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REISEBERICHTE
AUS
Nord-Amerika
Professor Dr ALEXANDER HERZ FELD.
BERLIN,
BUCHDRUCKLEREI »DIE POST". Z 1 M M E RS T R ASS E M-
1894.
REISEBERICHTE
AUS
Nord-Amerika
Professor Dr. ALEXANDER HERZFELD.
BERLIN.
BUCHDRUCKEREI ^DIE POST". Z I M M E K S T R ASS E f4-
1994.
Inhaltsübersicht.
Seito
Erklärung und Einleitung i
I. Die Rttbenznckerindustrie der Vereinigten Staaten. Einleitung . . H
(Kalifornien 4
Vom Fclsengebirge nach Lo*; Angeles 8
Los Angeles 11
Besuch der Zuckerfabrik zu (^hino .... 12
Besuch von Anaheim 19
San Francisco 21
Besuch bei Herren Cl. Spreckels und Oxnard 22
Besuch von Alvarado . . 23
Von Watsonville 27
Die Eübenzuckorfabrik zu Lehi im Mormonenland 31
Nebraska 35
Norfolk 40
Grand Island 45
Sioux CitT 49
Besichtigung von Gütern bei Sioux Oit.v 52
Besuch von Lincoln 58
Unterredung mit dem Landwirthschaftsminister Herrn Morton in
AVashington GO
II. Sorgluunzuckerindustrie in Kansas GT
III. Beschroil)üiig zweier Raffinerien 69
Havemeyor & Eiders in Brooklyn G9
Western Refining ('o. in San Francisco 74
IV. Die Stärkezuckerfabrik in Davenport TG
V. Die Ausstellung in f-hic.igo 78
VI. Weitere Fabriken 82
1. Die Pabstbrauerei in Milwaukee 82
2. Die Gasanstalt in Sioux City 85
Besichtigung von Fabriken in St. Louis 86
3. Die Hydraulic Pressbrick factory in St. Louis 87
4. Knochenkohl cnfabrik in St. Louis . , 89
5. Hämmerbares Eisengusswerk 90
6. Stearinfabrik 91
7. MüUverwerthungsfabrik in St, Louis 92
8. Papierfabrik von Alex. Balfour & Sons in Philadelphia 93
57569G
Erklärung,
Da während unserer gemeinschaftlichen Reise in den Vereinigten
Staaten von Amerika abweichende Anschauungen bezüglich des Gesehenen
und Erlebten zwischen uns beiden nicht hervorgetreten sind, haben wir
es nicht für angezeigt gehalten, jeder gesondert einen Reisebericht zu
erstatten, sondern uns dahin geeinigt, dass die Beobachtungen des mit-
unterzeichneten Dr. Bartz in dem vorliegenden Bericht mit verarbeitet
wurden. Wir bitten daher diesen Bericht, so weit er die Zeit umfasst,
welche wir gemeinschaftlich gereist sind, auch als gemeinschaftlichen
anzusehen.
Berlin und Braunschweig, den 23. und 26. Dezember 1893.
& ?
Herzfeld.
W. Bartz.
Vorliegender Bericht betrifft die im Auftrage des Vereins für die
Rübenzuckerindustrie des Deutschen Reichs unternommene Informationsreise
nach den Vereinigten Staaten von Amerika. Zum besseren Verständniss
scizzire ich kurz den äusseren Gang derselben. Am 20. Juni d. J. brachen
Herr Dr. Bartz und ich gemeinschaftlich von Bremen auf, wir erreichten
am 28. Juni New - York , besichtigten daselbst die Raffinerie in
Brooklyn und einige andere Fabriken und reisten dann nach Chicago zum
Studium der Ausstellung. Nach einem Abstecher nach Milwaukee zur Be-
sichtigung der Pabstbrauerei führte unser Weg zunächst nach Davenport
(Stärke Zuckerfabrik) , Norfolk Nebr. (Rübenzuckerfabrik) und von dort
nach Colorado Springs. Von hier kehrte Herr Dr. Bartz nach Hause
zurück, während ich nach kurzer Ruhepause mich auf der Santa Fe-Route
nach dem südlichen Californien begab. Daselbst wurden die drei Rüben-
zuckerfabriken zu Chino, Watsonville und Alvarado besichtigt und in
San Francisco Herr Claus Spreckels besucht und die Raffinerie in Augen-
schein genommen. Auf der Heimreise verweilte ich in Utah in der
1
Rübenzuckerfabrik in Lehi, und darauf nochmals in Nebraska, wo ich
zunächst in Grand Island Station machte. Von Sioux City, der Grenz-
stadt von Nebraska, Süd-Dacota und Jowa unternahm ich Ausflüge
nach mehreren Gütern und Fabriken und in Lincoln wurde ich mit
Prof. Nicholson bekannt. Darauf reiste ich nach Topeka, der Haupt-
stadt von Kansas, um mich nach dem Stand der Sorghumindustrie
zu erkundigen und von dort nach St. Louis. Hier besichtigte ich eine
grössere Anzahl von Fabriken, zu denen mir der deutsche Consul Zutritt
verschaffte. Dann begab ich mich nach Washington, stellte mich daselbst
dem deutschen Botschafter vor, hatte durch dessen Vermittelung eine
längere Unterredung mit dem Ackerbauminister der Vereinigten- Staaten,
Herrn Morton über die Rübenzuckerindustrie daselbst und besuchte Herrn
Wiley, den Staatschemiker. Nunmehr kehrte ich über Philadelphia,
wo eine Papierfabrik in Augenschein genommen wurde, nach New -York
und von dort nach der Heimath zurück, die ich nach mehr als 3 monat-
licher Abwesenheit am 23. September erreichte.
Der üebersichtlichkeit halber sind in dem Bericht die Erlebnisse
nicht chronologisch geordnet, sondern zunächst die auf die Rübenzucker-
industrie in Californien und Nebraska bezüglichen , an letztere anschliessend
die Unterredung mit dem Minister in Washington mitgetheilt. Darauf
sind die besuchten Raffinerien, die Stärkezuckerfabrik, dann die Aus-
stellung in Chicago und zuletzt die übrigen besichtigten Fabriken be-
schrieben. Abgesehen von kurzen Einleitungen zu Californien und Nebraska,
welche allgemein gehalten und vorhandener Literatur entnommen sind,
habe ich absichtlich, um dem Bericht den Eindruck des Selbsterlebten
zu erhalten, den Erzählerton des Reisenden beibehalten und auch Wahr-
nehmungen, die nicht gerade den Hauptzweck der Reise betrafen, wo es
mir passend erschien, eingestreut. Sollte es den geehrten Lesern scheinen,
als wenn ich in dieser Beziehung zu weit gegangen, so bitte ich im
voraus um Entschuldigung.
I.
Die Rübenzucker-Industrie der Vereinigten Staaten
von Nord-Amerika.
Einleitung.
Die ersten Bestrebungen, die Rübenzucker-Industrie in den Ver-
einigten Staaten einzuführen, gingen 1830 von Philadelphia aus, doch
erst acht Jahre später 1838 kam es zur Gründung einer kleinen Fabrik
in Massachusets, welche sich indessen nicht lange halten konnte. 1863
bauten zwei Deutsche eine Fabrik in Chatsworth in Illinois , welche
1870 in Folge ungeeigneter Wachsthumsbedingungen für die Zuckerrübe
zu Grunde ging. Dieselbe Fabrik wurde mit ähnlichen Misserfolgen in
Freeport und später in Black Hawk Wiskonsin für kurze Zeit aufgestellt.
Ausserdem wurde in demselben Staate eine Fabrik in Fond du Lac er-
richtet, die jedoch nur zwei Jahre bestand, worauf die Unternehmer nach
Californien übersiedelten, um sich an der mit 250 000 Doli. Kapital ins
Leben tretenden Alvarado Co. in Alameda zu betheiligen, doch auch diese
Gesellschaft machte ebenso wie einige andere in Californien alsbald
bankerott, und 1877 bestand wieder keine Rübenzuckerfabrik in Californien.
Angereizt durch Prämien der Einzelstaaten tauchten noch hier und da
Fabriken auf, um bald wieder einzugehen, so 1876 in Portland in Maine,
in Northampton -Massachusets und zwei Jahre später in Wilmington-
Delaware.
1879 wurde die Alvarado - Fabrik von neuen Besitzern abermals
in Betrieb gesetzt, aber auch dieses Unternehmen scheiterte.
Die Menge des in Californien aus Rüben producirten Zuckers betrug
1870 500000 U.
1871 800000 .
1872 1125000 „
1873 1500000 „
um dann wie erwähnt wieder zeitweise auf Null herabzugehen.
r -
Eine neue Aera der Industrie datirt von der Veröffentlichung der
Mac Kinley-Bill, welche bekanntlich ^) bestimmt:
„Vom 1. Juli 1890 bis zum 1. Juli 1905 soll von solchen Geldern des
Staatsschatzes, welche nicht für andere Zwecke bestimmt sind, an die Pro-
ducenten von Zucker, welcher nicht unter 90 Pol. enthält und aus Rüben,
Sorghum oder Zuckerarten innerhalb der Vereinigten Staaten oder aus in
den Vereinigten Staaten gewonnenen Ahornsäften hergestellt sind, eine
Prämie von 2 cent per Pfund und auf dergleichen Zucker von weniger
als 90 0, aber nicht weniger als 80^ Pol. eine Prämie von 1 3/4 cent per
Pfund bezahlt werden, nach Massgabe der von dem Inlands-Steuercommissar
unter Zustimmung des Schatzsecretairs zu erlassenden Vorschriften."
Die Folge davon war, dass an den Plätzen Alvarado und Watson-
ville, in deren Nähe in der früheren Periode Rüben gebaut worden
waren, und ferner in Chino, im südlichen Theile Californiens abermals
drei Fabriken sich aufthaten, welche erzeugten in Pfunden:
1891 1892 -
Alvarado 1094 900 2506 860
Watsonville 4 340 556 11390 921
Chino 2051400 7903541
Hervorgehoben muss werden, dass für Watsonville und Chino die
Steigerung in der Production von 1891 bis 92 grösser scheint als sie wirk-
lich war, denn es wurde 1892 in Watsonville mit Ausscheidung ge-
arbeitet und nur Zucker von der Güte unseres 2. Productes erzeugt und
von Chino sogar nur Füllmasse über 80, und nicht Zucker von über 90 Pol.
nach der Baffinerie in San Francisco gebracht, wodurch die Melasse mit
der Prämie theilhaftig wurde, und das Gewicht der oben angeführten
Ausbeute entsprechend erhöht ist.
Ausser diesen drei Fabriken entstanden in Folge der Mac Kinley-
Bill noch zwei weitere in Nebraska und eine im Mormonenland, so dass
zur Zeit in den Vereinigten Staaten sechs Rübenzuckerfabriken vorhanden
sind.
Californien.
Das ganze Californien genannte Land zerfällt in zwei Theile: das
obere Californien, welches zu den Vereinigten Staaten geschlagen ist und
das untere Californien, eine in das Meer lang hingestreckte Halbinsel,
welche heut noch einen Theil des Mexicanischen Gesammtstaates bildet.
Das amerikanische obere Californien liegt zwischen dem 32. und 42. Grad
N. B., sein gesammter Flächeninhalt beträgt nahezu 490 000 Qkm., ist
daher nur etwa 50 000 Qkm. kleiner als das ganze Deutsche Reich. Auf
') Vereins-Zeitsehrift 1890, S. 830.
diesem Gebiet lebten Ende 1892 nur 1 200 000 Menschen , während
Deutschland 47 Mill. Einwohner zählt. Californien ist ein langgestrecktes
Küstenland, welches im Westen vom stillen Ocean bespült, im Osten in
seiner ganzen Ausdehnung von 800 engl. Meilen durch hohe Gebirgszüge
geschützt ist, nordöstlich durch die Sierra Nevada, daran anschliessend
bis zur Mexicanischen Grenze durch die Ausläufer des Cascadegebirges.
Aus dieser eigenthümlichen Lage erklären sich manche Verschiedenheiten
und Unregelmässigkeiten des Klima's, wenn auch zuzugeben ist, dass
deren Ursachen noch nicht völlig aufgeklärt sind. An der Küste wird
die südliche Sonnenhitze durch den Einfluss des Meeres gemildert; mit
dem Ansteigen des Bodens nach dem Gebirge zu, macht sich ein ge-
mässigtes Klima geltend; in den Thälern und Schluchten finden sich
Gegenden mit fast tropischer Fruchtbarkeit. Auf die Regenfälle wirkt
einerseits die Nähe des Oceans, andererseits die hohen Gebirgszüge tief-
greifend ein.
Nachstehend gebe ich die durchschnittlichen Regenmengen nach den
Beobachtungen vieler Jahre für einige Hauptplätze.
jj^^jj. Jahres-
durch- Jan. Febr. März April Mai Juni JuH Aug. Sept. Oct. Nov. Dec.
n^^"i schnitt
S. Francisco 49.27 23,80 5,06 3,76 3,07 2,04 0,62 0,15 0,12 0,02 0,16 0,85 2,85 5,20
Sacramento 36,36 19,69 .3,77 2,09 2,86 1,95 0,69 0,13 0,03 — 0.11 0,68 2,06 4,52
Los Angeles 32,16 16,03 3,93 3,76 1,90 1,34 0,35 0,09 — 0,08 0,01 0,35 1,49 2,73
S. Bernhardino 19,63 15,17 3,66 3,03 1,97 1,75 0,44 0,06 0,02 0,08 0,05 0,43 1,85 3,10
Bei Betrachtung dieser Tabelle fällt auf, wie verschieden und wie
gross zuweilen die Abweichungen der Maxima von den Jahresdurchschnitten
sind. In der That klagt man besonders darüber, dass Jahre mit aus-
giebigen Regenfällen nicht selten erschreckend trockene folgen. Ob in
regelmässigen einen längeren Zeitraum umfassenden Perioden Jahre von
gleichartiger Witterung wiederkehren, hat noch nicht sicher festgestellt
werden können, wird aber häufig angenommen. Man hat nämlich aus
von 1849 bis 1877 reichenden Beobachtungen, welche später fortgesetzt
wurden, folgern wollen, dass periodische Jahrescyclen von je 13 Jahren
bestehen, innerhalb welcher die Regenmenge allmählich auf ein Minimum
sinkt. Das erste Minimum seit der Besitznahme des Landes durch die
Amerikaner ereignete sich 1850/51, wo in S. Francisco nur 10,1 Zoll
Regen im Jahre niederging, das nächste 1876 mit 10 Zoll, an anderen
Plätzen, z. B. Los Angeles, stimmt aber nach vorliegenden 15jährigen
Beobachtungen die Theorie nicht.
Bereits im vorigen Jahrhundert haben Jesuiten und andere katholische
Mönchsorden den Obst- und Weinbau eingeführt, es konnten aber nur
wenige bevorzugte Districte dazu benutzt werden. Erst mit der allgemeinen
Verbreitung der künstlichen Bewässerung, welche schon durch die Mexikaner
in kleinem Maassstab ausgeführt wurde, sind ganze vorher öde Landschaften
in herrliche Obstgärten verwandelt und Californien das erste Obstland
der Welt geworden. Erdbeeren, Kirschen, Birnen und Aepfel, Apfelsinen,
Citronen, Feigen, Pfirsiche, Weintrauben und alle möglichen anderen
Früchte gedeihen hier aufs üppigste und werden zum Export gebaut. Der
neueste Bericht des Gartenbau - Staatssecretärs giebt an , dass 1891
4500000 Acker als zur Berieselung aptirt geschätzt worden seien, ferner
3550000 Acker cultivirtes Land, welches nicht berieselt wurde; die Zahl
der artesischen Brunnen soll 3500 betragen haben.
Man unterscheidet hauptsächlich dreierlei Arten der Rieselung:
1 . Die alte mexikanische Methode, wobei man das Wasser einfach
in schmalen Binden von Baum zu Baum leitet, ohne besondere
Bassins am Baum; diese Methode ist noch sehr verbreitet.
2. Die Bassinmethode. Es werden Vertiefungen um den Baum
gemacht, die von Zeit zu Zeit gefüllt werden.
3. Die sog. Riverside-Methode, so benannt, weil sie in Riverside
zuerst angewandt wurde. Dabei wird eine schmale, 8—10 Zoll
breite Schleuse aus Holz am oberen Ende des Ackers entlang
gelegt. In Zwischenräumen von 1 — 3 Fuss sind verschliessbare
Löcher gebohrt, durch welche das Wasser vertheilt wird.
Manche Obstplantagen werden nur bis zum dritten Jahre nach der
Anlage berieselt, später niemals mehr.
Beim An- und Verkauf des Landes ist meist für den Werth ent-
scheidend , ob Bewässerung und Wasserrecht vorhanden ist oder nicht;
die Zuführung des Wassers besorgen grosse Gesellschaften, welche die
artesischen Brunnen oder andere nothwendige Einrichtungen anlegen.
Die Preise, welche für gutes Obstland gefordert werden, sind ausserordent-
lich hoch und richten sich auch darnach, ob jüngere oder ältere Pflan-
zungen vorhanden sind und was für Früchte gebaut werden können ; es
werden 300 bis selbst 500 Dollar für den Acker (= 1,6 preuss. Morgen)
gefordert. Zur Zeit unserer Anwesenheit machten sich die Folgen einer
üeberproduction auf fast allen Gebieten des Obstbaues bemerkbar, so be-
sonders in Wein, Erdbeeren, Pfirsichen und Apfelsinen, während für
Citronen, welche nur in wenigen Gegenden gedeihen, noch am meisten
Nachfrage vorhanden war.
Die Bodenverhältnisse Californiens lassen sich im Rahmen dieses
Berichtes ebenso wenig erschöpfend behandeln, wie Clima und meteoro-
logische Verhältnisse, da auch hier grosse Verschiedenheiten obwalten.
Die zum Rübenbau in chemischer Beziehung geeignete Fläche wird
wie folgt von Prof. Hilgard, dem bedeutendsten Agriculturchemiker und
genauem Kenner des Landes geschätzt^):
Bezirk engl. Quadratmeilen
Los Angeles 1480
S. Bernhardino 465
S. Mateo 50
Contra Costa 70
Alameda 225
S. Clara 405
Monterey 700
S. Benito • • • 115
S. Louis Obispo 1090
S. Barbara 300
Ventura 170
Sonoma 350
Napa 145
Andre-Thäler 40
Lake 100
Mendocino 125
zusammen: 5830
Es entspricht dies einem Areal von rund 3700000 Acker oder
5920000 preuss. Morgen. Von dieser Fläche mag nach Hilgard aber
nur Vs brauchbar sein, Vs besitzen nicht genügende Feuchtigkeit oder
haben andere Fehler. Hilgard berechnet schliesslich, dass jährlich im
Ganzen 500000 Acker für den Rübenbau disponibel sind, welche min-
destens 1250000000 Pfd. Zucker, also ungefähr die Hälfte der deutschen
Production hervorbringen könnten.
Auf die Wiedergabe der zahlreichen ßodenanalysen, welche der Ge-
nannte aufführt, verzichte ich, da es unter den dortigen eigenthümlichen
Verhältnissen noch weniger zulässig erscheint, aus der Bodenanalyse weit-
gehende Schlüsse zu ziehen, als anderwärts. Auffällig ist fast an allen
Analysen der hohe Gehalt an Mangan und an löslichen Salzen, besonders
Natron- und Magnesiaverbindungen, welche zu aschenreichen Rüben Ver-
anlassung geben müssen. Ein grosser üebelstand liegt darin, dass das
Land häufig sog. Alkaliadern (in Wirklichkeit meist aus schwefelsaurer
Magnesia bestehend) enthält, welche ganze Landstriche unfruchtbar machen,
und selbst durch Berieselung häufig nicht zu beseitigen sind ; solches Alkali-
land ist auch für den Rübenbau nicht geeignet. Nicht selten ist es im
Bezitz von Landspeculanten, welche im fernen Osten sitzen, es für theures
Geld gekauft haben und erst bei dem Versuch, es wieder loszuschlagen, zu
merken pflegen, dass sie bei dem Ankauf betrogen worden sind.
') Bericht 27 von Wiley, S. 118.
8
Vom Felsengebirge nach Los Angeles*
Herr Dr. Bartz hatte mich von Norfolk in Nebraska bis nach
Colorado Springs im Felsengebirge begleitet, in dem 6500 engl. Fuss über
dem Meeresspiegel gelegenen kühlen Orte, wo die strengste Temperenz
herrschte, erholten wir uns einige Tage von den voraufgegangenen Stra-
pazen und der Hitze. Nachdem wir noch gemeinsam den 14400 ' hohen
Pikespeak, welcher trotz seiner Höhe frei von Schnee ist, mit der Zahn-
radbahn erklommen hatten, kehrte Herr Dr. Bartz über St. Louis und
Washington nach Hause zurück.
Ich selbst ging zunächst für einige Tage noch höher in das Felsen-
gebirge hinauf nach Cascade, einem lieblich gelegenen Gebirgsdorf am
ütahpass, jener uralten durch das Hochgebirge führenden Strasse von
Colorado nach dem Mormonenlande, welche die räuberischen Utah-Indianer
lange in blutigen Kämpfen gegen die Weissen vertheidigt haben. Hier
machte ich in einem amerikanischen Speisehaus, in dem Niemand ausser
mir deutsch verstand, bald zahlreiche Bekanntschaften, mit denen ich
fleissig englisch sprach und die mir manche nützlichen Empfehlungen
auf den Weg gaben. In der Hauptsache benützte ich die Zeit aber zur
Abfassung vorläufiger Berichte, von denen einige in der „Deutschen
Zuckerindustrie" bereits erschienen sind.
Trotz der hohen Lage von mehr als 7000 engl. Fuss über dem
Meeresspiegel, weilten in Cascade zahlreiche Schwindsüchtige, ohne Be-
schwerden zu empfinden, was als eine Folge der südlichen Lage anzusehen
ist. Die Hochebene, aus der das Gebirge aufsteigt, ist schon über 6000 Fuss
hoch, daher macht der Pikespeak trotz der gewaltigen Höhe längst nicht
den Eindruck auf den Beschauer, als viel niedrigere Berge in der Schweiz,
wozu auch noch beiträgt, dass er fast des ganze Jahr frei von Schnee ist.
Reichlichen Ersatz für den Mangel an Grossartigkeit bietet aber die herr-
liche Flora und Fauna, die Luft ist erfüllt von dem Duft würziger Blumen,
und allerwärts huschen die flinken eichhörnchenähnlichen Thierchen, die
Chippemönche, über den Weg. Nur die wohlhabenden Gäste wohnen in
Holzhäusern, die Angehörigen der ärmeren Klassen geniessen ihre Sommer-
friche unter einem Leinewandzelt, welches sie mitbringen, und leben in
der Hauptsache monatelang von gleichfalls mitgebrachten Nahrungsmitteln.
Ein oder zwei Kühe führen sie entweder ins Gebirge hinauf, oder kaufen
sie hier und lassen sie auf den vielen Baustellen, die hier wie um die
meisten amerikanischen Städtchen vorhanden sind, grasen. — In dem
Boardinghouse hatten die jungen Herren sich für die Zeit ihres Hierseins
Reitpferde gekauft, welche in Colorado sehr billig sind, und riethen mir
eindringlich, das gleiche zu thun.
Indessen war meines Bleibens nicht länger, als ich nach einigen
Tagen Aufenthalt auf meine Anfrage die telegraphische Nachricht er-
hielt, dass die Zuckerfabrik Chino im Betriebe sei und dass man meinem
Besuch daselbst gern entgegen sehe.
Ich brach deshalb am 8. August von Cascade auf und fuhr auf
der Santa Fe -Route, durch Colorado, Arizona und Neu-Mexico über
la Junta, Trinidad, Lamy, die Needles und Barstow zunächst nach dem
Hauptplatz des südlichen Californien, Los Angeles. Die Reise dauerte
ohne Unterbrechung von Montag Mittag bis Donnerstag früh, dennoch
wirkte sie Dank der vorzüglichen Einrichtungen der Santa Fe - Gesellschaft
nicht ermüdend. Unangenehm für den Reisenden ist auf dieser Strecke
nur, dass die Mahlzeiten nicht, wie auf den meisten östlichen Bahnen
in einem Speisewagen eingenommen werden können, sondern in allerdings
guten Wirthschaften, welche die Gesellschaft an allen Hauptstationen
nach der Art unserer deutschen Bahnhofsrestaurationen eingerichtet hat.
Bei diesem System ist man gezwungen die aus vielen Gängen bestehende
Mahlzeit, welche nach amerikanischer Sitte alle fast gleichzeitig servirt
werden, schnell herunterzustürzen, während man lieber die Zeit, in welcher
der Zug hält, benutzen würde, um sich im Freien zu bewegen.
Zum Glück aber entstehen manchmal unvorhergesehene längere
Aufenthalte, weil die Bahn nur eingleisig ist und deshalb entgegen-
kommende Züge in kleinen Stationen oder in Weichen auf freiem Felde
abgewartet werden müssen. Jedermann steigt dann aus, spaziert umher
oder lagert sich im Grase. Höchst drollig sieht es sich an, wie dann
Herren und Damen aufspringen und in den Zug stürzen, wenn derselbe
sich, wie es hier Sitte ist, ohne jegliches Abfahrtsignal wieder langsam
in Bewegung setzt.
Die Gegend ist anfangs vielfach gradezu trostlos, stundenlang ist
kein Baum und Strauch zu sehen, ausgenommen einige Cactusarten,
welche immer grösser werden, je tiefer man aus dem Gebirge herabsteigt.
Hin und wieder, aber doch selten tauchten grüne Plätze auf, an denen
sich Wasser befindet, schon aus der Ferne erkennt man ihre Nähe an
dem Auftreten der Viehheerden und an den elenden Lehmhütten, in
welchen die Hirten wohnen. Einen eigenthümlichen Eindruck machen
zahllose, völlig ausgetrocknete Wasserläufe, welche den Thonboden tief
einfurchen und dadurch dass sie oft in unmittelbarer Nähe der Bahn-
geleise sich befinden, gefährlich werden, bei jedem heftigen Regenguss
erzeugt das von den Bergen herabströmende Wasser hier sehr tiefe
Flussbette, Trostlos ist die Fahrt durch Arizona, zahllose Rinder und
Pferdecadaver liegen an der Bahn. Wie an hochgelegenen Orten der
Schweiz ist die Luft hier so rein, dass keine Fäulniss eintritt, die todten
Thiere schrumpfen deshalb nur zusammen und liegen vollständig er-
halten mit Haut und Haaren ungezählte Jahre lang da. Es könnte
trotzdem hübsch genug hier sein, wenn nicht die Wälder, welche hier
10
an der Bahn sich entlang ziehen zu grauenvoll verwüstet wären. Wie
auch schon im Felsengebirge sieht man überall verkohlte Baumstämme
liegen und der grösste Theil der noch lebenden Bäume ist aus Muth-
willen angesengt. Trotz der Eintönigkeit der Landschaft verging mir
aber die Zeit schnell in der Unterhaltung mit californischen Minen-
besitzern, welche von einer Expedition zur Aufsuchung von Goldlagern
in Mexico heimkehrten. An verschiedenen Stellen des Weges machten sie mich
auf Punkte aufmerksam, wo der oder jener durch Auffindung von ge-
diegenem Golde vor Jahren sein Glück gemacht. Einigen Zeitvertreib ge-
währten auf den Stationen auch die zahlreichen Indianer und Indianerinnen.
Letztere, meist jung und hübsch mit glänzenden dunklen Augen trugen
ihre Kinder auf einem Brett aufgeschnallt auf dem Rücken, die kleineren
waren dabei gegen die Sonne durch ein übergedecktes Weidengeflecht
geschützt, so dass das ganze wie ein Fischkorb aussah. Der land-
schaftlich schönste Punkt auf der Reise sind die „Nadeln", die Stelle,
an welcher die Bahn das tief eingeschnittene Thal des Coloradoflusses
kreuzt. Wir passirten diese grossartige und in ihrer Einsamkeit schaurige
Stelle im Glänze der untergehenden Sonne, bald darauf wendet sich
die Bahn und führt in nördlicher Richtung das Flussthal des Colorado
entlang, üeberall sieht man ärmliche Hütten der Indianer aus dem
Schilf hervorleuchten, und nahe dabei Schaaren von Kindern in grell-
farbenen Kleidern sich tummeln, es sind die Wohnstätten von Wasser-
indianern, sogenannt, weil sie am Fluss und hauptsächlich vom Fischfang
leben. Dieselben gehören dem ehemals blutdürstigen Stamme der Mohawks
an, welche hier zur Zeit des Baues der Santa Fe- Bahn sich sehr aufsässig
zeigten, jetzt aber seit langer Zeit friedlich geblieben sind. Bald darauf
hielt der Zug an der Station, die Needles, welche von an 100 erwachsenen
Indianern, Frauen und furchtbar bemalten Männern umlagert war.
Alsbald eröffnete sich ein lebhafter Verkehr mit den Reisenden die den
Indianern Kleinigkeiten abkauften. Die niedrigste Münze, welche die
Wilden kennen ist ein viertel Dollar, ein 10 Cent-Stück nahmen sie
auch nicht als Geschenk. — Am folgenden Morgen in aller Frühe be-
fanden wir uns endlich in dem herrlichen Californien ; nunmehr wechselten
während der Fahrt Apfelsinen- mit Pfirsich-, Aepfel- und anderen Obst-
hainen ab , häufig von einem lebendigen Zaun von Fächerpalmen ge-
schmackvoll umrahmt. Dazwischen passirten wir Dörfer mit hochstämmigen
Eucalyptusbäumen und sauberen Wohnhäusern mit geschmackvoll ange-
legten, bunt blühenden Gärten, welche an die Heimath erinnern. Immer höher
wurden die Palmen, immer schöner die Gärten, bis wir endlich früh-
morgens um 7 Uhr Los Angeles erreichten.
11
Los Angeles.
In Los Angeles hat es mir von allen amerikanischen Städten, die
ich besuchte, am besten gefallen, hier tritt das Geschäftsleben äusserlich
für den Fremden zurück, südliche Lebendigkeit herrscht in den Strassen,
aber nicht das rastlose Rennen wie in New-York und Chicago. Abends
durchziehen Minstrels die Stadt, und die zahlreichen Chinesen die hier
wie in San Francisco in einem eigenen Viertel wohnen, machen das Strassen-
bild noch bunter. — Im Hotel Hollenbeck erwarteten mich die Herren
Dr. Frentzel, Hecker und Schöller zur geraeinsamen Excursion nach Chino.
Obgleich ich mich nach der dreitägigen Nachtfahrt, Dank den vorzüglichen
Einrichtungen der Santa-Fe-Bahn frisch genug fühlte, zog ich es vor die
Reise dorthin auf den folgenden Tag zu verschieben.
Wir benutzten den Tag, um zunächst die Conservirung der Früchte
anzusehen, der Besitzer des Hotels übernahm es, uns nach einer der-
artigen Fabrik zu führen.
Uns hätte es besonders interessirt, Trockenanstalten für Früchte kennen
zu lernen, wir erfuhren aber, dass Anlagen für künstliches Trocknen
im südlichen Californien nicht bestehen. Die Früchte werden nur an
der Sonne getrocknet, und wo es nöthig erscheint zu diesem Behufe von
den Abhängen in die Nähe des Ocean, wo die Luft zu feucht erscheint,
ein wenig weiter in das Innere des Landes gebracht. Auch in der Conser-
venfabrik war wenig genug zu sehen, man reichte uns zwar frische und
eingemachte Früchte in grosser Menge zum Kosten, führte uns aber nicht
besonders gut und war zurückhaltend in Beantwortung technischer Fragen.
Die Früchte wurden durch Mädchen, welche hier für 2 Dollar den Tag
(8,50 Mk.) arbeiten, geschält, zerschnitten und in Blechbüchsen gefüllt,
welche in derselben Fabrik hergestellt werden. Um zu salzen und zu
süssen, waren zwei grosse Gefässe mit dünner Kochsalz-, bez. Zucker-
lösung vorhanden. Das Erhitzen der verlötheten Büchsen geschah theil-
weise in durch directen Dampf heizbaren Wasserbädern nur auf mittlere
Temperaturen, theils wurde bei höherer Temperatur pasteurisirt. Die
Hauptfabrikation ist aber die Bereitung von Gelees, welche aus den
filtrirten Extracten durch Eindampfen im Vacuum gewonnen werden. So
erzählte man uns, und beschenkte jeden mit einer Büchse Gelee, wir
bekamen aber den ganzen grossen Theil der Fabrik, wo es bereitet wurde,
nicht zu Gesicht. Wir besuchten darauf einen der herrlichen Gärten,
welche Los Angeles umgeben, und staunten über den Blumenflor,
welcher allerwärts , selbst auf den sandigen Wegen emporschiesst.
Ans Wunderbare grenzen die haushohen Geranien, welche hier das ganze
Jahr hindurch wachsen, die riesigen Rosenbäume, welche sich an den
Gebäuden emporranken, und die herrlichen Coniferen. Der Garten war
12
erst vor 5 Jahren angelegt, dennoch machte er auf uns den Eindruck,
als wäre er mindestens 30 Jahre alt; landesüblich waren die Coniferen,
welche hier unglaublich rasch wachsen, zu allerlei phantastischen Thier-
und Menschenfiguren ausgeschnitten. Man denke sich dazu herrliche
Fächerpalmen im Freien wachsend, ferner zahlreiche bei uns ganz un-
bekannte ähnlich wie Flieder blühende Bäume und man wird es begreiflich
finden, dass wir aufrichtig entzückt waren und diesem Gefühl, was die
Amerikaner ja so sehr schätzen, auch in Worten gegen den Besitzer
Ausdruck gaben.
Nachdem wir noch die Ausstellung von Landeserzeugnissen in der
Börse besichtigt, verbrachten wir den Rest des Tages an den Ufern des
stillen Oceans, in dem nahe gelegenen Santa Monica.
Worte reichen nicht hin , um die Schönheiten zu beschreiben,
welche der Strand des „friedlichen" Weltmeeres hier unter dem blauen
Himmel Californiens bietet; dazu überall fröhliche Menschen, voll Kraft
und Gesundheit strotzend, die meisten in ihrer Art an die Eheinländer
erinnernd. Männer, Frauen, Kinder, Weisse, Chinesen, Neger plätscherten
munter lachend und kreischend durcheinander in dem dunkelblauen
Wasser umher, von welchem eine leichte Brise massige Kühlung nach
dem Strande wehte. Nie werde ich die herrlichen Stunden vergessen,
die ich hier am stillen Ocean verlebte!
Besuch der Zuckerfabrik Chino am 17. August 1893.
Chino liegt etwa 3 Eisenbahnstunden südlich von Los Angeles in
dem lieblichen Bernhadino-Thale, welches von hohen Gebirgen, die in
der klaren Luft greifbar nahe scheinen und einen entzückenden Anblick
bieten, eingerahmt ist. In Ontario gingen wir auf die Kleinbahn über,
welche in weitem Bogen hinab in das Chinothal führt. Während uns
vorher üppige Obstgärten begleiteten, sah es hier noch recht öde aus, an
beiden Seiten des Bahndammes breitete sich viel uncultivirtes Land aus,
welches im Sommer in Californien fast stets den Eindruck trostloser
Wüste mächte, denn kein Baum oder grünes Gras bedeckt den sandigen
Boden, nur hin und wieder wachsen dürftig aussehende Cactus- und
Palmenarten, welche höchstens strauchartig werden.
Je näher wir aber der Fabrik kamen, desto mehr Rübenfelder traten
an beiden Seiten der Bahn hervor, die meisten freilich spärlich bestanden,
die Pflanzen klein und lückenhaft, die Blätter welk zum Absterben. Die
Fabrik ist in 5 Minuten von der Station zu Fuss zu erreichen, trotzdem
fiel uns der kurze Weg an dem sehr heissen Tage schwer. Seitwärts vom
Wege liegen eine Anzahl dürftiger Hütten aus Holz, und Leinwandzelte,
unter denen die mexicanischen Arbeiter der Rübenwirthschaft campiren.
Sobald wir an die ersten Rüben kamen, legten wir die Hände auf den
1-^
Boden, er war glühend heiss, die Pflanzen vollständig verwelkt, und da-
neben rauchte der Fabrikschornstein. So etwas war uns in der Zeit der
Campagne freilich noch nicht vorgekommen! Mir fiel die Erzählung
unseres Wirthes in Los Angeles ein, dass vor Jahren ein Engländer in
der Nähe eine Straussenfarm eingerichtet hatte, die allerdings bald wieder
einging, nachdem die Sache anfangs mit grosser Begeisterung aufgenommen
war, an jenem Tage war die Erde sicher genügend durchwärmt, um
Strausseneier im Sande ausbrüten zu können. Im Comptoir der Fabrik
empfing uns Herr C. Kennedy Hamilton, einer der Besitzer freundlich,
auch Herr Gird, der Eigenthümer von 50 000 acre Land , welcher unter
Contract einen grossen Theil der Kühen für die Fabrik lieferte, war
grade anwesend. Nach kurzer Unterredung theilten wir uns, Herr Hamilton
übernahm es mich zu führen, während Herr Gird die Herren Frentzel,
Hecker und Schöller mit sich nahm.
Während die Pferde angeschirrt wurden, die uns durch die Felder
führen sollten, trat mir im weissen Burnus plötzlich die hohe Gestalt
des mir als alten Schüler und langjährigen Chemikers des Herrn Bei-
mann in Schroda wohlbekannten Herrn Türcke entgegen. Unsere
beiderseitige Freude war gross, denn wir hatten uns nicht träumen
lassen, dass wir uns je unter solchen Umständen wiedersehen würden.
Türcke fühlt sich ungemein wohl im südlichen Californien und besitzt
selbst fünf Acker Rübenland im nahen Anaheim; zum Schluss der Rüben-
Campagne geht er regelmässig als Chemiker nach der Rohrzuckerfabrik
der Oxnard-Compagnie in Louisiana. Auch der technische Director der
Fabrik ist ein Deutscher, welcher manchen Lesern bekannt sein wird, Herr
Dr. Portius, der viele Jahre dem Hannoverschen Dirigentenverein an-
gehört hat.
