von vornherein ganz andere Verhältniſſe. Die 
römiſche Geſchichte wird dauernd beſtimmt durch den tief— 
gehenden Gegenſatz von Patriziern und Plebejern, der dann 
allmählich übergeht in den Gegenſatz von Nobilität und 
Maſſe. Die erſte Frage iſt alſo, woher dieſe tiefe ſtändiſche 
Differenzierung gekommen iſt. Mommſen iſt der Meinung 
geweſen, daß die Patrizier die Urgemeinde waren und die 
Plebejer die Einzöglinge, die ſich auf dem Grund und 
Boden, der der Urgemeinde gehörte, angeſiedelt hatten. 
Mommſen geſteht aber auch zu, daß dieſe ſeine Auffaſſung 
den Quellen nicht entſpricht. Er glaubte aber, keine andere 
Löſung finden zu können. Ich glaube nun doch, im Zu— 
ſammenhang mit meinen kriegsgeſchichtlichen Studien eine 
beſſere Löſung geben zu können. 

Die Patrizier ſind nach meiner Meinung die alten 
Häuptlingsfamilien, ungefähr fo wie in der urgermanifchen 
Geſchichte die Prinzipes, von denen uns Cäſar und Tacitus 
berichtet haben. Dieſe Häuptlinge, vergleichbar etwa den 
Helden von Troja, Hektor und Achill, haben ein ritterliches 
Kriegertum hervorgebracht, während die große Maſſe von 
den kriegeriſchen Eigenſchaften allmählich mehr und mehr 
verlor. Es reflektiert ſehr ſchön in der Ilias, wie un— 
kriegeriſch die Maſſe der Bürger iſt gegenüber den wenigen 


Das roͤmiſche Patriziat. 93 


Helden. Das iſt wohl eine Hyperbolie, aber doch nicht 
bloß poetiſche Fiktion, um die Kraft und die Vorzüge der 
Ritter mehr hervortreten zu laſſen, ſondern es iſt wirklich 
der Niederſchlag der hiſtoriſchen Tatſache. 

Dieſe kriegeriſchen Häuptlingsfamilien, die urſprünglich 
natürlich in ihrem Stamm geſeſſen haben, haben ſich durch 
einen Vorgang, der uns vielfach aus dem Altertum unter dem 
Namen Synoikismos berichtet wird, an eine Stelle, eben 
nach Rom, zuſammengezogen, und es hat ſich nun ein 
weiterer Kreis entwickelt durch das ſtädtiſche Leben und 
den damit verbundenen Kapitalismus. Es iſt nicht richtig, 
wie z. B. ein ſo hervorragender Gelehrter wie Eduard Meyer 
meint, daß die niedere Schicht des Volkes, die Armen, 
zuerſt angefangen haben, ſich mit Handel abzugeben. Um 
Handel zu treiben, dazu muß man Kapital haben, muß 
Waren haben, die man austauſcht, muß Schiffe haben, 
muß Mannſchaften haben, die Schiffe zu beſetzen, muß 
Vorſchüſſe geben koͤnnen. Wenn fremde Händler an die 
Küſte Griechenlands gekommen ſind, haben ſie nicht mit 
den kleinen Leuten gehandelt, um ihnen Purpurzeug oder 
Waffen oder Schmuck zu liefern, ſondern haben ihre Waren 
den Häuptlingen angeboten. Und dieſe wiederum, die zu 
Hauſe nichts zu tun fanden, ſind auf das Meer hinaus— 
gefahren, Handel zu treiben oder auch Seeraub. Krieg, 
Handel und Piraterie — dreieinig ſind ſie, nicht zu trennen. 
Der alte Handel iſt immer mit Seeraub verbunden, wie 
ja auch in der Odyſſee ganz harmlos gefragt wird: „Biſt 
du Kaufmann oder Seeräuber?“ Vom Kauf zum Seeraub 
iſt nur ein Schritt; vom Kauf zum Krieg iſt es auch gar 
nicht ſo weit, wie man denken ſollte. Neben den Häupt— 
lingsfamilien kamen noch andere empor, die durch Talent, 
Kühnheit und Glück ebenfalls zu Wohlſtand gelangt waren, 

7 * 


94 Die römische Bauernſchaft. 


die ſozialen Gewohnheiten jener annahmen und in ihren 
Kreis eintraten. Die Anzahl blieb aber immer klein. Der 
Wohlſtand dieſer Familien beſtand aus Vorräten, Edel— 
metall und namentlich auch Sklaven, die für ſie arbeiteten, 
und der Wohlſtand, der in der Stadt geſchaffen wurde, 
ging nun weiter ſehr bald aufs Land hinaus. Zu der Zeit, 
wo die Stadt ſich bildete, da löſt ſich auch der urſprünglich 
vorauszuſetzende Agrarkommunismus auf, von dem im 
ſpäteren römiſchen Staat noch einige Spuren zu finden 
ſind. Sobald durch Auflöſung des Agrarkommunismus 
der kleine Bauer geſchaffen iſt, zeigt ſich die beſondere 
Schwierigkeit, ihn ſelbſtändig zu erhalten. Eine Feuers— 
brunſt, ein Viehſterben, ein Einfall des Feindes, eine Waſſers— 
not, ein Hagelſchlag, eine Dürre, machen ihn ſofort voll— 
kommen mittellos; er ſteht vor dem Hungerstod. Bei 
Agrarkommunismus hilft man ſich untereinander; der kleine 
Bauer aber mit Privateigentum an ſeinem Acker iſt auf 
ſich angewieſen. So kommt im Laufe der Jahre 
unzweifelhaft immer irgendein Moment, wo er mit 
ſeiner Familie nicht beſtehen kann, wo er verhungern muß, 
wenn ihm nicht geholfen wird. Wir haben in unſerer 
Zeit einen außerordentlich künſtlichen Aufbau geſchaffen, 
um ein ſelbſtändiges kleines Bauerntum zu erhalten: Feuer— 
verſicherung, Verſicherung für die Schweine und anderes 
Vieh, Hagelverſicherung, Lebensverſicherung; namentlich aber 
Darlehns- und Hypothekenbanken, ſo daß der Bauer, wenn 
er mal in Not iſt, für wenige Zinſen einen Vorſchuß be— 
kommt, den er in einigen Jahren abarbeiten kann. Noch 
vor 30 40 Jahren iſt in ſolchen Fällen der Bauer das 
Opfer von Wucherern geworden. Was ſollte er machen? 
Er war ganz und gar in den Händen des Kapitaliſten, 
von dem ihn erſt die Geſetzgebung und Wirtſchaftsordnung 


Roͤmiſcher Kapitalismus. 95 


unſerer Tage befreit hat. Verſetzen Sie ſich mit dieſer 
Anſchauung von Agrarverhältniſſen in das alte Rom, ſo 
erkennen Sie, daß dieſe kleinen Bauern ſchließlich in Ab— 
hängigkeit kommen mußten von den Familien in der Stadt, 
die reich genug waren, Vorſchüſſe zu geben. Die römiſchen 
Legenden zeigen uns den römiſchen Patrizier immer wieder 
nicht bloß als einen vornehmen Mann, ſondern als einen 
Mann, dem der Plebejer etwas ſchuldig iſt. Der Patrizier— 
ſtand iſt durch einen ganz unabweislichen Wirtſchaftsprozeß 
Herrſcher über die Plebs geworden. 

Rom liegt vier Meilen vom Ausfluß der Tiber an der Stelle, 
wohin damals noch die Seeſchiffe gerade gelangen konnten. 
Alle großen Handelsſtädte liegen ja nicht unmittelbar am Meer, 
nicht Hamburg, nicht Bremen, nicht Stettin, nicht London, 
ſondern immer ſo weit im Lande, daß die Schiffe von der 
See noch hinkommen können. Rom iſt der große Umſchlags⸗ 
platz, das natürliche Emporium für ganz Mittelitalien. 
Auf der Tiber konnten in kleinen Nachen die Sabiner bis 
nach Rom kommen, um dort einzutauſchen, was ſie 
brauchten. Rom iſt — das hat Mommſen von Anfang 
an mit Scharfblick erkannt, obgleich die Tradition dagegen 
ſpricht und immer von Rom als reiner Landmacht ſpricht 
— Rom iſt in Wahrheit von Anfang an eine Handelsſtadt 
geweſen; Handel iſt immer mit Kapital verbunden, und 
mit dieſem Kapital machten ſich die kapitaliſtiſchen Familien 
zu Herren der Bauernſchaft. Warum ließ ſich die Bauern⸗ 
ſchaft das gefallen? Warum griff ſie nicht zum Schwert, 
um ihre Freiheit zu verteidigen? Dieſe Wucherer waren 
doch ihre Stammesgenoſſen? Die Antwort haben wir 
bereits gegeben: weil die Wucherer gleichzeitig die Häupt⸗ 
linge, die Vorkämpfer, die ritterliche Kriegerſchaft waren. 
Es iſt nicht eine rein kapitaliſtiſche Herrſchaft, aber auch 


96 Roͤmiſche Verfaſſung. 


nicht eine rein feudale, ſondern es iſt beides zuſammen. 
Die Patrizier ſind urſprünglich nichts abſolut Geſchloſſenes; 
wir finden jüngere und ältere Geſchlechter. Später galt 
es für eine Unmöglichkeit, daß ein Plebejer Patrizier werden 
könne. Die deutſche Geſchichte kennt denſelben Vorgang. 
Im alten Reich war es möglich, durch Standes erhöhung 
in den fürſtlichen Hochadel einzutreten. Heute iſt das nicht 
mehr möglich. Der Kaiſer hat nicht die Befugnis, das 
Recht der Ebenbürtigkeit zu verleihen; der Kreis der eben— 
bürtigen Familien hat ſich geſchloſſen. Auch in Rom wurden 
die Zwiſchenheiraten zwiſchen Plebejern und Patriziern ver— 
boten. Die Patrizier bildeten einen Stand höherer Art, 
der von den Göttern abſtammte, allein die wahren Kult— 
handlungen vollziehen konnte, die richtigen Augurien beob— 
achten, und natürlich dadurch auch von Gottes Gnaden 
berufen war, die Maſſe zu regieren. Militäriſche, wirt— 
ſchaftliche, ſchließlich auch religiöfe Momente wirken zus 
ſammen, daß aus der urſprünglich gleichen Raſſe, dem 
gleichen Stamme, ſich eine ſolche Oberſchicht als regierende 
herausgebildet hat, und ich zweifle nicht, daß das Eupatriden— 
tum in Athen ganz dasſelbe geweſen iſt, wie das Patrizier— 
tum in Rom. Warum iſt es in Athen zugrunde ge— 
gangen? Wir haben da die extreme Demokratie gefunden. 
Warum hat die Ariſtokratie ſich in Rom allezeit gehalten? 

Ich habe darüber eine Vermutung, die aber viel Wahr— 
ſcheinlichkeit für ſich hat. Rom iſt noch viel kriegeriſcher, 
als irgend ein griechiſcher Kanton, vielleicht ausgenommen 
Sparta. Sparta aber iſt keine Handelsſtadt, hat keine 
wirtſchaftlichen Kräfte. Rom war eine Stadt mit einer 
Bauernſchaft latiniſchen Blutes, die in der unmittelbaren 
Nachbarſchaft einer fremden Raſſe, der Etrusker ſaß und 
unausgeſetzte Kriege auch mit den anderen ſtammverwandten 


Weſen des Rittertums. 97 


Kantonen zu führen hatte. Erinnern Sie ſich nun, daß 
in der Ilias das Reitpferd noch nicht als Kriegswaffe be— 
nutzt wird. Im 10. Buch kommt es einmal vor, daß es 
zum Reiten benutzt wird; ſonſt wird es nur vor den Wagen 
geſpannt. Der Kampf zu Pferde verſtärkt nun ganz un— 
gemein die Möglichkeit der Bildung eines Heroentums, einer 
Ritterſchaft. Es iſt uns zunächſt etwas fremdartig, wenn 
wir Hektor und Achill als Ritter betrachten ſollen. Der 
Ritter iſt aber nicht bloß der Reiter, ſondern der Krieger, 
der kraft ſeiner perſönlichen Eigenſchaften, Kraft, Schnellig— 
keit, Ehrgefühl als Einzelkrieger weit über die Maſſen heraus— 
ragt. Setzt er ſich noch zu Pferde, wird der Wert aller 
dieſer Eigenſchaften vervielfältigt. Es ſind alſo die Patrizier 
eine Ritterſchaft und Kaufmannſchaft zugleich. Das iſt 
verwiſcht dadurch, daß ſpäter, als die Patrizier ſich ganz 
als Stand abgeſchloſſen hatten, ſich bloß als Herrſcher 
fühlten, ſich vom Handel und Gewerbe zurückzogen, ſich 
unter ihnen wieder eine neue Kaufmannſchaft bildete, die 
von den alten Geſchlechtern nicht als gleichwertig und nicht 
als gleichberechtigt anerkannt wurde. Den Beweis für die 
ganze Hypotheſe zu führen, iſt hier nicht unſere Aufgabe; 
man muß dazu meine „Geſchichte der Kriegskunſt“ ſtudieren, 
nicht bloß den erſten Band, der vom Altertum handelt, 
ſondern namentlich auch den dritten, der die Urſachen der 
Überlegenheit der mittelalterlichen Ritterſchaft über das Volk 
aufzeigt. Welches aber auch immer der Werdegang geweſen 
ſei, jedenfalls haben wir in der kleinen Kommune Rom 
eine Herrſchaftskaſte, die militäriſch, religiös und wirt: 
ſchaftlich die Maſſe beherrſcht. Der Kanton Rom, wie wir 
ihn in der älteſten Zeit kennen, iſt ungefähr ſo groß, wie 
unſere Inſel Rügen. Die Stadt mag etwa 12000, der 
ganze Kanton 60000 Seelen gezählt haben. Es waren 


98 Urſprung der Legionen. 


alſo kleine Verhältniſſe und darin eine kleine Anzahl von 
vorherrſchenden Familien, nach der Überlieferung 134. 
Dieſe Ariſtokratie übt ihre Herrſchaft aus, indem ſie 
einen von ſich mit der abſoluten Macht auf Lebenszeit be⸗ 
kleidet, den König, der beraten wird von den Häuptern 
der vornehmen Familien, die vereinigt ſind im Senat. 
Der König hat, abgeſehen von dieſem Rat der Senatoren, 
unbeſchränkte Macht, auch Macht über Leben und Tod, und 
er hat dieſe Macht benutzt, dem Volke eine neue Kriegsver— 
faſſung zu geben. Im Grunde beruht, wie wir geſehen 
haben, das Patriziat auf ritterlichem Kriegsweſen; es iſt 
eine kleine Schar von Elitekriegern. Neben dieſer römiſchen 
Ritterſchaft finden wir in der Überlieferung die Legionen, 
d. h. ein Aufgebot des Fußvolks in der Form der 
Phalanx, wie wir ſie auch in Griechenland kennen; eine 
Infanterie mit blanken Waffen, die in feſten Reihen und 
Gliedern geordnet, zu einem taktiſchen Körper zuſammen— 
geſchloſſen iſt. Wie eine ſolche geſchloſſene Infanterie gegen 
Ritterſchaft kämpft und ſie überwindet, das können wir 
erkennen im hellen Lichte der Geſchichte an der Art, wie 
ſich aus demjenigen Teil des deutſchen Schwabenſtammes, 
der im Hochgebirge wohnt, die ſchweizeriſchen Gevierthaufen 
bildeten und erſt Sſterreichs, dann Burgunds Ritterſchaft 
aufrieben. Von dieſer Beobachtung bin ich einſt ausge— 
gangen bei meinen Studien in der Kriegsgeſchichte. Meine 
erſtere größere Arbeit auf dieſem Gebiet hat den Titel: 
„Die Perſerkriege und die Burgunderkriege, zwei kombinierte 
kriegsgeſchichtliche Unterſuchungen“, wo ich die Beobachtung, 
daß ſich in dieſen beiden Kriegen die gleichen Waffen: 
gattungen gegenüberſtanden, quellenkritiſch verwertete 
und ausarbeitete. Das Heer der Perſer beſtand aus Bogen— 
ſchützen und Reitern, die Burgunder ſind ebenfalls Ritter 


Ritter und Fußvolk. 99 


und Bogenſchützen oder Armbruſtſchützen, neben einigen 
Feuergewehren. Drüben die Griechen beſtanden aus der 
Phalanx, d. h. dem taktiſchen Körper ſchwer bewaffneten 
Fußvolks mit dem Spieß, die Schweizer beſtanden auch aus 
Fußvolk mit Spieß oder Hellebarde. Es iſt alſo genau die— 
ſelbe Gegenüberſtellung, und ſo ließen ſich aus dem Gang der 
Schweizer- und Burgunderſchlachten Rückſchlüſſe gewinnen 
über das Zuſammenſtoßen einſt der Perſer und der Griechen 
bei Marathon und Platää; und davon auch auf die Römer, 
die in der älteſten Zeit zweifellos dieſelbe kriegeriſche Phalanx 
gehabt haben. Die Legionar-Phalanx war notwendig ge— 
worden aus demſelben Grunde, der zuerſt die außerordentlich 
ſtarke Ritterſchaft geſchaffen hatte, nämlich weil die Römer 
einen unverſöhnlichen Feind, einen Raſſenfeind, die Etrusker, 
in ihrer unmittelbaren Nähe hatten. Sie find ja auch zeit: 
weilig unter der Herrſchaft der Etrusker geweſen, haben ſie 
aber wieder abgeſchüttelt. In dieſem Kampfe genügte die 
Ritterſchaft nicht, ſondern ſie mußte ſich ergänzen durch ein 
geordnetes Fußvolk. Fußvolk war freilich wohl auch früher 
dabei, aber in der Weiſe, wie die Trojaner und Achäer 
Hector und Achill unterſtützten, oder die begleitenden Knappen 
im Mittelalter die Ritter. Über das Verhältnis von Fuß— 
volk und Reiterei haben wir zwei Ausſprüche von Ariſtoteles 
und Friedrich dem Großen, die faſt wörtlich übereinſtimmen, 
obgleich Friedrich den Ausſpruch von Ariſtoteles ſicher nicht 
gekannt hat. Sie ſagen beide“): „Fußvolk taugt erſt etwas, 
wenn es feſt zuſammengeſchloſſen iſt; iſt es aufgelöſt, fo 
genügt eine ſchwache Abteilung Kavallerie, es zu vernichten.“ 
Die römiſchen Könige haben alſo mit ihrer großen politiſchen 
Autorität die des Kriegertums halb entwöhnte latiniſche 
Bauernſchaft zu einem feſten, geſchloſſenen diſziplinierten 
) Geſchichte der Kriegskunſt II, 424. 


100 Abſchaffung des Koͤnigtums in Rom. 


Haufen zuſammenzufaſſen und damit eine brauchbare Krieger— 
ſchaft zu Fuß zu ſchaffen verſtanden. Mit dieſer Schaffung der 
Legionar⸗-Phalanr kommt nun ein Gegenſatz in die Ver— 
faſſung des römiſchen Staats. Das römifche Volk iſt bis 
dahin völlig einflußlos geweſen. Es lebte in der Furcht 
des Herrn. Die Überordnung der gottbegnadeten Familien 
des Patriziats und die ſtrenge Gewalt des Königs, der 
immer mit den Liktoren mit Beil und Ruten hinter ſich 
einherging und jedem Befehl unbedingten Gehorſam ver— 
ſchaffte, hatte das Volk mit dem Geiſt des Gehorſams bis 
in das letzte Nervenbündelchen erfüllt. Nun aber iſt dieſe 
Bauer- und Kleinbürgerſchaft wieder zu kriegeriſcher Tüchtig— 
keit heraufgebildet worden. Wird dieſe Kriegerſchaft ſich 
weiter dauernd ſo unter das gottbegnadete Regiment des 
Patriziats und ſeiner Führer unterordnen? Dieſe Spannung 
iſt aber nicht die einzige, die den Staat bewegt. Indem 
die Patrizierſchaft einen von ſich mit jener furchtbaren 
Autorität bekleidete, um die Maſſen in Ordnung zu halten 
und zu bändigen, hat ſie damit dem König ja auch über 
ſich ſelbſt Gewalt gegeben, und namentlich, die Überlieferung 
zeigt davon gewiſſe Spuren, liegt in dem Königtum eine 
natürliche Tendenz, ſich erblich zu machen. Dieſe Neigung 
der einmal exiſtierenden Gewalt, ſich erblich zu machen, 
und überhaupt die Möglichkeit für den regierenden König, 
das Mitregiment des Senats beiſeite zu ſchieben, hat von 
je zwiſchen dem König und ſeiner Genoſſenſchaft einen 
Gegenſatz hervorgerufen, neben den nun die zweite Spannung 
tritt, zwiſchen dem Patriziat und dem militärifch organifierten 
Plebejertum. Das hat dann unter Umſtänden, die uns 
nur rein legendär berichtet ſind, endlich zur Abſchaffung 
des Königtums geführt; d. h. ſtatt des einen lebens— 
länglichen Oberbeamten wurden von jetzt an zwei gewählt 


Konſular⸗Verfaſſung. 101 


und dieſe nur auf ein Jahr; fie wurden Konſuln (urfprüng: 
lich Prätoren) genannt. Im übrigen aber bleibt die höchſte 
Gewalt, was ſie iſt, nur beſchränkt dadurch, daß ſie ſich 
zwiſchen zwei teilt, von denen jeder das Recht hat, dem 
anderen eine Interzeſſion anzuſagen, d. h. eine Amts— 
handlung zu verhindern, und mit der Verpflichtung, am 
Schluß des Jahres das Amt zugunſten eines Nachfolgers 
niederzulegen. Dieſe beiden Konſuln ſollten gewählt werden 
durch das Heer, d. h. alſo, durch das militäriſch organifierte 
Volk, durch die Plebs. 

Mit der Konſulatsverfaſſung kommt in die römiſche 
Verfaſſung, die bisher rein ariſtokratiſch-monarchiſch iſt, das 
demokratiſche Element als unausweichliche Folge der kriege— 
riſchen Organiſation des Volkes, die auf die Länge not— 
wendig eine politiſche Geltendmachung hervorbringt. Wir 
haben von nun an in der römiſchen Verfaſſung ein Doppel— 
ſpiel: Das hohe Beamtentum, das Konſulat, das ſich 
nachher noch in weitere Amter differenziert, und die Volks— 
verſammlung, die dieſe Konſuln wählt, beſſer ausgedrückt: 
deſigniert. Denn das römiſche Staatsrecht beſagt nicht 
etwa, daß der, den das Volk gewählt hat, nun Konſul iſt, 
wie bei uns ein Reichstagsabgeordneter gewählt iſt an 
dem Tage, wo der Wahlkommiſſar feſtgeſtellt hat: die 
Mehrheit iſt für ihn geweſen — ſondern der Konſul tritt in 
ſein Amt erſt dadurch, daß der Vorgänger ihm unter ge— 
wiſſen heiligen Zeichen und Kulthandlungen ſeine Gewalt 
übergibt. Wenn der vorige Konſul nicht niederlegte, ſo 
könnte der neue nicht antreten, dann hätte er nicht den 
heiligen Charakter und die wahre Autorität ſeines Amtes. 
Wir haben alſo in Rom eine ſich ſelbſt fortpflanzende, 
von den Göttern, nicht vom Volke, ſtammende, höchſte 
obrigkeitliche Gewalt in Wechſelwirkung mit einer Demo— 


102 Die Servianiſche Verfaſſung. 


kratie, inſofern, als die Männer, die die Gewalt gerade 
ausüben ſollen, von der Maſſe der Wähler beſtimmt werden. 
Die Fabel von Das Bild, das ich Ihnen hier vorgeführt habe, ſteht 
erſaſteng. in einem ſtarken Widerſpruch zu dem, was Sie wohl alle 
in der Schule und noch ſpäter auf der Univerſität gelernt 
haben, das iſt die ſervianiſche Verfaſſung. Der König 
ſoll hiernach nicht das Volk in ſeiner Maſſe zur Wahl be— 
rufen, ſondern es erſt künſtlich in fünf Klaſſen eingeteilt 
haben nach dem Vermögen und dadurch nicht, wie ich es 
Ihnen vorgeführt habe, ein Nebeneinander von Ariſtokratie 
und Demokratie, ſondern eine Herrſchaft des Mittelſtandes 
eingeführt haben. Das wäre allerdings etwas durchaus 
Anderes. Aber es verträgt ſich nicht mit dem ganzen Gang 
der römiſchen Geſchichte, die nie etwas von einem ſolchen 
Mittelſtand zeigt. Nachdem mir ſchon lange der Verdacht 
aufgegangen war, daß hier in der Überlieferung ein Fehler 
ſtecken müſſe, hat einer von meinen Schülern, Francis 
Smith, daraufhin die römiſchen Quellen noch einmal genau 
durchgeforſcht, und was hat er feſtgeſtellt? Dieſe berühmte 
ſervianiſche Verfaſſung iſt eine Erfindung der Catoniſchen 
Zeit, und zwar eine Tendenzerfindung. Der alte Cato, der 
Cenſor, als er ſah, daß das römiſche Staatsweſen degenerierte, 
hat den Verſuch einer, wie wir es heute nennen, Mittel— 
ſtandspolitik gemacht, und um das dem Volke plauſibler 
und genehm zu machen, da entdeckte ein kluger Antiquar 
eines Tages ein Blatt mit der ſervianiſchen Verfaſſung. 
Nicht vermoͤge einer Neuerung, ſondern unter Wieder— 
herſtellung der alten Sitte der Väter ſollte das Volk nicht 
mehr nach allgemeinem gleichen Stimmrecht abſtimmen, 
ſondern in Klaſſen eingeteilt werden. Das geſchah im 
Jahre 179, wie es uns Livius berichtet, welche Stelle man 
früher nicht zu verſtehen vermochte. Den Vorfall, daß eine an⸗ 


Analogien zur Servianiſchen Verfaſſung. 103 


geblich gefundene alte Urkunde benutzt wird, um eine irgendwie 
reformierte oder ſonſtwie neugeſchaffene Politik damit zu 
begründen, haben wir im Altertum wenigſtens drei- bis 
viermal. Als bei den Juden die Frommen den Jahvedienſt 
durchführen und gegen alle bisherigen Anfechtungen ſichern 
wollten, da wurde unter König Joſias, etwa im Jahre 600 v. Chr., 
ein Stück Geſetzbuch gefunden, das wir heute im fünften 
Buch Moſes haben. Und als wiederum die Juden zurück— 
kamen aus der babyloniſchen Verbannung und nun das 
Volk in den feſten Formen der theokratiſchen Verfaſſung 
zuſammengehalten werden ſollte, da fand man abermals 
eine heilige Schrift, den Prieſter-Kodex, der heute einen 
großen Teil des Pentateuch ausmacht. Als die Ariſto— 
kraten in Athen einen Verfaſſungsumſturz machen wollten, 
im Jahre 411, da fand man die Verfaſſung des Drakon. 
Als in Sparta eine Reformgeſetzgebung gemacht werden 
ſollte, fand man die Geſetzgebung des Lykurg. 

Alle dieſe Geſetzgebungen ſind alſo Fiktionen einer 
ſpäteren Zeit, die einer beſtimmten Tendenz dienen ſollten 
und ſo geſchickt gemacht waren, daß ſie die Jahrhunderte 
wirklich genasfuͤhrt haben. Sobald aber einmal erkannt 
iſt, daß in Rom niemals ein Mittelſtand als politiſche 


Potenz hervortritt, ſondern immer nur ariſtokratiſche 


Magiſtratur auf der einen, Demokratie auf der anderen 
Seite, kommt man bald zu dem Schluß, daß auch die 
vielgerühmte Verfaſſung des Königs Servius Tullius in 
die Sammlung dieſer frommen Täuſchungen gehört. 

Die römiſchen Staatsrechtslehrer haben den Grundſatz 
aufgeſtellt, daß die Souveränität beim Volke ſei, d. h., 
wie wir es jetzt beſſer ausdrücken, da uns der Begriff 
„Volk“ zu myſtiſch iſt, bei der Wählerſchaft. Es iſt vor— 
gekommen, daß eine Volksverſammlung ſich über die 


Der römiſche 
Dualismus. 


104 Ariſtokratie und Demokratie in Rom. 


beſtehenden Geſetze und ſtaatsrechtlichen Bedenken hinweg— 
geſetzt hat kraft der dem Volk zuſtehenden Souveränität. 
Danach wäre Rom eine reine Demokratie geweſen. Un— 
mittelbar daneben aber finden wir, daß die hohen Amter, 
die Magiſtratur, nicht vom Volk vergeben werden, ſondern 
ſich ſelbſt fortpflanzen, und daß das Volk nur die Träger 
dazu deſigniert, und zwar das Volk in ſeiner militäriſchen 
Organiſation. Kompagnieweiſe, centurienweiſe treten die 
Wähler an und geben offen ihre Stimme vor dem höchſten Vor— 
geſetzten zu Protokoll. Wir haben alſo eine Demokratie unter be⸗ 
hördlicher Autorität, und wo die militäriſche Autorität nicht 
genügte, da half die prieſterliche nach. Man beobachtete bei 
den Römern immer mit großer Aufmerkſamkeit den Vogel— 
flug, der den Alten Unglück oder Glück bedeutete, wie wir 
ſchon aus der Ilias wiſſen, wo Hektor ſich dagegen auf: 
lehnt. Wenn ein Konſul vor der Volksverſammlung ſteht 
und merkt, daß die Volksverſammlung nicht ſo arbeitet, 
wie er es wünſcht, ſo kann es geſchehen, daß er plötzlich 
am Himmel unheilverkündende Vögel erblickt. Sie waren 
zwar fchon weg; aber er hatte fie geſehen und mußte zu 
ſeinem Bedauern die Volksverſammlung wieder nach Hauſe 
ſchicken. Oder wenn es zur Schlacht gehen ſollte und es 
darauf ankam, daß der Soldat Vertrauen zum Siege habe, 
ſo hatte man dafür heilige Vögel mit in einem Käfig. 
Wenn die heiligen Huͤhner die Körner, die ihnen vorgeworfen 
wurden, begierig aufpickten, dann war das ein gutes Zeichen, 
und der Augenblick für die Schlacht günſtig. Wenn ſie 
aber keinen Appetit hatten und das Korn nicht aufnahmen, 
ſo war das ein deutliches Zeichen, daß keine günſtige Ge— 
legenheit zur Schlacht war. Ein Konſul Claudius ſoll 
einmal bei einer Seeſchlacht, als die Vögel nicht freſſen 
wollten (der Vogelwärter hatte vielleicht die Anweiſung des 


Die Volkstribunen. 105 


Konſuls über die Fütterung mißverſtanden) gerufen haben: 
„Wenn ſie nicht freſſen wollen, ſo mögen ſie ſaufen!“ und 
warf ſie über Bord. Er verlor aber auch die Schlacht. 
Um ſo beſſer wußte nun das römiſche Volk, von welchem 
Nutzen die Religion für den Staat ſei, und wählte gern ſeine 
Obmänner aus den Familien, die von den Göttern ſtammten 
oder ſich doch mit den Göttern in einen wunderbaren Rapport 
zu ſetzen verſtanden und von ihnen die Zukunft erfuhren, 
und gehorchte ihnen. 

Imperium und Augurium, wie Cicero es ausdrückt, 
oder wie wir heute ſagen, die Blauſchwarzen regierten das 
römiſche Volk, und wenn es hierbei geblieben wäre, fo 
hätte, obgleich das Volk die Magiſtrate wählte, die Demo— 
kratie in Rom wenig zu bedeuten gehabt. In langen 
Kämpfen ſchuf ſie ſich deshalb neben der ſtaatlichen Wahl— 
und Abftimmungsorganifation, den Centuriat-Komitien, eine 
eigene Organiſation der Plebs in den Tribut-Komitien, mit 
den Volkstribunen an der Spitze. Dieſe haben aber ur— 
ſprünglich keine obrigkeitlichen Befugniſſe, ſondern nur Be— 
fugniſſe etwa vergleichbar einer modernen Volksvertretung; 
ihnen gegenüber ſteht die Magiſtratur, die die Staatshoheit 
als ſolche repräſentiert. Das tun die Volkstribunen nicht. 
Die Doppeltheit des römiſchen Staates prägt ſich vortreff— 
lich aus in der bekannten Formel, ich möchte ſie die Staats— 
formel nennen, „Senatus Populusque Romanus“. Was 
iſt der Senat? Der Senat ift in der älteften Zeit die Ver: 
einigung der Patrizier. Er wird jetzt zur Vereinigung aller 
hohen Beamten. Alle, die einmal Konſul, Prätor, Aedil 
geweſen ſind, die bilden zuſammen den Senat. Alſo wenn 
wir einen Senat heute in unſeren Verhältniſſen in Preußen 
bilden wollten, ſo wären es nicht die Mitglieder des Ab— 
geordnetenhauſes, nicht die des Herrenhauſes, ſondern ein 


Die Volks⸗ 
tribunen. 


106 Der Senat. 


Senat im römiſchen Sinne würde entftehen, wenn wir die 
ſämtlichen Regierungspräſidenten, Oberpräſidenten, Gerichts— 
präſidenten, General⸗Superintendenten, Biſchöfe, Generale 
in und außer Dienſt (der römiſche Konſul vereinigt ja alles das 
in ſich; er hat auch prieſterliche Funktionen) zu einem 
großen Staatsrat vereinigen würden. Was würde eine 
ſolche Verſammlung für eine gewaltige Autorität ausüben, 
wo alle politiſche Intelligenz vereinigt iſt, und um ſo mehr 
war ſie das in Rom, als mit der Zeit die ſtrengen Kreiſe des 
Patriziertums ſich auflöſten, das Plebejertum das Recht ge— 
wann, auch in die hohen Ämter gewählt zu werden und damit 
der Unterſchied zwiſchen Patriziertum und Plebejertum ſich 
allmählich verwiſchte! Aber das Patriziertum hält ſich ſo 
lange, daß die neu aufkommende Oberſchicht des Plebejer— 
tums ebenfalls ariſtokratiſchen Charakter annimmt. Man 
nennt dieſe neue Ariſtokratie Nobilität. Die Nobilität 
bilden alſo diejenigen großen Familien, die die hohen Amter 
gewohnheitsmäßig innehaben. Sie haben ſich zu dieſem Zweck 
längſt von Handel und Wandel, Induſtrie und Vermoͤgens— 
gewinnung auf kapitaliſtiſchem Wege losgelöſt und leben 
nur dem Staat — aber auch vom Staat. Der Kern der 
Nobilität iſt der Senat. Man fragt ſchließlich gar nicht 
mehr, ob ein Mann Patrizier oder Plebejer iſt, wenn er 
in ein hohes Amt kommt. Der Unterſchied zwiſchen 
Patrizier und Plebejer verſchiebt ſich ſo ſehr, daß der 
typiſche Vertreter der ſtolzen römiſchen Ariſtokratie in der 
Tradition ein Plebejer iſt, nämlich Cato. Die Porcier 
ſind ein plebejiſches Geſchlecht, das aber im Laufe der 
Generationen ganz in den Kreis der regierenden Familien 
eingetreten iſt. „Senatus Populusque Romanus“ iſt 
deshalb die Staatsformel, etwa wie wir ſie jetzt brauchen, 
wenn es heißt: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden 


Die Wahl⸗Maſchinerie in Rom. 107 


König von Preußen verordnen mit Zuſtimmung beider 
Häuſer des Landtags.“ Der Dualismus der römiſchen 
Verfaſſung bringt es mit ſich, daß die inneren Kämpfe 
niemals aufhören. Immer wieder ſuchen die Volkstribunen 
ihre Macht zu erweitern und bei den Wahlen auch ihre 
Freunde ins Konſulat zu bringen. Die Nobilität wehrt 
ſich dagegen vermöge ihres Anſehens, ihres Reichtums und 
ihrer Klientel meiſt mit Erfolg. Unter dieſer Verfaſſung 
iſt Rom nicht nur groß geworden, ſondern hat es die Welt 
erobert. Die Verfaſſung funktionierte trotz der dauernden 
inneren Spannung und der ewigen Streitigkeiten ſogar 
ſehr gut, ſo lange der Kanton Rom klein war. Wie nun 
aber Rom wächſt, allmählich über ganz Italien hinaus, 
wächſt auch die römiſche Bürgerſchaft, und zwar wächſt ſie 
ganz beſonders ſchnell, weil in dieſem Punkt, vielleicht dem 
einzigen, der römiſche Senat außerordentlich liberal iſt, 
nämlich in der Erteilung des Bürgerrechts. Die atheniſche 
Demokratie war darin ſehr kleinlich und wünſchte nicht, 
daß andere Griechen, die in Athen einwanderten, gleich 
das atheniſche Bürgerrecht bekämen. Aber in Rom ent: 
ſcheidet als höchſte Verwaltungsbehörde der Senat, und 
dem iſt es gerade recht, daß er ganze Gemeinden und 
ganze Stämme ſchließlich in das römiſche Bürgerrecht 
aufnehmen kann. Denn je größer die Maſſe der Bürger 
wird, deſto leichter iſt ſie zu manipulieren, deſto leichter 
ſind die Wahlabſtimmungen zu machen. Wie können 
denn überhaupt all die Bürger, vielleicht 250000, auf 
dem Marsfeld zuſammenkommen und abſtimmen? Das Aoſtimmungs— 
iſt der reine Spott, wo doch der größte Teil der Bürger "dus in Rom. 
ſchaft weit ab, bis ans Adriatiſche Meer, bis an den 
Po, wohnt. Was iſt überhaupt dieſe Abſtimmung für 
die Bürger, die mehr als einen Tagemarſch weit von Rom 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 8 


108 Roͤmiſche Wahlen. 


wohnen? Dieſem Hindernis kam man von Anfang an 
dadurch entgegen, daß nicht nach Köpfen abgeſtimmt wurde, 
ſondern nach Tribus oder nach ihren Unterabteilungen, nach 
Centurien“), d. h. alſo, nicht ſoviel tauſend Nein gegen 
ſoviel Ja, ſondern ſoviel Tribus reſp. Centurien für und 
ſoviel gegen. Die Centurien oder Tribus der Stadt Rom 
haben alſo nicht mehr zu bedeuten, als eine Tribus etwa 
oben bei den Umbriern oder unten in Lukanien, von denen 
nur ein kleiner Teil der Bürger zufällig in Rom iſt und 
ſeine Stimme abgibt. 

