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Full text of "Reise durch Montenegro nebst Bemerkungen über Land und Leute"

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T 



REISE 



DURCH 



Montenegro. 



-♦— oo- 



' 



REISE 



DURCH 



Montenegro 



NEBST 



BEMERKUNGEN ÜBER LAND UND LEUTE. 



VON 



Dr KURT HASSERT. 



MIT 30 ABBILDUNGEN NACH DEN AUFNAHMEN DES VERFASSERS 

UND EINER KARTE. 




WIEN. PEST. LEIPZIG. 

A. HARTLEBEN's VERLAG. 

1893. 

Alle Rechte vorbehalten. 







Druck von Friedrich Jasper in Wien 



V 



Vorwort. 



Zwar ist Vollkommenheit ein Ziel, das 

stets entweicht, 
Doch soll CS auch erstrebt nur werden, 

nicht erreicht. 
F. RQckert, Die Weisheit des Brahinanen. III, 34. 

Es möchte vielleicht überflüssig erscheinen, mit einem neuen 
Werke über Montenegro hervorzutreten, da die geographische Literatur 
über die Crnagora neben einer Anzahl älterer Arbeiten zv/ei umfang- 
reiche neuere Bücher — B^ Schwarz, Montenegro (1883) ""d P. Rovinski, 
Cernogorija va eja proslom i nastojastem (Montenegro in der Ver- 
gangenheit und Gegenwart (1888) — besitzt. Das eine derselben ent- 
hält ausser einer allgemeinen geographischen Uebersicht die lebendige 
Schilderung einer etwa einmonatlichen Reise durch die Schwarzen 
Berge, das zweite, die Frucht eines langjährigen Aufenthaltes und von 
dem besten Kenner Montenegros verfasst, gibt eine sehr ausführliche 
Darstellung der physikalischen Geographie und Geschichte des Landes. 
Die Umstände jedoch, dass Schwarz nur den kleinsten Theil der 
Crnagora kennen lernte, dass zwei neuere Reisende, Dr. O. Baumann 
und Dr. A. Baldacci, bisher wenig über ihre Streifzüge veröffentlichten, 
und dass Rovinski's Werk in russischer Sprache geschrieben, also nicht 
Jedermann zugänglich ist, bewogen mich zur Herausgabe dieses Buches, 
das meine Erlebnisse auf einer nahezu fünfmonatlichen Fusswanderung 
durch Montenegro schildern und vielmehr ein unterhaltendes als wissen- 
schaftliches Buch sein soll, ohne jedoch des wissenschaftlichen Charakters 
gänzlich zu entbehren. Die beigegebene Karte dient einzig und allein 
zur Veranschaulichung meiner Routen und kann schon aus dem Grunde 
nicht genau sein, weil das kartographische Material über jene Gebiete 
der Balkan-Halbinsel, soweit es nicht geheim gehalten wird, ziemlich 
mangelhaft und stellenweise falsch ist. Wenn an der Darstellung etwas 
auszusetzen ist, so möge als Entschuldigung dienen, dass mich andere 
Arbeiten und die Vorbereitungen zu einer zweiten Reise nach Monte- 
negro sehr in Anspruch nahmen, und dass ich den letzten Theil des 
Manuscriptes erst in Montenegro selbst fertig stellen konnte. 



VI 

Um einige allgemeine Bemerkungen hinzuzufügen, so hebe ich 
von meiner Ausrüstung hervor: ein halbes Dutzend Thermometer, zwei 
Kappeler'sche Minimum -Thermometer mit Schutzvorrichtung, zwei 
Kompasse, drei Aneroide, einen photographischen Apparat und einen 
Apparat zu Tiefenlothungen (Tiefenloth nach den Angaben von Herrn 
Professor Dr. E. Richter, Apparat nach dem Muster des Ule*schen 
Loth-Apparates), dessen Anschaffung mir durch das gütige Entgegen- 
kommen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig ermöglicht wurde. Erbs- 
wurst, Suppenconserven und Cacao leisteten mir mehrmals gute Dienste, 
und zwei warme Schlafdecken waren mir in den oft sehr primitiven 
Nachtquartieren nicht minder unentbehrlich. Als Waffe trug ich einen 
Revolver, doch habe ich denselben nie gebraucht und Hess ihn meist 
meinen Diener tragen. 