Der Boden von Chino ist ein äusserst fruchtbarer Schwenimboden
mit ziemlich viel Humus, meist steinfrei, stellenweise allerdings herrscht
auch Sand vor. An einzelnen Orten finden sich auch die sog. Alkali-
adern, welche die betreffenden Stellen vorläufig für jegliche Cultur un-
brauchbar machen. Zweifellos ist nach den Mittheilungen, die mir Herr
Hamilton machte, dass jetzt Rüben an Stellen gebaut werden, die dafür
nicht geeignet sind, weil der Boden zu durchlässig und deshalb zu
trocken, zweifellos aber auch, dass mehr als das dreifache des jetzt in
Cultur befindlichen an gutem Rübenboden noch vorhanden ist.
Die Urbarmachung des Landes ist hier denkbar einfach, es wird im
Herbst wie in Nebraska mit dem Schälpflug umgeworfen, so dass die
Wurzeln der Gräser und Disteln nach oben kommen und im nächsten
Frühjahr sogleich mit Rüben bepflanzt. Doch zeigen sich im ersten Jahre
häufig Fehlstellen, im zweiten Jahr ist die Ernte am ertragreichsten.
Mein Führer meinte, dass trotz des welken Aussehens der Blätter
14
das Rübengewicht, welches eingebracht würde, ein collossales sei, oft
über 20 Tonnen per Acker, selten unter 10, unaufhörlich forderte er mich
auf die Rüben zu beschauen und den Ertrag abzuschätzen, immer aber
griff ich zu niedrig. Trotz der genannten hohen Erträge hat im Durch-
schnitt die Fabrik in der alten Campagne aber nicht über 9 tons auf
dem Acker gehabt und in diesem Jahre dürfte es, nachdem was ich ge-
sehen, kaum viel mehr werden. Obgleich vom Februar bis zum Herbst,
nahe 8 Monate, so gut wie gar kein Regen fällt und der Boden oben
staubförmig trocken war, war er in einigen Zoll Tiefe dennoch, wo ich
auch einbohrte, stets feucht wegen der kühlen feuchten Nächte und der
aufsteigenden üntergrundsfeuchtigkeit in dem Thale.
Die Saatzeit der Rüben dauert von Anfang Februar bis Ende Mai,
von 14 zu 14 Tagen werden die Samen eingelegt und in den-
selben Zeitabschnitten während der Campagne die Rüben ge-
erntet. Noch später zu sähen wurde gleichfalls versucht, dies hat sich
aber nicht bewährt, weil der Boden doch zu trocken wurde und die
Pflanzen deshalb nicht aufkamen. Man hat auch mit Erfolg das Experiment
gemacht, den Samen im November unterzubringen, derselbe hat nach
Herrn Hamilton's Erzählung gut überwintert und die Rüben sind im
Februar aufgegangen. Die Saat wird einen Zoll tief eingelegt, die Pflanz-
weite ist sehr eng. Anleitung giebt ein französischer landwirthschaftlicher
Ober-Inspector, der denselben Rang einnimmt, wie Herr Wietzer in
Norfolk (siehe weiter unten in diesem Bericht unter Nebraska).
Nach Hamilton eignen sich für Chino am besten Vilmorinrüben
französischer Zucht, überhaupt begegnete ich bei ihm und Herrn Oxnard
einer grösseren Vorliebe für französische als für deutsche Einrichtungen in
der Zuckerfabrikation, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die
Herren fertig französisch, aber gar nicht deutsch sprechen. Ich fand im
Gegentheil Klein - Wanzlebener Rüben, welche auch vorhanden waren,
weit besser in Form und Fleisch entwickelt, als die rasch gewachsenen,
massigen und wässrigen Vilmorinrüben.
Die Rüben erhalten meist drei Maschinen - Hacken , der Boden war
dementsprechend leidlich frei von Unkraut; die Reife war nicht voll-
ständig, aber doch selbstverständlich viel weiter vorgeschritten als bei
ims im August.
Der Hauptbesitzer Herr Gird hatte mit der Fabrik 1890 einen längere
Zeit laufenden Contract gemacht. Darnach hatte Herr Gird im ersten
Jahre 2250, im zweiten 4000 Acker, und für die drei nächstfolgenden
Jahre je 5000 Acker Rüben zu bauen. Ausserdem verpflichtete er sich,
der Fabrik anfangs täglich 2 000000, später 3 00U000 Gallonen Wasser
zu liefern. Für Rüben von 12 '% sollte er Doli. 3,50 für die Tonne
und für jedes Procent Pol. mehr 25 cts. extra erhalten, wobei der Zucker
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im Saft bestimmt und durch Multiplication mit 0,95 auf Rüben umge-
rechnet wurde. Vom 1. Januar 1893 an erfolgt die Regulirung der
üeberprocente mit 40 statt vorher mit 25 cts.
Trotz dieses Zugeständnisses soll, wie in der ganzen Umgegend be-
kannt, Herr Gird bei diesem Contract ein sehr schlechtes Geschäft ge-
macht haben, und ist deshalb dazu übergegangen, das Land mit der
Verpflichtung zum Rübenbau an mittellose kleine Leute parzellenweise
meist gegen 25 7o ^^^ Erntewerthes zu verpachten. Solche Leute
scheint es in der That gelungen zu sein, in genügender Anzahl heran-
zuziehen, wenigstens sollen gegenwärtig 170 solcher Pächter vorhanden
sein, welche jeder 10 — 40 Acker bearbeiten. Die Schule für die Kinder
der Pächter, welche von der Fabrik eingerichtet wurde — vor Gründung
der Fabrik existirte der Ort als solcher überhaupt nicht — , wird an-
geblich von 175 Kindern besucht. Die Ferien sind so gelegt, dass die
Kinder verziehen und bei der Ernte helfen können, vielfach sah ich die
Kleinen beim Rübenköpfen, wozu man auch die patentirte Rübenernte-
maschine 0 benutzte, beschäftigt. Frauen arbeiten auch hier nicht auf
dem Felde. Kaufrüben von freien Leuten erhält die Fabrik haupt-
sächlich aus dem entfernten Anaheim, einer deutschen Colonie, welche
näher am Ocean liegt, und von Bueno-Park; nach beiden Orten sind
Eisenbahnen gebaut worden.
Die Ernte zu durchschnittlich 10 tons per Acker angenommen giebt
bei einem Rübenpreis von 4,50 Doli. 45 Dollar Ertrag per Acker, wo-
von 11,25 Doli, an Herrn Gird abzugeben wären. Die Unkosten für
Saatgut, Bestellung, Verziehen, Hacken sind kaum in Geld 2) auszu-
drücken, da diese Arbeiten durch die Familien selbst besorgt werden.
Sie werden von Herrn Hamilton zu 10 Doli, von anderen zu 16 — 19 Doli,
geschätzt. Nehmen wir 16 Doli., so bleiben
45 - (11,25 -f 16) == 45 — 27,25
gleich 17,75 Doli. Reinertrag. Da eine Familie im allgemeinen nur 20 Acker
gut besorgen kann, so mag sie also 355 Doli, pro Jahr erübrigen, was in
diesem Lande, wo man beim Vergleich mit europäischen Verhältnissen
den Dollar manchmal der Mark gleichsetzen kann, in den Augen der
Eingeborenen sehr wenig ist. Es ist demnach glaubhaft, wenn von anderer
Seite versichert wurde, dass trotz der schlechten Zeiten für den Obstbau
und andere Früchte, der Farmer mindestens 5 Doli, für die Tonne
*) Deutsches Reichspatent, Anmeld. 9575; vergl. Vereins -Zeitschrift 1893,
S. 1106.
2) Es stehen mir zahlreiche detaillirte Anbaukostenberechnungen zur Verfügung,
bei denen für die Pächter stets ein bedeutender Gewinn herausgerechnet wird. Ich
unterlasse es aber absichtlich, dieselben hier wiederzugeben, weil eine Prüfung der
Zahlen nicht vorgenommen werden kann.
16
Kuben haben müsse, wenn er sich auf den Rübenbau einlassen solle.
Dabei wird mit einem Zinsfuss von 6V2 7o ^^f ländliche Beleihungen
gerechnet, zur Zeit als ich da war, war derselbe aber wesentlich höher.
Die Campagne dauert drei Monate, von Anfang August bis Ende
November 1), man rechnete auf 900 000 Ctr. Rüben. Die Fabrik soll
eigentlich 14 000 Ctr. täglich verarbeiten, hat aber dies Quantum anfangs
nicht erreicht und processirt deshalb mit der Maschinenfabrik, welche die
Einrichtungen geliefert hat.
Die Fabrik hat drei 6 atmosphärige Kessel, welche mit Rohpetroleum
in der in Amerika sehr verbreiteten Weise geheizt werden. Sie besitzt
drei kleine deutsche Kalköfen ! ! wie sie auch den übrigen Fabriken der-
selben Gesellschaft dienen. Anscheinend bewähren sie sich nicht besonders,
denn man krankte an den den Lesern hinlänglich bekannten Schwierig-
keiten, welche im Kalkofen ihren Sitz haben! Der Coke, welcher beim
Brennen zugesetzt wird, kommt aus nahen Gasanstalten und kostet
angeblich 8 Dollar die Tonne; der Kalkstein soll gut aber schwer zu
brennen sein. 150 Arbeiter sind in der Fabrik beschäftigt, welche nicht
unter 2 Dollar Lohn pro Schicht erhalten.
Im schönsten Sonnenschein werden bei herrlichem Sommerwetter
die Rüben auf trockenen und guten Wegen meist 4spännig mit unbe-
schlagenen frischen Pferdchen oder Maulthieren auf leichten vielfach
sogar eleganten Gärtnerwagen zur Fabrik angefahren, die Kutscher in
bunter Mexicanertracht, was einen malerischen Anblick gewährte. Die
Rüben waren sehr rein, aber vielfach ganz welk, solche mit weniger als
10 ^/o Zucker werden zurückgewiesen. Hübsch eingerichtet ist das Rüben-
haus mit Schwemme, die Wagen fahren zunächst eine unbedeckte steile
Rampe hinan, Bedachung ist nicht nöthig, da es so selten regnet und
auch an den heissesten Sommertagen niemals Fälle von Sonnenstich bei
Thieren und Menschen beobachtet werden. Der Wagen ist vor dem
Beladen mit einem einseitig befestigten Netze auskleidet worden. Indem
dieses an der anderen Seite mittelst einer durch Seilbetrieb verstellbaren
Zugvorrichtung gehoben wird, entleert sich der Inhalt in wenigen Minuten.
Ein grosser Theil der Rüben wird aber auch direct mit der Bahn in das
mehr als 100 000 Centner fassende Rübenhaus geführt. Das Betriebs-
wasser liefern 30 artesische Brunnen, welche der Grundbesitzer Herr
') Nach dem mir soeben während des Schreibens zugehenden „Chino Valley
Champion" vom 17. November 1893, wurden glatt vom 31. Juli bis 4. November
52000 tons Rüben, wovon 7300 tons aus Anaheim verarbeitet und daraus sollen
8936 845 Pfd. Füllmasse gewonnen sein. Dies entspricht einer Füllmassen -Ausbeute
von 16,2 auf Rüben, was sehr hoch erscheint; täglich sind 700 tons verarbeitet
worden.
17
Gird auf seine Kosten angelegt hat. Die Fabrik ist aus Stein gebaut
und macht einen recht iniponirenden Eindruck neben den kleinen Arbeiter-
hütten , die nahe dabe| liegen. Wie in allen amerikanischen Fabriken
fällt der Mangel an Schutzvorrichtungen gegen Unfall auf. Für die
ürvvüchsigkeit der ländlichen Verhältnisse Californiens ist charakteristisch,
dass weder für die Arbeiter noch für die Beamten Bedürfnissanstalten
vorhanden sind.
Von der Schwemme transportirt eine Schnecke die Rüben zur
Wäsche und der mit Dachrippenmessern arbeitenden Schnitzelmaschine.
Zur Auslaugung dienen zwei langstehende Batterien von je neun Ge-
fässen mit seitlicher Entleerung und vielleicht 45 hl Inhalt, es wurde
nicht unter 120, ja bis 140 7o Saftabzug gearbeitet. Hier waren
drei Selwig und Lange'sche Schuitzelpressen vorhanden , weil Herr
Gird es unternommen hat, die Schnitzel zur Mast von 1000 Ochsen
Zu verwenden. Trotzdem dieses geschieht, lagen aber grosse Mengen
von Schnitzeln, schwach mit Erde bedeckt, in der Nähe der Fabrik
in der Sonne, da sich keine Abnehmer finden, obgleich die Fabrik sie
unentgeltlich abgiebt. Ein Strom dunkler Jauche fliesst von den Mieten
aus über den Weg, eigentliche Fäulniss soll trotzdem nicht stattfinden
sondern die Masse nur eintrocknen!
Für die Saftreinigung begnügte man sich mit zwei Kohlensäure-
Saturationen, — die Alkalitäten waren ähnlich wie bei uns — und
dampfte dann in einem Quadrupleeffet mit liegenden Apparaten ein. Zur
Scheidung wurden 3^0 Kalk verwendet, doch wurde, da die Pressen schlecht
liefen, der Schlamm von der zweiten Saturation in die erste Presse zurück-
genommen. Die Fabrik besitzt zwei lange Cisek- Filterpressen, eine für
jede Saturation, wie es jetzt auch bei uns stellenweise beliebt ist.
Das Füllmassenhaus zeigte dieselbe einfache Anordnung wie in fast
allen anderen amerikanischen Fabriken, die ich besuchte. Unmittelbar
unter dem Vacuum befindet sich eine trogartige Maische mit Vertheiler,
welche einen Sud fasst, bei Arbeit auf weissen Zucker wird 5 — 6 Stunden
gerührt und dann in den unmittelbar unter dem Trog stehen den. Centri-
fugen ausgeschleudert. Gegenwärtig aber wurde nur auf Füllmasse ge-
arbeitet, welche die 2 Cent Prämie') pro Pfund erhält, und direct
nach der Raffinerie in S. Francisco geht. In dem Prämiensystem liegt
ein Anreiz, so niedrig polarisirende Masse als möglich herzustellen, doch
liegt ein Gegengewicht darin, dass die Raffinerie für die Minderpolarisation
grössere Abzüge macht. Die Füllmasse sah nicht gut aus, wenn ich nicht
gewusst hätte, dass es sich anders verhält, würde ich sie nach Farbe,
') Nach dem Wortlaut der Mac Kinley-Bill würde dieser Füllmasse, als zwischen
80 und 90 polarisirend, nur eine Prämie von 1^4 Cent pro Pfund zustehen.
2
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Korn und Syrupmenge für eine solche iL Products gehalten haben, der
Aschengehalt ist wahrscheinlich recht hoch. Gegenüber dieser Beobachtung
erscheinen die Saftpolarisationen von 20 und mehr Procent Zucker in
recht trübem Lichte. Sie rühren offenbar nur daher, dass die Rüben so
stark eingetrocknet waren, denn aus Rüben von so hoher Polarisatition
müsste bei normalem Saftgehalt ein wesentlich besseres Product erhalten
worden sein.
Früher hat man die Füllmasse in Fässern versandt, dabei aber
manche Unbequemlichkeit besonders beim Ausfüllen empfunden, zur Zeit
meines Besuches wurde sie deshalb in Papphülsen mit Holzboden aus-
gegossen, wie sie ähnlich hier zu Lande zum Transport von Obst dienen.
Diese werden in der Raffinerie durch Einwerfen in heisses Wasser sowie
Einblasen von Dampf abgelöst, die Pappe wird dann wieder benutzt.
Höchst gemüthlich war die Steuercontrole eingerichtet, die für die
ganze Fabrik nur ein Mann besorgte. Er stempelte jedes Barrel ab,
nachdem es in seiner Gegenwart gewogen war, und notirte die Zahlen.
Der Raum, in welchem dieses stattfand, hatte mehrere Thüren, die alle
weit offen standen, keine ümfriedigung war vorhanden, keine Controlvor-
richtungen, um zu verhindern, dass Füllmasse wieder in die Fabrik zurück-
geführt werde, alles war offenbar ganz anders als in europäischen Ländern
auf die Ehrlichkeit des Fabrikanten basirt.
Nachdem ich die übliche Interview des Zeitungsreporters über-
standen und noch Frau Gird in dem von herrlichem Park umgebenen
Landhaus meine Aufwartung gemacht, verbrachte ich die Nacht in dem
Wohnhause der Fabrik, welches Herr Hamilton, Dr. Portius und der
französische Landwirth innehaben'); ein Chinese besorgte die Bedienung.
Das Gespräch drehte sich ausschliesslich um die Zuckerprämie und um
die Aussichten auf Erhaltung derselben. Es kann kein Zweifel obwalten,
dass auch bei einem Rübenpreis von 5 Dollar die Fabrik bei der gegen-
wärtigen Prämie viel Geld verdient, denn bei einer Füllmassenbeute von
wenig über 12 7oj welche sicherlich bei den welken Rüben aber weit
überschritten wird, würde die Prämie schon die Rüben vollständig
bezahlt machen, an Unkosten bleiben also nur die Verarbeitungskosten
übrig. Wenn aber die Prämie fällt, so meinte Herr Hamilton, falle
selbstverständlich auch die amerikanische Rübenzuckerindustrie, bleibe sie
bestehen, so beabsichtige seine Gesellschaft demnächst noch 2 — 3 grosse
Fabriken im Chinothal aufzustellen.
^) Die Herren Frentzel, Schöller und Hecker nächtigten bei dem Grund-
besitzer, wo, charakteristisch für die Landessitte, zwei in einem Doppelbett unter-
gebracht waren. Die gastfreundlichen Amerikaner, welche dem Fremden zu Liebe
sich geradezu aufopfern, finden dabei gar nichts, auch in den Hotels und in den
Schlafwagen findet man es selbstverständlich, dass zwei Freunde das Bett theilen.
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Besuch von Anaheim, den 12. August Nachmittag.
Im Laufe unseres Besuches in Chino hatten wir erfahren, dass
unter den Rübenlieferanten in Anaheim grosse Unzufriedenheit herrsche,
weil sie die Rübenpreise zu niedrig fänden, und dass dort sogar der Bau
einer eigenen Fabrik geplant werde. In Folge dessen fassten wir auf
der Rückreise nach Los Angeles, welche Tags darauf stattfand, den Ent-
schluss, Anaheim noch einen Besuch abzustatten. Wir erreichten den
Ort mit der Santa Fe -Route nach zweistündiger Fahrt durch fruchtbare
Gefilde von Los Angeles aus.
Das Städtchen, welches 3600 Einwohner zählt, ist 1857 von deutschen
Colonisten gegründet, nachdem eine Gesellschaft durch Anlage von Strassen
und Berieselung aus dem Santa Ana-Fluss die Umgegend culturfähig
gemacht hatte. Auch jetzt sind die Mehrzahl der Einwohner Deutsche,
daneben viele Schweden. Bis vor kurzem wurde hauptsächlich Weinbau
getrieben und die Anaheimer Süssweine erfreuten sich in den Kellereien
von New- York des besten Rufes, doch vor einigen Jahren hat eine un-
bekannte Krankheit die Rebenfelder verwüstet; fernerhin sind in Folge
der Ueberproduction die Californischen Weine im Preise so gesunken,
dass Noth unter den Farmern ausgebrochen ist, die sie geneigt gemacht
hat, sich auf den Rübenbau einzulassen. Ich bemerke hier, dass in
Californien der Wein meist in der Ebene nicht etwa nur an Abhängen
gebaut wird. Gegenwärtig waren in Anaheim 700 Acre mit Rüben bestellt,
von welchen man 7500 tons ') Rüben nach Chino zu liefern hoffte. Die
Luft war hier viel kühler als in Chino, da der Ort nur drei deutsche
Meilen vom Weltmeer entfernt liegt.
In einem Leihstall besorgten wir uns ein Gefährt und machten uns
selbständig ohne von Interessenten geführt zu sein, auf zu einer Fahrt
durch die Rübenfelder. Wir passirten den Bahnhof der Southern-Pacific-
Gesellschaft, welche gleichfalls eine Linie hier vorbeiführt — der Ort hat
also zwei Eisenbahnen — und sahen hier wie die Rüben für Chino verladen
wurden. Zwei Chemiker waren beschäftigt, Saftpolarisationen auszuführen
und mit 95 zu multipliciren, ein Verfahren, welches sich in diesem Lande
der welken Rüben nur damit entschuldigen lässt, dass man beabsichtigt,
bei den Leuten Eifer für den Rübenbau durch scheinbar hohe Gehalts-
zahlen hervorzurufen. Gerecht ist der Modus sicherlich nicht, und wird
deshalb mit der Zeit wohl auch üble Früchte tragen. Ein halb Dutzend
Bauern umstand die Abnahmestelle, um misstrauisch die Wägung zu
controliren und den Chemikern zuzuschauen. Auf unsere Fragen antworteten
eifrig mehrere gleichzeitig, voll Stolz erzählten sie, dass Sie einen der
Chemiker angestellt hätten und bezahlten. Auf die Frage, wie viel
*) 7300 tons sind wirklich geliefert worden. Vergl. weiter oben.
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Rüben sie auf den Acker geerntet hätten , antwortete einer mit acht
californischer üebertreibung, von jedem 40 tons (d. sind 500 Ctr. auf
den preussischen Morgen). Die Rüben, Kleine Wanzlebener Zucht, welche
angefahren wurden, sahen rein und gut aus. Wir erfuhren, dass die
grösseren Besitzer hier höchstens 70 Acker, kleinere 10—30 Acker Rüben
bauen. Die Rübenfelder, die wir darauf besahen, standen, abgesehen von
Fehlstellen auf Neuland, wo zu spät gesät worden war, recht gut, besser
als im Chinothal und an irgend einem anderen Platz in Amerika, den ich
besucht habe. Hier sollen 10000 Acker guter Rübenboden vorhanden sein.
Wir versuchten darauf Farmer in ihren Wohnungen zu sprechen,
hatten damit aber kein Glück, weil dieselben angeblich auf dem
Felde waren. Doch täuschte uns unser Scharfsinn nicht, als wir in
der Hoffnung dort die gewünschte Auskunft zu erhalten in ein Bier-
lokal oder richtiger eine sog. har eintraten , in der ein zahlreiches
ländliches Publicum versammelt war. Bald waren Herr SchöUer und
Herr Frentzel im eifrigen Gespräch mit einem Herrn, welcher sich als
Rechtsanwalt und einer der Directoren der neu zu gründenden Zucker-
fabrik vorstellte und sich gern nach Landessitte zu einem Trunk einladen
liess. Auch der Wirth, der wie üblich uns unentgeltlich das erbetene
Vesperbrod reichte, — denn in Californien ist die Sitte noch verbreiteter
als im Osten, dass in solchen Localen nur das Getränk, und nicht der
Imbiss bezahlt wird — und andere anwesende Gäste nahmen eifrig an
der Conversation Theil.
Wir erfuhren, dass sich eine Gesellschaft mit 7 Directoren
zu denen auch Herr Gird gehört, gebildet habe. Die Mitglieder
dieser Gesellschaft besässen schuldenfrei 3000 Acker Land, auf welches
man 400 000 Doli, leihen wolle, um die Fabrik zu bauen, 100 000 Doli,
welche ausserdem nöthig seien , sollten andersweit beschafft werden,
man hoffte, die Maschinenfabrik würde sie hergeben. Man habe be-
reits mit einer deutschen Fabrik unterhandelt und mit der Maschinen-
fabrik von Dyer in Cleveland, welche sich erboten habe für 365000 Doli,
eine Fabrik für 6000 Ctr. tägliche Verarbeitung complet für die Arbeit
auf granulated fertig zu stellen. Man rechne ferner auf ein Versprechen,
welches ein Herr Kjelgarn als Repräsentant von Capitalisten aus New- York
gegeben habe, das Geld zu beschaffen. Der Grund, warum man eine
eigene Fabrik in Anaheim bauen wolle, liege in der hohen Fracht nach
Chino, 0,85 Doli, für die Tonne, „die wollen wir selber verdienen",
sagten mehrere Stimmen in englischer Sprache gleichzeitig. Während
diese Scene, bei der ich mich passiv verhielt, und Herr Schöller das Wort
führte, sich mit südlicher Lebendigkeit im Vordergrunde abwickelte,
ertönte hinter mir plötzlich in deutscher Sprache eine Stimme: „Mein
Name ist " Ich bin Deutscher, wir können laut sprechen, von
21
denen versteht uns keiner. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass aus dem
ganzen Project nun und nimmer etwas wird, keiner von den Betheiligten
hat das nöthige Geld, Sie kriegen es auch nicht zusammen. Die Leute
hier verdienen das Geld überhaupt viel zu bequem, als dass sie sich auf
die Dauer mit dem mühsamen Eübenbau abgeben würden. Sie haben
so schwere Arbeit nicht nöthig. Hier in Californien, wo man für den
täglichen Unterhalt auf dem Lande wenig Geld braucht, da alles gut
wächst, will jeder leichte Arbeit. Die Bebenkrankheit, es ist wahr, hat
uns vielen Schaden gethan, aber sie ist überstanden, unsere Weine haben
ihren alten guten Ruf behalten, deshalb haben viele letzthin den Wein-
bau wieder aufgenommen und stehen sich besser als beim Rübenbau."
Bis jetzt scheint der Mann in sofern recht behalten, als keine weiteren
Nachrichten eingetroffen sind, dass das Project in Anaheim von der Stelle
gekommen sei.
Sehr befriedigt von dem Resultat dieser ganz auf eigene Faust
unternommenen Expedition kehrten wir nach Los Angeles zurück,
wo wir uns trennten, um erst in Grand Island in Nebraska wieder zu-
sammenzustossen.
San Francisco.
In San Francisco stieg ich in dem schönen, zweckmässig einge-
richteten Palace Hotel ab. Es würde mich aber zu weit führen, wenn
ich dieses beste Gasthaus, in welchem ich je gewohnt habe, sowie die
bergige Stadt mit ihren Kabelbahnen, dem Chinesenviertel, dem Hafen
und der herrlichen Scenerie am goldenen Thor, wo das Ufer ein bunt-
blühender Garten ist, und auf den Klippen unter den Augen des Be-
schauers die Seehunde sich tummeln näher beschreiben wollte. Ich war
früh angekommen und begab mich erst zum deutschen Consul Rosenthal,
an den ich amtlich empfohlen war und der mir bereitwillig eine Ein-
führung an Herrn Claus Spreckels ausstellte. Von der californischen
Rübenzuckerindustrie hatte er keine günstige Meinung. Wenn die Sache
so gut sei, wie die Leute sagen, meinte er, warum bauen sie nicht mehr
neue Fabriken. Ich wies darauf hin, dass der Finanzminister der Ver-
einigten Staaten die Production für 1893/94 nach dem damals ausge-
kommenen Voranschlag auf 42 Mill. Pfund Zucker für Californien schätze,
nämlich 18 Mill. für Chino, 4 Mill. für Alvarado, 20 Mill. für Watsonville,
was doch schon ein recht bedeutendes Quantum vorstelle. Der Consul
belehrte mich, dass diese Zahlen lediglich auf Angaben der Interessenten
beruhen, welche regelmässig viel zu hoch greifen, um sicher zu sein,
dass auch eine genügende Summe für die Prämie in dem Etat eingestellt
würde, es sei aber nicht daran zu denken und es habe sich auch in den
Vorjahren gezeigt, dass diese Schätzung niemals in Wirklichkeit erreicht
werde. Eine Vermehrung der Production stände in nächster Zeit nicht
22
in Aussicht, es würde also' bei etwas mehr als der Hälfte von den ge-
schätzten 42 Mill. Pfund bleiben. — Bei dieser Gelegenheit ermahnte mich
der Consul Zahlen, die mir in Amerika und speziell in Californien von In-
teressenten geboten wurden, sehr kritisch zu betrachten, da leider die
Unsitte eingerissen sei, ins Ungemesseue zu übertreiben. Ich dankte dem
Consul für diesen guten Rath, den ich mich bemüht habe zu beherzigen
und begab mich aldann nach dem in der Hauptstrasse gelegenen Comtoir
der Zuckerraffinerie, um den
Besuch bei Herrn Spreckels und Herrn Oxnard
am 13. August
auszuführen.
In dem Zimmer, in welchem Herr Claus Spreckels seine Geschäfte
wahrnimmt, hat auch Herr Robert Oxnard, der zweite Director des Unter-
nehmens, seinen Schreibtisch. Beide Herren waren anwesend, Herr
Oxnard, sehr jung und elegant, hat nichts amerikanisches in Wesen und
Manieren, sondern man würde ihn eher für einen Franzosen halten, um
so mehr, da ihm das Französische, was in Amerika bei Geschäftsleuten
nicht eben häufig, sehr geläufig ist, während er hingegen deutsch gar
nicht versteht. Herr Claus Spreckels hingegen ist vierschrötig von Figur,
das Auge fest und klar, dabei zeigt das Wesen des alten Herrn die
Frische der Jugend. „Setzen Sie doch Ihren Hut auf", sagte er zu mir
auf deutsch, „sonst muss ich meinen auch abnehmen und das thut man
in Amerika nicht gern, wie Sie wohl schon wissen." Nachdem ich ihm
kurz Zweck und bisherige Erlebnisse meiner Reise erzählt, fragte ich ihn
in der Manier eines amerikanischen Reporters, was er über die Zukunft
der californischen Rübenzuckerindustrie denke. Seine Antwort war kurz
und bündig. „Ich glaube nicht an eine rasche Entwickelung der Rüben-
zuckerindustrie in Californien, weil die ganze Instandsetzung derselben
zu theuer, hier im Lande ist dafür kein Kapital vorhanden. Ich z. B.
habe eine besondere Bahn in Watsonville bauen müssen, welche die
Anlage sehr vertheuert." Das Gespräch kam dann auf die Arbeiter-
frage. Claus Spreckels erzählte mir, dass er die Arbeit des Verziehens
dadurch zu verringern bemüht sei, dass in jedes Loch nur ein Samen-
korn ausgelegt werde, was man bei gutem Samen wagen dürfe. Auch
sonst bemühe man sich, möglichst billig zu arbeiten, selbstverständlich
ohne Knochenkohle. Hier begann er englisch zu sprechen und erzählte
seinen beiden hinzugekommenen Söhnen und Herrn Oxnard lachend, dass
es merkwürdigerweise in Deutschland noch eine ganze Anzahl Rohzucker-
fabriken gebe, die mit der theuren Knochenkohle arbeiten, was die Zu-
hörer gleichfalls zur Heiterkeit veranlasste.
Auf meine Bitte stattete mich Herr Claus Spreckels darauf mit
23
Empfehlungen an seine eigene Fabrik in Watsonville und die Alamede-
Gesellschaft in Alvarado aus, ebenso sagte er mir zu, dass ich an einem
der folgenden Tage die Eaffinerie in S. Francisco besichtigen könne.
Auf das angeschlagene Thema, betreffend die Aussichten der Rübenzucker-
industrie kam er aber bei diesem und auch bei einem späteren kurzen
Gespräch nicht mehr zurück. Viel eingehender als mit ihm hatte
ich Gelegenheit, mich mit seinem Compagnon Herrn Robert Oxnard zu
unterhalten. Derselbe hatte die Freundlichkeit, mich für die Dauer
meines Aufenthalts in S. Francisco im Union- Paciflc-Club einzuführen,
in welchem er und Claus Spreckels nach amerikanischer Sitte um 12 Uhr
zu frühstücken pflegen. Herr Oxnard hegt kurz gesagt günstige Er-
v(^artungen bezüglich der zukünftigen Entwickelung der Rübenzucker-
industrie in Californien, nicht aber, oder doch lange nicht im selben
Maasse, in Bezug auf Nebraska. Ausserdem unterhielten wir uns ein-
gehend über die amerikanische Raffineriearbeit, worauf ich an geeigneter
Stelle zurück komme.
Besuch von Alvarado am 17. August.
Die Zuckerfabrik Alvarado ist von San Francisco in knapp Vj^ Stunden
zu erreichen, man setzt zunächst mit dem Pährboot über die Bay von
San Francisco nach Oakland über, fährt dann durch die liebliche Garten-
stadt Alameda, in welcher die reichen Geschäftsleute von San Francisco
ihre Sommerwohnungen haben, dann durch bald fruchtbare Gründe, bald
bergige Gefilde bis Alvarado.
Hier war ich auf's angenehmste überrascht in dem Director Herrn
Burr einen hochgebildeten Chemiker kennen zu lernen, einen Schüler
von Liebig, Altersgenossen von Wichelhaus und Wislicenus und Freund
des heimgegangenen unvergesslichen A. W. Hofmann. Herr Burr hat
viele Jahre lang die Stelle eines technischen Directors in einer^ Raffinerie
des Herrn Claus Spreckels eingenommen, bis dieselbe mit der Bildung des
Trust's den Betrieb einstellte.
Die Fabrik in Alvarado hat, wie eingangs erwähnt, bereits eine
Geschichte, sie ist 1870 gebaut, machte 1874 zum ersten Mal bankerott,
die Maschinen wurden nach der Umgegend von Santa Cruz verkauft.
1875 kaufte man dafür die Einrichtung der gleichfalls in der Zwischen-
zeit gegründeten und bankerott gegangenen Fabrik in dem nahen Sacra-
mento für 40000 Dollar und die Fabrik war nun bis 1887 thätig, wo
die Gesellschaft wieder betriebsunfähig wurde. Seit drei Jahren ist sie
in Folge der Mac Kinley- Bill von einer neuen Gesellschaft, die die
alten Einrichtungen billig gekauft hat, der Alameda Co. unter Director
Burr wieder in Thätigkeit. Die Fabrik hatte bei der Reorganisation
der Gesellschaft 1889 eine Betriebsfähigkeit von nur 1800 Centner, ist
24
aber mit Aufwendung geringer Mittel durch zweckmässige Aenderungen
vom jetzigen Director auf 4000 Centner gebracht worden.
Die Fabrik hat grosse Schwierigkeiten gute Rüben zu erhalten, da
sie kein eigenes Land besitzt und bezüglich der Kaufrüben der eigen-
sinnigen Landbevölkerung keine Vorschriften machen kann. So wie der
Preis der Kartoffeln auf 2 Cent das Pfund steigt, lassen manche den
Rübenbau im Stich. Gute Rüben kommen aus der Nähe von San Jose,
wo bei ungeheuerer Grösse und 5 — 6 Kilo Gewicht der Zuckergehalt
gross, der Salzgehalt gering ist; aus der Nähe von Alvarado geht viel
schlechteres Material in die Fabrik. Die Rübencultur wird hier von
Farmern portugiesischer Abstammung mit sehr wenig Verständniss be-
trieben. Früher haben sie Chinesen zur Rübenarbeit benutzt, die
dieselbe gegen festen Contract übernahmen, nun aber zu dieser Arbeit
nicht mehr zu bewegen sind, weil sie sich von den Portugiesen für
übervortheilt halten. Meist waren die Rüben, die ich auf unserer Rund-
fahrt sah, schlecht im Stande, schlecht verzogen und nicht gehackt, gut
waren nur 10 Acker, welche eine Familie allein besorgte. Der Boden
ist dem von Chino ähnlich, doch viel tiefgründiger und härter, deshalb
wäre Hacken hier dringend nöthig. Zuweilen ist er „alkalireich*^, das
heisst stark salz- und magnesiahaltig, was hier zu Riesenrüben führt.
Ungünstig ist, dass im Frühjahr regelmässig üeberschwemmungen der
Rübenfelder statt haben, die die Cultur verzögern. Die Randrüben sind
meist colossal entwickelt und schlecht, weil sie mehr Salz in der Erde
zur Verfügung haben als die aus der Mitte des Feldes, doch nimmt erstere
Rüben die Fabrik neuerdings falls sie unter 12 7o Zucker haben nicht
ab. Die Saatzeit sucht man so zeitig wie möglich zu nehmen, wegen der
Nässe ist es aber oft nicht möglich vor Mai den Samen unterzubringen,
dann kommen aber oft, wenn auch vielleicht nicht ganz so schlimm als
in Nebraska, trockene Winde, die alles, Samen, Pflanzen und Erde,
davon tragen. Darauf folgt ähnlich wie in Chino eine Trockenperiode,
in der so gut wie kein Regen fällt bis zum November. In der Nähe
der Fabrik hatte Herr Burr ein Versuchsfeld zur Prüfung verschiedener
Samensorten angelegt; die Klein-Wanzleber Rübe war hier nicht so gut
entwickelt als eine rothe, der Dippe'schen ähnliche, von französischem
Samen, dessen Ursprung man mir nicht angeben konnte, augenscheinlich
war es eine Nachzucht der rothen Vilmorinrübe. Auffallend ist in diesem
Theil Californiens im Vergleich zum Süden, dass alle Felder mit Rück-
sicht auf die kostbaren Obstplantagen mit starken Bretterzäunen ein-
gefasst sind. Unter den Obstbäumen werden übrigens auf Claus Spreckels
Rath von einigen Farmern auch Rüben gebaut, ein Verfahren, was weder
zu zuckerreichen Rüben führen, noch den Obst-, hier zumeist Pfirsich-
bäumen sonderlich zuträglich sein dürfte.
25
Gutes Rübenland ist in der Umgegend von Aivarado reichlich
vorhanden, weniger aber die Neigung Rüben zu bauen. Einer der reichsten
Besitzer zum Beispiel behauptet noch immer, dass Rüben das Land ver-
dorben und bleibt beim Weizenbau.
Die Fabrik machte auf mich einen curiosen Eindruck, da die Gebäude
ganz aus Holz sind, selbst das Kesselhaus, es ist zum Verwundern, dass
besonders das letztere noch nicht abgebrannt ist.