Die letzte Tribus iſt errichtet worden zwiſchen dem 
erſten und zweiten punifchen Kriege, das war die 35. 
Später ſind keine mehr errichtet worden, ſondern neue 
Bürger wurden den ſchon beſtehenden Tribus zugeteilt. 
Man erkennt, daß nunmehr die Abſtimmung ganz und 
gar davon abhängt, wie die Wahlorganiſation Leute hinein— 
bringt in die Tribus, die nicht in Rom anſäſſig ſind. Wie 
dieſe Wahlorganiſation, der Kaukus, in Rom organiſiert 
geweſen iſt, und wie er funktioniert hat, davon wiſſen wir 
leider nichts. Er muß aber in ganz durchgreifender Weiſe 
exiſtiert haben. Denn die führenden Familien haben ein 
großes Intereſſe daran, wer in das Konſulat kommen ſoll. 
Dem Volk wird es ziemlich gleichgültig geweſen ſein, wer 
gewählt wurde, ob ein Fabius oder ein Claudius, ein 
Cornelius oder ein Cäcilius; aber dieſen Familien lag ſehr 
viel daran, ob ſie die richtige Zahl der Centurien manipuliert 
hatten. Denn der Gewählte hatte für das nächſte Jahr 
ein hohes und zugleich, wenn es Krieg gab, durch die Beute, 
ſpäter beſonders durch die Verwaltung der Provinzen im 

) Daß die Centurien nichts als Unterabteilungen der Tribus find, 


glaube ich in der zweiten Luflage der „Geſchichte der Kriegskunſt“ 
nachgewieſen zu haben. 


Roͤmiſcher Bundesgenoſſenkrieg. 109 


Prokonſulat, auch äußerſt einträgliches Amt. Wir haben 
freilich einen Brief des Quintus Cicero an ſeinen Bruder 
Marcus, wie man das Konſulat in Rom erwerben müſſe. 
Aber gerade von den Geheimniſſen der Wahlmache iſt in 
dem Brief ganz und gar nicht die Rede, ſondern es wird 
immer nur von der Ehre und dem Glück, Konſul des welt— 
beherrſchenden Rom zu ſein, geſprochen. Gewiß war dieſe 
Ehre ſehr groß, aber die Demokratie wird in dieſer Aus— 
geſtaltung eigentlich zum Spott ihrer ſelbſt. Sie kann gar 
nicht mehr demokratiſch funktionieren, und wir ſehen ſofort, 
warum. Es fehlt ein Gedanke, der ja uns in einer ſolchen 
Lage auf der Zunge ſchweben würde: die Repräſentation. 
Weshalb müſſen die Bürger aus dem ganzen Reich jedes— 
mal perſönlich in Rom abſtimmen? Warum wird nicht 
durch Wahlen im ganzen Land eine Repräſentation des 
römiſchen Volkes gegenüber dem Senat geſchaffen? Dieſe 
Frage wiederholt ſich noch intenſiver, wenn wir ſehen, wie 
die Teile Italiens, denen das römiſche Bürgerrecht vorent— 
halten wird, endlich dagegen rebellieren. Allmählich waren 
auch die Römer engherzig geworden, wollten Andere nicht 
an ihren Vorteilen teilnehmen laſſen und verſagten auch 
langbewährten Bundesgenoſſen das Bürgerrecht. In der 
Empörung darüber wollten die Bundesgenoſſen die Herr— 
ſchaft Roms abſchütteln, und ſchufen einen eigenen Staat 
mit der Hauptſtadt Corfinium. Wir haben Münzen, die 
dort geprägt ſind, worauf das Wahrzeichen Italiens, ein Stier, 
einen Wolf, das iſt das Wahrzeichen Roms, mit ſeinen Hörnern 
niederſtößt. Wir wiſſen auch, wie dieſe neue Republik 
ihre Verfaſſung geſtalten wollte. Sie war ganz einfach 
der römiſchen nachgeſchrieben. Auch hier wurde verlangt, 
daß der Bürger, der ſein bürgerliches Recht ausüben wollte, 
zur Abſtimmung in die Hauptſtadt pilgerte. Es iſt lange ſchon 
8 * 


Fehlen des 
Repräſentativ⸗ 
Gedankens in 
Rom. 


110 Zentraliſation in der Stadt Rom. 


die Frage aufgeworfen worden, warum wenigſtens hier nicht ein 
Repräſentativſyſtem organiſiert wurde; aber eine Antwort iſt 
darauf bisher kaum gegeben worden. Einen der weſentlichſten 
Gründe haben wir im Eingang dieſer Betrachtungen kennen 
gelernt: daß nämlich die Schöpfung eines Volkswillens auf dem 
Wege einer Repräſentation eine Illuſion iſt. Das Fiktive einer 
ſolchen Einrichtung war den Alten von vornherein ſo klar, daß 
ſie es gar nicht erſt damit verſucht haben, um ſo mehr, da ihnen 
ja die techniſchen Mittel, zwiſchen Wählern und Gewählten 
einen Rapport, eine Kontrolle zu unterhalten, beſonders 
die Offentlichkeit vermöge einer weitverbreiteten Preſſe, noch 
fehlten. Die Repräſentation war des weiteren unmöglich, 
weil keine genügend einheitliche Geſinnung in dieſem Ge— 
miſch verſchiedener Stämme auf italieniſchem Boden 
exiſtierte. Hätte man in den einzelnen Landſchaften wählen 
laſſen, jo wäre ſofort die Gefahr entftanden, daß fie wieder 
zu ihrer Selbſtändigkeit zurückzukehren wünſchten. Nur 
durch die ſchärfſte Zentraliſation der Wahl in der einen 
Stadt wurde die Einheit aufrecht erhalten. Wir wollen 
uns aber darein nicht vertiefen, ſondern nur feſtſtellen, daß 
das Altertum den Repräſentativgedanken nicht gekannt hat, 
ſondern nur die direkte Bürger-Abſtimmung mit der eigen— 
tümlichen kleinen Konzeſſion der Abſtimmung nach Tribus 
oder Centurien ſtatt nach Köpfen. Wir wiſſen ja jetzt, 
daß auch unter den heutigen Verhältniſſen die Repräſentation 
ein ſehr dürftiger Gedanke iſt, wo Ausführung und Idee ſehr 
weit auseinander klaffen. Im Altertum hielt man es mit 
Recht für unmöglich, auch nur ſo weit zu gehen. Auch in 
Athen war uns die Feſtſtellung von Intereſſe, daß die 
Boulé keine Wahlrepräſentation iſt, ſondern durch das Los 
aus dem Volke beſtimmt wird. 

An der Umöglichkeit, die Demokratie zu organiſieren, 


Untergang der Republik in Rom. 111 


iſt ſchließlich die römiſche Republik zugrunde gegangen. Die 
Verfaſſung, die im Stadtſtaat funktioniert hatte, verſagte 

in dem jetzt durch die Eroberungskriege geſchaffenen ge— 

waltigen Flächenſtaat. Die Maſchine fängt an zu ſchleudern; 

ſie arbeitet nicht mehr. Man ſtürzt aus einer Revolution 

in die andere, aus einem Staatsſtreich in den anderen. Die 

Macht geht endlich über auf einen Feldherrn, den Imperator, 

der ſich nicht König nennt, auch nicht König iſt, ſondern 

ſeinen Titel nimmt von dem erſten Inhaber der Gewalt, 

Cäſar. Das Cäſartum oder Kaiſertum, das dauernd mehr 

den Charakter eines Amtes als eines erblichen Königtums ge— 

habt hat, iſt der Erbe der römiſchen Demokratie. In der ganzen 5 e 
römiſchen Imperatorepoche iſt nur dreimal ein Sohn auf der römiſchen 
den Vater gefolgt. Das Kaiſertum ſucht allmählich die Demokratie. 
ganze Staatsgewalt an ſich zu ziehen, nachdem es anfäng— 

lich noch dem Senat weſentliche Funktionen überlaſſen hat. 

Zu einem wirklich organiſchen Zuſammenwirken zwiſchen 
Imperator und Senat, wie einſt zwiſchen der Volksver— 
ſammlung etwa und der Magiſtratur, iſt es nicht gekommen. 

Unſer Ergebnis iſt: Rom iſt groß geworden mit einer 1 
dualiſtiſchen Verfaſſung, einer Verfaſſung, in der es niemals e 
zum Ausgleich zwiſchen zwei entgegengeſetzten Prinzipien ge— 
gekommen iſt, nie zu der Entſcheidung der Frage, wo 
eigentlich die Souveränität liegt. Wenn auch die Staats: 
rechtslehrer ſagen, wie wir gehört haben, das Volk iſt 
ſouverän, ſo haben wir geſehen, daß eine dauernd heilig 
gehaltene Praxis dem direkt widerſpricht. Auch heute im 
deutſchen Reich zerbrechen ſich die Staatsrechtslehrer die 
Köpfe, wo eigentlich die Souveränität liegt, ob bei den 
einzelnen Bundesfürſten, ob beim Reich, ob beim Kaiſer, 
ob bei der Gemeinſchaft der Fürſten. Die Frage iſt un- 
lösbar. Das römiſche Beiſpiel mag uns darüber tröſten, 


Das 
Frankenreich. 


112 Die Merowinger. 


wenn das deutſche Volk nur im übrigen erfolgreich geführt 
wird. Eine ſtarke Autorität von Gottes Gnaden und der 
Wille der großen Maſſe, die beide fortwährend aufeinander 
einwirken, dauernd in einem ſchwebenden Gleichgewicht 
bleiben, das machte die Stärke Roms und hat ihm die 
Herrſchaft erſt über den latiniſchen Stamm, dann über 
Italien, dann über die Welt gegeben. 

Vom römiſchen Kaiſertum wollen wir übergehen zu 
den germaniſchen Reichen auf römiſchem Boden, und zwar 
ſofort zu demjenigen von ihnen, das allein dauernden Be— 
ſtand gehabt hat, zu dem Frankenreich. Alle anderen ger— 
maniſchen Reiche auf römiſchem Boden ſind gegründet 
worden durch wandernde, erobernde Völker. Das Frankenreich 
dagegen iſt gegründet worden durch einen erobernden König. 
Chlodwig und ſeine Söhne brachten zuerſt eine Reihe von 
kleineren fränkiſchen Stämmen unter ihre Oberhoheit und unter- 
warfen dann das ganze noch römiſche Gallien, indem von 
den Franken ſelbſt nur ein geringer Teil den heimiſchen 
Boden verließ und einige Gebiete an der Grenze in Beſitz 
nahm, in der Hauptſache aber das römiſche Land als unter— 
worfenes Gebiet behandelt und mit der dünnen Schicht 
eines neuen regierenden germanifchen Krieger: und Herren⸗ 
ſtandes überzogen wurde. Die einzige Einheit in dieſem 
Staat war alſo die Dynaſtie. Der bei weitem größere 
Teil der Volksmaſſe war romaniſch, und ſelbſt die germa— 
niſchen Teile hatten unter ſich ſehr wenig Berührung und 
wenig Gemeinſames. 

Die Dynaſtie hatte den Staat gemacht, und infolgedeſſen 
behandelte ſie ihn auch als ihr Eigentum. Wäre die Dynaſtie 
fortgenommen worden, ſo wäre gar kein Zuſammenhalt 
mehr in dem Staat geweſen. Der König alſo ſieht ſein 
Reich an wie ein Gut; verteilt es je nach der Zahl der 


Die erſte Magna Charta. 113 


Söhne, die er gerade hat, unter fie als Erbe. Es kann 
keinen ſtärkeren Beweis von der Urgewalt des König— 
tums geben, als daß es den Staat behandelt wie einen 
Privatbeſitz. Die erſten 100 Jahre der Merowingiſchen 
Herrſchaft ſind deshalb auch eine Epoche des allerextremſten 
Deſpotismus. Obgleich die alten germaniſchen Begriffe, 
daß das Heer neben und über dem König ſteht und ſeinen 
Willen kundgibt — und das Heer iſt das Volk — weiter be— 
ſtehen, ſo können ſie doch gar keine praktiſche Wirkung 
haben, da ja in dem rieſigen Frankenſtaat, vom Ozean bis 
an die mittlere Donau, von der Nordſee bis an die Pyrenäen, 
immer nur ein ganz minimaler Teil des wirklichen Heeres 
oder der heerfähigen Krieger zuſammenkommen kann. Über 
hundert Jahre haben ſich die Franken dieſen Deſpotismus 
gefallen laſſen; endlich aber empören ſie ſich dagegen und 
die Dynaſtie gibt ihnen dazu die Möglichkeit durch ihre 
Familienzwiſtigkeiten. 

Als König Clothar II., der Sohn der Fredegunde, die 
Feindin ſeiner Mutter, die Königin Brunhilde in ſeine 
Gewalt gebracht und zu einem gräßlichen Tode (ſie wurde 
von einem wilden Pferde zu Tode geſchleift) verurteilt hatte, 
mußte er den Franken, die ihm zu dem Siege verholfen 
hatten, ein verfaſſungsmäßiges Verſprechen geben, deſſen 
Hauptbeſtimmung war, daß er in Zukunft zu Grafen nur 
eingeſeſſene Großgrundbeſitzer ernennen würde. Dieſes Edikt 
von Paris vom Jahre 614 iſt die erſte der zahllofen Ur: 
kunden in der romaniſch-germaniſchen Geſchichte, für die 
600 Jahre fpäter in der engliſchen Geſchichte der Name 
„Magna Charta“ gebraucht worden iſt, und die alle be— 
ſtimmt ſind, die Gewalt des Königs irgendwie einzuſchränken. 
Wieviel Großgrundbeſitzer wird es in einer Grafſchaft geben, 
die die Qualifikation haben, die Grafſchaft zu verwalten? 


Das 
Edikt von 614. 


114 Den mittelalterlihen Staaten 


Indem der König gebunden iſt, nur einen von dieſen zum 
Grafen zu ernennen, gibt er einen weſentlichen Teil der 
Gewalt an dieſen Stand ab, und das Grafenamt umfaßt 
alles, die Verwaltung, das Gericht, das militäriſche Kommando. 
Von dieſem Edikt von 614 an entwickelt ſich in den 
germaniſch-romaniſchen Ländern wieder eine Art Dualismus 
in der Staatshoheit, wie wir ihn im republikaniſchen Rom 
kennen gelernt haben, eine Doppelgewalt, die ſich gegen— 
ſeitig einſchränkt. 

Im römiſchen Imperium iſt es zu einer ſolchen Ein— 

A des ſchränkung des Kaiſertums durch den Senat nicht gekommen 
römiſchen Kaiſer⸗und konnte dazu nicht kommen, obgleich es angeſtrebt 
tums und des wurde. Denn der Kaiſer iſt der Herr der gewaltigen diſzi— 

deutſchen Könige „, 8 8 „ 
tums. plinierten Söldnerarmee und des Prätorianerkorps in 
Rom, das ihm unbedingt gehorcht, ihn, wenn es nicht mit 
ihm zufrieden iſt, vielleicht umbringt; aber, ſolange es ihn 
als Kaiſer anerkennt, alles ausführt, was er befiehlt. Was 
will jede konſtitutionelle Beſtimmung, jede andere Gewalt 
gegen ein ſolches Söldnerheer? Gegen eine aus Germanen 

beſtehende Leibwache? 

Das gibt es im Frankenreich nicht; denn es gibt kein 
ſtehendes Heer, es gibt kein diſzipliniertes Heer. Das 
römiſche diſziplinierte Heer iſt zuſammengebrochen bereits 
im dritten Jahrhundert, und damit iſt das römiſche Reich 
dem Barbarentum ausgeliefert. An die Stelle der römiſchen 
diſziplinierten Legionen treten zuerſt die barbariſchen 
Soldaten, dann kommen barbariſche wandernde Völker, 
und endlich bemächtigen ſich dieſe der Herrſchaft. Denn 
der Barbar iſt der natürliche Krieger. Der zivilifierte 

Aut Menſch verliert notwendig von den kriegeriſchen Eigen: 
militäriſchen ſchaften, je höher ſeine Kultur ſteht, und nur durch das 
Disziplin. Kunſtgebilde der Difziplinierung, iſt die kriegeriſche Kraft 


fehlt die Armee. 115 


gleichzeitig wieder herzuſtellen und mit der Kultur in Ver— 
bindung zu halten. Darum hat Scharnhorſt das ſchöne 
Wort geſprochen, daß das ſtehende Heer die Grundlage jeder 
Ziviliſation ſei, weil es die höher gebildeten Völker be— 
fähige, ſich gegen die roheren zu behaupten. 

Das römiſche Reich hat es ſchon erfahren: als es kein 
diſzipliniertes Heer mehr hatte, war es dem Barbarentum 
ausgeliefert, und die barbariſchen Krieger haben ſich als 
Kriegerſtand des größten Teils des römiſchen Reichs be— 
mächtigt und dort neue Staatsweſen aufgerichtet. Was 
hatten fie für eine Kriegsverfaſſung? Ein dilzipliniertes 
Heer gibt es nicht mehr, kann auch nicht mehr aufgeſtellt 
werden, weil ſeit dem dritten Jahrhundert die Welt aus 
der Geldwirtſchaft zurückgeſtürzt iſt in die Naturalwirtſchaft. 
Zu einem diſziplinierten Heer gehört eine regelmäßige Geld— 
wirtſchaft, eine regelmäßige Steuererhebung und regelmäßige 
Soldzahlung. Weit über 1000 Jahre iſt die Kulturwelt 
in der Naturalwirtſchaft geblieben, und damit läßt ſich kein 
ſtehendes Heer vereinigen. An deſſen Stelle tritt nun zu— 
erſt der barbariſche Kriegerſtand, der in das Reich eindringt 
und es ſich unterwirft, und der ſich dann umſetzt in den 
Feudalkriegerſtand, indem der König, die Grafen, auch 
einzelne Großgrundbeſitzer und ſpäter auch Biſchöfe und 
Abte auf ihren Gütern Krieger erhalten. Dieſe Verfaſſung 
bekommt dann die breitere Grundlage durch das Lehns— 
weſen. An den Höfen können immer nur wenige Krieger 
unterhalten werden, und der Krieger, dem der König um 
ihn zu halten, ein erbliches Gut gibt, verbauert. In 
ein bis zwei Generationen iſt er kein brauchbarer Krieger 
mehr. Darum ſchuf das fränkiſche Reich die Form des 
Lehnsweſens, d. h. die Überlaſſung eines Gutes an einen 
Krieger auf Lebzeiten; es fällt an den Thron oder an den 


FJeudal⸗ 
verfaſſung. 


116 Beſchraͤnkung der 


ſonſt Vergebenden zurück, wenn der Mann ſtirbt. Es muß 
immer von neuem verliehen werden, braucht alſo nur an 
ſolche verliehen zu werden, die die rechte Gegenleiſtung 
bieten, nämlich einen brauchbaren Krieger. 

Dieſe Lehnsverfaſſung wiederum gibt dem König nicht 
die ſtarke Hand des diſziplinierten Heeres, ſondern nur 
inſofern Gewalt, als die Lehnsritterſchaft, die in mehreren 
Stufen ſich aufbaut, dem Kriegsherrn wirklich folgt. In— 
dem nun in Franken von Clothar II. ab der König einen 
weſentlichen Teil der Staatsgewalt an die Großgrundbefiger, 
die auch Lehnsleute — Vaſallen — halten können, abgibt, 
da entſteht jener Dualismus, den der König nicht wieder 
beſeitigen kann, weil ihm die Machtmittel dazu fehlen. 
Umgekehrt aber wird auch durch dieſe Beſchränkung das 
Königtum in ſeinem Beſtande geſichert. Einen römiſchen 
Kaiſer konnte man durch keinerlei Verſprechungen wirklich 
binden, denn er hatte die Söldnerarmee; der fränkiſche 
König blieb tatſächlich gebunden, denn die, denen er das 
Verſprechen gegeben, waren ſelbſt der weſentliche Teil der 
bewaffneten Macht. Sie brauchten den Herrſcher nicht um— 
zubringen, wenn ſie mit ihm unzufrieden waren, ſondern 
konnten ſich mit ihm ſchlagen und auch wieder vertragen. 
Es bildet ſich der fundamentale Grundſatz der Legitimität. 
Die Franken erkennen keinen anderen König an als einen 
Merowinger. Sie können gar keinen anderen anerkennen, 
denn die Dynaſtie hat den Staat gegründet, hält allein 
den Staat zuſammen. Auch wenn ſie ſich gegen den König 
empören und ihn los ſein wollen, können ſie die Königs— 
krone doch nur einem aus demſelben Geſchlecht geben. Sie 
können ſich aber mit dem König auch wieder vertragen 
und ihn wieder anerkennen, weil ſein Recht von keiner 
Seite angefochten wird. Das iſt der Unterſchied zum 


Monarchie durch den Feudalismus. 117 


römiſchen Kaiſertum. Das Kaiſertum iſt entſtanden durch 
Taten der Gewalt und iſt immer weiter ausgebaut 
worden durch Taten der Gewalt. Das germaniſche König— 
tum iſt ein erbliches. Nur dreimal, wie ich ſchon geſagt 
habe, iſt im ganzen römiſchen Imperium ein Sohn auf 
den Vater in der Herrſchaft gefolgt. Die merowingiſche 
Dynaſtie hat ſich ein Vierteljahrtauſend hindurch behauptet. 
Ein erbliches Königtum, das in ſeinem Recht ſo ſicher iſt, 
kann ſich Beſchränkungen gefallen laſſen. Dem römiſchen 
Imperium, das nur eine faktiſche Macht iſt, iſt jede Be— 
ſchränkung ſeiner Gewalt gefährlich. Der fränkiſche König 
kann auf eine gewiſſe Abgabe ſeiner Gewalt eingehen, ohne 
ſich in ſeiner Exiſtenz zu gefährden, und ſo bildet ſich ein 
Wechſelſpiel verſchiedener Gewalten und ſetzt ſich fort in 
hundertfacher Geſtalt durch das ganze Mittelalter und alle 
mittelalterlichen Staaten. Der Repräſentant der Freiheit 
im Mittelalter iſt der trotzige Vaſall, der gleichzeitig ſeinem 
Herrn Treue gelobt und hält, aber auch immer bereit iſt, 
gegen ihn an ſein Schwert zu greifen, wenn er ſich in 
ſeinen Rechten verletzt fühlt. Die mittelalterliche Ge— 
ſchichte bewegt ſich in dieſem Gegenſatz, daß man zwiſchen 
der fürſtlichen Gewalt und der ſtändiſchen Beſchränkung 
immer aufs neue Ausgleiche ſucht, und dieſe Beſtrebungen 
komplizieren ſich mit dem Gegenſatz zwiſchen Kirche und 
Staat und wiederum der Rivalität der großen Reiche 
untereinander. 

Bis ins 16. und 17. Jahrhundert haben wir allenthalben 
die ſtändiſche, dualiſtiſche Verfaſſung. Dann hält ſie nicht 
länger vor, und zwar iſt das neue Moment, das inet, erer, 
das Neuaufkommen der ſtehenden Heere. Indem im 16. faſſung durch 
und 17. Jahrhundert ſtehende Heere geſchaffen werden, “ende ere. 
wächſt den Fürſten ein Inſtrument in die Hand, mit dem 


Kein Majoritäts⸗ 
prinzip. 


118 Staͤndiſche Verfaſſungen. 


ſie jeden Augenblick in der Lage ſind, dem ſtändiſchen Mit⸗ 
regiment ein Ende zu machen. Das Heer iſt deshalb in 
den ſtändiſchen Kämpfen das eigentliche Streitobjekt. Wer 
dieſes nicht mehr zu entbehrende ſtehende Heer in der 
Hand haben ſoll, darum wird gekämpft. In England hat 
es damit geendet, daß das Königtum niedergeworfen, der 
König aufs Schafott geſchickt und das Schwergewicht der 
Staatsgewalt den bisherigen Ständen übertragen wurde. 
Auf dem Kontinent allenthalben hat es damit geendet, daß 
die ſtändiſche Mitregierung beſeitigt und auf Grund der 
ſtehenden Armee das abſolute Königtum errichtet wurde. 
Um die 1000 Jahre hat alſo der ſtändiſche Dualismus 
beſtanden und immer wieder in dieſer Epoche wird ver— 
langt und geſchieht es, daß der Fürſt in irgendwelcher Be— 
ſchränkung regiert mit dem Rate ſeiner Getreuen. Wie 
weit unterwirft er ſich dem Rat? Wer ſind die Getreuen, 
die ihm den Rat zu geben haben? Dafür gibt es unend— 
liche Formen. Aber eins iſt ſicher. Eins kennt man nicht, 
wo die Getreuen ſtehen oder die Fürſten zuſammenkommen, 
um den Kaiſer zu beraten. Das iſt die Majorität. So, 
wie dem Altertum der Repräſentativgedanke unbekannt war, 
fo iſt dem Mittelalter unbekannt der Majoritätsgedanke. 
Zuerſt wacht er auf bei der Papſtwahl. Als es ſich durch— 
geſetzt hatte, daß die Kardinäle berechtigt ſeien, den Papſt 
zu wählen, wird unter Papſt Alexander III., dem großen 
Gegner des großen Barbaroſſa, feſtgeſetzt, daß Zwei Drittel 
Majorität notwendig ſei, um einen Papſt rechtmäßig zu 
wählen. Alſo wohl gemerkt, auch jetzt nicht der einfache 
Majoritätsgedanke. Bis dahin wird immer feſtgehalten an 
dem Grundſatz der Einſtimmigkeit, Einmütigkeit, wie man 
wohl beſſer ſagt; denn es wird überhaupt nicht abge: 
ſtimmt. 


Kein Majoritaͤtsprinzip. 119 


Das berüchtigte polniſche liberum Veto iſt urſprünglich 
allen ſtändiſchen Verfaſſungen gemein. Als auch bei der 
Wahl der deutſchen Könige das Wahlrecht auf ein kleines 
Kollegium von ſieben bevorrechtigten Kurfürſten beſchränkt 
wurde, galt anfänglich auch noch das Prinzip der Ein— 
mütigkeit und ſolange das herrſchte, hatte das Kurfürſten— 
recht gar keine ſehr große Bedeutung. Denn wenn die 
Kurfürſten alle einig waren, war anzunehmen, daß auch 
unter den anderen Fürſten keine weſentliche Oppoſition ſein 
würde, und wenn ſie nicht einig waren, gab es einen 
Bürgerkrieg und da zählten die Truppen anderer Fürſten 
fo gut wie die der Kurfürſten. Erſt durch die goldene 
Bulle Karls IV. iſt bei der Königswahl das Majoritäts— 
prinzip eingeführt worden, und damit erſt eigentlich der 
Wert des kurfürſtlichen Wahlrechts geſchaffen. 

Der Dualismus, der alle romaniſch-germaniſchen Staaten 
beherrſcht, nimmt im 17. Jahrhundert, wie wir geſehen 
haben, ein Ende. In England in der Weiſe, daß das alte 
Königtum, das legitime Königtum der Stuarts, geſtürzt 
wird. Aber im engliſchen Volk hatte ſich eine Richtung 
gebildet, die ſo erfüllt iſt von dem Gedanken an die Heilig— 
keit der höchſten Gewalt, ſo erfüllt iſt von Furcht vor den 
Gefahren, in die das Volk geſtürzt wird, wenn es ſich 
losreißt von ſeiner Geſchichte und aus ſich heraus eine 
obrigkeitliche Gewalt ſchaffen will, daß es nicht möglich 
war, nach der Vertreibung der Stuarts eine Republik oder 
ein Wahlkönigtum zu errichten, ſondern es blieb ſchließlich 
nichts anderes übrig, als einen Kompromiß zu finden 
zwiſchen der eigentlich ſtändiſchen Partei und der konſer— 
vativen Partei, die ſo ſehr als irgend möglich an der Über— 
lieferung feſthalten wollte. Für die eine Partei hat ſich 
der Spitzname „Whigs“, für die andere „Tories“ ge— 


Urſprung der 
jetzigen eng⸗ 
liſchen 
Verfaſſung. 


120 Die engliſche Verfaſſung 


bildet“). Der konſervative Gedanke ſtützt ſich vornehmlich auf 
die Kirche. Die Tories ſind die ſtaatskirchliche, die angli— 
kaniſche Partei, die ſich freilich von König Jakob II. hat 
trennen müſſen — ganz gegen ihren eigenen Wunſch 
und innere Überzeugung — weil König Jakob das Land 
wieder katholiſch machen wollte. Da widerſetzt ſich die 
veligiöfe Überzeugung und zwingt die Tories, mit den Whigs 
zuſammenzuarbeiten, um König Jakob II. zu entfernen, und 
es iſt nun ſehr merkwürdig, wie die beiden Parteien 
von Punkt zu Punkt nach Kompromiſſen ſuchen, um das 
legitimiſtiſche und das revolutionäre Prinzip zu vereinigen. 
Man machte die Fiktion, daß König Jakob (abgeſetzt 
konnte er nicht werden, da er von Gottes Gnaden 
war) freiwillig dem Thron entſagt und das Land zu ver— 
laſſen habe, und mit ähnlichen Fiktionen wurde immer 
weiter gearbeitet und die Krone endlich übertragen nicht an 
irgend jemand, der dem Parlament gerade zuſagte, ſondern 
an den nächſten Verwandten, der wenigſtens ein eventuelles 
Erbrecht hatte und nicht katholiſch war, Wilhelm III. Noch 
heute gilt im engliſchen Staatsrecht der Grundſatz, daß 
das Erbrecht begrenzt iſt durch Nichtzugehörigkeit zur 
katholiſchen Kirche, weil die Erfahrung gelehrt habe, in 
welch ungeheure Gefahren die Verbindung zwiſchen König 
und katholiſcher Kirche das Land ſtürzen könne. An die 
Stelle des eigentlichen legitimen Königtums tritt ein anderes, 
das nun nicht mehr das abſolute Recht der Legitimität 
des Königtums von Gottes Gnaden für ſich in Anſpruch 
nehmen kann, und dadurch wird auch ein Ausgleich mög— 
lich in der Armeefrage. Denn dieſem neuen König, dem 

) Über die „Whigs und Tories“ wie uͤberhaupt über die Verfaſſungs⸗ 
entwicklung Englands vergleiche meine Unterſuchungen in meinen 
„Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſaͤtzen“. 


feit 1688. 121 


kann man die Armee anvertrauen. Warum? Weil 
er ſie nicht mißbrauchen kann, weil er nicht an ſein Schwert 
ſchlagen kann und ſagen: „Gott und mein Recht!“ und 
damit die Freiheit Englands über den Haufen werfen. 
Denn er hat ja nur ein beſchränktes Recht; ſeine Macht iſt 
nicht legitim, nicht getragen durch die Überzeugung der 
Millionen, daß er ein von Gott gegebener König ſei, ſondern 
er iſt nur durch ein gewiſſes Unrecht auf den Thron ge— 
langt, und um ſich zu behaupten, darf er keinen Konflikt 
mit dem Lande hervorrufen. Er iſt, gerade weil er nicht 
legitim iſt, bei weitem für die öffentliche Freiheit nicht 
ſo gefährlich, wie es der legitime König hätte ſein können. 
Und ſo iſt es den Engländern gelungen, trotz zweier großer 
Revolutionen und trotz der Vertreibung des erſten Königs— 
geſchlechts die hiſtoriſche Kontinuität ihres Verfaſſungslebens 
einigermaßen aufrecht zu erhalten. Das neue Königtum 
brachte zuerſt für England große Ungelegenheiten, weil es 
durch Wilhelm III. in Perſonal-Union mit Holland kam und 
ſpäter, ſeit Georg J., in Perſonal-Union mit Hannover, was 
England in feſtländiſche Händel verwickelte, mehr als ihm 
lieb war. Aber man wollte von dem Geburtsrecht nicht 
weiter abweichen, als es abſolut notwendig war, und 
ſo iſt es wirklich gelungen, einen großen Teil des alten 
engliſchen Staatsrechts trotz des großen Bruchs bis in die 
heutige Zeit hinüberzunehmen, und die bloß quaſi-legitimen 
Könige haben immer noch eine recht bedeutende Stellung 
eingenommen im ganzen 18. Jahrhundert. Obgleich eigent— 
lich mit der Vertreibung Jakobs II. das begründet iſt, was 
wir heute den Parlamentarismus nennen, daß nämlich das 
Schwergewicht der Macht im Parlament liegt, hat es Gene— 
rationen gedauert, bis auch nur theoretiſch dieſer neue Zu— 
ſtand erkannt worden iſt. Noch als Montesquieu, der doch 


Frankreich. 


122 Der Abſolutismus in Frankreich. 


wirklich einen ſcharfen Blick für politiſche Dinge hatte, im 
Jahre 1748 über die engliſche Verfaſſung ſchrieb, wußte 
er nichts von Majoritätsregierung und hat ſogar gewarnt 
davor, weil es Tyrannei fein würde, wenn die Majorität 
im Parlament regiere. Tatſächlich iſt die parlamentariſche 
Regierung auch erſt durchgeführt und die Macht des König⸗ 
tums ſo gut wie völlig ausgeſchaltet worden im Laufe des 
19. Jahrhunderts, nämlich ſeit der Reformierung des Wahl— 
rechts im Jahre 1832, und in jüngſter Zeit ſind auch dem 
Oberhaus die Funktionen, die es früher ausgeübt hat, zum 
großen Teil genommen worden. 

Wie war es nun in Frankreich? Dort, haben wir ge— 
ſehen, hat umgekehrt der Abſolutismus geſiegt, und zwar 
hat er geſiegt deshalb, weil auch hier wieder ganz aͤhnlich, 
wie wir es von Chlodwig geſagt haben, die Monarchie es 
iſt, die die Einheit des Staates vertritt. Die Könige, 
die urſprünglich nur Herzoge von Isle de France waren, 
haben im Laufe der Jahrhunderte alle die anderen Land— 
ſchaften ererbt, erheiratet, erworben, erhandelt, erobert und 
ſo allmählich Frankreich national geeinigt. In noch ſtärkerem 
Maße haben wir dasſelbe in Sſterreich und in Preußen. 
Preußen iſt durch die Familienpolitik der Hohenzollern, 
durch ihre Erwerbungs- und Eroberungspolitik zuſammen— 
gebracht worden. Die Dynaſtie hat den Staat geſchaffen, 
und deshalb ſiegte auch die Dynaſtie im Kampfe mit den 
Ständen. Die Stände ſuchen immer nur Schaden abzu— 
wenden von ihrer Landſchaft, aber den einigen Staatsge— 
danken vermögen ſie nicht zu faſſen. In Preußen leuchtet das 
auf den erſten Blick ein. Aber auch in Frankreich iſt es tat— 
ſächlich ſo, und das iſt der Grund für den Sieg des Ab— 
ſolutismus, nicht etwa, daß die Franzoſen weniger Freiheits— 
bedürfnis gehabt und den Deſpotismus weniger bekämpft 


Die Revolution in Frankreich und England. 123 


hätten als die Engländer — ſie haben ſich aufs äußerſte da— 
gegen gewehrt; aber ſchließlich mußten ſie ſich unterwerfen, 
weil allein das Königtum den nationalen Gedanken reprä— 
ſentierte. Als nun die Zeit kam, wo man mit dieſer 
Regierung durch das abſolute Königtum nicht mehr zu— 
frieden war, und man die alte ſtändiſche Beſchränkung, 
dieſen uralten germaniſch-romaniſchen Gedanken des Dualis— 
mus wieder hervorholte, zeigte ſich die neue Verfaſſung 
als nicht brauchbar. Ludwig XVI. wurde gefangen ge— 
nommen, die Republik erklärt, der König auf das Schafott 
geſchickt und in Frankreich der Zuſammenhang mit der 
Vergangenheit abgeſchnitten. Zwölf Verfaſſungen hat Frank— 
reich ſeitdem gehabt, und das Ende iſt geweſen, daß nach 
rein demokratiſchem Prinzip Frankreich als Republik or: 
ganiſiert iſt. 

In England haben wir noch gewiſſe, wenn auch ſehr 
unbedeutende Reſte des Dualismus, wie wir ihn kennen 
gelernt haben, beſonders in der Form. Wer auf die wirk— 
liche Macht ſieht, der findet, daß ſie in England, ebenſo 
wie in Frankreich ruht in einer, wenn auch nicht von der 
Geſamtheit, ſo doch von einem großen Teil des Volkes ge— 
wählten Verſammlung. Weder in England noch in Frank— 
reich ſind es aber die Maſſen geweſen, die Majorität des 
Volkes, die die Revolutionen durchgeführt haben. Die 
Engländer hätten nicht die Kraft gehabt, durch eigenen In England wie 
Willen König Jakob II., den Stuart, zu vertreiben, (er hatte en renten 
bereits eine bedeutende Armee aufgeſtellt), ſondern es kam gegen, nicht durch 
ihnen zu Hilfe Wilhelm III. mit der krieggeübten holländiſchen e 
Armee. Und warum ſollte und wollte nun er den Engländern 
helfen? Weil ganz Europa England brauchte zum Kampf 
Ludwig XIV., weil Europa ohne England ſeine Freiheit 
gegen die Franzoſen nicht hätte verteidigen können, die Stuarts 

Delbrück, Regierung und Volkswille. 9 


124 Die auswärtige Politik und die Revolutionen. 


aber im Solde Ludwig XIV. ſtanden. So war es eine all: 
gemeine europäiſche Bewegung, die in England den Ständen 
zum Siege verhalf. Auch der Große Kurfürſt beteiligte ſich, 
indem er ſeine Soldaten nach Holland ſchickte. In England 
aber war die neue Regierung des Volkes durchaus nicht ſicher. 