Endlich wurde mir durch die Güte der Kaiserlich Russischen 
Botschaft zu Berlin ein Empfehlungsschreiben an den Kaiserlich 
Russischen Minister-Residenten in Cetinje und durch Vermittlung der 
Deutschen Botschaft in Wien ein Vorschreiben an die k. und k. Diplo- 
matische Mission in Cetinje zu theil; vom Fürstlich Montenegrinischen 
Ministerium des Aeusseren erhielt ich einen offenen Brief an die Landes- 
behörden, und ich kann es nicht unterlassen, Allen, die mich bereit- 
willigst mit Rath und That unterstützten, meinen ergebensten Dank 
auszusprechen. 



Kola§in, den 15(3). Juli 1S92. 



Der Verfasser. 



Zur Aussprache:' 

c = dsch, ö = tscb, c = c (da das Serbische ein k besitzt), z = ss, i = französisch 
(joli), § = seh, V := w. 



Häufig vorkommende Bezeichnungen und geographische Namen 



Voda 


— : 


Wasser 


Rijeka 




Fluss 


Jezero 




See 


Blato 




Sumpf 


Gora, Planina 


— ' 


Gebirge 


Vrh 





Berg 


Gornji 





Ober 


Pod, Dolnji 


= 


Unter 


Veliki 





Gross 


Mali 




Klein 


Zelen 




Grün 


Bio 


— 


Weiss 



Crni 


— 


Schwarz- 


Dobar 




Gut 


Sveti 


— 


Heilig 


Polje 




Ebene 


Do 


— 


Thal 


2drijelo 


— 


Engpass 


Grad 




Stadt 


Selo 




Dorf 


Kula 


^ 


Blockhaus 


Crkva 




Kirche 


Locanda 


= 


besseres Gasthaus 


Han 


— 


Gasthaus 



REISE 



DURCH , 



MOIN'TENEGRO. 



I. Capitel. 

Nach Cetinje. 



Unter den Ländern Europas war von jeher eines der eigenartigsten 
und geheimnissvollsten die Balkan-Halbinsel. Ein Volk, fremd nach 
Stammeszugehörigkeit und Religion, ein Volk mit anderen Sitten und 
anderer Denkungsart hatte sich in den gesegneten Gefilden festgesetzt, 
und erstarrend in den Vorschriften des Koran sank es von Stufe zu 
Stufe. Auch die unterworfenen Staaten blieben von diesen Nachwirkungen 
nicht verschont, und erst der russisch-türkische Krieg von 1877/78 brachte 
für die meisten derselben die völlige Erlösung aus Knechtschaft und 
Unbekanntheit. Nur e i n Land konnte der Islam trotz Jahrhunderte langer 
Kämpfe nie dauernd bezwingen, und seine tapferen Bewohner behaupteten 
allein ihre Selbstständigkeit. Das war Montenegro. Und doch! Wie 
falsche Ansichten herrschen noch heute über die als Krieger bewun- 
derten, als Bürger und Menschen gering geachteten Crnogorcen! Niemand 
erinnerte sich der Reisen eines Vialla de Sommi^res, Wilkinson, Stieglitz 
oder Ebel, und erst im letzten Jahrzehnt haben die Forschungen von 
E. Tietze, B. Schwarz, O. Baumann, J. Wünsch, P. Rovinski, L. und A. 
Baldacci das halb verschollene Land wieder der Vergessenheit entrissen. 

Während ich mich mit der Literatur über die Schwarzen Berge 
beschäftigte, konnte ich ebenfalls die Zweifel zwischen Wahrem und 
Uebertriebenem nicht überwinden, und obwohl ich mir klar wurde, 
dass die Söhne der Crnagora weit besser seien als ihr Ruf, so fiel es 
mir schwer, Alles zu glauben, was ältere und neuere Schriftsteller über 
sie berichtet haben. Diese Widersprüche bestärkten mich in meinen 
lange gehegten Reiseplänen noch mehr, und im Jahre 1891 war die 
Zeit gekommen, die mich dem ersehnten Ziele zuführte. 

Hasse rt. Reise durch Montenegro. I 



2 Nach Ceiinje. 

Am 31. März sagte ich der Heimat Lebewohl, nicht ohne vor der 
vermeintlichen Unsicherheit in jenen Gebieten Europas dringend gewarnt 
worden zu sein. Ein vorbereitender Ausflug im Anschluss an den Wiener 
Geographentag bot mir die erwünschte Gelegenheit, unter fachmännischer 
Leitung den Karst kennen zu lernen, ein zweiter Besuch galt dem Neu- 
siedler See, der in vielen Beziehungen dem Scutari-See gleicht, und nach 
sechswöchentlichem Aufenthalte kehrte ich der schönen Kaiserstadt an 
der Donau den Rücken. Am Morgen des 20. Mai betrat ich in Triest 
den Lloyddampfer, und klopfenden Herzens sah ich das Schiff sich in 
Bewegung setzen, das mich an den Fuss der Schwarzen Berge bringen 
sollte. 

