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Full text of "Reiseberichte aus Nord-Amerika"

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REISEBERICHTE 


AUS 


Nord-Amerika 


Professor  Dr  ALEXANDER  HERZ  FELD. 


BERLIN, 

BUCHDRUCKLEREI    »DIE    POST".    Z  1  M  M  E  RS  T  R  ASS  E    M- 
1894. 


REISEBERICHTE 


AUS 


Nord-Amerika 


Professor  Dr.  ALEXANDER  HERZFELD. 


BERLIN. 

BUCHDRUCKEREI    ^DIE    POST".    Z  I  M  M  E  K  S  T  R  ASS  E    f4- 

1994. 


Inhaltsübersicht. 


Seito 

Erklärung  und  Einleitung i 

I.  Die  Rttbenznckerindustrie  der  Vereinigten  Staaten.    Einleitung      .    .  H 

(Kalifornien 4 

Vom  Fclsengebirge  nach  Lo*;  Angeles 8 

Los  Angeles 11 

Besuch  der  Zuckerfabrik  zu  (^hino     ....         12 

Besuch  von  Anaheim 19 

San  Francisco 21 

Besuch  bei  Herren  Cl.  Spreckels  und  Oxnard 22 

Besuch  von  Alvarado .     .  23 

Von  Watsonville 27 

Die  Eübenzuckorfabrik  zu  Lehi  im  Mormonenland 31 

Nebraska 35 

Norfolk 40 

Grand  Island 45 

Sioux  CitT 49 

Besichtigung  von  Gütern  bei  Sioux  Oit.v 52 

Besuch  von  Lincoln 58 

Unterredung  mit  dem    Landwirthschaftsminister   Herrn  Morton    in 

AVashington GO 

II.  Sorgluunzuckerindustrie  in  Kansas GT 

III.  Beschroil)üiig  zweier  Raffinerien 69 

Havemeyor  &  Eiders  in  Brooklyn G9 

Western  Refining  ('o.  in  San  Francisco 74 

IV.  Die  Stärkezuckerfabrik  in  Davenport TG 

V.   Die  Ausstellung  in  f-hic.igo 78 

VI.  Weitere  Fabriken 82 

1.  Die  Pabstbrauerei  in  Milwaukee 82 

2.  Die  Gasanstalt  in  Sioux  City 85 

Besichtigung  von  Fabriken  in  St.  Louis       86 

3.  Die  Hydraulic  Pressbrick  factory  in  St.  Louis 87 

4.  Knochenkohl cnfabrik  in  St.  Louis    . ,  89 

5.  Hämmerbares  Eisengusswerk 90 

6.  Stearinfabrik 91 

7.  MüUverwerthungsfabrik  in  St,  Louis 92 

8.  Papierfabrik  von  Alex.  Balfour  &  Sons  in  Philadelphia 93 


57569G 


Erklärung, 


Da  während  unserer  gemeinschaftlichen  Reise  in  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika  abweichende  Anschauungen  bezüglich  des  Gesehenen 
und  Erlebten  zwischen  uns  beiden  nicht  hervorgetreten  sind,  haben  wir 
es  nicht  für  angezeigt  gehalten,  jeder  gesondert  einen  Reisebericht  zu 
erstatten,  sondern  uns  dahin  geeinigt,  dass  die  Beobachtungen  des  mit- 
unterzeichneten Dr.  Bartz  in  dem  vorliegenden  Bericht  mit  verarbeitet 
wurden.  Wir  bitten  daher  diesen  Bericht,  so  weit  er  die  Zeit  umfasst, 
welche  wir  gemeinschaftlich  gereist  sind,  auch  als  gemeinschaftlichen 
anzusehen. 

Berlin  und  Braunschweig,  den  23.  und  26.  Dezember  1893. 


&  ? 


Herzfeld. 
W.  Bartz. 


Vorliegender  Bericht  betrifft  die  im  Auftrage  des  Vereins  für  die 
Rübenzuckerindustrie  des  Deutschen  Reichs  unternommene  Informationsreise 
nach  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Zum  besseren  Verständniss 
scizzire  ich  kurz  den  äusseren  Gang  derselben.  Am  20.  Juni  d.  J.  brachen 
Herr  Dr.  Bartz  und  ich  gemeinschaftlich  von  Bremen  auf,  wir  erreichten 
am  28.  Juni  New  -  York ,  besichtigten  daselbst  die  Raffinerie  in 
Brooklyn  und  einige  andere  Fabriken  und  reisten  dann  nach  Chicago  zum 
Studium  der  Ausstellung.  Nach  einem  Abstecher  nach  Milwaukee  zur  Be- 
sichtigung der  Pabstbrauerei  führte  unser  Weg  zunächst  nach  Davenport 
(Stärke Zuckerfabrik) ,  Norfolk  Nebr.  (Rübenzuckerfabrik)  und  von  dort 
nach  Colorado  Springs.  Von  hier  kehrte  Herr  Dr.  Bartz  nach  Hause 
zurück,  während  ich  nach  kurzer  Ruhepause  mich  auf  der  Santa  Fe-Route 
nach  dem  südlichen  Californien  begab.  Daselbst  wurden  die  drei  Rüben- 
zuckerfabriken zu  Chino,  Watsonville  und  Alvarado  besichtigt  und  in 
San  Francisco  Herr  Claus  Spreckels  besucht  und  die  Raffinerie  in  Augen- 
schein   genommen.      Auf  der  Heimreise   verweilte   ich   in   Utah   in    der 

1 


Rübenzuckerfabrik  in  Lehi,  und  darauf  nochmals  in  Nebraska,  wo  ich 
zunächst  in  Grand  Island  Station  machte.  Von  Sioux  City,  der  Grenz- 
stadt von  Nebraska,  Süd-Dacota  und  Jowa  unternahm  ich  Ausflüge 
nach  mehreren  Gütern  und  Fabriken  und  in  Lincoln  wurde  ich  mit 
Prof.  Nicholson  bekannt.  Darauf  reiste  ich  nach  Topeka,  der  Haupt- 
stadt von  Kansas,  um  mich  nach  dem  Stand  der  Sorghumindustrie 
zu  erkundigen  und  von  dort  nach  St.  Louis.  Hier  besichtigte  ich  eine 
grössere  Anzahl  von  Fabriken,  zu  denen  mir  der  deutsche  Consul  Zutritt 
verschaffte.  Dann  begab  ich  mich  nach  Washington,  stellte  mich  daselbst 
dem  deutschen  Botschafter  vor,  hatte  durch  dessen  Vermittelung  eine 
längere  Unterredung  mit  dem  Ackerbauminister  der  Vereinigten- Staaten, 
Herrn  Morton  über  die  Rübenzuckerindustrie  daselbst  und  besuchte  Herrn 
Wiley,  den  Staatschemiker.  Nunmehr  kehrte  ich  über  Philadelphia, 
wo  eine  Papierfabrik  in  Augenschein  genommen  wurde,  nach  New -York 
und  von  dort  nach  der  Heimath  zurück,  die  ich  nach  mehr  als  3  monat- 
licher Abwesenheit  am  23.  September  erreichte. 

Der  üebersichtlichkeit  halber  sind  in  dem  Bericht  die  Erlebnisse 
nicht  chronologisch  geordnet,  sondern  zunächst  die  auf  die  Rübenzucker- 
industrie in  Californien  und  Nebraska  bezüglichen ,  an  letztere  anschliessend 
die  Unterredung  mit  dem  Minister  in  Washington  mitgetheilt.  Darauf 
sind  die  besuchten  Raffinerien,  die  Stärkezuckerfabrik,  dann  die  Aus- 
stellung in  Chicago  und  zuletzt  die  übrigen  besichtigten  Fabriken  be- 
schrieben. Abgesehen  von  kurzen  Einleitungen  zu  Californien  und  Nebraska, 
welche  allgemein  gehalten  und  vorhandener  Literatur  entnommen  sind, 
habe  ich  absichtlich,  um  dem  Bericht  den  Eindruck  des  Selbsterlebten 
zu  erhalten,  den  Erzählerton  des  Reisenden  beibehalten  und  auch  Wahr- 
nehmungen, die  nicht  gerade  den  Hauptzweck  der  Reise  betrafen,  wo  es 
mir  passend  erschien,  eingestreut.  Sollte  es  den  geehrten  Lesern  scheinen, 
als  wenn  ich  in  dieser  Beziehung  zu  weit  gegangen,  so  bitte  ich  im 
voraus  um  Entschuldigung. 


I. 

Die  Rübenzucker-Industrie  der  Vereinigten  Staaten 
von  Nord-Amerika. 

Einleitung. 

Die  ersten  Bestrebungen,  die  Rübenzucker-Industrie  in  den  Ver- 
einigten Staaten  einzuführen,  gingen  1830  von  Philadelphia  aus,  doch 
erst  acht  Jahre  später  1838  kam  es  zur  Gründung  einer  kleinen  Fabrik 
in  Massachusets,  welche  sich  indessen  nicht  lange  halten  konnte.  1863 
bauten  zwei  Deutsche  eine  Fabrik  in  Chatsworth  in  Illinois ,  welche 
1870  in  Folge  ungeeigneter  Wachsthumsbedingungen  für  die  Zuckerrübe 
zu  Grunde  ging.  Dieselbe  Fabrik  wurde  mit  ähnlichen  Misserfolgen  in 
Freeport  und  später  in  Black  Hawk  Wiskonsin  für  kurze  Zeit  aufgestellt. 
Ausserdem  wurde  in  demselben  Staate  eine  Fabrik  in  Fond  du  Lac  er- 
richtet, die  jedoch  nur  zwei  Jahre  bestand,  worauf  die  Unternehmer  nach 
Californien  übersiedelten,  um  sich  an  der  mit  250  000  Doli.  Kapital  ins 
Leben  tretenden  Alvarado  Co.  in  Alameda  zu  betheiligen,  doch  auch  diese 
Gesellschaft  machte  ebenso  wie  einige  andere  in  Californien  alsbald 
bankerott,  und  1877  bestand  wieder  keine  Rübenzuckerfabrik  in  Californien. 
Angereizt  durch  Prämien  der  Einzelstaaten  tauchten  noch  hier  und  da 
Fabriken  auf,  um  bald  wieder  einzugehen,  so  1876  in  Portland  in  Maine, 
in  Northampton -Massachusets  und  zwei  Jahre  später  in  Wilmington- 
Delaware. 

1879  wurde  die  Alvarado  -  Fabrik  von  neuen  Besitzern  abermals 
in  Betrieb  gesetzt,  aber  auch  dieses  Unternehmen  scheiterte. 

Die  Menge  des  in  Californien  aus  Rüben  producirten  Zuckers  betrug 

1870 500000  U. 

1871 800000  . 

1872 1125000  „ 

1873 1500000  „ 

um  dann  wie  erwähnt  wieder  zeitweise  auf  Null  herabzugehen. 

r  - 


Eine  neue  Aera  der  Industrie  datirt  von  der  Veröffentlichung  der 
Mac  Kinley-Bill,  welche  bekanntlich  ^)  bestimmt: 

„Vom  1.  Juli  1890  bis  zum  1.  Juli  1905  soll  von  solchen  Geldern  des 
Staatsschatzes,  welche  nicht  für  andere  Zwecke  bestimmt  sind,  an  die  Pro- 
ducenten  von  Zucker,  welcher  nicht  unter  90  Pol.  enthält  und  aus  Rüben, 
Sorghum  oder  Zuckerarten  innerhalb  der  Vereinigten  Staaten  oder  aus  in 
den  Vereinigten  Staaten  gewonnenen  Ahornsäften  hergestellt  sind,  eine 
Prämie  von  2  cent  per  Pfund  und  auf  dergleichen  Zucker  von  weniger 
als  90  0,  aber  nicht  weniger  als  80^  Pol.  eine  Prämie  von  1  3/4  cent  per 
Pfund  bezahlt  werden,  nach  Massgabe  der  von  dem  Inlands-Steuercommissar 
unter  Zustimmung  des  Schatzsecretairs  zu  erlassenden  Vorschriften." 

Die  Folge  davon  war,  dass  an  den  Plätzen  Alvarado  und  Watson- 
ville,  in  deren  Nähe  in  der  früheren  Periode  Rüben  gebaut  worden 
waren,  und  ferner  in  Chino,  im  südlichen  Theile  Californiens  abermals 
drei  Fabriken  sich  aufthaten,  welche  erzeugten  in  Pfunden: 

1891  1892   - 

Alvarado 1094  900  2506  860 

Watsonville 4  340  556  11390  921 

Chino 2051400  7903541 

Hervorgehoben  muss  werden,  dass  für  Watsonville  und  Chino  die 
Steigerung  in  der  Production  von  1891  bis  92  grösser  scheint  als  sie  wirk- 
lich war,  denn  es  wurde  1892  in  Watsonville  mit  Ausscheidung  ge- 
arbeitet und  nur  Zucker  von  der  Güte  unseres  2.  Productes  erzeugt  und 
von  Chino  sogar  nur  Füllmasse  über  80,  und  nicht  Zucker  von  über  90  Pol. 
nach  der  Baffinerie  in  San  Francisco  gebracht,  wodurch  die  Melasse  mit 
der  Prämie  theilhaftig  wurde,  und  das  Gewicht  der  oben  angeführten 
Ausbeute  entsprechend  erhöht  ist. 

Ausser  diesen  drei  Fabriken  entstanden  in  Folge  der  Mac  Kinley- 
Bill  noch  zwei  weitere  in  Nebraska  und  eine  im  Mormonenland,  so  dass 
zur  Zeit  in  den  Vereinigten  Staaten  sechs  Rübenzuckerfabriken  vorhanden 
sind. 


Californien. 

Das  ganze  Californien  genannte  Land  zerfällt  in  zwei  Theile:  das 
obere  Californien,  welches  zu  den  Vereinigten  Staaten  geschlagen  ist  und 
das  untere  Californien,  eine  in  das  Meer  lang  hingestreckte  Halbinsel, 
welche  heut  noch  einen  Theil  des  Mexicanischen  Gesammtstaates  bildet. 
Das  amerikanische  obere  Californien  liegt  zwischen  dem  32.  und  42.  Grad 
N.  B.,  sein  gesammter  Flächeninhalt  beträgt  nahezu  490  000  Qkm.,  ist 
daher  nur  etwa  50  000  Qkm.  kleiner  als  das  ganze  Deutsche  Reich.     Auf 


')   Vereins-Zeitsehrift  1890,  S.  830. 


diesem  Gebiet  lebten  Ende  1892  nur  1 200  000  Menschen ,  während 
Deutschland  47  Mill.  Einwohner  zählt.  Californien  ist  ein  langgestrecktes 
Küstenland,  welches  im  Westen  vom  stillen  Ocean  bespült,  im  Osten  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  von  800  engl.  Meilen  durch  hohe  Gebirgszüge 
geschützt  ist,  nordöstlich  durch  die  Sierra  Nevada,  daran  anschliessend 
bis  zur  Mexicanischen  Grenze  durch  die  Ausläufer  des  Cascadegebirges. 
Aus  dieser  eigenthümlichen  Lage  erklären  sich  manche  Verschiedenheiten 
und  Unregelmässigkeiten  des  Klima's,  wenn  auch  zuzugeben  ist,  dass 
deren  Ursachen  noch  nicht  völlig  aufgeklärt  sind.  An  der  Küste  wird 
die  südliche  Sonnenhitze  durch  den  Einfluss  des  Meeres  gemildert;  mit 
dem  Ansteigen  des  Bodens  nach  dem  Gebirge  zu,  macht  sich  ein  ge- 
mässigtes Klima  geltend;  in  den  Thälern  und  Schluchten  finden  sich 
Gegenden  mit  fast  tropischer  Fruchtbarkeit.  Auf  die  Regenfälle  wirkt 
einerseits  die  Nähe  des  Oceans,  andererseits  die  hohen  Gebirgszüge  tief- 
greifend ein. 

Nachstehend  gebe  ich  die  durchschnittlichen  Regenmengen  nach  den 
Beobachtungen  vieler  Jahre  für  einige  Hauptplätze. 

jj^^jj.  Jahres- 

durch-  Jan.  Febr.  März  April  Mai  Juni  JuH  Aug.  Sept.  Oct.  Nov.  Dec. 

n^^"i   schnitt 

S.  Francisco      49.27    23,80    5,06  3,76  3,07  2,04  0,62  0,15  0,12  0,02  0,16  0,85  2,85  5,20 

Sacramento       36,36    19,69  .3,77  2,09  2,86  1,95  0,69  0,13  0,03  —  0.11  0,68  2,06  4,52 

Los  Angeles      32,16    16,03    3,93  3,76  1,90  1,34  0,35  0,09  —  0,08  0,01  0,35  1,49  2,73 

S.  Bernhardino  19,63    15,17    3,66  3,03  1,97  1,75  0,44  0,06  0,02  0,08  0,05  0,43  1,85  3,10 

Bei  Betrachtung  dieser  Tabelle  fällt  auf,  wie  verschieden  und  wie 
gross  zuweilen  die  Abweichungen  der  Maxima  von  den  Jahresdurchschnitten 
sind.  In  der  That  klagt  man  besonders  darüber,  dass  Jahre  mit  aus- 
giebigen Regenfällen  nicht  selten  erschreckend  trockene  folgen.  Ob  in 
regelmässigen  einen  längeren  Zeitraum  umfassenden  Perioden  Jahre  von 
gleichartiger  Witterung  wiederkehren,  hat  noch  nicht  sicher  festgestellt 
werden  können,  wird  aber  häufig  angenommen.  Man  hat  nämlich  aus 
von  1849  bis  1877  reichenden  Beobachtungen,  welche  später  fortgesetzt 
wurden,  folgern  wollen,  dass  periodische  Jahrescyclen  von  je  13  Jahren 
bestehen,  innerhalb  welcher  die  Regenmenge  allmählich  auf  ein  Minimum 
sinkt.  Das  erste  Minimum  seit  der  Besitznahme  des  Landes  durch  die 
Amerikaner  ereignete  sich  1850/51,  wo  in  S.  Francisco  nur  10,1  Zoll 
Regen  im  Jahre  niederging,  das  nächste  1876  mit  10  Zoll,  an  anderen 
Plätzen,  z.  B.  Los  Angeles,  stimmt  aber  nach  vorliegenden  15jährigen 
Beobachtungen  die  Theorie  nicht. 

Bereits  im  vorigen  Jahrhundert  haben  Jesuiten  und  andere  katholische 
Mönchsorden   den  Obst-  und  Weinbau    eingeführt,    es  konnten  aber  nur 


wenige  bevorzugte  Districte  dazu  benutzt  werden.  Erst  mit  der  allgemeinen 
Verbreitung  der  künstlichen  Bewässerung,  welche  schon  durch  die  Mexikaner 
in  kleinem  Maassstab  ausgeführt  wurde,  sind  ganze  vorher  öde  Landschaften 
in  herrliche  Obstgärten  verwandelt  und  Californien  das  erste  Obstland 
der  Welt  geworden.  Erdbeeren,  Kirschen,  Birnen  und  Aepfel,  Apfelsinen, 
Citronen,  Feigen,  Pfirsiche,  Weintrauben  und  alle  möglichen  anderen 
Früchte  gedeihen  hier  aufs  üppigste  und  werden  zum  Export  gebaut.  Der 
neueste  Bericht  des  Gartenbau  -  Staatssecretärs  giebt  an ,  dass  1891 
4500000  Acker  als  zur  Berieselung  aptirt  geschätzt  worden  seien,  ferner 
3550000  Acker  cultivirtes  Land,  welches  nicht  berieselt  wurde;  die  Zahl 
der  artesischen  Brunnen  soll  3500  betragen  haben. 

Man  unterscheidet  hauptsächlich  dreierlei  Arten  der  Rieselung: 

1 .  Die  alte  mexikanische  Methode,  wobei  man  das  Wasser  einfach 
in  schmalen  Binden  von  Baum  zu  Baum  leitet,  ohne  besondere 
Bassins  am  Baum;  diese  Methode  ist  noch  sehr  verbreitet. 

2.  Die  Bassinmethode.  Es  werden  Vertiefungen  um  den  Baum 
gemacht,  die  von  Zeit  zu  Zeit  gefüllt  werden. 

3.  Die  sog.  Riverside-Methode,  so  benannt,  weil  sie  in  Riverside 
zuerst  angewandt  wurde.  Dabei  wird  eine  schmale,  8—10  Zoll 
breite  Schleuse  aus  Holz  am  oberen  Ende  des  Ackers  entlang 
gelegt.  In  Zwischenräumen  von  1 — 3  Fuss  sind  verschliessbare 
Löcher  gebohrt,  durch  welche  das  Wasser  vertheilt  wird. 

Manche  Obstplantagen  werden  nur  bis  zum  dritten  Jahre  nach  der 
Anlage  berieselt,  später  niemals  mehr. 

Beim  An-  und  Verkauf  des  Landes  ist  meist  für  den  Werth  ent- 
scheidend ,  ob  Bewässerung  und  Wasserrecht  vorhanden  ist  oder  nicht; 
die  Zuführung  des  Wassers  besorgen  grosse  Gesellschaften,  welche  die 
artesischen  Brunnen  oder  andere  nothwendige  Einrichtungen  anlegen. 
Die  Preise,  welche  für  gutes  Obstland  gefordert  werden,  sind  ausserordent- 
lich hoch  und  richten  sich  auch  darnach,  ob  jüngere  oder  ältere  Pflan- 
zungen vorhanden  sind  und  was  für  Früchte  gebaut  werden  können  ;  es 
werden  300  bis  selbst  500  Dollar  für  den  Acker  (=  1,6  preuss.  Morgen) 
gefordert.  Zur  Zeit  unserer  Anwesenheit  machten  sich  die  Folgen  einer 
üeberproduction  auf  fast  allen  Gebieten  des  Obstbaues  bemerkbar,  so  be- 
sonders in  Wein,  Erdbeeren,  Pfirsichen  und  Apfelsinen,  während  für 
Citronen,  welche  nur  in  wenigen  Gegenden  gedeihen,  noch  am  meisten 
Nachfrage  vorhanden  war. 

Die  Bodenverhältnisse  Californiens  lassen  sich  im  Rahmen  dieses 
Berichtes  ebenso  wenig  erschöpfend  behandeln,  wie  Clima  und  meteoro- 
logische Verhältnisse,  da  auch  hier  grosse  Verschiedenheiten  obwalten. 

Die  zum  Rübenbau  in  chemischer  Beziehung  geeignete  Fläche  wird 


wie  folgt  von  Prof.  Hilgard,  dem  bedeutendsten  Agriculturchemiker  und 
genauem  Kenner  des  Landes  geschätzt^): 

Bezirk  engl.  Quadratmeilen 

Los  Angeles 1480 

S.  Bernhardino 465 

S.  Mateo 50 

Contra  Costa 70 

Alameda 225 

S.  Clara 405 

Monterey 700 

S.  Benito •  •  • 115 

S.  Louis  Obispo 1090 

S.  Barbara    300 

Ventura 170 

Sonoma 350 

Napa 145 

Andre-Thäler 40 

Lake 100 

Mendocino 125 

zusammen:    5830 

Es  entspricht  dies  einem  Areal  von  rund  3700000  Acker  oder 
5920000  preuss.  Morgen.  Von  dieser  Fläche  mag  nach  Hilgard  aber 
nur  Vs  brauchbar  sein,  Vs  besitzen  nicht  genügende  Feuchtigkeit  oder 
haben  andere  Fehler.  Hilgard  berechnet  schliesslich,  dass  jährlich  im 
Ganzen  500000  Acker  für  den  Rübenbau  disponibel  sind,  welche  min- 
destens 1250000000  Pfd.  Zucker,  also  ungefähr  die  Hälfte  der  deutschen 
Production  hervorbringen  könnten. 

Auf  die  Wiedergabe  der  zahlreichen  ßodenanalysen,  welche  der  Ge- 
nannte aufführt,  verzichte  ich,  da  es  unter  den  dortigen  eigenthümlichen 
Verhältnissen  noch  weniger  zulässig  erscheint,  aus  der  Bodenanalyse  weit- 
gehende Schlüsse  zu  ziehen,  als  anderwärts.  Auffällig  ist  fast  an  allen 
Analysen  der  hohe  Gehalt  an  Mangan  und  an  löslichen  Salzen,  besonders 
Natron-  und  Magnesiaverbindungen,  welche  zu  aschenreichen  Rüben  Ver- 
anlassung geben  müssen.  Ein  grosser  üebelstand  liegt  darin,  dass  das 
Land  häufig  sog.  Alkaliadern  (in  Wirklichkeit  meist  aus  schwefelsaurer 
Magnesia  bestehend)  enthält,  welche  ganze  Landstriche  unfruchtbar  machen, 
und  selbst  durch  Berieselung  häufig  nicht  zu  beseitigen  sind ;  solches  Alkali- 
land ist  auch  für  den  Rübenbau  nicht  geeignet.  Nicht  selten  ist  es  im 
Bezitz  von  Landspeculanten,  welche  im  fernen  Osten  sitzen,  es  für  theures 
Geld  gekauft  haben  und  erst  bei  dem  Versuch,  es  wieder  loszuschlagen,  zu 
merken  pflegen,  dass  sie  bei  dem  Ankauf  betrogen  worden  sind. 


')  Bericht  27  von  Wiley,  S.  118. 


8 

Vom  Felsengebirge  nach  Los  Angeles* 

Herr  Dr.  Bartz  hatte  mich  von  Norfolk  in  Nebraska  bis  nach 
Colorado  Springs  im  Felsengebirge  begleitet,  in  dem  6500  engl.  Fuss  über 
dem  Meeresspiegel  gelegenen  kühlen  Orte,  wo  die  strengste  Temperenz 
herrschte,  erholten  wir  uns  einige  Tage  von  den  voraufgegangenen  Stra- 
pazen und  der  Hitze.  Nachdem  wir  noch  gemeinsam  den  14400  '  hohen 
Pikespeak,  welcher  trotz  seiner  Höhe  frei  von  Schnee  ist,  mit  der  Zahn- 
radbahn erklommen  hatten,  kehrte  Herr  Dr.  Bartz  über  St.  Louis  und 
Washington  nach  Hause  zurück. 

Ich  selbst  ging  zunächst  für  einige  Tage  noch  höher  in  das  Felsen- 
gebirge hinauf  nach  Cascade,  einem  lieblich  gelegenen  Gebirgsdorf  am 
ütahpass,  jener  uralten  durch  das  Hochgebirge  führenden  Strasse  von 
Colorado  nach  dem  Mormonenlande,  welche  die  räuberischen  Utah-Indianer 
lange  in  blutigen  Kämpfen  gegen  die  Weissen  vertheidigt  haben.  Hier 
machte  ich  in  einem  amerikanischen  Speisehaus,  in  dem  Niemand  ausser 
mir  deutsch  verstand,  bald  zahlreiche  Bekanntschaften,  mit  denen  ich 
fleissig  englisch  sprach  und  die  mir  manche  nützlichen  Empfehlungen 
auf  den  Weg  gaben.  In  der  Hauptsache  benützte  ich  die  Zeit  aber  zur 
Abfassung  vorläufiger  Berichte,  von  denen  einige  in  der  „Deutschen 
Zuckerindustrie"  bereits  erschienen  sind. 

Trotz  der  hohen  Lage  von  mehr  als  7000  engl.  Fuss  über  dem 
Meeresspiegel,  weilten  in  Cascade  zahlreiche  Schwindsüchtige,  ohne  Be- 
schwerden zu  empfinden,  was  als  eine  Folge  der  südlichen  Lage  anzusehen 
ist.  Die  Hochebene,  aus  der  das  Gebirge  aufsteigt,  ist  schon  über  6000  Fuss 
hoch,  daher  macht  der  Pikespeak  trotz  der  gewaltigen  Höhe  längst  nicht 
den  Eindruck  auf  den  Beschauer,  als  viel  niedrigere  Berge  in  der  Schweiz, 
wozu  auch  noch  beiträgt,  dass  er  fast  des  ganze  Jahr  frei  von  Schnee  ist. 
Reichlichen  Ersatz  für  den  Mangel  an  Grossartigkeit  bietet  aber  die  herr- 
liche Flora  und  Fauna,  die  Luft  ist  erfüllt  von  dem  Duft  würziger  Blumen, 
und  allerwärts  huschen  die  flinken  eichhörnchenähnlichen  Thierchen,  die 
Chippemönche,  über  den  Weg.  Nur  die  wohlhabenden  Gäste  wohnen  in 
Holzhäusern,  die  Angehörigen  der  ärmeren  Klassen  geniessen  ihre  Sommer- 
friche  unter  einem  Leinewandzelt,  welches  sie  mitbringen,  und  leben  in 
der  Hauptsache  monatelang  von  gleichfalls  mitgebrachten  Nahrungsmitteln. 
Ein  oder  zwei  Kühe  führen  sie  entweder  ins  Gebirge  hinauf,  oder  kaufen 
sie  hier  und  lassen  sie  auf  den  vielen  Baustellen,  die  hier  wie  um  die 
meisten  amerikanischen  Städtchen  vorhanden  sind,  grasen.  —  In  dem 
Boardinghouse  hatten  die  jungen  Herren  sich  für  die  Zeit  ihres  Hierseins 
Reitpferde  gekauft,  welche  in  Colorado  sehr  billig  sind,  und  riethen  mir 
eindringlich,  das  gleiche  zu  thun. 

Indessen  war  meines  Bleibens  nicht  länger,  als  ich  nach  einigen 
Tagen  Aufenthalt    auf  meine  Anfrage    die  telegraphische  Nachricht   er- 


hielt,  dass  die  Zuckerfabrik  Chino  im  Betriebe  sei  und  dass  man  meinem 
Besuch  daselbst  gern  entgegen  sehe. 

Ich  brach  deshalb  am  8.  August  von  Cascade  auf  und  fuhr  auf 
der  Santa  Fe -Route,  durch  Colorado,  Arizona  und  Neu-Mexico  über 
la  Junta,  Trinidad,  Lamy,  die  Needles  und  Barstow  zunächst  nach  dem 
Hauptplatz  des  südlichen  Californien,  Los  Angeles.  Die  Reise  dauerte 
ohne  Unterbrechung  von  Montag  Mittag  bis  Donnerstag  früh,  dennoch 
wirkte  sie  Dank  der  vorzüglichen  Einrichtungen  der  Santa  Fe  -  Gesellschaft 
nicht  ermüdend.  Unangenehm  für  den  Reisenden  ist  auf  dieser  Strecke 
nur,  dass  die  Mahlzeiten  nicht,  wie  auf  den  meisten  östlichen  Bahnen 
in  einem  Speisewagen  eingenommen  werden  können,  sondern  in  allerdings 
guten  Wirthschaften,  welche  die  Gesellschaft  an  allen  Hauptstationen 
nach  der  Art  unserer  deutschen  Bahnhofsrestaurationen  eingerichtet  hat. 
Bei  diesem  System  ist  man  gezwungen  die  aus  vielen  Gängen  bestehende 
Mahlzeit,  welche  nach  amerikanischer  Sitte  alle  fast  gleichzeitig  servirt 
werden,  schnell  herunterzustürzen,  während  man  lieber  die  Zeit,  in  welcher 
der  Zug  hält,  benutzen  würde,  um  sich  im  Freien  zu  bewegen. 

Zum  Glück  aber  entstehen  manchmal  unvorhergesehene  längere 
Aufenthalte,  weil  die  Bahn  nur  eingleisig  ist  und  deshalb  entgegen- 
kommende Züge  in  kleinen  Stationen  oder  in  Weichen  auf  freiem  Felde 
abgewartet  werden  müssen.  Jedermann  steigt  dann  aus,  spaziert  umher 
oder  lagert  sich  im  Grase.  Höchst  drollig  sieht  es  sich  an,  wie  dann 
Herren  und  Damen  aufspringen  und  in  den  Zug  stürzen,  wenn  derselbe 
sich,  wie  es  hier  Sitte  ist,  ohne  jegliches  Abfahrtsignal  wieder  langsam 
in  Bewegung  setzt. 

Die  Gegend  ist  anfangs  vielfach  gradezu  trostlos,  stundenlang  ist 
kein  Baum  und  Strauch  zu  sehen,  ausgenommen  einige  Cactusarten, 
welche  immer  grösser  werden,  je  tiefer  man  aus  dem  Gebirge  herabsteigt. 
Hin  und  wieder,  aber  doch  selten  tauchten  grüne  Plätze  auf,  an  denen 
sich  Wasser  befindet,  schon  aus  der  Ferne  erkennt  man  ihre  Nähe  an 
dem  Auftreten  der  Viehheerden  und  an  den  elenden  Lehmhütten,  in 
welchen  die  Hirten  wohnen.  Einen  eigenthümlichen  Eindruck  machen 
zahllose,  völlig  ausgetrocknete  Wasserläufe,  welche  den  Thonboden  tief 
einfurchen  und  dadurch  dass  sie  oft  in  unmittelbarer  Nähe  der  Bahn- 
geleise sich  befinden,  gefährlich  werden,  bei  jedem  heftigen  Regenguss 
erzeugt  das  von  den  Bergen  herabströmende  Wasser  hier  sehr  tiefe 
Flussbette,  Trostlos  ist  die  Fahrt  durch  Arizona,  zahllose  Rinder  und 
Pferdecadaver  liegen  an  der  Bahn.  Wie  an  hochgelegenen  Orten  der 
Schweiz  ist  die  Luft  hier  so  rein,  dass  keine  Fäulniss  eintritt,  die  todten 
Thiere  schrumpfen  deshalb  nur  zusammen  und  liegen  vollständig  er- 
halten mit  Haut  und  Haaren  ungezählte  Jahre  lang  da.  Es  könnte 
trotzdem  hübsch  genug   hier    sein,    wenn  nicht  die  Wälder,    welche  hier 


10 

an  der  Bahn  sich  entlang  ziehen  zu  grauenvoll  verwüstet  wären.  Wie 
auch  schon  im  Felsengebirge  sieht  man  überall  verkohlte  Baumstämme 
liegen  und  der  grösste  Theil  der  noch  lebenden  Bäume  ist  aus  Muth- 
willen  angesengt.  Trotz  der  Eintönigkeit  der  Landschaft  verging  mir 
aber  die  Zeit  schnell  in  der  Unterhaltung  mit  californischen  Minen- 
besitzern, welche  von  einer  Expedition  zur  Aufsuchung  von  Goldlagern 
in  Mexico  heimkehrten.  An  verschiedenen  Stellen  des  Weges  machten  sie  mich 
auf  Punkte  aufmerksam,  wo  der  oder  jener  durch  Auffindung  von  ge- 
diegenem Golde  vor  Jahren  sein  Glück  gemacht.  Einigen  Zeitvertreib  ge- 
währten auf  den  Stationen  auch  die  zahlreichen  Indianer  und  Indianerinnen. 
Letztere,  meist  jung  und  hübsch  mit  glänzenden  dunklen  Augen  trugen 
ihre  Kinder  auf  einem  Brett  aufgeschnallt  auf  dem  Rücken,  die  kleineren 
waren  dabei  gegen  die  Sonne  durch  ein  übergedecktes  Weidengeflecht 
geschützt,  so  dass  das  ganze  wie  ein  Fischkorb  aussah.  Der  land- 
schaftlich schönste  Punkt  auf  der  Reise  sind  die  „Nadeln",  die  Stelle, 
an  welcher  die  Bahn  das  tief  eingeschnittene  Thal  des  Coloradoflusses 
kreuzt.  Wir  passirten  diese  grossartige  und  in  ihrer  Einsamkeit  schaurige 
Stelle  im  Glänze  der  untergehenden  Sonne,  bald  darauf  wendet  sich 
die  Bahn  und  führt  in  nördlicher  Richtung  das  Flussthal  des  Colorado 
entlang,  üeberall  sieht  man  ärmliche  Hütten  der  Indianer  aus  dem 
Schilf  hervorleuchten,  und  nahe  dabei  Schaaren  von  Kindern  in  grell- 
farbenen  Kleidern  sich  tummeln,  es  sind  die  Wohnstätten  von  Wasser- 
indianern, sogenannt,  weil  sie  am  Fluss  und  hauptsächlich  vom  Fischfang 
leben.  Dieselben  gehören  dem  ehemals  blutdürstigen  Stamme  der  Mohawks 
an,  welche  hier  zur  Zeit  des  Baues  der  Santa  Fe- Bahn  sich  sehr  aufsässig 
zeigten,  jetzt  aber  seit  langer  Zeit  friedlich  geblieben  sind.  Bald  darauf 
hielt  der  Zug  an  der  Station,  die  Needles,  welche  von  an  100  erwachsenen 
Indianern,  Frauen  und  furchtbar  bemalten  Männern  umlagert  war. 
Alsbald  eröffnete  sich  ein  lebhafter  Verkehr  mit  den  Reisenden  die  den 
Indianern  Kleinigkeiten  abkauften.  Die  niedrigste  Münze,  welche  die 
Wilden  kennen  ist  ein  viertel  Dollar,  ein  10  Cent-Stück  nahmen  sie 
auch  nicht  als  Geschenk.  —  Am  folgenden  Morgen  in  aller  Frühe  be- 
fanden wir  uns  endlich  in  dem  herrlichen  Californien ;  nunmehr  wechselten 
während  der  Fahrt  Apfelsinen-  mit  Pfirsich-,  Aepfel-  und  anderen  Obst- 
hainen ab ,  häufig  von  einem  lebendigen  Zaun  von  Fächerpalmen  ge- 
schmackvoll umrahmt.  Dazwischen  passirten  wir  Dörfer  mit  hochstämmigen 
Eucalyptusbäumen  und  sauberen  Wohnhäusern  mit  geschmackvoll  ange- 
legten, bunt  blühenden  Gärten,  welche  an  die  Heimath  erinnern.  Immer  höher 
wurden  die  Palmen,  immer  schöner  die  Gärten,  bis  wir  endlich  früh- 
morgens um  7  Uhr  Los  Angeles  erreichten. 


11 


Los  Angeles. 

In  Los  Angeles  hat  es  mir  von  allen  amerikanischen  Städten,  die 
ich  besuchte,  am  besten  gefallen,  hier  tritt  das  Geschäftsleben  äusserlich 
für  den  Fremden  zurück,  südliche  Lebendigkeit  herrscht  in  den  Strassen, 
aber  nicht  das  rastlose  Rennen  wie  in  New-York  und  Chicago.  Abends 
durchziehen  Minstrels  die  Stadt,  und  die  zahlreichen  Chinesen  die  hier 
wie  in  San  Francisco  in  einem  eigenen  Viertel  wohnen,  machen  das  Strassen- 
bild  noch  bunter.  —  Im  Hotel  Hollenbeck  erwarteten  mich  die  Herren 
Dr.  Frentzel,  Hecker  und  Schöller  zur  geraeinsamen  Excursion  nach  Chino. 
Obgleich  ich  mich  nach  der  dreitägigen  Nachtfahrt,  Dank  den  vorzüglichen 
Einrichtungen  der  Santa-Fe-Bahn  frisch  genug  fühlte,  zog  ich  es  vor  die 
Reise  dorthin  auf  den  folgenden  Tag  zu  verschieben. 

Wir  benutzten  den  Tag,  um  zunächst  die  Conservirung  der  Früchte 
anzusehen,  der  Besitzer  des  Hotels  übernahm  es,  uns  nach  einer  der- 
artigen Fabrik  zu  führen. 

Uns  hätte  es  besonders  interessirt,  Trockenanstalten  für  Früchte  kennen 
zu  lernen,  wir  erfuhren  aber,  dass  Anlagen  für  künstliches  Trocknen 
im  südlichen  Californien  nicht  bestehen.  Die  Früchte  werden  nur  an 
der  Sonne  getrocknet,  und  wo  es  nöthig  erscheint  zu  diesem  Behufe  von 
den  Abhängen  in  die  Nähe  des  Ocean,  wo  die  Luft  zu  feucht  erscheint, 
ein  wenig  weiter  in  das  Innere  des  Landes  gebracht.  Auch  in  der  Conser- 
venfabrik  war  wenig  genug  zu  sehen,  man  reichte  uns  zwar  frische  und 
eingemachte  Früchte  in  grosser  Menge  zum  Kosten,  führte  uns  aber  nicht 
besonders  gut  und  war  zurückhaltend  in  Beantwortung  technischer  Fragen. 
Die  Früchte  wurden  durch  Mädchen,  welche  hier  für  2  Dollar  den  Tag 
(8,50  Mk.)  arbeiten,  geschält,  zerschnitten  und  in  Blechbüchsen  gefüllt, 
welche  in  derselben  Fabrik  hergestellt  werden.  Um  zu  salzen  und  zu 
süssen,  waren  zwei  grosse  Gefässe  mit  dünner  Kochsalz-,  bez.  Zucker- 
lösung vorhanden.  Das  Erhitzen  der  verlötheten  Büchsen  geschah  theil- 
weise  in  durch  directen  Dampf  heizbaren  Wasserbädern  nur  auf  mittlere 
Temperaturen,  theils  wurde  bei  höherer  Temperatur  pasteurisirt.  Die 
Hauptfabrikation  ist  aber  die  Bereitung  von  Gelees,  welche  aus  den 
filtrirten  Extracten  durch  Eindampfen  im  Vacuum  gewonnen  werden.  So 
erzählte  man  uns,  und  beschenkte  jeden  mit  einer  Büchse  Gelee,  wir 
bekamen  aber  den  ganzen  grossen  Theil  der  Fabrik,  wo  es  bereitet  wurde, 
nicht  zu  Gesicht.  Wir  besuchten  darauf  einen  der  herrlichen  Gärten, 
welche  Los  Angeles  umgeben,  und  staunten  über  den  Blumenflor, 
welcher  allerwärts ,  selbst  auf  den  sandigen  Wegen  emporschiesst. 
Ans  Wunderbare  grenzen  die  haushohen  Geranien,  welche  hier  das  ganze 
Jahr  hindurch  wachsen,  die  riesigen  Rosenbäume,  welche  sich  an  den 
Gebäuden  emporranken,  und  die  herrlichen  Coniferen.     Der  Garten  war 


12 

erst  vor  5  Jahren  angelegt,  dennoch  machte  er  auf  uns  den  Eindruck, 
als  wäre  er  mindestens  30  Jahre  alt;  landesüblich  waren  die  Coniferen, 
welche  hier  unglaublich  rasch  wachsen,  zu  allerlei  phantastischen  Thier- 
und  Menschenfiguren  ausgeschnitten.  Man  denke  sich  dazu  herrliche 
Fächerpalmen  im  Freien  wachsend,  ferner  zahlreiche  bei  uns  ganz  un- 
bekannte ähnlich  wie  Flieder  blühende  Bäume  und  man  wird  es  begreiflich 
finden,  dass  wir  aufrichtig  entzückt  waren  und  diesem  Gefühl,  was  die 
Amerikaner  ja  so  sehr  schätzen,  auch  in  Worten  gegen  den  Besitzer 
Ausdruck  gaben. 

Nachdem  wir  noch  die  Ausstellung  von  Landeserzeugnissen  in  der 
Börse  besichtigt,  verbrachten  wir  den  Rest  des  Tages  an  den  Ufern  des 
stillen  Oceans,  in  dem  nahe  gelegenen  Santa  Monica. 

Worte  reichen  nicht  hin ,  um  die  Schönheiten  zu  beschreiben, 
welche  der  Strand  des  „friedlichen"  Weltmeeres  hier  unter  dem  blauen 
Himmel  Californiens  bietet;  dazu  überall  fröhliche  Menschen,  voll  Kraft 
und  Gesundheit  strotzend,  die  meisten  in  ihrer  Art  an  die  Eheinländer 
erinnernd.  Männer,  Frauen,  Kinder,  Weisse,  Chinesen,  Neger  plätscherten 
munter  lachend  und  kreischend  durcheinander  in  dem  dunkelblauen 
Wasser  umher,  von  welchem  eine  leichte  Brise  massige  Kühlung  nach 
dem  Strande  wehte.  Nie  werde  ich  die  herrlichen  Stunden  vergessen, 
die  ich  hier  am  stillen  Ocean  verlebte! 

Besuch  der  Zuckerfabrik  Chino  am  17.  August  1893. 

Chino  liegt  etwa  3  Eisenbahnstunden  südlich  von  Los  Angeles  in 
dem  lieblichen  Bernhadino-Thale,  welches  von  hohen  Gebirgen,  die  in 
der  klaren  Luft  greifbar  nahe  scheinen  und  einen  entzückenden  Anblick 
bieten,  eingerahmt  ist.  In  Ontario  gingen  wir  auf  die  Kleinbahn  über, 
welche  in  weitem  Bogen  hinab  in  das  Chinothal  führt.  Während  uns 
vorher  üppige  Obstgärten  begleiteten,  sah  es  hier  noch  recht  öde  aus,  an 
beiden  Seiten  des  Bahndammes  breitete  sich  viel  uncultivirtes  Land  aus, 
welches  im  Sommer  in  Californien  fast  stets  den  Eindruck  trostloser 
Wüste  mächte,  denn  kein  Baum  oder  grünes  Gras  bedeckt  den  sandigen 
Boden,  nur  hin  und  wieder  wachsen  dürftig  aussehende  Cactus-  und 
Palmenarten,  welche  höchstens  strauchartig  werden. 

Je  näher  wir  aber  der  Fabrik  kamen,  desto  mehr  Rübenfelder  traten 
an  beiden  Seiten  der  Bahn  hervor,  die  meisten  freilich  spärlich  bestanden, 
die  Pflanzen  klein  und  lückenhaft,  die  Blätter  welk  zum  Absterben.  Die 
Fabrik  ist  in  5  Minuten  von  der  Station  zu  Fuss  zu  erreichen,  trotzdem 
fiel  uns  der  kurze  Weg  an  dem  sehr  heissen  Tage  schwer.  Seitwärts  vom 
Wege  liegen  eine  Anzahl  dürftiger  Hütten  aus  Holz,  und  Leinwandzelte, 
unter  denen  die  mexicanischen  Arbeiter  der  Rübenwirthschaft  campiren. 
Sobald  wir  an  die  ersten  Rüben   kamen,   legten  wir  die  Hände   auf  den 


1-^ 

Boden,  er  war  glühend  heiss,  die  Pflanzen  vollständig  verwelkt,  und  da- 
neben rauchte  der  Fabrikschornstein.  So  etwas  war  uns  in  der  Zeit  der 
Campagne  freilich  noch  nicht  vorgekommen!  Mir  fiel  die  Erzählung 
unseres  Wirthes  in  Los  Angeles  ein,  dass  vor  Jahren  ein  Engländer  in 
der  Nähe  eine  Straussenfarm  eingerichtet  hatte,  die  allerdings  bald  wieder 
einging,  nachdem  die  Sache  anfangs  mit  grosser  Begeisterung  aufgenommen 
war,  an  jenem  Tage  war  die  Erde  sicher  genügend  durchwärmt,  um 
Strausseneier  im  Sande  ausbrüten  zu  können.  Im  Comptoir  der  Fabrik 
empfing  uns  Herr  C.  Kennedy  Hamilton,  einer  der  Besitzer  freundlich, 
auch  Herr  Gird,  der  Eigenthümer  von  50  000  acre  Land ,  welcher  unter 
Contract  einen  grossen  Theil  der  Kühen  für  die  Fabrik  lieferte,  war 
grade  anwesend.  Nach  kurzer  Unterredung  theilten  wir  uns,  Herr  Hamilton 
übernahm  es  mich  zu  führen,  während  Herr  Gird  die  Herren  Frentzel, 
Hecker  und  Schöller  mit  sich  nahm. 

Während  die  Pferde  angeschirrt  wurden,  die  uns  durch  die  Felder 
führen  sollten,  trat  mir  im  weissen  Burnus  plötzlich  die  hohe  Gestalt 
des  mir  als  alten  Schüler  und  langjährigen  Chemikers  des  Herrn  Bei- 
mann  in  Schroda  wohlbekannten  Herrn  Türcke  entgegen.  Unsere 
beiderseitige  Freude  war  gross,  denn  wir  hatten  uns  nicht  träumen 
lassen,  dass  wir  uns  je  unter  solchen  Umständen  wiedersehen  würden. 
Türcke  fühlt  sich  ungemein  wohl  im  südlichen  Californien  und  besitzt 
selbst  fünf  Acker  Rübenland  im  nahen  Anaheim;  zum  Schluss  der  Rüben- 
Campagne  geht  er  regelmässig  als  Chemiker  nach  der  Rohrzuckerfabrik 
der  Oxnard-Compagnie  in  Louisiana.  Auch  der  technische  Director  der 
Fabrik  ist  ein  Deutscher,  welcher  manchen  Lesern  bekannt  sein  wird,  Herr 
Dr.  Portius,  der  viele  Jahre  dem  Hannoverschen  Dirigentenverein  an- 
gehört hat. 