Als das Parlament, in dem beide Parteien einig ge— 
weſen waren, König Jakob zu entfernen, nun die neuen 
Verfaſſungsbeſtimmungen alle fertiggeſtellt und Wilhelm II. 
gewählt hatte, da traute man ſich doch nicht gleich ein neues 
Parlament wählen zu laſſen, weil man fürchtete, die öffent— 
liche Meinung würde ſofort wieder umſchlagen und den 
echten König, was er ſich auch hatte zuſchulden kommen 
laſſen, wieder zurückverlangen. Gegen die Maſſe alſo iſt 
die Revolution gemacht worden durch führende Schichten. 
Und genau ſo iſt es in Frankreich geweſen. Auch die fran— 
zöſiſche Revolution iſt ganz und gar nicht durch die große 
franzöſiſche Maſſe bewirkt worden. Die wollte wohl Reformen 
und Beſchränkung, aber keinen Sturz des Königtums, und 
die Verſammlung, die das Königtum abgeſchafft hat, wurde 
gewählt wieder im Zuſammenhang mit der auswärtigen 
Politik, weil Frankreich in Konflikt geraten war mit Europa. 
Es iſt nicht richtig, daß die europäiſchen Mächte ausgezogen 
ſeien, die neue franzöſiſche Freiheit zu erwürgen. Man 
hatte Frankreich nur diplomatiſch bedroht, nicht mehr, und der 
wirkliche Krieg war von Frankreich ausgegangen. Aber wie 
auch immer dieſer Krieg entſtanden war, das franzöſiſche 
Volk hatte die Empfindung, daß das Herz ihres Königs 
im Lager der Feinde ſei. Das verträgt kein Volk. Das 
Weſen des Königtums beruht darauf, daß es durch und 
durch ſich eins fühlt mit ſeinem Volk. Wenn das nicht 
wäre, könnte ein Volk niemals Vertrauen haben zu ſeiner 
Dynaſtie. Wir haben geſehen, die meiſten Dynaſtien ſind 


Entſcheidung der franzoͤſiſchen Revolution durch die Armee. 125 


ſogar die Schöpfer der Staaten; die Zukunft und der Ruhm 
der königlichen Familie hängt zuſammen immer mit der 
glücklichen Führung des Staates. Und nun war man in 
Frankreich dahin gekommen, daß als, die Preußen heran— 
zogen, König Ludwig XVI. darauf hoffte, ſie ſollten nach 
Paris kommen, um ihn von dem Mitregiment des Volkes 
zu befreien. Das war eine moraliſche Unmöglichkeit, und 
die Armee, derjenige Teil des Volkes, der bei auswärtigen 
Konflikten am ſtärkſten erfüllt ſein muß von dem Gedanken 
der Macht und der Sicherheit des Vaterlandes, fiel von 
Ludwig XVI. ab und ſtellte ſich in den Dienſt des Konvents. 
Dadurch iſt Ludwig XVI. geſtürzt worden. Nachdem der 
auswärtige Feind zurückgeſchlagen war, erfolgte eine ſtarke 
Reaktion in Frankreich. Faſt das ganze Land war gegen 
den Konvent; man wollte die Republik nicht. Nicht bloß 
die Vendee, ſondern nicht weniger als 60—70 von 
den 83 Departements waren gegen den Konvent im 
Aufſtand, und ſie ſind niedergeworfen worden durch 
die Guillotine, indem hinter dieſer die Truppen ſtanden. 
So hat ſich der Konvent immer wieder gegen das 
Volk (von 1792 — 99 gab es unausgeſetzt Revolutionen) 
behauptet, und ſeine Siege wurden immer wieder 
entſchieden durch die Armee. Der Konvent traut ſich 
nicht, ſich aufzulöſen und die Entſcheidung über die 
Regierung dem Volke zu überlaſſen; dann würden ganz 
andere Leute gewählt worden ſein. Es kam aber, daß 
ſchließlich die Armee ſich ſagte: Dann können wir auch 
ſelber regieren, wenn wir bloß für Andere die Ordnung 
herſtellen ſollen, und ihren Liebling, den General Bonaparte 
an die Spitze des Staates brachte, dem ſofort das ganze 
Volk, glücklich den einſt von ihm ſelbſt gewählten Konvent 
los zu ſein, mit Begeiſterung zufiel. 
9 * 


Verſchieden⸗ 
heiten in den 
modernen 
Staaten. 


126 Das preußiſche Dreiklaſſen-Wahlrecht. 


In England allmählich, in Frankreich plötzlich und 
radikal, iſt der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen und 
die reine parlamentariſche Majoritätsregierung eingeführt 
worden. Wir wollen das nun nicht durch alle Staaten 
hindurch verfolgen. In jedem herrſcht eine etwas andere 
Färbung, ſei es in Dänemark, oder in Norwegen, oder in 
Holland, oder in Belgien, oder Italien, oder Spanien, 
oder Portugal, oder in Amerika — allenthalben iſt mehr 
oder weniger vollſtändig eine einheitliche Regierungsgewalt 
geſchaffen worden und der Dualismus überwunden. Selbſt 
in Italien, wo das Königtum eine bedeutende Stellung 
hat, kann es doch gegen den Parlamentarismus nicht auf— 
kommen. In Sſterreich-Ungarn aber, in Rußland, auch in 
Schweden und in Deutſchland, ſteht es anders. Die Ver— 
hältniſſe in Oſterreich-Ungarn find zu kompliziert, um fie 
hier zu behandeln; Rußland kann überhaupt noch nicht als 
ein wahrer Verfaſſungsſtaat angeſehen werden. Das eigent— 
liche normale Gegenſtück zu den parlamentarifchen Staaten 
bildet Deutſchland. Hier iſt es gelungen, den uralten 
germaniſch-romaniſchen Verfaſſungstypus auf dualiſtiſcher 
Grundlage wieder zu erneuern. In Preußen bildet das 
Dreiklaſſenwahlrecht neben dem Herrenhaus noch ein Mittel— 
ding zwiſchen der alten Ständeverfaſſung und der modernen 
Volksvertretung. Im Reich aber iſt die Kombination voll 
zogen zwiſchen dem monarchiſchen und dem demokratiſchen 
Gedanken. Nicht gegen die Regierung aber iſt dieſe volks— 
tümliche Verfaſſung geſchaffen worden, wie wir geſehen 
haben, nicht um jener möglichft die Gewalt zu entreißen, 
ſondern ſie iſt geſchaffen worden ihr zur Hilfe, mit der Gegen— 
leiſtung, daß das Volk an der Regierung beteiligt werde. 

Daran werden wir die Frage knüpfen können: Haben 
wir zu erwarten, daß wir auch in Deutſchland allmählich 


Abwechſelnd regierende Parteien. 127 


in eine Verfaſſungsform hinübergleiten, die jenen parla- Wird auch 
mentariſchen ähnlich iſt, oder liegen die Dinge fo, daß wir nenn 
im Gegenteil erwarten können, daß die neue politiſche Form werden? 
(kompliziert durch den bundesſtaatlichen Charakter des 
deutſchen Reiches) in der Weltgeſchichte ſich als etwas 
Dauerndes behaupten werde? 

Gibt es eine Art natürlicher Fortentwicklung vom 
konſtitutionellen zum parlamentarifchen Syſtem? Von zwei 
Seiten wird heute nicht ganz ſelten dieſe Behauptung auf: 
geſtellt, erſtens von der äußerſten Linken, die darauf hofft, 
und zweitens von der äußerſten Rechten, die es der Regie— 
rung zum Vorwurf macht, daß ſie ſich nicht genügend 
dagegen ſtemme. 

Um ein parlamentariſches Regiment zu haben, iſt 
Vorausſetzung, daß die Parteien trotz ihres Gegenſatzes ſich 
ziemlich nahe ſtehen. In Amerika gibt es die demokratiſche 
und die republikaniſche Partei. Wie ſchon die beiden 
Namen zeigen, iſt ein ſehr weſentlicher Unterſchied zwiſchen 
ihnen nicht. Die einen ſind mehr unioniſtiſch, die andern 
ſind mehr föderaliſtiſch. In England haben wir die Whigs 
und Tories, jetzt überſetzt in Liberale und Konſervative. 
Die Unterſchiede ſind ſo wenig tief, daß ſehr häufig die 
eine Partei wichtige Programmpunkte von der anderen 
übernommen hat. Beide Parteien zuſammen haben einſt 
die Stuartkönige vertrieben und die Wahlreform von 1867 
wurde von den Konſervativen gemacht“). Solche Parteien 
können leicht, ohne den Staat aus dem Gleichgewicht zu 
bringen, in ſeiner Leitung abwechſeln. Nicht möglich iſt 
es aber, Parteien abwechſeln zu laſſen, die etwa ſo weit 

) Daß die beiden engliſchen Parteien trotz der ſtaͤndigen Be⸗ 


kaͤmpfung ſich innerlich ſehr nahe ſtehen, wird von vielen neueren Beob— 
achtern, beſonders auch von Belloe und Lowell betont. 


128 Wo ift wechſelndes Parteiregiment möglich? 


einander entgegenſtehen, daß die eine monarchiſtiſch und 
die andere republikaniſch iſt. Wenn man in Frankreich 
wieder eine Majorität monarchiſch Geſinnter hätte, und dieſe 
die Monarchie wieder einführte, und nach einer Reihe von 
Jahren käme eine republifanifche Majorität und führte die 
Republik wieder ein, und ſo fort im lieblichen Wechſel, ſo 
müßte der Staat daran zugrunde gehen. 

Wenn man das auf Deutſchland überträgt, was würde aus 
Deutſchland werden, wenn wir abwechſelnd eine klerikale 
und eine ſozialdemokratiſche Regierung hätten? Die klerikale 
Regierung, die vor allem das Schulweſen, bei der Volks— 
ſchule angefangen bis zur Univerſität, unter kirchlichen Ein— 
fluß zu ſtellen ſucht, und wenn ſie das glücklich erreicht 
und die Lehrerſchaft in orthodoxem Sinne erzogen hat, dann 
eine ſozialdemokratiſche Majorität, die den Zukunftsſtaat 
einführt? Bei der erſten Majorität wiſſen wir doch un— 
gefähr, was ſie uns bringen wird; bei der zweiten wiſſen 
wir das nicht einmal. Nur das eine iſt ganz klar: eine 
Abwechſlung zwiſchen dieſen beiden „Idealen“ iſt ſchlechter— 
dings unmöglich. In Frankreich iſt ja noch immer eine 
ziemlich bedeutende monarchiſtiſche Minorität. Sie hat ſogar 
auch in der Republik einmal wirklich die Majorität gehabt, 
und zwar in den erſten Jahren nach 1871. Sie konnte 
nur deshalb nicht zu ihrem Ziele kommen, weil ſie in ſich 
geſpalten war, weil ſie drei Könige zu vergeben hatte. 
Der erſte war der legitime Erbe der alten Bourbonen, der 
Graf von Chambord, der zweite der Prinz von Orléans, 
Graf von Paris, und drittens die Bonapartes, die ja nach 
der Niederlage von Sedan ausſchieden. Aber die beiden 
anderen waren ernſthafte Kandidaten, und es war ſehr nahe 
daran, daß der Graf Chambord zum König berufen wurde; 
er wollte nur nicht die Bedingungen annehmen, die man 


Parteiregierung in Frankreich. 129 


ihm bot. Seitdem ſind nun, da ſie zu einer Monarchie 
nicht kommen konnten, die Monarchiſten in Frankreich eine 
bloße Oppoſitionspartei geworden. Aber was iſt die Folge 
davon? Daß ſie in der Lage ſind, jede Regierung zu 
ſtürzen, ſobald dieſe nicht einen ſehr großen Teil der 
Republikaner hinter ſich hat. Es iſt ſchon die Forderung 
aufgeſtellt worden, daß die Regierung nicht bloß die 
Majorität der Kammer, ſondern auch die Majorität der 
Republikaner hinter ſich haben müſſe. Bald hält man 
ſich an dieſen Grundſatz, bald nicht, z. B. das Geſetz über 
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienſtzeit iſt ſoeben 
nur angenommen mit Hilfe der Monarchiſten gegen einen 
ſehr weſentlichen Teil der Linken. Ob auf die Weiſe ein 
ſo großes Geſetz ſich wirklich durchführen läßt, muß ſich 
zeigen. Jedenfalls iſt das Zweiparteienſyſtem, wie es in 
England und auch in Amerika herrſcht, in Frankreich dadurch 
ausgeſchloſſen, daß ein ſehr großer Teil des Volkes die 
Republik überhaupt nicht wünſcht, ſie innerlich gar nicht 
anerkennt. Die Folge iſt der völlige Mangel an Stabilität 
in der Regierung. Wenn gegenüber den Monarchiſten alle 
anderen eine Partei bildeten, würde die ja immer regieren 
müſſen. Das wäre aber ganz unerträglich. Das Partei: 
regiment iſt ja nur dadurch volkstümlich, daß die Parteien 
abwechſeln. Wenn eine immer die Regierung hätte, würde 
es eine Deſpotie werden. Alſo die Folge davon, daß die Monar— 
chiſten für die franzöſiſche Regierungsbildung ausſcheiden, iſt, 
daß die anderen auch nicht zuſammenhalten, ſondern immer Vietheit der 
neue Gruppierungen ſich bilden. Man zählt etwa neun Parteien in 
Fraktionen in der franzöſiſchen Kammer, die Royaliſten, ne 
die Rechte, die konſervativen Republikaner, die bürgerlichen 
Republikaner, die demokratiſchen Republikaner, die ſozialiſtiſch 
angehauchten Republikaner, die wirklichen Sozialdemokraten 


130 Die Parteien in Deutſchland. 


und die intranfigenten Sozialdemokraten. Aus denen werden 
immer neue Gruppen zuſammengeſetzt, und immer neue Majo⸗ 
ritäten komponiert. Dieſelbe Vielheit der Parteien wie in Frank- 
reich haben wir auch in Deutſchland. Im erſten Reichstag (1867) 
gab es acht Fraktionen: Konſervative, Freikonſervative, Alt⸗ 
liberale, bundesſtaatlich Konſtitutionelle (in dieſer Fraktion 
waren u. a. vereinigt Windthorſt, Hänel, der Führer der Frei— 
ſinnigen, und Guͤnther, ein Sachſe, der nachher mein Partei— 
genoſſe geworden iſt in der Reichspartei), dann die National⸗ 
liberalen, dann die Freiſinnigen, dann die eigentliche Linke, 
dann die Polen. Wer aufmerkſam der Liſte gefolgt iſt, 
die ich eben vorgetragen habe, wird bemerkt haben, 
daß zwei Parteien damals noch fehlten, von denen wir 
uns heute kaum denken können, daß ſie nicht im Reichs⸗ 
tag waren, nämlich das Zentrum und die Ssozialdemo— 
kraten. Beide Parteien haben ſich erſt ſpäter gebildet. 
Die Sozialdemokratie war damals noch zu ſchwach, 
um eine Fraktion zu bilden, und das Zentrum iſt erſt 
1871 gebildet worden; beide Parteien aber haben nun 
natürlich auf die Umwandlung der anderen auch den 
ſtärkſten Einfluß gehabt. Es iſt ſehr unwahrſcheinlich, 
daß ſich jemals im deutſchen Reichstag eine Partei bilden 
wird, die für ſich die Majorität hat. Ja es iſt unwahr⸗ 
ſcheinlich, daß ſich auch nur eine Kombination bilden ließe 
von einiger Dauer, die die Majorität hat. Das kommt 
von der konfeſſionellen Spaltung des deutſchen Volkes. 
Die Zerſplitterung der Parteien iſt nichts Willkürliches, auch 
nichts dem deutſchen Volkscharakter Eigentümliches, ſondern 
etwas durch unſere Geſchichte notwendig Gegebenes. Zum 
wenigſten fünf Gruppen müſſen auf abſehbare Zeit bei uns 
notwendig exiſtieren: Konſervative, Liberale, Zentrum, Sozia⸗ 
liſten, Polen. Bildet ſich noch eine gemäßigt⸗-konſervative, 


Das Zentrum. 1 


eine gemäßigt⸗liberale und vielleicht auch einmal eine ge— 
mäßigt⸗ſozialiſtiſche Gruppe, ſo haben wir acht. Ob das 
Zentrum mehr zur Rechten oder mehr zur Linken gehört, 
ſteht dahin. Im Grunde iſt es eine demokratiſche Partei, 
aber das ſtarke Autoritätsprinzip der Fatholifchen Kirche 
und das Feſthalten an den überlieferten Glaubensformen 
verbindet es mit den Konſervativen. Alle unſere Zeitungen 
waren voll von dem natürlichen Zuſammengehen des Zen— 
trums mit den Konſervativen, dem ſchwarz-blauen Block, 
aber jetzt haben wir geſehen, daß ſie ſich bei der fundamental 
wichtigen Einführung des Vermögenszuwachs-Steuergeſetzes 
im Reichstag gegeneinander gekehrt haben. Der viel zitierte 
„ſchwarzblaue Block“ iſt eine Fabel, war nichts als eine 
vorübergehende Kombination. 

Die Vielheit der Fraktionen, von denen keine die 
Majorität hat, ſchließt einen wirklichen Kampf gegen die 
monarchiſche Regierung, um an deren Stelle die Parteien 
zu ſetzen, aus. Damit haben wir aber das Weſen der Dinge, 
die Frage, weshalb in Deutſchland nicht die Parteien re— 
gieren, noch keineswegs erſchöpft. Weshalb regieren denn 
in England, Frankreich und den anderen parlamentariſchen 
Staaten die Parteiorganiſationen? Sie regieren, weil ſie 
gewiſſe Maſſen hinter ſich haben. Weshalb regieren die 
Maſſen? Weil ſie weiſe ſind? Die Frage haben wir ſchon 
einmal aufgeworfen. Es gibt ja erfahrene Leute, die ſagen, 
wofür die große Maſſe iſt, das wird immer das Verkehrte 
ſein. Das wollen wir nicht gerade annehmen. Aber daß, 
wo die große Menge iſt, immer die große Weisheit iſt, 
daran werden heute auch nur noch wenige glauben. Die Maſſe 
regiert, nicht, weil ſie weiſe iſt, ſondern weil ſie Macht iſt. 

Der jüngſt verſtorbene Philoſoph Gompertz in Wien 
hat hieraus eine ungünſtige Folgerung für das Frauen— 


Maſſe und 
Macht. 


132 Frauen⸗Wahlrecht. 


Maſſenregierung ſtimmrecht gezogen. Sieht man in dem Parlament eine 


und Frauen⸗ 


Wahlrecht. 


Das Geld. 


Volksvertretung, ſo iſt das Frauenſtimmrecht konſequenter— 
weiſe zuzugeſtehen, denn die Frauen gehören ganz gewiß 
ebenſo zum Volk wie die Männer. Erkennt man aber, 
daß dies Geſetz der Majorität nichts anderes bedeutet, als 
daß in friedlicher Weiſe ſtets die größere Macht regieren 
ſoll, ſo iſt das Frauenſtimmrecht abzulehnen, zum wenigſten 
für Deutſchland. Denn in Deutſchland gibt es, obgleich 
mehr Knaben als Mädchen geboren werden, doch über 
800000 Frauen mehr als Männer und mit der Einführung 
des Frauenſtimmrechtes würde alſo die geſetzliche Herrſchaft 
von den Männern auf die Frauen übergehen. Sind die 
Frauen aber vermöge ihrer Mehrzahl auch ſtärker als die 
Männer? Schwerlich. Käme es zum Kampfe zwiſchen der 
männlichen und der weiblichen Partei, ſo würden die 
modernen Amazonen vermutlich am Ende ebenſo unterliegen 
wie die antiken. Die ſtärkere Stimmenzahl iſt, ſobald die 
Frauen dabei ſind, nicht mehr die ſtärkere Macht. Das 
Majoritätsprinzip hätte mit der Einführung des Frauen— 
ſtimmrechtes ſeinen inneren Sinn verloren und damit ſeine 
Berechtigung. Form und Inhalt des Staates geraten in 
Widerſpruch zueinander. Das muß zu Konvulſionen, 
Revolutionen führen; wer ſie vermeiden will, ſuche die 
Frauen von dem Kampfboden der Politik fernzuhalten. 

Wie es ſich nun auch mit dieſer Argumentation ver— 
halte, erſchöpft iſt das Problem jedenfalls damit nicht. 
Denn vor allem, und darauf müſſen wir jetzt kommen, 
es gibt noch andere Mächte als die Maſſe. Da ſind z. B. 
die verſchiedenen Kirchen und da iſt das Geld, oder modern 
ausgedrückt, das angeſammelte Geld, das Kapital. Das 
Kapital hat ſich urſprünglich gegen die Regierung der 
Maſſen, als ſie allmählich aufkam, geſträubt, ſich aber 


Geld, Kirche, Armee. 133 


ſchließlich damit abgefunden aus einem ſehr einfachen 
Grunde, weil das Geld ja nirgends beſſer ſeine eigene 
Macht in Anwendung bringen kann als gerade bei der 
Einwirkung auf die Maſſe. 

Wie viele haben ſchon geſagt, in Wirklichkeit habe Amerika 
gar keine Demokratie, ſondern eine Plutokratie. Die Wahlen 
werden gemacht mit dem Gelde. Jedenfalls ſpielt das 
Geld eine große Rolle — es ſind nicht bloß direkt Be— 
ſtechungen damit gemeint, ſondern die ganze Wahlorganiſation, 
von der wir geſehen haben, daß ohne ſie überhaupt keine 
wirklichen Maſſenwahlen zuftande zu bringen find, kann es 
nicht geben ohne Geld, und fie iſt deſto wirkſamer, je mehr 
Geld ihr zur Verfügung ſteht“). Wer das meiſte Geld auf: 
wendet und aufbringen kann, hat jedenfalls eine ſehr ge— 
wichtige Stimme bei der Bildung der Majorität, und mehr 
braucht ja das Geld nicht. Aus ähnlichen Gründen haben 
ſich auch die Kirchen, insbeſondere die katholiſche mit 
ihrem ungeheuren Einfluß auf die Maſſen, mit der 
Majoritäts- und Maſſenherrſchaft abgefunden. 

Aber es gibt ja noch andere Kräfte außer den Maſſen 
und den Kirchen, und vor allem eine, die immer an letzter 
Stelle den Ausſchlag gibt. Wo liegt zuletzt die wahre 
Macht? Sie liegt in den Waffen. Die entſcheidende 
Frage für den inneren Charakter eines Staates iſt deshalb 
immer: Wem gehorcht die Armee? In Frankreich und 
England gehorcht ſie heute der parlamentariſchen Majorität. 
In England iſt das ſo gekommen, daß der rechtmäßige König 
(wir müſſen immer wieder daran erinnern) Jakob II., Stuart, 
geſtürzt wurde und an ſeine Stelle ein nicht berechtigter 

) Juͤngſt wurde veröffentlicht, daß die Nachwahl im Kreiſe Ragnit— 
Pillkallen der nationalliberalen Partei 140000 Mk. gekoſtet habe. Das 
iſt ein Wahlkreis von 397. 


Die Kirche. 


Die Armee. 


Die Armee 
in England. 


134 Meuterei⸗Bill. 


König, erſt Wilhelm III., dann Anna, dann das Haus 
Hannover auf den Thron berufen wurden. Zu dieſen 
Königen hatte die engliſche Armee, klein wie ſie war, keine 
innere Beziehung, und die engliſchen Verfaſſungsgeſetze, die 
damals gegeben wurden, ſorgten dafür, daß auch eine 
ſtaatsrechtliche Form das zum Ausdruck brachte. Das geſchah 
in der ſogenannten Meuterei-Bill, d. h. dem Geſetze, das die 
Diſziplin der Armee begründete. Es gibt keine Armee 
ohne diſziplinariſche Gewalt. Wenn der gemeine Mann 
ſich herausnähme, ſeinem Hauptmann eine Ohrfeige zu 
verſetzen und dieſer müßte dann hingehen ans Schöffen— 
gericht und jenen verklagen, dann würden wir ſagen, die 
Armee exiſtiert nicht mehr. Die Armee als ſolche kann 
nur exiſtieren vermöge einer befonderen in der Kommando— 
gewalt verkörperten, organifierten Diſziplin. Nun machte 
man in England ein Geſetz über militäriſche Meutereien, 
das dieſe wirkliche Gewalt ſchuf. Aber dieſes Meuterei— 
geſetz galt nur für ein Jahr und mußte jedes Jahr er— 
neuert werden. Damit glaubte der Parlamentarismus ſich 
die Macht geſchaffen zu haben, dem König jedes Jahr, 
wenn er ihm gefährlich zu werden ſchien, die Macht ent— 
reißen zu können, indem er die Meuterei-Bill nicht ver— 
längerte, und Staatsrechtslehrer möchten daraus die Folge— 
rung ziehen, das ſei der Weg, wie man das Königtum, 
wenn es deſpotiſch zu werden drohe, ohnmächtig mache. 
Ein ſolches Geſetz iſt aber doch nur eine juriſtiſche Form. 
Eine Armee, die einmal diſzipliniert iſt, die bleibt auch in 
der Hand des Offizierkorps, mag das Parlament Meuterei⸗ 
geſetze geben oder nicht, und wenn alſo der König das 
Offizierkorps hinter ſich hat, dann hat er auch die Armee 
hinter ſich, und dann helfen keine Meutereigeſetze. Aber eben 
der wahre König exiſtierte ja in England nicht mehr. Es iſt jetzt 


Die Armee in Frankreich. 135 


nur ein quaſilegitimes Königtum, daß durch die Revolution 
geſchaffen iſt, dem die innere Beziehung zur Armee fehlt, 
und ſo konnte ein ſolches Meutereigeſetz, wenn es auch an 
ſich nicht ſo ſehr viel zu bedeuten hatte, doch die Form 
darſtellen, die die Armee in die Hand des Parlamentes 
legte. 

Auch in Frankreich gehorcht die Armee heute der Majo— 
rität der Kammer. Aber mit Knirſchen. Ein Volksredner, 
ein Sozialdemokrat, ein Journaliſt, ein Börſenmakler, ein 
Rechtsanwalt ſind abwechſelnd in Frankreich Kriegsminiſter 
geweſen und haben darüber zu befinden gehabt, wer von 
den Regimentskommandeuren zum General avanciert, wer 
ſchließlich und wann er den Abſchied bekommt. Wie kann 
eine Armee, die die Tradition des großen Napoleon mit 
all ihren Siegen, mit all ihrem Ruhm hat, ſich einer 
ſolchen Regierung unterwerfen? — Weil ſie die Beſiegte 
von Sedan iſt! Darum muß ſie jetzt in Frankreich 
den Advokatenregierungen Gehorſam leiſten. Aber laßt 
ſie einmal wieder ſiegen, wirklich ſiegen, dann iſt es 
mit dem parlamentariſchen Regiment in Frankreich auch 
vorbei. Der General, der etwa in Berlin eingezogen wäre 
und von Berlin nach Paris zurückkäme, der gehorchte nicht 
mehr einem Kriegsminiſter, der heute von dieſer und morgen 
von jener parlamentariſchen Majorität eingeſetzt wird. Aber 
weil die Armee nicht mehr imſtande war, den alten Ruhm 
aufrecht zu erhalten, darum mußte ſie auch von der Regierung 
zurücktreten. Die Regierung Napoleons III. war ja eine 
Volksregierung; denn mit ungeheurer Majorität hat in all— 
gemeiner Abſtimmung das franzöſiſche Volk dafür ent— 
ſchieden, ihn erſt zum Präſidenten, dann zum Kaiſer zu 
machen. Aber ſie war gleichzeitig eine militäriſche Regierung. 
Wenn das Volk nicht fo geſtimmt hätte, vielleicht hätte 


Die Armee 
in Frankreich. 


Die Armee 
in Deutſchland. 


136 Das deutſche Offtzierkorps. 


Napoleon III. ſich doch zum Kaiſer gemacht, weil er eben 
die Armee hinter ſich hatte, weil die Armee an ihre Nieder— 
lagen von 1813 und 15 noch nicht endgültig glauben wollte 
und auch nicht endgültig zu glauben brauchte, weil in ihr 
noch eine ſolche Gewalt war, daß ſie hoffen konnte, wenn 
wieder ein Mann, der ganz mit ihrem Geiſt einig war, 
an der Spitze Frankreichs ſtände, daß ſie mit ihm regieren 
und den ehrenvollen Platz, der ihr gebührt in der Ordnung 
der Stände, einnehmen würde. So iſt es ja auch gekommen. 
Zunächſt erwarb die Armee im Krimkrieg, dann in dem 
italieniſchen 1859, wenn auch nicht ſehr großartige, fo doch 
neue ehrenvolle Siege, bis ſie 1870 zuſammenbrach. 

Nun übertragen wir das einmal auf Deutſchland-Preußen. 
Stellen wir uns ein parlamentarifches Regiment vor und 
nehmen, wen Sie wollen aus dem Abgeordnetenhaus oder 
Reichstag und laſſen ihn bei uns Kriegsminiſter ſein. Wer 
auch nur die geringſte Fühlung mit unſerem Offizierkorps 
und unſerer Generalität hat, weiß, daß das eine Unmög— 
lichkeit iſt, daß unſere Armee auch erſt ein Sedan von 
der anderen Seite erlebt haben müßte, um das über ſich 
ergehen zu laſſen. Wer iſt die Armee? Die Armee beſteht 
aus drei Teilen: aus den Berufsſoldaten, die ihr Leben 
dem Waffendienſt gewidmet haben, das ſind die Offiziere; 
aus zwei Jahrgängen des ganzen Volkes, fortwährend 
wechſelnd, das ſind die Mannſchaften; und aus dem Unter— 
offizierkorps, das zwiſchen beiden eine Mittelſtellung ein— 
nimmt. Den Geiſt der Armee beſtimmt natürlich nicht 
der wechſelnde Teil, ſondern der dauernde, das Offizierkorps, 
das die Mannſchaft in ſeinem Geiſte erzieht und vermöge 
des Diſziplinargeſetzes in ſeinem Geiſte regiert. 

Verſenken wir uns etwas in den Geiſt des Offizierkorps, 
wie er bei uns ſchon ſeit Jahrhunderten lebt und früher 


Das Offizierkorps als Gefolgſchaft. 137 


auch in allen anderen romaniſch-germaniſchen Staaten lebendig 
war. Die ſtehenden Armeen ſind gebildet worden bei uns 
im 17. Jahrhundert; in Brandenburg-Preußen durch den 
Großen Kurfürſten, der eine Reihe zerſplitterter Landſchaften 
geerbt hatte, von Preußen bis zum Rhein, und nun einen 
Staat errichtete vermöge eines einheitlichen Beamtentums 
und einer einheitlichen Armee. Auch ſeinem Sohn, Friedrich 
Wilhelm J. und Friedrich dem Großen dienten die Offiziere, 
wie die Mannſchaften nicht als dem Landesherrn, ſondern 
als ihrem Kriegsherrn. Es kommt dabei nicht darauf an, ob 
einer Preuße oder Brandenburger oder Pommer oder aus 
ſonſt einer Landſchaft iſt, er braucht gar nicht einmal ein 
Deutſcher zu ſein, ſondern er tritt in den Dienſt irgend— 
eines großen Kriegsherrn, in dieſem Falle des branden— 
burgiſch-preußiſchen, und widmet ſich ihm durch ein Treu— 
gelöbnis, ihm, nicht dem Staat. Zum Staat hat der Soldat 
des 17. und 18. Jahrhunderts nur eine mittelbare Be— 
ziehung, weil nämlich ſein Kriegsherr auch der Souverän 
dieſer oder jener Landſchaft iſt. Aber der, dem die Armee 
dient, das iſt der, dem ſie die Treue geſchworen hat, und was 
er auch immer für politiſche Ziele verfolge, die gehen die Armee 
nichts an. Dieſen perſönlichen Kriegsdienſt wird man noch 
beſſer verſtehen, wenn man ihn noch weiter durch die Jahr— 
hunderte der deutſchen Geſchichte verfolgt. Wir können 
zurückgehen bis in die Urzeiten, wo uns Cäſar und Tacitusckermaniſche Ge— 
ſchildern, daß der deutſche Fürſt umgeben iſt von einem G 
Gefolge beſonders tapferer Krieger, die ihn in die Schlacht 
begleiten, bei denen das Geſetz gilt, daß es die größte 
Schande iſt, aus der Schlacht zurückzukehren, wenn der 
Fürſt gefallen iſt. Das Gefolge kämpft für den Fürſten, 
der Fürſt für den Sieg. Dieſes eigentümliche Kriegertreu— 
verhältnis, das wir übrigens nicht bloß bei den Germanen, 


138 Die Gefolgſchaft. 


ſondern auch bei anderen Völkern, z. B. auch bei den 
Japanern finden, bei den Römern und Griechen aber nicht, 
wenigſtens nicht in dieſer Art, das iſt der Ausgangspunkt 
des mittelalterlichen Staats geworden. Dieſe Gefolgſchaft, 
die dem Fürſten zu perſönlicher, unverbrüchlicher Treue ſich 
verpflichtet hat (in pace decus, in bello praesidium), der 
als letztes und höchſtes Geſetz gilt, die Treue zu halten, 
pflanzt ihren Geiſt fort. Das Verhältnis wird im Mittel— 
alter hinübergeleitet in das Vaſallitätsverhältnis der Ritter— 
ſchaft zu ihrem Lehnsherrn mit derſelben Auffaſſung, und 
es ſetzt ſich heute fort in unſerem Offizierkorps. Der König 
iſt noch heute das Haupt ſeines Gefolges; er iſt der Kamerad 
ſeiner Offiziere und zu ihm als ihrem Kriegsherrn halten 
ſie ſich, und das iſt das Fundament unſeres Staatsweſens. 
In der preußiſchen Verfaſſung ſteht nur, der König führe 
den Oberbefehl über das Heer, und ebenſo ſteht es in der 
deutſchen Reichsverfaſſung. Ich laſſe hier aus die Kom— 
plizierung, die eintritt durch die Eigenſchaft Deutſchlands 
als Bundesſtaat. Wie weit iſt der Kaiſer Kriegsherr auch 
der kleineren Kontingente ſeit 1867 geworden? Ich habe 
darüber in den Preußiſchen Jahrbüchern (Maiheft 1913) 
einen Aufſatz veröffentlicht; wer ſich näher darüber infor— 
mieren will, mag es dort nachleſen. 

Machen wir uns für jetzt klar, daß ein Verhältnis exiſtiert, 
das zwar in keinem Verfaſſungsparagraphen irgendwie for— 
muliert iſt, aber doch die ſtärkſte Gewalt iſt, die wir im ganzen 
deutſchen Reich überhaupt haben, unzerbrechlich von innen 
heraus, von außen wäre ſie nur zu zerbrechen durch die 
allerfurchtbarſte der Niederlagen. Ja, ſelbſt die furchtbarſte 
der Niederlagen hat es ja überſtanden. Der König von 
Preußen, als er bei Jena und Auerſtädt beſiegt wurde, 
konnte fliehen bis in die letzte Stadt ſeines Reiches, bis 


Friedrich Wilhelm in Memel, Napoleon in Sedan. 139 


nach Memel: König von Preußen und Kriegsherr blieb er 
doch. Sein Volk verehrte in ihm den angeſtammten König, 
und ſeine Armee in den kleinen Reſten, die noch da ge— 
blieben waren, hielt zu ihm, und aus ihr iſt durch das 
Genie Scharnhorfts und Gneiſenaus die neue Armee gebildet 
worden, indem die ganze Jungmannſchaft des Landes dem 
Offizierkorps zur militäriſchen Erziehung übergeben wurde. 

Vergleichen wir einmal, welche unmittelbaren Folgen 
es auch für die Kriegführung haben kann, ob ein ſolches 
Treu⸗Verhältnis zwiſchen Fürſt und Volk eriftiert oder 
nicht. Als die Franzoſen 1870 in den großen Schlachten 
bei Metz geſchlagen waren, und die Bazaineſche Armee 
nach Metz hineingeworfen war, da ſahen Napoleon und 
der Marſchall Mac Mahon wohl ein, daß es das Rich— 
tigſte ſei, mit der anderen geretteten Hälfte der Armee 
nach Paris zurückzugehen. Wäre die Armee nach Paris 
zurückgegangen, dann iſt eigentlich nicht abzuſehen, wie 
wir Frankreich, wenigſtens ſo vollſtändig wie wir es nach— 
her geſehen haben, hätten beſiegen können. Es kam aber 
anders durch die Kaiſerin und die Regierung in Paris, die 
flehentlich baten, nicht nach Paris zu gehen; denn wenn 
der Kaiſer ſo weit zurückweichen müſſe, dann ſei die 
Revolution ſicher und das Kaiſertum verloren, und darauf— 
hin, aus dieſem innerpolitiſchen Grunde, nahm die Armee 
die Richtung nach Norden, in der Hoffnung, von dort aus 
Bazaine in Metz zu Hilfe zu kommen. Sie wurde ſtatt 
deſſen von der deutſchen Armee beſiegt und bis auf den 
letzten Mann gefangen genommen. Wenn dieſe bei Sedan 
gefangene Armee in Paris zur Verteidigung geblieben wäre, 
hätten wir die Stadt nicht einſchließen können. Der Grund 
der völligen franzöſiſchen Niederlagen alſo war, daß Napoleon 
kein ſicheres Verhältnis zu ſeinem Volk hatte, wie ja auch 

Delbrück, Regierung und Volkswille. 10 


Sedan. 


Die preußiſche 
Armee 1848. 


140 Das preußiſche Offizierkorps 


ſchon Napoleon I. darüber geſtürzt iſt, daß in dem Augen⸗ 
blick, wo die Verbündeten in Paris einzogen, ſeine Marſchälle 
von ihm abfielen. Weder die Öfterreicher, noch die Preußen, 
noch die Ruſſen waren von ihrem Herrſcher abgefallen, als 
der Feind die Hauptſtadt genommen hatte. Dieſe Beziehung 
des Volkes zum angeſtammten Herrſcher hat nun ihre höchſte 
Potenz in der Beziehung des Offizierkorps zum Souverän 
in ſeiner Eigenſchaft als Kriegsherr. Wir haben ja den 
Fall, daß dieſe Beziehung grundſätzlich gelockert werden 
ſollte, in unſerer Geſchichte tatſächlich gehabt. Im Jahre 
1848 beſchloß das Parlament, das in Frankfurt die neue 
Verfaſſung zu ſchaffen befliſſen war, daß alle Bundes— 
kontingente dem Reichsverweſer huldigen ſollten. Reichs— 
verweſer war der Erzherzog Johann von Sſterreich; alſo 
auch die preußiſche Armee ſollte dem Erzherzog huldigen. 
Welche erſtaunliche Verkennung des Preußentums! In 
Königsberg kommandierte ein Graf Dohna, Schwieger— 
ſohn Scharnhorfts; in Stettin kommandierte der General 
von Wrangel, der ſchon als 23 jähriger 1814 ein Küraſſier⸗ 
regiment führte. Als er an dem Unglückstage von Vauchamps⸗ 
Etoges (14. Februar) rings eingeſchloſſen ſchien und der 
franzöſiſche Parlamentär, der ihn zur Übergabe aufforderte, 
ſich herausnahm, direkt die Mannſchaft anzuſprechen, rief 
Wrangel ſeinem Wachtmeiſter zu: „Schieß ihn tot!“ nahm 
das Regiment zuſammen und brach durch. 