Langsam verschwand das amphitheatralisch aufgebaute Häuser- 
gewirr des wichtigen Handelsplatzes, und die Ostküste der Adria ent- 
faltete ihre malerischen Schönheiten. Hoch oben wölbt sich der unend- 
liche Himmel, unten fluthet das blaue Meer, in dem muntere Delphine 
ihr lustiges Spiel treiben und Fischerbarken mit breiten, weissen Segeln 
auf- und niederschaukeln. Die nackten Steilwände des istrischen und 
dalmatinischen Karstes heben sich scharf vom tiefblauen Firmamente ab, 
und freundliche Ortschaften, dunkle Wälder oder grünende Aecker um- 
kränzen abwechselnd die unteren Gehänge. Anfangs kann man die Reize 
der südlichen Landschaft, das Labyrinth der zahllosen Inseln, den an- 
muthigen Ufersaum und die drohenden Gebirgsmauern nicht genug 
bewundern, bis sie schliesslich doch ihre Zauberkraft verlieren. Umso- 
mehr wendet man sich der Reisegesellschaft zu; Bekanntschaften sind 
bald geschlossen, und in angenehmer Unterhaltung verfliegt die Zeit. 

Das Schiff landet in Pola, dem Kriegshafen der österreichischen 
Marine, es hält in Dalmatiens politischer Hauptstadt Zara, und am 
Nachmittage des zweiten Tages ist Spalato, die Residenz Kaiser Diocle- 
tians und heute der volkreichste Ort Dalmatiens, erreicht. Jedesmal 
bietet ein mehrstündiger Aufenthalt Zeit genug, um die originellen Städte 
und ihre Alterthümer kennen zu lernen. Buntmützige Morlaken in ihrer 
ebenso malerischen als schmutzigen Tracht warten am Hafen auf den 
Reisenden, um sich unter Schreien und Zanken seines Gepäckes zu 
bemächtigen; zerlumpte Bummler sonnen sich träge auf den breiten 
Steinfliesen und halten, zum Reden zu faul, dem Fremden mit einer 
bezeichnenden Geberde die Hand entgegen. Kaum hat dieser die engen, 
winkligen Gassen betreten, so läuft ihm schon eine Schaar von Bettlern 
aller Altersclassen und Geschlechter nach, bleibt er irgendwo stehen, 
gleich sind andere Aufdringliche bei der Hand, und sucht er in einem 
üasthause Zuflucht, so folgen ihm die Unverschämtesten dorthin nach. 



Nach Cetinje. -y 

Doch die Dampfpfeife mahnt zur Eile; die Nacht breitet rasch 
ihren Schleier aus, das Stampfen der Maschine und die an die Schiflfs- 
wand schlagenden Wellen wiegen uns in festen Schlaf, und der 
frühe Morgen findet uns neu gestärkt in einer liebhchen Bucht. Cypressen- 
und Pinienhaine, Feigen und Aloes, der Lorbeer und andere immer- 
grüne Laubhölzer verhüllen schmeichelnd den nackten Kalk, stattliche 
Häuser schauen aus dem Gebüsch hervor, und stolze Forts grüssen von 
den steilen Höhen herab. Wir waren in Gravosa, dem treiflichen Hafen 
der alten Handelsstadt Ragusa, die ich einige Monate später als unfrei- 
williger Wanderer zum zweiten Male betreten sollte. 

Nun wird der Gebirgswall zusehends wilder, er scheint an Höhe 
und Steilheit zu gewinnen, und nach Mittag biegt unser Fahrzeug um 
die berüchtigte Punta d'Ostro. Mit einem Schlage hat sich die Scenerie 
verwandelt. Die noch eben bewegte See kräuselt sich in leichten Wellen, 
schauerliche Kalkmauern stürzen fast unvermittelt in die blauen Fluthen 
und kommen sich zuweilen so nahe , dass sie blos einen schmalen 
Canal übrig lassen. Das sind die Bocche di Cattaro, die so vielfach 
an den Vierwaldstätter See erinnern und zu den berühmtesten, ge- 
räumigsten und sichersten Häfen der Welt gehören. An der Einfahrt 
thürmt sich der riesige Orjen auf, im Hintergrunde winken die nackten 
Felszüge der Crnagora, und als weithin sichtbares Wahrzeichen grüsst 
ein Berg herüber, dessen sargdeckelartigen Kamm grauweisse Schnee- 
flecken zieren. Das ist der Lovden, der heilige Berg der Montenegriner, 
an dem der uralte Saumpfad und die neue Fahrstrasse in zahllosen 
Zickzacken emporklimmen. Fieberhafte Thätigkeit herrscht auf dem 
Schiffe. Das Gepäck wird heraufgewunden, die Fahrgäste drängen sich 
auf dem Verdeck zusammen, und Cattaros weisse Häusermasse kommt 
rasch näher. Schon sind die Gestalten der neugierigen Zuschauer zu 
erkennen, und vernehmbar klingt das Gezeter der Lastträger herüber, 
die sich um die besten Plätze streiten. Jetzt hält das Schiff, die Landungs- 
brücke wird aufgerichtet, und im nächsten Augenblicke stürzen die 
Facchini, einer losgelassenen Meute gleich, an Bord. 