Die Rüben lagern in einem mächtigen Schuppen durch welche die
Schwemme hindurchgeht. Sie halten sich hier an der Luft sehr
lange ohne zu faulen, sie trocknen nur ein, wie die todten Thiere in
Arizona. Es waren sogar noch einige Rüben aus der vergangenen
Campagne eingetrocknet, aber sonst noch gut erhalten vorhanden. Welch'
ein Ort, um Versuche betreffs des Sauerstoffbedürfnisses der Rübe für die
Athmung anzustellen! An ein Einmieten der Rüben könnte hier wegen
der Schwierigkeit der Bedeckung in dem warmen Klima nicht gedacht
werden. In der Rübenschwemme wird das Wasser mehrfach wieder be-
nutzt. Die Fabrik hat übrigens einen Abwasserprocess mit den Nachbarn,
weil angeblich die Obstbäume beim Bewässern aus den verunreinigten
Bachläufen leiden sollen, bis jetzt hat sich aber die Fabrik der Verurtheilung
dadurch entziehen können, dass sie sich gutwillig gezeigt hat und
Reinigungsversuche macht. Natürlich sind auch hier, wie überall in
amerikanischen Fabriken die mechanischen Transportvorrichtungen sehr
gut durchgeführt, um die theure Handarbeit zu sparen. Der Lohn beträgt
durchschnittlich 2 Doli, für den Mann, die Unkosten früher 12 jetzt
9 Doli, per Tonne Rüben. Die Tonne Kohlen kostet 9,50 Doli., während
sie in Chino rechnen, dass sie mit dem Rohöl den Heizeffect einer Tonne
Kohlen für 9 Doli, erzielen, also mit dem Brennmaterial etwas billiger
wegkommen. Die aus Sacramento übernommene alte Diffusionsbatterie
ist von der Braunschweigischen Maschinenbauanstalt gebaut, uralt sind
auch die Filterpressen, Vor-Dehne'sche ohne „automatischen Fall" noch
mit Blechunterlage. Die Scheidepfannen sind rund und klein, nicht so
ungewöhnlich in die Höhe getrieben wie z. B. in Norfolk. Mit schwefliger
Säure wird saturirt, aber ziemlich kalt, Knochenkohle wird nicht gebraucht.
Die Verdampfung geschieht in einem Quadrupleeffet von liegenden
Apparaten, das Vacuum ist wie in den amerikanischen Raffinerien mit
ausserordentlicher Heizfläche und sehr kräftiger Pumpe ausgestattet. Die
Fabrik arbeitet nur auf weissen Zucker, da sie mit dem Trust keine
Verbindung hat und deshalb den Rohzucker nicht verkaufen kann. Wie fast
überall in Amerika, steht die offene trogartige Sudmaische direct unter
dem Vacuum und über den Centrifugen. Man erzeugte ein feines un-
regelmässiges Korn, da gröberes, ebenso wie gleichmässig abgesiebtes,
oder gar gemahlenes ganz und gar unverkäuflich sei. Das Abdecken
26
geschieht in kleinen Centrifugen zunächst mit einer Dicksaftdecke (das
Verfahren Drost und Schultz war dem Director auch dem Namen nach
unbekannt) darauf mit fein zerstäubtem Wasser. Das zweite Product,
welches noch ungeschleudert ganz wie bei uns zu Lande zur Zeit meines
Besuches unter Steuerverschluss lagerte, wird in den Saft wieder ein-
geworfen, da wie erwähnt kein directer Markt dafür vorhanden ist.
Interessant war es mir zu hören, dass der Director auf Veranlassung
seines Aufsichtsrathes sich zu Versuchen mit der Magnesiascheidung hatte
verstehen müssen , weil ein ehemaliger deutscher Zuckerfabrikdirector in
Aussicht gestellt hatte, den Quotienten durch Behandlung des Saftes mit
V2 % Magnesia, schwefliger Säure und nachfolgender Kalkscheidung von
80 auf 95 zu erhöhen! ! ! Das war weder hier noch in Watsonville, wo
Claus Spreckels ähnliche Versuche unternommen hatte, geglückt und zur
Zeit meiner Besuche wurden auf den Sandwichinseln Versuche gemacht,
um die Magnesiascheidung in der Rohrzuckerfabrikation einzuführen!
Im Laboratorium befand sich eine Suckow'sche Mühle und alle
Einrichtungen zu den Methoden der directen Zuckerbestimmung in der
Rübe, man merkte eben den Einfluss des Schülers Liebigs. DerLaurent'sche
Polarisationsapparat hat bereits seit Jahrzehnten die Spiegelbeleuchtung
von der Lampe aus, welche Schmidt und Hänsch in neuester Zeit an ihren
Instrumenten anbringen.
Burr beurtheilte die Lage der californischen Zuckerindustrie recht
nüchtern, es sei noch sehr viel zu thun, bevor es zu einer raschen Ent-
wickelung kommen könne, und die Unsicherheit der Erhaltung der Prämie,
mit der selbstverständlich die ganze Industrie stehe und falle, wirke
lähmend auf den Unternehmungsgeist. Unmöglich sei eine rasche Ent-
wickelung in Californien zwar nicht, aber er glaube nicht daran, noch
weniger aber halte er eine solche in Nebraska für wahrscheinlich, weil
dort die klimatischen Verhältnisse für den Rübenbau weit ungünstiger
seien, als in Californien.
Herr Burr sandte mir später freundlichst zur Veröffentlichung
statistische Angaben über die Zuckerfabrik in Alvarado in den Jahren
1889, 1890, 1891, 1892 und Schätzungen für 1893, welche ich hier
folgen lasse.
Zuckerfabrik in Alvarado:
Vermuthl.
1889 1890 1891 1892 1893
Mit Rüben bepflanzte Fläche Acker') 959 1320 949 1376 —
Rüben, geerntet, in Tons^) 9224 13298 10941 1.50003) 15090
Tons per Acker 9,6 10,1 11,5 11,0^) —
Zucker in den Rüben , . 14 %') 14,3 ^») 12 %^) 12,68^*) 12,53$
gegenwärt, am 23. Augast
») 1 Acker -= 0,4 ha. ') Xon = 906 kg. ») bedeutet geschätzt. ^) aus Saft-,
Polarisation mal 0,95 %. ^) Alcoholpolarisation,
27
1889
Saft-Quotient 81,8
Kohlenverbrauch auf dieTonne Rüben 29,33 %
Kalkstein auf die Tonne Rüben. . . 10 %
Coke „ „ „ „ • . • 1,29^
Kosten der Kohle auf die Tonne Rüben $ 1,967
Kalkstein und Coke . $ 0,474
Andere Hilfsmittel S 0,373
Lohn«) S 3,013')
Andere Ausgaben s) $0,744
Rüben per Tonne $ 4,541
1890
1891
1892 1893
87,8
80,0
81,5 80,8
27,06^
18,9 %
17,5 % 16,16^
9 %
8,7 %
6,9 % 6,65^
0,80^
Ub%
0,74 % 0,85 %
gegenwärt, am 23.August
$2,191
^
$ 0,287
$2,304
$ 0,488
[ $4,503) $4,322«)
$2,112')
$1,486')
$0,956
$ 1,003 j
$4,501
$ 5,006
$5,00
Gesammtkosten $11,112 $10,535 $9,799 $9,50 $9,322^)
Ausbeute an reinem Zucker nach 1000 9,45%») 10,55 ^9) 8,14^^) 9,00^ 8,38^^-'')
Kosten auf das Pfund $0,0587^ $ 0,05 $ 0,0561 $0^777
am 23. Aagnst
Verkaufspreis $0,0625 $0,05375 $0,0684'«) $0,07625'°)
am 23. August
Kosten der Kohlen gewöhnlich . 7—8 Doli, die schwere Tonne von 2240 Pfd. engl.
1893: 6,50 Doli.
englischer Coke 12—16 Dollar die schwere Tonne.
Kalkstein 2,50-3 Doli, die leichte Tonne von 2000 Pfd.
Gewöhnlicher Lohnsatz für
Tagearbeiten 35 cent die Stunde.
Zimmerleute 3,50 — 4 Dollar für Sstündigen Arbeitstag.
Zucker in den Rüben (Alkoholpolarisation) 1892:
September 12.68; October 12,45; 13,55; 12,81; 12,30; im Campagnedurchschnitt 12,53.
Bei Betrachtung dieser Angaben sieht man, dass die Fabrik in Folge
der Prämie in letzter Zeit nicht unbedeutende üeberschüsse eingeheimst
hat, dass aber ohne diese Prämie der Gewinn nur ein minimaler wäre.
Mit der gegenwärtigen Prämie kann die Fabrik demnach sehr gut aus-
kommen, ohne jegliche würde sie vermuthlich alsbald zum dritten Mal
die Arbeit einstellen müssen.
Besuch von Watsonville am 18. August 1893.
Von Alvarado fuhr ich nach Santa-Cruz, einem herrlich am stillen
Ocean gelegenen Seebad, in welchem ich die Nacht verbrachte. Auf der
Reise dahin, welche durch üppig bewaldete Berge und Thäler führte,
passirte ich auch die Station „big tree's", so benannt nach den
Baumriesen von Rothholz, welche sie umgeben und von denen einer
300 Fuss hoch ist und 60 Fuss Durchmesser hat, die aber nicht zu
*) Kosten auf das Jahr. ') Schliesst die Kosten von Aenderungen in der Fabrik
im Laufe des Jahres ein. ^) Schliesst Verpackung, Versicherung, Steuern und alle
anderen Ausgaben ein. ^) Schliesst das 3. Product des Jahres nicht ein. Im Jahre
1891 wurde ein grosser Theil des 3. Products der 2- Cent-Prämie noch nicht theilhaftig.
?°) Inclusive der Prämie von 2 Cent auf das Pfund.
28
verwechseln sind mit den bekannten Mammuthbäumen. Störend wirkt
auf den Europäer auch hier ein, dass der herrliche Wald vielfach
durch Feuer zerstört ist. Watsonville selbst, welches ich am folgen-
den Tage in der Frühe erreichte, ist, wie so viele californische
Orte, ein grosser Obstgarten. Ein gleichmässiges und dabei nicht
verweichlichendes Clima begünstigt hier das Pflanzenwachsthum , wie
selbst kaum an anderen Plätzen Californiens. Der Temperaturunter-
schied zwischen dem wärmsten und kältesten Tage (13,5 bezw. 18 "^ C.)
beträgt nur 5V2 ° C. Die besten Aepfel in der Union wachsen hier, ferner
Pflaumen, Oliven, Kirschen, Pfirsiche, Tafeltrauben, die am spätesten auf
den Markt in S. Francisco kommen, Apricosen, Erdbeeren, Himbeeren
und alle denkbaren anderen Früchte sind in Unmengen vorhanden. Aber
auf dem Gebiet des Obstbaues herrschte gegenwärtig Ueberproduction.
Ungefähr V4 des Obstes soll keinen Markt gefunden haben, und manche
deshalb die Kosten gescheut haben, es vom Baume zu holen, demgemäss
sind auch die zahlreichen Kostenberechnungen über den Obstbau, bei denen
jedesmal ein enormer Gewinn herausgerechnet wird, misstrauisch zu be-
trachten, selbst wenn sie in officiellen Publicationen dargeboten werden.
In Watsonville befindet sich eine bedeutende Obstbaumschule, welche
1866 mit zum Theil aus Frankreich direct bezogenem Stammmaterial
gegründet wurde; bemerkenswerth ist, dass viele Obstarten insbesondere
auch die kleineren Früchte, wie Erdbeeren, Himbeeren und ähnliche hier
ohne Kieselung gezogen werden.
Die Rübenculturverhältnisse sind denen in Alvarado ziemlich ähnlich,
vielleicht etwas besser, da das Ansehen, welches Claus Spreckels geniesst,
manchen zum Rübenbau veranlassen mag. Doch erhalten auch hier die
freien Bauern, welche zumeist nicht mehr als 50 — 60 Acker besitzen, von
der Fabrik keine beschränkenden Vorschriften, sie bauen gleichfalls rothe
französische Sorten. Der Boden, welchen ich sah, war tiefgründiger
schwarzer Schlemmboden, zum Theil stark klumpend, demgemäss waren
auch einige sehr schlechte, lückenhafte und unregelmässig reifende Breiten
vorhanden. Die Pflanzzeit erstreckt sich hier ähnlich wie in Chino sehr
lange hin, vom Februar bis 1. Juni, die Campagne beginnt später als in
Chino, am 1. September, da die nördlichere Lage und der Ein-
fluss des nahen Meeres die Reife verzögert. Die später gepflanzten Rüben
werden in der Regel auch später verarbeitet, auch hier fällt 8 Monate
so gut wie kein Regen. Man baut, wie schon erwähnt, die Rüben auch
zwischen Obstbäumen und spart an Saat durch Einbringen nur eines
Knäuels in jedes Saatbeet. Man versuchte auch die Schnitzel als
Futter zu verwerthen, doch sieht es wie in ganz Californien misslich genug
damit aus, da das Land eben zur Stallviehwirthschaft noch nicht reif, und
ein fetter wohlschmeckender Ochse vom Weideland nur 60 Doli, werth ist.
29
Die Fabrik hat ein ungeheueres hoch eingezäuntes Terrain inne,
an den Eingängen ist gross angeschrieben: „Unter keinen Umständen ist
der Eintritt gestattet, fragen Sie nicht erst darnach."
Mit meinem Schreiben des Herrn Claus Spreckels durchschritt ich
trotzdem den weiten Hofraum, in welchem Stendal, Culmsee und
Opalinitza zusammen untergebracht werden könnten, und begab mich zu
dem Director, einem alten Raffineriepractiker, der die Fabrik mit zahl-
reichen trefflich durchdachten mechanischen Transportvorrichtungen ver-
sehen hat. Zunächst fallen drei ungeheuere Rübenschuppen, in welchen
die Schwemmrinnen laufen, in die Augen, welche so sehr lang angelegt
sind „um Arbeit zu sparen", drei artesische Brunnen liefern das Betriebs-
wasser. Man baute gerade ein kleines Hubrad, mit welchem Blätter
und Wurzeln abgefangen werden sollen. Die Maschinen der Fabrik sind
fast ausschliesslich von der Fabrik in Grevenbroich gebaut, es findet sich
die bei uns übliche Kammern wasche, zwei Diffusions- Batterien von je
zwölf kleinen Gefässen von vielleicht 25—30 Hectoliter Inhalt, auch
2 Quadrupleeffets, selbst eine doppelte Ausrüstung von Vacua's. Betreffs
des Betriebes ist bemerkenswerth, dass keine schweflig Säure -Saturation
vorgenommen wird, „da die schlimmen Folgen desselben gefürchtet
werden". Auffallend ist, dass hier wie in Chino wieder drei kleine
deutsche Kalköfen vorhanden sind, wie in Alvarado in einer hölzernen
Umhausung. Auch das Fabrikgebäude ist aus Holz errichtet. Die Fabrik
arbeitet mit Ausscheidung und stellt, um die Prämie auszunützen mit
Hülfe derselben nur Zucker von 89—91 Pol. her. Es wird also über-
haupt kein Erstproduct gewonnen, woraus, da nur eigene Melasse zur
Verarbeitung gelangt, auf recht schlechte Rüben zu schliessen ist. Zur
Ausübung der Ausscheidung fehlt es oft an genügend kaltem Wasser, man
hilft sich, indem man die Zuckerlösung') etwas concentrirter nimmt und
mehr Kalk anwendet.
Die Einrichtung des Laboratoriums ist äusserst unzulänglich, die
Chemie scheint hier nicht sonderlich geschätzt zu werden. Ein Rad, welches
an der Peripherie dreikantige Messer trägt, soll zur Analyse den sechsten
Theil der Rüben in der Längsrichtung ausschneiden. Es liegt auf der
Hand, dass auf diese Weise keine Durchschnittsproben zu gewinnen sind,
da der Schnitt bei kleinen Rüben über den Längsdurchmesser herausgreift,
bei grossen ihn nicht erreicht. Mit den Proben wird die Saftpolarisation
') Hierzu bemerke ich, dass Herr Dr. Stammer mich einige Zeit vor seinem
Tode bat, festzustellen ob das Ausscheidungsverfahren nicht auch in grösserer Con-
centration der Zuckerlösung, als die übliche durchführbar sei. Er zweifle nicht, dass
dies gehen müsse, das Verfahren sei überhaupt vom Erfinder durchaus mangelhaft
durchgearbeitet der Praxis übergeben worden. Andere dringende Arbeiten haben mich
bisher gehindert diesen Gedanken des Entschlafenen zu verfolgen.
30
vorgenommen, und mit 0,95 multiplicirt. — Obgleich die Fabrik so
stattlich dasteht und sie den Leuten durch ihre Grösse imponirt, glaube
ich nicht, dass sie billiger arbeitet, als die kleine, alte Fabrik in Alvarado.
Um Zahlen habe ich an diesem Ort nicht gebeten, sie wären auch nicht
massgebend, da durch den Bau von Eisenbahnen das riesige Rübenhaus ')
und die Ausscheidung, die Fabrik verhältnissmässig sehr theuer ist.
Der allgemeine Eindruck, den ich von der californischen Rüben-
zuckerindustrie mit hinweggenommen habe, ist der, dass zwar die Rüben in
dem Lande sehr gut gedeihen können, dass es aber in dem herrlichen Klima,
welches die menschliche Energie erschlaffen lässt, vorläufig, wie auch der
Ackerbauminister Herr Morton mir gegenüber hervorhob (vergl. Beschreibung
des Besuchs bei ihm weiter unten unter Nebraska) an Menschen fehlt,
welche ausser etwa durch ungewöhnlich hohen Gewinn sich zu
der mühsamen Arbeit des Rübenbaus verstehen. Die drei
Fabriken leben von der Prämie und würden mit derselben fallen,
selbst die hohe Prämie bildet aber gegenwärtig kaum genügenden Anreiz
zum Bau weiterer Fabriken. Der Grund liegt darin, dass erstens zur
Zeit der Unternehmungsgeist und Kapital fehlte und zweitens in der
Unsicherheit, welche man wegen des Fortbestehens der Prämie empfindet.
Sollte diese Unsicherheit beseitigt werden, so wäre es, falls die allgemeine
geschäftliche Lage sich bessert, wohl möglich, dass in naher Zeit noch
ein halbes Dutzend grosse Fabriken gebaut würden, um so mehr, als
bezüglich des Obst- und Weinbaus Ueberproduction bereits besteht und
derselbe in den nächsten Jahren immer weniger lohnend werden
mag. Damit, so sollte man annehmen, müsste die Neigung der Farmer
zum Rübenbau überzugehen wachsen. In Amerika, dem Lande der
üeberraschungen mag es auch wohl möglich sein, dass in naher Zeit —
wenn die Prämie erhalten bleibt — kapitalkräftige Gesellschaften entstehen,
welche Rübenzuckerfabriken errichten und es kann kein Zweifel sein, dass
als Standort für derartige Fabriken für die nächste Zeit Californien immer
in erster Linie in Betracht kommen wird. Haben wir deshalb
alle Veranlassung die weitere Entwickelung der Verhältnisse dort auf-
merksam zu betrachten, so ist doch anderseits Gewicht darauf zu legen,
dass alle unabhängigen Kenner der Verhältnisse des Landes, welche ich
drüben gesprochen, in erster Linie nenne ich den Ackerbauminister der
') Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die
Zahlen, welche der kaufmännische Üirector der Fabrik Herrn Prof. Paasche für
1888/89 gegeben hat, nicht genau mit denen übereinstimmen, welche die Fabrik auf Er-
suchen an das Departement of Agriculture gegeben hat, man vergleiche diese Zeitschrift
1893, Seite 825 und Wiley's Bulletin 27, S. 209. Man kann daraus wieder ersehen,
dass derartige Zahlenangaben sehr kritisch betrachtet werden müssen.
31
Vereinigten Staaten Herrn Morton (vergleiche weiter unten in diesem
Bericht), der deutsche Consul in San Francisco, ferner auch Herrn Mathiesson,
der Director der Sugar Refining Co., ja selbst Interessenten wie
Herr Claus Spreckels und Herr Director ßurr in Alvarado an eine
rasche Entwickelung der Rübenzuckerindustrie in Californien
selbst unter dem Schutz der enormen Prämie, welche dem Fabrikanten
die Rüben fast allein bezahlt macht, nicht glauben.
Die Rübenzuckerfabrik zu Lehi im Mormonenland,
22. August 1893.
Von San Francisco fuhr ich in etwa 60 stündiger Fahrt nach
Lehi, einem kleinen Ort von nur 3500 Einwohnern, wovon 3000 Mormonen
in Utah. Lehi liegt nur eine Eisenbahnstunde von Saltlake City entfernt.
Hohe Berge schliessen das friedliche Thal ein, auf welches ähnlich wie
in Californien 6 Monate im Jahre ununterbrochen des Tages der blaue
Himmel lacht, denn so lange fällt gewöhnlich kein Regen. In Folge
dessen ist hier die ßewirthschaftung der Felder nur mit Hülfe von
Berieselung möglich, auch die Zuckerrüben werden künstlich
bewässert.
In Alvarado hatte mir Herr Director Burr Empfehlungen an die
Fabrik von dort lebenden Mormonen verschafft, welche ich dem Director
Herrn Cutter und dem Betriebsführer übergab. Letzterer ist in Alva-
rado geboren, hat schon als Knabe Rüben verzogen und erzählte mit be-
rechtigtem Stolz, wie er vom Fabrikjungen zu seiniger jetzigen Stellung
aufgerückt sei. Die Fabrik hat in dieser Campagne 3347 Acker Rüben zur
Verfügung, welche bis auf 400 Acker eigenes Land von lauter kleinen
Leuten, die höchstens 30 Acker bauen, geliefert werden. Zahlreiche
artesische Brunnen liefern das Wasser zur Berieselung des fruchtbaren
Schwemmbodens, welcher sehr reich an Phosphorsäure aber arm an Stick-
stoff sein soll. Ende Juli oder Anfang August wird den Farmern das
Wasser knapp, was für die Entwickelung der Rüben ein Glück ist, denn die
Bauern lassen sich nicht abhalten, weiter zu rieseln, so lange es angeht.
Leider kommen aber im August manchmal schon Regenfälle, die der
Fabrikdirector fürchtete, weil sie die Reife zu sehr verzögern.
Die Saatzeit legt man möglichst früh, am liebsten Mitte April,
doch kommt oft Mitte Mai heran. Die Rüben werden ziemlich weit
gedrillt, beim Verziehen sehr dicht stehen gelassen und dann in Reihen
gehäufelt, um Furchen für das Rieselwasser zu gewinnen, so dass das
Feld ausschaut wie ein Futterrübenfeld. Auch hier werden keine Vor-
schriften für die Cultur ausgegeben, die Fabrik beschränkt sich darauf,
den Samen zu liefern, welcher wie in Californien zumeist französischer,
32
Deprez'scher, ist. Doch war auch ein Versuchsfeld mit recht gut ent-
wickelten Klein-Wanzlebener Originalrüben vorhanden. Die Rüben waren
schon recht gross und standen auch auf den Feldern, die wir befuhren, dicht
und ohne Lücken, dennoch rechnete man durchschnittlich hier nur auf
9 tons, im Einzelfalle auf höchstens 15 tons per Acker. Der Preis be-
trägt 5 DoU.i) die ton, Angebot zum Rübenbau, so sagte man mir, sei
gegenwärtig reichlich vorhanden, man hätte daher vielmehr als 3000 Acker
Rüben haben können, wenn die Fabrik nur gross genug wäre, eine solche
Menge zu verarbeiten. Sorge hegte man, ob die Rüben bis zum Beginn
der Campagne, etwa den 15. bis 20. September genügend reifen möchten;
augenblicklich war zumeist eine Seite der einzelnen Pflanzen viel reifer
als die andere. Nach Gehalt wird nicht bezahlt, doch werden allzugrosse
und unreife Rüben nicht abgenommen.
Das Verziehen wird durch Kinder besorgt, welche 75 cts. den Tag
erhalten; Arbeitskräfte sind in Hülle und Fülle vorhanden, da die Be-
völkerung dicht und gesund ist, und starke Familien mit reichem Kinder-
segen hier häufig sind. Der Vielweiberei, welche im Geheimen noch recht
verbreitet sein soll, verdankt man diesen Reichthum an Menschen. Der
Feldarbeiter erhält hier täglich excl. Kost 1,50 Doli., der Fabrikarbeiter
1,80 — 2 Doli.
Der Kohlenpreis wurde mir zu 3,75 Doli, die Tonne für sog. Weich-
kohle, welche etwa an Werth einer mittleren Braunkohle gleichkommen
mag, angegeben, der Kohlenverbrauch zu 13 7o vom Rübengewicht; sehr
theuer, 18 Doli, die Tonne, ist der Coke, von welchem 11 7o ^^ Kalk-
ofen gebraucht werden, der Kalkstein kostet 2 Doli, die Tonne. Die
Fabrik ist auf 350 tons täglicher Verarbeitung eingerichtet.
Gewonnen werden 8 V2 *^/ü weisse V^aare auf Rüben unter Einwurf
der Nachproducte. Die Unkosten zur Gewinnung des Zuckers gab man
zu 2,50 Doli, auf 100 Rübengewicht an, während Chino etwas billiger,
etwa zu 2 Doli, auf 100 Rüben arbeite. Dem gegenüber ist zu berück-
sichtigen , dass die Fabrik ausser der 2 Cent - Prämie der Vereinigten
Staaten noch 1 cent für jedes Pfund Zucker vom Staate Utah erhält.
Auch darf man nicht vergessen, dass Chino Füllmasse, nicht Zucker
herausbringt, und dass dort die vermuthliche Granulatedausbeute mit
mehr als 10 7o wahrscheinlich viel zu hoch angenommen ist, die Unkosten
') Dafür, dass bei diesem Preise verdient wird, werden auch hier die übliche
Berechnungen ausgeführt, bei denen die Gesammtunkosten per Acker zu 39,46 Doli,
die Erntemenge zu 12 tons, demgemäss der Ertrag zu 60 Doli, und der Nettoverdienst
zu 20,54 Doli, angegeben werden (vergl. das neueste im December 1893 ausgegebene
Bulletin der Universität Nebraska für 1892 S. 4:0). Wie wiederholt hervorgehoben,
haben meiner Aussicht nach derartige Berechnungen nur sehr geringen Werth, da
die Erntemengen willkürlich genommen und meist zu hoch gegriffen sind.
33
also zu niedrig berechnet werden. Dass die Fabrik gegenwärtig verdient,
wie die Besitzer angeben, ist nicht zu bezweifeln, ebenso darf man aber
ihrer Versicherung Glauben schenken, dass mit dem Aufhören der Staats-
prämie auch ihre Stunde geschlagen haben würde.
Die Fabrik ist ganz massiv und gewährt einen hübschen, schloss-
ähnlichen Anblick, leider ist der Raum innen sehr beengt und gar kein
Platz für die in Aussicht genommene Vergrösserung vorhanden. Auch
hier sind drei grosse bedeckte Rübenhäuser mit Schwemmen aufgebaut,,
die im October jedoch vorübergehend nicht ausreichen, man will deshalb
einen Versuch mit Erdmieten machen.
Das Anschlussgleise der Eisenbahn führt direct in die Rüben-
schuppen, welche wie die Schwemmrinnen aus Holz sind. Die Maschinen
sind hier fast sämmtlich in Amerika gebaut, sie stammen bis auf
einige Hallische Pressen von Dyer in Cleveland. Die Apparate sehen
zum Theil recht plump aus, sind aber modern eingerichtet. Aus der
Schwemme werden die Rüben durch ein kleines perforirtes Hubrad in
eine offene Quirlwäsche mit Steinfänger gehoben. Die mit Dachrippen-
messer hergestellten Schnitzel werden in einer kreisrund aufgestellten
Batterie von 12 Gefässen ä circa 30 Hectoliter mit mächtiger unterer
Oeftnung zur Entleerung ausgelaugt. Den hydraulischen Verschluss be-
sorgt ein Mann durch Hebeldruck, welcher gleichzeitig die Batterie zu
besorgen hat und durch einen zweiten Hebelarm die Saftzufuhr aus dem
Messgefäss nach den Scheidepfannen besorgt.
Es werden 3 Dünnsaftsaturationen vorgenommen, 2 mit Kohlen-,
die dritte mit schwefliger Säure bis auf mindestens 0,01 Alkalität, doch
fürchtet man schwache Säuerung auch nicht sehr, da die Melasse doch
nicht zu verwerthen ist und man vor allem klares Korn erstrebt. Für die
Kohlensäuresaturationen sind wie in Chino nur 2 lange Pressen vorhanden.
Den Schlamm von der Schwefligsäurearbeit nimmt eine ungeschickte
amerikanische Presse mit scharfen Ecken auf. Die zu einem Quadrupleeffet
vereinigten Verdampfapparate sind den Jellineck'schen nachgeahmt, das
Vacuum gross und mit weiter Oeffnung, steht nach amerikanischer Sitte
über der Trogmaische, unter der sich die Centrifugen befinden. Die
Nachproductfüllmasse wird entweder in grosse transportable Kästen
ausgedrückt, oder durch Röhren direct nach tiefen eisernen Bassins ge-
leitet und von letzteren nach den Centrifugen gepumpt, was übrigens in
Watsonville noch schöner ausgebildet ist. Diese Disposition des Füll-
masseraumes in den amerikanischen Fabriken sei wegen ihrer Einfachheit
der Aufmerksamkeit der Leser besonders empfohlen. In Deutschland
habe ich ähnliches bisher nur vereinzelt gesehen. — Auch hier standen
die Nachproducte unter Steuerverschluss.
Der Kalkofen, gleichfalls in hölzerner ümhäusung ist hier fast zu
3
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gross, man scheidet mit 2—3 ^/^ Kalk als Kalkmilch. Der Kalkstein
soll gut sein, angeblich 99 \' 2 Vo kohlensaurem Kalk haltend, doch ist
dabei wohl die Magnesia nicht berücksichtigt, ich hielt ihn für dolo-
mitischen Ursprungs.
Die Fabrik liegt entzückend in dem fruchtbaren Thal von blauen
Bergen umgeben, direct dabei ein stattlicher, krystallklarer, quellenreicher
süsser See, dem sie das Betriebswasser entnimmt. Der Abfluss dieses
Sees geht nach dem bekannten Salzsee, nach welchem Salt Lake City
benannt ist. Aber der freie Blick wurde gestört durch eine eigenthümliche,
hoch gelegene breite Rinne aus Holz, welche von der Fabrik nach dem
mehrere hundert Schritt entfernten Seeufer führte. Langsam arbeitete
eine Pumpe, welche einen dicken schwärzlichen Strom nach der Rinne
beförderte, es war die Melasse der Fabrik. Man freute sich zwar, sie so
einfach los zu werden, dennoch erfüllte uns der Anblick mit Wehmuth.
Auch die ausgelaugten Schnitzel können hier in keiner Weise verwerthet
werden.
Wie schon erwähnt, ist daran nicht zu zweifeln, dass lediglich in
Folge der hohen Prämien die Fabrik gegenwärtig Geld verdient — die
Unsicherheit, welche bezüglich der Erhaltung der Prämie herrscht, würde
also allein genügen, von der Errichtung weiterer Zuckerfabriken in Utah
abzuschrecken. Ein fernerer Grund dafür liegt aber darin, dass über-
haupt culturfähiges Land nicht mehr im Uebermass vorhanden ist,
sondern die dichte ländliche Bevölkerung die zur Verfügung stehende
Fläche für nothwendigere Bedürfnisse nicht entbehren kann und endlich
der Zuckerrübenanbau mittelst Rieselwirthschaft doch eine missliche
Sache bleibt. Bei der ünbedeutendheit, welche die Zuckerindustrie bis
jetzt in Utah noch hat, bitte ich den Leser mir zu erlassen, diese An-
sicht durch statistische Belege näher zu begründen.
Ich verabschiedete mich von Lehi, äusserst sympatisch berührt von
dem einfachen Wesen der Mormonen. Professor Cutter von der Universität
Utah, der zufällig in der Zuckerfabrik mit mir zusammengetroffen war,
begleitete mich nach Saltlake City. Hier sind zahlreiche Schmelzhütten
für Edelmetalle und metallurgische Laboratorien, von denen ich eines
besuchte. Die Einrichtungen waren die gleichen wie in ähnlichen
Instituten in Deutschland. Professor Cutter zeigte mir alle die An-
ziehungspunkte Saltlake's City, die Wohnung des Propheten Brigham
Young, den stattlichen Palast seiner Lieblingsfrau und geleitete mich auch
hinaus auf der Eisenbahn nach dem mehrere Stunden von der Stadt
gelegenen Salzsee. In lang hingestreckten Bassins gewinnt man hier
das Kochsalz durch Verdunsten des Wassers, ähnlich wie in den Salz-
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gärten am- mittelländischen Meer. In den See hinein ist auf hölzernen
Rampen eine Rotunde gebaut, der Vergnügungsort der Mormonen „Salz-
luft" genannt. Tausende, Gross und Klein, Männer, Frauen und Kinder
tummeln sich hier durcheinander in der salzigen Fluth, ein Anblick, wie
er nur einmal in der Welt zu haben ist. Das Wasser ist in Folge des
Salzgehaltes specifisch so schwer, dass Schwimmen unmöglich ist, weil
der Oberkörper zu weit aus dem Wasser ragt und der Schwimmer deshalb
umkippt. Nur die Damen, welche hier zu Lande so weit gehende Vor-
rechte haben , geniessen dass Vergnügen , indem sie sich von ihrem
männlichen Begleiter an beiden Schultern fassen und daran nieder-
gedrückt durch's Wasser ziehen lassen. Als wir von dem Ausfluge nach
Saltlake City zurückgekehrt waren, erhielt Professor Cutter die freudige
Nachricht, dass er als Bibliothekar nach dem landwirthschaftlichen
Ministerium in Washington berufen worden sei. Dort sah ich ihn
wenige Wochen später wieder, nachdem ich in der Zwischenzeit Grand
Island, Sioux City, Lincoln, Topea und Sanct Louis besucht hatte.
üeber die Fortsetzung meiner Reise berichte ich weiter unten unter dem
Titel Nebraska.
Nebraska.
In Nebraska bestehen zur Zeit 2 Zuckerfabriken in Norfolk und
Grand Island. Daselbst sind schon seit Jahren durch Prof. Nicholson
an der Universität zu Lincoln Versuche mit Zuckerrübenbau i) angestellt
worden und 1891 wurde an der Station der Union Pacific -Bahn
Schuyler eine Versuchsstation für Rübenbau angelegt, die von den Ver-
einigten Staaten unterhalten wird. Die Gründe, welche zur Anlage der
Station an dieser Stelle führten, bestanden darin, dass „bereits Zucker-
fabriken in dem Staat existirten und dass Boden und Klima für eine
derartige Station günstig scheine". In der That war zur Zeit, als wir
uns auf die Reise begaben, auch in Europa noch die auf zahlreiche Berichte
gestützte Ansicht verbreitet, dass Nebraska derjenige Punkt der Vereinigten
Staaten wäre, von wo am ehesten eine rasche Entwickelung der Rüben-
zuckerindustrie ausgehen könnte. Ich habe mich deshalb mit den Ver-
hältnissen dieses Landes besonders beschäftigt. Besucht wurden die beiden
Fabriken zu Norfolk (an der Besichtigung nahm Herr Dr. Bartz Theil)
und Grand Island, ferner der Haupthandelsplatz Omaha und die Haupt-
und Universitätsstadt Lincoln mit den früher unter Aufsicht des Herrn
Prof. Nicholson^) stehenden Versuchsfeldern.
^) yergl. Berichte der Versuchstation in Lincoln 1890 und folgende Jahre.
*) Prof. Nicholson hat die Versuchsstation neuerdings abgegeben und nur die
chemische Professur der Staatsuniversität Lincoln inne.
Nebraska wird Östlich von dem mächtigen MissouriÖusse, im Westen
von den beginnenden Anhöhen der Rocky Montains begrenzt, im Norden
stösst es an Dacota, im Süden an das fruchtbare Kansas. Der 3575 deutsche
Quadratmeilen grosse Staat besitzt heute angeblich P/2 Millionen Ein-
wohner, während er vor 30 Jahren noch das fast ausschliessliche Eigen-
thum der Indianer war. Das Hauptproduct des Landes ist der Mais,
womit 1891 4600000 Acker bestellt waren.
Das Klima ist im allgemeinen nicht ungünstig, zeichnet sich aber
durch grosse Unsicherheit und unerwartete Wechselfälle aus. Zu bemerken
ist, dass strichweise oft auf Entfernungen von nicht mehr als 100 engl.
Meilen grosse Unterschiede obwalten, die Flussthäler sind im allgemeinen
dem Rübenbau günstiger als höher gelegene Landstrecken. Im April ver-
zögert sich die Saatzeit nicht selten durch schwere Schneestürme, dem
nassen Frühjahr folgte häufig entsetzliche Dürre, nur unterbrochen durch
furchtbare Stürme, welche nicht nur Rübensaat, sondern auch die jungen
Pflanzen mif fortführen. In Folge der heftigen Winde mussten deshalb
in Grand Island sowohl als in Norfolk grosse Flächen zwei, ja selbst drei
mal mit Rüben neu bestellt werden.
Der Frost tritt sehr plötzlich und oft unerwartet früh ein, 1891
schon am 23. und 24. August, regelmässig aber fast in der zweiten Hälfte
des Septembers. In Folge der wechselnden Witterung im Spätherbst ist
es schwierig, die Rübenmieten richtig zu bedecken und gar leicht treten
starke Zuckerverluste bei warmer Witterung ein, wenn die Bedeckung
zu stark ist.