In Münſter kommandierte Graf Gröben, der 1812, als 
die Preußen mit den Franzoſen gegen die Ruſſen ziehen 
mußten, zu denjenigen gehört hatte, die beim Abſchied— 
nehmen Gneiſenau zugerufen hatten, er ſolle an die 
Spitze der Patrioten treten, damit „Hermann in ſeinen 
Enkeln lebe!“ In Breslau kommandierte Graf Brandenburg, 
der in der Neujahrsnacht 1814 als Erſter den Rhein über⸗ 


und der König. 141 


ſchritten hatte. Dieſe Leute follten dem vom Parlament 
als Reichsverweſer eingeſetzten öſterreichiſchen Erzherzog 
huldigen? Was war das für ein Verſtändnis für das 
Weſen der preußiſchen Armee, in der noch die Sieger von 
1813 lebten! Und wenn jetzt die Träger des Eiſernen 
Kreuzes von 1870 in der Armee allmählich ausſterben, der 
Geiſt lebt weiter. Es iſt ſchlechthin unmöglich, daß eine 
ſolche Armee ſich von ihrer Vergangenheit losreißt und ſie 
verleugnet. An dieſem Felſen branden alle Wogen vergebens. 
Weder läßt ſich die preußiſche Armee von ihrem König, 
noch der König von ſeiner Armee losreißen. Wie ſehr 
irren ſich jene Staatsrechtslehrer, die da glauben, das 
Staatsleben aus den Paragraphen der Verfaſſung ableſen 
zu können! Wie die lebendigen Kräfte des Parlaments in 
den Parteien ſtecken, von denen in der Verfaſſung kein 
Wort zu finden iſt, ſo beruht das Weſen des Königtums 
nicht in den Funktionen, die ihm die Verfaſſung zuweiſt, 
ſondern in Kräften, die weit jenſeits aller formalen Rechtsſätze 
in den Jahrtauſenden wurzeln, in den Beziehungen zum Heer. 
Neben dem Offizierkorps ſteht das Beamtentum. Es Das 
iſt zwar nicht fo unmittelbares Inſtrument der Macht wie enam. 
die Armee, aber doch Inſtrument für die Ausübung der 
Macht. Das Beamtentum, das dem König ebenſo gehorcht 
wie die Armee, das ſeinen Organismus über das geſamte 
Volk ausbreitet, verlegt am letzten Ende jede politiſche Ent— 
ſcheidung in die Hand des Königtums. Wie doktrinär muß 
man ſein, davor die Augen zu verſchließen! Kann dagegen 
die Macht, die die Maſſen in ſich tragen, aufkommen? Freilich 
auch hier iſt Macht und ſie iſt nicht zu verachten. Aber dieſe 
Macht, die im Reichstag zu ihrem Ausdruck kommt, iſt nicht der meichstag. 
einheitlich. Sie iſt ihrer Natur nach, wie wir ſchon geſehen 
haben, geſpalten. Wir haben im deutſchen Reichstag zur Zeit 
10* 


142 Dualismus in Rom und in Deutfchland. 


nicht weniger als ſieben Fraktionen, die alle das politifche Ziel 
von einem beſonderen Geſichtspunkt aus anſehen, und von 
denen jede es ſich überlegen kann, ob ſie ſchließlich ihr 
Ziel nicht beſſer erreicht, indem ſie ſich mit der Regierung 
Foaliert und durch Entgegenkommen und Kompromiſſe ihre 
Freundſchaft gewinnt, als wenn ſie ſich bemüht, ſelber das 
Steuerruder in die Hand zu bekommen. Wenn wir das 
alles zuſammenhalten, ſo ſehen Sie, daß von einem Hinüber— 
gleiten in eine parlamentariſche Regierung bei uns, weder 
im peſſimiſtiſchen noch im optimiſtiſchen Sinne, die Rede 
ſein kann. Sondern, ſoweit Menſchenaugen vorauszuſehen 
vermögen, werden wir in Deutſchland ein dualiſtiſches 
Regierungsſyſtem behalten, für das wir ja nun auch das 
große welthiſtoriſche Vorbild gefunden haben, nämlich in 
Rom. Es iſt durchaus nicht notwendig, daß ſich ſchließlich 
aus dem ewigen Streit um die Macht eine Partei als 
Siegerin herausarbeite, ſondern es kann geſchehen, daß in 
vielen Jahrhunderten ewigen Widerſtreits doch immer wieder 
ein Sichverſtehen gefunden wird, eine Harmonie, bei der 
bald die eine, bald die andere Macht mehr im Vorder— 
grund ſtehen mag, aber die letzte Entſcheidung, wer regiert, 
niemals getroffen wird. Es gibt deshalb auch keine prin— 
zipielle Grenze, bis wohin der parlamentariſche Einfluß 
gehen darf, oder umgekehrt; ſondern das iſt immer nur 
eine praktiſche Frage von Fall zu Fall. Von Beginn des 
Reichstags an war ſtets Streit und ſtets die Neigung, 
möglichſt viel von der Macht für die eine oder für die 
andere Seite zu erraffen, und immer wieder hat man ein— 
geſehen, daß man ſich beſſer verträgt als ſchlägt. Es iſt 
auch falſch, zu meinen, daß etwa die heutige Regierung 
dem Reichstag mehr nachgäbe, als es ſeinerzeit Bismarck ge— 
tan hat. Bismarck hat die ungeheure Macht, die der Reichstag 


Macht des Reichstages. 143 


ausübt, voll anerkannt und anerkennen müſſen. Namentlich 
haben ja die Parlamente immer das eine große Inſtrument 
in der Hand, die Geldbewilligung, und in dieſem Punkte 
hat Bismarck die allergrößten Konzeſſionen machen müſſen. 
Als wir das Schutzzollſyſtem einführten, da brachte das dem 
Reich ſo viel Geld ein, daß es auf lange Zeit finanziell unab— 
hängig geweſen wäre. Aus wirtſchaftlichen, nicht aus finan— 
ziellen Gründen war die Mehrheit des Reichstages dafür. 
Aber damit die Regierung nicht unabhängig würde, wurde 
die Klauſel Frankenſtein erfunden, die beſtimmte, daß das 
Geld, das einkomme, über eine beſtimmte Summe hinaus 
nicht in der Reichskaſſe bleiben dürfe, ſondern an die Einzel— 
ſtaaten verteilt werden müſſe, damit der Reichstag es immer 
neu zu bewilligen hätte. Und als der Schutzzoll ſpäter 
erhöht wurde und noch viel mehr Geld einkam, da war die 
Furcht noch viel größer, die Regierung möchte zu unabhängig 
werden, und es wurde beſchloſſen, in Preußen ein Geſetz zu 
geben (Lex Huene), daß auch die preußiſche Regierung das 
ihr zufließende Geld nicht behalten dürfe, ſondern es mußte 
an die Kreiſe verteilt werden. Zu dieſem Zwecke wurde in 
einer wahrhaft grotesken Weiſe Seelenzahl und Quadrat- 
meilenzahl der Kreiſe miteinander multipliziert und nach 
dieſem feſten Schlüſſel der Ertrag jährlich verteilt. Manche 
Kreiſe brauchten das Geld gar nicht, ſondern bauten für 
ihre Landräte prächtige Dienſtwohnungen davon. Aber der 
Zweck, die Macht der Geldbewilligung für die Reichstags— 
fraktionen zu erhalten, wurde erreicht und Bismarck mußte 
ſich dem unterwerfen. Das Reich wurde künſtlich in Geld— 
not verſetzt, damit der Reichstag den Knopf auf dem Beutel 
halte und immer wieder ſeine Bewilligung machen mußte. 
Natürlich, der geniale Erfinder dieſes Syſtems war der 
Führer des Zentrums, Windthorſt. 


Bismarck und 
der Reichstag. 


Heutige Finanz⸗ 
politik 
des Reichstages. 


144 Macht des Reichstages. 


Im übrigen wurde womöglich gar kein Geld bewilligt. 
Steuervorlagen, wie das Tabaksmonopol, das Branntwein— 
monopol uſw. wurden immer wieder vom Reichstag abge— 
lehnt. Was ſich darin geändert hat, und worüber jetzt 
die Leute klagen, iſt, daß der Reichstag ſich ſelber Steuern 
ausdenkt. Unzweifelhaft hat er dabei bereits ſchwere Fehler 
gemacht (Fahrkartenſteuer, Grundwertzuwachsſteuer), aber 
prinzipiell iſt es für das Reich ein Fortſchritt, wenn der 
Reichstag nicht bloß immer Steuern ablehnt, ſondern, wenn 
er gewiſſe Steuern nicht will, andere dafür an die Stelle 
ſetzt. Und da kommen die Klageweiber und vergießen 
Ströme von Tränen, daß nun der Parlamentarismus ge— 
kommen ſei, weil der Reichstag dem Bundesrat Steuern 
aufoktroiere. Ich laſſe mir vom Standpunkt des Reichs, der 
wirtſchaftlichen Zukunft und Geſundung der Finanzen es gern 
gefallen, daß der Reichstag die Steuern macht, wenn ihm die, 
die die Regierung vorſchlägt, nicht paſſen. Ich bin ſogar feſt 
überzeugt, daß der Reichstag die Steuervorlagen in dieſem Jahr 
ſachlich ſehr weſentlich verbeſſert hat. Um ſo lieber erkenne 
ich an, daß ſeine Macht eine durchaus berechtigte iſt, und 
es kann keinen ungerechteren Vorwurf geben, als einen 
Reichstag, der der Regierung die gewaltige Armeeverſtärkung 
und die dazu gehörige gewaltige Steuerbelaſtung bewilligt 
hat, die der einzelne vielfach hart empfinden wird, zu be— 
ſchuldigen, er treibe Machtpolitik und ſtrebe zu einer 
parlamentariſchen Regierung. Die Vorgänge der letzten 
Wochen bezeugen uns nur wieder von neuem, wie geſund 
und kräftig das dualiſtiſche Syſtem bei uns arbeitet. 

Unſere Betrachtung, ob anzunehmen ſei, daß Deutſchland 
mit der Zeit zum parlamentariſchen Syſtem hinübergleiten 
werde, leitet uns über zu der anderen Frage nach den be— 
ſonderen Vorzügen oder Nachteilen des einen und anderen 


Verantwortungsgefuͤhl der Parteien. 145 


Regierungsſyſtems. Die Frage iſt ja nicht identiſch mit 
jener anderen, ob anzunehmen iſt, daß wir von dem einen 
Syſtem zu dem anderen übergehen. Es könnte ein Über— 
gang zum Schlechteren, könnte auch ein Übergang zum 
Beſſeren ſein. 

Sehen wir erſt einmal auf gewiſſe Schwächen unſeres 
deutſchen Syſtems. Da iſt das erſte, daß den Parteien, 
da ſie nur die Regierung kontrollieren, aber ſie nicht ſelbſt 
führen, leicht das volle Gefühl der Verantwortung abgeht. 
Infolgedeſſen hatte Deutſchland bis auf unſere Tage eine 
überaus ſchlechte Finanzpolitik. Wir haben es ja fertig 
gebracht, in 40 jährigem Frieden 7000 Millionen Mark 
Schulden zu machen, weil der Reichstag ſich nicht entſchließen 
konnte aus Rückſicht auf die lieben Wähler, die ungern 
zahlen, im rechten Augenblick die notwendigen Steuern zu 
bewilligen. Im Jahre 1909 berechnete der Nationalökonom 
Profeſſor Schanz in Würzburg, daß, wenn man im Jahre 1877 
nur 70 Millionen Mark bewilligt hätte (etwa die Bierſteuer, 
wie ſie heute exiſtiert), das Reich ſchuldenfrei ſein würde. 
Nun haben wir an Zinſen und Amortiſation jährlich an 
200 Millionen mehr aufzubringen als ſonſt nötig wäre. 
In dieſem Punkt iſt ja nun gerade jetzt eine weſentliche 
Beſſerung zu berichten. Der Reichstag hat ſich in dieſem 
Jahr endlich entſchloſſen, den Satz aufzuſtellen: Keine 
Ausgaben ohne Deckung, und hat damit etwas geleiſtet, 
was keiner ſeiner Vorgänger jemals fertig gebracht hat 
— gerade der Reichstag mit den 110 Sozialdemokraten! 
Was wurden die Patrioten alle blaß, als im Februar 1912 
dieſes Wahlreſultat bekannt wurde! Ich darf wohl ſagen, 
daß ich mich nicht ſo habe täuſchen laſſen. Wer es will, 
mag es nachleſen in den Preußiſchen Jahrbüchern, wo ich 
damals ſchon geſchrieben habe, der neue Reichstag habe eine 


Schwächen des 
dualiſtiſchen 
Syſtems. 


146 Schlechte Finanzpolitik in Deutſchland. 


ſo günſtige Zuſammenſetzung, wie wir ſie noch gar nicht er— 
lebt hätten, und wie ſie Bismarck niemals beſchieden ge— 
weſen ſei. Dieſe optimiſtiſche Auffaſſung iſt heute durch 
die Ereigniſſe beſtätigt. Die Parteien ſind jetzt alle mehr 
oder weniger in die Stellung eingerückt, die Vorlagen der 
Regierung ſachlich zu prüfen und ihre Entſcheidung letzten 
Endes nicht ausſchließlich vom Partei- und Fraktionsintereſſe, 
ſondern auch unter Berückſichtigung des Staatswohles zu 
finden. Nichts deſtoweniger bleibt die prinzipielle Gefahr, 
daß das Verantwortungsgefühl der Reichsboten zu ſchwach 
iſt, beſtehen. Wir wiſſen ja nicht, ob die jetzige Stimmung 
anhält, ob der Reichstag nicht einmal in den alten Fehler 
zurückfallen wird. Die Natur der Dinge leitet eigentlich 
darauf hin — der Reichstag hängt einmal von den Wählern 
ab, iſt bernfen, die Regierung zu kritiſieren, aber nicht ſie 
zu führen, und das ſchwächt das Pflichtgefühl dem Staate 
gegenüber ab. 

Eng hiermit hängt der zweite Nachteil unſeres Regierungs— 
ſyſtems zuſammen, nämlich die ſtets verärgerte Volksſtimmung, 
weil niemand ſo ganz befriedigt iſt, ſondern immer Kom— 
promiſſe geſchloſſen werden müſſen, die immer auf beiden 
Seiten eine gewiſſe Mißſtimmung hinterlaſſen. Im 18. Jahr⸗ 
hundert ſchrieb einmal ein engliſcher Staatsmann, der draußen 
angeſtellt war und von Zeit zu Zeit mal in ſeine Heimat 
zurückkam: Wenn er nach Haufe komme und öffne die 
Augen und ſchließe die Ohren, ſo ſcheine ihm das Land in 
der ſchönſten Blüte. „Schließe ich aber meine Augen und 
öffne meine Ohren, ſo höre ich, daß England das elendeſte 
Land auf der ganzen Welt iſt.“ So ungefähr hätte ſeit 
vielen Jahren man auch wohl in Deutſchland urteilen können. 
Die ganz Naiven tröften ſich damit, es ſei erſt fo ſeit Bis— 
marcks Abgang; zu Bismarcks Zeiten, da ſei man zufrieden 


Unzufriedene Stimmung. 147 


geweſen; ſeitdem aber herrſche die fortwährend fteigende un— 
zufriedene Stimmung. Daran iſt ſo viel wahr, daß die 
Anhänger Bismarcks zufrieden waren, oder wenigſtens ihre 
Unzufriedenheit nicht laut äußerten, aber deſto unzufriedener 
waren die Sozialdemokraten, die Klerikalen und die Frei— 
ſinnigen, die in der allerſchärfſten Oppoſition waren. Das 
hat ſich ja nun ſehr ausgeglichen. Zentrum und Freiſinnige 
ſind in ein poſitives Verhältnis mit der Regierung ein— 
getreten; ſelbſt die Sozialdemokraten haben ſo viel mit ſich 
reden laſſen, daß ihnen eine gewaltige Oppoſition in ihren 
eigenen Reihen daraus erwachſen iſt. Aber in demſelben 
Verhältnis, wie dieſe Parteien beſchwichtigt ſind, iſt die 
Mißſtimmung bei den anderen gewachſen, während auch 
jene doch keineswegs befriedigt ſind. Man brummt alſo jetzt 
ringsum, und namentlich von links wird ja tagtäglich ver— 
kündigt und geklagt, daß Deutſchland ein zurückgebliebener 
Polizei: und Klaſſenſtaat fei. 

Vergleichen wir einmal das deutſche Reich mit den 
anderen Ländern. Deutſchland iſt derjenige Staat, der 
zuerſt von allen europäiſchen Großſtaaten das allgemeine, 
gleiche, geheime Stimmrecht, verbunden mit freiem Ver— 
ſammlungs- und Vereinsrecht, eingeführt hat. Frankreich hat 
das Stimmrecht ſeit 1851, aber ohne Verſammlungs- und 
Vereinsrecht, das erſt 1871, nach dem Sturz Napoleons III., 
eingeführt wurde. England, Italien, Belgien, Holland, 
haben heute noch nicht das allgemeine, gleiche Stimmrecht. 
Deutſchland iſt das Land, daß die weitgehendſte und in 
den meiſten Gebieten früheſte, organiſche Sozialpolitik gehabt 
hat, wodurch für die unteren Stände eine Fürſorge ge— 
troffen iſt, die man jetzt anfängt, in anderen Ländern 
einigermaßen nachzuahmen. Deutſchland hat ſeit undenk— 
licher Zeit die Schulpflicht, die allgemeine Volksſchule und 


Das Demokra⸗ 
tiſche im deut⸗ 
ſchen Reich. 


148 Das ſozialdemokratiſche Ideal. 


ſeit lange den unentgeltlichen Schulunterricht. Deutſchland 
hat auch ein höheres Schulweſen, das es den begabten 
Söhnen kleiner Leute ungemein erleichtert, bis in die höchſte 
Bildungsſchicht aufzuſteigen. Deutſchland hat die demo— 
kratiſcheſte aller Inſtitutionen, demokratiſcher als das all: 
gemeine Wahlrecht, das iſt die allgemeine Wehrpflicht, die 
den höheren Klaſſen, obgleich ſie einige Erleichterungen haben, 
viel ſchwerere Laſten in wirtſchaftlicher und ſonſtiger Be— 
ziehung auferlegt als den breiten Maſſen. 

Von dieſem Staat behauptet die radikale Linke, daß er 
ein zurückgebliebener Klaſſenſtaat ſei! Freilich, manchmal 
finden die Sozialdemokraten ja jetzt auch Gutes bei uns; 
namentlich die Sozialpolitik, die ſie ſeinerzeit aufs Schärfſte 
bekämpft haben, findet jetzt eine gewiſſe Anerkennung. Wenn 
man ihnen vorhält: „Seit 30 Jahren ſeid ihr eine große 
Partei und habt ſchlechterdings nichts geleiſtet,“ dann berufen 
ſie ſich darauf, daß ſie indirekt dieſe Sozialpolitik gemacht 
haben, eigentlich die geiſtigen Urheber waren. Wie ſich das auch 
verhalte, auf alle Fälle haben ſie damit zugegeben, daß dieſer 
Staat ſelbſt für die Anſprüche der extremſten demokratiſchen 
Partei außerordentliches geleiſtet hat. Nichtsdeſtoweniger 
iſt die ſozialdemokratiſche Partei eine intranſingente; intran⸗ 
ſingent in dem Sinne, daß die Regierung ſich mit ihr über 
etwas Praktiſches nicht oder nur ganz ausnahmsweiſe ver— 
tragen kann. Viele ſtellen ſich vor, es ſei die Partei der 
weitliegenden idealen Zukunft, der man ſich ſchrittweiſe naͤhere. 
Wer ſich uͤber ſie luſtig machen will, kann das gerade 
Gegenteil feſtſtellen. Es iſt von allen unſeren Parteien 
die reaktionärſte. Unſere Feudal-Konſervativen, unſere 
Klerikalen, haben ein ungewiſſes, verſchwommenes Ideal 
im Mittelalter. Das Ideal der Sozialdemokratie liegt noch 
viel weiter zurück; es lebte in den Urzeiten. Vergleichen 


Wirkung der Intranſigenz der Sozialdemokraten. 149 


wir einmal die Forderungen, die im Erfurter Programm 
geftellt werden, mit den urgermanifchen Zuſtänden. „Ver— 
geſellſchaftung der Produktionsmittel“ — Produktionsmittel 
waren damals Grund und Boden; die gehörten dem Volk; 
privaten Grund und Boden gab es nicht. „Direkte Geſetz— 
gebung durch das Volk“ — eine andere Geſetzgebung 
gab es nicht. „Rechtſprechung durch das Volk“ — ebenſo. 
„Wahl der Regierung durch das Volk“ — die Fürſten wurden 
vom Volke gewählt. „Allgemeines Volksheer“ — jeder 
Germane war ein Krieger. Entſcheidung über Krieg und 
Frieden durch das Volk. Fügen wir ſchließlich hinzu, daß 
es kein ſtehendes Heer und keine Steuern gab, ſo haben 
wir einen ſozialdemokratiſchen Idealſtaat, daß das Erfurter 
Programm verblaßt dagegen. Wir brauchen jetzt nicht mehr 
ſo ſehr nach dem Zukunftsſtaat zu ſuchen und zu fragen, 
wir können ihn wirklich in der Hiſtorie finden. Ob wir 
ihn dann noch einführen wollen, iſt eine andere Frage, eine 
Frage, die ich dem Einzelnen und der Zukunft überlaſſen 
will. 

Praktiſch aber entſteht an dieſer Stelle die Schwierig— 
keit für das gute Funktionieren des dualiſtiſchen Regierungs— 
ſyſtems. Wenn alle Parteien, wie es in dieſem Augenblick 
bis auf einen gewiſſen Grad der Fall iſt, bereit ſind, über 
jede neu auftretende Forderung zu verhandeln, dann iſt es 
gar nicht ſchwer, ſo oder ſo eine Majorität zuſammen zu 
bringen. Wenn aber eine große, ganz intranſingente Partei 
da iſt, dann kann es allerdings ſehr ſchwer werden. Das 
ſind heute höchſtens noch die Sozialdemokraten. Bismarck 
hatte es darin noch ſehr viel ſchwerer. Es gab damals noch die 
ſogenannte deutſch-freiſinnige Partei unter der Führung des 
Abgeordneten Eugen Richter, mit der ſo gut wie gar nicht 
zu verhandeln war (Bismarck hat einigemale Verſuche ge— 


Caprivi und die 
Freiſinnigen. 


150 Die Kriſis von 1892. 


macht, die aber abgewieſen wurden), und das Zentrum, 
deſſen Hilfe nur um ſehr hohen Preis zu haben war. Es 
iſt überaus ſchwer für Parteien, die einmal in der radikalen 
Oppoſition ſind, in eine poſitive Stellung hineinzurücken. 

Ich kann da wieder eine Erinnerung aus meinem eigenen 
Parlamentsleben einflechten. Die deutſch-freiſinnige Partei 
hatte ſich gebildet im Jahre 1884, etwa 100 Mitglieder 
ſtark, durch die Vereinigung der alten Fortſchrittspartei mit 
einer Abſonderung von den Nationalliberalen, vielen höchſt 
bedeutenden Leuten darunter. Nun war Bismarck abge— 
gangen. Caprivi ſuchte mit der Linken ein beſſeres Ver— 
hältnis. Die Ruſſen hatten ſchon in den 80er Jahren 
begonnen, die drohende Stellung gegen uns einzunehmen, 
die ſie heute noch feſthalten. Es war eine große Ver— 
ſtärkung der Armee notwendig, und da bot im Jahre 1892 
Caprivi der Linken die Konzeſſion, um die fie 30 Jahre 
vergeblich gefochten hatte, die zweijährige Dienſtzeit. Kaiſer 
Wilhelm der Alte hielt es ſchlechterdings für unmöglich, 
die Armee auf dem hohen Stand der Ausbildung zu halten 
ohne die dreijährige Dienſtzeit; darüber war im Jahre 1861 
der Konflikt mit dem Abgeordnetenhauſe ausgebrochen. Jetzt 
bot Caprivi, natürlich gegen Kompenſation, gegen eine ſtarke 
Erweiterung der Aushebung, die ja weit hinter dem zurück— 
bleibt, was wirklich geleiſtet werden könnte (auch heute ſind 
wir noch immer in der Lage, daß bei weitem nicht alle 
Männer, die tatſächlich geeignet ſind, eingezogen werden), 
dieſe Konzeſſion der zweijährigen Dienſtzeit. Die Verkürzung 
der Dienſtzeit brachte alſo keine Erſparnis, ſondern koſtete 
etwas, und daraufhin machte die freiſinnige Volkspartei 
dieſem Vorſchlag Oppoſition. 

Mir ſchwebte damals ſchon jenes Ideal vor, daß der 
Fürſt Bülow für einen Moment durchgeführt hat im ſo— 


Intranſigenz der Freiſinnigen. 151 


genannten Block, das Zuſammengehen der Konſervativen mit 
den Liberalen. Ich hatte einige Beziehungen zu angeſehenen 
Liberalen und ging hin zu Virchow und zu Hänel, die 
neben Richter die hervorragendſten Führer der alten Fort— 
ſchrittspartei waren. Von den ehemaligen Nationalliberalen 
war anzunehmen, daß ſie ohnehin geneigt ſeien, ſich mit 
Caprivi zu vertragen. Ich ging alſo zu Hänel und Virchow 
und legte ihnen dar, wie doch die ganze Zukunft des Libe— 
ralismus jetzt auf dem Spiel ſtehe, wenn ſie dieſes Angebot 
der Regierung nicht annähmen, und nach einiger Unter— 
redung brachte ich ſie (Hänel ging gleich darauf ein, zoͤgernder 
auch Virchow) fo weit, daß fie ja ſagten. Ich ließ mich abends 
um 10 Uhr noch bei Caprivi melden: „Ich bringe Ihnen 
Virchow.“ Antwort: „Es iſt zu ſpät; morgen wird auf— 
gelöſt.“ Es wurde doch noch nicht gleich am anderen Tag 
aufgelöſt, die Dinge blieben noch einen Moment in der 
Schwebe. Aber der Führer der Konſervativen, Hammerſtein, 
Redakteur der Kreuz-Zeitung, erzwang die ſofortige Ab— 
ſtimmung, weil er nicht wollte, daß die Regierung ſich mit den 
Freiſinnigen vertrage, und ſchnitt dadurch weitere Verhand— 
lungen ab. So wurde die Sache der Verſtaͤndigung nicht reif. 
Die Freiſinnigen ſtimmten zum großen Teil gegen die Vorlage. 
Der Reichstag wurde aufgelöſt. Die Partei trennte ſich in 
zwei Teile, wurde vollkommen geſchlagen, und ſeitdem führt 
ſie bis auf den heutigen Tag ein mehr oder weniger ſchatten— 
haftes Daſein. Einige Jahre ſpäter trat einmal der Intimus 
von Eugen Richter, der Abgeordnete Hermes, an mich heran 
und ſagte: „Ich habe ja damals auch gehört von Ihrem 
Vermittlungsverſuch und habe zu Richter geſagt: Wollen 
wir nicht darauf eingehen?“ Darauf habe ihm Richter ge— 
antwortet: „Dann ſind wir keine Volkspartei mehr.“ Wie 
unendlich charakteriſtiſch iſt dieſer Ausſpruch! Dieſer Partei— 


152 Vorteil der Oppoſition. 


führer lehnte es grundſätztlich ab, eine poſitive Politik zu 
machen. Er wollte in der Oppoſition bleiben; denn in der 
Oppoſition ſein, iſt volkstümlich. Wer Poſitives leiſtet, 
namentlich aber wer von den Bürgern verlangt, daß ſie 
Steuern zahlen ſollen, iſt ein ſehr zweifelhafter Volksmann; 
es ſei denn, daß er es ſo eingerichtet hat, daß die Andern 
die Steuern zahlen. Aber an dieſer Überlegung: „Dann 
ſind wir keine Volkspartei mehr,“ daran iſt damals das 
Einſchwenken geſcheitert, das endlich die Natur die Dinge 
doch herbeigeführt hat, aber erſt im Jahre 1907, als es 
für den Liberalismus bereits zu ſpät war. Zufällig gerade 
heute las ich übrigens in der Frankfurter Zeitung (Nr. 207), 
daß die Dinge noch weiter geweſen ſein ſollen. Da ſteht 
nämlich, der Kaiſer ſei bereit geweſen, die Freiſinnigen an 
der Regierung teilnehmen zu laſſen. Ob das wirklich wahr 
iſt, weiß ich nicht. Ich würde es damals dann wohl er— 
fahren haben. Im Weſen kommt es ja auf das hinaus, 
was ich geſagt habe. Denn ein ſolches Vertragen mit der 
Regierung, wenn es auch nicht gerade Miniſterpoſten be— 
deutet, bedeutet doch immerhin einen ſehr weſentlichen Ein— 
fluß auf die Geſetzgebung. Aber es iſt ſchwer, eine ſolche 
Stellung zu gewinnen, wenn man eine ganze Generation 
lang das Volk daran gewöhnt hat, ſich vorzuſtellen, daß 
die Regierung nichts als Böſes treibe und Ungehöriges 
verlange, und jeden, der zu der Regierung in Beziehung 
tritt, als Höfling, „Wadenſtrümpfler“, wie man es damals 
nannte, verdächtigt hat. In dieſer ſtets kritiſchen Negation 
hat die Oppoſition eine große Stärke. Denn für den 
Menſchen gibt es keine größere ſeeliſche Luſt, als ſchimpfen 
zu können, oder wie Goethe das in ſeiner erhabeneren Weiſe 
ausdrückt: „Der Handelnde hat immer unrecht; der Be— 
trachtende hat immer recht.“ Sich in die Bruſt des Beſſer— 


Urſache der Vorherrſchaft der Agrarier. 153 


verſtehens, der Überlegenheit werfen, kritiſieren, zeigen, 
wie und wo Erſparniſſe gemacht werden können, die Ge— 
rechtſame des Volkes verteidigen, den Gewalthabern die 
Wahrheit ſagen, das alles kann man dann nicht mehr 
ſo frei, wenn man ſelbſt an der Regierung teilnimmt. 
Darum finden Sie, daß in Frankreich und England, wo 
doch auch viel Unzufriedenheit herrſcht, fie doch nicht fo ſtark 
hervortritt wie bei uns. Namentlich nicht in England; weil 
dort die eine Hälfte der Maſſe immer in der Regierung iſt 
und ſich Mühe geben muß, zu verſtehen, was die Miniſter 
machen, und es einigermaßen verteidigen. Bei uns 
herrſcht ſtatt deſſen der Mittelweg, daß jede Richtung der 
fog. bürgerlichen Parteien immer etwas mitwirkt, aber nie 
ganz, während eine ſehr große Partei, die ſozialdemokra— 
tiſche, faſt ſtets ganz draußen ſteht. Das reizt natürlich die 
Stimmung ſtets zur Kritik und dieſe wird zur Nörgelei. Schließ— 
lich ſchadet das nicht ſo ſehr viel; in großen Momenten kommt 
man darüber hinweg. Wichtiger iſt aber, daß durch die 
Eriftenz intranſigenter Parteien eine naturgemäße den 
großen Tendenzen der Entwicklung konforme Regierung ver— ee 
hindert werden kann. Wir haben jetzt den eigentümlichen en 
Zuſtand, daß wir einen fcharf agrariſchen Reichstag und eine 
agrariſche Regierung haben, obgleich nach der letzten Volks— 
zählung vom Jahre 1907 nur 28,6% der Geſamtbevölke— 
rung landwirtſchaftlich ſind. Im Jahre 1895 waren es 
noch 38,7%. So rapide iſt der Anteil der land wirtſchaftlichen 
Bevölkerung am Geſamtwirtſchaftsleben im Rückgang. Da 
jetzt wieder ſechs Jahre verfloſſen ſind, iſt noch kaum 
ein Viertel, oder wenig mehr als ein Viertel der Bevölke— 
rung agrariſch. Trotzdem haben die Agrarier die Majorität, 
eine große Majorität, im Reichstag. Freihändleriſch ſind 
nur die Sozialdemokraten und die freiſinnige Partei. Das 


Die Agrarzölle. 


154 Die Agrarzoͤlle. 


kommt einerſeits von der veralteten Wahlkreiseinteilung, die 
die volksſchwachen Kreiſe bevorzugt, indem ſie die ſeit 1867 
emporgekommenen großen Induſtrieſtädte noch nicht mit 
Mandaten bedacht hat. Aber das erklärt noch nicht eine 
ſo koloſſale Unterbilanz, ſondern die kommt daher, daß die 
Regierung und die Parteien, die zu ihr halten, unter keinen 
Umſtänden mit den Sozialdemokraten poſitive Politik machen 
können. Alſo wo es gilt, einen Vertreter einer poſitiven 
Politik zu wählen, da ſind auch Anhänger einer gemäßigten 
Wirtſchaftspolitik in ſehr vielen Fällen gezwungen, mit den 
Agrariern zu gehen, weil die immer den Kern der Gegen— 
truppe gegen die Sozi bilden. Da ſind es alſo meiſt die 
Großgrundbeſitzer, die den Ausſchlag geben, wenn man nicht 
die Sozialdemokratie heranlaſſen will. Nun halte ich das 
durchaus für kein Unglück; ich bin ſelbſt ein Stück von 
einem Agrarier. Ich bin zwar bei den Agrariern ſehr 
wenig beliebt, weil ich ihnen zuweilen etwas harte Wahr— 
heiten geſagt habe. Aber nichtsdeſtoweniger, die agrariſche 
Schutzzollpolitik halte ich bis heute im weſentlichen für 
gerechtfertigt und für wohltätig, und zwar unter dem Ge— 
ſichtspunkt, daß ſie die Preiſe der agrariſchen Produkte 
nicht erhöht hat, ſondern nur das Sinken unter den 
früheren Durchſchnitt verhinderte. Das iſt tatſächlich der 
Fall. Mit Ausnahme weniger Jahre hat ſich trotz unſerer 
enormen Zölle der Preis für Roggen, Weizen und andere 
Landwirtſchaftsprodukte meiſtens unter dem Durchſchnitt der 
Jahre 1851 —80 gehalten, und ihn nur in wenigen Jahren 
überſchritten“). Solange das der Fall iſt, ſind die Zölle 


) In den Jahren 1851 bis 1880 war der Durchſchnitt des Weizen⸗ 
preiſes 209,6 für die Tonne. Dieſer Preis iſt nur 1891 (mit 224,2) 
und 1909 (mit 233,09) uͤberſchritten worden; heute ſteht er (Nov. 13) 
auf 178. Der Roggen koſtete im Durchſchnitt 1851 bis 1880 163,7, hat 


Herrſchaft der Konſervativen durch die Hilfe der Sozi. 155 


gerechtfertigt. Denn wenn die Zölle nicht gekommen wären 
oder plötzlich aufgehoben würden, würde ein ungeheurer 
wirtſchaftlicher Zuſammenbruch auf dem Lande ſtattfinden, 
der tatſächlich nicht nur alle ländlichen Familien, ſondern 
das ganze Wirtſchaftsleben ſo ſtören würde, daß auch der 
reine Konſument, der kaufende Arbeiter, in Mitleidenſchaft 
gezogen würde. Die agrariſche Schutzzollpolitik verliert aber 
dieſe Berechtigung, ſobald die Preiſe weſentlich und dauernd 
über das überlieferte Maß hinaus ſteigen, und es iſt ſehr 
leicht möglich, daß das jetzt kommt, und dann müſſen wir 
die Zölle abbauen. 


Aber ich will mich nicht in Zukunftsüberlegungen ein— 
laſſen, ſondern nur eine Begründung geben zu dem Satz, daß 
die agrariſche Schutzzollpolitik auch von jemand, der weder 
Ar noch Halm beſitzt, als nicht nur gerechtfertigt, ſondern 
auch als ſegensreich angeſehen werden kann, daß wir alſo den 
Sozialdemokraten für ihre intranfingente Stellung, die den 
Agrariern die Herrſchaft in Deutſchland gibt, noch dankbar 
ſein müſſen. Im übrigen freilich iſt von höheren Geſichts— 
punkten aus dieſes Verhalten einer großen Partei natür— 
lich das Schädlichſte und Verkehrteſte, was es geben kann, 
aber es iſt ſehr ſchwer, davon los zu kommen, wie wir das 
an der Geſchichte der freiſinnigen Partei kennen gelernt 
haben. Mögen die Sozi ſehen, wie fie damit fertig werden. 
Für uns iſt das erfreuliche Ergebnis, daß die Schwierigkeit, 
mit einem Reichstag mit intranſingenten Parteien durch— 
zukommen, ſich bisher überwindbar gezeigt hat, und ſie 


dieſen Durchſchnitt bis 1909 ſechsmal uͤberſchritten, iſt aber auch 1896 trotz 

Zoll bis auf 118,8 geſunken. Heute ſteht er auf 153. Der Konſum 

von Roggen iſt ſeit 1878 pro Kopf der Bevoͤlkerung etwa derſelbe ge— 

blieben; gleichzeitig aber der Verbrauch von Weizen ganz gewaltig ge: 

ſtiegen, die Geſamternaͤhrung durch Brotfruͤchte alſo ungeheuer verbeſſert. 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 11 


Die organiſierte 
Intelligenz. 


156 Unzulaͤnglichkeit der organiſierten Intelligenz. 


wird ſich auch in Zukunft als überwindbar erweiſen, hilft 
uns ſogar, die konſervativen Elemente und Grundlagen des 
Staates zu erhalten. 

Aber ich muß jetzt auf einen anderen, ziemlich 
dunklen Punkt eingehen. Wir haben uns den idealen 
Aufriß gemacht, daß eigentlich zwei Potenzen bei uns 
im Lande regieren: die organiſierte politiſche Intelligenz 
im Beamtentum und die Maſſe, die im Reichstag ihre 
verſchiedenen Inſtinkte kund gibt. Nun iſt es aber mit der 
Organiſation der Intelligenz eine eigene Sache. Wir haben 
geſehen, daß es eine pſychologiſche Täuſchung iſt, im Reichs— 
tag den Volkswillen zu ſehen, weil der Volkswille ſich gar 
nicht organiſieren läßt. Der demokratiſche Reichstag iſt im 
heutigen deutſchen Reich etwas Unentbehrliches, aber die ideale 
Forderung, den Volkswillen darzuſtellen, die kann er nicht 
erfüllen. Bei der organifierten Intelligenz im Beamtentum 
iſt es etwas Ahnliches. Wenn man Intelligenz organiſiert, 
gerinnt ſie, wird ſtarr und ſteif, und es entſteht die Bureau— 
kratie oder die Hierarchie. Was für einen unerfreulichen 
Nebenklang haben dieſe Worte, und mit welch nieder— 
ſchmetternder Charakteriſtik haben gerade unſere größten 
Staatsmänner eben dieſes preußiſche Beamtentum bedacht, 
von dem wir uns klar gemacht haben, daß es den eigent— 
lichen Aufbau unſeres Staates bildet, und wie unendlich 
viel wir ihm verdanken. Stein ſprach nie anders als im 
verächtlichſten Tone von den „bezahlten Offizianten“, und in 
Bismarcks Augen waren die Beamten Drohnen, die Geſetze 
machen und ſich dafür vom Volke ernähren laſſen; ja, er 
hat ſogar das ſchnöde Wort geprägt von jenem „Extrakt von 
Dummheit und Bosheit, den man in Preußen den Geheimen 
Rat nennt“. Ein Beiſpiel, daß man ein in der Laune 
einmal ausgeſprochenes Urteil auch von den allergrößten 


Bureaukratie und Kommiß. 157 


Politikern nicht als objektive, hiſtoriſche Charakteriſtik an— 
nehmen darf. Aber wahr iſt es, daß im Beamtentum 
ſich trotz der höchſten Sachkunde und Intelligenz eine 
Verknöcherung des Denkens und Verengung des Geſichts— 
kreiſes nur zu leicht herausbildet. Pedanterie, Forma— 
lismus, Hochmut, Kleben am Überlieferten, Strebertum, 
Unfähigkeit, ſich in neue Aufgaben und Ausnahme— 
zuſtände zu finden, das ſind Eigenſchaften, die ſich nur zu 
häufig zeigen und die uns den Zorn von Männern wie Stein 
und Bismarck wenigſtens erklärlich machen. Beim Militär 
nennt man dieſelbe Erſcheinung „Kommiß“! 