Vier der rohen Gesellen fielen über meine beiden Reisekörbe her 
und schleppten sie durch das schmale Thor der Festungsmauer in die 
Zollstätte. Nachdem die Durchsicht des Gepäckes zu beiderseitiger 
Zufriedenheit beendet war, konnte ich das Hotel aufsuchen; draussen aber 
warteten schon die zweifelhaften Helfer, um für ihre Dienste einen 
unverschämten Preis zu verlangen. Ich nahm einen derselben bei Seite, 
theilte ihm mit, dass ich am nächsten Tage nach Cetinje wollte, und 
. fragte ihn, ob er mir einen Mann mit einem Tragthier verschaffen 



A Nach Cetinje. 

könnte. Bald hatte er das Gewünschte gefunden, der Aufbruch wurde auf 
V25 Uhr Morgens festgesetzt, und nun konnte ich mit einiger Ruhe 
den kommenden Ereignissen entgegensehen. Ein Rundgang durch 
Cattaro bot nicht viel Neues, da dieses genau den übrigen Städten 
Dalmatiens gleicht. Ich kehrte deshalb ins Hotel zurück; kaum aber 
war ich eingetreten, als mich ein Herr in fliessendem Französisch an- 
redete und sich als türkischen Major vorstellte. Er war gekommen, um 
ein Mitglied der türkischen Gesandtschaft abzuholen und nach Cetinje 
zu geleiten ; und mit dem Letzteren, einem fein gebildeten, des Deutschen 
und Französischen gleich mächtigen jungen Manne vornehmer türkischer 
Abkunft, hatte ich bereits auf dem Schiffe einige genussreiche Stunden 
verbracht. Inzwischen war es dunkel geworden, und die wunderbar 
milde Luft lud nach des Tages Hitze doppelt zu einem Spaziergange 
am Strande ein. Am Himmel glänzten zahllose Sterne, und das silberne 
Licht des Mondes beleuchtete gespensterhaft den Scheitel der maje- 
stätischen Gebirgsmauer. Dort oben nahm Montenegro seinen Anfang, 
und dort oben weilten meine Gedanken. — 

Pünktlich erschien mein Begleiter und trug das Gepäck vor das 
Thor, da Pferde das Innere der Stadt nicht betreten dürfen. Der Be- 
sitzer des Maulesels war ebenfalls zur Stelle; die schwere Last wurde 
dem geduldigen Thiere aufgebürdet, und hinauf ging es, den Schwarzen 
Bergen zu, während über Cattaro noch die friedliche Morgenruhe lagerte. 
Die 187g vollendete Fahrstrasse läuft zunächst in einer Einsenkung, 
verlässt dann den nach Budua führenden Strassenzug, und es beginnt 
eine Unzahl grosser Krümmungen, die durch kümmerliche Pfade abge- 
schnitten werden. Mehrmals überspannen Steinbrücken die in den 
schroffen Berghang eingerissenen Schluchten; aber nur in den wenigsten 
derselben floss noch Wasser, das von dem schneebedeckten Lov6en 
herabrieselte und wenige Wochen später gänzlich versiegt war. 