Uober die meteorologischen Verhältnisse liegen sehr ausführliche
und sorgfältige Beobachtungen von Prof. Nicholson ^ vor. Von dem
Abdruck seiner instructiven Regen- und Temperaturkarten, in welchen
die Verhältnisse in Deutschland (Halle a/S.), Frankreich (Cambray) und
Nebraska verglichen werden, sehe ich ab. Ich begnüge mich anzuführen,
dass daraus hervorgeht, dass es in Nebraska zwar im Sommer heisser ist,
als bei uns, dass aber dafür etwas mehr Regen fällt; doch ist .die Menge
der sonnigen Tage etwa um 1/3 grösser, was auf heftigere Regengüsse
schliessen lässt Uebrigens spricht auch Prof. Nicholson selbst aus,
dass allgemein meteorologische Betrachtungen die Frage, ob das
Klima dem Rübenbau günstig sei, nicht entscheiden können, sondern
allein die Erfahrung durch das Experiment. Ich führe also nur kurz an,
nach dem Bericht der Versuchsstation in Schuyler, dass die Regenmenge
in englischen Zahlen daselbst betrug
Mai Juni Juli August Septemb. Octob. Insgesammt
1892 6,62 0,50 2,50 3,36 0,28 1,00 14,26
1891 1,38 11,59 6,71 2,22 0,84 3,92 26,61
*) Loc. cit.
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Nach den officiellen Angaben war in ganz Nebraska die Kegen-
menge 1892 im Mai 3,50, Juni 3,68, Juli 3,09, August 2,96, September
1,57, October 1,50, insgesammt 16,30, es bestätigt sich also, dass an
einzelnen Plätzen grosse Verschiedenheiten obwalten können.
Die Temperatur betrug in Grad Fahrenheit.
Mai Juni Juli August Septemb. October
1892 55,3 66,6 75,0 72,85 66,56 56,3
1891 59,0 68,4 69,9 70,20 65,10 47,6
dies giebt in Graden Celsius eine Durchschnittstemperatur von 1 2,036 <^
für 1892 und 11,65P für 1891.
1892 war in Schuyler die Temperatur bedeutend über normal
(11,548") und die Regenmenge blieb unter normal, sie betrug nur etwas
mehr als die Hälfte als 1891. Im Juni und Juli, wo ßegen so nöthig,
war die Menge nur minimal, was der Entwickelung der Rüben sehr un-
günstig war.
Die kalten Wintertage werden nicht selten durch furchtbare Schnee-
stürme, die sogen. Blizzards, welche aus den nördlichen Regionen überraschend
hereinbrausen, unterbrochen. Wehe dem Farmer, der alsdann nicht
rechtzeitig das schützende Dach erreicht, wenige Stunden nach Ausbruch
des Sturmes ist dann Mann und Vieh verloren, getödtet durch die furcht-
bare Kälte und die in die Lungen gelangenden Eiskryställchen.
Die Bodenbeschaffenheit Nebraskas ist wechselnd. Der grösste
Theil des Terrains ist wellenförmig, nur hier und da von höheren Kuppeln
überragt, nach Wyoming zu steigt das Land stark an. Meist besteht
es in den Thälern und an den Abhängen aus fruchtbarem Löss, die
höher gelegenen Stücke sind oft sandig, doch überwiegt der gute
Boden besonders in den zahlreichen Flussthälern, wo ein humoser tief-
gründiger Lehm vorherrscht. Fast überall hat in Jahrtausende altem
Wachsthum das absterbende Prairiegras stickstoffreichen Humus im
Boden angehäuft, welcher trotzdem zumeist durchlässig und leicht
geblieben ist. An den höher gelegenen Stellen herrscht Trockenheit, es
wird aber oft auf die Möglichkeit hingewiesen, sie grösstentheils in
Anbetracht des Reichthums des Landes an Wasser, durch Rieselung
culturfähig zu machen.
Die Vorstellung, dass es sich hier zu Lande im allgemeinen
um einen nahezu unerschöpflichen Culturboden handele, der
auf viele Jahre keine Düngung bedürfe, Hessen wir alsbald
fallen, nachdem wir in Norfolk an einigen Stellen in die Ackererde
eingebohrt hatten, zumeist verschwindet schon in geringer Tiefe die
dunkle Färbung, das Anzeichen des Humusgehalts und macht der Natur-
farbe des Lehms oder Sandes Platz. Für die Zusammensetzung des
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Prairiebodens, welcher das bessere Rübenland in Nebraska vorslellt, geben
folgende Analysen der Versuchsstation zu Schuyler einige Beispiele.
Feld A. Feld B.
1. IL I. IL
Feuchtigkeit 2,01 1,93 1,84 1,73
Organisches 6,64 6,13 5,20 5,10
Unlösliches 81,14 82,11 81,80 82,19
Eisenoxyd 3,11 2,99 4,16 4,12
Thonerde 3,19 3,26 3,98 4,02
Kalk (CaO) 0,72 0,68 0,52 0,44
Magnesia 0,82 0,80 0,73 0,75
Natron Spur Spur Spur Spur
Kali 0,59 0,61 0,57 0,58
Phosphorsäure 0,04 0,03 0,03 0,04
Schwefelsäure 0,004 0,006 0,008 0,003
Chlor 0,020 0,014 0,019 0,012
Kohlensäure 0,420 1,620 1,520 1,270
Stickstoff 0,28 0,25 0,28 0,25
An diesen Zahlen fällt der geringe Gehalt an schwefelsauren Salzen, vor
allem aber der ganz kollossal hohe Stickstoffgehalt und die verhältnissmässig
geringe Menge Phosphorsäure in die Augen. Es ist jedoch nicht zu be-
zweifeln, dass es sich hier um Analysen der besten in Nebraska befind-
lichen Böden handelt und dass die Zahlen nicht etwa die durchschnitt-
liche Zusammensetzung des cultivirten Landes darstellen. Dies erhellt
unter anderem aus den Stickstoff- und Phosphorsäurezahlen einiger von
Nicholson 1) (loco cit. I, S. 53 seines Berichtes) aufgeführten Analysen.
Bodenanalysen aus Nebraska.
1. Dawes 2. Cherry 3. Brown 4. Antilope 5. Saunders 6.Hamilton
County County County County County County
Phosphorsäure . 0,822 0,0623 0,0620 0,0399 0,1127 0,0947
Stickstoff 0,0840 0,0560 0,0735 0,0630 0,0700 0,0680
Man findet hier keine Stickstoffzahl, welche an die in Schuyler er-
mittelten heranreicht.
1892 sollen 4 981754 Acker Mais') gebaut worden sein, welcher
grösstentheils zu Viehfutter dient, nur 24 295 000 Busheis von der auf
157 145 000 Bushel geschätzten Ernte wurden als Korn ausgeführt. Die
Kosten des Anbaus werden amtlich auf 4,13 bis 8,87 Doli, per Acker ge-
schätzt, die Ernte schwankt zwischen 25 und 60 Busheis per Acker. Bei
einem Preise von 25-30 cent per Bushel, ja an manchen Stellen von
nur 26 cent, bleibt dem Farmer, der mit einem Zinsfuss von nicht unter
•) Diese Daten sind dem kleinen Büchelchen über Nebraska entnommen, welches
den Besuchern der Weltausstellung in Chicago von Staatswegen unentgeltlich zur
Verfügung gestellt wurde. - . :
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7, häufig 8 und mehr Procent zu rechnen hat, nichts übrig, wenn er
Mais ausführt 0, es ergiebt sich aber noch eine je nach den Verhältnissen
grössere oder geringere Rentabilität, wenn der Mais verfüttert also auf
Fleischausfuhr gearbeitet wird. Der Weizenbau ist, wie in den
meisten Staaten in Nebraska in den letzten Jahren zurückgegangen.
1892 sollen 1 229 665 Acker damit bestellt gewesen sein, die 1891 er Ernte
wird zu 18 000 000 Bushel ^) angegeben. Neuerdings wird die Cultur
von Wintergetreide warm empfohlen, während die Mehrzahl der Farmer
hier wie im nördlichen Jowa und Süddacota ausschliesslich Sommer-
getreide baut.
Von anderen Feldfrüchten werden Hafer, Roggen, Hirse und Gerste
cultivirt, auch den Tabak- und Cichorienbau sucht man einzuführön,
letzteren mit dem Hinweis darauf, dass der augenblickliche Cichorien-
import nach den Vereinigten Staaten jährlich einen Werth von 8000000 Doli,
darstellt. Mit der Obstcultur ist man besonders im Missourithal nicht
ohne Erfolg vorgegangen, Pfirsiche, freilich nicht so gross wie die Cali-
fornischen, Weintrauben, Aepfel und Pflaumen werden soviel erzeugt,
dass eine nicht unbedeutende Menge zur Ausfuhr gelangen kann. Das
Pflanzen der Obstbäume sowie auch von anderen Nutzhölzern oder auch
nur Schatten werfenden Bäumen hat sich als grosser Segen für die ur-
sprünglich baumlose, im Hochsommer entsetzlich heisse Prairie erwiesen.
Es ist das bleibende Verdienst des gegenwärtigen Landwirthschafts-
ministers in Washington, des Herrn J. Sterling Morton, welcher aus
Nebraska stammt, das allgemeine Interesse am Baumpflanzen erregt zu
haben. Die Constitution des Staates Nebraska bestimmt, dass, sofern ein
Stück Land dadurch an Werth gewinnt, dass es^ von einem lebendigen
Zaun von Frucht- und Waldbäumen umgeben wird, der Mehrwerth bei
der Veranlagung zur Besteuerung ausser Betracht zu lassen ist. Ein
Staatengesetz ermässigt den Taxwerth des Ackers Fruchtbäume für fünf
Jahre um 100 Doli, und des Ackers Waldbäume um 50 Doli., ferner ge-
messen besondere Vergünstigungen die Eigenthümer, welche Bäume an
öffentlichen, an ihrem Besitze vorbeiführenden Strassen pflanzen. Der
schönste Festtag im Lande ist der Arbeitstag, an welchem alljährlich
Hunderttausende von Bäumen gepflanzt werden, leider geht ein grosser
Theil davon nicht selten durch die Hitze oder weil das hohe Prairiegras
und Unkraut sie erstickt, wieder ein.
Den ersten Bang nimmt im Lande aber immer noch die auf zahl-
reiche Weiden und den Maisbau sich stützende Viehzucht ein.
^) Dies dürfte besonders für dieses Jahr zutreffen, da nach dem mir soeben
zugehenden Bulletin 120 des Departement of Agriculture Nebraska in Mais eine
sehr schlechte, beinahe als Missernte zu bezeichnende Ernte eingebracht hat.
2) Kansas producirte 1891 60000000, Jowa 28500000 Bushel Weizen.
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Die letzte Steuereinschätzung ergab:
Zahl Werth
Pferde .... 640088 847650
Eindvieh . . . 1643174 6438 352
Schafe .... 142946 140500
Schweine . . . 1296 433 1320675
Um das Bild vollständig zu machen, erwähnen wir noch die nicht
unbedeutende Bienenzucht^) mit 300 000 Pfund Honigproduction im
Jahre 1892, die man weiter zu heben bestrebt ist. Fische sind in den
zahlreichen Gewässern noch reichlich vorhanden und Schildkröten tummeln
sich munter darin herum. Der Büffel und anderes grösseres Wild ist
gänzlich ausgerottet, aber die wohlschmeckenclen Präriehühner, Wachteln,
wilde Tauben, Schnepfen und wilde Enten sind noch in grosser Zahl
vorhanden. Wer den Genuss einer ertragreichen Jagd haben will, muss
freilich weit aus den Städten hinauswandern, nur im Anfang der Jagd-
zeit wird er in der Nähe derselben noch Wild finden. Dann steht es
jedermann frei zu jagen und aus reiner Mordlust schiessen die Städter
alles nieder, was vor ihr Rohr kommt. Erwähnen wir noch, dass das
Land auch eine, wenn auch noch lange nicht zu voller Entwickelung
gelangte Minenindustrie besitzt. Der Werth der von der Omaha-Schmelz-
hüttengesellschaft ausgearbeiteten Metalle, Silber, Blei, Gold und Kupfer
wird für 1890 zu 17769000 Dollar angegeben. Omaha, der grösste
Stapelplatz des Landes, liegt am Missouri und ist in raschem Wachsthum
begriffen, 1860 hatte die Stadt nur 1861 Einwohner, gegenwärtig zählt
man über 140000. Die nächst grösste Stadt ist die Hauptstadt Lincoln
mit 55000 Einwohner, während die uns als Sitz von Zuckerfabriken be-
sonders interessirenden Städtchen Norfolk und Grand Island nur von
3000 bezw. 7500 Menschen bewohnt sind.
Nach diesen mehr allgemeinen einleitenden Bemerkungen gehe ich
zu einer speciellen Beschreibung der Reiseerlebnisse in Nebraska über.
1. Norfolk, den 23. Juli 1893.
Unser Weg führte uns von Davenport in Jowa, wo wir die Stärke-
zuckerfabrik besichtigt hatten, über Council-Bluffs, Omaha, Columbus^)
auf den Linien der Union Pacific Eisenbahn nach Norfolk. Auf der
^) Danach heisst die bedeutendste Zeitung des Landes, welche täglich einen
eigenen Eisenbahnzug zwischen Omaha und Lincoln laufen lässt, die Omaha-„Bicne".
2) Den nächsten Weg von Oraaha nach Norfolk bietet die Missouri- Valley-
Eisenbahn, welche auch wir zu benutzen gedachten. Für amerikanische Eisenbahn-
verhältnisse charakteristisch ist das nachstehende Reiseabenteuer:
Wir hatten durch hin- und hergehende Correspondcnz mit Herrn von der Luhe
den Termin unserer Ankunft in Norfolk auf Sonntag Vormittag festgesetzt und be-^
absichtigten zu diesem Behuf Sonnabend Abend in Davenport aufzubrechen und Sonntag
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Reise ' von Omaha nach Columbus passirten wir die stattliche Rüben-
Versuchsstation zu Schuyler, hielten uns daselbst aber nicht auf, da wir
schon in Chicago erfahren hatten, dass dieselbe auf den Aussterbeetat
gesetzt sei. (Vergl. die Unterredung mit dem Ackerbauminister Herrn
Morton weiter unten in diesem Bericht).
Von Columbus aus zeigten sich zu beiden Seiten der Eisenbahn
bereits einige ziemlich ausgedehnte Rübenbreiten, welche gut bestanden
waren. In Norfolk wurden wir von dem Superintendenten der Fabrik
Herrn von der Luhe, einem ehemaligen Schüler des Vereinslaboratoriums
und dem landwirthschaftlichen Administrator Herrn Wietzer, einem
sächsischen Landwirth, welcher die Farmer der Umgegend erfolgreich
in die Rübencultur eingeführt hat, freundlichst empfangen und geführt.
Wir kamen Abends am 23. Juli an und am 24. Juli in aller Frühe
brachen wir gemeinschaftlich mit den genannten nach den Rübenfeldern
auf. Die Nacht war entsetzlich heiss gewesen und am 24. August zeigte
das Thermometer 37" C. im Schatten. Wochenlang hatte es nicht
geregnet, kein Lüftchen regte sich, nur dadurch, dass die schnellen und
ausdauernden Nebraskaer Pferde, die unser Gefährt zogen, zu raschem
früh in aller Frühe Omaha mit der Missouri-Valleybahn zu verlassen. Man belehrte
uns aber in Davenport, dass auf dieser Bahn Sonntags keine Züge gingen und
in der That zeigte das officielle Coursbuch eine dahin gehende Bemerkung, die wir
übersehen hatten, es wurde uns auch die gleiche Auskunft am Schalter zu Theil. Infolge
dessen änderten wir unseren Plan und fuhren von Omaha auf dem Umwege über
Columbus nach Norfolk. Auf letzterer Strecke gingen nach dem officiellen Ausweis
die Züge Sonntags, wir hatten aber in Columbus 7 Stunden Aufenthalt. Hier lernten
wir zum ersten Mal die Schattenseiten der Hotels des Westens kennen. Es war
drückend heiss, wir flüchteten in das beste Gasthaus des Ortes. Weder Bier, Wein,
noch irgend welche geistige Getränke dürfen in den Hotels verabreicht werden,
heimlich tranken wir aber im Speisezimmer nach Schluss der Mahlzeitstunde einige
Flaschen Bier. Ein Landsmann hatte unser Pariiren angehört und bewirthete uns
damit, nachdem er das Bier eigenhändig vom Kaufmann geholt hatte! Er belehrte
uns, dass alle amerikanischen Coursbücher unzuverlässig seien und dass man richtige
Angaben über die Fahrzeit der Züge nur aus den grösseren Tageszeitungen ent-
nehmen könne, in denen die Eisenbahnagenten täglich annonciren. Aus der „Omaha
Biene" konnte er uns denn auch sofort nachweisen, dass neuerdings auf der Missouri-
Valleybahn Sonntags die Züge gingen. Unser Aerger war gross, es Hess sich
aber nichts ändern und wir mussten den Rest unserer Zeit zwischen den Tabak
speienden Herren in dem Vorflur des Hotels, der einzige Raum, der dem Gast zur
Verfügung steht, zubringen und bei der Ankunft in Norfolk, die erst spät Abends
erfolgte noch gut gemeinten Spott ertragen. — Es versteht sich, dass wir in Zukunft
keinem amerikanischen Coursbuch mehr vertrauten, sondern die Zeitungen studirten.
So zweckmässig und nachahmenswerth mir vieles an den amerikanischen Eisenbahn-
verkehrseinrichtungen scheint, so möchte ich bei dieser Gelegenheit doch auf den
Uebelstand hinweisen, dass man wegen der Unzuverlässigkeit der Coursbücher bei
grösseren Reisen niemals die Stunde der Ankunft mit einiger Sicherheit voraus-
bestimmen kann.
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Lauf angetrieben wurden, wurde ein kühlender Luftzug für die Insassen
des allseitig offenen, oberhalb bedeckten Wagens erzeugt. Ohne das
Dach hätten wir Europäer die Fahrt ohne ernstlichen Schaden zu nehmen,
wohl schwerlich überstanden, welche unseren Führern aber nichts unge-
wohntes war, denn seit Wochen herrschte dieselbe Hitze und sie empfanden
dieselbe bereits nicht mehr wie wir. Pfeilschnell flogen die Pferde
dahin, eine dicke Wolke trockenen Staubs aufwirbelnd, unerbittlich
wurden sie augetrieben, wenn sie Spuren von Ermattung zeigten. Was
gilt im weiten Westen, wo schon das Menschenleben gering geachtet
wird, ein Pferd, wenn es nicht von besonders edler Race ist! In
Nebraska speciell, ist gegenwärtig solcher Ueberfluss des Landesschlages
vorhanden, dass die Preise spottbillig sind, schon für 5 Doli, versicherte
Herr Wietzer, seien solche käuflich zu haben.
Einige Rübenfelder standen recht gut, und waren Dank der Fürsorge
des Administrators so trefflich in Cultur, dass man sich in die frucht-
barsten und hochcultivirtesten Theile Deutschlands versetzt glauben konnte,
andere waren recht lückenhaft oder im Wachsthum zurück. Wir erfuhren,
dass die letzteren später bestellt seien, da die Frühjahrsstürme ein-, ja,
zweimal die Saat wie selbst die jungen Pflanzen davonwirbelten. Im
Gegensatz zu der Trockenheit der Wege, an denen die als Unkraut jeden
Prairieweg einzäunenden Sonnenrosen matt die Köpfe hängen Hessen, sahen
die Rüben leidlich frisch aus. Herr Wietzer zeigte uns, dass die oberen
Theile der Ackerkrume zwar staubförmig trocken, 2 — 3 Zoll tief der Boden
aber ganz feucht war, und erklärte dies aus der hügeligen Beschaffenheit
des Landes, wodurch den tieferen Theilen Feuchtigkeit von den Abhängen
zugeführt wird. Regen schien trotzdem dringend wünschenswerth, trat
auch bald nach unserer Abreise ein. Das Land, auf welchem die Rüben
gebaut waren, war theils seit Jahren in Cultur, theils eben erst urbar
gemacht, was in dem steinfreien Prairieboden leicht von Statten geht.
Mit einem ümschlagspflug wirft man im Herbst die Ackerkrume um, wodurch
die Wurzeln des Grases nach oben gelangen und absterben, im folgenden
Frühjahre wird dann bereits mit Mais oder besser direct mit Rüben bestellt.
Die erste Ernte ist häufig auch deshalb ertragreicher als die folgenden,
weil das Neuland zunächst frei von Unkraut ist. Bei nachlässiger fernerer
Behandlung überwuchert dasselbe aber bald, die meisten Felder gewähren
alsdann für ein europäisches Auge den Anblick trostloser Verwahrlosung.
Wir bohrten mit dem Erdbohrer auf einer Rübenbreite ein und blieben,
so tief als wir eindringen konnten, im Lehm, welcher frei von Humus
war. Im Weiterfahren passirten wir zahlreiche Rübenfelder, alle trefflich
bestellt, ein ehrendes Zeugniss für die Thätigkeit des Herrn Wietzer,
unseres sächsischen Landsmannes. Wir versuchten, an der Blattform und
dem Habitus der Wurzel die Racen auszufinden und unterschieden
43
mit Leichtigkeit Rüben Klein- Wanzlebener, Dippe'scher und Französischer
(Deprez) Abkunft. Die deutschen Rüben hatten ihre Raceeigenthümlich-
keiten bewahrt, die Wurzelbildung war musterhaft, ohne Verästelung, das
Fleisch fest und weiss, die Zahl der Blattringe, die Kopfbildung und die
Form der ganzen Pflanze normal. Späterhin ist die Entwickelung der
Pflanzen jedoch nicht so vortheilhaft weiter verlaufen, ungünstige Witterungs-
verhältnisse haben die Reife verzögert, und die Ernte hat schliesslich
nicht recht befriedigt.
Wir fuhren in nordwestlicher Richtung und kreuzten die Eisenbahn,
massenhaft wucherte die Kleeseide zu beiden Seiten des Weges, ihrer Ver-
breitung schauen die Farmer müssig zu. Auf etwas höher gelegenem
Terrain setzten wir abermals den Erdbohrer in Bewegung, der Boden war
hier leichter, der Untergrund reiner Sand, die Rüben in Folge der Trocken-
heit welk und klein. Unterdessen war die Mittagsstunde herangenaht,
Menschen und Thiere von der Hitze erschlafft, und wir lenkten deshalb
unser Gefährt nach der nahen Stadt Pierce (5 — 600 Einwohner), wo wir
Rast machten. Die Pferde wurden einem der allerorts befindlichen Leih-
ställe übergeben — die Stadtbewohner haben zumeist ihre Thiere in
dieser Weise untergebracht, da es viel zu theuer kommen würde, sich
einen eigenen Stall oder gar Kutscher zu halten, sorgfältige Pflege lässt
der Amerikaner den nützlichen Hausthieren überhaupt nicht angedeihen.
Wir selbst stiegen im Hotel ab. Ein sonderbarer Aufenthalt, dieses Hotel,
welches in demselben Raum eine Barbierstube, das Sprechzimmer und den
Speiseraum vereinigte. Während der schmutzige , schwarze Barbier
seine Kunden bediente, Hessen wir uns zum Mahl nieder; eigenthümlicher
noch als im Eisenbahnwagen berührte es uns, vom Wirthe mit Ein-
wohnern des Städtchens in der Arbeiterblouse auf gleicher Stufe behandelt
zu werden. Das Essen ist, wie allerwärts, reichlich und gut, die Zu-
bereitung etwas primitiv und nomadenhaft. Nur mit Schwierigkeit fanden
wir uns darein, die im ganzen gekochten und mit Butter bestrichenen
süssen Maiskolben mit beiden Händen durch die Zähne zu ziehen, um die
Körner herauszuessen. Bald nach Tisch brachen wir auf, um auf einem
südlicheren Wege nach Norfolk zurückzukehren. Die Sonne brannte uner-
träglich, der Staub hüllte uns ein, im vorderen Theile des Wagens er-
hitzte sich die eine Seite des darin Sitzenden so, dass es eine Wohlthat
war, den Platz wechseln zu können. Wir passirten mehrere Gehöfte, von
schattigen Bäumen umgeben, theils mit freundlichen, gut erhaltenen
Wohnungen und schlechten Stallungen, theils mit guten Stallungen und
mangelhaften Wohngebäuden. Unsere Führer erklärten uns, dass an dem
Aeusseren die Herkunft des Inhabers erkannt werden könne, der Ameri-
kaner sorgt vor allem für ein- stattliches Wohnhaus, der Deutsche denkt
zuerst an sein Vieh und seine Landesproducte, dann erst an seine Person.
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An einem Gehöfte machten wir Halt, um uns die Rübenculturmaschinen
der Johnston Harvester Co. anzusehen, sie unterscheiden sich in keinem
wesentlichen Punkte von den europäischen, ja, Herr Wietzer klagte, dass
man mit den Rüben baumaschinen noch hinter Deutschland sehr zurück
sei. Die Sonne senkte sich, als wir die Zuckerfabrik in Norfolk erreichten.
Sie ist von einer französischen Firma gebaut, die Disposition ist eigen-
thümlich, indem ein Raum für die Verarbeitung der Füllmasse fehlt, die
Aufstellung der Sudmaische, der Centrifugen und des Vacuums ist die
nämliche wie bei den californischen Fabriken.
Wegen der weiten Entfernung der Raffinerien kann nicht auf
Rohzucker gearbeitet werden. In Folge dessen können die Fabrik-
besitzer nur granulated ausführen und darauf die 2 cent-Prämie (8,50 Mk.
für den Centner) erheben. Bisher gewährte der Staat Nebraska überdies
noch eine Prämie von 10 cent pro Pfd. Zucker, welche jedoch neuer-
dings aufgehoben worden ist. Die Melasse hat man noch nicht recht
verwerthen können, da die Versuche anderorts Speisesyrupe daraus her-
zustellen, nicht erfolgreich waren. Die Fabrik richtete deshalb das Aus-
scheidungsverfahren ein, für welche Claus Spreckels eine ursprünglich für eine
neu zu erbauende californische Fabrik bestimmte Einrichtung hergegebea
hatte. Die Einführung einer Melasseentzuckerung an einem Ort, wo
nur weisser Zucker verwerthet, an eine eigentliche Raffination aber
nicht gedacht werden kann, scheint prinzipiell ein Missgriff zu sein.
Sie lässt sich nur erklären durch den begreiflichen Wunsch, die hohe
Prämie nach Möglichkeit auszunützen, im Interesse einer raschen Ent-
wickelung der Rübenzuckerindustrie wäre es aber zweifellos richtiger,
zunächst die Prämie nur zu verwenden, um den Rübenbau auszu-
dehnen, denn damit ist es noch immer schwach bestellt. Augenblick-
lich stehen nur ungefähr 2500 Acker (1 Acker = 1,6 preuss. Morgen) Rüben
zur Verfügung. Man hat den Fehler begangen, im Anfang den Rüben-
preis so niedrig zu setzen, dass die Farmer dabei nicht auf die Kosten
gekommen und vielfach kopfscheu geworden sind. Neuerdings hat man
den Preis erhöht und überdies der Fabrik gehöriges Land gegen massige
Pacht mit der Verpflichtung, Rüben zu bauen, kleinen Leuten überlassen.
Nur auf diesem Wege kann es nach Ansicht des Herrn Wietzer ge-
lingen, der Fabrik, welche auf 6000 Ctr. Verarbeitung eingerichtet ist,
dauernd und regelmässig ein grösseres Rübenquantum zu sichern; es
scheint aber, als wenn die Besitzer der Fabrik sich noch scheuten, in
dieser Weise auf Jahre hinaus Vorsorge zu treffen. Unser Besuch schloss
mit dem unvermeidlichen Interview durch den Redacteur der Norfolker
Zeitung, Durchsprechen des Erlebten und der dortigen Verhältnisse in
dem behaglichen Wohnhause des Besitzers der Fabrik. Der Abend brachte
45
etwas Kühlung, und wir freuten uns über den lieblichen Anblick, welchen
der wasserreiche, dicht bei der Fabrik vorbeiführende Fluss mit seinem
von alten Bäumen beschatteten Thale gewährte. Blutroth ging die Sonne
unter, Todtenstille und tiefe Dunkelheit empfing alsbald das inmitten der
Prairie gelegene Fabrikgebäude. So schön der Sonnenuntergang in der
Prairie ist, so sehr vermissen wir hier aber die lange Dämmerung, welche
bei uns die Sommernächte noch lange erhellt.
Am nächsten Morgen kurz vor der Abreise besuchte uns noch ein
Farmer von deutscher Abkunft, der uns von seinen Erfolgen im Bübenbau
ein fast zu schwärmerisches Bild entwarf. Aber die Absicht, seine günstige
Ansicht auch uns beizubringen, war doch unverkennbar, weshalb wir seinen
Aeusserungen nicht zu grosses Gewicht beilegen möchten. Herr van der
Luhe und Herr Wietzer geleiteten uns zum Bahnhof, wo der Redacteur
bereits anwesend war, um uns noch einmal zu fragen, wie uns Norfolk,
die Ausstellung in Chicago und Amerika im Allgemeinen gefallen habe,
denn sein Bericht würde die Leser nur halb befriedigen, wenn er nicht
zum Schluss unsere stricte Antwort auf diese drei Fragen brächte. Bald
darauf sassen wir wieder in unserem geliebten Columbus, wo wir aber-
mals 8 Stunden Zeit hatten, uns über die schlechte Bedienung im Hotel,
die uns durchaus missverstehen will, über die furchtbare Hitze, das
Tabakspeien und das betrunkene Gebahren der zahllosen beschäftigungs-
losen Minenarbeiter zu ärgern, welche von den damals eben geschlossenen
Silberminen in Colorado ausschwärmend die kleinen Stationen der Union
Pacific -Bahn anfüllten. Endlich Abends um 10 Uhr nahm uns der be-
hagliche Pullmann-Schlafwagen der Eisenbahn auf, der uns nach den An-
strengungen von Chicago und der letzten Reisezeit für einige Tage den
hochgelegenen und kühleren Theilen des Felsengebirges zuführen sollte.
Grand Island.
Am 22. August Abends brach ich von Saltlake city auf und er-
reichte nach etwa 48 stündiger Fahrt durch Utah, Wyoming und Nebraska
am 24. August früh am Morgen Grand Island. Die Reise entlang dem
Creck- und später dem Platte-Pluss bietet manches Reizvolle, da Berge
mit steiniger Hochebene und grünen Thälern wechseln, aber im all-
gemeinen überwiegt doch das Gefühl der Eintönigkeit und Vereinsamung.
Denn auf dem grössten Theil des Weges fliegen wir an völlig unfrucht-
baren, ausgetrockneten Gefilden vorüber, die kein Strauch oder Baum
ziert, kein Gethier belebt. Nur wenn wir uns, was aber anfangs selten
geschieht, einer Niederung nähern, wo sich Wasser befindet, erquickt das
Auge der Anblick von Pferde- und Rindviehheerden. Die Nähe einer
solchen Oase kündet sich gewöhnlich dadurch an, dass entlang der Eisen-
46
bahn Pferde- und Rindviehskelette auftauchen, tintweder haben die
Thiere sich zu weit vom Wasser entfernt und sind vor Durst verkommen,
oder sie sind im Sturm verirrt oder auch • hat der Eisenbahnzug ein
neugieriges Stück Jungvieh gepackt und getödtet. Ein unheimlicher An-
blick, diese Skelette, die häufig auch nicht weit von den Wohnungen
lagern. Allmählich, je mehr wir uns Julesburg nähern und von dem
Hochplateau von Wyoming herabklettern, wird es fruchtbarer, im Morgen-
grauen sah ich, wie ein Wolf erschreckt vor dem heranbrausenden Zug
floh. Das Prairiegras wird höher, die Maisfelder mehren sich und der
Zug hält in Grand Island.
Grand Island ist ein Städtehen von etwa 8000 Einwohnern, welches
bis zum Jahre 1872 einen etwa 1/2 Stunde von dem jetzigen Standort
entfernten Platz einnahm. Damals wurde in der Nähe die Station der
Union - Pacific angelegt und die Bewohner zogen mit ihren Holzhäusern
dahin, Theile der alten Stadt stehen aber noch und auch die Zucker-
fabrik liegt dicht dabei.
Die Lage des Ortes ist günstig, nicht allein wegen der Nähe des
Platte Flusses, dessen Arme die Insel Grand Island bilden, sondern auch weil
er Knotenpunkt von sechs Eisenbahnlinien ist. Die Northern-Pacific-, die
Burlington- und die Union - Pacific - Gesellschaft stossen hier zusammen.
Der Ort macht demgemäss einen belebten Eindruck, ein grosses viel-
stöckiges Hotel ist im Neubau begriffen, elektrische Beleuchtung und
Pferdebahn vorhanden, wie in den meisten kleinen amerikanischen Städten.
Im Hotel, wo ich nach der langen Fahrt behaglich mein Frühstück ver-
zehrte, wurde ich dadurch überrascht, dass ganz unerwartet die Herren
Hecker, Frentzel und Schöller, die bereits früher erwähnten drei deutschen
Zuckerfabrikanten, die ich schon in St. Louis wähnte, in's Zimmer traten.
Unsere Freude war gross, für mich noch besonders angenehm, dass die
Herren bereits Schritte gethan hatten, um zuverlässige Information über
die Verhältnisse der Kübenzuckerfabrik am Orte zu erhalten.
Wir begaben uns zunächst zu Herrn König, dem Banquier des
Platzes, einem Landsmann, welcher als einer der Begründer Grand
Islands sich des grössten Ansehens am Orte und in ganz Nebraska er-
freut. Grand Island ist zur Hälfte von Deutschen bewohnt, ebenso sind
viele der Farmer in der Umgegend deutscher Abkunft und bewahren
heimathliche Sitte und Sprache.
Mit der Pferdebahn, deren Eigenthümer Herr König ist, fuhren
wir zunächst nach der Fabrik, welche auf vorher nicht cultivirtem
Prairieboden erbaut und noch von jungfräulicher Prairie umgeben ist.
Die drei genannten grossen Eisenbahn-Gesellschaften haben unentgeltlich
ihre Geleise bis in den Fabrikshof gelegt, in der Hoffnung, an den
Frachten alsbald die Kosten der Anlage zu verdienen. Bis jetzt ist dies
47
aber noch nicht eingetreten, denn nur wenig Buben aus der entfernteren
Umgegend sind in Aussicht, z. B. von Schuyler für die gegenwärtipje
Campagne 100 Acker, von dort ist die Fracht für die schwere Tonne
80 Cent. Folgende Frachtsätze wurden uns angegeben:
bis 25 engl. Meilen 30 cent j
y, 25— 45 „ 50 „ [per Tonne.
„ 45-100 80 „ )
Die Fabrik ist für 350 Tonnen täglicher Verarbeitung, also 7000 Ctr.
in Tag- und Nachtschicht eingerichtet, doch waren an Rüben augeblich
nur 18000 tons ^) in Aussicht, hat im Gegensatz zu der Norfolker ein
gutes Kesselhaus und wieder 3 Kalköfen!!! Die innere Einrichtung
zeigt eine ähnliche Anordnung wie in Norfolk, besonders ist die
Füllmassenarbeit die nämliche. Der fertig gekochte Sud wird
direct in eine trogförmige Maische entleert, welche mit einem rasch
wirkenden Rührwerk versehen ist und nach höchstens 5 Stunden währendem
Rühren, oft aber unmittelbar nach dem Ablassen in den Centrifugen
geschleudert und weiss gedeckt. Man kocht absichtlich auf ganz kleines,
unregelmässiges und schlechtes Korn, siebt auch den Granulated nicht
ab, da Granulated von gleichmässigem und grösseren Korn angeblich
auch hier unverkäuflich sein soll. Dieselbe Verarbeitungsweise der Füll-
masse, welche offenbar aus den amerikanischen Raffinerien übernommen
ist, kehrt wie schon erwähnt fast in sämmtlichen amerikanischen Zucker-
fabriken wieder.
Als ein Mangel werde es bezeichnet, dass die Fabrik nur ein be-
decktes, allerdings grosses Rübenhaus besitzt, im Herbst also die Rüben
unter den dortigen klimatischen Verhältnissen nicht sämmtlich vor Frost
schützen könne.
Für die Besichtigung der Felder theilten wir uns in 2 Partheien,
um unsere Beobachtungen austauschen zu können. Das Ergebniss war
für beide Theile dasselbe, nämlich fast allerwärts ein negatives. Der
Boden der Umgegend ist eben, sieht schwarz aus, ist aber sandig und
für die hiesigen klimatischen Verhältnisse zu durchlässig,
vielfach ist er zum Rübenbau deshalb ungeeignet. Die heissen trockenen
Winde im Mai wirbeln hier noch viel leichter als in Norfolk den Boden
zusammen mit den jungen Pflanzen hoch in die Luft, daher ist oft im
Juni eine Neubestellung und zweite Aussaat nöthig. In diesem Jahre
haben angeblich 800 Acker neubestellt werden müssen und fast aller Samen,
der im ersten Frühjahr ausgelegt worden war, war verloren gegangen.
Am besten hat sich hier die Klein-Wanzlebener Nachzucht bewährt,
nicht so gut die französischen Rüben.
') Wo nichts besonderes bemerkt ist, versteht man in Amerika unter Tonne
stets die schwere Tonne von 20 Ctr. = 2240 Pfd. englisch.
48
Die Rüben, die wir sahen, waren noch sehr zurück für die Jahres-
zeit und ganz unreif. Da es in letzter Zeit vielfach geregnet hatte und
auch im September ausgiebige Regen gefallen sind, so war es mir unwahr-
scheinlich, dass sie überhaupt zur guten Reife kommen könnten, eine An-
sicht, die sich inzwischen durch Berichte über den Verlauf der neuen
Campagne drüben als richtig bestätigt hat.
Bei einem deutschen Bauern Giese, welcher mit einem Sohn und
zwei Töchtern wirthschaftet, fand ich ganz europäische Stallmistwirthschaft.
die bei dem sandigen, obgleich tiefgründigen Boden gute Dienste that.