Wir haben ſicherlich ein fo tüchtiges und fo hoch: 
ſtehendes Beamtentum, wie nur irgendwo, aber daß es 
gewiſſen Aufgaben nicht gewachſen iſt, dafür haben wir 
nun ein ſehr bedeutendes und ſehr bedauerliches Beiſpiel, 
das ich etwas näher ausführen will. Das iſt die Polen— 
frage. Im modernen Nationalſtaat iſt es eine ganz be— 
ſonders ſchwierige Aufgabe, wenn weſentliche Elemente 
einer fremden Nationalität eingeſchloſſen ſind. Wie ſoll 
ſich ein Staat der Deutſchen, der doch ganz und gar auf 
das lebendige Bewußtſein des deutſchen Volkes aufgebaut 
iſt, damit abfinden, daß er nicht weniger als 4 Millionen 
Polen, und daneben noch Dänen im Norden, Franzoſen im 
Weſten, in ſeinem Reichs- und Staatskörper hat? Eine 
reine Löſung dieſes Problems kann es wohl niemals geben. 
Man pflegt zu ſagen und wird immer mit einem gewiſſen 
Recht ſagen: die Polen ſind ſchließlich nur Preußen auf 
Kündigung. Sie leiſten den Eid auf die Verfaſſung, tun 
ihre Pflicht, arbeiten auch an den poſitiven augenblicklichen 
Aufgaben des Staates — den polniſchen Stimmen verdanken 
wir ja im Reichstag die deutſche Flotte und die Armee— 


reform von 1893 — und trotzdem, wenn man ſich vorſtellt, 
11* 


Die preußiſche 
Polenpolitik. 


158 Polen⸗Frage. 


daß die Weltgeſchichte, oder, wie die Polen es ausdrücken, 
„wenn es Gottes Wille iſt“, einmal die Möglichkeit der 
Herſtellung eines polniſchen Nationalſtaates zeigt, ſo werden 
ſie das als ein höheres Geſetz anſehen und ſich dieſem 
Staate zuwenden. Wie ſoll man ſich mit einem ſolchen 
Teil des Volkes abfinden? Entſchloſſene meinen, man 
müßte ſie germaniſieren. Das wurde denn auch vor 25 Jahren 
in Angriff genommen. Wir haben ja die Volksſchule, den 
deutſchen Schulmeiſter. Vom ſechſten Jahre an lernen die 
polniſchen Kinder das Deutſche, und was ſie in der Schule 
gelernt haben, wird vollendet in der Armee; die polniſchen 
Rekruten werden unter die deutſchen Regimenter verteilt. 
Die ganze Verwaltung iſt deutſch, die Amtsſprache deutſch, alle 
höheren Beamten deutſch. Außerdem ſind ungeheure Mittel 
aufgewendet, polniſchen Grundbeſitz aufzukaufen und ſtatt 
deſſen deutſche Bauern anzuſiedeln. Wenn man das ſo 
hört, möchte man ſagen: Ja, das muß ja wohl auf die 
Dauer helfen, um ſo mehr, als ja die Polen auf vier ver— 
ſchiedene Provinzen verteilt find; wir haben 1,2 Million 
in Oberſchleſien, in Poſen ungefähr 1½ Millionen, ½ Million 
in Weſt⸗, und ½ Million in Oſtpreußen, immer gemiſcht 
mit Deutſchen; wir haben nirgends großes, geſchloſſenes polni- 
ſches Gebiet, auch nicht einmal einen einzigen rein polniſchen 
Kreis. Wenn nun dies ohnehin gemiſchte Gebiet noch 
mehr mit Deutſchtum überzogen und ein kräftiges, deutſches 
Bauerntum, wenn auch mit großen Opfern, hineingeſetzt 
wird, ſo ſollte man meinen, daß der Erfolg auf die Dauer 
nicht fehlen könne. Nun, wenn Sie heute mit jemand 
darüber ſprechen, der einigermaßen unbefangen iſt, und dort 
die Verhältniſſe kennt, ſo ſagt er Ihnen: „In den 25 Jahren 
ift kein Fortſchritt gemacht worden. Im Gegenteil.“ Zwar 
ſucht die amtliche Statiſtik hier und da ein paar tauſend 


Polen⸗Frage. 159 


Deutſche mehr herauszurechnen; es ſind bei weitem noch nicht 
ſo viel, wie an deutſchen Bauern hingeſchafft worden iſt. 
Aber die Eingeſeſſenen ſind ſehr ſkeptiſch inbezug auf dieſe 
Statiſtik, und wahrſcheinlich iſt das Deutſchtum in den vier 
Provinzen ſogar im Rückgang. Wie neulich ein Großgrund— 
beſitzer von der Poſenſchen Grenze in den Preußiſchen 
Jahrbüchern ſchrieb (Märzheft 1913): Während wir Bauern 
anſetzen, poloniſieren die Polen die Städte. Früher 
waren die Städte weſentlich deutſch, wobei das Judentum 
allerdings zu den Deutſchen gerechnet iſt, wie es auch 
deutſch ſprach und ſich zu den Deutſchen hielt. Im ganzen 
Oſten, im alten Königreich Polen, waren die Städte ehedem 
zum großen Teil deutſch und daneben jüdiſch. Aber dieſe 
deutſche Bevölkerung iſt im Abzug begriffen, und der 
ſtädtiſche Hausbeſitz, das Handwerk, das Krämertum, 
Apotheker, Buchhändler, Landmeſſer, was alles früher deutſch 
war, wird polniſch. Wenn man eine Zeitlang darüber ge— 
ſprochen hat, pflegt ſchließlich immer die letzte Zuflucht zu 
ſein: „Ja, wenn wir aber unſere Oſtmarkenpolitik nicht 
gehabt hätten, ſo wäre es noch viel ſchlimmer.“ Das iſt 
immerhin ein ſehr fragwürdiger Troſt, aber jedenfalls der 
Beweis, daß dieſe 25jährige Politik, wenn überhaupt etwas, fo 
doch ſehr wenig geleiſtet hat. Einer der klügſten Politiker im 
Reichstag in der Bismarckſchen Zeit war der Abgeordnete 
von Kardorff, damals einer der Führer der freikonſervativen 
Partei, und auch ganz im Vertrauen Bismarcks. Der hat 
eine Aufzeichnung hinterlaſſen (ich habe fie abgedruckt im 
140. Band der Preußiſchen Jahrbücher), worin er bekennt, 
daß, als Bismarck die erſte Vorlage dieſer Art im Abge— 
ordnetenhaus einbrachte, er ihm vertraulich geſagt habe, die 
Sache würde nicht gehen, und darauf habe Bismarck ihm 
geſagt, er teile im Grunde ſeine Auffaſſung, aber aus ge— 


160 Bismarck und die Polenfrage. 


wiſſen Gründen der auswärtigen Politik, um feine Autorität, 
die man in dieſem Augenblick im Reichstag ſtark ange— 
griffen hatte, zu ſtärken, müſſe er die Sache machen. 
Kardorff endet dieſe ſeine Aufzeichnungen: „Aber leider 
haben meine derzeitigen Bedenken ſich nach den heute ge— 
machten Erfahrungen als völlig berechtigt erwieſen. Die 
polniſche Bewegung iſt nicht zurückgegangen, ſondern weſent— 
lich geſtärkt. Der Angriff hat einen Gegendruck hervorge— 
rufen und vorläufig nur zur Kräftigung der großpolniſchen 
Agitation nicht allein in Poſen, ſondern auch in Weſtpreußen 
und ſelbſt in dem niemals doch dem Königreich Polen zu— 
gehörigen Oberſchleſien geführt.“ Neben dem Zeugnis von 
Kardorff, verweiſe ich Sie auf die erſt in dieſem Jahr er— 
ſchienene Schrift eines früheren Landrats im Poſenſchen, des 
Kammerherrn Baron Puttkamer „Die Mißerfolge in der 
Polenpolitik“, die ganz dasſelbe beſagt. Alſo die Germani— 
ſierungspolitik, das ſieht man jetzt — abgeſehen von den 
fanatiſchen Hakatiſten — ziemlich allenthalben ein, hat 
Bankerott gemacht. Sie hat das Polentum numeriſch 
nicht geſchwächt und es moraliſch ungeheuer geſtärkt. Vor 
ein paar Jahren traf ich einmal in Scheveningen einen 
polniſchen Grafen aus dem Warſchauiſchen. Ich kam mit 
ihm in ein Geſpräch. Er erzählte mir, auf der Herreiſe 
habe er Station in Poſen gemacht, das erzbiſchöfliche Palais 
beſucht, und dort ſeiner Verwunderung Ausdruck gegeben, 
daß er Bauern und gemeine Leute habe Zeitungen leſen 
ſehen; das kenne man in Ruſſiſch-Polen gar nicht. Da ſei 
ihm geantwortet worden: „Das verdanken wir alles den 
Preußen; ſie haben uns wohlhabend gemacht, ſie haben 
uns gebildet gemacht, jetzt machen ſie uns auch noch zu 
Patrioten.“ Jetzt machen ſie uns auch noch zu Patrioten — 
nämlich zu polniſchen! Welch ein blutiger Hohn! Wie geht 


Die deutſche Schule in den Oſtmarken. 161 


das zu? Warum iſt dieſe Politik, die durch ein ſo macht— 
volles Beamtentum, mit fo ungeheuren Mitteln (es find 
allmählich nahezu eine Milliarde Mark aufgewendet worden) 
durchgeführt wird, unter Zuſtimmung eines ſehr großen 
Teiles des deutſchen Volkes, wie iſt es gekommen, daß 
ſie ſo vollſtändig Bankerott gemacht hat“)? 

Das vornehmſte Mittel der Germaniſierung ſollte die 
Volksſchule fein. Wie ſieht es in ihr aus? Da find vielleicht Die Voltsſchule. 
25 deutſche Kinder und 40 —60 polniſche. Der Lehrer weiß, 
daß der Kreisſchulinſpektor auf nichts mehr Wert legt, als 
daß die polniſchen Kinder deutſch ſprechen lernen, und ſie 
lernen wirklich etwas. Ich habe es anfänglich nicht für 
möglich gehalten, aber unſere Volksſchullehrer ſind ſo aus— 
gezeichnet, die Methode ſo durchgebildet und ſchließlich 


) Auch viele Hakatiſten geben jetzt zu, daß die Oſtmarkenpolitik keinen 
Erfolg gehabt hat. Im Gegenſatz dazu ſoll Geheimrat Witting in einer 
Rede in Bremen (Taͤgl. Rundſchau v. 7. November d. J.) geſagt haben: 
„Unwahr oder erlogen iſt es, daß die poſitive Oſtmarkenpolitik im Sinne 
Bismarcks und Buͤlows verſagt habe.“ Als ehemaliger Buͤrgermeiſter 
von Poſen koͤnnte Herr Witting einige Autorität beanſpruchen. Aber es 
iſt feſtzuſtellen, daß er in einer Broſchuͤre „Das Oſtmarkenproblem“ 1907 
ſich erheblich anders ausgedruͤckt hat. An ein Mißverſtaͤndnis, meiner: 
ſeits kann ich nicht glauben, denn eben finde ich auch in einem ſehr 
leſenswerten Artikel von Karl Jentſch uͤber die Polenpolitik den Satz: 
„Daß der Germaniſierungsverſuch voͤllig geſcheitert iſt und alle dahin ge— 
richteten Beſtrebungen ausſichtslos ſind, bekennt auch Herr Witting, der 
zudem den Mißbrauch der Schule fuͤr politiſche Zwecke als einen Frevel 
brandmarkt.“ Dieſer Artikel ſteht in „Der Zukunft“ (4. Oktober 1913), 
die von dem Bruder Herrn Wittings, Herrn Harden herausgegeben wird, 
und es iſt wohl kaum anzunehmen, daß Harden eine voͤllige Um— 
kehrung der Anſichten ſeines Bruders in ſeiner Zeitſchrift haͤtte durchgehen 
laſſen. Jedenfalls ſieht auch Herr Witting auf die Erfolge unſerer Oſt— 
markenpolitik mit ſolchem Zweifel, daß er den Vorſchlag einer großen 
Enquete gemacht hat, einen Vorſchlag, den ich nur billigen kann. 


162 Die deutſche Schule 


der Wortſchatz der Kinder ſo klein, daß es wirklich möglich 
iſt: ſie lernen deutſch. Die deutſchen Kinder aber 
lernen ſo gut wie gar nichts, da zunächſt einmal die Polen 
ſo weit gebracht werden müſſen, mit den Deutſchen dem 
Unterricht folgen zu können. Wenn die Kinder aus der 
Schule kommen, ſind die deutſchen dumm geblieben, die 
Polen haben wohl einiges gelernt, ſind aber zugleich erfüllt 
von der bitteren Erfahrung der Fremdherrſchaft, denn eine 
tiefere Kränkung des Nationalbewußtſeins gibt es ja gar 
nicht, — fragen Sie darüber unſere Landsleute in Ungarn 
und Rußland —, als wenn eine Schulſprache erzwungen 
wird, die nicht die Sprache von Vater und Mutter iſt. Die 
Polenkinder ſind alſo erſtens mit Nachhilfe des Beichtvaters 
alle zu polniſchen Patrioten erzogen. Zweitens, kommen ſie 
aus der Schule, ſo haben ſie ſo viel gelernt, um allenthalben 
die Deutſchen zurückzudrängen. Denn der Zweiſprachige iſt 
ja immer ſtärker als der Einſprachige. Jeder Krämer, der 
einen Lehrling für ſeinen Laden braucht, muß einen ſuchen, 
der beide Sprachen kann, und ſelbſt in dem kleinen Beamten— 
tum braucht man Anwärter, die mit den Leuten, die nicht 
deutſch ſprechen können, ſich zu verſtändigen vermögen. Das 
Aufzwingen der Sprache hat ſich alſo nicht als ein Mittel 
erwieſen, die polniſche Bevölkerung dem Deutſchtum zuzu— 
führen, ſondern im Gegenteil, ſie auszuſtatten mit Kräften, 
um dies deſto intenſiver zu bekämpfen. Das Aufzwingen 
der deutſchen Volksſchule iſt echte und rechte Bureaukraten⸗ 
Politik, die ſich einbildet, mit ihrem Reglement alles machen 
zu können, was ſie ſich vorſetzt, dieſer Beamtenhochmut, 
der gar nicht ſieht, daß es auch noch andere Kräfte gibt 
auf der Welt, die ſtärker ſind als die ſeinigen. Der eigent— 
liche Schöpfer dieſer Volksſchulpolitik war ein Miniſterial⸗ 
direktor im Kultusminiſterium, Kügler, einer der befähigtſten 


in den Oſtmarken. 163 


Beamten, die Preußen gehabt hat, und ein hochſtrebender, 
aufgeklärter Mann. Mit welcher Sicherheit hat er mir, als 
ich ſchon damals meine Einwendungen ausſprach, zuge— 
ſchworen, ich ſolle ihm und ſeiner Erfahrung vertrauen, 
wenn man nur feſt bleibe, werde man mit Hilfe der Volks— 
ſchule die Polen deutſch machen! Wo ſind, nachdem das 
Syſtem nunmehr eine Generation in Wirkung geweſen iſt, 
die germaniſierten Polenkinder? Ein Gymnaſiallehrer in 
Poſen ſagte mir einmal, ſein Beruf ſei wirklich tragiſch, 
denn je mehr er das Gefühl habe, Erfolg zu haben bei 
ſeinen polniſchen Schülern, deſto mehr habe er auch das 
Bewußtſein, Feinde des eigenen Volkstums heranzuziehen 
und ſie mit Kräften zur Bekämpfung dieſes Volkstums aus— 
zuſtatten. Wie kann es anders ſein? Dieſe Methode, durch 
die Schule germanifieren zu wollen — übrigens wird fie 
amtlich geleugnet; das wolle man gar nicht, man lehre nur 
die Polen das Deutſche, weil ſie in einem deutſchen Staate 
lebten — alſo dieſe Methode, durch die Schule einen Aus— 
gleich der Nationalitäten herbeizuführen, iſt ein rechtes Zeug— 
nis für jene Eigenſchaften der Bureaukratie, die ich vorhin 
geſchildert, und in der Provinz Poſen iſt auch nur eine 
Stimme darüber, wie unermeßlich dieſe deutſche Volksſchule 
das Deutſchtum ſchädigt“). Aber nun verlangen Sie mal von 
unſeren Lande, Schul-, Regierungs- oder Geheimen Räten, 
daß fie zugeſtehen, ſeit 25 Jahren etwas Verkehrtes ge— 
macht zu haben, um es nun zu ändern. Das iſt gerade, wie 
wenn man von den Sozialdemokraten verlangt, daß ſie 
Militärausgaben bewilligen ſollen! 


) Sehr gut iſt dieſe verderbliche Wirkung der deutſchen Volksſchule 
dargelegt in dem Buche „Von einem unbekannten Volk in Deutſchland“ 
von Ernſt Seefried Gulgowski. Mit einem Geleitwort von Heinr. 
Sohnrey, 1911. Vgl. Preuß. Jahrbuͤch. Bd. 143 S. 374. 


Beamtentum. 


164 Die deutfchen Beamten und Offiziere. 


Der Germaniſierung der Volksſchule parallel ging die 
allmähliche Germanifierung des ganzen höheren Beamten: 
ſtandes. Während früher im höheren Beamtenſtand, 
auch im Offizierkorps, zahlreiche Polen waren, ſind 
ſie allmählich ſo gut wie ganz daraus verſchwunden. Was 
iſt die Folge davon geweſen? Den Polen iſt eine Menge 
leidlich bezahlter Poſten nicht mehr recht zugänglich; aber 
in Wirklichkeit haben wir ihnen, wie man es ausdrücken 
kann, die Staatslaſt abgenommen. Machen wir uns das 
an einem Beiſpiel klar. Stellen wir uns zwei Ritterguts— 
beſitzer vor, einen deutſchen und einen polniſchen; ſie ſind 
Nachbarn, von demſelben Wohlſtand, beide haben drei 
Söhne. Bei dem deutſchen übernimmt einmal der ältefte 
das Gut, der zweite wird Regierungs- oder Gerichts— 
aſſeſſor, der dritte wird Offizier; die Töchter verheiraten 
ſich dementſprechend. Der Vater iſt belaftet bis an fein 
Ende mit hohen jährlichen Zulagen, und wenn einmal geteilt 
wird, muß der Erbe große Hypotheken aufnehmen. Bei dem 
Polen ift es fo: der eine Sohn bekommt das Gut, der zweite ver- 
waltet die Brennerei, Zucker- oder Stärkefabrik oder was fonft 
Techniſches auf dem Gute iſt, der dritte geht in die Stadt und 
wird dort Kaufmann oder Direktor einer landwirtſchaftlichen 
Genoſſenſchaft; die Töchter verheiraten ſich dementſprechend. 
In der nächſten Generation iſt die größte Wahrſcheinlichkeit, 
daß der Deutſche in der Lage iſt, ſein Gut verkaufen zu 
müſſen, und der Pole in der Lage, es zu kaufen. Der 
Staatsdienſt iſt bei aller Ehre, die er bringt, eine Laſt. Er 
wird doch nur ſehr mäßig bezahlt, ſo daß bei Familien, die 
ihre Söhne dorthin geben und ihre Töchter in dieſe Kreiſe 
verheiraten, das Vermögen, wenn welches vorhanden war, 
allmählich verbraucht zu werden pflegt. Diejenigen Schichten 
des Volkes, die ſich ausſchließlich dem Wirtſchaftsleben 


Kolonifation in den Oſtmarken. 165 


widmen, profperieren am meiften, und auf dieſes haben wir 
die Polen gezwungen, ſich zu konzentrieren: ein weſentliches 
Moment, warum der Reichtum in den polniſchen höheren 
Ständen in der letzten Generation ſo außerordentlich ge— 
wachſen iſt. 

Nun das Hauptmittel der Germaniſierung der Oſtmarken, 
die deutſche Bauernanſiedelung. Wir haben da im ganzen 
über 120000 deutſche Bauern (Seelenzahl) angeſiedelt und 
dadurch ein wirklich bedeutendes Stück Deutſchtum geſchaffen. 
Ja es iſt ſogar den Polen durch ein eigenes Geſetz ſehr 
erſchwert, ſich ſelber in ihrer Heimat anzuſiedeln. Kauft 
ein Pole ein Stück Land und will ein Haus bauen, ſo 
kann es ihm verboten werden. Dieſes ſo tief in das Privat— 
eigentum eingreifende Ausnahmegeſetz iſt wirklich in ſeiner 
ganzen Härte ſehr oft angewendet worden. Trotzdem haben 
die Polen ſo viel deutſchen Grundbeſitz erworben, daß die 
ganze ſtaatliche Koloniſation dadurch wieder wettgemacht 
iſt, ja die Polen ſogar noch gewonnen haben ſollen. Gerade 
der Druck, der die Polen gezwungen hat, ſich dem Wirt— 
ſchaftsleben zuzuwenden, hat die „polniſche Wirtſchaft“ ver: 
ſchwinden machen, und von der ungeheuren Menge Geld, 
die über die Provinz ausgeſtreut worden, iſt auch ein großer 
Teil den polniſchen Familien zugute gekommen. Einer der 
Führer des Oſtmarkenvereins ſagte einmal von Poſen ſehr 
richtig: „Wenn dort die Sonne ſcheint, ſcheint ſie immer 
über einen Deutſchen und zwei Polen.“ Die Polen haben 
von der künſtlichen Hochtreibung der Preiſe für Grund 
und Boden den größten Vorteil gehabt, und namentlich iſt 
der Überſchuß der beſſeren polniſchen ländlichen Bevölkerung 
in die Städte gegangen, und als Gegenwirkung gegen die 
Überziehung eines gewiſſen Teiles des Landes mit deutſchen 
Bauern ſind die Städte poloniſiert worden. Der Miniſter 


Koloniſation. 


166 Niedergang des Deutſchtums in den Städten. 


v. Rheinbaben hat es einmal als Ideal aufgeſtellt, um 
alle Poſenſchen Städte einen Kranz deutſcher Bauerndörfer 
zu legen; dadurch würden die Städte germaniſiert werden. 
Wie ſtellt man ſich nun einen ſolchen Kranz vor? Die 
Provinz hat beinah 180 Städte. Wenn wir nun einen 
Kranz von einer Meile ringsherum nehmen, ſo ergibt das 
gegen 600 Quadratmeilen, das iſt mehr als die ganze 
Provinz, die nur 525 Quadratmeilen umfaßt. Ein Kranz 
um alle Städte, heißt alſo, die ganze Provinz mit deutſchen 
Bauern beſiedeln. Daß das helfen würde, iſt gar keine 
Frage. Man ſetzt ſämtliche Polen hinaus und Deutſche hinein. 
Wozu dann aber die umſtändliche Redeweiſe mit dem Kranz 
deutſcher Dörfer? In Wirklichkeit ſteht es gerade umge— 
kehrt, daß die deutſchen Dörfer die Polen in die Städte 
gedrängt und dieſe, die ehedem vorwiegend deutſch waren, 
poloniſiert haben. 

In der Schicht der ſelbſtändigen Gewerbetreibenden der Pro= 
vinz haben die Deutſchen von 1895 ſchon bis 1907 um faſt 7% 
abgenommen, die Polen um faſt 6% zugenommen. Unter 
den ſelbſtändigen Handeltreibenden haben ſich die Polen um 
46% vermehrt, die Deutſchen ſind um etwa 10% zuruͤckge— 
gangen. In der Hochburg des Deutſchtums, in Bromberg ſtellten 
die Polen im Jahre 1887 8% des Handswerks, heute 24,2%. 

Man berufe ſich nicht darauf, daß dieſes große Koloni— 
ſationswerk, an ſich ein ſehr großes Kulturwerk, von Bismarck 
ausgegangen ſei, und ſich auf ſeine Autorität ſtütze. Ich 
erinnere Sie an jene Aufzeichnung von Kardorff, durch die 
feſtgelegt iſt, daß Bismarck durchaus innerlich dagegen ge— 
weſen iſt und nur, von den Parteien gezwungen, ſich dazu 
bereit gefunden hat. Auch ſpäter, bis an ſein Lebensende, 
hat er in einer Reihe von öffentlichen Außerungen die 
Anſiedlung immer als etwas ganz Verfehltes verworfen, 


Das polniſche Nationalgefuͤhl. 167 


ja ſogar die polniſchen Bauern als zuverläſſige preußiſche 
Untertanen in Schutz genommen!). 

Alle die ungewollten Folgen der ſchlecht durchdachten 
Germaniſierungs-Maßregeln, der deutſchen Volksſchule, des 
deutſchen Beamtentums, der deutſchen Koloniſationen treffen 
nun in einem Brennpunkt zuſammen: der Aufreizung des 
polniſchen Nationalgefühls. Das polniſche Nationalgefühl 
war früher bekanntlich außerordentlich ſchwach und gelähmt 
durch den berüchtigten polniſchen Parteigeiſt. Die Maſſe 
des Volks, der Bauernſtand war völlig ſtumpf oder erfüllt 
von einer Art dumpfer Dankbarkeit gegen das preußiſche 
Koͤnigtum, dem es Befreiung aus der Hörigkeit und Eigen— 
tum verdankte. Heute iſt das alles ganz anders: der Partei— 
geiſt iſt unterdrückt, und in gefeſtetem Nationalbewußtſein 
hält das ganze Volk einmütig zuſammen. Was für ein 
Feld für geſchickte Agitatoren iſt die deutſche Koloniſation! 
Wie ſoll ſich der Bauer dem entziehen, wenn ihm geſagt 
wird: dem Deutſchen wird dieſe Wohltat gegeben; er be— 
kommt das Gut zum halben Wert von der Anſiedelungs— 
kommiſſion. Dein Vater hat auch 1866 für den König von 
Preußen mitgefochten, dein Onkel iſt in der Schlacht bei 


) Ich habe die Beweiſe, daß Bismarck bis an ſein Lebensende die 
Bauernkoloniſation als Mittel der Germaniſierung der Oſtmark ver— 
worfen hat, zuſammengeſtellt im „Neuen Deutſchland“ vom 30. No— 
vember 1912. L. Raſchdau hat darauf erwidert mit einem laͤngeren 
Nachweis, daß Bismarck amtlich mehrfach fuͤr die Koloniſation ein— 
getreten ſei. Das bedurfte freilich keines Beweiſes, aber es ſoll ſchon 
öfter vorgekommen fein, daß ein Staatsmann amtlich anders ſpricht als 
privatim, und in dieſem Falle wiſſen wir ja aus der Aufzeichnung von 
Kardorffs (Bd. 140 d. Preußiſchen Jahrbuͤch. Seite 374), aus welchen 
taktiſchen Gründen Bismarck es in einem gewiſſen Moment für geraten 
hielt, die Koloniſation zuzulaſſen und amtliche Denkſchriften in dieſem 
Sinne anfertigen zu laſſen. 


Polniſches 
Nationalgefühl. 


Der Boykott. 


168 Der Boykott. 


Wörth gefallen, du haft ſelber deine Zeit treulich gedient 
und biſt dennoch von der Gleichberechtigung, die doch in der 
Verfaſſung verbürgt iſt, ausgeſchloſſen; ja, wenn einer von 
euch ſich mit ſeinem Schweiß etwas erworben und erſpart 
hat, ein Ackerchen gekauft und ſich ein Haͤuschen darauf 
bauen will, ſo wird es ihm von der Regierung verboten. 
Nehmen Sie dazu die tägliche Reizung durch die Volks— 
ſchule, den peinlich empfundenen Zwang, vor Gericht und 
in der Verwaltung in fremder Sprache verhandeln zu müſſen, 
endlich den geiſtigen Rückhalt, den die katholiſche Kirche dem 
Polentum gewährt, ſo wird keine Verwunderung mehr dar— 
über ftatthaben, weshalb die Polen nicht nur eine fo ſtarke 
Defenſivkraft, ſondern ſogar Offenſivkraft zeigen. 

Die Offenſive beſteht in dem ſog. wirtſchaftlichen Boykott, 
der die deutſchen Geſchäftsleute und Handwerker brotlos 
macht und aus dem Lande treibt. Dieſer Boykott iſt be— 
reits ſehr alt, aber ſeine volle Kraft hat er erſt als Gegen— 
zug gegen den Hakatismus in der letzten Generation ge— 
wonnen. Hausfrauen gehen im allgemeinen dahin, wo ſie 
glauben am beſten und billigſten kaufen zu können, und 
kümmern ſich nicht um Politik und Partei. Es gehörte die 
täglich erneute Reizung des Nationalitätenkampfes dazu, um 
das Wort „Jeder zu den Seinen“ zur Wahrheit werden zu 
laſſen. Dabei find die Deutſchen naturgemäß unterlegen; 
ſie ſind die Minderzahl und ſaßen an der Stelle, die an— 
gegriffen wurde, in den ſtädtiſchen Gewerben. Der Boykott 
ſchafft dem wachſenden polniſchen Wohlſtand, der wirtſchaft— 
lichen Betriebſamkeit, dem Zug vom Lande in die Stadt 
die Möglichkeit der Ausbreitung und Feſtſetzung, die Kund— 
ſchaft, von der der Handwerksmann und der Krämer 
ſich nährt. 

An alle ſolche Folgen hat unſere Bureaukraten-Politik, 


Das Schloß in Poſen. 169 


als fie den neuen Kurs in der Polen: Politik inaugurierte, 
nicht gedacht. 

Von diefen großen Maßregeln wenden wir den Blick 
noch zu einer Reihe von kleineren, die auch ganz dieſelbe 
Kurzſichtigkeit der Bureaukratie zeigen. 

Da hat man ein wundervolles Schloß in Poſen gebaut, 
ein Art Zwingburg, um den Polen immer vor Augen zu 
halten, daß ſie unter preußiſcher Herrſchaft ſeien. Nun iſt 
das Schloß fertig und könnte bezogen werden. Seine 
natürliche Beſtimmung wäre, daß ein preußiſcher Prinz in 
Poſen eine militäriſche Funktion übernähme und in dem 
Schloſſe wohnte. Aber in dem Augenblick, wo man über 
eine ſolche Möglichkeit in Erwägungen eingetreten iſt, haben 
die Hakatiſten ſich auch klar gemacht, daß ſie ſich damit 
ſelber ins Fleiſch ſchneiden würden. Ein junger preußiſcher 
Prinz und faſt mehr noch die Frau Prinzeſſin könnten doch 
nicht immer bloß mit den Exzellenzen-Damen und Herren 
der Regierung und Garniſon verkehren. Die natürliche 
Stellung eines Prinzen, der zeitweilig in einer Provinz reſi— 
diert, iſt, daß er mit den vornehmen eingeſeſſenen Familien 
in geſellſchaftliche Beziehungen tritt, mit den Herrſchaften 
auf den Schlöſſern, wo Jagden und Bälle gegeben werden. 
Das ſind in Poſen die großen polniſchen Adelsfamilien, 
die ihre berühmte Gaſtfreundſchaft pflegen, deren Töchter 
die beſten Tänzerinnen der Welt ſein wollen. Aber was 
wird aus dem Hakatismus, wenn ein Vertreter des Königs— 
hauſes mit den polniſchen Grafenfamilien ſolche Beziehungen 
pflegt? Entweder die Polen weigern ſich, überhaupt auf den 
Verkehr einzugehen, ſolange Geſetze beſtehen, die ſie von 
ihrer heimatlichen Scholle vertreiben ſollen, oder aber, wenn 
ſie es tun, ſo werden ſie damit einen Einfluß gewinnen, 
der die Durchführung der bisherigen Politik bald mehr und 


Das Schloß. 


Akademie und 
Bibliothek in 
Poſen. 


170 Akademie und Bibliothek. 


mehr abdämpfen wird. An ſolche Folgen hat unſere Oſt— 
markenpolitik nicht gedacht, als ſie die vielen Millionen für 
den Bau der Trutzburg in Poſen forderte und bewilligte. 

Dann iſt in Poſen eine Akademie gegründet worden, 
und kann nicht leben und nicht ſterben. Einige Semeſter 
haben die Poſener Deutſchen die Vorleſungen, die ihnen 
geboten wurden, mit Vergnügen gehört. Jetzt iſt das Inter: 
eſſe erſchöpft, und die Profeſſoren haben keine Zuhörer. 
Eine Univerſität kann man aus der Akademie nicht machen; 
eine deutſche geht nicht, eine polniſche will man nicht. 
Schon der berühmte Miniſterialdirektor Dr. Althoff hat 
ſich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wie er 
dem verkrüppelten Ding zu irgendeinem vernünftigen Daſein 
verhelfen könne. 

Da iſt außer der Akademie mitten in der Stadt eine 
herrliche Bibliothek errichtet worden, zu der einſt alle 
deutſchen Buchhändler im patriotiſchen Sinne ihre Verlags— 
werke zu ſtiften aufgefordert wurden. Wie oft aber kommt 
ein Gelehrter nach Poſen und fordert Bücher? Gewiß iſt 
in der Provinz und in der Haupſtadt immer auch ein ges 
wiſſer Gelehrtenbedarf; aber der Hauptvertrieb iſt doch, wie 
auch die amtlichen Berichte dartun, die moderne Belletriftif*), 
oder mit anderen Worten, wie die Poſener in mokantem 
Ton ſagen: „Es iſt die Leihbibliothek für unſere jungen 
Mädchen.“ Für ſolche Zwecke haben die preußiſchen Steuer— 
zahler Millionen und aber Millionen aufbringen müſſen, 
waͤhrend fuͤr die preußiſchen Univerſitaͤtsbibliotheken und 
ſelbſt fuͤr die Koͤnigliche Bibliothek in Berlin die wenigen 


) Mir liegt der amtliche Bericht über das Jahr 1908 vor. Aus: 
geliehen wurden 27000 Bände wiſſenſchaftlicher Natur neben 69000 Baͤn⸗ 
den volkstuͤmlicher Natur, und dieſe 69000 Bände wurden hauptfächlich 
beſtritten mit nicht mehr als 5000 — 6000 Bänden der neueren Literatur. 


Aufriß einer anderen Polenpolitik. 171 


Hunderttauſende, die für die allerdringendſten wiſſenſchaft— 
lichen Beduͤrfniſſe von unſerer Gelehrtenwelt verlangt wurden, 
nicht zu beſchaffen waren. 

Ein öſterreichiſcher Staatsmann hat einmal über gewiſſe 
öſterreichiſche Maßregeln geſagt, es ſei nächſt der Fabel der 
Zauberflöte die größte Dummheit der Weltgeſchichte. Wer 
weiß, wie zukünftige Staatsmänner dieſes Wort einmal 
variieren werden! Unſere Polenpolitik gleicht dem Manne, 
der ſchwimmen wollte und ſich dabei erſaͤufte, weil er die 
Schwimmblaſen an die Füße band, da er den Kopf ja 
ohnehin oben halte. 

Da wir uns nun einmal ſo weit auf unſere Polen— 
politik eingelaſſen haben und zu dem Ergebnis gekommen 
ſind, daß ſie dem Deutſchtum nicht nur nichts genützt, 
ſondern trotz eines erheblichen Gewinnes durch die Bauern— 
anſiedelung, im ganzen genommen ſehr weſentlich geſchadet 
hat, ſo darf ich auch wohl nicht ganz die Frage umgehen, 
wie man es hätte anders machen ſollen. 

Zunaͤchſt iſt ganz abzuweiſen der Satz: Da wir dieſe 
Polenpolitik einmal angefangen hätten, müßten wir ſie auch 
durchführen. Konſequenz ſei die Hauptſache, vor allem 
keinen Zickzackkurs. Das ift etwa ebenſo weiſe, wie wenn 
jemand einen Berg hinauffahren will, ſeinen Wagen aber 
immer weiter hinuntergleiten ſieht und ſich zuruft: „Nur 
immer weiter ſo — endlich werden wir doch oben ankommen.“ 

Das Ziel einer richtigen Polenpolitik kann natürlich Aufriß einer 
niemals fein, was man nennt, die Polen zu verſöhnen. beſſeren Polen— 
Die Polen als Ganzes kann man niemals verſöhnen; ein 55 
radikal nationaler Teil wird immer übrig bleiben, der ſich 
bewußt iſt, daß gerade der Kampf für das Polentum das 
Nützliche iſt, der deshalb unter allen Umſtänden weiter 
kämpft und immer wieder ſuchen wird, uns von neuem 

Delbrück, Regierung und Volkswille. 12 


172 Divide et impera. 


in den Fehler des nationalen Kampfes hinein zu reizen 
und zu verlocken. Eine richtige deutſche Politik muß diefer 
Verſuchung widerſtehen und ftatt deſſen den Grundſatz 
„Divide et impera“ ins Auge faſſen. Indem man darauf 
verzichtet, die Polen als Ganzes ſowohl zu bekämpfen als 
auch zu gewinnen, muß man darauf ausgehen, Verhältniſſe 
zu ſchaffen, die das Entſtehen einer preußiſch-polniſchen 
Partei ermöglichen. Die Ausſichten für die Bildung einer 
ſolchen Partei unter unſeren Polen ſind auch heute noch 
nicht ſchlecht. Es braucht nicht jedem Volke beſchieden zu 
ſein, daß es einen großen Nationalſtaat bildet. Auch wir 
Deutſche haben ja dieſes Ziel inſofern nur teilweiſe erreicht, 
als ganz gewaltige Bruchteile unſeres Volkstums, in Öfter- 
reich und der Schweiz, außerhalb des Reichs bleiben müſſen 
und vermutlich für alle Zeiten bleiben werden. Realpolitiſch 
denkende Polen mögen ſich darein finden, daß ſie verſchiedenen 
Staatsweſen angehören, wenn ſie nur innerhalb der fremden 
Staatsweſen nicht in ihrer Nationalität und in ihrer Reli⸗ 
gion gekränkt werden“). Unſere Polen haben nirgends ein 
geſchloſſenes Gebiet, ſondern ſind mit ihren vier Millionen 
auf vier verſchiedene preußiſche Provinzen, unter etwa acht 
Millionen Deutſchen, verteilt. Entſtünde ein polniſches 
Nationalreich und ſuchte auch die preußiſchen Polen an 
ſich zu ziehen, fo wäre es geographiſch gezwungen, auch 
viele Millionen Deutſche mit hinein zu nehmen; mit anderen 
Worten: die Herſtellung eines ſolchen polniſchen National— 
reichs iſt nur denkbar unter der Vorausſetzung einer völligen 
Zerſtörung des deutſchen Reichs. Daß darauf keine Aus— 
ſicht iſt, ſehen auch ſehr viele Polen ein. Sie ſehen es 


) In Oſterreich hat dieſer Gedanke die praktiſche Probe bereits 
beſtanden. Vergleiche den hoͤchſt inſtruktiven Aufſatz von E. Zwey— 
bruͤck, Zur oͤſterreichiſchen Polenpolitik. Preuß. Jahrb. Bd. 140 S. 115. 