Der  Boden  von  Chino  ist  ein  äusserst  fruchtbarer  Schwenimboden 
mit  ziemlich  viel  Humus,  meist  steinfrei,  stellenweise  allerdings  herrscht 
auch  Sand  vor.  An  einzelnen  Orten  finden  sich  auch  die  sog.  Alkali- 
adern, welche  die  betreffenden  Stellen  vorläufig  für  jegliche  Cultur  un- 
brauchbar machen.  Zweifellos  ist  nach  den  Mittheilungen,  die  mir  Herr 
Hamilton  machte,  dass  jetzt  Rüben  an  Stellen  gebaut  werden,  die  dafür 
nicht  geeignet  sind,  weil  der  Boden  zu  durchlässig  und  deshalb  zu 
trocken,  zweifellos  aber  auch,  dass  mehr  als  das  dreifache  des  jetzt  in 
Cultur  befindlichen  an  gutem  Rübenboden  noch  vorhanden  ist. 

Die  Urbarmachung  des  Landes  ist  hier  denkbar  einfach,  es  wird  im 
Herbst  wie  in  Nebraska  mit  dem  Schälpflug  umgeworfen,  so  dass  die 
Wurzeln  der  Gräser  und  Disteln  nach  oben  kommen  und  im  nächsten 
Frühjahr  sogleich  mit  Rüben  bepflanzt.  Doch  zeigen  sich  im  ersten  Jahre 
häufig  Fehlstellen,  im  zweiten  Jahr  ist  die  Ernte  am  ertragreichsten. 

Mein  Führer  meinte,    dass  trotz  des  welken  Aussehens  der  Blätter 


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das  Rübengewicht,  welches  eingebracht  würde,  ein  collossales  sei,  oft 
über  20  Tonnen  per  Acker,  selten  unter  10,  unaufhörlich  forderte  er  mich 
auf  die  Rüben  zu  beschauen  und  den  Ertrag  abzuschätzen,  immer  aber 
griff  ich  zu  niedrig.  Trotz  der  genannten  hohen  Erträge  hat  im  Durch- 
schnitt die  Fabrik  in  der  alten  Campagne  aber  nicht  über  9  tons  auf 
dem  Acker  gehabt  und  in  diesem  Jahre  dürfte  es,  nachdem  was  ich  ge- 
sehen, kaum  viel  mehr  werden.  Obgleich  vom  Februar  bis  zum  Herbst, 
nahe  8  Monate,  so  gut  wie  gar  kein  Regen  fällt  und  der  Boden  oben 
staubförmig  trocken  war,  war  er  in  einigen  Zoll  Tiefe  dennoch,  wo  ich 
auch  einbohrte,  stets  feucht  wegen  der  kühlen  feuchten  Nächte  und  der 
aufsteigenden  üntergrundsfeuchtigkeit  in  dem  Thale. 

Die  Saatzeit  der  Rüben  dauert  von  Anfang  Februar  bis  Ende  Mai, 
von  14  zu  14  Tagen  werden  die  Samen  eingelegt  und  in  den- 
selben Zeitabschnitten  während  der  Campagne  die  Rüben  ge- 
erntet. Noch  später  zu  sähen  wurde  gleichfalls  versucht,  dies  hat  sich 
aber  nicht  bewährt,  weil  der  Boden  doch  zu  trocken  wurde  und  die 
Pflanzen  deshalb  nicht  aufkamen.  Man  hat  auch  mit  Erfolg  das  Experiment 
gemacht,  den  Samen  im  November  unterzubringen,  derselbe  hat  nach 
Herrn  Hamilton's  Erzählung  gut  überwintert  und  die  Rüben  sind  im 
Februar  aufgegangen.  Die  Saat  wird  einen  Zoll  tief  eingelegt,  die  Pflanz- 
weite ist  sehr  eng.  Anleitung  giebt  ein  französischer  landwirthschaftlicher 
Ober-Inspector,  der  denselben  Rang  einnimmt,  wie  Herr  Wietzer  in 
Norfolk  (siehe  weiter  unten  in  diesem  Bericht  unter  Nebraska). 

Nach  Hamilton  eignen  sich  für  Chino  am  besten  Vilmorinrüben 
französischer  Zucht,  überhaupt  begegnete  ich  bei  ihm  und  Herrn  Oxnard 
einer  grösseren  Vorliebe  für  französische  als  für  deutsche  Einrichtungen  in 
der  Zuckerfabrikation,  was  wohl  auch  damit  zusammenhängt,  dass  die 
Herren  fertig  französisch,  aber  gar  nicht  deutsch  sprechen.  Ich  fand  im 
Gegentheil  Klein  -  Wanzlebener  Rüben,  welche  auch  vorhanden  waren, 
weit  besser  in  Form  und  Fleisch  entwickelt,  als  die  rasch  gewachsenen, 
massigen  und  wässrigen  Vilmorinrüben. 

Die  Rüben  erhalten  meist  drei  Maschinen  -  Hacken ,  der  Boden  war 
dementsprechend  leidlich  frei  von  Unkraut;  die  Reife  war  nicht  voll- 
ständig, aber  doch  selbstverständlich  viel  weiter  vorgeschritten  als  bei 
ims  im  August. 

Der  Hauptbesitzer  Herr  Gird  hatte  mit  der  Fabrik  1890  einen  längere 
Zeit  laufenden  Contract  gemacht.  Darnach  hatte  Herr  Gird  im  ersten 
Jahre  2250,  im  zweiten  4000  Acker,  und  für  die  drei  nächstfolgenden 
Jahre  je  5000  Acker  Rüben  zu  bauen.  Ausserdem  verpflichtete  er  sich, 
der  Fabrik  anfangs  täglich  2  000000,  später  3  00U000  Gallonen  Wasser 
zu  liefern.  Für  Rüben  von  12  '%  sollte  er  Doli.  3,50  für  die  Tonne 
und  für  jedes  Procent  Pol.  mehr  25  cts.  extra  erhalten,  wobei  der  Zucker 


15 

im  Saft  bestimmt  und  durch  Multiplication  mit  0,95  auf  Rüben  umge- 
rechnet wurde.  Vom  1.  Januar  1893  an  erfolgt  die  Regulirung  der 
üeberprocente  mit  40  statt  vorher  mit  25  cts. 

Trotz  dieses  Zugeständnisses  soll,  wie  in  der  ganzen  Umgegend  be- 
kannt, Herr  Gird  bei  diesem  Contract  ein  sehr  schlechtes  Geschäft  ge- 
macht haben,  und  ist  deshalb  dazu  übergegangen,  das  Land  mit  der 
Verpflichtung  zum  Rübenbau  an  mittellose  kleine  Leute  parzellenweise 
meist  gegen  25  7o  ^^^  Erntewerthes  zu  verpachten.  Solche  Leute 
scheint  es  in  der  That  gelungen  zu  sein,  in  genügender  Anzahl  heran- 
zuziehen, wenigstens  sollen  gegenwärtig  170  solcher  Pächter  vorhanden 
sein,  welche  jeder  10  —  40  Acker  bearbeiten.  Die  Schule  für  die  Kinder 
der  Pächter,  welche  von  der  Fabrik  eingerichtet  wurde  —  vor  Gründung 
der  Fabrik  existirte  der  Ort  als  solcher  überhaupt  nicht  — ,  wird  an- 
geblich von  175  Kindern  besucht.  Die  Ferien  sind  so  gelegt,  dass  die 
Kinder  verziehen  und  bei  der  Ernte  helfen  können,  vielfach  sah  ich  die 
Kleinen  beim  Rübenköpfen,  wozu  man  auch  die  patentirte  Rübenernte- 
maschine 0  benutzte,  beschäftigt.  Frauen  arbeiten  auch  hier  nicht  auf 
dem  Felde.  Kaufrüben  von  freien  Leuten  erhält  die  Fabrik  haupt- 
sächlich aus  dem  entfernten  Anaheim,  einer  deutschen  Colonie,  welche 
näher  am  Ocean  liegt,  und  von  Bueno-Park;  nach  beiden  Orten  sind 
Eisenbahnen  gebaut  worden. 

Die  Ernte  zu  durchschnittlich  10  tons  per  Acker  angenommen  giebt 
bei  einem  Rübenpreis  von  4,50  Doli.  45  Dollar  Ertrag  per  Acker,  wo- 
von 11,25  Doli,  an  Herrn  Gird  abzugeben  wären.  Die  Unkosten  für 
Saatgut,  Bestellung,  Verziehen,  Hacken  sind  kaum  in  Geld  2)  auszu- 
drücken, da  diese  Arbeiten  durch  die  Familien  selbst  besorgt  werden. 
Sie  werden  von  Herrn  Hamilton  zu  10  Doli,  von  anderen  zu  16  —  19  Doli, 
geschätzt.     Nehmen  wir  16  Doli.,  so  bleiben 

45  -  (11,25 -f  16)  ==  45  —  27,25 
gleich  17,75  Doli.  Reinertrag.  Da  eine  Familie  im  allgemeinen  nur  20  Acker 
gut  besorgen  kann,  so  mag  sie  also  355  Doli,  pro  Jahr  erübrigen,  was  in 
diesem  Lande,  wo  man  beim  Vergleich  mit  europäischen  Verhältnissen 
den  Dollar  manchmal  der  Mark  gleichsetzen  kann,  in  den  Augen  der 
Eingeborenen  sehr  wenig  ist.  Es  ist  demnach  glaubhaft,  wenn  von  anderer 
Seite  versichert  wurde,  dass  trotz  der  schlechten  Zeiten  für  den  Obstbau 
und    andere    Früchte,    der   Farmer    mindestens    5  Doli,    für    die    Tonne 


*)  Deutsches  Reichspatent,  Anmeld.  9575;  vergl.  Vereins -Zeitschrift  1893, 
S.  1106. 

2)  Es  stehen  mir  zahlreiche  detaillirte  Anbaukostenberechnungen  zur  Verfügung, 
bei  denen  für  die  Pächter  stets  ein  bedeutender  Gewinn  herausgerechnet  wird.  Ich 
unterlasse  es  aber  absichtlich,  dieselben  hier  wiederzugeben,  weil  eine  Prüfung  der 
Zahlen  nicht  vorgenommen  werden  kann. 


16 

Kuben  haben  müsse,  wenn  er  sich  auf  den  Rübenbau  einlassen  solle. 
Dabei  wird  mit  einem  Zinsfuss  von  6V2  7o  ^^f  ländliche  Beleihungen 
gerechnet,  zur  Zeit  als  ich  da  war,    war  derselbe   aber  wesentlich  höher. 

Die  Campagne  dauert  drei  Monate,  von  Anfang  August  bis  Ende 
November  1),  man  rechnete  auf  900  000  Ctr.  Rüben.  Die  Fabrik  soll 
eigentlich  14  000  Ctr.  täglich  verarbeiten,  hat  aber  dies  Quantum  anfangs 
nicht  erreicht  und  processirt  deshalb  mit  der  Maschinenfabrik,  welche  die 
Einrichtungen  geliefert  hat. 

Die  Fabrik  hat  drei  6  atmosphärige  Kessel,  welche  mit  Rohpetroleum 
in  der  in  Amerika  sehr  verbreiteten  Weise  geheizt  werden.  Sie  besitzt 
drei  kleine  deutsche  Kalköfen ! !  wie  sie  auch  den  übrigen  Fabriken  der- 
selben Gesellschaft  dienen.  Anscheinend  bewähren  sie  sich  nicht  besonders, 
denn  man  krankte  an  den  den  Lesern  hinlänglich  bekannten  Schwierig- 
keiten, welche  im  Kalkofen  ihren  Sitz  haben!  Der  Coke,  welcher  beim 
Brennen  zugesetzt  wird,  kommt  aus  nahen  Gasanstalten  und  kostet 
angeblich  8  Dollar  die  Tonne;  der  Kalkstein  soll  gut  aber  schwer  zu 
brennen  sein.  150  Arbeiter  sind  in  der  Fabrik  beschäftigt,  welche  nicht 
unter  2  Dollar  Lohn  pro  Schicht  erhalten. 

Im  schönsten  Sonnenschein  werden  bei  herrlichem  Sommerwetter 
die  Rüben  auf  trockenen  und  guten  Wegen  meist  4spännig  mit  unbe- 
schlagenen frischen  Pferdchen  oder  Maulthieren  auf  leichten  vielfach 
sogar  eleganten  Gärtnerwagen  zur  Fabrik  angefahren,  die  Kutscher  in 
bunter  Mexicanertracht,  was  einen  malerischen  Anblick  gewährte.  Die 
Rüben  waren  sehr  rein,  aber  vielfach  ganz  welk,  solche  mit  weniger  als 
10  ^/o  Zucker  werden  zurückgewiesen.  Hübsch  eingerichtet  ist  das  Rüben- 
haus mit  Schwemme,  die  Wagen  fahren  zunächst  eine  unbedeckte  steile 
Rampe  hinan,  Bedachung  ist  nicht  nöthig,  da  es  so  selten  regnet  und 
auch  an  den  heissesten  Sommertagen  niemals  Fälle  von  Sonnenstich  bei 
Thieren  und  Menschen  beobachtet  werden.  Der  Wagen  ist  vor  dem 
Beladen  mit  einem  einseitig  befestigten  Netze  auskleidet  worden.  Indem 
dieses  an  der  anderen  Seite  mittelst  einer  durch  Seilbetrieb  verstellbaren 
Zugvorrichtung  gehoben  wird,  entleert  sich  der  Inhalt  in  wenigen  Minuten. 
Ein  grosser  Theil  der  Rüben  wird  aber  auch  direct  mit  der  Bahn  in  das 
mehr  als  100  000  Centner  fassende  Rübenhaus  geführt.  Das  Betriebs- 
wasser   liefern    30  artesische  Brunnen,    welche    der  Grundbesitzer    Herr 


')  Nach  dem  mir  soeben  während  des  Schreibens  zugehenden  „Chino  Valley 
Champion"  vom  17.  November  1893,  wurden  glatt  vom  31.  Juli  bis  4.  November 
52000  tons  Rüben,  wovon  7300  tons  aus  Anaheim  verarbeitet  und  daraus  sollen 
8936  845  Pfd.  Füllmasse  gewonnen  sein.  Dies  entspricht  einer  Füllmassen -Ausbeute 
von  16,2  auf  Rüben,  was  sehr  hoch  erscheint;  täglich  sind  700  tons  verarbeitet 
worden. 


17 

Gird  auf  seine  Kosten  angelegt  hat.  Die  Fabrik  ist  aus  Stein  gebaut 
und  macht  einen  recht  iniponirenden  Eindruck  neben  den  kleinen  Arbeiter- 
hütten ,  die  nahe  dabe|  liegen.  Wie  in  allen  amerikanischen  Fabriken 
fällt  der  Mangel  an  Schutzvorrichtungen  gegen  Unfall  auf.  Für  die 
ürvvüchsigkeit  der  ländlichen  Verhältnisse  Californiens  ist  charakteristisch, 
dass  weder  für  die  Arbeiter  noch  für  die  Beamten  Bedürfnissanstalten 
vorhanden  sind. 

Von  der  Schwemme  transportirt  eine  Schnecke  die  Rüben  zur 
Wäsche  und  der  mit  Dachrippenmessern  arbeitenden  Schnitzelmaschine. 
Zur  Auslaugung  dienen  zwei  langstehende  Batterien  von  je  neun  Ge- 
fässen  mit  seitlicher  Entleerung  und  vielleicht  45  hl  Inhalt,  es  wurde 
nicht  unter  120,  ja  bis  140  7o  Saftabzug  gearbeitet.  Hier  waren 
drei  Selwig  und  Lange'sche  Schuitzelpressen  vorhanden ,  weil  Herr 
Gird  es  unternommen  hat,  die  Schnitzel  zur  Mast  von  1000  Ochsen 
Zu  verwenden.  Trotzdem  dieses  geschieht,  lagen  aber  grosse  Mengen 
von  Schnitzeln,  schwach  mit  Erde  bedeckt,  in  der  Nähe  der  Fabrik 
in  der  Sonne,  da  sich  keine  Abnehmer  finden,  obgleich  die  Fabrik  sie 
unentgeltlich  abgiebt.  Ein  Strom  dunkler  Jauche  fliesst  von  den  Mieten 
aus  über  den  Weg,  eigentliche  Fäulniss  soll  trotzdem  nicht  stattfinden 
sondern  die  Masse  nur  eintrocknen! 

Für  die  Saftreinigung  begnügte  man  sich  mit  zwei  Kohlensäure- 
Saturationen,  —  die  Alkalitäten  waren  ähnlich  wie  bei  uns  —  und 
dampfte  dann  in  einem  Quadrupleeffet  mit  liegenden  Apparaten  ein.  Zur 
Scheidung  wurden  3^0  Kalk  verwendet,  doch  wurde,  da  die  Pressen  schlecht 
liefen,  der  Schlamm  von  der  zweiten  Saturation  in  die  erste  Presse  zurück- 
genommen. Die  Fabrik  besitzt  zwei  lange  Cisek- Filterpressen,  eine  für 
jede  Saturation,  wie  es  jetzt  auch  bei  uns  stellenweise  beliebt  ist. 

Das  Füllmassenhaus  zeigte  dieselbe  einfache  Anordnung  wie  in  fast 
allen  anderen  amerikanischen  Fabriken,  die  ich  besuchte.  Unmittelbar 
unter  dem  Vacuum  befindet  sich  eine  trogartige  Maische  mit  Vertheiler, 
welche  einen  Sud  fasst,  bei  Arbeit  auf  weissen  Zucker  wird  5  —  6  Stunden 
gerührt  und  dann  in  den  unmittelbar  unter  dem  Trog  stehen  den.  Centri- 
fugen  ausgeschleudert.  Gegenwärtig  aber  wurde  nur  auf  Füllmasse  ge- 
arbeitet, welche  die  2  Cent  Prämie')  pro  Pfund  erhält,  und  direct 
nach  der  Raffinerie  in  S.  Francisco  geht.  In  dem  Prämiensystem  liegt 
ein  Anreiz,  so  niedrig  polarisirende  Masse  als  möglich  herzustellen,  doch 
liegt  ein  Gegengewicht  darin,  dass  die  Raffinerie  für  die  Minderpolarisation 
grössere  Abzüge  macht.  Die  Füllmasse  sah  nicht  gut  aus,  wenn  ich  nicht 
gewusst    hätte,    dass    es  sich  anders  verhält,    würde  ich  sie  nach  Farbe, 


')  Nach  dem  Wortlaut  der  Mac  Kinley-Bill  würde  dieser  Füllmasse,  als  zwischen 
80  und  90  polarisirend,  nur  eine  Prämie  von  1^4  Cent  pro  Pfund  zustehen. 

2 


18 

Korn  und  Syrupmenge  für  eine  solche  iL  Products  gehalten  haben,  der 
Aschengehalt  ist  wahrscheinlich  recht  hoch.  Gegenüber  dieser  Beobachtung 
erscheinen  die  Saftpolarisationen  von  20  und  mehr  Procent  Zucker  in 
recht  trübem  Lichte.  Sie  rühren  offenbar  nur  daher,  dass  die  Rüben  so 
stark  eingetrocknet  waren,  denn  aus  Rüben  von  so  hoher  Polarisatition 
müsste  bei  normalem  Saftgehalt  ein  wesentlich  besseres  Product  erhalten 
worden  sein. 

Früher  hat  man  die  Füllmasse  in  Fässern  versandt,  dabei  aber 
manche  Unbequemlichkeit  besonders  beim  Ausfüllen  empfunden,  zur  Zeit 
meines  Besuches  wurde  sie  deshalb  in  Papphülsen  mit  Holzboden  aus- 
gegossen, wie  sie  ähnlich  hier  zu  Lande  zum  Transport  von  Obst  dienen. 
Diese  werden  in  der  Raffinerie  durch  Einwerfen  in  heisses  Wasser  sowie 
Einblasen  von  Dampf  abgelöst,  die  Pappe  wird  dann  wieder  benutzt. 

Höchst  gemüthlich  war  die  Steuercontrole  eingerichtet,  die  für  die 
ganze  Fabrik  nur  ein  Mann  besorgte.  Er  stempelte  jedes  Barrel  ab, 
nachdem  es  in  seiner  Gegenwart  gewogen  war,  und  notirte  die  Zahlen. 
Der  Raum,  in  welchem  dieses  stattfand,  hatte  mehrere  Thüren,  die  alle 
weit  offen  standen,  keine  ümfriedigung  war  vorhanden,  keine  Controlvor- 
richtungen,  um  zu  verhindern,  dass  Füllmasse  wieder  in  die  Fabrik  zurück- 
geführt werde,  alles  war  offenbar  ganz  anders  als  in  europäischen  Ländern 
auf  die  Ehrlichkeit  des  Fabrikanten  basirt. 

Nachdem  ich  die  übliche  Interview  des  Zeitungsreporters  über- 
standen und  noch  Frau  Gird  in  dem  von  herrlichem  Park  umgebenen 
Landhaus  meine  Aufwartung  gemacht,  verbrachte  ich  die  Nacht  in  dem 
Wohnhause  der  Fabrik,  welches  Herr  Hamilton,  Dr.  Portius  und  der 
französische  Landwirth  innehaben');  ein  Chinese  besorgte  die  Bedienung. 
Das  Gespräch  drehte  sich  ausschliesslich  um  die  Zuckerprämie  und  um 
die  Aussichten  auf  Erhaltung  derselben.  Es  kann  kein  Zweifel  obwalten, 
dass  auch  bei  einem  Rübenpreis  von  5  Dollar  die  Fabrik  bei  der  gegen- 
wärtigen Prämie  viel  Geld  verdient,  denn  bei  einer  Füllmassenbeute  von 
wenig  über  12  7oj  welche  sicherlich  bei  den  welken  Rüben  aber  weit 
überschritten  wird,  würde  die  Prämie  schon  die  Rüben  vollständig 
bezahlt  machen,  an  Unkosten  bleiben  also  nur  die  Verarbeitungskosten 
übrig.  Wenn  aber  die  Prämie  fällt,  so  meinte  Herr  Hamilton,  falle 
selbstverständlich  auch  die  amerikanische  Rübenzuckerindustrie,  bleibe  sie 
bestehen,  so  beabsichtige  seine  Gesellschaft  demnächst  noch  2  —  3  grosse 
Fabriken  im  Chinothal  aufzustellen. 


^)  Die  Herren  Frentzel,  Schöller  und  Hecker  nächtigten  bei  dem  Grund- 
besitzer, wo,  charakteristisch  für  die  Landessitte,  zwei  in  einem  Doppelbett  unter- 
gebracht waren.  Die  gastfreundlichen  Amerikaner,  welche  dem  Fremden  zu  Liebe 
sich  geradezu  aufopfern,  finden  dabei  gar  nichts,  auch  in  den  Hotels  und  in  den 
Schlafwagen  findet  man  es  selbstverständlich,  dass  zwei  Freunde  das  Bett  theilen. 


19 

Besuch  von  Anaheim,  den  12.  August  Nachmittag. 

Im  Laufe  unseres  Besuches  in  Chino  hatten  wir  erfahren,  dass 
unter  den  Rübenlieferanten  in  Anaheim  grosse  Unzufriedenheit  herrsche, 
weil  sie  die  Rübenpreise  zu  niedrig  fänden,  und  dass  dort  sogar  der  Bau 
einer  eigenen  Fabrik  geplant  werde.  In  Folge  dessen  fassten  wir  auf 
der  Rückreise  nach  Los  Angeles,  welche  Tags  darauf  stattfand,  den  Ent- 
schluss,  Anaheim  noch  einen  Besuch  abzustatten.  Wir  erreichten  den 
Ort  mit  der  Santa  Fe -Route  nach  zweistündiger  Fahrt  durch  fruchtbare 
Gefilde  von  Los  Angeles  aus. 

Das  Städtchen,  welches  3600  Einwohner  zählt,  ist  1857  von  deutschen 
Colonisten  gegründet,  nachdem  eine  Gesellschaft  durch  Anlage  von  Strassen 
und  Berieselung  aus  dem  Santa  Ana-Fluss  die  Umgegend  culturfähig 
gemacht  hatte.  Auch  jetzt  sind  die  Mehrzahl  der  Einwohner  Deutsche, 
daneben  viele  Schweden.  Bis  vor  kurzem  wurde  hauptsächlich  Weinbau 
getrieben  und  die  Anaheimer  Süssweine  erfreuten  sich  in  den  Kellereien 
von  New- York  des  besten  Rufes,  doch  vor  einigen  Jahren  hat  eine  un- 
bekannte Krankheit  die  Rebenfelder  verwüstet;  fernerhin  sind  in  Folge 
der  Ueberproduction  die  Californischen  Weine  im  Preise  so  gesunken, 
dass  Noth  unter  den  Farmern  ausgebrochen  ist,  die  sie  geneigt  gemacht 
hat,  sich  auf  den  Rübenbau  einzulassen.  Ich  bemerke  hier,  dass  in 
Californien  der  Wein  meist  in  der  Ebene  nicht  etwa  nur  an  Abhängen 
gebaut  wird.  Gegenwärtig  waren  in  Anaheim  700  Acre  mit  Rüben  bestellt, 
von  welchen  man  7500  tons ')  Rüben  nach  Chino  zu  liefern  hoffte.  Die 
Luft  war  hier  viel  kühler  als  in  Chino,  da  der  Ort  nur  drei  deutsche 
Meilen  vom  Weltmeer  entfernt  liegt. 

In  einem  Leihstall  besorgten  wir  uns  ein  Gefährt  und  machten  uns 
selbständig  ohne  von  Interessenten  geführt  zu  sein,  auf  zu  einer  Fahrt 
durch  die  Rübenfelder.  Wir  passirten  den  Bahnhof  der  Southern-Pacific- 
Gesellschaft,  welche  gleichfalls  eine  Linie  hier  vorbeiführt  —  der  Ort  hat 
also  zwei  Eisenbahnen  —  und  sahen  hier  wie  die  Rüben  für  Chino  verladen 
wurden.  Zwei  Chemiker  waren  beschäftigt,  Saftpolarisationen  auszuführen 
und  mit  95  zu  multipliciren,  ein  Verfahren,  welches  sich  in  diesem  Lande 
der  welken  Rüben  nur  damit  entschuldigen  lässt,  dass  man  beabsichtigt, 
bei  den  Leuten  Eifer  für  den  Rübenbau  durch  scheinbar  hohe  Gehalts- 
zahlen hervorzurufen.  Gerecht  ist  der  Modus  sicherlich  nicht,  und  wird 
deshalb  mit  der  Zeit  wohl  auch  üble  Früchte  tragen.  Ein  halb  Dutzend 
Bauern  umstand  die  Abnahmestelle,  um  misstrauisch  die  Wägung  zu 
controliren  und  den  Chemikern  zuzuschauen.  Auf  unsere  Fragen  antworteten 
eifrig  mehrere  gleichzeitig,  voll  Stolz  erzählten  sie,  dass  Sie  einen  der 
Chemiker   angestellt  hätten    und    bezahlten.     Auf  die    Frage,    wie    viel 


*)   7300  tons  sind  wirklich  geliefert  worden.    Vergl.  weiter  oben. 


20 

Rüben  sie  auf  den  Acker  geerntet  hätten  ,  antwortete  einer  mit  acht 
californischer  üebertreibung,  von  jedem  40  tons  (d.  sind  500  Ctr.  auf 
den  preussischen  Morgen).  Die  Rüben,  Kleine  Wanzlebener  Zucht,  welche 
angefahren  wurden,  sahen  rein  und  gut  aus.  Wir  erfuhren,  dass  die 
grösseren  Besitzer  hier  höchstens  70  Acker,  kleinere  10—30  Acker  Rüben 
bauen.  Die  Rübenfelder,  die  wir  darauf  besahen,  standen,  abgesehen  von 
Fehlstellen  auf  Neuland,  wo  zu  spät  gesät  worden  war,  recht  gut,  besser 
als  im  Chinothal  und  an  irgend  einem  anderen  Platz  in  Amerika,  den  ich 
besucht  habe.    Hier  sollen  10000  Acker  guter  Rübenboden  vorhanden  sein. 

Wir  versuchten  darauf  Farmer  in  ihren  Wohnungen  zu  sprechen, 
hatten  damit  aber  kein  Glück,  weil  dieselben  angeblich  auf  dem 
Felde  waren.  Doch  täuschte  uns  unser  Scharfsinn  nicht,  als  wir  in 
der  Hoffnung  dort  die  gewünschte  Auskunft  zu  erhalten  in  ein  Bier- 
lokal oder  richtiger  eine  sog.  har  eintraten ,  in  der  ein  zahlreiches 
ländliches  Publicum  versammelt  war.  Bald  waren  Herr  SchöUer  und 
Herr  Frentzel  im  eifrigen  Gespräch  mit  einem  Herrn,  welcher  sich  als 
Rechtsanwalt  und  einer  der  Directoren  der  neu  zu  gründenden  Zucker- 
fabrik vorstellte  und  sich  gern  nach  Landessitte  zu  einem  Trunk  einladen 
liess.  Auch  der  Wirth,  der  wie  üblich  uns  unentgeltlich  das  erbetene 
Vesperbrod  reichte,  —  denn  in  Californien  ist  die  Sitte  noch  verbreiteter 
als  im  Osten,  dass  in  solchen  Localen  nur  das  Getränk,  und  nicht  der 
Imbiss  bezahlt  wird  —  und  andere  anwesende  Gäste  nahmen  eifrig  an 
der  Conversation  Theil. 

Wir  erfuhren,  dass  sich  eine  Gesellschaft  mit  7  Directoren 
zu  denen  auch  Herr  Gird  gehört,  gebildet  habe.  Die  Mitglieder 
dieser  Gesellschaft  besässen  schuldenfrei  3000  Acker  Land,  auf  welches 
man  400  000  Doli,  leihen  wolle,  um  die  Fabrik  zu  bauen,  100  000  Doli, 
welche  ausserdem  nöthig  seien ,  sollten  andersweit  beschafft  werden, 
man  hoffte,  die  Maschinenfabrik  würde  sie  hergeben.  Man  habe  be- 
reits mit  einer  deutschen  Fabrik  unterhandelt  und  mit  der  Maschinen- 
fabrik von  Dyer  in  Cleveland,  welche  sich  erboten  habe  für  365000  Doli, 
eine  Fabrik  für  6000  Ctr.  tägliche  Verarbeitung  complet  für  die  Arbeit 
auf  granulated  fertig  zu  stellen.  Man  rechne  ferner  auf  ein  Versprechen, 
welches  ein  Herr  Kjelgarn  als  Repräsentant  von  Capitalisten  aus  New- York 
gegeben  habe,  das  Geld  zu  beschaffen.  Der  Grund,  warum  man  eine 
eigene  Fabrik  in  Anaheim  bauen  wolle,  liege  in  der  hohen  Fracht  nach 
Chino,  0,85  Doli,  für  die  Tonne,  „die  wollen  wir  selber  verdienen", 
sagten  mehrere  Stimmen  in  englischer  Sprache  gleichzeitig.  Während 
diese  Scene,  bei  der  ich  mich  passiv  verhielt,  und  Herr  Schöller  das  Wort 
führte,  sich  mit  südlicher  Lebendigkeit  im  Vordergrunde  abwickelte, 
ertönte  hinter  mir  plötzlich  in  deutscher  Sprache  eine  Stimme:  „Mein 
Name  ist "    Ich  bin  Deutscher,    wir   können   laut  sprechen,    von 


21 

denen  versteht  uns  keiner.  Ich  wollte  Ihnen  nur  sagen,  dass  aus  dem 
ganzen  Project  nun  und  nimmer  etwas  wird,  keiner  von  den  Betheiligten 
hat  das  nöthige  Geld,  Sie  kriegen  es  auch  nicht  zusammen.  Die  Leute 
hier  verdienen  das  Geld  überhaupt  viel  zu  bequem,  als  dass  sie  sich  auf 
die  Dauer  mit  dem  mühsamen  Eübenbau  abgeben  würden.  Sie  haben 
so  schwere  Arbeit  nicht  nöthig.  Hier  in  Californien,  wo  man  für  den 
täglichen  Unterhalt  auf  dem  Lande  wenig  Geld  braucht,  da  alles  gut 
wächst,  will  jeder  leichte  Arbeit.  Die  Bebenkrankheit,  es  ist  wahr,  hat 
uns  vielen  Schaden  gethan,  aber  sie  ist  überstanden,  unsere  Weine  haben 
ihren  alten  guten  Ruf  behalten,  deshalb  haben  viele  letzthin  den  Wein- 
bau wieder  aufgenommen  und  stehen  sich  besser  als  beim  Rübenbau." 
Bis  jetzt  scheint  der  Mann  in  sofern  recht  behalten,  als  keine  weiteren 
Nachrichten  eingetroffen  sind,  dass  das  Project  in  Anaheim  von  der  Stelle 
gekommen  sei. 

Sehr  befriedigt  von  dem  Resultat  dieser  ganz  auf  eigene  Faust 
unternommenen  Expedition  kehrten  wir  nach  Los  Angeles  zurück, 
wo  wir  uns  trennten,  um  erst  in  Grand  Island  in  Nebraska  wieder  zu- 
sammenzustossen. 

San  Francisco. 

In  San  Francisco  stieg  ich  in  dem  schönen,  zweckmässig  einge- 
richteten Palace  Hotel  ab.  Es  würde  mich  aber  zu  weit  führen,  wenn 
ich  dieses  beste  Gasthaus,  in  welchem  ich  je  gewohnt  habe,  sowie  die 
bergige  Stadt  mit  ihren  Kabelbahnen,  dem  Chinesenviertel,  dem  Hafen 
und  der  herrlichen  Scenerie  am  goldenen  Thor,  wo  das  Ufer  ein  bunt- 
blühender Garten  ist,  und  auf  den  Klippen  unter  den  Augen  des  Be- 
schauers die  Seehunde  sich  tummeln  näher  beschreiben  wollte.  Ich  war 
früh  angekommen  und  begab  mich  erst  zum  deutschen  Consul  Rosenthal, 
an  den  ich  amtlich  empfohlen  war  und  der  mir  bereitwillig  eine  Ein- 
führung an  Herrn  Claus  Spreckels  ausstellte.  Von  der  californischen 
Rübenzuckerindustrie  hatte  er  keine  günstige  Meinung.  Wenn  die  Sache 
so  gut  sei,  wie  die  Leute  sagen,  meinte  er,  warum  bauen  sie  nicht  mehr 
neue  Fabriken.  Ich  wies  darauf  hin,  dass  der  Finanzminister  der  Ver- 
einigten Staaten  die  Production  für  1893/94  nach  dem  damals  ausge- 
kommenen Voranschlag  auf  42  Mill.  Pfund  Zucker  für  Californien  schätze, 
nämlich  18  Mill.  für  Chino,  4  Mill.  für  Alvarado,  20  Mill.  für  Watsonville, 
was  doch  schon  ein  recht  bedeutendes  Quantum  vorstelle.  Der  Consul 
belehrte  mich,  dass  diese  Zahlen  lediglich  auf  Angaben  der  Interessenten 
beruhen,  welche  regelmässig  viel  zu  hoch  greifen,  um  sicher  zu  sein, 
dass  auch  eine  genügende  Summe  für  die  Prämie  in  dem  Etat  eingestellt 
würde,  es  sei  aber  nicht  daran  zu  denken  und  es  habe  sich  auch  in  den 
Vorjahren  gezeigt,  dass  diese  Schätzung  niemals  in  Wirklichkeit  erreicht 
werde.     Eine  Vermehrung  der  Production    stände    in  nächster  Zeit  nicht 


22 

in  Aussicht,  es  würde  also'  bei  etwas  mehr  als  der  Hälfte  von  den  ge- 
schätzten 42  Mill.  Pfund  bleiben.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  ermahnte  mich 
der  Consul  Zahlen,  die  mir  in  Amerika  und  speziell  in  Californien  von  In- 
teressenten geboten  wurden,  sehr  kritisch  zu  betrachten,  da  leider  die 
Unsitte  eingerissen  sei,  ins  Ungemesseue  zu  übertreiben.  Ich  dankte  dem 
Consul  für  diesen  guten  Rath,  den  ich  mich  bemüht  habe  zu  beherzigen 
und  begab  mich  aldann  nach  dem  in  der  Hauptstrasse  gelegenen  Comtoir 
der  Zuckerraffinerie,  um  den 

Besuch  bei  Herrn  Spreckels  und  Herrn  Oxnard 

am  13.  August 

auszuführen. 

In  dem  Zimmer,  in  welchem  Herr  Claus  Spreckels  seine  Geschäfte 
wahrnimmt,  hat  auch  Herr  Robert  Oxnard,  der  zweite  Director  des  Unter- 
nehmens, seinen  Schreibtisch.  Beide  Herren  waren  anwesend,  Herr 
Oxnard,  sehr  jung  und  elegant,  hat  nichts  amerikanisches  in  Wesen  und 
Manieren,  sondern  man  würde  ihn  eher  für  einen  Franzosen  halten,  um 
so  mehr,  da  ihm  das  Französische,  was  in  Amerika  bei  Geschäftsleuten 
nicht  eben  häufig,  sehr  geläufig  ist,  während  er  hingegen  deutsch  gar 
nicht  versteht.  Herr  Claus  Spreckels  hingegen  ist  vierschrötig  von  Figur, 
das  Auge  fest  und  klar,  dabei  zeigt  das  Wesen  des  alten  Herrn  die 
Frische  der  Jugend.  „Setzen  Sie  doch  Ihren  Hut  auf",  sagte  er  zu  mir 
auf  deutsch,  „sonst  muss  ich  meinen  auch  abnehmen  und  das  thut  man 
in  Amerika  nicht  gern,  wie  Sie  wohl  schon  wissen."  Nachdem  ich  ihm 
kurz  Zweck  und  bisherige  Erlebnisse  meiner  Reise  erzählt,  fragte  ich  ihn 
in  der  Manier  eines  amerikanischen  Reporters,  was  er  über  die  Zukunft 
der  californischen  Rübenzuckerindustrie  denke.  Seine  Antwort  war  kurz 
und  bündig.  „Ich  glaube  nicht  an  eine  rasche  Entwickelung  der  Rüben- 
zuckerindustrie in  Californien,  weil  die  ganze  Instandsetzung  derselben 
zu  theuer,  hier  im  Lande  ist  dafür  kein  Kapital  vorhanden.  Ich  z.  B. 
habe  eine  besondere  Bahn  in  Watsonville  bauen  müssen,  welche  die 
Anlage  sehr  vertheuert."  Das  Gespräch  kam  dann  auf  die  Arbeiter- 
frage. Claus  Spreckels  erzählte  mir,  dass  er  die  Arbeit  des  Verziehens 
dadurch  zu  verringern  bemüht  sei,  dass  in  jedes  Loch  nur  ein  Samen- 
korn ausgelegt  werde,  was  man  bei  gutem  Samen  wagen  dürfe.  Auch 
sonst  bemühe  man  sich,  möglichst  billig  zu  arbeiten,  selbstverständlich 
ohne  Knochenkohle.  Hier  begann  er  englisch  zu  sprechen  und  erzählte 
seinen  beiden  hinzugekommenen  Söhnen  und  Herrn  Oxnard  lachend,  dass 
es  merkwürdigerweise  in  Deutschland  noch  eine  ganze  Anzahl  Rohzucker- 
fabriken gebe,  die  mit  der  theuren  Knochenkohle  arbeiten,  was  die  Zu- 
hörer gleichfalls  zur  Heiterkeit  veranlasste. 

Auf  meine  Bitte    stattete    mich  Herr  Claus    Spreckels    darauf   mit 


23 

Empfehlungen  an  seine  eigene  Fabrik  in  Watsonville  und  die  Alamede- 
Gesellschaft  in  Alvarado  aus,  ebenso  sagte  er  mir  zu,  dass  ich  an  einem 
der  folgenden  Tage  die  Eaffinerie  in  S.  Francisco  besichtigen  könne. 
Auf  das  angeschlagene  Thema,  betreffend  die  Aussichten  der  Rübenzucker- 
industrie kam  er  aber  bei  diesem  und  auch  bei  einem  späteren  kurzen 
Gespräch  nicht  mehr  zurück.  Viel  eingehender  als  mit  ihm  hatte 
ich  Gelegenheit,  mich  mit  seinem  Compagnon  Herrn  Robert  Oxnard  zu 
unterhalten.  Derselbe  hatte  die  Freundlichkeit,  mich  für  die  Dauer 
meines  Aufenthalts  in  S.  Francisco  im  Union-  Paciflc-Club  einzuführen, 
in  welchem  er  und  Claus  Spreckels  nach  amerikanischer  Sitte  um  12  Uhr 
zu  frühstücken  pflegen.  Herr  Oxnard  hegt  kurz  gesagt  günstige  Er- 
v(^artungen  bezüglich  der  zukünftigen  Entwickelung  der  Rübenzucker- 
industrie in  Californien,  nicht  aber,  oder  doch  lange  nicht  im  selben 
Maasse,  in  Bezug  auf  Nebraska.  Ausserdem  unterhielten  wir  uns  ein- 
gehend über  die  amerikanische  Raffineriearbeit,  worauf  ich  an  geeigneter 
Stelle  zurück  komme. 

Besuch  von  Alvarado  am  17.  August. 

Die  Zuckerfabrik  Alvarado  ist  von  San  Francisco  in  knapp  Vj^  Stunden 
zu  erreichen,  man  setzt  zunächst  mit  dem  Pährboot  über  die  Bay  von 
San  Francisco  nach  Oakland  über,  fährt  dann  durch  die  liebliche  Garten- 
stadt Alameda,  in  welcher  die  reichen  Geschäftsleute  von  San  Francisco 
ihre  Sommerwohnungen  haben,  dann  durch  bald  fruchtbare  Gründe,  bald 
bergige  Gefilde  bis  Alvarado. 

Hier  war  ich  auf's  angenehmste  überrascht  in  dem  Director  Herrn 
Burr  einen  hochgebildeten  Chemiker  kennen  zu  lernen,  einen  Schüler 
von  Liebig,  Altersgenossen  von  Wichelhaus  und  Wislicenus  und  Freund 
des  heimgegangenen  unvergesslichen  A.  W.  Hofmann.  Herr  Burr  hat 
viele  Jahre  lang  die  Stelle  eines  technischen  Directors  in  einer^  Raffinerie 
des  Herrn  Claus  Spreckels  eingenommen,  bis  dieselbe  mit  der  Bildung  des 
Trust's  den  Betrieb  einstellte. 

Die  Fabrik  in  Alvarado  hat,  wie  eingangs  erwähnt,  bereits  eine 
Geschichte,  sie  ist  1870  gebaut,  machte  1874  zum  ersten  Mal  bankerott, 
die  Maschinen  wurden  nach  der  Umgegend  von  Santa  Cruz  verkauft. 
1875  kaufte  man  dafür  die  Einrichtung  der  gleichfalls  in  der  Zwischen- 
zeit gegründeten  und  bankerott  gegangenen  Fabrik  in  dem  nahen  Sacra- 
mento  für  40000  Dollar  und  die  Fabrik  war  nun  bis  1887  thätig,  wo 
die  Gesellschaft  wieder  betriebsunfähig  wurde.  Seit  drei  Jahren  ist  sie 
in  Folge  der  Mac  Kinley- Bill  von  einer  neuen  Gesellschaft,  die  die 
alten  Einrichtungen  billig  gekauft  hat,  der  Alameda  Co.  unter  Director 
Burr  wieder  in  Thätigkeit.  Die  Fabrik  hatte  bei  der  Reorganisation 
der  Gesellschaft  1889  eine  Betriebsfähigkeit  von   nur   1800  Centner,   ist 


24 

aber   mit  Aufwendung  geringer  Mittel  durch  zweckmässige  Aenderungen 
vom  jetzigen  Director  auf  4000  Centner  gebracht  worden. 

Die  Fabrik  hat  grosse  Schwierigkeiten  gute  Rüben  zu  erhalten,  da 
sie  kein  eigenes  Land  besitzt  und  bezüglich  der  Kaufrüben  der  eigen- 
sinnigen Landbevölkerung  keine  Vorschriften  machen  kann.  So  wie  der 
Preis  der  Kartoffeln  auf  2  Cent  das  Pfund  steigt,  lassen  manche  den 
Rübenbau  im  Stich.  Gute  Rüben  kommen  aus  der  Nähe  von  San  Jose, 
wo  bei  ungeheuerer  Grösse  und  5  —  6  Kilo  Gewicht  der  Zuckergehalt 
gross,  der  Salzgehalt  gering  ist;  aus  der  Nähe  von  Alvarado  geht  viel 
schlechteres  Material  in  die  Fabrik.  Die  Rübencultur  wird  hier  von 
Farmern  portugiesischer  Abstammung  mit  sehr  wenig  Verständniss  be- 
trieben. Früher  haben  sie  Chinesen  zur  Rübenarbeit  benutzt,  die 
dieselbe  gegen  festen  Contract  übernahmen,  nun  aber  zu  dieser  Arbeit 
nicht  mehr  zu  bewegen  sind,  weil  sie  sich  von  den  Portugiesen  für 
übervortheilt  halten.  Meist  waren  die  Rüben,  die  ich  auf  unserer  Rund- 
fahrt sah,  schlecht  im  Stande,  schlecht  verzogen  und  nicht  gehackt,  gut 
waren  nur  10  Acker,  welche  eine  Familie  allein  besorgte.  Der  Boden 
ist  dem  von  Chino  ähnlich,  doch  viel  tiefgründiger  und  härter,  deshalb 
wäre  Hacken  hier  dringend  nöthig.  Zuweilen  ist  er  „alkalireich*^,  das 
heisst  stark  salz-  und  magnesiahaltig,  was  hier  zu  Riesenrüben  führt. 
Ungünstig  ist,  dass  im  Frühjahr  regelmässig  üeberschwemmungen  der 
Rübenfelder  statt  haben,  die  die  Cultur  verzögern.  Die  Randrüben  sind 
meist  colossal  entwickelt  und  schlecht,  weil  sie  mehr  Salz  in  der  Erde 
zur  Verfügung  haben  als  die  aus  der  Mitte  des  Feldes,  doch  nimmt  erstere 
Rüben  die  Fabrik  neuerdings  falls  sie  unter  12  7o  Zucker  haben  nicht 
ab.  Die  Saatzeit  sucht  man  so  zeitig  wie  möglich  zu  nehmen,  wegen  der 
Nässe  ist  es  aber  oft  nicht  möglich  vor  Mai  den  Samen  unterzubringen, 
dann  kommen  aber  oft,  wenn  auch  vielleicht  nicht  ganz  so  schlimm  als 
in  Nebraska,  trockene  Winde,  die  alles,  Samen,  Pflanzen  und  Erde, 
davon  tragen.  Darauf  folgt  ähnlich  wie  in  Chino  eine  Trockenperiode, 
in  der  so  gut  wie  kein  Regen  fällt  bis  zum  November.  In  der  Nähe 
der  Fabrik  hatte  Herr  Burr  ein  Versuchsfeld  zur  Prüfung  verschiedener 
Samensorten  angelegt;  die  Klein-Wanzleber  Rübe  war  hier  nicht  so  gut 
entwickelt  als  eine  rothe,  der  Dippe'schen  ähnliche,  von  französischem 
Samen,  dessen  Ursprung  man  mir  nicht  angeben  konnte,  augenscheinlich 
war  es  eine  Nachzucht  der  rothen  Vilmorinrübe.  Auffallend  ist  in  diesem 
Theil  Californiens  im  Vergleich  zum  Süden,  dass  alle  Felder  mit  Rück- 
sicht auf  die  kostbaren  Obstplantagen  mit  starken  Bretterzäunen  ein- 
gefasst  sind.  Unter  den  Obstbäumen  werden  übrigens  auf  Claus  Spreckels 
Rath  von  einigen  Farmern  auch  Rüben  gebaut,  ein  Verfahren,  was  weder 
zu  zuckerreichen  Rüben  führen,  noch  den  Obst-,  hier  zumeist  Pfirsich- 
bäumen sonderlich  zuträglich  sein  dürfte. 


25 

Gutes  Rübenland  ist  in  der  Umgegend  von  Aivarado  reichlich 
vorhanden,  weniger  aber  die  Neigung  Rüben  zu  bauen.  Einer  der  reichsten 
Besitzer  zum  Beispiel  behauptet  noch  immer,  dass  Rüben  das  Land  ver- 
dorben und  bleibt  beim  Weizenbau. 

