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KATBPSERERESTNNEELERER UHREN
U.B.C. LIBRARY
kt
THE LIBRARY
THE UNIVERSITY OF
BRITISH COLUMBIA
1%
Regierung
und Volkswille
Eine akademiſche Vorleſung
N bon
Hans Delbruͤck.
EN,
EN
2
Verlag von Georg Stilke, Berlin NW. 7
Hofbuchhaͤndler Sr. Kaiſerl. u. Koͤnigl. Hoheit des Kronprinzen
1914
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1914 by Georg Stilke, Berlin.
Vorwort.
Vor etwa zwei Jahren wurde ich einmal von Studenten
gebeten, eine Spezialvorleſung über „Parteien und Partei—
regierung“ zu halten. Ich kam dieſem Wunſche in einigen
Stunden nach und fand dabei, daß der Gegenſtand ſich
eigne, zu einer vollſtändigen Vorleſung für ein Semeſter er—
erweitert zu werden. Dieſe Vorleſung habe ich im Sommer 1913
gehalten, und indem ich ſie begann, machte ich mir klar,
daß, was ich vorzutragen gedachte, auch geeignet ſein möchte,
in den Druck gegeben zu werden. Ich ließ alſo die Vor—
leſung nachſtenographieren und lege ſie nunmehr vor, nach—
dem ich ſie hier und da überarbeitet, ergänzt und auch den
Titel geändert habe. Es ſind die Ideen und Tendenzen, die ich
ſeit 29 Jahren in den „Preußiſchen Jahrbüchern“ vertrete,
pſychologiſch analyſiert und breiter fundamentiert durch die
Ergebniſſe meiner hiſtoriſchen Werke und Studien; auch
manche Berichtigung hergebrachter Anſchauungen, über die
meine Unterſuchungen noch nicht veröffentlicht ſind, iſt ein—
geflochten.
Wie man auch theoretiſch über das Verhältnis des
Hiſtorikers zum Politiker urteile, bei mir hängen beide
jedenfalls in der Weiſe zuſammen, daß meine politiſche
Stellungnahme durchaus beherrſcht iſt durch meine Auf—
faſſung als Hiſtoriker und nicht umgekehrt. Ganz gewiß
4 Vorwort.
iſt es nicht das Weſen und der Zweck der Geſchichte, aus
ihr Lehren zu ziehen für das praftifche Handeln. Das
Weſen der echten Geſchichtsſchreibung iſt die reine Betrachtung.
Es gibt keine Geſetze der Geſchichte, und man kann keine
Verhaltungsregeln aus ihr ableiten. Das ſchließt aber
nicht aus, daß eine klare Einſicht in den Urſprung und
das Werden der Zuſtände, in denen wir leben, ein un—
ſchätzbares Hilfsmittel iſt, die Gegenwart zu verſtehen, und
das beſſere Verſtändnis der Gegenwart, wenn es auch noch
keine Prophetengabe für die Zukunft verleiht, ſchärft doch
den politiſchen Blick. Nicht minder werden wir das von
der Einſicht in das Werden und Vergehen anderer Völker
erwarten dürfen. Wenn es wahr iſt, daß Politik Voraus—
ſehen verlangt, ſo hat ſchon hierdurch die echte Geſchichts—
kenntnis ihren hohen Wert für die Politik, wenn ſchon ihr
eigentlicher Zweck darin nicht liegt. Das Vorausſehen in
der Politik erleichtert des weiteren ihre praktiſche Aufgabe,
die Zielſetzung, der dann endlich der Wille zur Tat in der
praftifchen Staatskunſt das volle Leben verleihen muß.
Nationale Geſinnung verlangen wir heute von jedem, aber
auch wenn die Geſinnung ſich paart mit der Willenskraft,
kann ſie den nationalen Staat doch nur dann gedeihlich
fuͤhren, wenn ſie die wohl überlegende und durchgebildete
Einſicht an der Spitze hat.
In dieſem Sinne ſind Wiſſenſchaft und Politik in den
„Preußiſchen Jahrbüchern“ von je verbunden geweſen, und
was dort nach den Forderungen des Tages gegeben wird,
habe ich nun hier, freilich nur in der flüſſigen Form einer
Vorleſung, verſucht ſyſtematiſch zu entwickeln. Die
„Preußiſchen Jahrbücher“ haben ſich oft dem Strom der
öffentlichen Meinung entgegengeſtemmt, zuweilen auch bei
guten Freunden Widerſpruch erregt. Ich gebe mich der
Vorwort. 5
Hoffnung hin, daß dieſe zuſammenhängende Darftellung
manchen Widerſpruch, der mehr auf Mißverſtändnis als
auf ſachlichem Gegenſatz beruht, überwinden, auch manchen
wirklichen Gegner ſtutzig machen und ſchließlich dieſen
meinen Anſchauungen neue Anhänger gewinnen wird.
Unſere Regierung rühmt ſich über den Parteien zu ſtehen.
Auch die Wiſſenſchaft ſteht über den Parteien. Die menſch—
liche Unzulänglichkeit wird es ſelten zulaſſen, daß dieſer
hohe Standpunkt tatſächlich erreicht und innegehalten wird.
Aber ſchon daß er erſtrebt wird, gibt eine große Überlegen—
heit über jeden Parteiſtandpunkt. Der praktiſche Staats—
mann ſieht zunächſt, wie er ſich mit den Parteien aus—
einanderſetze. Aber auch was die Wiſſenſchaft ſagt, iſt
beſonders in Deutſchland immer ſehr beachtet worden, und
es möchte ratſam ſein, daß man das auch fürderhin wohl
in Obacht nehme.
Berlin-Grunewald,
den 11. November 1913.
Hans Delbruͤck.
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„Regierung und Volfssoille” ift ein einzelnes Kapitel aus
dem Gebiete der Politik, das ſich zur Spezialbehandlung be—
ſonders eignet, da die Frageſtellungen, die damit verbunden ſind,
ſo recht in die Mitte aller der Probleme führen, die heute
unſer Volk wie alle Völker bewegen, viel mehr, als wenn
man etwa über Monarchie und Republik oder über Liberalis—
mus, Klerikalismus und Sozialismus ſprechen wollte.
Man verlangt heute allenthalben, daß das Volk ver—
möge der abwechſelnden Parteien ſich ſelbſt regiere. Der
Volkswille ſoll zum Ausdruck gebracht werden und den Staats—
willen beſtimmen. Da wollen wir beginnen mit der Frage:
Was iſt das Volk, nach deſſen Willen man ſich richten ſoll?
Was iſt das deutſche Volk? Zum deutſchen Volk gehören
nicht bloß die Reichsdeutſchen, ſondern auch die deutſchen
Oſterreicher, die deutſchen Schweizer, die vielen Millionen
von Deutſchen in Ungarn, Rußland und Amerika. Von
vornherein müſſen wir den Begriff des deutſchen Volkes
auf die Reichsdeutſchen einſchränken. Sofort aber erkennen
wir dann, daß zu dem deutſchen Volk in dieſem Sinne
auch viele Millionen Polen, Dänen und Franzoſen gehören.
Es gibt in Elſaß⸗Lothringen auch Deutſchſprechende, die fort—
während den Willen bekunden, daß ſie dem deutſchen Volke
politiſch anzugehören ablehnen. Sehen wir von dieſen
immerhin ſehr erheblichen Unſtimmigkeiten ab und erblicken
im deutſchen Volk in unſerem politiſchen Sinne die Ein—
wohnerſchaft des deutſchen Reichs — mögen gewiſſe Bruch—
Volksregierung.
Was iſt ein
Volk?
Sind die Elſaß⸗
Lothringer ein
Volk?
2 Was iſt ein Volk?
teile damit einverſtanden ſein oder nicht — ſo haben wir
damit freilich eine Einheit, aber keineswegs eine von der
Natur gegebene, ſondern eine durch die geſchichtlichen Er—
eigniſſe unter tauſend Zufälligkeiten gebildete.
Als vor einigen Jahren dem Reichslande Elſaß-Lothringen
eine Verfaſſung gegeben wurde, die dieſes Gebiet den anderen
Gliedſtaaten des Reiches gleichſtellte, wurde vielfach verlangt,
daß gemäß dem Prinzip des Selbſtbeſtimmungsrechts der
Völker die Elſaß-Lothringer ſelber zugezogen werden und
ihre Verfaſſung beſtimmen ſollten. In dieſem Verlangen,
das von vielen Liberalen mit Lebhaftigkeit befürwortet wurde,
waren alſo die Elſaß-Lothringer als ein Volk vorausgeſetzt,
das einen eigenen Willen produzieren kann. Wer ſind die
Elſaß⸗Lothringer? Der Abſtammung nach zum Teil Alemannen,
zum Teil Franken, zum Teil Franzoſen. Der Geſchichte nach
gehörten einige Teile dieſes Gebiets zu Frankreich ſeit dem
Jahre 1552, andere ſeit 1648, ſeit 1681, 1735, 1801; bis
dahin zu Deutſchland; Muͤlhauſen gehoͤrte bis 1794 zur
Schweiz. Die von militäriſchen Erwägungen beſtimmten
und inſoweit durchaus willkürlichen Feſtſetzungen einerſeits
des Friedens von Paris (1815), andererſeits des Frankfurter
Friedens (1871) haben alle dieſe verſchiedenen Territorien und
Stammesfragmente zu einer Einheit zuſammengefügt. Bilden
nun die Bewohner dieſer geographiſchen Einheit ein Volk?
Kann man dieſem Volk einen Willen zufprechen, und wie ver—⸗
hält ſich dieſer Wille zum Willen der Geſamtheit des deutſchen
Volkes? Es iſt doch offenbar unmöglich, daß jeder einzelne,
beliebig herausgeſchnittene Bruchteil eines Volkes ein Selbft-
beſtimmungsrecht habe. Sprechen wir es den Elſaß—
Lothringern im Ganzen zu, weshalb nicht jedem der drei
Stämme, Schwaben, Franken und Franzoſen? Und weshalb
nicht ſchließlich jeder einzelnen Gemeinde? Es iſt möglich,
Die Elſaß⸗Lothringer. 3
daß aus den Elſaß-Lothringern mit der Zeit einmal innerhalb
des deutſchen Volkes eine gewiſſe Einheitlichkeit des Emp—
findens erwächſt, ſo wie bei den Preußen oder Bayern.
Die Forderung aber, daß das elſaß⸗-lothringiſche Volk jetzt
ſeine eigene Verfaſſung beſtimme, war in doppelter Weiſe
ſinnwidrig: Erſtens, weil die Elſaß-Lothringer in ihrem
Empfinden noch gar keine organiſche Einheit darſtellen, und
beſonders weil ſie nur ein Teilſtück des deutſchen Volkes
find, fo wie fie bis 1870 ein Teilſtück des franzöſiſchen
Volkes waren. Mit Recht hat deshalb die Entſcheidung
über die Abtretung des Gebiets zwiſchen Rhein und Vogeſen
der franzöſiſche Staat als Ganzes, die Volksvertretung in
Bordeaux, gegeben und nicht eine irgendwie organiſierte
Willenskundgebung der abzutretenden Gebiete ſelbſt, und
mit demſelben Recht hat jetzt die Geſetzgebung des deutſchen
Reiches dieſem Gebiete eine Verfaſſung gegeben.
Haben wir ſchon den Begriff des deutſchen Volkes ein—
ſchränken müſſen auf die Einwohner des deutſchen Reiches,
ſo müſſen wir den Begriff noch weiter einengen durch die
Feſtſtellung, daß wir es auch in dem weiteren Begriff
„deutſches Volk“ nicht mit einem von der Natur gegebenen,
ſondern mit einem durch den Lauf der Geſchichte geſchaffenen
Gebilde zu tun haben. Man pflegt das deutſche Volk zu
behandeln als die einfache Fortſetzung jenes Volkstums,
das vorher Germanen genannt wurde. Das iſt nicht richtig.
Es iſt gar kein Zweifel, daß nur ein geringer Teil des
heutigen deutſchen Volkes, nämlich die Bewohner von
Hannover, Weſtfalen, Braunſchweig, Oldenburg in der
Hauptſache Germanen ſind. Sämtliche Deutſche aber am
Rhein wie ſüdlich des Main find ſehr ſtark gemiſcht mit
Kelten, Rhätiern und anderen romaniſierten Voͤlkern, alle
Gebiete öſtlich der Saale und Elbe wiederum mit Slaven,
Das deutſche
Volk.
4 Miſchraſſen.
Preußen und Lithauern. Wie ſtark der Beiſatz von fremdem
Blute iſt, iſt im einzelnen nicht zu berechnen. In manchen
Gegenden geht er unzweifelhaft ſehr weit, noch weit über
die Hälfte hinaus.
Ganz ebenſo wie die Deutſchen ſind auch alle die anderen
großen Kulturvölker — die Engländer, Franzoſen, Spanier,
Italiener Miſchraſſen, durch den Gang der geſchichtlichen
Ereigniſſe miteinander verſchmolzene Beftandteile der aller—
heterogenſten Stämme, und es iſt ein Beweis der
Herrſchaft des Geiſtes über die Natur, daß die Einheit,
die ſie darſtellen, aus phyſiſch ſo disparaten Elementen auf—
gebaut iſt. Selbſt dann, wenn, was wir ſelten genug
finden, der Volkseinheit eine phyſiſche Stammes-Einheit
zugrunde liegt, ſo iſt doch das Weſen des Volkstums
nicht in der gemeinſamen Abſtammung, ſondern in ſeiner
geiſtigen Einheit zu ſuchen. Die Wiſſenſchaft iſt hierüber
völlig einig, und Treitſchke hat ſogar den Satz aufgeſtellt,
daß gerade die ſtaatsbildenden Völker ſtets ſtark gemiſcht
geweſen ſeien, wie die Römer und die Engländer. Die
Araber und Juden ſeien beſonders reinen Blutes, und von
ihnen könne man nicht behaupten, daß fie vorzüglich ftants-
bildend gewirkt hätten; ihre Kraft liege auf ganz anderen
Gebieten. „Freilich,“ fügt er hinzu, „faſt alle edlen Völker,
wie die Athener, nannten ſich ſelber autochthon; aber faſt
alle mit Unrecht.“ Noch heute könne man erkennen, wo
in Deutſchland die Mädchen die Laſten auf dem Kopfe
tragen, da ſeien einmal die Römer geweſen. Die Schwaben
im Mittelalter, die Preußen in der Neuzeit, ſeien die ſtaats⸗
bildenden Träger des Deutſchtums geweſen, und gerade ſie
ſeien beſonders ſtark gemiſcht. Ich möchte mir dieſen
Schluß, daß Blutmiſchung hervorragend befähigt mache zur
Staatsbildung, nicht aneignen. Die erſten Staatsbildner in
Abkunft der Deutſchen. 5
Deutſchland waren doch die Sachſen unter Heinrich J. und
Otto J. und waren nicht gemiſcht, und ſchließlich die Nieder:
lande ſind doch auch eine ſehr bedeutſame germaniſche
Staatsbildung und getragen von ungemiſchten Germanen.
Das Richtige und Wertvolle in dieſer Betrachtung iſt aber,
daß wir wiederum den Begriff „Volk“ nicht als etwas Ge⸗
gebenes erkennen, ſondern als etwas in den Kämpfen der
Geſchichte Gewordenes. Von wo an können wir nun dieſem
Werdenden, von dem wir eben erfahren haben, daß es aus
ganz verſchiedenen und entgegengeſetzten Elementen zuſammen⸗
geſchmolzen iſt, einen Willen zuſprechen? Seit dem gemein⸗
ſamen Siege über die Ungarn auf dem Lechfelde im Jahre 955
haben ſich die Stämme der Sachſen, Franken, Schwaben
und Bayern allmählich in einem Einheitsgefühl als deutſches
Volk zuſammengeſchloſſen, aber noch im Jahre 1815 vermeinte
jede Landſchaft, z. B. Neu⸗Vorpommern und Altpommern
eine beſondere „Nation“ zu fein“) und auf dem Wiener
Kongreß widerſprach der württembergiſche Geſandte „der
Abſicht, aus verſchiedenen Völkerſchaften, z. B. Preußen
und Württembergern, ſozuſagen, eine Nation zu bilden.“
In der Tat wuͤrden ja auch der pommerſche und der
württembergiſche Bauer, wenn ſie in ihrer Mutterſprache
ſprechen, ſich untereinander nicht verſtändigen können. Nur
indem man ſie in der Volksſchule künſtlich die hochdeutſche
Schriftſprache lehrt, ſchafft man die für das Weſen eines
einheitlichen Volkes unentbehrliche Spracheinheit.
In noch größere Verlegenheit geraten wir, wenn wir
nun von dem heute trotz dieſer Vorbehalte in einer großen
nationalen Einheit daſtehenden Volke der Deutſchen abſehen
und etwa zu den Sſterreichern oder Ungarn gehen. Wo iſt
*) Treitſchke, Deutſche Geſch. II., 196 ff.
6 Kulturvolk und Staatsvolk.
das öſterreichiſche oder ungariſche Volk? Zehn verſchiedene
Nationalitäten, meiſt auch nur wieder Bruchſtücke von
größeren Stämmen, ſind hier zu einer politiſchen Einheit
vereinigt. In Ungarn herrſchen die Magyaren, die nach
ihrer eigenen Zählung gerade die Hälfte der Einwohnerſchaft
des Königreichs ausmachen, nach der Meinung der Kenner
lange noch nicht einmal die Hälfte, etwa 8½ Millionen
von 20. Wo iſt hier der ungariſche Volkswille zu
ſuchen?
Um den Begriff „Volk“ überhaupt ſtaatsrechtlich wieder—
zugeben, müſſen wir von dem eigentlichen Sinne der
nationalen oder Kultureinheit, oder wie man ſie ſonſt
nennen will, abſehen und die Geſamtheit der Bürger—
ſchaft eines wie auch immer zuſammengeſetzten und be—
Zum Volk ge- grenzten Staates darunter verſtehen. Das deutſche Volk in
on dieſem Sinne find alſo die Bürger des deutſchen Reiches.
Kinder. Sind es aber bloß die Männer? Gehören nicht auch die
Frauen zum deutſchen Volk? Es gibt bekanntlich ſogar viel
mehr Frauen als Männer. Von welchem Lebensjahr an
gehört ein Deutſcher zu demjenigen Teil der Deutſchen, die
berufen ſind, den Volkswillen darzuſtellen? Gehört zur
Konſtituierung eines Volkswillens die direkte Abſtimmung
über eine beſtimmte Frage? Kann man zu dem Volkswillen
gelangen auch durch Repräſentanten? Wie ſollen dieſe
Repräſentanten gewählt werden? Das iſt von der aller⸗
höchſten Bedeutung. Wir werden noch davon hören. Denn
durch die Art der Abſtimmung kann es ſehr leicht geſchehen,
Majorität und daß die Majorität in eine Minorität verwandelt wird. In⸗
Minorität. wiefern hat überhaupt die Majorität das Recht, ſich für
das Ganze auszugeben und den Willen der Minorität zu
mißachten oder auszuſchalten? Gehört die Minorität nicht
auch zum Volk? Vor kurzem hat Herr Woodrow Wilſon
Majoritaͤt und Minoritaͤt. 7
das Amt als Präſident der Vereinigten Staaten von
Amerika angetreten; anſcheinend als der Erwählte der
Majorität der amerikaniſchen Staatsbürger. In Wirklichkeit
hat ihn nur die Minorität gewählt.
hat 58157800 Stimmen,
dagegen Rooſevelt .. 3928000 Stimmen,
e, ,, 3370000
dee „
Shaping 27322161000 1
zuſammen 8139000 Stimmen.
Die Gegenkandidaten zuſammen haben alſo volle
2 Millionen Wähler mehr hinter ſich gehabt als Herr Wilſon.
Das iſt möglich geweſen, weil die Wahl nicht direkt war,
ſondern durch Wahlmänner vollzogen wurde, die in den
einzelnen Staaten gewählt wurden. Der Zufall wollte es
nun, daß Herrn Wilſons Wahlmänner mehrfach nur mit
ganz kleiner Majorität gewählt wurden, daß große Minoritäten
ſeiner Gegner alſo ausfielen, während dieſe umgekehrt viel—
fach Wahlmänner mit großen Majoritäten hatten, Wilſon
dort alſo nur kleine Minoritäten verlor. Überdies gilt bei
der Wahl der Wahlmänner in den meiſten Staaten bloß
die relative Majorität. Die Spaltung der Republikaner
zwiſchen Taft und Rooſevelt verſchaffte alſo in vielen
Staaten Wilſon die Stimmen der Wahlmänner, obgleich
er nur die Minorität der Wähler auf ſeiner Seite hatte.
Iſt es ſchon ſehr bedenklich, die Majorität ohne weiteres
für das Ganze zu ſubſtituieren und die Minorität aus—
zuſchalten, ſo wird das Bedenken noch ſehr verſtärkt da—
durch, daß ja erfahrungsmäßig ſehr viel Bürger ſich über—
haupt an den Abſtimmungen nicht beteiligen. Der Politiker
hilft ſich mit dem alten Satz: qui tacet consentire videtur.
Verbürgt an⸗
nähernde Ein⸗
ſtimmigkeit den
Volkswillen?
8 Die Herrſchaft der Napoleons.
Aber der Satz genügt hier offenbar nicht. Denn zuſtimmen
kann man nur einem Beſchluß, den man kennt. Hier
muß angenommen werden, nicht ſowohl, daß die Nicht—
wähler zuſtimmen, als daß ſie ſich unterwerfen, was auch
immer das Ergebnis der Abſtimmung ſei.
Bei der Wahl des Präſidenten Wilſon haben überdies
drei Millionen ſtimmberechtigte amerikaniſche Bürger ſich
der Stimme enthalten, fo daß die jetzige amerikaniſche Re:
gierung tatſächlich nur von einem Drittel der Bürgerſchaft
eingeſetzt worden iſt. Ja, wir haben ſehr häufig in demo—
kratiſch regierten Staaten den Fall, daß nur etwa die Hälfte
der Berechtigten, oft noch weniger, an der Abſtimmung teil—
nimmt. Die Majorität dieſer Hälfte macht alſo unter Um—
ſtänden wenig über ein Viertel aus. Kann man im Ernſte
behaupten, daß die Kundgebung eines Drittels oder eines
Viertels der vorhandenen Bürger den Volkswillen darſtelle?
Vielleicht gibt man zu, daß es nur ein Notbehelf iſt,
wenn man in ſolchen Fällen vom Volkswillen ſpricht, aber
wenn ſich nun Einmütigkeit oder ſo gut wie Einmütigkeit
bei einer Abſtimmung kundgibt, dann wird man doch wohl
von einem Volkswillen ſprechen können? Sehen wir zu.
Es iſt tatſächlich nicht ganz ſelten geſchehen, daß ein großes
Volk in einer allgemeinen Abſtimmung nahezu einſtimmig
ſeine Meinung kundgegeben hat, z. B. bei der Wahl der
beiden Bonapartes zu Herrſchern der Franzoſen. Kaiſer
Napoleon III. hat im Jahre 1868, als ſein Herrſcherrecht
bereits anfing, ſtark angefochten zu werden, eine Schrift
verfaſſen laſſen oder ſelber verfaßt: „Les titres de la dynastie
Napolèonienne“ („Die Rechtstitel der Napeleoniſchen
Dynaſtie“). Der Schrift iſt das Motto vorgeſetzt: „Vox
populi vox Dei“. Hier iſt hiſtoriſch ganz richtig feſtgeſtellt,
daß im Jahre 1799 die Konſulatsverfaſſung, die den General
Die engliſche Volksvertretung. 9
Bonaparte als erſten Konſul an die Spitze von Frankreich
berief, angenommen wurde mit mehr als 3 Millionen
Stimmen gegen eintauſendfünfhundert. Die Abſtimmung
wurde im Jahre 1804 wiederholt, als der Konſul ſich zum
Kaiſer proklamieren ließ, und ergab 4½ Millionen Ja
gegen 2500 Nein. Napoleon III. wurde am 10. Dezember
1848 zum Präſidenten gewählt mit 5430000 Stimmen
gegen Cavaignac mit 1448000 Stimmen, am 2. Dezember
1851 zum Präſidenten auf zehn Jahre mit 7½ Millionen
gegen 650000; am 2. Dezember, als er zum Kaiſer gewaͤhlt
wurde, waren die Nein auf 253000 geſunken. Hat nun
die Geſchichtsſchreibung und namentlich die demokratiſche
Geſchichtsſchreibung anerkannt, daß hier wirklich der Wille des
franzöſiſchen Volkes, den man als ſolchen zu reſpektieren habe,
zum Ausdruck gekommen ſei? Im Gegenteil. Man ſieht
die Herrſchaft der beiden Napoleons ganz und gar nicht als
Ausdruck des Volkswillens, ſondern als Gewaltherrſchaft,
ein „Säbelregiment“, eine „Tyrannis“ an.
Halten wir dieſe verſchiedenen Zahlen und hiſtoriſchen
Erfahrungen zuſammen, fo ergibt ſich, daß in der Konz
ſtruktion eines Volkswillens vermöge einer allgemeinen Ab—
ſtimmung irgendwelche Elemente ſtecken müſſen, die wir
noch nicht ans Licht gezogen haben. Denn auf der einen
Seite finden wir, daß der Amerikaner ſich ohne jeden Wider—
ſpruch heute einem Präſidenten unterordnet, der nur die
Minorität der Wählenden hinter ſich gehabt hat, und auf
der anderen Seite, daß die Herrſchaft der Napoleons an—
gefochten wurde, obgleich gerade ſie wirklich von der un—
geheuren Maſſe getragen worden ſind.
Prüfen wir aber die Frage, ob Verſammlungen, die in Repräfentiert
der Geſchichte als Volksvertretungen bezeichnet werden, wirk— e
lich den Volkswillen darſtellten, noch weiter an der Ge- Voltswillen?
10 Die engliſche Volksvertretung.
ſchichte von England. Das engliſche Unterhaus iſt bereits
gebildet worden im 14. Jahrhundert, aber ſehr lange hat
es neben dem Oberhauſe nichts bedeutet. Erſt nach den
Revolutionen des 17. Jahrhunderts kann man die Begriffe
des Parlamentarismus im modernen Sinne auf die engliſchen
Inſtitutionen anwenden. Das Unterhaus wurde gewählt
teils von den Grafſchaften, teils von den Städten. In
den Städten war das Wahlrecht ſehr mannigfaltig geſtaltet.
In manchen von ihnen hatte ſich das Gewohnheitsrecht
gebildet, daß die Magiſtrate die Abgeordneten ernannten;
in andern wählten die ſämtlichen Hausbeſitzer, in noch
anderen die Gilden. Sehr häufig hatten ganz kleine Städte
das Recht, Abgeordnete zu ſenden, Staͤdtchen, die ganz und gar in
der Hand des umliegenden Großgrundbeſitzes und ſogar eines
benachbarten Großgrundbeſitzers waren. Zum Beiſpiel der
Herzog von Neweaftle war in einem ſolchen mit dem Wahl—
recht begnadeten Städtchen der Beſitzer der ſämtlichen Häuſer.
Als nun einmal die Bürger Abgeordnete gewählt hatten,
die ihm nicht genehm waren, ſetzte er ſie ſamt und ſonders
aus ihren Wohnungen hinaus und ließ ſie mit Weib und
Kind ſechs Wochen im freien Felde biwakieren. Man nannte
dieſe Städte, die ihre wirtſchaftliche Bedeutung mit der Zeit
eingebüßt, das Wahlrecht aber behalten hatten, rotten
boroughs. Im Jahre 1793 wurde berechnet, daß 172 Mit⸗
glieder des Unterhauſes für England und Wales direkt vom
Miniſterium oder von Individuen ernannt wurden und 137
unter einem ſolchen Einfluß gewählt. 45 ſchottiſche Mit⸗
glieder wurden durch 35 Perſonen ernannt; von den 100
iriſchen wurden 71 von 55 Perſonen ernannt. Das Haus
hatte im ganzen nach der Union mit Irland 658 Mitglieder.
Von dieſen 658 Mitgliedern waren alſo im ganzen 424
durch Ernennung oder Empfehlung von 252 Perſonen ein
Die engliſche Volksvertretung. 11
geſetzt. Lord Lonsdale ernannte 9, der Herzog von New—
caſtle, der Herzog von Buckingham und andere je 6. Die
Stadt Edinburg hatte nur 33 Wähler. Das berühmteſte von
den rotten koroughs ift ein Flecken, der ehedem am Meer
gelegen hatte, aber bei einer Sturmflut von den Wellen
verſchlungen worden war. Die Wahl vollzog ſich hier ſo,
daß ein Rechtsanwalt in einem Boot auf den Fleck fuhr,
wo das Städtchen ehedem geſtanden, und dort das Protokoll
über die Ernennung der beiden Abgeordneten aufnahm.
Dieſen Flecken hatte ſich William Pitt als ſeinen Wahlſitz
ausgeſucht, um völlig unabhängig von jeder Wählerſchaft
zu ſein. Die rotten boroughs waren durch den Beſitz des
Wahlrechts zu einem geſuchten Handelsartikel geworden,
und wenn jemand in Indien Reichtümer erworben hatte,
nach Hauſe, wie man es nannte, als „Nabob“ zurückkehrte
und nun eine geſellſchaftliche Stellung anſtrebte, jo war
das einfachſte Mittel, ein rotten borough zu kaufen und
ſich ins Unterhaus waͤhlen zu laſſen. Es brauchte das nicht
einmal ein bloß der Eitelkeit gebrachtes Opfer zu ſein,
ſondern konnte auch eine ganz gute Kapitalsanlage werden.
Denn das Mandat als Abgeordneter wurde wiederum aufs
Kraͤftigſte ausgenutzt, um von der Regierung irgendwelche
Zuwendungen zu empfangen oder auch zu erpreſſen. Im
beſonderen wurden die Beamten ausſchließlich auf Emp—
fehlung ernannt, Empfehlung von den Abgeordneten, die
als Mitglieder der Majorität die Regierung ſtützten und ihr
unentbehrlich waren. Die große Maſſe der Abgeordneten
beſtand demgemäß aus den Söhnen, Vettern, Neffen und
Schützlingen der großen Herren, die ſelber im Oberhaus
ſaßen. Dadurch erklärt es ſich, daß wir in dieſer Zeit faſt
niemals von einem Konflikt zwiſchen Oberhaus und Unter—
haus hören. Es ſind eben dieſelben Schichten her Geſell—
Delbrück, Regierung und Volkswille.
12 Die englifche Volksvertretung.
ſchaft, die in beiden Häuſern vertreten ſind, und die Parteien,
die damals um die Regierung kämpften, die Whigs und
Tories, ſind, die eine ſo gut wie die andere, ariſtokratiſchen
Charakters“). Das Unterhaus entbehrt nicht völlig eines
gewiſſen Zuſatzes von Mitgliedern, die unter dem Einfluß
der öffentlichen Meinung ſtehen. Aber dieſe wirklichen
Wahlelemente haben im Laufe des 18. Jahrhunderts von
ihrer Macht allmählich mehr und mehr eingebüßt.
War dieſes engliſche Unterhaus eine Volksvertretung?
An dieſe Korporation knüpft ſich der hohe Ruhm des eng—
liſches Parlamentarismus. Dieſes ſo konſtituierte Parlament
hat erſt den Kampf gegen Ludwig XIV., dann von neuem
den Kampf gegen Frankreich im Bunde mit Friedrich dem
Großen im ſiebenjährigen Kriege, dann ſchließlich den un:
geheuren Kampf gegen die franzöſiſche Republik und
Napoleon durchgefochten. Zuweilen hatte es in dieſem
Kampf die öffentliche Meinung auf feiner Seite, aber keines—
wegs immer. Namentlich in dem 23 jährigen Kriege gegen
die Republik und Napoleon (17931815), der den Eng⸗
ländern zwar ſchließlich unermeßlichen Gewinn gebracht hat,
ihnen aber auch ungeheure Laſten auferlegte, iſt die öffent—
liche Meinung öfter verzweifelt und hat von der Regierung
die Herſtellung des Friedens gefordert. Im Jahre 1809
war ſelbſt die City von London ſo weit, zu petitionieren,
daß Wellington mit ſeinem Heer aus Spanien zurück—
gerufen werden möge. Zum Heil Englands und der Welt
iſt die Regierung, die die große Majorität des Unterhauſes
hinter ſich hatte, feſt geblieben. Sie feſſelte die Mitglieder
des Hauſes an ſich durch die Wohltaten, die ſie ihnen er—
) Vgl. meinen Aufſatz „Whigs und Tories“ in der Sammlung
meiner „Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſätze“.
Die engliſche Volksvertretung. 13
wies, ſowie dieſe wieder bei den Neuwahlen durch alle
Mittel, namentlich aber durch einfachen Stimmenkauf, die
Wähler für ſich gewannen. Dieſe doppelte Korruption wurde
als ein unvermeidliches Mittel angeſehen, um auf dem
ſchwankenden parlamentariſchen Boden eine feſte Regierung
aufzubauen, und bis tief ins 19. Jahrhundert hinein findet
man die Spuren davon. Gentz, das literariſche Mundſtück
des Fürſten Metternich, führte die Unvermeidlichkeit der
Korruption immer als Hauptargument ins Feld, um die
Nachahmung der engliſchen parlamentariſchen Inſtitutionen
auf dem Feſtlande zu bekämpfen. Noch im Jahre 1869 iſt
es vorgekommen, daß ein Kandidat 6400 Mark in Silber am
Wahltag in ſeinem Wahlort auf die Straßen ſtreuen ließ.
Die Wahl wurde angefochten, aber ſchließlich doch für gültig
erklärt, weil nicht bewieſen werden konnte, daß der Kandidat
den Wählern Geld gegeben hatte. Es konnten ja irgend—
welche andere Mitbürger geweſen ſein, die das Geld von
der Straße aufgerafft hatten.
Der Notwendigkeit einer Wahlreform verſchloß man ſich
bereits im 18. Jahrhundert nicht. Ein Herzog von Richmond
beantragte ſogar einmal im Oberhaus die Einführung des
allgemeinen gleichen Stimmrechts. Auch Pitt hatte eine
Reform in Aus ſicht genommen. Um aber den rotten
boroughs, die nun einmal die Wahlbefugnis als ihr wohl—
erworbenes Recht anſahen, kein Unrecht zu tun, hatte er die
uns grotesk anmutende Idee, ihnen dieſes Recht, aus dem
ſie bisher einen ſo ſchönen Nutzen gezogen, für 1 Million
Pfund Sterling bar abzukaufen. Aber ehe dieſer Plan noch
zur Reife gediehen war, kam die franzöſiſche Revolution.
Schon 1790 ließ Burke den erſten Warnungsruf ertönen,
und Pitt erklärte, als er die revolutionäre Bewegung jen—
ſeits des Kanals immer weiter um ſich greifen ſah, daß er
2 *
14 Die engliſche Volksvertretung.
nach wie vor von der Notwendigkeit der Parlamentsreform
in ſeinem Heimatlande durchdrungen ſei, daß er es aber
nicht an der Zeit halte, ſo gewagte Experimente vorzunehmen
angeſichts der Bewegung in Frankreich. Auch in England
war in den Maſſen eine ungeheure Gärung. Die Fran—
zoſen ſandten Geld und Agenten herüber und rechneten
bereits mit Sicherheit darauf, daß es ihnen gelingen werde,
in England ganz wie in Frankreich eine Volkserhebung
hervorzurufen. Allenthalben wollten ſie ja die Völker auf—
rufen zur Freiheit und zum Kampf gegen die Tyrannei.
Eine Revolution in England hätte ihnen in dem aus—
gebrochenen Kriege den Sieg gegeben. Die Engländer aber
hielten die revolutionären Zuckungen mit Gewalt nieder,
und als im Jahre 1809 der Abgeordnete Burdett es wagte,
im Unterhauſe einen Antrag auf Parlamentsreform zu ſtellen,
erzielte er dafür nicht mehr als 15 Stimmen.
Noch lange nach dem Friedensſchluß hielt dieſe durch
den Krieg gegen die Franzoſen erzeugte Stimmung an, und
erſt im Jahre 1832 kam eine Parlamentsreform zuſtande,
die den Charakter des Unterhauſes ſo gründlich veränderte,
daß wir von neuem die Frage aufwerfen müſſen, ob Eng—
land wenigſtens von dieſem Jahr an eine Volksvertretung
hatte, von der man annehmen kann, daß ſie wirklich einen
Volkswillen repräſentiere. Die Reform war eine doppelte.
56 rotten boroughs mit 111 Mitgliedern wurde das Wahl—
recht entzogen; 30 wurden von zwei auf einen Abgeordneten
herabgeſetzt. Die ſo gewonnenen Stimmen wurden auf die
in den letzten Jahrhunderten emporgekommenen großen
Induſtrie- und Handelsſtädte verteilt. Das früher ge—
wohnheitsrechtlich ſo verſchieden geſtaltete Wahlrecht wurde
jetzt auf Grund eines Zenſus durch das ganze Land gleich—
mäßig normiert. Das Wahlrecht wurde gegeben allen den—
Die engliſche Volksvertretung. 15
jenigen, die in den Städten wenigſtens 200 Mark Miete
bezahlten, oder auf dem Lande 200 Mark Einkommen aus
Landeigentum oder lebenslänglicher Pacht, oder 1000 Mark
Einkommen aus einfacher Pacht, nachweiſen konnten. Früher
waren auf dem Lande alle Pächter, auch die mit lebens—
länglichen oder erblichen Pachtrechten vom Wahlrecht aus—
geſchloſſen geweſen. Im Jahre 1867 trat eine neue Reform
ein, mit der die allzu großen Ungleichmäßigkeiten in den
Wahlkreiſen etwas ausgeglichen und der Wahlzenſus er—
mäßigt wurde. 1872 wurde die geheime Abſtimmung ein—
geführt. 1884 fand eine abermalige Herabſetzung des
Zenſus ſtatt. Aber bis auf den heutigen Tag ſind die
Wahlkreiſe ſehr ungleichmäßig (z. B. Durham hat 2600
Wähler, Romford 53000), und es ſind auch noch immer
ſehr viele erwachfene Staatsbürger vom Wahlrecht aus:
geſchloſſen. Man hat die Ausgeſchloſſenen neuerdings auf
mehr als 4 Millionen berechnet, während umgekehrt noch
erheblich über eine halbe Million Wähler exiſtieren, die,
weil ſie in verſchiedenen Wahlkreiſen einen Beſitz haben,
oder aus ſonſtigen Gründen ein doppeltes oder ſogar mehr—
faches Stimmrecht ausüben können. Das iſt praktiſch nicht
ohne Bedeutung, da die Wahlen in England nicht, wie bei
uns, alle an einem Tage ſtattfinden.
Will man ſtrikte an dem Satz feſthalten, daß zur
Herſtellung eines Volkswillens eine irgendwie organifierte,
aber gleichmäßige Abſtimmung ſämtlicher Staatsbürger,
oder zum wenigſten aller männlichen Staatsbürger, er—
forderlich iſt, ſo müſſen wir zugeſtehen, daß das vielgerühmte
Mutterland des Parlamentarismus, England, ſelbſt heute
noch keine wahre Volksvertretung beſitzt.
Recht merkwürdig iſt die Geſchichte dieſer Frage auch in Parlament und
Italien. Als das Königreich Sardinien-Piemont von 1889 Volt in Statten.
16 Wahlrecht in Italien.
an allmählich die anderen Landſchaften von Italien mit
ſich vereinigte, wurde jedesmal die Bevölkerung befragt
und entſchied ſich dafür in einer allgemeinen Abſtimmung.
Aber man hütete ſich ſehr wohl, eben die Staatsbürgerſchaft,
deren Willen man für die Errichtung des Staates ſelber
herangezogen hatte, nun auch an der Regierung des Staates
teilnehmen zu laſſen. Das Wahlrecht blieb vielmehr für
das neugeſchaffene Königreich Italien ſo, wie es bisher im
Königreich Sardinien geweſen war, nämlich gebunden an
eine jährliche direkte Steuerleiſtung von wenigſtens 40 Lire
32 Mark. Infolgedeſſen beſaßen bei der Armut der
Italiener das Wahlrecht noch keine 2½¼%/ der Bürgerſchaft.
Im Jahre 1882 wurde der Zenſus von 40 auf 19,80 Lire
herabgeſetzt und uͤberdies das Wahlrecht allen Bürgern er—
teilt, die leſen und ſchreiben konnten; auch dadurch wurde die
Zahl der Wähler von etwa 600000 doch auf nicht mehr
als 2½ Millionen gebracht, da die Kunſt des Leſens und
Schreibens, ſo leicht man auch das Examen darin ge—
ſtaltete, doch in weiten Provinzen noch recht ſelten war.
Gerade jetzt in den letzten Wochen hat eine neue Wahl—
reform ſtattgefunden, deren Träger der Miniſter Giolitti
iſt. Sie verleiht das Wahlrecht allen Bürgern, die 21 Jahre
alt ſind und leſen und ſchreiben können oder ihre Militär—
pflicht erfüllt haben, ſowie allen Bürgern, die 30 Jahre
alt ſind, auch wenn ſie nicht leſen und nicht ſchreiben
können. Durch dieſe Beſtimmung wird die Zahl der Wähler
von rund 3 auf rund 8 Millionen erhöht, und etwa 80%
der volljährigen Bürger werden in Zukunft wahlberechtigt
ſein, während es bisher nur 32% waren. Dem Antrag,
ſofort das allgemeine gleiche Stimmrecht einzuführen, hat
ſich Giolitti widerſetzt: Der Sprung würde zu groß ſein;
man ſolle zunächſt einmal einen Übergang ſchaffen. Auch
Unentbehrlichkeit der Parteien. 17
das Frauenſtimmrecht lehnte er vorläufig ab: Die plötzliche
Vermehrung der Zahl der Wähler, wenn man auch die
Frauen zulaſſe, würde gar zu groß ſein.
Weder von England noch von Italien wird man leugnen
wollen, daß ſie Regierungen haben — und ſeit langer Zeit
haben —, die ſich mit dem Volkswillen im weſentlichen im
Einklang gehalten haben. Der Gang der Geſchichte hat es
bewieſen. Aber ebenſo iſt uns jetzt bewieſen, daß dieſer
Begriff eines Volkswillens von der Forderung der Majorität
der erwachſenen Männer ſehr weit abliegt, ja, gar nichts
mit ihm zu tun haben braucht.
Die Erfahrung der Jahrtauſende lehrt, daß die un- unentbehrlichkeit
geheure Mehrzahl der Menſchen am Staate nicht fo viel un
Anteil nimmt, um ganz aus eigenem Antrieb ſich eine
Meinung über Perſonen- oder Geſetzesvorlagen zu bilden und
demgemäß abzuſtimmen“). Um größere Mengen in poli—
tiſche Bewegung zu bringen, bedarf es eines Mittelgliedes
zwiſchen dem Staat und den Einzelnen, das iſt die Partei.
Die Parteien bringen die Wahl zuſtande, indem ſie die
Einzelnen mit Anſichten erfüllen und zur Abſtimmung
führen. Der Kraftunterſchied zwiſchen den Parteien iſt
meiſtens nicht ſehr groß; die Entſcheidung liegt in dem oft
nur kleinen Vorſprung, den die eine Partei vor der anderen
gewinnt, und dieſer Vorſprung hängt ab von der Organi—
ſation, der Agitation, den Geldmitteln, die von beiden Seiten
*) In dem mir erſt nachträglich bekannt gewordenen Buch „Human
nature in politics“ von Graham Wallas (London, Conſtable & Co.
1910) S. 232 wird die Anſicht vertreten, daß ſelbſt in einem Lande ſo
alter politiſcher Erziehung wie England keine Grafſchaft exiſtiere, in der
die Zahl der tatſaͤchlich in der Politik taͤtigen Perſonen auch nur 10%
der Waͤhlerſchaft erreiche. Dies Buch iſt von hohem Wert fuͤr alle
politiſche Pſychologie. Von deutſchen Verhaͤltniſſen hat der Verf. freilich
recht wunderliche Vorſtellungen.
Weſen der
Majorität.
18 Weſen der Majoritaͤt.
aufgewendet werden. Wem es gelingt, noch einen Haufen
ganz Gleichgültiger durch irgendwelche Mittel zur Wahlurne
zu ſchleppen, der gewinnt. Iſt es alſo das Volk, deſſen Wille
durch den Wahlakt zur Erſcheinung gebracht wird? Wir
ſind in einem offenbaren Dilemma. Exiſtieren keine Parteien,
ſo wird die Wahlbeteiligung ſo klein bleiben, daß von einer
Volksaktion nicht die Rede ſein kann. Haben wir aber
Parteien, ſo zerren ſie zwar das Volk auf die Bühne, aber
die Entſcheidung fällen Mächte, die Meinungsloſe zur Ab:
gabe ihres Zettels zu beſtimmen verſtehen.
Wie iſt die Menſchheit uͤberhaupt dazu gekommen, der
Majorität das Recht der Regierung über die Minorität ein⸗
zuräumen? Hat die Idee der Majorität einen tieferen ſitt⸗
lichen Grund? So fundamental heute das Majoritätsprinzip
iſt, ſo findet man in der ſtaatswiſſenſchaftlich-philoſophiſchen
Literatur doch ſehr wenig darüber, und zwar aus dem durch—
ſchlagenden Grunde, daß ſich wirklich nicht viel darüber
ſagen läßt. Daß auf ſeiten der Majorität immer die größere
Klugheit ſein muß, läßt ſich nicht wohl behaupten. Der
einzige Grund für ihre Herrſchaft iſt, daß die größere Maſſe
auch die größere Macht darſtellt.
Es iſt ein rein praktiſches Prinzip. Wenn man Bürger⸗
kriege vermeiden will, läßt man die regieren, die bei einem
Kampfe auf jeden Fall die Oberhand haben würden, und
das find die Meiſten“). Da es nun auch noch andere Mächte
) G. Simmel, Soziologie, S. 186 ff., hat verfucht, das Majoritaͤts⸗
prinzip pſychologiſch tiefer zu begruͤnden, m. E. ohne Erfolg und auch
nicht ohne hiſtoriſche Fehler.
Gierke, „uͤber die Geſchichte des Majoritaͤtsprinzips“ (S. 320),
macht darauf aufmerkſam, daß das Majoritaͤtsprinzip bei uns in der
Tat zuerſt im Kampfe zur Anwendung kam; die Gerichtsurteile mußten
noch einſtimmig ſein, als beim gerichtlichen Zweikampf bereits die Regel
galt, daß, wenn Sieben gegen Sieben kaͤmpften, die Siegermehrheit entſcheide.
Fehler im Majoritaͤts⸗Syſtem. 19
im Staate gibt, als die Maſſe, ſo iſt es nur natürlich, daß
das Majoritätsprinzip, auch wo man es formell aufgeſtellt
hat, doch ſehr häufig umgangen worden iſt, beſonders aber, daß
manche Epochen der Geſchichte es gar nicht gekannt haben.
Ich werde noch darauf zurückkommen.
Schon in dem Augenblick, wo man in England durch
die zweite Parlamentsreform (1867) dem Ideal einer demo—
kratiſchen Volksrepräſentation nahegekommen war und man
vorausſetzen konnte, daß das noch Fehlende in abſehbarer
Zeit nachfolgen würde, wurde man ſtutzig und warf die
Frage auf, ob auf dem Wege der Wahl von Abgeordneten
durch eine Majorität der Wille des Volkes überhaupt zum
Ausdruck gebracht werde. Die beiden hervorragendſten Ver—
treter des demokratiſchen Stimmrechts in England waren
der Philoſoph Stuart Mill und der Hiſtoriker Grote, deſſen
umfaſſende griechiſche Geſchichte noch heute einen gewiſſen
wiſſenſchaftlichen Wert hat. Gerade in dieſer ſeiner griechiſchen
Geſchichte hatte er ſeine demokratiſche Weltauffaſſung am
anſchaulichſten zum Ausdruck gebracht und hatte ſich ſchließlich
mit ihr, man kann ſagen: überſchlagen, ſo daß er Perikles
verwarf und Kleon für den wahrhaft idealen demokratiſchen
Staatsmann erklärte“). Beide aber, Mill wie Grote, waren
ſcharfblickend und unbefangen genug, um ſchließlich zu er—
kennen, daß das, was ſie zu erreichen beſtrebt geweſen
waren, die Emanzipation und die Herrſchaft der Individuen,
durch das Syſtem ſelbſt, durch die Herrſchaft der Majorität,
aufs ſchwerſte gefährdet war. Er habe ſeinen Glauben
überlebt, ſagte Grote von ſich ſelbſt, denn eine Majorität
könne gerade ſo tyranniſch ſein wie ein Deſpot, etwa wie
) Über die Verkehrtheit dieſer Auffaſſung vgl. meinen Artikel „Bebel,
der Demagog“ in den Preuß. Jahrb. Sept.-Heft 1913.
Aufkommen des
Proporz⸗
Gedankens.
20 Proportional-Wahl.
ein Napoleon. Man ſann nach, wo der Fehler ſtecken könne,
und Mill ſuchte endlich die Rettung in dem Prinzip der
Proportionswahl, für die eben Hare das erſte Syſtem aus—
arbeitete. Das Repräſentativſyſtem leidet ja an dem funda—
mentalen Fehler, daß der Wähler ſeinen Vertrauensmann
doch immer nur nach einer oder einigen beſtimmten, gerade
im Augenblick beſonders hervorſtechenden Eigenſchaften oder
Tendenzen zu beſtimmen vermag, während er vieles andere,
der eine dies, der andere das, nicht vertreten findet, oder
ſogar, obgleich ſeinen Wünſchen widerſprechend, in den Kauf
nehmen muß. Beſonders wenn die Repräſentation ſich auf
eine Reihe von Jahren erſtreckt, kann es nur zu leicht vor—
kommen, daß ſich Wähler und Gewählte immer mehr von—
einander entfernen. Schon Rouſſeau hat dieſen Fehler des
Wahlrepräſentativſyſtems richtig erkannt und es deshalb im
„Contrat social“ ausdrücklich verworfen. Er kennt nur das
Volk, das unmittelbar ſelbſt regiert. Freilich, ſagt er, daß
das wohl nur bei ſehr kleinen Gemeinweſen ausführbar
iſt. Aber weiter als bis zur Frageſtellung iſt er nicht ge—
langt. Er hat das Problem geſehen, aber keine Löſung dafür
gefunden und deshalb die Frage ſtillſchweigend fallen laſſen.
Mill ging in ſeinem Zweifel nicht einmal ſo weit, ſondern
blieb ſtehen bei dem noch mehr zutage liegenden Einwurf,
daß ja in ſämtlichen Wahlkreiſen des Landes die Minoritäten
bei dem beſtehenden Syſtem völlig ausgeſchaltet und mundtot
gemacht ſeien. Dieſe Minoritäten konnten ja der Majorität
oft ganz nahe kommen, ſo daß der Ausgang der Wahl für
das ganze Land ſchließlich dem Zufall anheimgegeben iſt,
wie ſich die Anhängerſchaft der verſchiedenen Parteien über
die verſchiedenen Wahlkreiſe verteilt. An der Wahl des
Präſidenten Wilſon haben wir ja ſchon ein Beiſpiel dafür
kennen gelernt.
Proporz. 21
Mill glaubte, dieſe Schwierigkeiten durch das Pro—
portionalwahlſyſtem überwinden zu können, und der
Gedanke hat ſeitdem immer mehr Anklang gefunden. Die
einfachſte Methode iſt die Minoritätenvertretung, indem man
Wahlkreiſe mit drei Abgeordneten bildet und nicht alle drei
der Majorität gibt, ſondern einen davon der Minorität,
falls dieſe eine gewiſſe Stimmenzahl erlangt hat. Aber
damit iſt nicht durchzukommen, da es ja auch mehr als
zwei Parteien geben, und der Ausfall durch den Zufall
beſtimmt werden kann, wie ſich die Stimmen auf die beiden
hier vorausgeſetzten Kandidaten der Majorität verteilen.
Man hat ſeitdem zahlloſe verſchiedene Syſteme für die
Proportionalwahl ausgeführt (d'Hondt — ein Belgier —
Hagenbach, Kantorowicz, Siegfried und viele andre). Not—
wendig ſind dabei immer große Wahlkreiſe mit mehreren
Kandidaten. Aber noch kein Syſtem hat allgemeinen
Beifall gefunden. Sie ſind alle unſicher in der Wirkung
und hängen z. B. davon ab, daß die Parteien ihre Stärke
richtig einſchätzen und ihre Stimmen ſo verteilen, daß
keiner der ihrigen zuviel Stimmen erhält. In der
Schweiz, in einigen Staaten von Nordamerika, in Hamburg
und in Württemberg iſt dieſe oder jene Art der Pro—
portionalwahl heute bereits in Kraft. Der Name „Proporz“
iſt dafür im Jahre 1890 in Baſel zuerſt mit einem
ſpöttiſchen Beiklang aufgekommen. Das dort bis dahin
beſtandene Syſtem der Majoritätswahl wurde „Majorz“
genannt. Beſonders wichtig iſt, daß heute in Frankreich
die Einführung des Proporzes anſtelle der einfachen
Majoritätswahl mit Eifer betrieben wird. Die franzöſiſche
Republik hat ſeit 1871 bereits dreimal ihr Wahlſyſtem
geändert: 1875, 1884, 1889. Aber das franzöſiſche Volk
iſt dauernd ſehr unzufrieden mit den Ergebniſſen ſeiner
Auftreten des
Proporz⸗
gedankens in
Frankreich.
22 Üble Wirkungen der Wahl⸗Regierung
eigenen Abſtimmungen. „Die Republik war ſchön,“ hat
man geſagt, „unter dem Kaiſerreich.“ Man beſchuldigt die
Deputierten des Mißbrauchs ihrer Gewalt, und der Name
„Panamiſt“, der ſich für parlamentariſche Korruption als
techniſcher Ausdruck in der Weltliteratur eingebürgert hat,
ſtammt von rieſigen Beſtechungen, durch die einſt die
Panamakanal-Geſellſchaft die franzöſiſche Deputiertenkammer
mehrfach zu Anderungen des Geſetzes über dieſe Geſellſchaft
veranlaßte. Die Deputierten haben ſich vor einigen Jahren
ihre Diäten von 9000 Franks jährlich auf 15000 erhöht
und ſchließlich auch noch 6000 weitere Franks als Gehalt
für einen Privatſekretär hinzugefügt. Der Spitzname für
einen Deputierten iſt deshalb „Un quinze mille“. Vor
einiger Zeit ging einmal eine Anekdote durch die Zeitungen,
ein Deputierter habe auf einem Omnibus Streit bekommen,
ſeine Autorität herauskehren wollen und ſich als Mitglied
des geſetzgebenden Körpers bekannt. Aber ſtatt damit
Eindruck zu machen, habe ſich das Publikum fofort gegen
ihn gewandt: „Un quinze mille! Un quinze mille! A la
porte! A la portel“ und ihn hinausgeworfen. Anatole
France, der genialſte Schriftſteller des heutigen Frankreich,
hat in einem ſeiner reizenden ſymboliſchen Romane, in
denen er die Geſchichte Frankreichs perſifliert, von dem
Staate, den er dem Leſer vorführt, geſagt, man nenne dort
die Erwählten des Volkes mit verſchiedenen Namen: „De—
putierte“, „Abgeordnete“, „Geſetzgeber“, „Volksvertreter“,
oder auch — dieſer Name ſei aber weniger beliebt —
„Gauner“. Dergleichen Geſchichtchen ſind natürlich keine
Beweiſe. Aber der Kampf um den Proporz hat Stimmen
laut werden laſſen, die uns nicht daran zweifeln laſſen
können, daß das bisherige Wahlſyſtem in der Tat recht üble
Früchte gezeitigt hat. Der Vorkämpfer für die Einführung
in Frankreich. 23
der Proportionalwahl ift feit Jahren kein geringerer als der
nunmehr zum Präſidenten der Republik Frankreich erwählte
Raymond Poincaré. Poincaré war Advokat und Journaliſt
von Beruf; ſeit 1893 abwechſelnd Unterrichts-, Finanz- und
Auswärtiger Miniſter. Er kennt alſo das innere Getriebe
der franzöſiſchen Verfaſſung und Verwaltung ganz genau.
Schon im Jahre 1909 (19. September) ſagte er: „Ich
habe ſeit langer Zeit eine feſtgewurzelte Anſicht: Ich bin
überzeugt, daß wir den Abgrund immer weiter
hinuntergleiten, wenn wir uns nicht entſchließen, unſer
Wahlſyſtem von Grund auf zu ändern, die Abſtimmungs—
baſis zu erweitern, die Unzuläſſigkeit des Majoritäts—
verhältniſſes zu vernichten und ehrlich in der franzöſiſchen
Vertretung ein getreues Abbild aller franzöſiſchen Meinungen
zu ſuchen. Mögen alle Republikaner, die heute noch dieſer
unumgänglichen Löſung widerſtreben, ſich ihr anſchließen,
bevor die Wahlkorruption ihr verderbliches Werk vollendet
hat und Kataſtrophen unvermeidlich macht.“ Und nachher
ſchrieb er: „Die ſchlechteſte Verhältniswahl iſt in meinen
Augen immer noch beſſer als die beſte Majoritätswahl.
Es iſt freilich nicht weniger wahr, daß die meiſten Ver—
hältniswahlſyſteme ungenügend ſind. Wir müſſen ein ein—
faches, leicht verſtändliches und gerechtes Syſtem haben.“
Das Übel, das Herr Poincaré bekämpfen will durch den
Proporz, iſt nicht ſowohl die Korruption im Parlament ſelbſt
als die von dem jetzigen Wahlſyſtem ausgehende Verderb—
nis in der Verwaltung. „Die Wahlreform,“ ſagte er darüber
(25. Juni 1912), „hat den Zweck, dem Regime des Favo—
ritismus und der Empfehlungen, das die normale Tätigkeit
der Verwaltungen fälſcht, ein Ende zu machen.“ Als darüber
in der Kammer von den Gegnern gemurrt wurde, fuhr er
mit erhöhter Stimme fort: „Ich ſage es laut heraus, was
Schäden der
Verwaltung
infolge der
Majoritäts⸗
Wahlen.
24 Parlamentarismus
jo viele im Innern denken: In den kleinen Wahlkreiſen hat
der Wähler eine zu große Furcht, um ſich immer der Herr—
ſchaft gewiſſer Intereſſen, die mit den allgemeinen Intereſſen
im Widerſpruch ſtehen, entziehen zu können. Die Wahl—
reform müßte die Vorrede zu einer Verwaltungsreform
werden.“ Herr Poincaré hat nichts Demagogiſches an ſich;
er iſt eine durchaus ernſte Perſönlichkeit, und wir werden
fein Zeugnis gelten laſſen müſſen. Seit 1906 hat ſich auch
die Wählerſchaft wiederholt zugunſten des Proporzes aus—
geſprochen. Nicht weniger als ſechs Regierungen hintereinander
ſind dafür öffentlich eingetreten. Aber die Gegner haben
bisher alle Anſtrengungen zu durchkreuzen vermocht. Die
Gegner ſind eben die jetzigen Inhaber der Gewalt. Der
Abgeordnete eines Bezirks, ſei es in der Deputiertenkammer,
ſei es im Senat, iſt in dieſem Bezirk der abſolute Herr.
Die Beamten gehorchen ſeinem leiſeſten Wink, vom Präfekten
an abwärts. Denn wenn ſie den Unwillen des Deputierten
erregen, würde dieſer ſich beim Miniſter beſchweren können,
und da der Miniſter wieder von den Stimmen der Depu—
tierten abhängig iſt, ſo wäre es um den ſteifnackigen
Beamten bald geſchehen. Nach der Empfehlung des Depu—
tierten werden die Anſtellungen vollzogen. Nach den Emp—
fehlungen des Deputierten werden die Staats- und Gemeinde⸗
lieferungen vergeben. Ein Deputierter weiß Aufſchub zu
erlangen oder zu verhindern, handle es ſich um eine Strafe,
oder ſei es bei der Aushebung, Urlaub zu verſchaffen und ſogar
Gerichtsurteile zu beeinfluffen*). Beſonders verhängnisvoll
hat ſich dieſe Abhängigkeit der franzöſiſchen Verwaltung von
*) Sehr eingehend iſt der verderbliche Einfluß des Parlamentarismus
auf die Verwaltung juͤngſt geſchildert in den beiden Baͤndchen von
Emile Faguet: „Le culte de PIncompetence und l’Horreur de
la Responsabilité“. Paris. Bernh. Graſſet.
in Frankreich. 25
den Erwählten des Volkes ſchon lange in der Militär:
verfaſſung gezeigt. Die Franzoſen hatten verſucht, nach dem
deutſchen Muſter das Inſtitut der Einjährig-Freiwilligen
einzuführen. Aber zu dieſer Einrichtung gehört ein Examen
von einer gewiſſen Strenge, damit der einjährige Dienſt
nicht einfach das Privilegium der Wohlhabenden werde.
Dieſes Examen hat ſich in Frankreich nicht halten laſſen,
da die Protektionswirtſchaft die Examina zu einer Farce
machte. Die Franzoſen haben alſo, als fie die zweijährige
Dienſtzeit einführten, dieſe für alle Ausgehobenen gleich—
zeitig obligatoriſch gemacht. Nunmehr ſind ſie im Begriff,
zur dreijährigen Dienſtzeit überzugehen. Iſt es für die
Intelligenz eines Landes bereits kaum zu ertragen, wenn
die jungen gebildeten Männer volle zwei Jahre hinter—
einander aus ihren Studien oder aus ihrer Kunſtübung
herausgeriſſen werden, ſo iſt es klar, daß gar ein Dienſt
von drei Jahren wahrhaft verwüſtend auf das höhere Er—
ziehungsweſen des franzöſiſchen Volkes wirken muß. Nur
durch ein ſehr weitgehendes Urlaubsſyſtem, das wiederum
der Willkür und damit der Korruption weite Gefilde er—
ſchließt, wird das Geſetz haltbar gemacht werden können.
Wie Sie ſehen, iſt es von Wichtigkeit, ob ein Land eine
ſachliche, zuverläſſige, unabhängige Verwaltung hat oder
nicht, und dazu wünſchen die ehrlichen Reformer es in
Frankreich wieder zu bringen. Die Panamiſten aber, und
was weiter dazu gehört, wünſchen die ſüßen Früchte des
jetzigen Syſtems, das den einmal im Beſitz Befindlichen
eine ziemlich ſichere, dauernde Stellung gibt, immer weiter
zu genießen, und ihr beſter Bundesgenoſſe iſt, daß, wie ja
auch Poincaré angedeutet hat, ein wirklich befriedigendes
Syſtem der Proportionalwahl nicht zu finden iſt. Die Er—
fahrungen, die man hier und da damit gemacht hat, bringen
26 Proporz.
immer neue unerfreuliche Erſcheinungen hervor. Daß der
Proporz eine Verfeinerung und inſofern eine Verbeſſerung
des Repräſentativſyſtems enthält, iſt unleugbar. Aber gerade
dieſe Verfeinerung, die den perſönlichen Wünſchen und Be—
ſtrebungen des Einzelnen gerecht werden will, führt nun
wieder zu einer Herauskehrung einzelner Wünſche, die mit
dem Wohl des Ganzen, auf das doch die Wahl gerichtet
ſein ſoll, nichts mehr zu tun haben und ihm direkt ent—
gegenwirken. In Hamburg bildete ſich bei einer Wahl aus
irgendeinem beſtimmten Anlaß eine beſondere Gruppe der
Schneider, die durch Häufung ihrer Stimmen auf einen
beſonderen Kandidaten ihr beſonderes Intereſſe wahrzu—
nehmen trachteten. Dieſe Schneider aber waren wohl mehr
Konfektionäre und die Vereinigung hatte einen jüdiſchen
Charakter. Sofort trat ihnen wieder als eine beſondere
Gruppe die Vereinigung der antiſemitiſchen Schneider ent—
gegen. In Württemberg hat man geklagt, daß der Proporz
die Hoffnung, die ganze Maſſe der Bürger an die Wahl:
urne zu führen, ſich nicht erfüllt habe; nicht mehr als etwa
60% der Wähler ſeien gekommen. Mit allerhand Kunſt—
ſtücken aber ſuchten die Kandidaten Intereſſenten für ſich
einzufangen, indem ſie beſondere Liſten drucken ließen, auf
denen ihr Name mit dem irgendeiner derartigen Intereſſenten—
gruppe verbunden war. An die Hundebeſitzer zum Beiſpiel,
die ja nicht bloß wegen der Steuer, ſondern auch wegen
des Maulkorbs ein beſonderes Intereſſe haben, wurde ein
eigener Aufruf gerichtet, um ihr Wohlwollen für einen be—
ſtimmten Kandidaten zu gewinnen.