Die polnifchen Stände. 173 


nicht nur ein, ſondern fie wünſchen die Zerſtörung gar nicht 
mal, da fie ja mit Hilfe der Ruſſen erfolgen müßte und ihnen 
die preußiſche Herrſchaft doch immer noch beſſer ſcheint als 
die Herrſchaft der ruſſiſchen Knute. Die Forderung, daß 
ſie ſich als Polen der deutſchen, d. h. der abendländiſchen 
Kultur anſchließen ſollen, iſt für ſie keineswegs eine kränkende 
Zumutung, ſondern etwas Selbſtverſtändliches; ſeit 1000 
Jahren leben ſie darin. Sie wollen weder mit Moskowi— 
tismus noch Panſlawismus etwas zu tun haben. 

Das polniſche Volk zerfällt in vier Stände, und von 
dieſen vier Ständen ſind drei von vornherein für ein ver— 
ſtändiges Zuſammenleben mit den Deutſchen disponiert. 
Da iſt der Adel, der ſich ſo ſehr danach ſehnt, wieder die 
Beziehungen zum Hofe aufnehmen zu können und ſeine 
Söhne wieder dem Offizierſtand zuzuführen. Zu Bismarcks 
Zeiten, als die Polen noch auf eine Herſtellung ihres 
Nationalreichs durch die Franzoſen hofften, hatte der Adel 
die Führung der ſeparatiſtiſchen Tendenzen. Heute, ſeit 
Frankreich ſich auf Gedeih und Verderb mit Rußland ver— 
bunden hat, iſt es gerade der Adel, der ſich ſo gern mit 
dem preußiſchen Staate ausſöhnte. Da iſt weiter die Geiſt— 
lichkeit, deren höchſter Glaubensſatz iſt, daß ſie zur latei— 
niſchen, weſtlichen Kirche und Kultur gehöre, und daß ihr 
böſeſter und gefährlichſter Feind und Verfolger die ruſſiſche 
Orthodoxie ſei. In Deutſchland ſpielt die katholiſche Kirche 
eine — wir wiſſen es ja alle — nur gar zu bedeutſame 
Rolle in der Regierung. Ganz natürlich, daß auch der 
polniſche Klerus ſich zu einem zu ſo großem Teil katholiſchen 
Reiche hingezogen fühlt. Endlich der Bauer ſieht, wie vor— 
trefflich in Deutſchland für alle agrariſchen Bedürfniſſe und 
Forderungen geſorgt iſt, und hat auch heute noch nicht ver— 
geſſen, wieviel er den preußiſchen Königen verdankt. Das 

12° 


174 Polen und Katholiken. 


iſt ein Punkt, den auch Bismarck in ſeinen Reden immer 
wieder betont hat und weshalb er die Koloniſation in Poſen 
eigentlich nicht gewollt, ſondern ihr nur mit innerem Wider— 
ſtreben zugeſtimmt hat. Der vierte polniſche Stand iſt 
der erſt in unſeren Tagen aufgeblühte und gerade ver— 
möge unſerer falſchen Politik zur Entfaltung gebrachte 
bürgerliche Mittelſtand, und dieſer bildet den wirklich unver— 
ſöhnlichen Teil des polniſchen Volkstums. Er lebt davon, 
daß er den deutſchen Bürger aus der Provinz verdrängt. 
Ihn zu gewinnen, wird wohl für alle Zeiten ausſichts— 
los ſein. 

Auch die verſöhnten Polen bleiben natürlich in der Idee, 
wie wir es ausgedrückt haben, „Preußen auf Kündigung“. 
Das iſt nicht zu ändern, da ſie einmal keine Deutſchen ſind, 
und es kein Mittel gibt, ſie zu Deutſchen zu machen. Es 
kommt nur darauf an, eine Politik zu verfolgen, die die 
ideell mögliche Kündigung niemals zu einer faktiſchen werden 
läßt. Alle Wahrſcheinlichkeit ſpricht dafür, daß es ſo kommen 
wird. Auch im Kulturkampf wurden wir immer wieder 
darauf hingewieſen, daß unſere Fatholifchen Mitbürger keine 
zuverläſſigen Staatsbürger ſeien, da ja nach ihrem Dogma 
der Papſt ſie in jedem Augenblick vom Eide der Treue 
entbinden könne. Das iſt ideell vollkommen richtig; das 
Dogma beſteht. Aber die Wahrſcheinlichkeit, daß der Papſt 
jemals von der Befugnis bei uns Gebrauch machen werde, 
iſt ſo gering, daß kaum jemand überhaupt noch daran denkt, 
und die einſt auf Grund ihrer kirchlichen Anſchauungen als 
„Reichsfeinde“ verfolgten Anhänger des Zentrums ſtehen 
heute im Zentrum der gouvernementalen Parteien geſchart 
um die Regierung. 

Die hakatiſtiſche Politik hat dem Deutſchtum in Poſen 
ſchwere Wunden geſchlagen; ſie hat es numeriſch geſchwächt 


Polen und auswärtige Politik. 173 


und das Polentum geſtärkt; fie hat das Deutſchtum auch der Hatatismus 
moraliſch ſchwer geſchädigt, da, was es davon noch in 11 
den Oſtmarken gibt, zum nicht geringen Teil aus Perſön— f 
lichkeiten beſteht, die nach nationalen Trinkgeldern ſchnappen 

und die unlauterſten Mittel anwenden, um ſich ihren Grund— 

beſitz möglichſt teuer von der Anſiedelungs-Kommiſſion ab— 

kaufen zu laſſen, und dann die Provinz zu verlaſſen. Die 
hakatiſtiſche Politik hat uns endlich auch im Auslande 
außerordentlich geſchädigt. Es iſt von hoher Bedeutung 

für jede auswärtige Politik, welches Anſehen ein Volk bei 

den anderen großen Kulturvölkern genießt. Das deutſche 

Volk iſt, darüber darf man ſich keiner Täuſchung hingeben, 

von allen das unbeliebteſte, und es iſt keineswegs bloß der 

Neid der anderen Völker, wie man ſich gern entſchuldigt, 

der ſie ſo ſcheel auf uns ſehen läßt. Es iſt zum nicht ge— 

ringen Teil unſere falſche Nationalitätenpolitik, die uns 
allenthalben ſo verhaßt gemacht hat. Die Polen und Dänen 

haben mit Eifer dafür geſorgt, daß jede einzelne Härte, die 
vorgekommen, durch die ganze Welt getragen worden iſt. 

Immer wieder haben ſie bis nach Amerika hin gegen den 
barbariſchen preußiſchen Polizeiſtaat gehetzt und aufs Sorg— 

ſamſte verſchwiegen, wieviel ſie uns trotz allem doch auch 

verdanken. 

Der Schade, der uns ſo nach allen Richtungen durch 
die falſche Politik zugefügt worden iſt, iſt unabſehbar und 
wird niemals wieder ganz ausgeglichen werden können. 
Trotzdem möchte ich es doch nicht ſchlechthin bedauern, daß 
der Verſuch, die fremden eingeſprengten Nationalitäten mit 
Gewalt niederzuhalten und fie womöglich zu germaniſieren, 
einmal gemacht worden iſt. Denn auch, wenn man ein— 
mal zu einer vernünftigen Politik gelangt, ſo wird darum 
der nationale Streit, wie ich ſchon ſagte, niemals ganz 


176 Fortdauer des Kampfes. 


aufhören. Immer wird es Unverſöhnliche geben, die weiter 
kämpfen, und dann wird auch immer wieder die Forderung 
erhoben werden, es einmal mit Gewaltmaßregeln im großen 
Stil zu verſuchen. Wenn man es ſo theoretiſch anſieht, müßte 
man ja meinen, dem preußiſchen Staat mit ſeinen unge— 
heuren Mitteln könnte es ſchließlich nicht fehlen, die fremden 
Fragmente ins Deutſchtum überzuführen. Darum mußte 
einmal der praktiſche Verſuch gemacht werden und mag 
nun meinetwegen ſo lange dauern, bis auch der Unbe— 
kehrbarſte eingeſehen hat, daß dieſe Politik keinen Erfolg 
gehabt, daß ſie Fiasko gemacht hat. Das ſichert uns dann 
wenigſtens für die Zukunft vor der Wiederkehr ſolcher un— 
ſeligen Experimente, wie wir fie nun dieſe 25 Jahre erlebt 
haben. 

Ich habe dieſes Kapitel der Polenpolitik etwas breiter 
ausgeführt, erſtens weil es mir beſonders am Herzen liegt, 
wo ſich eine Gelegenheit dazu bietet, das deutſche Volk 
immer von neuem darauf hinzuweiſen, wie ſehr es ſich 
hier gegen ſein eigenes Wohl verſündigt hat. Seit dem 
Jahre 1887 habe ich dieſer Politik widerſprochen, ihre Er— 
folgloſigkeit und ihre unglückſeligen Rückwirkungen voraus— 
geſehen und vorausgeſagt, und mancher gute Patriot 
hat ſich gewundert, daß gerade eine Zeitſchrift, die ſich die 
„Preußiſchen Jahrbücher“ nenne, einer ſolchen, wie die 
guten Leute glaubten, echt preußiſchen und echt deutſchen 
Politik widerſpreche. Jetzt greift ja die Anſicht, daß man 
ſich auf einem Irrweg befunden, allmählich mehr und mehr 
um ſich “). 

*) Namentlich in den Oſtmarken ſelbſt hat die große Mehrzahl der 
Deutſchen das laͤngſt eingeſehen. Als Zeugnis diene ein von einem eifrigen 


Hakatiſten geſchriebener Artikel in den „Grenzboten“ (1913; 3. Quartal 
S. 357): „Jedem Kenner der poſenſchen und oſtmaͤrkiſchen Verhaͤltniſſe 


Hakatismus und Bureaukratie. 177 


Ich bin aber noch aus dem zweiten Grunde auf die 

Nationalitätenpolitik eingegangen, weil ſie ja weſentlich 
Bureaukratenpolitik iſt, und ich zeigen mußte, wo die Grenzen 
für die Leiſtungen auch der beſten Beamtenpolitik liegen. 
Faſt der Hauptgegenſtand dieſer meiner Vorleſung iſt es ja, 
die Verdienſte unſeres Beamtentums als des eigentlichen 
Trägers der Staatsidee ins rechte Licht zu ſtellen. Aber 
auch ein Verherrlicher braucht darum kein blinder Lobredner 
zu ſein, und ſo iſt es nichts anderes als die Wahrheit, die 
mich zwang, auch den ſchwachen und wohl ſchwächſten Teil 
in der politiſchen Geſchichte unſeres Beamtentums mit in 
meine Betrachtungen hineinzuziehen. 

Nachdem wir uns nunmehr dieſer unerfreulichen Auf— 
gabe entledigt haben, gehen wir über zu der abſchließenden 
prinzipiellen Vergleichung der Vorteile unſeres, wie ich es 
genannt habe, dualiſtiſchen Regierungsſyſtems mit den 
parlamentariſchen Syſtemen. 

Vergegenwärtigen wir uns zunächſt, daß fie ſich in ge- Verſteckte 
wiſſer Beziehung viel näher ſtehen, als es auf den erben e 5 
Blick erſcheint. Wir haben in Deutſchland den Dualismus, moniſtiſchen 
beruhend auf dem Zuſammenwirken, wie ich es aus- taats-Syſteme. 
gedrückt habe, einer organiſierten politiſchen Intelligenz 
mit den breiten Schichten des Volkes, die im Reichstag 
vertreten ſind. Drüben in Frankreich, Amerika, England 
haben wir den Aberglauben, daß das Volk ſich ſelbſt 


iſt es bekannt, daß hinter dieſer Politik in den Anſiedelungsprovinzen im 
weſentlichen nur eine Anzahl von Beamten und Lehrern mit ihrem Anhang 
ſowie ganz wenige Großgrundbeſitzer und Angehoͤrige der freien Berufe 
ſtehen. Dieſe Kreiſe hat der Oſtmarkenverein zu einer ziemlich einflußreichen 
Drganifation zuſammengefaßt. Die Mehrzahl aber der eingeſeſſenen 
deutſchen Landwirte, Gewerbetreibenden, Arzte und Anwaͤlte ſteht dieſer 
Politik leider mit Mißtrauen gegenuͤber.“ 


Fehler der 
Partei⸗ 
regierungen. 


178 Berufspolitiker huͤben und druͤben. 


regiere, ausgekehrt, die einſt ſo viel gerühmte Regierung 
mit dem Volk, für das Volk, durch das Volk (nach 
einem Ausdruck des Präſidenten Lincoln), und haben uns 
ſtatt deſſen klar gemacht, daß auch dort gewiſſe Korpora— 
ationen von Politikern regieren, die ſich tatſächlich ſelbſt 
ergänzen, indem ſie dabei mit breiten Schichten des 
Volkes Fühlung halten. Der Unterſchied iſt alſo, daß es 
bei uns eine geſchloſſene Körperſchaft unter monarchiſcher 
Spitze iſt und drüben freie, hiſtoriſch gebildete Gruppen, 
die in der Regierung miteinander abwechſeln“); in England 
und Amerika im weſentlichen nur zwei, in Frankreich ſehr 
viele. Die Folge iſt, daß das individuelle Wollen und 
Mögen im engliſchen und amerikaniſchen Parlamentsleben 
überaus beſchränkt iſt. Man muß entweder in die eine 
oder in die andere Gruppe hinein. Als ein amerikaniſcher 
Politiker einmal einem Wähler abraten wollte, doch nicht 
ſo blind ſeinen gedruckten Wahlzettel abzugeben, es könne ja 
der Teufel drauf ſtehen, antwortete der Mann: „Auch dann 
gebe ich ihn ab.“ So muß man ſich drüben unter allen Um: 
ſtaͤnden zu ſeiner Partei halten, in Frankreich freilich nicht ganz 
jo ſtreng wie in Amerika oder England. Denn bei der Viel— 
heit der Parteien hat die Individualität dort einen größeren 
Spielraum. Aber dieſe Vielheit iſt ja auch das Verderben. 
Sie bringt den Mangel an Stabilität in die Regierung; 


) Die Ahnlichkeit zwiſchen dem deutſchen und engliſchen Syſtem 
wird inſofern allmaͤhlich immer groͤßer, als auch druͤben das fachmaͤßig 
gebildete, außerhalb der Parteien ſtehende Beamtentum fortwährend zu⸗ 
nimmt. Im alten parlamentariſchen Staat wurden alle Beamtenſtellen 
einfach durch Patronage beſetzt; gegen heftigen Widerſtand, auch der 
Königin Viktoria, wurden ſtatt deſſen Examina eingeführt, 1855, wie 
bei uns, und auch beſoldete Beamte an Stelle von bloßen Ehren⸗ 
beamten geſchaffen. Graham Wallas, Human Nature in Polities 
p. 249 ff. 


Verhältnis der Parteien zum Staat. 179 


durch die leiſeſte Schwankung in der Volksſtimmung, durch 
jede Intrige des Führers einer Gruppe, wird das Land 
von einer Regierung zur anderen getrieben. Das iſt nur 
deshalb noch nicht ſo ſehr ſchädigend, weil die Parteien, die 
tatſächlich abwechſeln, ſich ſo ſehr nahe ſtehen. Der Unter— 
ſchied zwiſchen ihnen iſt manchmal kaum zu ſehen. 
Aber nichts deſtoweniger, die Unſicherheit bleibt. 

Die Parteien ſind ja nicht bloß Teile des Volkes, ſo 
daß man, einfach alle Parteien zuſammenfaſſend, das Volk 
in feiner Geſamtheit hätte, ſondern jede Partei iſt eine 
Organiſation, erfüllt von einem beſonderen Geiſt, regiert 
von allgemeinen Prinzipien, die nicht unbedingt der Staats- 
idee untergeordnet ſind. Alle Parteien haben eine gewiſſe 
Verwandtſchaft und deshalb Sympathie mit ausländiſchen 
Parteien, die ähnlichen Ideen huldigen. Die Konſervativen 
in Deutſchland lieben naturgemäß die engliſchen Tories 
mehr als die Whigs, und bei manchen Parteien geht 
das ſo weit, daß ſie als international bezeichnet werden 
können oder ſich ſogar ſelbſt ſo nennen. Man ſpricht 
von einer ſchwarzen, roten und goldenen Internationale. 
Der Parteibegriff ſteht alſo ſtets in einer gewiſſen 
Spannung mit dem nationalen Begriff. Man ſpricht 
wohl bei uns von den „nationalen Parteien“, aber dieſer 
Begriff hat doch nur eine relative Wahrheit. Der einzelne 
Parteimann kann unbedingt national ſein, die Partei als 
ſolche hat immer ihr eigenes Intereſſe, was mit dem natio— 
nalen Intereſſe nicht unbedingt zuſammenfällt. Der Begriff 
der „nationalen Parteien“ in Deutſchland iſt deshalb auch 
ſehr unſicher abgegrenzt: manche rechnen das Zentrum und 
die Freiſinnigen dazu, manche nicht; manche behaupten, daß 
auch die meiſten Sozialdemokraten im Herzen ſehr gute 
Deutſche ſeien, und zuweilen behaupten dieſe es ſogar ſelber. 


Weſen der 
Parteien. 


180 Die Parteien in Öfterreich. 


Es kann alſo nicht anders ſein, als daß jede Partei— 
regierung die Gefahr mit ſich bringt, daß der Staat nicht 
ganz nach ſeinem eigenen inneren Bedürfnis, ſondern nach 
einem in tiefſtem Grunde abweichenden regiert wird, und 
der Wechſel in dieſer Abweichung, indem er dieſen Fehler 
korrigiert, erzeugt doch gleichzeitig einen anderen und bringt 
dazu noch die Unſicherheit, die eben im Wechſel ſelber liegt. 

Die höchſte Potenz dieſes Zwieſpalts zwiſchen der Partei— 
idee und der Staatsidee ſehen Sie jetzt in Oſterreich. Hier 
ſind die Parteien ſelbſt weſentlich nach Nationalitäten orientiert 
und die Folge iſt, daß ſie, ihre Idee über die Staatsidee 
ſtellend, die Staatsmaſchine ſelbſt zum Stillſtand gebracht 
haben. Hier hat das Syſtem der parlamentariſchen Partei— 
regierung in völligem Bankerott geendet und nur der Ab— 
ſolutismus, die monarchiſche Beamtenregierung kann den 
Staat retten. 

Man laſſe ſich nicht durch den Ausdruck täuſchen, daß 
die Regierungen in England, Frankreich und Amerika 
wechſelten je nach der Entſcheidung des Volkes. Selbſt 
wenn bei Neuwahlen eine andere Majorität in der 
Kammer erſcheint, ſo iſt es nicht das Volk, das anders 
gewählt hat, ſondern ein kleiner Bruchteil, der von einer Seite 
zur anderen übergegangen iſt, und oft gewiß gar nicht einmal 
ein beſonders wertvoller Beſtandteil des Volkes. 

Die Parteien ſelber find nichts Konftantes, fo daß es 
etwa zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine liberale 
und eine konſervative Partei gegeben hätte oder geben müßte. 
Nur das äußerlich Formale, daß z. B. eine Partei erhalten, 
die andere etwas ändern will, wiederholt ſich naturgemäß 
immer wieder. Es hat aber auch ſtockkonſervativ demokratiſche 
Parteien gegeben, und die Jakobiner ſind in erſter Linie 
nicht ſowohl die Partei des ſtädtiſchen Proletariats, als die 


Beamtentum und Sozialpolitik. 181 


Patrioten⸗ und Kriegspartei bis zum äußerſten. Parteien 
ſind immer ſpezifiſche Produkte ihrer Zeit und ihres Volkes. 
Immer aber muß ihnen eine gewiſſe Einſeitigkeit in der 
Auffaſſung der Staatsaufgabe notwendig anhaften, ſonſt 
wären ſie keine Parteien, und das legt der von ihnen ge— 
leiteten Politik ſtarke Beſchränkungen auf. 

Von allen dieſen Schwaͤchen und Einſeitigkeiten iſt das 
monarchiſche Regierungsſyſtem frei und das gibt ihm einen 


Vorzüge 
des deutſchen 
Syſtems. 


großen Vorſprung. Wie iſt es gekommen, daß Deutſchland in 


der Sozialpolitik allen anderen Ländern ſoweit voraus geweſen 
iſt? Zuerſt natürlich, weil wir einen Staatsmann wie Bismarck 
hatten, der einen ſolchen Gedanken durchführen konnte, 
weiter aber, weil das Beamtentum in unſerem Staate 
einen Indifferenzpunkt bildet, weil der Beamte zwiſchen 
allen Ständen und Intereſſen ſteht und darauf angewieſen 
iſt, das Wohl des Ganzen im Auge zu haben. Dahin— 
gegen eine Partei kann nie unparteiiſch fein. Sie können 
in England, Amerika, Frankreich, die Dinge immer nur 
unter einem gewiſſen beſchränkten Geſichtspunkt anſehen 
und nicht ſo unbedingt unter dem Geſichtspunkt des Ganzen. 
Ohne eine Art von unparteiiſchem Schiedsrichtertum, wie 
es dem König und ſeinen Beamten zwiſchen den ſtreitenden 
Intereſſen der verſchiedenen Klaſſen naturgemäß innewohnt, 
iſt es kaum möglich, zu einer guten Sozialpolitik zu kommen. 
Dann gibt ja die Sozialpolitik auch eine gewiſſe Gewalt 
in die Hand der Regierung. Die kann man nicht in die 
Hand einer Partei geben. Wir ſehen das an einem der 
wichtigſten Punkte, dem Eiſenbahnſyſtem, der Frage der 
Staats- oder Privatbahnen. Das Staatsbahnſyſtem iſt 
nicht nur deshalb das beſſere, weil es den Gewinn aus 
den Bahnen der Geſamtheit zuführt und nicht in der Hand 
von einzelnen läßt, ſondern weil die Eiſenbahn eine große 


Truſts. 


182 Beamtentum und Eiſenbahnen. 


wirtſchaftliche Macht iſt, eine ſo große, daß man das ganze 
Wirtſchaftsleben damit einigermaßen regulieren kann. Unſer 
Beamtentum ſteht unparteiiſch genug zwiſchen den verſchiedenen 
Intereſſen, zwiſchen Export und Import, Induſtrie, Handel 
und Landwirtſchaft, Oſten und Welten, Süden und Norden, 
um die Tarife verſtändig und gleichmäßig anzuwenden. 
England, Frankreich, Amerika können das Staatsbahnſyſtem 
nicht einführen, weil dann diejenige Partei, die die Eiſen— 
bahn in die Hand bekommt, ſich ſo befeſtigen würde, daß 
ſie gar nicht wieder zu ſtürzen wäre, jedenfalls einen unge— 
heuren Druck auf ihre Gegner ausüben würde. Wir haben 
jetzt in Deutſchland, durch unſer ausgebildetes Syſtem der 
Staatsverwaltung, etwa 1350000 Beamte, das iſt etwa 
der zehnte Teil der Zahl aller Reichstagswähler, deren 
wir im Jahre 1907 13 300000 gehabt haben. Alſo allein 
ſchon in ihrer Stimmenzahl werfen die Beamten ungeheuer 
viel in die Wagſchale. Aber noch viel bedeutender iſt die 
Beherrſchung des Wirtſchaftslebens, die das Beamtentum 
ausübt. 

Das wird für die zukünftigen Generationen noch wichtiger 
werden als für die vergangenen. Es iſt ja ganz klar, daß 
ſich allenthalben die ungeheure Konzentration von wirt— 
ſchaftlicher Macht bildet, für die der Name „Truſt“ auf— 
gekommen iſt. In Amerika iſt man damit ſchon am 
weiteſten. Die Truſts beherrſchen nicht nur das Wirt— 
ſchaftsleben, ſondern durch ihr Geld auch in hohem Grade 
die Wahlen und die Volksvertretungen. Es iſt völlig 
hoffnungslos, gegen die Truſts zu kämpfen, alle Geſetze 
haben gar keinen Erfolg gehabt, ſo daß Präſident Rooſevelt 
ſchon das Programm aufgeſtellt hat, nicht gegen die Truſts 
zu kämpfen, ſondern zu verſuchen, ſie unter Staatskontrolle 
zu nehmen. Das läßt ſich aber in Staaten mit Partei⸗ 


Konfervativer Charakter des Beamtentums. 183 


regiment nicht machen, weil man einer Partei eine ſo un— 
geheure Macht nicht anvertrauen kann. Wir hingegen 
brauchen vor den Truſts keine Furcht zu haben, obgleich 
ſich ja bei uns ſchon ſtarke Anſätze dazu bilden. Aber 
unſer Staat könnte ſchon durch ſeine Eiſenbahn, verbunden 
mit der Zollgeſetzgebung, einen ſo großen Druck ausüben, 
daß die Truſts nie eine ſo große Gewalt bei uns bekommen 
werden wie etwa in Amerika. 

Vielleicht wendet man ein, es ſei eine Fiktion, daß 
unſer Beamtentum außerhalb der Parteien ſtehe; es ſei viel— 
mehr konſervativ. Daran iſt etwas Wahres. Ganz abgeſehen 
von dem naturgemäß konſervativem Zug, der dem Beamten— 
tum immer innewohnen muß, weil es berufen iſt, den Staat 
als ſolchen zu erhalten, wird das Konſervative gerade in unſerem 
Beamtentum noch durch zwei beſondere Motive verſtärkt: 
erſtens, daß unſer Staat ſich aus feudaliſtiſchen Verhältniſſen 
hiſtoriſch entwickelt hat und daher im Beamtentum eine Tradi— 
tion herrſcht, die den Zuſammenhang mit den reaktionären 
Mächten bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz abgeſtreift 
hat; zweitens infolge unſerer parlamentariſchen Einrichtungen, 
die die Regierung oft mehr, als ihr ſelbſt lieb iſt, darauf 
anweiſen, mit den konſervativen, agrariſchen und kirchlichen 
Kreiſen ſo gut wie möglich zu ſtehen, um ſich gegen den 
Anſturm der radikalen Demokratie zu behaupten. Inſofern 
hat wirklich unſer Beamtentum einen Zug von Parteinahme 
für alles Konſervative. Trotzdem iſt meine Charakteriſtik 
prinzipiell richtig, und der Beweis iſt, daß, wenn die Libe— 
ralen klagen, die Beamten ſeien grundfäglich konſervativ, 
die Konſervativen, zwar nicht ſo ſehr öffentlich, aber ſehr 
ſtark im ſtillen auf den Liberalismus der Beamten ſchelten. 
Schon der alte Marwitz hat ja immer von neuem ver— 
kündigt, die wahren Jakobiner ſeien nicht die Demagogen, 


Das Konſer— 
vative des Be⸗ 
amtentums. 


Vorteil einer 
Parteiregierung. 


184 Geſamtleiſtung des Beamtentums. 


ſondern dieſe ſäßen in der Kanzlei des Staatskanzlers. Was 
Marwitz jakobiniſch nannte, was auch der junge Bismarck 
in ſeiner feudalen Zeit noch häufig wütend „bonapartiſtiſch“ 
nannte, das iſt eben das, was wir das außerhalb der 
Parteien ſtehende Beamtentum nennen, und die moderne 
Probe auf dieſes Beamtentum iſt eben die Sozialpolitik. 

überhaupt dürfte, wenn man die Leiſtungen der Geſetz— 
gebung ſeit der Begründung des deutſchen Reiches zu— 
ſammenſtellt, ſich ergeben, daß bei weitem das Meiſte und 
Beſte darin von der Regierung, vom Monarchen und vom 
Beamtentum ausgegangen iſt, oft nur mit Mühe beim Reichs— 
tag durchgeſetzt. Aber deſſen bloße Exiſtenz wirkte im 
höchſten Grade anregend und treibend auf die Regierung, 
und im einzelnen hat er auch viel verbeſſert und zuweilen 
auch ſelbſt gute Gedanken und Anregungen hervorgebracht. 

Neben den ſehr ſchwerwiegenden Nachteilen hat das 
Parteiregierungsſyſtem auch einen Vorteil, den wir nicht über— 
ſehen wollen. Weil das ganze politiſche Weſen lockerer iſt 
als bei uns mit dem ſtreng hierarchiſchen Aufbau des 
Beamtentums, iſt es auch leichter möglich, daß politiſche 
Talente hochkommen. Das ſcheint ja nur für wenige 
wirklich bedeutend zu ſein, iſt aber doch für das geſamte 
öffentliche Leben eine ſehr wichtige Sache. Es iſt bei uns 
durch ein ſtrenges Beförderungsſyſtem im Beamtentum 
auch für den talentierten Mann unmöglich, in jungen 
Jahren, mit einer gewiſſen jugendlichen Friſche an die 
Spitze zu kommen. In allen parlamentariſchen Staaten 
iſt das viel eher möglich. Das iſt ein Vorzug, den ich 
ſehr hoch anrechne, der ganz gewiß hauptſächlich das Ver— 
dienſt hat, daß trotz der großen Mängel des Parteiregierungs— 
ſyſtems es doch noch immer das ſeinige leiſtet, ja ſogar 
gewiſſer Vorzüge vor dem unſrigen ſich rühmt. 


Mängel der Parteiregierung. 185 


Aber nun betrachten wir eins: Vor eine wirklich große 
Probe, in einen großen Konflikt, iſt noch keiner dieſer 
Staaten geſtellt worden. England hat die großen Kämpfe 
gegen das Frankreich des 18. Jahrhunderts unter dem 
alten ariſtokratiſchen Parlament durchgefochten. Das 19. Jahr— 
hundert hat nicht entfernt folche Anforderungen geſtellt 
wie das 18. bis zum Jahre 1815. Frankreich wartet noch 
immer auf die große Probe, die es einmal beſtehen ſoll. 

Die Amerikaner haben, ſo ſtolz ſie auch auf ihre Ver— 
faſſung ſind, den großen Bürgerkrieg doch nicht vermeiden 
können, und wenn ſie in die imperialiſtiſche Politik 
einmal eintreten, — ſie tun es ja immer noch zögernd — 
dann iſt die Frage, ob dieſes Staatsweſen mit dem 
Mangel einer einheitlichen, ſicheren Spitze und eines 
unbedingt feſten Rückgrats ſolchen Aufgaben gewachſen 
ſein wird. Da können wir wieder auf den Vergleich mit 
dem alten Rom zurückgreifen. Rom iſt allen anderen 
Staaten überlegen geweſen, weil es in ſeiner Magiſtratur 
und ſeinem Senat den feſten Mittelpunkt der politiſchen 
Autorität und der politiſchen Tradition hatte, und daneben 
in der Demokratie das populäre Element, das dem Staate 
Saft und Kraft gibt. Auch die reine Demokratie kann 
zeitweilig eine gute auswärtige Politik machen, wenn gerade 
ein Mann von wirklicher Einſicht und Talent in die Leitung 
gekommen iſt. Aber große Politik auf die Dauer erfordert 
immer weite Vorbereitungen und häufig in hohem Maße die 
Tugend der Geduld. Und das beides iſt natürlich in Staaten, 
die in ſoviel höherem Maße auf die Popularität und auf die 
Zuſtimmung von größeren Maſſen angewieſen ſind, ſehr ſchwer 
zu erreichen, und gar bei irgendeinem Rückſchlag, den doch 
auch das Genie erlebt, iſt die Maſſe gar zu ſehr geneigt, 
die Schuld auf den leitenden Mann zu werfen und ihn 


Parteiregierung 
und auswärtige 
Politik. 


186 Die deutſche Verfaſſung von 


zu beſeitigen. Die öffentliche Stimmung iſt ja heute bei 
uns mit großer Ungeduld erfüllt und will verzweifeln, ob 
überhaupt irgendwelche Ziele verfolgt werden. Nun iſt aber 
das eine ſicher, daß, wenn man ſolche Ziele wirklich hat, ſie 
darum doch nicht immer von heute auf morgen erfüllt 
werden können, daß dafür nicht bloß die Rüſtungen aus— 
reichen müſſen, ſondern daß vor allem der rechte Augen— 
blick abgewartet werden muß, und daß dieſe Politik leichter 
durchführbar iſt, wenn, wie bei der unſrigen, die Autorität 
an einer Stelle liegt, die die Dinge weit vorausſieht und 
nicht aller Welt mitteilt, das leuchtet ja ohne weiteres ein. 

Ohne die Augen zu verſchließen vor den inneren Mängeln, 
die auch unſerem Regierungsſyſtem anhaften, muß ich doch 
ſagen, daß ich in ihm eine weit höhere und beſſere Form 
der politiſchen Geſtaltung ſehe als in irgendeinem anderen 
Staate der Gegenwart. Aber wohlgemerkt, immer indem 
beide Momente der Regierung anerkannt werden und ihr 
Recht ausüben. Die Anträge, welche von der Volksvertretung 
eingebracht werden, die Kontrolle, die das Volk ausübt, die 
Notwendigkeit, ſich vor der Volksvertretung zu rechtfertigen, 
mit ihr zu verhandeln, bald mit dieſem, bald mit jenem 
Teil ſich auseinanderzuſetzen, auch Kompromiſſe zu ſchließen, 
das Volk — wenigſtens in ſeiner Mehrheit — auf einen 
Punkt zuſammenzuführen, das macht die Eigentümlichkeit 
unſerer Kraft und gibt uns das ſichere Gefühl, daß unſerem 
Volke noch eine große Zukunft beſchieden iſt. Sonſt würde 
man ſich ja leicht auf den Gedanken zurückziehen können: 
das Beamtentum iſt die politiſche Intelligenz, ihm und 
dem König, der für ſich und ſeine Familie am beſten ſorgt, 
wenn er für das Wohl des Staates ſorgt, ihnen wollen 
wir uns anvertrauen. Aber die Rechnung würde nicht 
ſtimmen, weil die Organiſation der politiſchen Intelligenz 


allen beſtehenden die befte. 187 


im Beamtentum immer nur in einem gewiſſen Maße wirk— 
lich durchgeführt ſein kann, und der Monarch immer den 
zufälligen Schranken ſeiner Subjektivität unterliegt. Des— 
halb iſt der ſtete Antrieb und die Kontrolle der öffentlichen 
Meinung, ausgeprägt in den Wahlen der breiten Maſſen 
zu einer Volksvertretung unentbehrlich. Wollte man den 
Reichstag unterdrücken oder ihn durch gewaltſame Anderung 
des Wahlrechtes entſeelen, ſo würde das dem deutſchen 
Reich ebenſo zum Verderben gereichen, wie wenn der Reichs— 
tag die Befugniſſe einer ſogenannten parlamentariſchen 
Regierung gewönne. Wenn aber beide zuſammen wirken, 
Regierung und Reichstag, dann können ſie das höchſte er— 
reichen, mehr jedenfalls als die Staaten, die immer wieder 
darauf angewieſen ſind, bald dieſer bald jener Partei zu 
folgen, das heißt alſo die Politik nicht vom Standpunkt 
des Ganzen, ſondern vom Standpunkt eines Teiles des 
Ganzen zu treiben. Sieht man die deutſche Politik unter 
dieſem Geſichtspunkt, ſo ſieht man manches, was einen 
am Tage ärgert, mit viel größerem Gleichmut an. Gewiß, 
gegen Fehler ſind wir ebenſowenig geſchützt, wie irgend— 
ein anderes Volk. Es iſt nicht notwendig, daß immer 
gerade die Volksvertretung der Regierung hilft, Fehler zu 
vermeiden, im Gegenteil, ſie treibt ſie auch oft in Fehler 
hinein. Aber das Vermeiden von Fehlern iſt nicht das 
Entſcheidende. Das Entſcheidende für die Wirkſamkeit 
und die Erfolge einer Staatsverfaſſung iſt, daß die hiſtoriſch 
gebildeten Kräfte im Volke, indem ſie miteinander ringen, 
doch ſchließlich immer für den Staatszweck möglichſt 
umfaſſend zuſammenwirken. In je höherem Grade das 
erreicht wird, mit um ſo mehr Recht kann man ſagen, 
daß im Staatswillen, in der Regierung der Volkswille 
zum Ausdruck komme. 
Delbrück, Regierung und Volkswille. 13 


Regiſter. 


Abgeordnetenhaus, preußiſches. ͤKon— 
flikt 1861. 150. — Dreiklaſſen⸗ 
wahlrecht 58. — Staͤndiſches 
Element 126. — Indirekte Wahl 
38-39. — Unſelbſtaͤndigkeit der 
Wahlmaͤnner 39. — Feuer⸗ 
beſtattungsgeſetz 85. — Finanz 
politik 143. 

Abſolutismus und Reaktion 43. — 
Der A. und fein Verhältnis 
zum Volk 44—45. — Entftehung 
des Abſolutismus in der Neu: 
zeit 117—18. Verhältnis zum 
ſtehenden Heer 117-18. — 
Sturz des A. in England, 119 
bis 21, 123-26. — A. in Oſter⸗ 
reich 122. — In Preußen 55—57, 
122. — In Frankreich 122 26. 

Achill als Anfuͤhrer 92. — Als 
Ritter 97, 99. 

Aedil in Rom, Anteil am Senat 105. 

Amterkauf in Amerika 47—48. — 
Schweiz 48. 

Agrarier in Deutſchland. Ab⸗ 
neigung gegen die Flotte 33. — 
Ihr Einfluß 153—56. — Gegen: 
ſatz gegen die Sozialdemokraten 
153—56. 

Agrarkommunismus in Rom 94. —- 
In Urgermanien 149. — Im 
ſozialdemokr. Zukunftsſtaat 149. 

Akademie, Poſener 170. 

Alemannen in Elſaß-Lothringen 2. 

Alexander III. u. d. Papſtwahl 118. 

Alldeutſche, ihre Stimmung 185 bis 
86 


Allgemeines Stimmrecht, Gedanke 
des, in Deutſchland 40. 58, 


61-65, 147. — England 13, 147. 
— Frankreich, Italien, Belgien, 
Holland 147. 