Mit wachsender Höhe des Aufstieges erweitert sich der Ausblick 
zusehends, und es entrollt sich — wer könnte ein solches Bild be- 
schreiben — das unendliche Meer, um in unbestimmter Ferne mit dem 
Horizonte zu verschwimmen. Vor uns liegen die Bocche mit ihren 
steilen Gebirgsmauern, ihren anmuthigen Ufern und schmucken Häusern, 
die von der Höhe wie die winzig kleinen Häuschen eines Kinderspiel- 
zeuges aussehen. Noch einige Schritte, dann zieht sich eine Reihe ein- 
gelegter Steine schräg über die Strasse; sie zeigt die Grenze (924 Meter) 
zwischen hüben und drüben an, und ich überschritt sie mit einem kräf- 
tigen >^ Hurrah, Crnagora!« 



Nach Cetinje. c 

Nun ist der vielgenannte Krstac-Sattel (984 Meter), der dem Strassen- 
bau die meisten Schwierigkeiten entgegenstellte, nicht mehr weit, und 
eine andere Landschaft nimmt uns auf. Wüstes Steingeröll verhüllt 
eine grau in grau gehüllte Hochebene, die von schmalen Erhebungen 
regellos zergliedert und von rundlichen Trichtern, den Dolinen, sieb- 
artig durchlöchert ist. Kein starker Baum ziert die trostlosen Einöden; 
niedere Büsche oder Stämmchen fristen zwischen den Felsen ein 
neidloses Dasein und beugen sich ächzend unter dem Eiseshauche der 
Bora. Noch hat der Frühling die Macht des Winters nicht ganz be- 
zwungen, und schüchtern entfaltet sich erst das junge Grün, das unten 
bereits üppig entwickelt war. Aber rührend ist es zu sehen, wie der 
als Tagedieb verschrieene Montenegriner mit peinlicher Sorgfalt jedes 
verfügbare Fleckchen Erde zu einem kleinen Felde ausgenutzt hat, das 
oft mehr Steine als feine Krume aufweist. Noch ein kurzes Stück müssen 
wir wandern, dann nimmt uns die erste wohl bebaute Oase dieser Karst- 
wüste, die Ebene von Njegus (885 Meter), auf. 

Unter Njegus versteht man das massig grosse Kesselthal, an dessen 
Rändern sieben Weiler und Dörfchen — Herakoviöi, Rajäevidi, Dugi Do, 
Vrba, Velji Kraj, Radonici, Petrovidi — zerstreut sind und aus deren 
letztem Montenegros Herrscherhaus stammt. In der Mitte des 16. Jahr- 
hunderts flüchtete nämlich die hercegovinische Familie der Petrovidi 
vor der türkischen Gewaltherrschaft in die Schwarzen Berge und sie- 
delte sich im Njegusko Polje an. Mit schroffen, spärlich bewaldeten 
Lehnen fällt der Lovcen zum Becken ab, und seinen windumbrausten 
Gipfel krönt die einfache Capelle, welche das dankbare Volk dem 
Gedächtnisse seines grossen Dichters und Staatsmannes, des Fürsten 
Peter IL, weihte. 

In einem sehr bescheidenen Han verweilten wir zwei Stunden, um 
den knurrenden Magen zu befriedigen und dem Tragthiere einige Ruhe 
zu gönnen. Der beschwerlichste Theil des Weges, der Aufstieg, war 
überwunden, und mit frischer Kraft klommen wir am Golo Brdo an, 
auf dessen Rücken die Strasse ihre bedeutendste Meereserhebung (1274 
Meter) erreicht. Noch schweift der Blick über eine langweilige, trau- 
rige Steinwüste und über trümmererfüllte Dolinen, da senkt sich plötz- 
lich der Weg, und unwillkürlich bleiben wir stehen, um das neue Pano- 
rama zu bewundern, das an Lieblichkeit und grossartiger Romantik 
seinesgleichen sucht. Eine blaue, dunstbedeckte Fläche glänzt aus Süd- 
ost herauf, umgeben von einem breiten, grünen Streifen: das ist der 
Scutari-See mit seinen weiten Niederungen. Hier umgrenzt ihn das maje- 
stätische Küstengebirge mit den schneeweissen Zinnen der Rumija und 



5 Nach Cetinje. 

dem tiefen Einschnitte des Sutorman-Passes; dort thürmt sich in über- 
wältigender Schönheit und Wildheit die schneebedeckte Kette der Al- 
banesischen Alpen auf, und an sie schliesst sich die vielzackige Mauer 
des Kuöi-Landes, die ebenfalls noch in der reinen Hülle des Winter- 
schnees leuchtet. Doch bald verschwindet das wechselvolle Bild zwi- 
schen dem Blockwerk und den nackten Hügeln des Karstes, und erst nach 
langer eintöniger Wanderung ändert sich die Scenerie wieder. Die Ge- 
birgswände senken sich zu einem geräumigen Becken mit grünen Fel- 
dern, und an seinem Ostende liegt eine kleine Häuseransammlung. Ein- 
ladend winken die weissgetünchten Wände und die rothen Ziegeldächer, 
am Berghang erhebt sich ein Kloster, und eine breite Strasse durch- 
schneidet den ganzen Ort. »Evo ti Cetinje!« (Hier ist Cetinje) ruft 
mein Begleiter aus. Und wirklich da fand ich Alles, was ich aus Be- 
schreibungen schon kannte. Das einfach-schöne Palais, das Pulver- 
magazin, das Hospital und unweit des Klosters die berüchtigte Kula, 
einen Thurm, auf dem noch zur Zeit von Ebel, Stieglitz und Wilkinson 
die Köpfe der getödteten Türken aufgespiesst waren, während jetzt eine 
eherne Glocke deren Stelle ziert. 