Die  Fabrik  machte  auf  mich  einen  curiosen  Eindruck,  da  die  Gebäude 
ganz  aus  Holz  sind,  selbst  das  Kesselhaus,  es  ist  zum  Verwundern,  dass 
besonders  das  letztere  noch  nicht  abgebrannt  ist. 

Die  Rüben  lagern  in  einem  mächtigen  Schuppen  durch  welche  die 
Schwemme  hindurchgeht.  Sie  halten  sich  hier  an  der  Luft  sehr 
lange  ohne  zu  faulen,  sie  trocknen  nur  ein,  wie  die  todten  Thiere  in 
Arizona.  Es  waren  sogar  noch  einige  Rüben  aus  der  vergangenen 
Campagne  eingetrocknet,  aber  sonst  noch  gut  erhalten  vorhanden.  Welch' 
ein  Ort,  um  Versuche  betreffs  des  Sauerstoffbedürfnisses  der  Rübe  für  die 
Athmung  anzustellen!  An  ein  Einmieten  der  Rüben  könnte  hier  wegen 
der  Schwierigkeit  der  Bedeckung  in  dem  warmen  Klima  nicht  gedacht 
werden.  In  der  Rübenschwemme  wird  das  Wasser  mehrfach  wieder  be- 
nutzt. Die  Fabrik  hat  übrigens  einen  Abwasserprocess  mit  den  Nachbarn, 
weil  angeblich  die  Obstbäume  beim  Bewässern  aus  den  verunreinigten 
Bachläufen  leiden  sollen,  bis  jetzt  hat  sich  aber  die  Fabrik  der  Verurtheilung 
dadurch  entziehen  können,  dass  sie  sich  gutwillig  gezeigt  hat  und 
Reinigungsversuche  macht.  Natürlich  sind  auch  hier,  wie  überall  in 
amerikanischen  Fabriken  die  mechanischen  Transportvorrichtungen  sehr 
gut  durchgeführt,  um  die  theure  Handarbeit  zu  sparen.  Der  Lohn  beträgt 
durchschnittlich  2  Doli,  für  den  Mann,  die  Unkosten  früher  12  jetzt 
9  Doli,  per  Tonne  Rüben.  Die  Tonne  Kohlen  kostet  9,50  Doli.,  während 
sie  in  Chino  rechnen,  dass  sie  mit  dem  Rohöl  den  Heizeffect  einer  Tonne 
Kohlen  für  9  Doli,  erzielen,  also  mit  dem  Brennmaterial  etwas  billiger 
wegkommen.  Die  aus  Sacramento  übernommene  alte  Diffusionsbatterie 
ist  von  der  Braunschweigischen  Maschinenbauanstalt  gebaut,  uralt  sind 
auch  die  Filterpressen,  Vor-Dehne'sche  ohne  „automatischen  Fall"  noch 
mit  Blechunterlage.  Die  Scheidepfannen  sind  rund  und  klein,  nicht  so 
ungewöhnlich  in  die  Höhe  getrieben  wie  z.  B.  in  Norfolk.  Mit  schwefliger 
Säure  wird  saturirt,  aber  ziemlich  kalt,  Knochenkohle  wird  nicht  gebraucht. 
Die  Verdampfung  geschieht  in  einem  Quadrupleeffet  von  liegenden 
Apparaten,  das  Vacuum  ist  wie  in  den  amerikanischen  Raffinerien  mit 
ausserordentlicher  Heizfläche  und  sehr  kräftiger  Pumpe  ausgestattet.  Die 
Fabrik  arbeitet  nur  auf  weissen  Zucker,  da  sie  mit  dem  Trust  keine 
Verbindung  hat  und  deshalb  den  Rohzucker  nicht  verkaufen  kann.  Wie  fast 
überall  in  Amerika,  steht  die  offene  trogartige  Sudmaische  direct  unter 
dem  Vacuum  und  über  den  Centrifugen.  Man  erzeugte  ein  feines  un- 
regelmässiges Korn,  da  gröberes,  ebenso  wie  gleichmässig  abgesiebtes, 
oder   gar   gemahlenes    ganz    und    gar    unverkäuflich  sei.      Das   Abdecken 


26 

geschieht  in  kleinen  Centrifugen  zunächst  mit  einer  Dicksaftdecke  (das 
Verfahren  Drost  und  Schultz  war  dem  Director  auch  dem  Namen  nach 
unbekannt)  darauf  mit  fein  zerstäubtem  Wasser.  Das  zweite  Product, 
welches  noch  ungeschleudert  ganz  wie  bei  uns  zu  Lande  zur  Zeit  meines 
Besuches  unter  Steuerverschluss  lagerte,  wird  in  den  Saft  wieder  ein- 
geworfen, da  wie  erwähnt  kein  directer  Markt  dafür  vorhanden  ist. 
Interessant  war  es  mir  zu  hören,  dass  der  Director  auf  Veranlassung 
seines  Aufsichtsrathes  sich  zu  Versuchen  mit  der  Magnesiascheidung  hatte 
verstehen  müssen ,  weil  ein  ehemaliger  deutscher  Zuckerfabrikdirector  in 
Aussicht  gestellt  hatte,  den  Quotienten  durch  Behandlung  des  Saftes  mit 
V2  %  Magnesia,  schwefliger  Säure  und  nachfolgender  Kalkscheidung  von 
80  auf  95  zu  erhöhen!  ! !  Das  war  weder  hier  noch  in  Watsonville,  wo 
Claus  Spreckels  ähnliche  Versuche  unternommen  hatte,  geglückt  und  zur 
Zeit  meiner  Besuche  wurden  auf  den  Sandwichinseln  Versuche  gemacht, 
um  die  Magnesiascheidung  in  der  Rohrzuckerfabrikation  einzuführen! 

Im  Laboratorium  befand  sich  eine  Suckow'sche  Mühle  und  alle 
Einrichtungen  zu  den  Methoden  der  directen  Zuckerbestimmung  in  der 
Rübe,  man  merkte  eben  den  Einfluss  des  Schülers  Liebigs.  DerLaurent'sche 
Polarisationsapparat  hat  bereits  seit  Jahrzehnten  die  Spiegelbeleuchtung 
von  der  Lampe  aus,  welche  Schmidt  und  Hänsch  in  neuester  Zeit  an  ihren 
Instrumenten  anbringen. 

Burr  beurtheilte  die  Lage  der  californischen  Zuckerindustrie  recht 
nüchtern,  es  sei  noch  sehr  viel  zu  thun,  bevor  es  zu  einer  raschen  Ent- 
wickelung  kommen  könne,  und  die  Unsicherheit  der  Erhaltung  der  Prämie, 
mit  der  selbstverständlich  die  ganze  Industrie  stehe  und  falle,  wirke 
lähmend  auf  den  Unternehmungsgeist.  Unmöglich  sei  eine  rasche  Ent- 
wickelung  in  Californien  zwar  nicht,  aber  er  glaube  nicht  daran,  noch 
weniger  aber  halte  er  eine  solche  in  Nebraska  für  wahrscheinlich,  weil 
dort  die  klimatischen  Verhältnisse  für  den  Rübenbau  weit  ungünstiger 
seien,  als  in  Californien. 

Herr  Burr  sandte  mir  später  freundlichst  zur  Veröffentlichung 
statistische  Angaben  über  die  Zuckerfabrik  in  Alvarado  in  den  Jahren 
1889,  1890,  1891,  1892  und  Schätzungen  für  1893,  welche  ich  hier 
folgen  lasse. 

Zuckerfabrik  in  Alvarado: 

Vermuthl. 

1889  1890  1891            1892           1893 

Mit  Rüben  bepflanzte  Fläche  Acker')   959  1320  949           1376              — 

Rüben,  geerntet,  in  Tons^) 9224  13298  10941         1.50003)  15090 

Tons  per  Acker 9,6  10,1  11,5            11,0^)         — 

Zucker  in  den  Rüben ,  .     14  %')    14,3  ^»)   12      %^)    12,68^*)  12,53$ 

gegenwärt,  am  23.  Augast 

»)  1  Acker  -=  0,4  ha.  ')  Xon  =  906  kg.  »)  bedeutet  geschätzt.  ^)  aus  Saft-, 
Polarisation  mal  0,95  %.    ^)   Alcoholpolarisation, 


27 


1889 

Saft-Quotient 81,8 

Kohlenverbrauch  auf  dieTonne  Rüben  29,33  % 
Kalkstein  auf  die  Tonne  Rüben.  .  .  10  % 
Coke  „     „        „  „      •  .  •       1,29^ 

Kosten  der  Kohle  auf  die  Tonne  Rüben  $  1,967 

Kalkstein  und  Coke . $  0,474 

Andere  Hilfsmittel S  0,373 

Lohn«) S  3,013') 

Andere  Ausgaben  s) $0,744 

Rüben  per  Tonne $  4,541 


1890 

1891 

1892         1893 

87,8 

80,0 

81,5       80,8 

27,06^ 

18,9  % 

17,5  %    16,16^ 

9      % 

8,7  % 

6,9   %     6,65^ 

0,80^ 

Ub% 

0,74  %     0,85  % 

gegenwärt,  am  23.August 

$2,191 

^ 

$  0,287 

$2,304 

$  0,488 

[  $4,503)  $4,322«) 

$2,112') 

$1,486') 

$0,956 

$  1,003  j 

$4,501 

$  5,006 

$5,00 

Gesammtkosten  $11,112    $10,535      $9,799       $9,50     $9,322^) 

Ausbeute  an  reinem  Zucker  nach  1000     9,45%»)     10,55  ^9)      8,14^^)       9,00^     8,38^^-'') 
Kosten  auf  das  Pfund $0,0587^  $  0,05       $  0,0561     $0^777 

am  23.  Aagnst 

Verkaufspreis $0,0625    $0,05375  $0,0684'«)  $0,07625'°) 

am  23.  August 

Kosten  der  Kohlen  gewöhnlich  .    7—8  Doli,   die  schwere  Tonne  von  2240  Pfd.  engl. 
1893:    6,50  Doli. 

englischer  Coke 12—16  Dollar  die  schwere  Tonne. 

Kalkstein    2,50-3  Doli,  die  leichte  Tonne  von  2000  Pfd. 

Gewöhnlicher  Lohnsatz  für 

Tagearbeiten 35  cent  die  Stunde. 

Zimmerleute 3,50 — 4  Dollar  für  Sstündigen  Arbeitstag. 

Zucker  in  den  Rüben  (Alkoholpolarisation)  1892: 
September  12.68;  October  12,45;  13,55;  12,81;  12,30;  im  Campagnedurchschnitt  12,53. 

Bei  Betrachtung  dieser  Angaben  sieht  man,  dass  die  Fabrik  in  Folge 
der  Prämie  in  letzter  Zeit  nicht  unbedeutende  üeberschüsse  eingeheimst 
hat,  dass  aber  ohne  diese  Prämie  der  Gewinn  nur  ein  minimaler  wäre. 
Mit  der  gegenwärtigen  Prämie  kann  die  Fabrik  demnach  sehr  gut  aus- 
kommen, ohne  jegliche  würde  sie  vermuthlich  alsbald  zum  dritten  Mal 
die  Arbeit  einstellen  müssen. 


Besuch  von  Watsonville  am  18.  August  1893. 

Von  Alvarado  fuhr  ich  nach  Santa-Cruz,  einem  herrlich  am  stillen 
Ocean  gelegenen  Seebad,  in  welchem  ich  die  Nacht  verbrachte.  Auf  der 
Reise  dahin,  welche  durch  üppig  bewaldete  Berge  und  Thäler  führte, 
passirte  ich  auch  die  Station  „big  tree's",  so  benannt  nach  den 
Baumriesen  von  Rothholz,  welche  sie  umgeben  und  von  denen  einer 
300  Fuss   hoch   ist   und    60  Fuss    Durchmesser    hat,    die   aber   nicht   zu 


*)  Kosten  auf  das  Jahr.  ')  Schliesst  die  Kosten  von  Aenderungen  in  der  Fabrik 
im  Laufe  des  Jahres  ein.  ^)  Schliesst  Verpackung,  Versicherung,  Steuern  und  alle 
anderen  Ausgaben  ein.  ^)  Schliesst  das  3.  Product  des  Jahres  nicht  ein.  Im  Jahre 
1891  wurde  ein  grosser  Theil  des  3.  Products  der  2- Cent-Prämie  noch  nicht  theilhaftig. 
?°)  Inclusive  der  Prämie  von  2  Cent  auf  das  Pfund. 


28 

verwechseln  sind  mit  den  bekannten  Mammuthbäumen.  Störend  wirkt 
auf  den  Europäer  auch  hier  ein,  dass  der  herrliche  Wald  vielfach 
durch  Feuer  zerstört  ist.  Watsonville  selbst,  welches  ich  am  folgen- 
den Tage  in  der  Frühe  erreichte,  ist,  wie  so  viele  californische 
Orte,  ein  grosser  Obstgarten.  Ein  gleichmässiges  und  dabei  nicht 
verweichlichendes  Clima  begünstigt  hier  das  Pflanzenwachsthum ,  wie 
selbst  kaum  an  anderen  Plätzen  Californiens.  Der  Temperaturunter- 
schied zwischen  dem  wärmsten  und  kältesten  Tage  (13,5  bezw.  18  "^  C.) 
beträgt  nur  5V2  °  C.  Die  besten  Aepfel  in  der  Union  wachsen  hier,  ferner 
Pflaumen,  Oliven,  Kirschen,  Pfirsiche,  Tafeltrauben,  die  am  spätesten  auf 
den  Markt  in  S.  Francisco  kommen,  Apricosen,  Erdbeeren,  Himbeeren 
und  alle  denkbaren  anderen  Früchte  sind  in  Unmengen  vorhanden.  Aber 
auf  dem  Gebiet  des  Obstbaues  herrschte  gegenwärtig  Ueberproduction. 
Ungefähr  V4  des  Obstes  soll  keinen  Markt  gefunden  haben,  und  manche 
deshalb  die  Kosten  gescheut  haben,  es  vom  Baume  zu  holen,  demgemäss 
sind  auch  die  zahlreichen  Kostenberechnungen  über  den  Obstbau,  bei  denen 
jedesmal  ein  enormer  Gewinn  herausgerechnet  wird,  misstrauisch  zu  be- 
trachten,   selbst  wenn  sie  in  officiellen  Publicationen  dargeboten  werden. 

In  Watsonville  befindet  sich  eine  bedeutende  Obstbaumschule,  welche 
1866  mit  zum  Theil  aus  Frankreich  direct  bezogenem  Stammmaterial 
gegründet  wurde;  bemerkenswerth  ist,  dass  viele  Obstarten  insbesondere 
auch  die  kleineren  Früchte,  wie  Erdbeeren,  Himbeeren  und  ähnliche  hier 
ohne  Kieselung  gezogen  werden. 

Die  Rübenculturverhältnisse  sind  denen  in  Alvarado  ziemlich  ähnlich, 
vielleicht  etwas  besser,  da  das  Ansehen,  welches  Claus  Spreckels  geniesst, 
manchen  zum  Rübenbau  veranlassen  mag.  Doch  erhalten  auch  hier  die 
freien  Bauern,  welche  zumeist  nicht  mehr  als  50 — 60  Acker  besitzen,  von 
der  Fabrik  keine  beschränkenden  Vorschriften,  sie  bauen  gleichfalls  rothe 
französische  Sorten.  Der  Boden,  welchen  ich  sah,  war  tiefgründiger 
schwarzer  Schlemmboden,  zum  Theil  stark  klumpend,  demgemäss  waren 
auch  einige  sehr  schlechte,  lückenhafte  und  unregelmässig  reifende  Breiten 
vorhanden.  Die  Pflanzzeit  erstreckt  sich  hier  ähnlich  wie  in  Chino  sehr 
lange  hin,  vom  Februar  bis  1.  Juni,  die  Campagne  beginnt  später  als  in 
Chino,  am  1.  September,  da  die  nördlichere  Lage  und  der  Ein- 
fluss  des  nahen  Meeres  die  Reife  verzögert.  Die  später  gepflanzten  Rüben 
werden  in  der  Regel  auch  später  verarbeitet,  auch  hier  fällt  8  Monate 
so  gut  wie  kein  Regen.  Man  baut,  wie  schon  erwähnt,  die  Rüben  auch 
zwischen  Obstbäumen  und  spart  an  Saat  durch  Einbringen  nur  eines 
Knäuels  in  jedes  Saatbeet.  Man  versuchte  auch  die  Schnitzel  als 
Futter  zu  verwerthen,  doch  sieht  es  wie  in  ganz  Californien  misslich  genug 
damit  aus,  da  das  Land  eben  zur  Stallviehwirthschaft  noch  nicht  reif,  und 
ein  fetter  wohlschmeckender  Ochse  vom  Weideland  nur  60  Doli,  werth  ist. 


29 

Die  Fabrik  hat  ein  ungeheueres  hoch  eingezäuntes  Terrain  inne, 
an  den  Eingängen  ist  gross  angeschrieben:  „Unter  keinen  Umständen  ist 
der  Eintritt  gestattet,  fragen  Sie  nicht  erst  darnach." 

Mit  meinem  Schreiben  des  Herrn  Claus  Spreckels  durchschritt  ich 
trotzdem  den  weiten  Hofraum,  in  welchem  Stendal,  Culmsee  und 
Opalinitza  zusammen  untergebracht  werden  könnten,  und  begab  mich  zu 
dem  Director,  einem  alten  Raffineriepractiker,  der  die  Fabrik  mit  zahl- 
reichen trefflich  durchdachten  mechanischen  Transportvorrichtungen  ver- 
sehen hat.  Zunächst  fallen  drei  ungeheuere  Rübenschuppen,  in  welchen 
die  Schwemmrinnen  laufen,  in  die  Augen,  welche  so  sehr  lang  angelegt 
sind  „um  Arbeit  zu  sparen",  drei  artesische  Brunnen  liefern  das  Betriebs- 
wasser. Man  baute  gerade  ein  kleines  Hubrad,  mit  welchem  Blätter 
und  Wurzeln  abgefangen  werden  sollen.  Die  Maschinen  der  Fabrik  sind 
fast  ausschliesslich  von  der  Fabrik  in  Grevenbroich  gebaut,  es  findet  sich 
die  bei  uns  übliche  Kammern  wasche,  zwei  Diffusions- Batterien  von  je 
zwölf  kleinen  Gefässen  von  vielleicht  25—30  Hectoliter  Inhalt,  auch 
2  Quadrupleeffets,  selbst  eine  doppelte  Ausrüstung  von  Vacua's.  Betreffs 
des  Betriebes  ist  bemerkenswerth,  dass  keine  schweflig  Säure -Saturation 
vorgenommen  wird,  „da  die  schlimmen  Folgen  desselben  gefürchtet 
werden".  Auffallend  ist,  dass  hier  wie  in  Chino  wieder  drei  kleine 
deutsche  Kalköfen  vorhanden  sind,  wie  in  Alvarado  in  einer  hölzernen 
Umhausung.  Auch  das  Fabrikgebäude  ist  aus  Holz  errichtet.  Die  Fabrik 
arbeitet  mit  Ausscheidung  und  stellt,  um  die  Prämie  auszunützen  mit 
Hülfe  derselben  nur  Zucker  von  89—91  Pol.  her.  Es  wird  also  über- 
haupt kein  Erstproduct  gewonnen,  woraus,  da  nur  eigene  Melasse  zur 
Verarbeitung  gelangt,  auf  recht  schlechte  Rüben  zu  schliessen  ist.  Zur 
Ausübung  der  Ausscheidung  fehlt  es  oft  an  genügend  kaltem  Wasser,  man 
hilft  sich,  indem  man  die  Zuckerlösung')  etwas  concentrirter  nimmt  und 
mehr  Kalk  anwendet. 

Die  Einrichtung  des  Laboratoriums  ist  äusserst  unzulänglich,  die 
Chemie  scheint  hier  nicht  sonderlich  geschätzt  zu  werden.  Ein  Rad,  welches 
an  der  Peripherie  dreikantige  Messer  trägt,  soll  zur  Analyse  den  sechsten 
Theil  der  Rüben  in  der  Längsrichtung  ausschneiden.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dass  auf  diese  Weise  keine  Durchschnittsproben  zu  gewinnen  sind, 
da  der  Schnitt  bei  kleinen  Rüben  über  den  Längsdurchmesser  herausgreift, 
bei  grossen  ihn  nicht  erreicht.    Mit  den  Proben  wird  die  Saftpolarisation 


')  Hierzu  bemerke  ich,  dass  Herr  Dr.  Stammer  mich  einige  Zeit  vor  seinem 
Tode  bat,  festzustellen  ob  das  Ausscheidungsverfahren  nicht  auch  in  grösserer  Con- 
centration  der  Zuckerlösung,  als  die  übliche  durchführbar  sei.  Er  zweifle  nicht,  dass 
dies  gehen  müsse,  das  Verfahren  sei  überhaupt  vom  Erfinder  durchaus  mangelhaft 
durchgearbeitet  der  Praxis  übergeben  worden.  Andere  dringende  Arbeiten  haben  mich 
bisher  gehindert  diesen  Gedanken  des  Entschlafenen  zu  verfolgen. 


30 

vorgenommen,  und  mit  0,95  multiplicirt.  —  Obgleich  die  Fabrik  so 
stattlich  dasteht  und  sie  den  Leuten  durch  ihre  Grösse  imponirt,  glaube 
ich  nicht,  dass  sie  billiger  arbeitet,  als  die  kleine,  alte  Fabrik  in  Alvarado. 
Um  Zahlen  habe  ich  an  diesem  Ort  nicht  gebeten,  sie  wären  auch  nicht 
massgebend,  da  durch  den  Bau  von  Eisenbahnen  das  riesige  Rübenhaus  ') 
und  die  Ausscheidung,  die  Fabrik  verhältnissmässig  sehr  theuer  ist. 


Der  allgemeine  Eindruck,  den  ich  von  der  californischen  Rüben- 
zuckerindustrie mit  hinweggenommen  habe,  ist  der,  dass  zwar  die  Rüben  in 
dem  Lande  sehr  gut  gedeihen  können,  dass  es  aber  in  dem  herrlichen  Klima, 
welches  die  menschliche  Energie  erschlaffen  lässt,  vorläufig,  wie  auch  der 
Ackerbauminister  Herr  Morton  mir  gegenüber  hervorhob  (vergl.  Beschreibung 
des  Besuchs  bei  ihm  weiter  unten  unter  Nebraska)  an  Menschen  fehlt, 
welche  ausser  etwa  durch  ungewöhnlich  hohen  Gewinn  sich  zu 
der  mühsamen  Arbeit  des  Rübenbaus  verstehen.  Die  drei 
Fabriken  leben  von  der  Prämie  und  würden  mit  derselben  fallen, 
selbst  die  hohe  Prämie  bildet  aber  gegenwärtig  kaum  genügenden  Anreiz 
zum  Bau  weiterer  Fabriken.  Der  Grund  liegt  darin,  dass  erstens  zur 
Zeit  der  Unternehmungsgeist  und  Kapital  fehlte  und  zweitens  in  der 
Unsicherheit,  welche  man  wegen  des  Fortbestehens  der  Prämie  empfindet. 
Sollte  diese  Unsicherheit  beseitigt  werden,  so  wäre  es,  falls  die  allgemeine 
geschäftliche  Lage  sich  bessert,  wohl  möglich,  dass  in  naher  Zeit  noch 
ein  halbes  Dutzend  grosse  Fabriken  gebaut  würden,  um  so  mehr,  als 
bezüglich  des  Obst-  und  Weinbaus  Ueberproduction  bereits  besteht  und 
derselbe  in  den  nächsten  Jahren  immer  weniger  lohnend  werden 
mag.  Damit,  so  sollte  man  annehmen,  müsste  die  Neigung  der  Farmer 
zum  Rübenbau  überzugehen  wachsen.  In  Amerika,  dem  Lande  der 
üeberraschungen  mag  es  auch  wohl  möglich  sein,  dass  in  naher  Zeit  — 
wenn  die  Prämie  erhalten  bleibt  —  kapitalkräftige  Gesellschaften  entstehen, 
welche  Rübenzuckerfabriken  errichten  und  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
als  Standort  für  derartige  Fabriken  für  die  nächste  Zeit  Californien  immer 
in  erster  Linie  in  Betracht  kommen  wird.  Haben  wir  deshalb 
alle  Veranlassung  die  weitere  Entwickelung  der  Verhältnisse  dort  auf- 
merksam zu  betrachten,  so  ist  doch  anderseits  Gewicht  darauf  zu  legen, 
dass  alle  unabhängigen  Kenner  der  Verhältnisse  des  Landes,  welche  ich 
drüben  gesprochen,    in  erster  Linie  nenne  ich  den  Ackerbauminister  der 


')  Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  darauf  aufmerksam  machen,  dass  die 
Zahlen,  welche  der  kaufmännische  Üirector  der  Fabrik  Herrn  Prof.  Paasche  für 
1888/89  gegeben  hat,  nicht  genau  mit  denen  übereinstimmen,  welche  die  Fabrik  auf  Er- 
suchen an  das  Departement  of  Agriculture  gegeben  hat,  man  vergleiche  diese  Zeitschrift 
1893,  Seite  825  und  Wiley's  Bulletin  27,  S.  209.  Man  kann  daraus  wieder  ersehen, 
dass  derartige  Zahlenangaben  sehr  kritisch  betrachtet  werden  müssen. 


31 

Vereinigten  Staaten  Herrn  Morton  (vergleiche  weiter  unten  in  diesem 
Bericht),  der  deutsche  Consul  in  San  Francisco,  ferner  auch  Herrn  Mathiesson, 
der  Director  der  Sugar  Refining  Co.,  ja  selbst  Interessenten  wie 
Herr  Claus  Spreckels  und  Herr  Director  ßurr  in  Alvarado  an  eine 
rasche  Entwickelung  der  Rübenzuckerindustrie  in  Californien 
selbst  unter  dem  Schutz  der  enormen  Prämie,  welche  dem  Fabrikanten 
die  Rüben  fast  allein  bezahlt  macht,  nicht  glauben. 

Die  Rübenzuckerfabrik  zu  Lehi  im  Mormonenland, 
22.  August  1893. 

Von  San  Francisco  fuhr  ich  in  etwa  60  stündiger  Fahrt  nach 
Lehi,  einem  kleinen  Ort  von  nur  3500  Einwohnern,  wovon  3000  Mormonen 
in  Utah.  Lehi  liegt  nur  eine  Eisenbahnstunde  von  Saltlake  City  entfernt. 
Hohe  Berge  schliessen  das  friedliche  Thal  ein,  auf  welches  ähnlich  wie 
in  Californien  6  Monate  im  Jahre  ununterbrochen  des  Tages  der  blaue 
Himmel  lacht,  denn  so  lange  fällt  gewöhnlich  kein  Regen.  In  Folge 
dessen  ist  hier  die  ßewirthschaftung  der  Felder  nur  mit  Hülfe  von 
Berieselung  möglich,  auch  die  Zuckerrüben  werden  künstlich 
bewässert. 

In  Alvarado  hatte  mir  Herr  Director  Burr  Empfehlungen  an  die 
Fabrik  von  dort  lebenden  Mormonen  verschafft,  welche  ich  dem  Director 
Herrn  Cutter  und  dem  Betriebsführer  übergab.  Letzterer  ist  in  Alva- 
rado geboren,  hat  schon  als  Knabe  Rüben  verzogen  und  erzählte  mit  be- 
rechtigtem Stolz,  wie  er  vom  Fabrikjungen  zu  seiniger  jetzigen  Stellung 
aufgerückt  sei.  Die  Fabrik  hat  in  dieser  Campagne  3347  Acker  Rüben  zur 
Verfügung,  welche  bis  auf  400  Acker  eigenes  Land  von  lauter  kleinen 
Leuten,  die  höchstens  30  Acker  bauen,  geliefert  werden.  Zahlreiche 
artesische  Brunnen  liefern  das  Wasser  zur  Berieselung  des  fruchtbaren 
Schwemmbodens,  welcher  sehr  reich  an  Phosphorsäure  aber  arm  an  Stick- 
stoff sein  soll.  Ende  Juli  oder  Anfang  August  wird  den  Farmern  das 
Wasser  knapp,  was  für  die  Entwickelung  der  Rüben  ein  Glück  ist,  denn  die 
Bauern  lassen  sich  nicht  abhalten,  weiter  zu  rieseln,  so  lange  es  angeht. 
Leider  kommen  aber  im  August  manchmal  schon  Regenfälle,  die  der 
Fabrikdirector  fürchtete,  weil  sie  die  Reife  zu  sehr  verzögern. 

Die  Saatzeit  legt  man  möglichst  früh,  am  liebsten  Mitte  April, 
doch  kommt  oft  Mitte  Mai  heran.  Die  Rüben  werden  ziemlich  weit 
gedrillt,  beim  Verziehen  sehr  dicht  stehen  gelassen  und  dann  in  Reihen 
gehäufelt,  um  Furchen  für  das  Rieselwasser  zu  gewinnen,  so  dass  das 
Feld  ausschaut  wie  ein  Futterrübenfeld.  Auch  hier  werden  keine  Vor- 
schriften für  die  Cultur  ausgegeben,  die  Fabrik  beschränkt  sich  darauf, 
den  Samen  zu  liefern,    welcher   wie  in  Californien  zumeist  französischer, 


32 

Deprez'scher,  ist.  Doch  war  auch  ein  Versuchsfeld  mit  recht  gut  ent- 
wickelten Klein-Wanzlebener  Originalrüben  vorhanden.  Die  Rüben  waren 
schon  recht  gross  und  standen  auch  auf  den  Feldern,  die  wir  befuhren,  dicht 
und  ohne  Lücken,  dennoch  rechnete  man  durchschnittlich  hier  nur  auf 
9  tons,  im  Einzelfalle  auf  höchstens  15  tons  per  Acker.  Der  Preis  be- 
trägt 5  DoU.i)  die  ton,  Angebot  zum  Rübenbau,  so  sagte  man  mir,  sei 
gegenwärtig  reichlich  vorhanden,  man  hätte  daher  vielmehr  als  3000  Acker 
Rüben  haben  können,  wenn  die  Fabrik  nur  gross  genug  wäre,  eine  solche 
Menge  zu  verarbeiten.  Sorge  hegte  man,  ob  die  Rüben  bis  zum  Beginn 
der  Campagne,  etwa  den  15.  bis  20.  September  genügend  reifen  möchten; 
augenblicklich  war  zumeist  eine  Seite  der  einzelnen  Pflanzen  viel  reifer 
als  die  andere.  Nach  Gehalt  wird  nicht  bezahlt,  doch  werden  allzugrosse 
und  unreife  Rüben  nicht  abgenommen. 

Das  Verziehen  wird  durch  Kinder  besorgt,  welche  75  cts.  den  Tag 
erhalten;  Arbeitskräfte  sind  in  Hülle  und  Fülle  vorhanden,  da  die  Be- 
völkerung dicht  und  gesund  ist,  und  starke  Familien  mit  reichem  Kinder- 
segen hier  häufig  sind.  Der  Vielweiberei,  welche  im  Geheimen  noch  recht 
verbreitet  sein  soll,  verdankt  man  diesen  Reichthum  an  Menschen.  Der 
Feldarbeiter  erhält  hier  täglich  excl.  Kost  1,50  Doli.,  der  Fabrikarbeiter 
1,80  —  2  Doli. 

Der  Kohlenpreis  wurde  mir  zu  3,75  Doli,  die  Tonne  für  sog.  Weich- 
kohle, welche  etwa  an  Werth  einer  mittleren  Braunkohle  gleichkommen 
mag,  angegeben,  der  Kohlenverbrauch  zu  13  7o  vom  Rübengewicht;  sehr 
theuer,  18  Doli,  die  Tonne,  ist  der  Coke,  von  welchem  11  7o  ^^  Kalk- 
ofen gebraucht  werden,  der  Kalkstein  kostet  2  Doli,  die  Tonne.  Die 
Fabrik  ist   auf  350  tons   täglicher  Verarbeitung  eingerichtet. 

Gewonnen  werden  8  V2  *^/ü  weisse  V^aare  auf  Rüben  unter  Einwurf 
der  Nachproducte.  Die  Unkosten  zur  Gewinnung  des  Zuckers  gab  man 
zu  2,50  Doli,  auf  100  Rübengewicht  an,  während  Chino  etwas  billiger, 
etwa  zu  2  Doli,  auf  100  Rüben  arbeite.  Dem  gegenüber  ist  zu  berück- 
sichtigen ,  dass  die  Fabrik  ausser  der  2  Cent  -  Prämie  der  Vereinigten 
Staaten  noch  1  cent  für  jedes  Pfund  Zucker  vom  Staate  Utah  erhält. 
Auch  darf  man  nicht  vergessen,  dass  Chino  Füllmasse,  nicht  Zucker 
herausbringt,  und  dass  dort  die  vermuthliche  Granulatedausbeute  mit 
mehr  als  10  7o  wahrscheinlich  viel  zu  hoch  angenommen  ist,  die  Unkosten 


')  Dafür,  dass  bei  diesem  Preise  verdient  wird,  werden  auch  hier  die  übliche 
Berechnungen  ausgeführt,  bei  denen  die  Gesammtunkosten  per  Acker  zu  39,46  Doli, 
die  Erntemenge  zu  12  tons,  demgemäss  der  Ertrag  zu  60  Doli,  und  der  Nettoverdienst 
zu  20,54  Doli,  angegeben  werden  (vergl.  das  neueste  im  December  1893  ausgegebene 
Bulletin  der  Universität  Nebraska  für  1892  S.  4:0).  Wie  wiederholt  hervorgehoben, 
haben  meiner  Aussicht  nach  derartige  Berechnungen  nur  sehr  geringen  Werth,  da 
die  Erntemengen  willkürlich  genommen  und  meist  zu  hoch  gegriffen  sind. 


33 

also  zu  niedrig  berechnet  werden.  Dass  die  Fabrik  gegenwärtig  verdient, 
wie  die  Besitzer  angeben,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  ebenso  darf  man  aber 
ihrer  Versicherung  Glauben  schenken,  dass  mit  dem  Aufhören  der  Staats- 
prämie auch  ihre  Stunde  geschlagen  haben  würde. 

Die  Fabrik  ist  ganz  massiv  und  gewährt  einen  hübschen,  schloss- 
ähnlichen Anblick,  leider  ist  der  Raum  innen  sehr  beengt  und  gar  kein 
Platz  für  die  in  Aussicht  genommene  Vergrösserung  vorhanden.  Auch 
hier  sind  drei  grosse  bedeckte  Rübenhäuser  mit  Schwemmen  aufgebaut,, 
die  im  October  jedoch  vorübergehend  nicht  ausreichen,  man  will  deshalb 
einen  Versuch   mit  Erdmieten  machen. 

Das  Anschlussgleise  der  Eisenbahn  führt  direct  in  die  Rüben- 
schuppen, welche  wie  die  Schwemmrinnen  aus  Holz  sind.  Die  Maschinen 
sind  hier  fast  sämmtlich  in  Amerika  gebaut,  sie  stammen  bis  auf 
einige  Hallische  Pressen  von  Dyer  in  Cleveland.  Die  Apparate  sehen 
zum  Theil  recht  plump  aus,  sind  aber  modern  eingerichtet.  Aus  der 
Schwemme  werden  die  Rüben  durch  ein  kleines  perforirtes  Hubrad  in 
eine  offene  Quirlwäsche  mit  Steinfänger  gehoben.  Die  mit  Dachrippen- 
messer hergestellten  Schnitzel  werden  in  einer  kreisrund  aufgestellten 
Batterie  von  12  Gefässen  ä  circa  30  Hectoliter  mit  mächtiger  unterer 
Oeftnung  zur  Entleerung  ausgelaugt.  Den  hydraulischen  Verschluss  be- 
sorgt ein  Mann  durch  Hebeldruck,  welcher  gleichzeitig  die  Batterie  zu 
besorgen  hat  und  durch  einen  zweiten  Hebelarm  die  Saftzufuhr  aus  dem 
Messgefäss  nach  den  Scheidepfannen  besorgt. 

Es  werden  3  Dünnsaftsaturationen  vorgenommen,  2  mit  Kohlen-, 
die  dritte  mit  schwefliger  Säure  bis  auf  mindestens  0,01  Alkalität,  doch 
fürchtet  man  schwache  Säuerung  auch  nicht  sehr,  da  die  Melasse  doch 
nicht  zu  verwerthen  ist  und  man  vor  allem  klares  Korn  erstrebt.  Für  die 
Kohlensäuresaturationen  sind  wie  in  Chino  nur  2  lange  Pressen  vorhanden. 
Den  Schlamm  von  der  Schwefligsäurearbeit  nimmt  eine  ungeschickte 
amerikanische  Presse  mit  scharfen  Ecken  auf.  Die  zu  einem  Quadrupleeffet 
vereinigten  Verdampfapparate  sind  den  Jellineck'schen  nachgeahmt,  das 
Vacuum  gross  und  mit  weiter  Oeffnung,  steht  nach  amerikanischer  Sitte 
über  der  Trogmaische,  unter  der  sich  die  Centrifugen  befinden.  Die 
Nachproductfüllmasse  wird  entweder  in  grosse  transportable  Kästen 
ausgedrückt,  oder  durch  Röhren  direct  nach  tiefen  eisernen  Bassins  ge- 
leitet und  von  letzteren  nach  den  Centrifugen  gepumpt,  was  übrigens  in 
Watsonville  noch  schöner  ausgebildet  ist.  Diese  Disposition  des  Füll- 
masseraumes in  den  amerikanischen  Fabriken  sei  wegen  ihrer  Einfachheit 
der  Aufmerksamkeit  der  Leser  besonders  empfohlen.  In  Deutschland 
habe  ich  ähnliches  bisher  nur  vereinzelt  gesehen.  —  Auch  hier  standen 
die  Nachproducte  unter  Steuerverschluss. 

Der  Kalkofen,  gleichfalls  in  hölzerner  ümhäusung    ist  hier  fast  zu 

3 


34 

gross,  man  scheidet  mit  2—3  ^/^  Kalk  als  Kalkmilch.  Der  Kalkstein 
soll  gut  sein,  angeblich  99 \' 2  Vo  kohlensaurem  Kalk  haltend,  doch  ist 
dabei  wohl  die  Magnesia  nicht  berücksichtigt,  ich  hielt  ihn  für  dolo- 
mitischen Ursprungs. 

Die  Fabrik  liegt  entzückend  in  dem  fruchtbaren  Thal  von  blauen 
Bergen  umgeben,  direct  dabei  ein  stattlicher,  krystallklarer,  quellenreicher 
süsser  See,  dem  sie  das  Betriebswasser  entnimmt.  Der  Abfluss  dieses 
Sees  geht  nach  dem  bekannten  Salzsee,  nach  welchem  Salt  Lake  City 
benannt  ist.  Aber  der  freie  Blick  wurde  gestört  durch  eine  eigenthümliche, 
hoch  gelegene  breite  Rinne  aus  Holz,  welche  von  der  Fabrik  nach  dem 
mehrere  hundert  Schritt  entfernten  Seeufer  führte.  Langsam  arbeitete 
eine  Pumpe,  welche  einen  dicken  schwärzlichen  Strom  nach  der  Rinne 
beförderte,  es  war  die  Melasse  der  Fabrik.  Man  freute  sich  zwar,  sie  so 
einfach  los  zu  werden,  dennoch  erfüllte  uns  der  Anblick  mit  Wehmuth. 
Auch  die  ausgelaugten  Schnitzel  können  hier  in  keiner  Weise  verwerthet 
werden. 

Wie  schon  erwähnt,  ist  daran  nicht  zu  zweifeln,  dass  lediglich  in 
Folge  der  hohen  Prämien  die  Fabrik  gegenwärtig  Geld  verdient  —  die 
Unsicherheit,  welche  bezüglich  der  Erhaltung  der  Prämie  herrscht,  würde 
also  allein  genügen,  von  der  Errichtung  weiterer  Zuckerfabriken  in  Utah 
abzuschrecken.  Ein  fernerer  Grund  dafür  liegt  aber  darin,  dass  über- 
haupt culturfähiges  Land  nicht  mehr  im  Uebermass  vorhanden  ist, 
sondern  die  dichte  ländliche  Bevölkerung  die  zur  Verfügung  stehende 
Fläche  für  nothwendigere  Bedürfnisse  nicht  entbehren  kann  und  endlich 
der  Zuckerrübenanbau  mittelst  Rieselwirthschaft  doch  eine  missliche 
Sache  bleibt.  Bei  der  ünbedeutendheit,  welche  die  Zuckerindustrie  bis 
jetzt  in  Utah  noch  hat,  bitte  ich  den  Leser  mir  zu  erlassen,  diese  An- 
sicht durch  statistische  Belege  näher  zu  begründen. 


Ich  verabschiedete  mich  von  Lehi,  äusserst  sympatisch  berührt  von 
dem  einfachen  Wesen  der  Mormonen.  Professor  Cutter  von  der  Universität 
Utah,  der  zufällig  in  der  Zuckerfabrik  mit  mir  zusammengetroffen  war, 
begleitete  mich  nach  Saltlake  City.  Hier  sind  zahlreiche  Schmelzhütten 
für  Edelmetalle  und  metallurgische  Laboratorien,  von  denen  ich  eines 
besuchte.  Die  Einrichtungen  waren  die  gleichen  wie  in  ähnlichen 
Instituten  in  Deutschland.  Professor  Cutter  zeigte  mir  alle  die  An- 
ziehungspunkte Saltlake's  City,  die  Wohnung  des  Propheten  Brigham 
Young,  den  stattlichen  Palast  seiner  Lieblingsfrau  und  geleitete  mich  auch 
hinaus  auf  der  Eisenbahn  nach  dem  mehrere  Stunden  von  der  Stadt 
gelegenen  Salzsee.  In  lang  hingestreckten  Bassins  gewinnt  man  hier 
das  Kochsalz  durch  Verdunsten  des  Wassers,   ähnlich   wie   in    den  Salz- 


35 

gärten  am- mittelländischen  Meer.  In  den  See  hinein  ist  auf  hölzernen 
Rampen  eine  Rotunde  gebaut,  der  Vergnügungsort  der  Mormonen  „Salz- 
luft" genannt.  Tausende,  Gross  und  Klein,  Männer,  Frauen  und  Kinder 
tummeln  sich  hier  durcheinander  in  der  salzigen  Fluth,  ein  Anblick,  wie 
er  nur  einmal  in  der  Welt  zu  haben  ist.  Das  Wasser  ist  in  Folge  des 
Salzgehaltes  specifisch  so  schwer,  dass  Schwimmen  unmöglich  ist,  weil 
der  Oberkörper  zu  weit  aus  dem  Wasser  ragt  und  der  Schwimmer  deshalb 
umkippt.  Nur  die  Damen,  welche  hier  zu  Lande  so  weit  gehende  Vor- 
rechte haben ,  geniessen  dass  Vergnügen ,  indem  sie  sich  von  ihrem 
männlichen  Begleiter  an  beiden  Schultern  fassen  und  daran  nieder- 
gedrückt durch's  Wasser  ziehen  lassen.  Als  wir  von  dem  Ausfluge  nach 
Saltlake  City  zurückgekehrt  waren,  erhielt  Professor  Cutter  die  freudige 
Nachricht,  dass  er  als  Bibliothekar  nach  dem  landwirthschaftlichen 
Ministerium  in  Washington  berufen  worden  sei.  Dort  sah  ich  ihn 
wenige  Wochen  später  wieder,  nachdem  ich  in  der  Zwischenzeit  Grand 
Island,  Sioux  City,  Lincoln,  Topea  und  Sanct  Louis  besucht  hatte. 
üeber  die  Fortsetzung  meiner  Reise  berichte  ich  weiter  unten  unter  dem 
Titel  Nebraska. 

Nebraska. 

In  Nebraska  bestehen  zur  Zeit  2  Zuckerfabriken  in  Norfolk  und 
Grand  Island.  Daselbst  sind  schon  seit  Jahren  durch  Prof.  Nicholson 
an  der  Universität  zu  Lincoln  Versuche  mit  Zuckerrübenbau  i)  angestellt 
worden  und  1891  wurde  an  der  Station  der  Union  Pacific -Bahn 
Schuyler  eine  Versuchsstation  für  Rübenbau  angelegt,  die  von  den  Ver- 
einigten Staaten  unterhalten  wird.  Die  Gründe,  welche  zur  Anlage  der 
Station  an  dieser  Stelle  führten,  bestanden  darin,  dass  „bereits  Zucker- 
fabriken in  dem  Staat  existirten  und  dass  Boden  und  Klima  für  eine 
derartige  Station  günstig  scheine".  In  der  That  war  zur  Zeit,  als  wir 
uns  auf  die  Reise  begaben,  auch  in  Europa  noch  die  auf  zahlreiche  Berichte 
gestützte  Ansicht  verbreitet,  dass  Nebraska  derjenige  Punkt  der  Vereinigten 
Staaten  wäre,  von  wo  am  ehesten  eine  rasche  Entwickelung  der  Rüben- 
zuckerindustrie ausgehen  könnte.  Ich  habe  mich  deshalb  mit  den  Ver- 
hältnissen dieses  Landes  besonders  beschäftigt.  Besucht  wurden  die  beiden 
Fabriken  zu  Norfolk  (an  der  Besichtigung  nahm  Herr  Dr.  Bartz  Theil) 
und  Grand  Island,  ferner  der  Haupthandelsplatz  Omaha  und  die  Haupt- 
und  Universitätsstadt  Lincoln  mit  den  früher  unter  Aufsicht  des  Herrn 
Prof.  Nicholson^)  stehenden  Versuchsfeldern. 


^)   yergl.  Berichte  der  Versuchstation  in  Lincoln  1890  und  folgende  Jahre. 
*)   Prof.  Nicholson  hat    die  Versuchsstation   neuerdings  abgegeben   und  nur  die 
chemische  Professur  der  Staatsuniversität  Lincoln  inne. 


Nebraska  wird  Östlich  von  dem  mächtigen  MissouriÖusse,  im  Westen 
von  den  beginnenden  Anhöhen  der  Rocky  Montains  begrenzt,  im  Norden 
stösst  es  an  Dacota,  im  Süden  an  das  fruchtbare  Kansas.  Der  3575  deutsche 
Quadratmeilen  grosse  Staat  besitzt  heute  angeblich  P/2  Millionen  Ein- 
wohner, während  er  vor  30  Jahren  noch  das  fast  ausschliessliche  Eigen- 
thum  der  Indianer  war.  Das  Hauptproduct  des  Landes  ist  der  Mais, 
womit  1891    4600000  Acker  bestellt  waren. 

Das  Klima  ist  im  allgemeinen  nicht  ungünstig,  zeichnet  sich  aber 
durch  grosse  Unsicherheit  und  unerwartete  Wechselfälle  aus.  Zu  bemerken 
ist,  dass  strichweise  oft  auf  Entfernungen  von  nicht  mehr  als  100  engl. 
Meilen  grosse  Unterschiede  obwalten,  die  Flussthäler  sind  im  allgemeinen 
dem  Rübenbau  günstiger  als  höher  gelegene  Landstrecken.  Im  April  ver- 
zögert sich  die  Saatzeit  nicht  selten  durch  schwere  Schneestürme,  dem 
nassen  Frühjahr  folgte  häufig  entsetzliche  Dürre,  nur  unterbrochen  durch 
furchtbare  Stürme,  welche  nicht  nur  Rübensaat,  sondern  auch  die  jungen 
Pflanzen  mif  fortführen.  In  Folge  der  heftigen  Winde  mussten  deshalb 
in  Grand  Island  sowohl  als  in  Norfolk  grosse  Flächen  zwei,  ja  selbst  drei 
mal  mit  Rüben  neu  bestellt  werden. 

Der  Frost  tritt  sehr  plötzlich  und  oft  unerwartet  früh  ein,  1891 
schon  am  23.  und  24.  August,  regelmässig  aber  fast  in  der  zweiten  Hälfte 
des  Septembers.  In  Folge  der  wechselnden  Witterung  im  Spätherbst  ist 
es  schwierig,  die  Rübenmieten  richtig  zu  bedecken  und  gar  leicht  treten 
starke  Zuckerverluste  bei  warmer  Witterung  ein,  wenn  die  Bedeckung 
zu  stark  ist. 