Allgemeine Wehrpflicht, Verhaͤltnis 
zum allg. Stimmrecht 57—59. 
— In Preußen 45. 139. — In 
Deutſchland 88. 148, nicht voll 
verwirklicht 150. 

Altenſtein, Kultusminiſter 51. 

Altersverſicherung, Deutſche 35. 

Altertum. Regierung und Volks⸗ 
wille 45, 88 112. — Finanzieller 
und militärifcher Zuſammenbruch 
114-15. 

Althoff u. d. Poſener Akademie 170. 

Amerika. Proporz21. — Referendum 
29. — Indirekte Wahl 38—39. 
— Bürgerkrieg 46. 185. — Kor: 
ruption 46—48. 182, — New 
Encyclopedia of Social 
Reform 46. — Wahlmache 
46—48. 133. 178. 182. — Wahl: 
modus 7—8.— Wahlbeteiligung 
8. — Praͤſidentenwahl 7—8. — 
Negerſtimmrecht 47. — Truſts 
und Wahlen 47. 132. — Richter: 
ftellen kaͤuflich 47. — Veteranen: 
Fürforge und Korruption 48. — 
Bauern weniger beftechlih als 
Städter 47. — Prinzipielle Stel: 
lung des Parlaments z. Regierung 
59, 126. — Kaukus 71. — Die 
fuͤhrenden Parteien 127. — 
„Plutokratie“ 133. — Parteidiſzi⸗ 
plin 178. — Eiſenbahnen 181 
bis 83. — Verfaſſung und 
Imperialismus 185. 

Analphabeten in Italien 16. 


Regiſter. 


Anfragen beim Miniſter im eng⸗ 
liſchen Parlament 75. 

Anglikaner in England 120. 

Anna, Koͤnigin von England 134. 

Anſiedlungspolitik, Deutſche, unter 
den Polen 158 —59. 164-67. 
174—75. — Rheinbabens An: 
ſicht 166. — Bismarcks Anſicht 
159—61. 166 - 67. 174. 

Antiſemiten. Verfaſſung fuͤr Elſaß⸗ 
Lothringen 85. 

Araber als reine Waffe 4. 

Arbeiterſchaft, Deutſche, und die 
Flotte 33—34. — Soziale Geſetz⸗ 
gebung 34. 

Arbeitgeber und Sozialpolitik 36. 

Ariſtoteles uͤber Infanterie 99. 

Armin, Groeben uͤber ihn (1812) 
140. 

Arndt, E. M., der Regierung miß⸗ 
liebig 53 — 54. 
Asquith und die Parlamentsreform 
1911. 37. 
Athen. Volk autochthon? 4. 
Verfaſſung 88—92. — Bürger: 
zahl und Gebiet 89. — Eupatri⸗ 
dentum 96. — Gottesgnadentum 
96. — Verfaſſung Drakons ge⸗ 
faͤlſcht 103. — Bürgerrecht 107. 

Attika, Umfang 89. 

Aufloͤſung des Reichstags 1892. 150. 

Aufruf „An mein Volk“ (1813) 
9. 

Augurien in Rom 96. 104 05. 

Auſtralien, Referendum 31. 

Babyloniſche Verbannung der 
Juden 103. 

Bagehot uͤber Wahlen in Eng⸗ 
land 70. 

Bankweſen und Landwirtſchaft 94. 

Barbaroſſa, ſeine nationale Be⸗ 
deutung 42. Gegenſatz zu Alex⸗ 
ander III. 118. 

Baſel, „Majorz“ u. „Proporz“ 21. 

Bauernſtand in Deutſchland 153. 
— Polen 173—74. — Schweiz 
49. — Amerika 47. — Im 
roͤmiſchen Reich 94. — Modernes, 


189 
landwirtſchaftliches Verſiche⸗ 
rungsweſen 94. 

Bayern (Stamm) im alten Reich 5. 

Bazaine (1870) 139. 

Bebel der Demagog 19. — Flotten⸗ 
frage 34. 

Belgien, Parlament und Regierung 
59. 126. — Kein allgemeines 
gleiches Stimmrecht 147. 

Belloc und Chesterton, party 
system 69—70. — Über Kor: 
tuption in England 73. — Eng⸗ 
liſche Parteidiſziplin 75. — Ber: 

aͤltnis zwiſchen Wighs und 
ories 127. 

Bennigſen, ſeine Laufbahn 67. 

Beſitzſteuer in England 49. 

Bibliotheken, preußiſche 170—71.— 
In Poſen 171. 

Bierſteuer in England 83. — In 
Deutſchland 145. 

Bismarck. Sozialpolitik 84 —36, 
62-64. 181. — Schutzzollge⸗ 
ſetzgebung 62. — Staͤndiſche 
Volksvertretung 39—40. — 
Kaiſer Wilhelm I. 61. 64. — 
Kaiſer Wilhelm II. 61-66. — 
Neigung zu Rußland 64. — 
B. u. d. oͤffentliche Meinung 
146—47. — Polenfrage 159 bis 
61, 166-67, 174. — Kardorff 
15960. — Über Bureaukratie 
156. — Über fortfchrittliches 
Beamtentum 183—84. — Seine 
Kraft im Alter 64. — Stellung 
zur Reichsverfaſſung 61—66. — 
Zum allg. Stimmrecht 58. 61 bis 
65. — Staatsſtreichplaͤne 61 bis 
66. — Entlaſſung 60-66. — 
Verhaͤltnis zum Reichstag 60 bis 
66, 142-43. 146. 14950. — 
Seine Entlaſſung u. d. Sozial⸗ 
demokraten, Freiſinnigen, Eugen 
Richter, Zentrum 61. — Stellung 
zu den Konſervativen 61—63, den 
Freikonſervativen 159, den Sozial⸗ 
demokraten 61 66. 147, Zentrum 
147, Freiſinnigen 147. 149— 50. 


13* 


190 


Helldorf 61-63 — 80. Ge: 
burtstag 65. 

Block, ſchwarzblauer, in Deutfch 
land 131. 

Bluͤcher bei Auerſtaͤdt 45. — Ver⸗ 
haͤltnis zu Hardenberg 51. 

Bonapartes als jetzige franzoͤſiſche 
Praͤtendenten 128. 

„Bonapartismus“ im Sinne Bis⸗ 
marcks 183— 84. 

Bordeaux, franz. Nationalverſamm⸗ 
lung 1871 3. 

„Boß“, Wahlmacher in Amerika 46. 

Bouls (Athen) 90 — 92. 

Bourbonen im gegenwaͤrtigen 
Frankreich 128. 

Boyen, Verhaͤltnis zu Hardenberg 
51 


Boykott, Kampfmittel der Polen 168. 
Brandenburg, Graf, 1814 u. 1848 


140. 
Brantweinmonopol in Deutſch⸗ 
land 144. 

Braunſchweig, reingermaniſches 
Blut 3. 


Braunſchweig, Herzog von (1806) 45. 

Bremen, Geographiſche Lage 95.— 
Rede Wittings 161. 

Breslau (1848) 140. 

Bromberg, Zunahme der Polen 166. 

Brotpreis in Deutſchland 15455. 

Brunhilde (Merowingerin) 113. 

Bryce, J. über amerik. Korruption47. 

Buckingham, Herzog von 11. 

Bülow, Fuͤrſt, und d. Reichstag 69. 
— Sein „Block“ 150. — Sein 
Ruͤcktritt 60. — Polenfrage 161. 

Bureaukratie ſiehe Beamtentum. 

Buͤrgerrecht, atheniſches 107. — 
Roͤmiſches 10709. 

Bundesgenoſſenkrieg gegen Rom 
109-10. 

Bundesratsbeſchluß uͤber d. foͤde— 
rativen Charakter des Reichs 
(1884) 63. 

Bundesſtaatlicher 
Reichs 63. 138. 


Charakter des 


Regiſter. 


Burdett, Plan einer Parlaments⸗ 
reform 1809 14. 

Burenkrieg u. d. engliſchen Steuern 
83—84 


Burgund, Kampf gegen die Schweiz 
im Mittelalter 98 —99. — Heer: 
weſen 98-99. 

Burke (1790) 13. — uͤber Wahlen 
(1791) 70. — Franzoͤſiſche Re⸗ 
volution 70. 

Byzantinismus in der Sozialdemo⸗ 
kratie 79. 

Caeſar uͤber germaniſche Fuͤrſten 92. 
— Schöpfer der Caeſarengewalt 
111. — Über germaniſche Gefolg: 
ſchaft 137. 

Caprivi in d. Flottenfrage 31—32 
— In der Oſtmarkenpolitik 32. 
— Verhaͤltnis zum Reichstag 60. 
— Zu den Freiſinnigen 65. 150 
bis 52. — Zweijaͤhrige Dienſt⸗ 
zeit 150. 

Cato der Altere. Mittelſtands⸗ 
politik 102. — Aus plebejiſchem 
Geſchlecht 106. 

Caub (1814) 140. 

Centuriateomitien in Rom 105. 

Centurien in Rom, Unterabteilungen 
der Tribus 108. 

Chambord, Graf v., franzoͤſiſcher 
Praͤtendent 128. 

Chaplin geg. Wilſon unterlegen 7. 

Chicago, Wahlbeſtechungen 4748. 

en feine Staatsgruͤndung 

1 


112 

Chlotar II. (Merowinger) 113. 116. 

Cicero. „Imperium et augurium“ 
105. — Sein Bruder uͤber die 
Wahlen 109. 

Claudius, Appius Cl. Pulcher 
(249 a. C.) 104—05. 

Contrat social (Rouſſeau) 20. 

Corfinium im Bundesgenoſſenktieg 
109. 

Crewe, Lord, u. d. Parlaments⸗ 
reform 1911 37. 

Dänemark, Parlament u. Regierung 
59. 126. 


Regiſter. 


ar 
1. 157. — Val. Polenpolitik 
157—77. — Die Dänen und 
Deutſchl. Ruf im Auslande 175. 

Danzig faͤllt an Preußen 1815 52. 

Darlehnsbanken u. Landwirtſchaft 
94 


Dauerreden 40. 

Debs gegen Wilſon unterlegen 7. 

Demagogenverfolgung in Preußen 
3-59 


Deutfche außerhalb des Reichs, in 
Oſterreich 1. 192. — In Ungarn. 
— In der Schweiz 1. 172. — 
In Rußland und Amerika 1. 

Deutſcher Bund, ſein Heerweſen 
140-41. 

Deutſches Reich. Raſſenmiſchung 
3-4. — Späte Einigung der 
Nation 5. — Nation. Bedeutung 
d. Schriftſprache 5. — National- 
verſammlung 1848 140 — Heer⸗ 
weſen d. Deutſchen Bundes 140 
bis 141. — Reichsgruͤndung 53 
bis 59. — Dualiſtiſche Verfaſſung 
66-68. 111—12. 126. 144. 
177-87. — Wo liegt d. Sou⸗ 
veraͤnitaͤt? 111. — Das Kaiſer⸗ 
tum, militaͤriſch 136 — 141, be: 
ſonders 138. — Bundesſtaatl. 
Charakter d. Reichs 127. 138. — 
Gottesgnadentum 55—59. 66. 
106—07.— Offizierkorps 66. 136 
bis 41.—Unteroffizierkorps 136.— 
Beamtentum ſ. unter Preußen. — 
Zahl der Beamten u. Zahl der 
Reichstagswaͤhler 182. — Bis⸗ 
marck u. Reichsverfaſſung 61 —66. 
— Bedeutung des allg. Stimm⸗ 
rechts fuͤr Deutſchland 58. 147. 
— Allgem. Wehrpflicht 88. 148. 
Heeresvermehr. 1892 149-53. 
1913 144. — Konfeſſion. Spal⸗ 
tung u. Parteiweſen 130. (Vgl. 
„Kirche“ u. „Zentrum“.) — Viel⸗ 
zahl der Parteien 130—31. — 
Wahlmache 133. — Wahlbetei: 
ligung 71—72. — Veraltete 


191 


Wahlkreiseinteil. 154. — Frauen⸗ 
ſtimmrecht 131—32. — Reichs— 
tag ſiehe dort. — Deutſchland 
als „zuruͤckgebliebener Polizei- u. 
Klaſſenſtaat“ 147—48. — De: 
mokratiſche Elemente der Reichs 
verfaſſung 147 —48.— Verſamm⸗ 
lungs- und Vereinsrecht 147. — 
Schulweſen 88. 147—48. — 
Sozialpolitik 34 — 6. 147. 181. 


183-84. — Finanzpolitik 84. 
14346. — Schutzzollſyſtem 
143. 15356. — Zoͤlle und 


innere Politik 183. — Agrarier 
153—56. — Kolonialpolitik 31. 
— Flottenfrage 31—34. — Die 
Oppoſition und ihre Rolle 
183. — Das Großkapital u. feine 
politiſche Rolle 182 - 83. — 
Preuß Polenpolitik 157 —77. — 
Nationale Parteien 179.— Eiſen⸗ 
bahn 181—83. — Volksſtimmg. 
146 47. 185— 86. — Deutſch⸗ 
lands Ruf im Ausland 175. 

Deutſches Volk das unbeliebteſte 
175. 

Deutſch-franzoͤſiſcher Krieg 1870/71. 
Zuſammenbruch d franz Armee 
136. — Innere Politik Frankreichs 
139 — 40. — Eiſernes Kreuz 141. 

Deutſch-Freiſinnige, ſ „Freiſinnige“. 

Deutſchland, Werden der nationalen 
Idee 53—59. 

Diaeten in Frankreich 22. 

Difziplin und Ziviliſation 114—15. 

Dohna, Graf (1848) 140. 

Drakon, ſeine Verfaſſung gefaͤlſcht 

103. 


Dreijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich 
129. In Deutſchland 150. 

Dreiklaſſenwahlrecht in Preußen, 
ein Überreft ſtaͤndiſch. Weſens 126. 

Drepana, Schlacht (249 a. C.) 104 
bis 105. 

Dualismus im alten Rom 103 
bis 112. 142. 185. — In der 
ſtaͤndiſchen Verfaſſung vom 7. 
bis 17. Jahrh. 114-19. — In 


192 Regiſter. 


Deutſchland 66-68. 111-12. 
126. 144. 17787. — Geſamt⸗ 
kritik 17787. 

Durham, Wahlkreis 15. 

Dynaſtie, ihre Bedeutung in Rom 
100. 111. 116-17. — Franken⸗ 
reich 112-17. — Frankreich bis 
1789 122. — England 119—21. 
Oſterreich 122. 140. — Rußland 
140. — Preußen 122. 140. — 
Kämpfe mit den Ständen in der 
teuzeit 117 - 18. 

Edikt von Paris (614) 113-14. 

Edinburg, Wahlrecht 11. 

Einjaͤhrig⸗ Freiwillige in Frank⸗ 
reich 25. 

Einkommenſteuer in England 49. 
83—84. 

Eiſenbahnfragen in Deutſchland, 
England, Frankreich, Amerika 
181-83. — Staatsbahnen oder 
Privatbahnen? 181—83. 

Eiſernes Kreuz, uͤberlebende In— 
haber 141. 

Elektoren in Amerika 39. 

Elſaß⸗Lothringen. Stimmung der 
Bevoͤlkerung 1. — Politiſche An⸗ 
ſpruͤche 2. — Die neue Ver: 
faſſung 85. 

Encyclopedia of Social Re- 
form 46. 

England. Blutmiſchung im Volke 4. 
— Parlamentariſches Vorbild 
fuͤr den Kontinent 13. — Magna 
Charta 113. — Parlament, Ge: 
ſchichte 10—15. 70-75. — 
Entſtehung der gegenwaͤrtigen 
Verfaſſung 119—26. — Sturz 
des Abſolutismus 119— 26. — 
Legitimitaͤtsgedanke 119—21. — 
Gottesgnadentum 120. — Wil⸗ 
helm III. 120—24. — Perſonal⸗ 
union mit Holland und Han⸗ 
nover 121. — Das neue Koͤnig⸗ 
tum und ſeine Stellung zur 
Armee 133. — Der Koͤnig und 
die Parlamentsreform von 1911. 
37. — Zur Wehrverfaſſung 88, 


120-21, 133-35. — Das 
Parlament verfuͤgt uͤber das Heer 
135. — Volkswohlfahrt und 
Volksſtimmung im 18. Jahr⸗ 
hundert 146. — Montesquieu 
über England 121 —22. — Das 
Oberhaus und ſeine Entwicklung 
im Verhaͤltnis zum Unterhaus 11. 
13. 36 38. Jetziger Zuſtand 122. 
— Wighs und Tories: Urſprung 
119-20. Ihr Verhältnis zuein⸗ 
ander 12. 127. Ihre Stellung 
zum Referendum 36—38. Jetzige 
Sorgen der Tories 49. — Ge: 
ſchichte d. Wahlrechts 10—15. 
Deſſen jetzige Ausdehnung 15. 
— Jetziger Wahlmodus 70—75. 
— Proporzgedanke 19—20. — 
Gedanke d. allg. Stimmrechts 13. 
147. — Wahlbeteiligung 17. — 
Korruption 11—14. 73-74; 
heute verſchwunden 49. — Kau⸗ 
kus 72-74. — Parlamentsreform 
von 1832 14-15. 122. Von 
1867 15. 19. 127. Von 1872 
u. 1884 15. Von 191137. 122 
— Suspenſives Veto 37. — 
Obſtruktion 40. — Parteidis⸗ 
ziplin 68. 71—75. 178. — Inter⸗ 
pellationen und Anfragen beim 
Miniſter 75. — Geſetzgeberiſche 
Leiſtungsfaͤhigkeit d. Parlaments 
83-84. — Macht d. Parl. 59. 
86—88. — Charakter d. Oppo⸗ 
ſition 153. — Die neue Demo: 
kratie und ihre Fuͤhrer 19. 73 bis 
75. Demokratie u. auswärtige 
Politik 49. — Abaͤnderung des 
Kapitals, Enteignungspraxis, 
Niedergang d. Landwirtſchaft 49. 
— Eiſenbahn 182. — Kirche 120. 
— Beamtentum 178. — Steuern: 
Erbſchaftsſt. 33.49. Einkommenſt. 
49. 83— 84. Beſitzſt. 49. Stem⸗ 
pelſt., Bierſt., Spiritusſt. 83. — 
Teezoll, Zuckerzoll, Kohlenausfuhr⸗ 
zoll 83. Kampf geg. Frankreich bis 
z. franz. Revolution 12. 46. 123 


Regiſter. 


bis 124. — Einwirkung d. franz. 
Revolution 13— 14. 46. 70. — 
Napoleon 12. 46. 

Enquete uͤber d. Polenfrage 161. 

Enteignungspraxis in England 49. 

Epidemiegeſetz in d. Schweiz 30. 

Equites in Rom 97. 

Erbrecht, fuͤrſtliches, ſiehe Dynaſtie. 

Erbſchaftsſteuer in Deutſchland 33 
bis 34. — Buͤlows Ruͤcktritt ihret⸗ 
wegen 60. — In England u. 
Frankreich 33. 

Erbteilungen des Frankenreichs 116 
bis 117. 

Erfuxter Programm d. ſozialdemokr. 
Partei 149. 

Erzherzog Johann als Reichsver⸗ 
weſer 140 —41. 

us (1814), Haltung Wrangels 
14 


Etrusker, Verhältnis zu Rom 96 
bis 97. 99. 

Eugenie, Kaiſerin (1870) 139. 

Fabrikarbeiter in d. Schweiz. 49 

Faͤlſchungen hiſtor. Urkunden 103. 

Faguet uͤber d. franz. Parlamen⸗ 
tarismus 24. 

Fahrkartenſteuer i. Deutſchland 144. 

Fasces in Rom 100. 

Feudalkriegertum des Mittelalters 
115-17. 

Feuerbeſtattungsgeſetz u. d. Frak⸗ 
tionen in Preußen 85. 

Feuerverſicherung, moderne 94. 

Finanzieller Zuſammenbruch des 
Roͤmerreichs 115. 

Finanzpolik, deutſche. Die Reform 
im Reichstags 84. — Prinzi⸗ 
pien des Reichstags 14346. 
Preußen: Lex Huͤne 143. 

Flottenfrage in Deutſchland 31 —34. 

Fortſchrittspartei, ihr Aufgehen in 
d. Deutſch⸗Freiſinnigen 150. 

Fraktionen. Ihre Anzahl in der 
franzöfifhen Kammer 129. — 
Im norddeutſchen Reichstag von 
1867 130. — Im gegenwaͤrtigen 
Reichstag 43. 142. — Bedeutung 


193 


der Vielzahl 130—31. — Ihre 
Eigenart 141—56. 

France, Anatole, uͤber die Depu⸗ 
tierten 22. 

Franckenſtein und Sozialpolitik 36. 

Franken in Elſaß⸗Lothringen 2. — 
Im alten Reich 5. 

Frankenreich 112 —17. 

Frankenſtein, Klauſel 143. 

Frankfurt. Nationalverſammlung 
(1848) 140. 

Frankfurter Frieden i. J. 1871 2. 

Frankfurter Zeitung uͤber engliſche 
Parteidiſziplin 75. 

Frankreich. (Vgl. „Frankenreich “). 
uͤberblick uͤber die Entwicklung 
122-26. — Univerſales Macht: 
ſtreben im 17. Jahrh. 124— 25. 
— Koͤnigtum 6768. Deſſen 
Untergang 123 — 26. — Ne 
volution: König als Nepräfentant 
d. Volkswillens aufgefaßt 67 bis 
68. Traͤger d. Revolution 124 
bis 26. Haltung d. Armee 125. 
Antike Republiken als Vorbild 90. 
Einwirkung auf England 13 
bis 14. 46. 70. — Kaͤmpfe 
gegen England 12. 46. 123—24. 
Napoleon J. und III. ſiehe dort. 
— Volksabſtimmungen fuͤr d. 
Bonapartes 8—9. — Geſch. d. 
Wahlſyſtems 21. — Indirekte 
Wahl 1789 38-39. — Wahl: 
reformen von 1875. 1884. 1889 
21. — Proporzgedanke 21—28. 
— Referendum 8—9. 28. — 
Diaͤten 22. — Soziale Stellung 
d. Deputierten 22. Parlamen⸗ 
tariſche Korruption 23—28. — 
Allg. Stimmrecht 147. — Prin⸗ 
zipielle Stellung der Kammer zur 
Regierung 59. — Eigenart des 
franz. Parlamentarismus 129 bis 
31. — Parlamentarismus und 
Beamtenkarriere 66 — 67. — 
Charakter der Oppoſition 153. 
— Vielheit der Fraktionen in d. 
Kammer 129—31. — Rolle dei 


194 


Monarchiſten 128 — 129. — 
Jetzige Praͤtendenten 128. — 
Parteidiſziplin 178. — Wahlbe⸗ 
teiligung 8. — Verſammlungs⸗ 
und Vereinsrecht 147. — Die 
Demokratie u. ihre Fuͤhrer 75. 
— Heerweſen: Dienſtzeit 25. 129. 
Einjaͤhrig⸗Freiwilligen⸗Inſtitut 
abgeſchafft 25. Die Kammer 
verfügt uͤber das Heer 135—36. 
Die letzten Kriegsminiſter 135. 
Das Heer in der Revolution 
125. Unter Napoleon III. 139 
bis 40. — Eiſenbahn 181—83.— 
Erbſchaftsſteuer 33. — Verhaͤlt⸗ 
nis zu Polen u. zu Rußl. 173. 

Franzoſen als deutſche Reichsange⸗ 
hoͤrige 1. 157. 

Frary, R., uͤber d. franzoͤſiſche De⸗ 
mokratie 79—80. 

Frauen, ihre politiſche Rolle 6. — 
uͤber ihr Stimmrecht Gompertz 
13132. — Deutſchland 131 
bis 32. — Italien 17. 

Fredegunde (Merovingerin) 113. 

Freihandel in Deutſchl. 153 —56. 

Freiheit als volkstuͤml. Poſtulat 


45 46. 

Freiheit der Wiſſenſchaft in Deutſch⸗ 
land 76. 

Freiheitskriege, Nachwirkung in 
Deutſchland 42. 57 —59. 141. — 
Nachwirkung in Frankreich 136.— 
Die preuß. Armee 45. — Ver⸗ 
haͤltnis zur Konſtitution 57—59. 

Freikonſervative Partei. Stellung 
zu Bismarck 159 — 160. — 
Feuerbeſtattung 85. — Verfaſſung 
f. Elſaß⸗Lothrigen 85. — Reichs⸗ 
verfaſſungsordnung 85. 

Freiſinnige Partei und Sozialpolitik 
36. — Freihaͤndler 153 156. 
— Unter Bismarck 147. 149 —50. 
— Bei ſeiner Entlaſſung 61. — 
Stellung zu Caprivi u. Hohen⸗ 
lohe 65. — Feuerbeſtattung 85. 
Verfaſſung für Elſ.⸗Lothr. 85. — 
Reichsverſicherungsordnung 85. 


Regiſter. 


— Gegenwaͤrtige Stellung zur 
Regierung 147. — Kriſe von 
1892 149—153. — Stellung 
zum Kaiſer 1892 152. 

Friedrich I. König v. Preußen, als 
Kriegsherr 137. 

Friedrich d. Gr., ſein abſolutes 
Regiment 44—45. 57. — Über 
Infanterie 99. — Als Kriegs⸗ 
herr 137. 

Friedrich Wilhelm, d. Große Kur⸗ 
fürft unterſtuͤtzt Wilhelm III. von 
Oranien 124. — Gruͤndet Armee 
und Beamtentum 137. 

Friedrich Wilhelm J., ſein abſolutes 
Regiment 44. — Als Kriegs: 
herr 137. 

Friedrich Wilhelm III. 180613. 
138. — Nach 1815 50—58.— 
Kritik Hegels 55. 

Friedrich Wilhelm IV., ſeine Re⸗ 
gierungsweiſe 56—57. 

Frontbank, ihre Bedeutung in 
England 72. 75. 

Fuͤrſtenrang im alten und neuen 
Deutſchen Reich 96. 

Gefolgſchaft, germaniſche 137—38. 

„Geheimrat“ nach d. Definition 
Bismarcks 156. 

Geldwirtſchaft, Untergang der an⸗ 
tiken, 115. 

Generalſtreik auf d. Parteitagen 79. 

Gentz uͤber d. engl. Parlament 13. 

Georg J. von England 121. 

Germanen, Die alten. Ihre Fuͤr⸗ 
ſten 92. — Urverfaſſung 113. 
— Gefolgſchaft 137—38. — 
Heerweſen 137—38. 149. Ver⸗ 
gleich mit dem ſozialdemokr. Zu⸗ 
kunftsſtaat 148—49. — Agrar⸗ 
kommunismus, Geſetzgebung, 
Rechtſprechung, Fuͤrſtenwahl 149. 

Germaniſches Blut in Deurſchl. 3. 

Gewerlvereine, Verhältnis zur So: 
zialdemokratie 77 —79. 

Gierke über d. Majoritaͤtsprinzip 18. 

Giolitti und d. Wahlrecht 16 — 17. 

Gneiſenau, ſeine nationale Be⸗ 


Regiſter. 


deutung 42. — Verhaͤltnis zu 
Hardenberg 51. — Heeresreform 
139. — Im Jahre 1812 140. 

Gneiſt uͤber engliſche Verfaſſung 70. 

Goethe 42. 152. 

Goldene Bulle (1356) 119. 

Gompertz uͤber Frauenſtimmrecht 
131-32. 

Gottesgnadentum in Athen 96. 
Rom 96. 100. 101. 104 06. 
112. England 120. Preußen⸗ 
Deutſchland 55—59. 66. 106 
bis 107. 

Grafenamt im Frankenreich 113 
bis 114. 

Griechenland. Handel 93. — Heer⸗ 
weſen 138. Vgl. Athen, Sparta, 
Homer. 

Griechiſch⸗Katholiſch, Gegenſatz 
gegen Roͤmiſch⸗Katholiſch 173. 

Groeben, Graf (1812 u. 1848) 140. 

Großer Kurfuͤrſt unterſtuͤtzt Wil⸗ 
helm III. von Oranien 124. — 
Gruͤndet Armee und Beamten: 
tum 137. 

Grote (Hiſtoriker) Vertreter des 
demokr. Gedankens 19 —20. 
Grundwertzuwachsſteuer in Deutſch⸗ 

land 144. 

Guillotine 125. 

Gutgowski über d. Polenfrage 163. 

Haenel u. d. Heeresvorlage 1892 
151. 

Hagelverſicherung, moderne, 94. 

Hagenbach, ProporzSpftem 21. 

Hahn, Di., u. d. Flottenfrage 33.— 

Hakatismus 157 —77. 

Hakatiſtiſche Politik u. d. Ausland 
175. 

Hamburg, Proporz⸗Syſtem 21. 26. 
Geographiſche Lage 95. 

Hammerſtein, Kriſis von 1892 151. 

Handelspolitik u. Flotte in Deutſch⸗ 
land 33. 

Hannover, reingermaniſches Blut 
3. — Perſonialunion mit Eng: 
land 121. 134. 

Harden und die Polenfrage 161. 


195 


Hardenberg. Seine Bedeutung 51. 
Verhaͤltnis zu Scharnhorſt, Gnei⸗ 
ſenau, Bluͤcher, Boyen 51. — 
Anteil an den Reformen 54. 57. 
— Auf d. Wiener Kongreß 58. 

Hare, Vertreter des Proporz⸗Ge⸗ 
dankens 20. 

Hasbach, Moderne Demokratie 
4 


9. 68. 

Hector als Anführer 92. — Als 
„Ritter“ 97. 99. — Gegen den 
Vogelflug als Omen 104. 

Heereszahlen in der Geſchichte 80. 

Heerweſen. Trojaniſcher Krieg 92 
bis 93. 97. 99. 104. — Perſer 
9899. — Griechen 99. 138. — 
Athen 91. — Sparta 96. — 
Rom 92—112. 114—15. 138. 
— Germanen 113. 137—38. 
149. — Frankenreich 114—77.— 
Lehnsweſen 115—17. 138. — 
Stehendes Heer und feine Be⸗ 
ziehung zum Abſolutismus 117. 
bis 118. 137. — Schweiz im 
Mittelalter 9899. — Burgund 
98—99. — England 88. 120 
bis 121. 133-35. — Frankreich 
25. 129. 135—36. 139—40. — 
Holland 17. Jahrh. 123. — 
Deutſcher Bund 140— 41. — 
Deutſches Reich und Preußen 
51—57. 66. 136—41. 143—53. 


157. 

Hegel uͤber den Volkswillen 41. — 
Uber das preußiſche Koͤnigtum 55. 

Heinrich J., Kaiſer 5. 

Helldorf und Bismarck 61— 63. 
ermann (Armin), Groeben uͤber 
ihn (1812) 140. 

Hermes, Freund E. Richters 151. 

Herrenhaus in Preußen, ſein ſtaͤn⸗ 
diſcher Charakter 126. 

Hippias, Tyrann von Athen 88. 

Hiſtoriſche Urkunden, gefaͤlſchte 103. 

Hochdeutſche Schriftſprache, ihre 
Bedeutung, 5. 

Hoffmann von Fallersleben der 
Regierung mißliebig 54. 


196 


Hohenlohe (Reichskanzler) u. d. 
Flottenfrage 32. — Verhaͤltnis 
zum Reichstag 60. — Seine 
Memoiren uͤber Bismarck 62. — 
Die Freiſinnigen 65. 

Hohenzollern, die 1 der preuß. 
Koͤnigsmacht 1 

Holland, ae Blut 5. 

— Perſonalunion mit England 
121. — Armee im ſpaͤteren 17. 
Jahrhundert 123. — Parlament 
und Regierung 59. 126. — Kein 
allgemein. gleiches Stimmrecht 
147. 

Homer, Odyſſee 93. — Ilias 92 
bis 93. 97. 99. Vogelflug. 104 

Hondt, D', Proporz⸗Syſtem 21. 

Huͤhner, heilige, d. Roͤmer 10405. 

Huͤne, Lex 143. 

Humboldt, Wilh. v., als Miniſter 51. 

W und Landwirtſchaft 


Jahwe Dienſ, Durchfuͤhrung bei den 
Juden 103. 

Jakob II. von England. Sein Sturz 
120-21. 123-24. 133. — Ber: 
haͤltnis zu Frankreich 123—24. 

Jakobiner 180. — Nach Marwitz 
183-84. 

Japaner, Gefolgstreue 138. 

„Idealſtaat“ 50—53. 

Jellinek, G, Allgem. Staatslehre 68. 

Jena u. Auerftädt. ie preußifche 
Armee 44—45. — Überwindung 
der Folgen 138— 39. — Ber: 
gleich mit Sedan 139-40. 

Jena, Univerfität 76. 

Jenks, Prof., über Korruption in 
Newyork 47. 

Jentſch, K., uͤber d. Polenfrage 161. 

Ilias 9293. 97. 99. 104. 

Illinois, Korruption 47. 

Indirekte Wahl 38—39. 

Induſtrie und Flotte in Deutſch⸗ 
land 33. 

Infanterie, Weſen der, 99. 

Initiative zur Geſetzgebung aus 
dem Volk 31. 


Regiſter. 


Internationale, 
goldene 179. 

Interpellation im engliſchen Par⸗ 
lament 75. 

Interzeſſion in Rom 101. 

Invalititaͤtsverſicherung, 
35. 


ſchwarze, rote, 


Deutſche 


Johann, 40 db, als Reichsver⸗ 
weſer 140—41. 

Joſias, Koͤnig der Juden, fein Ge: 
ſetzbuch gefaͤlſcht 103. 

Irland im Jahre 1793. 10 

Isle de France, Herzland Frank: 
reichs 122. 

Italieniſcher Krieg 1859, Leiſtungen 
der Franzoſen 136. 

Italien, Geſchichte des Wahlrechts 
15—17. Parlamentsreformen 
von 1882 u. 1913 16. — Allg. 
Stimmrecht u. Frauenſtimmrecht 
1913 abgelehnt 17. 147. — An⸗ 
alphabeten 16. — Erbliche Wahl⸗ 
ſitze 78. — Koͤnigstum durch 
Volksabſtimmung gewaͤhlt 15 
bis 16. Sein Verhaͤltnis zum 
Parlament 59 —60. 126. 

Juden als reine Raſſe 4. — Heilige 
Geſchichte 103. — Faͤlſchungen 
ihrer Geſetzbuͤcher 103. — Polen⸗ 
frage 159. 

Kadavergehorſam in der Sozial⸗ 
demokratie 79. 

Kaiſer, der deutſche, kann nicht 
Fuͤrſtenrang verleihen 96. 

Kaiſertum, Deutſches, ſeine inner⸗ 
politiſche Stellung, militaͤriſche 
136—41, beſonders 138. — 
Geſamtkritik 177 — 87. Der: 
gleiche Dualismus, Deutſchland, 
Preußen. 

Kaiſertum, roͤmiſches. Eigenart 
ſeiner Gewalt 111-12. — Flle: 
gitimer Charakter 116-17. 

Kantorowicz, Proporz⸗Syſtem 21. 

Kapital. Abwanderung aus Eng⸗ 
land 49. 

Kapitalismus in Rom 95—96. — 

. und Maſſenregierung 132 


Regiſter. 


bis 133. — Seine innerpolitiſche 
Macht 132—33. — Einfluß auf 
d. Parlamentarismus in Ame⸗ 
rika 18283. 
Kardorff, Verhaͤltnis zu Bismarck 
u. zur Polenfrage 159—160. 
Karl J. v. England, ſein Tod 18. 
Karl IV. Kaiſer, und d. Goldene 
Bulle 119. 

Katholiken, Deutſche, ihre Stellung 
in der Nation 174 179. 

Kaukus, Herkunft des Wortes 71. 

Keltiſches Blut in Deutſchland 3. 

Kirche u. Kultus. Roͤmiſches Reich 
96. 101. 10406. — Kirche u. 
Staat im Mittelalter 117. — 
England 120. — Gegenſatz der 
roͤmiſch⸗katholiſchen und griechifch- 
katholiſchen Kirche 173. — Ka: 
tholizismus u. Polenfrage 162. 
168. 173. — Stellung zu Ruß⸗ 
land 173. — Zu Deutfchland 
173. — Verhältnis zwiſchen 
Zentrum und kath Kirche 174. 
— Einfluß d. Papſtes in Deutſch⸗ 
land 174. — Kirche u. Maſſen⸗ 
regiment, die Kirche als 
innerpolitiſche Macht 132—33. 

Kleiſthenes, Verfaſſung des, 89 
bis 92. 

Kleon nach Grotes Urteil 19. 

Koalitionskriege, wer beginnt ſie? 
124. 

Kohlenausfuhrzoll in England 84. 

Koloniſation, Deutſche, in polniſchen 
Gebieten 158—59. 164-67. 
174—75. — Rheinbabens An⸗ 
ſicht 166. — Bismarcks Anſicht 
159-61. 166—67. 174. 

Kommiß, Vergleich mit Bureau⸗ 
kratismus 157. 

Koͤniggraͤtz 52. 

Koͤnigsberg (1848) 140. 

Koͤnigtum in Rom 98100. 

Kongreß, amerikaniſcher, ſeine Kor⸗ 
ruption 47. 

Konſervative, ihre Haltung in der 
Flottenfrage 33. — Ihr Einfluß 


197 


in Deutſchland 153—56. — 
Ihr mittelalterliches Ideal 148. 
— Verhaͤltnis zum Beamtentum 
183-84. Zu Bismard61—63. 
— Sozialpolitik 3436. — So: 
zialiſtengeſetz 62—63. — Feuer⸗ 
beſtattung 85. — Verfaſſung fuͤr 
Elſaß⸗Lothringen 85. — Reichs- 
verſicherungsordnung 85. — Ver: 
moͤgenszuwachsſteuer 86. 131. — 
Stellung zum Zentrum 131. 

Konſtitution, Entſtehung der preu— 
ßiſchen, 57 —59. 

Konſtitutionalismus, Gegenſatz zum 
Parlamentarismus 59. 

Konſuln in Rom. Hoͤchſte Beamte 
101. — Anteil am Senat 105. 
— Ihre Funktionen 106. 

Konvent als Fuͤhrer der franzoͤſi⸗ 
ſchen Revolution 12425. 

Kornpreis in Deutſchland 154—55. 

Krankenverſicherungsgeſetz in der 
Schweiz 30. 

Krieg 1870/71, ſiehe Deutſch-fran⸗ 
zoͤſiſcher Krieg. 

Kriegsminiſter, franzoͤſiſche 135. 

Krimkrieg, franzöfifche Leiſtungen 
im, 136. 

Kuͤgler und die Polenfrage 163. 

Kulturkampf 174. 

Kultus, ſiehe Kirche. 

Kurfuͤrſtenkollegium, 
119. 

Landammannpoſten in der Schweiz 
kaͤuflich 48. 

Landraͤte, ihre Dienſtwohnungen 
143. 