Die Nähe des Zieles verdoppelt unsere Schritte, und die vielen 
Curven, welche die Strasse beschreibt, um die Ebene zu gewinnen, 
kürzen wir auf geröllbesäeten Steigen ab. Bald stehen wir unten am 
Beckenrande in Bajce und langen eine halbe Stunde später in dem 
behaghch eingerichteten Hotel (673 Meter) an. 

Das oft beschriebene Cetinje, der politische Mittelpunkt Montene- 
gros, erweckt in dem Ankömmling die gemischtesten Gefühle. Trotz 
seines Charakters als Residenz und als Sitz von sechs fremden Gesandt- 
schaften gleicht es eher einem Dorfe als selbst einer kleinen Stadt, zu- 
mal die Gesammtbevölkerung der Niederung kaum mehr als 1200 Seelen 
zählen mag. Ursprünglich bestand es aus einem Kloster, das 1485 ge- 
gründet ward und um welches sich die anderen Häuschen nach und 
nach zu einer breiten Hauptstrasse mit mehreren kurzen Nebenstrassen 
und grossen Plätzen aneinanderreihten. Die Hauptstrasse schliesst mit 
dem Hotel und dem Mädcheninstitut ab, eine Nebenstrasse mündet auf 
den Platz aus, den die stattliche Lesehalle ziert, eine zweite endet einer- 
seits auf dem Markte, andererseits am Palais und an einem langen, 
festungsartigen Gebäude, in welchem die verschiedenen Ministerien und 
das Gymnasium untergebracht sind. Nach der uralten Ulme, unter deren 
schattenspendenden Zweigen der Fürst Recht spricht, ist das kleine, be- 
scheidene Gefängniss jedenfalls am originellsten, dessen Sträflinge meist 
fessellos umherlaufen. Sehr selten hört man von einem Fluchtversuche, 



Nach Cetinje. 7 

da sich ein solcher mit dem Ehrgefühl des Crnogorcen nicht verträgt, 
und überdies werden hier nur die wegen leichterer V'erbrechen Ver- 
urtheilten in Haft behalten; das wohlverwahrte Staatsgefängniss für schwere 
Verbrecher befindet sich auf der Inselklippe Gimo.'ur im Scutari-See. 
Cetinje macht mit seinen ebenerdigen oder einstöckigen Häusern, den 
bescheidenen Läden und Werkstätten, den reinlichen, mit Laternen ver- 
sehenen Strassen einen recht freundlichen Eindruck; hinter dem Städt- 
chen ist neuerdings ein Park angelegt worden, und eine im October 



1891 eröffnete Wasserleitung liefert gutes Trinkwasser, das dem Obso- 
vica-Berge entstammt. Die Cisternen sind daneben noch immer im Ge- 
brauch, und altabendlich schöpfen dort die Frauen ihre Kübel voll oder 
tränken die Heerden. 

Die Montenegriner gehören zu den Südslaven, erinnern aber in 
ihrem Typus und in ihren ausdrucksvollen, scharfen Zügen auffallend an 
die edel gestalteten Albanesen. Ueberhaupt scheint es sehr fraglich, ob sich 
bei ihnen die serbische Rasse rein erhalten hat, denn abgesehen davon, 
dass die einwandernden Serben in jenen Gegenden bereits die Abkömm- 



8 Nach Cetinje. 

linge eines jedenfalls albanesischen und mit Griechen und Römern stark 
vermischten Urvolkes vorfanden, trug die beständige Berührung mit 
Türken, Amanten, Italienern und Hercegovinern nothwendig zu gegen- 
seitigen Vermischungen bei. Der Crnogorce ist breitschulterig, von mittel- 
grossen, ebenmässigen Körperformen und erfreut sich bis ins späte Alter 
einer unnachahmlichen Gewandtheit und Geschmeidigkeit. Wohlbeleibte 
Personen sind selten, vielmehr begegnet man hageren, sehnigen Männern, 
denen die lebhaften blitzenden Augen und der martialische Schnun*bart 
ein imponirendes, kriegerisches Aussehen verleihen. 