Es ist übrigens ein Irrthum, anzunehmen, dass durchweg im weiten Westen
die Farmer die Düngung vernachlässigen, sie machen nur häufig zu
schlechte Erfahrungen damit, dass sie lieber davon abstehen. Dies kommt
daher, dass das Vieh in den Nothställen im Winter nicht so gehörig wie
bei uns besorgt werden, vor allem nicht genügend Stroh eingestreut wer-
den kann. Der Mist ist daher viel compakter, gährt nicht so rasch aus,
wie bei uns der Strohdung, und erwärmt in Folge dessen den Boden zu
stark. Daher missräth die Ernte nicht selten im ersten Jahr nach der
Düngung, während im zweiten Jahre erst eine gute Wirkung derselben zur
Geltung kommen kann. Doch giebt es in Nebraska, wenn auch vereinzelt,
auch kalte Böden, bei denen man in europäischer Weise mit Stalldung
wirthschaftet und auch Rüben baut.
Giese fütterte auch Schnitzel, miethete dieselben sogar ein, ein sehr
seltener Fall hier zu Lande, wo die meisten Schnitzel verfaulen, weil sich
keine Abnehmer dafür finden. Er kam ebenso wie Herr König im Jahre
1872 hier an und lebt noch an der Stelle des alten Grand Island, welches
damals noch ein Tummelplatz der Indianer war.
Auffallend war, wie viel kranke Rüben allerwärts vorhanden waren,
nie habe ich so viel Ungeziefer auf Rübenfeldern gesehen, wie hier, was
allerdings stellenweise wohl auch davon kam, dass dicht neben den Rüben-
feldern Kohlfelder lagen. Dass die Fabrik so wenig Rüben erhält, rührt
auch daher, dass man auch hier im Anfang zu schlechte Preise geboten
hat. Man hat die Tonne Rüben nur mit SVg Dollar bezahlt, während
nach übereinstimmendem ürtheil aller Farmer, die ich gesprochen, in
Nebraska der Rübenbau erst bei einem Preise von 5 Dollar die Tonne
lohnend werden könnte. Die kleinen Bauern der Umgegend von Grand
Island sind daher nicht mehr zu bewegen, Rüben zu bauen. Während
unserer Fahrt durch die Felder begegneten wir einem Farmer mit seinem
Karren. Der Administrator, welcher mich führte, benutzte die Begeg-
nung zu der Frage an den Farmer, ob er nicht wieder Rüben bauen
wolle; in demselben Moment kam ein zweiter Wagen heran, und der Ge-
fragte rief dem Führer desselben zu: „He, Nachbar, was meint Ihr,
möchtet Ihr nicht wieder Rüben bauen?" „Nein," erwiderte dieser lachend,
49
„ich habe ein Haar dabei gefunden, meine Rüben sind vergangenes Jahr
in die Luft gewirbelt", und beide setzten lachend ihren Weg fort. Dieses
Gespräch charakterisirt den Stand der Dinge in Grand Island, wie er uns auch
anderwärts geschildert wurde. Das ganze Unternehmen ist von Anfang an
verfahren und wird schwerlich an dieser Stelle wieder ins richtige Geleise
zu bringen sein. Ja, man trägt sich angeblich mit der Idee, die Fabrik
von Grand Island nach Schuyler zu verlegen, wo guter Rübenboden in
Menge vorhanden sein soll und die Farmer noch nicht kopfscheu ge-
worden sind.
Was die Herren Frentzel, Hecker und Schöller gesehen, be-
stätigte durchaus meine Beobachtungen. Gut entwickelte Rüben waren
nicht zu finden, die Rüben auch nicht so gut cultivirt, insbesondere so
gut gehackt als in Norfolk. Mit der Rübehebe- und Köpfmaschiue der
Johnston Harvester Co. waren die Leute hier nicht zurecht gekommen,
wohl auch, weil die Rüben so unregelmässig standen und unregelmässig
gewachsen waren.
Die Fabrik schreibt 20 Pfd. Samen pro Acker vor, welchen sie den
Farmern zum Preise von 10 cent das Pfund liefert.
Der Kohlenpreis („weiche" Kohle) wurde uns zu 3 Doli, die Tonne
(in Norfolk 3V2) genannt, die Zahl der Arbeiter zu 120 Mann, der Lohn-
satz in der Fabrik zu 1,75 Doli, pro Tag, die durchschnittliche Rüben-
ernte zu 8 — 9 Tonnen pro Acker, während 15 Tonnen als gute Ernte
bezeichnet wurden. Die Schwankungen in den Angaben der verschiedenen
Reisenden, welche in der letzten Zeit die amerikanischen Zuckerfabriken
besucht haben , zeigen schon , dass es nicht gerathen ist, Berechnungen
auf derartige ermittelte Zahlen zu gründen, lieber den Zuckergehalt
der Rüben konnten wir nicht brauchbares ausfindig machen, da, wie fast
allerwärts in Amerika (Alvarado ausgenommen) nur der Saft untersucht
wurde, dessen Gehalt, weil die Rüben häufig vollständig welk und ver-
trocknet sind, natürlich sehr hoch kommen kann. Wenn deshalb der
Saft hier auch in früheren Jahren 13 — 15 ^Vo Zucker gezeigt haben mag,
so würden bei einem Saftgehalt von 95 doch vielleicht nur 11 — 13 7o
darin, also 10,5 — 11,5 7o in der Rübe, vorhanden gewesen sein.
Sioux City.
Ursprünglich hatte ich den Plan, von Grand Island nochmals nach
Norfolk zu gehen und darauf in Schuyler einige Tage Station zu machen,
um selbst einige Rübenanalysen an der Versuchsstation auszuführen. Da
aber die Regierung in Washington in der Zwischenzeit angeordnet hatte,
dass die Versuchsstation eingehen solle und in Folge dessen sie mein
Interesse nicht mehr erregte, verzichtete ich auf den Besuch in Schuyler.
Auch einen abermaligen Aufenthalt in Norfolk gab ich auf, da ich hörte,
4
50
daSs man do^-t sich gerade bemühte, das Ausscheidungsverfahren zu pro-
biren, aber noch nicht völlig eingerichtet sei. Unter diesen Umständen
wollte ich um so weniger stören, als ich in Grand Island hörte, dass in
Folge der von Regenfällen unterbrochenen grossen Hitze in dem Stand
der Rüben in dem Zeitraum von 3 — 4 Wochen, welche seit unserm ersten
Besuch in Norfolk verflossen waren, keine wesentliche Aenderung ein-
getreten war. Ich ergriff deshalb die Gelegenheit, die mir eine von dort
ergangene Einladung bot, von Sioux City, der Grenzstadt am Missouri,
bei welcher die drei Staaten Nebraska, Jowa und Süd-Dacota zusammen-
stossen, die landwirthschaftlichen Verhältnisse dieser Gegenden unbeein-
flusst von beim Rübenbau interessirten Personen zu betrachten. Abermals
führte mich mein Weg auf der Hauptstrasse der Union Pacific -Gesell-
schaft von Grand Island nach dem wohlbekannten Columbus. Nach dem
öden Anblick des Felsengebirges auf der Strecke von Utah nach Grand
Island erfreuten mich die Maisfelder im Platteflussthal, die üppige Prairie
und selbst die als Unkraut den Bahndamm umwuchernden Sonnenblumen.
Gleich bei der Ausfahrt aus Grand Island erregte auch eine mächtige
Sauerkrautfabrik mein Interesse. In Columbus, wo ich wiederum den
unvermeidlichen, diesmal 5 stündigen Aufenthalt hatte, fühlte ich mich
schon heimisch. Es war nicht mehr so drückend heiss, als Anfangs August,
sondern es herrschte eine angenehme Temperatur, wie bei uns im Sep-
tember. Auf der Weiterreise passirte ich am Tage Norfolk und die
Rübenfelder, die, wie schon erwähnt und auch nachträglich von den
Herren Hecker, Frentzel und Schöller bestätigt wurde, seit der Zeit meines
Hierseins ziemlich im Wachsthum stillgestanden zu haben schienen. Nach
nahezu 3 stündiger Eisenbahnfahrt von Norfolk gerechnet erreichte ich
Sioux City, eine aufblühende Stadt von etwas mehr als 38000 Einwohnern,
an den hügeligen Ufern des Missouri gelegen, die Hauptstrasse im ebenen
Thal, aus welcher man ähnlich wie in San Francisco zu den hügeligen, steilen
Seitenstrassen, die von den Wohnhäusern gebildet werden, emporklettert.
Sieben Eisenbahnstränge stossen an diesem bedeutenden Platze, für den
man eine grosse Zukunft erhofft, zusammen, viele Quadratmeilen sind
bereits in Baustellen eingetheilt, so dass wohl Chicago oder New-York
auf dem reservirten Terrain Platz hätten. Die Umgegend der aufstrebenden
amerikanischen Städte erhält durch die Voraussicht, mit der man die
Stadtpläne meist auf ein Wachsthum ins Ungeheure angelegt hat, ein recht
ödes Ansehen. Denn alle die Baustellen liegen uncultivirt da, nur von
Unkraut und Prairiegras bewachsen, und erst an der Grenze des Weich-
bildes wird das Auge des Reisenden wieder durch die Zeichen der
menschlichen Cultur erfreut, mit welchen der Farmer das Land ge-
zeichnet hat.
Zahlreiche Zuckerfabrikprojecte durchschwirrten die Umgegend, von
51
denen bis jetzt jedoch keins verwirklicht worden ist. Auch liegen gegen-
wärtig die Aussichten schlechter als je, wegen der allgemeinen Geldnoth
in Folge der Silberkrise und der Unsicherheit der Erhaltung der Staats-
prämie unter dem demokratischen Regiment, trotzdem ausser dieser Prämie
ein Staatengesetz in Süd-Dacota für daselbst fabrizirten Rübenzucker
eine Prämie von 10 cent für das Pfund Zucker und 2 cent für die
Gallone Melasse (!!) in Aussicht stellt. Ausgenommen einige Projecten-
macherO beurtheilte man hier allgemein die Bestrebungen in Nebraska
sehr nüchtern und stellte ihnen keine günstige Zukunft in Aussicht.
Die mir bekannten Farmer führten gegen den Rübenbau alle die
ungünstigen Momente in's Feld, welche sich in Nebraska schon störend
geltend gemacht haben. Ungunst der Frühjahrswitterung, trockene Winde,
früher Frost, theuere Löhne. Sie behaupteten, dass auch im nahen
Norfolk die Stimmung unter den unabhängigen Farmern immer mehr
und mehr gegen den Rübenbau überhand nehme und dass die Er-
*) Anmerkung: Man legte mir bei meiner Ankunft einen Zeitungsausschnitt
betreffend ein Zuckerfabrikproject in Sioux Fall vor, welches so charakteristisch für
die Art ist, in welcher man bei den Farmern Stimmung zu machen sucht, dass ich
nachfolgend es übersetze:
Rübenzuckerfabrik in Dacotaü
Ein Sachverständiger giebt interessante Aufschlüsse!!!!
Die Verhältnisse hier sind der Rübenzuckerindustrie
günstige ü ! !
Aus dem Sioux Fall Argus-Leader! Es ist gar keine Frage mehr, dass in beiden
Dacotastaaten und in Minnesota Boden und Klima dem Zuckerrübenbau äusserst
günstig sind, ja, Süd-Dacota besitzt manche klimatischen Vortheile im Vergleich zu
Nebraska, denn wir haben im Sommer verhältnissmässig weniger von den heissen
Winden zu leiden, die in Nebraska so vorwiegen, wo doch 2 Rübenfabriken mit Er-
folg arbeiten. Es ist ein Irrthum, dass Frost den Kuben schadet, vielmehr ist er ein
Vortheil, weil sich die Rüben bei kaltem Wetter besser halten, als bei warmem oder
beim Wechsel zwischen kaltem und warmem. Analysen von Rüben in Brookings er-
gaben ungefähr 118 Proben, dass dieselben ebenso gut als in Deutschland und Frankreich
waren, die Hälfte der Proben enthielt über 14 % Zucker, während 12 % für Fabrik-
rüben schon genügt. In Belgien haben sie auf dem Lehmboden an der See sogar
nur 10 %\ Freilich muss die Ausbeute des Herrn Miner, welche 95 tons (1900 Ctr.)
per Acker betragen haben soll, auf einer irrthümlichen Angabe beruhen. Aber in
Washington, Minnesota wurden in der That 32 Tonnen (400 Ctr. pro preussischen
Morgen) geerntet, das ist ungeheuer, und bringt die Tonne zu 4 Doli. 128 Doli. Das
ist genügend, um zur Gründung von Zuckerfabriken anzureizen, aber wir haben noch
einen andern grossen Vortheil über Deutschland und das übrige Europa. Wir brauchen
nicht 80 Pfennige für den Centner Rüben, das sind etwa 2 cent für das Pfund Zucker
Steuer zu bezahlen, sondern wir erhalten im Gegentheil 2 cent Prämie von der Re-
gierung. Die Prämie könnte freilich zurückgezogen werden, das scheint aber nicht
geschehen zu sollen. Folglich haben wir vor Deutschland einen Vorsprung von 4 cent
pro Pfd. (der Autor weiss nicht, dass der exportirte deutsche Zucker nicht mit der
Steuer belastet ist!). Ausserdem giebt Süd-Dacota eine Extra-Prämie von 1 cent
4*
52
fahrungen dieses Jahres die Abneigung wesentlich verstärkt
hätten.
Wie plötzliche Witterungsumschläge in dortiger Gegend auch im
August eintreten, davon bot Sioux City zur Zeit meines Besuches ein
lehrreiches Beispiel. Es war nämlich eben einer jener furchtbaren Ge-
witterstürme niedergegangen, welche dort so häufig sind. Derselbe hatte
die ganze untere Stadt unter Wasser gesetzt, Häuser zum Einsturz ge-
bracht und solche Schlammhaufen von den ungepflasterten Bergstrassen
in's Thal geschwemmt, dass man mehrere Tage brauchte, um die Strassen
wieder nothdürftig zu reinigen.
Besichtigung von Gütern bei Sioux City.
Durch Vermittelung eines Farmers wurde ich mit einem Gtiter-
agenten kekannt, welcher sich erbot, mir einige zum Verkauf stehenden
Besitzungen zu zeigen. Darauf ging ich mit Freuden ein und in Folge
dessen sass ich am 26. August früh um 7 Uhr morgens abermals
für das Pfund Zucker und 2 cent für die Gallone Melasse. Also wir können besser
Zucker in Süd-Dacota als in Europa machen mit besseren Rüben, als in Europa,
ohne Steuern und mit 3 cent (12 Pfennige) Prämie pro Pfd. Für den Anfang wäre
eine Fabrik von 2000 Ctr. Verarbeitung- genügend, bei deren Bau spätere Vergrösse-
rung vorgesehen werden müsste. Für den Fabrikbau ist ein Terrain von 2 Acker
nöthig, 8 Acker für Kübenaufbe Währung. Eisenbahn, reines Wasser und Gelegenheit
zur Beseitigung der Abtälle muss am Platze vorhanden sein. Folgendes ist ein Kosten-
anschlag für eine complete von Deutschland zu beziehende Fabrik:
Gewicht Kilo Dollars
Maschinen u. s. w. im Rübenhaus 15 250 2 229
Apparate für Diffusion etc 42 290 6 747
Kochraum, Vacuum, Verdampfapparate und Zubehör 79 700 14 103
Filter, Filtrirmasse, Filterthurm, Kalkofen 27 310 2 858
Maschinen für das Zuckerhaus, Centrifugeu etc.. . 17 764 3 393
Dampfkessel 61 520 6455
Blecharbeit 39470 3 097
Verschiedenes . 90035 10887
383 339 49 779
Also rund 50000 Dollar, wozu 6% für Fracht und Versicherung zuzuzählen
sind. Zwei Drittel des Gewichtes und ein Drittel des Preises würden abgehen, wenn
die Fabrik hier statt in Deutschland fabricirt würde ! Da Kesselhaus, Knochenkohlen-
haus massiv zu errichten sind, die übrige Fabrik aber aus Holz oder aus anderem
billigen Material kommen zu obigen 50 — 55000 Dollar weitere lOCOO Dollar. 10>
für die Versicherung u. s. w. dazu, giebt 66 — 71000 Dollar. Als Betriebskapital
rechnen wir 29000 Dollar, also sind rund 100000 Dollar erforderlich. Die Ver-
arbeitungskosten betragen 2 — 3 Dollar per Tonne Rüben, der Preis der Rüben
4 Dollar. Man kann auf 12^/0 Ausbeute an Granulated rechnen (in Grand Island
war die Ausbeute 13,37o), 3^/0 Melasse, 50^0 Schnitzel, welche die Farmer umsonst
53
mit dem Agenten und dem Farmer in einem leichten Jagdwagen aus
einem Leihstall. Wir hatten über 50 engl. Meilen Landfahrt hin und
zurück durch unwirthsame Gegenden vor uns und ich hatte deshalb für
Proviant gesorgt. Beim Einkauf freute ich mich über das urwüchsige
Wesen und das Gleichheitsgefühl der Handlungsbeflissenen in Sioux City,
ich verlangte nämlich einige leere Cigarrenkisten, die ich zu Erdproben zu be-
nutzen gedachte, worauf der Commis dem Jungen im Laden zurief: „Gieb
diesem Burschen doch einige von den leeren Kisten", allerdings erhielt
ich letztere dann unentgeltlich. Wir kreuzten zunächst den Missouri und
kletterten dann das Flussthal bergan. Das Terrain in diesem Theile
Jowa's ist wellig, ganz ähnlich wie bei Norfolk, nur sind die Hügel etwas
höher. Meilenweit wohl eine Stunde fuhren wir zunächst durch verödete
Baustellen, hin und wieder tauchte aber auch in weiter Entfernung von
der eigentlichen Stadt ein vereinsamter, meist mit hocheleganten Häusern
bebauter Strassenzug auf. Die elektrische Bahn, welche die Bewohner
nach der Altstadt Sioux City führt, begleitete uns bis an das Ende des
Weichbildes. Hier fängt es an freundlich zu werden, im tiefsten Thale
Nutzholz, manchmal auch Obstbäume und grüne Wiesen, an den Abhängen
Maisfelder, auf der Höhe Weideland, hin und wieder auch ein blau
oder doch sehr billig zui'ückerhalten, und 4 — 6^/0 Schlamm, der einen werthvollen
Dünger vorstellt. Mr. Robertson in Chino Californien bepflanzte 10 Acker mit Rüben,
welche er für 4,5 Dollar an die Fabrik verkaufte. Er erntete 21 V2 Tonne per Acker,
erhielt also 901,12 Dollar. Die Unkosten betrugen:
Pflügen und Eggen 20 Dollar
Saatgut 14 Pfd. pro Acker .... 15 „
Verziehen 44 „
Hacken 18 „
Bearbeitung mit dem Cultivator 78 „
Transport zur Fabrik 107
Gesammtunkosten 282 Dollar
Nettoverdienst . . 619,12 Dollar
Profit pro Acker 61,91 „
Es wird nun weiter auf die Arbeiten der Versuchsstation in Schuyler verwiesen,
wo gezeigt worden wäre, dass selbst an diesem ungünstigen Platze, der nicht so viel
Feuchtigkeit habe als Süd-Dacota und Minnesota, mehr und bessere Rüben als in
Deutschland geerntet worden seien, der Bericht fährt dann fort:
Die Fabrik zu 100 Tons täglicher Verarbeitung angenommen, können in
180 Tagen 18 000 Tonnen Rüben verarbeitet werden. Die Ausbeute zu 12 ^/o weissen
Zucker angenommen, in Nebraska wurden 13 erhalten, und der Zuckerpreis zu
4 Cents, also 80 Dollar pro Tonne, ergiebt folgende Gewinn- und Verlustberechnung :
2180 Tonnen Zucker ä 80 Dollar 72 800 Dollar
360 Tonnen Melasse ä 40 Dollar 14 400 „
9000 Tonnen Futter ä 1 Dollar 9000
Zusammen 160200 Dollar
54
blühendes Flachsfeld. Man erzählte mir, dass die oft gemachten Ver-
suche, Flachsspinnereien anzulegen, sich als nicht rentabel erwiesen
hätten, dass aber in Sioux City eine Leinölmühle bestehe. Ich besuchte
dieselbe am folgenden Tage. Allmählich gewöhnte sich das Auge an
die Scenerie, der Flachs verschwand gänzlich, es folgte Berg und Thal,
soweit das Auge reicht, mit Prairiegras oder Mais bewachsen. Der ein-
tönigen Frage des Agenten: „Ist das nicht schöner Mais", ergeht eintönig
unsere bejahende Antwort, die Sonne steigt höher, die Pferde und auch
wir ermüden, endlich um 1 Uhr sind wir zur Stelle. Lang gestreckt,
genau quadratisch liegt die Farm, welche zum Verkauf steht, vor uns,
von einem mit Holz bewachsenen Bächlein durchflössen. Wir durch-
fuhren die 280 Acker grosse Besitzung, bis wir an die fast genau in der
Mitte gelegenen Wirthschaftsgebäude gelangten. Wie landesüblich waren
sie nach Norden begrenzt durch ein Kanicht von Nadelholz, in welchem
Die Unkosten würden sein :
18000 Tonnen Rüben ä 4 Dollar 72000 Dollar
Löhne und Unkosten (per Tonne 2,77 Dollar) 49 860 „
Zusammen 121860 Dollar
Unterschied im Lohnsatz zwischen Deutsch-
land und Dacota bezw. Minnesota auf
die Tonne Rüben 65 Cents 11 700
133560 Dollar
Zinsen des Kapitals von 100000 Dollar mit 8 ^ 8 000
Abschreibungen am Maschinenconto etc. 7^ 3 500 „
Unvorhergesehene Ausgaben 3 000 „ 148 060 Dollar
ISetto-Verdienst 48 140 Dollar
Dazu Prämie der Vereinigten Staaten für 2160 (oben waren 2180
angegeben) Tonnen Zucker (per Tonne 40 Dollar) 86400 „
Prämie von Süd-Dacota (20 Dollar per Tonne; 43 200
Prämie für die Melasse (2 Cent per Gallone = 5 Dollar per Tonne) 18 000 „
Total-Yerdienst 179540 Dollar
also ein Profit von 9,97 Doli, auf die Tonne.
NB. Der Zuckerpreis ist nur mit 4 cent per Pfund angenommen und sind
nur 2 statt 3% Melasse gerechnet.
Das von Albert H. Meyer, Chemiker und Zuckersachverständiger, unterschriebene
Expose schliesst mit dem Hinweis, dass 30 000 Doli, von den erforderten 100000 in
Sioux Fall gesichert seien und dass angesehene Bürger auch das Bauterrain für die
Fabrik kostenfrei hergeben wollten. Wie sehr man dort zu Lande gegen solche
mit Uebertreibungen und Unrichtigkeiten angefülle Angaben misstrauisch geworden
ist, geht aber schon aus dem Umstände hervor, dass es nicht gelungen ist, das
nöthige Kapital für den Bau der Fabrik zusammenzubringen. In ähnlicher, wenn
auch nicht ganz so starker Weise, sind nach der Meinung aller unabhängigen
Amerikaner, welche ich gesprochen habe, auch die meisten anderen Unkostenberech-
nungen für den Rübenanbau zu Gunsten eines hohen Gewinnes übertrieben, weshalb
denselben zumeist kein Werth beizumessen ist,
55
die Schweine und Ferkel lagen, im Osten durch einen Hain von Zucker-
ahorn. So vereinigte sich das Nützliche mit dem Angenehmen, indem
das Gehölz die Schweine und das anstossende Wohnhaus für den Farmer
und den Viehstall auf der Wetterseite schützt.
Zunächst gaben wir und unsere Pferde uns eine Weile der Ruhe
hin, und nahmen unsere Mahlzeit ein, während der Farmer, sein Sohn
und zwei Knechte uns zuschauten. Meine Begleiter konnten sich nicht
genug darüber wundern, dass der Farmer mit zwei Knechten wirthschafte,
die hier täglich 1 V2 Doli. Lohn und freie Kost für sich und ihr Pferd
erhalten. Im Westen nämlich kommen im Frühjahr die Landarbeiter,
welche sich verdingen wollen, im eleganten Einspänner auf die Farmen,
Pferd und Wagen sind häufig feiner, als der Arbeitgeber sie besitzt, das
Pferd geht mit den Thieren des Farmers in die Koppel, wird aber nicht
zur Arbeit benutzt, nur Sonntags dient es seinem Besitzer zu Spazier-
fahrten, an denen mit Vorliebe die Töchter des Hauses oder auch der
Nachbarn Theil nehmen.
Voll Stolz zeigte mir der Farmer seine Schweine, wie allerwärts
hier schwarz und klein, englischer Abstammung. Diese Thiere erweisen
sich gegen die Witterungswechsel widerstandsfähiger als die weissen
Racen, auch werden sie wegen ihrer grossen Fruchtbarkeit geschätzt,
denn eine Sau wirft nicht unter 6—8 Ferkel. Allerdings ist die Bace
klein und ein fettes Schwein wiegt selten über 200 — 300 Pfd. Die
Zahl der Schweine, die in dem Wäldchen lagen, betrug über 100,
daneben eine stattliche sehr grosse Sau, die sich erst auf das eindringliche
monoton langgezogene ho, hoi, ihres Besitzers zeigte.
Ich füllte meine Schachteln mit Erdproben, die ich bis zur Tiefe
von 1 Meter am Abhänge nahm. Ueberall herrschte hier tiefgründiger,
äusserst humusreicher Lehmboden, anscheinend fruchtbarer als in der
Norfolker Gegend. Mit voller üeberzeugung konnte ich die Frage des
Agenten, ob der Mais nicht schön sei bejahen, kam aber bald darauf
grade dadurch, dass die Felder so dicht standen, in grosse Noth. Ich
ging nämlich mit dem Farmer in ein Maisfeld hinein, um mich von dem
Stand der Pflanzen im Innern zu überzeugen, wir konnten aber nicht
wieder herausfinden. Nach einigem Umherirren gingen wir stets in
der Richtung unseres Schattens vorwärts, geriethen dabei an einen
Sumpf, der mitten im Felde lag, und erst nach langem Umwege ins
Freie. Dabei beobachtete ich, was ich auch später in Kansas und in
Missouri wieder fand, dass zahllose Pflanzenschädlinge, vor allem aber
Unkräuter und Schmarotzerpflanzen in Folge der oberflächlichen Cultur
das Gedeihen des Mais beeinträchtigen.
Der Preis des Gutes sollte 7500 Doli, betragen bei 280 Acker Fläche,
das Geld zu ein Drittel baar bezahlt werden, zwei Drittel 5 Jalire zu
56
7 °/o stehenbleiben. Zur Bewirthschaftung wurden von meinen Begleitern
zwei, höchstens drei Mann, der Besitzer inbegriffen für ausreichend er-
achtet, man rechnete mir vor, dass es landesüblich sei, 25 Kühe und
100 — 120 Schweine zu halten, an Pferden nur die nothwendigen Ge-
spanne, da an der Pferdezucht nichts zu verdienen sei. Es seien 12
Arbeitspferde und 8 Fohlen und einige Mutterstuten vorhanden. Den Zucker
aus dem Ahornwäldchen verzehre der Farmer selbst, der Verkauf der
Schweine möchte die Zinsen bringen. Geld verdient könne nur werden,
durch Mästung von Ochsen im Winter, von denen etwa 40 Stück zu halten
seien, dazu gehöre kein baares Geld, da derselbe Händler, der das
Magervieh antreibe, das fette wieder übernehme und im Frühjahr die
Differenz auszahle. Dabei könne das Lebendgewicht des Magerviehes
zu 800 Pfd. ä 3 Cent angenommen werden, während das Fettgewicht
zu 1200 Pfd. und der Preis etwa 3^2— 4 Cent einzusetzen sei, also Preis
des Magerviehs etwa 24 Doli., des fetten 42—48 Doli, per Stück.
Der mir als ein ehrlicher Mann bekannte Landwirth, welcher mich
mit herausgeführt hatte, gab mir bei dieser Gelegenheit über seine
eigene Wirthschaft folgende Aufschlüsse, welche ich anführe, da ich die
Zahlen für vertrauenswerth halte. In Süd-Dacota, wo er ansässig war,
ebenso wie in Nebraska bewirthschaften die wenigsten Besitzer ihre Güter
selbst, dieselben werden entweder gegen Vs der Ernte, oder gegen eine ent-
sprechende Baarsumme verpachtet. Mein Gewährsmann hatte gegenwärtig
160 Acre in Pacht, davon 1 20 Acre unter dem Pfluge, 40 Acre waren Weideland.
Der Viehbestand war 40 Stück Rindvieh, 8 Pferde, 10 — 12 Schweine.
Trotz aller Vorsicht erfrieren im Winter, besonders dem Jungvieh in
den Stallungen, Schwänze und Ohren.
80 Acker sind mit Weizen, 20 mit Mais, 20 mit Hafer und Kar-
toffeln bestellt, Stallmist wagt man nicht anzuwenden, weil der Boden
dadurch aufgelockert wird und sich im Hochsommer alsdann zu sehr
erwärmt!!! Das Vieh wird mit Hilfe des Strohs und etwas Heu durch-
wintert, welches man an tiefen Stellen der Prairie schneidet. Die
sämmtliche Feldarbeit besorgen 2 Mann, Vater und Sohn, im Hause und
Hofe helfen zwei erwachsene Töchter. Zum Lebensunterhalt dienen in
der Hauptsache Milch, Butter, Eier und Hühner. Fleisch wird nicht
oder doch sehr selten gekauft, gewöhnlich nur wenn irgendwo ein Stück
Vieh zu Schaden gekommen ist und abgestochen werden muss. Zucker-
und Colonialwaaren werden fast nirgend gegen Baar, sondern im Tausch-
handel gegen Eier und Butter beim Krämer erworben, der anderseits
wieder den Verkauf der Cerealien vermittelt und sich bei dieser Ge-
legenheit für vorhandene Aussenstände bezahlt macht.
Die Ernten sind unsicher, alle 4—5 Jahre hat man bestenfalls einmal
15—20 Bushel Weizen auf den Acker (1 Bushel = 60 Pfd. engl.), in
schlechten nicht über 4—8 Bushel zu erwarten. In Folge der niedrigen
57
WeizeDpreise, am Orte 35—40 Cent per Bushel und in den letzteren
Jahren niemals über 80 Cent, ist der Weizenbau auch in Süd-Dacota nicht
mehr rentabel und unser Farmer beabsichtigte zur Viehzucht überzugehen.
Alle Früchte werden aus Sommersaaten gezogen, Wintergetreide
kann wegen der Kürze der Vegetationsperiode, die von Mitte Mai bis
Ende August währt, nicht gebaut werden, im August kommen schon
Nachtfröste vor, und der Mais wird häufig nicht reif. Einige hundert
Meilen südlich ist es freilich wesentlich anders, für den Kübenbau eignet
sich aber nach meinem Gewährsmann, der in seiner Jugend auf den
Gütern des Herrn von Eckardstein in Thöringswerder die Landwirthschaft
erlernt, in Proskau studirt und etwa 20 Jahre in Deutschland gewirth-
schaftet hatte, Süd - Dacota durchaus nicht, aber auch Nebraska längst
nicht in dem Maasse wie europäische Rübenländer.
Die; Regenperiode dauert in Süd-Dacota in der Regel vom Früh-
jahr bis in den Juni hinein, dann folgt entsetzliche Dürre, die im Juni
durch glühend heisse Winde verschärft wird.
Weiter erfuhr ich, dass die Schafzucht versucht sei, Preis eines
Schafes B^/g Dollar, aber keine grosse Verbreitung gefunden habe. Die
Schweinerace ist dieselbe wie allerwärts im Westen, nämlich die erwähnte
schwarzen, die mager, 100 Pfd. schwer, etwa 6—7 Dollar werth sind,
fett auch nur 200—300 Pfd. wiegen. In der Rindviehzucht verdrängt
das Holsteiner Vieh die Yersey-Kühe; vielfach sieht man die sog. Muddogs,
denen die Hörner jung abgeschnitten sind. Als Zugthiere sind wie auch
in Nebraska Maulthiere sehr beliebt, von denen auch die Zuckerfabrik in
Norfolk ein Gespann besass.
Die Versuche, Rüben aus Samen zu bauen, welchen das Department
of Agriculture an meinen Gewährsmann und seine Nachbarn geschickt
hatte, waren völlig verunglückt, die Pflanzen waren in der heissen Zeit
gänzlich zu Grunde gegangen. Seine pessimistische Ansicht betreffs Ne-
braskas begründete er auf mein Befragen damit, dass seiner Ueberzeugung
nach dort die Farmer, ebenso wie in Süd-Dacota zeitweise auf voll-
ständige Missernten rechnen müssten, und dass, wenn dies einmal
passirt sei, sich in Anbetracht der Kosten des Rübenbaues die Leute nie
wieder dazu verstehen würden '). Diese Ansicht stimmt mit meinen
') Anmerkung. Ich rieth dem Farmer, ehe er sich hier ankaufe, doch in Er-
wägung zu ziehen, ob er nicht nach Norfolk in Nebraska übersiedeln wolle und er-
hielt darüber von ihm folgendes vom 3. December 1893 datirte Schreiben: „Auf Ihren
Rath wandte ich mich nach Norfolk, Nebr. Die Farmer daselbst lassen den Rüben-
bau wieder fallen und bauen wieder Mais, da die Rüben zu viel Handarbeit bedingen
und die Erträge von Mais durchschnittlich höher als von Rüben sind. Ausser-
dem liegt Norfolk ähnlich ungünstig, wie mein jetziger Aufenthalt H. in Süd-Üacota,
und wurde mir dort das eingerichtete Farmland mit Gebäuden pro Acker mit 8—10 Doli,
angeboten, ein Zeichen, dass die Erträge sehr unsicher. So weit ich übersehen kann,
wird die Fabrik schon in diesem Jahre Mangel an Rüben leiden."
58
eigenen Beobachtungen in Grand Island, sowie den Aeusserungen unab-
hängiger Einwohner dieses Staates überein.
"Weiterhin führte mich der Agent nach einer grossen zum Verkauf
stehenden Wirthschaft, welche 4000 Acre umfasste. Das Land lag in
einer fruchtbaren, weit ausgedehnten Niederung, welche ein Vorbesitzer
durch Anlage eines grossen Kanals entwässert hatte ; nur etwa die Hälfte
der Fläche war in Cultur und ausschliesslich mit Mais bestellt, der Rest
war Weideland, welches von 2000 Rindern und 400 Pferden begrast
wurde. Die Feldbestellung und das Vieh inclusive über 1000 Schweinen,
welche in dem Gehöft frei herumliefen, wurde in den Zeiten der härtesten
Arbeit mit 28, gegenwärtig mit nur 18 Mann besorgt. Der Preis pro
Acker wurde zu 40 Dollar angegeben und die Höhe damit motivirt , dass
künstliche Entwässerung und gute Stallungen, an denen es sonst dort
meist fehlt, vorhanden waren. Leider mussten wir unseren Besuch ab-
kürzen, denn drohend stieg dunkles Gewölk am Himmel auf, der Abend
nahte und wir waren noch über 12 englische Meilen von Sioux City ent-
fernt. Trotz aller Eile überraschte uns der Gewittersturm auf dem Heim-
wege, in kurzer Zeit verwandelten sich die Wege in kleine Giessbäche,
bald wurde der Lehm weich, die schmalen Radreifen drückten sich tief
in den Boden ein, und an den Füssen unserer ermüdeten Pferde hingen
dicke Lehmklumpen, die ihnen das Vorwärtskommen erschwerten, häufig
glitten die armen Thiere aus, kurz es war eine beschwerliche Fahrt. Spät
Abends erreichten wir im Schritt Sioux City.
Nachdem ich am folgenden Tage daselbst noch eine Maismühle be-
sucht hatte, um die Gewinnung des Negermehls anzusehen, welches wegen
seines Oelgehalts die Brauer verschmähen (vergl. den Bericht über den
Besuch der Pabstbrauerei in Milwaukee), ferner die Leinölmühle, die Gas-
anstalt und die electrische Centralstation für die Strassenbahnen be-
sichtigt hatte, begab ich mich zurück nach Nebraska, indem ich über
Omaha nach Lincoln reiste.
Besuch von Lincoln (Nebraska) am 29. August.
Bei meiner Ankunft in Lincoln erwartete mich der Assistent des
Professor Nicholson, Herr Dr. Frankforter, welchen ich von seiner Studien-
zeit in Berlin her kannte, an der Bahn, um in der den Fremden so
wohlthuend berührenden liebenswürdigen Manier der Amerikaner die
Führung zu übernehmen. Lincoln zeichnet sich dadurch vor den anderen
Städten des Westens aus, dass es vollständig massiv gebaut ist, selbst
die Strassen sind mit sehr harten, rothen Ziegelsteinen gepflastert, was
ihnen ein eigenthümliches Aussehen giebt. Leider war die Ziegelei, welche
dieses Material lieferte „die grösste der Welt", versicherte man mir, --
59
diesen Ausdruck darf man in Amerika freilich nicht allzu wörtlich nehmen —
eben abgebrannt, so dass ich sie nicht besichtigen konnte.
Auf dem Marktplatz von Lincoln sprudelt, als Brunnen geschmack-
voll gefasst, eine starke Soolquelle hervor, welche früher zur Salzsiederei
benutzt wurde. Die Saline ist aber eingegangen, nachdem in dem nahen
Kansas bei Hutschison mächtige Salzlager entdeckt worden sind, welche
auch Nebraska versorgen. Letzterer Staat besitzt übrigens eigene aus-
gedehnte Salzlager, doch fern von den Eisenbahnen und deshalb zur
Zeit noch nicht aufgeschlossen.
Wir begaben uns nach der Staatsuniversität , — Lincoln hat auch
mehr als ein „halbes Dutzend" sogenannter Privatuniversitäten — , an
welchem Professor Nicholson docirt. Augenblicklich studiren an dieser
Universität 600 junge Männer und 500 junge Mädchen. Die Hörsäle
haben in der Mitte einen Gang, der die Geschlechter trennt, zur Linken
sitzen die Herren, zur Rechten die Damen. Sonst herrscht ein zwang-
loser Verkehr zwischen den Studirenden, man arbeitet gemeinschaftlich
zu Hause, an Stelle unserer Commerse finden im Wintersemester mehrere
Bälle statt. Sehr selten sollen Verletzungen der guten Sitte vorkommen.