Dem Geiſte des Proporzes widerſpricht das keineswegs.
Es iſt ja gerade die Abſicht dieſes Inſtituts, alle im Volke
vorhandenen Beſtrebungen auch wirklich in der Volksver—
tretung zur Geltung kommen zu laſſen. Aber daß dieſe Art,
Proporz. 27
den Einzelintereſſen das Recht des Mitredens zu verleihen,
dem Staatsganzen nicht zum Heil dienen kann, leuchtet
ebenſo ein. Der Abgeordnete ſoll ja gerade nicht Einzel—
intereſſen vertreten, ſondern allein den Staat als Ganzes
im Auge haben. Man iſt deshalb ſchon ſoweit gegangen,
das Kumulieren der Stimmen, d. h. daß der Wähler alle
Stimmen, die er abzugeben hat, auf einen Kandidaten
vereinigt, zu verbieten; man hat verboten, daß ein Kandidat
ſich in mehr als einem Wahlkreiſe aufſtellen läßt; man hat
verboten, daß der einzelne Wähler ſich überhaupt einen
Wahlzettel nach ſeinem Gutdünken zuſammenſtelle, ſondern
verlangt, daß er ſich voll, ſei es dieſer, ſei es jener Partei,
anſchließe; er ſoll nicht etwa einen oder den anderen Namen,
der von dem Parteivorſtand vorgeſchlagen wird, verwerfen,
ihn ausſtreichen und einen anderen auf die Liſte ſetzen dürfen,
vielleicht gar von beiden Parteien ſich die beſten Männer
nebeneinander erküren; man hat deshalb ſchließlich das
Wählen von Perſonen überhaupt ausſchalten und an die
Stelle die Erklärung für eine beſtimmte Partei ſetzen wollen.
Das Problem muß wirklich verzweifelt ſchwierig ſein, wenn
man, um das Wählen zu retten, das doch den Willen des
einzelnen zum Ausdruck bringen ſoll, zu Vorſchriften kommt,
die das freie Wählen des einzelnen unterbinden, aufheben
und ihn unter Vormundſchaft ſtellen.
Man mag den Proporz geſtalten, wie man will, viel—
leicht wird man dadurch erreichen, daß die Kirchturmsinter—
eſſen, wie man ſagt, ausgeſchaltet werden, aber mit ihnen
zugleich auch die perſönlichen Beziehungen zwiſchen den
Wählern und den zu Wählenden und damit auch der wirk—
liche Wille der Wählenden. Über einen einzelnen Kandidaten,
der ſich den Wählern in den Wahlverſammlungen der ein—
zelnen Ortſchaften perſönlich vorſtellt, mag ſich 5 einzelne
Delbrück, Regierung und Volkswille.
Proporz und
Volkswille.
Referendum.
28 Proporz.
Wähler, auch der kleine Mann, ein gewiſſes perſönliches
Urteil bilden. Über eine Liſte von vielleicht ſechs, zehn oder
noch mehr Kandidaten gibt es ſchlechterdings kein eigenes
Urteil mehr. Der Proporz entzieht alſo die Wahl ſozuſagen
dem Volke und gibt ſie in die Hand der Wahlorganiſationen
der Parteien, das heißt ihrer Führer. Der einzelne Ab—
geordnete iſt nicht mehr der Herr, ſondern wird dienendes
Glied in der Parteiorganiſation. Damit verliert er auch
jenen verderblichen Einfluß auf die lokalen Verwaltungs—
behörden, vor dem Poincaré ſein Volk zu bewahren wünſcht.
Man ſieht, die Reform iſt in der Tat von erheblicher Trag—
weite. Aber die Vorſtellung, daß der Wille des Volkes ver—
möge des Proporzes beſſer zum Ausdruck kommt, erweiſt
ſich ſofort wieder als eine Illuſion. Das gerade Gegenteil
iſt der Fall. Nicht die Demokratie wird auf dieſem Wege
vollendet, ſondern die Herrſchaft eines gewiſſen, ſich ſelbſt
ergänzenden Kreiſes von Berufspolitikern wird damit or—
ganiſiert.
Die Erkenntnis der Mängel des Repräſentativſyſtems
hat neben der Idee der Proportionalvertretung noch ein
anderes Korrektiv hervorgelockt, das man das Referendum
nennt, d. h. die unmittelbare Abſtimmung des Volkes über
einen beſtimmten Geſetzvorſchlag. Der Sache nach fanden
ſolche Abſtimmungen ſchon in der großen franzöſiſchen Re—
volution ſtatt. Die Verfaſſungen von 1791 und 1793
wurden ebenſo wie nachher die Wahl des Generals Bona—
parte durch allgemeine Abſtimmung gutgeheißen. Auch die
Volksabſtimmung bei der Konſtituierung des Königreichs
Italien, von der wir geſprochen haben, können wir ja als
Beiſpiel des Referendum nennen. Heute iſt das Referendum
feſt eingebürgert in der Schweiz, ſowohl im Bunde, wie in
Kantonen, wie in Gemeinden. Die erſte Einführung fand
Referendum. 29
ſtatt im Jahre 1875 in Baſel. Auch in einigen Staaten
Amerikas und in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik
Auſtralien iſt es eingeführt worden. In der Schweiz iſt Erfahrungen in
das Referendum ſehr populär. Aber freilich, die Vorſtellung, “ ein,
daß nun auf dieſem Wege ganz ſicher der Volkswille zur
Erſcheinung gebracht werde, hat ſich wiederum als Illuſion
erwieſen. Auch bei dem Referendum bleibt ſtets ein ſo
großer Teil der Bürger der Abſtimmung fern, daß von den
41 Bundesgeſetzentwürfen, die von 1874 bis 1898 dem
Referendum unterworfen worden ſind, kein einziger von der
Mehrheit der Wähler angenommen worden iſt. In den
Kantonen beteiligen ſich manchmal nur 28% der Be—
rechtigten an der Abſtimmung. Beſonders markant iſt nun
aber, wie oft das Referendum einen Zwieſpalt zwiſchen
den Anſichten der Regierenden, dem gewählten Vertretungs—
körper, und den Anſichten der Wahlberechtigten zutage bringt.
Nicht ſelten ſind Vorlagen verworfen worden, die von den
regierenden Räten und ſogar von allen Parteien und von
der Preſſe einmütig empfohlen waren, und häufig be—
ſchäftigen ſich die Zeitungen nach einem Referendum mit
der Frage, weshalb denn nun eigentlich das Volk dagegen
entſchieden habe. Ein beſonderer Mangel der ſchweizeriſchen
Verfaſſung iſt das Fehlen eines Penſionsgeſetzes für die
Beamten. Der Beamte ſoll ſich nach Vorſtellung der
Schweizer Bürger von ſeinem Gehalt ſoviel ſparen, daß er
in ſeinen alten Tagen, wenn er dienſtunfähig geworden iſt,
davon leben kann. Da nun aber die Gehälter ohnehin
recht mäßig ſind, ſo geſchieht das nicht, und die Behörden,
vor der Frage, ob ſie einen im Dienſt ergrauten Beamten,
wenn er nichts mehr leiſten kann, brotlos machen ſollen,
pflegen das nicht übers Herz zu bringen, ſondern ſchleppen
den alten Mann mit durch, was natürlich für die Leiſtungen
3 *
30 Referendum in der Schweiz.
des Beamtentums im ganzen ein ſchweres Hemmnis iſt.
Das iſt ſo klar, daß man ſich endlich entſchloß, ein Penſions—
geſetz einzubringen. Aber im Referendum wurde es mit
großer Majorität verworfen. Der Bürger und Bauer ſieht
es ſchlechterdings nicht ein, warum ein Beamter oder ein
Offizier eine Penſion erhalten ſolle, da ihm doch auch
niemand eine ſolche gibt. Auch mir iſt in Deutſchland in
Wahlverſammlungen dieſe Auffaſſung öfter entgegengehalten
worden. In Vertretungskörpern kann man ſich mit ſolchen
kurzſichtigen Selbſttäuſchungen auseinanderſetzen. Man kann
auf die Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Kon—
zeſſionen entgegenkommen oder ſie in Kompromiſſen über—
winden. Mit dem Volk kann man nicht verhandeln, ſon—
dern muß inſtinktiv ſuchen, die Vorlagen ſo zu geſtalten,
daß ſie keinen Anſtoß erregen. Im Jahre 1882 wurde in
der Schweiz auch ein Epidemiegeſetz mit großer Majorität
verworfen. Denn mit ſolchen Vorbeugungsgeſetzen ſind
mancherlei läſtige Verbote und Einſchränkungen für den
einzelnen verbunden. Die Gefahr der Epidemie iſt fern;
die Schikane der Vorbeugungen iſt nahe. Weiter ſieht die
Maſſe der Bürger nicht. Beſonders ſchmerzlich war es für
die Schweizer Patrioten, als im Jahre 1900 ein vortreffliches
Kranken- und Unfallverſicherungsgeſetz, das nach dem Muſter
der deutſchen Sozialgeſetzgebung ausgearbeitet war, im
Referendum abgelehnt wurde. Erſt im Jahre 1912 iſt es
dann dem erneuten Anlauf gelungen, ein ſolches Geſetz
durchzubringen, auch nur mit 287565 Stimmen gegen
241416 bei 63% Beteiligung. Die Mehrheit bildeten alſo
von den Berechtigten nur etwa 38%,
Das Referendum wirkt konſervativ. Das Volk wünfcht
keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa ſchon
auf der Haut brennt. Eben deshalb iſt das Referendum
Referendum in Deutſchland? 31
in der Schweiz populär und wird nicht wieder abaefchafft
werden. „Mag es auch im einzelnen ſich als Hemmſchuh
erwieſen haben,“ ſchrieb die Neue Züricher Zeitung 1910,
„im großen und ganzen hat es doch die fortſchrittliche Ent—
wicklung der Schweiz nicht aufgehalten.“ Das iſt immerhin
ein etwas elegiſch klingendes Lob.
Als eine beſondere geſteigerte Form des Referendums Initiative.
mag die Initiative gelten, vermöge welcher auch Geſetz—
entwürfe aus dem Volke heraus, nicht aus der Hand der
Regierungsbehörden zur Abſtimmung gebracht werden können.
Für uns iſt es nicht notwendig, darauf einzugehen.
Ganz wie in der Schweiz hat auch in Auſtralien das das Referendum
Referendum hemmend gewirkt. Erſt jüngſt find dort zwei "raten
Geſetze, die von den beiden Häuſern des Bundesparlaments
angenommen waren, mit großer Majorität im Referendum
verworfen worden. Beide Geſetze waren, wie wir es heute
nennen, ſtaats-ſozialiſtiſcher Natur.
Stellen wir uns vor, daß wir in Deutſchland ein Referendum in
Referendum hätten, fo unterliegt es gar keiner Frage, daß uam!
die Geſetze, die für unſer Daſein in jüngſter Zeit den größten
Fortſchritt bedeuten, und die man, wenn ſchon unter mancherlei
Kämpfen, glücklich durch den vom allgemeinen, gleichen
Stimmrecht gewählten Reichstag gebracht hat, bei einem
Referendum abgelehnt worden wären. Ich meine den ganzen
Komplex der Sozialpolitik, die Kolonialpolitik und ſchließlich
die für unſere nationale Zukunft entſcheidende Schaffung
der deutſchen Kriegsflotte. Die eigentliche Grundlage für Bei der
eine auf Großmachtverhältniſſe zugeſchnittene Flotte wurde Tee
ja erſt unter Caprivi gelegt, und die Entſcheidung dafür
wurde im Reichstag gegeben durch die Stimmen der Polen.
Man erinnert ſich jetzt ungern daran, wie lange es gedauert
hat, bis dem deutſchen Volk das Verſtändnis für den
32 Die deutſche Flotte.
Flottenbau aufgegangen iſt. Nicht gehoben von der Welle
einer nationalen Bewegung iſt das große Werk geſchaffen
worden, ſondern durch geſchickte parlamentariſche Diplomatie.
Caprivi hatte bereits die Ausſichtsloſigkeit der ſogenannten
Oſtmarkenpolitik erkannt und war den Polen in den beſonders
drückenden Beſtimmungen der Schulgeſetzgebung etwas ent—
gegengekommen. Aus Dankbarkeit bewilligten ſie dem
deutſchen Volk die deutſche Flotte, als die große Majorität
der Deutſchen ſelber noch nichts davon wiſſen wollte. Die
hiſtoriſchen Erſcheinungen ſind manchmal komplizierter, als
es uns auf den erſten Blick ſcheinen möchte. Bei dem zweiten
Anlauf, unter dem Kanzlertum des Fürſten Hohenlohe,
gelang es dann, eine gewiſſe nationale Bewegung für die
Flotte hervorzurufen. Dabei gab es einen Zwiſchenfall, der
auch hierher gehört und wohl verdient, der Vergeſſenheit
entriſſen zu werden. Die konſervative Partei hatte zwar
den erſten Schiffsforderungen zugeſtimmt, aber, wie die
Polen, mehr aus parlamentariſcher Taktik als aus innerer
überzeugung. Im Grunde war man in dieſen Kreiſen noch
der Meinung, daß Deutſchland von der Natur zu einer
Landmacht beſtimmt ſei, und daß es eine Abirrung ſein
würde, die deutſche Politik auf das Weltmeer hinausführen
zu wollen. Nicht den Export, ſondern den inneren Markt,
meinten viele Konſervative, ſolle man pflegen; und es iſt
richtig, daß das agrariſche Intereſſe mit dem Großhandels—
intereſſe, das über die Ozeane führt, in einem gewiſſen
Widerſpruch ſteht. Durch eine Indiskretion wurde bekannt,
das einer der Führer der Agrarier (da es allgemein in den
Zeitungen geſtanden hat, iſt es jetzt keine Indiskretion
mehr, es zu wiederholen), Herr Dr. Chriſtian Diedrich
Hahn, geſprächsweiſe beim Zentrum verſucht hatte, gegen
die Bewilligung der Schiffe Stimmung zu machen und
Die deutſche Flotte und die Arbeiter. 33
dabei den Ausdruck „die gräßliche Flotte“ gebraucht
hatte.
Wenn nun das agrariſche Intereſſe in der Tat dem der
Flotte etwas entgegengeſetzt iſt, ſo iſt es einleuchtend, daß die
Induſtrie, die auf den Welthandel angewieſen iſt, mit ihr in
einer naturgemäß guten Beziehung ſteht. Mit der Induſtrie,
ſollte man meinen, auch die Induſtrie-Arbeiterſchaft, um
ſo mehr, als dieſe ſich ja ſagen kann, daß bei weitem der
größte Teil aller Bewilligungen für die Flotte wieder in
Arbeitslohn umgeſetzt wird. Bewilligung einer Kriegsflotte
bedeutet: Schaffung einer neuen, umfaſſenden Arbeits—
gelegenheit. Bei dieſer Lage faßte damals eine Anzahl
Patrioten in Berlin die Idee, in ſozialdemokratiſche Ver:
ſammlungen zu gehen und den Verſuch zu machen, der
Arbeiterſchaft klar zu legen, welch große Entſcheidung jetzt in
ihre Hand gegeben ſei. Wie ganz anders hätte ſich die
innere Geſchichte Deutſchlands entwickeln müſſen, wenn es
dabei geblieben wäre, daß die agrariſchen Konſervativen gegen
die Flotte ſtimmten, und die ſozialdemokratiſchen Arbeiter
ſie bewilligten! Im beſonderen kam noch in Betracht, daß
ja nach einer zwar nicht abſolut unangreifbaren, aber auch
ſchwer umzuſtürzenden parlamentariſchen Praxis diejenigen
Parteien, die eine Bewilligung machen, auch das moraliſche
Recht haben, die dafür notwendigen Steuern zu beſtimmen.
Nun kam damals der Vorſchlag auf, auch in Deutſchland
Erbſchaftsſteuern einzuführen, wie ſie ja in England und
Frankreich ſeit langem beſtehen und große Erträge bringen.
Man konnte alſo der Arbeiterſchaft ſagen, daß, wenn ſie
die Flotte bewillige, ſie nicht einmal eine Laſt dafuͤr auf
ſich nehmen würde, da ſie die Bedingung ſtellen dürfe,
daß die Mittel durch Erbſchaftsſteuern aufgebracht werden
ſollten. Auf dieſem Boden kam es wirklich zu einer Volks—
Bei der Sozial⸗
geſetzgebung.
34 Flotte und Arbeiter.
verſammlungsaktion. Die Sozialdemokraten nahmen es an,
daß in einer Reihe von Verſammlungen über die Flotte
diskutiert werden ſolle. Ich ſelber habe in einer großen
Verſammlung gegen Herrn Paul Singer gefochten und
kann nur ſagen, er benahm ſich durchaus höflich und loyal
und erkannte mit beſonderer Betonung immer wieder an,
daß auf unſerer Seite eine ehrliche patriotiſche Überzeugung
obwalte. Weniger manierlich benahm ſich die Verſammlung
ſelber, die doch wohl nicht von der Vorſtellung loskonnte,
in mir einen Vertreter des ausbeutenden Kapitalismus vor
ſich zu haben. In anderen Verſammlungen disputierten
andere, namentlich unſer ſtets tapferer Adolf Wagner gegen
Bebel; die einen brachten mehr das Argument mit der
Schaffung der Arbeitsgelegenheit in den Vordergrund, —
ein Argument übrigens, deſſen Beweiskraft ich mir ſelber
nicht ſo ganz aneignen möchte —, die anderen mehr das
Argument der Erbſchaftsſteuer. Einer aber berichtete, damit
ſei er vollkommen abgefallen; denn ſein ſozialdemokratiſcher
Gegner habe ihm das Wort zugeſchleudert: „Was hilft uns
denn die Erbſchaftsſteuer? Wir haben ja nichts zu vererben!“
— Gegen ſolche Logik war nicht aufzukommen. Die Be—
wegung blieb erfolglos, und das deutſche Volk iſt zu ſeiner
Flotte gekommen, nicht vermöge des Volkswillens, ſondern
auf dem Wege der parlamentariſchen Taktik, der es gelang,
die konſervativen Stimmen zu gewinnen.
Noch frappanter iſt dieſelbe Erſcheinung auf dem Gebiet
der ſozialpolitiſchen Geſetzgebung. Hier hatte Fürſt Bismarck
hauptſächlich zu kämpfen gegen die Vorſtellung, daß die
ſoziale Fürſorge des Staates ſchwächend und lähmend auf
die Charakterkraft des einzelnen wirke. Wenn man es
dem einzelnen Arbeiter überlaſſe, für ſich ſelber zu ſorgen
und fich zu dieſem Zweck mit feinen Genoſſen zuſammen⸗
Arbeiterverſicherung und Sozialdemokratie. 35
zuſchließen, ſo ſei damit eine moraliſche Hebung des
Arbeiterſtandes gegeben, die viel mehr wert ſei als die
materielle Fürſorge durch eine Staatsgeſetzgebung. Die
konſervative Partei lehnte von vornherein dieſe liberale
Doktrin ab und kam der Sozialreform mit Sympathie
entgegen; für das Unfallverſicherungsgeſetz wiederum wurde
der dem Zentrum ſympathiſche Genoſſenſchaftsgedanke zu
Hilfe gerufen, ſo daß Bismarck abwechſelnd bald mit Hilfe
des Zentrums, bald der Nationalliberalen, die erſten Geſetze
durchbrachte. Auf des Meſſers Schneide aber ſtand die
Entſcheidung über das größte und wichtigſte dieſer Geſetze,
die Alters- und Invaliditätsverſicherung. Gerade die beiden
demofratifchen Parteien, die Sozialdemokraten und die
Freiſinnigen, opponierten mit der größten Leidenſchaft und
wußten auch in den Maſſen eine gewiſſe Erregung dagegen
hervorzurufen. Das Geſetz gibt bekanntlich jedem nicht
mehr arbeitsfähigen, verſicherten Arbeiter, in welchem Alter
er auch ſtehe, eine Invalidenrente, jedem Siebzigjährigen
aber auf jeden Fall eine Altersrente, mag er noch ſeine
Arbeitsfähigkeit haben oder nicht. Gleich im erſten Jahr
wurden 133000 Altersrenten bewilligt und bis zum
Jahr 1909 find 1748 137 Invalidenrenten verliehen
worden. In allen Volksverſammlungen wurde aber von
den Arbeitern das Geſetz verworfen, immer wieder mit der
Argumentation „70 Jahre alt werden wir ja gar nicht!“
und wenn man ſagte, daß ja die Hauptſache die Invaliden—
rente ſei, ſo hieß es „ja, wer weiß, wann man die Invalidität
bei uns anerkennen wird“. Gegen dieſes von der Agitation
gefliſſentlich genährte Mißtrauen war ſchlechterdings nicht
aufzukommen, und da nun auch ſehr viele Arbeitgeber ſchon
anfingen, ſich auszurechnen, wie große Laſten das Geſetz
ihnen einmal auferlegen würde, ſo wäre bei allgemeiner
36 Abftimmung über die Invaliditäts-Verficherung.
Abſtimmung der Entwurf unzweifelhaft mit erdrückender
Majorität zurückgewieſen worden. Im Reichstag gewann
er ſchließlich noch eine Majorität von zehn Stimmen, indem
Bismarck perſönlich im Reichstag erſchien und das ganze
Gewicht ſeiner Autorität in die Wagſchale warf. Aber
zehn Nationalliberale ſtimmten aus liberalem Doktrinarismus
dagegen, und die Majorität kam ſchließlich nur dadurch
zuſtande, daß 13 Mitglieder des Zentrums, unter Führung
des Freiherrn von Franckenſtein, ſich von der Majorität der
Fraktion loslöſten, Windthorſt den Gehorſam aufſagten und
mit Ja votierten. Ich erinnere mich noch heute der un—
geheuren Spannung, mit der das Ergebnis der Abſtimmung,
das bis zum letzten Augenblick ſchwankend blieb, erwartet
wurde. Die namentlichen Abſtimmungen im Reichstag
werden ja nach dem Alphabet vorgenommen, und der Zufall
wollte, daß der Buchſtabe L, der zuletzt an die Reihe kam,
lauter Ja brachte.
Wäre das Geſetz damals gefallen, ſo wäre es für alle
Zeit in Deutſchland mit dieſer Politik vorbei geweſen. Denn
die Laſten, die es auferlegt, ſind nicht gering, und je länger
man über das Geſetz in der Preſſe und in den Ver—
ſammlungen diskutierte, deſto weiteren Kreiſen wurde es
klar, was ſie auf ſich zu nehmen hatten, und deſto ſtärker
wurde alſo die Oppoſition. Nicht mit, ſondern gegen den
Volkswillen iſt, ſo kann man mit Beſtimmtheit ſagen,
dieſes Geſetz, das ſeitdem allen Völkern der Welt zum
Muſter geworden iſt, geſchaffen worden. Ein Referendum
hätte es unweigerlich zu Falle gebracht.
Das Nach dem Geſagten wird es nicht mehr wundernehmen,
re in daß es in England die Konfervativen geweſen find, die das
Reeferendum in Vorſchlag gebracht haben. Jahrhundertelang
ſind Oberhaus und Unterhaus als gleichberechtigte Faktoren
Referendum in England. 37
der Geſetzgebung betrachtet worden, nur daß das Unterhaus
die alleinige Entſcheidung über Finanzfragen hatte. Mit
Hilfe dieſes Rechts hat nun im Laufe des 19. Jahrhunderts
das Unterhaus das Oberhaus allmählich aus ſeiner gleich—
berechtigten Stellung herausgedrängt und es endlich im
Jahre 1911 auf ein bloßes ſuſpenſives Veto, ſuſpenſiv für
zwei Jahre, beſchränkt. Durch direkte Drohung mit der
Revolution, die zwei Miniſter, Herr Aſquith und Lord Crewe,
dem König vortrugen, wurde auch dieſer zur Zuſtimmung
gezwungen, ſo daß man dieſe Verfaſſungsreform wohl als
eine Art Staatsſtreich bezeichnen kann. Als letzte Hilfe in
der Not ſchlugen die Konſervativen das Referendum vor für
den Fall, daß zwiſchen Ober- und Unterhaus eine ſonſt nicht
beizulegende Differenz entſtehen ſollte. Nichts ſcheint demo—
kratiſcher zu ſein als eine ſolche direkte Volksentſcheidung.
Aber die Liberalen lehnten den Vorſchlag ab. Sie führten
dagegen zunächſt ins Feld, daß er immer nur zugunſten der
Konſervativen wirken würde, da anzunehmen ſei, daß der
etwa zu ſchlichtende Konflikt ſich niemals zwiſchen einem
konſervativen Unterhaus und einem liberalen Oberhaus,
ſondern ſtets nur umgekehrt abſpielen könne. Des weiteren
erhoben ſie den Einwand, daß dadurch das parlamentariſche
Syſtem umgeſtuͤrzt würde. Denn was ſoll werden, wenn
die Majorität des Unterhauſes hinter dem Miniſterium ſteht,
das Volk aber im Referendum einen Geſetzesvorſchlag dieſes
Miniſteriums und dieſer Majorität verwirft? Sollte das
Miniſterium abgehen, ſo würde das folgende keine Majorität
im Unterhauſe haben. Sollte es aber bleiben, ſo wäre
durch das Referendum ſeine moraliſche Autorität ſo ſehr
geſchwächt, daß es ſchwerlich die Regierung mit Erfolg weiter
führen könne. Schließlich aber, ſagte man, ſei ein Refe—
rendum auch keineswegs ſo demokratiſch, wie es ſcheine; im
Indirekte
Wahlen.
38 Gründe gegen das Referendum.
Gegenteil, es ſei undemokratiſch. Denn der einzelne Bürger
ſei ſchlechterdings außerſtande, große Geſetze von vielleicht
vielen hundert Paragraphen, die ihm vorgelegt würden, auch
wirklich zu ſtudieren und zu verſtehen. Er ſei ganz und gar
angewieſen auf das, was ihm die Führer oder etwaige
Demagogen darüber ſagten. Miſter Smith und Miſter
Jones würde man immer ſoviel politiſche Einſicht zutrauen,
um ſich nach ihren Wünſchen und Beſtrebungen eine Partei
auszuſuchen und einen oder zwei Abgeordnete zu wählen.
Aber die Einzelheiten der Geſetzgebung an ſie zu bringen,
ſei nicht Durchführung der Volksregierung, ſondern ihre
Aufhebung.
Man wird allen dieſen Gründen eine gewiſſe ſachliche
Berechtigung nicht abſprechen können. Bei dem letzten freilich
leuchtet ein, daß er bedenklich viel mehr beweiſt, als er be—
weiſen will. Wenn Miſter Smith und Miſter Jones bei
der Wertung eines beſonderen Geſetzes ſo ganz und gar in
Abhängigkeit von Führern und Demagogen geraten, ſollte
dieſe Abhängigkeit nicht auch einigermaßen ſich geltend
machen, wenn ſie ihre Partei wählen und ihre Abgeord—
neten küren?
Aber wie dem auch ſei, die Vorſtellung, daß der Bürger
wohl imſtande ſei, Vertrauensmänner zu wählen, aber nicht
unmittelbar ſelber Geſetze zu geben, iſt nicht erſt hier auf—
getaucht, ſondern ſchon, ſeitdem das Repräſentativſyſtem
überhaupt aufgekommen iſt. An vielen Stellen, in Amerika
wie in Preußen hat man eben aus dieſem Grunde das
Syſtem der indirekten Wahl angenommen, das ſchon bei
der Wahl zur franzöſiſchen Nationalverſammlung (1789)
angewandt worden iſt. Dem Wähler wird nicht zugetraut,
daß er ſelber einen Abgeordneten ausſuchen könne, ſondern
er ſoll einen Mann aus ſeiner wirklichen Bekanntſchaft, aus
Indirekte Wahl. 39
feiner Nachbarfchaft ſuchen, dem er vertraut, und dieſe fo
gewählten Wahlmänner erſt ſollen dann den Volksvertreter
beſtimmen. Dieſes Syſtem hat die darauf geſetzten Hoff—
nungen allenthalben, wo es eingeführt worden iſt, enttäuſcht.
Die Wahlmänner in Preußen ebenſo wie die Elektoren in
Amerika ſind zu bloßen Briefträgern geworden, denen von
vornherein keine andere Aufgabe zufällt, als einem beſtimmten
Mann ihre Stimme zu geben. Nur ganz ſelten, etwa
wenn nachträglich Kompromiſſe geſchloſſen werden, haben
die Wahlmänner eine gewiſſe ſelbſtändige Bedeutung gehabt,
und daneben hemmt dieſer Wahlmodus, wenn er mit kleinen
Urwahlbezirken verbunden iſt, ziemlich ſtark die Wahl—
agitation und wirkt deshalb mittelbar konſervativ.
In der Verzweiflung, durch irgendwelche Konſtruktious—
kunſtſtücke auf dem Wege des Wählens zu einem wirklichen
und vernünftigen Volkswillen zu gelangen, kommen Theo—
retiker immer von Zeit zu Zeit wieder auf den alten Stände—
Gedanken zurück. Auch Bismarck hat zuweilen damit ge—
ſpielt. Man will das ganze Volk nach Ständen gruppieren,
oder, anders ausgedrückt, man will die natürlich vorhandenen
ſtändiſchen Differenzen organiſieren und jedem dieſer Stände
dann eine beſtimmte Zahl der Abgeordneten zuweiſen. Der
Erfolg würde ſein, daß dann derjenige Stand oder diejenigen
Stände, die die Majorität haben, ſtets die Laſten auf die
Minorität legen würden. Alles hängt alſo davon ab,
wie die Vertreterzahl der einzelnen Stände normiert wird.
Die heftigſten Gegner des ſtändiſchen Gedankens ſind
natürlich die Sozialdemokraten. Aber wenn man von den
397 Mandaten des Reichstags der Arbeiterſchaft von vorn—
herein 200 zuweiſen wollte, ſo würden auch ſie ſich vielleicht
mit dem ſtändiſchen Gedanken befreunden. Deſto weniger
die anderen. Hier iſt ſchlechterdings kein Ausgleich möglich,
Ständiſche
Vertretung.
Recht der
Obſtruktion.
40 Staͤndiſche Vertretung. Obſtruktion.
vielmehr umgekehrt: Der Ausgleich der tatſächlich vorhandenen
entgegengeſetzten Intereſſen der verſchiedenen Stände wird
darin gefunden, daß beim allgemeinen gleichen Wahlrecht
jeder Stand und jedes Intereſſe den Spielraum hat, ſich
nach ſeiner Maſſe und ſeinen inneren Kräften geltend zu
machen.
Freilich, ob eine auf dieſem Wege gefundene Majorität
wirklich den Volkswillen vertritt und geeignet iſt, das Beſte
des Staates wahrzunehmen, dagegen haben wir mancherlei
Bedenken gefunden, und auch in der allgemeinen Meinung
greifen dieſe Bedenken immer mehr um ſich. Kann eine
Majorität nicht ebenſo tyranniſch ſein wie ein Einzelner?
Die Abwehr einer derartigen Majoritätstyrannei iſt die
parlamentariſche Obſtruktion. Unter Obſtruktion verſteht
man das Stillegen der ganzen parlamentariſchen Maſchinerie
durch mißbräuchliche Anwendung irgendwelcher geeigneter
Beſtimmungen der Geſchäftsordnung: Die Minorität ver—
hindert die Majorität zum Beiſpiel, zur Abſtimmung zu
kommen, indem die Redner nicht aufhören, zu ſprechen (es
ſind ſchon Reden von 24 Stunden Länge vorgekommen),
oder aber, wenn die Majorität mit dem Reden Schluß macht,
ſo ſtellt die Minorität ſoviel Einzelanträge und immer neue
Einzelanträge, daß man zur Schlußabſtimmung überhaupt
nicht kommt. Oder aber, wenn die Minorität ſehr ſtark
iſt, ſo verläßt ſie im entſcheidenden Moment den Saal und
macht das Parlament beſchlußunfähig. Dieſe Kunſtſtückchen
ſind im engliſchen Parlament angewendet worden, ſpielen
aber jetzt eine ganz beſondere Rolle in Sſterreich und in
Ungarn. Man ſieht hier die Obſtruktion ſogar als ein ganz
legales Mittel des parlamentariſchen Kampfes an, obgleich
es auf der Hand liegt, daß mit dieſer Anerkennung das
Prinzip der Repräſentation und der Majorität ſich ſelber
Ausſpruͤche Napoleons und Hegels. 41
aufgehoben hat. Wäre es wahr, daß eine gewählte Re—
präſentation in ihrer Majorität den Volkswillen darſtellt,
ſo hätte die Erſcheinung der Obſtruktion ſich nicht wohl
einſtellen können. Wir haben in ihr alſo einen Beweis,
wieder von einer anderen Seite, daß die Herſtellung eines
Volkswillens auf dem Wege der Abſtimmung, wie man ſie
auch drehe und wende, wie man ſie auch organiſiere, eine
Fiktion iſt.
Der Volkswille iſt Geiſt, reiner Geiſt, der phyſiſch weder Was iſt
greifbar noch darſtellbar iſt. „
„Das Volk iſt wie das Waſſer,“ ſagte Napoleon J., Ausſprüche
„das die Geſtalt jedes Gefäßes annimmt, in das man es ges.
hinein tut; tut man es aber überhaupt in kein Gefäß, ſo
fließt es ziel⸗ und zwecklos auseinander.“
Noch gewaltiger aber erdröhnt der Ausſpruch Hegels:
„Das Volk iſt derjenige Teil des Staates, der nicht weiß,
was er will.“
Wie ſchnöde klingt uns dieſer Ausſpruch! Aber er iſt
nicht ſo ſchnöde. Iſt nicht, zu wiſſen, was man will, ſelbſt
für den einzelnen oft die allerſchwerſte Aufgabe? Ein Volk
aber kann gar nicht wiſſen, was es will, weil die Summe
der einzelnen nicht im Beſitz eines Organs iſt, durch das es
ſeinen Willen zum Ausdruck bringen könnte. Von welcher
Seite wir auch immer an den Begriff „Volk“ herangetreten
ſind, immer wieder haben wir dieſelbe Tatſache feſtgeſtellt.
Wer gehört zum deutſchen Volk? Auch die Deutſchen außer—
halb des Reichs? Auch die Polen, Franzoſen und Dänen
innerhalb des Reichs? Auch die Frauen und Kinder? Wenn
abgeſtimmt werden ſoll, von welchem Lebensjahr an? Wie
ſoll zum Zweck der Abſtimmung das Volk eingeteilt werden?
Wie ſoll der Wille der Minorität zum Ausdruck kommen?
Welches Wahlſyſtem ſoll gelten? Wer organifiert die Wahlen?
42 Das Volk in idealem
Wer ſchleppt die Läſſigen zur Wahlurne? Wer beſtimmt die
Kandidaten? Wer endlich hat den entſcheidenden Einfluß
bei der Bearbeitung der Wähler, der Bildung der öffent—
lichen Meinung? Exiſtiert wie in Frankreich unter Napoleon II.
eine Regierung, die die Preſſe, Vereins- und Verſammlungs—
freiheit unterbindet und die Beamtenſchaft anweiſt, die
Wähler zur Wahlurne zu führen, ſo liegt die Entſcheidung
nicht beim Volk, ſondern eben bei dieſer Regierung. Exiſtiert
wie heute in den meiſten demokratiſchen Staaten neben dem
Wahlſyſtem freie Preſſe, freies Vereins- und Verſammlungs⸗
recht, ſo entſcheidet wieder nicht das Volk, ſondern die
Parteiorganiſation, die Demagogie und das Geld.
Je weiter wir mit unſeren Betrachtungen vordringen,
deſto mehr ſehen wir, daß ſich ein breiter, breiter Spalt
auftut zwiſchen dem idealen Begriffe „Volk“ und dem, was
wir in der Politik und im Staatsrecht „Volk“ und „Volks—
vertretung“ nennen. Beide haben kaum etwas miteinander
zu tun. Das deutſche Volk im idealen Sinne iſt ein ſtaats—
rechtlich unformulierbarer Begriff.
Zum deutſchen Volk im idealen Sinne gehören auch
die Frauen und Kinder, die Vergangenheit und die Zukunft,
die großen Perſönlichkeiten wie die Maſſe. Die Größe eines
Volkes ſind ſeine großen Perſönlichkeiten; aber dieſe ſind
nicht denkbar ohne den Mutterboden der Menge. Ohne die
großen Perſönlichkeiten iſt das Volk Pöbel; ohne den Wider—
klang in der gleichſprachigen Menge könnte der Genius nicht
nur nicht wirken, ſondern nicht einmal werden. Zum deutſchen
Volk gehören Barbaroſſa und Luther, Goethe und Gneiſenau,
wie die Erhebung der Geſamtheit im Jahre 1813. Von
dem breiten Fundament der Maſſe hinauf bis zu den Heroen
führt eine unendliche Stufenleiter von Mittelgliedern in—
tellektueller und moraliſcher Tüchtigkeiten, und ebenſo von
und in politiſchem Sinne. 43
den Heroen herab bis zu der Maſſe. In dieſer Einheit,
die auf der Vergangenheit aufbaut und nicht nur der Gegen—
wart lebt, ſondern in dieſer Gegenwart arbeitet für unab—
ſehbare ferne Zukunft, haben wir das wahre Weſen eines
Volkstums, das wir verehren als ein Heiliges. Was hat das
deutſche Volk in dieſem wahren und tiefen Sinne zu tun mit
jener Verſammlung von 397 Männern, die den deutſchen
Reichstag bilden? 110 Sozialdemokraten, 100 Mann
Zentrum, 25 Polen, Dänen und Franzoſen und eine Anzahl
kleinerer und größerer Gruppen Konſervative, Agrarier,
Antiſemiten, Freikonſervative, Nationalliberale, Freiſinnige,
das ſoll das deutſche Volk ſein?
Die Demokratie ſelbſt weiß ſehr gut, daß in dieſem
Sinne zwiſchen „Volk“ und „Volk“ ein Unterſchied iſt;
denn auch fie erkennt den Satz: „Volkswille — Gottes:
wille“ nur an, wenn er ihr günſtig iſt, geradeſo wie fie
den Reaktionären das Sprüchlein zuſchreibt: „Und der
König abſolut, wenn er uns den Willen tut.“
Die Wahl der beiden Napoleons iſt niemals als Aus—
druck des Volkswillens anerkannt worden, obgleich fie nahe:
zu einſtimmig war.
Auch der Begriff der Volksſouveränität, der hiſtoriſch
eine ſo große Wirkung gehabt hat, iſt hiermit als eine
bloße Fiktion dargetan. Wenn das Volk in ſtaatsrecht—
lichem Sinne keinen Willen hat, kann es auch nicht die
Souveränität, d. h. den höchſten, nur ſich ſelbſt Schranken
ſetzenden Willen haben.
Wer mir bis hierher gefolgt iſt, hat vielleicht den Eindruck,
daß ich damit das Grundprinzip der Demokratie habe
bekämpfen und verwerfen, ja, geradezu als abſurd habe
nachweiſen wollen; formell ja — ſachlich nein. Wie wäre
es möglich, daß die Idee der Demokratie in der Welt—
Delbrück, Regierung und Volkswille. 4
Volks⸗
ſouveränität.
Staat und Volk.
44 Volksſouveraͤnitaͤt.
geſchichte eine ſo ungeheure Rolle ſpielte, immer wieder
unermeßliche Wirkungen ausübte, wenn ſie nichts als eine
Abſurdität wäre?
Freilich, die Vorſtellungen von der Volksſouveränität
und vom Volkswillen haben ſich in der Tat bei genauerem
Zuſehen als unvollziehbar, d. h. als abſurd erwieſen. Aber
das mögen ja nur falſche und ungenügende theoretiſche
Formulierungen ſein fuͤr Wahrheiten, die ſich beſſer formulieren
laſſen. So iſt es in der Tat.
Verzichten wir darauf, die Volksvertretung mit feierlichem
Klange als fleiſchgewordenen Volkswillen zu proklamieren,
und halten uns einfach daran, daß durch die Wahlen und Ab—
ſtimmungen, in welcher Art und Begrenzung ſie ſich auch
immer vollziehen, eine große Maſſe, ja vielleicht die Geſamt—
heit der Staatsbürger in eine unmittelbare Willens beziehung
zum Staat und ſeinen Zwecken geſetzt werden. Zum Weſen
des Staats gehört eine ſolche Beziehung zwiſchen ihm und
den einzelnen Bürgern nicht. Es hat Staaten gegeben,
die von dem Bürger nichts verlangten als Gehorſam; wie
er ſich innerlich zum Staate ſtellte, ob er ſeine Steuern
mit Freude oder mit Ärger bezahlte, ob er Jubel oder
Trauer hatte bei ſeinen Niederlagen oder Siegen, war ihm
gleichgültig; wenn nur eben die Steuern pünktlich bezahlt
wurden, und die für den Kriegsdienſt Beſtimmten dieſen
Dienſt pflichtgemäß leiſteten. Ein ſolcher Staat war noch
das Preußen Friedrich Wilhelms I. und Friedrich des Großen.
Wenn alſo nach der Schlacht bei Jena der Gouverneur von
Berlin proklamierte: „Ruhe iſt jetzt die erſte Bürgerpflicht!“,
ſo kam damit der Geiſt des altpreußiſchen Staates, zwar
in einer unendlich philiſterhaften, aber doch nicht unrichtigen
Weiſe zum Ausdruck. Eben die Schlacht bei Jena hat
aber auch gezeigt, wie ſchwach ein Staat iſt, der es noch
Staat und Staatsbürger. 45
nicht verſtanden hat, ſich auch in eine innere Beziehung
zu ſeinen Bürgern zu ſetzen. Freilich, Friedrich der Große
hat trotzdem den ſiebenjährigen Krieg beſtanden. Aber
was in der neu herangekommenen Epoche verlangt wurde,
war mehr. Das Heer, das bei Jena und Auerſtädt ge—
ſchlagen wurde, war im ganzen nicht etwa ſchlechter als
die Heere Friedrichs, ſondern ſogar in vieler Beziehung
beſſer. Auch in der Führung war man keineswegs ſo
ganz jeden guten Geiſtes bar, wie es dargeſtellt zu werden
pflegt. Wer war der Generalſtabschef des Herzogs von
Braunſchweig bei Auerſtädt? Scharnhorſt. Wer komman—
dierte die Kavallerie bei Auerſtädt? Blücher. Freilich, in
der eigentlichen oberen Führung fehlte es vollkommen; und
deshalb ging die Niederlage gleich bis ins Bodenloſe. Aber
ein Sieg über Napoleon wäre mit den Mitteln des alten
Staates auch einem Friedrich unmöglich geweſen.
1813 wurde er möglich, und der Unterſchied des Preußens
von 1806 und des Preußens von 1813 beruht darauf, daß
in der Zwiſchenzeit der Wille jedes einzelnen Staatsbürgers
zur Unterſtuͤtzung des Staatswillens angerufen und wirklich
in Bewegung geſetzt worden war.
Dieſe Willensbeziehung des Einzelnen zum Staate iſt der
reale Inhalt deſſen, was insgemein mit einem Ausdruck,
den wir als myſtiſch erkannt haben, Volkswille genannt
wird. Der Kampfruf, unter dem allenthalben im Altertum
wie in der Neuzeit dieſer Volkswille — wir mögen das
Wort, nachdem wir uns über ſeinen wahren Inhalt klar
geworden ſind, beibehalten — für die Regierung des Staates
angerufen wurde, war immer die Freiheit. Ob die Freiheit
wirklich in jeder Beziehung bei der Einſetzung dieſer Art
von Regierungen gewonnen und nicht auch manches verloren
hat, wollen wir vorläufig dahingeſtellt ſein laſſen, auf jeden
4 *
Mängel der
Volks⸗
regierungen.
Korruption in
Amerika.
4 Staͤrke oder Schwaͤche der Volksregierungen.
Fall iſt die enge Beziehung des Staates zum Willen der
einzelnen Staatsbürger von ſolchem Wert und ſolcher Be—
deutung, daß, wie ſchon die antiken Republiken darauf auf:
gebaut waren, jo auch im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr
und mehr Staaten zu einer Verfaſſung mit gewählten Volks—
vertretungen übergegangen find und, wo ſolche ſchon exiſtierten,
das Stimmrecht erweitert worden iſt.
Sehr zufrieden iſt man nun aber, wie wir geſehen haben,
mit den Ergebniſſen doch nicht. Schon das alte Athen iſt nach
kurzer Blüte an der Unmöglichkeit, mit einer regierenden Volks—
menge Großmachtpolitik zu treiben, zugrunde gegangen. Die
modernen Demokratien haben im 19. Jahrhundert ſehr ſchwere
Proben entweder noch nicht zu beſtehen gehabt oder ſich ihnen
nur mangelhaft gewachſen gezeigt. Die großen Kämpfe gegen
Frankreich hat das alte ariſtokratiſche England geführt und
die amerikaniſche Republik hat einen furchtbaren fünfjährigen
Bürgerkrieg nicht zu vermeiden vermocht, im beſonderen aber
klagt man in faſt allen dieſen Staaten, beſonders in Amerika,
Frankreich und Italien über die den Wahlregierungen imma—
nente Korruption.
Am allerlauteſten ſind die Klagen darüber heute in
Amerika. Der neue Präſident, Wilſon, ſprach in ſeiner
Inaugurationsrede von dem „vielfachen Mißbrauch der
Regierung, die zu einem Werkzeug des Böſen gemacht
wurde“. In einer amerikanischen Enzyklopädie“) (erſchienen
1908) iſt die Korruption als ſoziales Phänomen in einem
beſonderen Artikel behandelt. Es exiſtieren dafür befondere
Organiſationen, deren Haupt der „Boß“ genannt wird, der
die Wahlen macht und die Amter vergibt. In den in—
duſtriellen Staaten werden etwa 28% der Stimmen gekauft;
*) The new Encyclopedia of Social Reform. Bliss, New York.
Korruption. 47
ein Neger- Votum wird mit 2 Dollar, ein weißes mit
3 Dollar bezahlt, in der Stadt New Pork aber ſteigt der
Preis bis zu 25 Dollar. Das Geld bringen teils die großen
Erwerbs⸗Geſellſchaften auf, die dafür Gefälligkeiten von der
Geſetzgebung erwarten, teils die Beamten, die Stellenjäger.
Für eine Stelle im höchſten Gericht find ſchon 50000 bis
100 O00 Dollar bezahlt worden. In St. Louis wurde eine
Konzeſſionsbill mit 30000 Dollar über das Veto des Gouver—
neurs hinweg durchgebracht und ein Jahr darauf für
1250000 Dollar weiter verkauft. Beſonders ſchlimm iſt
die Korruption im Staate Pennſylvanien, weil hier die republi—
kaniſche Partei ſowohl in Stadt wie Staat regiert, während
anderswo die Parteien ſich gegenſeitig etwas in Schach
halten. Im allgemeinen, auch nach der Anſicht von Andrew
White, gelten die Bauern für weniger angefault als die Stadt—
bürger, von New Pork aber ſagt Prof. Jenks, es ſei kein
Unterſchied in der Käuflichkeit. James Bryce in ſeinem
Buche American Commonwealth meint, daß gegen ein
Fünftel beider Häuſer des Kongreſſes ziemlich ſicher korrupt
ſeien und eine viel größere Zahl in dem Verdacht ſtände.
Neuerdings hat ein Mann, der als Oberagent zehn Jahre
an der Spitze einer Fabrikanten-Vereinigung ſtand, Mulhall,
eine Liſte derjenigen Politiker, auch Arbeiterführer, veröffent—
licht, die „Bargeld“ von ihm nahmen. Der Senator
Lorimer von Illinois war der erſte, der im vorigen Jahre
(1912) wegen nachgewieſener Beſtechungen bei der Wahl
aus dem Senat ausgeſchloſſen wurde. In ſeiner Verteidi—
gungsrede, die nicht weniger als 20 Stunden dauerte, fragte
er, wer denn von den Kollegen nicht für ſeine Wahl bezahlt
und das Geld dazu von den Truſts bekommen hätte. Lorimer
gab zu, daß Taft wie Rooſevelt ſich von ihm losgeſagt
hätten; weshalb aber, rief er aus. „Ich bin doch in Chicago
Korruption in
der Schweiz.
48 Korruption.
dabei geweſen, wie die Freunde Tafts die Stimmen der
Delegaten kauften und wie die Rooſevelt-Leute dasſelbe ver—
ſuchten, aber erfolglos blieben, weil die anderen mehr Geld
hatten.“
Ein bemerkenswerter ſtatiſtiſcher Beweis für die Unzu—
verläſſigkeit der Verwaltung in den Vereinigten Staaten
iſt der Penſionsfonds für die Veteranen und Hinterbliebenen
des Sezeſſionskrieges. Obgleich jetzt 48 Jahre ſeit der
Beendigung dieſes Krieges verfloſſen ſind, iſt die Zahl der
Rentenempfänger noch immer geſtiegen und die Penſionen
verſchlingen 175 Millionen Dollars, gleich 700 Millionen
Mark jährlich.
Auch in der alten Eidgenoſſenſchaft war die Korruption
ſehr groß; ſowohl in den ariftofratifchen wie in den
demofratifchen Kantonen. In erſteren wurden viele Amter
ſo gut wie erblich, in den letzteren kam man zu den Amtern
durch Spenden und Beſtechungen. Schon im 16. Jahr—
hundert wurden ſie verboten, aber die Mißbräuche waren
ſo unausrottbar, daß man ſie geſetzlich regelte, indem man
die zu Amtern und Dienſten Beförderten Auflagen bezahlen
ließ, welche teils zu öffentlichen Zwecken verwendet, teils
unter alle ſtimmberechtigten Landleute verteilt wurden. Die
Landvögte, die in der Regel nur auf zwei Jahre für die
unterworfenen Gebiete gewählt wurden, mußten ſuchen
durch Erpreſſungen ihre Koſten wieder einzubringen. In
den Landsgemeinde-Kantonen wurde endlich alles einfach
zur öffentlichen Verſteigerung gebracht, die Vogteien, die
Ausübung der Juſtiz, die höchſten Amter im Staat, die—
jenigen der Ratsherren und ſelbſt des Landammanns, oder
man verloſte die Amter und wer das Amt nicht wollte,
verkaufte das gewonnene Los“).
) Nach Hasbach, Moderne Demokratie. S. 80 ff.
Mängel der Demokratie, 49
Die heutige Schweiz ſowie das heutige England find
frei von Korruption. Weshalb ſie ſich in dieſem Punkt
von den anderen demokratiſch regierten Staaten ſo ſehr
zu ihrem Vorteil unterſcheiden, iſt nicht leicht zu ſagen.
Aber wenn auch gerade dieſes Übel ausgerottet ſcheint, ſo
klagt man über andere. In der Schweiz fürchtet die
ſtädtiſche Intelligenz zwiſchen den Bauern auf der einen,
den Fabrikarbeitern auf der anderen Seite eingequetſcht und
zerrieben zu werden“) und auch in England, wo man ſich
ja noch immer im Übergangsftadium von der Ariſtokratie
zur Demokratie befindet, ſieht man mit großer Beſorgnis
die neue Demokratie heraufziehen. Die Konſervativen, die
ſchon jetzt über die drückende Höhe der Einkommen-, Be—
ſitz- und Erbſchaftsſteuern Stein und Bein klagen, fürchten
ſozialiſtiſche Erperimente. Früher, ſagen ſie, hätten die—
jenigen das Parlament gewählt, die die Laſt des Staates
getragen und die Steuern bezahlt hätten; heute wählten
die, die vom Staate etwas haben wollten. Das Kapital iſt
ſchon fo eingeſchuͤchtert, daß es ſich ins Ausland zieht“).
Namentlich aber bezweifelt man, ob die Demokratie der
auswärtigen Politik, der Behauptung und Beherrſchung des
ungeheuren Welt-Imperiums gewachſen ſein wird.
Alle dieſe Regierungen, dürfen wir ſagen, ſind zwar
ſtark durch die innere Teilnahme und den guten Willen
breiter Maſſen der Staatsbürger, aber es fehlt ihnen gar
zu leicht an der für die Lenkung der Staaten unentbehr—
lichen Ehrlichkeit, Weisheit und Feſtigkeit. Alle Wünſche
9 Has bach, Die moderne Demokratie. S. 340.
) Dies wurde mir bei meinem juͤngſten Aufenthalt in England
von verſchiedenen Seiten beſtaͤtigt. Beſonders der Niedergang der engliſchen
Landwirtſchaft ſoll zum Teil daher ruͤhren, daß man ſich aus Furcht vor der
Enteignung nicht mehr getraut, dem Boden das genuͤgende Kapital zu—
zuwenden.
Der beſte Staat.
50 Der Ideal⸗Staat.
und Verſuche, durch beſonders ſinnig erfundene Wahlſyſteme
dieſem Übel abzuhelfen, ſind offenbar hoffnungslos. Wie
iſt aus dem Dilemma herauszukommen?
Ehedem haben die Philoſophen ſich viel Mühe gegeben,
den beſten Staat zu konſtruieren. Dieſe Verſuche ſind aus
der Mode gekommen und mit Recht. Den idealen Staat
kann es ſo wenig geben wie die idealen Menſchen. Aber
als heuriſtiſches Prinzip mit dem Bewußtſein, daß das Er—
gebnis nur eine Konſtruktion ſein ſoll, iſt die Frageſtellung
immerhin brauchbar, und wir wollen ſie einmal anwenden
und nachſehen, was mit dem Ergebnis anzufangen iſt.
Wir vermißten in den demokratiſchen Repräſentativ—
regierungen die rechte Ehrlichkeit und Weisheit. Halten wir
uns alſo einmal an Plato, der verlangte, daß die Philoſophen,
d. h. die Weiſen, d. h. modern geſprochen, die Gebildetſten
regieren ſollen, die Beſterzogenen, denen man auch Redlichkeit
zutrauen kann. Wie müßte das gemacht werden? Zunächſt ein
ausgezeichnetes Schulſyſtem, in dem die Knaben, die aus
gebildeten Familien ſtammend ſchon etwas mitbringen, zu—
ſammen mit den Talentvollſten aus der großen Maſſe
ſorgſam unterrichtet und ſtreng erzogen werden. Am Ab—
ſchluß der Schule, ſagen wir mit dem 18. oder 19. Jahr,
ein ſtrenges Examen, das alle Untauglichen ausſcheidet.
Dann ein mehrjähriges Studium an einer Hochſchule,
wiederum mit einem ſtrengen Schlußeramen. Dann Ein:
ſtellung der ſo vorgebildeten und fein durchgeſiebten jungen
Männer in die beſtehende Regierung zu praktiſcher Aus—
bildung. Nachdem ein drittes Examen den Mann auch
als praktiſch tüchtig gezeigt hat, Berufung in eine der
verſchiedenen regierenden, richtenden oder lehrenden Be—
hörden, die ſtufenweiſe aufgebaut ſein müſſen, ſo daß in
die höheren Inſtanzen immer die Tüchtigſten und Bewähr⸗
Preußen nach 1815. 5]
teften befördert werden, und ſchließlich an der Spitze des
Staates ein kleines Kollegium von älteren, durch eine
lange Erfahrung geſchulten Staatsmännern, das beſonders
darauf achtet, daß immer die Tüchtigſten in den unteren
Stellen herausgefunden werden und zu den leitenden Poſten
aufrücken.
Hat es ein ſolches Staatsweſen jemals gegeben? Wir
brauchen nicht weit zu ſuchen. Laſſen wir die Gegenwart
aus dem Spiel und ſagen: „Preußen nach 1815“. Die
fürchterliche ſiebenjährige Kriſe nach 1806 war durch das
preußiſche Beamtentum und das preußiſche Offizierkorps
hindurchgegangen wie ein reinigendes Gewitter. Die ſchwäch—
lichen und unbrauchbaren Perſönlichkeiten waren durch die
Gewalt der Ereigniſſe maſſenhaft ausgeſchieden. An der
Spitze des Staates ſtand in der Perſon des Staatskanzlers
Fürſten Hardenberg ein Staatsmann, zwar nicht großen
Stils, aber doch ein feiner und durchaus vorurteilsloſer
Geiſt und voller Hingabe an ſein Amt. Er iſt es geweſen,
der Scharnhorſt, Gneiſenau und Blücher an die Spitze
der Armee gebracht hat. Er ſetzte durch, daß nach dem
Friedensſchluß einer der beſten Schüler Scharnhorſts, Boyen,
das Kriegs miniſterium erhielt. Neben ihm der bedeutendſte
Kopf in der Regierung und 1819 auch im Miniſterium
war Wilhelm von Humboldt. Etwas ſpäter erhielt das
Finanzminiſterium der geniale Motz, dem nachher der eben—
falls ſehr bedeutende Maaßen folgte. Altenſtein, ein
philoſophiſch gebildeter Mann, der ſorgſame Pfleger des
preußiſchen Bildungsweſens, der Univerſitäten und Gymnaſien,
wurde Kultusminiſter. Auch unter den Oberpräſidenten ſind
nicht wenige, die in der preußiſchen Geſchichte einen bedeutenden
Namen hinterlaſſen haben. Schön in Preußen, Sack in
Pommern, Zerboni in Poſen, Merckel in Schleſien,
Preußen nach
1815.
32 Preußen nach 1815.
Vinke in Weſtfalen. Man darf annehmen, daß eine Re—
gierung mit ſolchen Spitzen auch in den unteren Inſtanzen
für tüchtige Perſönlichkeiten geſorgt hat, und wirklich hat ſie
auch Ungeheures geleiſtet. Unter den mannigfachen Ver—
dienſten Treitſchkes werden auf die Dauer vielleicht ſeine
Forſchungen und Feſtſtellungen über die Verdienſte der
zweiten Friedensperiode Friedrich Wilhelms III. von 1815-1840
den erſten Rang behaupten. Preußen war durch die Pariſer
Friedensſchlüſſe und den Wiener Kongreß auf das Doppelte
ſeines Umfanges von 1813 vergrößert worden. Stücke von
nicht weniger als neun verſchiedenen Staatsgebieten waren den
alten Provinzen zugeſchlagen worden: Die Republik Danzig,
ein Stück des Großherzogtums Warſchau, die Hälfte von
Sachſen, Schwediſch--Pommern, das Großherzogtum Berg,
geiſtliche Fürſtentümer, die zum Königreich Weſtfalen gehört
hatten, das linke Rheinufer, das zu Frankreich gehört hatte:
Alle kamen ſie gezwungen, gegen ihren Wunſch und Willen
zu Preußen. Im Laufe einer Generation iſt aus dieſer ſo
buntſcheckig und zufällig zuſammengeſetzten Maſſe durch
Armee und Beamtentum eine Staatsgeſinnung herangezogen
worden, die imſtande war, die Stürme des Revolutions—
jahres von 1848 zu überſtehen und nachher die Schlacht
bei Königgrätz zu gewinnen.
Wir ſuchten nach dem Idealſtaat, der Regierung der
Weiſen, der Philoſophen, wie ſie Plato entworfen hat, und
plötzlich waren wir mitten in Preußen. Habe ich Ihnen
etwa ein Taſchenſpielerkunſtſtückchen vorgemacht? Preußen
nach 1815, das Preußen Friedrich Wilhelms III., das bei
Mit⸗ und Nachwelt ſo wenig Anſehen genoſſen hat, das
ſoll der Staat der reinen Intelligenz, der Idealſtaat ge—
weſen ſein? Es hat freilich ſchon damals Leute gegeben,
die es ſo auffaſſen wollten, aber ich will mich nicht länger
Preußen als Partikularſtaat. 53
dem Verdacht einer Paradoxie ausſetzen und gleich feſtſtellen,
daß es nicht richtig iſt.
Der damalige Staat Preußen entſprach wirklich den
Prinzipien des Platoniſchen Ideal-Staates und war es
doch nicht.
Warum nicht? Der Staat Preußen war damals in
einem Widerſpruch mit ſich ſelbſt. Er war angelegt darauf,
der deutſche Staat zu ſein und war doch ein bloßer Par—
tikularſtaat, dazu ein Partikularſtaat, dem die Hälfte der
Staatsbürger gegen ihren Willen mit Gewalt zugefügt war.
Unmöglich konnte die Staatsidee von allen dieſen neuen
Bürgern, den Mußpreußen, ſchon begriffen werden. Aber
auch die Altpreußen befriedigte ſie nur zum Teil. Denn
die Idee, die man angerufen hatte zur Durchführung des
großen Kampfes, aus dem dieſer Staat hervorgegangen
war, das war ja die nationale Idee, und die nationale Idee
gefiel dieſem preußiſchen Staat nicht nur nicht, ſondern er
bekämpfte fie jetzt ſogar. Das Deutſchtum, die Anrufung
der Idee des deutſchen Einheitsſtaates, galt für ein geſetz—
widriges Vergehen. Damit war es von vornherein un—
möglich, daß in dieſem Staat — die Regierung mochte ſo
gut oder ſo ſchlecht ſein, wie ſie wollte — irgendeine Be—
friedigung herrſchte. Warum bekämpfte denn der preußiſche
Staat damals die deutſche Idee, die doch ſeine eigene
Zukunft bedeutete? Nun, aus dem einfachen Grunde, weil
er ſie nicht erfüllen konnte. Solange Preußen die Zeit
nicht reif fand, den deutſchen Staat ſelber zu ſchaffen,
mußte es ihn bekämpfen, und konnte auch all die wahr—
haften Patrioten — Ernſt Moritz Arndt an der Spitze —
nicht als ſeine unbedingten Freunde anſehen, weil ſie die
Gefahr heraufbeſchworen, Preußen in einen Konflikt hinein—
zureißen, den es ſich damals noch nicht fähig fühlte, zu
Das Manko
Preußens in der
Epoche
1815-1848.
54 Die Demagogen⸗Verfolgung.
beſtehen. Ob man beſſer aus dieſem Konflikt hätte heraus⸗
kommen, ob man früher hätte herauskommen können, dar:
auf haben wir jetzt nicht einzugehen. Nur das ſehen wir,
daß in dieſem Staate damals in der Tat ein peinlicher
innerer Widerſpruch lebte, ein Widerſpruch, der ſich nun
auf das Allerwiderwärtigſte geltend machte in der Dema—
gogenverfolgung, die ja vielfach gerade die allerbeſten
Patrioten traf.
Wir haben in Deutſchland zwei Vaterlandslieder: „Was
iſt des Deutſchen Vaterland“ von Ernſt Moritz Arndt und
„Deutſchland, Deutſchland über alles“ von Hoffmann von
Fallersleben. Welch eine peinliche Erinnerung in unſerer
Geſchichte, daß die beiden Dichter, beide deutſche Profeſſoren,
beide von der preußiſchen Regierung verfolgt und ihrer
Lehrtätigkeit für Deutſchlands Jugend enthoben worden
ſind!