In dieser Beziehung kommt ihnen auch die einheitliche, kleidsame 
Nationaltracht zu Hilfe. Eine scharlachrothe, mit Aermeln besetzte oder 
ärmellose Weste (Camadan), die je nach dem Grade oder dem Reich- 
thum ihres Besitzers mit schwarzen oder goldenen Stickereien besetzt 
ist, umschliesst die Brust. Um den Leib schlingt sich eine breite, bunte 
Schärpe (Pas), und von ihr wird der eigentliche Waffengürtel (Kolan) 
verborgen. Die faltige, blaue Hose reicht bis zum Knie, die muskulösen 
Waden schützen die Tokolenice, gamaschenartige, durch zahllose Haftel 
zusammengehaltene Strümpfe, und der Fuss steckt in kurzen Socken 
(Carape), über welche die Opanken, Schuhe oder Stiefeletten gezogen 
werden. Wohlhabendere tragen über dem Camadan einen bis zum Knie 
fallenden weissen oder grünen, vorn offenen Rock (Gunj oder Dolama) 
und darüber nicht selten noch eine zweite reich verzierte Weste (Jelek). 
Als Ueberwurf dient ein grobwollenes, gefranstes Plaid (Struka) oder 
ein aus grobem Stoff verfertigter, mit einer Kapuze versehener Mantel 
(Kapanica). Das Haupt endlich ziert die Kapa, deren symbolische Far- 
ben — der schwarze Atlasrand, der blutrothe Deckel und der goldene 
Regenbogen mit einem Stern oder dem Namenszuge des Fürsten — 
die Trauer um die auf dem Amselfelde verlorene Freiheit des grossen 
Serbenreiches, das Türkenblut, welches der Kampf um sie kostete, und 
die Hoffnung auf ihre dereinstige Wiedererlangung andeuten sollen. Auf 
ihr sind auch die Metallschilder angebracht, die statt besonderer Uni- 
formen die einzelnen Beamtenclassen kennzeichnen. 

Wie ganz anders erscheint das montenegrinische Weib dem stolzen 
Manne gegenüber, hinter dem es an Schönheit und Körpergrösse weit 
zurücksteht. Ausnahmen gibt es natürlich ebenfalls, doch vermisst man 
bei der Mehrzahl die regelmässigen Gesichtszüge und die ebenmässigen 
Formen; überdies lässt die angestrengte Arbeit im Kampfe ums Dasein 
die Frauen rasch altern und macht sie runzelig und knochig, so dass 
sie in keiner Weise die Bezeichnung schönes, zartes oder schwaches 
Geschlecht verdienen. 



Nach Cctinje n 

Schmucklos und düster ist auch ihr Alltagsgewand, denn es besteht 
aus einem dunklen Rock und einem ärmellosen, bis zum Knie fallenden 
Ueberkleide (Köret). Entsprechend dem Gunj der Männer ist es vorn 
offen und lässt die vom Hemd verhüllte Brust frei. Das Haupt der 
Verheirateten ziert ein schlichtes, schwarzes Kopftuch, das der Mädchen 
die landesübliche Kapa, die einfache Goldstickereien enthält und 
öfters einen kurzen Schleier trägt. Bei festlichen Gelegenheiten 
wird statt des gewöhnlichen ein weisser, verzierter Köret angezogen, 
und die Frauen, nicht aber die Mädchen, schmücken sich mit einem 
breiten, aus Silber oder geringwerthigem Metall getriebenen Gürtel 
(Pojas). 

Zunächst galt es, die Empfehlungen abzugeben und für die bevor- 
stehende Wanderung einen des Italienischen mächtigen Eingeborenen 
zu suchen, da ich damals noch sehr wenig von der serbischen Sprache 
verstand. Ein solcher, Arso Popovic, hatte sich bald gemeldet, doch 
war er dem Trünke so ergeben, dass ich ihn schliesslich in Foöa 
Knall und Fall entlassen musste. Das Zweite war der Ankauf eines 
Gebirgspferdes zum Transporte unseres Gepäckes; und auch dieses, ein 
kleines, kräftiges Thier mit dem Namen Kulag, war binnen kurzem 
beschafft. Bei den nothwendigen Besuchen und der Abgabe meiner Em- 
pfehlungen lernte ich in dem Geschäftsträger der k. und k. diplomatischen 
Mission, Herrn Van Zell d'Arlon, einen liebenswürdigen Beamten kennen, 
der mir in jeder Weise beistand. Der russische Minister-Resident, Herr 
Argiropulos war nicht minder zuvorkommend, und der montenegrinische 
Minister des Aeussem, Vojvoda Gavro Vukoviö, stellte mir bereitwilligst 
ein offenes Schreiben an die Landesbehörden aus. Endlich traf ich mit 
Herrn Rovinski, dem besten Kenner und eifrigsten Freunde des kleinen 
Fürstenthums, zusammen und erhielt von ihm eine Fülle von Beleh- 
rungen. Allen diesen Herren sei an dieser Stelle mein aufrichtigster 
Dank dargebracht. 