Im Laboratorium hatte man in der Mitte der Arbeitstische, wo die Eea-
gentien untergebracht sind, eine hohe Scheidewand gezogen. Dies fiel
mir auf, da dieselbe viel Licht wegnimmt, und ich fragte nach der Ver-
anlassung zu dieser eigenthümlichen Einrichtung. Man wolle verhindern,
dass wenn ein Herr und eine Dame gegenüber arbeiteten, zu lebhafte
Gespräche geführt werden, lautete die Antwort.
Professor Nicholson setzte mir ausführlich seine Ansichten über die
Zukunft der Rübenzuckerindustrie in Nebraska auseinander. Zweifellos
sei es, so sagte er, dass man gute Zuckerrüben daselbst ziehen könne,
allerdings sei geeigneter Boden nicht in solchem Umfange vorhanden,
wie man anfangs angenommen habe. Als Eübenböden könnten haupt-
sächlich nur die Flussthäler gelten, weil daselbst in der Nacht
feuchte Nebel herrschen , die während der trocknen Zeit die Rüben er-
halten, und im Herbst die für die Zuckeranhäufung so nöthigen kühlen
Nächte erzeugen. Trotz der hohen Staatsprämie, so meinte Prof.
Nicholson, sei an ein rasches Aufblühen der Rübenzuckerindustrie
in Nebraska nicht zu denken. Zwar seien die Unkosten des Rübenbaus
nicht zu gross, aber das Land sei noch nicht reif dazu. Wir haben, fuhr
Prof. Nicholson ungefähr wörtlich übersetzt fort, dreierlei Arten von
Farmern hier in Amerika zu unterscheiden.
Klasse I hat kein Geld, macht das Neuland nur oberflächlich urbar,
und zieht dann weiter.
Klasse H hat etwas Geld, versteht wenig, bewirthschaftet allein
eine ziemlich grosse Fläche und ist zum Rübenbau ungeeignet. Diese
Klasse ist gegenwärtig fast ausschliesslich in Nebraska vertreten,
60
Klasse III hat viel Geld, Intelligenz und Kenntnisse wie die grösseren
deutschen Landwirthe, diese Klasse findet sich besonders in den Oststaaten.
Erst wenn Klasse III in Nebraska überwiegend ist und Klasse II
verschwindet, würde es Zeit sein in Nebraska mit der Kübenzucker-
fabrikation zu beginnen, so lange dies nicht geschehen, und es kann
noch viele Jahre dauern, wird nach Professor Nicholson's Ansicht
auch die hohe Staatsprämie die Rübenzuckerindustrie in
Nebraska nicht zur Blüthe bringen!
Am Nachmittag führte mich Prof. Nicholson nach den Versuchs-
feldern der Universität, die seit einiger Zeit nicht mehr unter seiner
Aufsicht stehen. An den Rübenversuchen hat gegenwärtig niemand rechtes
Interesse, da man keine besonderen Hoffnungen mehr daran knüpft, auch
die Versuchsstation in Schuyler vorhanden ist, und es überflüssig
erscheint, Parallelversuche mit dieser anzustellen. Die Rübenfelder sahen
denn auch recht verwahrlost aus, alle möglichen Rübensorten wuchsen
durcheinander, anscheinend aus einem zusammengemischten Samen
stammend, die Pflanzen waren weder gehörig verzogen, noch gehackt,
der Boden steinhart und mit Unkraut bedeckt. Dementsprechend
waren die Rüben schlecht entwickelt, unregelmässig gewachsen und vermuth-
lich sehr zuckerarm. Der Anblick zusammen mit den Aeusserungen des
Professor Nicholson, stimmte meinen Eifer, noch weitere Rübenfelder in
Nebraska zu besichtigen so herab, dass ich beschloss, es bei dem Gesehenen
bewenden zu lassen und am nächsten Morgen nach Topeka in Kansas reiste.
Vorher führte man mich in Lincoln noch in eine Papier- und Pappfabrik,
in welchen Strohpappe hergestellt wurde, die aber nichts sonderlich
berichtenswerthes bot. Neun artesische Brunnen lieferten dieser mitten
in der trockenen Prairie gelegenen Fabrik das Betriebswasser! Auch die
Strafanstalt zeigte man mir, „weil daselbst die Gefangenen arbeiteten",
nur schwer konnte ich meinen Führer davon überzeugen, dass dies auch
in Europa stattfinde. Die Bauart des Gebäudes war merkwürdig genug,
in ein grosses Gebäude war mitten hinein ein kleines gesetzt, in welchem
die Gefangenen hinter dem Gitter sassen, wie die Raubthiere in einer
Menagerie. Jede Zelle trug einen Vermerk, welcher in kurzen Daten das
Nationale des Inhabers, den Tag der Einsperrung und die Strafzeit u. a. m.
angab. Unter den Gefangenen befanden sich auffallend viel Neger,
welche meist sehr schwere Verbrechen büssten.
W^ashington, am 4. September 1893.
Unterredung mit dem Landwirthschaftsminister der Vereinigten
Staaten Herrn Sterling Morton.
Des Zusammenhanges halber füge ich hier mit Ueberspringung
meines Aufenthaltes in Topeka in Kansas und in St. Louis die Be-
61
Schreibung meiner Ji^rlebnisse in Washington an. Nach einer einen Tag
und zwei Nächte währenden Fahrt von St. Louis langte ich in dieser
Stadt früh morgens um 7 Uhr an, in Folge der vortrefflichen Schlaf-
wageneinrichtungen der Pensylvania Eisenbahn trotz grosser Hitze so
frisch, als ob ich die Nächte zu Hause verbracht hätte. Die europäische
Peinlichkeit in den Strassen, die massive Bauart der Häuser und Villen,
die asphaltirten Strassen Washingtons erweckten in mir ein behagliches
Gefühl, denn diese Dinge vermisst der Europäer im Westen gar sehr.
Im Arlingtonhotel, einem alten zumeist aus Holz gebauten vielstöckigen
Hause, welches trotzdem den ersten Ruf sich bewahrt hat, herrschte
reges Leben, da die ausserordentliche Sitzung des Congresses zur Lösung
der Silberfrage gerade auf dem Höhepunkt stand, auch Claus Spreckels
war eben eingetroffen, um für eine Regelung der Verhältnisse auf den
Sandwich-Inseln in seinem Interesse zu wirken. Ich begab mich zuerst
zu dem deutschen Botschafter, Freiherrn von Saurma, an welchen ich,
ebenso wie an die deutschen Consuln in den besuchten grösseren Plätzen
durch directen Erlass vom Auswärtigen Amt empfohlen worden war.
Der Botschafter, welcher erst seit ungefähr 8 Tagen seinen neuen
Posten angetreten hatte, empfing mich sehr freundlich, plauderte ein
viertel Stündchen mit mir, wobei er mir über die Ernteaussichten seiner
ensreren schlesischen Heimath erzählte und wies mich darauf an den Ge-
sandtschaftssecretär Baron von Kettler. Letzterer hatte mich bereits vorher
an den Ackerbauminister empfohlen, was ich aber noch nicht wusste, und
stattete mich nun nochmals mit einer Einführungskarte aus. Mit dieser
versehen begab ich mich nach dem am Weichbilde der Stadt, nicht weit
von dem grossen Obelisken gelegenen Ackerbauministerium. Der Minister
war nicht anwesend und wurde erst nach Schluss der Senatssitzung er-
wartet, ich ging deshalb weiter nach dem chemischen Laboratorium,
welchem Herr Wiley vorsteht. Das Institut, aus welchem jahraus jahr-
ein so viele umfangreiche Berichte hervorgegangen sind, die auch in
Deutschland ständiges Interesse erregt haben und drüben vielfach anregend
und fördernd wirkten, ist in einem nach dem Muster der amerikanischen
Einfamilienhäuser gebauten 4 Stockwerk hohen kleinen Hause mit Ziegel-
rohbaufacade untergebracht. Dementsprechend fehlt es an einem grösseren
Arbeitsraume, die innere Ausstattung nach europäischem Muster ist im
übrigen reichhaltig. Herr Wiley übernahm sogleich meine Führung durch
Washington, zunächst nach dem Ministerium des Innern, einem mächtigen
Gebäude, in welchem auch das Patentamt untergebracht ist. Der Tag
war sehr warm, die Thüren der einzelnen Bureaus an den endlosen
Corridoren waren weit geöffnet, so dass man die Räthe (Clercs) bei ihrer
Arbeit beim Vorbeigehen sitzen sehen konnte. In jedem Zimmer befinden
sich ausser dem Chef eine bis zwei Damen, welche stenographiren, und
62
mit der Maschine schreiben, daneben meist noch ein männlicher Secretät,
Die Bedienung und das Reinhalten der Bureauräume besorgen Negerinnen.
Wir traten in mehrere Bureaus, in denen eine ziemliche Aufregung
herrschte wegen des gerade stattfindenden, durch den Sieg der Demo-
craten bei der Präsidentenwahl verursachten Personenwechsels in den
oberen Stellen. Der Minister war nicht anwesend, aber sein erster Rath,
welcher mir auf meine Bitte zusagte, mir die zehnjährige Statistik der
Industrie der Vereinigten Staaten regelmässig nach dem Erscheinen zu
senden. Der deutsche Consul in St. Louis hatte mich auf die Be-
deutung dieser noch unvollendeten und deshalb noch nicht ausgege-
benen Bulletins aufmerksam gemacht. Darauf begaben wir uns in
das Repräsentantenhaus, wo ich einer Senatssitzung beiwohnte. Ein
Silbermann sprach gerade am dritten Tage mit klarer, aber doch er-
müdeter Stimme, zahlreiches Publikum erfüllte die Tribünen, das Haus
selbst aber war leer, kaum ein Dutzend Senatoren war anwesend, theils
arbeitend, theils plaudernd, theils mit grossen Plänen beschäftigt, keiner
sonderlich auf den Redner achtend. Der Präsident hatte die Augen ge-
schlossen und schien zu schlafen, desgl. die Beisitzer. Auf den Stufen
zur Präsidententribüne sassen eine Anzahl Knaben, welche sich mit
Damen- oder einer Art Murmelspiel die Zeit vertrieben. Das harmlose
Spiel der Kleinen, welche als Boten angestellt sind, um Nachrichten vom
Präsidentenplatz durch das Haus zu tragen, sowie die bleierne Schläfrig-
keit des Hauses standen in scharfem Gegensatz zu der Spannung, mit
welcher die ganze Welt ausserhalb damals die Vorgänge im Senat beob-
achtete.
Unterdessen war die Zeit herangekommen, zum Ackerbauminister zu
gehen. Auf dem Wege dahin machte mir Herr Wiley den Vorschlag, an
der Unterredung Theil zu nehmen, da er die Gelegenheit benutzen wolle,
den Minister für die Erhaltung der Rübenversuchsstation in Schuyler
sowie der Sorghumstationen in Fort Scott und Medicine Lodge günstig zu
stimmen, oder ihn doch wenigstens zu bewegen, die Bulletins des Labora-
toriums betreffend den Nachweis der Verfälschungen von Nahrungsmitteln
weiter erscheinen zu lassen, denn auch diesem Unternehmen hatte sich
Herr Morton abgeneigt gezeigt. Mir war dieses Anerbieten sehr will-
kommen, da ich hoffen durfte auf diese Weise weit mehr vom Minister
zu erfahren, als wenn ich als Fremder allein vor ihn getreten wäre.
Kaum waren wir angekommen, so wurde uns gesagt, dass der
Minister uns schon erwarte und wir wurden sogleich vorgelassen. Der
Minister erledigte schnell einige Unterschriften, winkte dann den Damen,
welche Secretärdienste bei ihm verrichteten, das Zimmer zu verlassen
und wendete sich zu mir.
Herr Sterling Morton ist ein kräftiger untersetzter Mann und macht
6S
den Eindruck eines etwa 60 jährigen. Das Gesicht voll, nicht so mager
als sonst bei Amerikanern, das Auge grau und fest, die Stimme kräftig
und kernig, kurz ein gesunder Landwirth, wie sie der weite Westen,
wenn auch selten genug hervorbringt, das Urbild eines entschlossenen
thatkräftigen Mannes. Er richtete an mich die übliche Frage , was
ich von der Bübenzuckerindustrie seines Landes denke, anschliessend
an meine kurze Antwort bat ich ihn mir seine Ansichten über die Aus-
sichten der Industrie in Nebraska mitzutheilen. Kurz und scharf er-
wiederte er mir, dass die Rübenzuckerindustrie daselbst gar keine Aus-
sichten habe. Als genauer Kenner des Landes wisse er, dass die Vege-
tationsperiode daselbst für die Zuckerrübe zu kurz, das Klima überhaupt
nicht günstig genug sei. Auch fehle es zur Zeit daselbst vollständig an
für den Rübenbau geeigneten ländlichen Arbeitskräften. Ich fragte darauf
was er von der californischen Rübenzuckerindustrie halte.
„In Californien,"^) antwortete er, „sind zwar die landwirthschaftlichen
Verhältnisse günstiger, nicht aber die Arbeitsverhältnisse."
Darauf fragte ich den Minister, wie er über die Prämie denke, und
ob es seine Absicht sei, die Aufrechterhaltung derselben zu befürworten.
Herr Morton erwiderte, dass er und seine Regierung ausgesprochene
Gegner der Prämie, sowohl für die Rüben- als auch die Rohrzucker-
industrie seien. Der erste Prüfstein für eine Industrie sei, dass sie ohne
Staatsprämie gedeihe und so lange sie dieselbe nicht entbehren könne,
sei auch die Zeit für die Rübenzuckerindustrie noch nicht gekommen.
Diejenigen, welche diese Industrie jetzt schon einführen wollten, be-
haupteten immer, dass sie äusserst lucrativ sein würde. Wenn so viel
daran sei, so sollten es doch diese Leute zeigen, indem sie mit eigenen
Mitteln vorgehen. „Ich sehe nicht ein, warum wir, so lange es für
uns vortheilhaft ist, und so lange die alten Nationen unsere Landes-
producte nehmen, also unser Fleisch und unsern Mais kaufen, von diesen
dagegen nicht den Zucker eintauschen sollen. Wir haben dabei mehr Vortheil
als wenn wir ihn mit unverhältnissmässigen Kosten im Lande selbst er-
zeugen."
Das Gespräch kam dann auf die Sorghumzuckerindustrie und Herr
Wiley glaubte damit den günstigen Moment gekommen, für Erhaltung der
Versuchsstationen einzutreten. Der Minister wies ihn aber ab. Wenn
etwas an der Sache ist, sagte er, mögen es die Unternehmer oder die
Farmer zeigen, nicht wir, deswegen bin ich gegen die staatlichen Experi-
mentir-Stationen, Medicine Lodge und Fort Scott liegen noch dazu unter
demselben Breitengrade und haben ganz gleiche klimatische Verhältnisse,
eine der beiden Stationen wäre deshalb von Anfang an nicht nöthig ge-
1) In deutscher Uebersetzung, die Unterhaltung fand in englischer Sprache statt.
64
wesen. Alles Gegenreden blieb fruchtlos, der Minister beharrte bei seinem
Plan, diese Stationen, ebenso wie Schuyler eingehen zu lassen.
Herr Wiley suchte darauf wenigstens die Publicationen betreffend
die Nahrungsmittelverfälschungen zu retten und ich glaubte ihn unter-
stützen zu können, indem ich darauf hinwies, dass in Folge der allzu
grossen Freiheit auf diesem Gebiete, in Amerika vielfach als Bier ein
Getränk hergestellt würde, welches der in Deutschland üblichen Definition
dieses Wortes nicht mehr entspräche. Da hatte ich aber wenig Glück,
denn während ich hauptsächlich die schädlichen Hopfensurrogate im Auge
hatte, bezog sich der Minister in seiner Antwort auf die in den Ver-
einigten Staaten so verbreitete Verwendung von Mais an Stelle
von Gerste in der Bierbrauerei. Er setzte mir des längeren auseinander,
dass er, da der Mais eine der Gesundheit durchaus zuträgliche Frucht
sei, auch nicht einsehen könne, warum er beim Bierbrauen nicht Ver-
wendung finden könne, er halte es überhaupt nicht für Aufgabe seines
Departements, der Nahrungsmittelindustrie durch Aufdeckung sog. Ver-
fälschungen irgendwelche Fesseln aufzuerlegen. Nachdem der Minister
mich sodann noch ausdrücklich bevollmächtigt hatte, den Inhalt der
Unterredung zu veröffentlichen, erhob ich mich um mich zu verabschieden.
Ich wurde aufs freundlichste entlassen, und Herr Morton ordnete noch
an, dass mir in Zukunft sämmtliche Publicationen des Departements zu-
gehen sollten. Etwas über dreiviertel Stunden hatte die Unterredung
gedauert, deren Inhalt nachträglich von Herrn Wiley, Herrn Prof. Cuttler
aus Utah, den ich hier zufällig wiederfand, und mir discutirt wurde.
Die Persönlichkeit des Herrn Morton und sein entschiedenes Wesen hat
einen bleibenden Eindruck bei mir hervorgerufen, als eines Mannes, der
unbekümmert um äussere Einflüsse den Weg geht, welchen ihm seine
Principien vorgeschrieben, üeber die Frage der Einführung der ßüben-
zuckerindustrie hatte er offenbar gründlich nachgedacht und sich seine
eigene Ansicht gebildet, von der ihn keine Macht der Erde würde ab-
bringen können. Wennschon es jetzt den Anschein hat, als wenn die
Prämien der Zuckerindustrie das demokratische Regiment überdauern
würden, so dürfen wir deshalb annehmen, dass die Regierung wenn irgend
möglich, in nächster Zeit immer von neuem dagegen ankämpfen wird,
so dass sich bei Anlage von Zuckerfabriken in nächster Zeit nicht sicher
mit der Prämie wird rechnen lassen.
In den vorliegenden Ausführungen wird mancher Leser ausführliche
Zahlenangaben über die Kosten des Rübenbaus in Nebraska vermissen.
Es wäre mir ein leichtes gewesen, mit solchen viele Seiten aus-
zufüllen, denn an Material fehlt es in den Publicationen der Versuchs-
(^5
Stationen und denen von interessirter Seite nicht. Ich habe davon
abgesehen einmal weil ich nicht im Stande bin, den Werth dieser An-
gaben zu controliren, welche naturgemäss bei der in Amerika einmal
notorisch vorhandenen Neigung zu Uebertreibungen noch viel kritischer
betrachtet werden müssen, als europäische Ziffern — musste doch
aber selbst der officielle deutsche Enquetebericht von 1884 zugeben,
dass es auch für Deutschland nicht möglich sei , mit genügender Sicher-
heit die Anbaukosten zu ermitteln, — und ferner weil meiner Ansicht
nach die Frage der Anbaukosten gegenwärtig keineswegs die entscheidende
für die nächste Zukunft des Rübenbaues in Nebraska ist.
Allgemein wird anerkannt, auch von Seiten der Fabrikinhaber, dass
in Nebraska sowohl als in Californien bei einem Preise von unter
5 Dollar die Tonne der Rübenbau nicht mehr rentabel genug ist,
um die gegenwärtige Cultur anderer Feldfrüchte verdrängen zu können.
Wenn bei den vorhandenen Kostenberechnungen in allen Fällen
ein namhafter Gewinn für die Farmer herausgerechnet wird, so ist
dem entgegenzuhalten, dass viele Farmer, besonders bei Grand Island,
absolut nicht mehr zum Rübenbau zu bewegen sind, dass also vermuth-
lich in Wirklichkeit oft ganz andere Zahlen obgewaltet haben müssen.
In der That finden wir in keiner der Berechnungen ein zwei- oder selbst
dreimaliges Bestellen und Säen aufgeführt, wie es so häufig nöthig
gewesen ist.
Fest steht ferner, was übrigens in Europa wohl längst nicht bezweifelt
wurde, dass auch in Nebraska die Zuckerrübe gedeihen kann, wennschon
wegen der abnormen Trockenheit des Sommers in der Regel nur in den
Flussthälern (Prof. Nicholson). Das Klima des Landes ist dem Rübenbau
nicht ganz so günstig als das deutsche, die trockenen Winde im Frühjahr,
etwas ungünstigere Vertheilung der Feuchtigkeit, etwas kürzere Vegetations-
periode, etwas ungünstigere Reifeverhältnisse im Herbst, etwas ungünstigere
Einmietungsverhältnisse und vor allem häufigere gänzliche Fehl-
jahre, bilden eine wenn auch vielleicht von mancher Seite zu hoch ange-
schlagene Erschwerung im Vergleich mit Deutschland. Ganz zweifellos
ist aber, dass die Anfangs drüben gehegte Hoffnung, in Nebraska den
günstigsten Platz der Vereinigten Staaten für die Rübencultur
getroffen zuhaben, sich als trügerisch gezeigt hat. Sicherlich sind,
auch abgesehen von Californien, andere Staaten mindestens ebenso geeignet
als Nebraska. Diese Erkenntniss hat sich nicht nur bei den Behörden in
Washington und Lincoln und bei den Farmern in Nebraska, welche nicht
recht an den Rübenbau heran wollen, nein sogar bei den Unternehmern der
Zuckerfabriken Norfolk und Grand Island Bahn gebrochen. Denn dieselben
beabsichtigen nach ihren eigenen Aeusserungen, wenn die Prämie erhalten
bleibt, zwar in Californien neue Fabriken zu errichten, denken aber zu-
5
66
nächst nicht daran in Nebraska das gleiche zu thun, trotzdem auch da-
selbst bei der Prämie von 2 Cent und bei einem Rübenpreis von 5 Dollar
die Tonne beide, Farmer und Fabrik, verdienen mögen. Der Grund für
das Stagniren liegt lediglich, wie Prof. Nicholson in der Unterredung
mit mir hervorhob, in dem Mangel einer zum Rübenbau befähigten Land-
bevölkerung. Gerade wie in manchen Bezirken Süddeutschlands nach
den Aussagen der Sachverständigen der Enquete von 1884 Zuckerfabriken
nicht bestehen könnten, so lange die Wirthschaftsweise der kleinen Land-
wirthe daselbst nicht eine ganz andere würde, ebenso wenig würde es in
Nebraska der Fall sein. Der Farmer, welcher daselbst mit zwei Söhnen
oder Knechten 280 Acker bewirthschaftet, während die Töchter, die sich
nimmermehr zur Feldarbeit hergeben würden, das Haus und den Hof be-
sorgen, ist auch durch hohen Gewinn nicht zu bewegen, Rüben zu säen, zu
verziehen, zu verbacken oder gar künstlich zu düngen, was an vielen
Stellen bald nöthig sein würde. Mit den vorhandenen Kräften könnte er
dann seine Wirthschaft nicht besorgen, er müsste sich mehr Leute an-
nehmen, wozu nirgend Neigung, vielfach das Geld nicht vorhanden ist.
Diejenigen, welche es versucht haben, schrecken vor den Auslagen zurück,
nachdem ihnen einmal der Samen verweht und eine Missernte eingetreten
ist, was dort viel leichter als bei uns geschieht. So erklärt es sich auch,
dass die Fabrik in Norfolk nicht vorwärts kommt und Grand Island im
Rückgang begriffen ist, weil es an genügenden und an guten Rüben fehlt.
Wahrscheinlich haben wir deshalb gerade in Nebraska wenn über-
haupt jemals, so doch in nächster Zeit schwerlich das Aufblühen einer
Rübenzuckerindustrie zu erwarten. Voreilig wäre es aber, in dieser Be-
ziehung fest auf das gegenwärtig gebildete Urtheil zu vertrauen. Wir
dürfen nicht vergessen, dass zur Zeit unserer Anwesenheit in Amerika
dieses Land von einer wirthschaftlichen Krisis heimgesucht war, die
Jedermann trübe in die Zukunft schauen Hess. Augenblicklich hatte keiner
den Muth, Kapital in der Rübenzuckerfabrikation festzulegen; auch des-
halb, weil die Aussichten der Prämie zu unsicher sind. Denn es wird
von Niemand angezweifelt, dass mit der Prämie, die gesammte amerika-
nische Rübenzuckerindustrie fällt. — Gesetzt aber den Fall, die Prämie
bliebe wie es jetzt den Anschein hat, in voller oder annähernd der
jetzigen Höhe^) erhalten, so ist immer die Möglichkeit in's Auge zu
fassen, dass mit Eintritt besserer Zeiten sich Capitalisten finden, welche
auf dem Wege vorgehen, welcher uns wiederholt als der einzige be-
*) Nach den Vorschlägen der Tarifcommission in Washington soll die Prämie
allmählich beseitigt werden, indem sie jährlich um \ cent verringert wird, so dass
sie erst in 8 Jahren ganz aufgehoben würde. Es besteht somit die Möglichkeit,
dass im Falle bei der nächsten Präsidentenwahl die Gegenpartei siegt, es niemals
zur völligen Aufhebung der Zuckerprämie kommt.
67
zeichnet wurde, um einer Zuckerfabrik in Nebraska das nöthige Rüben-
quantum zu sichern: nämlich Ankauf grösserer geeigneter Ländereien,
welche gegen massigeren als den landesüblichen Pachtzins an kleine
Leute mit der Verpflichtung, ein bestimmtes Areal Rüben zu bauen, zu
überlassen wären.
Trotzdem also gegenwärtig kein Grund für uns vorliegt, uns ge-
rade bezüglich des Aufblühens der Rübenzuckerindustrie in Nebraska in
naher Zukunft zu beunruhigen, werden wir gut thun, die Entwickelung
der Verhältnisse daselbst fortgesetzt mit ebenso aufmerksamen Auge als
in Californien zu verfolgen.
II.
Sorgfhumzuekerindustrie in Kansas.
Von Lincoln reiste ich direct nach Topeka der Hauptstadt des
südlich gelegenen Staates Kansas. Die Gegend bietet hier im allge-
meinen denselben Anblick als weiter nördlich, doch kommen ausser
Mais und Viehweiden auch schon südlichere Früchte wie Tabak in Er-
scheinung. Im Flussthal, in dem die Eisenbahn entlang führt, waren
die Bäume vielfach mit wildem Wein berankt, was im Vergleich mit den
Pappeln Nebraska's einen freundlichen Eindruck hervorruft. In Topeka
begab ich mich sofort in das Staatsgebäude, wo der Landwirthschafts-
secretär leider gerade nicht anwesend war, dafür empfing mich sein erster
Vertreter. Er erzählte mir, dass sie mit dem Zuckerrübenbau hier Miss-
erfolge gehabt hätten, weil die Farmer im Lande dazu nicht reif seien,
dass er aber grössere Hoffnungen auf die Sorghumindustrie setze, über
welche soeben der Bericht für 1892 gedruckt worden sei. Man habe
solche erheblichen Fortschritte in der Erzielung zuckerreicher Sorghum-
varietäten gemacht, dass für die Zukunft auf immer bessere Ausbeuten
zu rechnen seien. Von einem Besuch der beiden Fabriken zu dieser
Jahreszeit (30. August), rieth er aber dringend ab, da weder dort noch
auf den landwirthschaftlichen Stationen viel zu sehen, und die Reise zeit-
raubend und unbequem sei. Ich folgte seinem Rathe und unterliess
den Besuch, weil ich mich bald aus dem mir zur Verfügung gestellten
Berichte überzeugte, dass es mit der Entwickelung der Sorghumindustrie
noch gute Weile hat. Es ist nämlich immer noch nicht gelungen i),
') Vergl. auch Bulletin 37 j S. 84 des Herrn Wiley.
5*
68
Säfte zu erhalten, die sich auf Korn Verkochen lassen, die Fa-
briken arbeiten nur durchs die hohen Prämien von 2 cent von den Ver-
einigten Staaten, und % cent vom Staate Kansas höchstens mit einem
sehr kleinen Gewinn, der aber die Höhe dieser Prämie noch nicht
einmal erreicht.
Die gesammte Menge des Sorghumzuckers betrug 1892:
in der Fabrik zu Medicine Lodge ... ..... 486000 Pfd.
bei der Parkinson Company 480 900 „
bei der Medicine Lodge Raffinerie 30 800 „ ^)
998 100 engl. Pfd.
wozu noch 100000 Pfd. Nachproducte erwartet werden,
Die Fabrik zu Medicine Lodge hatte 2167 Acker Sorghumhirse
zur Verfügung, welcher sich massig entwickelt hatte, die Campagne
dauerte mit zeitweisen Unterbrechungen wegen Kohlenmangels vom
12. September bis Ende October. Eine Kostenaufstellung hat die Ge-
sellschaft der Regierung in Topeka nicht überreicht, weil sie auch die
städtischen Wasserwerke und andere industrielle Anlagen mit ihren
Maschinen besorgt, und angeblich deshalb nicht in der Lage ist, den
Gewinn an der Zuckerfabrik für sich zu berechnen.
Die zweite Fabrik in Fort Scott, die Parkinson -Gesellschaft, hatte
1350 Acker Sorghum contrahirt, in Folge des ungünstigen Frühjahres
konnte aber der grösste Theil dieser Fläche nicht damit bepflanzt
werden ; später bauten manche Farmer andere Früchte daselbst, so dass nur
900 Acker wirklich geliefert wurden. Da dieses Quantum nur langsam
angefahren wurde, konnte die Fabrik auch hier nur mit Unterbrechungen
vom 25. August bis 26. October arbeiten.
Folgende Aufstellung wurde abgegeben:
1892, Parkinson Compagnie.
Werth der verarbeiteten Sorghumpflanzen . . . $ 75,000,00
Tonnen auf Syrup verarbeitet 562
„ auf festen Zucker verarbeitet 4276
4838 Tonnen im Ganzen.
Daraus gewonnen:
fester Zucker 480900 Pfd.
Melasse 56 200 Gallonen
Syrup 13 000
') Alle diese Angaben sind dem erwähnten kurzen Bericht entnommen, betitelt
„the Sugarindustry in Kansas", welche mir auf dem Staatssecretariat ausgehändigt
wurde.
69
Per Tonne Sorghumzucker Pfd. .......... 112^ = 5,625^
Arbeiter an Zahl 60
Preis für die Tonne Rohr 2,11 Doli.
Für neue Maschinen und Reparaturen 2 175,00 „
Löhne bis 1. Januar 1893 5531,46 „
Im ganzen für Rohr bezahlt 10 222,96 „
Für Kohlen 984,00 „
Für Steuern 356,79 „
Für Versicherung 600,00 „
Für Unfälle 1 275,30 „
Bureauarbeiten u. a 1 876,00 „
Gesammtproductionskosten 23021,51 Doli.
Werth des Productes 480900 Pfd. Zucker ä 2k cent . . . 11421,37 Doli.
130 Gallonen Syrup ä 23 cent 2 990,00 „
56 200 Gallonen Melasse ä ök cent 3091,00 „
Kansas Staatsprämie (| cent auf das Pfund Zucker) .... 3 606,75 „
Vereinigte Staaten-Prämie (2 cent das Pfund Zucker) . . . 9 618,00 „
zusammen . . 30727,12 Doli.
Davon ab: Productionskosten . . . 23021,51 „
Netto -Gewinn ........... 7 705-61 Doli.
Also rund 7700 Doli, wurden verdient bei 13 200 Doli. Prämie. Was
will es dem gegenüber bedeuten, wenn rühmend hervorgehoben wird,
dass der Zuckergehalt des Bohres von durchschnittlich 9 auf 13V2 7o ge-
stiegen, in den Versuchsstationen sogar vielfach über 16 ^/o betragen habe.
Die Thatsache bleibt bestehen, dass in Folge des hohen Gehaltes an
gummiartigen Stoffen und an Glucose die Säfte nur blank gekocht werden
konnten und nur 5,67o feste Zucker erhalten werden konnten. Trotz-
dem die Ernte pro Acker anscheinend (die Fläche ist nur geschätzt)
über 50 Tons betragen hat, haben sich die Farmer „des schlechten Früh-
jahrs" halber nicht einmal bewegen lassen, die contrahirten Flächen
Sorghum zu bauen. Es kann keine Frage sein, dass mit der Prämie die
kleine Sorghumzuckerindustrie fällt, ja dass sie nicht einmal eine Ver-
minderung derselben lange wird überdauern können.
III.
Besehreibung zweier Raffinerien.
1. Die Raffinerie in Brooklyn.
Ankunft in New-York Mittwoch, den 23. Juni 1893, am
Donnerstag den 25. Besuch bei Herrn Matthieson, einem der
Herren Directoren des Zuckertrust. Am Tage nach unserer Ankunft
begaben wir uns nach dem Geschäftshaus der Sugar-Refining Company,
70
am unteren Ende der Wallstreet. Herrn Havemeyer, an welchen wir von
Herrn Geheimrath Schöller -Breslau empfohlen waren, trafen wir leider
nicht an, da er während des Sommers in Newport, dem Seebade der
vornehmen Welt von New -York verweilt Dagegen empfing uns Herr
Matthieson, der technische Director des Trust, an welchen mich Geheim-
rath Langen freundlichst empfohlen hatte zuvorkommend. Er theilte uns
mit, dass die Arbeitsweise der sämmtlichen Raffinerien des Trust im
wesentlichen dieselbe sei, niemals werde Rübenzucker allein verarbeitet, ^)
sondern nur in massigem Zusatz zu Colonialzucker, es sei deshalb genügend,
eine der Raffinerien zu sehen, nämlich die Havemeyer'sche in Brooklyn,
welche das grösste Quantum 4000000 Pfd. Einwurf am Tage verarbeite.
Auf Befragen erzählte er uns, dass das Ausscheidungsverfahren nach Steffen
zur Entzuckerung der Melasse sich bei ihnen nicht bewährt habe, wegen
des störenden Einflusses des Invertzuckergehaltes der Colonialzucker, es
bestehe auch gar kein Interesse für sorgfältige Ausarbeitung der Colonial-
Syrupe auf festen Zucker, da für ersteren der Markt sehr aufnahmefähig
sei und bei hohen Preisen der Bedarf nur mit Mühe gedeckt werden
könne. Zu den Versuchen die Rübencultur und die Zuckerfabrikation aus
Rüben in den Vereinigten Staaten heimisch zu machen, hatte Herr Matthieson
zur Zeit wenig Vertrauen. Er stattete schliesslich uns drei (Herrn Dr. Bartz,
Herrn Schöller und mich) mit einem Einführungsschreiben an die
Raffinerie in Brooklyn aus.
30. Juni 1893. Besuch der Zuckerraffinerie in Brooklyn,
vormals Havemeyer & Eiders. Die Fabrik repräsentirt sich als ein
aus mehreren hohen Häusern von acht und mehr Stockwerk bestehender
Gebäudecomplex, dicht am Hafen gelegen, so dass der Zucker direct von
und nach den Schiffen gelangen kann. Zur Zeit herrschte an der Verladungs-
stelle rege Thätigkeit, indem Rohzucker aus den verschiedensten Ländern
Cuba, Philippinen u. a., dessen Herkunft an der verschiedenen landes-
eigenthümlichen Verpackung ohne weiteres kenntlich ist, der Fabrik
zugeführt wurde. Die Anzahl der Arbeiter an den Docks wurde zu 1200,
in der Fabrik zu 800 angegeben, welche bis vor kurzem 2 Dollar pro
Tagschicht von 12 Stunden zur Zeit Doli. 1,80 Lohn erhielten. Die
Herabsetzung des Lohnes ist nicht ohne ernstliche Differenzen zwischen
Arbeitgebern und -nehmern vor sich gegangen, was sich auch dadurch noch
kenntlich machte, das die Fabrik zur Zeit unseres Besuches noch von
Detectives umstellt war. Bei der Meldung stellte sich heraus, dass in
Folge eines Schreibens des Herrn Geheimrath Schöller an Herrn Havemeyer
-für dessen Sohn und mich bereits vor längerer Zeit seitens der Compagnie
*) Später theilte mir Herr Matthieson mit, dass in der Rafliuerie Yersey City
zur Zeit auch Rübenzucker für sich nach Steffen gewaschen werde.
71
die Erlaubniss zur Besichtigung ertheilt war und dass wir beide von dem
Director der Fabrik und dem Chemiker Herrn Wiechmann erwartet
worden waren. Die Herren nahmen uns denn auch auf das liebenswürdigste
auf und widmeten sich viele Stunden ausschliesslich unserer Führung.
Im Vergleich mit europäischen Eaffinerien fällt zunächst auf die
Grösse der Dimensionen sämmtlicher Maschinen und Apparate und das
Uebereinanderlegen einzelner Stationen in den landesüblichen, aus zahl-
reichen Stockwerken bestehenden Gebäuden. Von der Grösse der Fabrik
wird der deutsche Leser sich einen ungefähren Begriff machen bei der
üeberlegung, dass der Einwurfszucker, welchen die Fabrik in etwa
200 Tagen verarbeitet, ebenso viel wiegt, als sämmtlicher in einem Jahre
in Deutschland zum Consum gelangender Zucker, üeber einander geschichtet
in drei Etagen liegen z. B. auch die Dampfkessel.
Der Einwurfszucker bestand zur Zeit aus Colonialzucker von ziem-
lich geringer Polarisation, vielleicht 92 — 93 'Yo und 12 7ü Rübenzucker,
manchmal werden aber auch bis 50 und mehr Procent Rübenzucker ver-
wandt, je nach der Marktlage, doch wird deshalb die zu beschreibende
Arbeitsweise der Fabrik, welche hauptsächlich die Eigenschaften des Rohr-
zuckers berücksichtigt, niemals geändert, da letzterer die Hauptrolle spielt
und Rübenzucker allein für sich niemals zur Verarbeitung kommt.