Indem der preußiſche Staat nach dem Jahre 1815
ſich zur deutſchen Idee in Gegenſatz ſtellte, kamen auch
die Mächte des alten Staates, die durch die Stein-Scharn⸗
horſt-Hardenbergſche Reform außer Kraft geſetzt worden
waren, wieder empor, und indem Preußen eine abſolut
regierte Monarchie bleibt, ſehen wir es doch erfüllt von
einem überaus heftigen, oft gehäſſigen Parteikampf, der
die wahre Natur des Staates, die Regierung durch die
politiſch erzogene Intelligenz ſo ſehr verdeckte, verdunkelte
und verzerrte, daß ſie für die Zeitgenoſſen überhaupt nicht
mehr erkennbar war.
Es war eine Art von tragiſcher Verwicklung, daß der
Staat die Ziele, die er ſich hätte ſetzen müſſen, die damals
auch ſchon von vielen erkannt wurden, ſich nicht nur nicht
ſetzen konnte, ſondern im Gegenteil immer Kräfte anrufen
mußte, die eigentlich ſeiner Zukunft entgegenſtanden. Eine
Der König und der Staatsgedanke. 55
Regierung, die von ſolchem Geiſt erfüllt war, konnte nicht
nur bei den Zeitgenoſſen keine Befriedigung hinterlaſſen,
ſondern auch hinterher noch, auch als man den Zuſammen—
hang erkannt, die Schwierigkeiten herausgefunden hatte, ſich
trotzdem der Hochſchätzung als eine Regierung der Weiſen
im idealen Sinne keineswegs erfreuen.
Weiter haben Sie vielleicht vermißt in dieſem Aufriß
des Staates, den ich Ihnen vorgeführt habe, daß die haupt:
ſächlichſte Stelle, der König, noch gar nicht genannt iſt. Ich
habe den Staat aufgebaut vom Staatskanzler an auf die
Miniſter, die Beamtenſchar, die ganze Beamtenhierarchie;
aber der letzte entſcheidende Wille liegt doch nicht an irgend
einer dieſer Stellen, ſondern beim König. Wo iſt er ge—
blieben? Die Antwort iſt: Der König regiert nicht nach
ſubjektiven Einfällen — oder wenn er es tut, ſo iſt es
jedesmal ein Fehler — ſondern gemäß dem objektiven,
mit Hilfe feiner Berater feſtgeſtellten Staatsintereſſe, und
er kann damit ſo ſehr hinter dieſem objektiven Staats—
intereſſe verſchwinden, daß Hegel, als er jetzt vor faſt
100 Jahren von dieſem Katheder das Weſen des Staates
im allgemeinen und des preußiſchen Staates im beſonderen
entwickelte, das Wort wagen konnte: „Der König iſt das
Tüpfelchen auf dem i.“ Es wurde Friedrich Wilhelm III.
einmal gemeldet, daß hier, unmittelbar ſeinem eigenen
Wohnhaus gegenüber, einer ſeiner Profeſſoren den König
bloß für das Tüpfelchen auf dem i erkläre. Aber
Friedrich Wilhelm III. gab nicht viel auf Theorien, da er
ja doch die Macht beſaß. Er antwortete einfach: wenn er
es nun nicht macht? Damit hatte er ſich ſeine königliche
Gewalt genügend vorbehalten. Er faßte tatſächlich ſein könig—
liches Amt ſo auf, daß der König die Staatsidee ſo in ſich
verkörpere, ſich ſo mit dem Staate identifiziere, daß nichts
Stellung
des! Königs.
56 Friedrich Wilhelm II.
als der organiſierte Staatswille in ſeinem ſubjektiven
Willen in die Erſcheinung trete.
Als er Stein in der bekannten grob-ungnädigen Weiſe
im Januar 1807 entließ, berief er ſich in feinem Entlaſſungs—
ſchreiben darauf, daß er ſich von jeher beſtrebt habe, „nicht
nach perſönlichen Launen die Diener des Staates zu wählen,
ſondern nach vernünftigen Gründen.“ Dem Rate ſolcher
„nach vernünftigen Gründen“ gewählter Staatsdiener wird
dann auch der König ſich ſo leicht nicht entziehen, oder
wie es ehedem ein Miniſterialdirektor einmal etwas
burſchikos ausgedrückt hat: „über den König kommt
man weg, über den Referenten im Miniſterium kommt
man nicht weg!“
Die letzte Entſcheidung hat Friedrich Wilhelm III. für alle
Zeit, vor 1806, während der ganzen Reformbewegung,
während und nach der Erhebung immer wieder ſelbſt ge—
geben, oft unter einem furchtbaren Druck, gegen ſeinen
eigenen inneren Wunſch, gegen ſeine Natur, aber ſtets in
dem Bewußtſein, nicht der gewählte, aber der geborene
Repräſentant des Staates zu ſein. Er war der anſpruch—
loſeſte Menſch und ſtellte durchaus nicht etwa für ſich die
Forderung, daß ſeine höhere königliche Eingebung als ſolche
den Staat regieren müſſe, ſondern er nahm nur das für
ſich in Anſpruch, daß er eben als König die höchſte Ver—
antwortung trage, mehr als irgendein anderer von dem
Staatsgedanken erfüllt fein müſſe. Aber natürlich war
das ſchlechterdings nicht von ſeiner Subjektivität zu ſcheiden,
einer Subjektivitaͤt, die für eine Epoche umwälzender Re—
formen und gewaltiger Entſcheidungen, um das ausdrücklich
hinzuzufügen, ſehr wenig geeignet war. Hierdurch und ſpäter
noch mehr durch die ſtarke Subjektivität Friedrich Wilhelms IV.
iſt verdeckt worden, was eigentlich damals das Weſen des
Die preußiſche Verfaſſung. 57
Staates war: daß er durch die ſich ſelbſt ergänzende,
organiſierte politiſche Intelligenz regiert wurde.
Aber in dem Staat Friedrich Wilhelms III. fehlt nun
doch noch etwas, was wiederum das Urteil der Mit- und Fehlen einer
Nachwelt ſehr ungünſtig beeinflußt hat und beeinfluſſen in ane
mußte. Bei der Neubildung des Staates lebte von An- Preußen.
fang an, bei Stein, Hardenberg und allen ihren Mit—
arbeitern die Idee, daß das abſolute Königtum an ſeiner
Seite eine Volksvertretung haben müſſe. Das eigentliche
Dokument, welches den Ausdruck und den Rechtstitel für dieſe
Volksvertretung in der Hiſtorie bildet, iſt der „Aufruf an
mein Volk“, obgleich darin von einer Volksvertretung nicht
die Rede iſt. Friedrich der Große hätte niemals einen
ſolchen Aufruf erlaſſen können und hat niemals daran ge—
dacht, auch nicht in allen Nöten des ſiebenjährigen Krieges.
Von einer ſolchen Beziehung des Staates zur Geſamtheit
der Staatsbürger wußte er noch nichts. Dieſe iſt erſt er—
wachſen aus dem Staat, der durch ſeine eigenen Taten und
ihren Ruhm mit einem ganz anderen Bewußtſein erfüllt
wurde, als es überkommen war. Der Staat hat 1813
nicht anders gerettet werden können, als indem der König
appellierte an den guten Willen jedes einzelnen Mannes.
Dadurch hat er den Krieg gewonnen. Aber indem er
dieſen Appell ausſprach, alſo jene Verbindung ſchuf zwiſchen
dem Staat und den Staatsbürgern, die ſeine Vorgänger
noch nicht gekannt hatten, lag darin auch, daß der Staat,
der die geſamte Staatsbürgerſchaft aufrief, ſich mit dem
Speer in der Hand in ſeinen Dienſt zu ſtellen, dann auch
in Übereinſtimmung mit ihr ſich befinden mußte, daß
der Wille des Königs, wenn auch noch ſo objektiv geltend
gemacht, zur Lenkung des Landes nicht genüge, ſondern daß
in irgendeiner Form eine Volksvertretung neben das König—
58 Das Dreiklaſſen-Wahlrecht.
tum treten mußte. Das wurde damals nicht bloß in
Preußen, ſondern in aller Welt offen bekannt und gefordert,
und in einer Verordnung, die Hardenberg vom Wiener Kon
greß aus 1815 verkündete, poſitiv in Ausſicht geſtellt und
nicht erfüllt. Warum nicht? Eben aus dem Grunde, den
ich vorhin ſchon angab, war damals eine Verfaſſung un—
möglich. Eine bloße preußiſche Volksvertretung war ein Un—
ding in ſich; die preußiſche Volksvertretung mußte trachten,
die deutſche Volksvertretung zu werden. Mit der Schaffung
einer preußiſchen Verfaſſung mußte notwendig die deutſche
Frage ins Rollen kommen. So wirkte die nationale Frage
hemmend auf die Bildung einer Verfaſſung in Preußen
und damit zugunſten der Reaktionäre. Das Produkt der
ponderierenden Kämpfe, die darüber entſtanden, iſt das
Zwiſchending zwiſchen einer ſtändiſchen Vertretung und
einer allgemeinen Volksvertretung, das Dreiklaſſenwahlrecht,
das in Preußen noch heute beſteht, von Bismarck aber für
das Deutſche Reich fallen gelaſſen und durch das allgemeine
gleiche Stimmrecht erſetzt worden iſt, um die öffentliche
Meinung in ganz Deutſchland für das große Ziel eines
preußiſch-deutſchen Nationalſtaates zu gewinnen. Denn das
preußiſche Königtum, fo ſtark es war — allein konnte es das
Ziel der deutſchen Einigung unter dem ſchwarz-weißen Banner
nicht erreichen. Bismarck wollte deshalb die Maſſe mit auf—
nehmen, die Maſſe heranziehen mit ihrer ungeheuren Wucht.
Er hoffte, ihre Unterſtützung zu erlangen, indem er ihr die Volks—
vertretung gab. Dem Schwarzweiß fuͤgte er das Rot zu. Im
Frühjahr 1866 verkündigte er, er wolle eine Verfaſſung mit
einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen gleichen
Stimmrechts vereinbaren. So iſt der Norddeutſche Reichs—
tag gewählt worden, mit dem die Verfaſſung vereinbart
und dann auf das Deutſche Reich erweitert worden iſt.
Parlamentarismus und Konſtitutionalismus. 59
Der Reichstag iſt geſchaffen worden nicht gegen die Re—
gierung, ſondern zur Unterſtützung der Politik der Regierung.
Die Schöpfung des Reichstages iſt die Entſtehung und
Vollendung der Politik, die mit dem „Aufruf an mein
Volk“ im Jahre 1813 begann. Die Schöpfung des Reichs—
tages iſt die Verkörperung deſſen, was in dem „Aufruf an
mein Volk“ erſt als Idee in die Erſcheinung getreten war.
In allen anderen Staaten, wo ähnliche Volksvertretungen
exiſtieren, im beſonderen in England, Frankreich, Amerika,
find fie zur Macht gelangt, indem fie die überlieferte Re—
gierung entweder beiſeite gedrängt oder ganz geſtürzt haben.
In Deutſchland iſt die Volksvertretung entſtanden, indem
die Regierung ſie berief und neben ſich ſtellte.
Daß zwiſchen den Parlamenten in England, Frankreich,
Amerika, Italien, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien
auf der einen Seite und Deutſchland auf der anderen ein
tiefgreifender Unterſchied beſtehe, iſt eine anerkannte Tat—
ſache. Man nennt wohl das eine das Syſtem des
Parlamentarismus, das andere des Konſtitutionalismus,
oder aber bei denjenigen, die den Parlamentarismus für
das einzig richtige und berechtigte halten, des Schein—
konſtitutionalismus. Der Reichstag ſei nichts als das Feigen—
blatt des nackten Abſolutismus, erklärte ſchon 1867 der
Abgeordnete Liebknecht. Wir werden alſo zu unterſuchen
haben, ob der Einfluß des Reichstages in Deutſchland
wirklich ſo gering iſt, daß man ihn als einen bloßen
Schein bezeichnen darf. Richtig iſt, daß jene anderen
Parlamente eine viel größere Gewalt haben als unſer
Reichstag. Jene Parlamente beſtimmen ſelber die Re—
gierung; das Miniſterium beſteht aus den Führern der
Majorität. Auch in Italien iſt es ſo, obgleich das
piemonteſiſche Königtum urſprünglich ſtärker war. Aber
Delbrück, Regierung und Volkswille. 5
Unterſchied
zwiſchen den
verſchiedenen
Parlamenten.
Etellung de3
deutſchen
Reichstages.
60 Macht des deutſchen Reichstags.
dieſer Kern war im Verhältnis zur Maſſe Italiens zu klein,
und ſo iſt man auch dort in den Parlamentarismus
hinübergeglitten. Davon kann in Deutſchland nicht die
Rede ſein. Der deutſche Reichstag übt entſprechend ſeinem
ganz anderen Urſprung nur Einfluß auf die Regierung.
Einfluß kann größer oder geringer ſein. Suchen wir ihn
auf dem Wege der Feſtſtellung von Tatſachen abzumeſſen.
Daß der Reichstag bei der Ausarbeitung und Geſtaltung
der Geſetze ſehr eingreifend mitwirkt, daß er auch eigene
Ideen durchſetzt, daß er wichtige Vorlagen der Regierung
ablehnt und dadurch dauernd verhindert, das liegt alles zu—
tage und braucht nicht beſonders belegt zu werden. Aber
ſein Einfluß geht noch weiter. Der Reichskanzler Fürſt
Bülow mußte zurücktreten, als ihm der Reichstag die
Erbſchaftsſteuer ablehnte.
Diejenigen, die glauben, daß wir auf dem Wege ſind,
eine parlamentariſche Regierung mit der Zeit in Deutſchland
einzuführen, haben geſagt, der Sturz des Fürſten Bülow
ſei die erſte Etappe hierzu geweſen. Denn hier habe der
Reichstag den Kanzler gezwungen, abzugehen und das ſei
ja das Weſen der parlamentariſchen Regierung, daß das Haupt
der Beamtenregierung ſich nicht behaupten könne gegen den
Willen des Reichstages. Das iſt aber doch noch etwas
anderes, als wenn die Regierung aus dem Willen des Reichs—
tags hervorgeht. Es dürfte zutreffen, daß Bülow ſchließlich
deswegen, weil er die Erbſchaftsſteuer nicht bewilligt bekam,
hat zurücktreten müſſen. Falſch iſt aber die Vorſtellung,
daß es hier zum erſtenmal geweſen ſei, daß ein Kanzler
dem Reichstag habe weichen müſſen. Von Caprivi und
Hohenlohe will ich nicht reden; da liegen die Dinge nicht
ganz ſo klar. Aber das Entſcheidende iſt, daß es gar keiner
Frage mehr unterliegen kann, daß auch Bismarck im Jahre
Ruͤcktritt Buͤlows und Bismarcks. 61
1890 dem Reichstag gewichen iſt. Noch heute wundern Der Rücktritt
ſich die Leute oft darüber, weshalb Bismarck eigentlich 2 0
entlaſſen worden ſei. Die meiſten begnügen ſich dann
mit der Wendung: „Ja, ein junger Kaiſer und ein alter
Miniſter vertragen ſich eben nicht!“ „die Naturen gingen
auseinander,“ „das verſchiedene Temperament“ uſw. Das
war aber keineswegs der Zuſammenhang. Warum ſollen
ſich ein junger und ein alter Mann nicht vertragen? Auch
verſchiedene Temperamente ſind ſchon oft lange miteinander
ausgekommen. Fürſt Bismarck und Kaiſer Wilhelm der
Alte ſtimmten auch ſehr oft nicht überein. Mag nun im
einzelnen die Zukunft noch manche Aufklärung bringen,
jedenfalls eins ſteht feſt: Es war ein Reichstag gewählt
worden, in dem eine geſchloſſene Majorität gegen den
Kanzler ſtand. Dieſe Majorität beſtand in den Sozial:
demokraten, der freiſinnigen Partei unter Führung von
Eugen Richter, mit dem keine Vereinbarung möglich war,
und aus dem Zentrum. Solche Majorität war ſchon
manchmal geweſen, und in den ganzen 80er Jahren hatte
Bismarck unausgeſetzt ſchwere Kämpfe; doch immer war
es ihm noch möglich geworden, einen Kompromißweg zu
finden. Aber jetzt waren die Dinge ſo weit gediehen, daß
er keine Ausſicht mehr dazu hatte. Wenn er auf dieſe
Weiſe hätte weiter regieren wollen, hätte er ſich ganz und
gar von dem Führer des Zentrums, Windthorſt, abhängig
machen müſſen. Das wollte er nicht, und wir wiſſen es
nunmehr mit Beſtimmtheit, daß er ſich mit dem Plan ge—
tragen hat, ſich von dieſem Reichstag zu befreien auf dem
Wege der Gewalt. Er ſelbſt hatte den Reichstag geſchaffen,
aber jetzt ſchien es ihm unmöglich, mit fo viel intranfigenten
Elementen das Reich zu regieren. Ich ſelbſt bin im Be—
ſitze eines Briefes des damaligen Führers der Konſervativen
5*
62 Bismarcks Staatsſtreich-Plan.
im Reichstag, v. Helldorff, der Fürſt habe ihm im höchſten
Ernſt geſagt, er wolle die letzten Jahre ſeines Lebens
daranſetzen, den größten Fehler ſeines Lebens, die Schaffung
des allgemeinen gleichen Wahlrechtes, wieder gutzumachen.
Es iſt keine Frage, daß das, was darüber in den Hohenlohe—
ſchen Memoiren ſteht, daß er dem Kaiſer bereits direkt
Vortrag über zu erwartende blutige Kämpfe gehalten habe,
richtig iſt. Wir können jetzt auch aus einer Reihe von
Außerungen und Erſcheinungen mit Sicherheit entnehmen,
was er gewollt hat. Schon am Schluß ſeiner „Gedanken
und Erinnerungen“ ſtehen Andeutungen darüber, daß das
deutſche Volk einmal, wenn es notwendig ſein ſollte, die
Kraft und den Mut haben würde, ſich von dem allgemeinen,
gleichen, geheimen Stimmrecht wieder zu befreien, An—
deutungen, die klar darauf berechnet ſind, einmal wieder—
geleſen zu werden, wenn ſeine damaligen Pläne an die
Offentlichkeit kommen wuͤrden. Was wollte er alſo? Es
war von weither vorbereitet. Er hatte die letzten zwölf Jahre
ſeiner Regierung den Reichstag ſtets in der Hand gehabt
vermöge des Sozialiftengefeges. Nach dem Attentat auf
den alten Kaiſer Wilhelm, in der furchtbaren Aufregung
im Volk, hatte er ein Ausnahmegeſetz gegen die Sozialiſten
durchgebracht, das immer auf 2—3 Jahre gegeben und
dann verlängert wurde. Es herrſchte die allgemeine Vor—
ſtellung, das Sozialiſtengeſetz ſei unentbehrlich, um die
Revolution niederzuhalten. Mit Hilfe dieſer Vorſtellung
hat er auch die Sozialpolitik gemacht, weil die höheren
Kreiſe, die Unternehmerkreiſe, durch das Sozialiſtengeſetz
ebenſo wie durch die Schutzzollgeſetzgebung an ihn gebunden
waren und ſeiner Direktion folgen mußten. Die große
Majorität des Reichstages war bereit, das Geſetz noch
weiter zu verlängern und ſogar dauernd zu machen unter
Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan. 63
Beſeitigung einiger Beſtimmungen, die ſich nach allgemeiner,
auch von vielen Konſervativen geteilter Meinung nicht be—
währt hatten. Herr von Helldorff fuhr nach Friedrichsruh
und erbat ſich von dem Fürſten Inſtruktion, ob die Fraktion
für dieſes neue Sozialiſtengeſetz ſtimmen ſolle oder nicht.
Ein Wort, ein bloßer Wink des Fürſten hätte genügt und
das Geſetz war angenommen. Aber er ſprach dieſes Wort
nicht; er gab überhaupt keine Antwort, woraus Herr
von Helldorff mit Recht ſchloß, der Fürſt möchte zwar
die direkte Verantwortung für die Ablehnung nicht über—
nehmen, wünſche ſie aber. So kam es zu Fall durch
die Stimmen der Konſervativen, das heißt mit anderen
Worten: der Kanzler wünſchte, daß Konfliktsſtoff geſammelt
werden ſolle. Er rechnete darauf, daß ohne ein Ausnahme—
geſetz, wenn er den Reichstag auflöfe, die Sozialiſten Unruhen
erregen würden, die mit Gewalt niederzuſchlagen ſeien. Wenn
dann die Bürgerſchaft durch die Straßenkämpfe genügend
in Schrecken geſetzt ſei, wollte er erklären oder durch den
Kaiſer erklären laſſen: Unter dieſen Bedingungen laſſe ſich
das deutſche Reich nicht regieren; der König von Preußen
lege hiermit die Kaiſerkrone nieder. Dieſer Akt war bereits
vorbereitet durch einen im Jahre 1884 vom Bundesrat gefaßten
und feierlich verkündeten Beſchluß, daß das deutſche Reich
eine freie Föderation der Fürſten ſei, die auch wieder auf—
gelöft werden könne. Gleichzeitig mit der Niederlegung
der Kaiſerkrone aber hätte der König von Preußen ſämtliche
Bundesfürſten aufgefordert, das Reich wieder aufzurichten
unter all den alten Geſetzen und Beſtimmungen, mit der
einen Ausnahme des allgemeinen Stimmrechts, das auch
nicht prinzipiell abgeſchafft, ſondern nur durch eine Aus—
nahmebeſtimmung eingeſchränkt werden ſollte. Dieſes neue
Sozialiſtengeſetz würde vermutlich ſo gelautet haben, daß
64 Bismarcks Staatsſtreich⸗Plan.
durch einen eigenen Gerichtshof jedem, der revolutionärer
Geſinnung überführt ſei, das aktive und paſſive Wahlrecht
entzogen werden ſolle. Um das beſſer kontrollieren zu
können, ſollte zugleich an die Stelle der geheimen die öffent—
liche Abſtimmung treten“).
So zweifellos es mir iſt, daß ein ſolcher Staatsſtreich,
der mit der Verleugnung des Reichsgedankens hätte be—
ginnen müſſen, uns zum Verderben gereicht haben würde,
fo möchte ich doch nicht unterlaſſen einzuſchieben, daß
Bismarck perſönlich darum keineswegs kleiner erſcheint. Denn
ehe man genau ſeinen eigentlichen Plan kannte, glaubte
man, daß er überhaupt keine poſitive Idee mehr gehabt
habe; daß der Recke alt geworden, ſeine Kraft erſchöpft
geweſen ſei. Vielleicht gibt es auch manche, die ſagen, die
Zeit werde noch kommen, wo man es bereuen werde,
daß 1890 nicht nach ſeinem Rat gehandelt worden iſt,
als es noch Zeit war. Ich fürchte nun nichts dergleichen
und ſtelle nur hiſtoriſch feſt, daß Bismarck abgehen mußte,
weil der Kaiſer es ablehnte, ſich auf den Staatsſtreichge—
danken einzulaſſen. Einige andere Differenzen kamen noch
dazu, beſonders in der auswärtigen Politik, da Bismarck
mehr zu Rußland, der Kaiſer mehr zu Ofterreich neigte,
aber dieſe Differenzen waren geringfügig im Vergleich zu
den Gegenſätzen, die hierin früher zwiſchen dem alten Kaiſer
und Bismarck entftanden und überwunden worden waren.
Der entſcheidende Punkt war der Staatsſtreich-Plan. Weil
der Reichstag dem Kanzler mit ſolcher Feindſeligkeit gegen—
überſtand, daß dieſer glaubte, mit friedlichen Mitteln nicht
länger durchkommen zu können, darum hat er zurücktreten
müſſen. Mit anderen Worten: Der Reichstag hat eine un—
*) Das Naͤhere uͤber dieſe Vorgänge: Preuß. Jahrb. Bd. 147, S. 1,
S. 341; Bd. 153, S. 121.
Der Reichstag und Bismarck. 65
geheure Einwirkung auf unſere inneren Zuſtände gehabt und
hat den Gründer des Reichs und ſeinen eigenen Schöpfer
ſchließlich am Abend ſeines Lebens zum Rücktritt gezwungen.
Seine Nachfolger konnten mit dem Reichstag weiter regieren,
weil ihnen nicht die Summe von Haß, Leidenſchaft und
Argwohn entgegengetragen wurde, die in ſeiner 27 jährigen
Amtsverwaltung Bismarck durch die unabläſſigen Kämpfe,
die er nach allen Seiten zu führen hatte, gegen ſich auf—
geregt hatte. Eine geſchloſſene, unbedingt zuverläſſige
Majorität hat er ja in der ganzen Zeit niemals hinter ſich
gehabt und noch nach ſeinem Abgang verſagte der deutſche
Reichtstag dem, der ihn ins Leben gerufen, den einfachen
menſchlichen Glückwunſch zum 80. Geburtstag. Die frei—
ſinnige Partei kam aber nunmehr Caprivi und nachher
Hohenlohe ſoweit entgegen, daß immer wieder, wenn auch
nach wiederholten Auflöſungen, für die entſcheidenden
Forderungen der Regierung, auch beim allgemeinen gleichen
Wahlrecht, Majoritäten haben gefunden werden können.
Ich bin auf dieſe Geſchichte der Entlaſſung Bismarcks
heute deshalb eingegangen, weil ſie noch immer von vielen
Seiten beſtritten wird, im beſonderen aber, weil wir in
ihr das ſtärkſte Zeugnis dafür haben, daß die Vorſtellung,
der Reichstag ſei bei uns eigentlich nur eine Dekoration,
grundfalſch iſt. Gewiß iſt es der Kaiſer geweſen und konnte
nur der Kaiſer ſein, der den Fürſten ſchließlich entlaſſen hat,
aber die moraliſche Autorität des Mannes, der das deutſche
Reich geſchaffen und 27 Jahre an der Spitze der Regierung
geſtanden hatte, war ſo ungeheuer, daß es für den Kaiſer,
der noch ſo wenig Regierungserfahrung hatte, eine moraliſche
Unmöglichkeit geweſen wäre, ſich von ihm zu trennen, wenn
nicht eben der Kanzler durch ſein Verhältnis zur Majorität
des Reichstages ſich in eine unhaltbare Poſition gebracht hätte.
Dualismus.
66 Reichstag und Regierung.
Wir kennzeichnen alſo unſer Regierungsſyſtem am beſten,
wenn wir es ein dualiſtiſches nennen. Der Kaiſer mit den
Bundesfürſten repräſentiert eine in ſich ſelbſt ruhende,
hiſtoriſche Gewalt, die legitime Obrigkeit, die Obrigkeit „von
Gottes Gnaden“, ausgewirkt zu dem regierenden Organismus
des Beamtentums und des Offizierkorps, und neben dieſer
ſpezifiſchen, organiſierten Regierungsgewalt ſteht als über—
aus mächtiges Organ der Kontrolle und der Kritik, deſſen
Zuſtimmung nicht zu entbehren iſt, die Volksvertretung, der
Reichstag. Im Unterſchied davon ſind die parlamentariſchen
Staaten nicht dualiſtiſch, ſondern einheitlich aufgebaut, indem
die Regierung direkt beſtimmt wird vom Parlament, von
ihm eingeſetzt und jeden Augenblick abrufbar. Deshalb
macht auch der deutſche Reichstag einen ganz anderen Ein—
druck als ein engliſches oder franzöſiſches Parlament. Vor
allen Dingen eins: Es iſt eigentlich noch niemals gegen
den deutſchen Reichstag der Vorwurf der Korruption er—
hoben worden, während dieſer Vorwurf doch in den
Parlamentsſtaaten faſt allenthalben immer wieder laut
wird. Dahingegen iſt es ganz klar, daß an poli-
tiſchen Talenten, an Stärke und Bedeutung der Perſön—
lichkeiten die anderen Volksrepräſentionen den deutſchen
Reichstag überragen. Man ſteht bei ſeinen Debatten, wenn
auch viele tüchtige, kluge, eifrige, geſchäftskundige Maͤnner
darunter ſind, doch häufig unter dem Eindruck „kleine
Leute“. Nicht ſelten iſt geſagt worden, der Reichstag habe
einen ſubalternen Zug. Ganz natürlich; Leute von ganz großen
Dimenſionen laſſen ſich ungern in den Reichstag wählen. Es
wird zuviel unfruchtbare Zeit da verbracht, und — es iſt keine
Karriere. In Frankreich liegen die Verhältniſſe ganz anders; ein
junger Mann, der politiſches Talent in ſich fühlt und das Glück
hat, in die Deputiertenkammer zu kommen, iſt dort ſicher, daß
Reichstag und Minifter. 67
er in ein paar Jahren Miniſter oder zum wenigſten Unter—
ſtaatsſekretär fein wird. Er wird es nur auf einige Zeit,
aber er wird es doch, und das befriedigt nicht bloß den
Ehrgeiz, ſondern gibt auch im Dienſt wie außer Dienſt
vielfache Gelegenheit zu Erwerb. Ein Mitglied der franzö—
ſiſchen Deputiertenkammer zu ſein, iſt immer etwas, das
unendliche Perſpektiven eröffnet. Mitglied des deutſchen
Reichstages zu ſein, iſt ehrenvoll, bringt aber keinen Gewinn.
Es iſt nicht die Vorſtufe für einen Miniſter, überhaupt
nicht für eine hohe Stellung. Es kommt ja vor, daß ein
Abgeordneter „etwas wird“; ſo war Miquel Abgeordneter,
bevor er Miniſter wurde. Aber er hat dann ſeine Ver—
gangenheit als Abgeordneter ſo viel wie möglich verleugnet,
und ein ſo bedeutender Mann wie Bennigſen hat es bei
uns niemals zum Miniſter bringen können. Umgekehrt
aber die abgehenden Miniſter, die in den parlamentariſchen
Staaten die ſachkundigſten und gefährlichſten Kritiker ihrer
Nachfolger ſind, laſſen ſich bei uns faſt niemals in den
Reichstag wählen. Hier ſcheint ja nun die Kluft etwa
zwiſchen Frankreich und Deutſchland unendlich. Hier eine
berufsmäßige Regierung mit einer Volksvertretung als eine
Art Kontrollſtation neben ſich, dort die gewählte Volks—
regierung. Aber wie iſt es mit der „Volksregierung“? Wir
haben ja geſehen, daß der Begriff „Volksvertretung“ eine
optiſche Täuſchung iſt. Das „Volk“ hat ja in Wirklichkeit
die Deputierten gar nicht gewählt. Läßt ſich der Volkswille
aber auch auf eine andere Weiſe beſtimmen, als durch Ab—
ſtimmen und Wählen? Als man in der großen franzöſiſchen
Revolution die neue Verfaſſung ausarbeitete, die Freiheit
und Gleichheit begründen ſollte, war man dieſer An—
ſicht. Es heißt da (Titel 3 Abſchnitt 2): „Das Volk,
welches die Quelle aller Gewalt iſt, kann dieſe nur durch
Die wahre Natur
gewählter
Volksvertreter.
Literatur.
68 Der Koͤnig als Vertreter des Volkes.
Stellvertreter ausüben. Die franzöſiſche Verfaſſung iſt
repräſentativ; ihre Repräſentanten find der geſetzgebende
Körper und der König.“ Alſo auch der erbliche König
wird als ein Repräſentant des Volkswillens angeſehen.
Wenn man Volkswillen und Staatswillen gleichſetzt, ſteckt
darin eine unzweifelhafte Wahrheit, eine Wahrheit, die an
Gewicht zunimmt, je mehr man ſich klar macht, wie wenig
Wahrheit in der Darſtellung des Volkswillens durch ge—
wählte Vertreter ſteckt.
Wer regiert denn nun aber in den Staaten, in denen
die obrigkeitliche Gewalt bei gewählten Kammern iſt?
Nachdem wir negativ feſtgeſtellt haben, daß es das
„Volk“ nicht iſt, müſſen wir jetzt poſitiv dieſe Frage beant—
worten.
Für die öffentliche Meinung ſcheint ſie noch gar nicht
aufgeworfen zu ſein; ſie begnügt ſich mit dem Schönklang
des Wortes „Volk“. Aber in der ſtaatswiſſenſchaftlichen
Literatur iſt darüber bereits vollkommen Aufklärung ge—
ſchaffen und ich will die wichtigſten Werke an dieſer Stelle
nennen und überhaupt einige Worte über die einſchlagende
Literatur einfügen.
Nicht gerade viel zu entnehmen iſt aus der oft be—
nutzten „Allgemeinen Staatslehre“ von Georg Jellinek
(2. Aufl. 1905). Es iſt ein ſehr ſcharfſinniges juriſtiſches Werk,
aber ohne hiſtoriſchen Sinn und oft ſogar ohne die nötigen
hiſtoriſchen Kenntniſſe. Mehr ergibt für unſere Zwecke
das jüngſt (1912) erſchienene ſehr umfangreiche Werk von
Wilh. Hasbach: „Die moderne Demokratie“. Es bietet
Stoff in Hülle und Fülle, auch objektiv der Sache nach,
wenn fchon der Verfaſſer im Ton öfter eine ſtarke Ab—
neigung gegen die Demokratie blicken läßt. „Die Ent—
wicklung des Wahlrechts in Frankreich ſeit 1789“ von
Literatur. 69
Adolf Tecklenburg iſt eine wertvolle Monographie.
J. Unold „Politik im Lichte der Entwicklungslehre“, iſt
eine journaliſtiſche Arbeit mit treffenden und hübſchen Be—
merkungen im einzelnen, aber ohne wirkliches Wiſſen.
Über England nenne ich das etwas breit darſtellende, aber
im Wiſſen und Urteil ſehr hoch ſtehende Buch von Lowell,
The constitution of England. Das „Handbuch der Politik“
erſchienen im Verlage von W. Rothſchild, hat zwar viele
angeſehene Namen unter ſeinen Mitarbeitern, der Wert der
einzelnen Beiträge aber iſt ſehr ungleichmäßig. Von durch—
ſchlagender Kraft aber iſt Oſtrogorski „La démocratie
et organisation des partis politiques“ 1903; jüngſt (1912)
in einer zweiten verkürzten Auflage erſchienen. Es enthält
ſehr viel vorzüglich geordnetes und zuverläſſiges Material *).
Dann iſt vor kurzem die zweite Auflage eines Büchleins
herausgekommen: Belloc and Chesterton „The party
system“, eine leidenſchaftlich einſeitige Arbeit. DBelloc war
ſelbſt Mitglied des Unterhauſes und Mitglied der liberalen
Partei, iſt aber erfüllt von Zorn über den Druck der Partei—
diſziplin, die er hat auf ſich nehmen müſſen. Er iſt infolge—
deſſen vielfach verblendet, ſo daß das Buch nur mit Vorſicht
benutzt werden darf. Aber deutſchen Schwärmern für das
Syſtem der Parteiregierung iſt die Lektüre ſehr zu empfehlen.
Belloc trägt das Wichtigſte zuſammen, was ſich dagegen
ſagen läßt.
Auch von konſervativer engliſcher Seite iſt jüngſt eine
Schrift erſchienen von Mac Kechnie“ ), „Die neue Demokratie
und die Verfaſſung“, die ganz ebenſo wie die vorhergehende
) Verlag von Calmann-Lévy, Paris. Die zweite Auflage hat
einen ſehr intereſſanten Nachtrag.
**) William Sharp Mac Kechnie The new democracy and the
constitution. London, John Murray, 1912. XII u. 211 S. 86.
70 Waͤhler und Gewaͤhlte in England.
klagt über die Tyrannei der Parteiherrſchaft, aber während
Belloc hofft, dieſe Tyrannei zu überwinden durch die Fort—
bildung der Demokratie, ſieht Mac Kechnie gerade in der Demo—
kratie die Beſchwerde der Gegenwart und die Gefahr der
Zukunft“). ö
Wer alſo wählt in der modernen Demokratie die ſoge—
nannte Volksvertretung?
Vetrachten wir zunächſt England.
In der Mitte der 60 er Jahre wurde ein ſehr populäres
Buch über das engliſche Regierungsſyſtem von Bagehot
geſchrieben, das auch in Deutſchland viel geleſen worden
iſt und viel Einfluß gehabt hat. Dort wird geſagt, daß
das Volk gewohnt ſei, bei der Wahl nicht einen Mann
ſeinesgleichen zu wählen, ſondern einen höherſtehenden.
Denn aus der alten ariſtokratiſchen Zeit war man gewohnt,
ſich von den beiden vorhandenen Parteien die auszuſuchen,
die man haben wollte, und verlangte nicht, daß der
Repräſentant genau das repräſentiere, was der Wähler
wollte, ſondern nahm an, daß er ſeinen eigenen Verſtand
und ſeine eigene Tendenz zum Ausdruck bringe. Das iſt
wunderſchön von dem großen Staatsmann Burke ſchon
1791 zum Ausdruck gebracht worden, der als der erſte die
verhängnisvolle Wirkung der franzöſiſchen Revolution unter
den europäiſchen Staatsmännern vorausgeſehen hat, und
zu ſeinen Wählern ſagte: „Euer Vertreter ſchuldet Euch
nicht nur ſeine Arbeit, ſondern auch ſein Urteil, und er
verrät Euch, anſtatt Euch zu dienen, wenn er es Eurer
Meinung zum Opfer bringt.“ Es ſoll alſo den Vertreter
) Die Gneiſtſchen Werke uͤber engliſche Verfaſſung nenne ich
nicht mehr, da ſie, bei allem Verdienſt, das ſie ihrerzeit hatten, heute
als veraltet angeſehen werden muͤſſen. Vgl. meine Beſprechung Preuß.
Jahrb. Bd. 55 S. 104 (1885).
Wahlbeteiligung. 7]
fein eigener Verſtand führen, auch wenn es gegen die
Meinung ſeiner Wähler iſt, womit freilich die Vorſtellung
von einem Volkswillen, der regiert vermöge der Wahl, hin—
fällig wird.
Dieſer Reſpekt vor dem Unterhaus iſt nach der ein—
ſtimmigen Meinung aller neueſten Beobachter heute,
nachdem das Wahlrecht ſo ausgedehnt worden iſt, ge—
ſchwunden. Die Wähler ſetzen bei ihren gewählten Ver—
tretern voraus, daß ſie genau nach der Angabe der Partei—
führer und nach dem Parteiprogramm und nach nichts
anderem, etwa gar nach ihrer eigenen Einſicht, abſtimmen.
Dieſe Erſcheinung würde dem demokratiſchen Gedanken völlig
entſprechen, wenn wirklich die regierende Majorität vom
Volke oder wenigſtens von den Wählern gewählt würde.
Im alten England wurden die Wahlen beſtimmt durch
die Patronage oder durch die maßgebenden Perſönlichkeiten
in den Wahlkreiſen, geſtützt auf ihren Einfluß und nach—
helfend durch Geld. Seit den 70er Jahren find an die
Stelle der einzelnen Perſönlichkeiten die Wahlvereine ge—
treten, entweder lokale Vereine oder Landesorganiſationen,
die mit einem amerikaniſchen Ausdruck der „Kaukus“ ge—
nannt werden. Eine Wählerſchaft als Wählerſchaft iſt ja
gar nicht fähig, ſich zu einer Wahl zu vereinigen, ſondern
es iſt dazu notwendig irgendeine Organiſation. Dieſe
muß den Kandidaten ausſuchen, muß ihn den Wählern
vorführen und muß namentlich die ungeheure Maſſe der
Gleichgültigen oder Unſchlüſſigen oder Unaufgeklärten heran—
bringen. Wenn das nicht wäre, würde immer nur ein
ganz kleiner Teil der Wähler bei den Wahlen erſcheinen.
Bei uns, ſelbſt in der ungeheuren Aufregung nach dem
Krieg 1870/71, find nur 51% ũ der Wähler zur Wahl:
urne gekommen. Das hat ſich in den 70—8 er Jahren
Die Wahl⸗
maſchinerie in
England.
12 Selbftergänzung der Megierenden.
auf einige 600/, erhöht, in allerlegter Zeit auf etwas
über 80%; es fehlen alſo ſelbſt heute immer noch
ein gutes Sechſtel? ). Ohne Wahlorganiſation und die
damit zuſammenhängende Agitation iſt überhaupt eine
Wahl, die einigermaßen die Maſſen repräſentiert, nicht
durchzuführen. Das wird von keinem Erfahrenen und
keiner Partei beſtritten werden. Sofort aber ergibt ſich
daraus, daß nun diejenigen Perſönlichkeiten, die die Wahl—
organiſation in der Hand haben und die Agitation be—
treiben, auch ſchließlich die Wahl beſtimmen. Dem
Volke wird der Kandidat ſuggeriert und dann wird durch
die Organiſation die Wahl durchgeführt. Die Wahl—
organiſationen find natürlich in der Hand der Parteiführer
und ihrer zuverläſſigſten Anhänger. Dieſe ſorgen dafür,
daß immer wieder nur ihre Anhänger entweder ins Parla—
ment oder in die leitenden Stellen der Wahlorganiſation
kommen. Die anſcheinende Volkswahl iſt alſo in Wirklich—
keit eine Selbſtergänzung der im Laufe der geſchichtlichen
Entwicklung einmal zur Gewalt gelangten Gruppen, und
das iſt auch der Grund, weshalb die Selbſtändigkeit der
Abgeordneten faſt völlig aufgehört hat und ſie in ſtrengſter
Diſziplin verpflichtet ſind, ſo zu ſtimmen, wie es die
Parteileitung, die Frontbank, wie es in England heißt, vor—
ſchreibt ).
) Lowell II, 73 ſtellt die Stimmzahlen fuͤr die engliſchen Wahlen
zuſammen. Die Beteiligung ſchwankt bedeutend. In England ſtimmten
im Jahre 1906 etwa 80°), 1895 ſtieg die Beteiligung in den
walliſiſchen Städten auf 86,6% und ſank 1900 wieder auf 72,3 %,.
Die geringſte Beteiligung hatten bei dieſen Wahlen die walliſiſchen
Grafſchaften mit 62,8% und London mit 65,1%.
% Lowell J, p. 534 ſtellt feſt, daß der Kaukus einſt gegruͤndet
wurde, um ein wahrhaft demokratiſches Regiment zu organiſieren. Der
große Volksverein ſollte den Liberalismus im Volke repraͤſentieren und
Wahre Natur des engliſchen Unterhauſes. 73
Belloc behauptet auch, es ſei Illuſion zu ſagen, daß
das heutige engliſche Parlament nicht mehr ſo korrupt
fei wie im 18. Jahrhundert; nur die Form der Korruption
ſei anders geworden. Es geſchehe freilich nicht mehr mit
wirklichen Beſtechungen, aber doch ſo, daß die große Maſſe
der Gewählten irgendwelche Vorteile von der Regierung zu
erwarten habe. Er teilt die Vertreter in drei Gruppen:
1. reiche Leute in ihren Wahlkreiſen, die Ehrgeiz beſitzen
und ſich durch die Teilnahme an der Regierung einen
Namen machen wollen; 2. reiche Leute irgendwoher, die
ſehr große Summen in einen geheimen Wahlfonds ſtiften;
3. Rechtsanwälte und Geſchäftsleute, die ihre Parlaments:
mitgliedſchaft irgendwie benutzen, um günſtige Verhältniſſe
auszukundſchaften und auszunützen für die Geſchäfte, die
ſie betreiben.
Ich möchte mir erlauben, eine vierte Gruppe hinzuzu—
fügen, nämlich die ehrlichen Patrioten, an denen es auch
in England, wie anderswo, nicht fehlt, und ſchließlich werden
dieſe Gruppen ſich nicht ſo ſcharf voneinander ſondern,
ſondern vielfach ineinander übergehen. Es iſt aber richtig,
daß die geſchloſſenen Parteien zuſammengehalten werden
eben durch die Wahlmaſchinerie und zum großen Teil auch
durch den direkten Vorteil, der vielen von den Mitgliedern
winkt. Das würde ja nun gegen die Vorſtellung, das
Volk ſei es, das zum Unterhaus wählt und dadurch regiert,
noch nichts beſagen, wenn das Volk es wäre, das die
Wahlorganiſationen beherrſchte, aber da ſetzt nun Belloes
Hauptargument ein: In Wirklichkeit iſt die Führerſchaft
jetzt ſo geſchloſſen, daß man ſagen kann, das demokratiſche
das Volk ſelbſt in ihm die Politik beſtimmen. Das iſt voͤllig geſcheitert.
Die Verſammlungen ſind mehr und mehr ſtreng auf die Akklamation
und vorher von den Fuͤhrern feſtgeſtellte Reſolutionen beſchraͤnkt worden.
74 Kooptation der Regierenden.
England hat eine regierende, ſich ſelbſt ergänzende Ariſto—
kratie. Dieſer Kreis von Familien, die häufig unter ſich
verwandt ſind, beſtimmt durch den Wahlkaukus und die
Einzelwahlorganiſationen die Wahlkandidaten, und durch
die Gewählten werden ſie wieder ſelbſt gewählt, ſo daß
eine Art Wechſelwirkung beſteht und tatſächlich eine Re—
gierung exiſtiert, die ſich ſelbſt kooptiert und eventuell durch
eine zweite Gruppe, die ſich ebenſo durch Kooptation er—
gänzt, erſetzt werden kann. Der Einfluß der Wählerſchaft
iſt darauf befchränft, daß die regierenden Kreiſe, ſich
ſelber ergänzend, doch gezwungen ſind, auf die Volks—
ſtimmungen und -ſtrömungen Rückſicht zu nehmen. Sie er—
gänzen ſich nicht willkürlich, nicht ausſchließlich nach Vetter—
ſchaft und Freundſchaft, ſondern ſie ergänzen ſich auch
möglichſt durch Talente, mit denen ſie hoffen, ihre Partei
und ihre Gruppe zu verſtärken. Wenn ſie das nicht täten,
würde ein Teil der Wähler übergehen zur anderen Partei,
und dann wären ſie aus der Regierung heraus.
Ob dieſes Syſtem gut oder ſchlecht wirkt, davon ſprechen
wir jetzt nicht. Wir ſprechen nur davon, ob es Wahrheit
oder Illuſion iſt, daß das engliſche Unterhaus vom Volk
gewählt wird, und wir haben nun gefunden: Es iſt in der
Tat eine Illuſion; aber doch keine vollſtändige, wie die
modernen Kritiker behaupten, weil und inſofern die re—
gierenden Gruppen fortwährend genötigt ſind, auf das Volk
Rückſicht zu nehmen. Es iſt nicht eigentlich die Wahl, die
dem Volke Geltung verſchafft, ſondern die Fühlung, die
die regierenden Parteien immer mit dem Volk aufrecht er—
halten müſſen. Sehr ſorgfältig wird aber die Illuſion am
Leben erhalten, als ob wirklich in den Volkswahlen ein
Volkswille zum Ausdruck komme, und obgleich es ſo leicht
kein Unterhausmitglied wagen darf, anders zu ſtimmen,
Fiktion eines regierenden Unterhauſes. 75
als der Parteiführer angibt, ſo wird doch auch da die Fiktion
der Selbſtändigkeit aufrecht erhalten dadurch, daß große
Debatten ftattfinden, Anfragen an das Miniſterium gerichtet
werden, Mißtrauensvoten beantragt werden uſw. Aber die
Freiheit, die ſich darin zeigt, beſchränkt ſich in Wahrheit
auf die beiden Frontbänke, d. h. die Parteiführer hüben
und drüben. Als das Buch von Belloc herauskam, be—
ſtätigte auch die „Frankfurter Zeitung“, die doch ein extrem
demokratiſches Organ iſt, die Behauptung Belloes, daß
die Interpellationen und Anfragen beim Miniſterium, die
das Mitregieren der Abgeordneten zum Ausdruck bringen
ſollen, ganz wertlos ſeien, ſei vollſtändig wahrheitsgemäß.
Die Anfragen, ſchrieb der Korreſpondent, werden entweder
ironiſch oder ausweichend beantwortet, und wenn das
fragende Mitglied näher darauf eingehen will, ſchneidet ihm
der Sprecher das Wort ab: Die Frage ſei bereits genügend
beantwortet.
Dieſer Zuſtand wird immer mehr als ein ſchwer zu die Abhängig—
ertragender und beinah unwürdiger Druck empfunden. Es „geerbte
iſt deshalb ſchon der merkwürdige Vorſchlag gemacht von ihrer Partei
worden, es ſollten im Unterhaus die Abſtimmungen geheim
ſtattfinden, weil der einzelne Abgeordnete ſich jetzt nicht
trauen kann, mit ſeiner wirklichen Überzeugung herauszu—
kommen. Auf der anderen Seite will man gerade um—
gekehrt die Oligarchie in der Partei dadurch bekämpfen,
daß man der Wählerſchaft das Recht geben will, jeden
Augenblick einzugreifen und den Vertreter abzuberufen.
Den Gedanken, daß das engliſche Parlament, und in
Frankreich, Amerika naturgemäß ganz ähnlich, tatſächlich
eine ſich ſelbſt ergänzende Oligarchie darftellt, können wir
noch auf ein anderes Gebiet verfolgen, wo es uns noch mehr
angeht, und wo dieſelbe Erſcheinung noch viel en iſt.
Delbrück, Regierung und Volkswille.
Die Oligarchie
in der deutſchen
Sozial⸗
demokratie.
76 Robert Michels.
Ich mache Sie aufmerkſam auf das Buch von Robert
Michels, Profeſſor in Turin: „Zur Soziologie des Partei—
weſens in der modernen Demokratie“ 1911. Michels iſt
ein deutſcher Gelehrter, der einmal den Verſuch gemacht
hat, obgleich er Sozialdemokrat war, ſich in Jena zu
habilitieren. Es wurde ihm aber bedeutet, daß in Jena
Privatdozenten zur Habilitierung der Beſtätigung der Re—
gierung bedürfen, und dieſe ihm ſchwerlich zuteil werden
würde. Er iſt darauf nach Italien gegangen und iſt jetzt
Profeſſor in Turin. Das war ein ſehr bedauerlicher Zwiſchen—
fall im deutſchen Univerſitätsleben. Die Freiheit der Wiſſen⸗
ſchaft verlangt, daß unbedingt alle Parteien zur Habi—
litation zugelaſſen werden. Die Fakultäten haben nichts
zu konſtatieren als die wiſſenſchaftliche Qualifikation und
die moraliſche Unbeſcholtenheit und ſich dann darauf zu
verlaſſen, daß Parteianſichten vermöge der nie raſtenden
Selbſtkritik der Wiſſenſchaft ihre Korrektur finden. Im vor—
liegenden Falle freilich iſt es eine Art Glück, daß Michels
in Deutſchland von den regierenden Kreiſen ſchlecht be—
handelt worden iſt: Nun iſt er wenigſtens vor dem Ber:
dacht geſichert, etwa das, was wir gleich hören werden,
aus gouvernementaler Liebedienerei geſchrieben zu haben.
Michels hat nämlich ſein Buch dem eingehenden Nach—
weis gewidmet, daß ſogar innerhalb der ſozialdemokratiſchen
Partei tatſächlich die Demokratie bereits völlig aufge—
hoben und durch eine regierende Oligarchie erſetzt iſt. Er
ſagt gleich in der Vorrede: Die Demokratie beſteht in einer
Oligarchie. Eine Parteivertretung bedeutet eine Herrſchaft
der Vertretenden über die Vertretenen.
Der Mangel an geiſtigem Kontakt in der großen Maſſe,
führt er weiter aus, mache es ganz unmöglich, daß die
Maſſe ſelber einen direkten Willen kundgebe. Auch die
Oligarchie in der Sozialdemokratie. 11
Notwendigkeit, in dem politiſchen Parteikampf ſchnell Be:
fehle zu erteilen, Direktiven zu geben, alles das verlange
Führer, und weiter verlange das Leben der Partei eine
Organiſation mit einem Beamtenapparat und zwar einem
bezahlten Beamtenapparat.
Der Sozialdemokratie leiſten oft Mitglieder mit großem
Eifer freiwillige Dienſte im Zettelaustragen u. dgl.,
aber ſolche Vorgänge ſtellen nur die Ausnahme von der
in der Sozialdemokratie herrſchenden Regel dar, daß jede
ihr geleiſtete Arbeit, von der kleinſten Zeitungsnotiz bis zur
längſten Verſammlungsrede, honoriert wird. Dieſes Syſtem,
das im ganzen vom Heroismus und Enthufiasmus abftrahiert
und auf ſpontane Freiwilligendienſte Verzicht leiſtet, dafür aber
die Arbeitsfähigkeit der Parteimitglieder in ſeinen geregelten
und beſoldeten Dienſt ſtellt, verleiht der Partei eine unge—
meine innere Geſchloſſenheit, eine Macht über ihr eigenes
Menſchenmaterial, die zweifelsohne häufig der Elaſtizität,
der Initiative, endlich auch dem Geiſt des Sozialismus
Abbruch tut, gleichzeitig aber eine ihrer wichtigſten und un—
entbehrlichſten Grundlagen bildet.
Wir ſehen unſere Sozialdemokratie in einer doppelten
Organiſation vor uns: 1. die eigentliche Parteiorganiſation,
2. die Gewerkvereine. Die Gewerkvereine ſind ja prinzipiell
nicht Parteiorganiſationen, praktiſch aber ſind ſie es dennoch.
Es iſt ja das Wort geprägt worden: „Gewerkſchaft und
Sozialdemokratie ſind eins.“ Nun ſind die Gewerkvereine
ſehr viel ſtärker und zahlreicher als die Partei, und da ſie
praktiſche Zwecke verfolgen, haben fie viel größere Mittel.
Sie ſind aber ganz ſcharf zentraliſtiſch organiſiert. Der
Gewerkſchaftsvorſtand ernennt die Vorſtände der Lokal—
organiſationen. Die Lokalorganiſationen wählen Abgeordnete,
die wieder den Gewerkſchaftsvorſtand bilden. Das ſcheint
6 *
78 Oligarchie in der Sozialdemokratie.
durchaus demokratiſch. In Wirklichkeit aber dirigieren die
vom Zentralvorſtand ernannten Beamten die Wahlen, der
ſich alſo dadurch in ſeinen eigenen Wählern gefügige Werk—
zeuge ſchafft. Auch wo die in dieſer Art organiſierten Gewerk—
ſchaften nicht die politiſchen Wahlen machen, werden ſie
gemacht, nicht von der Maſſe ſelbſt, ſondern von irgend—
einer Organiſation. (Michels S. 51.)
In den großen Städten ſondert ſich durch den Prozeß
ſpontaner Selektionen ein enger Kreis von regelmäßigen
Verſammlungsbeſuchern und Teilnehmern an den Beſchlüſſen
der Organiſation von der organiſierten Maſſe ab. Dieſer
ſetzt ſich, den Bigotten in der Kirche vergleichbar, aus
Pflichtbewußten und aus Gewohnheitsläufern zuſammen.
Der Kreis iſt in allen Ländern ein enger, die Mehrzahl der
Organiſierten bringt der Organiſation dieſelbe Gleichgültig—
keit entgegen wie die Mehrheit der Wählerſchaft den
Parlamenten.
Die Aufſtellung der Parteikandidaten zu den Parlaments:
wahlen hängt faſt ſtets von einer kleinen, durch die lokalen
Ober- und Unterführer gebildeten Clique ab, welche dem
Gros der Parteigenoſſen die ihr genehmen Kandidaten
ſuggeriert. Häufig wird der Wahlkreis geradezu als Familien—
gut betrachtet. Im demokratiſchen Italien iſt es nicht ſelten,
daß beim Ableben oder Verhindertſein des Vaters, älteren
Bruders uſw. der Wahlkreis ohne weiteres auf den Sohn,
jüngeren Bruder uſw. übergeht, alſo in der Familie bleibt.
Der Marxismus geht von dem Satze aus, daß mit der
Zeit alles Beſitztum ſich in einigen wenigen Händen kon—
zentrieren muß, und nun ſchleudert ihm einer der Partei—
genoffen den Satz entgegen (S. 125): „Die Machtkonzen—
tration in der marxiſtiſchen Partei iſt offenſichtlicher als
die Kapitalskonzentration im Wirtſchaftsleben. Nicht die
Demagogen als Höflinge des Volkes. 79
Wählerſchaft entſcheidet über die Kandidaten, ſondern die
Vorſtände der Parteien.“ Mit den ſchärfſten Mitteln und
Drohungen, z. B. jede Hilfe in der Agitation zu verweigern,
würden mißliebige Perſönlichkeiten aus der Kandidatur ent—
fernt. Die Folge ſei Byzantinismus und Kadavergehorfam,
Als Beiſpiel für dieſen Gehorſam führt Michels S. 137
an, daß gemäß dem erteilten Wink das Gros der Delegierten
auf dem Parteitag 1904 den Generalſtreik als Generalunſinn
verwarf, ihn 1905 proklamierte und ihn 1906 in die Kinder:
ſtube der Utopien zurückwies.
Mit der Bildung des Führertums zugleich beginnt durch
die langjährige Amtsdauer ſein kaſtenmäßiger Abſchluß.
Nur wenn die herrſchende Klaſſe den Bogen gar zu ſehr
überſpannte, könnte einmal die Parteimaſſe revolutionieren
und aktiv dagegen auftreten.
Die Verehrung und Nachahmungsſucht der Maſſen,
ſagt Michels, gegenüber den Führern ſei ganz ähnlich wie
in der höfiſchen Geſellſchaft; ſie würde, wie jemand von
dem Hofe Ludwig XIV. geſagt hat, in komplette Idololatrie
ausarten, wenn die Führer ſich auch noch einfallen laſſen
ſollten, gute Menſchen zu ſein. Aber wie am Hofe ſeien
die Führer in einem fortwährenden ſtillen Kampf unter—
einander um die Führerſtellen. „Daher in allen modernen
Volksparteien jener tiefe Mangel an wahrhaft brüderlichem
Geiſt, an menſchlichem Vertrauen.“ Die Führer der Gewerk—
ſchaften geſtänden auch das Streben nach einer oligarchiſchen
Regierung ſchon offen zu (S. 141).
Dasſelbe iſt übrigens vor etwa 20 Jahren ſchon in
Frankreich einmal geſagt worden. 1884 erſchien ein Buch
„Handbuch des Demagogen“ von Raoul Frary, über:
ſetzt von Oſtmann, worin das ganze Parteiweſen Frankreichs
geſchildert und geſagt wird: Der moderne Demagog iſt
Franz Mehring.
80 Franz Mehring.
der Höfling der Maſſe. Genau mit denſelben Mitteln der
Schmeichelei, der Beſchönigung, dem Zuwillenſein, wie die
Höflinge den König für ſich zu gewinnen ſuchen, um dann
durch ihn und über ihn zu herrſchen, ſo ſucht der Demagog
die Maſſen für ſich zu gewinnen; und wir haben in Michels
jetzt das Zeugnis, wie weit es damit tatſächlich ſchon ge—
kommen iſt. Je mehr die Maſſenorganiſation wächſt, deſto
mehr, ſtellt Michels mit Bedauern feſt, verliert ſie an revo—
lutionärer Dynamis; man vermeide ängſtlich, den Staat gar
zu ſehr zu reizen, damit er die koſtbare Parteiorganiſation,
die fo vielen Leuten Brot gebe, nicht etwa gar zerſtöre.
Es iſt ja auch von anderer Seite längſt vorausgeſagt
worden, daß, je größer eine ſolche Revolutionspartei wird,
ſie ihrem Ziel einer wirklichen Revolution nicht näher kommt,
ſondern ſich innerlich von ihm entfernt.
Geſtatten Sie mir hier wieder eine kleine perſönliche
Reminiſzenz einzuflechten. Ich hielt im Jahre 1912 die
Feſtrede in der Univerſitätsaula und hatte mir das Thema
gewählt: „Geiſt und Maſſe in der Geſchichte“. (Abgedr. im
Febr.⸗Heft d. Preußiſchen Jahrbücher 1912), worin ich nach—
zuweiſen verſuchte, daß die Maſſe als ſolche nicht aktions⸗
fähig iſt, ſondern daß es erſt die Organiſation, d. h. der
Geiſt iſt, der die Maſſe aktionsfähig macht, ſo daß die An—
titheſe: Maſſe gegen Geiſt falſch iſt; wo Maſſe in Bewe—
gung iſt, muß Geiſt ſein; ſonſt iſt die Maſſe tot. Ich
ging aus von den Maſſenheeren in der Geſchichte und
legte den ſo feinen wie gewaltigen Organismus dar, der
notwendig iſt, um dieſe Maſſen zu bewegen. Darauf kam
eine Antwort in der Leipziger Volkszeitung, zweifellos aus
der Feder von Franz Mehring (es hatte unmittelbar vorher
die Reichstagswahl mit dem großen Sieg der Sozialdemo—
kraten und ihren 110 Mandaten ſtattgefunden). Dieſe
Mehring. 81
Rede von Delbrück, ſagte etwa Mehring, den ich, beiläufig
bemerkt, für den bei weitem befähigtſten wiſſenſchaftlichen
Kopf in der Sozialdemokratie halte, dieſe Rede iſt gleich—
ſam eine Antwort auf unſeren Wahlſieg. Es iſt zwar
nicht ausgeſprochen, aber es iſt ſo gemeint. Indem ich
dargelegt hätte, wie kraftlos die Maſſen an ſich ſeien,
meint Mehring, hätte ich zu verſtehen geben wollen, daß
wir uns nicht vor ihnen zu fürchten brauchten. Denn mit
der Organiſation könne man ſich einmal auseinanderſetzen;
mit den Führern ließe ſich auf dieſe oder jene Weiſe irgend—
ein Abkommen treffen. Ich habe dieſe Schlüſſe nicht ge—
zogen, kannte auch damals das Buch von Michels noch
nicht, aber in der Tat, Mehring hatte nicht ſchlecht in meiner
Seele geleſen. Ich war begierig, wie der Artikel enden
würde, wie er den von ihm ſelbſt gezogenen, ſozuſagen in
mich hineinprojizierten Schluß wieder aufheben, wie er
ihm entgehen würde. Mehring hofft, daß infolge der
außerordentlichen Steigerung der Produktivität der Arbeit
im Zukunftsſtaat eine Geſellſchaft ohne Ausbeutung ent—
ſtehen werde. Wo aber die Ausbeutung fehle, fehle auch
die Herrſchaft einer ausbeutenden Klaſſe; da fehle alſo
auch das Monopol der geiſtigen Bildung, und dieſe würde
zum Allgemeingut werden. Wenn aber erſt die Maſſe
dieſelbe Bildung habe, wie die Führer, dann bedürfen ſie
auch keiner Führer mehr, ſondern führen ſelbſt. Mit dieſer
Maſſe gäbe es dann auch kein Paktieren und keine Kom—
promiſſe, ſondern bloße Übergabe.
Seien wir Mehring zunächſt dankbar für den Blick, den er
uns in den ſonſt ſo ängſtlich hinter dem Schleier des Geheim—
niſſes verwahrten Zukunftsſtaat hat tun laſſen. Daß der
Reichtum der Menſchheit dann ins Unermeßliche ſteigen werde,
iſt fchon früher zuweilen verſichert worden. Während man
82 Der Zukunftsſtaat.
ſonſt annimmt, daß gerade der Kapitalismus mit ſeinem
Lohn für Fleiß und Intelligenz die Vervollkommnung der
Technik und die ungeheure Steigerung der Produktion
hervorgerufen habe, ſoll in Zukunft ohne ſolchen Lohn für
den Einzelnen und bei viel geringerer Arbeit der Maſſe die
Produktion noch viel mehr ſteigen. Unterdruͤcken wir unſere
Zweifel und hören, was der Reichtum für Bildungsfolgen haben
wird. Alle Menſchen werden der gleichen, höchſten Bildung
teilhaftig werden. Alle Volksſchulen alſo werden in Gymnaſien
verwandelt und dann ſtrömen die Maſſen, Männlein wie
Fräulein in die Univerſitäten. Was würden die Auditorien
da voll werden! Wo aber iſt geſagt, daß die Menſchen,
wenn fie erſt gebildet genug find, keiner Organifation und
keiner Führer mehr bedürfen? Sollte Mehring wirklich
den Genoſſen haben ſagen wollen, daß ſie ihrer heutigen
Führer nur bedürften, weil ſie ſelber noch zu dumm ſeien?