Uober  die  meteorologischen  Verhältnisse  liegen  sehr  ausführliche 
und  sorgfältige  Beobachtungen  von  Prof.  Nicholson  ^  vor.  Von  dem 
Abdruck  seiner  instructiven  Regen-  und  Temperaturkarten,  in  welchen 
die  Verhältnisse  in  Deutschland  (Halle  a/S.),  Frankreich  (Cambray)  und 
Nebraska  verglichen  werden,  sehe  ich  ab.  Ich  begnüge  mich  anzuführen, 
dass  daraus  hervorgeht,  dass  es  in  Nebraska  zwar  im  Sommer  heisser  ist, 
als  bei  uns,  dass  aber  dafür  etwas  mehr  Regen  fällt;  doch  ist  .die  Menge 
der  sonnigen  Tage  etwa  um  1/3  grösser,  was  auf  heftigere  Regengüsse 
schliessen  lässt  Uebrigens  spricht  auch  Prof.  Nicholson  selbst  aus, 
dass  allgemein  meteorologische  Betrachtungen  die  Frage,  ob  das 
Klima  dem  Rübenbau  günstig  sei,  nicht  entscheiden  können,  sondern 
allein  die  Erfahrung  durch  das  Experiment.  Ich  führe  also  nur  kurz  an, 
nach  dem  Bericht  der  Versuchsstation  in  Schuyler,  dass  die  Regenmenge 
in  englischen  Zahlen  daselbst  betrug 

Mai  Juni         Juli       August   Septemb.    Octob.   Insgesammt 

1892  6,62        0,50         2,50         3,36         0,28         1,00         14,26 

1891  1,38       11,59         6,71         2,22         0,84         3,92         26,61 


*)    Loc.  cit. 


37 

Nach  den  officiellen  Angaben  war  in  ganz  Nebraska  die  Kegen- 
menge  1892  im  Mai  3,50,  Juni  3,68,  Juli  3,09,  August  2,96,  September 
1,57,  October  1,50,  insgesammt  16,30,  es  bestätigt  sich  also,  dass  an 
einzelnen  Plätzen  grosse  Verschiedenheiten  obwalten  können. 

Die  Temperatur  betrug  in  Grad  Fahrenheit. 

Mai         Juni         Juli        August     Septemb.    October 
1892  55,3         66,6         75,0         72,85         66,56         56,3 

1891  59,0         68,4         69,9         70,20         65,10         47,6 

dies  giebt  in  Graden  Celsius  eine  Durchschnittstemperatur  von  1 2,036  <^ 
für  1892  und  11,65P  für  1891. 

1892  war  in  Schuyler  die  Temperatur  bedeutend  über  normal 
(11,548")  und  die  Regenmenge  blieb  unter  normal,  sie  betrug  nur  etwas 
mehr  als  die  Hälfte  als  1891.  Im  Juni  und  Juli,  wo  ßegen  so  nöthig, 
war  die  Menge  nur  minimal,  was  der  Entwickelung  der  Rüben  sehr  un- 
günstig war. 

Die  kalten  Wintertage  werden  nicht  selten  durch  furchtbare  Schnee- 
stürme, die  sogen.  Blizzards,  welche  aus  den  nördlichen  Regionen  überraschend 
hereinbrausen,  unterbrochen.  Wehe  dem  Farmer,  der  alsdann  nicht 
rechtzeitig  das  schützende  Dach  erreicht,  wenige  Stunden  nach  Ausbruch 
des  Sturmes  ist  dann  Mann  und  Vieh  verloren,  getödtet  durch  die  furcht- 
bare Kälte  und  die  in  die  Lungen  gelangenden  Eiskryställchen. 

Die  Bodenbeschaffenheit  Nebraskas  ist  wechselnd.  Der  grösste 
Theil  des  Terrains  ist  wellenförmig,  nur  hier  und  da  von  höheren  Kuppeln 
überragt,  nach  Wyoming  zu  steigt  das  Land  stark  an.  Meist  besteht 
es  in  den  Thälern  und  an  den  Abhängen  aus  fruchtbarem  Löss,  die 
höher  gelegenen  Stücke  sind  oft  sandig,  doch  überwiegt  der  gute 
Boden  besonders  in  den  zahlreichen  Flussthälern,  wo  ein  humoser  tief- 
gründiger Lehm  vorherrscht.  Fast  überall  hat  in  Jahrtausende  altem 
Wachsthum  das  absterbende  Prairiegras  stickstoffreichen  Humus  im 
Boden  angehäuft,  welcher  trotzdem  zumeist  durchlässig  und  leicht 
geblieben  ist.  An  den  höher  gelegenen  Stellen  herrscht  Trockenheit,  es 
wird  aber  oft  auf  die  Möglichkeit  hingewiesen,  sie  grösstentheils  in 
Anbetracht  des  Reichthums  des  Landes  an  Wasser,  durch  Rieselung 
culturfähig  zu  machen. 

Die  Vorstellung,  dass  es  sich  hier  zu  Lande  im  allgemeinen 
um  einen  nahezu  unerschöpflichen  Culturboden  handele,  der 
auf  viele  Jahre  keine  Düngung  bedürfe,  Hessen  wir  alsbald 
fallen,  nachdem  wir  in  Norfolk  an  einigen  Stellen  in  die  Ackererde 
eingebohrt  hatten,  zumeist  verschwindet  schon  in  geringer  Tiefe  die 
dunkle  Färbung,  das  Anzeichen  des  Humusgehalts  und  macht  der  Natur- 
farbe   des    Lehms    oder    Sandes  Platz.    Für    die  Zusammensetzung    des 


38 

Prairiebodens,  welcher  das  bessere  Rübenland  in  Nebraska  vorslellt,  geben 
folgende  Analysen  der  Versuchsstation  zu  Schuyler  einige  Beispiele. 

Feld  A.  Feld  B. 

1.  IL  I.               IL 

Feuchtigkeit 2,01  1,93  1,84  1,73 

Organisches 6,64  6,13  5,20  5,10 

Unlösliches 81,14  82,11  81,80  82,19 

Eisenoxyd 3,11  2,99  4,16  4,12 

Thonerde 3,19  3,26  3,98  4,02 

Kalk  (CaO) 0,72  0,68  0,52  0,44 

Magnesia 0,82  0,80  0,73  0,75 

Natron Spur  Spur  Spur  Spur 

Kali 0,59  0,61  0,57  0,58 

Phosphorsäure 0,04  0,03  0,03  0,04 

Schwefelsäure 0,004  0,006  0,008  0,003 

Chlor 0,020  0,014  0,019  0,012 

Kohlensäure 0,420  1,620  1,520  1,270 

Stickstoff 0,28  0,25  0,28  0,25 

An  diesen  Zahlen  fällt  der  geringe  Gehalt  an  schwefelsauren  Salzen,  vor 
allem  aber  der  ganz  kollossal  hohe  Stickstoffgehalt  und  die  verhältnissmässig 
geringe  Menge  Phosphorsäure  in  die  Augen.  Es  ist  jedoch  nicht  zu  be- 
zweifeln, dass  es  sich  hier  um  Analysen  der  besten  in  Nebraska  befind- 
lichen Böden  handelt  und  dass  die  Zahlen  nicht  etwa  die  durchschnitt- 
liche Zusammensetzung  des  cultivirten  Landes  darstellen.  Dies  erhellt 
unter  anderem  aus  den  Stickstoff-  und  Phosphorsäurezahlen  einiger  von 
Nicholson  1)  (loco  cit.  I,  S.  53  seines  Berichtes)  aufgeführten  Analysen. 

Bodenanalysen  aus  Nebraska. 

1.  Dawes    2.  Cherry    3.  Brown    4.  Antilope    5.  Saunders    6.Hamilton 
County       County       County         County  County  County 

Phosphorsäure    .    0,822        0,0623        0,0620  0,0399  0,1127  0,0947 

Stickstoff 0,0840      0,0560        0,0735  0,0630  0,0700  0,0680 

Man  findet  hier  keine  Stickstoffzahl,  welche  an  die  in  Schuyler  er- 
mittelten heranreicht. 

1892  sollen  4  981754  Acker  Mais')  gebaut  worden  sein,  welcher 
grösstentheils  zu  Viehfutter  dient,  nur  24  295  000  Busheis  von  der  auf 
157  145  000  Bushel  geschätzten  Ernte  wurden  als  Korn  ausgeführt.  Die 
Kosten  des  Anbaus  werden  amtlich  auf  4,13  bis  8,87  Doli,  per  Acker  ge- 
schätzt, die  Ernte  schwankt  zwischen  25  und  60  Busheis  per  Acker.  Bei 
einem  Preise  von  25-30  cent  per  Bushel,  ja  an  manchen  Stellen  von 
nur  26  cent,  bleibt  dem  Farmer,  der  mit  einem  Zinsfuss  von  nicht  unter 

•)  Diese  Daten  sind  dem  kleinen  Büchelchen  über  Nebraska  entnommen,  welches 
den  Besuchern  der  Weltausstellung  in  Chicago  von  Staatswegen  unentgeltlich  zur 
Verfügung  gestellt  wurde.  -  .        : 


39 

7,  häufig  8  und  mehr  Procent  zu  rechnen  hat,  nichts  übrig,  wenn  er 
Mais  ausführt  0,  es  ergiebt  sich  aber  noch  eine  je  nach  den  Verhältnissen 
grössere  oder  geringere  Rentabilität,  wenn  der  Mais  verfüttert  also  auf 
Fleischausfuhr  gearbeitet  wird.  Der  Weizenbau  ist,  wie  in  den 
meisten  Staaten  in  Nebraska  in  den  letzten  Jahren  zurückgegangen. 
1892  sollen  1  229  665  Acker  damit  bestellt  gewesen  sein,  die  1891  er  Ernte 
wird  zu  18  000  000  Bushel  ^)  angegeben.  Neuerdings  wird  die  Cultur 
von  Wintergetreide  warm  empfohlen,  während  die  Mehrzahl  der  Farmer 
hier  wie  im  nördlichen  Jowa  und  Süddacota  ausschliesslich  Sommer- 
getreide baut. 

Von  anderen  Feldfrüchten  werden  Hafer,  Roggen,  Hirse  und  Gerste 
cultivirt,  auch  den  Tabak-  und  Cichorienbau  sucht  man  einzuführön, 
letzteren  mit  dem  Hinweis  darauf,  dass  der  augenblickliche  Cichorien- 
import  nach  den  Vereinigten  Staaten  jährlich  einen  Werth  von  8000000  Doli, 
darstellt.  Mit  der  Obstcultur  ist  man  besonders  im  Missourithal  nicht 
ohne  Erfolg  vorgegangen,  Pfirsiche,  freilich  nicht  so  gross  wie  die  Cali- 
fornischen,  Weintrauben,  Aepfel  und  Pflaumen  werden  soviel  erzeugt, 
dass  eine  nicht  unbedeutende  Menge  zur  Ausfuhr  gelangen  kann.  Das 
Pflanzen  der  Obstbäume  sowie  auch  von  anderen  Nutzhölzern  oder  auch 
nur  Schatten  werfenden  Bäumen  hat  sich  als  grosser  Segen  für  die  ur- 
sprünglich baumlose,  im  Hochsommer  entsetzlich  heisse  Prairie  erwiesen. 
Es  ist  das  bleibende  Verdienst  des  gegenwärtigen  Landwirthschafts- 
ministers  in  Washington,  des  Herrn  J.  Sterling  Morton,  welcher  aus 
Nebraska  stammt,  das  allgemeine  Interesse  am  Baumpflanzen  erregt  zu 
haben.  Die  Constitution  des  Staates  Nebraska  bestimmt,  dass,  sofern  ein 
Stück  Land  dadurch  an  Werth  gewinnt,  dass  es^  von  einem  lebendigen 
Zaun  von  Frucht-  und  Waldbäumen  umgeben  wird,  der  Mehrwerth  bei 
der  Veranlagung  zur  Besteuerung  ausser  Betracht  zu  lassen  ist.  Ein 
Staatengesetz  ermässigt  den  Taxwerth  des  Ackers  Fruchtbäume  für  fünf 
Jahre  um  100  Doli,  und  des  Ackers  Waldbäume  um  50  Doli.,  ferner  ge- 
messen besondere  Vergünstigungen  die  Eigenthümer,  welche  Bäume  an 
öffentlichen,  an  ihrem  Besitze  vorbeiführenden  Strassen  pflanzen.  Der 
schönste  Festtag  im  Lande  ist  der  Arbeitstag,  an  welchem  alljährlich 
Hunderttausende  von  Bäumen  gepflanzt  werden,  leider  geht  ein  grosser 
Theil  davon  nicht  selten  durch  die  Hitze  oder  weil  das  hohe  Prairiegras 
und  Unkraut  sie  erstickt,  wieder  ein. 

Den  ersten  Bang  nimmt  im  Lande  aber  immer  noch  die  auf  zahl- 
reiche Weiden  und  den  Maisbau  sich  stützende  Viehzucht  ein. 


^)  Dies  dürfte  besonders  für  dieses  Jahr  zutreffen,  da  nach  dem  mir  soeben 
zugehenden  Bulletin  120  des  Departement  of  Agriculture  Nebraska  in  Mais  eine 
sehr  schlechte,  beinahe  als  Missernte  zu  bezeichnende  Ernte  eingebracht  hat. 

2)   Kansas  producirte  1891   60000000,  Jowa  28500000  Bushel  Weizen. 


40 

Die  letzte  Steuereinschätzung  ergab: 

Zahl  Werth 

Pferde  ....       640088  847650 

Eindvieh    .    .    .    1643174  6438  352 

Schafe    ....       142946  140500 

Schweine   .    .    .    1296  433  1320675 

Um  das  Bild  vollständig  zu  machen,  erwähnen  wir  noch  die  nicht 
unbedeutende  Bienenzucht^)  mit  300  000  Pfund  Honigproduction  im 
Jahre  1892,  die  man  weiter  zu  heben  bestrebt  ist.  Fische  sind  in  den 
zahlreichen  Gewässern  noch  reichlich  vorhanden  und  Schildkröten  tummeln 
sich  munter  darin  herum.  Der  Büffel  und  anderes  grösseres  Wild  ist 
gänzlich  ausgerottet,  aber  die  wohlschmeckenclen  Präriehühner,  Wachteln, 
wilde  Tauben,  Schnepfen  und  wilde  Enten  sind  noch  in  grosser  Zahl 
vorhanden.  Wer  den  Genuss  einer  ertragreichen  Jagd  haben  will,  muss 
freilich  weit  aus  den  Städten  hinauswandern,  nur  im  Anfang  der  Jagd- 
zeit wird  er  in  der  Nähe  derselben  noch  Wild  finden.  Dann  steht  es 
jedermann  frei  zu  jagen  und  aus  reiner  Mordlust  schiessen  die  Städter 
alles  nieder,  was  vor  ihr  Rohr  kommt.  Erwähnen  wir  noch,  dass  das 
Land  auch  eine,  wenn  auch  noch  lange  nicht  zu  voller  Entwickelung 
gelangte  Minenindustrie  besitzt.  Der  Werth  der  von  der  Omaha-Schmelz- 
hüttengesellschaft  ausgearbeiteten  Metalle,  Silber,  Blei,  Gold  und  Kupfer 
wird  für  1890  zu  17769000  Dollar  angegeben.  Omaha,  der  grösste 
Stapelplatz  des  Landes,  liegt  am  Missouri  und  ist  in  raschem  Wachsthum 
begriffen,  1860  hatte  die  Stadt  nur  1861  Einwohner,  gegenwärtig  zählt 
man  über  140000.  Die  nächst  grösste  Stadt  ist  die  Hauptstadt  Lincoln 
mit  55000  Einwohner,  während  die  uns  als  Sitz  von  Zuckerfabriken  be- 
sonders interessirenden  Städtchen  Norfolk  und  Grand  Island  nur  von 
3000  bezw.  7500  Menschen  bewohnt  sind. 

Nach  diesen  mehr  allgemeinen  einleitenden  Bemerkungen  gehe  ich 
zu  einer  speciellen  Beschreibung  der  Reiseerlebnisse  in  Nebraska  über. 

1.    Norfolk,  den  23.  Juli  1893. 

Unser  Weg  führte  uns  von  Davenport  in  Jowa,  wo  wir  die  Stärke- 
zuckerfabrik besichtigt  hatten,  über  Council-Bluffs,  Omaha,  Columbus^) 
auf    den    Linien    der    Union    Pacific  Eisenbahn    nach  Norfolk.     Auf  der 


^)  Danach  heisst  die  bedeutendste  Zeitung  des  Landes,  welche  täglich  einen 
eigenen  Eisenbahnzug  zwischen  Omaha  und  Lincoln  laufen  lässt,  die  Omaha-„Bicne". 

2)  Den  nächsten  Weg  von  Oraaha  nach  Norfolk  bietet  die  Missouri- Valley- 
Eisenbahn,  welche  auch  wir  zu  benutzen  gedachten.  Für  amerikanische  Eisenbahn- 
verhältnisse charakteristisch  ist  das  nachstehende  Reiseabenteuer: 

Wir  hatten  durch  hin-  und  hergehende  Correspondcnz  mit  Herrn  von  der  Luhe 
den  Termin  unserer  Ankunft  in  Norfolk  auf  Sonntag  Vormittag  festgesetzt  und  be-^ 
absichtigten  zu  diesem  Behuf  Sonnabend  Abend  in  Davenport  aufzubrechen  und  Sonntag 


41 

Reise '  von  Omaha  nach  Columbus  passirten  wir  die  stattliche  Rüben- 
Versuchsstation  zu  Schuyler,  hielten  uns  daselbst  aber  nicht  auf,  da  wir 
schon  in  Chicago  erfahren  hatten,  dass  dieselbe  auf  den  Aussterbeetat 
gesetzt  sei.  (Vergl.  die  Unterredung  mit  dem  Ackerbauminister  Herrn 
Morton  weiter  unten  in  diesem  Bericht). 

Von  Columbus  aus  zeigten  sich  zu  beiden  Seiten  der  Eisenbahn 
bereits  einige  ziemlich  ausgedehnte  Rübenbreiten,  welche  gut  bestanden 
waren.  In  Norfolk  wurden  wir  von  dem  Superintendenten  der  Fabrik 
Herrn  von  der  Luhe,  einem  ehemaligen  Schüler  des  Vereinslaboratoriums 
und  dem  landwirthschaftlichen  Administrator  Herrn  Wietzer,  einem 
sächsischen  Landwirth,  welcher  die  Farmer  der  Umgegend  erfolgreich 
in  die  Rübencultur  eingeführt  hat,  freundlichst  empfangen  und  geführt. 
Wir  kamen  Abends  am  23.  Juli  an  und  am  24.  Juli  in  aller  Frühe 
brachen  wir  gemeinschaftlich  mit  den  genannten  nach  den  Rübenfeldern 
auf.  Die  Nacht  war  entsetzlich  heiss  gewesen  und  am  24.  August  zeigte 
das  Thermometer  37"  C.  im  Schatten.  Wochenlang  hatte  es  nicht 
geregnet,  kein  Lüftchen  regte  sich,  nur  dadurch,  dass  die  schnellen  und 
ausdauernden    Nebraskaer  Pferde,    die    unser  Gefährt  zogen,    zu  raschem 

früh  in  aller  Frühe  Omaha  mit  der  Missouri-Valleybahn  zu  verlassen.  Man  belehrte 
uns  aber  in  Davenport,  dass  auf  dieser  Bahn  Sonntags  keine  Züge  gingen  und 
in  der  That  zeigte  das  officielle  Coursbuch  eine  dahin  gehende  Bemerkung,  die  wir 
übersehen  hatten,  es  wurde  uns  auch  die  gleiche  Auskunft  am  Schalter  zu  Theil.  Infolge 
dessen  änderten  wir  unseren  Plan  und  fuhren  von  Omaha  auf  dem  Umwege  über 
Columbus  nach  Norfolk.  Auf  letzterer  Strecke  gingen  nach  dem  officiellen  Ausweis 
die  Züge  Sonntags,  wir  hatten  aber  in  Columbus  7  Stunden  Aufenthalt.  Hier  lernten 
wir  zum  ersten  Mal  die  Schattenseiten  der  Hotels  des  Westens  kennen.  Es  war 
drückend  heiss,  wir  flüchteten  in  das  beste  Gasthaus  des  Ortes.  Weder  Bier,  Wein, 
noch  irgend  welche  geistige  Getränke  dürfen  in  den  Hotels  verabreicht  werden, 
heimlich  tranken  wir  aber  im  Speisezimmer  nach  Schluss  der  Mahlzeitstunde  einige 
Flaschen  Bier.  Ein  Landsmann  hatte  unser  Pariiren  angehört  und  bewirthete  uns 
damit,  nachdem  er  das  Bier  eigenhändig  vom  Kaufmann  geholt  hatte!  Er  belehrte 
uns,  dass  alle  amerikanischen  Coursbücher  unzuverlässig  seien  und  dass  man  richtige 
Angaben  über  die  Fahrzeit  der  Züge  nur  aus  den  grösseren  Tageszeitungen  ent- 
nehmen könne,  in  denen  die  Eisenbahnagenten  täglich  annonciren.  Aus  der  „Omaha 
Biene"  konnte  er  uns  denn  auch  sofort  nachweisen,  dass  neuerdings  auf  der  Missouri- 
Valleybahn  Sonntags  die  Züge  gingen.  Unser  Aerger  war  gross,  es  Hess  sich 
aber  nichts  ändern  und  wir  mussten  den  Rest  unserer  Zeit  zwischen  den  Tabak 
speienden  Herren  in  dem  Vorflur  des  Hotels,  der  einzige  Raum,  der  dem  Gast  zur 
Verfügung  steht,  zubringen  und  bei  der  Ankunft  in  Norfolk,  die  erst  spät  Abends 
erfolgte  noch  gut  gemeinten  Spott  ertragen.  —  Es  versteht  sich,  dass  wir  in  Zukunft 
keinem  amerikanischen  Coursbuch  mehr  vertrauten,  sondern  die  Zeitungen  studirten. 
So  zweckmässig  und  nachahmenswerth  mir  vieles  an  den  amerikanischen  Eisenbahn- 
verkehrseinrichtungen scheint,  so  möchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit  doch  auf  den 
Uebelstand  hinweisen,  dass  man  wegen  der  Unzuverlässigkeit  der  Coursbücher  bei 
grösseren  Reisen  niemals  die  Stunde  der  Ankunft  mit  einiger  Sicherheit  voraus- 
bestimmen  kann. 


42 

Lauf  angetrieben  wurden,  wurde  ein  kühlender  Luftzug  für  die  Insassen 
des  allseitig  offenen,  oberhalb  bedeckten  Wagens  erzeugt.  Ohne  das 
Dach  hätten  wir  Europäer  die  Fahrt  ohne  ernstlichen  Schaden  zu  nehmen, 
wohl  schwerlich  überstanden,  welche  unseren  Führern  aber  nichts  unge- 
wohntes war,  denn  seit  Wochen  herrschte  dieselbe  Hitze  und  sie  empfanden 
dieselbe  bereits  nicht  mehr  wie  wir.  Pfeilschnell  flogen  die  Pferde 
dahin,  eine  dicke  Wolke  trockenen  Staubs  aufwirbelnd,  unerbittlich 
wurden  sie  augetrieben,  wenn  sie  Spuren  von  Ermattung  zeigten.  Was 
gilt  im  weiten  Westen,  wo  schon  das  Menschenleben  gering  geachtet 
wird,  ein  Pferd,  wenn  es  nicht  von  besonders  edler  Race  ist!  In 
Nebraska  speciell,  ist  gegenwärtig  solcher  Ueberfluss  des  Landesschlages 
vorhanden,  dass  die  Preise  spottbillig  sind,  schon  für  5  Doli,  versicherte 
Herr  Wietzer,  seien  solche  käuflich  zu  haben. 

Einige  Rübenfelder  standen  recht  gut,  und  waren  Dank  der  Fürsorge 
des  Administrators  so  trefflich  in  Cultur,  dass  man  sich  in  die  frucht- 
barsten und  hochcultivirtesten  Theile  Deutschlands  versetzt  glauben  konnte, 
andere  waren  recht  lückenhaft  oder  im  Wachsthum  zurück.  Wir  erfuhren, 
dass  die  letzteren  später  bestellt  seien,  da  die  Frühjahrsstürme  ein-,  ja, 
zweimal  die  Saat  wie  selbst  die  jungen  Pflanzen  davonwirbelten.  Im 
Gegensatz  zu  der  Trockenheit  der  Wege,  an  denen  die  als  Unkraut  jeden 
Prairieweg  einzäunenden  Sonnenrosen  matt  die  Köpfe  hängen  Hessen,  sahen 
die  Rüben  leidlich  frisch  aus.  Herr  Wietzer  zeigte  uns,  dass  die  oberen 
Theile  der  Ackerkrume  zwar  staubförmig  trocken,  2 — 3  Zoll  tief  der  Boden 
aber  ganz  feucht  war,  und  erklärte  dies  aus  der  hügeligen  Beschaffenheit 
des  Landes,  wodurch  den  tieferen  Theilen  Feuchtigkeit  von  den  Abhängen 
zugeführt  wird.  Regen  schien  trotzdem  dringend  wünschenswerth,  trat 
auch  bald  nach  unserer  Abreise  ein.  Das  Land,  auf  welchem  die  Rüben 
gebaut  waren,  war  theils  seit  Jahren  in  Cultur,  theils  eben  erst  urbar 
gemacht,  was  in  dem  steinfreien  Prairieboden  leicht  von  Statten  geht. 
Mit  einem  ümschlagspflug  wirft  man  im  Herbst  die  Ackerkrume  um,  wodurch 
die  Wurzeln  des  Grases  nach  oben  gelangen  und  absterben,  im  folgenden 
Frühjahre  wird  dann  bereits  mit  Mais  oder  besser  direct  mit  Rüben  bestellt. 
Die  erste  Ernte  ist  häufig  auch  deshalb  ertragreicher  als  die  folgenden, 
weil  das  Neuland  zunächst  frei  von  Unkraut  ist.  Bei  nachlässiger  fernerer 
Behandlung  überwuchert  dasselbe  aber  bald,  die  meisten  Felder  gewähren 
alsdann  für  ein  europäisches  Auge  den  Anblick  trostloser  Verwahrlosung. 
Wir  bohrten  mit  dem  Erdbohrer  auf  einer  Rübenbreite  ein  und  blieben, 
so  tief  als  wir  eindringen  konnten,  im  Lehm,  welcher  frei  von  Humus 
war.  Im  Weiterfahren  passirten  wir  zahlreiche  Rübenfelder,  alle  trefflich 
bestellt,  ein  ehrendes  Zeugniss  für  die  Thätigkeit  des  Herrn  Wietzer, 
unseres  sächsischen  Landsmannes.  Wir  versuchten,  an  der  Blattform  und 
dem    Habitus    der    Wurzel    die    Racen    auszufinden    und   unterschieden 


43 

mit  Leichtigkeit  Rüben  Klein- Wanzlebener,  Dippe'scher  und  Französischer 
(Deprez)  Abkunft.  Die  deutschen  Rüben  hatten  ihre  Raceeigenthümlich- 
keiten  bewahrt,  die  Wurzelbildung  war  musterhaft,  ohne  Verästelung,  das 
Fleisch  fest  und  weiss,  die  Zahl  der  Blattringe,  die  Kopfbildung  und  die 
Form  der  ganzen  Pflanze  normal.  Späterhin  ist  die  Entwickelung  der 
Pflanzen  jedoch  nicht  so  vortheilhaft  weiter  verlaufen,  ungünstige  Witterungs- 
verhältnisse haben  die  Reife  verzögert,  und  die  Ernte  hat  schliesslich 
nicht  recht  befriedigt. 

Wir  fuhren  in  nordwestlicher  Richtung  und  kreuzten  die  Eisenbahn, 
massenhaft  wucherte  die  Kleeseide  zu  beiden  Seiten  des  Weges,  ihrer  Ver- 
breitung schauen  die  Farmer  müssig  zu.  Auf  etwas  höher  gelegenem 
Terrain  setzten  wir  abermals  den  Erdbohrer  in  Bewegung,  der  Boden  war 
hier  leichter,  der  Untergrund  reiner  Sand,  die  Rüben  in  Folge  der  Trocken- 
heit welk  und  klein.  Unterdessen  war  die  Mittagsstunde  herangenaht, 
Menschen  und  Thiere  von  der  Hitze  erschlafft,  und  wir  lenkten  deshalb 
unser  Gefährt  nach  der  nahen  Stadt  Pierce  (5 — 600  Einwohner),  wo  wir 
Rast  machten.  Die  Pferde  wurden  einem  der  allerorts  befindlichen  Leih- 
ställe übergeben  —  die  Stadtbewohner  haben  zumeist  ihre  Thiere  in 
dieser  Weise  untergebracht,  da  es  viel  zu  theuer  kommen  würde,  sich 
einen  eigenen  Stall  oder  gar  Kutscher  zu  halten,  sorgfältige  Pflege  lässt 
der  Amerikaner  den  nützlichen  Hausthieren  überhaupt  nicht  angedeihen. 
Wir  selbst  stiegen  im  Hotel  ab.  Ein  sonderbarer  Aufenthalt,  dieses  Hotel, 
welches  in  demselben  Raum  eine  Barbierstube,  das  Sprechzimmer  und  den 
Speiseraum  vereinigte.  Während  der  schmutzige  ,  schwarze  Barbier 
seine  Kunden  bediente,  Hessen  wir  uns  zum  Mahl  nieder;  eigenthümlicher 
noch  als  im  Eisenbahnwagen  berührte  es  uns,  vom  Wirthe  mit  Ein- 
wohnern des  Städtchens  in  der  Arbeiterblouse  auf  gleicher  Stufe  behandelt 
zu  werden.  Das  Essen  ist,  wie  allerwärts,  reichlich  und  gut,  die  Zu- 
bereitung etwas  primitiv  und  nomadenhaft.  Nur  mit  Schwierigkeit  fanden 
wir  uns  darein,  die  im  ganzen  gekochten  und  mit  Butter  bestrichenen 
süssen  Maiskolben  mit  beiden  Händen  durch  die  Zähne  zu  ziehen,  um  die 
Körner  herauszuessen.  Bald  nach  Tisch  brachen  wir  auf,  um  auf  einem 
südlicheren  Wege  nach  Norfolk  zurückzukehren.  Die  Sonne  brannte  uner- 
träglich, der  Staub  hüllte  uns  ein,  im  vorderen  Theile  des  Wagens  er- 
hitzte sich  die  eine  Seite  des  darin  Sitzenden  so,  dass  es  eine  Wohlthat 
war,  den  Platz  wechseln  zu  können.  Wir  passirten  mehrere  Gehöfte,  von 
schattigen  Bäumen  umgeben,  theils  mit  freundlichen,  gut  erhaltenen 
Wohnungen  und  schlechten  Stallungen,  theils  mit  guten  Stallungen  und 
mangelhaften  Wohngebäuden.  Unsere  Führer  erklärten  uns,  dass  an  dem 
Aeusseren  die  Herkunft  des  Inhabers  erkannt  werden  könne,  der  Ameri- 
kaner sorgt  vor  allem  für  ein- stattliches  Wohnhaus,  der  Deutsche  denkt 
zuerst  an  sein  Vieh  und  seine  Landesproducte,  dann  erst  an  seine  Person. 


44 

An  einem  Gehöfte  machten  wir  Halt,  um  uns  die  Rübenculturmaschinen 
der  Johnston  Harvester  Co.  anzusehen,  sie  unterscheiden  sich  in  keinem 
wesentlichen  Punkte  von  den  europäischen,  ja,  Herr  Wietzer  klagte,  dass 
man  mit  den  Rüben baumaschinen  noch  hinter  Deutschland  sehr  zurück 
sei.  Die  Sonne  senkte  sich,  als  wir  die  Zuckerfabrik  in  Norfolk  erreichten. 
Sie  ist  von  einer  französischen  Firma  gebaut,  die  Disposition  ist  eigen- 
thümlich,  indem  ein  Raum  für  die  Verarbeitung  der  Füllmasse  fehlt,  die 
Aufstellung  der  Sudmaische,  der  Centrifugen  und  des  Vacuums  ist  die 
nämliche  wie  bei  den  californischen  Fabriken. 

Wegen  der  weiten  Entfernung  der  Raffinerien  kann  nicht  auf 
Rohzucker  gearbeitet  werden.  In  Folge  dessen  können  die  Fabrik- 
besitzer nur  granulated  ausführen  und  darauf  die  2  cent-Prämie  (8,50  Mk. 
für  den  Centner)  erheben.  Bisher  gewährte  der  Staat  Nebraska  überdies 
noch  eine  Prämie  von  10  cent  pro  Pfd.  Zucker,  welche  jedoch  neuer- 
dings aufgehoben  worden  ist.  Die  Melasse  hat  man  noch  nicht  recht 
verwerthen  können,  da  die  Versuche  anderorts  Speisesyrupe  daraus  her- 
zustellen, nicht  erfolgreich  waren.  Die  Fabrik  richtete  deshalb  das  Aus- 
scheidungsverfahren ein,  für  welche  Claus  Spreckels  eine  ursprünglich  für  eine 
neu  zu  erbauende  californische  Fabrik  bestimmte  Einrichtung  hergegebea 
hatte.  Die  Einführung  einer  Melasseentzuckerung  an  einem  Ort,  wo 
nur  weisser  Zucker  verwerthet,  an  eine  eigentliche  Raffination  aber 
nicht  gedacht  werden  kann,  scheint  prinzipiell  ein  Missgriff  zu  sein. 
Sie  lässt  sich  nur  erklären  durch  den  begreiflichen  Wunsch,  die  hohe 
Prämie  nach  Möglichkeit  auszunützen,  im  Interesse  einer  raschen  Ent- 
wickelung  der  Rübenzuckerindustrie  wäre  es  aber  zweifellos  richtiger, 
zunächst  die  Prämie  nur  zu  verwenden,  um  den  Rübenbau  auszu- 
dehnen, denn  damit  ist  es  noch  immer  schwach  bestellt.  Augenblick- 
lich stehen  nur  ungefähr  2500  Acker  (1  Acker  =  1,6  preuss.  Morgen)  Rüben 
zur  Verfügung.  Man  hat  den  Fehler  begangen,  im  Anfang  den  Rüben- 
preis so  niedrig  zu  setzen,  dass  die  Farmer  dabei  nicht  auf  die  Kosten 
gekommen  und  vielfach  kopfscheu  geworden  sind.  Neuerdings  hat  man 
den  Preis  erhöht  und  überdies  der  Fabrik  gehöriges  Land  gegen  massige 
Pacht  mit  der  Verpflichtung,  Rüben  zu  bauen,  kleinen  Leuten  überlassen. 

Nur  auf  diesem  Wege  kann  es  nach  Ansicht  des  Herrn  Wietzer  ge- 
lingen, der  Fabrik,  welche  auf  6000  Ctr.  Verarbeitung  eingerichtet  ist, 
dauernd  und  regelmässig  ein  grösseres  Rübenquantum  zu  sichern;  es 
scheint  aber,  als  wenn  die  Besitzer  der  Fabrik  sich  noch  scheuten,  in 
dieser  Weise  auf  Jahre  hinaus  Vorsorge  zu  treffen.  Unser  Besuch  schloss 
mit  dem  unvermeidlichen  Interview  durch  den  Redacteur  der  Norfolker 
Zeitung,  Durchsprechen  des  Erlebten  und  der  dortigen  Verhältnisse  in 
dem  behaglichen  Wohnhause  des  Besitzers  der  Fabrik.     Der  Abend  brachte 


45 

etwas  Kühlung,  und  wir  freuten  uns  über  den  lieblichen  Anblick,  welchen 
der  wasserreiche,  dicht  bei  der  Fabrik  vorbeiführende  Fluss  mit  seinem 
von  alten  Bäumen  beschatteten  Thale  gewährte.  Blutroth  ging  die  Sonne 
unter,  Todtenstille  und  tiefe  Dunkelheit  empfing  alsbald  das  inmitten  der 
Prairie  gelegene  Fabrikgebäude.  So  schön  der  Sonnenuntergang  in  der 
Prairie  ist,  so  sehr  vermissen  wir  hier  aber  die  lange  Dämmerung,  welche 
bei  uns  die  Sommernächte  noch  lange  erhellt. 

Am  nächsten  Morgen  kurz  vor  der  Abreise  besuchte  uns  noch  ein 
Farmer  von  deutscher  Abkunft,  der  uns  von  seinen  Erfolgen  im  Bübenbau 
ein  fast  zu  schwärmerisches  Bild  entwarf.  Aber  die  Absicht,  seine  günstige 
Ansicht  auch  uns  beizubringen,  war  doch  unverkennbar,  weshalb  wir  seinen 
Aeusserungen  nicht  zu  grosses  Gewicht  beilegen  möchten.  Herr  van  der 
Luhe  und  Herr  Wietzer  geleiteten  uns  zum  Bahnhof,  wo  der  Redacteur 
bereits  anwesend  war,  um  uns  noch  einmal  zu  fragen,  wie  uns  Norfolk, 
die  Ausstellung  in  Chicago  und  Amerika  im  Allgemeinen  gefallen  habe, 
denn  sein  Bericht  würde  die  Leser  nur  halb  befriedigen,  wenn  er  nicht 
zum  Schluss  unsere  stricte  Antwort  auf  diese  drei  Fragen  brächte.  Bald 
darauf  sassen  wir  wieder  in  unserem  geliebten  Columbus,  wo  wir  aber- 
mals 8  Stunden  Zeit  hatten,  uns  über  die  schlechte  Bedienung  im  Hotel, 
die  uns  durchaus  missverstehen  will,  über  die  furchtbare  Hitze,  das 
Tabakspeien  und  das  betrunkene  Gebahren  der  zahllosen  beschäftigungs- 
losen Minenarbeiter  zu  ärgern,  welche  von  den  damals  eben  geschlossenen 
Silberminen  in  Colorado  ausschwärmend  die  kleinen  Stationen  der  Union 
Pacific -Bahn  anfüllten.  Endlich  Abends  um  10  Uhr  nahm  uns  der  be- 
hagliche Pullmann-Schlafwagen  der  Eisenbahn  auf,  der  uns  nach  den  An- 
strengungen von  Chicago  und  der  letzten  Reisezeit  für  einige  Tage  den 
hochgelegenen  und  kühleren  Theilen  des  Felsengebirges  zuführen   sollte. 

Grand  Island. 

Am  22.  August  Abends  brach  ich  von  Saltlake  city  auf  und  er- 
reichte nach  etwa  48 stündiger  Fahrt  durch  Utah,  Wyoming  und  Nebraska 
am  24.  August  früh  am  Morgen  Grand  Island.  Die  Reise  entlang  dem 
Creck-  und  später  dem  Platte-Pluss  bietet  manches  Reizvolle,  da  Berge 
mit  steiniger  Hochebene  und  grünen  Thälern  wechseln,  aber  im  all- 
gemeinen überwiegt  doch  das  Gefühl  der  Eintönigkeit  und  Vereinsamung. 
Denn  auf  dem  grössten  Theil  des  Weges  fliegen  wir  an  völlig  unfrucht- 
baren, ausgetrockneten  Gefilden  vorüber,  die  kein  Strauch  oder  Baum 
ziert,  kein  Gethier  belebt.  Nur  wenn  wir  uns,  was  aber  anfangs  selten 
geschieht,  einer  Niederung  nähern,  wo  sich  Wasser  befindet,  erquickt  das 
Auge  der  Anblick  von  Pferde-  und  Rindviehheerden.  Die  Nähe  einer 
solchen  Oase  kündet  sich  gewöhnlich  dadurch  an,  dass  entlang  der  Eisen- 


46 

bahn  Pferde-  und  Rindviehskelette  auftauchen,  tintweder  haben  die 
Thiere  sich  zu  weit  vom  Wasser  entfernt  und  sind  vor  Durst  verkommen, 
oder  sie  sind  im  Sturm  verirrt  oder  auch  •  hat  der  Eisenbahnzug  ein 
neugieriges  Stück  Jungvieh  gepackt  und  getödtet.  Ein  unheimlicher  An- 
blick, diese  Skelette,  die  häufig  auch  nicht  weit  von  den  Wohnungen 
lagern.  Allmählich,  je  mehr  wir  uns  Julesburg  nähern  und  von  dem 
Hochplateau  von  Wyoming  herabklettern,  wird  es  fruchtbarer,  im  Morgen- 
grauen sah  ich,  wie  ein  Wolf  erschreckt  vor  dem  heranbrausenden  Zug 
floh.  Das  Prairiegras  wird  höher,  die  Maisfelder  mehren  sich  und  der 
Zug  hält  in  Grand  Island. 

Grand  Island  ist  ein  Städtehen  von  etwa  8000  Einwohnern,  welches 
bis  zum  Jahre  1872  einen  etwa  1/2  Stunde  von  dem  jetzigen  Standort 
entfernten  Platz  einnahm.  Damals  wurde  in  der  Nähe  die  Station  der 
Union  -  Pacific  angelegt  und  die  Bewohner  zogen  mit  ihren  Holzhäusern 
dahin,  Theile  der  alten  Stadt  stehen  aber  noch  und  auch  die  Zucker- 
fabrik liegt  dicht  dabei. 

Die  Lage  des  Ortes  ist  günstig,  nicht  allein  wegen  der  Nähe  des 
Platte  Flusses,  dessen  Arme  die  Insel  Grand  Island  bilden,  sondern  auch  weil 
er  Knotenpunkt  von  sechs  Eisenbahnlinien  ist.  Die  Northern-Pacific-,  die 
Burlington-  und  die  Union  -  Pacific  -  Gesellschaft  stossen  hier  zusammen. 
Der  Ort  macht  demgemäss  einen  belebten  Eindruck,  ein  grosses  viel- 
stöckiges  Hotel  ist  im  Neubau  begriffen,  elektrische  Beleuchtung  und 
Pferdebahn  vorhanden,  wie  in  den  meisten  kleinen  amerikanischen  Städten. 
Im  Hotel,  wo  ich  nach  der  langen  Fahrt  behaglich  mein  Frühstück  ver- 
zehrte, wurde  ich  dadurch  überrascht,  dass  ganz  unerwartet  die  Herren 
Hecker,  Frentzel  und  Schöller,  die  bereits  früher  erwähnten  drei  deutschen 
Zuckerfabrikanten,  die  ich  schon  in  St.  Louis  wähnte,  in's  Zimmer  traten. 
Unsere  Freude  war  gross,  für  mich  noch  besonders  angenehm,  dass  die 
Herren  bereits  Schritte  gethan  hatten,  um  zuverlässige  Information  über 
die  Verhältnisse  der  Kübenzuckerfabrik  am  Orte  zu  erhalten. 

Wir  begaben  uns  zunächst  zu  Herrn  König,  dem  Banquier  des 
Platzes,  einem  Landsmann,  welcher  als  einer  der  Begründer  Grand 
Islands  sich  des  grössten  Ansehens  am  Orte  und  in  ganz  Nebraska  er- 
freut. Grand  Island  ist  zur  Hälfte  von  Deutschen  bewohnt,  ebenso  sind 
viele  der  Farmer  in  der  Umgegend  deutscher  Abkunft  und  bewahren 
heimathliche  Sitte  und  Sprache. 

Mit  der  Pferdebahn,  deren  Eigenthümer  Herr  König  ist,  fuhren 
wir  zunächst  nach  der  Fabrik,  welche  auf  vorher  nicht  cultivirtem 
Prairieboden  erbaut  und  noch  von  jungfräulicher  Prairie  umgeben  ist. 
Die  drei  genannten  grossen  Eisenbahn-Gesellschaften  haben  unentgeltlich 
ihre  Geleise  bis  in  den  Fabrikshof  gelegt,  in  der  Hoffnung,  an  den 
Frachten  alsbald  die  Kosten  der  Anlage  zu  verdienen.     Bis  jetzt  ist  dies 


47 

aber  noch  nicht  eingetreten,  denn  nur  wenig  Buben  aus  der  entfernteren 
Umgegend  sind  in  Aussicht,  z.  B.  von  Schuyler  für  die  gegenwärtipje 
Campagne  100  Acker,  von  dort  ist  die  Fracht  für  die  schwere  Tonne 
80  Cent.     Folgende  Frachtsätze  wurden  uns  angegeben: 

bis  25  engl.  Meilen 30  cent  j 

y,    25—  45       „        50     „      [per  Tonne. 

„    45-100       80    „      ) 

Die  Fabrik  ist  für  350  Tonnen  täglicher  Verarbeitung,  also  7000  Ctr. 
in  Tag-  und  Nachtschicht  eingerichtet,  doch  waren  an  Rüben  augeblich 
nur  18000  tons  ^)  in  Aussicht,  hat  im  Gegensatz  zu  der  Norfolker  ein 
gutes  Kesselhaus  und  wieder  3  Kalköfen!!!  Die  innere  Einrichtung 
zeigt  eine  ähnliche  Anordnung  wie  in  Norfolk,  besonders  ist  die 
Füllmassenarbeit  die  nämliche.  Der  fertig  gekochte  Sud  wird 
direct  in  eine  trogförmige  Maische  entleert,  welche  mit  einem  rasch 
wirkenden  Rührwerk  versehen  ist  und  nach  höchstens  5  Stunden  währendem 
Rühren,  oft  aber  unmittelbar  nach  dem  Ablassen  in  den  Centrifugen 
geschleudert  und  weiss  gedeckt.  Man  kocht  absichtlich  auf  ganz  kleines, 
unregelmässiges  und  schlechtes  Korn,  siebt  auch  den  Granulated  nicht 
ab,  da  Granulated  von  gleichmässigem  und  grösseren  Korn  angeblich 
auch  hier  unverkäuflich  sein  soll.  Dieselbe  Verarbeitungsweise  der  Füll- 
masse, welche  offenbar  aus  den  amerikanischen  Raffinerien  übernommen 
ist,  kehrt  wie  schon  erwähnt  fast  in  sämmtlichen  amerikanischen  Zucker- 
fabriken wieder. 

Als  ein  Mangel  werde  es  bezeichnet,  dass  die  Fabrik  nur  ein  be- 
decktes, allerdings  grosses  Rübenhaus  besitzt,  im  Herbst  also  die  Rüben 
unter  den  dortigen  klimatischen  Verhältnissen  nicht  sämmtlich  vor  Frost 
schützen  könne. 

Für  die  Besichtigung  der  Felder  theilten  wir  uns  in  2  Partheien, 
um  unsere  Beobachtungen  austauschen  zu  können.  Das  Ergebniss  war 
für  beide  Theile  dasselbe,  nämlich  fast  allerwärts  ein  negatives.  Der 
Boden  der  Umgegend  ist  eben,  sieht  schwarz  aus,  ist  aber  sandig  und 
für  die  hiesigen  klimatischen  Verhältnisse  zu  durchlässig, 
vielfach  ist  er  zum  Rübenbau  deshalb  ungeeignet.  Die  heissen  trockenen 
Winde  im  Mai  wirbeln  hier  noch  viel  leichter  als  in  Norfolk  den  Boden 
zusammen  mit  den  jungen  Pflanzen  hoch  in  die  Luft,  daher  ist  oft  im 
Juni  eine  Neubestellung  und  zweite  Aussaat  nöthig.  In  diesem  Jahre 
haben  angeblich  800  Acker  neubestellt  werden  müssen  und  fast  aller  Samen, 
der  im  ersten  Frühjahr  ausgelegt  worden  war,  war  verloren  gegangen. 
Am  besten  hat  sich  hier  die  Klein-Wanzlebener  Nachzucht  bewährt, 
nicht  so  gut  die  französischen  Rüben. 

')  Wo  nichts  besonderes   bemerkt   ist,    versteht   man   in  Amerika   unter  Tonne 
stets  die  schwere  Tonne  von  20  Ctr.  =  2240  Pfd.  englisch. 


48 

Die  Rüben,  die  wir  sahen,  waren  noch  sehr  zurück  für  die  Jahres- 
zeit und  ganz  unreif.  Da  es  in  letzter  Zeit  vielfach  geregnet  hatte  und 
auch  im  September  ausgiebige  Regen  gefallen  sind,  so  war  es  mir  unwahr- 
scheinlich, dass  sie  überhaupt  zur  guten  Reife  kommen  könnten,  eine  An- 
sicht, die  sich  inzwischen  durch  Berichte  über  den  Verlauf  der  neuen 
Campagne  drüben  als  richtig  bestätigt  hat. 