Die einzuschmelzenden Rohzucker werden keiner Affination
unterworfen, da die Mehrzahl derselben wegen der schlechten Beschaffen-
heit des Korns sich dazu gar nicht eignen. Der Invertzuckergehalt ist je nach
der Abstammung häufig hoch, bei manchen 7 "^/o und mehr, die meisten
sind stark inficirt mit allen möglichen Pilzen, alle fast mit Ausnahme
natürlich der Rübenzucker sind sauer. Letztere werden nach dem be-
kannten Aschenrendement, die Rohrzucker dagegen nach Polarisation ge-
kauft. Der Zucker wird direct vom Schiff oder Lagerraum in ziemlich
kleinen Bassins (angeblich nur 25 Ctr. fassend) zu einem Syrup von 60 ^
eingeschmolzen und alsdann durch Pumpen in die obersten Stockwerke
befördert, von welchen er im Lauf des Betriebes allmählich wieder nach
unten gelangt, so dass der Saft nirgends nochmals gehoben werden muss.
Zunächst erfolgt eine Vorreinigung des Saftes mit sog. Superphosphat,
d. i. ein mit Salzsäure hergestellter Extract aus Knochenkohle. Die
Rohzuckerlösung reagirt schwach organisch sauer, höchstens bei Zusatz
von viel Rübenzucker neutral, niemals alkalisch. Die Alkalität oder
Acidität wird im Betriebe nicht regelmässig bestimmt. Bei Zusatz des
Superphosphats fällt ein Niederschlag, hauptsächlich phosphorsaures Eisen
und Thonerde, wahrscheinlich auch etwas kieselsauren Kalk und organische
Substanzen enthaltend, bei kalkreichen Nacliproducten aus Rübenzucker
wohl auch phosphorsaurer Kalk aus, welcher mechanisch klärend wirkt.
Zuweilen wird es für angezeigt gehalten, zur Verstärkung des Nieder-
72
Schlages etwas Kalkmilch zuzugeben, also neutralen phosphorsauren Kalk
zu erzeugen, selbstverständlich aber nicht so viel, um alkalische Reaction
wie bei unsrer Scheidung zu erhalten, da sonst die Flüssigkeit dunkel
werden müsste in Folge des Einflusses des Kalks auf den Invertzucker.
Darauf erfolgt ein Zusatz von Sägemehl und Filtration durch die be-
kannten Kroog'schen Pressen mit grossen Kammern , welche in den Co-
lonien sonst meist mit grobkörniger Knochenkohle gefüllt werden.
Für die fernere Arbeit ist characteristisch, dass sie durchweg bei
verhältnissmässig sehr niedriger Temperatur von Statten geht, welche
wir mit peinlicher Sorgfalt vermeiden aus Furcht vor dem Gedeihen der
invertirenden Gährungserreger. Man sollte meinen, dass bei den stark
inficirten und bereits invertzuckerhaltigen Colonialzuckern erst recht
gegen diese angekämpft werden sollte. Indessen ist zu bedenken, dass
bei hohen Temperaturen die letzteren ohne erhebliche Caramelisirung des
so leicht zersetzlichen bereits vorhandenen Invertzuckers gar nicht zu ver-
kochen sind, und dass ferner kein Gesetz die Fabrikanten zwingt, behufs
Erzielung steuerfreier Abläufe eine bestimmte Menge festen Zucker heraus-
zuholen, üeberdiess aber behandelt man sogleich nach dem Zusatz des
Superphosphats die Säfte mit dem seit Alters beliebten Antisepticun der
Rohrzuckerfabriken, der schwefligen Säure. Der Saft wird unmittelbar
nach der Klärung geschwefelt, und zwar, da er einmal sauer ist, man
den Invertzucker aber auch nicht unnütz vermehren will, bei der mittleren
Temperatur von 56—60 ^ C, welche er besitzt, es schadet aber nicht
nur nichts, sondern ist sogar angenehm, wenn die Temperatur niedriger ist.
Die freie schweflige Säure wirkt überdies kräftig bleichend. Eine chemische
Controle über die Menge der zugeführten schwefligen Säure bez. die Zu-
nahme der Acidität findet auch an dieser Stelle nicht statt. Dieselbe
könnte auch nicht viel Zweck haben, da bei der verschiedenen Beschaffen-
heit des Einwurfszuckers vermuthlich Auge und Geruch einen besseren
Anhalt für die nothwendige Menge schwefliger Säure geben, als die
Titration im Stande wäre.
Nunmehr wird der Saft bei der mittleren Temperatur, welche er
gerade besitzt, einer starken Filtration über 70 °/o Knochenkohle unter-
worfen. Dieselbe ist feinkörniger als bei uns, grusartig und wie bekannt
ziemlich reich an der wirksameren inneren Knochenmasse , welche
früher von unseren Knochenkohlebrennern zu feinem Pulver gemahlen
nach den Colonien verkauft wurde. Die Regeneration der Knochen-
kohle geschah ausschliesslich durch Waschen mit heissem Wasser in den
Filtern und Glühen, Salzsäurezusatz um kohlensauren Kalk zu lösen,
erwies sich beim Colonialzucker nicht nöthig, auch eine Entgypsung wird
nicht vorgenommen. Jedes Filter wird für sich behandelt und je nacli
der Art des aufgelösten Rohzuckers die filtrirten Säfte gesondert und in
73
der Kegel nach 24 Stunden abgesüsst. Der filtrirte Saft wird darauf in
Vacuumapparaten mit bei uns nicht üblicher ausserordentlich grosser
Luftleere und entsprechender Temperatur verkocht nämlich häufig unter
60 ja unter 50 "^ C. Die Heizfläche muss daher bedeutend sein.
Die mächtigen Vacuumapparate von cylindrischer Form, welche seit
Anfang der 80 iger Jahre in Betrieb sind, enthalten bereits alle diejenigen
Einrichtungen, auf welche bei uns erst in letzterer Zeit grosser Werth
gelegt ist, also parallele Lage der Schlangen senkrecht über einander, und
mächtige Oeffnung, durch welche der Sud in 5 Minuten entleert werden
kann. Dieser Theil der Fabrikation war für uns besonders fesselnd. Durch
das Kochen bei so niederer Temperatur wird natürlich die Krystallisation
reichlicher und nachträgliches Stehen des Sudes behufs Nachkrystallisation
und Erkalten mit oder ohne Bewegung nicht so nöthig wie bei uns. Es
ist ja aber auch aus den eingangs erwähnten Gründen auf die Gewinnung
möglichst vielen Zuckers in fester Form hier nicht so viel Gewicht gelegt
wie bei uns. Dadurch rechtfertigt sich die nachfolgende Arbeitsweise,
welche in Bezug auf Schnelligkeit und Einfachheit ohne Gleichen sein
dürfte. Die Füllmasse nämlich entleert sich in eine unmittelbar unter
dem Vacuum befindliche schiffbauchähnliche grosse Maische, welche
direct über den Gentrifugen steht, durch ein einfaches in verticaler
Richtung arbeitendes Rührwerk wird sie ip der Sudmaische vertheilt,
über jeder Centrifuge enthält dieselbe eine Oeffnung und unmittelbar
nach dem Ablassen des Sudes also 5 Minuten nach Beendigung des Ver-
kochungsprocesses beginnt auch schon die Schleuderarbeit. Die Vor-
richtungen zum Antrieb der Gentrifugen befinden sich, wie auch bei uns
bei neueren Anlagen in der unteren Etage, so dass der Arbeiter sich auf
dem ebenen Fussboden des ganzen Raumes befindet und keine Erhöhung
zu betreten braucht, um zur Centrifuge zu gelangen; nachgedeckt in der
Centrifuge wird nur nach alter Weise mit kaltem Wasser.
Sofern nicht auf granulated gearbeitet wird , werden Brode oder
Würfel in ähnlicher Weise wie bei uns hergestellt. Eigenartig berührt
dabei, dass die benutzten Maschinen sämmtlich verschieden von den
unsrigen sind, indem sie alle, mit alleiniger Ausnahme der erwähnten
Kroog'schen Pressen von der Sangerhäuser Maschinenfabrik amerika-
nischen Ursprungs sind. Die Brode von ziemlich kräftigem Korn und
circa 50 Pfd. Gewicht werden nicht genutscht, sondern die Spitzen ab-
gebrochen. Sie werden nicht als solche verkauft, sondern zu Würfeln
geschnitten, welche in der Mitte, da die Zargen der Säge nicht über-
greifen eine schmale Bruchstelle zeigen. Diese Würfel bilden hier den
beliebtesten Consumzucker. Es werden aber auch direct aus geschleuderten
Zucker Presswürfel hergestellt mittelst Maschinen, welche den unseren
74
sehr unähnlich erscheinen. Auch gewaschene Baffinaden utid Puderzucker
werden selbstverständlich erzeugt, und viele Farine.
Die Syrupe werden sämmtlich auf Speisesyrupe verarbeitet in be-
kannter einfacher Weise, indem sie einer nochmaligen Knochenkohlen-
filtration unterworfen werden.
2. Die Zuckerraffinerie in San Francisco.
Wie die Brocklyner Raffinerie liegt die von San Francisco am Hafen,
für den Fremden schwer zu finden, weshalb mich der Director Herr
Sprague selbst freundlichst hinunter geleitete. An den Docks liegen
die Seeschiffe aus Honolulu, welche recht schlechten Rohzucker heran-
führen. Mittelst einer eigenen elektrischen Bahn wird er nach den Lager-
schuppen oder der Fabrik geführt, welche täglich 750 tons Zucker ein-
schmilzt. Die Kohle kommt gleichfalls aus Schiffen direct mittelst einer
Kabelhochbahn, die einen imposanten Eindruck macht, nach dem Kohlen-
haus. Der fertige Zucker hinwiederum gleitet auf einer Rutschbahn aus
der Fabrik, wie man sie hier überall in den Badeanstalten mit Schwimm-
bassins hat, eine zweite solche Rutschbahn wie für die Säcke ist für
die Fässer vorhanden.
Im Parterre stehen die Einschmelzbassins mit kräftigen vertikal und
kreisförmig wirkendem Rührwerk ganz wie die Maischbottiche hier in den
Brauereien, die Lösungen werden darauf wie in Brooklyn mit Phosphat-
lösung geklärt, geschwefelt (?) und gehen dann durch freihängende
Taylorbeutel. Sägemehl- und Sangerhäuser Pressen hat man hier als un-
zweckmässig wieder verlassen, man meinte, dass solche zur Zeit n u r in
Brooklyn arbeiteten, dagegen muss man manchmal bei ganz schlechten
Zuckern zu Blut zurückgreifen. Eine Zeit lang hat man auch mit einer
seifenartigen kieselsauren Thonerde geklärt, welche in Californien ge-
funden und vielfach zur Verfälschung von Seife benutzt wird. Dieses
Silicat ballt sich beim Erhitzen flockig zusammen, nachdem es vorher eine
Emulsion gebildet hat. Andere Thonerdecilicate, die man probirte, setzten
sich zu schnell ab. Leider ist das Mineral neuerdings so selten ge-
worden , dass die Raffinerie nicht mehr genug davon erhalten konnte,
es soll noch in der Sierra Nevada vorkommen, aber zu weit von der
Bahn und deshalb zu theuer.
Zum Verkochen sind eine Anzahl zum Theil eigenartig aussehende
und sehr grosse Vacuas vorhanden, welche alle hier von Herren Sprague
construirt und in San Francisco angefertigt sind. Für die Abwässer von
den Knochenkohlenfiltern ist ein Doubleeffet aufgestellt, welches aber
nicht ganz ausreichen soll. Auch hier wird wie in Brooklyn bei niederer
Temperatur gekocht und ist die Disposition der Sudmaischen und Centri-
fugen genau so wie dort. Die Auslassöffnung des Vacuums ist eng,
75
dennoch genügten drei Minuten, den Sud zu entleeren, weil man hier
lange nicht so stramm kocht als bei uns. Bei dieser Gelegenheit will ich
nicht unerwähnt lassen, dass angeblich die grosse Oeffnung der Brook-
lyner Vacuas lediglich davon herrührt, weil man sie für bequem hielt,
um besser in das leere Vacuum hineinkriechen zu können. Die Form der
Sudmaischen ist hier nicht trogförmig, sondern es sind grosse viereckige
Kasten mit Kührwerk ähnlich den unseren. Auch hier wird heiss ge-
schleudert und sofort der Ablauf verkocht. Da für Nachproducte und
Farine kein Markt vorhanden ist, wird alles auf weissen Zucker ver-
arbeitet. Ein Sud soll nur IV2 bis 3 Stunden dauern!
Der Antrieb der Centrifugen ist wie in Brooklyn von der unteren
Etage aus, gedeckt wird gleichfalls nur mit Wasser. Sehenswerth sind
die mächtigen Trockenapparate für den granulated, der heiss und un-
gesiebt gesackt oder in Fässer gefüllt wird. Letztere stehen auf Eisen-
platten, welche von unten her beständig in stampfender Bewegung ge-
setzt sind, um dadurch die Zuckerkrystalle fester zu lagern. Sehr hübsch
ist auch eine mechanische Transportvorrichtung für die Fässer.
Zur Herstellung der Presswürfel dienen liegende cylindrische Maschinen
von grosser Leistungsfähigkeit.
Die Kühlung der Condensatoren geschieht mit Salzwasser aus dem
Hafen, welches eine automatisch sich selbst regulirende Pumpe eigener
Construction fördert.
Die Dampfkessel liegen frei und sind nur durch starke Asbestbekleidung
vor Wärmeverlusten geschützt, die Kohle (englische) wird auf Plan-
rosten verbrannt.
Die Fabrik beschäftigt 500—600 Arbeiter. Im Laboratorium, wo
sich ein Laurent - Polarisationsapparat mit Natriumlicht! befindet, fand
ich in dem Chemiker Herrn Michaelis einen Schüler des Vereinslaboratorium
wieder, welcher zu meiner Freude sofort beurlaubt wurde, um mich durch
St. Francisco zu führen.
Hier wie in Brooklyn fällt der Mangel jeder Affination des
Zuckers vor dem Einschmelzen auf. Man ist der Ansicht, dass
eine solche sich wegen der schlechten und unregelmässigen Beschaffenheit
des Colonialzuckers nicht durchführen lasse. Speciell hat man dabei wie
Herr Oxnard und auch Herr Matthieson mir auseinandersetzten, mit dem
Steffen'schen Waschverfahren schlechte Erfahrungen gemacht, was ja
auch nicht Wunder nehmen kann. Die reineren Waschsyrupe werden
eben in Folge der starken Infection durch den sauren Rohzucker immer
in kurzer Zeit Gährung bez. Invertzucker zeigen müssen. Herr Matthieson
hatte die Freundlichkeit bei der Rückreise in New- York mir über diesen
Punkt noch in einer längeren Unterredung Aufschluss zu geben. Ein
76
Haupthinderniss für die Wäsche auch der Füllmassen bez. der eigenen
Nachproducte bildet auch, dass man auf so feines und deshalb unregel-
mässiges Korn zu arbeiten genöthigt ist und dass die Kohzucker häufig
so schmierig und schleimig sind, dass glatte Arbeit in der Wäsche auch
dadurch unmöglich wird.
Was wir und speciell unsere Finanzverwaltung als granu-
lated bezeichnen ist in den Vereinigten Staaten nach dem überein-
stimmenden ürtheil aller Zuckerfabrikanten, die ich dort gesprochen habe,
nicht verkäuflich. Unter granulated versteht man dort einen gut
abgedeckten feinkörnigen vom Feinmehl durch Absieben nicht be-
freiten weissen Zucker.^)
IV.
Besiehtigung der Glucosefabrik in Davenport, Jowa,
am 23. Juli 1893.
Der Fabrik stehen die Herren Director Best und der bekannte
deutsche Chemiker Dr. Arno Behr vor, welcher letzterer früher die
Chicagoer Stärkezuckerfabrik geleitet hat und dem die Stärkezucker-
industrie die wichtigsten Entdeckungen verdankt. Um die Bedeutung
dieses Mannes zu würdigen, sei nur erwähnt, dass er der erste war, dem
es gelang den krystallisirten Stärkezucker, das Glucoseanhydrid, aus
wässeriger Lösung fabrikmässig darzustellen, eine Erfindung, welche
allein es ermöglicht hat, reinen Stärkezucker frei von Beimengungen
zu gewinnen. Genial in seiner Einfachheit ist das Verfahren desselben
Erfinders die Keime, welche sich in jedem Maiskorn befinden, behufs
Darstellung reiner Maisstärke einer- und Maisöl andererseits zu entfernen.
Dieses Verfahren beruht darauf, dass der Mais zunächst mit wässeriger
schwefliger Säure behandelt wird, wodurch das ganze Korn eine gleich-
massige Beschaffenheit annimmt, welche gestattet, den Inhalt durch Mahlen
unter schwachem Druck gleichmässig zu zerkleinern, ohne dass die Keime
zerstört werden. Indem Arno Behr darauf aus der gemahlenen Masse
durch Wasserzusatz eine Emulsion von bestimmtem specifischen Gewicht
herstellt, ermöglicht er es, dass sich die Schaalen nach unten und die
») Es dürfte wichtig sein, für den Fall, dass der Export von weissem Zucker
nach den Verdnigten Staaten demnächst möglich werden sollte, diesen Punkt zu
beachten. Eine Probe von der drüben gangbaren Verkaufswaare von granulated
stelle ich zur Ansicht gern zur Verfügung,
11
Keime als specifiscli leichtere Theile üach oben zusammenziehen, wo-
durch also eine leichte Trennung auf mechanischem Wege stattfindet.
Letzteres Verfahren ist jedoch Eigenthum der Fabrik in Chicago ge-
worden und deshalb in Davenport nicht eingeführt.
Wir, Herr Dr. Bartz und ich, wurden in Davenport auf das gastlichste
von den genannten beiden Herren aufgenommen und durch die Fabrik
geführt. Letztere verarbeitet als Rohmaterial Mais und stellt daraus
zur Zeit nur flüssigen Zucker her, ausserdem bereitet sie in bekannter
Weise unter Verwendung von Melasse Speisesyrupe, welche in Amerika
ein ungeheuerer Consumartikel sind. Der sogenannte Maplesyrup (Aliorn-
syrup), welcher hier allerwärts zu Kuchen verzehrt wird, ist häufig nur
heller auf diese Weise gewonnener Stärkemelassesyrup. Die Verwendung
des Stärkezuckers zu anderen Genuss- und gewerblichen Zwecken ist
aber gleichfalls bedeutender als bei uns. Arno Behr berechnete die
ungefähre Production der Vereinigten Staaten zu vielleicht zwanzig
Mal so gross als die deutsche.^)
Die Fabrik in Davenport ist nicht neu, in ihren Einzelheiten bietet
sie aber manches Interessante für den mit der Stärkezuckerindustrie Ver-
trauten, welches jedoch den Lesern zu fern liegen möchte.
Die Feuerung der Dampfkessel geschieht durch eine Kohlenstaub-
feuerung, Patent Brightmann, für welche jedoch die Staubkohle nicht be-
sonders hergestellt zu werden braucht, sondern natürlicher Kohlenstaub-
abfall von Staub-, Grus- und Nussgrösse verwendet wird. Die Kohle wird
durch eine automatisch wirkende Vorrichtung auf den Rost geschüttet.
Ganz ähnliche Feuerungen habe ich noch mehrfach, z. B. in dem Ma-
schinenhaus der electrischen Bahn in Colorado Springs besichtigt.
Das Aufschliessen des Mais geschieht auch hier wie üblich mit wäss-
riger schwefliger Säure, die Trennung der Stärke vom Kleber durch
Schwemmen über lange, tafelförmige Bassins, welche ähnlich den in un-
seren Weizenstärkefabriken befindlichen sind. Die Stärke setzt sich dabei
zu Boden, der Kleber bleibt in der Flüssigkeit suspendirt und wird zu-
nächst durch Absitzen concentrirt. Er wird dann mit den Schalen des
Mais, welche zuvor zurückgehalten worden sind, gemischt und diese
Mischung durch Pressen so viel als möglich entwässert. Man erhält auf
diese Weise ein werthvolles Futter, welches nach künstlichem Trocknen
in den Handel gebracht wird.
*) 1890/91 wurden in Deutschland 38611200 Kilo
1891/92 „ „ „ 15205 700 „ erzeugt,
die amerikanische Production schätzt Arno Behr auf 260 Millionen Kilo. Beim Ver-
gleich kommt es natürlich darauf an, welche der beiden Zahlen, für Deutschland zu
Grunde gelegt wird.
7S
Die Verzuckerung der Stärke geschieht mit Schwefelsäure i) und
zwar für flüssige Glucose allerwärts noch in hölzernen Gefässen, für festen
Zucker werden kupferne Digestoren angewandt. Nachdem die Masse
mit fein gepulvertem Marmor neutralisirt und durch Schlammpressen
älterer Construction filtrirt ist, wird sie über Knochenkohle geschickt und
dann im Tripleeffet eingedampft. Die Verdampfapparate sind von Guss-
eisen mit kupfernen Heizröhren. Manche Fabriken verwenden ganz aus
Kupfer verfertigte Vacuums. Für die Erzielung eines hellgefärbten oder
farblosen Präparates ist es vor Allem wesentlich, dass die angewandte
Stärke klebefrei ist, da die geringsten Mengen der stickstoffhaltigen
Substanzen bewirken, dass die Masse beim Erhitzen mit Schwefelsäure
sich bräunt.
Die vorzügliche Beschaffenheit der Producte in Davenport bewies,
dass in gedachter Beziehung die Arbeitsweise tadellos ist. Für uns war
das Zusammensein und der Gedankenaustausch mit den gebildeten Tech-
nikern der Fabrik ungleich werthvoller, als die Besichtigung manches
grösseren Etablissements mit vollkommeneren Apparaten, wo der leitende
Geist fehlte, gewesen wäre.
Schliesslich zeigte uns Herr Best, ein geborener Deutscher, noch
eine Anzahl weitere gewerbliche Anlagen in Davenport und den Nachbar-
städten, unter denen besonders die Wasserfiltrationsanlage uns interessirte.
Die Dampfkessel werden daselbst mit Sägemehl geheizt, welches dort zu
Lande zu Spottpreisen zu haben ist. Die Verbrennung geschieht auf
einem Planrost unter starker Luftzufuhr.
V.
Die Ausstellung in Chicago.
Der feenhafte Eindruck, welchen die weisse Stadt am Michigansee
auf den Fremdling macht, ist oft genug geschildert worden. Auch wir
waren demselben besonders im Anfange gänzlich unterworfen und ge-
blendet davon. Das Gefühl des Stolzes ferner, welches jeder hergeeilte
Deutsche empfinden musste, wenn er sah, wie die heimathliche Aus-
stellung alle anderen überragte und wenn er von allen Nationen Worte
der Anerkennung zu hören bekam , trug nicht wenig dazu bei, dass
*) In den Vereinigten Staaten existirt auch eine Stärkezuckerfabrik, welche mit
Salzsäure verzuckert. Wie die meisten derartigen Fabriken hatte sie aber zur Zeit
unseres Besuches wegen der schlechten Geschäftslage den Betrieb zeitweise eingestellt.
79
wir uns zunächst nicht anders als befriedigt fühlen konnten. Ueberdies
bot die Ausstellung im Allgemeinen ungemein viel lehrreiches und
man hätte sicher monatelang daselbst verweilen und täglich viel neues
zulernen können. Trotzdem, es muss geradezu gesagt werden, befriedigte
uns die fachliche Ausbeute herzlich wenig. Dabei ist kaum anzunehmen,
dass wir etwa in Folge der grossen Ausdehnung der Ausstellung manches
Wichtige übersehen hätten, denn wir wurden trefflich geführt.
Das meiste auf die Zuckerfabrikation bezügliche, befand sich in
dem Gebäude für Agriculture. Aus Deutschland war, in Beziehung darauf,
dort freilich nichts zu finden, denn das Fahlberg'sche Saccharin, welches
sonderbarer Weise hier seinen Platz gefunden, wird man nicht in
Rechnung ziehen wollen.
Culturmaschinen für die Bearbeitung des Bodens für die
Rüben, sowie zum Behacken und Ernten derselben hatte die bekannte
Firma, die Johnston Harvester Co., Batavia N.-Y. ü. S. A., ausgestellt.
Da dieselbe in Hamburg, Magdeburg, Halle und an anderen deutschen
Plätzen Vertreter hat und ihre Maschinen dadurch unseren Landwirthen
bekannt sind, dürfen wir auf nähere Beschreibung verzichten.
Rübensamen war von einigen französischen Firmen ausgestellt,
auch in Amerika gezogener war vorhanden, daran ist aber bekanntlich
nicht viel zu sehen.
Californien hatte zwei riesengrosse Zuckerrüben ausgestellt, jede
vielleicht 3—5 Kilo wiegend. Aus Nebraska waren einige recht gut
gewachsene Rübenexemplare ausgestellt, ferner ein Theil des daselbst ge-
wonnenen Zuckers.
Die Sorghum bauenden Staaten hatten nur Pflanzen aber keinen
Zucker ausgestellt, nur eine kleine ziemlich unansehnliche Probe von
letzterem befand sich in der Ausstellung der chemischen Abtheilung des
Departement of Agriculture. Von den Zuckerrohr bauenden Ländern hatten
nur wenige ihre Producte hergebracht, besonders Erwähnenswerthes war
darunter nicht enthalten. In der Ausstellung von Nebraska befand sich
auch eine Darstellung der einzelnen Phasen der Fabrikation durch Proben
von Rohsaft, geschiedenen Saft, Scheideschlamm und anderes mehr. Am
vollständigsten war noch die Ausstellung zweier russischer Zucker-
fabriken, welche auch Abbildungen der Fabrikanlagen enthielt.
Versteckt in einer Ecke, als Bestandtheil der Ausstellung einer
französischen Versuchsstation entdeckten wir diejenige des französischen
Chemikers Dupont, welche aus in Deutschland bereits bekannten Labora-
toriums-Apparaten bestand und deren Beschreibung wir schon im Bulletin
de Vassociation des cliimistes gelesen hatten. An derselben Stelle be-
fanden sich Proben von Lebaudy Freres in Paris. Hinter Chocoladen
und Confitüren fanden wir eine sehr hübsche CoUection von Zucker-
m
proben, welche das Syndicat der französischen Zuckerfabrikantett
ausgestellt hatte. In der Nähe war auch französischer Candiszucker ver-
treten. Im Catalog steht von beiden noch nichts, vermuthlich sind die
Franzosen zu spät fertig geworden, wie so mancher. Noch zur Zeit
unserer Anwesenheit wurde an manchen Orten ausgepackt und aufgestellt.
Neben belgischem Porzellan, im Manufacturing Building entdeckten
wir ganz zuletzt noch eine ähnliche Collection von Proben, welche die
Vereinigung der belgischen Zuckerfabrikanten ausgestellt hat.
Mit einem Schrank mit Zuckermustern paradirte auch die Sugar
ßefining Co. in New -York, einen eben solchen bot die Starch sugar
ßefining Co. in Chicago , die National - Starch Co. und einige andere
Stärke und Stärkezucker erzeugende Firmen. Besonders reichhaltig war
die Ausstellung der Chicagoer Fabrik, welche leider den Besuchern der
Ausstellung ausnahmslos ihre Pforten verschlossen hielt, weshalb wir
uns später nach Davenport begaben, um dort die Stärkezuckerfabrik zu
besichtigen. Die Ausstellung der Fabrik erklärte uns Herr Matthieson,
(derDirector der Chicagoer Fabrik und Bruder des Directors der Sugar Refi-
ning Co. in New- York). Vorhanden war flüssige helle Glucose, ferner dunk-
lerer Syrup, dann ein als extra hell bezeichneter, ferner als bestes Product die
Confectioners Crystal-Glucose, ein Syrup welcher bei löO'^C. noch nicht
gebräunt wird. Fester Zucker war ausgestellt , braun , unserer Glucose
ähnlich, für Brauereien in England bestimmt, ferner Snowflake sugar,
weisses mehlförmiges Pulver, ferner die verschiedenen Zucker geraspelt,
endlich, das schönste Product der Anhydrid -Zucker, der fast chemisch
reiner krystallisirter Traubenzucker aber augenblicklich schwer zu ver-
kaufen ist. Ausserdem eine sehr hübsche Gummi arabicum-Imitation, deren
Herstellung angeblich Geheimniss ist! Vermuthlich wird sie wohl eben
so gemacht, wie gleichartige Producte in Deutschland, nämlich, einfach
durch Verdünnen, Filtriren und Eindampfen gewöhnlicher Dextrinlösung
zu einer festen glasigen Masse!
Dann war noch vorhanden, Dextrin A. ß. C. auf trockenem Wege
gewonnen, ähnlich den deutschen Producten, verschiedene Maisstärke-
sorten, endlich die werthvollen Nebenproducte der Fabrikation, wie Oel-
kuchen-Mehl, Maisschalen, Maisöl, Glutenmehl und andere.
Ahornzucker und Syrup aus Vermont war natürlich auch ver-
treten und sogar käuflich zu haben. Der Syrup ist wie an anderer Stelle
erwähnt, offenbar häufig verfälscht, und besteht grösstentheils aus Stärke-
zucker- und Rübensyrup.
England und die englischen Colonien, ebenso Holland waren
mit der Zuckerindustrie nicht vertreten.
Das ist alles, was wir in dem Agricultural Building nach eifrigem
Suchen bezüglich der Zuckerindustrie gefunden haben, in den anderen
Gebäuden war die Ausbeute noch schlechter.
81
In der Maschinenhalle fanden wir nur die Zuckerrohrmühle
einer amerikanischen Firma aus Deutschland die Braunschweigische
Maschinenbauanstalt in Braunschweig mit: Filterpresse, Dampf-
schlammpumpe, Füllmassenkasten, Transportkasten dafür, Compressions-
luftpumpe, Maischmaschine. Füllkutsche, Centrifuge für weisse Waare,
Rohzuckercentrifuge, Syruppumpe, Zuckertransportschnecke, Zuckerbecher-
elevator, Decimalwaage. Ausserdem war unter Deutschland noch die
Batterie zum Abnutschen und Decken von Zuckerfüllmasse von Oscar
Mengelbier (Deutsches Patent No. 64429 und 67721) ausgestellt, welche
wegen ihrer einfachen Disposition einen vortheilhaften Eindruck macht.
Das Maschinenhaus bot sonst viel interessantes, worüber speciell zu
berichten uns jedoch zu weit führen würde, z. B. die Ausstellung von
Worthingtonpumpen zum Theil im eigenen Gebäude, alle möglichen
Sorten von Riemenübertragungen, viele Dynamomaschinen und besonders
die Anlage für den Betrieb des Maschinenhauses, welche verschiedene
Systeme von Dampfkesseln mit Petroleumfeuerung enthielt.
In Amerika ist die Ausdehnung der Naturkräfte besonders aber des
fliessenden Wassers durch electrische üebertragung weit mehr ent-
wickelt als bei uns. Nicht allein am Niagara sondern auch in den Städten
am Mississippi, z. B. in Davenport und den Nachbarstädten finden sich
grosse Fabrikanlagen und ganze Netze von Strassenbahnen, welche auf
diese Weise electrisch betrieben werden. Demgemäss ist auch in der
Ausstellung die electrische Abtheilung besonders reichhaltig. Ingenieure,
welche in Frankfurt gewesen waren, versicherten zwar, dort dasselbe und
mehr gefunden zu haben, doch wird man von einer Weltausstellung auch
kaum solche Vollständigkeiten auf Einzelgebieten, wie von einer Fach-
ausstellung erwarten dürfen.
Zu dem besten, was hier geboten wurde, gehört die Ausstellung von
Hartmann und Braun in Bockenheim-Frankfurt a. M. Widerstandsbrücken,
Galvanometer, Voltämeter, Pyrometer, welche auf electrischem Wege
Temperaturen bis 1000^ C. mit grösserer Genauigkeit als andere derartige
Instrumente zu messen gestatten, und anderes mehr von derselben Firma,
erregten durch die Praecision der Arbeit, grosse Empfindlichkeit und
massige Preise unsere Bewunderung. Neben den zahlreichen Dynamo-
maschinen und Motoren interessirte das grosse Publicum besonders das
Aufleuchtesystem, welches auch bereits voa einem Chicagoer Geschäfts-
haus Anwendung gefunden hatte. Man lässt dabei das electrische Licht
von einer Lampe auf eine Reihe folgender gleiten, in dem die vorher-
gehenden erlöschen und erzielt so wirksame Lichteöecte. Interessant
waren uns auch die electrischen Heizapparate einer grossen Anzahl
amerikanischer Firmen. Die American Electric Heating Co. in Briston,
Ansenia Electric Chicago, Burton Electric Co., Cutter & Co. Chicago,
6
82 .
Electrical Forging Co. Boston, Coope Electric Heater Co. und mehr als
ein halb Dutzend andere Firmen hatten solche Apparate für häusliche
und industrielle Zwecke, einige auch Zimmeröfen ausgestellt. Die grosse
Zahl der Firmen, welche sich mit der Frage beschäftigen, zeigt, welche
Bedeutung man ihr hier beilegt. Ausser den General- Motor Co. in
London, war auf dem Gebiete der Heizapparate keine europäische Firma
vertreten.
In Bezug auf Laboratoriumsapparte haben wir nichts neues auf
der Ausstellung gefunden. Würdig vertreten waren nur die deutschen
Firmen, hauptsächlich die Thüringer Glasbläsereien, welche einzeln aus-
gestellt hatten und einige Berliner Firmen, welche sich zum Theil unter
dem Reichsgesundheitsamt producirten.
Von Mikroskopen überragten die Zeiss'schen aus Jena alle übrigen.
Polarisationsapparate hat allein Schmidt & Hänsch in Berlin aus-
gestellt. Ganz oben unter dem Dache neben einigen zurückgesetzten
Musikinstrumenten, fanden wir auch das üniversalpolarisationsinstrument
derselben Firma, welches die deutsche mechanische Gesellschaft dem
Professor Helmholtz zu seinem 70jährigen Geburtstag verehrt hat.
VI.
Besichtigung anderer Fabriken in den Vereinigten
Staaten.
1. Besuch der Pabst-Brauerei in Milwaukee
am i8. Juli 1893.
Die Pabst-Brauerei ist eine der grössten der Welt, sie erzeugt
jährlich 1 200 000 Barrels Bier (a 160 Liter), kann aber 2 000 000 her-
stellen. Dazu werden gebraucht :
1 700 000 busheis Malz
2800000 „ Reis
1000000 Pfund Hopfen
300000 Tons Kohlen.
Die Eismaschinen erzeugen 750 Tons täglich = 273750 Tons per
Jahr. Es werden 40 Millionen gefüllte Bierflaschen jährlich versandt.
Wie man sieht, ist das amerikanische Bier kein Bier im Sinne der in
Deutschland gebräuchlichen Definition, sondern wird unter Verwendung
vieler Surrogate hergestellt, unter denen Mais und Reis obenan stehen.
Es ist im allgemeinen leicht und wohlschmeckend, nur vermisst man
etwas den Hopfen. Der Reisende sieht in der heissen Sommerzeit besser
83
vom Biergenuss ab, welchem er in Gegenden, wo die Deutschen nicht
vorherrschen, überdies selten genug wird fröhnen können. In manchen
Temperenzstaaten ist der Verschank bekanntlich untersagt, doch sind die
Behörden selten stark genug, das Gesetz durchzuführen, wenn die Be-
völkerung sich sträubt. So fanden wir in Davenport zahlreiche Biergärten,
obgleich es in dem Temperenzstaat Jowa liegt. Unsere Führer daselbst
erklärten uns dies damit, dass die Landespolizei todt geschlagen werden
würde, wenn sie versuchen wollte, den zahlreichen dort wohnenden
Deutschen den Biergenuss zu verkümmern. In Coloradosprings dagegen
befindet sich keine einzige Bierkneipe, trotzdem dort starker Fremden-
verkehr, weil das städtische Regiment in den Händen der Temperenzler
ist; eine kleine Stunde davon, in Mannitou, welches zu demselben Staat
gehört, liegt Bierhaus bei Bierhaus, welche meist Pabst'sche Erzeugnisse
verschenken. Pabst macht sechserlei Bier, nämlich Exportbier, Select,
Bohemia, Bavarian, Hofbräu, Standard und ausserdem noch Malzextract.
Die grosse pneumatische Mälzerei zeichnet sich durch eine Abänderung
der Saladin'schen Luftwäscherei aus, (bei welcher die Luft durch an Sieben
herabströmendes Wasser gesaugt wird, wodurch sie zugleich abgekühlt und
gereinigt wird). Hier sind diese Siebe auch von innen zugänglich und
dadurch leicht zu reinigen. Das Malz, welches nicht für die Brauerei
selbst, sondern auf Bestellung für andere gearbeitet wurde, da die Leistungs-
fähigkeit der Mälzerei dies gestattet, war schlecht und unrein. In der
Brauerei selbst wird sowohl mit dem Infusions- als dem Decoctionsverfahren
gearbeitet, wie dies die Art des herzustellenden Bieres verlangt. Die
Sudmaischen enthalten sehr kräftige Rührwerke, darunter auch kreisförmig
nach unten wirkende. Ein principieller Unterschied gegenüber unseren
deutschen Brauereien und zugleich ein grosser Fortschritt liegt darin,
dass hier, wie übrigens in allen grösseren amerikanischen Brauereien in
geschlossenen Sudmaischen gemaischt wird, welche mit Dampf geheizt
werden (bei uns über offenem Feuer). Ueberhaupt findet hier gerade
wie in unseren Zuckerfabriken eine rationelle Ausnutzung des Brenn-
materials und des Dampfes statt, an welcher es in deutschen Brauereien
noch gänzlich fehlt.
Mit dem Hopfen wird sehr rationell verfahren; es wird erst so-
genannter Hopfenextract hergestellt, wobei auch die flüchtigen ätherischen
Oele, welche bei uns in die Luft gejagt werden, aufgefangen und con-
densirt werden, um später wieder Verwendung zu finden. Die Abscheidung
des Hopfenharzes bei der Gährung, welche bei uns für nothwendig gilt,
wird absichtlich verhindert, um die ohnehin schwache Hopfenmenge, welche
verwendet wird, nicht noch unwirksamer zu machen.