Ein erfahrener Mann dürfte ſagen, daß ganz umgekehrt
die Gebildeten erſt recht der Organiſation und der Führer
bedürfen, um einen einheitlichen Willen herzuſtellen, weil
jeder einzelne ſich zur Selbſtändigkeit berufen wähnt. Die
Gebildeten des Zukunftſtaats mögen vielleicht anders ſein —
aber für unſere Frage handelt es ſich ja gar nicht um den Zu—
kunftsſtaat, ſondern um die Gegenwart, um die Frage, ob
in den nächſten zehn, zwanzig, dreißig Jahren die Führer der
Sozialdemokratie für Kompromiſſe zu haben ſein werden
oder nicht. Für dieſe Übergangszeit, wie wir ſie Mehring
zu Gefallen einmal nennen wollen, ehe wir die gymnaſiale
und akademiſche Maſſenbildung durchgeführt haben, bedarf
es ja auch nach ihm der Organiſation und alſo auch der
Führer, und ob dieſe Führer ihre Macht benutzen werden,
die Revolution zu machen und einen allgemeinen Umſturz
herbeizuführen auf die Gefahr hin, nicht den beſtehenden
Methode der Geſetzgebung in England. 83
Staat und die beſtehende Geſellſchaft, ſondern ſich ſelbſt
zugrunde zu richten, oder ob ſie vorziehen werden von Fall
zu Fall Kompromiſſe zu ſchließen, das iſt die Frage, deren
zweite Eventualität Mehring als verkehrt und ausgeſchloſſen
nachweiſen wollte. Hat er das getan? Wir duͤrfen das ge—
troſt verneinen und halten dafür das Zugeſtändnis feſt,
das auch dieſer Vertreter der radikalſten Sozialdemokratie
wenigſtens mittelbar nicht hat vermeiden koͤnnen, daß das
Volk im politiſchen Sinne, wie es jetzt iſt, immer nur aktiv
werden kann in Organiſationen, und wir fuͤgen hinzu, daß
ſogar die ſozialdemokratiſche Partei, die demokratiſchſte,
die es gibt, ſich eine Organiſation gegeben hat, die ihre
Anhängerſchaft aus den Entſcheidungen tatſächlich aus—
ſchaltet und das Regiment ganz und gar in die Hände
einer ſich ſelbſt ergänzenden Führerſchaft legt.
Nachdem wir nunmehr das Weſen der repräſentativen
Regierungen auch nach der poſitiven Seite aufgehellt haben,
können wir uns der Frage zuwenden, ob bei dem engliſchensss ift der Ein-
Syſtem des Parlamentarismus oder bei dem deutſchen f n 56
Syſtem des Konſtitutionalismus das Volk einen größeren Regierung am
Einfluß auf die Geſetzgebung hat. Wir wollen uns das Geben
gleich mit einer ganz konkreten Erſcheinung beantworten.
Im Burenkrieg beantragte am 5. März 1900 die Regierung
in London, die Koften des Krieges aufzubringen durch eine
Erhöhung der Einkommenſteuer auf 7%, ͤ einen ſehr hohen
Satz, durch neue Stempelſteuern, Bierſteuer, durch eine
Spiritusſteuer, durch eine Tabakſteuer, durch einen Teezoll.
Namentlich der letztere belaſtet die große Maſſe in England
ſehr ſtark. Am 5. März wurde das Geſetz im Unterhaus
eingebracht, am 7., ohne ein Wort daran zu ändern, an—
genommen und am nächſten Tage in Kraft geſetzt. Ebenſo
im April 1901 für die weiteren Kriegskoſten nochmals Er—
84 Methode der Geſetzgebung
höhung der Einkommenſteuer um faſt 1%è und ein Zucker⸗
zoll. (Zucker wird in England ſehr viel konſumiert). Dazu
kam, nach einer eigentümlichen neuen Idee, ein Kohlenaus—
fuhrzoll, über den ſich nicht nur von finanzieller, ſondern
auch vom wirtſchaftlichen Standpunkt aus ſehr viel ſagen
läßt. Am 18. April wurde das Geſetz eingebracht, ange—
nommen, eingeführt, ohne daß das Unterhaus gegen dieſe
koloſſalen wirtſchaftlichen Laſten und die Art der Verteilung
wie die Organiſation irgendwelche Einſprüche erhoben
hãtte.
Soeben haben wir das Gegenſtück bei uns erlebt.
Alle Welt iſt erſtaunt, daß der Reichstag binnen wenigen
Wochen eine ganz außerordentlich große Steuervorlage
direkter wie indirekter Steuern bis zur Geſetzesreife ge—
bracht hat, und zwar hat er nicht die von der Regierung
eingebrachten Vorlagen einfach angenommen, ſondern ſie
durch und durch umgearbeitet. Jeder Paragraph iſt in
der Kommiſſion durch zwei oder drei Leſungen durchge—
hechelt worden, oft find die gefaßten Beſchlüſſe wieder ver:
worfen, wieder neue Verhandlungen geführt worden; noch
zwiſchen der zweiten und dritten Leſung iſt Weſentliches ge—
ändert worden. 1909 ſind ſogar vom Reichstag ganz neue
Prinzipien aufgeſtellt, ganz andere Steuern, als von der
Regierung beantragt, erdacht und beſchloſſen worden. Ganz
ſo war es bei vielen anderen Geſetzen, beſonders bei der
Sozialgeſetzgebung. Jede einzelne Beſtimmung dieſes Kom—
plexes von Geſetzen iſt mit der geſamten Volksvertretung
bis ins einzelne durchgearbeitet worden. Und das iſt nicht
etwa ein Ausnahmefall, ſondern wird bei uns als das
Natürliche und Notwendige angeſehen. Auch die Oppoſitions—
parteien geben ſich doch alle Mühe, Geſetze, die ſie im ganzen
verwerfen, wenigſtens im einzelnen fo verſtändig wie mög⸗
in Deutſchland. 85
lich zu geſtalten, und oft werden ihre Verbeſſerungs—
anträge angenommen. Selbſt im Plenum werden die
Geſetze ſo eingehend beraten, daß ſich ein großer Teil auch
der politiſch intereſſierten Staatsbürger in Deutſchland ab—
gewöhnt hat, die Reichstagsverhandlungen zu leſen, wenigſtens
ſehr genau zu leſen, weil die Details den einzelnen nicht
intereſſieren.
Wer hat dieſe Geſetze beſchloſſen? Immer anders kom- Regierung und
binierte Majoritäten. Vor 1½ Jahren wurden drei große Kerl
Geſetze ziemlich gleichzeitig zum Abſchied gebracht, eins im
preußiſchen Landtag, zwei im Reichstag. Im Landtag
wurde das Feuerbeſtattungsgeſetz angenommen mit Hilfe
eines Teils der Konſervativen, der Freikonſervativen, der
Nationalliberalen, der Freiſinnigen und der Sozialdemokraten.
Die Majorität war ſo gering, daß die ſechs Sozialdemokraten
den Ausſchlag gaben gegen das Gros der Konſervativen,
das Zentrum und die Polen. Gleichzeitig wurde die neue
Verfaſſung für die Reichslande Elſaß-Lothringen im Reichs:
tag beſchloſſen gegen einen Teil der Konſervativen, einen
Teil der Freikonſervativen, die Antiſemiten und Polen, mit
Hilfe eines anderen Teils der Freikonſervativen, des Zentrums,
der Nationalliberalen, der Freiſinnigen und wieder der Sozial—
demokraten. Derſelbe Reichstag ſchuf gleichzeitig das Rieſen—
werk der Reichsverſicherungsordnung. Das Geſetz wurde
angenommen in einem Zuſammengehen der Konſervativen,
der Freikonſervativen, des Zentrums, der Nationalliberalen
und eines kleinen Teils der Freiſinnigen gegen das Gros
der Freiſinnigen und die Sozialdemokraten. Sie ſehen
alſo, daß die Majorität nicht nur ganz verſchieden zuſammen—
geſetzt war, ſondern daß gleichzeitig verſchiedene Majoritäten
in Bewegung geſetzt wurden. Man kann alſo bei uns von
Freunden und Gegnern der Regierung ſchlechthin gar nicht
86 Einfluß des Volkes in England.
ſprechen, was in England immer der entſcheidende Punkt
iſt. Bei uns ſtimmen alle Parteien zeitweilig für, zeit—
weilig gegen die Regierung. Geſtern haben wir das bei—
nahe ungeheuerliche Bild gehabt, daß eine große Steuer
angenommen wurde mit allen Stimmen, die Sozialdemo—
kraten eingeſchloſſen, gegen die Konſervativen und die Polen.
Kommen wir nun auf die Frage: Wo hat die Volks—
vertretung eine ſtärkere Einwirkung auf die Geſetzgebung,
in London oder in Berlin? Man müßte ſagen, in London,
ſolange man daran feſthält, daß die Regierung dort nichts
iſt als der Ausdruck des Volkswillens. Der Dualismus
exiſtiert ja nicht, ſondern die Führer der Majorität bringen
die Geſetze ein und ihre Gefolgſchaft nimmt ſie an, ſolange
ſie ſich gegen ihre Führer nicht auflehnt. Es wäre alſo
alles in Ordnung, wenn es wahr wäre, daß das Unterhaus
den Volkswillen repräſentiert. Wir wiſſen ja aber, daß
das nur mit großer Modifikation gilt. Es repräſentiert
nicht das Volk, es repräſentiert nicht einmal die Wähler—
ſchaft, es repräſentiert auch häufig nicht einmal die Majo—
rität der Wählerſchaft, ſondern, wie wir wiſſen, handelt es
ſich in Wirklichkeit um ein Gremium von Politikern, das
ſich in freier Weiſe ſelbſt ergänzt und nur in dauernder
Fühlung mit einem größeren oder kleineren Teile des
Volkes iſt. Wenn die herrſchende Partei dauernd an der
Regierung bliebe, würde die Minorität, vielleicht ſogar die
Majorität der Wähler dauernd ausgeſchloſſen ſein. Aber
indem die Regierung wechſelt, die Parteien — bald dieſe,
bald jene — das Ruder in die Hand nehmen, ſo kann
man doch wohl ſagen, daß das geſamte Volk, wenn es
auch nicht gleichzeitig, wie bei uns, mitwirkt, doch eben in
der Abwechſlung ſtark auf die Regierung einwirkt. Ob
ſtärker, das iſt die Frage, weil man es nicht abmeſſen
Einfluß des Volkes in Deutſchland. 87
kann, wie weit wirklich der Wille der Millionen einzelner
Wähler bei den Wahlen den Ausſchlag gibt. Die radikalen
Kritiker ſind ja, wie ich vorgetragen habe, ſo weit gegangen,
zu behaupten, daß das Volk überhaupt ausgeſchaltet ſei;
in Wirklichkeit ſei das Wählen die Mache von Demagogen,
die dem Volk einen blauen Dunſt vormachten. Das iſt
offenbar zu viel behauptet. Denn immerhin müſſen dieſe
Demagogen ſo geſchickt ſein, daß ſie die Maſſen bei den
Wahlen hinter ſich herziehen, und immer muß darauf
Rückſicht genommen werden, daß, wenn man die Maſſen
gegen ſich erregte, ſie zu der konkurrierenden Partei über⸗
gehen würden. Darum beſteht, um es zu wiederholen, in
England die ſtärkſte Einwirkung, die das Volk ausübt,
nicht ſowohl in der Abgabe der Wahlzettel als in der
Beſorgnis der regierenden Männer, die aus Ehrgeiz, des
Vorteils wegen und auch aus Überzeugung die Regierung
zu behalten wünſchen und nach ihren Ideen den Staat
lenken wollen. Wenn ſie eine ſtarke Stimmung gegen ſich
erregen, werden viele Wähler aus ihrer Partei übergehen
in die andere, und ſomit würde die Regierung in andere
Hände kommen. Es handelt ſich, wie wir geſehen haben,
um gar nicht viele, die bei einem ſolchen Wechſel den Aus⸗
ſchlag geben. Ich gebe alſo auf die Frage, wo das Volk
einen ſtärkeren Einfluß auf die Geſetzgebung hat, in Eng—
land oder bei uns, keine poſitive Antwort. Es hat ihn offen⸗
bar in England; es hat ihn offenbar auch bei uns. Wenn
im allgemeinen die Meinung herrſcht, daß England ein
mehr populares Regiment habe als Deutſchland, ſo iſt darin
etwas Wahres, aber nicht eigentlich in bezug auf die Ge—
ſetzgebung. Dieſe Meinung iſt in der Hauptſache darauf
zurückzuführen, daß der ganze Staatsorganismus in Eng⸗
land viel lockerer iſt als bei uns. Wir haben den ungeheuer
Geſchichtliche
Analogien.
Die Verfaſſung
des alten Athen.
88 Straffheit und Lockerheit des Staats⸗Organismus.
ſtraffen Aufbau unſeres ganzen Staatsweſens, von der all:
gemeinen Wehrpflicht und allgemeinen Schulpflicht an,
während drüben alles viel läſſiger, breiter iſt. Nicht bloß
in England, auch in anderen Staaten kommt derſelbe Unter—
ſchied in Betracht. Dieſes Verhältnis wird es hauptſächlich
ſein, was die Vorſtellung erweckt, daß das Regiment über—
haupt dort populärer ſei. Wenn wir uns aber in die
Wirkſamkeit der Arbeitsmaſchine der Geſetzgebung verſetzen,
dann ſehen wir, wie außerordentlich bedeutend, weil auf
die Einzelheiten wirkend, gerade bei uns die gewählten
Volksvertreter tatſächlich ſind.
Die Frage, die ich hier aufgeſtellt habe, lautet wohl—
gemerkt nicht: „Wo iſt ein beſſeres Regierungsſyſtem?“,
ſondern fie lautet: „Wo hat das Volk eine ſtärkere Ein:
wirkung auf die Regierung?“ Die Fragen ſind nicht iden—
tiſch, was natürlich nicht ausſchließt, daß ich ſpäter auch
noch zu entwickeln ſuche, welche Vorzüge das eine Syſtem
und welche das andere hat.
Ehe wir aber dazu ſchreiten, lade ich Sie ein zu einem
Spaziergang durch die Weltgeſchichte. Ich werde Ihnen
eine Reihe von Abſchnitten vorführen, in denen die jetzt
gewonnenen Begriffe vom Weſen der Repräſentation, der
Wahl, der Majorität im Verhältnis zur Regierung, in
früheren Epochen ſchon bemerkbar wurden. Wir wollen
unſere Kenntniſſe zu erweitern und zu vertiefen ſuchen, weil
das uns helfen wird, zuletzt ein Schluß- und Endurteil
zu fällen. Ich will gleich hinübergehen bis in die aller—
älteſte Zeit, bis in das klaſſiſche Athen.
Das klaſſiſche Athen erhielt ſeine Verfaſſung, wie Sie
ſich erinnern wollen, nach der Vertreibung des Tyrannen
Hippias, nur 20 Jahre vor der Schlacht bei Marathon.
Nach einigem Schwanken wurde eine rein demokratiſche
Athen. 89
Verfaſſung eingeführt durch den Alkmäoniden Kleiſthenes,
alſo durch den Sohn eines der vornehmſten ariſtokratiſchen
Geſchlechter Athens, der ſich an die Spitze der Demokratie
geſtellt hatte. Wie ſieht nun dieſe Demokratie aus? Die
entſcheidende Behörde iſt die allgemeine Volksverſammlung.
Die allgemeine Volksverſammlung iſt aber bis auf einen
gewiſſen Grad eine Fiktion. Die atheniſche Bürgerſchaft
wird damals etwa 25000 Männer ſtark geweſen ſein. So viel
können auf einem Fleck überhaupt nicht zuſammenkommen
und von einer Stelle nicht gleichmäßig angeſprochen werden.
Schon zu 10000 Menſchen gleichzeitig zu ſprechen, erfordert
eine ganz gewaltige Stimme, und es läßt ſich kaum eine
längere Rede zu einer ſo großen Menge halten. Schon zu
4—5000 in einer längeren Auseinanderſetzung zu ſprechen,
iſt ſehr ſchwer, und daß die Menge mehrere Stunden einer
Diskuſſion folgt, iſt nahezu ausgeſchloſſen. Sie wird ſchon
zu unruhig, um zu verſtehen. Eine Volksverſammlung
von 3000 Perſonen iſt ſchon ſehr groß. Wenn alſo einfach
die Souveränität auf die Volksverſammlung in Athen über:
tragen wurde, ſo war da von vornherein die Vorausſetzung,
daß immer nur ein kleiner Teil, nicht entfernt auch nur
die Hälfte der Bürgerſchaft, ſich dazu einfand. Es war
auch geographiſch unmöglich, daß ſie ſich alle verſammelten.
Denn die Grenzorte von Attika find 5—6 Meilen
von der Hauptſtadt entfernt. Man wird nicht erwarten
können, daß der kleine Weinbauer oder Köhler einen oder
zwei Tage lang marſchiert, und dort mal die Hand aufzu—
heben, für dies oder jenes zu ſtimmen um dann wieder nach
Hauſe zu pilgern. Eine Verfaſſung, die der Verſammlung
in der Hauptſtadt die Entſcheidung gibt, legt ſie alſo ganz
vorwiegend in die Hand der Staatsbürger, die in der
Hauptſtadt wohnen. Um das auszugleichen und dem Gros
90 Athen.
der Bürger, die draußen im Lande wohnten, ihren Einfluß
zu ſichern, ſchuf man neben der Volksverſammlung den Rat
von 500 Mitgliedern, die Boule. Um den Rat zuſammen—
zuſetzen, wird das Volk in zehn Phylen geteilt, jede Phyle
zu drei Dritteln, die nicht beieinander liegen, ſondern ſo,
daß ein Drittel in der Stadt liegt, eins mehr am Meer
für die Seebevölkerung und eins mehr im Lande, alſo ganz
künſtlich. Dieſe ſo künſtlich aus drei auseinandergezogenen
Dritteln zuſammengeſetzte Phylen ſind die Grundlage für
die Organiſation der Regierung. Aus jeder Phyle kommen
50 Bürger zuſammen, alſo in Summa 500, die die Re—
gierung bilden. Und nun würden wir einſetzen und ſagen:
„Alſo gewählt von den Bürgern.“ Keineswegs. Hier fehlt
der Repräſentativ- und der Wahlgedanke, ſondern es wurde
ftatt deſſen eine Liſte angelegt von denjenigen, die ſich zur
Boulé meldeten, und aus dieſen wurden die Mitglieder
ausgeloſt. Das iſt die wahre, extrem demokratiſche Ver—
faſſung. Ein Bürger iſt ſo gut wie der andere. Wenn
ſich zuviel melden, wird geloſt, und von dieſen erloſten
500 find 50, eine Phyle, immer verſammelt, um für alle
Fälle ſofort Entſcheidungen treffen zu können, und werden
auf Staatskoſten geſpeiſt. Es galt als eine beſondere Ehren—
bezeugung, wenn Bürger das Recht erhielten, an dem Frei—
tiſch der Abgeordneten im Prytaneum teilzunehmen. Heute
iſt der Freitiſch verloren gegangen; Robespierre aber pries
es in ſeinen Reden an die Franzoſen noch gern als die
höchſte Ehre, die einem Manne zuteil werden könne.
Die Vorausſetzung dieſes Regierungsmodus iſt, daß in
der ganzen Bürgerſchaft eine einheitliche Geſinnung herrſcht,
nicht feſte Parteien einander gegenüberſtehen. Bei uns,
wo es auf Majorität und Minorität ankommt, könnte
dieſes Syſtem überhaupt nicht funktionieren.
Athen. 91
Um nun zu verhindern, daß ganz Unwürdige in die
Ehrenſtellen kämen, gab es einen eigenen Prozeß gegen
ſolche, die ſich gemeldet hatten und aus irgendeinem Grunde
für unwürdig erachtet wurden. Wer nicht angefochten wurde,
kam zum Los und kam dann auch in die Boulé. Die Boulé
hat neben der Funktion, die eigentliche Verwaltung zu
führen, die Vorbereitungen und Vorberatungen für die
Beſchlüſſe der Volksverſammlung zu treffen. Allmählich
ſind auch alle die anderen Amter losbar geworden. Nur
bei einem ging allerdings das Loſen nicht — nämlich
bei den Generalen. Einen General durch das Los zu be—
ſtimmen, iſt doch für jeden einzelnen Bürger, der ſich ſeiner
Führung anvertrauen ſoll, äußerſt bedenklich; da alſo, wo
das unmittelbare Intereſſe des atheniſchen Bürgers in
Frage kommt, wo er, der den Speer in die Hand nehmen
ſoll, es auszubaden hat, wenn die Sache ſchief gehen
ſollte, überläßt man das Amt nicht dem Loſe, ſondern über—
weiſt jeder Phyle die Wahl eines Strategen.
Da haben wir eine Spur von dem, was uns der natür—
liche Repräſentationsgedanke fein würde, aber nur eine ſehr
ſchwache. Nach allem, was wir gehört haben, erkennen wir
deutlich, warum für die Boulé und für die Regierung über:
haupt ein Wahlſyſtem nicht eingeführt wurde. Wahlen hätten
eben keineswegs die Tüchtigſten, ſondern die lauteſten Schreier
und die Demagogen in den Rat gebracht. Da iſt man alſo
in der Vorausſetzung der abſolut gleichen Geſinnung in der
Bevölkerung auf jenes Loſungsſyſtem gekommen. Ideal
gewirkt hat es freilich nicht. Schon Sokrates hat ſeinem
Spott darüber Ausdruck gegeben, daß man die Männer,
die berufen ſein ſollen, den Staat zu regieren, durch das
Los beſtimme. Aber bei allem Reſpekt vor Sokrates (ich
halte durchaus daran feſt, daß die Tradition über ſeine
Delbrück, Regierung und Volkswille. 7
92 Rom.
Größe berechtigt iſt) iſt er doch auch in den Fehler ver—
fallen, der uns allen ſo naheliegt: zu kritiſieren, ohne etwas
beſſeres an die Stelle ſetzen zu können. Denn ob es in
Athen beſſer geweſen wäre, wenn die Regierung gewählt
worden wäre, muß zum wenigſten ſehr bezweifelt werden.
Für uns iſt es aber ein ſchönes Beiſpiel dafür, daß der
Repräſentativgedanke nicht fo natürlich gegeben iſt, wie es
uns und unſerer Umwelt erſcheint.
Gehen wir von Athen hinüber nach Rom. Da finden
wir ja nun von vornherein ganz andere Verhältniſſe. Die
römiſche Geſchichte wird dauernd beſtimmt durch den tief—
gehenden Gegenſatz von Patriziern und Plebejern, der dann
allmählich übergeht in den Gegenſatz von Nobilität und
Maſſe. Die erſte Frage iſt alſo, woher dieſe tiefe ſtändiſche
Differenzierung gekommen iſt. Mommſen iſt der Meinung
geweſen, daß die Patrizier die Urgemeinde waren und die
Plebejer die Einzöglinge, die ſich auf dem Grund und
Boden, der der Urgemeinde gehörte, angeſiedelt hatten.
Mommſen geſteht aber auch zu, daß dieſe ſeine Auffaſſung
den Quellen nicht entſpricht. Er glaubte aber, keine andere
Löſung finden zu können. Ich glaube nun doch, im Zu—
ſammenhang mit meinen kriegsgeſchichtlichen Studien eine
beſſere Löſung geben zu können.
Die Patrizier ſind nach meiner Meinung die alten
Häuptlingsfamilien, ungefähr fo wie in der urgermanifchen
Geſchichte die Prinzipes, von denen uns Cäſar und Tacitus
berichtet haben. Dieſe Häuptlinge, vergleichbar etwa den
Helden von Troja, Hektor und Achill, haben ein ritterliches
Kriegertum hervorgebracht, während die große Maſſe von
den kriegeriſchen Eigenſchaften allmählich mehr und mehr
verlor. Es reflektiert ſehr ſchön in der Ilias, wie un—
kriegeriſch die Maſſe der Bürger iſt gegenüber den wenigen
Das roͤmiſche Patriziat. 93
Helden. Das iſt wohl eine Hyperbolie, aber doch nicht
bloß poetiſche Fiktion, um die Kraft und die Vorzüge der
Ritter mehr hervortreten zu laſſen, ſondern es iſt wirklich
der Niederſchlag der hiſtoriſchen Tatſache.
Dieſe kriegeriſchen Häuptlingsfamilien, die urſprünglich
natürlich in ihrem Stamm geſeſſen haben, haben ſich durch
einen Vorgang, der uns vielfach aus dem Altertum unter dem
Namen Synoikismos berichtet wird, an eine Stelle, eben
nach Rom, zuſammengezogen, und es hat ſich nun ein
weiterer Kreis entwickelt durch das ſtädtiſche Leben und
den damit verbundenen Kapitalismus. Es iſt nicht richtig,
wie z. B. ein ſo hervorragender Gelehrter wie Eduard Meyer
meint, daß die niedere Schicht des Volkes, die Armen,
zuerſt angefangen haben, ſich mit Handel abzugeben. Um
Handel zu treiben, dazu muß man Kapital haben, muß
Waren haben, die man austauſcht, muß Schiffe haben,
muß Mannſchaften haben, die Schiffe zu beſetzen, muß
Vorſchüſſe geben koͤnnen. Wenn fremde Händler an die
Küſte Griechenlands gekommen ſind, haben ſie nicht mit
den kleinen Leuten gehandelt, um ihnen Purpurzeug oder
Waffen oder Schmuck zu liefern, ſondern haben ihre Waren
den Häuptlingen angeboten. Und dieſe wiederum, die zu
Hauſe nichts zu tun fanden, ſind auf das Meer hinaus—
gefahren, Handel zu treiben oder auch Seeraub. Krieg,
Handel und Piraterie — dreieinig ſind ſie, nicht zu trennen.
Der alte Handel iſt immer mit Seeraub verbunden, wie
ja auch in der Odyſſee ganz harmlos gefragt wird: „Biſt
du Kaufmann oder Seeräuber?“ Vom Kauf zum Seeraub
iſt nur ein Schritt; vom Kauf zum Krieg iſt es auch gar
nicht ſo weit, wie man denken ſollte. Neben den Häupt—
lingsfamilien kamen noch andere empor, die durch Talent,
Kühnheit und Glück ebenfalls zu Wohlſtand gelangt waren,
7 *
94 Die römische Bauernſchaft.
die ſozialen Gewohnheiten jener annahmen und in ihren
Kreis eintraten. Die Anzahl blieb aber immer klein. Der
Wohlſtand dieſer Familien beſtand aus Vorräten, Edel—
metall und namentlich auch Sklaven, die für ſie arbeiteten,
und der Wohlſtand, der in der Stadt geſchaffen wurde,
ging nun weiter ſehr bald aufs Land hinaus. Zu der Zeit,
wo die Stadt ſich bildete, da löſt ſich auch der urſprünglich
vorauszuſetzende Agrarkommunismus auf, von dem im
ſpäteren römiſchen Staat noch einige Spuren zu finden
ſind. Sobald durch Auflöſung des Agrarkommunismus
der kleine Bauer geſchaffen iſt, zeigt ſich die beſondere
Schwierigkeit, ihn ſelbſtändig zu erhalten. Eine Feuers—
brunſt, ein Viehſterben, ein Einfall des Feindes, eine Waſſers—
not, ein Hagelſchlag, eine Dürre, machen ihn ſofort voll—
kommen mittellos; er ſteht vor dem Hungerstod. Bei
Agrarkommunismus hilft man ſich untereinander; der kleine
Bauer aber mit Privateigentum an ſeinem Acker iſt auf
ſich angewieſen. So kommt im Laufe der Jahre
unzweifelhaft immer irgendein Moment, wo er mit
ſeiner Familie nicht beſtehen kann, wo er verhungern muß,
wenn ihm nicht geholfen wird. Wir haben in unſerer
Zeit einen außerordentlich künſtlichen Aufbau geſchaffen,
um ein ſelbſtändiges kleines Bauerntum zu erhalten: Feuer—
verſicherung, Verſicherung für die Schweine und anderes
Vieh, Hagelverſicherung, Lebensverſicherung; namentlich aber
Darlehns- und Hypothekenbanken, ſo daß der Bauer, wenn
er mal in Not iſt, für wenige Zinſen einen Vorſchuß be—
kommt, den er in einigen Jahren abarbeiten kann. Noch
vor 30 40 Jahren iſt in ſolchen Fällen der Bauer das
Opfer von Wucherern geworden. Was ſollte er machen?
Er war ganz und gar in den Händen des Kapitaliſten,
von dem ihn erſt die Geſetzgebung und Wirtſchaftsordnung
Roͤmiſcher Kapitalismus. 95
unſerer Tage befreit hat. Verſetzen Sie ſich mit dieſer
Anſchauung von Agrarverhältniſſen in das alte Rom, ſo
erkennen Sie, daß dieſe kleinen Bauern ſchließlich in Ab—
hängigkeit kommen mußten von den Familien in der Stadt,
die reich genug waren, Vorſchüſſe zu geben. Die römiſchen
Legenden zeigen uns den römiſchen Patrizier immer wieder
nicht bloß als einen vornehmen Mann, ſondern als einen
Mann, dem der Plebejer etwas ſchuldig iſt. Der Patrizier—
ſtand iſt durch einen ganz unabweislichen Wirtſchaftsprozeß
Herrſcher über die Plebs geworden.
Rom liegt vier Meilen vom Ausfluß der Tiber an der Stelle,
wohin damals noch die Seeſchiffe gerade gelangen konnten.
Alle großen Handelsſtädte liegen ja nicht unmittelbar am Meer,
nicht Hamburg, nicht Bremen, nicht Stettin, nicht London,
ſondern immer ſo weit im Lande, daß die Schiffe von der
See noch hinkommen können. Rom iſt der große Umſchlags⸗
platz, das natürliche Emporium für ganz Mittelitalien.
Auf der Tiber konnten in kleinen Nachen die Sabiner bis
nach Rom kommen, um dort einzutauſchen, was ſie
brauchten. Rom iſt — das hat Mommſen von Anfang
an mit Scharfblick erkannt, obgleich die Tradition dagegen
ſpricht und immer von Rom als reiner Landmacht ſpricht
— Rom iſt in Wahrheit von Anfang an eine Handelsſtadt
geweſen; Handel iſt immer mit Kapital verbunden, und
mit dieſem Kapital machten ſich die kapitaliſtiſchen Familien
zu Herren der Bauernſchaft. Warum ließ ſich die Bauern⸗
ſchaft das gefallen? Warum griff ſie nicht zum Schwert,
um ihre Freiheit zu verteidigen? Dieſe Wucherer waren
doch ihre Stammesgenoſſen? Die Antwort haben wir
bereits gegeben: weil die Wucherer gleichzeitig die Häupt⸗
linge, die Vorkämpfer, die ritterliche Kriegerſchaft waren.
Es iſt nicht eine rein kapitaliſtiſche Herrſchaft, aber auch
96 Roͤmiſche Verfaſſung.
nicht eine rein feudale, ſondern es iſt beides zuſammen.
Die Patrizier ſind urſprünglich nichts abſolut Geſchloſſenes;
wir finden jüngere und ältere Geſchlechter. Später galt
es für eine Unmöglichkeit, daß ein Plebejer Patrizier werden
könne. Die deutſche Geſchichte kennt denſelben Vorgang.
Im alten Reich war es möglich, durch Standes erhöhung
in den fürſtlichen Hochadel einzutreten. Heute iſt das nicht
mehr möglich. Der Kaiſer hat nicht die Befugnis, das
Recht der Ebenbürtigkeit zu verleihen; der Kreis der eben—
bürtigen Familien hat ſich geſchloſſen. Auch in Rom wurden
die Zwiſchenheiraten zwiſchen Plebejern und Patriziern ver—
boten. Die Patrizier bildeten einen Stand höherer Art,
der von den Göttern abſtammte, allein die wahren Kult—
handlungen vollziehen konnte, die richtigen Augurien beob—
achten, und natürlich dadurch auch von Gottes Gnaden
berufen war, die Maſſe zu regieren. Militäriſche, wirt—
ſchaftliche, ſchließlich auch religiöfe Momente wirken zus
ſammen, daß aus der urſprünglich gleichen Raſſe, dem
gleichen Stamme, ſich eine ſolche Oberſchicht als regierende
herausgebildet hat, und ich zweifle nicht, daß das Eupatriden—
tum in Athen ganz dasſelbe geweſen iſt, wie das Patrizier—
tum in Rom. Warum iſt es in Athen zugrunde ge—
gangen? Wir haben da die extreme Demokratie gefunden.
Warum hat die Ariſtokratie ſich in Rom allezeit gehalten?
Ich habe darüber eine Vermutung, die aber viel Wahr—
ſcheinlichkeit für ſich hat. Rom iſt noch viel kriegeriſcher,
als irgend ein griechiſcher Kanton, vielleicht ausgenommen
Sparta. Sparta aber iſt keine Handelsſtadt, hat keine
wirtſchaftlichen Kräfte. Rom war eine Stadt mit einer
Bauernſchaft latiniſchen Blutes, die in der unmittelbaren
Nachbarſchaft einer fremden Raſſe, der Etrusker ſaß und
unausgeſetzte Kriege auch mit den anderen ſtammverwandten
Weſen des Rittertums. 97
Kantonen zu führen hatte. Erinnern Sie ſich nun, daß
in der Ilias das Reitpferd noch nicht als Kriegswaffe be—
nutzt wird. Im 10. Buch kommt es einmal vor, daß es
zum Reiten benutzt wird; ſonſt wird es nur vor den Wagen
geſpannt. Der Kampf zu Pferde verſtärkt nun ganz un—
gemein die Möglichkeit der Bildung eines Heroentums, einer
Ritterſchaft. Es iſt uns zunächſt etwas fremdartig, wenn
wir Hektor und Achill als Ritter betrachten ſollen. Der
Ritter iſt aber nicht bloß der Reiter, ſondern der Krieger,
der kraft ſeiner perſönlichen Eigenſchaften, Kraft, Schnellig—
keit, Ehrgefühl als Einzelkrieger weit über die Maſſen heraus—
ragt. Setzt er ſich noch zu Pferde, wird der Wert aller
dieſer Eigenſchaften vervielfältigt. Es ſind alſo die Patrizier
eine Ritterſchaft und Kaufmannſchaft zugleich. Das iſt
verwiſcht dadurch, daß ſpäter, als die Patrizier ſich ganz
als Stand abgeſchloſſen hatten, ſich bloß als Herrſcher
fühlten, ſich vom Handel und Gewerbe zurückzogen, ſich
unter ihnen wieder eine neue Kaufmannſchaft bildete, die
von den alten Geſchlechtern nicht als gleichwertig und nicht
als gleichberechtigt anerkannt wurde. Den Beweis für die
ganze Hypotheſe zu führen, iſt hier nicht unſere Aufgabe;
man muß dazu meine „Geſchichte der Kriegskunſt“ ſtudieren,
nicht bloß den erſten Band, der vom Altertum handelt,
ſondern namentlich auch den dritten, der die Urſachen der
Überlegenheit der mittelalterlichen Ritterſchaft über das Volk
aufzeigt. Welches aber auch immer der Werdegang geweſen
ſei, jedenfalls haben wir in der kleinen Kommune Rom
eine Herrſchaftskaſte, die militäriſch, religiös und wirt:
ſchaftlich die Maſſe beherrſcht. Der Kanton Rom, wie wir
ihn in der älteſten Zeit kennen, iſt ungefähr ſo groß, wie
unſere Inſel Rügen. Die Stadt mag etwa 12000, der
ganze Kanton 60000 Seelen gezählt haben. Es waren
98 Urſprung der Legionen.
alſo kleine Verhältniſſe und darin eine kleine Anzahl von
vorherrſchenden Familien, nach der Überlieferung 134.
Dieſe Ariſtokratie übt ihre Herrſchaft aus, indem ſie
einen von ſich mit der abſoluten Macht auf Lebenszeit be⸗
kleidet, den König, der beraten wird von den Häuptern
der vornehmen Familien, die vereinigt ſind im Senat.
Der König hat, abgeſehen von dieſem Rat der Senatoren,
unbeſchränkte Macht, auch Macht über Leben und Tod, und
er hat dieſe Macht benutzt, dem Volke eine neue Kriegsver—
faſſung zu geben. Im Grunde beruht, wie wir geſehen
haben, das Patriziat auf ritterlichem Kriegsweſen; es iſt
eine kleine Schar von Elitekriegern. Neben dieſer römiſchen
Ritterſchaft finden wir in der Überlieferung die Legionen,
d. h. ein Aufgebot des Fußvolks in der Form der
Phalanx, wie wir ſie auch in Griechenland kennen; eine
Infanterie mit blanken Waffen, die in feſten Reihen und
Gliedern geordnet, zu einem taktiſchen Körper zuſammen—
geſchloſſen iſt. Wie eine ſolche geſchloſſene Infanterie gegen
Ritterſchaft kämpft und ſie überwindet, das können wir
erkennen im hellen Lichte der Geſchichte an der Art, wie
ſich aus demjenigen Teil des deutſchen Schwabenſtammes,
der im Hochgebirge wohnt, die ſchweizeriſchen Gevierthaufen
bildeten und erſt Sſterreichs, dann Burgunds Ritterſchaft
aufrieben. Von dieſer Beobachtung bin ich einſt ausge—
gangen bei meinen Studien in der Kriegsgeſchichte. Meine
erſtere größere Arbeit auf dieſem Gebiet hat den Titel:
„Die Perſerkriege und die Burgunderkriege, zwei kombinierte
kriegsgeſchichtliche Unterſuchungen“, wo ich die Beobachtung,
daß ſich in dieſen beiden Kriegen die gleichen Waffen:
gattungen gegenüberſtanden, quellenkritiſch verwertete
und ausarbeitete. Das Heer der Perſer beſtand aus Bogen—
ſchützen und Reitern, die Burgunder ſind ebenfalls Ritter
Ritter und Fußvolk. 99
und Bogenſchützen oder Armbruſtſchützen, neben einigen
Feuergewehren. Drüben die Griechen beſtanden aus der
Phalanx, d. h. dem taktiſchen Körper ſchwer bewaffneten
Fußvolks mit dem Spieß, die Schweizer beſtanden auch aus
Fußvolk mit Spieß oder Hellebarde. Es iſt alſo genau die—
ſelbe Gegenüberſtellung, und ſo ließen ſich aus dem Gang der
Schweizer- und Burgunderſchlachten Rückſchlüſſe gewinnen
über das Zuſammenſtoßen einſt der Perſer und der Griechen
bei Marathon und Platää; und davon auch auf die Römer,
die in der älteſten Zeit zweifellos dieſelbe kriegeriſche Phalanx
gehabt haben. Die Legionar-Phalanx war notwendig ge—
worden aus demſelben Grunde, der zuerſt die außerordentlich
ſtarke Ritterſchaft geſchaffen hatte, nämlich weil die Römer
einen unverſöhnlichen Feind, einen Raſſenfeind, die Etrusker,
in ihrer unmittelbaren Nähe hatten. Sie find ja auch zeit:
weilig unter der Herrſchaft der Etrusker geweſen, haben ſie
aber wieder abgeſchüttelt. In dieſem Kampfe genügte die
Ritterſchaft nicht, ſondern ſie mußte ſich ergänzen durch ein
geordnetes Fußvolk. Fußvolk war freilich wohl auch früher
dabei, aber in der Weiſe, wie die Trojaner und Achäer
Hector und Achill unterſtützten, oder die begleitenden Knappen
im Mittelalter die Ritter. Über das Verhältnis von Fuß—
volk und Reiterei haben wir zwei Ausſprüche von Ariſtoteles
und Friedrich dem Großen, die faſt wörtlich übereinſtimmen,
obgleich Friedrich den Ausſpruch von Ariſtoteles ſicher nicht
gekannt hat. Sie ſagen beide“): „Fußvolk taugt erſt etwas,
wenn es feſt zuſammengeſchloſſen iſt; iſt es aufgelöſt, fo
genügt eine ſchwache Abteilung Kavallerie, es zu vernichten.“
Die römiſchen Könige haben alſo mit ihrer großen politiſchen
Autorität die des Kriegertums halb entwöhnte latiniſche
Bauernſchaft zu einem feſten, geſchloſſenen diſziplinierten
) Geſchichte der Kriegskunſt II, 424.
100 Abſchaffung des Koͤnigtums in Rom.
Haufen zuſammenzufaſſen und damit eine brauchbare Krieger—
ſchaft zu Fuß zu ſchaffen verſtanden. Mit dieſer Schaffung der
Legionar⸗-Phalanr kommt nun ein Gegenſatz in die Ver—
faſſung des römiſchen Staats. Das römifche Volk iſt bis
dahin völlig einflußlos geweſen. Es lebte in der Furcht
des Herrn. Die Überordnung der gottbegnadeten Familien
des Patriziats und die ſtrenge Gewalt des Königs, der
immer mit den Liktoren mit Beil und Ruten hinter ſich
einherging und jedem Befehl unbedingten Gehorſam ver—
ſchaffte, hatte das Volk mit dem Geiſt des Gehorſams bis
in das letzte Nervenbündelchen erfüllt. Nun aber iſt dieſe
Bauer- und Kleinbürgerſchaft wieder zu kriegeriſcher Tüchtig—
keit heraufgebildet worden. Wird dieſe Kriegerſchaft ſich
weiter dauernd ſo unter das gottbegnadete Regiment des
Patriziats und ſeiner Führer unterordnen? Dieſe Spannung
iſt aber nicht die einzige, die den Staat bewegt. Indem
die Patrizierſchaft einen von ſich mit jener furchtbaren
Autorität bekleidete, um die Maſſen in Ordnung zu halten
und zu bändigen, hat ſie damit dem König ja auch über
ſich ſelbſt Gewalt gegeben, und namentlich, die Überlieferung
zeigt davon gewiſſe Spuren, liegt in dem Königtum eine
natürliche Tendenz, ſich erblich zu machen. Dieſe Neigung
der einmal exiſtierenden Gewalt, ſich erblich zu machen,
und überhaupt die Möglichkeit für den regierenden König,
das Mitregiment des Senats beiſeite zu ſchieben, hat von
je zwiſchen dem König und ſeiner Genoſſenſchaft einen
Gegenſatz hervorgerufen, neben den nun die zweite Spannung
tritt, zwiſchen dem Patriziat und dem militärifch organifierten
Plebejertum. Das hat dann unter Umſtänden, die uns
nur rein legendär berichtet ſind, endlich zur Abſchaffung
des Königtums geführt; d. h. ſtatt des einen lebens—
länglichen Oberbeamten wurden von jetzt an zwei gewählt
Konſular⸗Verfaſſung. 101
und dieſe nur auf ein Jahr; fie wurden Konſuln (urfprüng:
lich Prätoren) genannt. Im übrigen aber bleibt die höchſte
Gewalt, was ſie iſt, nur beſchränkt dadurch, daß ſie ſich
zwiſchen zwei teilt, von denen jeder das Recht hat, dem
anderen eine Interzeſſion anzuſagen, d. h. eine Amts—
handlung zu verhindern, und mit der Verpflichtung, am
Schluß des Jahres das Amt zugunſten eines Nachfolgers
niederzulegen. Dieſe beiden Konſuln ſollten gewählt werden
durch das Heer, d. h. alſo, durch das militäriſch organifierte
Volk, durch die Plebs.
Mit der Konſulatsverfaſſung kommt in die römiſche
Verfaſſung, die bisher rein ariſtokratiſch-monarchiſch iſt, das
demokratiſche Element als unausweichliche Folge der kriege—
riſchen Organiſation des Volkes, die auf die Länge not—
wendig eine politiſche Geltendmachung hervorbringt. Wir
haben von nun an in der römiſchen Verfaſſung ein Doppel—
ſpiel: Das hohe Beamtentum, das Konſulat, das ſich
nachher noch in weitere Amter differenziert, und die Volks—
verſammlung, die dieſe Konſuln wählt, beſſer ausgedrückt:
deſigniert. Denn das römiſche Staatsrecht beſagt nicht
etwa, daß der, den das Volk gewählt hat, nun Konſul iſt,
wie bei uns ein Reichstagsabgeordneter gewählt iſt an
dem Tage, wo der Wahlkommiſſar feſtgeſtellt hat: die
Mehrheit iſt für ihn geweſen — ſondern der Konſul tritt in
ſein Amt erſt dadurch, daß der Vorgänger ihm unter ge—
wiſſen heiligen Zeichen und Kulthandlungen ſeine Gewalt
übergibt. Wenn der vorige Konſul nicht niederlegte, ſo
könnte der neue nicht antreten, dann hätte er nicht den
heiligen Charakter und die wahre Autorität ſeines Amtes.
Wir haben alſo in Rom eine ſich ſelbſt fortpflanzende,
von den Göttern, nicht vom Volke, ſtammende, höchſte
obrigkeitliche Gewalt in Wechſelwirkung mit einer Demo—
102 Die Servianiſche Verfaſſung.
kratie, inſofern, als die Männer, die die Gewalt gerade
ausüben ſollen, von der Maſſe der Wähler beſtimmt werden.
Die Fabel von Das Bild, das ich Ihnen hier vorgeführt habe, ſteht
erſaſteng. in einem ſtarken Widerſpruch zu dem, was Sie wohl alle
in der Schule und noch ſpäter auf der Univerſität gelernt
haben, das iſt die ſervianiſche Verfaſſung. Der König
ſoll hiernach nicht das Volk in ſeiner Maſſe zur Wahl be—
rufen, ſondern es erſt künſtlich in fünf Klaſſen eingeteilt
haben nach dem Vermögen und dadurch nicht, wie ich es
Ihnen vorgeführt habe, ein Nebeneinander von Ariſtokratie
und Demokratie, ſondern eine Herrſchaft des Mittelſtandes
eingeführt haben. Das wäre allerdings etwas durchaus
Anderes. Aber es verträgt ſich nicht mit dem ganzen Gang
der römiſchen Geſchichte, die nie etwas von einem ſolchen
Mittelſtand zeigt. Nachdem mir ſchon lange der Verdacht
aufgegangen war, daß hier in der Überlieferung ein Fehler
ſtecken müſſe, hat einer von meinen Schülern, Francis
Smith, daraufhin die römiſchen Quellen noch einmal genau
durchgeforſcht, und was hat er feſtgeſtellt? Dieſe berühmte
ſervianiſche Verfaſſung iſt eine Erfindung der Catoniſchen
Zeit, und zwar eine Tendenzerfindung. Der alte Cato, der
Cenſor, als er ſah, daß das römiſche Staatsweſen degenerierte,
hat den Verſuch einer, wie wir es heute nennen, Mittel—
ſtandspolitik gemacht, und um das dem Volke plauſibler
und genehm zu machen, da entdeckte ein kluger Antiquar
eines Tages ein Blatt mit der ſervianiſchen Verfaſſung.
Nicht vermoͤge einer Neuerung, ſondern unter Wieder—
herſtellung der alten Sitte der Väter ſollte das Volk nicht
mehr nach allgemeinem gleichen Stimmrecht abſtimmen,
ſondern in Klaſſen eingeteilt werden. Das geſchah im
Jahre 179, wie es uns Livius berichtet, welche Stelle man
früher nicht zu verſtehen vermochte. Den Vorfall, daß eine an⸗
Analogien zur Servianiſchen Verfaſſung. 103
geblich gefundene alte Urkunde benutzt wird, um eine irgendwie
reformierte oder ſonſtwie neugeſchaffene Politik damit zu
begründen, haben wir im Altertum wenigſtens drei- bis
viermal. Als bei den Juden die Frommen den Jahvedienſt
durchführen und gegen alle bisherigen Anfechtungen ſichern
wollten, da wurde unter König Joſias, etwa im Jahre 600 v. Chr.,
ein Stück Geſetzbuch gefunden, das wir heute im fünften
Buch Moſes haben. Und als wiederum die Juden zurück—
kamen aus der babyloniſchen Verbannung und nun das
Volk in den feſten Formen der theokratiſchen Verfaſſung
zuſammengehalten werden ſollte, da fand man abermals
eine heilige Schrift, den Prieſter-Kodex, der heute einen
großen Teil des Pentateuch ausmacht. Als die Ariſto—
kraten in Athen einen Verfaſſungsumſturz machen wollten,
im Jahre 411, da fand man die Verfaſſung des Drakon.
Als in Sparta eine Reformgeſetzgebung gemacht werden
ſollte, fand man die Geſetzgebung des Lykurg.
Alle dieſe Geſetzgebungen ſind alſo Fiktionen einer
ſpäteren Zeit, die einer beſtimmten Tendenz dienen ſollten
und ſo geſchickt gemacht waren, daß ſie die Jahrhunderte
wirklich genasfuͤhrt haben. Sobald aber einmal erkannt
iſt, daß in Rom niemals ein Mittelſtand als politiſche
Potenz hervortritt, ſondern immer nur ariſtokratiſche
Magiſtratur auf der einen, Demokratie auf der anderen
Seite, kommt man bald zu dem Schluß, daß auch die
vielgerühmte Verfaſſung des Königs Servius Tullius in
die Sammlung dieſer frommen Täuſchungen gehört.
Die römiſchen Staatsrechtslehrer haben den Grundſatz
aufgeſtellt, daß die Souveränität beim Volke ſei, d. h.,
wie wir es jetzt beſſer ausdrücken, da uns der Begriff
„Volk“ zu myſtiſch iſt, bei der Wählerſchaft. Es iſt vor—
gekommen, daß eine Volksverſammlung ſich über die
Der römiſche
Dualismus.
104 Ariſtokratie und Demokratie in Rom.
beſtehenden Geſetze und ſtaatsrechtlichen Bedenken hinweg—
geſetzt hat kraft der dem Volk zuſtehenden Souveränität.
Danach wäre Rom eine reine Demokratie geweſen. Un—
mittelbar daneben aber finden wir, daß die hohen Amter,
die Magiſtratur, nicht vom Volk vergeben werden, ſondern
ſich ſelbſt fortpflanzen, und daß das Volk nur die Träger
dazu deſigniert, und zwar das Volk in ſeiner militäriſchen
Organiſation. Kompagnieweiſe, centurienweiſe treten die
Wähler an und geben offen ihre Stimme vor dem höchſten Vor—
geſetzten zu Protokoll. Wir haben alſo eine Demokratie unter be⸗
hördlicher Autorität, und wo die militäriſche Autorität nicht
genügte, da half die prieſterliche nach. Man beobachtete bei
den Römern immer mit großer Aufmerkſamkeit den Vogel—
flug, der den Alten Unglück oder Glück bedeutete, wie wir
ſchon aus der Ilias wiſſen, wo Hektor ſich dagegen auf:
lehnt. Wenn ein Konſul vor der Volksverſammlung ſteht
und merkt, daß die Volksverſammlung nicht ſo arbeitet,
wie er es wünſcht, ſo kann es geſchehen, daß er plötzlich
am Himmel unheilverkündende Vögel erblickt. Sie waren
zwar fchon weg; aber er hatte fie geſehen und mußte zu
ſeinem Bedauern die Volksverſammlung wieder nach Hauſe
ſchicken. Oder wenn es zur Schlacht gehen ſollte und es
darauf ankam, daß der Soldat Vertrauen zum Siege habe,
ſo hatte man dafür heilige Vögel mit in einem Käfig.
Wenn die heiligen Huͤhner die Körner, die ihnen vorgeworfen
wurden, begierig aufpickten, dann war das ein gutes Zeichen,
und der Augenblick für die Schlacht günſtig. Wenn ſie
aber keinen Appetit hatten und das Korn nicht aufnahmen,
ſo war das ein deutliches Zeichen, daß keine günſtige Ge—
legenheit zur Schlacht war. Ein Konſul Claudius ſoll
einmal bei einer Seeſchlacht, als die Vögel nicht freſſen
wollten (der Vogelwärter hatte vielleicht die Anweiſung des
Die Volkstribunen. 105
Konſuls über die Fütterung mißverſtanden) gerufen haben:
„Wenn ſie nicht freſſen wollen, ſo mögen ſie ſaufen!“ und
warf ſie über Bord. Er verlor aber auch die Schlacht.
Um ſo beſſer wußte nun das römiſche Volk, von welchem
Nutzen die Religion für den Staat ſei, und wählte gern ſeine
Obmänner aus den Familien, die von den Göttern ſtammten
oder ſich doch mit den Göttern in einen wunderbaren Rapport
zu ſetzen verſtanden und von ihnen die Zukunft erfuhren,
und gehorchte ihnen.
Imperium und Augurium, wie Cicero es ausdrückt,
oder wie wir heute ſagen, die Blauſchwarzen regierten das
römiſche Volk, und wenn es hierbei geblieben wäre, fo
hätte, obgleich das Volk die Magiſtrate wählte, die Demo—
kratie in Rom wenig zu bedeuten gehabt. In langen
Kämpfen ſchuf ſie ſich deshalb neben der ſtaatlichen Wahl—
und Abftimmungsorganifation, den Centuriat-Komitien, eine
eigene Organiſation der Plebs in den Tribut-Komitien, mit
den Volkstribunen an der Spitze. Dieſe haben aber ur—
ſprünglich keine obrigkeitlichen Befugniſſe, ſondern nur Be—
fugniſſe etwa vergleichbar einer modernen Volksvertretung;
ihnen gegenüber ſteht die Magiſtratur, die die Staatshoheit
als ſolche repräſentiert. Das tun die Volkstribunen nicht.
Die Doppeltheit des römiſchen Staates prägt ſich vortreff—
lich aus in der bekannten Formel, ich möchte ſie die Staats—
formel nennen, „Senatus Populusque Romanus“. Was
iſt der Senat? Der Senat ift in der älteften Zeit die Ver:
einigung der Patrizier. Er wird jetzt zur Vereinigung aller
hohen Beamten. Alle, die einmal Konſul, Prätor, Aedil
geweſen ſind, die bilden zuſammen den Senat. Alſo wenn
wir einen Senat heute in unſeren Verhältniſſen in Preußen
bilden wollten, ſo wären es nicht die Mitglieder des Ab—
geordnetenhauſes, nicht die des Herrenhauſes, ſondern ein
Die Volks⸗
tribunen.
106 Der Senat.
Senat im römiſchen Sinne würde entftehen, wenn wir die
ſämtlichen Regierungspräſidenten, Oberpräſidenten, Gerichts—
präſidenten, General⸗Superintendenten, Biſchöfe, Generale
in und außer Dienſt (der römiſche Konſul vereinigt ja alles das
in ſich; er hat auch prieſterliche Funktionen) zu einem
großen Staatsrat vereinigen würden. Was würde eine
ſolche Verſammlung für eine gewaltige Autorität ausüben,
wo alle politiſche Intelligenz vereinigt iſt, und um ſo mehr
war ſie das in Rom, als mit der Zeit die ſtrengen Kreiſe des
Patriziertums ſich auflöſten, das Plebejertum das Recht ge—
wann, auch in die hohen Ämter gewählt zu werden und damit
der Unterſchied zwiſchen Patriziertum und Plebejertum ſich
allmählich verwiſchte! Aber das Patriziertum hält ſich ſo
lange, daß die neu aufkommende Oberſchicht des Plebejer—
tums ebenfalls ariſtokratiſchen Charakter annimmt. Man
nennt dieſe neue Ariſtokratie Nobilität. Die Nobilität
bilden alſo diejenigen großen Familien, die die hohen Amter
gewohnheitsmäßig innehaben. Sie haben ſich zu dieſem Zweck
längſt von Handel und Wandel, Induſtrie und Vermoͤgens—
gewinnung auf kapitaliſtiſchem Wege losgelöſt und leben
nur dem Staat — aber auch vom Staat. Der Kern der
Nobilität iſt der Senat. Man fragt ſchließlich gar nicht
mehr, ob ein Mann Patrizier oder Plebejer iſt, wenn er
in ein hohes Amt kommt. Der Unterſchied zwiſchen
Patrizier und Plebejer verſchiebt ſich ſo ſehr, daß der
typiſche Vertreter der ſtolzen römiſchen Ariſtokratie in der
Tradition ein Plebejer iſt, nämlich Cato. Die Porcier
ſind ein plebejiſches Geſchlecht, das aber im Laufe der
Generationen ganz in den Kreis der regierenden Familien
eingetreten iſt. „Senatus Populusque Romanus“ iſt
deshalb die Staatsformel, etwa wie wir ſie jetzt brauchen,
wenn es heißt: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden
Die Wahl⸗Maſchinerie in Rom. 107
König von Preußen verordnen mit Zuſtimmung beider
Häuſer des Landtags.“ Der Dualismus der römiſchen
Verfaſſung bringt es mit ſich, daß die inneren Kämpfe
niemals aufhören. Immer wieder ſuchen die Volkstribunen
ihre Macht zu erweitern und bei den Wahlen auch ihre
Freunde ins Konſulat zu bringen. Die Nobilität wehrt
ſich dagegen vermöge ihres Anſehens, ihres Reichtums und
ihrer Klientel meiſt mit Erfolg. Unter dieſer Verfaſſung
iſt Rom nicht nur groß geworden, ſondern hat es die Welt
erobert. Die Verfaſſung funktionierte trotz der dauernden
inneren Spannung und der ewigen Streitigkeiten ſogar
ſehr gut, ſo lange der Kanton Rom klein war. Wie nun
aber Rom wächſt, allmählich über ganz Italien hinaus,
wächſt auch die römiſche Bürgerſchaft, und zwar wächſt ſie
ganz beſonders ſchnell, weil in dieſem Punkt, vielleicht dem
einzigen, der römiſche Senat außerordentlich liberal iſt,
nämlich in der Erteilung des Bürgerrechts. Die atheniſche
Demokratie war darin ſehr kleinlich und wünſchte nicht,
daß andere Griechen, die in Athen einwanderten, gleich
das atheniſche Bürgerrecht bekämen. Aber in Rom ent:
ſcheidet als höchſte Verwaltungsbehörde der Senat, und
dem iſt es gerade recht, daß er ganze Gemeinden und
ganze Stämme ſchließlich in das römiſche Bürgerrecht
aufnehmen kann. Denn je größer die Maſſe der Bürger
wird, deſto leichter iſt ſie zu manipulieren, deſto leichter
ſind die Wahlabſtimmungen zu machen. Wie können
denn überhaupt all die Bürger, vielleicht 250000, auf
dem Marsfeld zuſammenkommen und abſtimmen? Das Aoſtimmungs—
iſt der reine Spott, wo doch der größte Teil der Bürger "dus in Rom.
ſchaft weit ab, bis ans Adriatiſche Meer, bis an den
Po, wohnt. Was iſt überhaupt dieſe Abſtimmung für
die Bürger, die mehr als einen Tagemarſch weit von Rom
Delbrück, Regierung und Volkswille. 8
108 Roͤmiſche Wahlen.
wohnen? Dieſem Hindernis kam man von Anfang an
dadurch entgegen, daß nicht nach Köpfen abgeſtimmt wurde,
ſondern nach Tribus oder nach ihren Unterabteilungen, nach
Centurien“), d. h. alſo, nicht ſoviel tauſend Nein gegen
ſoviel Ja, ſondern ſoviel Tribus reſp. Centurien für und
ſoviel gegen. Die Centurien oder Tribus der Stadt Rom
haben alſo nicht mehr zu bedeuten, als eine Tribus etwa
oben bei den Umbriern oder unten in Lukanien, von denen
nur ein kleiner Teil der Bürger zufällig in Rom iſt und
ſeine Stimme abgibt.
Die letzte Tribus iſt errichtet worden zwiſchen dem
erſten und zweiten punifchen Kriege, das war die 35.
Später ſind keine mehr errichtet worden, ſondern neue
Bürger wurden den ſchon beſtehenden Tribus zugeteilt.
Man erkennt, daß nunmehr die Abſtimmung ganz und
gar davon abhängt, wie die Wahlorganiſation Leute hinein—
bringt in die Tribus, die nicht in Rom anſäſſig ſind. Wie
dieſe Wahlorganiſation, der Kaukus, in Rom organiſiert
geweſen iſt, und wie er funktioniert hat, davon wiſſen wir
leider nichts. Er muß aber in ganz durchgreifender Weiſe
exiſtiert haben. Denn die führenden Familien haben ein
großes Intereſſe daran, wer in das Konſulat kommen ſoll.
Dem Volk wird es ziemlich gleichgültig geweſen ſein, wer
gewählt wurde, ob ein Fabius oder ein Claudius, ein
Cornelius oder ein Cäcilius; aber dieſen Familien lag ſehr
viel daran, ob ſie die richtige Zahl der Centurien manipuliert
hatten. Denn der Gewählte hatte für das nächſte Jahr
ein hohes und zugleich, wenn es Krieg gab, durch die Beute,
ſpäter beſonders durch die Verwaltung der Provinzen im
) Daß die Centurien nichts als Unterabteilungen der Tribus find,
glaube ich in der zweiten Luflage der „Geſchichte der Kriegskunſt“
nachgewieſen zu haben.
Roͤmiſcher Bundesgenoſſenkrieg. 109
Prokonſulat, auch äußerſt einträgliches Amt. Wir haben
freilich einen Brief des Quintus Cicero an ſeinen Bruder
Marcus, wie man das Konſulat in Rom erwerben müſſe.
Aber gerade von den Geheimniſſen der Wahlmache iſt in
dem Brief ganz und gar nicht die Rede, ſondern es wird
immer nur von der Ehre und dem Glück, Konſul des welt—
beherrſchenden Rom zu ſein, geſprochen. Gewiß war dieſe
Ehre ſehr groß, aber die Demokratie wird in dieſer Aus—
geſtaltung eigentlich zum Spott ihrer ſelbſt. Sie kann gar
nicht mehr demokratiſch funktionieren, und wir ſehen ſofort,
warum. Es fehlt ein Gedanke, der ja uns in einer ſolchen
Lage auf der Zunge ſchweben würde: die Repräſentation.
Weshalb müſſen die Bürger aus dem ganzen Reich jedes—
mal perſönlich in Rom abſtimmen? Warum wird nicht
durch Wahlen im ganzen Land eine Repräſentation des
römiſchen Volkes gegenüber dem Senat geſchaffen? Dieſe
Frage wiederholt ſich noch intenſiver, wenn wir ſehen, wie
die Teile Italiens, denen das römiſche Bürgerrecht vorent—
halten wird, endlich dagegen rebellieren. Allmählich waren
auch die Römer engherzig geworden, wollten Andere nicht
an ihren Vorteilen teilnehmen laſſen und verſagten auch
langbewährten Bundesgenoſſen das Bürgerrecht. In der
Empörung darüber wollten die Bundesgenoſſen die Herr—
ſchaft Roms abſchütteln, und ſchufen einen eigenen Staat
mit der Hauptſtadt Corfinium. Wir haben Münzen, die
dort geprägt ſind, worauf das Wahrzeichen Italiens, ein Stier,
einen Wolf, das iſt das Wahrzeichen Roms, mit ſeinen Hörnern
niederſtößt. Wir wiſſen auch, wie dieſe neue Republik
ihre Verfaſſung geſtalten wollte. Sie war ganz einfach
der römiſchen nachgeſchrieben. Auch hier wurde verlangt,
daß der Bürger, der ſein bürgerliches Recht ausüben wollte,
zur Abſtimmung in die Hauptſtadt pilgerte. Es iſt lange ſchon
8 *
Fehlen des
Repräſentativ⸗
Gedankens in
Rom.