Bei  einem  deutschen  Bauern  Giese,  welcher  mit  einem  Sohn  und 
zwei  Töchtern  wirthschaftet,  fand  ich  ganz  europäische  Stallmistwirthschaft. 
die  bei  dem  sandigen,  obgleich  tiefgründigen  Boden  gute  Dienste  that. 
Es  ist  übrigens  ein  Irrthum,  anzunehmen,  dass  durchweg  im  weiten  Westen 
die  Farmer  die  Düngung  vernachlässigen,  sie  machen  nur  häufig  zu 
schlechte  Erfahrungen  damit,  dass  sie  lieber  davon  abstehen.  Dies  kommt 
daher,  dass  das  Vieh  in  den  Nothställen  im  Winter  nicht  so  gehörig  wie 
bei  uns  besorgt  werden,  vor  allem  nicht  genügend  Stroh  eingestreut  wer- 
den kann.  Der  Mist  ist  daher  viel  compakter,  gährt  nicht  so  rasch  aus, 
wie  bei  uns  der  Strohdung,  und  erwärmt  in  Folge  dessen  den  Boden  zu 
stark.  Daher  missräth  die  Ernte  nicht  selten  im  ersten  Jahr  nach  der 
Düngung,  während  im  zweiten  Jahre  erst  eine  gute  Wirkung  derselben  zur 
Geltung  kommen  kann.  Doch  giebt  es  in  Nebraska,  wenn  auch  vereinzelt, 
auch  kalte  Böden,  bei  denen  man  in  europäischer  Weise  mit  Stalldung 
wirthschaftet  und  auch  Rüben  baut. 

Giese  fütterte  auch  Schnitzel,  miethete  dieselben  sogar  ein,  ein  sehr 
seltener  Fall  hier  zu  Lande,  wo  die  meisten  Schnitzel  verfaulen,  weil  sich 
keine  Abnehmer  dafür  finden.  Er  kam  ebenso  wie  Herr  König  im  Jahre 
1872  hier  an  und  lebt  noch  an  der  Stelle  des  alten  Grand  Island,  welches 
damals  noch  ein  Tummelplatz  der  Indianer  war. 

Auffallend  war,  wie  viel  kranke  Rüben  allerwärts  vorhanden  waren, 
nie  habe  ich  so  viel  Ungeziefer  auf  Rübenfeldern  gesehen,  wie  hier,  was 
allerdings  stellenweise  wohl  auch  davon  kam,  dass  dicht  neben  den  Rüben- 
feldern Kohlfelder  lagen.  Dass  die  Fabrik  so  wenig  Rüben  erhält,  rührt 
auch  daher,  dass  man  auch  hier  im  Anfang  zu  schlechte  Preise  geboten 
hat.  Man  hat  die  Tonne  Rüben  nur  mit  SVg  Dollar  bezahlt,  während 
nach  übereinstimmendem  ürtheil  aller  Farmer,  die  ich  gesprochen,  in 
Nebraska  der  Rübenbau  erst  bei  einem  Preise  von  5  Dollar  die  Tonne 
lohnend  werden  könnte.  Die  kleinen  Bauern  der  Umgegend  von  Grand 
Island  sind  daher  nicht  mehr  zu  bewegen,  Rüben  zu  bauen.  Während 
unserer  Fahrt  durch  die  Felder  begegneten  wir  einem  Farmer  mit  seinem 
Karren.  Der  Administrator,  welcher  mich  führte,  benutzte  die  Begeg- 
nung zu  der  Frage  an  den  Farmer,  ob  er  nicht  wieder  Rüben  bauen 
wolle;  in  demselben  Moment  kam  ein  zweiter  Wagen  heran,  und  der  Ge- 
fragte rief  dem  Führer  desselben  zu:  „He,  Nachbar,  was  meint  Ihr, 
möchtet  Ihr  nicht  wieder  Rüben  bauen?"    „Nein,"  erwiderte  dieser  lachend, 


49 

„ich  habe  ein  Haar  dabei  gefunden,  meine  Rüben  sind  vergangenes  Jahr 
in  die  Luft  gewirbelt",  und  beide  setzten  lachend  ihren  Weg  fort.  Dieses 
Gespräch  charakterisirt  den  Stand  der  Dinge  in  Grand  Island,  wie  er  uns  auch 
anderwärts  geschildert  wurde.  Das  ganze  Unternehmen  ist  von  Anfang  an 
verfahren  und  wird  schwerlich  an  dieser  Stelle  wieder  ins  richtige  Geleise 
zu  bringen  sein.  Ja,  man  trägt  sich  angeblich  mit  der  Idee,  die  Fabrik 
von  Grand  Island  nach  Schuyler  zu  verlegen,  wo  guter  Rübenboden  in 
Menge  vorhanden  sein  soll  und  die  Farmer  noch  nicht  kopfscheu  ge- 
worden sind. 

Was  die  Herren  Frentzel,  Hecker  und  Schöller  gesehen,  be- 
stätigte durchaus  meine  Beobachtungen.  Gut  entwickelte  Rüben  waren 
nicht  zu  finden,  die  Rüben  auch  nicht  so  gut  cultivirt,  insbesondere  so 
gut  gehackt  als  in  Norfolk.  Mit  der  Rübehebe-  und  Köpfmaschiue  der 
Johnston  Harvester  Co.  waren  die  Leute  hier  nicht  zurecht  gekommen, 
wohl  auch,  weil  die  Rüben  so  unregelmässig  standen  und  unregelmässig 
gewachsen  waren. 

Die  Fabrik  schreibt  20  Pfd.  Samen  pro  Acker  vor,  welchen  sie  den 
Farmern  zum  Preise  von  10  cent  das  Pfund  liefert. 

Der  Kohlenpreis  („weiche"  Kohle)  wurde  uns  zu  3  Doli,  die  Tonne 
(in  Norfolk  3V2)  genannt,  die  Zahl  der  Arbeiter  zu  120  Mann,  der  Lohn- 
satz in  der  Fabrik  zu  1,75  Doli,  pro  Tag,  die  durchschnittliche  Rüben- 
ernte zu  8 — 9  Tonnen  pro  Acker,  während  15  Tonnen  als  gute  Ernte 
bezeichnet  wurden.  Die  Schwankungen  in  den  Angaben  der  verschiedenen 
Reisenden,  welche  in  der  letzten  Zeit  die  amerikanischen  Zuckerfabriken 
besucht  haben ,  zeigen  schon ,  dass  es  nicht  gerathen  ist,  Berechnungen 
auf  derartige  ermittelte  Zahlen  zu  gründen,  lieber  den  Zuckergehalt 
der  Rüben  konnten  wir  nicht  brauchbares  ausfindig  machen,  da,  wie  fast 
allerwärts  in  Amerika  (Alvarado  ausgenommen)  nur  der  Saft  untersucht 
wurde,  dessen  Gehalt,  weil  die  Rüben  häufig  vollständig  welk  und  ver- 
trocknet sind,  natürlich  sehr  hoch  kommen  kann.  Wenn  deshalb  der 
Saft  hier  auch  in  früheren  Jahren  13 — 15  ^Vo  Zucker  gezeigt  haben  mag, 
so  würden  bei  einem  Saftgehalt  von  95  doch  vielleicht  nur  11 — 13  7o 
darin,  also  10,5 — 11,5  7o  in  der  Rübe,  vorhanden  gewesen  sein. 

Sioux  City. 

Ursprünglich  hatte  ich  den  Plan,  von  Grand  Island  nochmals  nach 
Norfolk  zu  gehen  und  darauf  in  Schuyler  einige  Tage  Station  zu  machen, 
um  selbst  einige  Rübenanalysen  an  der  Versuchsstation  auszuführen.  Da 
aber  die  Regierung  in  Washington  in  der  Zwischenzeit  angeordnet  hatte, 
dass  die  Versuchsstation  eingehen  solle  und  in  Folge  dessen  sie  mein 
Interesse  nicht  mehr  erregte,  verzichtete  ich  auf  den  Besuch  in  Schuyler. 
Auch  einen  abermaligen  Aufenthalt  in  Norfolk  gab  ich  auf,  da  ich  hörte, 

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daSs  man  do^-t  sich  gerade  bemühte,  das  Ausscheidungsverfahren  zu  pro- 
biren,  aber  noch  nicht  völlig  eingerichtet  sei.  Unter  diesen  Umständen 
wollte  ich  um  so  weniger  stören,  als  ich  in  Grand  Island  hörte,  dass  in 
Folge  der  von  Regenfällen  unterbrochenen  grossen  Hitze  in  dem  Stand 
der  Rüben  in  dem  Zeitraum  von  3 — 4  Wochen,  welche  seit  unserm  ersten 
Besuch  in  Norfolk  verflossen  waren,  keine  wesentliche  Aenderung  ein- 
getreten war.  Ich  ergriff  deshalb  die  Gelegenheit,  die  mir  eine  von  dort 
ergangene  Einladung  bot,  von  Sioux  City,  der  Grenzstadt  am  Missouri, 
bei  welcher  die  drei  Staaten  Nebraska,  Jowa  und  Süd-Dacota  zusammen- 
stossen,  die  landwirthschaftlichen  Verhältnisse  dieser  Gegenden  unbeein- 
flusst  von  beim  Rübenbau  interessirten  Personen  zu  betrachten.  Abermals 
führte  mich  mein  Weg  auf  der  Hauptstrasse  der  Union  Pacific -Gesell- 
schaft von  Grand  Island  nach  dem  wohlbekannten  Columbus.  Nach  dem 
öden  Anblick  des  Felsengebirges  auf  der  Strecke  von  Utah  nach  Grand 
Island  erfreuten  mich  die  Maisfelder  im  Platteflussthal,  die  üppige  Prairie 
und  selbst  die  als  Unkraut  den  Bahndamm  umwuchernden  Sonnenblumen. 
Gleich  bei  der  Ausfahrt  aus  Grand  Island  erregte  auch  eine  mächtige 
Sauerkrautfabrik  mein  Interesse.  In  Columbus,  wo  ich  wiederum  den 
unvermeidlichen,  diesmal  5  stündigen  Aufenthalt  hatte,  fühlte  ich  mich 
schon  heimisch.  Es  war  nicht  mehr  so  drückend  heiss,  als  Anfangs  August, 
sondern  es  herrschte  eine  angenehme  Temperatur,  wie  bei  uns  im  Sep- 
tember. Auf  der  Weiterreise  passirte  ich  am  Tage  Norfolk  und  die 
Rübenfelder,  die,  wie  schon  erwähnt  und  auch  nachträglich  von  den 
Herren  Hecker,  Frentzel  und  Schöller  bestätigt  wurde,  seit  der  Zeit  meines 
Hierseins  ziemlich  im  Wachsthum  stillgestanden  zu  haben  schienen.  Nach 
nahezu  3 stündiger  Eisenbahnfahrt  von  Norfolk  gerechnet  erreichte  ich 
Sioux  City,  eine  aufblühende  Stadt  von  etwas  mehr  als  38000  Einwohnern, 
an  den  hügeligen  Ufern  des  Missouri  gelegen,  die  Hauptstrasse  im  ebenen 
Thal,  aus  welcher  man  ähnlich  wie  in  San  Francisco  zu  den  hügeligen,  steilen 
Seitenstrassen,  die  von  den  Wohnhäusern  gebildet  werden,  emporklettert. 
Sieben  Eisenbahnstränge  stossen  an  diesem  bedeutenden  Platze,  für  den 
man  eine  grosse  Zukunft  erhofft,  zusammen,  viele  Quadratmeilen  sind 
bereits  in  Baustellen  eingetheilt,  so  dass  wohl  Chicago  oder  New-York 
auf  dem  reservirten  Terrain  Platz  hätten.  Die  Umgegend  der  aufstrebenden 
amerikanischen  Städte  erhält  durch  die  Voraussicht,  mit  der  man  die 
Stadtpläne  meist  auf  ein  Wachsthum  ins  Ungeheure  angelegt  hat,  ein  recht 
ödes  Ansehen.  Denn  alle  die  Baustellen  liegen  uncultivirt  da,  nur  von 
Unkraut  und  Prairiegras  bewachsen,  und  erst  an  der  Grenze  des  Weich- 
bildes wird  das  Auge  des  Reisenden  wieder  durch  die  Zeichen  der 
menschlichen  Cultur  erfreut,  mit  welchen  der  Farmer  das  Land  ge- 
zeichnet hat. 

Zahlreiche  Zuckerfabrikprojecte  durchschwirrten  die  Umgegend,  von 


51 

denen  bis  jetzt  jedoch  keins  verwirklicht  worden  ist.  Auch  liegen  gegen- 
wärtig die  Aussichten  schlechter  als  je,  wegen  der  allgemeinen  Geldnoth 
in  Folge  der  Silberkrise  und  der  Unsicherheit  der  Erhaltung  der  Staats- 
prämie unter  dem  demokratischen  Regiment,  trotzdem  ausser  dieser  Prämie 
ein  Staatengesetz  in  Süd-Dacota  für  daselbst  fabrizirten  Rübenzucker 
eine  Prämie  von  10  cent  für  das  Pfund  Zucker  und  2  cent  für  die 
Gallone  Melasse  (!!)  in  Aussicht  stellt.  Ausgenommen  einige  Projecten- 
macherO  beurtheilte  man  hier  allgemein  die  Bestrebungen  in  Nebraska 
sehr  nüchtern  und  stellte  ihnen  keine  günstige  Zukunft  in  Aussicht. 

Die  mir  bekannten  Farmer  führten  gegen  den  Rübenbau  alle  die 
ungünstigen  Momente  in's  Feld,  welche  sich  in  Nebraska  schon  störend 
geltend  gemacht  haben.  Ungunst  der  Frühjahrswitterung,  trockene  Winde, 
früher  Frost,  theuere  Löhne.  Sie  behaupteten,  dass  auch  im  nahen 
Norfolk  die  Stimmung  unter  den  unabhängigen  Farmern  immer  mehr 
und    mehr   gegen    den  Rübenbau   überhand    nehme    und    dass    die   Er- 


*)  Anmerkung:  Man  legte  mir  bei  meiner  Ankunft  einen  Zeitungsausschnitt 
betreffend  ein  Zuckerfabrikproject  in  Sioux  Fall  vor,  welches  so  charakteristisch  für 
die  Art  ist,  in  welcher  man  bei  den  Farmern  Stimmung  zu  machen  sucht,  dass  ich 
nachfolgend  es  übersetze: 

Rübenzuckerfabrik  in  Dacotaü 


Ein  Sachverständiger  giebt  interessante  Aufschlüsse!!!! 

Die  Verhältnisse  hier  sind  der  Rübenzuckerindustrie 
günstige  ü ! ! 
Aus  dem  Sioux  Fall  Argus-Leader!  Es  ist  gar  keine  Frage  mehr,  dass  in  beiden 
Dacotastaaten  und  in  Minnesota  Boden  und  Klima  dem  Zuckerrübenbau  äusserst 
günstig  sind,  ja,  Süd-Dacota  besitzt  manche  klimatischen  Vortheile  im  Vergleich  zu 
Nebraska,  denn  wir  haben  im  Sommer  verhältnissmässig  weniger  von  den  heissen 
Winden  zu  leiden,  die  in  Nebraska  so  vorwiegen,  wo  doch  2  Rübenfabriken  mit  Er- 
folg arbeiten.  Es  ist  ein  Irrthum,  dass  Frost  den  Kuben  schadet,  vielmehr  ist  er  ein 
Vortheil,  weil  sich  die  Rüben  bei  kaltem  Wetter  besser  halten,  als  bei  warmem  oder 
beim  Wechsel  zwischen  kaltem  und  warmem.  Analysen  von  Rüben  in  Brookings  er- 
gaben ungefähr  118  Proben,  dass  dieselben  ebenso  gut  als  in  Deutschland  und  Frankreich 
waren,  die  Hälfte  der  Proben  enthielt  über  14  %  Zucker,  während  12  %  für  Fabrik- 
rüben schon  genügt.  In  Belgien  haben  sie  auf  dem  Lehmboden  an  der  See  sogar 
nur  10  %\  Freilich  muss  die  Ausbeute  des  Herrn  Miner,  welche  95  tons  (1900  Ctr.) 
per  Acker  betragen  haben  soll,  auf  einer  irrthümlichen  Angabe  beruhen.  Aber  in 
Washington,  Minnesota  wurden  in  der  That  32  Tonnen  (400  Ctr.  pro  preussischen 
Morgen)  geerntet,  das  ist  ungeheuer,  und  bringt  die  Tonne  zu  4  Doli.  128  Doli.  Das 
ist  genügend,  um  zur  Gründung  von  Zuckerfabriken  anzureizen,  aber  wir  haben  noch 
einen  andern  grossen  Vortheil  über  Deutschland  und  das  übrige  Europa.  Wir  brauchen 
nicht  80  Pfennige  für  den  Centner  Rüben,  das  sind  etwa  2  cent  für  das  Pfund  Zucker 
Steuer  zu  bezahlen,  sondern  wir  erhalten  im  Gegentheil  2  cent  Prämie  von  der  Re- 
gierung. Die  Prämie  könnte  freilich  zurückgezogen  werden,  das  scheint  aber  nicht 
geschehen  zu  sollen.  Folglich  haben  wir  vor  Deutschland  einen  Vorsprung  von  4  cent 
pro  Pfd.  (der  Autor  weiss  nicht,  dass  der  exportirte  deutsche  Zucker  nicht  mit  der 
Steuer    belastet   ist!).     Ausserdem   giebt   Süd-Dacota    eine  Extra-Prämie   von  1  cent 

4* 


52 

fahrungen    dieses  Jahres    die  Abneigung    wesentlich    verstärkt 
hätten. 

Wie  plötzliche  Witterungsumschläge  in  dortiger  Gegend  auch  im 
August  eintreten,  davon  bot  Sioux  City  zur  Zeit  meines  Besuches  ein 
lehrreiches  Beispiel.  Es  war  nämlich  eben  einer  jener  furchtbaren  Ge- 
witterstürme niedergegangen,  welche  dort  so  häufig  sind.  Derselbe  hatte 
die  ganze  untere  Stadt  unter  Wasser  gesetzt,  Häuser  zum  Einsturz  ge- 
bracht und  solche  Schlammhaufen  von  den  ungepflasterten  Bergstrassen 
in's  Thal  geschwemmt,  dass  man  mehrere  Tage  brauchte,  um  die  Strassen 
wieder  nothdürftig  zu  reinigen. 

Besichtigung  von  Gütern  bei  Sioux  City. 

Durch  Vermittelung  eines  Farmers  wurde  ich  mit  einem  Gtiter- 
agenten  kekannt,  welcher  sich  erbot,  mir  einige  zum  Verkauf  stehenden 
Besitzungen  zu  zeigen.  Darauf  ging  ich  mit  Freuden  ein  und  in  Folge 
dessen    sass    ich    am    26.    August    früh    um    7   Uhr    morgens    abermals 


für  das  Pfund  Zucker  und  2  cent  für  die  Gallone  Melasse.  Also  wir  können  besser 
Zucker  in  Süd-Dacota  als  in  Europa  machen  mit  besseren  Rüben,  als  in  Europa, 
ohne  Steuern  und  mit  3  cent  (12  Pfennige)  Prämie  pro  Pfd.  Für  den  Anfang  wäre 
eine  Fabrik  von  2000  Ctr.  Verarbeitung-  genügend,  bei  deren  Bau  spätere  Vergrösse- 
rung  vorgesehen  werden  müsste.  Für  den  Fabrikbau  ist  ein  Terrain  von  2  Acker 
nöthig,  8  Acker  für  Kübenaufbe Währung.  Eisenbahn,  reines  Wasser  und  Gelegenheit 
zur  Beseitigung  der  Abtälle  muss  am  Platze  vorhanden  sein.  Folgendes  ist  ein  Kosten- 
anschlag für  eine  complete  von  Deutschland  zu  beziehende  Fabrik: 

Gewicht  Kilo    Dollars 

Maschinen  u.  s.  w.  im  Rübenhaus 15  250  2  229 

Apparate  für  Diffusion  etc 42  290  6  747 

Kochraum,  Vacuum,  Verdampfapparate  und  Zubehör  79  700  14  103 

Filter,  Filtrirmasse,  Filterthurm,  Kalkofen 27  310  2  858 

Maschinen  für  das  Zuckerhaus,  Centrifugeu  etc..  .  17  764  3  393 

Dampfkessel 61 520  6455 

Blecharbeit 39470  3  097 

Verschiedenes .  90035  10887 

383  339         49  779 

Also  rund  50000  Dollar,  wozu  6%  für  Fracht  und  Versicherung  zuzuzählen 
sind.  Zwei  Drittel  des  Gewichtes  und  ein  Drittel  des  Preises  würden  abgehen,  wenn 
die  Fabrik  hier  statt  in  Deutschland  fabricirt  würde !  Da  Kesselhaus,  Knochenkohlen- 
haus massiv  zu  errichten  sind,  die  übrige  Fabrik  aber  aus  Holz  oder  aus  anderem 
billigen  Material  kommen  zu  obigen  50  —  55000  Dollar  weitere  lOCOO  Dollar.  10> 
für  die  Versicherung  u.  s.  w.  dazu,  giebt  66  —  71000  Dollar.  Als  Betriebskapital 
rechnen  wir  29000  Dollar,  also  sind  rund  100000  Dollar  erforderlich.  Die  Ver- 
arbeitungskosten betragen  2  —  3  Dollar  per  Tonne  Rüben,  der  Preis  der  Rüben 
4  Dollar.  Man  kann  auf  12^/0  Ausbeute  an  Granulated  rechnen  (in  Grand  Island 
war  die  Ausbeute  13,37o),  3^/0  Melasse,   50^0  Schnitzel,  welche  die  Farmer  umsonst 


53 

mit  dem  Agenten  und  dem  Farmer  in  einem  leichten  Jagdwagen  aus 
einem  Leihstall.  Wir  hatten  über  50  engl.  Meilen  Landfahrt  hin  und 
zurück  durch  unwirthsame  Gegenden  vor  uns  und  ich  hatte  deshalb  für 
Proviant  gesorgt.  Beim  Einkauf  freute  ich  mich  über  das  urwüchsige 
Wesen  und  das  Gleichheitsgefühl  der  Handlungsbeflissenen  in  Sioux  City, 
ich  verlangte  nämlich  einige  leere  Cigarrenkisten,  die  ich  zu  Erdproben  zu  be- 
nutzen gedachte,  worauf  der  Commis  dem  Jungen  im  Laden  zurief:  „Gieb 
diesem  Burschen  doch  einige  von  den  leeren  Kisten",  allerdings  erhielt 
ich  letztere  dann  unentgeltlich.  Wir  kreuzten  zunächst  den  Missouri  und 
kletterten  dann  das  Flussthal  bergan.  Das  Terrain  in  diesem  Theile 
Jowa's  ist  wellig,  ganz  ähnlich  wie  bei  Norfolk,  nur  sind  die  Hügel  etwas 
höher.  Meilenweit  wohl  eine  Stunde  fuhren  wir  zunächst  durch  verödete 
Baustellen,  hin  und  wieder  tauchte  aber  auch  in  weiter  Entfernung  von 
der  eigentlichen  Stadt  ein  vereinsamter,  meist  mit  hocheleganten  Häusern 
bebauter  Strassenzug  auf.  Die  elektrische  Bahn,  welche  die  Bewohner 
nach  der  Altstadt  Sioux  City  führt,  begleitete  uns  bis  an  das  Ende  des 
Weichbildes.  Hier  fängt  es  an  freundlich  zu  werden,  im  tiefsten  Thale 
Nutzholz,  manchmal  auch  Obstbäume  und  grüne  Wiesen,  an  den  Abhängen 
Maisfelder,    auf  der  Höhe  Weideland,    hin   und    wieder   auch   ein    blau 

oder  doch  sehr  billig  zui'ückerhalten,  und  4  — 6^/0  Schlamm,  der  einen  werthvollen 
Dünger  vorstellt.  Mr.  Robertson  in  Chino  Californien  bepflanzte  10  Acker  mit  Rüben, 
welche  er  für  4,5  Dollar  an  die  Fabrik  verkaufte.  Er  erntete  21 V2  Tonne  per  Acker, 
erhielt  also  901,12  Dollar.     Die  Unkosten  betrugen: 

Pflügen  und  Eggen 20  Dollar 

Saatgut  14  Pfd.  pro  Acker  ....  15       „ 

Verziehen 44       „ 

Hacken     18       „ 

Bearbeitung  mit  dem  Cultivator  78       „ 

Transport  zur  Fabrik 107 

Gesammtunkosten    282  Dollar 
Nettoverdienst  .  .    619,12  Dollar 
Profit  pro  Acker      61,91      „ 

Es  wird  nun  weiter  auf  die  Arbeiten  der  Versuchsstation  in  Schuyler  verwiesen, 
wo  gezeigt  worden  wäre,  dass  selbst  an  diesem  ungünstigen  Platze,  der  nicht  so  viel 
Feuchtigkeit  habe  als  Süd-Dacota  und  Minnesota,  mehr  und  bessere  Rüben  als  in 
Deutschland  geerntet  worden  seien,  der  Bericht  fährt  dann  fort: 

Die  Fabrik  zu  100  Tons  täglicher  Verarbeitung  angenommen,  können  in 
180  Tagen  18  000  Tonnen  Rüben  verarbeitet  werden.  Die  Ausbeute  zu  12  ^/o  weissen 
Zucker  angenommen,  in  Nebraska  wurden  13  erhalten,  und  der  Zuckerpreis  zu 
4  Cents,  also  80  Dollar  pro  Tonne,  ergiebt  folgende  Gewinn-  und  Verlustberechnung : 

2180  Tonnen  Zucker  ä  80  Dollar 72  800  Dollar 

360  Tonnen  Melasse  ä  40  Dollar 14  400       „ 

9000  Tonnen  Futter  ä  1  Dollar 9000 

Zusammen    160200  Dollar 


54 

blühendes  Flachsfeld.  Man  erzählte  mir,  dass  die  oft  gemachten  Ver- 
suche, Flachsspinnereien  anzulegen,  sich  als  nicht  rentabel  erwiesen 
hätten,  dass  aber  in  Sioux  City  eine  Leinölmühle  bestehe.  Ich  besuchte 
dieselbe  am  folgenden  Tage.  Allmählich  gewöhnte  sich  das  Auge  an 
die  Scenerie,  der  Flachs  verschwand  gänzlich,  es  folgte  Berg  und  Thal, 
soweit  das  Auge  reicht,  mit  Prairiegras  oder  Mais  bewachsen.  Der  ein- 
tönigen Frage  des  Agenten:  „Ist  das  nicht  schöner  Mais",  ergeht  eintönig 
unsere  bejahende  Antwort,  die  Sonne  steigt  höher,  die  Pferde  und  auch 
wir  ermüden,  endlich  um  1  Uhr  sind  wir  zur  Stelle.  Lang  gestreckt, 
genau  quadratisch  liegt  die  Farm,  welche  zum  Verkauf  steht,  vor  uns, 
von  einem  mit  Holz  bewachsenen  Bächlein  durchflössen.  Wir  durch- 
fuhren die  280  Acker  grosse  Besitzung,  bis  wir  an  die  fast  genau  in  der 
Mitte  gelegenen  Wirthschaftsgebäude  gelangten.  Wie  landesüblich  waren 
sie  nach  Norden  begrenzt  durch  ein  Kanicht  von  Nadelholz,  in  welchem 


Die  Unkosten  würden  sein : 

18000  Tonnen  Rüben  ä  4  Dollar 72000  Dollar 

Löhne  und  Unkosten  (per  Tonne  2,77  Dollar)    49  860       „ 


Zusammen    121860  Dollar 
Unterschied  im  Lohnsatz  zwischen  Deutsch- 
land   und  Dacota    bezw.    Minnesota    auf 
die  Tonne  Rüben  65  Cents 11  700 


133560  Dollar 
Zinsen  des  Kapitals  von  100000  Dollar  mit  8  ^      8  000 
Abschreibungen  am  Maschinenconto  etc.  7^      3  500        „ 
Unvorhergesehene  Ausgaben 3  000       „  148  060  Dollar 

ISetto-Verdienst  48  140  Dollar 
Dazu  Prämie  der  Vereinigten  Staaten  für  2160  (oben  waren  2180 

angegeben)  Tonnen  Zucker  (per  Tonne  40  Dollar)    86400       „ 

Prämie  von  Süd-Dacota  (20  Dollar  per  Tonne; 43  200 

Prämie  für  die  Melasse  (2  Cent  per  Gallone  =  5  Dollar  per  Tonne)  18  000       „ 


Total-Yerdienst    179540  Dollar 
also  ein  Profit  von  9,97  Doli,  auf  die  Tonne. 

NB.  Der  Zuckerpreis  ist  nur  mit  4  cent  per  Pfund  angenommen  und  sind 
nur  2  statt  3%  Melasse  gerechnet. 

Das  von  Albert  H.  Meyer,  Chemiker  und  Zuckersachverständiger,  unterschriebene 
Expose  schliesst  mit  dem  Hinweis,  dass  30  000  Doli,  von  den  erforderten  100000  in 
Sioux  Fall  gesichert  seien  und  dass  angesehene  Bürger  auch  das  Bauterrain  für  die 
Fabrik  kostenfrei  hergeben  wollten.  Wie  sehr  man  dort  zu  Lande  gegen  solche 
mit  Uebertreibungen  und  Unrichtigkeiten  angefülle  Angaben  misstrauisch  geworden 
ist,  geht  aber  schon  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  es  nicht  gelungen  ist,  das 
nöthige  Kapital  für  den  Bau  der  Fabrik  zusammenzubringen.  In  ähnlicher,  wenn 
auch  nicht  ganz  so  starker  Weise,  sind  nach  der  Meinung  aller  unabhängigen 
Amerikaner,  welche  ich  gesprochen  habe,  auch  die  meisten  anderen  Unkostenberech- 
nungen  für  den  Rübenanbau  zu  Gunsten  eines  hohen  Gewinnes  übertrieben,  weshalb 
denselben  zumeist  kein  Werth  beizumessen  ist, 


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die  Schweine  und  Ferkel  lagen,  im  Osten  durch  einen  Hain  von  Zucker- 
ahorn. So  vereinigte  sich  das  Nützliche  mit  dem  Angenehmen,  indem 
das  Gehölz  die  Schweine  und  das  anstossende  Wohnhaus  für  den  Farmer 
und  den  Viehstall  auf  der  Wetterseite  schützt. 

Zunächst  gaben  wir  und  unsere  Pferde  uns  eine  Weile  der  Ruhe 
hin,  und  nahmen  unsere  Mahlzeit  ein,  während  der  Farmer,  sein  Sohn 
und  zwei  Knechte  uns  zuschauten.  Meine  Begleiter  konnten  sich  nicht 
genug  darüber  wundern,  dass  der  Farmer  mit  zwei  Knechten  wirthschafte, 
die  hier  täglich  1 V2  Doli.  Lohn  und  freie  Kost  für  sich  und  ihr  Pferd 
erhalten.  Im  Westen  nämlich  kommen  im  Frühjahr  die  Landarbeiter, 
welche  sich  verdingen  wollen,  im  eleganten  Einspänner  auf  die  Farmen, 
Pferd  und  Wagen  sind  häufig  feiner,  als  der  Arbeitgeber  sie  besitzt,  das 
Pferd  geht  mit  den  Thieren  des  Farmers  in  die  Koppel,  wird  aber  nicht 
zur  Arbeit  benutzt,  nur  Sonntags  dient  es  seinem  Besitzer  zu  Spazier- 
fahrten, an  denen  mit  Vorliebe  die  Töchter  des  Hauses  oder  auch  der 
Nachbarn  Theil  nehmen. 

Voll  Stolz  zeigte  mir  der  Farmer  seine  Schweine,  wie  allerwärts 
hier  schwarz  und  klein,  englischer  Abstammung.  Diese  Thiere  erweisen 
sich  gegen  die  Witterungswechsel  widerstandsfähiger  als  die  weissen 
Racen,  auch  werden  sie  wegen  ihrer  grossen  Fruchtbarkeit  geschätzt, 
denn  eine  Sau  wirft  nicht  unter  6—8  Ferkel.  Allerdings  ist  die  Bace 
klein  und  ein  fettes  Schwein  wiegt  selten  über  200  —  300  Pfd.  Die 
Zahl  der  Schweine,  die  in  dem  Wäldchen  lagen,  betrug  über  100, 
daneben  eine  stattliche  sehr  grosse  Sau,  die  sich  erst  auf  das  eindringliche 
monoton  langgezogene  ho,  hoi,  ihres  Besitzers  zeigte. 

Ich  füllte  meine  Schachteln  mit  Erdproben,  die  ich  bis  zur  Tiefe 
von  1  Meter  am  Abhänge  nahm.  Ueberall  herrschte  hier  tiefgründiger, 
äusserst  humusreicher  Lehmboden,  anscheinend  fruchtbarer  als  in  der 
Norfolker  Gegend.  Mit  voller  üeberzeugung  konnte  ich  die  Frage  des 
Agenten,  ob  der  Mais  nicht  schön  sei  bejahen,  kam  aber  bald  darauf 
grade  dadurch,  dass  die  Felder  so  dicht  standen,  in  grosse  Noth.  Ich 
ging  nämlich  mit  dem  Farmer  in  ein  Maisfeld  hinein,  um  mich  von  dem 
Stand  der  Pflanzen  im  Innern  zu  überzeugen,  wir  konnten  aber  nicht 
wieder  herausfinden.  Nach  einigem  Umherirren  gingen  wir  stets  in 
der  Richtung  unseres  Schattens  vorwärts,  geriethen  dabei  an  einen 
Sumpf,  der  mitten  im  Felde  lag,  und  erst  nach  langem  Umwege  ins 
Freie.  Dabei  beobachtete  ich,  was  ich  auch  später  in  Kansas  und  in 
Missouri  wieder  fand,  dass  zahllose  Pflanzenschädlinge,  vor  allem  aber 
Unkräuter  und  Schmarotzerpflanzen  in  Folge  der  oberflächlichen  Cultur 
das  Gedeihen  des  Mais  beeinträchtigen. 

Der  Preis  des  Gutes  sollte  7500  Doli,  betragen  bei  280  Acker  Fläche, 
das  Geld    zu    ein  Drittel   baar   bezahlt  werden,    zwei  Drittel  5  Jalire  zu 


56 

7  °/o  stehenbleiben.  Zur  Bewirthschaftung  wurden  von  meinen  Begleitern 
zwei,  höchstens  drei  Mann,  der  Besitzer  inbegriffen  für  ausreichend  er- 
achtet, man  rechnete  mir  vor,  dass  es  landesüblich  sei,  25  Kühe  und 
100 — 120  Schweine  zu  halten,  an  Pferden  nur  die  nothwendigen  Ge- 
spanne, da  an  der  Pferdezucht  nichts  zu  verdienen  sei.  Es  seien  12 
Arbeitspferde  und  8  Fohlen  und  einige  Mutterstuten  vorhanden.  Den  Zucker 
aus  dem  Ahornwäldchen  verzehre  der  Farmer  selbst,  der  Verkauf  der 
Schweine  möchte  die  Zinsen  bringen.  Geld  verdient  könne  nur  werden, 
durch  Mästung  von  Ochsen  im  Winter,  von  denen  etwa  40  Stück  zu  halten 
seien,  dazu  gehöre  kein  baares  Geld,  da  derselbe  Händler,  der  das 
Magervieh  antreibe,  das  fette  wieder  übernehme  und  im  Frühjahr  die 
Differenz  auszahle.  Dabei  könne  das  Lebendgewicht  des  Magerviehes 
zu  800  Pfd.  ä  3  Cent  angenommen  werden,  während  das  Fettgewicht 
zu  1200  Pfd.  und  der  Preis  etwa  3^2— 4  Cent  einzusetzen  sei,  also  Preis 
des  Magerviehs  etwa  24  Doli.,  des  fetten  42—48  Doli,   per  Stück. 

Der  mir  als  ein  ehrlicher  Mann  bekannte  Landwirth,  welcher  mich 
mit  herausgeführt  hatte,  gab  mir  bei  dieser  Gelegenheit  über  seine 
eigene  Wirthschaft  folgende  Aufschlüsse,  welche  ich  anführe,  da  ich  die 
Zahlen  für  vertrauenswerth  halte.  In  Süd-Dacota,  wo  er  ansässig  war, 
ebenso  wie  in  Nebraska  bewirthschaften  die  wenigsten  Besitzer  ihre  Güter 
selbst,  dieselben  werden  entweder  gegen  Vs  der  Ernte,  oder  gegen  eine  ent- 
sprechende Baarsumme  verpachtet.  Mein  Gewährsmann  hatte  gegenwärtig 
160  Acre  in  Pacht,  davon  1 20  Acre  unter  dem  Pfluge,  40  Acre  waren  Weideland. 
Der  Viehbestand  war  40  Stück  Rindvieh,  8  Pferde,  10 — 12  Schweine. 
Trotz  aller  Vorsicht  erfrieren  im  Winter,  besonders  dem  Jungvieh  in 
den  Stallungen,  Schwänze  und  Ohren. 

80  Acker  sind  mit  Weizen,  20  mit  Mais,  20  mit  Hafer  und  Kar- 
toffeln bestellt,  Stallmist  wagt  man  nicht  anzuwenden,  weil  der  Boden 
dadurch  aufgelockert  wird  und  sich  im  Hochsommer  alsdann  zu  sehr 
erwärmt!!!  Das  Vieh  wird  mit  Hilfe  des  Strohs  und  etwas  Heu  durch- 
wintert, welches  man  an  tiefen  Stellen  der  Prairie  schneidet.  Die 
sämmtliche  Feldarbeit  besorgen  2  Mann,  Vater  und  Sohn,  im  Hause  und 
Hofe  helfen  zwei  erwachsene  Töchter.  Zum  Lebensunterhalt  dienen  in 
der  Hauptsache  Milch,  Butter,  Eier  und  Hühner.  Fleisch  wird  nicht 
oder  doch  sehr  selten  gekauft,  gewöhnlich  nur  wenn  irgendwo  ein  Stück 
Vieh  zu  Schaden  gekommen  ist  und  abgestochen  werden  muss.  Zucker- 
und Colonialwaaren  werden  fast  nirgend  gegen  Baar,  sondern  im  Tausch- 
handel gegen  Eier  und  Butter  beim  Krämer  erworben,  der  anderseits 
wieder  den  Verkauf  der  Cerealien  vermittelt  und  sich  bei  dieser  Ge- 
legenheit für  vorhandene  Aussenstände  bezahlt  macht. 

Die  Ernten  sind  unsicher,  alle  4—5  Jahre  hat  man  bestenfalls  einmal 
15—20  Bushel  Weizen  auf  den  Acker  (1  Bushel  =  60  Pfd.  engl.),  in 
schlechten  nicht  über  4—8  Bushel  zu  erwarten.     In  Folge  der  niedrigen 


57 

WeizeDpreise,  am  Orte  35—40  Cent  per  Bushel  und  in  den  letzteren 
Jahren  niemals  über  80  Cent,  ist  der  Weizenbau  auch  in  Süd-Dacota  nicht 
mehr  rentabel  und  unser  Farmer  beabsichtigte  zur  Viehzucht  überzugehen. 

Alle  Früchte  werden  aus  Sommersaaten  gezogen,  Wintergetreide 
kann  wegen  der  Kürze  der  Vegetationsperiode,  die  von  Mitte  Mai  bis 
Ende  August  währt,  nicht  gebaut  werden,  im  August  kommen  schon 
Nachtfröste  vor,  und  der  Mais  wird  häufig  nicht  reif.  Einige  hundert 
Meilen  südlich  ist  es  freilich  wesentlich  anders,  für  den  Kübenbau  eignet 
sich  aber  nach  meinem  Gewährsmann,  der  in  seiner  Jugend  auf  den 
Gütern  des  Herrn  von  Eckardstein  in  Thöringswerder  die  Landwirthschaft 
erlernt,  in  Proskau  studirt  und  etwa  20  Jahre  in  Deutschland  gewirth- 
schaftet  hatte,  Süd  -  Dacota  durchaus  nicht,  aber  auch  Nebraska  längst 
nicht  in  dem  Maasse  wie  europäische  Rübenländer. 

Die;  Regenperiode  dauert  in  Süd-Dacota  in  der  Regel  vom  Früh- 
jahr bis  in  den  Juni  hinein,  dann  folgt  entsetzliche  Dürre,  die  im  Juni 
durch  glühend  heisse  Winde  verschärft  wird. 

Weiter  erfuhr  ich,  dass  die  Schafzucht  versucht  sei,  Preis  eines 
Schafes  B^/g  Dollar,  aber  keine  grosse  Verbreitung  gefunden  habe.  Die 
Schweinerace  ist  dieselbe  wie  allerwärts  im  Westen,  nämlich  die  erwähnte 
schwarzen,  die  mager,  100  Pfd.  schwer,  etwa  6—7  Dollar  werth  sind, 
fett  auch  nur  200—300  Pfd.  wiegen.  In  der  Rindviehzucht  verdrängt 
das  Holsteiner  Vieh  die  Yersey-Kühe;  vielfach  sieht  man  die  sog.  Muddogs, 
denen  die  Hörner  jung  abgeschnitten  sind.  Als  Zugthiere  sind  wie  auch 
in  Nebraska  Maulthiere  sehr  beliebt,  von  denen  auch  die  Zuckerfabrik  in 
Norfolk  ein  Gespann  besass. 

Die  Versuche,  Rüben  aus  Samen  zu  bauen,  welchen  das  Department 
of  Agriculture  an  meinen  Gewährsmann  und  seine  Nachbarn  geschickt 
hatte,  waren  völlig  verunglückt,  die  Pflanzen  waren  in  der  heissen  Zeit 
gänzlich  zu  Grunde  gegangen.  Seine  pessimistische  Ansicht  betreffs  Ne- 
braskas begründete  er  auf  mein  Befragen  damit,  dass  seiner  Ueberzeugung 
nach  dort  die  Farmer,  ebenso  wie  in  Süd-Dacota  zeitweise  auf  voll- 
ständige Missernten  rechnen  müssten,  und  dass,  wenn  dies  einmal 
passirt  sei,  sich  in  Anbetracht  der  Kosten  des  Rübenbaues  die  Leute  nie 
wieder   dazu   verstehen    würden ').      Diese  Ansicht    stimmt    mit  meinen 


')  Anmerkung.  Ich  rieth  dem  Farmer,  ehe  er  sich  hier  ankaufe,  doch  in  Er- 
wägung zu  ziehen,  ob  er  nicht  nach  Norfolk  in  Nebraska  übersiedeln  wolle  und  er- 
hielt darüber  von  ihm  folgendes  vom  3.  December  1893  datirte  Schreiben:  „Auf  Ihren 
Rath  wandte  ich  mich  nach  Norfolk,  Nebr.  Die  Farmer  daselbst  lassen  den  Rüben- 
bau wieder  fallen  und  bauen  wieder  Mais,  da  die  Rüben  zu  viel  Handarbeit  bedingen 
und  die  Erträge  von  Mais  durchschnittlich  höher  als  von  Rüben  sind.  Ausser- 
dem liegt  Norfolk  ähnlich  ungünstig,  wie  mein  jetziger  Aufenthalt  H.  in  Süd-Üacota, 
und  wurde  mir  dort  das  eingerichtete  Farmland  mit  Gebäuden  pro  Acker  mit  8—10  Doli, 
angeboten,  ein  Zeichen,  dass  die  Erträge  sehr  unsicher.  So  weit  ich  übersehen  kann, 
wird  die  Fabrik  schon  in  diesem  Jahre  Mangel  an  Rüben  leiden." 


58 

eigenen  Beobachtungen  in  Grand  Island,  sowie  den  Aeusserungen  unab- 
hängiger Einwohner  dieses  Staates  überein. 

"Weiterhin  führte  mich  der  Agent  nach  einer  grossen  zum  Verkauf 
stehenden  Wirthschaft,  welche  4000  Acre  umfasste.  Das  Land  lag  in 
einer  fruchtbaren,  weit  ausgedehnten  Niederung,  welche  ein  Vorbesitzer 
durch  Anlage  eines  grossen  Kanals  entwässert  hatte ;  nur  etwa  die  Hälfte 
der  Fläche  war  in  Cultur  und  ausschliesslich  mit  Mais  bestellt,  der  Rest 
war  Weideland,  welches  von  2000  Rindern  und  400  Pferden  begrast 
wurde.  Die  Feldbestellung  und  das  Vieh  inclusive  über  1000  Schweinen, 
welche  in  dem  Gehöft  frei  herumliefen,  wurde  in  den  Zeiten  der  härtesten 
Arbeit  mit  28,  gegenwärtig  mit  nur  18  Mann  besorgt.  Der  Preis  pro 
Acker  wurde  zu  40  Dollar  angegeben  und  die  Höhe  damit  motivirt ,  dass 
künstliche  Entwässerung  und  gute  Stallungen,  an  denen  es  sonst  dort 
meist  fehlt,  vorhanden  waren.  Leider  mussten  wir  unseren  Besuch  ab- 
kürzen, denn  drohend  stieg  dunkles  Gewölk  am  Himmel  auf,  der  Abend 
nahte  und  wir  waren  noch  über  12  englische  Meilen  von  Sioux  City  ent- 
fernt. Trotz  aller  Eile  überraschte  uns  der  Gewittersturm  auf  dem  Heim- 
wege, in  kurzer  Zeit  verwandelten  sich  die  Wege  in  kleine  Giessbäche, 
bald  wurde  der  Lehm  weich,  die  schmalen  Radreifen  drückten  sich  tief 
in  den  Boden  ein,  und  an  den  Füssen  unserer  ermüdeten  Pferde  hingen 
dicke  Lehmklumpen,  die  ihnen  das  Vorwärtskommen  erschwerten,  häufig 
glitten  die  armen  Thiere  aus,  kurz  es  war  eine  beschwerliche  Fahrt.  Spät 
Abends  erreichten  wir  im  Schritt  Sioux  City. 

Nachdem  ich  am  folgenden  Tage  daselbst  noch  eine  Maismühle  be- 
sucht hatte,  um  die  Gewinnung  des  Negermehls  anzusehen,  welches  wegen 
seines  Oelgehalts  die  Brauer  verschmähen  (vergl.  den  Bericht  über  den 
Besuch  der  Pabstbrauerei  in  Milwaukee),  ferner  die  Leinölmühle,  die  Gas- 
anstalt und  die  electrische  Centralstation  für  die  Strassenbahnen  be- 
sichtigt hatte,  begab  ich  mich  zurück  nach  Nebraska,  indem  ich  über 
Omaha  nach  Lincoln  reiste. 

Besuch  von  Lincoln  (Nebraska)  am  29.  August. 

Bei  meiner  Ankunft  in  Lincoln  erwartete  mich  der  Assistent  des 
Professor  Nicholson,  Herr  Dr.  Frankforter,  welchen  ich  von  seiner  Studien- 
zeit in  Berlin  her  kannte,  an  der  Bahn,  um  in  der  den  Fremden  so 
wohlthuend  berührenden  liebenswürdigen  Manier  der  Amerikaner  die 
Führung  zu  übernehmen.  Lincoln  zeichnet  sich  dadurch  vor  den  anderen 
Städten  des  Westens  aus,  dass  es  vollständig  massiv  gebaut  ist,  selbst 
die  Strassen  sind  mit  sehr  harten,  rothen  Ziegelsteinen  gepflastert,  was 
ihnen  ein  eigenthümliches  Aussehen  giebt.  Leider  war  die  Ziegelei,  welche 
dieses  Material  lieferte  „die  grösste  der  Welt",  versicherte  man  mir,  -- 


59 

diesen  Ausdruck  darf  man  in  Amerika  freilich  nicht  allzu  wörtlich  nehmen  — 
eben  abgebrannt,  so  dass  ich  sie  nicht  besichtigen  konnte. 

Auf  dem  Marktplatz  von  Lincoln  sprudelt,  als  Brunnen  geschmack- 
voll gefasst,  eine  starke  Soolquelle  hervor,  welche  früher  zur  Salzsiederei 
benutzt  wurde.  Die  Saline  ist  aber  eingegangen,  nachdem  in  dem  nahen 
Kansas  bei  Hutschison  mächtige  Salzlager  entdeckt  worden  sind,  welche 
auch  Nebraska  versorgen.  Letzterer  Staat  besitzt  übrigens  eigene  aus- 
gedehnte Salzlager,  doch  fern  von  den  Eisenbahnen  und  deshalb  zur 
Zeit  noch  nicht  aufgeschlossen. 