Am interessantesten auch in Bezug auf üebertragung in die Zucker-
und besonders die Candisfabrikation ist die Kühlung, Diese geschieht
84
durch Laufeülassen der Würze über einen der bekannten senkrecht
stehenden Röhrenkühler mit wagerechten Röhren, von denen die oberen mit
strömendem kalten Wasser gefüllt sind, während die unteren Röhren
einen Theil der Ammoniakeismaschine bilden, sodass direct Eis in ihnen
gebildet wird. Was aber das wichtigste für uns ist, gleichzeitig wird die
Würze gelüftet und zwar mit filtrirter Luft, welche von unten ent-
gegenströmt. Um dies zu ermöglichen, steht der Kühler in einer Art
rechteckigen Tasche von Metall. Die einströmende Luft passirt zunächst
eines der auch in Deutschland in Brauereien neuerdings eingeführten, so
vorzüglichen Baumwollentuchfilter, deren Bedienung denkbar einfach ist.
Das Filter braucht nur nach vielleicht neun Monate währendem Gebrauch
einmal geöffnet und das oberste Tuch, welches sich mit atmosphärischem,
bakterienhaltigen Staub versetzt hat, durch ein anderes ersetzt zu werden.
Ist ein solches Filter dann wieder einen Tag in Gang, so liefert es Luft,
welche gänzlich frei von den Keimen der Spaltpilze ist, und wie sie in der
Candisfabrikation sicherlich auch gute Dienste thun würde. In der
Brauerei freilich ist ja das Lüften der Würze schon deshalb unentbehrlich,
weil sonst die Hefe nicht gedeiht und die Gährung schlecht verläuft.
Die Hefe wird selbstverständlich hier auch rein gezüchtet, der Kampf
gegen die Spaltpilze ist überall das Losungswort, welches sich siegreich
bewährt hat. Den ganzen grossen Gährraum hat man freilich nicht mit
filtrirter Luft speisen können, doch gährt man theilweise schon in ge-
schlossenen Fässern, indem man die nöthige Luft durch eine Rohrleitung
zu- und durch eine ebensolche die Kohlensäure abführt. Das Bier wird
durch Cellulosefilter geschickt, welche grosse Aehnlichkeit mit den Kroog-
schen Pressen haben. Eigenthümlich ist, dass das fertige Bier noch mit
Kohlensäure, welche in der Brauerei selbst aus fein gepulvertem Marmor
und Schwefelsäure bereitet wird, übersättigt wird. Als Grund dafür wurde
uns angegeben, dass die amerikanischen Wirthe das Bier den Gästen noch
„gespritzt" vorsetzen. Die überschüssige Kohlensäure soll verhüten, dass
es dabei schaal wird.
Ans Wunderbare grenzt ein Apparat in der Flaschenbierstation.
Derselbe verkorkt die Flaschen, legt eine Blechkapsel auf den Stopfen,
umschlingt den Kopf der Flasche mit Draht, windet letzteren kunstgerecht
zusammen und knippst ihn schliesslich noch ab.
Zur Herstellung des Malzextracts sowie zum Verdampfen verdünnter
Würze (der Absüsser) dient ein zwerghaft kleiner Yaryanverdampfapparat,
Quadrupleeffet, welcher auf Dr. Arno Behr's Rath beschafft worden ist.
Man sieht daraus, wie gelehrig die Amerikaner sind, und wie sie ver-
stehen, anderen Industrien abzulauschen, was für ihre eigene passt.
Wo findet man in einer deutschen Brauerei einen Verdampfapparat
mit mehrfacher Wirkung! Die dortigen Techniker äusserten sich über
die Leistung ihres Yaryanapparates recht befriedigt.
85
Eine andere kleinere Brauerei, welche ich in Chicago sah, hatte
gleichfalls mit Dampf heizbare Sudmaischen und Röhrenkühler. In. der-
selben wurde, wie auch bei Pabst, viel Mais verbraucht. Mais enthält
aber besonders im Innern des Korns viel Oel, welches dem Bier
einen schlechten Geschmack giebt. Es werden deshalb niemals die
ganzen Maiskörner in den Brauereien verwandt, sondern nur ein
aus den glasigen Theilen des Korns hergestelltes Mehl, welches
ölarm ist. Die Trennung dieser glasigen Theile von den Schaalen
und dem inneren natürlichen Pulver geschieht nicht in den Brauereien
selbst, sondern in besonderen mit geeigneten Maschinen ausgestatteten
Mühlen. Dieselben verkaufen die Schaalen für Futterzwecke, während
das ölreiche Feinmehl als beliebtes Nahrungsmittel der Neger, welche
daraus Kuchen backen, nach dem Süden der Vereinigten Staaten ver-
treten wird.
In Chicago besuchten wir auch die seit fünf Jahren bestehende
Brauer-Academie der Herren DDr. Wahl und Henius, zwei in Deutschland
ausgebildete Chemiker. Das Institut enthält ein vorzüglich ausgestattetes
Laboratorium mit Apparaten in kleinem Styl, ähnlich den im Vereins-
laboratorium in Berlin befindlichen, welche gestatten, den Brauprocess
im Kleinen unter genauer Nachahmung des Grossbetriebes den Schülern
vorzuführen. Die Apparate sind grösstentheils Geschenke der betreffenden
Maschinenfabriken und das verbrauchte Malz ist steuerfrei.
2. Die Gasanstalt in Sioux City.
Die Benutzung carburirten Wassergases zu Leuchtzwecken hat in
den Vereinigten Staaten in den letzten 17 Jahren sich weit verbreitet
und augenblicklich sind in fast allen grösseren Städten ungefähr 400 solche
Anlagen in Betrieb, so z. B. in New -York, Brooklyn, Boston und
San Francisco. An den grösseren Plätzen hatte ich keine Gelegenheit in die
meist ziemlich streng abgeschlossenen Anstalten zu kommen, wurde aber
in Sioux City in die städtische Gasfabrik eingeführt.
Es giebt in Amerika verschiedene grössere Gesellschaften, die sich
mit Einrichtung von Wassergasanstalten befassen. Am verbreitetsten ist
das Lowe-Verfahren, welches mit geringen Abänderungen auch in Sioux
City eingerichtet war. Dabei besteht der Gaserzeugungsapparat aus
einem cylindrischen Generator, welcher aus feuerfesten Steinen her-
gestellt und mit eisernem Mantel umgeben ist. Daran schliesst sich ein
zweiter mit Chamottesteinen ausgefütterter Cylinder der sog. Ueber-
hitzer, dann folgen die Waschapparate. Bei der Gasbereitung wird
zunächst der Generator mit Koke gefüllt und auf die entzündete Masse
Luft geblasen, wodurch der Koke bis zu Weissglühhitze erwärmt wird.
Darauf wird das Luftventil geschlossen und statt dessen Wasserdampf
eingeblasen j um das Wassergas zu bilden, welches dadurch leuchtfähig
86
gemacht wird, dass man es durch Zuführung von Petroleum in dasselbe Ge-
fäss carburirt. In dieser Weise arbeitet der Apparat etwa 17 Minuten,
dann hat sich der Koke soweit abgekühlt, dass zunächst wieder Luft ein-
geblasen werden muss, um die Masse wieder weissglühend zu machen.
Es befinden sich zwei derartige Lowesysteme in der Anstalt in Sioux City,
von denen jedoch nur eines in Betrieb gesetzt war. Angeblich erzeugt
man damit in 24 Stunden 10000 cbm Gas, 1 Aufseher und nur 2 Arbeiter
bedienen die Apparate und schaffen den Koke herbei und versorgen also
die 38 000 Einwohner zählende Stadt mit Leuchtgas. Dabei wird des
Nachts nicht gearbeitet. Wassergas ist wegen seines Kohlenoxydgehalts
giftig, ich fragte dabei den Betriebsführer, ob Öfter Vergiftungsfälle ge-
meldet würden; „Natürlich kommen häufig Vergiftungsfälle vor", ant-
wortete er, einigermaassen überrascht, über die seltsam erscheinende Frage.
Seine Antwort ist characteristisch für die Gleichgültigkeit, mit der man
im weiten Westen ein Menschenleben betrachtet.
Die Giftigkeit des Wassergases bildet bekanntlich ein Hinderniss^
weshalb es in Deutschland noch nicht mehr eingeführt ist, ein zweites
liegt daran, dass billige Carburirungsmittel, um das farblose brennende
Gemisch von Wasserstoff- und Kohlenoxyd leuchtfähig zu machen, bei
uns nur an wenigen Stellen zu haben sind, denn Petroleum ist bei uns
auch wegen des Zolles dafür zu theuer. Durch die Einführung der
Glühlampen ist aber das zweite Hinderniss beseitigt und es fragt sich,
ob die Giftigkeit allein die allgemeine Anwendung wird hindern können.
Hervorragende Techniker sind entgegengesetzter Ansicht und in der
That wird uncarburirtes Wassergas für Glühlichtzwecke in Deutschland
meines Wissens schon an mehreren Stellen dargestellt. Nachdem ich die
leichte und elegante Art der Darstellung gesehen habe, bin ich in der
von vielen Chemikern schon lange gehegten günstigen Ansicht bezüglich
desselben, bestärkt worden. Möge es auch bei uns das kostspielige und
umständlich darzustellende Leuchtgas aus Steinkohlen bald verdrängen !
Besichtigung von Fabriken in St. Louis.
St. Louis ist bekanntlich einer der grössten Industrieplätze Amerika's,
dessen Bedeutung innerhalb des letzten Jahrzehnt fast um das Doppelte
gewachsen ist. Das zeigen folgende Zahlen: ') r» a
X xOCGTiXiö (IGS
1890 1880 Wachsthiims
Anzahl der Fabriken 5453 2924 86,49
Anzahl derin Fabriken beschäftigten Hände 90966 41825 117,49
Kapital in den Fabriken angelegt ... $ 133292 699 — —
Löhne gezahlt „ 52 887 355 75379 876 60,37
Werth der hergestellten Waaren „ 225 500 675 114333 375 97,23
') Dem noch nicht ausgegebenen Census Bulletin vom 9. März 1892 entnommen,
welches mir der Staatssecretär des Innern in Wahsington auf meine Bitte gütigst
überlassen bat.
87
Durch die Freundlichkeit des deutschen Consuls Herrn Meier, welcher
mich mit einer grossen Anzahl Industrieller bekannt machte und häufig
meine Führung persönlich übernahm, hatte ich G-elegenheit eine grössere
Anzahl Fabriken hierselbst besichtigen zu können.
Im allgemeinen habe ich dabei zwar manchmal wenig Glück ge-
habt, da einige Fabriken theils nach deutschem Muster eingerichtet,
oder auch so alt und schlecht waren, dass sich eine Beschreibung
nicht lohnt. Dies gilt zum Beispiel von einer Wiskeyfabrik, die zu sehen
ich eine längere Eisenbahnfahrt unternahm, ich hatte gehofft eine mit
allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattete Brennerei zu finden und
kam in eine kleine erbärmlich eingerichtete Fabrik, welche in einer
ehemaligen Brauerei nothdürftig untergebracht war. Das einzige inter-
essante war für mich daselbst die Steuercontrole, weiche in primitivster
Weise von drei Beamten verrichtet wurde. Dieselben hatten den ganzen
lieben langen Tag nichts zu thun, als während des Destillirens den
Spiritus abzumessen. Ehemalige Handwerker, der eine war Schneider
gewesen, waren sie zur Belohnung für ihr politisches Verhalten unter dem
früheren Regiment mit 4 Dollar den Tag Gehalt angestellt worden, sollten
aber in den nächsten Tagen das Feld für Auserwählte der Gegenpartei
räumen. Sie kehrten nun in ihren früheren bürgerlichen Beruf zurück.
3. Besichtigung der Hydraulic Pressbrick Factory
in St. Louis.
Wennschon in den Vereinigten Staaten Privathäuser vielfach aus
Holz hergestellt sind, so steht doch die Ziegelfabrikation daselbst auf
einer höheren Stufe als bei uns und bietet vieles Nachahraenswerthe. Die
vorzüglichen Verblendsteine, in allen möglichen Farben, welche man aller-
wärts sieht, ferner die häufige Verwendung von gebrannten Ziegeln als
Pflastersteine, welche in eigenen Pflastersteinziegeleien gewonnen werden,
in den belebtesten Strassen grösserer Städte, wie z. B. Omaha, Lincoln,
zeugen dafür, dass man die Ziegelbrennerei gründlich versteht.
Eine der bedeutendsten Ziegeleigesellschaften ist die Hydraulic Brick
Co. in St. Louis, welche in 6 Ziegeleien jährlich 145 Mill. Steine herstellt.
Wir (Herr Hecker, Frentzel, Schöller und ich) besichtigten die
grösste dieser Anlagen. Der Thon wird in nächster Nähe der Fabrik
entweder durch Tiefbau, oder im Tagebau gewonnen.
Der Tagebau ist besonders interessant, weil er ohne directe Hand-
arbeit erfolgt, somit auch alle die Gefahren für die Arbeiter, welche
bei uns besonders beim Abbau mit Picke oder Schaufel stattfinden, ver-
meidet. Die Einführung des amerikanischen Verfahrens in
Deutschland würde deshalb einen grossen Fortschritt darstellen.
Bei diesem amerikanischen Verfahren wird der Thon zunächst mit einem
88
Krümmerpflug aufgelockert und bleibt darauf einige Tage an der Luft
liegen, damit er etwas Feuchtigkeit verliert und verwittert. Nach
dieser Zeit geht ein maulthierbespannter sogenannter Schraper über
das Feld, welcher den Thon aufsammelt und nach dem Lagerschuppen
der Fabrik fährt. Dieser Schraper hat vier rotirende Schäler, welche
einem Hubrad vergleichbar den Thon aufnehmen und in einen in der
Mitte des Gefässes befindlichen Kasten legen. — Auch der Schachtbau ist
zweckmässig eingerichtet, die Transportbahn wird hier unten gleichfalls
durch Maulthiere bewegt.
Der Thon wird hier niemals geschwemmt oder ange-
feuchtet, sondern trocken gebrannt. Das Verfahren ist alleiniges Eigen-
thum der Gesellschaft und sie beutet ihre Patente auch allein aus. Zu
diesem Behuf hat sie grosse Zweigfabriken in Chicago, in Findlay-Ohio
und Kansas-City errichtet, welche 51 Millionen Steine erzeugen.
Der Thon vom Tiefbau, welcher sehr fest ist, passirt erst ein ßrech-
werk und kommt dann in eine Walzenmühle, der Tagebauthon direct in
eine solche; die Stahlwalzen sind dieselben, wie auch in der Maismühle,
die ich in Sioux City besichtigte und in den Zuckerrohrmühlen. Hier
wird das lufttrockne Material zu einem feinen Pulver gemahlen, welches
nun direct ohne jede weitere Zumischung von trockenem Thon oder An-
feuchten in die Pressen kommt. Der Thon aus der Mine muss zwei
Mühlen, eine gröber und eine feiner gestellte passiren, die Masse ist
fast ganz gleichmässig, nur selten geht eine Schiefer-, Kohle- oder Sand-
steinader hindurch.
Die hydraulischen Pressen der Gesellschaft formen je nach den Ein-
sätzen 5 — lOVerblendsteine, Hintermauerungsteine oder eine der Grösse nach
geringere oder kleinere Zahl Ornamente auf einmal. Die Presse ist ein
äusserst complicirt aussehender Apparat. Das Wesentliche und Patent-
fähige daran ist, dass sie gleichmässig langsam den Druck bis 4 At-
mosphären steigert und mit einer Art Indicator versehen ist, welche den
Druck für jede einzelne Abtheilung anzeigt und jederzeit erkennen lässt,
ob alle Theile gut functioniren. Damit gelingt es, in der Minute 8, ja,
bei Hintermauerungssteinen selbst 16 Pressungen auszuführen mit dem
halben Kraftverbrauch wie bei der Nasspressung, nämlich für 100000 Steine
von rund 60 H. P., gegen 120 H. bei Nasspressung.
Unmittelbar aus der Presse kommen die Steine in die Oefen, welche
einzeln stehen und unseren alten deutschen Oefen sehr ähnlich sind.
Dieselben werden einzeln gefüllt und die Verblendsteine geschichtet, ge-
rade wie bei uns, um den Peuergasen den Weg vorzuschreiben und dadurch
eine gleichmässige Farbentönung hervorzurufen, obenauf werden Thon-
platten aus ungebranntem Thon gebracht. Zunächst wird mit Holz an-
geheizt und dadurch in etwa 6 Tagen die Steine vorgewärmt, um sie lang-
89
sam zu entwässern, dann werden sie in 4 Tagen gebrannt. Sämmtliche
Oefen stehen unter einander durch Böhrencanäle an verschiedenen Stellen
in Verbindung, Exhaustoren sind vorhanden, sodass auch die Wärme eines
abkühlenden Ofens in beliebiger Weise zum Trocknen oder Vorwärmen
in einem gefüllten nutzbar ist. Durch Mischen verschiedener Thonsorten,
so wie Zusatz anderer Erden werden allerhand gescheckte Ziegelsteine
gemacht, die in den Vereinigten Staaten häufig zu sehen sind. Besonders
beliebt sind durch Zusatz von Eisenpulver erzielte grau gescheckte Steine.
Selbstverständlich erzielt man auch Farbenänderungen durch Aenderung der
Brenntemperatur, bei niederer Temperatur helle, bei höherer dunklere
und bei noch höherer rotiie.
Der Preis gewöhnlicher Hintermauerungssteine betrug trotz der
schlechten Zeiten 15 Dollar, war also mehr als dreimal so hoch als
in Berlin.
Der deutsche Consul machte mich sodann mit Herrn Prof. Curtmann
bekannt, einem der tüchtigsten Technologen Amerikas, der mir Eintritt
in eine grosse chemische Fabrik verschaffte. Aber auch dort fand ich
nicht was ich suchte, der Director und der Chemiker, welchen ich von
seiner Studienzeit her kannte, waren Deutsche, voll Stolz versicherten sie,
dass in ihrer Fabrik kein Apparat sei, der nicht aus Deutschland stammte.
Und das fand ich auch, ich hätte nur um die Ecke in die Chausseestrasse
zu Schering zu gehen brauchen, um im Wesentlichen dasselbe zu haben.
Es war unvermeidlich, dass ich in solcher Weise manchmal viel kostbare
Zeit verlor, meine Führer, die deutsche Verhältnisse nicht kannten j
wussten häufig eben so wenig wie ich, ob die betreffenden Fabriken
specifisch amerikanisches, nach dem ich allein suchte, enthielten. Doch
sah ich in St. Louis doch noch manches, was sich zu beschreiben verlohnt.
4. Eine Knochenkohlenfabrik. Dieselbe war von der Firma
Flyn &, Emrich in Baltimore gebaut und verarbeitet hauptsächlich Abfälle aus
den Schlachthäusern in St. Louis und Büffelknochen aus Arizona und Neu-
Mexico, wo noch grosse Mengen vorhanden sind. Dieselben werden zuvor wie
üblich entfettet, aber auch theilweise entleimt, was der Qualität des Knochen-
mehls schwerlich zuträglich sein dürfte. Der Besitzer behauptete zwar das
Gegentheil, doch hatte er vor kurzem überhaupt noch nicht entfettet.
Wie auch bei uns üblich, werden die Hörner gesondert, entweder auf
Hornmehl oder Leim verarbeitet. Die Knochen passiren zuerst ein
Brechwerk, die Stücke werden dann gesiebt, und das fein Abgesiebte als
Knochenmehl, bezw. Knochensuperphat verwendet, die grösseren Knochen-
stücke gehen immer wieder roh in das Brechwerk zurück bis sie nur
Bohnengrösse bezitzen, denn die fertige Kohle wird nicht zerkleinert,
sondern nur gesiebt. Der Glühofen ist ganz und gar aus Backsteinen
90
und enthält 6 Retorten, welche mit • Steinkohlen geheitzt werden. Die
Jahresproduction an Knochenkohle beträgt 50000 tons (?). Die Con-
densationsvorrichtungen für die ammoniakalischen Gase unterscheiden
sich nicht von den bei uns üblichen. Für das Abdampfen der rohen
Lösung von schwefelsaurem Ammoniak sind Bleipfannen vorhanden, aus
welchen das krystallisirte Salz auf perforirte flach liegende Bleiplatten
herausgekrugt wird, um es abtropfen zu lassen. Alles war alt hier, aber
gut im Stande und die Einrichtung erschien mir zweckmässiger und
sauberer als in den meisten Knochenkohlenfabriken, welche ich kenne.
Die gröberen Stücke der abgesiebten Knochenkohle kauft die
Sugar-Refining Co, das feinere Pulver geht nach den Zuckerrohrplantagen
oder wird zu anderen technischen Zwecken verwandt.
5. Besichtigung des hämmerbaren Eisengusswerks. Der Be-
sitzer der Fabrik, Herr Ort wein, ein Deutscher, ist der grösste Müller
von St. Louis. Der Consul hatte mich mit ihm bekannt gemacht, weil
ich eigentlich seine Mahlmühle sehen wollte. Dieselbe genau nach
ungarischem System eingerichtet, stand aber gerade still und der Besitzer
führte mich deshalb nach seinem grossen Eisengusswerk (Malleable-Works),
welches er, allerdings in keinem günstigen Zeitpunkt vor der Stadt er-
baut hat. Das Werk kann im vollen Betriebe 800 Arbeiter beschäftigen
(2 Dollar Lohn den Tag), augenblicklich war noch nicht für die Hälfte
Beschäftigung vorhanden. Seine Errichtung hier an dieser Stelle war durch
billigen Kohlenpreise veranlasst, welche in Folge der Nähe der Gruben
für 65 Cents die Tonne zu haben sind. Die Schmelzöfen waren zum
Theil Gebläseöfen, die neueren jedoch mittelst selbsterzeugten "Wasser-
gases geheizt. Der Formersand aus Indiana, wurde erst hier durch
Mischen mit anderen Zusätzen brauchbar gemacht. Die Kammern, in
welchen den Gussstücken der Kohlenstoff entzogen wird, ebenso die Ein-
kleidung der Eisentheile mittelst Lehm oder Cementirpulver bot nichts
auffälliges.
Für die Betriebsmaschine hatte man hier zwei kleine Heinekessel,
die hier über die Massen gelobt wurden, das Reinigen der engen Rohre
Sonntags mache gar keine Schwierigkeiten. Diese Heine'schen Kessel
habe ich sehr häufig in amerikanischen Fabriken gefunden, besonders
auch in electrischen Centralstationen, an manchen Orten meinte man aber,
die Reinigung sei zu unbequem und benutzte zum Beispiel in der elek-
trischen Kraftstation in Coloradosprings lieber einfache Zwei-Flammrohr-
kessel, während man die Heinekessel in Reserve gestellt hatte. Da sie
drüben so häufig sind, will ich, obgleich ich weiss, dass ich dem deutschen
Leser bekanntes damit biete, nachfolgende Scizze bringen, welche einer
1893 in St. Louis von der Heine -Boiler Co. ausgegebenen, mir vom
deutschen Consuln geschenkten Broschüre entnommen ist.
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Die Köpfe H werden Sonntags behufs Reinigung der Rohre ab-
geschraubt. Das Patentfähige liegt nach Angabe der Erfinder darin,
dass die Röhren auch an der Fassung zufolge der starken Construction frei
beweglich gelassen werden konnten und sich somit entsprechend der
Temperatur frei ausdehnen und demgemäss verhältnissmässig hohe Tempe-
raturen vertragen, also zur Erzeugung von hochgradigem Dampf dienen
können. In Deutschland baut bekanntlich ßorsig Kessel von demselben
Erfinder.
6. Besichtigung der Stearinfabrik von St. Louis.
In der Stearinfabrik wurde Rohfett aus den grossen Schlachthäusern
der Stadt verarbeitet. Dasselbe wird mit Hülfe von Dampf aus den
Fässern, in welchen es in die Fabrik gelangt, ausgeschmolzen, und
darauf auf flachen Blechgefässen in den Kellerräumen der Fabrik stehen
gelassen, bis das Stearin auskrystallisirt ist. Alsdann wird das feste in
grossen hydraulischen Pressen vom flüssigen getrennt, ersteres wird auf
Kerzen, letzteres auf Seife verarbeitet, welche als gutes festes Product
unter dem Namen German Seife (etwa was'wir Kernseife nennen) in den
Handel kommt.
Die feste Masse wird zunächst in einem zweiten System von stär-
keren hydraulischen Pressen nachgepresst, darauf geschmolzen und in
Formen gegossen. Was mich besonders anziehend berührte, war hier
wieder die geschickte Disposition aller Apparate, wodurch viel Handarbeit
gespart wird. Bei der täglichen Production von angeblich 15000 Pfund
beschäftigt die Fabrik 60 Arbeiter und Arbeiterinnen. Auch eine Glycerin-
fabrik ist mit der Anlage verbunden, in welcher entweder Rohglycerin
mit Dampf einfach übergetrieben oder durch Destillation im Vacuum
reines Glycerin gewonnen wird.
92
7- Müllverwerthungsfabrik in St. Louis
nach Patent März?
Diese Fabrik dürfte in jetziger Zeit, wo die grossen Städte Deutsch-
lands sich eifrig mit der Frage der Müllbeseitigung beschäftigen, be-
sonderes Interesse erregen. Das hier ausgeübte Verfahren unterscheidet
sich von den englischen, welche sämmtlich auf Verbrennung des Mülls
hinzielen, von Anfang an dadurch, dass ein so radicales Verfahren ver-
mieden wird, und auch die organische Substanz in ihren Bestandtheilen
ausgenutzt wird. Das gleiche Verfahren soll in zwei anderen grösseren
amerikanischen Städten in Betrieb sein und die Stadt St. Louis, welche
die bestehende Fabrik mit jährlich 75 000 Dollar unterstützt, soll beab-
sichtigen demnächst eine zweite einzurichten.
In der Fabrik war die Führung leider sehr schlecht, so dass ich
fast nur aus eigener Anschauung berichten kann, da ich auf Fragen keine
genügende Auskunft erhielt.
Zu unterscheiden ist zwischen der Müllverarbeitung und der in
derselben Fabrik vorgenommenen Abdeckerei.
Der Müll wird, augenscheinlich ohne Zusätze, zunächst in grossen
festliegenden eisernen Trommeln mit Doppelmantel und Dampfheizung
und einfachem vierstrahligen Rührwerk getrocknet. Die trockne Masse wird
darauf in hohen Cylindern wahrscheinlich mit Petroläther entfettet, das
Fett wird an Seifenfabriken verkauft. Darauf wird die Masse angeblich
ohne fremde Zusätze in einer geschlossenen Mühle zu einem groben
Pulver vermählen, mit den trocknen gleichfalls gemahlenen thierischen
Abfällen, vielleicht auch mit mineralischen Düngern gemischt und so ein
Kunstdünger hergestellt.
Die thierischen Cadaver kommen, nachdem sie zunächst abgehäutet
und zertheilt sind, in grosse Verdampfapparaten ähnliche Gefässe, in
denen sie gedämpft werden, werden darauf gleichfalls getrocknet, ent-
fettet, gemahlen und bilden, wie erwähnt, mit dem aus Müll erhaltenen
Pulver gemischt den Kunstdünger, welcher circa 5 ^/o Stickstoff und eine
entsprechende Menge Phosphorsäure enthalten soll. Interessant war das
Kesselhaus mit Schornstein von colossalen Dimensionen, in welchem
ein Vorwärmer für das Speisewasser angelegt war. Die Ventilation in der
Fabrik mit Hülfe eines verzweigten Röhreusystems, welches in einen
Exhaustor endete war sehr gut; man wurde nirgend von dem Geruch der
Cadaver belästigt.
Einen angenehmen Abschluss meines Besuches in St. Louis bildete
ein Sonntag auf einer Farm in einem Seitenthal des Mississippi, zu welcher
mich der deutsche Consul Herr Meier hinausführte. Die Gegend trug
Spuren ehemaliger hoher Cultur, jetzt waren nur ärmlich ausgestattete
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Farmen und dürftige Maisfelder vorhanden. Unser Aufenthaltsort zeichnete
sich durch ein stattliches Herrenhaus aus, welches zahlreichen Familien
Raum für die Sommerfrische bot, daneben waren zwei kleine, niedrige
und lange Häuser vorhanden, in welchen einst die männlichen und
weiblichen Sclaven des Besitzers untergebracht gewesen waren. Jetzt
schliefen in dem einen gemeinschaftlich sämmtliche Knaben, in dem
anderen die kleinen Mädchen der Sommergäste. Zur Unterhaltung der
Kinder waren eine Anzahl Pferde und Hunde vorhanden, mit denen die
Sommergäste nach Belieben reiten, fahren und spielen, nur dürfen sie
keine Hülfe beim An- oder Ausspannen oder sonst irgend welche Be-
dienung beanspruchen. Früh am Sonntag Morgen wohnte ich in einem
Speisesaal dem anglicanischen Gottesdienst bei, den regelmässig ein Sonn-
tags seine Familie besuchender Liqueurfabrikant abhielt. Der Mann las
die Gebete mit wohllautender Stimme und sang wie ein richtiger Geist-
licher der Gemeinde vor, unter welcher die grösste Andacht herrschte. Nach
der Kirche zog sich jede Familie für sich zurück und die Langeweile des
amerikanischen Sonntags verlangte ihr Recht. Voll Dank verabschiedete
ich mich Abends vom deutschen Consul, durch dessen Fürsorge ich
soviel Interessantes gesehen und erlebt hatte.
8. Papierfabrik von Alex. Balfour 8z Sons in Philadelphia,
am 7. September 1893.
Auf der Heimreise über Washington nach New- York hielt ich mich
noch in Philadelphia auf, um eine der dort befindlichen grossen Papier-
fabriken zu besehen. In Folge einer Empfehlung des angesehenen Franklin-
Instituts, die Herr Wiley in Washington vermittelt hatte, wurde mir
Zutritt zu der sonst Fremden verschlossenen grossen Papierfabrik von
Alex. Balfour & Sons gestattet. Daselbst werden täglich 30000 Pfd.
Papier aus 50000 Pfd. Pulpe hergestellt. Die Zahl der Arbeiter und
Arbeiterinnen beträgt 225, die Löhne wöchentlich 1800 bis 2000 Dollar.
Lumpen werden täglich 20000 Pfd. verbraucht und zwar meist deutsche
Kalk 15000 Pfd., Sodaasche 1500 Pfd., Chlorkalk und andere Bleich-
mittel 3000. Hergestellt werden alle möglichen Sorten von Schreib-,
Luxus- und Zeichenpapiere.
Die Fabrik hat dreierlei Rohmaterialien:
1. deutsche und amerikanische Lumpen, erstere wurden als besser
bezeichnet, als die amerikanischen.
2. Sulfitcellulose oder Sodakalkcellulose, erstere kommt allein aus
Deutschland, da die Amerikaner die Fabrikation einerseits nicht
recht verstehen, andererseits nicht concurriren können. Hier
wird nur Cellulose mit Soda und Kalk unter Druck in den
Apparaten der Yaryan-Gesellschaft hergestellt.
3. altes Papier,
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Das Sortiren der Lumpen geschieht wie bei uns durch Frauen,
erst wird vorsortirt, dann 2 mal nachsortirt, dann passiren die Lumpen
die Zerreissungsmühlen, und kommen darauf in mächtige liegende Vor-
kochapparate, welche mit einem Eührwerk in der Längsrichtung versehen
sind, also den geschlossenen mit Vacuum arbeitenden Sudmaischen der
Zuckerfabriken sehr ähnlich sind, und werden daselbst unter starken
Druck gedämpft. Diese Apparate entstammen der Fabrik von Coughlin
Broth. in Holyoke, Mass. Schon in Lincoln in der Pappfabrik, wo gleich-
falls zwei rotirende Vorkocher von aussergewöhnlicher Grösse und Form
vorhanden waren, hatte ich den Eindruck, dass gerade wie Raffinerie-
gewerbe, und Bierbrauerei, sich auch die Papierfabrikation in den Ver-
einigten Staaten, was die maschinelle Seite betrifft, weit selbständiger
und freier von europäischen Einflüssen entwickelt hat, als ich früher ge-
glaubt hatte, dies bestätigte sich hier wiederum in vollem Maasse,
denn auch die Holländer, die Papier- und Satini rmaschinen waren von
zwei amerikanischen Maschinenfabriken Haldrow in New Brunswick N. J.
und Möwe & White Philadelphia ganz eigenartig construirt.
In die Vorkocher für die Lumpen wird wie üblich etwas Kalk ge-
geben, parallel dazu aufgestellt findet sich eine zweite Reihe Vorkocher,
in denen das eingeworfene alte Papier mit Soda gekocht wird , für
die Lumpen würde Soda zu theuer sein. Die Masse wird dann in einem
System von 20 Bassins mit Holländern unter Wasser vermählen und
gewaschen, und kommt dann in die Bleichkammern, wo mit Chlorgas
oder Chlorkalk gebleicht wird, dann abermals über Holländer, und passirt
darauf vor der Papiermaschine noch eine trocken arbeitende kleine
Mühle, welche grosse Massen schnell verarbeitet. Vorher wird die Pulpe
noch wie üblich mit Leim, der aus einer dicht nebenbei liegenden
grossen Fabrik stammt und vor dem Gebrauch mit Soda aufgekocht
wird, versetzt. Von der Papiermaschine geht die fertige Masse behufs
Trocknung freihängend und lose gespannt über ein System von Walzen,
die in einem geheizten, gut ventilirten Raum stehen. Zuletzt passirt sie
ein System von Satinirmaschinen , worauf das Papier mit ähnlichen
Maschinen, wie bei uns üblich in Bogen geschnitten und sortirt wird.
Neben der Papierfabrik hatte man eben eine grosse Natron-Cellulose-
fabrik vollendet und theilweise in Betrieb gesetzt, sämmtliche Apparate
dazu hatte die Yaryan Co. geliefert. In mächtigen cylindrischen Druck-
gefässen wurde das geschliffene Fichten- oder Cedernholz mit Kalk und
Soda bei 6 — 10 Atmosphären üeberdruck gedämpft, darauf die Masse ent-
leert, und in Waschapparaten von der Lauge befreit. Letztere wurde
behufs Wiederherstellung der werthvollen Soda zunächst in einem Yaryan-
Quadrupleeffet eingedickt und darauf in einem rotirenden Calcinirofen
geglüht. Diese amerikanischen Calcinirofen haben neuerdings auch die
Aufmerksamkeit unserer Holzstofffabriken in hohem Grade erregt. Wenn-
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schon es zweifelhaft erscheint, ob sie wegen der abweichenden Beschaffen-
heit der Melasseschlempe und der darin enthaltenen Kalisalze (anstatt
hier Natronsalze) jemals in den Melasseschlempereien sich würden ein-
führen können, möchte ich doch hiermit auch die Aufmerksamkeit derZucker-
fabrikanteu auf das Verfahren lenken. Man ist damit in Amerika sehr
zufrieden, während sich ähnliche Vorrichtungen in England in Soda-
fabriken allerdings nicht dauernd bewährt haben sollen. Die eingedickte
Schlempe tropft dabei durch einen Trichter continuirlich in eine rasch
rotirende wagerecht liegende eiserne Trommel, in welche von einer am
anderen Ende vorgesetzten Peuerungsanlage die Feuergase direct ein-
strömen, und so die Wandungen fast zur Rothgluth erhitzen, und die
Verkokung bewirken, die geglühte pulverförmige Masse fällt am vorderen
Ende des Ofens auf einen Fortbewegungsriemen ohne Ende, welcher sie
zu der Löschstation führt. Die abgehenden Feuergase werden noch be-
nutzt, um das Wasser für den Dampfkessel des Yaryanapparates vorzu-
wärmen. Man lobte die Einrichtung die zur Zeit unseres Besuches tadel-
los functionirte, ausserordentlich. In der Löschstation wird aus der Kohle
darauf etwa 10 ^/o ige Sodalösung hergestellt, die abermals zur Extraction
des Holzschliffes in den Druckapparaten Verwendung findet.
Jede Fabrik , die Papierfabrik und die Cellulosefabrik hatte ihr
besonderes Kesselhaus, das letztere mit 26 Dampfkesseln, welche mit
englischer Nusskohle über Planrost geheizt wurden. Der Kohlenpreis
beträgt hier 1,75 Doli, per Tonne.
Die Besichtigung dieser Fabrik bildete den Abschluss
meiner Reiseerlebnisse, wenigstens so weit sie sich zur Beschreibung
eignen. Der häufig rasche Wechsel des Klimas und der Temperatur,
welche ich in den letzten Wochen auf der Reise vom Stillen zum
Atlantischen Ocean durchgemacht hatte, übte plötzlich seinen Einfluss
aus, und auf einmal befiel mich jene specifische Krankheit, die den
Reisenden in Amerika so leicht ankommt, die Dispepsia, welche sich in
einer gänzlichen Abspannung der Nerven äussert. Nicht besser erging es
meinen Begleitern, den Herren Dr. Frentzel, Hecker und Schöller, mit
denen ich in Washington wieder zusammengestossen war. Wir hatten die
Absicht gehabt, in New-York noch einige Fabriken zu besichtigen, waren
aber gänzlich unfähig dazu, und gingen die vier Tage, welche wir dort
noch zubrachten, apathisch und müde umher. Erst auf der Heimfahrt,
welche wir am 12. September gemeinschaftlich mit der „Spree" antraten,
erholten wir uns unter dem Einfluss der erfrischenden Luft des Oceans
bald wieder gänzlich von unserer Abspannung und kehrten im hohem
Grade befriedigt, so viel Neues, Schönes und Grossartiges gesehen und
gelernt zu haben nach der Heimath zurück.
Gaylord Bros.
Makers
Syracij3e, N. Y.
PAT.JAN 21,1908
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MAY 9 t947