110 Zentraliſation in der Stadt Rom.
die Frage aufgeworfen worden, warum wenigſtens hier nicht ein
Repräſentativſyſtem organiſiert wurde; aber eine Antwort iſt
darauf bisher kaum gegeben worden. Einen der weſentlichſten
Gründe haben wir im Eingang dieſer Betrachtungen kennen
gelernt: daß nämlich die Schöpfung eines Volkswillens auf dem
Wege einer Repräſentation eine Illuſion iſt. Das Fiktive einer
ſolchen Einrichtung war den Alten von vornherein ſo klar, daß
ſie es gar nicht erſt damit verſucht haben, um ſo mehr, da ihnen
ja die techniſchen Mittel, zwiſchen Wählern und Gewählten
einen Rapport, eine Kontrolle zu unterhalten, beſonders
die Offentlichkeit vermöge einer weitverbreiteten Preſſe, noch
fehlten. Die Repräſentation war des weiteren unmöglich,
weil keine genügend einheitliche Geſinnung in dieſem Ge—
miſch verſchiedener Stämme auf italieniſchem Boden
exiſtierte. Hätte man in den einzelnen Landſchaften wählen
laſſen, jo wäre ſofort die Gefahr entftanden, daß fie wieder
zu ihrer Selbſtändigkeit zurückzukehren wünſchten. Nur
durch die ſchärfſte Zentraliſation der Wahl in der einen
Stadt wurde die Einheit aufrecht erhalten. Wir wollen
uns aber darein nicht vertiefen, ſondern nur feſtſtellen, daß
das Altertum den Repräſentativgedanken nicht gekannt hat,
ſondern nur die direkte Bürger-Abſtimmung mit der eigen—
tümlichen kleinen Konzeſſion der Abſtimmung nach Tribus
oder Centurien ſtatt nach Köpfen. Wir wiſſen ja jetzt,
daß auch unter den heutigen Verhältniſſen die Repräſentation
ein ſehr dürftiger Gedanke iſt, wo Ausführung und Idee ſehr
weit auseinander klaffen. Im Altertum hielt man es mit
Recht für unmöglich, auch nur ſo weit zu gehen. Auch in
Athen war uns die Feſtſtellung von Intereſſe, daß die
Boulé keine Wahlrepräſentation iſt, ſondern durch das Los
aus dem Volke beſtimmt wird.
An der Umöglichkeit, die Demokratie zu organiſieren,
Untergang der Republik in Rom. 111
iſt ſchließlich die römiſche Republik zugrunde gegangen. Die
Verfaſſung, die im Stadtſtaat funktioniert hatte, verſagte
in dem jetzt durch die Eroberungskriege geſchaffenen ge—
waltigen Flächenſtaat. Die Maſchine fängt an zu ſchleudern;
ſie arbeitet nicht mehr. Man ſtürzt aus einer Revolution
in die andere, aus einem Staatsſtreich in den anderen. Die
Macht geht endlich über auf einen Feldherrn, den Imperator,
der ſich nicht König nennt, auch nicht König iſt, ſondern
ſeinen Titel nimmt von dem erſten Inhaber der Gewalt,
Cäſar. Das Cäſartum oder Kaiſertum, das dauernd mehr
den Charakter eines Amtes als eines erblichen Königtums ge—
habt hat, iſt der Erbe der römiſchen Demokratie. In der ganzen 5 e
römiſchen Imperatorepoche iſt nur dreimal ein Sohn auf der römiſchen
den Vater gefolgt. Das Kaiſertum ſucht allmählich die Demokratie.
ganze Staatsgewalt an ſich zu ziehen, nachdem es anfäng—
lich noch dem Senat weſentliche Funktionen überlaſſen hat.
Zu einem wirklich organiſchen Zuſammenwirken zwiſchen
Imperator und Senat, wie einſt zwiſchen der Volksver—
ſammlung etwa und der Magiſtratur, iſt es nicht gekommen.
Unſer Ergebnis iſt: Rom iſt groß geworden mit einer 1
dualiſtiſchen Verfaſſung, einer Verfaſſung, in der es niemals e
zum Ausgleich zwiſchen zwei entgegengeſetzten Prinzipien ge—
gekommen iſt, nie zu der Entſcheidung der Frage, wo
eigentlich die Souveränität liegt. Wenn auch die Staats:
rechtslehrer ſagen, wie wir gehört haben, das Volk iſt
ſouverän, ſo haben wir geſehen, daß eine dauernd heilig
gehaltene Praxis dem direkt widerſpricht. Auch heute im
deutſchen Reich zerbrechen ſich die Staatsrechtslehrer die
Köpfe, wo eigentlich die Souveränität liegt, ob bei den
einzelnen Bundesfürſten, ob beim Reich, ob beim Kaiſer,
ob bei der Gemeinſchaft der Fürſten. Die Frage iſt un-
lösbar. Das römiſche Beiſpiel mag uns darüber tröſten,
Das
Frankenreich.
112 Die Merowinger.
wenn das deutſche Volk nur im übrigen erfolgreich geführt
wird. Eine ſtarke Autorität von Gottes Gnaden und der
Wille der großen Maſſe, die beide fortwährend aufeinander
einwirken, dauernd in einem ſchwebenden Gleichgewicht
bleiben, das machte die Stärke Roms und hat ihm die
Herrſchaft erſt über den latiniſchen Stamm, dann über
Italien, dann über die Welt gegeben.
Vom römiſchen Kaiſertum wollen wir übergehen zu
den germaniſchen Reichen auf römiſchem Boden, und zwar
ſofort zu demjenigen von ihnen, das allein dauernden Be—
ſtand gehabt hat, zu dem Frankenreich. Alle anderen ger—
maniſchen Reiche auf römiſchem Boden ſind gegründet
worden durch wandernde, erobernde Völker. Das Frankenreich
dagegen iſt gegründet worden durch einen erobernden König.
Chlodwig und ſeine Söhne brachten zuerſt eine Reihe von
kleineren fränkiſchen Stämmen unter ihre Oberhoheit und unter-
warfen dann das ganze noch römiſche Gallien, indem von
den Franken ſelbſt nur ein geringer Teil den heimiſchen
Boden verließ und einige Gebiete an der Grenze in Beſitz
nahm, in der Hauptſache aber das römiſche Land als unter—
worfenes Gebiet behandelt und mit der dünnen Schicht
eines neuen regierenden germanifchen Krieger: und Herren⸗
ſtandes überzogen wurde. Die einzige Einheit in dieſem
Staat war alſo die Dynaſtie. Der bei weitem größere
Teil der Volksmaſſe war romaniſch, und ſelbſt die germa—
niſchen Teile hatten unter ſich ſehr wenig Berührung und
wenig Gemeinſames.
Die Dynaſtie hatte den Staat gemacht, und infolgedeſſen
behandelte ſie ihn auch als ihr Eigentum. Wäre die Dynaſtie
fortgenommen worden, ſo wäre gar kein Zuſammenhalt
mehr in dem Staat geweſen. Der König alſo ſieht ſein
Reich an wie ein Gut; verteilt es je nach der Zahl der
Die erſte Magna Charta. 113
Söhne, die er gerade hat, unter fie als Erbe. Es kann
keinen ſtärkeren Beweis von der Urgewalt des König—
tums geben, als daß es den Staat behandelt wie einen
Privatbeſitz. Die erſten 100 Jahre der Merowingiſchen
Herrſchaft ſind deshalb auch eine Epoche des allerextremſten
Deſpotismus. Obgleich die alten germaniſchen Begriffe,
daß das Heer neben und über dem König ſteht und ſeinen
Willen kundgibt — und das Heer iſt das Volk — weiter be—
ſtehen, ſo können ſie doch gar keine praktiſche Wirkung
haben, da ja in dem rieſigen Frankenſtaat, vom Ozean bis
an die mittlere Donau, von der Nordſee bis an die Pyrenäen,
immer nur ein ganz minimaler Teil des wirklichen Heeres
oder der heerfähigen Krieger zuſammenkommen kann. Über
hundert Jahre haben ſich die Franken dieſen Deſpotismus
gefallen laſſen; endlich aber empören ſie ſich dagegen und
die Dynaſtie gibt ihnen dazu die Möglichkeit durch ihre
Familienzwiſtigkeiten.
Als König Clothar II., der Sohn der Fredegunde, die
Feindin ſeiner Mutter, die Königin Brunhilde in ſeine
Gewalt gebracht und zu einem gräßlichen Tode (ſie wurde
von einem wilden Pferde zu Tode geſchleift) verurteilt hatte,
mußte er den Franken, die ihm zu dem Siege verholfen
hatten, ein verfaſſungsmäßiges Verſprechen geben, deſſen
Hauptbeſtimmung war, daß er in Zukunft zu Grafen nur
eingeſeſſene Großgrundbeſitzer ernennen würde. Dieſes Edikt
von Paris vom Jahre 614 iſt die erſte der zahllofen Ur:
kunden in der romaniſch-germaniſchen Geſchichte, für die
600 Jahre fpäter in der engliſchen Geſchichte der Name
„Magna Charta“ gebraucht worden iſt, und die alle be—
ſtimmt ſind, die Gewalt des Königs irgendwie einzuſchränken.
Wieviel Großgrundbeſitzer wird es in einer Grafſchaft geben,
die die Qualifikation haben, die Grafſchaft zu verwalten?
Das
Edikt von 614.
114 Den mittelalterlihen Staaten
Indem der König gebunden iſt, nur einen von dieſen zum
Grafen zu ernennen, gibt er einen weſentlichen Teil der
Gewalt an dieſen Stand ab, und das Grafenamt umfaßt
alles, die Verwaltung, das Gericht, das militäriſche Kommando.
Von dieſem Edikt von 614 an entwickelt ſich in den
germaniſch-romaniſchen Ländern wieder eine Art Dualismus
in der Staatshoheit, wie wir ihn im republikaniſchen Rom
kennen gelernt haben, eine Doppelgewalt, die ſich gegen—
ſeitig einſchränkt.
Im römiſchen Imperium iſt es zu einer ſolchen Ein—
A des ſchränkung des Kaiſertums durch den Senat nicht gekommen
römiſchen Kaiſer⸗und konnte dazu nicht kommen, obgleich es angeſtrebt
tums und des wurde. Denn der Kaiſer iſt der Herr der gewaltigen diſzi—
deutſchen Könige „, 8 8 „
tums. plinierten Söldnerarmee und des Prätorianerkorps in
Rom, das ihm unbedingt gehorcht, ihn, wenn es nicht mit
ihm zufrieden iſt, vielleicht umbringt; aber, ſolange es ihn
als Kaiſer anerkennt, alles ausführt, was er befiehlt. Was
will jede konſtitutionelle Beſtimmung, jede andere Gewalt
gegen ein ſolches Söldnerheer? Gegen eine aus Germanen
beſtehende Leibwache?
Das gibt es im Frankenreich nicht; denn es gibt kein
ſtehendes Heer, es gibt kein diſzipliniertes Heer. Das
römiſche diſziplinierte Heer iſt zuſammengebrochen bereits
im dritten Jahrhundert, und damit iſt das römiſche Reich
dem Barbarentum ausgeliefert. An die Stelle der römiſchen
diſziplinierten Legionen treten zuerſt die barbariſchen
Soldaten, dann kommen barbariſche wandernde Völker,
und endlich bemächtigen ſich dieſe der Herrſchaft. Denn
der Barbar iſt der natürliche Krieger. Der zivilifierte
Aut Menſch verliert notwendig von den kriegeriſchen Eigen:
militäriſchen ſchaften, je höher ſeine Kultur ſteht, und nur durch das
Disziplin. Kunſtgebilde der Difziplinierung, iſt die kriegeriſche Kraft
fehlt die Armee. 115
gleichzeitig wieder herzuſtellen und mit der Kultur in Ver—
bindung zu halten. Darum hat Scharnhorſt das ſchöne
Wort geſprochen, daß das ſtehende Heer die Grundlage jeder
Ziviliſation ſei, weil es die höher gebildeten Völker be—
fähige, ſich gegen die roheren zu behaupten.
Das römiſche Reich hat es ſchon erfahren: als es kein
diſzipliniertes Heer mehr hatte, war es dem Barbarentum
ausgeliefert, und die barbariſchen Krieger haben ſich als
Kriegerſtand des größten Teils des römiſchen Reichs be—
mächtigt und dort neue Staatsweſen aufgerichtet. Was
hatten fie für eine Kriegsverfaſſung? Ein dilzipliniertes
Heer gibt es nicht mehr, kann auch nicht mehr aufgeſtellt
werden, weil ſeit dem dritten Jahrhundert die Welt aus
der Geldwirtſchaft zurückgeſtürzt iſt in die Naturalwirtſchaft.
Zu einem diſziplinierten Heer gehört eine regelmäßige Geld—
wirtſchaft, eine regelmäßige Steuererhebung und regelmäßige
Soldzahlung. Weit über 1000 Jahre iſt die Kulturwelt
in der Naturalwirtſchaft geblieben, und damit läßt ſich kein
ſtehendes Heer vereinigen. An deſſen Stelle tritt nun zu—
erſt der barbariſche Kriegerſtand, der in das Reich eindringt
und es ſich unterwirft, und der ſich dann umſetzt in den
Feudalkriegerſtand, indem der König, die Grafen, auch
einzelne Großgrundbeſitzer und ſpäter auch Biſchöfe und
Abte auf ihren Gütern Krieger erhalten. Dieſe Verfaſſung
bekommt dann die breitere Grundlage durch das Lehns—
weſen. An den Höfen können immer nur wenige Krieger
unterhalten werden, und der Krieger, dem der König um
ihn zu halten, ein erbliches Gut gibt, verbauert. In
ein bis zwei Generationen iſt er kein brauchbarer Krieger
mehr. Darum ſchuf das fränkiſche Reich die Form des
Lehnsweſens, d. h. die Überlaſſung eines Gutes an einen
Krieger auf Lebzeiten; es fällt an den Thron oder an den
FJeudal⸗
verfaſſung.
116 Beſchraͤnkung der
ſonſt Vergebenden zurück, wenn der Mann ſtirbt. Es muß
immer von neuem verliehen werden, braucht alſo nur an
ſolche verliehen zu werden, die die rechte Gegenleiſtung
bieten, nämlich einen brauchbaren Krieger.
Dieſe Lehnsverfaſſung wiederum gibt dem König nicht
die ſtarke Hand des diſziplinierten Heeres, ſondern nur
inſofern Gewalt, als die Lehnsritterſchaft, die in mehreren
Stufen ſich aufbaut, dem Kriegsherrn wirklich folgt. In—
dem nun in Franken von Clothar II. ab der König einen
weſentlichen Teil der Staatsgewalt an die Großgrundbefiger,
die auch Lehnsleute — Vaſallen — halten können, abgibt,
da entſteht jener Dualismus, den der König nicht wieder
beſeitigen kann, weil ihm die Machtmittel dazu fehlen.
Umgekehrt aber wird auch durch dieſe Beſchränkung das
Königtum in ſeinem Beſtande geſichert. Einen römiſchen
Kaiſer konnte man durch keinerlei Verſprechungen wirklich
binden, denn er hatte die Söldnerarmee; der fränkiſche
König blieb tatſächlich gebunden, denn die, denen er das
Verſprechen gegeben, waren ſelbſt der weſentliche Teil der
bewaffneten Macht. Sie brauchten den Herrſcher nicht um—
zubringen, wenn ſie mit ihm unzufrieden waren, ſondern
konnten ſich mit ihm ſchlagen und auch wieder vertragen.
Es bildet ſich der fundamentale Grundſatz der Legitimität.
Die Franken erkennen keinen anderen König an als einen
Merowinger. Sie können gar keinen anderen anerkennen,
denn die Dynaſtie hat den Staat gegründet, hält allein
den Staat zuſammen. Auch wenn ſie ſich gegen den König
empören und ihn los ſein wollen, können ſie die Königs—
krone doch nur einem aus demſelben Geſchlecht geben. Sie
können ſich aber mit dem König auch wieder vertragen
und ihn wieder anerkennen, weil ſein Recht von keiner
Seite angefochten wird. Das iſt der Unterſchied zum
Monarchie durch den Feudalismus. 117
römiſchen Kaiſertum. Das Kaiſertum iſt entſtanden durch
Taten der Gewalt und iſt immer weiter ausgebaut
worden durch Taten der Gewalt. Das germaniſche König—
tum iſt ein erbliches. Nur dreimal, wie ich ſchon geſagt
habe, iſt im ganzen römiſchen Imperium ein Sohn auf
den Vater in der Herrſchaft gefolgt. Die merowingiſche
Dynaſtie hat ſich ein Vierteljahrtauſend hindurch behauptet.
Ein erbliches Königtum, das in ſeinem Recht ſo ſicher iſt,
kann ſich Beſchränkungen gefallen laſſen. Dem römiſchen
Imperium, das nur eine faktiſche Macht iſt, iſt jede Be—
ſchränkung ſeiner Gewalt gefährlich. Der fränkiſche König
kann auf eine gewiſſe Abgabe ſeiner Gewalt eingehen, ohne
ſich in ſeiner Exiſtenz zu gefährden, und ſo bildet ſich ein
Wechſelſpiel verſchiedener Gewalten und ſetzt ſich fort in
hundertfacher Geſtalt durch das ganze Mittelalter und alle
mittelalterlichen Staaten. Der Repräſentant der Freiheit
im Mittelalter iſt der trotzige Vaſall, der gleichzeitig ſeinem
Herrn Treue gelobt und hält, aber auch immer bereit iſt,
gegen ihn an ſein Schwert zu greifen, wenn er ſich in
ſeinen Rechten verletzt fühlt. Die mittelalterliche Ge—
ſchichte bewegt ſich in dieſem Gegenſatz, daß man zwiſchen
der fürſtlichen Gewalt und der ſtändiſchen Beſchränkung
immer aufs neue Ausgleiche ſucht, und dieſe Beſtrebungen
komplizieren ſich mit dem Gegenſatz zwiſchen Kirche und
Staat und wiederum der Rivalität der großen Reiche
untereinander.
Bis ins 16. und 17. Jahrhundert haben wir allenthalben
die ſtändiſche, dualiſtiſche Verfaſſung. Dann hält ſie nicht
länger vor, und zwar iſt das neue Moment, das inet, erer,
das Neuaufkommen der ſtehenden Heere. Indem im 16. faſſung durch
und 17. Jahrhundert ſtehende Heere geſchaffen werden, “ende ere.
wächſt den Fürſten ein Inſtrument in die Hand, mit dem
Kein Majoritäts⸗
prinzip.
118 Staͤndiſche Verfaſſungen.
ſie jeden Augenblick in der Lage ſind, dem ſtändiſchen Mit⸗
regiment ein Ende zu machen. Das Heer iſt deshalb in
den ſtändiſchen Kämpfen das eigentliche Streitobjekt. Wer
dieſes nicht mehr zu entbehrende ſtehende Heer in der
Hand haben ſoll, darum wird gekämpft. In England hat
es damit geendet, daß das Königtum niedergeworfen, der
König aufs Schafott geſchickt und das Schwergewicht der
Staatsgewalt den bisherigen Ständen übertragen wurde.
Auf dem Kontinent allenthalben hat es damit geendet, daß
die ſtändiſche Mitregierung beſeitigt und auf Grund der
ſtehenden Armee das abſolute Königtum errichtet wurde.
Um die 1000 Jahre hat alſo der ſtändiſche Dualismus
beſtanden und immer wieder in dieſer Epoche wird ver—
langt und geſchieht es, daß der Fürſt in irgendwelcher Be—
ſchränkung regiert mit dem Rate ſeiner Getreuen. Wie
weit unterwirft er ſich dem Rat? Wer ſind die Getreuen,
die ihm den Rat zu geben haben? Dafür gibt es unend—
liche Formen. Aber eins iſt ſicher. Eins kennt man nicht,
wo die Getreuen ſtehen oder die Fürſten zuſammenkommen,
um den Kaiſer zu beraten. Das iſt die Majorität. So,
wie dem Altertum der Repräſentativgedanke unbekannt war,
fo iſt dem Mittelalter unbekannt der Majoritätsgedanke.
Zuerſt wacht er auf bei der Papſtwahl. Als es ſich durch—
geſetzt hatte, daß die Kardinäle berechtigt ſeien, den Papſt
zu wählen, wird unter Papſt Alexander III., dem großen
Gegner des großen Barbaroſſa, feſtgeſetzt, daß Zwei Drittel
Majorität notwendig ſei, um einen Papſt rechtmäßig zu
wählen. Alſo wohl gemerkt, auch jetzt nicht der einfache
Majoritätsgedanke. Bis dahin wird immer feſtgehalten an
dem Grundſatz der Einſtimmigkeit, Einmütigkeit, wie man
wohl beſſer ſagt; denn es wird überhaupt nicht abge:
ſtimmt.
Kein Majoritaͤtsprinzip. 119
Das berüchtigte polniſche liberum Veto iſt urſprünglich
allen ſtändiſchen Verfaſſungen gemein. Als auch bei der
Wahl der deutſchen Könige das Wahlrecht auf ein kleines
Kollegium von ſieben bevorrechtigten Kurfürſten beſchränkt
wurde, galt anfänglich auch noch das Prinzip der Ein—
mütigkeit und ſolange das herrſchte, hatte das Kurfürſten—
recht gar keine ſehr große Bedeutung. Denn wenn die
Kurfürſten alle einig waren, war anzunehmen, daß auch
unter den anderen Fürſten keine weſentliche Oppoſition ſein
würde, und wenn ſie nicht einig waren, gab es einen
Bürgerkrieg und da zählten die Truppen anderer Fürſten
fo gut wie die der Kurfürſten. Erſt durch die goldene
Bulle Karls IV. iſt bei der Königswahl das Majoritäts—
prinzip eingeführt worden, und damit erſt eigentlich der
Wert des kurfürſtlichen Wahlrechts geſchaffen.
Der Dualismus, der alle romaniſch-germaniſchen Staaten
beherrſcht, nimmt im 17. Jahrhundert, wie wir geſehen
haben, ein Ende. In England in der Weiſe, daß das alte
Königtum, das legitime Königtum der Stuarts, geſtürzt
wird. Aber im engliſchen Volk hatte ſich eine Richtung
gebildet, die ſo erfüllt iſt von dem Gedanken an die Heilig—
keit der höchſten Gewalt, ſo erfüllt iſt von Furcht vor den
Gefahren, in die das Volk geſtürzt wird, wenn es ſich
losreißt von ſeiner Geſchichte und aus ſich heraus eine
obrigkeitliche Gewalt ſchaffen will, daß es nicht möglich
war, nach der Vertreibung der Stuarts eine Republik oder
ein Wahlkönigtum zu errichten, ſondern es blieb ſchließlich
nichts anderes übrig, als einen Kompromiß zu finden
zwiſchen der eigentlich ſtändiſchen Partei und der konſer—
vativen Partei, die ſo ſehr als irgend möglich an der Über—
lieferung feſthalten wollte. Für die eine Partei hat ſich
der Spitzname „Whigs“, für die andere „Tories“ ge—
Urſprung der
jetzigen eng⸗
liſchen
Verfaſſung.
120 Die engliſche Verfaſſung
bildet“). Der konſervative Gedanke ſtützt ſich vornehmlich auf
die Kirche. Die Tories ſind die ſtaatskirchliche, die angli—
kaniſche Partei, die ſich freilich von König Jakob II. hat
trennen müſſen — ganz gegen ihren eigenen Wunſch
und innere Überzeugung — weil König Jakob das Land
wieder katholiſch machen wollte. Da widerſetzt ſich die
veligiöfe Überzeugung und zwingt die Tories, mit den Whigs
zuſammenzuarbeiten, um König Jakob II. zu entfernen, und
es iſt nun ſehr merkwürdig, wie die beiden Parteien
von Punkt zu Punkt nach Kompromiſſen ſuchen, um das
legitimiſtiſche und das revolutionäre Prinzip zu vereinigen.
Man machte die Fiktion, daß König Jakob (abgeſetzt
konnte er nicht werden, da er von Gottes Gnaden
war) freiwillig dem Thron entſagt und das Land zu ver—
laſſen habe, und mit ähnlichen Fiktionen wurde immer
weiter gearbeitet und die Krone endlich übertragen nicht an
irgend jemand, der dem Parlament gerade zuſagte, ſondern
an den nächſten Verwandten, der wenigſtens ein eventuelles
Erbrecht hatte und nicht katholiſch war, Wilhelm III. Noch
heute gilt im engliſchen Staatsrecht der Grundſatz, daß
das Erbrecht begrenzt iſt durch Nichtzugehörigkeit zur
katholiſchen Kirche, weil die Erfahrung gelehrt habe, in
welch ungeheure Gefahren die Verbindung zwiſchen König
und katholiſcher Kirche das Land ſtürzen könne. An die
Stelle des eigentlichen legitimen Königtums tritt ein anderes,
das nun nicht mehr das abſolute Recht der Legitimität
des Königtums von Gottes Gnaden für ſich in Anſpruch
nehmen kann, und dadurch wird auch ein Ausgleich mög—
lich in der Armeefrage. Denn dieſem neuen König, dem
) Über die „Whigs und Tories“ wie uͤberhaupt über die Verfaſſungs⸗
entwicklung Englands vergleiche meine Unterſuchungen in meinen
„Hiſtoriſchen und politiſchen Aufſaͤtzen“.
feit 1688. 121
kann man die Armee anvertrauen. Warum? Weil
er ſie nicht mißbrauchen kann, weil er nicht an ſein Schwert
ſchlagen kann und ſagen: „Gott und mein Recht!“ und
damit die Freiheit Englands über den Haufen werfen.
Denn er hat ja nur ein beſchränktes Recht; ſeine Macht iſt
nicht legitim, nicht getragen durch die Überzeugung der
Millionen, daß er ein von Gott gegebener König ſei, ſondern
er iſt nur durch ein gewiſſes Unrecht auf den Thron ge—
langt, und um ſich zu behaupten, darf er keinen Konflikt
mit dem Lande hervorrufen. Er iſt, gerade weil er nicht
legitim iſt, bei weitem für die öffentliche Freiheit nicht
ſo gefährlich, wie es der legitime König hätte ſein können.
Und ſo iſt es den Engländern gelungen, trotz zweier großer
Revolutionen und trotz der Vertreibung des erſten Königs—
geſchlechts die hiſtoriſche Kontinuität ihres Verfaſſungslebens
einigermaßen aufrecht zu erhalten. Das neue Königtum
brachte zuerſt für England große Ungelegenheiten, weil es
durch Wilhelm III. in Perſonal-Union mit Holland kam und
ſpäter, ſeit Georg J., in Perſonal-Union mit Hannover, was
England in feſtländiſche Händel verwickelte, mehr als ihm
lieb war. Aber man wollte von dem Geburtsrecht nicht
weiter abweichen, als es abſolut notwendig war, und
ſo iſt es wirklich gelungen, einen großen Teil des alten
engliſchen Staatsrechts trotz des großen Bruchs bis in die
heutige Zeit hinüberzunehmen, und die bloß quaſi-legitimen
Könige haben immer noch eine recht bedeutende Stellung
eingenommen im ganzen 18. Jahrhundert. Obgleich eigent—
lich mit der Vertreibung Jakobs II. das begründet iſt, was
wir heute den Parlamentarismus nennen, daß nämlich das
Schwergewicht der Macht im Parlament liegt, hat es Gene—
rationen gedauert, bis auch nur theoretiſch dieſer neue Zu—
ſtand erkannt worden iſt. Noch als Montesquieu, der doch
Frankreich.
122 Der Abſolutismus in Frankreich.
wirklich einen ſcharfen Blick für politiſche Dinge hatte, im
Jahre 1748 über die engliſche Verfaſſung ſchrieb, wußte
er nichts von Majoritätsregierung und hat ſogar gewarnt
davor, weil es Tyrannei fein würde, wenn die Majorität
im Parlament regiere. Tatſächlich iſt die parlamentariſche
Regierung auch erſt durchgeführt und die Macht des König⸗
tums ſo gut wie völlig ausgeſchaltet worden im Laufe des
19. Jahrhunderts, nämlich ſeit der Reformierung des Wahl—
rechts im Jahre 1832, und in jüngſter Zeit ſind auch dem
Oberhaus die Funktionen, die es früher ausgeübt hat, zum
großen Teil genommen worden.
Wie war es nun in Frankreich? Dort, haben wir ge—
ſehen, hat umgekehrt der Abſolutismus geſiegt, und zwar
hat er geſiegt deshalb, weil auch hier wieder ganz aͤhnlich,
wie wir es von Chlodwig geſagt haben, die Monarchie es
iſt, die die Einheit des Staates vertritt. Die Könige,
die urſprünglich nur Herzoge von Isle de France waren,
haben im Laufe der Jahrhunderte alle die anderen Land—
ſchaften ererbt, erheiratet, erworben, erhandelt, erobert und
ſo allmählich Frankreich national geeinigt. In noch ſtärkerem
Maße haben wir dasſelbe in Sſterreich und in Preußen.
Preußen iſt durch die Familienpolitik der Hohenzollern,
durch ihre Erwerbungs- und Eroberungspolitik zuſammen—
gebracht worden. Die Dynaſtie hat den Staat geſchaffen,
und deshalb ſiegte auch die Dynaſtie im Kampfe mit den
Ständen. Die Stände ſuchen immer nur Schaden abzu—
wenden von ihrer Landſchaft, aber den einigen Staatsge—
danken vermögen ſie nicht zu faſſen. In Preußen leuchtet das
auf den erſten Blick ein. Aber auch in Frankreich iſt es tat—
ſächlich ſo, und das iſt der Grund für den Sieg des Ab—
ſolutismus, nicht etwa, daß die Franzoſen weniger Freiheits—
bedürfnis gehabt und den Deſpotismus weniger bekämpft
Die Revolution in Frankreich und England. 123
hätten als die Engländer — ſie haben ſich aufs äußerſte da—
gegen gewehrt; aber ſchließlich mußten ſie ſich unterwerfen,
weil allein das Königtum den nationalen Gedanken reprä—
ſentierte. Als nun die Zeit kam, wo man mit dieſer
Regierung durch das abſolute Königtum nicht mehr zu—
frieden war, und man die alte ſtändiſche Beſchränkung,
dieſen uralten germaniſch-romaniſchen Gedanken des Dualis—
mus wieder hervorholte, zeigte ſich die neue Verfaſſung
als nicht brauchbar. Ludwig XVI. wurde gefangen ge—
nommen, die Republik erklärt, der König auf das Schafott
geſchickt und in Frankreich der Zuſammenhang mit der
Vergangenheit abgeſchnitten. Zwölf Verfaſſungen hat Frank—
reich ſeitdem gehabt, und das Ende iſt geweſen, daß nach
rein demokratiſchem Prinzip Frankreich als Republik or:
ganiſiert iſt.
In England haben wir noch gewiſſe, wenn auch ſehr
unbedeutende Reſte des Dualismus, wie wir ihn kennen
gelernt haben, beſonders in der Form. Wer auf die wirk—
liche Macht ſieht, der findet, daß ſie in England, ebenſo
wie in Frankreich ruht in einer, wenn auch nicht von der
Geſamtheit, ſo doch von einem großen Teil des Volkes ge—
wählten Verſammlung. Weder in England noch in Frank—
reich ſind es aber die Maſſen geweſen, die Majorität des
Volkes, die die Revolutionen durchgeführt haben. Die
Engländer hätten nicht die Kraft gehabt, durch eigenen In England wie
Willen König Jakob II., den Stuart, zu vertreiben, (er hatte en renten
bereits eine bedeutende Armee aufgeſtellt), ſondern es kam gegen, nicht durch
ihnen zu Hilfe Wilhelm III. mit der krieggeübten holländiſchen e
Armee. Und warum ſollte und wollte nun er den Engländern
helfen? Weil ganz Europa England brauchte zum Kampf
Ludwig XIV., weil Europa ohne England ſeine Freiheit
gegen die Franzoſen nicht hätte verteidigen können, die Stuarts
Delbrück, Regierung und Volkswille. 9
124 Die auswärtige Politik und die Revolutionen.
aber im Solde Ludwig XIV. ſtanden. So war es eine all:
gemeine europäiſche Bewegung, die in England den Ständen
zum Siege verhalf. Auch der Große Kurfürſt beteiligte ſich,
indem er ſeine Soldaten nach Holland ſchickte. In England
aber war die neue Regierung des Volkes durchaus nicht ſicher.
Als das Parlament, in dem beide Parteien einig ge—
weſen waren, König Jakob zu entfernen, nun die neuen
Verfaſſungsbeſtimmungen alle fertiggeſtellt und Wilhelm II.
gewählt hatte, da traute man ſich doch nicht gleich ein neues
Parlament wählen zu laſſen, weil man fürchtete, die öffent—
liche Meinung würde ſofort wieder umſchlagen und den
echten König, was er ſich auch hatte zuſchulden kommen
laſſen, wieder zurückverlangen. Gegen die Maſſe alſo iſt
die Revolution gemacht worden durch führende Schichten.
Und genau ſo iſt es in Frankreich geweſen. Auch die fran—
zöſiſche Revolution iſt ganz und gar nicht durch die große
franzöſiſche Maſſe bewirkt worden. Die wollte wohl Reformen
und Beſchränkung, aber keinen Sturz des Königtums, und
die Verſammlung, die das Königtum abgeſchafft hat, wurde
gewählt wieder im Zuſammenhang mit der auswärtigen
Politik, weil Frankreich in Konflikt geraten war mit Europa.
Es iſt nicht richtig, daß die europäiſchen Mächte ausgezogen
ſeien, die neue franzöſiſche Freiheit zu erwürgen. Man
hatte Frankreich nur diplomatiſch bedroht, nicht mehr, und der
wirkliche Krieg war von Frankreich ausgegangen. Aber wie
auch immer dieſer Krieg entſtanden war, das franzöſiſche
Volk hatte die Empfindung, daß das Herz ihres Königs
im Lager der Feinde ſei. Das verträgt kein Volk. Das
Weſen des Königtums beruht darauf, daß es durch und
durch ſich eins fühlt mit ſeinem Volk. Wenn das nicht
wäre, könnte ein Volk niemals Vertrauen haben zu ſeiner
Dynaſtie. Wir haben geſehen, die meiſten Dynaſtien ſind
Entſcheidung der franzoͤſiſchen Revolution durch die Armee. 125
ſogar die Schöpfer der Staaten; die Zukunft und der Ruhm
der königlichen Familie hängt zuſammen immer mit der
glücklichen Führung des Staates. Und nun war man in
Frankreich dahin gekommen, daß als, die Preußen heran—
zogen, König Ludwig XVI. darauf hoffte, ſie ſollten nach
Paris kommen, um ihn von dem Mitregiment des Volkes
zu befreien. Das war eine moraliſche Unmöglichkeit, und
die Armee, derjenige Teil des Volkes, der bei auswärtigen
Konflikten am ſtärkſten erfüllt ſein muß von dem Gedanken
der Macht und der Sicherheit des Vaterlandes, fiel von
Ludwig XVI. ab und ſtellte ſich in den Dienſt des Konvents.
Dadurch iſt Ludwig XVI. geſtürzt worden. Nachdem der
auswärtige Feind zurückgeſchlagen war, erfolgte eine ſtarke
Reaktion in Frankreich. Faſt das ganze Land war gegen
den Konvent; man wollte die Republik nicht. Nicht bloß
die Vendee, ſondern nicht weniger als 60—70 von
den 83 Departements waren gegen den Konvent im
Aufſtand, und ſie ſind niedergeworfen worden durch
die Guillotine, indem hinter dieſer die Truppen ſtanden.
So hat ſich der Konvent immer wieder gegen das
Volk (von 1792 — 99 gab es unausgeſetzt Revolutionen)
behauptet, und ſeine Siege wurden immer wieder
entſchieden durch die Armee. Der Konvent traut ſich
nicht, ſich aufzulöſen und die Entſcheidung über die
Regierung dem Volke zu überlaſſen; dann würden ganz
andere Leute gewählt worden ſein. Es kam aber, daß
ſchließlich die Armee ſich ſagte: Dann können wir auch
ſelber regieren, wenn wir bloß für Andere die Ordnung
herſtellen ſollen, und ihren Liebling, den General Bonaparte
an die Spitze des Staates brachte, dem ſofort das ganze
Volk, glücklich den einſt von ihm ſelbſt gewählten Konvent
los zu ſein, mit Begeiſterung zufiel.
9 *
Verſchieden⸗
heiten in den
modernen
Staaten.
126 Das preußiſche Dreiklaſſen-Wahlrecht.
In England allmählich, in Frankreich plötzlich und
radikal, iſt der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen und
die reine parlamentariſche Majoritätsregierung eingeführt
worden. Wir wollen das nun nicht durch alle Staaten
hindurch verfolgen. In jedem herrſcht eine etwas andere
Färbung, ſei es in Dänemark, oder in Norwegen, oder in
Holland, oder in Belgien, oder Italien, oder Spanien,
oder Portugal, oder in Amerika — allenthalben iſt mehr
oder weniger vollſtändig eine einheitliche Regierungsgewalt
geſchaffen worden und der Dualismus überwunden. Selbſt
in Italien, wo das Königtum eine bedeutende Stellung
hat, kann es doch gegen den Parlamentarismus nicht auf—
kommen. In Sſterreich-Ungarn aber, in Rußland, auch in
Schweden und in Deutſchland, ſteht es anders. Die Ver—
hältniſſe in Oſterreich-Ungarn find zu kompliziert, um fie
hier zu behandeln; Rußland kann überhaupt noch nicht als
ein wahrer Verfaſſungsſtaat angeſehen werden. Das eigent—
liche normale Gegenſtück zu den parlamentarifchen Staaten
bildet Deutſchland. Hier iſt es gelungen, den uralten
germaniſch-romaniſchen Verfaſſungstypus auf dualiſtiſcher
Grundlage wieder zu erneuern. In Preußen bildet das
Dreiklaſſenwahlrecht neben dem Herrenhaus noch ein Mittel—
ding zwiſchen der alten Ständeverfaſſung und der modernen
Volksvertretung. Im Reich aber iſt die Kombination voll
zogen zwiſchen dem monarchiſchen und dem demokratiſchen
Gedanken. Nicht gegen die Regierung aber iſt dieſe volks—
tümliche Verfaſſung geſchaffen worden, wie wir geſehen
haben, nicht um jener möglichft die Gewalt zu entreißen,
ſondern ſie iſt geſchaffen worden ihr zur Hilfe, mit der Gegen—
leiſtung, daß das Volk an der Regierung beteiligt werde.
Daran werden wir die Frage knüpfen können: Haben
wir zu erwarten, daß wir auch in Deutſchland allmählich
Abwechſelnd regierende Parteien. 127
in eine Verfaſſungsform hinübergleiten, die jenen parla- Wird auch
mentariſchen ähnlich iſt, oder liegen die Dinge fo, daß wir nenn
im Gegenteil erwarten können, daß die neue politiſche Form werden?
(kompliziert durch den bundesſtaatlichen Charakter des
deutſchen Reiches) in der Weltgeſchichte ſich als etwas
Dauerndes behaupten werde?
Gibt es eine Art natürlicher Fortentwicklung vom
konſtitutionellen zum parlamentarifchen Syſtem? Von zwei
Seiten wird heute nicht ganz ſelten dieſe Behauptung auf:
geſtellt, erſtens von der äußerſten Linken, die darauf hofft,
und zweitens von der äußerſten Rechten, die es der Regie—
rung zum Vorwurf macht, daß ſie ſich nicht genügend
dagegen ſtemme.
Um ein parlamentariſches Regiment zu haben, iſt
Vorausſetzung, daß die Parteien trotz ihres Gegenſatzes ſich
ziemlich nahe ſtehen. In Amerika gibt es die demokratiſche
und die republikaniſche Partei. Wie ſchon die beiden
Namen zeigen, iſt ein ſehr weſentlicher Unterſchied zwiſchen
ihnen nicht. Die einen ſind mehr unioniſtiſch, die andern
ſind mehr föderaliſtiſch. In England haben wir die Whigs
und Tories, jetzt überſetzt in Liberale und Konſervative.
Die Unterſchiede ſind ſo wenig tief, daß ſehr häufig die
eine Partei wichtige Programmpunkte von der anderen
übernommen hat. Beide Parteien zuſammen haben einſt
die Stuartkönige vertrieben und die Wahlreform von 1867
wurde von den Konſervativen gemacht“). Solche Parteien
können leicht, ohne den Staat aus dem Gleichgewicht zu
bringen, in ſeiner Leitung abwechſeln. Nicht möglich iſt
es aber, Parteien abwechſeln zu laſſen, die etwa ſo weit
) Daß die beiden engliſchen Parteien trotz der ſtaͤndigen Be⸗
kaͤmpfung ſich innerlich ſehr nahe ſtehen, wird von vielen neueren Beob—
achtern, beſonders auch von Belloe und Lowell betont.
128 Wo ift wechſelndes Parteiregiment möglich?
einander entgegenſtehen, daß die eine monarchiſtiſch und
die andere republikaniſch iſt. Wenn man in Frankreich
wieder eine Majorität monarchiſch Geſinnter hätte, und dieſe
die Monarchie wieder einführte, und nach einer Reihe von
Jahren käme eine republifanifche Majorität und führte die
Republik wieder ein, und ſo fort im lieblichen Wechſel, ſo
müßte der Staat daran zugrunde gehen.
Wenn man das auf Deutſchland überträgt, was würde aus
Deutſchland werden, wenn wir abwechſelnd eine klerikale
und eine ſozialdemokratiſche Regierung hätten? Die klerikale
Regierung, die vor allem das Schulweſen, bei der Volks—
ſchule angefangen bis zur Univerſität, unter kirchlichen Ein—
fluß zu ſtellen ſucht, und wenn ſie das glücklich erreicht
und die Lehrerſchaft in orthodoxem Sinne erzogen hat, dann
eine ſozialdemokratiſche Majorität, die den Zukunftsſtaat
einführt? Bei der erſten Majorität wiſſen wir doch un—
gefähr, was ſie uns bringen wird; bei der zweiten wiſſen
wir das nicht einmal. Nur das eine iſt ganz klar: eine
Abwechſlung zwiſchen dieſen beiden „Idealen“ iſt ſchlechter—
dings unmöglich. In Frankreich iſt ja noch immer eine
ziemlich bedeutende monarchiſtiſche Minorität. Sie hat ſogar
auch in der Republik einmal wirklich die Majorität gehabt,
und zwar in den erſten Jahren nach 1871. Sie konnte
nur deshalb nicht zu ihrem Ziele kommen, weil ſie in ſich
geſpalten war, weil ſie drei Könige zu vergeben hatte.
Der erſte war der legitime Erbe der alten Bourbonen, der
Graf von Chambord, der zweite der Prinz von Orléans,
Graf von Paris, und drittens die Bonapartes, die ja nach
der Niederlage von Sedan ausſchieden. Aber die beiden
anderen waren ernſthafte Kandidaten, und es war ſehr nahe
daran, daß der Graf Chambord zum König berufen wurde;
er wollte nur nicht die Bedingungen annehmen, die man
Parteiregierung in Frankreich. 129
ihm bot. Seitdem ſind nun, da ſie zu einer Monarchie
nicht kommen konnten, die Monarchiſten in Frankreich eine
bloße Oppoſitionspartei geworden. Aber was iſt die Folge
davon? Daß ſie in der Lage ſind, jede Regierung zu
ſtürzen, ſobald dieſe nicht einen ſehr großen Teil der
Republikaner hinter ſich hat. Es iſt ſchon die Forderung
aufgeſtellt worden, daß die Regierung nicht bloß die
Majorität der Kammer, ſondern auch die Majorität der
Republikaner hinter ſich haben müſſe. Bald hält man
ſich an dieſen Grundſatz, bald nicht, z. B. das Geſetz über
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienſtzeit iſt ſoeben
nur angenommen mit Hilfe der Monarchiſten gegen einen
ſehr weſentlichen Teil der Linken. Ob auf die Weiſe ein
ſo großes Geſetz ſich wirklich durchführen läßt, muß ſich
zeigen. Jedenfalls iſt das Zweiparteienſyſtem, wie es in
England und auch in Amerika herrſcht, in Frankreich dadurch
ausgeſchloſſen, daß ein ſehr großer Teil des Volkes die
Republik überhaupt nicht wünſcht, ſie innerlich gar nicht
anerkennt. Die Folge iſt der völlige Mangel an Stabilität
in der Regierung. Wenn gegenüber den Monarchiſten alle
anderen eine Partei bildeten, würde die ja immer regieren
müſſen. Das wäre aber ganz unerträglich. Das Partei:
regiment iſt ja nur dadurch volkstümlich, daß die Parteien
abwechſeln. Wenn eine immer die Regierung hätte, würde
es eine Deſpotie werden. Alſo die Folge davon, daß die Monar—
chiſten für die franzöſiſche Regierungsbildung ausſcheiden, iſt,
daß die anderen auch nicht zuſammenhalten, ſondern immer Vietheit der
neue Gruppierungen ſich bilden. Man zählt etwa neun Parteien in
Fraktionen in der franzöſiſchen Kammer, die Royaliſten, ne
die Rechte, die konſervativen Republikaner, die bürgerlichen
Republikaner, die demokratiſchen Republikaner, die ſozialiſtiſch
angehauchten Republikaner, die wirklichen Sozialdemokraten
130 Die Parteien in Deutſchland.
und die intranfigenten Sozialdemokraten. Aus denen werden
immer neue Gruppen zuſammengeſetzt, und immer neue Majo⸗
ritäten komponiert. Dieſelbe Vielheit der Parteien wie in Frank-
reich haben wir auch in Deutſchland. Im erſten Reichstag (1867)
gab es acht Fraktionen: Konſervative, Freikonſervative, Alt⸗
liberale, bundesſtaatlich Konſtitutionelle (in dieſer Fraktion
waren u. a. vereinigt Windthorſt, Hänel, der Führer der Frei—
ſinnigen, und Guͤnther, ein Sachſe, der nachher mein Partei—
genoſſe geworden iſt in der Reichspartei), dann die National⸗
liberalen, dann die Freiſinnigen, dann die eigentliche Linke,
dann die Polen. Wer aufmerkſam der Liſte gefolgt iſt,
die ich eben vorgetragen habe, wird bemerkt haben,
daß zwei Parteien damals noch fehlten, von denen wir
uns heute kaum denken können, daß ſie nicht im Reichs⸗
tag waren, nämlich das Zentrum und die Ssozialdemo—
kraten. Beide Parteien haben ſich erſt ſpäter gebildet.
Die Sozialdemokratie war damals noch zu ſchwach,
um eine Fraktion zu bilden, und das Zentrum iſt erſt
1871 gebildet worden; beide Parteien aber haben nun
natürlich auf die Umwandlung der anderen auch den
ſtärkſten Einfluß gehabt. Es iſt ſehr unwahrſcheinlich,
daß ſich jemals im deutſchen Reichstag eine Partei bilden
wird, die für ſich die Majorität hat. Ja es iſt unwahr⸗
ſcheinlich, daß ſich auch nur eine Kombination bilden ließe
von einiger Dauer, die die Majorität hat. Das kommt
von der konfeſſionellen Spaltung des deutſchen Volkes.
Die Zerſplitterung der Parteien iſt nichts Willkürliches, auch
nichts dem deutſchen Volkscharakter Eigentümliches, ſondern
etwas durch unſere Geſchichte notwendig Gegebenes. Zum
wenigſten fünf Gruppen müſſen auf abſehbare Zeit bei uns
notwendig exiſtieren: Konſervative, Liberale, Zentrum, Sozia⸗
liſten, Polen. Bildet ſich noch eine gemäßigt⸗-konſervative,
Das Zentrum. 1
eine gemäßigt⸗liberale und vielleicht auch einmal eine ge—
mäßigt⸗ſozialiſtiſche Gruppe, ſo haben wir acht. Ob das
Zentrum mehr zur Rechten oder mehr zur Linken gehört,
ſteht dahin. Im Grunde iſt es eine demokratiſche Partei,
aber das ſtarke Autoritätsprinzip der Fatholifchen Kirche
und das Feſthalten an den überlieferten Glaubensformen
verbindet es mit den Konſervativen. Alle unſere Zeitungen
waren voll von dem natürlichen Zuſammengehen des Zen—
trums mit den Konſervativen, dem ſchwarz-blauen Block,
aber jetzt haben wir geſehen, daß ſie ſich bei der fundamental
wichtigen Einführung des Vermögenszuwachs-Steuergeſetzes
im Reichstag gegeneinander gekehrt haben. Der viel zitierte
„ſchwarzblaue Block“ iſt eine Fabel, war nichts als eine
vorübergehende Kombination.
Die Vielheit der Fraktionen, von denen keine die
Majorität hat, ſchließt einen wirklichen Kampf gegen die
monarchiſche Regierung, um an deren Stelle die Parteien
zu ſetzen, aus. Damit haben wir aber das Weſen der Dinge,
die Frage, weshalb in Deutſchland nicht die Parteien re—
gieren, noch keineswegs erſchöpft. Weshalb regieren denn
in England, Frankreich und den anderen parlamentariſchen
Staaten die Parteiorganiſationen? Sie regieren, weil ſie
gewiſſe Maſſen hinter ſich haben. Weshalb regieren die
Maſſen? Weil ſie weiſe ſind? Die Frage haben wir ſchon
einmal aufgeworfen. Es gibt ja erfahrene Leute, die ſagen,
wofür die große Maſſe iſt, das wird immer das Verkehrte
ſein. Das wollen wir nicht gerade annehmen. Aber daß,
wo die große Menge iſt, immer die große Weisheit iſt,
daran werden heute auch nur noch wenige glauben. Die Maſſe
regiert, nicht, weil ſie weiſe iſt, ſondern weil ſie Macht iſt.
Der jüngſt verſtorbene Philoſoph Gompertz in Wien
hat hieraus eine ungünſtige Folgerung für das Frauen—
Maſſe und
Macht.
132 Frauen⸗Wahlrecht.
Maſſenregierung ſtimmrecht gezogen. Sieht man in dem Parlament eine
und Frauen⸗
Wahlrecht.
Das Geld.
Volksvertretung, ſo iſt das Frauenſtimmrecht konſequenter—
weiſe zuzugeſtehen, denn die Frauen gehören ganz gewiß
ebenſo zum Volk wie die Männer. Erkennt man aber,
daß dies Geſetz der Majorität nichts anderes bedeutet, als
daß in friedlicher Weiſe ſtets die größere Macht regieren
ſoll, ſo iſt das Frauenſtimmrecht abzulehnen, zum wenigſten
für Deutſchland. Denn in Deutſchland gibt es, obgleich
mehr Knaben als Mädchen geboren werden, doch über
800000 Frauen mehr als Männer und mit der Einführung
des Frauenſtimmrechtes würde alſo die geſetzliche Herrſchaft
von den Männern auf die Frauen übergehen. Sind die
Frauen aber vermöge ihrer Mehrzahl auch ſtärker als die
Männer? Schwerlich. Käme es zum Kampfe zwiſchen der
männlichen und der weiblichen Partei, ſo würden die
modernen Amazonen vermutlich am Ende ebenſo unterliegen
wie die antiken. Die ſtärkere Stimmenzahl iſt, ſobald die
Frauen dabei ſind, nicht mehr die ſtärkere Macht. Das
Majoritätsprinzip hätte mit der Einführung des Frauen—
ſtimmrechtes ſeinen inneren Sinn verloren und damit ſeine
Berechtigung. Form und Inhalt des Staates geraten in
Widerſpruch zueinander. Das muß zu Konvulſionen,
Revolutionen führen; wer ſie vermeiden will, ſuche die
Frauen von dem Kampfboden der Politik fernzuhalten.
Wie es ſich nun auch mit dieſer Argumentation ver—
halte, erſchöpft iſt das Problem jedenfalls damit nicht.
Denn vor allem, und darauf müſſen wir jetzt kommen,
es gibt noch andere Mächte als die Maſſe. Da ſind z. B.
die verſchiedenen Kirchen und da iſt das Geld, oder modern
ausgedrückt, das angeſammelte Geld, das Kapital. Das
Kapital hat ſich urſprünglich gegen die Regierung der
Maſſen, als ſie allmählich aufkam, geſträubt, ſich aber
Geld, Kirche, Armee. 133
ſchließlich damit abgefunden aus einem ſehr einfachen
Grunde, weil das Geld ja nirgends beſſer ſeine eigene
Macht in Anwendung bringen kann als gerade bei der
Einwirkung auf die Maſſe.
Wie viele haben ſchon geſagt, in Wirklichkeit habe Amerika
gar keine Demokratie, ſondern eine Plutokratie. Die Wahlen
werden gemacht mit dem Gelde. Jedenfalls ſpielt das
Geld eine große Rolle — es ſind nicht bloß direkt Be—
ſtechungen damit gemeint, ſondern die ganze Wahlorganiſation,
von der wir geſehen haben, daß ohne ſie überhaupt keine
wirklichen Maſſenwahlen zuftande zu bringen find, kann es
nicht geben ohne Geld, und fie iſt deſto wirkſamer, je mehr
Geld ihr zur Verfügung ſteht“). Wer das meiſte Geld auf:
wendet und aufbringen kann, hat jedenfalls eine ſehr ge—
wichtige Stimme bei der Bildung der Majorität, und mehr
braucht ja das Geld nicht. Aus ähnlichen Gründen haben
ſich auch die Kirchen, insbeſondere die katholiſche mit
ihrem ungeheuren Einfluß auf die Maſſen, mit der
Majoritäts- und Maſſenherrſchaft abgefunden.
Aber es gibt ja noch andere Kräfte außer den Maſſen
und den Kirchen, und vor allem eine, die immer an letzter
Stelle den Ausſchlag gibt. Wo liegt zuletzt die wahre
Macht? Sie liegt in den Waffen. Die entſcheidende
Frage für den inneren Charakter eines Staates iſt deshalb
immer: Wem gehorcht die Armee? In Frankreich und
England gehorcht ſie heute der parlamentariſchen Majorität.
In England iſt das ſo gekommen, daß der rechtmäßige König
(wir müſſen immer wieder daran erinnern) Jakob II., Stuart,
geſtürzt wurde und an ſeine Stelle ein nicht berechtigter
) Juͤngſt wurde veröffentlicht, daß die Nachwahl im Kreiſe Ragnit—
Pillkallen der nationalliberalen Partei 140000 Mk. gekoſtet habe. Das
iſt ein Wahlkreis von 397.
Die Kirche.
Die Armee.
Die Armee
in England.
134 Meuterei⸗Bill.
König, erſt Wilhelm III., dann Anna, dann das Haus
Hannover auf den Thron berufen wurden. Zu dieſen
Königen hatte die engliſche Armee, klein wie ſie war, keine
innere Beziehung, und die engliſchen Verfaſſungsgeſetze, die
damals gegeben wurden, ſorgten dafür, daß auch eine
ſtaatsrechtliche Form das zum Ausdruck brachte. Das geſchah
in der ſogenannten Meuterei-Bill, d. h. dem Geſetze, das die
Diſziplin der Armee begründete. Es gibt keine Armee
ohne diſziplinariſche Gewalt. Wenn der gemeine Mann
ſich herausnähme, ſeinem Hauptmann eine Ohrfeige zu
verſetzen und dieſer müßte dann hingehen ans Schöffen—
gericht und jenen verklagen, dann würden wir ſagen, die
Armee exiſtiert nicht mehr. Die Armee als ſolche kann
nur exiſtieren vermöge einer befonderen in der Kommando—
gewalt verkörperten, organifierten Diſziplin. Nun machte
man in England ein Geſetz über militäriſche Meutereien,
das dieſe wirkliche Gewalt ſchuf. Aber dieſes Meuterei—
geſetz galt nur für ein Jahr und mußte jedes Jahr er—
neuert werden. Damit glaubte der Parlamentarismus ſich
die Macht geſchaffen zu haben, dem König jedes Jahr,
wenn er ihm gefährlich zu werden ſchien, die Macht ent—
reißen zu können, indem er die Meuterei-Bill nicht ver—
längerte, und Staatsrechtslehrer möchten daraus die Folge—
rung ziehen, das ſei der Weg, wie man das Königtum,
wenn es deſpotiſch zu werden drohe, ohnmächtig mache.
Ein ſolches Geſetz iſt aber doch nur eine juriſtiſche Form.
Eine Armee, die einmal diſzipliniert iſt, die bleibt auch in
der Hand des Offizierkorps, mag das Parlament Meuterei⸗
geſetze geben oder nicht, und wenn alſo der König das
Offizierkorps hinter ſich hat, dann hat er auch die Armee
hinter ſich, und dann helfen keine Meutereigeſetze. Aber eben
der wahre König exiſtierte ja in England nicht mehr. Es iſt jetzt
Die Armee in Frankreich. 135
nur ein quaſilegitimes Königtum, daß durch die Revolution
geſchaffen iſt, dem die innere Beziehung zur Armee fehlt,
und ſo konnte ein ſolches Meutereigeſetz, wenn es auch an
ſich nicht ſo ſehr viel zu bedeuten hatte, doch die Form
darſtellen, die die Armee in die Hand des Parlamentes
legte.
Auch in Frankreich gehorcht die Armee heute der Majo—
rität der Kammer. Aber mit Knirſchen. Ein Volksredner,
ein Sozialdemokrat, ein Journaliſt, ein Börſenmakler, ein
Rechtsanwalt ſind abwechſelnd in Frankreich Kriegsminiſter
geweſen und haben darüber zu befinden gehabt, wer von
den Regimentskommandeuren zum General avanciert, wer
ſchließlich und wann er den Abſchied bekommt. Wie kann
eine Armee, die die Tradition des großen Napoleon mit
all ihren Siegen, mit all ihrem Ruhm hat, ſich einer
ſolchen Regierung unterwerfen? — Weil ſie die Beſiegte
von Sedan iſt! Darum muß ſie jetzt in Frankreich
den Advokatenregierungen Gehorſam leiſten. Aber laßt
ſie einmal wieder ſiegen, wirklich ſiegen, dann iſt es
mit dem parlamentariſchen Regiment in Frankreich auch
vorbei. Der General, der etwa in Berlin eingezogen wäre
und von Berlin nach Paris zurückkäme, der gehorchte nicht
mehr einem Kriegsminiſter, der heute von dieſer und morgen
von jener parlamentariſchen Majorität eingeſetzt wird. Aber
weil die Armee nicht mehr imſtande war, den alten Ruhm
aufrecht zu erhalten, darum mußte ſie auch von der Regierung
zurücktreten. Die Regierung Napoleons III. war ja eine
Volksregierung; denn mit ungeheurer Majorität hat in all—
gemeiner Abſtimmung das franzöſiſche Volk dafür ent—
ſchieden, ihn erſt zum Präſidenten, dann zum Kaiſer zu
machen. Aber ſie war gleichzeitig eine militäriſche Regierung.
Wenn das Volk nicht fo geſtimmt hätte, vielleicht hätte
Die Armee
in Frankreich.
Die Armee
in Deutſchland.
136 Das deutſche Offtzierkorps.
Napoleon III. ſich doch zum Kaiſer gemacht, weil er eben
die Armee hinter ſich hatte, weil die Armee an ihre Nieder—
lagen von 1813 und 15 noch nicht endgültig glauben wollte
und auch nicht endgültig zu glauben brauchte, weil in ihr
noch eine ſolche Gewalt war, daß ſie hoffen konnte, wenn
wieder ein Mann, der ganz mit ihrem Geiſt einig war,
an der Spitze Frankreichs ſtände, daß ſie mit ihm regieren
und den ehrenvollen Platz, der ihr gebührt in der Ordnung
der Stände, einnehmen würde. So iſt es ja auch gekommen.
Zunächſt erwarb die Armee im Krimkrieg, dann in dem
italieniſchen 1859, wenn auch nicht ſehr großartige, fo doch
neue ehrenvolle Siege, bis ſie 1870 zuſammenbrach.
Nun übertragen wir das einmal auf Deutſchland-Preußen.
Stellen wir uns ein parlamentarifches Regiment vor und
nehmen, wen Sie wollen aus dem Abgeordnetenhaus oder
Reichstag und laſſen ihn bei uns Kriegsminiſter ſein. Wer
auch nur die geringſte Fühlung mit unſerem Offizierkorps
und unſerer Generalität hat, weiß, daß das eine Unmög—
lichkeit iſt, daß unſere Armee auch erſt ein Sedan von
der anderen Seite erlebt haben müßte, um das über ſich
ergehen zu laſſen. Wer iſt die Armee? Die Armee beſteht
aus drei Teilen: aus den Berufsſoldaten, die ihr Leben
dem Waffendienſt gewidmet haben, das ſind die Offiziere;
aus zwei Jahrgängen des ganzen Volkes, fortwährend
wechſelnd, das ſind die Mannſchaften; und aus dem Unter—
offizierkorps, das zwiſchen beiden eine Mittelſtellung ein—
nimmt. Den Geiſt der Armee beſtimmt natürlich nicht
der wechſelnde Teil, ſondern der dauernde, das Offizierkorps,
das die Mannſchaft in ſeinem Geiſte erzieht und vermöge
des Diſziplinargeſetzes in ſeinem Geiſte regiert.
Verſenken wir uns etwas in den Geiſt des Offizierkorps,
wie er bei uns ſchon ſeit Jahrhunderten lebt und früher
Das Offizierkorps als Gefolgſchaft. 137
auch in allen anderen romaniſch-germaniſchen Staaten lebendig
war. Die ſtehenden Armeen ſind gebildet worden bei uns
im 17. Jahrhundert; in Brandenburg-Preußen durch den
Großen Kurfürſten, der eine Reihe zerſplitterter Landſchaften
geerbt hatte, von Preußen bis zum Rhein, und nun einen
Staat errichtete vermöge eines einheitlichen Beamtentums
und einer einheitlichen Armee. Auch ſeinem Sohn, Friedrich
Wilhelm J. und Friedrich dem Großen dienten die Offiziere,
wie die Mannſchaften nicht als dem Landesherrn, ſondern
als ihrem Kriegsherrn. Es kommt dabei nicht darauf an, ob
einer Preuße oder Brandenburger oder Pommer oder aus
ſonſt einer Landſchaft iſt, er braucht gar nicht einmal ein
Deutſcher zu ſein, ſondern er tritt in den Dienſt irgend—
eines großen Kriegsherrn, in dieſem Falle des branden—
burgiſch-preußiſchen, und widmet ſich ihm durch ein Treu—
gelöbnis, ihm, nicht dem Staat. Zum Staat hat der Soldat
des 17. und 18. Jahrhunderts nur eine mittelbare Be—
ziehung, weil nämlich ſein Kriegsherr auch der Souverän
dieſer oder jener Landſchaft iſt. Aber der, dem die Armee
dient, das iſt der, dem ſie die Treue geſchworen hat, und was
er auch immer für politiſche Ziele verfolge, die gehen die Armee
nichts an. Dieſen perſönlichen Kriegsdienſt wird man noch
beſſer verſtehen, wenn man ihn noch weiter durch die Jahr—
hunderte der deutſchen Geſchichte verfolgt. Wir können
zurückgehen bis in die Urzeiten, wo uns Cäſar und Tacitusckermaniſche Ge—
ſchildern, daß der deutſche Fürſt umgeben iſt von einem G
Gefolge beſonders tapferer Krieger, die ihn in die Schlacht
begleiten, bei denen das Geſetz gilt, daß es die größte
Schande iſt, aus der Schlacht zurückzukehren, wenn der
Fürſt gefallen iſt. Das Gefolge kämpft für den Fürſten,
der Fürſt für den Sieg. Dieſes eigentümliche Kriegertreu—
verhältnis, das wir übrigens nicht bloß bei den Germanen,
138 Die Gefolgſchaft.
ſondern auch bei anderen Völkern, z. B. auch bei den
Japanern finden, bei den Römern und Griechen aber nicht,
wenigſtens nicht in dieſer Art, das iſt der Ausgangspunkt
des mittelalterlichen Staats geworden. Dieſe Gefolgſchaft,
die dem Fürſten zu perſönlicher, unverbrüchlicher Treue ſich
verpflichtet hat (in pace decus, in bello praesidium), der
als letztes und höchſtes Geſetz gilt, die Treue zu halten,
pflanzt ihren Geiſt fort. Das Verhältnis wird im Mittel—
alter hinübergeleitet in das Vaſallitätsverhältnis der Ritter—
ſchaft zu ihrem Lehnsherrn mit derſelben Auffaſſung, und
es ſetzt ſich heute fort in unſerem Offizierkorps. Der König
iſt noch heute das Haupt ſeines Gefolges; er iſt der Kamerad
ſeiner Offiziere und zu ihm als ihrem Kriegsherrn halten
ſie ſich, und das iſt das Fundament unſeres Staatsweſens.