Landvoͤgte in der Schweiz 48. 

Landwirtſchaft und Verſicherungs⸗ 
weſen 94. 

Lebensverſicherung und Landwirt⸗ 


ſchaft 94. 

Lechfeld, Schlacht auf dem, 5. 

Legionen in Urrom 98. — Ihre 
Entſtehung 99. — Ihr Unter⸗ 
gang 114. 

Legitimitaͤt der Fuͤrſtenherrſchaft, 
ſiehe Dynaſtie. 


Wahlmodus 


198 


Lehnsweſen des Mittelalters 115 bis 
117. — Vaſallitaͤt und Offizier: 
korps 138. 

Leipziger Volkszeitung über Demo⸗ 
kratie u. d. Zukunftsſtaat 81 —83. 

Liberale u. Sozialpolitik in Deutfch: 
land 34-86. 

Liperum veto u. ſtaͤndiſches Weſen 
119 


Liktoren in Rom 100. 

Liebknecht (Vater) über den Neiche: 
tag 59. 

Lincoln uͤber Parlamentarismus 178. 

Literatur uͤber Parlamentarismus 
und Demokratie 70, 76. 

Lithauer 4. 

Livius über die ſervianiſche Ver— 
faſſung 102. 

London i. J. 1809 12. — Geo: 
graphiſche Lage 95. 

Lonsdale, Lord 11. 

Lorimer, Senator, ſeine Beſtechungen 


47. 
Los entſcheidet uͤber Amter in Athen 
90 


Lowell, Conſtitution of England 69. 
Verhaͤltnis zwiſchen Wighs und 
Tories 127. 

Ludwig XIV. und ſein Hof 79. — 
Univerſales Machtſtreben 123-24. 

Ludwig XVI., ſein Tod 123. — 
Verhaͤltnis zum Ausland waͤhrend 
der Revolution 124— 25. 

Luther 42. 

Lykurg, ſeine Geſetze gefaͤlſcht 103. 

Maaßen, ſeine Bedeutung 51. 

Mae Kechnie, Neue Demokratie 
69-70. 

Mac Mahon (1870) 139. 

Magna Charta (1215) 113. 

Magyaren in Ungarn 6. 

Majoritaͤtsprinzip im Mittelalter 
118. — Bei der Papſtwahl 118. 
— Bei der Kaiſerwahl 119. — 
Theoretiſcher Begriff 18 — 19. 

„Majorz“ in Baſel 21. 

Marathon, Schlacht 88. 99. 

Marwitz Uber Beamte 183—84. 


Regiſter. 


Marxismus und Kapitalismus 78. 

Maſſenheere in der Geſchichte 80. 

Mehring, Franz, uͤber den Zukunfts⸗ 
ſtaat 80 83. 

Menzel (1807) 139. 

Merckel, Oberpraͤſident 51. 

Merovinger 112-17. 

Metternich, Verhaͤltnis zum engl. 
Parlament 13. 

Metz (1870) 139. 

Meutereibill, englifche 134—35. 

Meyer, Eduard, über Altrom 93. 

Michels, R., über d. moderne Demo: 
kratie 76 - 80. 

Mill, Stuart, Vertreter d. demokr. 
Gedankens 19 - 20. 

Miniſter, abgehende 67. 

Miquel, fruͤherer Abgeordneter 67. 

Miſchraſſen, Charakter der, 5. 

Mittelalter, Regierung und Volks— 
wille 112-19. 

Mommſen uͤber roͤmiſche Patrizier 
92. — Roms Handel 95. 

Monarchiſten im gegenwaͤrtigen 
Frankreich 128 — 29. 

Montesquieu uͤber England 121. 

Moſes, fuͤnf Buͤcher 103. 

Motz, ſeine Bedeutung 51. 

Muͤlhauſen im Elſaß, fruͤher ſchwei⸗ 
zeriſch 2. 

Muͤnſter (1848) 140 

Mulhall uͤber amerik. Korruption 47. 

Napoleon J., Volksabſtimmungen 
für ihn 8-9. — Ausſpruch uͤber 
den Volkswillen 41. — Sieg. über 
Preußen 45. — Von d. Armee 
emporgetragen 125. — Mad): 
wirkung in Frankreich 135.— 
Seine treuloſen Marſchaͤlle 140. 
— Kampf gegen England 12. 

Napoleon III., Volksabſtimmungen 
für ihn 8-9. — Deſpotismus 
42. — Durch Armee geſtuͤtzt 
135— 35. — Verhältnis zu Heer 
und Volk 1870/71 139-40. 

„Nationale Parteien“ in Deutfch- 
land 179. 

Nationalliberale Sozialpolitik 35 


Regiſter. 


bis 36. — Feuerbeſtattungsgeſetz 
85. — Verfaſſung fuͤr Elſ.Lothr. 
85. — Reichsverſicherungsord—⸗ 
nung 85. — Ihre Wahlkoſten 
133. — Abſchwenken zu den 
Freiſinnigen (1884) 150. 
Nationalverſammlung (1848) 140. 
Naturalwirtſchaft des Mittelalters 
115. 
Neger, ihr Stimmrecht 47. 
Neweaſtle, Herzog von, 10— 11. 
Newyork, Wahlkorruption 47. 
Niederlande rein germaniſch 5. — 
Perſonialunion mit England 121. 
— Armee im ſpaͤteren 17. Jahr: 
hundert 123. — Parlament und 
Regierung 59, 126. — Kein 
allgemeines gleiches Stimmrecht 


Nobilitaͤt in Rom, ihre Ent— 
ſtehung 106. 

Norddeutſcher Reichstag 58 — 59. 

Norwegen, Parlament und Re— 
gierung 59. 126. 

Obſtruktion, parlamentariſche 40 
bis 41. 

ae 93. 

Offentliche Meinung in Deutſch— 
land, gegenwärtige 146-48. — 
Zu Bismarcks Zeit 146-47. 

Oſterreich, Nationalitaͤtenmiſchung 
5-6. 181. — Eigenart der 
Parteien 180. — Verhaͤltnis zu 
Kaiſer Wilhelm II. 64. — Kampf 
gegen die Schweiz im Mittelalter 
98. — Bedeutung der Dynaſtie 
und Epoche des Abſolutismus 
122. — In d. Jahren 1805, 
1809 140. — Polenpolitik 172. 
— Bankerott der Parteiregierung 
180. — Notwendigkeit der Be: 
amtenregierung 126. 180. — 
Obſtruktion 40. 

Offizierkorps, Deutſches 136 — 41. 
— Polen, ihr Eintritt 164. 173. 

Oldenburg, reingermaniſches Blut?. 

Orleans, Familie, im gegenwaͤrtigen 
Frankreich 128. 


199 


Oſtmarkenpolitik, ſiehe Polenpolitik. 

Oſtmarkenverein 177. 

Oſtrogorsky, Demoeratie et partis 
politiques 69. 

Otto J., Kaiſer 5. 

Panamiſt,Panama⸗Skandal22, 25. 

Panſlavismus in Preußiſch-Polen 
173. 

Papſt, ſein gegenwaͤrtiger Einfluß 
in Deutſchland 174. 

Papſtwahl und Majoritaͤtsgedanke 
118. 


Paris, Graf von, franzöfifcher Prä- 
tendent 128. 

Paris (1870/71) 139. 

Pariſer Frieden 1814 52. — 1815: 
2. 52. — Edikt 614: 113-14. 

Parteidiſziplin in England 69. 71 
bis 75. 178. — Amerika 178. 
— Frankreich 178. 

Parteien, Produkte ihrer Zeit 180. 

Parteiidee im Gegenſatz zur Staats: 
idee 179. 

Parteitage der Sozialdemokratie. 
Generalſtreik 79. — Zukunfts- 
ſtaat 149. 

Patrizier in Rom, ihr Gegenſatz zur 
Plebs 92— 106. — Mommſens 
Anſicht von ihnen 92. — Zahl 
der Patrizier 98. 

Pennſylvania, Korruption 47. 

Penſionsgeſetz i. d. Schweiz 2930. 

Pentateuch teilweiſe gefaͤlſcht 103. 

Perikles nach Grotes Urteil 19. 

Perſerkriege und Heerweſen der 
Perſer 98-99. 

Phalanx d. Griechen u. Roͤmer 99. 

Phylen (Athen) 90— 92. 

Piemont, Koͤnigtum durch Volks⸗ 
abſtimmung auf Italien erweitert 
15-16. — Sein Verhaͤltnis zum 
Parlament 59—60. 

Pitt, William, der Juͤngere. Sein 
Wahlkreis 11. — Plan einer 
Parlamentsreform 13. — Ver⸗ 
haͤltnis zur franzoͤſiſch. Revolution 
13—14 


platäd, Schlacht 99. 


200 


Platos Idealſtaat 50—53, 

Plebiszit ſiehe Referendum. 

Poincaré, Wahl: und Verwaltungs⸗ 
reformer 23 —28. 

Polen, Koͤnigreich. Liberium veto 
119 


Polen, Fraktion. Flottenfrage 31 
bis 32. 157.— Feuerbeſtattung 85. 
— Verfaſſung fuͤr Elſ.⸗Lothr. 
86 — Vermoͤgenszuwachsſteuer 


Yolenpotiti preußiſche 157— 77. — 
Verteilung der Polen in Deutfch: 
land 1. 158. 172. — Weſt⸗ 
preußen und Schleſien 160. — 
Deutſche Koloniſation 158 —59. 
Städte 159. 16566. 168. 174. 
— Judentum 159. — Bismarcks 
Auffaſſung 159—61. 166—67. 
174. — Schule u. Sprachenfrage 
160-63. — Germaniſierung des 
Beamtenſtandes 164—65. — 
BR Kirche 162. 168. 173. 

often der Polenpolitif 161.— 
Wachſender Reichtum der Polen 
164—65. — Ihr Nationalgefuͤhl 
167—68. Boykott 168. — 
Polen im Offtzierkorps 164. 173.— 
17 5 5 Adel 173. — Kardorff 

159. — Puttkamer 160. — 
Witting 161. — Jentſch 161. — 
Bülow 161. — Harden 161. — 
Kügler 162. — Gutgowski 163. 
— 5 163. — Rheinbaben 
166 Raſchdau 167. — 
Zweibrücken 172. — Vorſchlag 
einer Enquete 161. — Beſſerungs⸗ 
vorſchlag 171-74. — Der miß⸗ 
verſtandene Verſoͤhnungsgedanke 
171—74. — Polen und Ruſſen 
160. 173. — Polen, u. d. Pan⸗ 
ſlavismus 173. — Oſterreichiſche 
Polenpolitik 172. — Polen und 
Franzoſen 173. — Der polniſche 
Bauer 173. — Mittelſtand 174. 
— Deutſchlands Ruf im Aus: 
land und die Polen 175. 


Regiſter. 


Pommern als „Nation“ 5. 

Portugal, Parlament u. Regierung 

Poſen, Schloß 169 —70, Akademie 
170, Bibliothek 170. Vgl. Polen⸗ 
po litik. 


Praͤſidentenwahl in Amerika 7—8. 

Praͤſidentenwahl in Frankreich 128. 

Prätoren in Rom. Alter Name 
für Konſuln 101. — Anteil am 
Senat 105. 


Praͤtorianer, roͤmiſche 114. 

Preſſe, ihr Fehlen im Altertum 110. 
— Ihre Rolle bei den Wahlen! 10. 

Preußen. Altpreußen, Abſolutismus, 
Bedeutung der Dynaſtie 44 bis 
45. 55—57. 122. — Gottes⸗ 
gnadentum 55—59. 106—07. 
166. — Koͤnigtum und Armee 
136—41. — Beamtentum vom 
Großen Kurfuͤrſten gegründet 137. 
— Organiſierte Intelligenz 51 
bis 57. Organ d. Krone 66. 141. 
Kritik 156— 77. In der Oſtmark 
164-65. Innerpolitiſche Farbe 
181-87. Verhaͤltnis zur Kon: 
ſervativen Partei 183 —84. 
Offizierkorps 51—57. 136—41. 
— Landtag ſiehe Abgeordneten⸗ 
haus und Herrenhaus. — Die 
Epoche 1806-13 und ihre Ne: 
formen 45. 51. 54. 57. 139—40. 
— Allg. Wehrpflicht 45 —46. 
— ae der Konftitution 
57—59. — Demagogenverfol⸗ 
gung u — Verhältnis zu 
Deutschland ſeit 1815 53-59. 
— Hegel und Friedrich Wil⸗ 
helm III. 55. — Revolution 1848 
52. — Konflikt 1861 150. — 
Polenpolitik 157 —77. — Biblio: 
theksweſen 170—71. — Raſſen⸗ 
miſchung 4. 

Preußen (Volksſtamm) 4. 

Preußiſche Jahrbuͤcher. Vorwort u. 
Seite 176. 

Prieſter⸗Koder der Juden 103. 


Regiſter. 


Privatbahnen oder Staatsbahnen 
181—83. 

Profonfulat in Rom einträglich 
108—09. 

Proporz, Proportionalwahl 19—28. 
— In Engl. — 19-20. — Schweiz 
21. — Amerika 21. — Ham: 
burg 11. 26. — Württemberg 


21. 26. — Entſtehung des 
Namens 21. — In Frank⸗ 
reich 28. 


Prytaneum (Athen) 90. 
Puttkammer uͤber die Mißerfolge 
der Polenpolitik 160. 
„Quinze mille“, Spitzname für 
Deputierte 22. 
Ragnit⸗Pillkallen, Nachwahl in 133. 
Raſchdau uͤber d. Polenfrage 167. 
Raſſe, rein oder gemiſcht 5. 
Ratsherrenſtellen kaͤuflich in der 
Schweiz 48. 
Reaktion u. Abſolutismus 43. 
Rechtſprechung in Urgermanien 149. 
Referendum 28—38. — In der 
franzoͤſ. Revolution 28. — Fuͤr 
die Bonapartes 8-9. — In 
Amerika 29. — In Italien. 16. 
— In der Schweiz 23—31. — 
In Baſel 29. — In Auſtralien 
31 


Reform in Preußen 1806 — 13.45.51. 

Reichsgruͤndung 53—59. 

Reichsſchuld, ihr Urheber der Reichs⸗ 
tag 145. 

Reichstag. Seine Entſtehung 58 bis 
59. — Politiſche Stellung 59 bis 
67. — Einfluß auf Geſetz⸗ 
gebung 60-67, 87—88. — Die 
Fraktionen 141—56. — Mehr: 
heitsbildungen 85—86. — Die 
Oppoſition 145—56. — Fehlen 
des Verantwortungsgefuͤhles 145 
bis 46. — Keine Korruption 66. — 
Subalterner Zug 66-67. — 
Große geſetzgeberiſche Arbeits— 
kraft 84-85. — Ausfuͤhrlichkeit 
der Verhandlungen 84. — Die 
Rechte des Abgeordneten fließen 


201 


allein aus der Wahl 101. — 
Finanzpolitik 84. 143—46. — 
Verhaͤltnis zu den Miniſtern 
60 —67.— Bismarcks Entlaſſung 
60—66. — Stellung zu Caprivi, 
Hohenlohe, Buͤlow 60. — Kriſis 
1892 150-52. — Wahlen 1912 
146. — Zahl der Waͤhler 182. 
— Vgl. Flottenfrage, Erſchafts⸗ 
ſteuer uſw. 

Reichsverſicherungsordnung im 
Reichstag 85. 

Reichsverweſer Erzherzog Johann 
140-41. 

Reiterei, ihre Entſtehung 97. 

Reitpferd noch nicht in der Ilias 97. 

Repraͤſentationsgedanke. Sein Feh⸗ 
len im Altertum 110. — In 
Athen 90 - 92. — In Rom 109 bis 
110. 

Revolutionsjahr 1848. Parlament 
in Frankfurt 140 —41. — Der 
Reichs verweſer 140. — Die 
Folgen in Preußen uͤberwunden 
52 


Rhaͤtiſches Blut in Deutſchland 3. 

Rheinbaben uͤber Anſiedelungen in 
der Oſtmark 166. 

Rheinuͤbergang (1814) 140. 

Rheinufer, linkes (1815) 52. 

Richmond, Herzog von, beantragt 
allg. Stimmrecht (18. Jahrh.) 13. 

Richter, Eugen, u. Bismarcks Ent⸗ 
laſſung 61. — Heeresvorlage von 
1892 149-53. 

Richterſtellen kaͤuflich in Amerika 
47. — Schweiz 48. 

Richterſtand in Rom 97. 

Rittertum als militärifcher Begriff 
97. — Im Mittelalter 97. 99. 

Robespierre, ſein antikes Vorbild 90. 

Roggenpreiſe in Deutſchland 154 
bis 155. 

Rom. Verfaſſungsentwicklung 92 
bis 112. — Gegenſatz Patrizier⸗ 
Plebs 92— 106. — Entſtehung 
der Nobilitaͤt 106. — Ihr Ver: 
haͤltnis zum Plebs 107. — Agrar⸗ 


202 


kommunismus 94. — Bauern: 
ſtand 94. — Koͤnigtum 98 - 100. 
— Liktoren 100. — Kapitalis⸗ 
mus 95—96. — Handel 93. 95. 
Equites (Ritterſtand 97. — Raſſe 
4. 96. — Geographiſche Lage 
95. — Kultus 96. 101. 104-06. 
Gottesgnadentum 96. 100—01, 
104-06. 112. — Heerweſen 92 
bis 112. 114—15. 138. — Le⸗ 
gionen 98. 99. 114. — Verhaͤlt⸗ 
nis zu den Etruskern 96—97. 99. 
— Urſpruͤnglicher Umfang und 
Volkszahl 97. — Konſuln 101. 
105. — Praͤtoren 101. — Senat 
98. 100. 105—07. 111. 114. — 
Interzeſſion 101. — Demo— 
krariſches Element 101— 11. — 
Volksverſammlung 101. 105. 
107-08. — Servianiſche Ver: 
faſſung gefaͤlſcht 102— 03. — 
Mittelſtand 102 —03. — Dualis⸗ 
mus 103-12. 142. 185. — 
Volksſouveraͤnitaͤt? 103 —04. 111. 
— Imperium et augurium 105. 
— Centuriatkomitien 105. 107 
bis 108. — Tributkomitien 105. 
— Senatus Populusque Ro- 
manus 105-07. — Buͤrger⸗ 
recht und Wahlrecht 107 08. — 
Centurien 108. — Tribus als 
Stimmkoͤrper 108. — Wahl— 
modus 101. 104-05, 107-08. 
Kaukus 108 —09. — Prokonſulat 


108-09. — Bundesgenoſſen⸗ 
krieg 109 —10. — Kaiſertum 
111—12, 114. 116—17. — 


Roms Untergang 110 —12. 114 
bis 15. — Nachwirkung in 
Deutſchland 4. 

Romford, Wahlkreis 15. 

Rooſevelt gegen Wilſon unterlegen 
7. — Seine Wahlbeſtechungen 
47 —48. — Stellung zu den 
Truſts 182. 

Rothſchild, W., Handbuch der 
Politik 69. 

„rotten boroughs“ 10—15. 


Regifter. 


Rouſſeau, Anfiht über Wahl: 
tepräfentation 20. 

Rußland in Bismarcks letzter Politik 
64. — J. Jahre 1812 140. — 
Jetziges Verhaͤltnis zu Deutſch⸗ 
land 150. — Polenfrage 160. 
173. — Freundſchaft mit Frank⸗ 
reich 173. — Kirche 173. — 
Parlament und Regierung 126. 

Sachſen (Stamm), ſeine Bedeutung 
fuͤr Deutſchland 5. 

Sack, Oberpraͤſident 51. 

Sardinien- Piemont, Koͤnigtum 
durch Volksabſtimmung auf 
Italien erweitert 15—16. — 
Sein Verhaͤltnis zum Parlament 
5960. 

Schanz, Profeſſor, uͤber die Reichs⸗ 
chuld 145. 

Scharey uͤber die Polenfrage 163. 

Scharnhorſt bei Auerſtaͤdt 45. — 
Verhältnis zu Hardenberg 51. — 
Seine Reformen 54. — Über 
Wert der ſtehenden Heere 115. 
— Heeresreform 139. — Sein 
Schwiegerſohn 140. 

Schleſien, Polenfrage 160. 

Schoͤn, Oberpraͤſident 51. 

Schottland i. J. 1793 10. 

Schuldentilgung im Reich 145. 

Schulenburg⸗Kehnert (1806) 44. 

Schulweſen in Deutſchland, Ten— 
denz der Klerikalen 128. — Hohe 
Entwicklung 14748. — Polen⸗ 
frage 160-63. 

Schutzzollſyſtem 62. 143. 183. — 
Kritik 153 56. 

Schwaben (Stamm), feine Be: 
deutung für Dentſchland 4. 5. 
Schweden, Parlament u. Regierung 

126. 

Schweiz. Proporz 21. 29. Wahl⸗ 
beteiligung 29—30. — Penſions⸗ 
geſetz fuͤr Beamte, Epidemiegeſetz, 
Krankenverſicherung, Unfallver⸗ 
ſicherung 29 —30. — Deutſche 
Sozialgeſetzgebung als Vorbild 
30. — Referendum 29—31. — 


Megifter, 


Frühere Korruption 48—49. — 
Ariſtokratiſche u. demokr. Kantone 
48. — Landvoͤgte 48. — Städt. 
Intelligenz zwiſchen Bauern u. 
Arbeitern 49. — Kriegsweſen im 
Mittelalter 98—99. — Kampf 
gegen Oſterreich u. Burgund 98 
bis 99 


Sedan, Schlacht bei, Nachwirkung 
in Frankreich 135. — Zuſtande⸗ 
kommen 139—40. 

Seeraub im Altertum 93. 

Senat in Rom. Rat des Koͤnigs 
98. — Korporation der Nobilitaͤt 
105-07. — Im Kaiſerreich 
111. 114. 

Senatus populusque Romanus 
105-07. 

Servianiſche Verfaſſung 102-03. 

Sezeſſionskrieg. Veteranen und 
Hinterbliebene 48. 

Siebenjähriger Krieg 45. 57. 

Siegfried, Proporz⸗Syſtem 21. 

Simmel uͤber die Majoritaͤts⸗ 
prinzip 18. 

Singer und das Flottenfrage 34. 

Slaviſches Blut in Deutſchland 3. 

Smith, Francis, über Servianiſche 
Verfaſſung 102. 

Sokrates 91—92. 

Soldatenkaiſer in Rom 114. 

Souveränität in Rom 103. 111. 
— In Deutſchland 111—12. 

Sozialdemokraten, 110 im deutſchen 
Reichstag 145—46. — Ent: 
ſtehung der Fraktion 130. — 
Zuknnftsſtaat 81—83. 128. 148. 
Vergleich mit urgarmaniſchen 
Zuftänden 14849. — Er⸗ 
furter Programm 149. — Oppo⸗ 
ſitionspartei 149 —50. — frei: 
händler 153—56. — Stellung 
zu den Agrariern 153—56. — 
Wirkung ihrer Intranſigenz 153 
bis 56. — Sind ſie eine natio⸗ 
nale Partei? 179. — Unter Bis⸗ 
marck 147. — Seine Entlaſſung 
61-64. — Gegenwaͤrtige Stel: 


Delbrück, Regierung und Volkswille. 


203 


lung zur Regierung 147. — Ihr 
Parteileben 76—83. — Bildung 
81—83. — Verhaͤltnis zu den 
Gewerkvereinen 77—79. — By: 
zantinismus und Kadavergehor⸗ 
ſam 79. — Macht der Fuͤhrer 
76—83. — Ihre Beamten 77 
bis 83. — Sozialpolitik 35—36. 
148. — Flotte 34. — Erbſchafts⸗ 
ſteuer 33—34. — Gedanke einer 
ſtaͤndiſchen Volksvertretung 39. 
— Generalſtreik 79. — Feuer⸗ 
beftattung 85. — Verfaſſung f. 
Elſ.Lothr. 85. — Reichsver⸗ 
ſicherungsordnung 85. — Ver⸗ 
moͤgenszuwachsſteuer 86. 

Sozialiſtengeſetz 62—63. 

Sozialpolitik. Deutſchlands führende 
Stellung 30. 147. 181. — Das 
Verdienſt gehört der Beamten: 
ſchaft 3436. 183—84.. — 
Sozialpolitik u. Volksſtimmung. 
31 


Spanien, Parlament u. Regierung 
126 


Sparta, mit Rom verglichen 96. 
— Berfaffung Lykurgs gefauͤlſcht 
103 


Spiritusſteuer in England 83, 

Sprachenfrage in der Polenpolitik 
161—63. 

Staatsbahnen oder Privatbahnen 
181— 83. 

Staatsdienſt, feine wirtfchaftlichen 
Laſten 164. 

Staatsſtreichsplaͤne Bismarcks 61 
bis 66. 

Städte, ihre Rolle in der Polen: 
frage 159. 165-65. 168. 174. 

Staͤnde, ihre Rolle in Mittelalter 
und Neuzeit. Kampf mit den 
Dynaſtien 117—18. — Das 
Majoritaͤtsprinzip 118—19. 

Staͤndiſche Volksvertretung 39 40. 

Stehendes Heer. Im Zeitalter des 
Abſolutismus 117—18. 137. 
Ausſpruch Scharnhorſts 115. 
Vgl. „Heerweſen“. 

14 


204 


Stein. Seine Reformen 54. 57. 
— Seine Entlaſſung (1807) 56. 
— uͤber Bureaukratie 156. 

Stellenjaͤger in Amerika 47. 

Stempelſteuer in England 83. 

Stettin. Geographiſche Lage 95. — 
Im Jahre 1848 140. 

Steuerpolitik in Deutſchland 144 
bis 145. 

St. Louis, Korruption 47. 

Stuarts, Sturz der, 119—21, 123 
bis 124. 133. 

Suſpenſives Veto in England 1911 
37 


Synoikismos 93. 

Tabakſteuer in England 83. — 
Monopol in Deutſchland 144. 
Tacitus uͤber germaniſche Fuͤrſten 
92. — Germaniſche Gefolgſchaft 

137-38. 
Taft gegen Wilſon unterlegen 7. — 
Seine Wahlbeſtechungen 47 — 48. 
Tecklenburg, A., Wahlrecht in 
Frankreich 68 69. 
Teekonſum und Zoll in England 83. 
Tiber, ſeine Schiffbarkeit 95. 
Tories. Urſprung 119 — 20. — 
Verhältnis zu den Wighs 12. 
127 — Stellung zum Referendum 
3638. — Mice Sorgen 49. 
Treitſchke über Miſchraſſen 4 —5. — 
Über Preußen 1815 40. 52. 
Tribus in Rom. Stimmkoͤrper 108. 
Tributeomitien in Rom 105. 
Trojaniſcher Krieg ſiehe Ilias. 
Truſts und Wahlmache 47. 182 
bis 83. — Ihre politiſche Rolle 
in Amerika 182—83. — In 
Deutſchland 182—83. — Rooſe— 
velts Maßnahmen 182. 
Turin, Univerſitaͤt 76. 
Unfallverſicherungsgeſez in der 


Schweiz 30. — Deutſchland 
35-36. 
Ungarn, Nationalitaͤtenmiſchung 


5—6. — Parlamentariſche Ob: 
ſtruktion 40. 
Univerſitaͤten, Deutſche 76. 


Regiſter. 


Unold, J., Politik und Entwick⸗ 
lungslehre 69. 

Unteroffizierkorps, Deutſches, 136. 

Urkunden, hiſtoriſche, gefaͤlſcht 103. 

Vaſallitaͤt des Mittelalters 115 bis 
17. — Verhaͤltnis zum Offizier⸗ 
korps 138. 

Vauchamps (1814), 

Wrangels 140. 

Vendee, Aufſtand waͤhrend der 
franzoͤſiſchen Revolution 125. 
Vereinsrecht in Deutſchland und 

Frankreich 147. 

Vermoͤgenszuwachsſteuer im Reichs⸗ 
tag 85. 131. 

Verſammlungsrecht, in Deutſch⸗ 
land und Frankreich 147. 

Veteranenfuͤrſorge in Amerika 48. 

Viktoria, Koͤnigin, u. d. engliſche 
Beamtentum 178. 

Viehverſicherung, moderne, 94. 

Vinke, Oberpraͤſident 52. 

re u. d. Heeresvorlage 1892. 
151. 

Vogelflug, religioͤſe Bedeutung im 
Altertum 104. 

Volk. Begriff des Deutſchen V. 
1-4. — Das V. überhaupt 
1-6. — Volkswille wiſſenſchaft⸗ 
lich aufgefaßt 41—50. — Aus⸗ 
ſpruͤche Napoleons und Hegels. 41. 

Volksſchule, deutſche, vorbildlich 
14748. 161. — Polenfrage 
160-63. 

Volksſouvernitaͤt, Begriff der 43 
bis 44. — In Rom 103. 111. 

Volkstribun in Rom 105. 107. 

Volksverſammlung, ihr moͤglicher 
Umfang 89. 

Wadenſtruͤmpfer (Höfling) 152. 

Wagner, Adolf und die Flotten⸗ 


Haltung 


frage 34. 
Wahl, indirekte 38 —39. 
Wahlbeteiligung in Deutſchland 
71272. England 
— Schweiz 29. — Amerika 8. 
— Frankr. 9. — Allgem. 17. 
Wahlmaͤnner in Preußen 39. 


Regiſter. 


Wales im Jahre 1793 10. 

Wallas, G., Human nature in 
politics 17. 178. 

Warſchau, Großherzogtum 52. 

Weizenpreiſe in Deutſchland 154 
bis 155. 

Weizenverbrauch in Deutſchland ge— 
ſtiegen 154— 55. 

Wellington in Spanien 12. 

a sage uͤberblick 88 bis 


Weſtfalen, reingermaniſches Blut 3. 

Weſtfalen, Koͤnigreich 52. 

Weſtpreußen, Polenfrage 160. 

White, A., uͤber amerikaniſche Kor— 
ruption 47. 

Wiener Kongreß. Deutfche innere 
Gegenſaͤtze 5. — Haltung 
Wuͤrttembergs 5. — Preußens 
Gebietszuwachs 52. — Verſprechen 
einer preußiſchen Volksvertretung 


wighs, Urſprung 119—20. — Ver⸗ 
haͤltnis zu den Tories 12. 127. 
— Stellung zum Referendum 
37—28. 

Wilhelm J., Deutſcher Kaiſer. Ver: 
haͤltnis zu Bismarck 61. 64. — 
Attentat auf ihn 62. — Zwei⸗ 
jährige Dienſtzeit 150. 

Wilhelm II., Deutſcher Kaiſer. 
Bismarcks Entlaſſung 61-66. 
Stellung z. Reichstag 61-66. — 
— Bundesgenoſſenſchaft mit 
Oſterreich 64. — Kriſis von 
1892 152. — Stellung zu den 
Freiſinnigen 152. 

Wilhelm III. von Oranien in Eng⸗ 
land 120—21. — Grund ſeines 
Eingreifens 123. — Engliſche 
Volksſtimmung uͤber ihn 124. 
— Verhaͤltnis zur engl. Armee 

134. 

Wilſon, Praͤſident, ſeine Wahl 6 

bis 8. — Über Korruption 46. 


205 


Windthorſt u. Sozialpolitik 36. — 
Bismarcks Entlaſſung 61. — 
Finanzpolitik 143. 

Wiſſenſchaft, ihre 
Deutſchland 76. 

Witting Über die Polenfrage 161. 

Wrangel, Feldmarſchall (1814 und 
1848) 140. 

Wuͤrttemberg auf dem Wiener 
1 5. — Proporz⸗Syſtem 

Zentrum. Die Fraktion gebildet 
1871 130. — Konfeſſionelle 
Spaltung Deutſchlands 130. — 
Mittelalterliches Ideal des 3. 
148. — Stellung zur kathol. 
Kirche 174. 179. — Kulturkampf 
174. — Unter Bismarck 147. — 
Deſſen Entlaffung 61. — Kriſe 
1892 150. — Gegenwaͤrtige 
Stellung zur Regierung 147. 
174. — Demokratiſcher Grund: 
charakter 131. — Stellung z d. 
Konſervativen 131. — Schul: 
weſen 128. — Finanzpolitik 143. 
Flottenfrage 32—33. — Sozial⸗ 
geſetzgebung 35—36. — Feuer- 
beſtattung 85. — Verfaſſung fuͤr 
Elſ.⸗Lothr. 85. — Reichsver⸗ 
ſicherungsordnung 85. — Ver⸗ 
moͤgenszuwachsſteuer 131. 

Zerboni, Oberpraͤſident 51. 

Zölle ſiehe Deutſchland u. England. 

Zollgeſetzgebung und innere Politik 
in Deutſchland 183. 

Zuckerkonſum und Zoll in England 
84 


Freiheit in 


„Zukunft“ uͤber die Polenfrage 161. 
Zukunftsſtaat der Sozialdemokraten 
8183. 128. 148. 

Zweijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich 
25. — In Deutſchland 150. 
Zweybruͤck über Oſterreichs Polen⸗ 

politik 172. 


Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenhainichen. 


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haben auch im Deutschen Reich den Titel Preussische Jahr- 
bücher beibehalten, unter dem sie ihre Stellung und ihren Ruhm 
gewonnen und für ihr Teil zur Durchführung des Gedankens 
beigetragen haben, die deutsche Nationaleinheit unter Preussens 
Führung zu schaffen. 

Ehedem von Heinrich Treitschke, jetzt von Hans Del- 
brück herausgegeben, sind die Preussischen Jahrbücher seit 
ihrer Begründung im Jahre 1853 eine 


Zentralzeitschrift des geistigen Lebens 
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gewesen, tonangebend in Politik, Wissenschaft, Literatur und 
Kunst. 

Die politischen Ereignisse werden freimütig nach oben 
und unten, unabhängig von allen Parteirücksichten behandelt. 
Wer sich unabhängig von den bie Un und Partei- 
Vorurteilen eine eigene Meinung bilden, wer mit den vor- 
waltenden und fortschreitenden Ideen der Wissenschaft Fühlun 
halten und selbst mit fortschreiten will, findet Führung un 
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= 51 Bogen Gross-Oktav. 2 Bände broschiert 10 M., 2 
22 gebunden in einem Leinwandband 11 M. 2 
5 Der erste Band enthält ein Bildnis Gneisenaus und einen FH 
22 Plan von Kolberg. 2 
22 Delbrücks „Gneisenau“ ist nicht bloss eine Biographie, sondern 22 


= zugleich eine militärisch-politische Darstellung der ganzen Epoche der 22 
—— preussischen Reform und, der Freiheitskriege. „Gneisenau ist stra- = 


22 tegisch der eigentliche Überwinder Napoleons; von allen Feldherren, 22 
ss die mit dem Gewaltigen gerungen haben, ist er der einzige gewesen, en 
= der den Geist und die Kraft der napoleonischen Kriegsführung ganz in —— 
=. sich aufgenommen, den Korsen mit seinem eigenen Feldherrnschwerte an 
= geschlagen hat. Es musste darum in seiner Biographie der strategische u. 
SL und darum auch der politische Zusammenhang der Befreiungskriege ss 
3 vollständig vorgeführt werden. So begegnet uns also in seiner Bio- 32 
—— graphie die ganze Zeit der Erhebung und des Kampfes gegen den — 
—— französischen Weltherrscher mit ihren tiefgehenden Gegensätzen in der 88 
22 inneren und äusseren Politik. Die Liebe und Wärme, mit der das m 
Charakterbild Gneisenaus gezeichnet worden ist, die Sorgfalt, mit der — 

der Charakter aller derjenigen skizziert worden ist, die mit Gneisenau 33 

0 


in Berührung gekommen sind, formvollendete Darstellung und Gedanken- 88 
reichtum machen diese Biographie überaus wertvoll und empfehlen sie en 
jedem, der sich ein klares Bild der gewaltigen Zeit verschaffen will.“ = 

Als Grundlage zur Darstellung der Freiheitskriege im Unterricht 82 
und in Vereinen ist dies Werk vor anderen geeignet. Wir weisen auch ss 
auf die vortrefflichen und übersichtlichen Kartenskizzen hin. Die An- 22 
schaffung des Werkes für Bibliotheken sowie zu Geschenkzwecken 
kann daher dringend empfohlen werden. 

Herr Gymnesialdirektor Dr. Rassow schreibt darüber in der 
22 „Täglichen Rundschau“: . . Delbrücks „Gneisenau“ ist das Buch, in 
2 dem die strategischen Verhältnisse der Freiheitskriege am richtigsten 
2 dargestellt werden; zugleich bildet es für jeden Erwachsenen, ob jung 
88 oder alt, eine herzerquickende und erhebende Lektüre: die, vielen ab- 
— gedruckten Briefe Gneisenaus zeigen, dass der geistige Uberwinder 


22 Napoleons einen Stil von Goethescher Plastik und Feinheit geschrieben hat. 2 
E 

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Verlag von Georg Stilke in Berlin MW. 7. 
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Geschichte der Kriegskunst 


im Rahmen der politischen Geschichte. 
Von Hans Delbrück. 
I. Teil: DAS ALTERTUM. 


Zweite neu durchgearbeitete und vervollständigte Auflage. 
39½ Bogen Gross-Oktav. Broschiert 12 M., halbfranz geb. 14 M. 


II. Teil: DIE GERMANEN. 


Zweite neu durchgearbeitete und vervollständigte Auflage. 
32 Bogen Gross-Oktav. Broschiert 10 M., halbfranz geb. 12 M. 


III. Teil: MITTELALTER. 
45 Bogen Gross-Oktev. Broschiert 13 M., halbfranz geb. 15 M. 


PRHHRRHRRRRRHURERRRRRFRERBRFFLTLTTLRTLTTTTTLTTLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLLITIIITLLLLLLLIIILLELEL ELLE LIE 


Erinnerungen, Aufsätze und Reden. 
Von Hans Delbrück. 


Dritte Auflage. 
625 Seiten eleg. brosch. 5 N., in Leinwand geb. 6 M. 


Historische u. Politische Aufsätze, 


Von Hans Delbrück. 


Zweite Auflage. 
Broschiert 6 M., in Leinwand geb. 7 M. 


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University of British Columbia Library 


DATE DUE 


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: Aulscuwung der deutschen volkswirtschart während der letzten 22 
ss 25 Jahre. Dieser Entwicklung entspricht der gesteigerte Ver- 32 
2: brauch, der für die wichtigsten Massenartikel statistisch dar- 22 
22 gestellt wird. 22 


Ganz besondere Beachtung verdienen die Ausführungen über 22 
Volkseinkommen und Volksvermögen. Auf Grund von Berech- 22 
nungen und sachkundigen Schätzungen wird unter Anwendung 
verschiedener Methoden das deutsche Volkseinkommen und Volks- 
vermögen statistisch zu erfassen gesucht. 


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