Wir  begaben  uns  nach  der  Staatsuniversität ,  —  Lincoln  hat  auch 
mehr  als  ein  „halbes  Dutzend"  sogenannter  Privatuniversitäten  — ,  an 
welchem  Professor  Nicholson  docirt.  Augenblicklich  studiren  an  dieser 
Universität  600  junge  Männer  und  500  junge  Mädchen.  Die  Hörsäle 
haben  in  der  Mitte  einen  Gang,  der  die  Geschlechter  trennt,  zur  Linken 
sitzen  die  Herren,  zur  Rechten  die  Damen.  Sonst  herrscht  ein  zwang- 
loser Verkehr  zwischen  den  Studirenden,  man  arbeitet  gemeinschaftlich 
zu  Hause,  an  Stelle  unserer  Commerse  finden  im  Wintersemester  mehrere 
Bälle  statt.  Sehr  selten  sollen  Verletzungen  der  guten  Sitte  vorkommen. 
Im  Laboratorium  hatte  man  in  der  Mitte  der  Arbeitstische,  wo  die  Eea- 
gentien  untergebracht  sind,  eine  hohe  Scheidewand  gezogen.  Dies  fiel 
mir  auf,  da  dieselbe  viel  Licht  wegnimmt,  und  ich  fragte  nach  der  Ver- 
anlassung zu  dieser  eigenthümlichen  Einrichtung.  Man  wolle  verhindern, 
dass  wenn  ein  Herr  und  eine  Dame  gegenüber  arbeiteten,  zu  lebhafte 
Gespräche  geführt  werden,  lautete  die  Antwort. 

Professor  Nicholson  setzte  mir  ausführlich  seine  Ansichten  über  die 
Zukunft  der  Rübenzuckerindustrie  in  Nebraska  auseinander.  Zweifellos 
sei  es,  so  sagte  er,  dass  man  gute  Zuckerrüben  daselbst  ziehen  könne, 
allerdings  sei  geeigneter  Boden  nicht  in  solchem  Umfange  vorhanden, 
wie  man  anfangs  angenommen  habe.  Als  Eübenböden  könnten  haupt- 
sächlich nur  die  Flussthäler  gelten,  weil  daselbst  in  der  Nacht 
feuchte  Nebel  herrschen ,  die  während  der  trocknen  Zeit  die  Rüben  er- 
halten, und  im  Herbst  die  für  die  Zuckeranhäufung  so  nöthigen  kühlen 
Nächte  erzeugen.  Trotz  der  hohen  Staatsprämie,  so  meinte  Prof. 
Nicholson,  sei  an  ein  rasches  Aufblühen  der  Rübenzuckerindustrie 
in  Nebraska  nicht  zu  denken.  Zwar  seien  die  Unkosten  des  Rübenbaus 
nicht  zu  gross,  aber  das  Land  sei  noch  nicht  reif  dazu.  Wir  haben,  fuhr 
Prof.  Nicholson  ungefähr  wörtlich  übersetzt  fort,  dreierlei  Arten  von 
Farmern  hier  in  Amerika  zu  unterscheiden. 

Klasse  I  hat  kein  Geld,  macht  das  Neuland  nur  oberflächlich  urbar, 
und  zieht  dann  weiter. 

Klasse  H  hat  etwas  Geld,  versteht  wenig,  bewirthschaftet  allein 
eine  ziemlich  grosse  Fläche  und  ist  zum  Rübenbau  ungeeignet.  Diese 
Klasse  ist  gegenwärtig  fast  ausschliesslich  in  Nebraska  vertreten, 


60 

Klasse  III  hat  viel  Geld,  Intelligenz  und  Kenntnisse  wie  die  grösseren 
deutschen  Landwirthe,  diese  Klasse  findet  sich  besonders  in  den  Oststaaten. 

Erst  wenn  Klasse  III  in  Nebraska  überwiegend  ist  und  Klasse  II 
verschwindet,  würde  es  Zeit  sein  in  Nebraska  mit  der  Kübenzucker- 
fabrikation  zu  beginnen,  so  lange  dies  nicht  geschehen,  und  es  kann 
noch  viele  Jahre  dauern,  wird  nach  Professor  Nicholson's  Ansicht 
auch  die  hohe  Staatsprämie  die  Rübenzuckerindustrie  in 
Nebraska  nicht  zur  Blüthe  bringen! 

Am  Nachmittag  führte  mich  Prof.  Nicholson  nach  den  Versuchs- 
feldern der  Universität,  die  seit  einiger  Zeit  nicht  mehr  unter  seiner 
Aufsicht  stehen.  An  den  Rübenversuchen  hat  gegenwärtig  niemand  rechtes 
Interesse,  da  man  keine  besonderen  Hoffnungen  mehr  daran  knüpft,  auch 
die  Versuchsstation  in  Schuyler  vorhanden  ist,  und  es  überflüssig 
erscheint,  Parallelversuche  mit  dieser  anzustellen.  Die  Rübenfelder  sahen 
denn  auch  recht  verwahrlost  aus,  alle  möglichen  Rübensorten  wuchsen 
durcheinander,  anscheinend  aus  einem  zusammengemischten  Samen 
stammend,  die  Pflanzen  waren  weder  gehörig  verzogen,  noch  gehackt, 
der  Boden  steinhart  und  mit  Unkraut  bedeckt.  Dementsprechend 
waren  die  Rüben  schlecht  entwickelt,  unregelmässig  gewachsen  und  vermuth- 
lich  sehr  zuckerarm.  Der  Anblick  zusammen  mit  den  Aeusserungen  des 
Professor  Nicholson,  stimmte  meinen  Eifer,  noch  weitere  Rübenfelder  in 
Nebraska  zu  besichtigen  so  herab,  dass  ich  beschloss,  es  bei  dem  Gesehenen 
bewenden  zu  lassen  und  am  nächsten  Morgen  nach  Topeka  in  Kansas  reiste. 
Vorher  führte  man  mich  in  Lincoln  noch  in  eine  Papier-  und  Pappfabrik, 
in  welchen  Strohpappe  hergestellt  wurde,  die  aber  nichts  sonderlich 
berichtenswerthes  bot.  Neun  artesische  Brunnen  lieferten  dieser  mitten 
in  der  trockenen  Prairie  gelegenen  Fabrik  das  Betriebswasser!  Auch  die 
Strafanstalt  zeigte  man  mir,  „weil  daselbst  die  Gefangenen  arbeiteten", 
nur  schwer  konnte  ich  meinen  Führer  davon  überzeugen,  dass  dies  auch 
in  Europa  stattfinde.  Die  Bauart  des  Gebäudes  war  merkwürdig  genug, 
in  ein  grosses  Gebäude  war  mitten  hinein  ein  kleines  gesetzt,  in  welchem 
die  Gefangenen  hinter  dem  Gitter  sassen,  wie  die  Raubthiere  in  einer 
Menagerie.  Jede  Zelle  trug  einen  Vermerk,  welcher  in  kurzen  Daten  das 
Nationale  des  Inhabers,  den  Tag  der  Einsperrung  und  die  Strafzeit  u.  a.  m. 
angab.  Unter  den  Gefangenen  befanden  sich  auffallend  viel  Neger, 
welche  meist  sehr  schwere  Verbrechen  büssten. 

W^ashington,  am  4.  September  1893. 

Unterredung  mit  dem  Landwirthschaftsminister  der  Vereinigten 
Staaten  Herrn  Sterling  Morton. 

Des  Zusammenhanges  halber  füge  ich  hier  mit  Ueberspringung 
meines  Aufenthaltes   in    Topeka   in    Kansas   und    in    St.  Louis    die    Be- 


61 

Schreibung  meiner  Ji^rlebnisse  in  Washington  an.  Nach  einer  einen  Tag 
und  zwei  Nächte  währenden  Fahrt  von  St.  Louis  langte  ich  in  dieser 
Stadt  früh  morgens  um  7  Uhr  an,  in  Folge  der  vortrefflichen  Schlaf- 
wageneinrichtungen der  Pensylvania  Eisenbahn  trotz  grosser  Hitze  so 
frisch,  als  ob  ich  die  Nächte  zu  Hause  verbracht  hätte.  Die  europäische 
Peinlichkeit  in  den  Strassen,  die  massive  Bauart  der  Häuser  und  Villen, 
die  asphaltirten  Strassen  Washingtons  erweckten  in  mir  ein  behagliches 
Gefühl,  denn  diese  Dinge  vermisst  der  Europäer  im  Westen  gar  sehr. 
Im  Arlingtonhotel,  einem  alten  zumeist  aus  Holz  gebauten  vielstöckigen 
Hause,  welches  trotzdem  den  ersten  Ruf  sich  bewahrt  hat,  herrschte 
reges  Leben,  da  die  ausserordentliche  Sitzung  des  Congresses  zur  Lösung 
der  Silberfrage  gerade  auf  dem  Höhepunkt  stand,  auch  Claus  Spreckels 
war  eben  eingetroffen,  um  für  eine  Regelung  der  Verhältnisse  auf  den 
Sandwich-Inseln  in  seinem  Interesse  zu  wirken.  Ich  begab  mich  zuerst 
zu  dem  deutschen  Botschafter,  Freiherrn  von  Saurma,  an  welchen  ich, 
ebenso  wie  an  die  deutschen  Consuln  in  den  besuchten  grösseren  Plätzen 
durch  directen  Erlass  vom  Auswärtigen  Amt  empfohlen  worden  war. 

Der  Botschafter,    welcher  erst  seit  ungefähr  8  Tagen  seinen  neuen 
Posten    angetreten  hatte,    empfing  mich  sehr  freundlich,    plauderte  ein 
viertel  Stündchen  mit  mir,  wobei  er  mir  über  die  Ernteaussichten  seiner 
ensreren  schlesischen  Heimath  erzählte  und  wies  mich  darauf  an  den  Ge- 
sandtschaftssecretär  Baron  von  Kettler.    Letzterer  hatte  mich  bereits  vorher 
an  den  Ackerbauminister  empfohlen,  was  ich  aber  noch  nicht  wusste,  und 
stattete  mich  nun  nochmals  mit  einer  Einführungskarte  aus.     Mit  dieser 
versehen  begab  ich  mich  nach  dem  am  Weichbilde  der  Stadt,  nicht  weit 
von  dem  grossen  Obelisken  gelegenen  Ackerbauministerium.     Der  Minister 
war  nicht  anwesend  und  wurde  erst  nach  Schluss  der  Senatssitzung  er- 
wartet,   ich    ging    deshalb    weiter  nach  dem    chemischen   Laboratorium, 
welchem  Herr  Wiley  vorsteht.     Das  Institut,   aus  welchem  jahraus  jahr- 
ein so    viele    umfangreiche   Berichte  hervorgegangen   sind,    die   auch   in 
Deutschland  ständiges  Interesse  erregt  haben  und  drüben  vielfach  anregend 
und  fördernd  wirkten,  ist  in  einem  nach  dem  Muster  der  amerikanischen 
Einfamilienhäuser  gebauten  4  Stockwerk  hohen  kleinen  Hause  mit  Ziegel- 
rohbaufacade  untergebracht.    Dementsprechend  fehlt  es  an  einem  grösseren 
Arbeitsraume,    die  innere  Ausstattung  nach  europäischem  Muster  ist  im 
übrigen  reichhaltig.    Herr  Wiley  übernahm  sogleich  meine  Führung  durch 
Washington,  zunächst  nach  dem  Ministerium  des  Innern,  einem  mächtigen 
Gebäude,    in  welchem  auch   das  Patentamt  untergebracht  ist.     Der  Tag 
war   sehr  warm,    die  Thüren    der    einzelnen  Bureaus    an    den    endlosen 
Corridoren  waren  weit  geöffnet,  so  dass  man  die  Räthe  (Clercs)  bei  ihrer 
Arbeit  beim  Vorbeigehen  sitzen  sehen  konnte.     In  jedem  Zimmer  befinden 
sich  ausser  dem  Chef  eine  bis  zwei  Damen,    welche  stenographiren,  und 


62 

mit  der  Maschine  schreiben,  daneben  meist  noch  ein  männlicher  Secretät, 
Die  Bedienung  und  das  Reinhalten  der  Bureauräume  besorgen  Negerinnen. 
Wir  traten  in  mehrere  Bureaus,  in  denen  eine  ziemliche  Aufregung 
herrschte  wegen  des  gerade  stattfindenden,  durch  den  Sieg  der  Demo- 
craten  bei  der  Präsidentenwahl  verursachten  Personenwechsels  in  den 
oberen  Stellen.  Der  Minister  war  nicht  anwesend,  aber  sein  erster  Rath, 
welcher  mir  auf  meine  Bitte  zusagte,  mir  die  zehnjährige  Statistik  der 
Industrie  der  Vereinigten  Staaten  regelmässig  nach  dem  Erscheinen  zu 
senden.  Der  deutsche  Consul  in  St.  Louis  hatte  mich  auf  die  Be- 
deutung dieser  noch  unvollendeten  und  deshalb  noch  nicht  ausgege- 
benen Bulletins  aufmerksam  gemacht.  Darauf  begaben  wir  uns  in 
das  Repräsentantenhaus,  wo  ich  einer  Senatssitzung  beiwohnte.  Ein 
Silbermann  sprach  gerade  am  dritten  Tage  mit  klarer,  aber  doch  er- 
müdeter Stimme,  zahlreiches  Publikum  erfüllte  die  Tribünen,  das  Haus 
selbst  aber  war  leer,  kaum  ein  Dutzend  Senatoren  war  anwesend,  theils 
arbeitend,  theils  plaudernd,  theils  mit  grossen  Plänen  beschäftigt,  keiner 
sonderlich  auf  den  Redner  achtend.  Der  Präsident  hatte  die  Augen  ge- 
schlossen und  schien  zu  schlafen,  desgl.  die  Beisitzer.  Auf  den  Stufen 
zur  Präsidententribüne  sassen  eine  Anzahl  Knaben,  welche  sich  mit 
Damen-  oder  einer  Art  Murmelspiel  die  Zeit  vertrieben.  Das  harmlose 
Spiel  der  Kleinen,  welche  als  Boten  angestellt  sind,  um  Nachrichten  vom 
Präsidentenplatz  durch  das  Haus  zu  tragen,  sowie  die  bleierne  Schläfrig- 
keit des  Hauses  standen  in  scharfem  Gegensatz  zu  der  Spannung,  mit 
welcher  die  ganze  Welt  ausserhalb  damals  die  Vorgänge  im  Senat  beob- 
achtete. 

Unterdessen  war  die  Zeit  herangekommen,  zum  Ackerbauminister  zu 
gehen.  Auf  dem  Wege  dahin  machte  mir  Herr  Wiley  den  Vorschlag,  an 
der  Unterredung  Theil  zu  nehmen,  da  er  die  Gelegenheit  benutzen  wolle, 
den  Minister  für  die  Erhaltung  der  Rübenversuchsstation  in  Schuyler 
sowie  der  Sorghumstationen  in  Fort  Scott  und  Medicine  Lodge  günstig  zu 
stimmen,  oder  ihn  doch  wenigstens  zu  bewegen,  die  Bulletins  des  Labora- 
toriums betreffend  den  Nachweis  der  Verfälschungen  von  Nahrungsmitteln 
weiter  erscheinen  zu  lassen,  denn  auch  diesem  Unternehmen  hatte  sich 
Herr  Morton  abgeneigt  gezeigt.  Mir  war  dieses  Anerbieten  sehr  will- 
kommen, da  ich  hoffen  durfte  auf  diese  Weise  weit  mehr  vom  Minister 
zu  erfahren,  als  wenn  ich  als  Fremder  allein  vor  ihn  getreten  wäre. 

Kaum  waren  wir  angekommen,  so  wurde  uns  gesagt,  dass  der 
Minister  uns  schon  erwarte  und  wir  wurden  sogleich  vorgelassen.  Der 
Minister  erledigte  schnell  einige  Unterschriften,  winkte  dann  den  Damen, 
welche  Secretärdienste  bei  ihm  verrichteten,  das  Zimmer  zu  verlassen 
und  wendete  sich  zu  mir. 

Herr  Sterling  Morton  ist  ein  kräftiger  untersetzter  Mann  und  macht 


6S 

den  Eindruck  eines  etwa  60  jährigen.  Das  Gesicht  voll,  nicht  so  mager 
als  sonst  bei  Amerikanern,  das  Auge  grau  und  fest,  die  Stimme  kräftig 
und  kernig,  kurz  ein  gesunder  Landwirth,  wie  sie  der  weite  Westen, 
wenn  auch  selten  genug  hervorbringt,  das  Urbild  eines  entschlossenen 
thatkräftigen  Mannes.  Er  richtete  an  mich  die  übliche  Frage ,  was 
ich  von  der  Bübenzuckerindustrie  seines  Landes  denke,  anschliessend 
an  meine  kurze  Antwort  bat  ich  ihn  mir  seine  Ansichten  über  die  Aus- 
sichten der  Industrie  in  Nebraska  mitzutheilen.  Kurz  und  scharf  er- 
wiederte  er  mir,  dass  die  Rübenzuckerindustrie  daselbst  gar  keine  Aus- 
sichten habe.  Als  genauer  Kenner  des  Landes  wisse  er,  dass  die  Vege- 
tationsperiode daselbst  für  die  Zuckerrübe  zu  kurz,  das  Klima  überhaupt 
nicht  günstig  genug  sei.  Auch  fehle  es  zur  Zeit  daselbst  vollständig  an 
für  den  Rübenbau  geeigneten  ländlichen  Arbeitskräften.  Ich  fragte  darauf 
was  er  von  der  californischen  Rübenzuckerindustrie  halte. 

„In  Californien,"^)  antwortete  er,  „sind  zwar  die  landwirthschaftlichen 
Verhältnisse  günstiger,  nicht  aber  die  Arbeitsverhältnisse." 

Darauf  fragte  ich  den  Minister,  wie  er  über  die  Prämie  denke,  und 
ob  es  seine  Absicht  sei,  die  Aufrechterhaltung  derselben  zu  befürworten. 
Herr  Morton  erwiderte,  dass  er  und  seine  Regierung  ausgesprochene 
Gegner  der  Prämie,  sowohl  für  die  Rüben-  als  auch  die  Rohrzucker- 
industrie seien.  Der  erste  Prüfstein  für  eine  Industrie  sei,  dass  sie  ohne 
Staatsprämie  gedeihe  und  so  lange  sie  dieselbe  nicht  entbehren  könne, 
sei  auch  die  Zeit  für  die  Rübenzuckerindustrie  noch  nicht  gekommen. 
Diejenigen,  welche  diese  Industrie  jetzt  schon  einführen  wollten,  be- 
haupteten immer,  dass  sie  äusserst  lucrativ  sein  würde.  Wenn  so  viel 
daran  sei,  so  sollten  es  doch  diese  Leute  zeigen,  indem  sie  mit  eigenen 
Mitteln  vorgehen.  „Ich  sehe  nicht  ein,  warum  wir,  so  lange  es  für 
uns  vortheilhaft  ist,  und  so  lange  die  alten  Nationen  unsere  Landes- 
producte  nehmen,  also  unser  Fleisch  und  unsern  Mais  kaufen,  von  diesen 
dagegen  nicht  den  Zucker  eintauschen  sollen.  Wir  haben  dabei  mehr  Vortheil 
als  wenn  wir  ihn  mit  unverhältnissmässigen  Kosten  im  Lande  selbst  er- 
zeugen." 

Das  Gespräch  kam  dann  auf  die  Sorghumzuckerindustrie  und  Herr 
Wiley  glaubte  damit  den  günstigen  Moment  gekommen,  für  Erhaltung  der 
Versuchsstationen  einzutreten.  Der  Minister  wies  ihn  aber  ab.  Wenn 
etwas  an  der  Sache  ist,  sagte  er,  mögen  es  die  Unternehmer  oder  die 
Farmer  zeigen,  nicht  wir,  deswegen  bin  ich  gegen  die  staatlichen  Experi- 
mentir-Stationen,  Medicine  Lodge  und  Fort  Scott  liegen  noch  dazu  unter 
demselben  Breitengrade  und  haben  ganz  gleiche  klimatische  Verhältnisse, 
eine  der  beiden  Stationen  wäre  deshalb  von  Anfang  an  nicht  nöthig  ge- 


1)  In  deutscher  Uebersetzung,  die  Unterhaltung  fand  in  englischer  Sprache  statt. 


64 

wesen.   Alles  Gegenreden  blieb  fruchtlos,  der  Minister  beharrte  bei  seinem 
Plan,  diese  Stationen,  ebenso  wie  Schuyler  eingehen  zu  lassen. 

Herr  Wiley  suchte  darauf  wenigstens  die  Publicationen  betreffend 
die  Nahrungsmittelverfälschungen  zu  retten  und  ich  glaubte  ihn  unter- 
stützen zu  können,  indem  ich  darauf  hinwies,  dass  in  Folge  der  allzu 
grossen  Freiheit  auf  diesem  Gebiete,  in  Amerika  vielfach  als  Bier  ein 
Getränk  hergestellt  würde,  welches  der  in  Deutschland  üblichen  Definition 
dieses  Wortes  nicht  mehr  entspräche.  Da  hatte  ich  aber  wenig  Glück, 
denn  während  ich  hauptsächlich  die  schädlichen  Hopfensurrogate  im  Auge 
hatte,  bezog  sich  der  Minister  in  seiner  Antwort  auf  die  in  den  Ver- 
einigten Staaten  so  verbreitete  Verwendung  von  Mais  an  Stelle 
von  Gerste  in  der  Bierbrauerei.  Er  setzte  mir  des  längeren  auseinander, 
dass  er,  da  der  Mais  eine  der  Gesundheit  durchaus  zuträgliche  Frucht 
sei,  auch  nicht  einsehen  könne,  warum  er  beim  Bierbrauen  nicht  Ver- 
wendung finden  könne,  er  halte  es  überhaupt  nicht  für  Aufgabe  seines 
Departements,  der  Nahrungsmittelindustrie  durch  Aufdeckung  sog.  Ver- 
fälschungen irgendwelche  Fesseln  aufzuerlegen.  Nachdem  der  Minister 
mich  sodann  noch  ausdrücklich  bevollmächtigt  hatte,  den  Inhalt  der 
Unterredung  zu  veröffentlichen,  erhob  ich  mich  um  mich  zu  verabschieden. 
Ich  wurde  aufs  freundlichste  entlassen,  und  Herr  Morton  ordnete  noch 
an,  dass  mir  in  Zukunft  sämmtliche  Publicationen  des  Departements  zu- 
gehen sollten.  Etwas  über  dreiviertel  Stunden  hatte  die  Unterredung 
gedauert,  deren  Inhalt  nachträglich  von  Herrn  Wiley,  Herrn  Prof.  Cuttler 
aus  Utah,  den  ich  hier  zufällig  wiederfand,  und  mir  discutirt  wurde. 
Die  Persönlichkeit  des  Herrn  Morton  und  sein  entschiedenes  Wesen  hat 
einen  bleibenden  Eindruck  bei  mir  hervorgerufen,  als  eines  Mannes,  der 
unbekümmert  um  äussere  Einflüsse  den  Weg  geht,  welchen  ihm  seine 
Principien  vorgeschrieben,  üeber  die  Frage  der  Einführung  der  ßüben- 
zuckerindustrie  hatte  er  offenbar  gründlich  nachgedacht  und  sich  seine 
eigene  Ansicht  gebildet,  von  der  ihn  keine  Macht  der  Erde  würde  ab- 
bringen können.  Wennschon  es  jetzt  den  Anschein  hat,  als  wenn  die 
Prämien  der  Zuckerindustrie  das  demokratische  Regiment  überdauern 
würden,  so  dürfen  wir  deshalb  annehmen,  dass  die  Regierung  wenn  irgend 
möglich,  in  nächster  Zeit  immer  von  neuem  dagegen  ankämpfen  wird, 
so  dass  sich  bei  Anlage  von  Zuckerfabriken  in  nächster  Zeit  nicht  sicher 
mit  der  Prämie  wird  rechnen  lassen. 


In  den  vorliegenden  Ausführungen  wird  mancher  Leser  ausführliche 
Zahlenangaben  über  die  Kosten  des  Rübenbaus  in  Nebraska  vermissen. 
Es  wäre  mir  ein  leichtes  gewesen,  mit  solchen  viele  Seiten  aus- 
zufüllen, denn  an  Material  fehlt  es   in  den  Publicationen  der  Versuchs- 


(^5 

Stationen  und  denen  von  interessirter  Seite  nicht.  Ich  habe  davon 
abgesehen  einmal  weil  ich  nicht  im  Stande  bin,  den  Werth  dieser  An- 
gaben zu  controliren,  welche  naturgemäss  bei  der  in  Amerika  einmal 
notorisch  vorhandenen  Neigung  zu  Uebertreibungen  noch  viel  kritischer 
betrachtet  werden  müssen,  als  europäische  Ziffern  —  musste  doch 
aber  selbst  der  officielle  deutsche  Enquetebericht  von  1884  zugeben, 
dass  es  auch  für  Deutschland  nicht  möglich  sei ,  mit  genügender  Sicher- 
heit die  Anbaukosten  zu  ermitteln,  —  und  ferner  weil  meiner  Ansicht 
nach  die  Frage  der  Anbaukosten  gegenwärtig  keineswegs  die  entscheidende 
für  die  nächste  Zukunft  des  Rübenbaues  in  Nebraska  ist. 

Allgemein  wird  anerkannt,  auch  von  Seiten  der  Fabrikinhaber,  dass 
in  Nebraska  sowohl  als  in  Californien  bei  einem  Preise  von  unter 
5  Dollar  die  Tonne  der  Rübenbau  nicht  mehr  rentabel  genug  ist, 
um  die  gegenwärtige  Cultur  anderer  Feldfrüchte  verdrängen  zu  können. 
Wenn  bei  den  vorhandenen  Kostenberechnungen  in  allen  Fällen 
ein  namhafter  Gewinn  für  die  Farmer  herausgerechnet  wird,  so  ist 
dem  entgegenzuhalten,  dass  viele  Farmer,  besonders  bei  Grand  Island, 
absolut  nicht  mehr  zum  Rübenbau  zu  bewegen  sind,  dass  also  vermuth- 
lich  in  Wirklichkeit  oft  ganz  andere  Zahlen  obgewaltet  haben  müssen. 
In  der  That  finden  wir  in  keiner  der  Berechnungen  ein  zwei-  oder  selbst 
dreimaliges  Bestellen  und  Säen  aufgeführt,  wie  es  so  häufig  nöthig 
gewesen  ist. 

Fest  steht  ferner,  was  übrigens  in  Europa  wohl  längst  nicht  bezweifelt 
wurde,  dass  auch  in  Nebraska  die  Zuckerrübe  gedeihen  kann,  wennschon 
wegen  der  abnormen  Trockenheit  des  Sommers  in  der  Regel  nur  in  den 
Flussthälern  (Prof.  Nicholson).  Das  Klima  des  Landes  ist  dem  Rübenbau 
nicht  ganz  so  günstig  als  das  deutsche,  die  trockenen  Winde  im  Frühjahr, 
etwas  ungünstigere  Vertheilung  der  Feuchtigkeit,  etwas  kürzere  Vegetations- 
periode, etwas  ungünstigere  Reifeverhältnisse  im  Herbst,  etwas  ungünstigere 
Einmietungsverhältnisse  und  vor  allem  häufigere  gänzliche  Fehl- 
jahre, bilden  eine  wenn  auch  vielleicht  von  mancher  Seite  zu  hoch  ange- 
schlagene Erschwerung  im  Vergleich  mit  Deutschland.  Ganz  zweifellos 
ist  aber,  dass  die  Anfangs  drüben  gehegte  Hoffnung,  in  Nebraska  den 
günstigsten  Platz  der  Vereinigten  Staaten  für  die  Rübencultur 
getroffen  zuhaben,  sich  als  trügerisch  gezeigt  hat.  Sicherlich  sind, 
auch  abgesehen  von  Californien,  andere  Staaten  mindestens  ebenso  geeignet 
als  Nebraska.  Diese  Erkenntniss  hat  sich  nicht  nur  bei  den  Behörden  in 
Washington  und  Lincoln  und  bei  den  Farmern  in  Nebraska,  welche  nicht 
recht  an  den  Rübenbau  heran  wollen,  nein  sogar  bei  den  Unternehmern  der 
Zuckerfabriken  Norfolk  und  Grand  Island  Bahn  gebrochen.  Denn  dieselben 
beabsichtigen  nach  ihren  eigenen  Aeusserungen,  wenn  die  Prämie  erhalten 
bleibt,   zwar  in  Californien  neue  Fabriken   zu  errichten,   denken  aber  zu- 

5 


66 

nächst  nicht  daran  in  Nebraska  das  gleiche  zu  thun,  trotzdem  auch  da- 
selbst bei  der  Prämie  von  2  Cent  und  bei  einem  Rübenpreis  von  5  Dollar 
die  Tonne  beide,  Farmer  und  Fabrik,  verdienen  mögen.  Der  Grund  für 
das  Stagniren  liegt  lediglich,  wie  Prof.  Nicholson  in  der  Unterredung 
mit  mir  hervorhob,  in  dem  Mangel  einer  zum  Rübenbau  befähigten  Land- 
bevölkerung. Gerade  wie  in  manchen  Bezirken  Süddeutschlands  nach 
den  Aussagen  der  Sachverständigen  der  Enquete  von  1884  Zuckerfabriken 
nicht  bestehen  könnten,  so  lange  die  Wirthschaftsweise  der  kleinen  Land- 
wirthe  daselbst  nicht  eine  ganz  andere  würde,  ebenso  wenig  würde  es  in 
Nebraska  der  Fall  sein.  Der  Farmer,  welcher  daselbst  mit  zwei  Söhnen 
oder  Knechten  280  Acker  bewirthschaftet,  während  die  Töchter,  die  sich 
nimmermehr  zur  Feldarbeit  hergeben  würden,  das  Haus  und  den  Hof  be- 
sorgen, ist  auch  durch  hohen  Gewinn  nicht  zu  bewegen,  Rüben  zu  säen,  zu 
verziehen,  zu  verbacken  oder  gar  künstlich  zu  düngen,  was  an  vielen 
Stellen  bald  nöthig  sein  würde.  Mit  den  vorhandenen  Kräften  könnte  er 
dann  seine  Wirthschaft  nicht  besorgen,  er  müsste  sich  mehr  Leute  an- 
nehmen, wozu  nirgend  Neigung,  vielfach  das  Geld  nicht  vorhanden  ist. 
Diejenigen,  welche  es  versucht  haben,  schrecken  vor  den  Auslagen  zurück, 
nachdem  ihnen  einmal  der  Samen  verweht  und  eine  Missernte  eingetreten 
ist,  was  dort  viel  leichter  als  bei  uns  geschieht.  So  erklärt  es  sich  auch, 
dass  die  Fabrik  in  Norfolk  nicht  vorwärts  kommt  und  Grand  Island  im 
Rückgang  begriffen  ist,  weil  es  an  genügenden  und  an  guten  Rüben  fehlt. 
Wahrscheinlich  haben  wir  deshalb  gerade  in  Nebraska  wenn  über- 
haupt jemals,  so  doch  in  nächster  Zeit  schwerlich  das  Aufblühen  einer 
Rübenzuckerindustrie  zu  erwarten.  Voreilig  wäre  es  aber,  in  dieser  Be- 
ziehung fest  auf  das  gegenwärtig  gebildete  Urtheil  zu  vertrauen.  Wir 
dürfen  nicht  vergessen,  dass  zur  Zeit  unserer  Anwesenheit  in  Amerika 
dieses  Land  von  einer  wirthschaftlichen  Krisis  heimgesucht  war,  die 
Jedermann  trübe  in  die  Zukunft  schauen  Hess.  Augenblicklich  hatte  keiner 
den  Muth,  Kapital  in  der  Rübenzuckerfabrikation  festzulegen;  auch  des- 
halb, weil  die  Aussichten  der  Prämie  zu  unsicher  sind.  Denn  es  wird 
von  Niemand  angezweifelt,  dass  mit  der  Prämie,  die  gesammte  amerika- 
nische Rübenzuckerindustrie  fällt.  —  Gesetzt  aber  den  Fall,  die  Prämie 
bliebe  wie  es  jetzt  den  Anschein  hat,  in  voller  oder  annähernd  der 
jetzigen  Höhe^)  erhalten,  so  ist  immer  die  Möglichkeit  in's  Auge  zu 
fassen,  dass  mit  Eintritt  besserer  Zeiten  sich  Capitalisten  finden,  welche 
auf  dem  Wege    vorgehen,    welcher   uns    wiederholt   als    der   einzige   be- 


*)  Nach  den  Vorschlägen  der  Tarifcommission  in  Washington  soll  die  Prämie 
allmählich  beseitigt  werden,  indem  sie  jährlich  um  \  cent  verringert  wird,  so  dass 
sie  erst  in  8  Jahren  ganz  aufgehoben  würde.  Es  besteht  somit  die  Möglichkeit, 
dass  im  Falle  bei  der  nächsten  Präsidentenwahl  die  Gegenpartei  siegt,  es  niemals 
zur  völligen  Aufhebung  der  Zuckerprämie  kommt. 


67 

zeichnet  wurde,  um  einer  Zuckerfabrik  in  Nebraska  das  nöthige  Rüben- 
quantum zu  sichern:  nämlich  Ankauf  grösserer  geeigneter  Ländereien, 
welche  gegen  massigeren  als  den  landesüblichen  Pachtzins  an  kleine 
Leute  mit  der  Verpflichtung,  ein  bestimmtes  Areal  Rüben  zu  bauen,  zu 
überlassen  wären. 

Trotzdem  also  gegenwärtig  kein  Grund  für  uns  vorliegt,  uns  ge- 
rade bezüglich  des  Aufblühens  der  Rübenzuckerindustrie  in  Nebraska  in 
naher  Zukunft  zu  beunruhigen,  werden  wir  gut  thun,  die  Entwickelung 
der  Verhältnisse  daselbst  fortgesetzt  mit  ebenso  aufmerksamen  Auge  als 
in  Californien  zu  verfolgen. 


II. 

Sorgfhumzuekerindustrie  in  Kansas. 

Von  Lincoln  reiste  ich  direct  nach  Topeka  der  Hauptstadt  des 
südlich  gelegenen  Staates  Kansas.  Die  Gegend  bietet  hier  im  allge- 
meinen denselben  Anblick  als  weiter  nördlich,  doch  kommen  ausser 
Mais  und  Viehweiden  auch  schon  südlichere  Früchte  wie  Tabak  in  Er- 
scheinung. Im  Flussthal,  in  dem  die  Eisenbahn  entlang  führt,  waren 
die  Bäume  vielfach  mit  wildem  Wein  berankt,  was  im  Vergleich  mit  den 
Pappeln  Nebraska's  einen  freundlichen  Eindruck  hervorruft.  In  Topeka 
begab  ich  mich  sofort  in  das  Staatsgebäude,  wo  der  Landwirthschafts- 
secretär  leider  gerade  nicht  anwesend  war,  dafür  empfing  mich  sein  erster 
Vertreter.  Er  erzählte  mir,  dass  sie  mit  dem  Zuckerrübenbau  hier  Miss- 
erfolge gehabt  hätten,  weil  die  Farmer  im  Lande  dazu  nicht  reif  seien, 
dass  er  aber  grössere  Hoffnungen  auf  die  Sorghumindustrie  setze,  über 
welche  soeben  der  Bericht  für  1892  gedruckt  worden  sei.  Man  habe 
solche  erheblichen  Fortschritte  in  der  Erzielung  zuckerreicher  Sorghum- 
varietäten gemacht,  dass  für  die  Zukunft  auf  immer  bessere  Ausbeuten 
zu  rechnen  seien.  Von  einem  Besuch  der  beiden  Fabriken  zu  dieser 
Jahreszeit  (30.  August),  rieth  er  aber  dringend  ab,  da  weder  dort  noch 
auf  den  landwirthschaftlichen  Stationen  viel  zu  sehen,  und  die  Reise  zeit- 
raubend und  unbequem  sei.  Ich  folgte  seinem  Rathe  und  unterliess 
den  Besuch,  weil  ich  mich  bald  aus  dem  mir  zur  Verfügung  gestellten 
Berichte  überzeugte,  dass  es  mit  der  Entwickelung  der  Sorghumindustrie 
noch  gute  Weile  hat.      Es  ist    nämlich   immer  noch   nicht    gelungen  i), 


')   Vergl.  auch  Bulletin  37  j  S.  84  des  Herrn  Wiley. 

5* 


68 

Säfte  zu  erhalten,  die  sich  auf  Korn  Verkochen  lassen,  die  Fa- 
briken arbeiten  nur  durchs  die  hohen  Prämien  von  2  cent  von  den  Ver- 
einigten Staaten,  und  %  cent  vom  Staate  Kansas  höchstens  mit  einem 
sehr  kleinen  Gewinn,  der  aber  die  Höhe  dieser  Prämie  noch  nicht 
einmal  erreicht. 

Die  gesammte  Menge  des  Sorghumzuckers  betrug  1892: 
in  der  Fabrik  zu  Medicine  Lodge   ...    .....     486000  Pfd. 

bei  der  Parkinson  Company 480  900      „ 

bei  der  Medicine  Lodge  Raffinerie 30  800      „    ^) 

998 100  engl.  Pfd. 
wozu  noch  100000  Pfd.  Nachproducte  erwartet  werden, 

Die  Fabrik  zu  Medicine  Lodge  hatte  2167  Acker  Sorghumhirse 
zur  Verfügung,  welcher  sich  massig  entwickelt  hatte,  die  Campagne 
dauerte  mit  zeitweisen  Unterbrechungen  wegen  Kohlenmangels  vom 
12.  September  bis  Ende  October.  Eine  Kostenaufstellung  hat  die  Ge- 
sellschaft der  Regierung  in  Topeka  nicht  überreicht,  weil  sie  auch  die 
städtischen  Wasserwerke  und  andere  industrielle  Anlagen  mit  ihren 
Maschinen  besorgt,  und  angeblich  deshalb  nicht  in  der  Lage  ist,  den 
Gewinn  an  der  Zuckerfabrik  für  sich  zu  berechnen. 

Die  zweite  Fabrik  in  Fort  Scott,  die  Parkinson -Gesellschaft,  hatte 
1350  Acker  Sorghum  contrahirt,  in  Folge  des  ungünstigen  Frühjahres 
konnte  aber  der  grösste  Theil  dieser  Fläche  nicht  damit  bepflanzt 
werden ;  später  bauten  manche  Farmer  andere  Früchte  daselbst,  so  dass  nur 
900  Acker  wirklich  geliefert  wurden.  Da  dieses  Quantum  nur  langsam 
angefahren  wurde,  konnte  die  Fabrik  auch  hier  nur  mit  Unterbrechungen 
vom  25.  August  bis  26.  October  arbeiten. 

Folgende  Aufstellung  wurde  abgegeben: 

1892,  Parkinson  Compagnie. 

Werth  der  verarbeiteten  Sorghumpflanzen    .  .  .    $  75,000,00 

Tonnen  auf  Syrup  verarbeitet 562 

„        auf  festen  Zucker  verarbeitet    4276 

4838  Tonnen  im  Ganzen. 

Daraus  gewonnen: 

fester  Zucker 480900  Pfd. 

Melasse 56  200  Gallonen 

Syrup 13  000 


')  Alle  diese  Angaben  sind  dem  erwähnten  kurzen  Bericht  entnommen,  betitelt 
„the  Sugarindustry  in  Kansas",  welche  mir  auf  dem  Staatssecretariat  ausgehändigt 
wurde. 


69 

Per  Tonne  Sorghumzucker  Pfd.    ..........  112^       =        5,625^ 

Arbeiter  an  Zahl 60 

Preis  für  die  Tonne  Rohr 2,11  Doli. 

Für  neue  Maschinen  und  Reparaturen 2 175,00    „ 

Löhne  bis  1.  Januar  1893 5531,46    „ 

Im  ganzen  für  Rohr  bezahlt    10  222,96    „ 

Für  Kohlen 984,00    „ 

Für  Steuern 356,79    „ 

Für  Versicherung 600,00    „ 

Für  Unfälle 1  275,30    „ 

Bureauarbeiten  u.  a 1  876,00    „ 

Gesammtproductionskosten 23021,51  Doli. 

Werth  des  Productes   480900  Pfd.  Zucker  ä  2k  cent  .  .  .    11421,37  Doli. 

130  Gallonen  Syrup  ä  23  cent 2  990,00     „ 

56  200  Gallonen  Melasse  ä  ök  cent 3091,00     „ 

Kansas  Staatsprämie  (|  cent  auf  das  Pfund  Zucker)  ....      3  606,75     „ 
Vereinigte  Staaten-Prämie  (2  cent  das  Pfund  Zucker)  .  .  .      9  618,00     „ 

zusammen .  .    30727,12  Doli. 

Davon  ab:    Productionskosten .  .  . 23021,51     „ 

Netto -Gewinn  ...........      7  705-61  Doli. 

Also  rund  7700  Doli,  wurden  verdient  bei  13  200  Doli.  Prämie.  Was 
will  es  dem  gegenüber  bedeuten,  wenn  rühmend  hervorgehoben  wird, 
dass  der  Zuckergehalt  des  Bohres  von  durchschnittlich  9  auf  13V2  7o  ge- 
stiegen, in  den  Versuchsstationen  sogar  vielfach  über  16  ^/o  betragen  habe. 
Die  Thatsache  bleibt  bestehen,  dass  in  Folge  des  hohen  Gehaltes  an 
gummiartigen  Stoffen  und  an  Glucose  die  Säfte  nur  blank  gekocht  werden 
konnten  und  nur  5,67o  feste  Zucker  erhalten  werden  konnten.  Trotz- 
dem die  Ernte  pro  Acker  anscheinend  (die  Fläche  ist  nur  geschätzt) 
über  50  Tons  betragen  hat,  haben  sich  die  Farmer  „des  schlechten  Früh- 
jahrs" halber  nicht  einmal  bewegen  lassen,  die  contrahirten  Flächen 
Sorghum  zu  bauen.  Es  kann  keine  Frage  sein,  dass  mit  der  Prämie  die 
kleine  Sorghumzuckerindustrie  fällt,  ja  dass  sie  nicht  einmal  eine  Ver- 
minderung derselben  lange  wird  überdauern  können. 


III. 

Besehreibung  zweier  Raffinerien. 

1.    Die  Raffinerie  in  Brooklyn. 

Ankunft  in  New-York  Mittwoch,  den  23.  Juni  1893,  am 
Donnerstag  den  25.  Besuch  bei  Herrn  Matthieson,  einem  der 
Herren  Directoren  des  Zuckertrust.  Am  Tage  nach  unserer  Ankunft 
begaben  wir  uns  nach  dem  Geschäftshaus  der  Sugar-Refining  Company, 


70 

am  unteren  Ende  der  Wallstreet.  Herrn  Havemeyer,  an  welchen  wir  von 
Herrn  Geheimrath  Schöller -Breslau  empfohlen  waren,  trafen  wir  leider 
nicht  an,  da  er  während  des  Sommers  in  Newport,  dem  Seebade  der 
vornehmen  Welt  von  New -York  verweilt  Dagegen  empfing  uns  Herr 
Matthieson,  der  technische  Director  des  Trust,  an  welchen  mich  Geheim- 
rath Langen  freundlichst  empfohlen  hatte  zuvorkommend.  Er  theilte  uns 
mit,  dass  die  Arbeitsweise  der  sämmtlichen  Raffinerien  des  Trust  im 
wesentlichen  dieselbe  sei,  niemals  werde  Rübenzucker  allein  verarbeitet,  ^) 
sondern  nur  in  massigem  Zusatz  zu  Colonialzucker,  es  sei  deshalb  genügend, 
eine  der  Raffinerien  zu  sehen,  nämlich  die  Havemeyer'sche  in  Brooklyn, 
welche  das  grösste  Quantum  4000000  Pfd.  Einwurf  am  Tage  verarbeite. 
Auf  Befragen  erzählte  er  uns,  dass  das  Ausscheidungsverfahren  nach  Steffen 
zur  Entzuckerung  der  Melasse  sich  bei  ihnen  nicht  bewährt  habe,  wegen 
des  störenden  Einflusses  des  Invertzuckergehaltes  der  Colonialzucker,  es 
bestehe  auch  gar  kein  Interesse  für  sorgfältige  Ausarbeitung  der  Colonial- 
Syrupe  auf  festen  Zucker,  da  für  ersteren  der  Markt  sehr  aufnahmefähig 
sei  und  bei  hohen  Preisen  der  Bedarf  nur  mit  Mühe  gedeckt  werden 
könne.  Zu  den  Versuchen  die  Rübencultur  und  die  Zuckerfabrikation  aus 
Rüben  in  den  Vereinigten  Staaten  heimisch  zu  machen,  hatte  Herr  Matthieson 
zur  Zeit  wenig  Vertrauen.  Er  stattete  schliesslich  uns  drei  (Herrn  Dr.  Bartz, 
Herrn  Schöller  und  mich)  mit  einem  Einführungsschreiben  an  die 
Raffinerie  in  Brooklyn  aus. 

30.  Juni  1893.  Besuch  der  Zuckerraffinerie  in  Brooklyn, 
vormals  Havemeyer  &  Eiders.  Die  Fabrik  repräsentirt  sich  als  ein 
aus  mehreren  hohen  Häusern  von  acht  und  mehr  Stockwerk  bestehender 
Gebäudecomplex,  dicht  am  Hafen  gelegen,  so  dass  der  Zucker  direct  von 
und  nach  den  Schiffen  gelangen  kann.  Zur  Zeit  herrschte  an  der  Verladungs- 
stelle  rege  Thätigkeit,  indem  Rohzucker  aus  den  verschiedensten  Ländern 
Cuba,  Philippinen  u.  a.,  dessen  Herkunft  an  der  verschiedenen  landes- 
eigenthümlichen  Verpackung  ohne  weiteres  kenntlich  ist,  der  Fabrik 
zugeführt  wurde.  Die  Anzahl  der  Arbeiter  an  den  Docks  wurde  zu  1200, 
in  der  Fabrik  zu  800  angegeben,  welche  bis  vor  kurzem  2  Dollar  pro 
Tagschicht  von  12  Stunden  zur  Zeit  Doli.  1,80  Lohn  erhielten.  Die 
Herabsetzung  des  Lohnes  ist  nicht  ohne  ernstliche  Differenzen  zwischen 
Arbeitgebern  und  -nehmern  vor  sich  gegangen,  was  sich  auch  dadurch  noch 
kenntlich  machte,  das  die  Fabrik  zur  Zeit  unseres  Besuches  noch  von 
Detectives  umstellt  war.  Bei  der  Meldung  stellte  sich  heraus,  dass  in 
Folge  eines  Schreibens  des  Herrn  Geheimrath  Schöller  an  Herrn  Havemeyer 
-für   dessen  Sohn  und  mich  bereits  vor  längerer  Zeit  seitens  der  Compagnie 

*)  Später  theilte  mir  Herr  Matthieson  mit,  dass  in  der  Rafliuerie  Yersey  City 
zur  Zeit  auch  Rübenzucker  für  sich  nach  Steffen  gewaschen  werde. 


71 

die  Erlaubniss  zur  Besichtigung  ertheilt  war  und  dass  wir  beide  von  dem 
Director  der  Fabrik  und  dem  Chemiker  Herrn  Wiechmann  erwartet 
worden  waren.  Die  Herren  nahmen  uns  denn  auch  auf  das  liebenswürdigste 
auf  und  widmeten  sich  viele  Stunden  ausschliesslich  unserer  Führung. 

Im  Vergleich  mit  europäischen  Eaffinerien  fällt  zunächst  auf  die 
Grösse  der  Dimensionen  sämmtlicher  Maschinen  und  Apparate  und  das 
Uebereinanderlegen  einzelner  Stationen  in  den  landesüblichen,  aus  zahl- 
reichen Stockwerken  bestehenden  Gebäuden.  Von  der  Grösse  der  Fabrik 
wird  der  deutsche  Leser  sich  einen  ungefähren  Begriff  machen  bei  der 
üeberlegung,  dass  der  Einwurfszucker,  welchen  die  Fabrik  in  etwa 
200  Tagen  verarbeitet,  ebenso  viel  wiegt,  als  sämmtlicher  in  einem  Jahre 
in  Deutschland  zum  Consum  gelangender  Zucker,  üeber  einander  geschichtet 
in  drei  Etagen  liegen  z.  B.  auch  die  Dampfkessel. 

Der  Einwurfszucker  bestand  zur  Zeit  aus  Colonialzucker  von  ziem- 
lich geringer  Polarisation,  vielleicht  92 — 93  'Yo  und  12  7ü  Rübenzucker, 
manchmal  werden  aber  auch  bis  50  und  mehr  Procent  Rübenzucker  ver- 
wandt, je  nach  der  Marktlage,  doch  wird  deshalb  die  zu  beschreibende 
Arbeitsweise  der  Fabrik,  welche  hauptsächlich  die  Eigenschaften  des  Rohr- 
zuckers berücksichtigt,  niemals  geändert,  da  letzterer  die  Hauptrolle  spielt 
und  Rübenzucker  allein  für  sich  niemals  zur  Verarbeitung  kommt. 