In der preußiſchen Verfaſſung ſteht nur, der König führe
den Oberbefehl über das Heer, und ebenſo ſteht es in der
deutſchen Reichsverfaſſung. Ich laſſe hier aus die Kom—
plizierung, die eintritt durch die Eigenſchaft Deutſchlands
als Bundesſtaat. Wie weit iſt der Kaiſer Kriegsherr auch
der kleineren Kontingente ſeit 1867 geworden? Ich habe
darüber in den Preußiſchen Jahrbüchern (Maiheft 1913)
einen Aufſatz veröffentlicht; wer ſich näher darüber infor—
mieren will, mag es dort nachleſen.
Machen wir uns für jetzt klar, daß ein Verhältnis exiſtiert,
das zwar in keinem Verfaſſungsparagraphen irgendwie for—
muliert iſt, aber doch die ſtärkſte Gewalt iſt, die wir im ganzen
deutſchen Reich überhaupt haben, unzerbrechlich von innen
heraus, von außen wäre ſie nur zu zerbrechen durch die
allerfurchtbarſte der Niederlagen. Ja, ſelbſt die furchtbarſte
der Niederlagen hat es ja überſtanden. Der König von
Preußen, als er bei Jena und Auerſtädt beſiegt wurde,
konnte fliehen bis in die letzte Stadt ſeines Reiches, bis
Friedrich Wilhelm in Memel, Napoleon in Sedan. 139
nach Memel: König von Preußen und Kriegsherr blieb er
doch. Sein Volk verehrte in ihm den angeſtammten König,
und ſeine Armee in den kleinen Reſten, die noch da ge—
blieben waren, hielt zu ihm, und aus ihr iſt durch das
Genie Scharnhorfts und Gneiſenaus die neue Armee gebildet
worden, indem die ganze Jungmannſchaft des Landes dem
Offizierkorps zur militäriſchen Erziehung übergeben wurde.
Vergleichen wir einmal, welche unmittelbaren Folgen
es auch für die Kriegführung haben kann, ob ein ſolches
Treu⸗Verhältnis zwiſchen Fürſt und Volk eriftiert oder
nicht. Als die Franzoſen 1870 in den großen Schlachten
bei Metz geſchlagen waren, und die Bazaineſche Armee
nach Metz hineingeworfen war, da ſahen Napoleon und
der Marſchall Mac Mahon wohl ein, daß es das Rich—
tigſte ſei, mit der anderen geretteten Hälfte der Armee
nach Paris zurückzugehen. Wäre die Armee nach Paris
zurückgegangen, dann iſt eigentlich nicht abzuſehen, wie
wir Frankreich, wenigſtens ſo vollſtändig wie wir es nach—
her geſehen haben, hätten beſiegen können. Es kam aber
anders durch die Kaiſerin und die Regierung in Paris, die
flehentlich baten, nicht nach Paris zu gehen; denn wenn
der Kaiſer ſo weit zurückweichen müſſe, dann ſei die
Revolution ſicher und das Kaiſertum verloren, und darauf—
hin, aus dieſem innerpolitiſchen Grunde, nahm die Armee
die Richtung nach Norden, in der Hoffnung, von dort aus
Bazaine in Metz zu Hilfe zu kommen. Sie wurde ſtatt
deſſen von der deutſchen Armee beſiegt und bis auf den
letzten Mann gefangen genommen. Wenn dieſe bei Sedan
gefangene Armee in Paris zur Verteidigung geblieben wäre,
hätten wir die Stadt nicht einſchließen können. Der Grund
der völligen franzöſiſchen Niederlagen alſo war, daß Napoleon
kein ſicheres Verhältnis zu ſeinem Volk hatte, wie ja auch
Delbrück, Regierung und Volkswille. 10
Sedan.
Die preußiſche
Armee 1848.
140 Das preußiſche Offizierkorps
ſchon Napoleon I. darüber geſtürzt iſt, daß in dem Augen⸗
blick, wo die Verbündeten in Paris einzogen, ſeine Marſchälle
von ihm abfielen. Weder die Öfterreicher, noch die Preußen,
noch die Ruſſen waren von ihrem Herrſcher abgefallen, als
der Feind die Hauptſtadt genommen hatte. Dieſe Beziehung
des Volkes zum angeſtammten Herrſcher hat nun ihre höchſte
Potenz in der Beziehung des Offizierkorps zum Souverän
in ſeiner Eigenſchaft als Kriegsherr. Wir haben ja den
Fall, daß dieſe Beziehung grundſätzlich gelockert werden
ſollte, in unſerer Geſchichte tatſächlich gehabt. Im Jahre
1848 beſchloß das Parlament, das in Frankfurt die neue
Verfaſſung zu ſchaffen befliſſen war, daß alle Bundes—
kontingente dem Reichsverweſer huldigen ſollten. Reichs—
verweſer war der Erzherzog Johann von Sſterreich; alſo
auch die preußiſche Armee ſollte dem Erzherzog huldigen.
Welche erſtaunliche Verkennung des Preußentums! In
Königsberg kommandierte ein Graf Dohna, Schwieger—
ſohn Scharnhorfts; in Stettin kommandierte der General
von Wrangel, der ſchon als 23 jähriger 1814 ein Küraſſier⸗
regiment führte. Als er an dem Unglückstage von Vauchamps⸗
Etoges (14. Februar) rings eingeſchloſſen ſchien und der
franzöſiſche Parlamentär, der ihn zur Übergabe aufforderte,
ſich herausnahm, direkt die Mannſchaft anzuſprechen, rief
Wrangel ſeinem Wachtmeiſter zu: „Schieß ihn tot!“ nahm
das Regiment zuſammen und brach durch.
In Münſter kommandierte Graf Gröben, der 1812, als
die Preußen mit den Franzoſen gegen die Ruſſen ziehen
mußten, zu denjenigen gehört hatte, die beim Abſchied—
nehmen Gneiſenau zugerufen hatten, er ſolle an die
Spitze der Patrioten treten, damit „Hermann in ſeinen
Enkeln lebe!“ In Breslau kommandierte Graf Brandenburg,
der in der Neujahrsnacht 1814 als Erſter den Rhein über⸗
und der König. 141
ſchritten hatte. Dieſe Leute follten dem vom Parlament
als Reichsverweſer eingeſetzten öſterreichiſchen Erzherzog
huldigen? Was war das für ein Verſtändnis für das
Weſen der preußiſchen Armee, in der noch die Sieger von
1813 lebten! Und wenn jetzt die Träger des Eiſernen
Kreuzes von 1870 in der Armee allmählich ausſterben, der
Geiſt lebt weiter. Es iſt ſchlechthin unmöglich, daß eine
ſolche Armee ſich von ihrer Vergangenheit losreißt und ſie
verleugnet. An dieſem Felſen branden alle Wogen vergebens.
Weder läßt ſich die preußiſche Armee von ihrem König,
noch der König von ſeiner Armee losreißen. Wie ſehr
irren ſich jene Staatsrechtslehrer, die da glauben, das
Staatsleben aus den Paragraphen der Verfaſſung ableſen
zu können! Wie die lebendigen Kräfte des Parlaments in
den Parteien ſtecken, von denen in der Verfaſſung kein
Wort zu finden iſt, ſo beruht das Weſen des Königtums
nicht in den Funktionen, die ihm die Verfaſſung zuweiſt,
ſondern in Kräften, die weit jenſeits aller formalen Rechtsſätze
in den Jahrtauſenden wurzeln, in den Beziehungen zum Heer.
Neben dem Offizierkorps ſteht das Beamtentum. Es Das
iſt zwar nicht fo unmittelbares Inſtrument der Macht wie enam.
die Armee, aber doch Inſtrument für die Ausübung der
Macht. Das Beamtentum, das dem König ebenſo gehorcht
wie die Armee, das ſeinen Organismus über das geſamte
Volk ausbreitet, verlegt am letzten Ende jede politiſche Ent—
ſcheidung in die Hand des Königtums. Wie doktrinär muß
man ſein, davor die Augen zu verſchließen! Kann dagegen
die Macht, die die Maſſen in ſich tragen, aufkommen? Freilich
auch hier iſt Macht und ſie iſt nicht zu verachten. Aber dieſe
Macht, die im Reichstag zu ihrem Ausdruck kommt, iſt nicht der meichstag.
einheitlich. Sie iſt ihrer Natur nach, wie wir ſchon geſehen
haben, geſpalten. Wir haben im deutſchen Reichstag zur Zeit
10*
142 Dualismus in Rom und in Deutfchland.
nicht weniger als ſieben Fraktionen, die alle das politifche Ziel
von einem beſonderen Geſichtspunkt aus anſehen, und von
denen jede es ſich überlegen kann, ob ſie ſchließlich ihr
Ziel nicht beſſer erreicht, indem ſie ſich mit der Regierung
Foaliert und durch Entgegenkommen und Kompromiſſe ihre
Freundſchaft gewinnt, als wenn ſie ſich bemüht, ſelber das
Steuerruder in die Hand zu bekommen. Wenn wir das
alles zuſammenhalten, ſo ſehen Sie, daß von einem Hinüber—
gleiten in eine parlamentariſche Regierung bei uns, weder
im peſſimiſtiſchen noch im optimiſtiſchen Sinne, die Rede
ſein kann. Sondern, ſoweit Menſchenaugen vorauszuſehen
vermögen, werden wir in Deutſchland ein dualiſtiſches
Regierungsſyſtem behalten, für das wir ja nun auch das
große welthiſtoriſche Vorbild gefunden haben, nämlich in
Rom. Es iſt durchaus nicht notwendig, daß ſich ſchließlich
aus dem ewigen Streit um die Macht eine Partei als
Siegerin herausarbeite, ſondern es kann geſchehen, daß in
vielen Jahrhunderten ewigen Widerſtreits doch immer wieder
ein Sichverſtehen gefunden wird, eine Harmonie, bei der
bald die eine, bald die andere Macht mehr im Vorder—
grund ſtehen mag, aber die letzte Entſcheidung, wer regiert,
niemals getroffen wird. Es gibt deshalb auch keine prin—
zipielle Grenze, bis wohin der parlamentariſche Einfluß
gehen darf, oder umgekehrt; ſondern das iſt immer nur
eine praktiſche Frage von Fall zu Fall. Von Beginn des
Reichstags an war ſtets Streit und ſtets die Neigung,
möglichſt viel von der Macht für die eine oder für die
andere Seite zu erraffen, und immer wieder hat man ein—
geſehen, daß man ſich beſſer verträgt als ſchlägt. Es iſt
auch falſch, zu meinen, daß etwa die heutige Regierung
dem Reichstag mehr nachgäbe, als es ſeinerzeit Bismarck ge—
tan hat. Bismarck hat die ungeheure Macht, die der Reichstag
Macht des Reichstages. 143
ausübt, voll anerkannt und anerkennen müſſen. Namentlich
haben ja die Parlamente immer das eine große Inſtrument
in der Hand, die Geldbewilligung, und in dieſem Punkte
hat Bismarck die allergrößten Konzeſſionen machen müſſen.
Als wir das Schutzzollſyſtem einführten, da brachte das dem
Reich ſo viel Geld ein, daß es auf lange Zeit finanziell unab—
hängig geweſen wäre. Aus wirtſchaftlichen, nicht aus finan—
ziellen Gründen war die Mehrheit des Reichstages dafür.
Aber damit die Regierung nicht unabhängig würde, wurde
die Klauſel Frankenſtein erfunden, die beſtimmte, daß das
Geld, das einkomme, über eine beſtimmte Summe hinaus
nicht in der Reichskaſſe bleiben dürfe, ſondern an die Einzel—
ſtaaten verteilt werden müſſe, damit der Reichstag es immer
neu zu bewilligen hätte. Und als der Schutzzoll ſpäter
erhöht wurde und noch viel mehr Geld einkam, da war die
Furcht noch viel größer, die Regierung möchte zu unabhängig
werden, und es wurde beſchloſſen, in Preußen ein Geſetz zu
geben (Lex Huene), daß auch die preußiſche Regierung das
ihr zufließende Geld nicht behalten dürfe, ſondern es mußte
an die Kreiſe verteilt werden. Zu dieſem Zwecke wurde in
einer wahrhaft grotesken Weiſe Seelenzahl und Quadrat-
meilenzahl der Kreiſe miteinander multipliziert und nach
dieſem feſten Schlüſſel der Ertrag jährlich verteilt. Manche
Kreiſe brauchten das Geld gar nicht, ſondern bauten für
ihre Landräte prächtige Dienſtwohnungen davon. Aber der
Zweck, die Macht der Geldbewilligung für die Reichstags—
fraktionen zu erhalten, wurde erreicht und Bismarck mußte
ſich dem unterwerfen. Das Reich wurde künſtlich in Geld—
not verſetzt, damit der Reichstag den Knopf auf dem Beutel
halte und immer wieder ſeine Bewilligung machen mußte.
Natürlich, der geniale Erfinder dieſes Syſtems war der
Führer des Zentrums, Windthorſt.
Bismarck und
der Reichstag.
Heutige Finanz⸗
politik
des Reichstages.
144 Macht des Reichstages.
Im übrigen wurde womöglich gar kein Geld bewilligt.
Steuervorlagen, wie das Tabaksmonopol, das Branntwein—
monopol uſw. wurden immer wieder vom Reichstag abge—
lehnt. Was ſich darin geändert hat, und worüber jetzt
die Leute klagen, iſt, daß der Reichstag ſich ſelber Steuern
ausdenkt. Unzweifelhaft hat er dabei bereits ſchwere Fehler
gemacht (Fahrkartenſteuer, Grundwertzuwachsſteuer), aber
prinzipiell iſt es für das Reich ein Fortſchritt, wenn der
Reichstag nicht bloß immer Steuern ablehnt, ſondern, wenn
er gewiſſe Steuern nicht will, andere dafür an die Stelle
ſetzt. Und da kommen die Klageweiber und vergießen
Ströme von Tränen, daß nun der Parlamentarismus ge—
kommen ſei, weil der Reichstag dem Bundesrat Steuern
aufoktroiere. Ich laſſe mir vom Standpunkt des Reichs, der
wirtſchaftlichen Zukunft und Geſundung der Finanzen es gern
gefallen, daß der Reichstag die Steuern macht, wenn ihm die,
die die Regierung vorſchlägt, nicht paſſen. Ich bin ſogar feſt
überzeugt, daß der Reichstag die Steuervorlagen in dieſem Jahr
ſachlich ſehr weſentlich verbeſſert hat. Um ſo lieber erkenne
ich an, daß ſeine Macht eine durchaus berechtigte iſt, und
es kann keinen ungerechteren Vorwurf geben, als einen
Reichstag, der der Regierung die gewaltige Armeeverſtärkung
und die dazu gehörige gewaltige Steuerbelaſtung bewilligt
hat, die der einzelne vielfach hart empfinden wird, zu be—
ſchuldigen, er treibe Machtpolitik und ſtrebe zu einer
parlamentariſchen Regierung. Die Vorgänge der letzten
Wochen bezeugen uns nur wieder von neuem, wie geſund
und kräftig das dualiſtiſche Syſtem bei uns arbeitet.
Unſere Betrachtung, ob anzunehmen ſei, daß Deutſchland
mit der Zeit zum parlamentariſchen Syſtem hinübergleiten
werde, leitet uns über zu der anderen Frage nach den be—
ſonderen Vorzügen oder Nachteilen des einen und anderen
Verantwortungsgefuͤhl der Parteien. 145
Regierungsſyſtems. Die Frage iſt ja nicht identiſch mit
jener anderen, ob anzunehmen iſt, daß wir von dem einen
Syſtem zu dem anderen übergehen. Es könnte ein Über—
gang zum Schlechteren, könnte auch ein Übergang zum
Beſſeren ſein.
Sehen wir erſt einmal auf gewiſſe Schwächen unſeres
deutſchen Syſtems. Da iſt das erſte, daß den Parteien,
da ſie nur die Regierung kontrollieren, aber ſie nicht ſelbſt
führen, leicht das volle Gefühl der Verantwortung abgeht.
Infolgedeſſen hatte Deutſchland bis auf unſere Tage eine
überaus ſchlechte Finanzpolitik. Wir haben es ja fertig
gebracht, in 40 jährigem Frieden 7000 Millionen Mark
Schulden zu machen, weil der Reichstag ſich nicht entſchließen
konnte aus Rückſicht auf die lieben Wähler, die ungern
zahlen, im rechten Augenblick die notwendigen Steuern zu
bewilligen. Im Jahre 1909 berechnete der Nationalökonom
Profeſſor Schanz in Würzburg, daß, wenn man im Jahre 1877
nur 70 Millionen Mark bewilligt hätte (etwa die Bierſteuer,
wie ſie heute exiſtiert), das Reich ſchuldenfrei ſein würde.
Nun haben wir an Zinſen und Amortiſation jährlich an
200 Millionen mehr aufzubringen als ſonſt nötig wäre.
In dieſem Punkt iſt ja nun gerade jetzt eine weſentliche
Beſſerung zu berichten. Der Reichstag hat ſich in dieſem
Jahr endlich entſchloſſen, den Satz aufzuſtellen: Keine
Ausgaben ohne Deckung, und hat damit etwas geleiſtet,
was keiner ſeiner Vorgänger jemals fertig gebracht hat
— gerade der Reichstag mit den 110 Sozialdemokraten!
Was wurden die Patrioten alle blaß, als im Februar 1912
dieſes Wahlreſultat bekannt wurde! Ich darf wohl ſagen,
daß ich mich nicht ſo habe täuſchen laſſen. Wer es will,
mag es nachleſen in den Preußiſchen Jahrbüchern, wo ich
damals ſchon geſchrieben habe, der neue Reichstag habe eine
Schwächen des
dualiſtiſchen
Syſtems.
146 Schlechte Finanzpolitik in Deutſchland.
ſo günſtige Zuſammenſetzung, wie wir ſie noch gar nicht er—
lebt hätten, und wie ſie Bismarck niemals beſchieden ge—
weſen ſei. Dieſe optimiſtiſche Auffaſſung iſt heute durch
die Ereigniſſe beſtätigt. Die Parteien ſind jetzt alle mehr
oder weniger in die Stellung eingerückt, die Vorlagen der
Regierung ſachlich zu prüfen und ihre Entſcheidung letzten
Endes nicht ausſchließlich vom Partei- und Fraktionsintereſſe,
ſondern auch unter Berückſichtigung des Staatswohles zu
finden. Nichts deſtoweniger bleibt die prinzipielle Gefahr,
daß das Verantwortungsgefühl der Reichsboten zu ſchwach
iſt, beſtehen. Wir wiſſen ja nicht, ob die jetzige Stimmung
anhält, ob der Reichstag nicht einmal in den alten Fehler
zurückfallen wird. Die Natur der Dinge leitet eigentlich
darauf hin — der Reichstag hängt einmal von den Wählern
ab, iſt bernfen, die Regierung zu kritiſieren, aber nicht ſie
zu führen, und das ſchwächt das Pflichtgefühl dem Staate
gegenüber ab.
Eng hiermit hängt der zweite Nachteil unſeres Regierungs—
ſyſtems zuſammen, nämlich die ſtets verärgerte Volksſtimmung,
weil niemand ſo ganz befriedigt iſt, ſondern immer Kom—
promiſſe geſchloſſen werden müſſen, die immer auf beiden
Seiten eine gewiſſe Mißſtimmung hinterlaſſen. Im 18. Jahr⸗
hundert ſchrieb einmal ein engliſcher Staatsmann, der draußen
angeſtellt war und von Zeit zu Zeit mal in ſeine Heimat
zurückkam: Wenn er nach Haufe komme und öffne die
Augen und ſchließe die Ohren, ſo ſcheine ihm das Land in
der ſchönſten Blüte. „Schließe ich aber meine Augen und
öffne meine Ohren, ſo höre ich, daß England das elendeſte
Land auf der ganzen Welt iſt.“ So ungefähr hätte ſeit
vielen Jahren man auch wohl in Deutſchland urteilen können.
Die ganz Naiven tröften ſich damit, es ſei erſt fo ſeit Bis—
marcks Abgang; zu Bismarcks Zeiten, da ſei man zufrieden
Unzufriedene Stimmung. 147
geweſen; ſeitdem aber herrſche die fortwährend fteigende un—
zufriedene Stimmung. Daran iſt ſo viel wahr, daß die
Anhänger Bismarcks zufrieden waren, oder wenigſtens ihre
Unzufriedenheit nicht laut äußerten, aber deſto unzufriedener
waren die Sozialdemokraten, die Klerikalen und die Frei—
ſinnigen, die in der allerſchärfſten Oppoſition waren. Das
hat ſich ja nun ſehr ausgeglichen. Zentrum und Freiſinnige
ſind in ein poſitives Verhältnis mit der Regierung ein—
getreten; ſelbſt die Sozialdemokraten haben ſo viel mit ſich
reden laſſen, daß ihnen eine gewaltige Oppoſition in ihren
eigenen Reihen daraus erwachſen iſt. Aber in demſelben
Verhältnis, wie dieſe Parteien beſchwichtigt ſind, iſt die
Mißſtimmung bei den anderen gewachſen, während auch
jene doch keineswegs befriedigt ſind. Man brummt alſo jetzt
ringsum, und namentlich von links wird ja tagtäglich ver—
kündigt und geklagt, daß Deutſchland ein zurückgebliebener
Polizei: und Klaſſenſtaat fei.
Vergleichen wir einmal das deutſche Reich mit den
anderen Ländern. Deutſchland iſt derjenige Staat, der
zuerſt von allen europäiſchen Großſtaaten das allgemeine,
gleiche, geheime Stimmrecht, verbunden mit freiem Ver—
ſammlungs- und Vereinsrecht, eingeführt hat. Frankreich hat
das Stimmrecht ſeit 1851, aber ohne Verſammlungs- und
Vereinsrecht, das erſt 1871, nach dem Sturz Napoleons III.,
eingeführt wurde. England, Italien, Belgien, Holland,
haben heute noch nicht das allgemeine, gleiche Stimmrecht.
Deutſchland iſt das Land, daß die weitgehendſte und in
den meiſten Gebieten früheſte, organiſche Sozialpolitik gehabt
hat, wodurch für die unteren Stände eine Fürſorge ge—
troffen iſt, die man jetzt anfängt, in anderen Ländern
einigermaßen nachzuahmen. Deutſchland hat ſeit undenk—
licher Zeit die Schulpflicht, die allgemeine Volksſchule und
Das Demokra⸗
tiſche im deut⸗
ſchen Reich.
148 Das ſozialdemokratiſche Ideal.
ſeit lange den unentgeltlichen Schulunterricht. Deutſchland
hat auch ein höheres Schulweſen, das es den begabten
Söhnen kleiner Leute ungemein erleichtert, bis in die höchſte
Bildungsſchicht aufzuſteigen. Deutſchland hat die demo—
kratiſcheſte aller Inſtitutionen, demokratiſcher als das all:
gemeine Wahlrecht, das iſt die allgemeine Wehrpflicht, die
den höheren Klaſſen, obgleich ſie einige Erleichterungen haben,
viel ſchwerere Laſten in wirtſchaftlicher und ſonſtiger Be—
ziehung auferlegt als den breiten Maſſen.
Von dieſem Staat behauptet die radikale Linke, daß er
ein zurückgebliebener Klaſſenſtaat ſei! Freilich, manchmal
finden die Sozialdemokraten ja jetzt auch Gutes bei uns;
namentlich die Sozialpolitik, die ſie ſeinerzeit aufs Schärfſte
bekämpft haben, findet jetzt eine gewiſſe Anerkennung. Wenn
man ihnen vorhält: „Seit 30 Jahren ſeid ihr eine große
Partei und habt ſchlechterdings nichts geleiſtet,“ dann berufen
ſie ſich darauf, daß ſie indirekt dieſe Sozialpolitik gemacht
haben, eigentlich die geiſtigen Urheber waren. Wie ſich das auch
verhalte, auf alle Fälle haben ſie damit zugegeben, daß dieſer
Staat ſelbſt für die Anſprüche der extremſten demokratiſchen
Partei außerordentliches geleiſtet hat. Nichtsdeſtoweniger
iſt die ſozialdemokratiſche Partei eine intranſingente; intran⸗
ſingent in dem Sinne, daß die Regierung ſich mit ihr über
etwas Praktiſches nicht oder nur ganz ausnahmsweiſe ver—
tragen kann. Viele ſtellen ſich vor, es ſei die Partei der
weitliegenden idealen Zukunft, der man ſich ſchrittweiſe naͤhere.
Wer ſich uͤber ſie luſtig machen will, kann das gerade
Gegenteil feſtſtellen. Es iſt von allen unſeren Parteien
die reaktionärſte. Unſere Feudal-Konſervativen, unſere
Klerikalen, haben ein ungewiſſes, verſchwommenes Ideal
im Mittelalter. Das Ideal der Sozialdemokratie liegt noch
viel weiter zurück; es lebte in den Urzeiten. Vergleichen
Wirkung der Intranſigenz der Sozialdemokraten. 149
wir einmal die Forderungen, die im Erfurter Programm
geftellt werden, mit den urgermanifchen Zuſtänden. „Ver—
geſellſchaftung der Produktionsmittel“ — Produktionsmittel
waren damals Grund und Boden; die gehörten dem Volk;
privaten Grund und Boden gab es nicht. „Direkte Geſetz—
gebung durch das Volk“ — eine andere Geſetzgebung
gab es nicht. „Rechtſprechung durch das Volk“ — ebenſo.
„Wahl der Regierung durch das Volk“ — die Fürſten wurden
vom Volke gewählt. „Allgemeines Volksheer“ — jeder
Germane war ein Krieger. Entſcheidung über Krieg und
Frieden durch das Volk. Fügen wir ſchließlich hinzu, daß
es kein ſtehendes Heer und keine Steuern gab, ſo haben
wir einen ſozialdemokratiſchen Idealſtaat, daß das Erfurter
Programm verblaßt dagegen. Wir brauchen jetzt nicht mehr
ſo ſehr nach dem Zukunftsſtaat zu ſuchen und zu fragen,
wir können ihn wirklich in der Hiſtorie finden. Ob wir
ihn dann noch einführen wollen, iſt eine andere Frage, eine
Frage, die ich dem Einzelnen und der Zukunft überlaſſen
will.
Praktiſch aber entſteht an dieſer Stelle die Schwierig—
keit für das gute Funktionieren des dualiſtiſchen Regierungs—
ſyſtems. Wenn alle Parteien, wie es in dieſem Augenblick
bis auf einen gewiſſen Grad der Fall iſt, bereit ſind, über
jede neu auftretende Forderung zu verhandeln, dann iſt es
gar nicht ſchwer, ſo oder ſo eine Majorität zuſammen zu
bringen. Wenn aber eine große, ganz intranſingente Partei
da iſt, dann kann es allerdings ſehr ſchwer werden. Das
ſind heute höchſtens noch die Sozialdemokraten. Bismarck
hatte es darin noch ſehr viel ſchwerer. Es gab damals noch die
ſogenannte deutſch-freiſinnige Partei unter der Führung des
Abgeordneten Eugen Richter, mit der ſo gut wie gar nicht
zu verhandeln war (Bismarck hat einigemale Verſuche ge—
Caprivi und die
Freiſinnigen.
150 Die Kriſis von 1892.
macht, die aber abgewieſen wurden), und das Zentrum,
deſſen Hilfe nur um ſehr hohen Preis zu haben war. Es
iſt überaus ſchwer für Parteien, die einmal in der radikalen
Oppoſition ſind, in eine poſitive Stellung hineinzurücken.
Ich kann da wieder eine Erinnerung aus meinem eigenen
Parlamentsleben einflechten. Die deutſch-freiſinnige Partei
hatte ſich gebildet im Jahre 1884, etwa 100 Mitglieder
ſtark, durch die Vereinigung der alten Fortſchrittspartei mit
einer Abſonderung von den Nationalliberalen, vielen höchſt
bedeutenden Leuten darunter. Nun war Bismarck abge—
gangen. Caprivi ſuchte mit der Linken ein beſſeres Ver—
hältnis. Die Ruſſen hatten ſchon in den 80er Jahren
begonnen, die drohende Stellung gegen uns einzunehmen,
die ſie heute noch feſthalten. Es war eine große Ver—
ſtärkung der Armee notwendig, und da bot im Jahre 1892
Caprivi der Linken die Konzeſſion, um die fie 30 Jahre
vergeblich gefochten hatte, die zweijährige Dienſtzeit. Kaiſer
Wilhelm der Alte hielt es ſchlechterdings für unmöglich,
die Armee auf dem hohen Stand der Ausbildung zu halten
ohne die dreijährige Dienſtzeit; darüber war im Jahre 1861
der Konflikt mit dem Abgeordnetenhauſe ausgebrochen. Jetzt
bot Caprivi, natürlich gegen Kompenſation, gegen eine ſtarke
Erweiterung der Aushebung, die ja weit hinter dem zurück—
bleibt, was wirklich geleiſtet werden könnte (auch heute ſind
wir noch immer in der Lage, daß bei weitem nicht alle
Männer, die tatſächlich geeignet ſind, eingezogen werden),
dieſe Konzeſſion der zweijährigen Dienſtzeit. Die Verkürzung
der Dienſtzeit brachte alſo keine Erſparnis, ſondern koſtete
etwas, und daraufhin machte die freiſinnige Volkspartei
dieſem Vorſchlag Oppoſition.
Mir ſchwebte damals ſchon jenes Ideal vor, daß der
Fürſt Bülow für einen Moment durchgeführt hat im ſo—
Intranſigenz der Freiſinnigen. 151
genannten Block, das Zuſammengehen der Konſervativen mit
den Liberalen. Ich hatte einige Beziehungen zu angeſehenen
Liberalen und ging hin zu Virchow und zu Hänel, die
neben Richter die hervorragendſten Führer der alten Fort—
ſchrittspartei waren. Von den ehemaligen Nationalliberalen
war anzunehmen, daß ſie ohnehin geneigt ſeien, ſich mit
Caprivi zu vertragen. Ich ging alſo zu Hänel und Virchow
und legte ihnen dar, wie doch die ganze Zukunft des Libe—
ralismus jetzt auf dem Spiel ſtehe, wenn ſie dieſes Angebot
der Regierung nicht annähmen, und nach einiger Unter—
redung brachte ich ſie (Hänel ging gleich darauf ein, zoͤgernder
auch Virchow) fo weit, daß fie ja ſagten. Ich ließ mich abends
um 10 Uhr noch bei Caprivi melden: „Ich bringe Ihnen
Virchow.“ Antwort: „Es iſt zu ſpät; morgen wird auf—
gelöſt.“ Es wurde doch noch nicht gleich am anderen Tag
aufgelöſt, die Dinge blieben noch einen Moment in der
Schwebe. Aber der Führer der Konſervativen, Hammerſtein,
Redakteur der Kreuz-Zeitung, erzwang die ſofortige Ab—
ſtimmung, weil er nicht wollte, daß die Regierung ſich mit den
Freiſinnigen vertrage, und ſchnitt dadurch weitere Verhand—
lungen ab. So wurde die Sache der Verſtaͤndigung nicht reif.
Die Freiſinnigen ſtimmten zum großen Teil gegen die Vorlage.
Der Reichstag wurde aufgelöſt. Die Partei trennte ſich in
zwei Teile, wurde vollkommen geſchlagen, und ſeitdem führt
ſie bis auf den heutigen Tag ein mehr oder weniger ſchatten—
haftes Daſein. Einige Jahre ſpäter trat einmal der Intimus
von Eugen Richter, der Abgeordnete Hermes, an mich heran
und ſagte: „Ich habe ja damals auch gehört von Ihrem
Vermittlungsverſuch und habe zu Richter geſagt: Wollen
wir nicht darauf eingehen?“ Darauf habe ihm Richter ge—
antwortet: „Dann ſind wir keine Volkspartei mehr.“ Wie
unendlich charakteriſtiſch iſt dieſer Ausſpruch! Dieſer Partei—
152 Vorteil der Oppoſition.
führer lehnte es grundſätztlich ab, eine poſitive Politik zu
machen. Er wollte in der Oppoſition bleiben; denn in der
Oppoſition ſein, iſt volkstümlich. Wer Poſitives leiſtet,
namentlich aber wer von den Bürgern verlangt, daß ſie
Steuern zahlen ſollen, iſt ein ſehr zweifelhafter Volksmann;
es ſei denn, daß er es ſo eingerichtet hat, daß die Andern
die Steuern zahlen. Aber an dieſer Überlegung: „Dann
ſind wir keine Volkspartei mehr,“ daran iſt damals das
Einſchwenken geſcheitert, das endlich die Natur die Dinge
doch herbeigeführt hat, aber erſt im Jahre 1907, als es
für den Liberalismus bereits zu ſpät war. Zufällig gerade
heute las ich übrigens in der Frankfurter Zeitung (Nr. 207),
daß die Dinge noch weiter geweſen ſein ſollen. Da ſteht
nämlich, der Kaiſer ſei bereit geweſen, die Freiſinnigen an
der Regierung teilnehmen zu laſſen. Ob das wirklich wahr
iſt, weiß ich nicht. Ich würde es damals dann wohl er—
fahren haben. Im Weſen kommt es ja auf das hinaus,
was ich geſagt habe. Denn ein ſolches Vertragen mit der
Regierung, wenn es auch nicht gerade Miniſterpoſten be—
deutet, bedeutet doch immerhin einen ſehr weſentlichen Ein—
fluß auf die Geſetzgebung. Aber es iſt ſchwer, eine ſolche
Stellung zu gewinnen, wenn man eine ganze Generation
lang das Volk daran gewöhnt hat, ſich vorzuſtellen, daß
die Regierung nichts als Böſes treibe und Ungehöriges
verlange, und jeden, der zu der Regierung in Beziehung
tritt, als Höfling, „Wadenſtrümpfler“, wie man es damals
nannte, verdächtigt hat. In dieſer ſtets kritiſchen Negation
hat die Oppoſition eine große Stärke. Denn für den
Menſchen gibt es keine größere ſeeliſche Luſt, als ſchimpfen
zu können, oder wie Goethe das in ſeiner erhabeneren Weiſe
ausdrückt: „Der Handelnde hat immer unrecht; der Be—
trachtende hat immer recht.“ Sich in die Bruſt des Beſſer—
Urſache der Vorherrſchaft der Agrarier. 153
verſtehens, der Überlegenheit werfen, kritiſieren, zeigen,
wie und wo Erſparniſſe gemacht werden können, die Ge—
rechtſame des Volkes verteidigen, den Gewalthabern die
Wahrheit ſagen, das alles kann man dann nicht mehr
ſo frei, wenn man ſelbſt an der Regierung teilnimmt.
Darum finden Sie, daß in Frankreich und England, wo
doch auch viel Unzufriedenheit herrſcht, fie doch nicht fo ſtark
hervortritt wie bei uns. Namentlich nicht in England; weil
dort die eine Hälfte der Maſſe immer in der Regierung iſt
und ſich Mühe geben muß, zu verſtehen, was die Miniſter
machen, und es einigermaßen verteidigen. Bei uns
herrſcht ſtatt deſſen der Mittelweg, daß jede Richtung der
fog. bürgerlichen Parteien immer etwas mitwirkt, aber nie
ganz, während eine ſehr große Partei, die ſozialdemokra—
tiſche, faſt ſtets ganz draußen ſteht. Das reizt natürlich die
Stimmung ſtets zur Kritik und dieſe wird zur Nörgelei. Schließ—
lich ſchadet das nicht ſo ſehr viel; in großen Momenten kommt
man darüber hinweg. Wichtiger iſt aber, daß durch die
Eriftenz intranſigenter Parteien eine naturgemäße den
großen Tendenzen der Entwicklung konforme Regierung ver— ee
hindert werden kann. Wir haben jetzt den eigentümlichen en
Zuſtand, daß wir einen fcharf agrariſchen Reichstag und eine
agrariſche Regierung haben, obgleich nach der letzten Volks—
zählung vom Jahre 1907 nur 28,6% der Geſamtbevölke—
rung landwirtſchaftlich ſind. Im Jahre 1895 waren es
noch 38,7%. So rapide iſt der Anteil der land wirtſchaftlichen
Bevölkerung am Geſamtwirtſchaftsleben im Rückgang. Da
jetzt wieder ſechs Jahre verfloſſen ſind, iſt noch kaum
ein Viertel, oder wenig mehr als ein Viertel der Bevölke—
rung agrariſch. Trotzdem haben die Agrarier die Majorität,
eine große Majorität, im Reichstag. Freihändleriſch ſind
nur die Sozialdemokraten und die freiſinnige Partei. Das
Die Agrarzölle.
154 Die Agrarzoͤlle.
kommt einerſeits von der veralteten Wahlkreiseinteilung, die
die volksſchwachen Kreiſe bevorzugt, indem ſie die ſeit 1867
emporgekommenen großen Induſtrieſtädte noch nicht mit
Mandaten bedacht hat. Aber das erklärt noch nicht eine
ſo koloſſale Unterbilanz, ſondern die kommt daher, daß die
Regierung und die Parteien, die zu ihr halten, unter keinen
Umſtänden mit den Sozialdemokraten poſitive Politik machen
können. Alſo wo es gilt, einen Vertreter einer poſitiven
Politik zu wählen, da ſind auch Anhänger einer gemäßigten
Wirtſchaftspolitik in ſehr vielen Fällen gezwungen, mit den
Agrariern zu gehen, weil die immer den Kern der Gegen—
truppe gegen die Sozi bilden. Da ſind es alſo meiſt die
Großgrundbeſitzer, die den Ausſchlag geben, wenn man nicht
die Sozialdemokratie heranlaſſen will. Nun halte ich das
durchaus für kein Unglück; ich bin ſelbſt ein Stück von
einem Agrarier. Ich bin zwar bei den Agrariern ſehr
wenig beliebt, weil ich ihnen zuweilen etwas harte Wahr—
heiten geſagt habe. Aber nichtsdeſtoweniger, die agrariſche
Schutzzollpolitik halte ich bis heute im weſentlichen für
gerechtfertigt und für wohltätig, und zwar unter dem Ge—
ſichtspunkt, daß ſie die Preiſe der agrariſchen Produkte
nicht erhöht hat, ſondern nur das Sinken unter den
früheren Durchſchnitt verhinderte. Das iſt tatſächlich der
Fall. Mit Ausnahme weniger Jahre hat ſich trotz unſerer
enormen Zölle der Preis für Roggen, Weizen und andere
Landwirtſchaftsprodukte meiſtens unter dem Durchſchnitt der
Jahre 1851 —80 gehalten, und ihn nur in wenigen Jahren
überſchritten“). Solange das der Fall iſt, ſind die Zölle
) In den Jahren 1851 bis 1880 war der Durchſchnitt des Weizen⸗
preiſes 209,6 für die Tonne. Dieſer Preis iſt nur 1891 (mit 224,2)
und 1909 (mit 233,09) uͤberſchritten worden; heute ſteht er (Nov. 13)
auf 178. Der Roggen koſtete im Durchſchnitt 1851 bis 1880 163,7, hat
Herrſchaft der Konſervativen durch die Hilfe der Sozi. 155
gerechtfertigt. Denn wenn die Zölle nicht gekommen wären
oder plötzlich aufgehoben würden, würde ein ungeheurer
wirtſchaftlicher Zuſammenbruch auf dem Lande ſtattfinden,
der tatſächlich nicht nur alle ländlichen Familien, ſondern
das ganze Wirtſchaftsleben ſo ſtören würde, daß auch der
reine Konſument, der kaufende Arbeiter, in Mitleidenſchaft
gezogen würde. Die agrariſche Schutzzollpolitik verliert aber
dieſe Berechtigung, ſobald die Preiſe weſentlich und dauernd
über das überlieferte Maß hinaus ſteigen, und es iſt ſehr
leicht möglich, daß das jetzt kommt, und dann müſſen wir
die Zölle abbauen.
Aber ich will mich nicht in Zukunftsüberlegungen ein—
laſſen, ſondern nur eine Begründung geben zu dem Satz, daß
die agrariſche Schutzzollpolitik auch von jemand, der weder
Ar noch Halm beſitzt, als nicht nur gerechtfertigt, ſondern
auch als ſegensreich angeſehen werden kann, daß wir alſo den
Sozialdemokraten für ihre intranfingente Stellung, die den
Agrariern die Herrſchaft in Deutſchland gibt, noch dankbar
ſein müſſen. Im übrigen freilich iſt von höheren Geſichts—
punkten aus dieſes Verhalten einer großen Partei natür—
lich das Schädlichſte und Verkehrteſte, was es geben kann,
aber es iſt ſehr ſchwer, davon los zu kommen, wie wir das
an der Geſchichte der freiſinnigen Partei kennen gelernt
haben. Mögen die Sozi ſehen, wie fie damit fertig werden.
Für uns iſt das erfreuliche Ergebnis, daß die Schwierigkeit,
mit einem Reichstag mit intranſingenten Parteien durch—
zukommen, ſich bisher überwindbar gezeigt hat, und ſie
dieſen Durchſchnitt bis 1909 ſechsmal uͤberſchritten, iſt aber auch 1896 trotz
Zoll bis auf 118,8 geſunken. Heute ſteht er auf 153. Der Konſum
von Roggen iſt ſeit 1878 pro Kopf der Bevoͤlkerung etwa derſelbe ge—
blieben; gleichzeitig aber der Verbrauch von Weizen ganz gewaltig ge:
ſtiegen, die Geſamternaͤhrung durch Brotfruͤchte alſo ungeheuer verbeſſert.
Delbrück, Regierung und Volkswille. 11
Die organiſierte
Intelligenz.
156 Unzulaͤnglichkeit der organiſierten Intelligenz.
wird ſich auch in Zukunft als überwindbar erweiſen, hilft
uns ſogar, die konſervativen Elemente und Grundlagen des
Staates zu erhalten.
Aber ich muß jetzt auf einen anderen, ziemlich
dunklen Punkt eingehen. Wir haben uns den idealen
Aufriß gemacht, daß eigentlich zwei Potenzen bei uns
im Lande regieren: die organiſierte politiſche Intelligenz
im Beamtentum und die Maſſe, die im Reichstag ihre
verſchiedenen Inſtinkte kund gibt. Nun iſt es aber mit der
Organiſation der Intelligenz eine eigene Sache. Wir haben
geſehen, daß es eine pſychologiſche Täuſchung iſt, im Reichs—
tag den Volkswillen zu ſehen, weil der Volkswille ſich gar
nicht organiſieren läßt. Der demokratiſche Reichstag iſt im
heutigen deutſchen Reich etwas Unentbehrliches, aber die ideale
Forderung, den Volkswillen darzuſtellen, die kann er nicht
erfüllen. Bei der organifierten Intelligenz im Beamtentum
iſt es etwas Ahnliches. Wenn man Intelligenz organiſiert,
gerinnt ſie, wird ſtarr und ſteif, und es entſteht die Bureau—
kratie oder die Hierarchie. Was für einen unerfreulichen
Nebenklang haben dieſe Worte, und mit welch nieder—
ſchmetternder Charakteriſtik haben gerade unſere größten
Staatsmänner eben dieſes preußiſche Beamtentum bedacht,
von dem wir uns klar gemacht haben, daß es den eigent—
lichen Aufbau unſeres Staates bildet, und wie unendlich
viel wir ihm verdanken. Stein ſprach nie anders als im
verächtlichſten Tone von den „bezahlten Offizianten“, und in
Bismarcks Augen waren die Beamten Drohnen, die Geſetze
machen und ſich dafür vom Volke ernähren laſſen; ja, er
hat ſogar das ſchnöde Wort geprägt von jenem „Extrakt von
Dummheit und Bosheit, den man in Preußen den Geheimen
Rat nennt“. Ein Beiſpiel, daß man ein in der Laune
einmal ausgeſprochenes Urteil auch von den allergrößten
Bureaukratie und Kommiß. 157
Politikern nicht als objektive, hiſtoriſche Charakteriſtik an—
nehmen darf. Aber wahr iſt es, daß im Beamtentum
ſich trotz der höchſten Sachkunde und Intelligenz eine
Verknöcherung des Denkens und Verengung des Geſichts—
kreiſes nur zu leicht herausbildet. Pedanterie, Forma—
lismus, Hochmut, Kleben am Überlieferten, Strebertum,
Unfähigkeit, ſich in neue Aufgaben und Ausnahme—
zuſtände zu finden, das ſind Eigenſchaften, die ſich nur zu
häufig zeigen und die uns den Zorn von Männern wie Stein
und Bismarck wenigſtens erklärlich machen. Beim Militär
nennt man dieſelbe Erſcheinung „Kommiß“!
Wir haben ſicherlich ein fo tüchtiges und fo hoch:
ſtehendes Beamtentum, wie nur irgendwo, aber daß es
gewiſſen Aufgaben nicht gewachſen iſt, dafür haben wir
nun ein ſehr bedeutendes und ſehr bedauerliches Beiſpiel,
das ich etwas näher ausführen will. Das iſt die Polen—
frage. Im modernen Nationalſtaat iſt es eine ganz be—
ſonders ſchwierige Aufgabe, wenn weſentliche Elemente
einer fremden Nationalität eingeſchloſſen ſind. Wie ſoll
ſich ein Staat der Deutſchen, der doch ganz und gar auf
das lebendige Bewußtſein des deutſchen Volkes aufgebaut
iſt, damit abfinden, daß er nicht weniger als 4 Millionen
Polen, und daneben noch Dänen im Norden, Franzoſen im
Weſten, in ſeinem Reichs- und Staatskörper hat? Eine
reine Löſung dieſes Problems kann es wohl niemals geben.
Man pflegt zu ſagen und wird immer mit einem gewiſſen
Recht ſagen: die Polen ſind ſchließlich nur Preußen auf
Kündigung. Sie leiſten den Eid auf die Verfaſſung, tun
ihre Pflicht, arbeiten auch an den poſitiven augenblicklichen
Aufgaben des Staates — den polniſchen Stimmen verdanken
wir ja im Reichstag die deutſche Flotte und die Armee—
reform von 1893 — und trotzdem, wenn man ſich vorſtellt,
11*
Die preußiſche
Polenpolitik.
158 Polen⸗Frage.
daß die Weltgeſchichte, oder, wie die Polen es ausdrücken,
„wenn es Gottes Wille iſt“, einmal die Möglichkeit der
Herſtellung eines polniſchen Nationalſtaates zeigt, ſo werden
ſie das als ein höheres Geſetz anſehen und ſich dieſem
Staate zuwenden. Wie ſoll man ſich mit einem ſolchen
Teil des Volkes abfinden? Entſchloſſene meinen, man
müßte ſie germaniſieren. Das wurde denn auch vor 25 Jahren
in Angriff genommen. Wir haben ja die Volksſchule, den
deutſchen Schulmeiſter. Vom ſechſten Jahre an lernen die
polniſchen Kinder das Deutſche, und was ſie in der Schule
gelernt haben, wird vollendet in der Armee; die polniſchen
Rekruten werden unter die deutſchen Regimenter verteilt.
Die ganze Verwaltung iſt deutſch, die Amtsſprache deutſch, alle
höheren Beamten deutſch. Außerdem ſind ungeheure Mittel
aufgewendet, polniſchen Grundbeſitz aufzukaufen und ſtatt
deſſen deutſche Bauern anzuſiedeln. Wenn man das ſo
hört, möchte man ſagen: Ja, das muß ja wohl auf die
Dauer helfen, um ſo mehr, als ja die Polen auf vier ver—
ſchiedene Provinzen verteilt find; wir haben 1,2 Million
in Oberſchleſien, in Poſen ungefähr 1½ Millionen, ½ Million
in Weſt⸗, und ½ Million in Oſtpreußen, immer gemiſcht
mit Deutſchen; wir haben nirgends großes, geſchloſſenes polni-
ſches Gebiet, auch nicht einmal einen einzigen rein polniſchen
Kreis. Wenn nun dies ohnehin gemiſchte Gebiet noch
mehr mit Deutſchtum überzogen und ein kräftiges, deutſches
Bauerntum, wenn auch mit großen Opfern, hineingeſetzt
wird, ſo ſollte man meinen, daß der Erfolg auf die Dauer
nicht fehlen könne. Nun, wenn Sie heute mit jemand
darüber ſprechen, der einigermaßen unbefangen iſt, und dort
die Verhältniſſe kennt, ſo ſagt er Ihnen: „In den 25 Jahren
ift kein Fortſchritt gemacht worden. Im Gegenteil.“ Zwar
ſucht die amtliche Statiſtik hier und da ein paar tauſend
Polen⸗Frage. 159
Deutſche mehr herauszurechnen; es ſind bei weitem noch nicht
ſo viel, wie an deutſchen Bauern hingeſchafft worden iſt.
Aber die Eingeſeſſenen ſind ſehr ſkeptiſch inbezug auf dieſe
Statiſtik, und wahrſcheinlich iſt das Deutſchtum in den vier
Provinzen ſogar im Rückgang. Wie neulich ein Großgrund—
beſitzer von der Poſenſchen Grenze in den Preußiſchen
Jahrbüchern ſchrieb (Märzheft 1913): Während wir Bauern
anſetzen, poloniſieren die Polen die Städte. Früher
waren die Städte weſentlich deutſch, wobei das Judentum
allerdings zu den Deutſchen gerechnet iſt, wie es auch
deutſch ſprach und ſich zu den Deutſchen hielt. Im ganzen
Oſten, im alten Königreich Polen, waren die Städte ehedem
zum großen Teil deutſch und daneben jüdiſch. Aber dieſe
deutſche Bevölkerung iſt im Abzug begriffen, und der
ſtädtiſche Hausbeſitz, das Handwerk, das Krämertum,
Apotheker, Buchhändler, Landmeſſer, was alles früher deutſch
war, wird polniſch. Wenn man eine Zeitlang darüber ge—
ſprochen hat, pflegt ſchließlich immer die letzte Zuflucht zu
ſein: „Ja, wenn wir aber unſere Oſtmarkenpolitik nicht
gehabt hätten, ſo wäre es noch viel ſchlimmer.“ Das iſt
immerhin ein ſehr fragwürdiger Troſt, aber jedenfalls der
Beweis, daß dieſe 25jährige Politik, wenn überhaupt etwas, fo
doch ſehr wenig geleiſtet hat. Einer der klügſten Politiker im
Reichstag in der Bismarckſchen Zeit war der Abgeordnete
von Kardorff, damals einer der Führer der freikonſervativen
Partei, und auch ganz im Vertrauen Bismarcks. Der hat
eine Aufzeichnung hinterlaſſen (ich habe fie abgedruckt im
140. Band der Preußiſchen Jahrbücher), worin er bekennt,
daß, als Bismarck die erſte Vorlage dieſer Art im Abge—
ordnetenhaus einbrachte, er ihm vertraulich geſagt habe, die
Sache würde nicht gehen, und darauf habe Bismarck ihm
geſagt, er teile im Grunde ſeine Auffaſſung, aber aus ge—
160 Bismarck und die Polenfrage.
wiſſen Gründen der auswärtigen Politik, um feine Autorität,
die man in dieſem Augenblick im Reichstag ſtark ange—
griffen hatte, zu ſtärken, müſſe er die Sache machen.
Kardorff endet dieſe ſeine Aufzeichnungen: „Aber leider
haben meine derzeitigen Bedenken ſich nach den heute ge—
machten Erfahrungen als völlig berechtigt erwieſen. Die
polniſche Bewegung iſt nicht zurückgegangen, ſondern weſent—
lich geſtärkt. Der Angriff hat einen Gegendruck hervorge—
rufen und vorläufig nur zur Kräftigung der großpolniſchen
Agitation nicht allein in Poſen, ſondern auch in Weſtpreußen
und ſelbſt in dem niemals doch dem Königreich Polen zu—
gehörigen Oberſchleſien geführt.“ Neben dem Zeugnis von
Kardorff, verweiſe ich Sie auf die erſt in dieſem Jahr er—
ſchienene Schrift eines früheren Landrats im Poſenſchen, des
Kammerherrn Baron Puttkamer „Die Mißerfolge in der
Polenpolitik“, die ganz dasſelbe beſagt. Alſo die Germani—
ſierungspolitik, das ſieht man jetzt — abgeſehen von den
fanatiſchen Hakatiſten — ziemlich allenthalben ein, hat
Bankerott gemacht. Sie hat das Polentum numeriſch
nicht geſchwächt und es moraliſch ungeheuer geſtärkt. Vor
ein paar Jahren traf ich einmal in Scheveningen einen
polniſchen Grafen aus dem Warſchauiſchen. Ich kam mit
ihm in ein Geſpräch. Er erzählte mir, auf der Herreiſe
habe er Station in Poſen gemacht, das erzbiſchöfliche Palais
beſucht, und dort ſeiner Verwunderung Ausdruck gegeben,
daß er Bauern und gemeine Leute habe Zeitungen leſen
ſehen; das kenne man in Ruſſiſch-Polen gar nicht. Da ſei
ihm geantwortet worden: „Das verdanken wir alles den
Preußen; ſie haben uns wohlhabend gemacht, ſie haben
uns gebildet gemacht, jetzt machen ſie uns auch noch zu
Patrioten.“ Jetzt machen ſie uns auch noch zu Patrioten —
nämlich zu polniſchen! Welch ein blutiger Hohn! Wie geht
Die deutſche Schule in den Oſtmarken. 161
das zu? Warum iſt dieſe Politik, die durch ein ſo macht—
volles Beamtentum, mit fo ungeheuren Mitteln (es find
allmählich nahezu eine Milliarde Mark aufgewendet worden)
durchgeführt wird, unter Zuſtimmung eines ſehr großen
Teiles des deutſchen Volkes, wie iſt es gekommen, daß
ſie ſo vollſtändig Bankerott gemacht hat“)?
Das vornehmſte Mittel der Germaniſierung ſollte die
Volksſchule fein. Wie ſieht es in ihr aus? Da find vielleicht Die Voltsſchule.
25 deutſche Kinder und 40 —60 polniſche. Der Lehrer weiß,
daß der Kreisſchulinſpektor auf nichts mehr Wert legt, als
daß die polniſchen Kinder deutſch ſprechen lernen, und ſie
lernen wirklich etwas. Ich habe es anfänglich nicht für
möglich gehalten, aber unſere Volksſchullehrer ſind ſo aus—
gezeichnet, die Methode ſo durchgebildet und ſchließlich
) Auch viele Hakatiſten geben jetzt zu, daß die Oſtmarkenpolitik keinen
Erfolg gehabt hat. Im Gegenſatz dazu ſoll Geheimrat Witting in einer
Rede in Bremen (Taͤgl. Rundſchau v. 7. November d. J.) geſagt haben:
„Unwahr oder erlogen iſt es, daß die poſitive Oſtmarkenpolitik im Sinne
Bismarcks und Buͤlows verſagt habe.“ Als ehemaliger Buͤrgermeiſter
von Poſen koͤnnte Herr Witting einige Autorität beanſpruchen. Aber es
iſt feſtzuſtellen, daß er in einer Broſchuͤre „Das Oſtmarkenproblem“ 1907
ſich erheblich anders ausgedruͤckt hat. An ein Mißverſtaͤndnis, meiner:
ſeits kann ich nicht glauben, denn eben finde ich auch in einem ſehr
leſenswerten Artikel von Karl Jentſch uͤber die Polenpolitik den Satz:
„Daß der Germaniſierungsverſuch voͤllig geſcheitert iſt und alle dahin ge—
richteten Beſtrebungen ausſichtslos ſind, bekennt auch Herr Witting, der
zudem den Mißbrauch der Schule fuͤr politiſche Zwecke als einen Frevel
brandmarkt.“ Dieſer Artikel ſteht in „Der Zukunft“ (4. Oktober 1913),
die von dem Bruder Herrn Wittings, Herrn Harden herausgegeben wird,
und es iſt wohl kaum anzunehmen, daß Harden eine voͤllige Um—
kehrung der Anſichten ſeines Bruders in ſeiner Zeitſchrift haͤtte durchgehen
laſſen. Jedenfalls ſieht auch Herr Witting auf die Erfolge unſerer Oſt—
markenpolitik mit ſolchem Zweifel, daß er den Vorſchlag einer großen
Enquete gemacht hat, einen Vorſchlag, den ich nur billigen kann.
162 Die deutſche Schule
der Wortſchatz der Kinder ſo klein, daß es wirklich möglich
iſt: ſie lernen deutſch. Die deutſchen Kinder aber
lernen ſo gut wie gar nichts, da zunächſt einmal die Polen
ſo weit gebracht werden müſſen, mit den Deutſchen dem
Unterricht folgen zu können. Wenn die Kinder aus der
Schule kommen, ſind die deutſchen dumm geblieben, die
Polen haben wohl einiges gelernt, ſind aber zugleich erfüllt
von der bitteren Erfahrung der Fremdherrſchaft, denn eine
tiefere Kränkung des Nationalbewußtſeins gibt es ja gar
nicht, — fragen Sie darüber unſere Landsleute in Ungarn
und Rußland —, als wenn eine Schulſprache erzwungen
wird, die nicht die Sprache von Vater und Mutter iſt. Die
Polenkinder ſind alſo erſtens mit Nachhilfe des Beichtvaters
alle zu polniſchen Patrioten erzogen. Zweitens, kommen ſie
aus der Schule, ſo haben ſie ſo viel gelernt, um allenthalben
die Deutſchen zurückzudrängen. Denn der Zweiſprachige iſt
ja immer ſtärker als der Einſprachige. Jeder Krämer, der
einen Lehrling für ſeinen Laden braucht, muß einen ſuchen,
der beide Sprachen kann, und ſelbſt in dem kleinen Beamten—
tum braucht man Anwärter, die mit den Leuten, die nicht
deutſch ſprechen können, ſich zu verſtändigen vermögen. Das
Aufzwingen der Sprache hat ſich alſo nicht als ein Mittel
erwieſen, die polniſche Bevölkerung dem Deutſchtum zuzu—
führen, ſondern im Gegenteil, ſie auszuſtatten mit Kräften,
um dies deſto intenſiver zu bekämpfen. Das Aufzwingen
der deutſchen Volksſchule iſt echte und rechte Bureaukraten⸗
Politik, die ſich einbildet, mit ihrem Reglement alles machen
zu können, was ſie ſich vorſetzt, dieſer Beamtenhochmut,
der gar nicht ſieht, daß es auch noch andere Kräfte gibt
auf der Welt, die ſtärker ſind als die ſeinigen. Der eigent—
liche Schöpfer dieſer Volksſchulpolitik war ein Miniſterial⸗
direktor im Kultusminiſterium, Kügler, einer der befähigtſten
in den Oſtmarken. 163
Beamten, die Preußen gehabt hat, und ein hochſtrebender,
aufgeklärter Mann. Mit welcher Sicherheit hat er mir, als
ich ſchon damals meine Einwendungen ausſprach, zuge—
ſchworen, ich ſolle ihm und ſeiner Erfahrung vertrauen,
wenn man nur feſt bleibe, werde man mit Hilfe der Volks—
ſchule die Polen deutſch machen! Wo ſind, nachdem das
Syſtem nunmehr eine Generation in Wirkung geweſen iſt,
die germaniſierten Polenkinder? Ein Gymnaſiallehrer in
Poſen ſagte mir einmal, ſein Beruf ſei wirklich tragiſch,
denn je mehr er das Gefühl habe, Erfolg zu haben bei
ſeinen polniſchen Schülern, deſto mehr habe er auch das
Bewußtſein, Feinde des eigenen Volkstums heranzuziehen
und ſie mit Kräften zur Bekämpfung dieſes Volkstums aus—
zuſtatten. Wie kann es anders ſein? Dieſe Methode, durch
die Schule germanifieren zu wollen — übrigens wird fie
amtlich geleugnet; das wolle man gar nicht, man lehre nur
die Polen das Deutſche, weil ſie in einem deutſchen Staate
lebten — alſo dieſe Methode, durch die Schule einen Aus—
gleich der Nationalitäten herbeizuführen, iſt ein rechtes Zeug—
nis für jene Eigenſchaften der Bureaukratie, die ich vorhin
geſchildert, und in der Provinz Poſen iſt auch nur eine
Stimme darüber, wie unermeßlich dieſe deutſche Volksſchule
das Deutſchtum ſchädigt“). Aber nun verlangen Sie mal von
unſeren Lande, Schul-, Regierungs- oder Geheimen Räten,
daß fie zugeſtehen, ſeit 25 Jahren etwas Verkehrtes ge—
macht zu haben, um es nun zu ändern. Das iſt gerade, wie
wenn man von den Sozialdemokraten verlangt, daß ſie
Militärausgaben bewilligen ſollen!
) Sehr gut iſt dieſe verderbliche Wirkung der deutſchen Volksſchule
dargelegt in dem Buche „Von einem unbekannten Volk in Deutſchland“
von Ernſt Seefried Gulgowski. Mit einem Geleitwort von Heinr.
Sohnrey, 1911. Vgl. Preuß. Jahrbuͤch. Bd. 143 S. 374.
Beamtentum.
164 Die deutfchen Beamten und Offiziere.
Der Germaniſierung der Volksſchule parallel ging die
allmähliche Germanifierung des ganzen höheren Beamten:
ſtandes. Während früher im höheren Beamtenſtand,
auch im Offizierkorps, zahlreiche Polen waren, ſind
ſie allmählich ſo gut wie ganz daraus verſchwunden. Was
iſt die Folge davon geweſen? Den Polen iſt eine Menge
leidlich bezahlter Poſten nicht mehr recht zugänglich; aber
in Wirklichkeit haben wir ihnen, wie man es ausdrücken
kann, die Staatslaſt abgenommen. Machen wir uns das
an einem Beiſpiel klar. Stellen wir uns zwei Ritterguts—
beſitzer vor, einen deutſchen und einen polniſchen; ſie ſind
Nachbarn, von demſelben Wohlſtand, beide haben drei
Söhne. Bei dem deutſchen übernimmt einmal der ältefte
das Gut, der zweite wird Regierungs- oder Gerichts—
aſſeſſor, der dritte wird Offizier; die Töchter verheiraten
ſich dementſprechend. Der Vater iſt belaftet bis an fein
Ende mit hohen jährlichen Zulagen, und wenn einmal geteilt
wird, muß der Erbe große Hypotheken aufnehmen. Bei dem
Polen ift es fo: der eine Sohn bekommt das Gut, der zweite ver-
waltet die Brennerei, Zucker- oder Stärkefabrik oder was fonft
Techniſches auf dem Gute iſt, der dritte geht in die Stadt und
wird dort Kaufmann oder Direktor einer landwirtſchaftlichen
Genoſſenſchaft; die Töchter verheiraten ſich dementſprechend.
In der nächſten Generation iſt die größte Wahrſcheinlichkeit,
daß der Deutſche in der Lage iſt, ſein Gut verkaufen zu
müſſen, und der Pole in der Lage, es zu kaufen. Der
Staatsdienſt iſt bei aller Ehre, die er bringt, eine Laſt. Er
wird doch nur ſehr mäßig bezahlt, ſo daß bei Familien, die
ihre Söhne dorthin geben und ihre Töchter in dieſe Kreiſe
verheiraten, das Vermögen, wenn welches vorhanden war,
allmählich verbraucht zu werden pflegt. Diejenigen Schichten
des Volkes, die ſich ausſchließlich dem Wirtſchaftsleben
Kolonifation in den Oſtmarken. 165
widmen, profperieren am meiften, und auf dieſes haben wir
die Polen gezwungen, ſich zu konzentrieren: ein weſentliches
Moment, warum der Reichtum in den polniſchen höheren
Ständen in der letzten Generation ſo außerordentlich ge—
wachſen iſt.
Nun das Hauptmittel der Germaniſierung der Oſtmarken,
die deutſche Bauernanſiedelung. Wir haben da im ganzen
über 120000 deutſche Bauern (Seelenzahl) angeſiedelt und
dadurch ein wirklich bedeutendes Stück Deutſchtum geſchaffen.
Ja es iſt ſogar den Polen durch ein eigenes Geſetz ſehr
erſchwert, ſich ſelber in ihrer Heimat anzuſiedeln. Kauft
ein Pole ein Stück Land und will ein Haus bauen, ſo
kann es ihm verboten werden. Dieſes ſo tief in das Privat—
eigentum eingreifende Ausnahmegeſetz iſt wirklich in ſeiner
ganzen Härte ſehr oft angewendet worden. Trotzdem haben
die Polen ſo viel deutſchen Grundbeſitz erworben, daß die
ganze ſtaatliche Koloniſation dadurch wieder wettgemacht
iſt, ja die Polen ſogar noch gewonnen haben ſollen. Gerade
der Druck, der die Polen gezwungen hat, ſich dem Wirt—
ſchaftsleben zuzuwenden, hat die „polniſche Wirtſchaft“ ver:
ſchwinden machen, und von der ungeheuren Menge Geld,
die über die Provinz ausgeſtreut worden, iſt auch ein großer
Teil den polniſchen Familien zugute gekommen. Einer der
Führer des Oſtmarkenvereins ſagte einmal von Poſen ſehr
richtig: „Wenn dort die Sonne ſcheint, ſcheint ſie immer
über einen Deutſchen und zwei Polen.“ Die Polen haben
von der künſtlichen Hochtreibung der Preiſe für Grund
und Boden den größten Vorteil gehabt, und namentlich iſt
der Überſchuß der beſſeren polniſchen ländlichen Bevölkerung
in die Städte gegangen, und als Gegenwirkung gegen die
Überziehung eines gewiſſen Teiles des Landes mit deutſchen
Bauern ſind die Städte poloniſiert worden. Der Miniſter
Koloniſation.
166 Niedergang des Deutſchtums in den Städten.
v. Rheinbaben hat es einmal als Ideal aufgeſtellt, um
alle Poſenſchen Städte einen Kranz deutſcher Bauerndörfer
zu legen; dadurch würden die Städte germaniſiert werden.
Wie ſtellt man ſich nun einen ſolchen Kranz vor? Die
Provinz hat beinah 180 Städte. Wenn wir nun einen
Kranz von einer Meile ringsherum nehmen, ſo ergibt das
gegen 600 Quadratmeilen, das iſt mehr als die ganze
Provinz, die nur 525 Quadratmeilen umfaßt. Ein Kranz
um alle Städte, heißt alſo, die ganze Provinz mit deutſchen
Bauern beſiedeln. Daß das helfen würde, iſt gar keine
Frage. Man ſetzt ſämtliche Polen hinaus und Deutſche hinein.
Wozu dann aber die umſtändliche Redeweiſe mit dem Kranz
deutſcher Dörfer? In Wirklichkeit ſteht es gerade umge—
kehrt, daß die deutſchen Dörfer die Polen in die Städte
gedrängt und dieſe, die ehedem vorwiegend deutſch waren,
poloniſiert haben.
In der Schicht der ſelbſtändigen Gewerbetreibenden der Pro=
vinz haben die Deutſchen von 1895 ſchon bis 1907 um faſt 7%
abgenommen, die Polen um faſt 6% zugenommen. Unter
den ſelbſtändigen Handeltreibenden haben ſich die Polen um
46% vermehrt, die Deutſchen ſind um etwa 10% zuruͤckge—
gangen. In der Hochburg des Deutſchtums, in Bromberg ſtellten
die Polen im Jahre 1887 8% des Handswerks, heute 24,2%.
Man berufe ſich nicht darauf, daß dieſes große Koloni—
ſationswerk, an ſich ein ſehr großes Kulturwerk, von Bismarck
ausgegangen ſei, und ſich auf ſeine Autorität ſtütze. Ich
erinnere Sie an jene Aufzeichnung von Kardorff, durch die
feſtgelegt iſt, daß Bismarck durchaus innerlich dagegen ge—
weſen iſt und nur, von den Parteien gezwungen, ſich dazu
bereit gefunden hat. Auch ſpäter, bis an ſein Lebensende,
hat er in einer Reihe von öffentlichen Außerungen die
Anſiedlung immer als etwas ganz Verfehltes verworfen,
Das polniſche Nationalgefuͤhl. 167
ja ſogar die polniſchen Bauern als zuverläſſige preußiſche
Untertanen in Schutz genommen!).
Alle die ungewollten Folgen der ſchlecht durchdachten
Germaniſierungs-Maßregeln, der deutſchen Volksſchule, des
deutſchen Beamtentums, der deutſchen Koloniſationen treffen
nun in einem Brennpunkt zuſammen: der Aufreizung des
polniſchen Nationalgefühls. Das polniſche Nationalgefühl
war früher bekanntlich außerordentlich ſchwach und gelähmt
durch den berüchtigten polniſchen Parteigeiſt. Die Maſſe
des Volks, der Bauernſtand war völlig ſtumpf oder erfüllt
von einer Art dumpfer Dankbarkeit gegen das preußiſche
Koͤnigtum, dem es Befreiung aus der Hörigkeit und Eigen—
tum verdankte. Heute iſt das alles ganz anders: der Partei—
geiſt iſt unterdrückt, und in gefeſtetem Nationalbewußtſein
hält das ganze Volk einmütig zuſammen. Was für ein
Feld für geſchickte Agitatoren iſt die deutſche Koloniſation!
Wie ſoll ſich der Bauer dem entziehen, wenn ihm geſagt
wird: dem Deutſchen wird dieſe Wohltat gegeben; er be—
kommt das Gut zum halben Wert von der Anſiedelungs—
kommiſſion. Dein Vater hat auch 1866 für den König von
Preußen mitgefochten, dein Onkel iſt in der Schlacht bei
) Ich habe die Beweiſe, daß Bismarck bis an ſein Lebensende die
Bauernkoloniſation als Mittel der Germaniſierung der Oſtmark ver—
worfen hat, zuſammengeſtellt im „Neuen Deutſchland“ vom 30. No—
vember 1912. L. Raſchdau hat darauf erwidert mit einem laͤngeren
Nachweis, daß Bismarck amtlich mehrfach fuͤr die Koloniſation ein—
getreten ſei. Das bedurfte freilich keines Beweiſes, aber es ſoll ſchon
öfter vorgekommen fein, daß ein Staatsmann amtlich anders ſpricht als
privatim, und in dieſem Falle wiſſen wir ja aus der Aufzeichnung von
Kardorffs (Bd. 140 d. Preußiſchen Jahrbuͤch. Seite 374), aus welchen
taktiſchen Gründen Bismarck es in einem gewiſſen Moment für geraten
hielt, die Koloniſation zuzulaſſen und amtliche Denkſchriften in dieſem
Sinne anfertigen zu laſſen.
Polniſches
Nationalgefühl.
Der Boykott.
168 Der Boykott.
Wörth gefallen, du haft ſelber deine Zeit treulich gedient
und biſt dennoch von der Gleichberechtigung, die doch in der
Verfaſſung verbürgt iſt, ausgeſchloſſen; ja, wenn einer von
euch ſich mit ſeinem Schweiß etwas erworben und erſpart
hat, ein Ackerchen gekauft und ſich ein Haͤuschen darauf
bauen will, ſo wird es ihm von der Regierung verboten.
Nehmen Sie dazu die tägliche Reizung durch die Volks—
ſchule, den peinlich empfundenen Zwang, vor Gericht und
in der Verwaltung in fremder Sprache verhandeln zu müſſen,
endlich den geiſtigen Rückhalt, den die katholiſche Kirche dem
Polentum gewährt, ſo wird keine Verwunderung mehr dar—
über ftatthaben, weshalb die Polen nicht nur eine fo ſtarke
Defenſivkraft, ſondern ſogar Offenſivkraft zeigen.
Die Offenſive beſteht in dem ſog. wirtſchaftlichen Boykott,
der die deutſchen Geſchäftsleute und Handwerker brotlos
macht und aus dem Lande treibt. Dieſer Boykott iſt be—
reits ſehr alt, aber ſeine volle Kraft hat er erſt als Gegen—
zug gegen den Hakatismus in der letzten Generation ge—
wonnen. Hausfrauen gehen im allgemeinen dahin, wo ſie
glauben am beſten und billigſten kaufen zu können, und
kümmern ſich nicht um Politik und Partei. Es gehörte die
täglich erneute Reizung des Nationalitätenkampfes dazu, um
das Wort „Jeder zu den Seinen“ zur Wahrheit werden zu
laſſen. Dabei find die Deutſchen naturgemäß unterlegen;
ſie ſind die Minderzahl und ſaßen an der Stelle, die an—
gegriffen wurde, in den ſtädtiſchen Gewerben. Der Boykott
ſchafft dem wachſenden polniſchen Wohlſtand, der wirtſchaft—
lichen Betriebſamkeit, dem Zug vom Lande in die Stadt
die Möglichkeit der Ausbreitung und Feſtſetzung, die Kund—
ſchaft, von der der Handwerksmann und der Krämer
ſich nährt.
An alle ſolche Folgen hat unſere Bureaukraten-Politik,
Das Schloß in Poſen. 169
als fie den neuen Kurs in der Polen: Politik inaugurierte,
nicht gedacht.
Von diefen großen Maßregeln wenden wir den Blick
noch zu einer Reihe von kleineren, die auch ganz dieſelbe
Kurzſichtigkeit der Bureaukratie zeigen.
Da hat man ein wundervolles Schloß in Poſen gebaut,
ein Art Zwingburg, um den Polen immer vor Augen zu
halten, daß ſie unter preußiſcher Herrſchaft ſeien. Nun iſt
das Schloß fertig und könnte bezogen werden. Seine
natürliche Beſtimmung wäre, daß ein preußiſcher Prinz in
Poſen eine militäriſche Funktion übernähme und in dem
Schloſſe wohnte. Aber in dem Augenblick, wo man über
eine ſolche Möglichkeit in Erwägungen eingetreten iſt, haben
die Hakatiſten ſich auch klar gemacht, daß ſie ſich damit
ſelber ins Fleiſch ſchneiden würden. Ein junger preußiſcher
Prinz und faſt mehr noch die Frau Prinzeſſin könnten doch
nicht immer bloß mit den Exzellenzen-Damen und Herren
der Regierung und Garniſon verkehren. Die natürliche
Stellung eines Prinzen, der zeitweilig in einer Provinz reſi—
diert, iſt, daß er mit den vornehmen eingeſeſſenen Familien
in geſellſchaftliche Beziehungen tritt, mit den Herrſchaften
auf den Schlöſſern, wo Jagden und Bälle gegeben werden.
Das ſind in Poſen die großen polniſchen Adelsfamilien,
die ihre berühmte Gaſtfreundſchaft pflegen, deren Töchter
die beſten Tänzerinnen der Welt ſein wollen. Aber was
wird aus dem Hakatismus, wenn ein Vertreter des Königs—
hauſes mit den polniſchen Grafenfamilien ſolche Beziehungen
pflegt? Entweder die Polen weigern ſich, überhaupt auf den
Verkehr einzugehen, ſolange Geſetze beſtehen, die ſie von
ihrer heimatlichen Scholle vertreiben ſollen, oder aber, wenn
ſie es tun, ſo werden ſie damit einen Einfluß gewinnen,
der die Durchführung der bisherigen Politik bald mehr und
Das Schloß.
Akademie und
Bibliothek in
Poſen.
170 Akademie und Bibliothek.
mehr abdämpfen wird. An ſolche Folgen hat unſere Oſt—
markenpolitik nicht gedacht, als ſie die vielen Millionen für
den Bau der Trutzburg in Poſen forderte und bewilligte.
Dann iſt in Poſen eine Akademie gegründet worden,
und kann nicht leben und nicht ſterben. Einige Semeſter
haben die Poſener Deutſchen die Vorleſungen, die ihnen
geboten wurden, mit Vergnügen gehört. Jetzt iſt das Inter:
eſſe erſchöpft, und die Profeſſoren haben keine Zuhörer.
Eine Univerſität kann man aus der Akademie nicht machen;
eine deutſche geht nicht, eine polniſche will man nicht.
Schon der berühmte Miniſterialdirektor Dr. Althoff hat
ſich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wie er
dem verkrüppelten Ding zu irgendeinem vernünftigen Daſein
verhelfen könne.
Da iſt außer der Akademie mitten in der Stadt eine
herrliche Bibliothek errichtet worden, zu der einſt alle
deutſchen Buchhändler im patriotiſchen Sinne ihre Verlags—
werke zu ſtiften aufgefordert wurden. Wie oft aber kommt
ein Gelehrter nach Poſen und fordert Bücher? Gewiß iſt
in der Provinz und in der Haupſtadt immer auch ein ges
wiſſer Gelehrtenbedarf; aber der Hauptvertrieb iſt doch, wie
auch die amtlichen Berichte dartun, die moderne Belletriftif*),
oder mit anderen Worten, wie die Poſener in mokantem
Ton ſagen: „Es iſt die Leihbibliothek für unſere jungen
Mädchen.“ Für ſolche Zwecke haben die preußiſchen Steuer—
zahler Millionen und aber Millionen aufbringen müſſen,
waͤhrend fuͤr die preußiſchen Univerſitaͤtsbibliotheken und
ſelbſt fuͤr die Koͤnigliche Bibliothek in Berlin die wenigen
) Mir liegt der amtliche Bericht über das Jahr 1908 vor. Aus:
geliehen wurden 27000 Bände wiſſenſchaftlicher Natur neben 69000 Baͤn⸗
den volkstuͤmlicher Natur, und dieſe 69000 Bände wurden hauptfächlich
beſtritten mit nicht mehr als 5000 — 6000 Bänden der neueren Literatur.
Aufriß einer anderen Polenpolitik. 171
Hunderttauſende, die für die allerdringendſten wiſſenſchaft—
lichen Beduͤrfniſſe von unſerer Gelehrtenwelt verlangt wurden,
nicht zu beſchaffen waren.
Ein öſterreichiſcher Staatsmann hat einmal über gewiſſe
öſterreichiſche Maßregeln geſagt, es ſei nächſt der Fabel der
Zauberflöte die größte Dummheit der Weltgeſchichte. Wer
weiß, wie zukünftige Staatsmänner dieſes Wort einmal
variieren werden! Unſere Polenpolitik gleicht dem Manne,
der ſchwimmen wollte und ſich dabei erſaͤufte, weil er die
Schwimmblaſen an die Füße band, da er den Kopf ja
ohnehin oben halte.
Da wir uns nun einmal ſo weit auf unſere Polen—
politik eingelaſſen haben und zu dem Ergebnis gekommen
ſind, daß ſie dem Deutſchtum nicht nur nichts genützt,
ſondern trotz eines erheblichen Gewinnes durch die Bauern—
anſiedelung, im ganzen genommen ſehr weſentlich geſchadet
hat, ſo darf ich auch wohl nicht ganz die Frage umgehen,
wie man es hätte anders machen ſollen.
Zunaͤchſt iſt ganz abzuweiſen der Satz: Da wir dieſe
Polenpolitik einmal angefangen hätten, müßten wir ſie auch
durchführen. Konſequenz ſei die Hauptſache, vor allem
keinen Zickzackkurs. Das ift etwa ebenſo weiſe, wie wenn
jemand einen Berg hinauffahren will, ſeinen Wagen aber
immer weiter hinuntergleiten ſieht und ſich zuruft: „Nur
immer weiter ſo — endlich werden wir doch oben ankommen.“
Das Ziel einer richtigen Polenpolitik kann natürlich Aufriß einer
niemals fein, was man nennt, die Polen zu verſöhnen. beſſeren Polen—
Die Polen als Ganzes kann man niemals verſöhnen; ein 55
radikal nationaler Teil wird immer übrig bleiben, der ſich
bewußt iſt, daß gerade der Kampf für das Polentum das
Nützliche iſt, der deshalb unter allen Umſtänden weiter
kämpft und immer wieder ſuchen wird, uns von neuem
Delbrück, Regierung und Volkswille. 12
172 Divide et impera.
in den Fehler des nationalen Kampfes hinein zu reizen
und zu verlocken. Eine richtige deutſche Politik muß diefer
Verſuchung widerſtehen und ftatt deſſen den Grundſatz
„Divide et impera“ ins Auge faſſen. Indem man darauf
verzichtet, die Polen als Ganzes ſowohl zu bekämpfen als
auch zu gewinnen, muß man darauf ausgehen, Verhältniſſe
zu ſchaffen, die das Entſtehen einer preußiſch-polniſchen
Partei ermöglichen. Die Ausſichten für die Bildung einer
ſolchen Partei unter unſeren Polen ſind auch heute noch
nicht ſchlecht. Es braucht nicht jedem Volke beſchieden zu
ſein, daß es einen großen Nationalſtaat bildet. Auch wir
Deutſche haben ja dieſes Ziel inſofern nur teilweiſe erreicht,
als ganz gewaltige Bruchteile unſeres Volkstums, in Öfter-
reich und der Schweiz, außerhalb des Reichs bleiben müſſen
und vermutlich für alle Zeiten bleiben werden. Realpolitiſch
denkende Polen mögen ſich darein finden, daß ſie verſchiedenen
Staatsweſen angehören, wenn ſie nur innerhalb der fremden
Staatsweſen nicht in ihrer Nationalität und in ihrer Reli⸗
gion gekränkt werden“). Unſere Polen haben nirgends ein
geſchloſſenes Gebiet, ſondern ſind mit ihren vier Millionen
auf vier verſchiedene preußiſche Provinzen, unter etwa acht
Millionen Deutſchen, verteilt. Entſtünde ein polniſches
Nationalreich und ſuchte auch die preußiſchen Polen an
ſich zu ziehen, fo wäre es geographiſch gezwungen, auch
viele Millionen Deutſche mit hinein zu nehmen; mit anderen
Worten: die Herſtellung eines ſolchen polniſchen National—
reichs iſt nur denkbar unter der Vorausſetzung einer völligen
Zerſtörung des deutſchen Reichs. Daß darauf keine Aus—
ſicht iſt, ſehen auch ſehr viele Polen ein. Sie ſehen es
) In Oſterreich hat dieſer Gedanke die praktiſche Probe bereits
beſtanden. Vergleiche den hoͤchſt inſtruktiven Aufſatz von E. Zwey—
bruͤck, Zur oͤſterreichiſchen Polenpolitik. Preuß. Jahrb. Bd. 140 S. 115.
Die polnifchen Stände. 173
nicht nur ein, ſondern fie wünſchen die Zerſtörung gar nicht
mal, da fie ja mit Hilfe der Ruſſen erfolgen müßte und ihnen
die preußiſche Herrſchaft doch immer noch beſſer ſcheint als
die Herrſchaft der ruſſiſchen Knute. Die Forderung, daß
ſie ſich als Polen der deutſchen, d. h. der abendländiſchen
Kultur anſchließen ſollen, iſt für ſie keineswegs eine kränkende
Zumutung, ſondern etwas Selbſtverſtändliches; ſeit 1000
Jahren leben ſie darin. Sie wollen weder mit Moskowi—
tismus noch Panſlawismus etwas zu tun haben.
Das polniſche Volk zerfällt in vier Stände, und von
dieſen vier Ständen ſind drei von vornherein für ein ver—
ſtändiges Zuſammenleben mit den Deutſchen disponiert.
Da iſt der Adel, der ſich ſo ſehr danach ſehnt, wieder die
Beziehungen zum Hofe aufnehmen zu können und ſeine
Söhne wieder dem Offizierſtand zuzuführen. Zu Bismarcks
Zeiten, als die Polen noch auf eine Herſtellung ihres
Nationalreichs durch die Franzoſen hofften, hatte der Adel
die Führung der ſeparatiſtiſchen Tendenzen. Heute, ſeit
Frankreich ſich auf Gedeih und Verderb mit Rußland ver—
bunden hat, iſt es gerade der Adel, der ſich ſo gern mit
dem preußiſchen Staate ausſöhnte. Da iſt weiter die Geiſt—
lichkeit, deren höchſter Glaubensſatz iſt, daß ſie zur latei—
niſchen, weſtlichen Kirche und Kultur gehöre, und daß ihr
böſeſter und gefährlichſter Feind und Verfolger die ruſſiſche
Orthodoxie ſei. In Deutſchland ſpielt die katholiſche Kirche
eine — wir wiſſen es ja alle — nur gar zu bedeutſame
Rolle in der Regierung. Ganz natürlich, daß auch der
polniſche Klerus ſich zu einem zu ſo großem Teil katholiſchen
Reiche hingezogen fühlt. Endlich der Bauer ſieht, wie vor—
trefflich in Deutſchland für alle agrariſchen Bedürfniſſe und
Forderungen geſorgt iſt, und hat auch heute noch nicht ver—
geſſen, wieviel er den preußiſchen Königen verdankt. Das
12°
174 Polen und Katholiken.
iſt ein Punkt, den auch Bismarck in ſeinen Reden immer
wieder betont hat und weshalb er die Koloniſation in Poſen
eigentlich nicht gewollt, ſondern ihr nur mit innerem Wider—
ſtreben zugeſtimmt hat. Der vierte polniſche Stand iſt
der erſt in unſeren Tagen aufgeblühte und gerade ver—
möge unſerer falſchen Politik zur Entfaltung gebrachte
bürgerliche Mittelſtand, und dieſer bildet den wirklich unver—
ſöhnlichen Teil des polniſchen Volkstums. Er lebt davon,
daß er den deutſchen Bürger aus der Provinz verdrängt.
Ihn zu gewinnen, wird wohl für alle Zeiten ausſichts—
los ſein.
Auch die verſöhnten Polen bleiben natürlich in der Idee,
wie wir es ausgedrückt haben, „Preußen auf Kündigung“.
Das iſt nicht zu ändern, da ſie einmal keine Deutſchen ſind,
und es kein Mittel gibt, ſie zu Deutſchen zu machen. Es
kommt nur darauf an, eine Politik zu verfolgen, die die
ideell mögliche Kündigung niemals zu einer faktiſchen werden
läßt. Alle Wahrſcheinlichkeit ſpricht dafür, daß es ſo kommen
wird. Auch im Kulturkampf wurden wir immer wieder
darauf hingewieſen, daß unſere Fatholifchen Mitbürger keine
zuverläſſigen Staatsbürger ſeien, da ja nach ihrem Dogma
der Papſt ſie in jedem Augenblick vom Eide der Treue
entbinden könne. Das iſt ideell vollkommen richtig; das
Dogma beſteht. Aber die Wahrſcheinlichkeit, daß der Papſt
jemals von der Befugnis bei uns Gebrauch machen werde,
iſt ſo gering, daß kaum jemand überhaupt noch daran denkt,
und die einſt auf Grund ihrer kirchlichen Anſchauungen als
„Reichsfeinde“ verfolgten Anhänger des Zentrums ſtehen
heute im Zentrum der gouvernementalen Parteien geſchart
um die Regierung.
Die hakatiſtiſche Politik hat dem Deutſchtum in Poſen
ſchwere Wunden geſchlagen; ſie hat es numeriſch geſchwächt
Polen und auswärtige Politik. 173
und das Polentum geſtärkt; fie hat das Deutſchtum auch der Hatatismus
moraliſch ſchwer geſchädigt, da, was es davon noch in 11
den Oſtmarken gibt, zum nicht geringen Teil aus Perſön— f
lichkeiten beſteht, die nach nationalen Trinkgeldern ſchnappen
und die unlauterſten Mittel anwenden, um ſich ihren Grund—
beſitz möglichſt teuer von der Anſiedelungs-Kommiſſion ab—
kaufen zu laſſen, und dann die Provinz zu verlaſſen. Die
hakatiſtiſche Politik hat uns endlich auch im Auslande
außerordentlich geſchädigt. Es iſt von hoher Bedeutung
für jede auswärtige Politik, welches Anſehen ein Volk bei
den anderen großen Kulturvölkern genießt. Das deutſche
Volk iſt, darüber darf man ſich keiner Täuſchung hingeben,
von allen das unbeliebteſte, und es iſt keineswegs bloß der
Neid der anderen Völker, wie man ſich gern entſchuldigt,
der ſie ſo ſcheel auf uns ſehen läßt. Es iſt zum nicht ge—
ringen Teil unſere falſche Nationalitätenpolitik, die uns
allenthalben ſo verhaßt gemacht hat. Die Polen und Dänen
haben mit Eifer dafür geſorgt, daß jede einzelne Härte, die
vorgekommen, durch die ganze Welt getragen worden iſt.
Immer wieder haben ſie bis nach Amerika hin gegen den
barbariſchen preußiſchen Polizeiſtaat gehetzt und aufs Sorg—
ſamſte verſchwiegen, wieviel ſie uns trotz allem doch auch
verdanken.
Der Schade, der uns ſo nach allen Richtungen durch
die falſche Politik zugefügt worden iſt, iſt unabſehbar und
wird niemals wieder ganz ausgeglichen werden können.
Trotzdem möchte ich es doch nicht ſchlechthin bedauern, daß
der Verſuch, die fremden eingeſprengten Nationalitäten mit
Gewalt niederzuhalten und fie womöglich zu germaniſieren,
einmal gemacht worden iſt. Denn auch, wenn man ein—
mal zu einer vernünftigen Politik gelangt, ſo wird darum
der nationale Streit, wie ich ſchon ſagte, niemals ganz
176 Fortdauer des Kampfes.
aufhören. Immer wird es Unverſöhnliche geben, die weiter
kämpfen, und dann wird auch immer wieder die Forderung
erhoben werden, es einmal mit Gewaltmaßregeln im großen
Stil zu verſuchen. Wenn man es ſo theoretiſch anſieht, müßte
man ja meinen, dem preußiſchen Staat mit ſeinen unge—
heuren Mitteln könnte es ſchließlich nicht fehlen, die fremden
Fragmente ins Deutſchtum überzuführen. Darum mußte
einmal der praktiſche Verſuch gemacht werden und mag
nun meinetwegen ſo lange dauern, bis auch der Unbe—
kehrbarſte eingeſehen hat, daß dieſe Politik keinen Erfolg
gehabt, daß ſie Fiasko gemacht hat. Das ſichert uns dann
wenigſtens für die Zukunft vor der Wiederkehr ſolcher un—
ſeligen Experimente, wie wir fie nun dieſe 25 Jahre erlebt
haben.
Ich habe dieſes Kapitel der Polenpolitik etwas breiter
ausgeführt, erſtens weil es mir beſonders am Herzen liegt,
wo ſich eine Gelegenheit dazu bietet, das deutſche Volk
immer von neuem darauf hinzuweiſen, wie ſehr es ſich
hier gegen ſein eigenes Wohl verſündigt hat. Seit dem
Jahre 1887 habe ich dieſer Politik widerſprochen, ihre Er—
folgloſigkeit und ihre unglückſeligen Rückwirkungen voraus—
geſehen und vorausgeſagt, und mancher gute Patriot
hat ſich gewundert, daß gerade eine Zeitſchrift, die ſich die
„Preußiſchen Jahrbücher“ nenne, einer ſolchen, wie die
guten Leute glaubten, echt preußiſchen und echt deutſchen
Politik widerſpreche. Jetzt greift ja die Anſicht, daß man
ſich auf einem Irrweg befunden, allmählich mehr und mehr
um ſich “).
*) Namentlich in den Oſtmarken ſelbſt hat die große Mehrzahl der
Deutſchen das laͤngſt eingeſehen. Als Zeugnis diene ein von einem eifrigen
Hakatiſten geſchriebener Artikel in den „Grenzboten“ (1913; 3. Quartal
S. 357): „Jedem Kenner der poſenſchen und oſtmaͤrkiſchen Verhaͤltniſſe
Hakatismus und Bureaukratie. 177
Ich bin aber noch aus dem zweiten Grunde auf die
Nationalitätenpolitik eingegangen, weil ſie ja weſentlich
Bureaukratenpolitik iſt, und ich zeigen mußte, wo die Grenzen
für die Leiſtungen auch der beſten Beamtenpolitik liegen.
Faſt der Hauptgegenſtand dieſer meiner Vorleſung iſt es ja,
die Verdienſte unſeres Beamtentums als des eigentlichen
Trägers der Staatsidee ins rechte Licht zu ſtellen. Aber
auch ein Verherrlicher braucht darum kein blinder Lobredner
zu ſein, und ſo iſt es nichts anderes als die Wahrheit, die
mich zwang, auch den ſchwachen und wohl ſchwächſten Teil
in der politiſchen Geſchichte unſeres Beamtentums mit in
meine Betrachtungen hineinzuziehen.
Nachdem wir uns nunmehr dieſer unerfreulichen Auf—
gabe entledigt haben, gehen wir über zu der abſchließenden
prinzipiellen Vergleichung der Vorteile unſeres, wie ich es
genannt habe, dualiſtiſchen Regierungsſyſtems mit den
parlamentariſchen Syſtemen.
Vergegenwärtigen wir uns zunächſt, daß fie ſich in ge- Verſteckte
wiſſer Beziehung viel näher ſtehen, als es auf den erben e 5
Blick erſcheint. Wir haben in Deutſchland den Dualismus, moniſtiſchen
beruhend auf dem Zuſammenwirken, wie ich es aus- taats-Syſteme.
gedrückt habe, einer organiſierten politiſchen Intelligenz
mit den breiten Schichten des Volkes, die im Reichstag
vertreten ſind. Drüben in Frankreich, Amerika, England
haben wir den Aberglauben, daß das Volk ſich ſelbſt
iſt es bekannt, daß hinter dieſer Politik in den Anſiedelungsprovinzen im
weſentlichen nur eine Anzahl von Beamten und Lehrern mit ihrem Anhang
ſowie ganz wenige Großgrundbeſitzer und Angehoͤrige der freien Berufe
ſtehen. Dieſe Kreiſe hat der Oſtmarkenverein zu einer ziemlich einflußreichen
Drganifation zuſammengefaßt. Die Mehrzahl aber der eingeſeſſenen
deutſchen Landwirte, Gewerbetreibenden, Arzte und Anwaͤlte ſteht dieſer
Politik leider mit Mißtrauen gegenuͤber.“
Fehler der
Partei⸗
regierungen.
178 Berufspolitiker huͤben und druͤben.
regiere, ausgekehrt, die einſt ſo viel gerühmte Regierung
mit dem Volk, für das Volk, durch das Volk (nach
einem Ausdruck des Präſidenten Lincoln), und haben uns
ſtatt deſſen klar gemacht, daß auch dort gewiſſe Korpora—
ationen von Politikern regieren, die ſich tatſächlich ſelbſt
ergänzen, indem ſie dabei mit breiten Schichten des
Volkes Fühlung halten. Der Unterſchied iſt alſo, daß es
bei uns eine geſchloſſene Körperſchaft unter monarchiſcher
Spitze iſt und drüben freie, hiſtoriſch gebildete Gruppen,
die in der Regierung miteinander abwechſeln“); in England
und Amerika im weſentlichen nur zwei, in Frankreich ſehr
viele. Die Folge iſt, daß das individuelle Wollen und
Mögen im engliſchen und amerikaniſchen Parlamentsleben
überaus beſchränkt iſt. Man muß entweder in die eine
oder in die andere Gruppe hinein. Als ein amerikaniſcher
Politiker einmal einem Wähler abraten wollte, doch nicht
ſo blind ſeinen gedruckten Wahlzettel abzugeben, es könne ja
der Teufel drauf ſtehen, antwortete der Mann: „Auch dann
gebe ich ihn ab.“ So muß man ſich drüben unter allen Um:
ſtaͤnden zu ſeiner Partei halten, in Frankreich freilich nicht ganz
jo ſtreng wie in Amerika oder England. Denn bei der Viel—
heit der Parteien hat die Individualität dort einen größeren
Spielraum. Aber dieſe Vielheit iſt ja auch das Verderben.
Sie bringt den Mangel an Stabilität in die Regierung;
) Die Ahnlichkeit zwiſchen dem deutſchen und engliſchen Syſtem
wird inſofern allmaͤhlich immer groͤßer, als auch druͤben das fachmaͤßig
gebildete, außerhalb der Parteien ſtehende Beamtentum fortwährend zu⸗
nimmt. Im alten parlamentariſchen Staat wurden alle Beamtenſtellen
einfach durch Patronage beſetzt; gegen heftigen Widerſtand, auch der
Königin Viktoria, wurden ſtatt deſſen Examina eingeführt, 1855, wie
bei uns, und auch beſoldete Beamte an Stelle von bloßen Ehren⸗
beamten geſchaffen. Graham Wallas, Human Nature in Polities
p. 249 ff.
Verhältnis der Parteien zum Staat. 179
durch die leiſeſte Schwankung in der Volksſtimmung, durch
jede Intrige des Führers einer Gruppe, wird das Land
von einer Regierung zur anderen getrieben. Das iſt nur
deshalb noch nicht ſo ſehr ſchädigend, weil die Parteien, die
tatſächlich abwechſeln, ſich ſo ſehr nahe ſtehen. Der Unter—
ſchied zwiſchen ihnen iſt manchmal kaum zu ſehen.
Aber nichts deſtoweniger, die Unſicherheit bleibt.
Die Parteien ſind ja nicht bloß Teile des Volkes, ſo
daß man, einfach alle Parteien zuſammenfaſſend, das Volk
in feiner Geſamtheit hätte, ſondern jede Partei iſt eine
Organiſation, erfüllt von einem beſonderen Geiſt, regiert
von allgemeinen Prinzipien, die nicht unbedingt der Staats-
idee untergeordnet ſind. Alle Parteien haben eine gewiſſe
Verwandtſchaft und deshalb Sympathie mit ausländiſchen
Parteien, die ähnlichen Ideen huldigen. Die Konſervativen
in Deutſchland lieben naturgemäß die engliſchen Tories
mehr als die Whigs, und bei manchen Parteien geht
das ſo weit, daß ſie als international bezeichnet werden
können oder ſich ſogar ſelbſt ſo nennen. Man ſpricht
von einer ſchwarzen, roten und goldenen Internationale.
Der Parteibegriff ſteht alſo ſtets in einer gewiſſen
Spannung mit dem nationalen Begriff. Man ſpricht
wohl bei uns von den „nationalen Parteien“, aber dieſer
Begriff hat doch nur eine relative Wahrheit. Der einzelne
Parteimann kann unbedingt national ſein, die Partei als
ſolche hat immer ihr eigenes Intereſſe, was mit dem natio—
nalen Intereſſe nicht unbedingt zuſammenfällt. Der Begriff
der „nationalen Parteien“ in Deutſchland iſt deshalb auch
ſehr unſicher abgegrenzt: manche rechnen das Zentrum und
die Freiſinnigen dazu, manche nicht; manche behaupten, daß
auch die meiſten Sozialdemokraten im Herzen ſehr gute
Deutſche ſeien, und zuweilen behaupten dieſe es ſogar ſelber.
Weſen der
Parteien.
180 Die Parteien in Öfterreich.
Es kann alſo nicht anders ſein, als daß jede Partei—
regierung die Gefahr mit ſich bringt, daß der Staat nicht
ganz nach ſeinem eigenen inneren Bedürfnis, ſondern nach
einem in tiefſtem Grunde abweichenden regiert wird, und
der Wechſel in dieſer Abweichung, indem er dieſen Fehler
korrigiert, erzeugt doch gleichzeitig einen anderen und bringt
dazu noch die Unſicherheit, die eben im Wechſel ſelber liegt.
Die höchſte Potenz dieſes Zwieſpalts zwiſchen der Partei—
idee und der Staatsidee ſehen Sie jetzt in Oſterreich. Hier
ſind die Parteien ſelbſt weſentlich nach Nationalitäten orientiert
und die Folge iſt, daß ſie, ihre Idee über die Staatsidee
ſtellend, die Staatsmaſchine ſelbſt zum Stillſtand gebracht
haben. Hier hat das Syſtem der parlamentariſchen Partei—
regierung in völligem Bankerott geendet und nur der Ab—
ſolutismus, die monarchiſche Beamtenregierung kann den
Staat retten.
Man laſſe ſich nicht durch den Ausdruck täuſchen, daß
die Regierungen in England, Frankreich und Amerika
wechſelten je nach der Entſcheidung des Volkes. Selbſt
wenn bei Neuwahlen eine andere Majorität in der
Kammer erſcheint, ſo iſt es nicht das Volk, das anders
gewählt hat, ſondern ein kleiner Bruchteil, der von einer Seite
zur anderen übergegangen iſt, und oft gewiß gar nicht einmal
ein beſonders wertvoller Beſtandteil des Volkes.
Die Parteien ſelber find nichts Konftantes, fo daß es
etwa zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine liberale
und eine konſervative Partei gegeben hätte oder geben müßte.
Nur das äußerlich Formale, daß z. B. eine Partei erhalten,
die andere etwas ändern will, wiederholt ſich naturgemäß
immer wieder. Es hat aber auch ſtockkonſervativ demokratiſche
Parteien gegeben, und die Jakobiner ſind in erſter Linie
nicht ſowohl die Partei des ſtädtiſchen Proletariats, als die
Beamtentum und Sozialpolitik. 181
Patrioten⸗ und Kriegspartei bis zum äußerſten. Parteien
ſind immer ſpezifiſche Produkte ihrer Zeit und ihres Volkes.
Immer aber muß ihnen eine gewiſſe Einſeitigkeit in der
Auffaſſung der Staatsaufgabe notwendig anhaften, ſonſt
wären ſie keine Parteien, und das legt der von ihnen ge—
leiteten Politik ſtarke Beſchränkungen auf.
Von allen dieſen Schwaͤchen und Einſeitigkeiten iſt das
monarchiſche Regierungsſyſtem frei und das gibt ihm einen
Vorzüge
des deutſchen
Syſtems.
großen Vorſprung. Wie iſt es gekommen, daß Deutſchland in
der Sozialpolitik allen anderen Ländern ſoweit voraus geweſen
iſt? Zuerſt natürlich, weil wir einen Staatsmann wie Bismarck
hatten, der einen ſolchen Gedanken durchführen konnte,
weiter aber, weil das Beamtentum in unſerem Staate
einen Indifferenzpunkt bildet, weil der Beamte zwiſchen
allen Ständen und Intereſſen ſteht und darauf angewieſen
iſt, das Wohl des Ganzen im Auge zu haben. Dahin—
gegen eine Partei kann nie unparteiiſch fein. Sie können
in England, Amerika, Frankreich, die Dinge immer nur
unter einem gewiſſen beſchränkten Geſichtspunkt anſehen
und nicht ſo unbedingt unter dem Geſichtspunkt des Ganzen.
Ohne eine Art von unparteiiſchem Schiedsrichtertum, wie
es dem König und ſeinen Beamten zwiſchen den ſtreitenden
Intereſſen der verſchiedenen Klaſſen naturgemäß innewohnt,
iſt es kaum möglich, zu einer guten Sozialpolitik zu kommen.
Dann gibt ja die Sozialpolitik auch eine gewiſſe Gewalt
in die Hand der Regierung. Die kann man nicht in die
Hand einer Partei geben. Wir ſehen das an einem der
wichtigſten Punkte, dem Eiſenbahnſyſtem, der Frage der
Staats- oder Privatbahnen. Das Staatsbahnſyſtem iſt
nicht nur deshalb das beſſere, weil es den Gewinn aus
den Bahnen der Geſamtheit zuführt und nicht in der Hand
von einzelnen läßt, ſondern weil die Eiſenbahn eine große
Truſts.
182 Beamtentum und Eiſenbahnen.
wirtſchaftliche Macht iſt, eine ſo große, daß man das ganze
Wirtſchaftsleben damit einigermaßen regulieren kann. Unſer
Beamtentum ſteht unparteiiſch genug zwiſchen den verſchiedenen
Intereſſen, zwiſchen Export und Import, Induſtrie, Handel
und Landwirtſchaft, Oſten und Welten, Süden und Norden,
um die Tarife verſtändig und gleichmäßig anzuwenden.
England, Frankreich, Amerika können das Staatsbahnſyſtem
nicht einführen, weil dann diejenige Partei, die die Eiſen—
bahn in die Hand bekommt, ſich ſo befeſtigen würde, daß
ſie gar nicht wieder zu ſtürzen wäre, jedenfalls einen unge—
heuren Druck auf ihre Gegner ausüben würde. Wir haben
jetzt in Deutſchland, durch unſer ausgebildetes Syſtem der
Staatsverwaltung, etwa 1350000 Beamte, das iſt etwa
der zehnte Teil der Zahl aller Reichstagswähler, deren
wir im Jahre 1907 13 300000 gehabt haben. Alſo allein
ſchon in ihrer Stimmenzahl werfen die Beamten ungeheuer
viel in die Wagſchale. Aber noch viel bedeutender iſt die
Beherrſchung des Wirtſchaftslebens, die das Beamtentum
ausübt.
Das wird für die zukünftigen Generationen noch wichtiger
werden als für die vergangenen. Es iſt ja ganz klar, daß
ſich allenthalben die ungeheure Konzentration von wirt—
ſchaftlicher Macht bildet, für die der Name „Truſt“ auf—
gekommen iſt. In Amerika iſt man damit ſchon am
weiteſten. Die Truſts beherrſchen nicht nur das Wirt—
ſchaftsleben, ſondern durch ihr Geld auch in hohem Grade
die Wahlen und die Volksvertretungen. Es iſt völlig
hoffnungslos, gegen die Truſts zu kämpfen, alle Geſetze
haben gar keinen Erfolg gehabt, ſo daß Präſident Rooſevelt
ſchon das Programm aufgeſtellt hat, nicht gegen die Truſts
zu kämpfen, ſondern zu verſuchen, ſie unter Staatskontrolle
zu nehmen. Das läßt ſich aber in Staaten mit Partei⸗
Konfervativer Charakter des Beamtentums. 183
regiment nicht machen, weil man einer Partei eine ſo un—
geheure Macht nicht anvertrauen kann. Wir hingegen
brauchen vor den Truſts keine Furcht zu haben, obgleich
ſich ja bei uns ſchon ſtarke Anſätze dazu bilden. Aber
unſer Staat könnte ſchon durch ſeine Eiſenbahn, verbunden
mit der Zollgeſetzgebung, einen ſo großen Druck ausüben,
daß die Truſts nie eine ſo große Gewalt bei uns bekommen
werden wie etwa in Amerika.
Vielleicht wendet man ein, es ſei eine Fiktion, daß
unſer Beamtentum außerhalb der Parteien ſtehe; es ſei viel—
mehr konſervativ. Daran iſt etwas Wahres. Ganz abgeſehen
von dem naturgemäß konſervativem Zug, der dem Beamten—
tum immer innewohnen muß, weil es berufen iſt, den Staat
als ſolchen zu erhalten, wird das Konſervative gerade in unſerem
Beamtentum noch durch zwei beſondere Motive verſtärkt:
erſtens, daß unſer Staat ſich aus feudaliſtiſchen Verhältniſſen
hiſtoriſch entwickelt hat und daher im Beamtentum eine Tradi—
tion herrſcht, die den Zuſammenhang mit den reaktionären
Mächten bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz abgeſtreift
hat; zweitens infolge unſerer parlamentariſchen Einrichtungen,
die die Regierung oft mehr, als ihr ſelbſt lieb iſt, darauf
anweiſen, mit den konſervativen, agrariſchen und kirchlichen
Kreiſen ſo gut wie möglich zu ſtehen, um ſich gegen den
Anſturm der radikalen Demokratie zu behaupten. Inſofern
hat wirklich unſer Beamtentum einen Zug von Parteinahme
für alles Konſervative. Trotzdem iſt meine Charakteriſtik
prinzipiell richtig, und der Beweis iſt, daß, wenn die Libe—
ralen klagen, die Beamten ſeien grundfäglich konſervativ,
die Konſervativen, zwar nicht ſo ſehr öffentlich, aber ſehr
ſtark im ſtillen auf den Liberalismus der Beamten ſchelten.
Schon der alte Marwitz hat ja immer von neuem ver—
kündigt, die wahren Jakobiner ſeien nicht die Demagogen,
Das Konſer—
vative des Be⸗
amtentums.
Vorteil einer
Parteiregierung.
184 Geſamtleiſtung des Beamtentums.
ſondern dieſe ſäßen in der Kanzlei des Staatskanzlers. Was
Marwitz jakobiniſch nannte, was auch der junge Bismarck
in ſeiner feudalen Zeit noch häufig wütend „bonapartiſtiſch“
nannte, das iſt eben das, was wir das außerhalb der
Parteien ſtehende Beamtentum nennen, und die moderne
Probe auf dieſes Beamtentum iſt eben die Sozialpolitik.
überhaupt dürfte, wenn man die Leiſtungen der Geſetz—
gebung ſeit der Begründung des deutſchen Reiches zu—
ſammenſtellt, ſich ergeben, daß bei weitem das Meiſte und
Beſte darin von der Regierung, vom Monarchen und vom
Beamtentum ausgegangen iſt, oft nur mit Mühe beim Reichs—
tag durchgeſetzt. Aber deſſen bloße Exiſtenz wirkte im
höchſten Grade anregend und treibend auf die Regierung,
und im einzelnen hat er auch viel verbeſſert und zuweilen
auch ſelbſt gute Gedanken und Anregungen hervorgebracht.
Neben den ſehr ſchwerwiegenden Nachteilen hat das
Parteiregierungsſyſtem auch einen Vorteil, den wir nicht über—
ſehen wollen. Weil das ganze politiſche Weſen lockerer iſt
als bei uns mit dem ſtreng hierarchiſchen Aufbau des
Beamtentums, iſt es auch leichter möglich, daß politiſche
Talente hochkommen. Das ſcheint ja nur für wenige
wirklich bedeutend zu ſein, iſt aber doch für das geſamte
öffentliche Leben eine ſehr wichtige Sache. Es iſt bei uns
durch ein ſtrenges Beförderungsſyſtem im Beamtentum
auch für den talentierten Mann unmöglich, in jungen
Jahren, mit einer gewiſſen jugendlichen Friſche an die
Spitze zu kommen. In allen parlamentariſchen Staaten
iſt das viel eher möglich. Das iſt ein Vorzug, den ich
ſehr hoch anrechne, der ganz gewiß hauptſächlich das Ver—
dienſt hat, daß trotz der großen Mängel des Parteiregierungs—
ſyſtems es doch noch immer das ſeinige leiſtet, ja ſogar
gewiſſer Vorzüge vor dem unſrigen ſich rühmt.
Mängel der Parteiregierung. 185
Aber nun betrachten wir eins: Vor eine wirklich große
Probe, in einen großen Konflikt, iſt noch keiner dieſer
Staaten geſtellt worden. England hat die großen Kämpfe
gegen das Frankreich des 18. Jahrhunderts unter dem
alten ariſtokratiſchen Parlament durchgefochten. Das 19. Jahr—
hundert hat nicht entfernt folche Anforderungen geſtellt
wie das 18. bis zum Jahre 1815. Frankreich wartet noch
immer auf die große Probe, die es einmal beſtehen ſoll.
Die Amerikaner haben, ſo ſtolz ſie auch auf ihre Ver—
faſſung ſind, den großen Bürgerkrieg doch nicht vermeiden
können, und wenn ſie in die imperialiſtiſche Politik
einmal eintreten, — ſie tun es ja immer noch zögernd —
dann iſt die Frage, ob dieſes Staatsweſen mit dem
Mangel einer einheitlichen, ſicheren Spitze und eines
unbedingt feſten Rückgrats ſolchen Aufgaben gewachſen
ſein wird. Da können wir wieder auf den Vergleich mit
dem alten Rom zurückgreifen. Rom iſt allen anderen
Staaten überlegen geweſen, weil es in ſeiner Magiſtratur
und ſeinem Senat den feſten Mittelpunkt der politiſchen
Autorität und der politiſchen Tradition hatte, und daneben
in der Demokratie das populäre Element, das dem Staate
Saft und Kraft gibt. Auch die reine Demokratie kann
zeitweilig eine gute auswärtige Politik machen, wenn gerade
ein Mann von wirklicher Einſicht und Talent in die Leitung
gekommen iſt. Aber große Politik auf die Dauer erfordert
immer weite Vorbereitungen und häufig in hohem Maße die
Tugend der Geduld. Und das beides iſt natürlich in Staaten,
die in ſoviel höherem Maße auf die Popularität und auf die
Zuſtimmung von größeren Maſſen angewieſen ſind, ſehr ſchwer
zu erreichen, und gar bei irgendeinem Rückſchlag, den doch
auch das Genie erlebt, iſt die Maſſe gar zu ſehr geneigt,
die Schuld auf den leitenden Mann zu werfen und ihn
Parteiregierung
und auswärtige
Politik.
186 Die deutſche Verfaſſung von
zu beſeitigen. Die öffentliche Stimmung iſt ja heute bei
uns mit großer Ungeduld erfüllt und will verzweifeln, ob
überhaupt irgendwelche Ziele verfolgt werden. Nun iſt aber
das eine ſicher, daß, wenn man ſolche Ziele wirklich hat, ſie
darum doch nicht immer von heute auf morgen erfüllt
werden können, daß dafür nicht bloß die Rüſtungen aus—
reichen müſſen, ſondern daß vor allem der rechte Augen—
blick abgewartet werden muß, und daß dieſe Politik leichter
durchführbar iſt, wenn, wie bei der unſrigen, die Autorität
an einer Stelle liegt, die die Dinge weit vorausſieht und
nicht aller Welt mitteilt, das leuchtet ja ohne weiteres ein.
Ohne die Augen zu verſchließen vor den inneren Mängeln,
die auch unſerem Regierungsſyſtem anhaften, muß ich doch
ſagen, daß ich in ihm eine weit höhere und beſſere Form
der politiſchen Geſtaltung ſehe als in irgendeinem anderen
Staate der Gegenwart. Aber wohlgemerkt, immer indem
beide Momente der Regierung anerkannt werden und ihr
Recht ausüben. Die Anträge, welche von der Volksvertretung
eingebracht werden, die Kontrolle, die das Volk ausübt, die
Notwendigkeit, ſich vor der Volksvertretung zu rechtfertigen,
mit ihr zu verhandeln, bald mit dieſem, bald mit jenem
Teil ſich auseinanderzuſetzen, auch Kompromiſſe zu ſchließen,
das Volk — wenigſtens in ſeiner Mehrheit — auf einen
Punkt zuſammenzuführen, das macht die Eigentümlichkeit
unſerer Kraft und gibt uns das ſichere Gefühl, daß unſerem
Volke noch eine große Zukunft beſchieden iſt. Sonſt würde
man ſich ja leicht auf den Gedanken zurückziehen können:
das Beamtentum iſt die politiſche Intelligenz, ihm und
dem König, der für ſich und ſeine Familie am beſten ſorgt,
wenn er für das Wohl des Staates ſorgt, ihnen wollen
wir uns anvertrauen. Aber die Rechnung würde nicht
ſtimmen, weil die Organiſation der politiſchen Intelligenz
allen beſtehenden die befte. 187
im Beamtentum immer nur in einem gewiſſen Maße wirk—
lich durchgeführt ſein kann, und der Monarch immer den
zufälligen Schranken ſeiner Subjektivität unterliegt. Des—
halb iſt der ſtete Antrieb und die Kontrolle der öffentlichen
Meinung, ausgeprägt in den Wahlen der breiten Maſſen
zu einer Volksvertretung unentbehrlich. Wollte man den
Reichstag unterdrücken oder ihn durch gewaltſame Anderung
des Wahlrechtes entſeelen, ſo würde das dem deutſchen
Reich ebenſo zum Verderben gereichen, wie wenn der Reichs—
tag die Befugniſſe einer ſogenannten parlamentariſchen
Regierung gewönne. Wenn aber beide zuſammen wirken,
Regierung und Reichstag, dann können ſie das höchſte er—
reichen, mehr jedenfalls als die Staaten, die immer wieder
darauf angewieſen ſind, bald dieſer bald jener Partei zu
folgen, das heißt alſo die Politik nicht vom Standpunkt
des Ganzen, ſondern vom Standpunkt eines Teiles des
Ganzen zu treiben. Sieht man die deutſche Politik unter
dieſem Geſichtspunkt, ſo ſieht man manches, was einen
am Tage ärgert, mit viel größerem Gleichmut an. Gewiß,
gegen Fehler ſind wir ebenſowenig geſchützt, wie irgend—
ein anderes Volk. Es iſt nicht notwendig, daß immer
gerade die Volksvertretung der Regierung hilft, Fehler zu
vermeiden, im Gegenteil, ſie treibt ſie auch oft in Fehler
hinein. Aber das Vermeiden von Fehlern iſt nicht das
Entſcheidende. Das Entſcheidende für die Wirkſamkeit
und die Erfolge einer Staatsverfaſſung iſt, daß die hiſtoriſch
gebildeten Kräfte im Volke, indem ſie miteinander ringen,
doch ſchließlich immer für den Staatszweck möglichſt
umfaſſend zuſammenwirken. In je höherem Grade das
erreicht wird, mit um ſo mehr Recht kann man ſagen,
daß im Staatswillen, in der Regierung der Volkswille
zum Ausdruck komme.
Delbrück, Regierung und Volkswille. 13
Regiſter.
Abgeordnetenhaus, preußiſches. ͤKon—
flikt 1861. 150. — Dreiklaſſen⸗
wahlrecht 58. — Staͤndiſches
Element 126. — Indirekte Wahl
38-39. — Unſelbſtaͤndigkeit der
Wahlmaͤnner 39. — Feuer⸗
beſtattungsgeſetz 85. — Finanz
politik 143.
Abſolutismus und Reaktion 43. —
Der A. und fein Verhältnis
zum Volk 44—45. — Entftehung
des Abſolutismus in der Neu:
zeit 117—18. Verhältnis zum
ſtehenden Heer 117-18. —
Sturz des A. in England, 119
bis 21, 123-26. — A. in Oſter⸗
reich 122. — In Preußen 55—57,
122. — In Frankreich 122 26.
Achill als Anfuͤhrer 92. — Als
Ritter 97, 99.
Aedil in Rom, Anteil am Senat 105.
Amterkauf in Amerika 47—48. —
Schweiz 48.
Agrarier in Deutſchland. Ab⸗
neigung gegen die Flotte 33. —
Ihr Einfluß 153—56. — Gegen:
ſatz gegen die Sozialdemokraten
153—56.
Agrarkommunismus in Rom 94. —-
In Urgermanien 149. — Im
ſozialdemokr. Zukunftsſtaat 149.
Akademie, Poſener 170.
Alemannen in Elſaß-Lothringen 2.
Alexander III. u. d. Papſtwahl 118.
Alldeutſche, ihre Stimmung 185 bis
86
Allgemeines Stimmrecht, Gedanke
des, in Deutſchland 40. 58,
61-65, 147. — England 13, 147.
— Frankreich, Italien, Belgien,
Holland 147.
Allgemeine Wehrpflicht, Verhaͤltnis
zum allg. Stimmrecht 57—59.
— In Preußen 45. 139. — In
Deutſchland 88. 148, nicht voll
verwirklicht 150.
Altenſtein, Kultusminiſter 51.
Altersverſicherung, Deutſche 35.
Altertum. Regierung und Volks⸗
wille 45, 88 112. — Finanzieller
und militärifcher Zuſammenbruch
114-15.
Althoff u. d. Poſener Akademie 170.
Amerika. Proporz21. — Referendum
29. — Indirekte Wahl 38—39.
— Bürgerkrieg 46. 185. — Kor:
ruption 46—48. 182, — New
Encyclopedia of Social
Reform 46. — Wahlmache
46—48. 133. 178. 182. — Wahl:
modus 7—8.— Wahlbeteiligung
8. — Praͤſidentenwahl 7—8. —
Negerſtimmrecht 47. — Truſts
und Wahlen 47. 132. — Richter:
ftellen kaͤuflich 47. — Veteranen:
Fürforge und Korruption 48. —
Bauern weniger beftechlih als
Städter 47. — Prinzipielle Stel:
lung des Parlaments z. Regierung
59, 126. — Kaukus 71. — Die
fuͤhrenden Parteien 127. —
„Plutokratie“ 133. — Parteidiſzi⸗
plin 178. — Eiſenbahnen 181
bis 83. — Verfaſſung und
Imperialismus 185.
Analphabeten in Italien 16.
Regiſter.
Anfragen beim Miniſter im eng⸗
liſchen Parlament 75.
Anglikaner in England 120.
Anna, Koͤnigin von England 134.
Anſiedlungspolitik, Deutſche, unter
den Polen 158 —59. 164-67.
174—75. — Rheinbabens An:
ſicht 166. — Bismarcks Anſicht
159—61. 166 - 67. 174.
Antiſemiten. Verfaſſung fuͤr Elſaß⸗
Lothringen 85.
Araber als reine Waffe 4.
Arbeiterſchaft, Deutſche, und die
Flotte 33—34. — Soziale Geſetz⸗
gebung 34.
Arbeitgeber und Sozialpolitik 36.
Ariſtoteles uͤber Infanterie 99.
Armin, Groeben uͤber ihn (1812)
140.
Arndt, E. M., der Regierung miß⸗
liebig 53 — 54.
Asquith und die Parlamentsreform
1911. 37.
Athen. Volk autochthon? 4.
Verfaſſung 88—92. — Bürger:
zahl und Gebiet 89. — Eupatri⸗
dentum 96. — Gottesgnadentum
96. — Verfaſſung Drakons ge⸗
faͤlſcht 103. — Bürgerrecht 107.
Attika, Umfang 89.
Aufloͤſung des Reichstags 1892. 150.
Aufruf „An mein Volk“ (1813)
9.
Augurien in Rom 96. 104 05.
Auſtralien, Referendum 31.
Babyloniſche Verbannung der
Juden 103.
Bagehot uͤber Wahlen in Eng⸗
land 70.
Bankweſen und Landwirtſchaft 94.
Barbaroſſa, ſeine nationale Be⸗
deutung 42. Gegenſatz zu Alex⸗
ander III. 118.
Baſel, „Majorz“ u. „Proporz“ 21.
Bauernſtand in Deutſchland 153.
— Polen 173—74. — Schweiz
49. — Amerika 47. — Im
roͤmiſchen Reich 94. — Modernes,
189
landwirtſchaftliches Verſiche⸗
rungsweſen 94.
Bayern (Stamm) im alten Reich 5.
Bazaine (1870) 139.
Bebel der Demagog 19. — Flotten⸗
frage 34.
Belgien, Parlament und Regierung
59. 126. — Kein allgemeines
gleiches Stimmrecht 147.
Belloc und Chesterton, party
system 69—70. — Über Kor:
tuption in England 73. — Eng⸗
liſche Parteidiſziplin 75. — Ber:
aͤltnis zwiſchen Wighs und
ories 127.
Bennigſen, ſeine Laufbahn 67.
Beſitzſteuer in England 49.
Bibliotheken, preußiſche 170—71.—
In Poſen 171.
Bierſteuer in England 83. — In
Deutſchland 145.
Bismarck. Sozialpolitik 84 —36,
62-64. 181. — Schutzzollge⸗
ſetzgebung 62. — Staͤndiſche
Volksvertretung 39—40. —
Kaiſer Wilhelm I. 61. 64. —
Kaiſer Wilhelm II. 61-66. —
Neigung zu Rußland 64. —
B. u. d. oͤffentliche Meinung
146—47. — Polenfrage 159 bis
61, 166-67, 174. — Kardorff
15960. — Über Bureaukratie
156. — Über fortfchrittliches
Beamtentum 183—84. — Seine
Kraft im Alter 64. — Stellung
zur Reichsverfaſſung 61—66. —
Zum allg. Stimmrecht 58. 61 bis
65. — Staatsſtreichplaͤne 61 bis
66. — Entlaſſung 60-66. —
Verhaͤltnis zum Reichstag 60 bis
66, 142-43. 146. 14950. —
Seine Entlaſſung u. d. Sozial⸗
demokraten, Freiſinnigen, Eugen
Richter, Zentrum 61. — Stellung
zu den Konſervativen 61—63, den
Freikonſervativen 159, den Sozial⸗
demokraten 61 66. 147, Zentrum
147, Freiſinnigen 147. 149— 50.
13*
190
Helldorf 61-63 — 80. Ge:
burtstag 65.
Block, ſchwarzblauer, in Deutfch
land 131.
Bluͤcher bei Auerſtaͤdt 45. — Ver⸗
haͤltnis zu Hardenberg 51.
Bonapartes als jetzige franzoͤſiſche
Praͤtendenten 128.
„Bonapartismus“ im Sinne Bis⸗
marcks 183— 84.
Bordeaux, franz. Nationalverſamm⸗
lung 1871 3.
„Boß“, Wahlmacher in Amerika 46.
Bouls (Athen) 90 — 92.
Bourbonen im gegenwaͤrtigen
Frankreich 128.
Boyen, Verhaͤltnis zu Hardenberg
51
Boykott, Kampfmittel der Polen 168.
Brandenburg, Graf, 1814 u. 1848
140.
Brantweinmonopol in Deutſch⸗
land 144.
Braunſchweig, reingermaniſches
Blut 3.
Braunſchweig, Herzog von (1806) 45.
Bremen, Geographiſche Lage 95.—
Rede Wittings 161.
Breslau (1848) 140.
Bromberg, Zunahme der Polen 166.
Brotpreis in Deutſchland 15455.
Brunhilde (Merowingerin) 113.
Bryce, J. über amerik. Korruption47.
Buckingham, Herzog von 11.
Bülow, Fuͤrſt, und d. Reichstag 69.
— Sein „Block“ 150. — Sein
Ruͤcktritt 60. — Polenfrage 161.
Bureaukratie ſiehe Beamtentum.
Buͤrgerrecht, atheniſches 107. —
Roͤmiſches 10709.
Bundesgenoſſenkrieg gegen Rom
109-10.
Bundesratsbeſchluß uͤber d. foͤde—
rativen Charakter des Reichs
(1884) 63.
Bundesſtaatlicher
Reichs 63. 138.
Charakter des
Regiſter.
Burdett, Plan einer Parlaments⸗
reform 1809 14.
Burenkrieg u. d. engliſchen Steuern
83—84
Burgund, Kampf gegen die Schweiz
im Mittelalter 98 —99. — Heer:
weſen 98-99.
Burke (1790) 13. — uͤber Wahlen
(1791) 70. — Franzoͤſiſche Re⸗
volution 70.
Byzantinismus in der Sozialdemo⸗
kratie 79.
Caeſar uͤber germaniſche Fuͤrſten 92.
— Schöpfer der Caeſarengewalt
111. — Über germaniſche Gefolg:
ſchaft 137.
Caprivi in d. Flottenfrage 31—32
— In der Oſtmarkenpolitik 32.