Die  einzuschmelzenden  Rohzucker  werden  keiner  Affination 
unterworfen,  da  die  Mehrzahl  derselben  wegen  der  schlechten  Beschaffen- 
heit des  Korns  sich  dazu  gar  nicht  eignen.  Der  Invertzuckergehalt  ist  je  nach 
der  Abstammung  häufig  hoch,  bei  manchen  7  "^/o  und  mehr,  die  meisten 
sind  stark  inficirt  mit  allen  möglichen  Pilzen,  alle  fast  mit  Ausnahme 
natürlich  der  Rübenzucker  sind  sauer.  Letztere  werden  nach  dem  be- 
kannten Aschenrendement,  die  Rohrzucker  dagegen  nach  Polarisation  ge- 
kauft. Der  Zucker  wird  direct  vom  Schiff  oder  Lagerraum  in  ziemlich 
kleinen  Bassins  (angeblich  nur  25  Ctr.  fassend)  zu  einem  Syrup  von  60  ^ 
eingeschmolzen  und  alsdann  durch  Pumpen  in  die  obersten  Stockwerke 
befördert,  von  welchen  er  im  Lauf  des  Betriebes  allmählich  wieder  nach 
unten  gelangt,  so  dass  der  Saft  nirgends  nochmals  gehoben  werden  muss. 
Zunächst  erfolgt  eine  Vorreinigung  des  Saftes  mit  sog.  Superphosphat, 
d.  i.  ein  mit  Salzsäure  hergestellter  Extract  aus  Knochenkohle.  Die 
Rohzuckerlösung  reagirt  schwach  organisch  sauer,  höchstens  bei  Zusatz 
von  viel  Rübenzucker  neutral,  niemals  alkalisch.  Die  Alkalität  oder 
Acidität  wird  im  Betriebe  nicht  regelmässig  bestimmt.  Bei  Zusatz  des 
Superphosphats  fällt  ein  Niederschlag,  hauptsächlich  phosphorsaures  Eisen 
und  Thonerde,  wahrscheinlich  auch  etwas  kieselsauren  Kalk  und  organische 
Substanzen  enthaltend,  bei  kalkreichen  Nacliproducten  aus  Rübenzucker 
wohl  auch  phosphorsaurer  Kalk  aus,  welcher  mechanisch  klärend  wirkt. 
Zuweilen   wird  es   für  angezeigt   gehalten,    zur  Verstärkung    des  Nieder- 


72 

Schlages  etwas  Kalkmilch  zuzugeben,  also  neutralen  phosphorsauren  Kalk 
zu  erzeugen,  selbstverständlich  aber  nicht  so  viel,  um  alkalische  Reaction 
wie  bei  unsrer  Scheidung  zu  erhalten,  da  sonst  die  Flüssigkeit  dunkel 
werden  müsste  in  Folge  des  Einflusses  des  Kalks  auf  den  Invertzucker. 
Darauf  erfolgt  ein  Zusatz  von  Sägemehl  und  Filtration  durch  die  be- 
kannten Kroog'schen  Pressen  mit  grossen  Kammern ,  welche  in  den  Co- 
lonien  sonst  meist  mit  grobkörniger  Knochenkohle  gefüllt  werden. 

Für  die  fernere  Arbeit  ist  characteristisch,  dass  sie  durchweg  bei 
verhältnissmässig  sehr  niedriger  Temperatur  von  Statten  geht,  welche 
wir  mit  peinlicher  Sorgfalt  vermeiden  aus  Furcht  vor  dem  Gedeihen  der 
invertirenden  Gährungserreger.  Man  sollte  meinen,  dass  bei  den  stark 
inficirten  und  bereits  invertzuckerhaltigen  Colonialzuckern  erst  recht 
gegen  diese  angekämpft  werden  sollte.  Indessen  ist  zu  bedenken,  dass 
bei  hohen  Temperaturen  die  letzteren  ohne  erhebliche  Caramelisirung  des 
so  leicht  zersetzlichen  bereits  vorhandenen  Invertzuckers  gar  nicht  zu  ver- 
kochen sind,  und  dass  ferner  kein  Gesetz  die  Fabrikanten  zwingt,  behufs 
Erzielung  steuerfreier  Abläufe  eine  bestimmte  Menge  festen  Zucker  heraus- 
zuholen, üeberdiess  aber  behandelt  man  sogleich  nach  dem  Zusatz  des 
Superphosphats  die  Säfte  mit  dem  seit  Alters  beliebten  Antisepticun  der 
Rohrzuckerfabriken,  der  schwefligen  Säure.  Der  Saft  wird  unmittelbar 
nach  der  Klärung  geschwefelt,  und  zwar,  da  er  einmal  sauer  ist,  man 
den  Invertzucker  aber  auch  nicht  unnütz  vermehren  will,  bei  der  mittleren 
Temperatur  von  56—60  ^  C,  welche  er  besitzt,  es  schadet  aber  nicht 
nur  nichts,  sondern  ist  sogar  angenehm,  wenn  die  Temperatur  niedriger  ist. 
Die  freie  schweflige  Säure  wirkt  überdies  kräftig  bleichend.  Eine  chemische 
Controle  über  die  Menge  der  zugeführten  schwefligen  Säure  bez.  die  Zu- 
nahme der  Acidität  findet  auch  an  dieser  Stelle  nicht  statt.  Dieselbe 
könnte  auch  nicht  viel  Zweck  haben,  da  bei  der  verschiedenen  Beschaffen- 
heit des  Einwurfszuckers  vermuthlich  Auge  und  Geruch  einen  besseren 
Anhalt  für  die  nothwendige  Menge  schwefliger  Säure  geben,  als  die 
Titration  im  Stande  wäre. 

Nunmehr  wird  der  Saft  bei  der  mittleren  Temperatur,  welche  er 
gerade  besitzt,  einer  starken  Filtration  über  70  °/o  Knochenkohle  unter- 
worfen. Dieselbe  ist  feinkörniger  als  bei  uns,  grusartig  und  wie  bekannt 
ziemlich  reich  an  der  wirksameren  inneren  Knochenmasse ,  welche 
früher  von  unseren  Knochenkohlebrennern  zu  feinem  Pulver  gemahlen 
nach  den  Colonien  verkauft  wurde.  Die  Regeneration  der  Knochen- 
kohle geschah  ausschliesslich  durch  Waschen  mit  heissem  Wasser  in  den 
Filtern  und  Glühen,  Salzsäurezusatz  um  kohlensauren  Kalk  zu  lösen, 
erwies  sich  beim  Colonialzucker  nicht  nöthig,  auch  eine  Entgypsung  wird 
nicht  vorgenommen.  Jedes  Filter  wird  für  sich  behandelt  und  je  nacli 
der  Art  des  aufgelösten  Rohzuckers  die  filtrirten  Säfte  gesondert  und  in 


73 

der  Kegel  nach  24  Stunden  abgesüsst.  Der  filtrirte  Saft  wird  darauf  in 
Vacuumapparaten  mit  bei  uns  nicht  üblicher  ausserordentlich  grosser 
Luftleere  und  entsprechender  Temperatur  verkocht  nämlich  häufig  unter 
60  ja  unter  50  "^  C.     Die  Heizfläche  muss  daher  bedeutend  sein. 

Die  mächtigen  Vacuumapparate  von  cylindrischer  Form,  welche  seit 
Anfang  der  80  iger  Jahre  in  Betrieb  sind,  enthalten  bereits  alle  diejenigen 
Einrichtungen,  auf  welche  bei  uns  erst  in  letzterer  Zeit  grosser  Werth 
gelegt  ist,  also  parallele  Lage  der  Schlangen  senkrecht  über  einander,  und 
mächtige  Oeffnung,  durch  welche  der  Sud  in  5  Minuten  entleert  werden 
kann.  Dieser  Theil  der  Fabrikation  war  für  uns  besonders  fesselnd.  Durch 
das  Kochen  bei  so  niederer  Temperatur  wird  natürlich  die  Krystallisation 
reichlicher  und  nachträgliches  Stehen  des  Sudes  behufs  Nachkrystallisation 
und  Erkalten  mit  oder  ohne  Bewegung  nicht  so  nöthig  wie  bei  uns.  Es 
ist  ja  aber  auch  aus  den  eingangs  erwähnten  Gründen  auf  die  Gewinnung 
möglichst  vielen  Zuckers  in  fester  Form  hier  nicht  so  viel  Gewicht  gelegt 
wie  bei  uns.  Dadurch  rechtfertigt  sich  die  nachfolgende  Arbeitsweise, 
welche  in  Bezug  auf  Schnelligkeit  und  Einfachheit  ohne  Gleichen  sein 
dürfte.  Die  Füllmasse  nämlich  entleert  sich  in  eine  unmittelbar  unter 
dem  Vacuum  befindliche  schiffbauchähnliche  grosse  Maische,  welche 
direct  über  den  Gentrifugen  steht,  durch  ein  einfaches  in  verticaler 
Richtung  arbeitendes  Rührwerk  wird  sie  ip  der  Sudmaische  vertheilt, 
über  jeder  Centrifuge  enthält  dieselbe  eine  Oeffnung  und  unmittelbar 
nach  dem  Ablassen  des  Sudes  also  5  Minuten  nach  Beendigung  des  Ver- 
kochungsprocesses  beginnt  auch  schon  die  Schleuderarbeit.  Die  Vor- 
richtungen zum  Antrieb  der  Gentrifugen  befinden  sich,  wie  auch  bei  uns 
bei  neueren  Anlagen  in  der  unteren  Etage,  so  dass  der  Arbeiter  sich  auf 
dem  ebenen  Fussboden  des  ganzen  Raumes  befindet  und  keine  Erhöhung 
zu  betreten  braucht,  um  zur  Centrifuge  zu  gelangen;  nachgedeckt  in  der 
Centrifuge  wird  nur  nach  alter  Weise  mit  kaltem  Wasser. 

Sofern  nicht  auf  granulated  gearbeitet  wird ,  werden  Brode  oder 
Würfel  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  uns  hergestellt.  Eigenartig  berührt 
dabei,  dass  die  benutzten  Maschinen  sämmtlich  verschieden  von  den 
unsrigen  sind,  indem  sie  alle,  mit  alleiniger  Ausnahme  der  erwähnten 
Kroog'schen  Pressen  von  der  Sangerhäuser  Maschinenfabrik  amerika- 
nischen Ursprungs  sind.  Die  Brode  von  ziemlich  kräftigem  Korn  und 
circa  50  Pfd.  Gewicht  werden  nicht  genutscht,  sondern  die  Spitzen  ab- 
gebrochen. Sie  werden  nicht  als  solche  verkauft,  sondern  zu  Würfeln 
geschnitten,  welche  in  der  Mitte,  da  die  Zargen  der  Säge  nicht  über- 
greifen eine  schmale  Bruchstelle  zeigen.  Diese  Würfel  bilden  hier  den 
beliebtesten  Consumzucker.  Es  werden  aber  auch  direct  aus  geschleuderten 
Zucker  Presswürfel   hergestellt  mittelst  Maschinen,    welche   den  unseren 


74 

sehr  unähnlich  erscheinen.     Auch  gewaschene  Baffinaden  utid  Puderzucker 
werden  selbstverständlich  erzeugt,  und  viele  Farine. 

Die  Syrupe  werden  sämmtlich  auf  Speisesyrupe  verarbeitet  in  be- 
kannter einfacher  Weise,  indem  sie  einer  nochmaligen  Knochenkohlen- 
filtration unterworfen  werden. 

2.  Die  Zuckerraffinerie  in  San  Francisco. 

Wie  die  Brocklyner  Raffinerie  liegt  die  von  San  Francisco  am  Hafen, 
für  den  Fremden  schwer  zu  finden,  weshalb  mich  der  Director  Herr 
Sprague  selbst  freundlichst  hinunter  geleitete.  An  den  Docks  liegen 
die  Seeschiffe  aus  Honolulu,  welche  recht  schlechten  Rohzucker  heran- 
führen. Mittelst  einer  eigenen  elektrischen  Bahn  wird  er  nach  den  Lager- 
schuppen oder  der  Fabrik  geführt,  welche  täglich  750  tons  Zucker  ein- 
schmilzt. Die  Kohle  kommt  gleichfalls  aus  Schiffen  direct  mittelst  einer 
Kabelhochbahn,  die  einen  imposanten  Eindruck  macht,  nach  dem  Kohlen- 
haus. Der  fertige  Zucker  hinwiederum  gleitet  auf  einer  Rutschbahn  aus 
der  Fabrik,  wie  man  sie  hier  überall  in  den  Badeanstalten  mit  Schwimm- 
bassins hat,  eine  zweite  solche  Rutschbahn  wie  für  die  Säcke  ist  für 
die  Fässer  vorhanden. 

Im  Parterre  stehen  die  Einschmelzbassins  mit  kräftigen  vertikal  und 
kreisförmig  wirkendem  Rührwerk  ganz  wie  die  Maischbottiche  hier  in  den 
Brauereien,  die  Lösungen  werden  darauf  wie  in  Brooklyn  mit  Phosphat- 
lösung geklärt,  geschwefelt  (?)  und  gehen  dann  durch  freihängende 
Taylorbeutel.  Sägemehl-  und  Sangerhäuser  Pressen  hat  man  hier  als  un- 
zweckmässig wieder  verlassen,  man  meinte,  dass  solche  zur  Zeit  n  u  r  in 
Brooklyn  arbeiteten,  dagegen  muss  man  manchmal  bei  ganz  schlechten 
Zuckern  zu  Blut  zurückgreifen.  Eine  Zeit  lang  hat  man  auch  mit  einer 
seifenartigen  kieselsauren  Thonerde  geklärt,  welche  in  Californien  ge- 
funden und  vielfach  zur  Verfälschung  von  Seife  benutzt  wird.  Dieses 
Silicat  ballt  sich  beim  Erhitzen  flockig  zusammen,  nachdem  es  vorher  eine 
Emulsion  gebildet  hat.  Andere  Thonerdecilicate,  die  man  probirte,  setzten 
sich  zu  schnell  ab.  Leider  ist  das  Mineral  neuerdings  so  selten  ge- 
worden ,  dass  die  Raffinerie  nicht  mehr  genug  davon  erhalten  konnte, 
es  soll  noch  in  der  Sierra  Nevada  vorkommen,  aber  zu  weit  von  der 
Bahn  und  deshalb  zu  theuer. 

Zum  Verkochen  sind  eine  Anzahl  zum  Theil  eigenartig  aussehende 
und  sehr  grosse  Vacuas  vorhanden,  welche  alle  hier  von  Herren  Sprague 
construirt  und  in  San  Francisco  angefertigt  sind.  Für  die  Abwässer  von 
den  Knochenkohlenfiltern  ist  ein  Doubleeffet  aufgestellt,  welches  aber 
nicht  ganz  ausreichen  soll.  Auch  hier  wird  wie  in  Brooklyn  bei  niederer 
Temperatur  gekocht  und  ist  die  Disposition  der  Sudmaischen  und  Centri- 
fugen   genau   so   wie   dort.     Die  Auslassöffnung    des   Vacuums   ist  eng, 


75 

dennoch  genügten  drei  Minuten,  den  Sud  zu  entleeren,  weil  man  hier 
lange  nicht  so  stramm  kocht  als  bei  uns.  Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich 
nicht  unerwähnt  lassen,  dass  angeblich  die  grosse  Oeffnung  der  Brook- 
lyner Vacuas  lediglich  davon  herrührt,  weil  man  sie  für  bequem  hielt, 
um  besser  in  das  leere  Vacuum  hineinkriechen  zu  können.  Die  Form  der 
Sudmaischen  ist  hier  nicht  trogförmig,  sondern  es  sind  grosse  viereckige 
Kasten  mit  Kührwerk  ähnlich  den  unseren.  Auch  hier  wird  heiss  ge- 
schleudert und  sofort  der  Ablauf  verkocht.  Da  für  Nachproducte  und 
Farine  kein  Markt  vorhanden  ist,  wird  alles  auf  weissen  Zucker  ver- 
arbeitet.    Ein  Sud  soll  nur  IV2  bis  3  Stunden  dauern! 

Der  Antrieb  der  Centrifugen  ist  wie  in  Brooklyn  von  der  unteren 
Etage  aus,  gedeckt  wird  gleichfalls  nur  mit  Wasser.  Sehenswerth  sind 
die  mächtigen  Trockenapparate  für  den  granulated,  der  heiss  und  un- 
gesiebt  gesackt  oder  in  Fässer  gefüllt  wird.  Letztere  stehen  auf  Eisen- 
platten, welche  von  unten  her  beständig  in  stampfender  Bewegung  ge- 
setzt sind,  um  dadurch  die  Zuckerkrystalle  fester  zu  lagern.  Sehr  hübsch 
ist  auch  eine  mechanische  Transportvorrichtung  für  die  Fässer. 

Zur  Herstellung  der  Presswürfel  dienen  liegende  cylindrische  Maschinen 
von  grosser  Leistungsfähigkeit. 

Die  Kühlung  der  Condensatoren  geschieht  mit  Salzwasser  aus  dem 
Hafen,  welches  eine  automatisch  sich  selbst  regulirende  Pumpe  eigener 
Construction  fördert. 

Die  Dampfkessel  liegen  frei  und  sind  nur  durch  starke  Asbestbekleidung 
vor  Wärmeverlusten  geschützt,  die  Kohle  (englische)  wird  auf  Plan- 
rosten verbrannt. 

Die  Fabrik  beschäftigt  500—600  Arbeiter.  Im  Laboratorium,  wo 
sich  ein  Laurent  -  Polarisationsapparat  mit  Natriumlicht!  befindet,  fand 
ich  in  dem  Chemiker  Herrn  Michaelis  einen  Schüler  des  Vereinslaboratorium 
wieder,  welcher  zu  meiner  Freude  sofort  beurlaubt  wurde,  um  mich  durch 
St.  Francisco  zu  führen. 

Hier  wie  in  Brooklyn  fällt  der  Mangel  jeder  Affination  des 
Zuckers  vor  dem  Einschmelzen  auf.  Man  ist  der  Ansicht,  dass 
eine  solche  sich  wegen  der  schlechten  und  unregelmässigen  Beschaffenheit 
des  Colonialzuckers  nicht  durchführen  lasse.  Speciell  hat  man  dabei  wie 
Herr  Oxnard  und  auch  Herr  Matthieson  mir  auseinandersetzten,  mit  dem 
Steffen'schen  Waschverfahren  schlechte  Erfahrungen  gemacht,  was  ja 
auch  nicht  Wunder  nehmen  kann.  Die  reineren  Waschsyrupe  werden 
eben  in  Folge  der  starken  Infection  durch  den  sauren  Rohzucker  immer 
in  kurzer  Zeit  Gährung  bez.  Invertzucker  zeigen  müssen.  Herr  Matthieson 
hatte  die  Freundlichkeit  bei  der  Rückreise  in  New- York  mir  über  diesen 
Punkt  noch  in   einer  längeren    Unterredung  Aufschluss  zu  geben.      Ein 


76 

Haupthinderniss  für  die  Wäsche  auch  der  Füllmassen  bez.  der  eigenen 
Nachproducte  bildet  auch,  dass  man  auf  so  feines  und  deshalb  unregel- 
mässiges Korn  zu  arbeiten  genöthigt  ist  und  dass  die  Kohzucker  häufig 
so  schmierig  und  schleimig  sind,  dass  glatte  Arbeit  in  der  Wäsche  auch 
dadurch  unmöglich  wird. 

Was  wir  und  speciell  unsere  Finanzverwaltung  als  granu- 
lated  bezeichnen  ist  in  den  Vereinigten  Staaten  nach  dem  überein- 
stimmenden ürtheil  aller  Zuckerfabrikanten,  die  ich  dort  gesprochen  habe, 
nicht  verkäuflich.  Unter  granulated  versteht  man  dort  einen  gut 
abgedeckten  feinkörnigen  vom  Feinmehl  durch  Absieben  nicht  be- 
freiten weissen  Zucker.^) 


IV. 

Besiehtigung  der  Glucosefabrik  in  Davenport,  Jowa, 

am  23.  Juli  1893. 

Der  Fabrik  stehen  die  Herren  Director  Best  und  der  bekannte 
deutsche  Chemiker  Dr.  Arno  Behr  vor,  welcher  letzterer  früher  die 
Chicagoer  Stärkezuckerfabrik  geleitet  hat  und  dem  die  Stärkezucker- 
industrie die  wichtigsten  Entdeckungen  verdankt.  Um  die  Bedeutung 
dieses  Mannes  zu  würdigen,  sei  nur  erwähnt,  dass  er  der  erste  war,  dem 
es  gelang  den  krystallisirten  Stärkezucker,  das  Glucoseanhydrid,  aus 
wässeriger  Lösung  fabrikmässig  darzustellen,  eine  Erfindung,  welche 
allein  es  ermöglicht  hat,  reinen  Stärkezucker  frei  von  Beimengungen 
zu  gewinnen.  Genial  in  seiner  Einfachheit  ist  das  Verfahren  desselben 
Erfinders  die  Keime,  welche  sich  in  jedem  Maiskorn  befinden,  behufs 
Darstellung  reiner  Maisstärke  einer-  und  Maisöl  andererseits  zu  entfernen. 
Dieses  Verfahren  beruht  darauf,  dass  der  Mais  zunächst  mit  wässeriger 
schwefliger  Säure  behandelt  wird,  wodurch  das  ganze  Korn  eine  gleich- 
massige  Beschaffenheit  annimmt,  welche  gestattet,  den  Inhalt  durch  Mahlen 
unter  schwachem  Druck  gleichmässig  zu  zerkleinern,  ohne  dass  die  Keime 
zerstört  werden.  Indem  Arno  Behr  darauf  aus  der  gemahlenen  Masse 
durch  Wasserzusatz  eine  Emulsion  von  bestimmtem  specifischen  Gewicht 
herstellt,    ermöglicht    er    es,    dass  sich  die  Schaalen  nach  unten  und  die 


»)  Es  dürfte  wichtig  sein,  für  den  Fall,  dass  der  Export  von  weissem  Zucker 
nach  den  Verdnigten  Staaten  demnächst  möglich  werden  sollte,  diesen  Punkt  zu 
beachten.  Eine  Probe  von  der  drüben  gangbaren  Verkaufswaare  von  granulated 
stelle  ich  zur  Ansicht  gern  zur  Verfügung, 


11 

Keime  als  specifiscli  leichtere  Theile  üach  oben  zusammenziehen,  wo- 
durch also  eine  leichte  Trennung  auf  mechanischem  Wege  stattfindet. 
Letzteres  Verfahren  ist  jedoch  Eigenthum  der  Fabrik  in  Chicago  ge- 
worden und  deshalb  in  Davenport  nicht  eingeführt. 

Wir,  Herr  Dr.  Bartz  und  ich,  wurden  in  Davenport  auf  das  gastlichste 
von  den  genannten  beiden  Herren  aufgenommen  und  durch  die  Fabrik 
geführt.  Letztere  verarbeitet  als  Rohmaterial  Mais  und  stellt  daraus 
zur  Zeit  nur  flüssigen  Zucker  her,  ausserdem  bereitet  sie  in  bekannter 
Weise  unter  Verwendung  von  Melasse  Speisesyrupe,  welche  in  Amerika 
ein  ungeheuerer  Consumartikel  sind.  Der  sogenannte  Maplesyrup  (Aliorn- 
syrup),  welcher  hier  allerwärts  zu  Kuchen  verzehrt  wird,  ist  häufig  nur 
heller  auf  diese  Weise  gewonnener  Stärkemelassesyrup.  Die  Verwendung 
des  Stärkezuckers  zu  anderen  Genuss-  und  gewerblichen  Zwecken  ist 
aber  gleichfalls  bedeutender  als  bei  uns.  Arno  Behr  berechnete  die 
ungefähre  Production  der  Vereinigten  Staaten  zu  vielleicht  zwanzig 
Mal  so  gross  als  die  deutsche.^) 

Die  Fabrik  in  Davenport  ist  nicht  neu,  in  ihren  Einzelheiten  bietet 
sie  aber  manches  Interessante  für  den  mit  der  Stärkezuckerindustrie  Ver- 
trauten, welches  jedoch  den  Lesern  zu  fern  liegen  möchte. 

Die  Feuerung  der  Dampfkessel  geschieht  durch  eine  Kohlenstaub- 
feuerung, Patent  Brightmann,  für  welche  jedoch  die  Staubkohle  nicht  be- 
sonders hergestellt  zu  werden  braucht,  sondern  natürlicher  Kohlenstaub- 
abfall von  Staub-,  Grus-  und  Nussgrösse  verwendet  wird.  Die  Kohle  wird 
durch  eine  automatisch  wirkende  Vorrichtung  auf  den  Rost  geschüttet. 
Ganz  ähnliche  Feuerungen  habe  ich  noch  mehrfach,  z.  B.  in  dem  Ma- 
schinenhaus der  electrischen  Bahn  in  Colorado  Springs  besichtigt. 

Das  Aufschliessen  des  Mais  geschieht  auch  hier  wie  üblich  mit  wäss- 
riger  schwefliger  Säure,  die  Trennung  der  Stärke  vom  Kleber  durch 
Schwemmen  über  lange,  tafelförmige  Bassins,  welche  ähnlich  den  in  un- 
seren Weizenstärkefabriken  befindlichen  sind.  Die  Stärke  setzt  sich  dabei 
zu  Boden,  der  Kleber  bleibt  in  der  Flüssigkeit  suspendirt  und  wird  zu- 
nächst durch  Absitzen  concentrirt.  Er  wird  dann  mit  den  Schalen  des 
Mais,  welche  zuvor  zurückgehalten  worden  sind,  gemischt  und  diese 
Mischung  durch  Pressen  so  viel  als  möglich  entwässert.  Man  erhält  auf 
diese  Weise  ein  werthvolles  Futter,  welches  nach  künstlichem  Trocknen 
in  den  Handel  gebracht  wird. 


*)      1890/91  wurden  in  Deutschland  38611200  Kilo 

1891/92       „       „  „  15205  700     „    erzeugt, 

die  amerikanische  Production  schätzt  Arno  Behr  auf  260  Millionen  Kilo.  Beim  Ver- 
gleich kommt  es  natürlich  darauf  an,  welche  der  beiden  Zahlen,  für  Deutschland  zu 
Grunde  gelegt  wird. 


7S 

Die  Verzuckerung  der  Stärke  geschieht  mit  Schwefelsäure  i)  und 
zwar  für  flüssige  Glucose  allerwärts  noch  in  hölzernen  Gefässen,  für  festen 
Zucker  werden  kupferne  Digestoren  angewandt.  Nachdem  die  Masse 
mit  fein  gepulvertem  Marmor  neutralisirt  und  durch  Schlammpressen 
älterer  Construction  filtrirt  ist,  wird  sie  über  Knochenkohle  geschickt  und 
dann  im  Tripleeffet  eingedampft.  Die  Verdampfapparate  sind  von  Guss- 
eisen mit  kupfernen  Heizröhren.  Manche  Fabriken  verwenden  ganz  aus 
Kupfer  verfertigte  Vacuums.  Für  die  Erzielung  eines  hellgefärbten  oder 
farblosen  Präparates  ist  es  vor  Allem  wesentlich,  dass  die  angewandte 
Stärke  klebefrei  ist,  da  die  geringsten  Mengen  der  stickstoffhaltigen 
Substanzen  bewirken,  dass  die  Masse  beim  Erhitzen  mit  Schwefelsäure 
sich  bräunt. 

Die  vorzügliche  Beschaffenheit  der  Producte  in  Davenport  bewies, 
dass  in  gedachter  Beziehung  die  Arbeitsweise  tadellos  ist.  Für  uns  war 
das  Zusammensein  und  der  Gedankenaustausch  mit  den  gebildeten  Tech- 
nikern der  Fabrik  ungleich  werthvoller,  als  die  Besichtigung  manches 
grösseren  Etablissements  mit  vollkommeneren  Apparaten,  wo  der  leitende 
Geist  fehlte,  gewesen  wäre. 

Schliesslich  zeigte  uns  Herr  Best,  ein  geborener  Deutscher,  noch 
eine  Anzahl  weitere  gewerbliche  Anlagen  in  Davenport  und  den  Nachbar- 
städten, unter  denen  besonders  die  Wasserfiltrationsanlage  uns  interessirte. 
Die  Dampfkessel  werden  daselbst  mit  Sägemehl  geheizt,  welches  dort  zu 
Lande  zu  Spottpreisen  zu  haben  ist.  Die  Verbrennung  geschieht  auf 
einem  Planrost  unter  starker  Luftzufuhr. 


V. 

Die  Ausstellung  in  Chicago. 

Der  feenhafte  Eindruck,  welchen  die  weisse  Stadt  am  Michigansee 
auf  den  Fremdling  macht,  ist  oft  genug  geschildert  worden.  Auch  wir 
waren  demselben  besonders  im  Anfange  gänzlich  unterworfen  und  ge- 
blendet davon.  Das  Gefühl  des  Stolzes  ferner,  welches  jeder  hergeeilte 
Deutsche  empfinden  musste,  wenn  er  sah,  wie  die  heimathliche  Aus- 
stellung alle  anderen  überragte  und  wenn  er  von  allen  Nationen  Worte 
der    Anerkennung    zu    hören    bekam ,    trug    nicht   wenig   dazu  bei,    dass 


*)  In  den  Vereinigten  Staaten  existirt  auch  eine  Stärkezuckerfabrik,  welche  mit 
Salzsäure  verzuckert.  Wie  die  meisten  derartigen  Fabriken  hatte  sie  aber  zur  Zeit 
unseres  Besuches  wegen  der  schlechten  Geschäftslage  den  Betrieb  zeitweise  eingestellt. 


79 

wir  uns  zunächst  nicht  anders  als  befriedigt  fühlen  konnten.  Ueberdies 
bot  die  Ausstellung  im  Allgemeinen  ungemein  viel  lehrreiches  und 
man  hätte  sicher  monatelang  daselbst  verweilen  und  täglich  viel  neues 
zulernen  können.  Trotzdem,  es  muss  geradezu  gesagt  werden,  befriedigte 
uns  die  fachliche  Ausbeute  herzlich  wenig.  Dabei  ist  kaum  anzunehmen, 
dass  wir  etwa  in  Folge  der  grossen  Ausdehnung  der  Ausstellung  manches 
Wichtige  übersehen  hätten,  denn  wir  wurden  trefflich   geführt. 

Das  meiste  auf  die  Zuckerfabrikation  bezügliche,  befand  sich  in 
dem  Gebäude  für  Agriculture.  Aus  Deutschland  war,  in  Beziehung  darauf, 
dort  freilich  nichts  zu  finden,  denn  das  Fahlberg'sche  Saccharin,  welches 
sonderbarer  Weise  hier  seinen  Platz  gefunden,  wird  man  nicht  in 
Rechnung  ziehen  wollen. 

Culturmaschinen  für  die  Bearbeitung  des  Bodens  für  die 
Rüben,  sowie  zum  Behacken  und  Ernten  derselben  hatte  die  bekannte 
Firma,  die  Johnston  Harvester  Co.,  Batavia  N.-Y.  ü.  S.  A.,  ausgestellt. 
Da  dieselbe  in  Hamburg,  Magdeburg,  Halle  und  an  anderen  deutschen 
Plätzen  Vertreter  hat  und  ihre  Maschinen  dadurch  unseren  Landwirthen 
bekannt  sind,  dürfen  wir  auf  nähere  Beschreibung  verzichten. 

Rübensamen  war  von  einigen  französischen  Firmen  ausgestellt, 
auch  in  Amerika  gezogener  war  vorhanden,  daran  ist  aber  bekanntlich 
nicht  viel  zu  sehen. 

Californien  hatte  zwei  riesengrosse  Zuckerrüben  ausgestellt,  jede 
vielleicht  3—5  Kilo  wiegend.  Aus  Nebraska  waren  einige  recht  gut 
gewachsene  Rübenexemplare  ausgestellt,  ferner  ein  Theil  des  daselbst  ge- 
wonnenen Zuckers. 

Die  Sorghum  bauenden  Staaten  hatten  nur  Pflanzen  aber  keinen 
Zucker  ausgestellt,  nur  eine  kleine  ziemlich  unansehnliche  Probe  von 
letzterem  befand  sich  in  der  Ausstellung  der  chemischen  Abtheilung  des 
Departement  of  Agriculture.  Von  den  Zuckerrohr  bauenden  Ländern  hatten 
nur  wenige  ihre  Producte  hergebracht,  besonders  Erwähnenswerthes  war 
darunter  nicht  enthalten.  In  der  Ausstellung  von  Nebraska  befand  sich 
auch  eine  Darstellung  der  einzelnen  Phasen  der  Fabrikation  durch  Proben 
von  Rohsaft,  geschiedenen  Saft,  Scheideschlamm  und  anderes  mehr.  Am 
vollständigsten  war  noch  die  Ausstellung  zweier  russischer  Zucker- 
fabriken, welche  auch  Abbildungen  der  Fabrikanlagen  enthielt. 

Versteckt  in  einer  Ecke,  als  Bestandtheil  der  Ausstellung  einer 
französischen  Versuchsstation  entdeckten  wir  diejenige  des  französischen 
Chemikers  Dupont,  welche  aus  in  Deutschland  bereits  bekannten  Labora- 
toriums-Apparaten bestand  und  deren  Beschreibung  wir  schon  im  Bulletin 
de  Vassociation  des  cliimistes  gelesen  hatten.  An  derselben  Stelle  be- 
fanden sich  Proben  von  Lebaudy  Freres  in  Paris.  Hinter  Chocoladen 
und  Confitüren    fanden    wir    eine    sehr   hübsche   CoUection  von  Zucker- 


m 

proben,  welche  das  Syndicat  der  französischen  Zuckerfabrikantett 
ausgestellt  hatte.  In  der  Nähe  war  auch  französischer  Candiszucker  ver- 
treten. Im  Catalog  steht  von  beiden  noch  nichts,  vermuthlich  sind  die 
Franzosen  zu  spät  fertig  geworden,  wie  so  mancher.  Noch  zur  Zeit 
unserer  Anwesenheit  wurde  an  manchen  Orten  ausgepackt  und  aufgestellt. 

Neben  belgischem  Porzellan,  im  Manufacturing  Building  entdeckten 
wir  ganz  zuletzt  noch  eine  ähnliche  Collection  von  Proben,  welche  die 
Vereinigung  der  belgischen  Zuckerfabrikanten  ausgestellt  hat. 

Mit  einem  Schrank  mit  Zuckermustern  paradirte  auch  die  Sugar 
ßefining  Co.  in  New -York,  einen  eben  solchen  bot  die  Starch  sugar 
ßefining  Co.  in  Chicago ,  die  National  -  Starch  Co.  und  einige  andere 
Stärke  und  Stärkezucker  erzeugende  Firmen.  Besonders  reichhaltig  war 
die  Ausstellung  der  Chicagoer  Fabrik,  welche  leider  den  Besuchern  der 
Ausstellung  ausnahmslos  ihre  Pforten  verschlossen  hielt,  weshalb  wir 
uns  später  nach  Davenport  begaben,  um  dort  die  Stärkezuckerfabrik  zu 
besichtigen.  Die  Ausstellung  der  Fabrik  erklärte  uns  Herr  Matthieson, 
(derDirector  der  Chicagoer  Fabrik  und  Bruder  des  Directors  der  Sugar  Refi- 
ning  Co.  in  New- York).  Vorhanden  war  flüssige  helle  Glucose,  ferner  dunk- 
lerer Syrup,  dann  ein  als  extra  hell  bezeichneter,  ferner  als  bestes  Product  die 
Confectioners  Crystal-Glucose,  ein  Syrup  welcher  bei  löO'^C.  noch  nicht 
gebräunt  wird.  Fester  Zucker  war  ausgestellt ,  braun ,  unserer  Glucose 
ähnlich,  für  Brauereien  in  England  bestimmt,  ferner  Snowflake  sugar, 
weisses  mehlförmiges  Pulver,  ferner  die  verschiedenen  Zucker  geraspelt, 
endlich,  das  schönste  Product  der  Anhydrid -Zucker,  der  fast  chemisch 
reiner  krystallisirter  Traubenzucker  aber  augenblicklich  schwer  zu  ver- 
kaufen ist.  Ausserdem  eine  sehr  hübsche  Gummi  arabicum-Imitation,  deren 
Herstellung  angeblich  Geheimniss  ist!  Vermuthlich  wird  sie  wohl  eben 
so  gemacht,  wie  gleichartige  Producte  in  Deutschland,  nämlich,  einfach 
durch  Verdünnen,  Filtriren  und  Eindampfen  gewöhnlicher  Dextrinlösung 
zu  einer  festen  glasigen  Masse! 

Dann  war  noch  vorhanden,  Dextrin  A.  ß.  C.  auf  trockenem  Wege 
gewonnen,  ähnlich  den  deutschen  Producten,  verschiedene  Maisstärke- 
sorten, endlich  die  werthvollen  Nebenproducte  der  Fabrikation,  wie  Oel- 
kuchen-Mehl,  Maisschalen,  Maisöl,  Glutenmehl  und  andere. 

Ahornzucker  und  Syrup  aus  Vermont  war  natürlich  auch  ver- 
treten und  sogar  käuflich  zu  haben.  Der  Syrup  ist  wie  an  anderer  Stelle 
erwähnt,  offenbar  häufig  verfälscht,  und  besteht  grösstentheils  aus  Stärke- 
zucker- und  Rübensyrup. 

England  und  die  englischen  Colonien,  ebenso  Holland  waren 
mit  der  Zuckerindustrie  nicht  vertreten. 

Das  ist  alles,  was  wir  in  dem  Agricultural  Building  nach  eifrigem 
Suchen  bezüglich  der  Zuckerindustrie  gefunden  haben,  in  den  anderen 
Gebäuden  war  die  Ausbeute  noch  schlechter. 


81 

In  der  Maschinenhalle  fanden  wir  nur  die  Zuckerrohrmühle 
einer  amerikanischen  Firma  aus  Deutschland  die  Braunschweigische 
Maschinenbauanstalt  in  Braunschweig  mit:  Filterpresse,  Dampf- 
schlammpumpe, Füllmassenkasten,  Transportkasten  dafür,  Compressions- 
luftpumpe,  Maischmaschine.  Füllkutsche,  Centrifuge  für  weisse  Waare, 
Rohzuckercentrifuge,  Syruppumpe,  Zuckertransportschnecke,  Zuckerbecher- 
elevator, Decimalwaage.  Ausserdem  war  unter  Deutschland  noch  die 
Batterie  zum  Abnutschen  und  Decken  von  Zuckerfüllmasse  von  Oscar 
Mengelbier  (Deutsches  Patent  No.  64429  und  67721)  ausgestellt,  welche 
wegen  ihrer  einfachen  Disposition  einen  vortheilhaften  Eindruck  macht. 
Das  Maschinenhaus  bot  sonst  viel  interessantes,  worüber  speciell  zu 
berichten  uns  jedoch  zu  weit  führen  würde,  z.  B.  die  Ausstellung  von 
Worthingtonpumpen  zum  Theil  im  eigenen  Gebäude,  alle  möglichen 
Sorten  von  Riemenübertragungen,  viele  Dynamomaschinen  und  besonders 
die  Anlage  für  den  Betrieb  des  Maschinenhauses,  welche  verschiedene 
Systeme  von  Dampfkesseln  mit  Petroleumfeuerung  enthielt. 

In  Amerika  ist  die  Ausdehnung  der  Naturkräfte  besonders  aber  des 
fliessenden  Wassers  durch  electrische  üebertragung  weit  mehr  ent- 
wickelt als  bei  uns.  Nicht  allein  am  Niagara  sondern  auch  in  den  Städten 
am  Mississippi,  z.  B.  in  Davenport  und  den  Nachbarstädten  finden  sich 
grosse  Fabrikanlagen  und  ganze  Netze  von  Strassenbahnen,  welche  auf 
diese  Weise  electrisch  betrieben  werden.  Demgemäss  ist  auch  in  der 
Ausstellung  die  electrische  Abtheilung  besonders  reichhaltig.  Ingenieure, 
welche  in  Frankfurt  gewesen  waren,  versicherten  zwar,  dort  dasselbe  und 
mehr  gefunden  zu  haben,  doch  wird  man  von  einer  Weltausstellung  auch 
kaum  solche  Vollständigkeiten  auf  Einzelgebieten,  wie  von  einer  Fach- 
ausstellung erwarten  dürfen. 

Zu  dem  besten,  was  hier  geboten  wurde,  gehört  die  Ausstellung  von 
Hartmann  und  Braun  in  Bockenheim-Frankfurt  a.  M.  Widerstandsbrücken, 
Galvanometer,  Voltämeter,  Pyrometer,  welche  auf  electrischem  Wege 
Temperaturen  bis  1000^  C.  mit  grösserer  Genauigkeit  als  andere  derartige 
Instrumente  zu  messen  gestatten,  und  anderes  mehr  von  derselben  Firma, 
erregten  durch  die  Praecision  der  Arbeit,  grosse  Empfindlichkeit  und 
massige  Preise  unsere  Bewunderung.  Neben  den  zahlreichen  Dynamo- 
maschinen und  Motoren  interessirte  das  grosse  Publicum  besonders  das 
Aufleuchtesystem,  welches  auch  bereits  voa  einem  Chicagoer  Geschäfts- 
haus Anwendung  gefunden  hatte.  Man  lässt  dabei  das  electrische  Licht 
von  einer  Lampe  auf  eine  Reihe  folgender  gleiten,  in  dem  die  vorher- 
gehenden erlöschen  und  erzielt  so  wirksame  Lichteöecte.  Interessant 
waren  uns  auch  die  electrischen  Heizapparate  einer  grossen  Anzahl 
amerikanischer  Firmen.  Die  American  Electric  Heating  Co.  in  Briston, 
Ansenia    Electric    Chicago,    Burton  Electric  Co.,  Cutter  &  Co.  Chicago, 

6 


82  . 

Electrical  Forging  Co.  Boston,  Coope  Electric  Heater  Co.  und  mehr  als 
ein  halb  Dutzend  andere  Firmen  hatten  solche  Apparate  für  häusliche 
und  industrielle  Zwecke,  einige  auch  Zimmeröfen  ausgestellt.  Die  grosse 
Zahl  der  Firmen,  welche  sich  mit  der  Frage  beschäftigen,  zeigt,  welche 
Bedeutung  man  ihr  hier  beilegt.  Ausser  den  General- Motor  Co.  in 
London,  war  auf  dem  Gebiete  der  Heizapparate  keine  europäische  Firma 
vertreten. 

In  Bezug  auf  Laboratoriumsapparte  haben  wir  nichts  neues  auf 
der  Ausstellung  gefunden.  Würdig  vertreten  waren  nur  die  deutschen 
Firmen,  hauptsächlich  die  Thüringer  Glasbläsereien,  welche  einzeln  aus- 
gestellt hatten  und  einige  Berliner  Firmen,  welche  sich  zum  Theil  unter 
dem  Reichsgesundheitsamt  producirten. 

Von  Mikroskopen  überragten  die  Zeiss'schen  aus  Jena  alle  übrigen. 

Polarisationsapparate  hat  allein  Schmidt  &  Hänsch  in  Berlin  aus- 
gestellt. Ganz  oben  unter  dem  Dache  neben  einigen  zurückgesetzten 
Musikinstrumenten,  fanden  wir  auch  das  üniversalpolarisationsinstrument 
derselben  Firma,  welches  die  deutsche  mechanische  Gesellschaft  dem 
Professor  Helmholtz  zu  seinem  70jährigen  Geburtstag  verehrt  hat. 


VI. 

Besichtigung  anderer  Fabriken  in  den  Vereinigten 

Staaten. 

1.    Besuch  der  Pabst-Brauerei  in  Milwaukee 

am  i8.  Juli  1893. 

Die  Pabst-Brauerei  ist  eine  der  grössten  der  Welt,  sie  erzeugt 
jährlich  1  200  000  Barrels  Bier  (a  160  Liter),  kann  aber  2  000  000  her- 
stellen.    Dazu  werden  gebraucht : 

1  700  000  busheis  Malz 
2800000        „       Reis 
1000000  Pfund  Hopfen 
300000  Tons  Kohlen. 

Die  Eismaschinen  erzeugen  750  Tons  täglich  =  273750  Tons  per 
Jahr.  Es  werden  40  Millionen  gefüllte  Bierflaschen  jährlich  versandt. 
Wie  man  sieht,  ist  das  amerikanische  Bier  kein  Bier  im  Sinne  der  in 
Deutschland  gebräuchlichen  Definition,  sondern  wird  unter  Verwendung 
vieler  Surrogate  hergestellt,  unter  denen  Mais  und  Reis  obenan  stehen. 
Es  ist  im  allgemeinen  leicht  und  wohlschmeckend,  nur  vermisst  man 
etwas  den  Hopfen.     Der  Reisende  sieht  in  der  heissen  Sommerzeit  besser 


83 

vom  Biergenuss  ab,  welchem  er  in  Gegenden,  wo  die  Deutschen  nicht 
vorherrschen,  überdies  selten  genug  wird  fröhnen  können.  In  manchen 
Temperenzstaaten  ist  der  Verschank  bekanntlich  untersagt,  doch  sind  die 
Behörden  selten  stark  genug,  das  Gesetz  durchzuführen,  wenn  die  Be- 
völkerung sich  sträubt.  So  fanden  wir  in  Davenport  zahlreiche  Biergärten, 
obgleich  es  in  dem  Temperenzstaat  Jowa  liegt.  Unsere  Führer  daselbst 
erklärten  uns  dies  damit,  dass  die  Landespolizei  todt  geschlagen  werden 
würde,  wenn  sie  versuchen  wollte,  den  zahlreichen  dort  wohnenden 
Deutschen  den  Biergenuss  zu  verkümmern.  In  Coloradosprings  dagegen 
befindet  sich  keine  einzige  Bierkneipe,  trotzdem  dort  starker  Fremden- 
verkehr, weil  das  städtische  Regiment  in  den  Händen  der  Temperenzler 
ist;  eine  kleine  Stunde  davon,  in  Mannitou,  welches  zu  demselben  Staat 
gehört,  liegt  Bierhaus  bei  Bierhaus,  welche  meist  Pabst'sche  Erzeugnisse 
verschenken.  Pabst  macht  sechserlei  Bier,  nämlich  Exportbier,  Select, 
Bohemia,  Bavarian,  Hofbräu,  Standard  und  ausserdem  noch  Malzextract. 

Die  grosse  pneumatische  Mälzerei  zeichnet  sich  durch  eine  Abänderung 
der  Saladin'schen  Luftwäscherei  aus,  (bei  welcher  die  Luft  durch  an  Sieben 
herabströmendes  Wasser  gesaugt  wird,  wodurch  sie  zugleich  abgekühlt  und 
gereinigt  wird).  Hier  sind  diese  Siebe  auch  von  innen  zugänglich  und 
dadurch  leicht  zu  reinigen.  Das  Malz,  welches  nicht  für  die  Brauerei 
selbst,  sondern  auf  Bestellung  für  andere  gearbeitet  wurde,  da  die  Leistungs- 
fähigkeit der  Mälzerei  dies  gestattet,  war  schlecht  und  unrein.  In  der 
Brauerei  selbst  wird  sowohl  mit  dem  Infusions-  als  dem  Decoctionsverfahren 
gearbeitet,  wie  dies  die  Art  des  herzustellenden  Bieres  verlangt.  Die 
Sudmaischen  enthalten  sehr  kräftige  Rührwerke,  darunter  auch  kreisförmig 
nach  unten  wirkende.  Ein  principieller  Unterschied  gegenüber  unseren 
deutschen  Brauereien  und  zugleich  ein  grosser  Fortschritt  liegt  darin, 
dass  hier,  wie  übrigens  in  allen  grösseren  amerikanischen  Brauereien  in 
geschlossenen  Sudmaischen  gemaischt  wird,  welche  mit  Dampf  geheizt 
werden  (bei  uns  über  offenem  Feuer).  Ueberhaupt  findet  hier  gerade 
wie  in  unseren  Zuckerfabriken  eine  rationelle  Ausnutzung  des  Brenn- 
materials und  des  Dampfes  statt,  an  welcher  es  in  deutschen  Brauereien 
noch  gänzlich  fehlt. 

Mit  dem  Hopfen  wird  sehr  rationell  verfahren;  es  wird  erst  so- 
genannter Hopfenextract  hergestellt,  wobei  auch  die  flüchtigen  ätherischen 
Oele,  welche  bei  uns  in  die  Luft  gejagt  werden,  aufgefangen  und  con- 
densirt  werden,  um  später  wieder  Verwendung  zu  finden.  Die  Abscheidung 
des  Hopfenharzes  bei  der  Gährung,  welche  bei  uns  für  nothwendig  gilt, 
wird  absichtlich  verhindert,  um  die  ohnehin  schwache  Hopfenmenge,  welche 
verwendet  wird,  nicht  noch  unwirksamer  zu  machen. 

Am  interessantesten  auch  in  Bezug  auf  üebertragung  in  die  Zucker- 
und   besonders   die  Candisfabrikation  ist  die    Kühlung,     Diese    geschieht 


84 

durch  Laufeülassen  der  Würze  über  einen  der  bekannten  senkrecht 
stehenden  Röhrenkühler  mit  wagerechten  Röhren,  von  denen  die  oberen  mit 
strömendem  kalten  Wasser  gefüllt  sind,  während  die  unteren  Röhren 
einen  Theil  der  Ammoniakeismaschine  bilden,  sodass  direct  Eis  in  ihnen 
gebildet  wird.  Was  aber  das  wichtigste  für  uns  ist,  gleichzeitig  wird  die 
Würze  gelüftet  und  zwar  mit  filtrirter  Luft,  welche  von  unten  ent- 
gegenströmt. Um  dies  zu  ermöglichen,  steht  der  Kühler  in  einer  Art 
rechteckigen  Tasche  von  Metall.  Die  einströmende  Luft  passirt  zunächst 
eines  der  auch  in  Deutschland  in  Brauereien  neuerdings  eingeführten,  so 
vorzüglichen  Baumwollentuchfilter,  deren  Bedienung  denkbar  einfach  ist. 
Das  Filter  braucht  nur  nach  vielleicht  neun  Monate  währendem  Gebrauch 
einmal  geöffnet  und  das  oberste  Tuch,  welches  sich  mit  atmosphärischem, 
bakterienhaltigen  Staub  versetzt  hat,  durch  ein  anderes  ersetzt  zu  werden. 
Ist  ein  solches  Filter  dann  wieder  einen  Tag  in  Gang,  so  liefert  es  Luft, 
welche  gänzlich  frei  von  den  Keimen  der  Spaltpilze  ist,  und  wie  sie  in  der 
Candisfabrikation  sicherlich  auch  gute  Dienste  thun  würde.  In  der 
Brauerei  freilich  ist  ja  das  Lüften  der  Würze  schon  deshalb  unentbehrlich, 
weil  sonst  die  Hefe  nicht  gedeiht  und  die  Gährung  schlecht  verläuft. 
Die  Hefe  wird  selbstverständlich  hier  auch  rein  gezüchtet,  der  Kampf 
gegen  die  Spaltpilze  ist  überall  das  Losungswort,  welches  sich  siegreich 
bewährt  hat.  Den  ganzen  grossen  Gährraum  hat  man  freilich  nicht  mit 
filtrirter  Luft  speisen  können,  doch  gährt  man  theilweise  schon  in  ge- 
schlossenen Fässern,  indem  man  die  nöthige  Luft  durch  eine  Rohrleitung 
zu-  und  durch  eine  ebensolche  die  Kohlensäure  abführt.  Das  Bier  wird 
durch  Cellulosefilter  geschickt,  welche  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Kroog- 
schen  Pressen  haben.  Eigenthümlich  ist,  dass  das  fertige  Bier  noch  mit 
Kohlensäure,  welche  in  der  Brauerei  selbst  aus  fein  gepulvertem  Marmor 
und  Schwefelsäure  bereitet  wird,  übersättigt  wird.  Als  Grund  dafür  wurde 
uns  angegeben,  dass  die  amerikanischen  Wirthe  das  Bier  den  Gästen  noch 
„gespritzt"  vorsetzen.  Die  überschüssige  Kohlensäure  soll  verhüten,  dass 
es  dabei  schaal  wird. 

Ans  Wunderbare  grenzt  ein  Apparat  in  der  Flaschenbierstation. 
Derselbe  verkorkt  die  Flaschen,  legt  eine  Blechkapsel  auf  den  Stopfen, 
umschlingt  den  Kopf  der  Flasche  mit  Draht,  windet  letzteren  kunstgerecht 
zusammen  und  knippst  ihn  schliesslich  noch  ab. 

Zur  Herstellung  des  Malzextracts  sowie  zum  Verdampfen  verdünnter 
Würze  (der  Absüsser)  dient  ein  zwerghaft  kleiner  Yaryanverdampfapparat, 
Quadrupleeffet,  welcher  auf  Dr.  Arno  Behr's  Rath  beschafft  worden  ist. 
Man  sieht  daraus,  wie  gelehrig  die  Amerikaner  sind,  und  wie  sie  ver- 
stehen, anderen  Industrien  abzulauschen,  was  für  ihre  eigene  passt. 
Wo  findet  man  in  einer  deutschen  Brauerei  einen  Verdampfapparat 
mit  mehrfacher  Wirkung!  Die  dortigen  Techniker  äusserten  sich  über 
die  Leistung  ihres  Yaryanapparates  recht  befriedigt. 


85 

Eine  andere  kleinere  Brauerei,  welche  ich  in  Chicago  sah,  hatte 
gleichfalls  mit  Dampf  heizbare  Sudmaischen  und  Röhrenkühler.  In.  der- 
selben wurde,  wie  auch  bei  Pabst,  viel  Mais  verbraucht.  Mais  enthält 
aber  besonders  im  Innern  des  Korns  viel  Oel,  welches  dem  Bier 
einen  schlechten  Geschmack  giebt.  Es  werden  deshalb  niemals  die 
ganzen  Maiskörner  in  den  Brauereien  verwandt,  sondern  nur  ein 
aus  den  glasigen  Theilen  des  Korns  hergestelltes  Mehl,  welches 
ölarm  ist.  Die  Trennung  dieser  glasigen  Theile  von  den  Schaalen 
und  dem  inneren  natürlichen  Pulver  geschieht  nicht  in  den  Brauereien 
selbst,  sondern  in  besonderen  mit  geeigneten  Maschinen  ausgestatteten 
Mühlen.  Dieselben  verkaufen  die  Schaalen  für  Futterzwecke,  während 
das  ölreiche  Feinmehl  als  beliebtes  Nahrungsmittel  der  Neger,  welche 
daraus  Kuchen  backen,  nach  dem  Süden  der  Vereinigten  Staaten  ver- 
treten wird. 

In  Chicago  besuchten  wir  auch  die  seit  fünf  Jahren  bestehende 
Brauer-Academie  der  Herren  DDr.  Wahl  und  Henius,  zwei  in  Deutschland 
ausgebildete  Chemiker.  Das  Institut  enthält  ein  vorzüglich  ausgestattetes 
Laboratorium  mit  Apparaten  in  kleinem  Styl,  ähnlich  den  im  Vereins- 
laboratorium in  Berlin  befindlichen,  welche  gestatten,  den  Brauprocess 
im  Kleinen  unter  genauer  Nachahmung  des  Grossbetriebes  den  Schülern 
vorzuführen.  Die  Apparate  sind  grösstentheils  Geschenke  der  betreffenden 
Maschinenfabriken  und  das  verbrauchte  Malz  ist  steuerfrei. 

2.    Die  Gasanstalt  in  Sioux  City. 

Die  Benutzung  carburirten  Wassergases  zu  Leuchtzwecken  hat  in 
den  Vereinigten  Staaten  in  den  letzten  17  Jahren  sich  weit  verbreitet 
und  augenblicklich  sind  in  fast  allen  grösseren  Städten  ungefähr  400  solche 
Anlagen  in  Betrieb,  so  z.  B.  in  New -York,  Brooklyn,  Boston  und 
San  Francisco.  An  den  grösseren  Plätzen  hatte  ich  keine  Gelegenheit  in  die 
meist  ziemlich  streng  abgeschlossenen  Anstalten  zu  kommen,  wurde  aber 
in  Sioux  City  in  die  städtische  Gasfabrik  eingeführt. 

Es  giebt  in  Amerika  verschiedene  grössere  Gesellschaften,  die  sich 
mit  Einrichtung  von  Wassergasanstalten  befassen.  Am  verbreitetsten  ist 
das  Lowe-Verfahren,  welches  mit  geringen  Abänderungen  auch  in  Sioux 
City  eingerichtet  war.  Dabei  besteht  der  Gaserzeugungsapparat  aus 
einem  cylindrischen  Generator,  welcher  aus  feuerfesten  Steinen  her- 
gestellt und  mit  eisernem  Mantel  umgeben  ist.  Daran  schliesst  sich  ein 
zweiter  mit  Chamottesteinen  ausgefütterter  Cylinder  der  sog.  Ueber- 
hitzer,  dann  folgen  die  Waschapparate.  Bei  der  Gasbereitung  wird 
zunächst  der  Generator  mit  Koke  gefüllt  und  auf  die  entzündete  Masse 
Luft  geblasen,  wodurch  der  Koke  bis  zu  Weissglühhitze  erwärmt  wird. 
Darauf  wird  das  Luftventil  geschlossen  und  statt  dessen  Wasserdampf 
eingeblasen j  um  das  Wassergas  zu  bilden,  welches  dadurch   leuchtfähig 


86 

gemacht  wird,  dass  man  es  durch  Zuführung  von  Petroleum  in  dasselbe  Ge- 
fäss  carburirt.  In  dieser  Weise  arbeitet  der  Apparat  etwa  17  Minuten, 
dann  hat  sich  der  Koke  soweit  abgekühlt,  dass  zunächst  wieder  Luft  ein- 
geblasen werden  muss,  um  die  Masse  wieder  weissglühend  zu  machen. 
Es  befinden  sich  zwei  derartige  Lowesysteme  in  der  Anstalt  in  Sioux  City, 
von  denen  jedoch  nur  eines  in  Betrieb  gesetzt  war.  Angeblich  erzeugt 
man  damit  in  24  Stunden  10000  cbm  Gas,  1  Aufseher  und  nur  2  Arbeiter 
bedienen  die  Apparate  und  schaffen  den  Koke  herbei  und  versorgen  also 
die  38  000  Einwohner  zählende  Stadt  mit  Leuchtgas.  Dabei  wird  des 
Nachts  nicht  gearbeitet.  Wassergas  ist  wegen  seines  Kohlenoxydgehalts 
giftig,  ich  fragte  dabei  den  Betriebsführer,  ob  Öfter  Vergiftungsfälle  ge- 
meldet würden;  „Natürlich  kommen  häufig  Vergiftungsfälle  vor",  ant- 
wortete er,  einigermaassen  überrascht,  über  die  seltsam  erscheinende  Frage. 
Seine  Antwort  ist  characteristisch  für  die  Gleichgültigkeit,  mit  der  man 
im  weiten  Westen  ein  Menschenleben  betrachtet. 

Die  Giftigkeit  des  Wassergases  bildet  bekanntlich  ein  Hinderniss^ 
weshalb  es  in  Deutschland  noch  nicht  mehr  eingeführt  ist,  ein  zweites 
liegt  daran,  dass  billige  Carburirungsmittel,  um  das  farblose  brennende 
Gemisch  von  Wasserstoff-  und  Kohlenoxyd  leuchtfähig  zu  machen,  bei 
uns  nur  an  wenigen  Stellen  zu  haben  sind,  denn  Petroleum  ist  bei  uns 
auch  wegen  des  Zolles  dafür  zu  theuer.  Durch  die  Einführung  der 
Glühlampen  ist  aber  das  zweite  Hinderniss  beseitigt  und  es  fragt  sich, 
ob  die  Giftigkeit  allein  die  allgemeine  Anwendung  wird  hindern  können. 
Hervorragende  Techniker  sind  entgegengesetzter  Ansicht  und  in  der 
That  wird  uncarburirtes  Wassergas  für  Glühlichtzwecke  in  Deutschland 
meines  Wissens  schon  an  mehreren  Stellen  dargestellt.  Nachdem  ich  die 
leichte  und  elegante  Art  der  Darstellung  gesehen  habe,  bin  ich  in  der 
von  vielen  Chemikern  schon  lange  gehegten  günstigen  Ansicht  bezüglich 
desselben,  bestärkt  worden.  Möge  es  auch  bei  uns  das  kostspielige  und 
umständlich  darzustellende  Leuchtgas  aus  Steinkohlen  bald  verdrängen ! 

Besichtigung  von  Fabriken  in  St.  Louis. 

St.  Louis  ist  bekanntlich  einer  der  grössten  Industrieplätze  Amerika's, 
dessen  Bedeutung  innerhalb  des  letzten  Jahrzehnt  fast  um  das  Doppelte 
gewachsen  ist.     Das  zeigen  folgende  Zahlen:  ')  r»  a 

X  xOCGTiXiö  (IGS 

1890  1880       Wachsthiims 

Anzahl  der  Fabriken    5453  2924        86,49 

Anzahl  derin  Fabriken  beschäftigten  Hände  90966  41825      117,49 

Kapital  in   den  Fabriken  angelegt     ...    $  133292  699  —  — 

Löhne  gezahlt „    52  887  355  75379  876        60,37 

Werth  der  hergestellten  Waaren „   225  500  675  114333  375        97,23 

')  Dem  noch  nicht  ausgegebenen  Census  Bulletin  vom  9.  März  1892  entnommen, 
welches  mir  der  Staatssecretär  des  Innern  in  Wahsington  auf  meine  Bitte  gütigst 
überlassen  bat. 


87 

Durch  die  Freundlichkeit  des  deutschen  Consuls  Herrn  Meier,  welcher 
mich  mit  einer  grossen  Anzahl  Industrieller  bekannt  machte  und  häufig 
meine  Führung  persönlich  übernahm,  hatte  ich  G-elegenheit  eine  grössere 
Anzahl  Fabriken  hierselbst  besichtigen  zu  können. 

Im  allgemeinen  habe  ich  dabei  zwar  manchmal  wenig  Glück  ge- 
habt, da  einige  Fabriken  theils  nach  deutschem  Muster  eingerichtet, 
oder  auch  so  alt  und  schlecht  waren,  dass  sich  eine  Beschreibung 
nicht  lohnt.  Dies  gilt  zum  Beispiel  von  einer  Wiskeyfabrik,  die  zu  sehen 
ich  eine  längere  Eisenbahnfahrt  unternahm,  ich  hatte  gehofft  eine  mit 
allen  Errungenschaften  der  Neuzeit  ausgestattete  Brennerei  zu  finden  und 
kam  in  eine  kleine  erbärmlich  eingerichtete  Fabrik,  welche  in  einer 
ehemaligen  Brauerei  nothdürftig  untergebracht  war.  Das  einzige  inter- 
essante war  für  mich  daselbst  die  Steuercontrole,  weiche  in  primitivster 
Weise  von  drei  Beamten  verrichtet  wurde.  Dieselben  hatten  den  ganzen 
lieben  langen  Tag  nichts  zu  thun,  als  während  des  Destillirens  den 
Spiritus  abzumessen.  Ehemalige  Handwerker,  der  eine  war  Schneider 
gewesen,  waren  sie  zur  Belohnung  für  ihr  politisches  Verhalten  unter  dem 
früheren  Regiment  mit  4  Dollar  den  Tag  Gehalt  angestellt  worden,  sollten 
aber  in  den  nächsten  Tagen  das  Feld  für  Auserwählte  der  Gegenpartei 
räumen.     Sie  kehrten  nun  in  ihren  früheren  bürgerlichen  Beruf  zurück. 

3.    Besichtigung  der  Hydraulic  Pressbrick  Factory 

in  St.  Louis. 

Wennschon  in  den  Vereinigten  Staaten  Privathäuser  vielfach  aus 
Holz  hergestellt  sind,  so  steht  doch  die  Ziegelfabrikation  daselbst  auf 
einer  höheren  Stufe  als  bei  uns  und  bietet  vieles  Nachahraenswerthe.  Die 
vorzüglichen  Verblendsteine,  in  allen  möglichen  Farben,  welche  man  aller- 
wärts  sieht,  ferner  die  häufige  Verwendung  von  gebrannten  Ziegeln  als 
Pflastersteine,  welche  in  eigenen  Pflastersteinziegeleien  gewonnen  werden, 
in  den  belebtesten  Strassen  grösserer  Städte,  wie  z.  B.  Omaha,  Lincoln, 
zeugen  dafür,  dass  man  die  Ziegelbrennerei  gründlich  versteht. 

Eine  der  bedeutendsten  Ziegeleigesellschaften  ist  die  Hydraulic  Brick 
Co.  in  St.  Louis,  welche  in  6  Ziegeleien  jährlich  145  Mill.  Steine  herstellt. 

Wir  (Herr  Hecker,  Frentzel,  Schöller  und  ich)  besichtigten  die 
grösste  dieser  Anlagen.  Der  Thon  wird  in  nächster  Nähe  der  Fabrik 
entweder  durch  Tiefbau,  oder  im  Tagebau  gewonnen. 

Der  Tagebau  ist  besonders  interessant,  weil  er  ohne  directe  Hand- 
arbeit erfolgt,  somit  auch  alle  die  Gefahren  für  die  Arbeiter,  welche 
bei  uns  besonders  beim  Abbau  mit  Picke  oder  Schaufel  stattfinden,  ver- 
meidet. Die  Einführung  des  amerikanischen  Verfahrens  in 
Deutschland  würde  deshalb  einen  grossen  Fortschritt  darstellen. 
Bei  diesem  amerikanischen  Verfahren  wird  der  Thon  zunächst  mit  einem 


88 

Krümmerpflug  aufgelockert  und  bleibt  darauf  einige  Tage  an  der  Luft 
liegen,  damit  er  etwas  Feuchtigkeit  verliert  und  verwittert.  Nach 
dieser  Zeit  geht  ein  maulthierbespannter  sogenannter  Schraper  über 
das  Feld,  welcher  den  Thon  aufsammelt  und  nach  dem  Lagerschuppen 
der  Fabrik  fährt.  Dieser  Schraper  hat  vier  rotirende  Schäler,  welche 
einem  Hubrad  vergleichbar  den  Thon  aufnehmen  und  in  einen  in  der 
Mitte  des  Gefässes  befindlichen  Kasten  legen.  —  Auch  der  Schachtbau  ist 
zweckmässig  eingerichtet,  die  Transportbahn  wird  hier  unten  gleichfalls 
durch  Maulthiere  bewegt. 

Der  Thon  wird  hier  niemals  geschwemmt  oder  ange- 
feuchtet, sondern  trocken  gebrannt.  Das  Verfahren  ist  alleiniges  Eigen- 
thum  der  Gesellschaft  und  sie  beutet  ihre  Patente  auch  allein  aus.  Zu 
diesem  Behuf  hat  sie  grosse  Zweigfabriken  in  Chicago,  in  Findlay-Ohio 
und  Kansas-City  errichtet,  welche  51  Millionen  Steine  erzeugen. 

Der  Thon  vom  Tiefbau,  welcher  sehr  fest  ist,  passirt  erst  ein  ßrech- 
werk  und  kommt  dann  in  eine  Walzenmühle,  der  Tagebauthon  direct  in 
eine  solche;  die  Stahlwalzen  sind  dieselben,  wie  auch  in  der  Maismühle, 
die  ich  in  Sioux  City  besichtigte  und  in  den  Zuckerrohrmühlen.  Hier 
wird  das  lufttrockne  Material  zu  einem  feinen  Pulver  gemahlen,  welches 
nun  direct  ohne  jede  weitere  Zumischung  von  trockenem  Thon  oder  An- 
feuchten in  die  Pressen  kommt.  Der  Thon  aus  der  Mine  muss  zwei 
Mühlen,  eine  gröber  und  eine  feiner  gestellte  passiren,  die  Masse  ist 
fast  ganz  gleichmässig,  nur  selten  geht  eine  Schiefer-,  Kohle-  oder  Sand- 
steinader hindurch. 

Die  hydraulischen  Pressen  der  Gesellschaft  formen  je  nach  den  Ein- 
sätzen 5 — lOVerblendsteine,  Hintermauerungsteine  oder  eine  der  Grösse  nach 
geringere  oder  kleinere  Zahl  Ornamente  auf  einmal.  Die  Presse  ist  ein 
äusserst  complicirt  aussehender  Apparat.  Das  Wesentliche  und  Patent- 
fähige daran  ist,  dass  sie  gleichmässig  langsam  den  Druck  bis  4  At- 
mosphären steigert  und  mit  einer  Art  Indicator  versehen  ist,  welche  den 
Druck  für  jede  einzelne  Abtheilung  anzeigt  und  jederzeit  erkennen  lässt, 
ob  alle  Theile  gut  functioniren.  Damit  gelingt  es,  in  der  Minute  8,  ja, 
bei  Hintermauerungssteinen  selbst  16  Pressungen  auszuführen  mit  dem 
halben  Kraftverbrauch  wie  bei  der  Nasspressung,  nämlich  für  100000  Steine 
von  rund  60  H.  P.,  gegen  120  H.  bei  Nasspressung. 

Unmittelbar  aus  der  Presse  kommen  die  Steine  in  die  Oefen,  welche 
einzeln  stehen  und  unseren  alten  deutschen  Oefen  sehr  ähnlich  sind. 
Dieselben  werden  einzeln  gefüllt  und  die  Verblendsteine  geschichtet,  ge- 
rade wie  bei  uns,  um  den  Peuergasen  den  Weg  vorzuschreiben  und  dadurch 
eine  gleichmässige  Farbentönung  hervorzurufen,  obenauf  werden  Thon- 
platten  aus  ungebranntem  Thon  gebracht.  Zunächst  wird  mit  Holz  an- 
geheizt und  dadurch  in  etwa  6  Tagen  die  Steine  vorgewärmt,  um  sie  lang- 


89 

sam  zu  entwässern,  dann  werden  sie  in  4  Tagen  gebrannt.  Sämmtliche 
Oefen  stehen  unter  einander  durch  Böhrencanäle  an  verschiedenen  Stellen 
in  Verbindung,  Exhaustoren  sind  vorhanden,  sodass  auch  die  Wärme  eines 
abkühlenden  Ofens  in  beliebiger  Weise  zum  Trocknen  oder  Vorwärmen 
in  einem  gefüllten  nutzbar  ist.  Durch  Mischen  verschiedener  Thonsorten, 
so  wie  Zusatz  anderer  Erden  werden  allerhand  gescheckte  Ziegelsteine 
gemacht,  die  in  den  Vereinigten  Staaten  häufig  zu  sehen  sind.  Besonders 
beliebt  sind  durch  Zusatz  von  Eisenpulver  erzielte  grau  gescheckte  Steine. 
Selbstverständlich  erzielt  man  auch  Farbenänderungen  durch  Aenderung  der 
Brenntemperatur,  bei  niederer  Temperatur  helle,  bei  höherer  dunklere 
und  bei  noch  höherer  rotiie. 

Der  Preis  gewöhnlicher  Hintermauerungssteine  betrug  trotz  der 
schlechten  Zeiten  15  Dollar,  war  also  mehr  als  dreimal  so  hoch  als 
in  Berlin. 


Der  deutsche  Consul  machte  mich  sodann  mit  Herrn  Prof.  Curtmann 
bekannt,  einem  der  tüchtigsten  Technologen  Amerikas,  der  mir  Eintritt 
in  eine  grosse  chemische  Fabrik  verschaffte.  Aber  auch  dort  fand  ich 
nicht  was  ich  suchte,  der  Director  und  der  Chemiker,  welchen  ich  von 
seiner  Studienzeit  her  kannte,  waren  Deutsche,  voll  Stolz  versicherten  sie, 
dass  in  ihrer  Fabrik  kein  Apparat  sei,  der  nicht  aus  Deutschland  stammte. 
Und  das  fand  ich  auch,  ich  hätte  nur  um  die  Ecke  in  die  Chausseestrasse 
zu  Schering  zu  gehen  brauchen,  um  im  Wesentlichen  dasselbe  zu  haben. 
Es  war  unvermeidlich,  dass  ich  in  solcher  Weise  manchmal  viel  kostbare 
Zeit  verlor,  meine  Führer,  die  deutsche  Verhältnisse  nicht  kannten j 
wussten  häufig  eben  so  wenig  wie  ich,  ob  die  betreffenden  Fabriken 
specifisch  amerikanisches,  nach  dem  ich  allein  suchte,  enthielten.  Doch 
sah  ich  in  St.  Louis  doch  noch  manches,  was  sich  zu  beschreiben  verlohnt. 

4.  Eine  Knochenkohlenfabrik.  Dieselbe  war  von  der  Firma 
Flyn  &,  Emrich  in  Baltimore  gebaut  und  verarbeitet  hauptsächlich  Abfälle  aus 
den  Schlachthäusern  in  St.  Louis  und  Büffelknochen  aus  Arizona  und  Neu- 
Mexico,  wo  noch  grosse  Mengen  vorhanden  sind.  Dieselben  werden  zuvor  wie 
üblich  entfettet,  aber  auch  theilweise  entleimt,  was  der  Qualität  des  Knochen- 
mehls schwerlich  zuträglich  sein  dürfte.  Der  Besitzer  behauptete  zwar  das 
Gegentheil,  doch  hatte  er  vor  kurzem  überhaupt  noch  nicht  entfettet. 
Wie  auch  bei  uns  üblich,  werden  die  Hörner  gesondert,  entweder  auf 
Hornmehl  oder  Leim  verarbeitet.  Die  Knochen  passiren  zuerst  ein 
Brechwerk,  die  Stücke  werden  dann  gesiebt,  und  das  fein  Abgesiebte  als 
Knochenmehl,  bezw.  Knochensuperphat  verwendet,  die  grösseren  Knochen- 
stücke gehen  immer  wieder  roh  in  das  Brechwerk  zurück  bis  sie  nur 
Bohnengrösse  bezitzen,  denn  die  fertige  Kohle  wird  nicht  zerkleinert, 
sondern  nur  gesiebt.    Der  Glühofen    ist   ganz   und    gar  aus  Backsteinen 


90 

und  enthält  6  Retorten,  welche  mit  •  Steinkohlen  geheitzt  werden.  Die 
Jahresproduction  an  Knochenkohle  beträgt  50000  tons  (?).  Die  Con- 
densationsvorrichtungen  für  die  ammoniakalischen  Gase  unterscheiden 
sich  nicht  von  den  bei  uns  üblichen.  Für  das  Abdampfen  der  rohen 
Lösung  von  schwefelsaurem  Ammoniak  sind  Bleipfannen  vorhanden,  aus 
welchen  das  krystallisirte  Salz  auf  perforirte  flach  liegende  Bleiplatten 
herausgekrugt  wird,  um  es  abtropfen  zu  lassen.  Alles  war  alt  hier,  aber 
gut  im  Stande  und  die  Einrichtung  erschien  mir  zweckmässiger  und 
sauberer  als  in  den  meisten  Knochenkohlenfabriken,  welche  ich  kenne. 

Die  gröberen  Stücke  der  abgesiebten  Knochenkohle  kauft  die 
Sugar-Refining  Co,  das  feinere  Pulver  geht  nach  den  Zuckerrohrplantagen 
oder  wird  zu  anderen  technischen  Zwecken  verwandt. 

5.  Besichtigung  des  hämmerbaren  Eisengusswerks.  Der  Be- 
sitzer der  Fabrik,  Herr  Ort  wein,  ein  Deutscher,  ist  der  grösste  Müller 
von  St.  Louis.  Der  Consul  hatte  mich  mit  ihm  bekannt  gemacht,  weil 
ich  eigentlich  seine  Mahlmühle  sehen  wollte.  Dieselbe  genau  nach 
ungarischem  System  eingerichtet,  stand  aber  gerade  still  und  der  Besitzer 
führte  mich  deshalb  nach  seinem  grossen  Eisengusswerk  (Malleable-Works), 
welches  er,  allerdings  in  keinem  günstigen  Zeitpunkt  vor  der  Stadt  er- 
baut hat.  Das  Werk  kann  im  vollen  Betriebe  800  Arbeiter  beschäftigen 
(2  Dollar  Lohn  den  Tag),  augenblicklich  war  noch  nicht  für  die  Hälfte 
Beschäftigung  vorhanden.  Seine  Errichtung  hier  an  dieser  Stelle  war  durch 
billigen  Kohlenpreise  veranlasst,  welche  in  Folge  der  Nähe  der  Gruben 
für  65  Cents  die  Tonne  zu  haben  sind.  Die  Schmelzöfen  waren  zum 
Theil  Gebläseöfen,  die  neueren  jedoch  mittelst  selbsterzeugten  "Wasser- 
gases geheizt.  Der  Formersand  aus  Indiana,  wurde  erst  hier  durch 
Mischen  mit  anderen  Zusätzen  brauchbar  gemacht.  Die  Kammern,  in 
welchen  den  Gussstücken  der  Kohlenstoff  entzogen  wird,  ebenso  die  Ein- 
kleidung der  Eisentheile  mittelst  Lehm  oder  Cementirpulver  bot  nichts 
auffälliges. 

Für  die  Betriebsmaschine  hatte  man  hier  zwei  kleine  Heinekessel, 
die  hier  über  die  Massen  gelobt  wurden,  das  Reinigen  der  engen  Rohre 
Sonntags  mache  gar  keine  Schwierigkeiten.  Diese  Heine'schen  Kessel 
habe  ich  sehr  häufig  in  amerikanischen  Fabriken  gefunden,  besonders 
auch  in  electrischen  Centralstationen,  an  manchen  Orten  meinte  man  aber, 
die  Reinigung  sei  zu  unbequem  und  benutzte  zum  Beispiel  in  der  elek- 
trischen Kraftstation  in  Coloradosprings  lieber  einfache  Zwei-Flammrohr- 
kessel, während  man  die  Heinekessel  in  Reserve  gestellt  hatte.  Da  sie 
drüben  so  häufig  sind,  will  ich,  obgleich  ich  weiss,  dass  ich  dem  deutschen 
Leser  bekanntes  damit  biete,  nachfolgende  Scizze  bringen,  welche  einer 
1893  in  St.  Louis  von  der  Heine -Boiler  Co.  ausgegebenen,  mir  vom 
deutschen  Consuln  geschenkten  Broschüre  entnommen  ist. 


91 

Die  Köpfe  H  werden  Sonntags  behufs  Reinigung  der  Rohre  ab- 
geschraubt. Das  Patentfähige  liegt  nach  Angabe  der  Erfinder  darin, 
dass  die  Röhren  auch  an  der  Fassung  zufolge  der  starken  Construction  frei 


beweglich  gelassen  werden  konnten  und  sich  somit  entsprechend  der 
Temperatur  frei  ausdehnen  und  demgemäss  verhältnissmässig  hohe  Tempe- 
raturen vertragen,  also  zur  Erzeugung  von  hochgradigem  Dampf  dienen 
können.  In  Deutschland  baut  bekanntlich  ßorsig  Kessel  von  demselben 
Erfinder. 

6.    Besichtigung  der  Stearinfabrik  von  St.  Louis. 

In  der  Stearinfabrik  wurde  Rohfett  aus  den  grossen  Schlachthäusern 
der  Stadt  verarbeitet.  Dasselbe  wird  mit  Hülfe  von  Dampf  aus  den 
Fässern,  in  welchen  es  in  die  Fabrik  gelangt,  ausgeschmolzen,  und 
darauf  auf  flachen  Blechgefässen  in  den  Kellerräumen  der  Fabrik  stehen 
gelassen,  bis  das  Stearin  auskrystallisirt  ist.  Alsdann  wird  das  feste  in 
grossen  hydraulischen  Pressen  vom  flüssigen  getrennt,  ersteres  wird  auf 
Kerzen,  letzteres  auf  Seife  verarbeitet,  welche  als  gutes  festes  Product 
unter  dem  Namen  German  Seife  (etwa  was'wir  Kernseife  nennen)  in  den 
Handel  kommt. 

Die  feste  Masse  wird  zunächst  in  einem  zweiten  System  von  stär- 
keren hydraulischen  Pressen  nachgepresst,  darauf  geschmolzen  und  in 
Formen  gegossen.  Was  mich  besonders  anziehend  berührte,  war  hier 
wieder  die  geschickte  Disposition  aller  Apparate,  wodurch  viel  Handarbeit 
gespart  wird.  Bei  der  täglichen  Production  von  angeblich  15000  Pfund 
beschäftigt  die  Fabrik  60  Arbeiter  und  Arbeiterinnen.  Auch  eine  Glycerin- 
fabrik  ist  mit  der  Anlage  verbunden,  in  welcher  entweder  Rohglycerin 
mit  Dampf  einfach  übergetrieben  oder  durch  Destillation  im  Vacuum 
reines  Glycerin  gewonnen  wird. 


92 

7-   Müllverwerthungsfabrik  in  St.  Louis 
nach  Patent  März? 

Diese  Fabrik  dürfte  in  jetziger  Zeit,  wo  die  grossen  Städte  Deutsch- 
lands sich  eifrig  mit  der  Frage  der  Müllbeseitigung  beschäftigen,  be- 
sonderes Interesse  erregen.  Das  hier  ausgeübte  Verfahren  unterscheidet 
sich  von  den  englischen,  welche  sämmtlich  auf  Verbrennung  des  Mülls 
hinzielen,  von  Anfang  an  dadurch,  dass  ein  so  radicales  Verfahren  ver- 
mieden wird,  und  auch  die  organische  Substanz  in  ihren  Bestandtheilen 
ausgenutzt  wird.  Das  gleiche  Verfahren  soll  in  zwei  anderen  grösseren 
amerikanischen  Städten  in  Betrieb  sein  und  die  Stadt  St.  Louis,  welche 
die  bestehende  Fabrik  mit  jährlich  75  000  Dollar  unterstützt,  soll  beab- 
sichtigen demnächst  eine  zweite  einzurichten. 

In  der  Fabrik  war  die  Führung  leider  sehr  schlecht,  so  dass  ich 
fast  nur  aus  eigener  Anschauung  berichten  kann,  da  ich  auf  Fragen  keine 
genügende  Auskunft  erhielt. 

Zu  unterscheiden  ist  zwischen  der  Müllverarbeitung  und  der  in 
derselben  Fabrik  vorgenommenen  Abdeckerei. 

Der  Müll  wird,  augenscheinlich  ohne  Zusätze,  zunächst  in  grossen 
festliegenden  eisernen  Trommeln  mit  Doppelmantel  und  Dampfheizung 
und  einfachem  vierstrahligen  Rührwerk  getrocknet.  Die  trockne  Masse  wird 
darauf  in  hohen  Cylindern  wahrscheinlich  mit  Petroläther  entfettet,  das 
Fett  wird  an  Seifenfabriken  verkauft.  Darauf  wird  die  Masse  angeblich 
ohne  fremde  Zusätze  in  einer  geschlossenen  Mühle  zu  einem  groben 
Pulver  vermählen,  mit  den  trocknen  gleichfalls  gemahlenen  thierischen 
Abfällen,  vielleicht  auch  mit  mineralischen  Düngern  gemischt  und  so  ein 
Kunstdünger  hergestellt. 

Die  thierischen  Cadaver  kommen,  nachdem  sie  zunächst  abgehäutet 
und  zertheilt  sind,  in  grosse  Verdampfapparaten  ähnliche  Gefässe,  in 
denen  sie  gedämpft  werden,  werden  darauf  gleichfalls  getrocknet,  ent- 
fettet, gemahlen  und  bilden,  wie  erwähnt,  mit  dem  aus  Müll  erhaltenen 
Pulver  gemischt  den  Kunstdünger,  welcher  circa  5  ^/o  Stickstoff  und  eine 
entsprechende  Menge  Phosphorsäure  enthalten  soll.  Interessant  war  das 
Kesselhaus  mit  Schornstein  von  colossalen  Dimensionen,  in  welchem 
ein  Vorwärmer  für  das  Speisewasser  angelegt  war.  Die  Ventilation  in  der 
Fabrik  mit  Hülfe  eines  verzweigten  Röhreusystems,  welches  in  einen 
Exhaustor  endete  war  sehr  gut;  man  wurde  nirgend  von  dem  Geruch  der 
Cadaver  belästigt. 

Einen  angenehmen  Abschluss  meines  Besuches  in  St.  Louis  bildete 
ein  Sonntag  auf  einer  Farm  in  einem  Seitenthal  des  Mississippi,  zu  welcher 
mich  der  deutsche  Consul  Herr  Meier  hinausführte.  Die  Gegend  trug 
Spuren  ehemaliger  hoher  Cultur,  jetzt  waren  nur  ärmlich   ausgestattete 


93 

Farmen  und  dürftige  Maisfelder  vorhanden.  Unser  Aufenthaltsort  zeichnete 
sich  durch  ein  stattliches  Herrenhaus  aus,  welches  zahlreichen  Familien 
Raum  für  die  Sommerfrische  bot,  daneben  waren  zwei  kleine,  niedrige 
und  lange  Häuser  vorhanden,  in  welchen  einst  die  männlichen  und 
weiblichen  Sclaven  des  Besitzers  untergebracht  gewesen  waren.  Jetzt 
schliefen  in  dem  einen  gemeinschaftlich  sämmtliche  Knaben,  in  dem 
anderen  die  kleinen  Mädchen  der  Sommergäste.  Zur  Unterhaltung  der 
Kinder  waren  eine  Anzahl  Pferde  und  Hunde  vorhanden,  mit  denen  die 
Sommergäste  nach  Belieben  reiten,  fahren  und  spielen,  nur  dürfen  sie 
keine  Hülfe  beim  An-  oder  Ausspannen  oder  sonst  irgend  welche  Be- 
dienung beanspruchen.  Früh  am  Sonntag  Morgen  wohnte  ich  in  einem 
Speisesaal  dem  anglicanischen  Gottesdienst  bei,  den  regelmässig  ein  Sonn- 
tags seine  Familie  besuchender  Liqueurfabrikant  abhielt.  Der  Mann  las 
die  Gebete  mit  wohllautender  Stimme  und  sang  wie  ein  richtiger  Geist- 
licher der  Gemeinde  vor,  unter  welcher  die  grösste  Andacht  herrschte.  Nach 
der  Kirche  zog  sich  jede  Familie  für  sich  zurück  und  die  Langeweile  des 
amerikanischen  Sonntags  verlangte  ihr  Recht.  Voll  Dank  verabschiedete 
ich  mich  Abends  vom  deutschen  Consul,  durch  dessen  Fürsorge  ich 
soviel  Interessantes  gesehen  und  erlebt  hatte. 

8.  Papierfabrik  von  Alex.  Balfour  8z  Sons  in  Philadelphia, 
am  7.  September  1893. 

Auf  der  Heimreise  über  Washington  nach  New- York  hielt  ich  mich 
noch  in  Philadelphia  auf,  um  eine  der  dort  befindlichen  grossen  Papier- 
fabriken zu  besehen.  In  Folge  einer  Empfehlung  des  angesehenen  Franklin- 
Instituts,  die  Herr  Wiley  in  Washington  vermittelt  hatte,  wurde  mir 
Zutritt  zu  der  sonst  Fremden  verschlossenen  grossen  Papierfabrik  von 
Alex.  Balfour  &  Sons  gestattet.  Daselbst  werden  täglich  30000  Pfd. 
Papier  aus  50000  Pfd.  Pulpe  hergestellt.  Die  Zahl  der  Arbeiter  und 
Arbeiterinnen  beträgt  225,  die  Löhne  wöchentlich  1800  bis  2000  Dollar. 
Lumpen  werden  täglich  20000  Pfd.  verbraucht  und  zwar  meist  deutsche 
Kalk  15000  Pfd.,  Sodaasche  1500  Pfd.,  Chlorkalk  und  andere  Bleich- 
mittel 3000.  Hergestellt  werden  alle  möglichen  Sorten  von  Schreib-, 
Luxus-  und  Zeichenpapiere. 

Die  Fabrik  hat  dreierlei  Rohmaterialien: 

1.  deutsche  und  amerikanische  Lumpen,  erstere  wurden  als  besser 
bezeichnet,  als  die  amerikanischen. 

2.  Sulfitcellulose  oder  Sodakalkcellulose,  erstere  kommt  allein  aus 
Deutschland,  da  die  Amerikaner  die  Fabrikation  einerseits  nicht 
recht  verstehen,  andererseits  nicht  concurriren  können.  Hier 
wird  nur  Cellulose  mit  Soda  und  Kalk  unter  Druck  in  den 
Apparaten  der  Yaryan-Gesellschaft  hergestellt. 

3.  altes  Papier, 


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Das  Sortiren  der  Lumpen  geschieht  wie  bei  uns  durch  Frauen, 
erst  wird  vorsortirt,  dann  2  mal  nachsortirt,  dann  passiren  die  Lumpen 
die  Zerreissungsmühlen,  und  kommen  darauf  in  mächtige  liegende  Vor- 
kochapparate,  welche  mit  einem  Eührwerk  in  der  Längsrichtung  versehen 
sind,  also  den  geschlossenen  mit  Vacuum  arbeitenden  Sudmaischen  der 
Zuckerfabriken  sehr  ähnlich  sind,  und  werden  daselbst  unter  starken 
Druck  gedämpft.  Diese  Apparate  entstammen  der  Fabrik  von  Coughlin 
Broth.  in  Holyoke,  Mass.  Schon  in  Lincoln  in  der  Pappfabrik,  wo  gleich- 
falls zwei  rotirende  Vorkocher  von  aussergewöhnlicher  Grösse  und  Form 
vorhanden  waren,  hatte  ich  den  Eindruck,  dass  gerade  wie  Raffinerie- 
gewerbe, und  Bierbrauerei,  sich  auch  die  Papierfabrikation  in  den  Ver- 
einigten Staaten,  was  die  maschinelle  Seite  betrifft,  weit  selbständiger 
und  freier  von  europäischen  Einflüssen  entwickelt  hat,  als  ich  früher  ge- 
glaubt hatte,  dies  bestätigte  sich  hier  wiederum  in  vollem  Maasse, 
denn  auch  die  Holländer,  die  Papier-  und  Satini rmaschinen  waren  von 
zwei  amerikanischen  Maschinenfabriken  Haldrow  in  New  Brunswick  N.  J. 
und  Möwe  &  White  Philadelphia  ganz  eigenartig  construirt. 

In  die  Vorkocher  für  die  Lumpen  wird  wie  üblich  etwas  Kalk  ge- 
geben, parallel  dazu  aufgestellt  findet  sich  eine  zweite  Reihe  Vorkocher, 
in  denen  das  eingeworfene  alte  Papier  mit  Soda  gekocht  wird  ,  für 
die  Lumpen  würde  Soda  zu  theuer  sein.  Die  Masse  wird  dann  in  einem 
System  von  20  Bassins  mit  Holländern  unter  Wasser  vermählen  und 
gewaschen,  und  kommt  dann  in  die  Bleichkammern,  wo  mit  Chlorgas 
oder  Chlorkalk  gebleicht  wird,  dann  abermals  über  Holländer,  und  passirt 
darauf  vor  der  Papiermaschine  noch  eine  trocken  arbeitende  kleine 
Mühle,  welche  grosse  Massen  schnell  verarbeitet.  Vorher  wird  die  Pulpe 
noch  wie  üblich  mit  Leim,  der  aus  einer  dicht  nebenbei  liegenden 
grossen  Fabrik  stammt  und  vor  dem  Gebrauch  mit  Soda  aufgekocht 
wird,  versetzt.  Von  der  Papiermaschine  geht  die  fertige  Masse  behufs 
Trocknung  freihängend  und  lose  gespannt  über  ein  System  von  Walzen, 
die  in  einem  geheizten,  gut  ventilirten  Raum  stehen.  Zuletzt  passirt  sie 
ein  System  von  Satinirmaschinen ,  worauf  das  Papier  mit  ähnlichen 
Maschinen,  wie  bei  uns  üblich  in  Bogen  geschnitten  und  sortirt  wird. 

Neben  der  Papierfabrik  hatte  man  eben  eine  grosse  Natron-Cellulose- 
fabrik  vollendet  und  theilweise  in  Betrieb  gesetzt,  sämmtliche  Apparate 
dazu  hatte  die  Yaryan  Co.  geliefert.  In  mächtigen  cylindrischen  Druck- 
gefässen  wurde  das  geschliffene  Fichten-  oder  Cedernholz  mit  Kalk  und 
Soda  bei  6 — 10  Atmosphären  üeberdruck  gedämpft,  darauf  die  Masse  ent- 
leert, und  in  Waschapparaten  von  der  Lauge  befreit.  Letztere  wurde 
behufs  Wiederherstellung  der  werthvollen  Soda  zunächst  in  einem  Yaryan- 
Quadrupleeffet  eingedickt  und  darauf  in  einem  rotirenden  Calcinirofen 
geglüht.  Diese  amerikanischen  Calcinirofen  haben  neuerdings  auch  die 
Aufmerksamkeit  unserer  Holzstofffabriken  in  hohem  Grade  erregt.    Wenn- 


95 

schon  es  zweifelhaft  erscheint,  ob  sie  wegen  der  abweichenden  Beschaffen- 
heit der  Melasseschlempe  und  der  darin  enthaltenen  Kalisalze  (anstatt 
hier  Natronsalze)  jemals  in  den  Melasseschlempereien  sich  würden  ein- 
führen können,  möchte  ich  doch  hiermit  auch  die  Aufmerksamkeit  derZucker- 
fabrikanteu  auf  das  Verfahren  lenken.  Man  ist  damit  in  Amerika  sehr 
zufrieden,  während  sich  ähnliche  Vorrichtungen  in  England  in  Soda- 
fabriken allerdings  nicht  dauernd  bewährt  haben  sollen.  Die  eingedickte 
Schlempe  tropft  dabei  durch  einen  Trichter  continuirlich  in  eine  rasch 
rotirende  wagerecht  liegende  eiserne  Trommel,  in  welche  von  einer  am 
anderen  Ende  vorgesetzten  Peuerungsanlage  die  Feuergase  direct  ein- 
strömen, und  so  die  Wandungen  fast  zur  Rothgluth  erhitzen,  und  die 
Verkokung  bewirken,  die  geglühte  pulverförmige  Masse  fällt  am  vorderen 
Ende  des  Ofens  auf  einen  Fortbewegungsriemen  ohne  Ende,  welcher  sie 
zu  der  Löschstation  führt.  Die  abgehenden  Feuergase  werden  noch  be- 
nutzt, um  das  Wasser  für  den  Dampfkessel  des  Yaryanapparates  vorzu- 
wärmen. Man  lobte  die  Einrichtung  die  zur  Zeit  unseres  Besuches  tadel- 
los functionirte,  ausserordentlich.  In  der  Löschstation  wird  aus  der  Kohle 
darauf  etwa  10  ^/o  ige  Sodalösung  hergestellt,  die  abermals  zur  Extraction 
des  Holzschliffes  in  den  Druckapparaten  Verwendung  findet. 

Jede  Fabrik ,  die  Papierfabrik  und  die  Cellulosefabrik  hatte  ihr 
besonderes  Kesselhaus,  das  letztere  mit  26  Dampfkesseln,  welche  mit 
englischer  Nusskohle  über  Planrost  geheizt  wurden.  Der  Kohlenpreis 
beträgt    hier    1,75   Doli,    per    Tonne. 

Die  Besichtigung  dieser  Fabrik  bildete  den  Abschluss 
meiner  Reiseerlebnisse,  wenigstens  so  weit  sie  sich  zur  Beschreibung 
eignen.  Der  häufig  rasche  Wechsel  des  Klimas  und  der  Temperatur, 
welche  ich  in  den  letzten  Wochen  auf  der  Reise  vom  Stillen  zum 
Atlantischen  Ocean  durchgemacht  hatte,  übte  plötzlich  seinen  Einfluss 
aus,  und  auf  einmal  befiel  mich  jene  specifische  Krankheit,  die  den 
Reisenden  in  Amerika  so  leicht  ankommt,  die  Dispepsia,  welche  sich  in 
einer  gänzlichen  Abspannung  der  Nerven  äussert.  Nicht  besser  erging  es 
meinen  Begleitern,  den  Herren  Dr.  Frentzel,  Hecker  und  Schöller,  mit 
denen  ich  in  Washington  wieder  zusammengestossen  war.  Wir  hatten  die 
Absicht  gehabt,  in  New-York  noch  einige  Fabriken  zu  besichtigen,  waren 
aber  gänzlich  unfähig  dazu,  und  gingen  die  vier  Tage,  welche  wir  dort 
noch  zubrachten,  apathisch  und  müde  umher.  Erst  auf  der  Heimfahrt, 
welche  wir  am  12.  September  gemeinschaftlich  mit  der  „Spree"  antraten, 
erholten  wir  uns  unter  dem  Einfluss  der  erfrischenden  Luft  des  Oceans 
bald  wieder  gänzlich  von  unserer  Abspannung  und  kehrten  im  hohem 
Grade  befriedigt,  so  viel  Neues,  Schönes  und  Grossartiges  gesehen  und 
gelernt    zu    haben    nach    der  Heimath  zurück. 


Gaylord  Bros. 

Makers 

Syracij3e,  N.  Y. 

PAT.JAN  21,1908 


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MAY  9  t947