— Verhaͤltnis zum Reichstag 60.
— Zu den Freiſinnigen 65. 150
bis 52. — Zweijaͤhrige Dienſt⸗
zeit 150.
Cato der Altere. Mittelſtands⸗
politik 102. — Aus plebejiſchem
Geſchlecht 106.
Caub (1814) 140.
Centuriateomitien in Rom 105.
Centurien in Rom, Unterabteilungen
der Tribus 108.
Chambord, Graf v., franzoͤſiſcher
Praͤtendent 128.
Chaplin geg. Wilſon unterlegen 7.
Chicago, Wahlbeſtechungen 4748.
en feine Staatsgruͤndung
1
112
Chlotar II. (Merowinger) 113. 116.
Cicero. „Imperium et augurium“
105. — Sein Bruder uͤber die
Wahlen 109.
Claudius, Appius Cl. Pulcher
(249 a. C.) 104—05.
Contrat social (Rouſſeau) 20.
Corfinium im Bundesgenoſſenktieg
109.
Crewe, Lord, u. d. Parlaments⸗
reform 1911 37.
Dänemark, Parlament u. Regierung
59. 126.
Regiſter.
ar
1. 157. — Val. Polenpolitik
157—77. — Die Dänen und
Deutſchl. Ruf im Auslande 175.
Danzig faͤllt an Preußen 1815 52.
Darlehnsbanken u. Landwirtſchaft
94
Dauerreden 40.
Debs gegen Wilſon unterlegen 7.
Demagogenverfolgung in Preußen
3-59
Deutfche außerhalb des Reichs, in
Oſterreich 1. 192. — In Ungarn.
— In der Schweiz 1. 172. —
In Rußland und Amerika 1.
Deutſcher Bund, ſein Heerweſen
140-41.
Deutſches Reich. Raſſenmiſchung
3-4. — Späte Einigung der
Nation 5. — Nation. Bedeutung
d. Schriftſprache 5. — National-
verſammlung 1848 140 — Heer⸗
weſen d. Deutſchen Bundes 140
bis 141. — Reichsgruͤndung 53
bis 59. — Dualiſtiſche Verfaſſung
66-68. 111—12. 126. 144.
177-87. — Wo liegt d. Sou⸗
veraͤnitaͤt? 111. — Das Kaiſer⸗
tum, militaͤriſch 136 — 141, be:
ſonders 138. — Bundesſtaatl.
Charakter d. Reichs 127. 138. —
Gottesgnadentum 55—59. 66.
106—07.— Offizierkorps 66. 136
bis 41.—Unteroffizierkorps 136.—
Beamtentum ſ. unter Preußen. —
Zahl der Beamten u. Zahl der
Reichstagswaͤhler 182. — Bis⸗
marck u. Reichsverfaſſung 61 —66.
— Bedeutung des allg. Stimm⸗
rechts fuͤr Deutſchland 58. 147.
— Allgem. Wehrpflicht 88. 148.
Heeresvermehr. 1892 149-53.
1913 144. — Konfeſſion. Spal⸗
tung u. Parteiweſen 130. (Vgl.
„Kirche“ u. „Zentrum“.) — Viel⸗
zahl der Parteien 130—31. —
Wahlmache 133. — Wahlbetei:
ligung 71—72. — Veraltete
191
Wahlkreiseinteil. 154. — Frauen⸗
ſtimmrecht 131—32. — Reichs—
tag ſiehe dort. — Deutſchland
als „zuruͤckgebliebener Polizei- u.
Klaſſenſtaat“ 147—48. — De:
mokratiſche Elemente der Reichs
verfaſſung 147 —48.— Verſamm⸗
lungs- und Vereinsrecht 147. —
Schulweſen 88. 147—48. —
Sozialpolitik 34 — 6. 147. 181.
183-84. — Finanzpolitik 84.
14346. — Schutzzollſyſtem
143. 15356. — Zoͤlle und
innere Politik 183. — Agrarier
153—56. — Kolonialpolitik 31.
— Flottenfrage 31—34. — Die
Oppoſition und ihre Rolle
183. — Das Großkapital u. feine
politiſche Rolle 182 - 83. —
Preuß Polenpolitik 157 —77. —
Nationale Parteien 179.— Eiſen⸗
bahn 181—83. — Volksſtimmg.
146 47. 185— 86. — Deutſch⸗
lands Ruf im Ausland 175.
Deutſches Volk das unbeliebteſte
175.
Deutſch-franzoͤſiſcher Krieg 1870/71.
Zuſammenbruch d franz Armee
136. — Innere Politik Frankreichs
139 — 40. — Eiſernes Kreuz 141.
Deutſch-Freiſinnige, ſ „Freiſinnige“.
Deutſchland, Werden der nationalen
Idee 53—59.
Diaeten in Frankreich 22.
Difziplin und Ziviliſation 114—15.
Dohna, Graf (1848) 140.
Drakon, ſeine Verfaſſung gefaͤlſcht
103.
Dreijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich
129. In Deutſchland 150.
Dreiklaſſenwahlrecht in Preußen,
ein Überreft ſtaͤndiſch. Weſens 126.
Drepana, Schlacht (249 a. C.) 104
bis 105.
Dualismus im alten Rom 103
bis 112. 142. 185. — In der
ſtaͤndiſchen Verfaſſung vom 7.
bis 17. Jahrh. 114-19. — In
192 Regiſter.
Deutſchland 66-68. 111-12.
126. 144. 17787. — Geſamt⸗
kritik 17787.
Durham, Wahlkreis 15.
Dynaſtie, ihre Bedeutung in Rom
100. 111. 116-17. — Franken⸗
reich 112-17. — Frankreich bis
1789 122. — England 119—21.
Oſterreich 122. 140. — Rußland
140. — Preußen 122. 140. —
Kämpfe mit den Ständen in der
teuzeit 117 - 18.
Edikt von Paris (614) 113-14.
Edinburg, Wahlrecht 11.
Einjaͤhrig⸗ Freiwillige in Frank⸗
reich 25.
Einkommenſteuer in England 49.
83—84.
Eiſenbahnfragen in Deutſchland,
England, Frankreich, Amerika
181-83. — Staatsbahnen oder
Privatbahnen? 181—83.
Eiſernes Kreuz, uͤberlebende In—
haber 141.
Elektoren in Amerika 39.
Elſaß⸗Lothringen. Stimmung der
Bevoͤlkerung 1. — Politiſche An⸗
ſpruͤche 2. — Die neue Ver:
faſſung 85.
Encyclopedia of Social Re-
form 46.
England. Blutmiſchung im Volke 4.
— Parlamentariſches Vorbild
fuͤr den Kontinent 13. — Magna
Charta 113. — Parlament, Ge:
ſchichte 10—15. 70-75. —
Entſtehung der gegenwaͤrtigen
Verfaſſung 119—26. — Sturz
des Abſolutismus 119— 26. —
Legitimitaͤtsgedanke 119—21. —
Gottesgnadentum 120. — Wil⸗
helm III. 120—24. — Perſonal⸗
union mit Holland und Han⸗
nover 121. — Das neue Koͤnig⸗
tum und ſeine Stellung zur
Armee 133. — Der Koͤnig und
die Parlamentsreform von 1911.
37. — Zur Wehrverfaſſung 88,
120-21, 133-35. — Das
Parlament verfuͤgt uͤber das Heer
135. — Volkswohlfahrt und
Volksſtimmung im 18. Jahr⸗
hundert 146. — Montesquieu
über England 121 —22. — Das
Oberhaus und ſeine Entwicklung
im Verhaͤltnis zum Unterhaus 11.
13. 36 38. Jetziger Zuſtand 122.
— Wighs und Tories: Urſprung
119-20. Ihr Verhältnis zuein⸗
ander 12. 127. Ihre Stellung
zum Referendum 36—38. Jetzige
Sorgen der Tories 49. — Ge:
ſchichte d. Wahlrechts 10—15.
Deſſen jetzige Ausdehnung 15.
— Jetziger Wahlmodus 70—75.
— Proporzgedanke 19—20. —
Gedanke d. allg. Stimmrechts 13.
147. — Wahlbeteiligung 17. —
Korruption 11—14. 73-74;
heute verſchwunden 49. — Kau⸗
kus 72-74. — Parlamentsreform
von 1832 14-15. 122. Von
1867 15. 19. 127. Von 1872
u. 1884 15. Von 191137. 122
— Suspenſives Veto 37. —
Obſtruktion 40. — Parteidis⸗
ziplin 68. 71—75. 178. — Inter⸗
pellationen und Anfragen beim
Miniſter 75. — Geſetzgeberiſche
Leiſtungsfaͤhigkeit d. Parlaments
83-84. — Macht d. Parl. 59.
86—88. — Charakter d. Oppo⸗
ſition 153. — Die neue Demo:
kratie und ihre Fuͤhrer 19. 73 bis
75. Demokratie u. auswärtige
Politik 49. — Abaͤnderung des
Kapitals, Enteignungspraxis,
Niedergang d. Landwirtſchaft 49.
— Eiſenbahn 182. — Kirche 120.
— Beamtentum 178. — Steuern:
Erbſchaftsſt. 33.49. Einkommenſt.
49. 83— 84. Beſitzſt. 49. Stem⸗
pelſt., Bierſt., Spiritusſt. 83. —
Teezoll, Zuckerzoll, Kohlenausfuhr⸗
zoll 83. Kampf geg. Frankreich bis
z. franz. Revolution 12. 46. 123
Regiſter.
bis 124. — Einwirkung d. franz.
Revolution 13— 14. 46. 70. —
Napoleon 12. 46.
Enquete uͤber d. Polenfrage 161.
Enteignungspraxis in England 49.
Epidemiegeſetz in d. Schweiz 30.
Equites in Rom 97.
Erbrecht, fuͤrſtliches, ſiehe Dynaſtie.
Erbſchaftsſteuer in Deutſchland 33
bis 34. — Buͤlows Ruͤcktritt ihret⸗
wegen 60. — In England u.
Frankreich 33.
Erbteilungen des Frankenreichs 116
bis 117.
Erfuxter Programm d. ſozialdemokr.
Partei 149.
Erzherzog Johann als Reichsver⸗
weſer 140 —41.
us (1814), Haltung Wrangels
14
Etrusker, Verhältnis zu Rom 96
bis 97. 99.
Eugenie, Kaiſerin (1870) 139.
Fabrikarbeiter in d. Schweiz. 49
Faͤlſchungen hiſtor. Urkunden 103.
Faguet uͤber d. franz. Parlamen⸗
tarismus 24.
Fahrkartenſteuer i. Deutſchland 144.
Fasces in Rom 100.
Feudalkriegertum des Mittelalters
115-17.
Feuerbeſtattungsgeſetz u. d. Frak⸗
tionen in Preußen 85.
Feuerverſicherung, moderne 94.
Finanzieller Zuſammenbruch des
Roͤmerreichs 115.
Finanzpolik, deutſche. Die Reform
im Reichstags 84. — Prinzi⸗
pien des Reichstags 14346.
Preußen: Lex Huͤne 143.
Flottenfrage in Deutſchland 31 —34.
Fortſchrittspartei, ihr Aufgehen in
d. Deutſch⸗Freiſinnigen 150.
Fraktionen. Ihre Anzahl in der
franzöfifhen Kammer 129. —
Im norddeutſchen Reichstag von
1867 130. — Im gegenwaͤrtigen
Reichstag 43. 142. — Bedeutung
193
der Vielzahl 130—31. — Ihre
Eigenart 141—56.
France, Anatole, uͤber die Depu⸗
tierten 22.
Franckenſtein und Sozialpolitik 36.
Franken in Elſaß⸗Lothringen 2. —
Im alten Reich 5.
Frankenreich 112 —17.
Frankenſtein, Klauſel 143.
Frankfurt. Nationalverſammlung
(1848) 140.
Frankfurter Frieden i. J. 1871 2.
Frankfurter Zeitung uͤber engliſche
Parteidiſziplin 75.
Frankreich. (Vgl. „Frankenreich “).
uͤberblick uͤber die Entwicklung
122-26. — Univerſales Macht:
ſtreben im 17. Jahrh. 124— 25.
— Koͤnigtum 6768. Deſſen
Untergang 123 — 26. — Ne
volution: König als Nepräfentant
d. Volkswillens aufgefaßt 67 bis
68. Traͤger d. Revolution 124
bis 26. Haltung d. Armee 125.
Antike Republiken als Vorbild 90.
Einwirkung auf England 13
bis 14. 46. 70. — Kaͤmpfe
gegen England 12. 46. 123—24.
Napoleon J. und III. ſiehe dort.
— Volksabſtimmungen fuͤr d.
Bonapartes 8—9. — Geſch. d.
Wahlſyſtems 21. — Indirekte
Wahl 1789 38-39. — Wahl:
reformen von 1875. 1884. 1889
21. — Proporzgedanke 21—28.
— Referendum 8—9. 28. —
Diaͤten 22. — Soziale Stellung
d. Deputierten 22. Parlamen⸗
tariſche Korruption 23—28. —
Allg. Stimmrecht 147. — Prin⸗
zipielle Stellung der Kammer zur
Regierung 59. — Eigenart des
franz. Parlamentarismus 129 bis
31. — Parlamentarismus und
Beamtenkarriere 66 — 67. —
Charakter der Oppoſition 153.
— Vielheit der Fraktionen in d.
Kammer 129—31. — Rolle dei
194
Monarchiſten 128 — 129. —
Jetzige Praͤtendenten 128. —
Parteidiſziplin 178. — Wahlbe⸗
teiligung 8. — Verſammlungs⸗
und Vereinsrecht 147. — Die
Demokratie u. ihre Fuͤhrer 75.
— Heerweſen: Dienſtzeit 25. 129.
Einjaͤhrig⸗Freiwilligen⸗Inſtitut
abgeſchafft 25. Die Kammer
verfügt uͤber das Heer 135—36.
Die letzten Kriegsminiſter 135.
Das Heer in der Revolution
125. Unter Napoleon III. 139
bis 40. — Eiſenbahn 181—83.—
Erbſchaftsſteuer 33. — Verhaͤlt⸗
nis zu Polen u. zu Rußl. 173.
Franzoſen als deutſche Reichsange⸗
hoͤrige 1. 157.
Frary, R., uͤber d. franzoͤſiſche De⸗
mokratie 79—80.
Frauen, ihre politiſche Rolle 6. —
uͤber ihr Stimmrecht Gompertz
13132. — Deutſchland 131
bis 32. — Italien 17.
Fredegunde (Merovingerin) 113.
Freihandel in Deutſchl. 153 —56.
Freiheit als volkstuͤml. Poſtulat
45 46.
Freiheit der Wiſſenſchaft in Deutſch⸗
land 76.
Freiheitskriege, Nachwirkung in
Deutſchland 42. 57 —59. 141. —
Nachwirkung in Frankreich 136.—
Die preuß. Armee 45. — Ver⸗
haͤltnis zur Konſtitution 57—59.
Freikonſervative Partei. Stellung
zu Bismarck 159 — 160. —
Feuerbeſtattung 85. — Verfaſſung
f. Elſaß⸗Lothrigen 85. — Reichs⸗
verfaſſungsordnung 85.
Freiſinnige Partei und Sozialpolitik
36. — Freihaͤndler 153 156.
— Unter Bismarck 147. 149 —50.
— Bei ſeiner Entlaſſung 61. —
Stellung zu Caprivi u. Hohen⸗
lohe 65. — Feuerbeſtattung 85.
Verfaſſung für Elſ.⸗Lothr. 85. —
Reichsverſicherungsordnung 85.
Regiſter.
— Gegenwaͤrtige Stellung zur
Regierung 147. — Kriſe von
1892 149—153. — Stellung
zum Kaiſer 1892 152.
Friedrich I. König v. Preußen, als
Kriegsherr 137.
Friedrich d. Gr., ſein abſolutes
Regiment 44—45. 57. — Über
Infanterie 99. — Als Kriegs⸗
herr 137.
Friedrich Wilhelm, d. Große Kur⸗
fürft unterſtuͤtzt Wilhelm III. von
Oranien 124. — Gruͤndet Armee
und Beamtentum 137.
Friedrich Wilhelm J., ſein abſolutes
Regiment 44. — Als Kriegs:
herr 137.
Friedrich Wilhelm III. 180613.
138. — Nach 1815 50—58.—
Kritik Hegels 55.
Friedrich Wilhelm IV., ſeine Re⸗
gierungsweiſe 56—57.
Frontbank, ihre Bedeutung in
England 72. 75.
Fuͤrſtenrang im alten und neuen
Deutſchen Reich 96.
Gefolgſchaft, germaniſche 137—38.
„Geheimrat“ nach d. Definition
Bismarcks 156.
Geldwirtſchaft, Untergang der an⸗
tiken, 115.
Generalſtreik auf d. Parteitagen 79.
Gentz uͤber d. engl. Parlament 13.
Georg J. von England 121.
Germanen, Die alten. Ihre Fuͤr⸗
ſten 92. — Urverfaſſung 113.
— Gefolgſchaft 137—38. —
Heerweſen 137—38. 149. Ver⸗
gleich mit dem ſozialdemokr. Zu⸗
kunftsſtaat 148—49. — Agrar⸗
kommunismus, Geſetzgebung,
Rechtſprechung, Fuͤrſtenwahl 149.
Germaniſches Blut in Deurſchl. 3.
Gewerlvereine, Verhältnis zur So:
zialdemokratie 77 —79.
Gierke über d. Majoritaͤtsprinzip 18.
Giolitti und d. Wahlrecht 16 — 17.
Gneiſenau, ſeine nationale Be⸗
Regiſter.
deutung 42. — Verhaͤltnis zu
Hardenberg 51. — Heeresreform
139. — Im Jahre 1812 140.
Gneiſt uͤber engliſche Verfaſſung 70.
Goethe 42. 152.
Goldene Bulle (1356) 119.
Gompertz uͤber Frauenſtimmrecht
131-32.
Gottesgnadentum in Athen 96.
Rom 96. 100. 101. 104 06.
112. England 120. Preußen⸗
Deutſchland 55—59. 66. 106
bis 107.
Grafenamt im Frankenreich 113
bis 114.
Griechenland. Handel 93. — Heer⸗
weſen 138. Vgl. Athen, Sparta,
Homer.
Griechiſch⸗Katholiſch, Gegenſatz
gegen Roͤmiſch⸗Katholiſch 173.
Groeben, Graf (1812 u. 1848) 140.
Großer Kurfuͤrſt unterſtuͤtzt Wil⸗
helm III. von Oranien 124. —
Gruͤndet Armee und Beamten:
tum 137.
Grote (Hiſtoriker) Vertreter des
demokr. Gedankens 19 —20.
Grundwertzuwachsſteuer in Deutſch⸗
land 144.
Guillotine 125.
Gutgowski über d. Polenfrage 163.
Haenel u. d. Heeresvorlage 1892
151.
Hagelverſicherung, moderne, 94.
Hagenbach, ProporzSpftem 21.
Hahn, Di., u. d. Flottenfrage 33.—
Hakatismus 157 —77.
Hakatiſtiſche Politik u. d. Ausland
175.
Hamburg, Proporz⸗Syſtem 21. 26.
Geographiſche Lage 95.
Hammerſtein, Kriſis von 1892 151.
Handelspolitik u. Flotte in Deutſch⸗
land 33.
Hannover, reingermaniſches Blut
3. — Perſonialunion mit Eng:
land 121. 134.
Harden und die Polenfrage 161.
195
Hardenberg. Seine Bedeutung 51.
Verhaͤltnis zu Scharnhorſt, Gnei⸗
ſenau, Bluͤcher, Boyen 51. —
Anteil an den Reformen 54. 57.
— Auf d. Wiener Kongreß 58.
Hare, Vertreter des Proporz⸗Ge⸗
dankens 20.
Hasbach, Moderne Demokratie
4
9. 68.
Hector als Anführer 92. — Als
„Ritter“ 97. 99. — Gegen den
Vogelflug als Omen 104.
Heereszahlen in der Geſchichte 80.
Heerweſen. Trojaniſcher Krieg 92
bis 93. 97. 99. 104. — Perſer
9899. — Griechen 99. 138. —
Athen 91. — Sparta 96. —
Rom 92—112. 114—15. 138.
— Germanen 113. 137—38.
149. — Frankenreich 114—77.—
Lehnsweſen 115—17. 138. —
Stehendes Heer und feine Be⸗
ziehung zum Abſolutismus 117.
bis 118. 137. — Schweiz im
Mittelalter 9899. — Burgund
98—99. — England 88. 120
bis 121. 133-35. — Frankreich
25. 129. 135—36. 139—40. —
Holland 17. Jahrh. 123. —
Deutſcher Bund 140— 41. —
Deutſches Reich und Preußen
51—57. 66. 136—41. 143—53.
157.
Hegel uͤber den Volkswillen 41. —
Uber das preußiſche Koͤnigtum 55.
Heinrich J., Kaiſer 5.
Helldorf und Bismarck 61— 63.
ermann (Armin), Groeben uͤber
ihn (1812) 140.
Hermes, Freund E. Richters 151.
Herrenhaus in Preußen, ſein ſtaͤn⸗
diſcher Charakter 126.
Hippias, Tyrann von Athen 88.
Hiſtoriſche Urkunden, gefaͤlſchte 103.
Hochdeutſche Schriftſprache, ihre
Bedeutung, 5.
Hoffmann von Fallersleben der
Regierung mißliebig 54.
196
Hohenlohe (Reichskanzler) u. d.
Flottenfrage 32. — Verhaͤltnis
zum Reichstag 60. — Seine
Memoiren uͤber Bismarck 62. —
Die Freiſinnigen 65.
Hohenzollern, die 1 der preuß.
Koͤnigsmacht 1
Holland, ae Blut 5.
— Perſonalunion mit England
121. — Armee im ſpaͤteren 17.
Jahrhundert 123. — Parlament
und Regierung 59. 126. — Kein
allgemein. gleiches Stimmrecht
147.
Homer, Odyſſee 93. — Ilias 92
bis 93. 97. 99. Vogelflug. 104
Hondt, D', Proporz⸗Syſtem 21.
Huͤhner, heilige, d. Roͤmer 10405.
Huͤne, Lex 143.
Humboldt, Wilh. v., als Miniſter 51.
W und Landwirtſchaft
Jahwe Dienſ, Durchfuͤhrung bei den
Juden 103.
Jakob II. von England. Sein Sturz
120-21. 123-24. 133. — Ber:
haͤltnis zu Frankreich 123—24.
Jakobiner 180. — Nach Marwitz
183-84.
Japaner, Gefolgstreue 138.
„Idealſtaat“ 50—53.
Jellinek, G, Allgem. Staatslehre 68.
Jena u. Auerftädt. ie preußifche
Armee 44—45. — Überwindung
der Folgen 138— 39. — Ber:
gleich mit Sedan 139-40.
Jena, Univerfität 76.
Jenks, Prof., über Korruption in
Newyork 47.
Jentſch, K., uͤber d. Polenfrage 161.
Ilias 9293. 97. 99. 104.
Illinois, Korruption 47.
Indirekte Wahl 38—39.
Induſtrie und Flotte in Deutſch⸗
land 33.
Infanterie, Weſen der, 99.
Initiative zur Geſetzgebung aus
dem Volk 31.
Regiſter.
Internationale,
goldene 179.
Interpellation im engliſchen Par⸗
lament 75.
Interzeſſion in Rom 101.
Invalititaͤtsverſicherung,
35.
ſchwarze, rote,
Deutſche
Johann, 40 db, als Reichsver⸗
weſer 140—41.
Joſias, Koͤnig der Juden, fein Ge:
ſetzbuch gefaͤlſcht 103.
Irland im Jahre 1793. 10
Isle de France, Herzland Frank:
reichs 122.
Italieniſcher Krieg 1859, Leiſtungen
der Franzoſen 136.
Italien, Geſchichte des Wahlrechts
15—17. Parlamentsreformen
von 1882 u. 1913 16. — Allg.
Stimmrecht u. Frauenſtimmrecht
1913 abgelehnt 17. 147. — An⸗
alphabeten 16. — Erbliche Wahl⸗
ſitze 78. — Koͤnigstum durch
Volksabſtimmung gewaͤhlt 15
bis 16. Sein Verhaͤltnis zum
Parlament 59 —60. 126.
Juden als reine Raſſe 4. — Heilige
Geſchichte 103. — Faͤlſchungen
ihrer Geſetzbuͤcher 103. — Polen⸗
frage 159.
Kadavergehorſam in der Sozial⸗
demokratie 79.
Kaiſer, der deutſche, kann nicht
Fuͤrſtenrang verleihen 96.
Kaiſertum, Deutſches, ſeine inner⸗
politiſche Stellung, militaͤriſche
136—41, beſonders 138. —
Geſamtkritik 177 — 87. Der:
gleiche Dualismus, Deutſchland,
Preußen.
Kaiſertum, roͤmiſches. Eigenart
ſeiner Gewalt 111-12. — Flle:
gitimer Charakter 116-17.
Kantorowicz, Proporz⸗Syſtem 21.
Kapital. Abwanderung aus Eng⸗
land 49.
Kapitalismus in Rom 95—96. —
. und Maſſenregierung 132
Regiſter.
bis 133. — Seine innerpolitiſche
Macht 132—33. — Einfluß auf
d. Parlamentarismus in Ame⸗
rika 18283.
Kardorff, Verhaͤltnis zu Bismarck
u. zur Polenfrage 159—160.
Karl J. v. England, ſein Tod 18.
Karl IV. Kaiſer, und d. Goldene
Bulle 119.
Katholiken, Deutſche, ihre Stellung
in der Nation 174 179.
Kaukus, Herkunft des Wortes 71.
Keltiſches Blut in Deutſchland 3.
Kirche u. Kultus. Roͤmiſches Reich
96. 101. 10406. — Kirche u.
Staat im Mittelalter 117. —
England 120. — Gegenſatz der
roͤmiſch⸗katholiſchen und griechifch-
katholiſchen Kirche 173. — Ka:
tholizismus u. Polenfrage 162.
168. 173. — Stellung zu Ruß⸗
land 173. — Zu Deutfchland
173. — Verhältnis zwiſchen
Zentrum und kath Kirche 174.
— Einfluß d. Papſtes in Deutſch⸗
land 174. — Kirche u. Maſſen⸗
regiment, die Kirche als
innerpolitiſche Macht 132—33.
Kleiſthenes, Verfaſſung des, 89
bis 92.
Kleon nach Grotes Urteil 19.
Koalitionskriege, wer beginnt ſie?
124.
Kohlenausfuhrzoll in England 84.
Koloniſation, Deutſche, in polniſchen
Gebieten 158—59. 164-67.
174—75. — Rheinbabens An⸗
ſicht 166. — Bismarcks Anſicht
159-61. 166—67. 174.
Kommiß, Vergleich mit Bureau⸗
kratismus 157.
Koͤniggraͤtz 52.
Koͤnigsberg (1848) 140.
Koͤnigtum in Rom 98100.
Kongreß, amerikaniſcher, ſeine Kor⸗
ruption 47.
Konſervative, ihre Haltung in der
Flottenfrage 33. — Ihr Einfluß
197
in Deutſchland 153—56. —
Ihr mittelalterliches Ideal 148.
— Verhaͤltnis zum Beamtentum
183-84. Zu Bismard61—63.
— Sozialpolitik 3436. — So:
zialiſtengeſetz 62—63. — Feuer⸗
beſtattung 85. — Verfaſſung fuͤr
Elſaß⸗Lothringen 85. — Reichs-
verſicherungsordnung 85. — Ver:
moͤgenszuwachsſteuer 86. 131. —
Stellung zum Zentrum 131.
Konſtitution, Entſtehung der preu—
ßiſchen, 57 —59.
Konſtitutionalismus, Gegenſatz zum
Parlamentarismus 59.
Konſuln in Rom. Hoͤchſte Beamte
101. — Anteil am Senat 105.
— Ihre Funktionen 106.
Konvent als Fuͤhrer der franzoͤſi⸗
ſchen Revolution 12425.
Kornpreis in Deutſchland 154—55.
Krankenverſicherungsgeſetz in der
Schweiz 30.
Krieg 1870/71, ſiehe Deutſch-fran⸗
zoͤſiſcher Krieg.
Kriegsminiſter, franzoͤſiſche 135.
Krimkrieg, franzöfifche Leiſtungen
im, 136.
Kuͤgler und die Polenfrage 163.
Kulturkampf 174.
Kultus, ſiehe Kirche.
Kurfuͤrſtenkollegium,
119.
Landammannpoſten in der Schweiz
kaͤuflich 48.
Landraͤte, ihre Dienſtwohnungen
143.
Landvoͤgte in der Schweiz 48.
Landwirtſchaft und Verſicherungs⸗
weſen 94.
Lebensverſicherung und Landwirt⸗
ſchaft 94.
Lechfeld, Schlacht auf dem, 5.
Legionen in Urrom 98. — Ihre
Entſtehung 99. — Ihr Unter⸗
gang 114.
Legitimitaͤt der Fuͤrſtenherrſchaft,
ſiehe Dynaſtie.
Wahlmodus
198
Lehnsweſen des Mittelalters 115 bis
117. — Vaſallitaͤt und Offizier:
korps 138.
Leipziger Volkszeitung über Demo⸗
kratie u. d. Zukunftsſtaat 81 —83.
Liberale u. Sozialpolitik in Deutfch:
land 34-86.
Liperum veto u. ſtaͤndiſches Weſen
119
Liktoren in Rom 100.
Liebknecht (Vater) über den Neiche:
tag 59.
Lincoln uͤber Parlamentarismus 178.
Literatur uͤber Parlamentarismus
und Demokratie 70, 76.
Lithauer 4.
Livius über die ſervianiſche Ver—
faſſung 102.
London i. J. 1809 12. — Geo:
graphiſche Lage 95.
Lonsdale, Lord 11.
Lorimer, Senator, ſeine Beſtechungen
47.
Los entſcheidet uͤber Amter in Athen
90
Lowell, Conſtitution of England 69.
Verhaͤltnis zwiſchen Wighs und
Tories 127.
Ludwig XIV. und ſein Hof 79. —
Univerſales Machtſtreben 123-24.
Ludwig XVI., ſein Tod 123. —
Verhaͤltnis zum Ausland waͤhrend
der Revolution 124— 25.
Luther 42.
Lykurg, ſeine Geſetze gefaͤlſcht 103.
Maaßen, ſeine Bedeutung 51.
Mae Kechnie, Neue Demokratie
69-70.
Mac Mahon (1870) 139.
Magna Charta (1215) 113.
Magyaren in Ungarn 6.
Majoritaͤtsprinzip im Mittelalter
118. — Bei der Papſtwahl 118.
— Bei der Kaiſerwahl 119. —
Theoretiſcher Begriff 18 — 19.
„Majorz“ in Baſel 21.
Marathon, Schlacht 88. 99.
Marwitz Uber Beamte 183—84.
Regiſter.
Marxismus und Kapitalismus 78.
Maſſenheere in der Geſchichte 80.
Mehring, Franz, uͤber den Zukunfts⸗
ſtaat 80 83.
Menzel (1807) 139.
Merckel, Oberpraͤſident 51.
Merovinger 112-17.
Metternich, Verhaͤltnis zum engl.
Parlament 13.
Metz (1870) 139.
Meutereibill, englifche 134—35.
Meyer, Eduard, über Altrom 93.
Michels, R., über d. moderne Demo:
kratie 76 - 80.
Mill, Stuart, Vertreter d. demokr.
Gedankens 19 - 20.
Miniſter, abgehende 67.
Miquel, fruͤherer Abgeordneter 67.
Miſchraſſen, Charakter der, 5.
Mittelalter, Regierung und Volks—
wille 112-19.
Mommſen uͤber roͤmiſche Patrizier
92. — Roms Handel 95.
Monarchiſten im gegenwaͤrtigen
Frankreich 128 — 29.
Montesquieu uͤber England 121.
Moſes, fuͤnf Buͤcher 103.
Motz, ſeine Bedeutung 51.
Muͤlhauſen im Elſaß, fruͤher ſchwei⸗
zeriſch 2.
Muͤnſter (1848) 140
Mulhall uͤber amerik. Korruption 47.
Napoleon J., Volksabſtimmungen
für ihn 8-9. — Ausſpruch uͤber
den Volkswillen 41. — Sieg. über
Preußen 45. — Von d. Armee
emporgetragen 125. — Mad):
wirkung in Frankreich 135.—
Seine treuloſen Marſchaͤlle 140.
— Kampf gegen England 12.
Napoleon III., Volksabſtimmungen
für ihn 8-9. — Deſpotismus
42. — Durch Armee geſtuͤtzt
135— 35. — Verhältnis zu Heer
und Volk 1870/71 139-40.
„Nationale Parteien“ in Deutfch-
land 179.
Nationalliberale Sozialpolitik 35
Regiſter.
bis 36. — Feuerbeſtattungsgeſetz
85. — Verfaſſung fuͤr Elſ.Lothr.
85. — Reichsverſicherungsord—⸗
nung 85. — Ihre Wahlkoſten
133. — Abſchwenken zu den
Freiſinnigen (1884) 150.
Nationalverſammlung (1848) 140.
Naturalwirtſchaft des Mittelalters
115.
Neger, ihr Stimmrecht 47.
Neweaſtle, Herzog von, 10— 11.
Newyork, Wahlkorruption 47.
Niederlande rein germaniſch 5. —
Perſonialunion mit England 121.
— Armee im ſpaͤteren 17. Jahr:
hundert 123. — Parlament und
Regierung 59, 126. — Kein
allgemeines gleiches Stimmrecht
Nobilitaͤt in Rom, ihre Ent—
ſtehung 106.
Norddeutſcher Reichstag 58 — 59.
Norwegen, Parlament und Re—
gierung 59. 126.
Obſtruktion, parlamentariſche 40
bis 41.
ae 93.
Offentliche Meinung in Deutſch—
land, gegenwärtige 146-48. —
Zu Bismarcks Zeit 146-47.
Oſterreich, Nationalitaͤtenmiſchung
5-6. 181. — Eigenart der
Parteien 180. — Verhaͤltnis zu
Kaiſer Wilhelm II. 64. — Kampf
gegen die Schweiz im Mittelalter
98. — Bedeutung der Dynaſtie
und Epoche des Abſolutismus
122. — In d. Jahren 1805,
1809 140. — Polenpolitik 172.
— Bankerott der Parteiregierung
180. — Notwendigkeit der Be:
amtenregierung 126. 180. —
Obſtruktion 40.
Offizierkorps, Deutſches 136 — 41.
— Polen, ihr Eintritt 164. 173.
Oldenburg, reingermaniſches Blut?.
Orleans, Familie, im gegenwaͤrtigen
Frankreich 128.
199
Oſtmarkenpolitik, ſiehe Polenpolitik.
Oſtmarkenverein 177.
Oſtrogorsky, Demoeratie et partis
politiques 69.
Otto J., Kaiſer 5.
Panamiſt,Panama⸗Skandal22, 25.
Panſlavismus in Preußiſch-Polen
173.
Papſt, ſein gegenwaͤrtiger Einfluß
in Deutſchland 174.
Papſtwahl und Majoritaͤtsgedanke
118.
Paris, Graf von, franzöfifcher Prä-
tendent 128.
Paris (1870/71) 139.
Pariſer Frieden 1814 52. — 1815:
2. 52. — Edikt 614: 113-14.
Parteidiſziplin in England 69. 71
bis 75. 178. — Amerika 178.
— Frankreich 178.
Parteien, Produkte ihrer Zeit 180.
Parteiidee im Gegenſatz zur Staats:
idee 179.
Parteitage der Sozialdemokratie.
Generalſtreik 79. — Zukunfts-
ſtaat 149.
Patrizier in Rom, ihr Gegenſatz zur
Plebs 92— 106. — Mommſens
Anſicht von ihnen 92. — Zahl
der Patrizier 98.
Pennſylvania, Korruption 47.
Penſionsgeſetz i. d. Schweiz 2930.
Pentateuch teilweiſe gefaͤlſcht 103.
Perikles nach Grotes Urteil 19.
Perſerkriege und Heerweſen der
Perſer 98-99.
Phalanx d. Griechen u. Roͤmer 99.
Phylen (Athen) 90— 92.
Piemont, Koͤnigtum durch Volks⸗
abſtimmung auf Italien erweitert
15-16. — Sein Verhaͤltnis zum
Parlament 59—60.
Pitt, William, der Juͤngere. Sein
Wahlkreis 11. — Plan einer
Parlamentsreform 13. — Ver⸗
haͤltnis zur franzoͤſiſch. Revolution
13—14
platäd, Schlacht 99.
200
Platos Idealſtaat 50—53,
Plebiszit ſiehe Referendum.
Poincaré, Wahl: und Verwaltungs⸗
reformer 23 —28.
Polen, Koͤnigreich. Liberium veto
119
Polen, Fraktion. Flottenfrage 31
bis 32. 157.— Feuerbeſtattung 85.
— Verfaſſung fuͤr Elſ.⸗Lothr.
86 — Vermoͤgenszuwachsſteuer
Yolenpotiti preußiſche 157— 77. —
Verteilung der Polen in Deutfch:
land 1. 158. 172. — Weſt⸗
preußen und Schleſien 160. —
Deutſche Koloniſation 158 —59.
Städte 159. 16566. 168. 174.
— Judentum 159. — Bismarcks
Auffaſſung 159—61. 166—67.
174. — Schule u. Sprachenfrage
160-63. — Germaniſierung des
Beamtenſtandes 164—65. —
BR Kirche 162. 168. 173.
often der Polenpolitif 161.—
Wachſender Reichtum der Polen
164—65. — Ihr Nationalgefuͤhl
167—68. Boykott 168. —
Polen im Offtzierkorps 164. 173.—
17 5 5 Adel 173. — Kardorff
159. — Puttkamer 160. —
Witting 161. — Jentſch 161. —
Bülow 161. — Harden 161. —
Kügler 162. — Gutgowski 163.
— 5 163. — Rheinbaben
166 Raſchdau 167. —
Zweibrücken 172. — Vorſchlag
einer Enquete 161. — Beſſerungs⸗
vorſchlag 171-74. — Der miß⸗
verſtandene Verſoͤhnungsgedanke
171—74. — Polen und Ruſſen
160. 173. — Polen, u. d. Pan⸗
ſlavismus 173. — Oſterreichiſche
Polenpolitik 172. — Polen und
Franzoſen 173. — Der polniſche
Bauer 173. — Mittelſtand 174.
— Deutſchlands Ruf im Aus:
land und die Polen 175.
Regiſter.
Pommern als „Nation“ 5.
Portugal, Parlament u. Regierung
Poſen, Schloß 169 —70, Akademie
170, Bibliothek 170. Vgl. Polen⸗
po litik.
Praͤſidentenwahl in Amerika 7—8.
Praͤſidentenwahl in Frankreich 128.
Prätoren in Rom. Alter Name
für Konſuln 101. — Anteil am
Senat 105.
Praͤtorianer, roͤmiſche 114.
Preſſe, ihr Fehlen im Altertum 110.
— Ihre Rolle bei den Wahlen! 10.
Preußen. Altpreußen, Abſolutismus,
Bedeutung der Dynaſtie 44 bis
45. 55—57. 122. — Gottes⸗
gnadentum 55—59. 106—07.
166. — Koͤnigtum und Armee
136—41. — Beamtentum vom
Großen Kurfuͤrſten gegründet 137.
— Organiſierte Intelligenz 51
bis 57. Organ d. Krone 66. 141.
Kritik 156— 77. In der Oſtmark
164-65. Innerpolitiſche Farbe
181-87. Verhaͤltnis zur Kon:
ſervativen Partei 183 —84.
Offizierkorps 51—57. 136—41.
— Landtag ſiehe Abgeordneten⸗
haus und Herrenhaus. — Die
Epoche 1806-13 und ihre Ne:
formen 45. 51. 54. 57. 139—40.
— Allg. Wehrpflicht 45 —46.
— ae der Konftitution
57—59. — Demagogenverfol⸗
gung u — Verhältnis zu
Deutschland ſeit 1815 53-59.
— Hegel und Friedrich Wil⸗
helm III. 55. — Revolution 1848
52. — Konflikt 1861 150. —
Polenpolitik 157 —77. — Biblio:
theksweſen 170—71. — Raſſen⸗
miſchung 4.
Preußen (Volksſtamm) 4.
Preußiſche Jahrbuͤcher. Vorwort u.
Seite 176.
Prieſter⸗Koder der Juden 103.
Regiſter.
Privatbahnen oder Staatsbahnen
181—83.
Profonfulat in Rom einträglich
108—09.
Proporz, Proportionalwahl 19—28.
— In Engl. — 19-20. — Schweiz
21. — Amerika 21. — Ham:
burg 11. 26. — Württemberg
21. 26. — Entſtehung des
Namens 21. — In Frank⸗
reich 28.
Prytaneum (Athen) 90.
Puttkammer uͤber die Mißerfolge
der Polenpolitik 160.
„Quinze mille“, Spitzname für
Deputierte 22.
Ragnit⸗Pillkallen, Nachwahl in 133.
Raſchdau uͤber d. Polenfrage 167.
Raſſe, rein oder gemiſcht 5.
Ratsherrenſtellen kaͤuflich in der
Schweiz 48.
Reaktion u. Abſolutismus 43.
Rechtſprechung in Urgermanien 149.
Referendum 28—38. — In der
franzoͤſ. Revolution 28. — Fuͤr
die Bonapartes 8-9. — In
Amerika 29. — In Italien. 16.
— In der Schweiz 23—31. —
In Baſel 29. — In Auſtralien
31
Reform in Preußen 1806 — 13.45.51.
Reichsgruͤndung 53—59.
Reichsſchuld, ihr Urheber der Reichs⸗
tag 145.
Reichstag. Seine Entſtehung 58 bis
59. — Politiſche Stellung 59 bis
67. — Einfluß auf Geſetz⸗
gebung 60-67, 87—88. — Die
Fraktionen 141—56. — Mehr:
heitsbildungen 85—86. — Die
Oppoſition 145—56. — Fehlen
des Verantwortungsgefuͤhles 145
bis 46. — Keine Korruption 66. —
Subalterner Zug 66-67. —
Große geſetzgeberiſche Arbeits—
kraft 84-85. — Ausfuͤhrlichkeit
der Verhandlungen 84. — Die
Rechte des Abgeordneten fließen
201
allein aus der Wahl 101. —
Finanzpolitik 84. 143—46. —
Verhaͤltnis zu den Miniſtern
60 —67.— Bismarcks Entlaſſung
60—66. — Stellung zu Caprivi,
Hohenlohe, Buͤlow 60. — Kriſis
1892 150-52. — Wahlen 1912
146. — Zahl der Waͤhler 182.
— Vgl. Flottenfrage, Erſchafts⸗
ſteuer uſw.
Reichsverſicherungsordnung im
Reichstag 85.
Reichsverweſer Erzherzog Johann
140-41.
Reiterei, ihre Entſtehung 97.
Reitpferd noch nicht in der Ilias 97.
Repraͤſentationsgedanke. Sein Feh⸗
len im Altertum 110. — In
Athen 90 - 92. — In Rom 109 bis
110.
Revolutionsjahr 1848. Parlament
in Frankfurt 140 —41. — Der
Reichs verweſer 140. — Die
Folgen in Preußen uͤberwunden
52
Rhaͤtiſches Blut in Deutſchland 3.
Rheinbaben uͤber Anſiedelungen in
der Oſtmark 166.
Rheinuͤbergang (1814) 140.
Rheinufer, linkes (1815) 52.
Richmond, Herzog von, beantragt
allg. Stimmrecht (18. Jahrh.) 13.
Richter, Eugen, u. Bismarcks Ent⸗
laſſung 61. — Heeresvorlage von
1892 149-53.
Richterſtellen kaͤuflich in Amerika
47. — Schweiz 48.
Richterſtand in Rom 97.
Rittertum als militärifcher Begriff
97. — Im Mittelalter 97. 99.
Robespierre, ſein antikes Vorbild 90.
Roggenpreiſe in Deutſchland 154
bis 155.
Rom. Verfaſſungsentwicklung 92
bis 112. — Gegenſatz Patrizier⸗
Plebs 92— 106. — Entſtehung
der Nobilitaͤt 106. — Ihr Ver:
haͤltnis zum Plebs 107. — Agrar⸗
202
kommunismus 94. — Bauern:
ſtand 94. — Koͤnigtum 98 - 100.
— Liktoren 100. — Kapitalis⸗
mus 95—96. — Handel 93. 95.
Equites (Ritterſtand 97. — Raſſe
4. 96. — Geographiſche Lage
95. — Kultus 96. 101. 104-06.
Gottesgnadentum 96. 100—01,
104-06. 112. — Heerweſen 92
bis 112. 114—15. 138. — Le⸗
gionen 98. 99. 114. — Verhaͤlt⸗
nis zu den Etruskern 96—97. 99.
— Urſpruͤnglicher Umfang und
Volkszahl 97. — Konſuln 101.
105. — Praͤtoren 101. — Senat
98. 100. 105—07. 111. 114. —
Interzeſſion 101. — Demo—
krariſches Element 101— 11. —
Volksverſammlung 101. 105.
107-08. — Servianiſche Ver:
faſſung gefaͤlſcht 102— 03. —
Mittelſtand 102 —03. — Dualis⸗
mus 103-12. 142. 185. —
Volksſouveraͤnitaͤt? 103 —04. 111.
— Imperium et augurium 105.
— Centuriatkomitien 105. 107
bis 108. — Tributkomitien 105.
— Senatus Populusque Ro-
manus 105-07. — Buͤrger⸗
recht und Wahlrecht 107 08. —
Centurien 108. — Tribus als
Stimmkoͤrper 108. — Wahl—
modus 101. 104-05, 107-08.
Kaukus 108 —09. — Prokonſulat
108-09. — Bundesgenoſſen⸗
krieg 109 —10. — Kaiſertum
111—12, 114. 116—17. —
Roms Untergang 110 —12. 114
bis 15. — Nachwirkung in
Deutſchland 4.
Romford, Wahlkreis 15.
Rooſevelt gegen Wilſon unterlegen
7. — Seine Wahlbeſtechungen
47 —48. — Stellung zu den
Truſts 182.
Rothſchild, W., Handbuch der
Politik 69.
„rotten boroughs“ 10—15.
Regifter.
Rouſſeau, Anfiht über Wahl:
tepräfentation 20.
Rußland in Bismarcks letzter Politik
64. — J. Jahre 1812 140. —
Jetziges Verhaͤltnis zu Deutſch⸗
land 150. — Polenfrage 160.
173. — Freundſchaft mit Frank⸗
reich 173. — Kirche 173. —
Parlament und Regierung 126.
Sachſen (Stamm), ſeine Bedeutung
fuͤr Deutſchland 5.
Sack, Oberpraͤſident 51.
Sardinien- Piemont, Koͤnigtum
durch Volksabſtimmung auf
Italien erweitert 15—16. —
Sein Verhaͤltnis zum Parlament
5960.
Schanz, Profeſſor, uͤber die Reichs⸗
chuld 145.
Scharey uͤber die Polenfrage 163.
Scharnhorſt bei Auerſtaͤdt 45. —
Verhältnis zu Hardenberg 51. —
Seine Reformen 54. — Über
Wert der ſtehenden Heere 115.
— Heeresreform 139. — Sein
Schwiegerſohn 140.
Schleſien, Polenfrage 160.
Schoͤn, Oberpraͤſident 51.
Schottland i. J. 1793 10.
Schuldentilgung im Reich 145.
Schulenburg⸗Kehnert (1806) 44.
Schulweſen in Deutſchland, Ten—
denz der Klerikalen 128. — Hohe
Entwicklung 14748. — Polen⸗
frage 160-63.
Schutzzollſyſtem 62. 143. 183. —
Kritik 153 56.
Schwaben (Stamm), feine Be:
deutung für Dentſchland 4. 5.
Schweden, Parlament u. Regierung
126.
Schweiz. Proporz 21. 29. Wahl⸗
beteiligung 29—30. — Penſions⸗
geſetz fuͤr Beamte, Epidemiegeſetz,
Krankenverſicherung, Unfallver⸗
ſicherung 29 —30. — Deutſche
Sozialgeſetzgebung als Vorbild
30. — Referendum 29—31. —
Megifter,
Frühere Korruption 48—49. —
Ariſtokratiſche u. demokr. Kantone
48. — Landvoͤgte 48. — Städt.
Intelligenz zwiſchen Bauern u.
Arbeitern 49. — Kriegsweſen im
Mittelalter 98—99. — Kampf
gegen Oſterreich u. Burgund 98
bis 99
Sedan, Schlacht bei, Nachwirkung
in Frankreich 135. — Zuſtande⸗
kommen 139—40.
Seeraub im Altertum 93.
Senat in Rom. Rat des Koͤnigs
98. — Korporation der Nobilitaͤt
105-07. — Im Kaiſerreich
111. 114.
Senatus populusque Romanus
105-07.
Servianiſche Verfaſſung 102-03.
Sezeſſionskrieg. Veteranen und
Hinterbliebene 48.
Siebenjähriger Krieg 45. 57.
Siegfried, Proporz⸗Syſtem 21.
Simmel uͤber die Majoritaͤts⸗
prinzip 18.
Singer und das Flottenfrage 34.
Slaviſches Blut in Deutſchland 3.
Smith, Francis, über Servianiſche
Verfaſſung 102.
Sokrates 91—92.
Soldatenkaiſer in Rom 114.
Souveränität in Rom 103. 111.
— In Deutſchland 111—12.
Sozialdemokraten, 110 im deutſchen
Reichstag 145—46. — Ent:
ſtehung der Fraktion 130. —
Zuknnftsſtaat 81—83. 128. 148.
Vergleich mit urgarmaniſchen
Zuftänden 14849. — Er⸗
furter Programm 149. — Oppo⸗
ſitionspartei 149 —50. — frei:
händler 153—56. — Stellung
zu den Agrariern 153—56. —
Wirkung ihrer Intranſigenz 153
bis 56. — Sind ſie eine natio⸗
nale Partei? 179. — Unter Bis⸗
marck 147. — Seine Entlaſſung
61-64. — Gegenwaͤrtige Stel:
Delbrück, Regierung und Volkswille.
203
lung zur Regierung 147. — Ihr
Parteileben 76—83. — Bildung
81—83. — Verhaͤltnis zu den
Gewerkvereinen 77—79. — By:
zantinismus und Kadavergehor⸗
ſam 79. — Macht der Fuͤhrer
76—83. — Ihre Beamten 77
bis 83. — Sozialpolitik 35—36.
148. — Flotte 34. — Erbſchafts⸗
ſteuer 33—34. — Gedanke einer
ſtaͤndiſchen Volksvertretung 39.
— Generalſtreik 79. — Feuer⸗
beftattung 85. — Verfaſſung f.
Elſ.Lothr. 85. — Reichsver⸗
ſicherungsordnung 85. — Ver⸗
moͤgenszuwachsſteuer 86.
Sozialiſtengeſetz 62—63.
Sozialpolitik. Deutſchlands führende
Stellung 30. 147. 181. — Das
Verdienſt gehört der Beamten:
ſchaft 3436. 183—84.. —
Sozialpolitik u. Volksſtimmung.
31
Spanien, Parlament u. Regierung
126
Sparta, mit Rom verglichen 96.
— Berfaffung Lykurgs gefauͤlſcht
103
Spiritusſteuer in England 83,
Sprachenfrage in der Polenpolitik
161—63.
Staatsbahnen oder Privatbahnen
181— 83.
Staatsdienſt, feine wirtfchaftlichen
Laſten 164.
Staatsſtreichsplaͤne Bismarcks 61
bis 66.
Städte, ihre Rolle in der Polen:
frage 159. 165-65. 168. 174.
Staͤnde, ihre Rolle in Mittelalter
und Neuzeit. Kampf mit den
Dynaſtien 117—18. — Das
Majoritaͤtsprinzip 118—19.
Staͤndiſche Volksvertretung 39 40.
Stehendes Heer. Im Zeitalter des
Abſolutismus 117—18. 137.
Ausſpruch Scharnhorſts 115.
Vgl. „Heerweſen“.
14
204
Stein. Seine Reformen 54. 57.
— Seine Entlaſſung (1807) 56.
— uͤber Bureaukratie 156.
Stellenjaͤger in Amerika 47.
Stempelſteuer in England 83.
Stettin. Geographiſche Lage 95. —
Im Jahre 1848 140.
Steuerpolitik in Deutſchland 144
bis 145.
St. Louis, Korruption 47.
Stuarts, Sturz der, 119—21, 123
bis 124. 133.
Suſpenſives Veto in England 1911
37
Synoikismos 93.
Tabakſteuer in England 83. —
Monopol in Deutſchland 144.
Tacitus uͤber germaniſche Fuͤrſten
92. — Germaniſche Gefolgſchaft
137-38.
Taft gegen Wilſon unterlegen 7. —
Seine Wahlbeſtechungen 47 — 48.
Tecklenburg, A., Wahlrecht in
Frankreich 68 69.
Teekonſum und Zoll in England 83.
Tiber, ſeine Schiffbarkeit 95.
Tories. Urſprung 119 — 20. —
Verhältnis zu den Wighs 12.
127 — Stellung zum Referendum
3638. — Mice Sorgen 49.
Treitſchke über Miſchraſſen 4 —5. —
Über Preußen 1815 40. 52.
Tribus in Rom. Stimmkoͤrper 108.
Tributeomitien in Rom 105.
Trojaniſcher Krieg ſiehe Ilias.
Truſts und Wahlmache 47. 182
bis 83. — Ihre politiſche Rolle
in Amerika 182—83. — In
Deutſchland 182—83. — Rooſe—
velts Maßnahmen 182.
Turin, Univerſitaͤt 76.
Unfallverſicherungsgeſez in der
Schweiz 30. — Deutſchland
35-36.
Ungarn, Nationalitaͤtenmiſchung
5—6. — Parlamentariſche Ob:
ſtruktion 40.
Univerſitaͤten, Deutſche 76.
Regiſter.
Unold, J., Politik und Entwick⸗
lungslehre 69.
Unteroffizierkorps, Deutſches, 136.
Urkunden, hiſtoriſche, gefaͤlſcht 103.
Vaſallitaͤt des Mittelalters 115 bis
17. — Verhaͤltnis zum Offizier⸗
korps 138.
Vauchamps (1814),
Wrangels 140.
Vendee, Aufſtand waͤhrend der
franzoͤſiſchen Revolution 125.
Vereinsrecht in Deutſchland und
Frankreich 147.
Vermoͤgenszuwachsſteuer im Reichs⸗
tag 85. 131.
Verſammlungsrecht, in Deutſch⸗
land und Frankreich 147.
Veteranenfuͤrſorge in Amerika 48.
Viktoria, Koͤnigin, u. d. engliſche
Beamtentum 178.
Viehverſicherung, moderne, 94.
Vinke, Oberpraͤſident 52.
re u. d. Heeresvorlage 1892.
151.
Vogelflug, religioͤſe Bedeutung im
Altertum 104.
Volk. Begriff des Deutſchen V.
1-4. — Das V. überhaupt
1-6. — Volkswille wiſſenſchaft⸗
lich aufgefaßt 41—50. — Aus⸗
ſpruͤche Napoleons und Hegels. 41.
Volksſchule, deutſche, vorbildlich
14748. 161. — Polenfrage
160-63.
Volksſouvernitaͤt, Begriff der 43
bis 44. — In Rom 103. 111.
Volkstribun in Rom 105. 107.
Volksverſammlung, ihr moͤglicher
Umfang 89.
Wadenſtruͤmpfer (Höfling) 152.
Wagner, Adolf und die Flotten⸗
Haltung
frage 34.
Wahl, indirekte 38 —39.
Wahlbeteiligung in Deutſchland
71272. England
— Schweiz 29. — Amerika 8.
— Frankr. 9. — Allgem. 17.
Wahlmaͤnner in Preußen 39.
Regiſter.
Wales im Jahre 1793 10.
Wallas, G., Human nature in
politics 17. 178.
Warſchau, Großherzogtum 52.
Weizenpreiſe in Deutſchland 154
bis 155.
Weizenverbrauch in Deutſchland ge—
ſtiegen 154— 55.
Wellington in Spanien 12.
a sage uͤberblick 88 bis
Weſtfalen, reingermaniſches Blut 3.
Weſtfalen, Koͤnigreich 52.
Weſtpreußen, Polenfrage 160.
White, A., uͤber amerikaniſche Kor—
ruption 47.
Wiener Kongreß. Deutfche innere
Gegenſaͤtze 5. — Haltung
Wuͤrttembergs 5. — Preußens
Gebietszuwachs 52. — Verſprechen
einer preußiſchen Volksvertretung
wighs, Urſprung 119—20. — Ver⸗
haͤltnis zu den Tories 12. 127.
— Stellung zum Referendum
37—28.
Wilhelm J., Deutſcher Kaiſer. Ver:
haͤltnis zu Bismarck 61. 64. —
Attentat auf ihn 62. — Zwei⸗
jährige Dienſtzeit 150.
Wilhelm II., Deutſcher Kaiſer.
Bismarcks Entlaſſung 61-66.
Stellung z. Reichstag 61-66. —
— Bundesgenoſſenſchaft mit
Oſterreich 64. — Kriſis von
1892 152. — Stellung zu den
Freiſinnigen 152.
Wilhelm III. von Oranien in Eng⸗
land 120—21. — Grund ſeines
Eingreifens 123. — Engliſche
Volksſtimmung uͤber ihn 124.
— Verhaͤltnis zur engl. Armee
134.
Wilſon, Praͤſident, ſeine Wahl 6
bis 8. — Über Korruption 46.
205
Windthorſt u. Sozialpolitik 36. —
Bismarcks Entlaſſung 61. —
Finanzpolitik 143.
Wiſſenſchaft, ihre
Deutſchland 76.
Witting Über die Polenfrage 161.
Wrangel, Feldmarſchall (1814 und
1848) 140.
Wuͤrttemberg auf dem Wiener
1 5. — Proporz⸗Syſtem
Zentrum. Die Fraktion gebildet
1871 130. — Konfeſſionelle
Spaltung Deutſchlands 130. —
Mittelalterliches Ideal des 3.
148. — Stellung zur kathol.
Kirche 174. 179. — Kulturkampf
174. — Unter Bismarck 147. —
Deſſen Entlaffung 61. — Kriſe
1892 150. — Gegenwaͤrtige
Stellung zur Regierung 147.
174. — Demokratiſcher Grund:
charakter 131. — Stellung z d.
Konſervativen 131. — Schul:
weſen 128. — Finanzpolitik 143.
Flottenfrage 32—33. — Sozial⸗
geſetzgebung 35—36. — Feuer-
beſtattung 85. — Verfaſſung fuͤr
Elſ.⸗Lothr. 85. — Reichsver⸗
ſicherungsordnung 85. — Ver⸗
moͤgenszuwachsſteuer 131.
Zerboni, Oberpraͤſident 51.
Zölle ſiehe Deutſchland u. England.
Zollgeſetzgebung und innere Politik
in Deutſchland 183.
Zuckerkonſum und Zoll in England
84
Freiheit in
„Zukunft“ uͤber die Polenfrage 161.
Zukunftsſtaat der Sozialdemokraten
8183. 128. 148.
Zweijaͤhrige Dienſtzeit in Frankreich
25. — In Deutſchland 150.
Zweybruͤck über Oſterreichs Polen⸗
politik 172.
Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenhainichen.
*00000900900000200000000800900900000000000000000000000000099000000002000000000000200P 09000000 DSPOHNTEHEUHBOOHHHEORREUHBOOHOBOEOAHHDHEHS
“...
.0000000000000009000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 0000000 HOHEN OO0HHH008
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beigetragen haben, die deutsche Nationaleinheit unter Preussens
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brück herausgegeben, sind die Preussischen Jahrbücher seit
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= 51 Bogen Gross-Oktav. 2 Bände broschiert 10 M., 2
22 gebunden in einem Leinwandband 11 M. 2
5 Der erste Band enthält ein Bildnis Gneisenaus und einen FH
22 Plan von Kolberg. 2
22 Delbrücks „Gneisenau“ ist nicht bloss eine Biographie, sondern 22
= zugleich eine militärisch-politische Darstellung der ganzen Epoche der 22
—— preussischen Reform und, der Freiheitskriege. „Gneisenau ist stra- =
22 tegisch der eigentliche Überwinder Napoleons; von allen Feldherren, 22
ss die mit dem Gewaltigen gerungen haben, ist er der einzige gewesen, en
= der den Geist und die Kraft der napoleonischen Kriegsführung ganz in ——
=. sich aufgenommen, den Korsen mit seinem eigenen Feldherrnschwerte an
= geschlagen hat. Es musste darum in seiner Biographie der strategische u.
SL und darum auch der politische Zusammenhang der Befreiungskriege ss
3 vollständig vorgeführt werden. So begegnet uns also in seiner Bio- 32
—— graphie die ganze Zeit der Erhebung und des Kampfes gegen den —
—— französischen Weltherrscher mit ihren tiefgehenden Gegensätzen in der 88
22 inneren und äusseren Politik. Die Liebe und Wärme, mit der das m
Charakterbild Gneisenaus gezeichnet worden ist, die Sorgfalt, mit der —
der Charakter aller derjenigen skizziert worden ist, die mit Gneisenau 33
0
in Berührung gekommen sind, formvollendete Darstellung und Gedanken- 88
reichtum machen diese Biographie überaus wertvoll und empfehlen sie en
jedem, der sich ein klares Bild der gewaltigen Zeit verschaffen will.“ =
Als Grundlage zur Darstellung der Freiheitskriege im Unterricht 82
und in Vereinen ist dies Werk vor anderen geeignet. Wir weisen auch ss
auf die vortrefflichen und übersichtlichen Kartenskizzen hin. Die An- 22
schaffung des Werkes für Bibliotheken sowie zu Geschenkzwecken
kann daher dringend empfohlen werden.
Herr Gymnesialdirektor Dr. Rassow schreibt darüber in der
22 „Täglichen Rundschau“: . . Delbrücks „Gneisenau“ ist das Buch, in
2 dem die strategischen Verhältnisse der Freiheitskriege am richtigsten
2 dargestellt werden; zugleich bildet es für jeden Erwachsenen, ob jung
88 oder alt, eine herzerquickende und erhebende Lektüre: die, vielen ab-
— gedruckten Briefe Gneisenaus zeigen, dass der geistige Uberwinder
22 Napoleons einen Stil von Goethescher Plastik und Feinheit geschrieben hat. 2
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II. Teil: DIE GERMANEN.
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32 Bogen Gross-Oktav. Broschiert 10 M., halbfranz geb. 12 M.
III. Teil: MITTELALTER.
45 Bogen Gross-Oktev. Broschiert 13 M., halbfranz geb. 15 M.
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Erinnerungen, Aufsätze und Reden.
Von Hans Delbrück.
Dritte Auflage.
625 Seiten eleg. brosch. 5 N., in Leinwand geb. 6 M.
Historische u. Politische Aufsätze,
Von Hans Delbrück.
Zweite Auflage.
Broschiert 6 M., in Leinwand geb. 7 M.
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University of British Columbia Library
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22 FORM No. 310 altigen 22
: Aulscuwung der deutschen volkswirtschart während der letzten 22
ss 25 Jahre. Dieser Entwicklung entspricht der gesteigerte Ver- 32
2: brauch, der für die wichtigsten Massenartikel statistisch dar- 22
22 gestellt wird. 22
Ganz besondere Beachtung verdienen die Ausführungen über 22
Volkseinkommen und Volksvermögen. Auf Grund von Berech- 22
nungen und sachkundigen Schätzungen wird unter Anwendung
verschiedener Methoden das deutsche Volkseinkommen und Volks-
vermögen statistisch zu erfassen gesucht.
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