10 Uebcr Rijeka nach Podgorica. 



2. Capitel. 

Ueber Rijeka nach Podgorica. 



Die vier Tage meines Aufenthaltes schwanden schnell dahin, 
und am Morgen des 28. Mai wurde der Marsch ins Innere ange- 
treten. Munter scharrte Kulas vor dem Eingange des Hotels, stark 
bewaffnet mit Revolver, Werndl-Gewehr und langem Messer lud ihm 
Arso die Reisekörbe auf, und wohlgemuth verliessen wir Cetinje. Bis 
Podgorica konnten wir die neue Fahrstrasse benutzen, und daher war 
die Wanderung nicht zu anstrengend, obwohl sie, die Rast abgerechnet, 
über elf Stunden beanspruchte. 

Zunächst stiegen wir am Nordrande des Cetinjsko Polje bis zum 
Belvedere an, der entzückender fast als der Golo Brdo die Fernsicht 
auf den Scutari-See und seine Bergketten wiedergibt, und verloren 
uns in dem wilden Karste, den die charakteristischen Gewächse des 
steinigen Montenegro überwucherten. Da grünten die Eiche, Esche, 
der Ahorn, Zwerghollunder oder Attich, verschiedene Buchenarten, der 
Wachholder, der nimmer fehlende Zürgelbaum und von Kräutern 
der wohlriechende Salbei in ungeheurer Menge. Je mehr sich der 
Weg nach dem tief gelegenen Rijeka senkte, um so häufiger wurden 
Sumach, Feige, Maulbeerbaum, Quitte, Granate, Olive und die anderen 
Kinder des Südens. Nicht selten lag am Grunde der grösseren Einsturz- 
trichter ein wohlummauertes Feld, in dem die Kartoffel eben erst ihre 
jungen Triebe ansetzte. Wie wichtig ist diese Pflanze für viele monte- 
negrinische Haushaltungen, und wie rasch hat sie sich über das ganze Land 
verbreitet, nachdem sie erst am Ende des vorigen Jahrhunderts Fürst 
Petar II. eingeführt hatte! Fleissige Landleute zogen mit Aufbietung 
ihrer und ihrer Kühe Kraft den primitiven Pflug durch den dürftigen 
Acker, und andere schafften auf ihren Saumthieren oder auf dem Rücken 
der Frauen ihre Verkaufsgegenstände nach Cetinje. 

Im Gegensatze zu den früheren und späteren Wegstrecken besitzt 
der Abschnitt Cetinje — Rijeka verhältnissmässig viele Quellen und feine 
Wasseradern, von denen im August allerdings ein guter Theil versiegt 
war. Eine Reihe staffelförmfg abfallender Mulden, die schon von Njeguä 



Ucber Rijeka nach Podgorica. 1 1 

an beginnen, aber erst von Cetinje an auffallend hervortreten, nehmen 
das Wasser auf, dessen Abfluss durch das Einfallen der Schichten nach 
diesen Becken hin noch begünstigt wird. In Folge dessen sind sie 
gut bebaut und beherbergen die stattlichen Dörfer Dobrsko Selo, Stru- 
gari und Ceklin. 

Jetzt beschreibt die Strasse grosse Curven, denn der Höhen- 
unterschied zwischen Cetinje und Rijeka (22 Meter) beträgt 650 Meter, 
wovon auf den letzten Kilometer, etwa von dem Kirchlein Na Vrh 
Kosöele (268 Meter) an, 250 Meter kommen. Im Thale empfängt uns 
eine andere Natur. Die Felsen verschwinden stellenweise unter einem 
üppigen Mantel südlicher Baumgruppen, saftiger Wiesen oder biegsamer 
Reben, und die silbernen Windungen eines Karstflusses erfreuen das 
Auge. Der nahe Scutari-See mildert die Sommerhitze und die Winter- 
kälte, und der kaum fusshohe Schnee hält sich nur kurze Zeit, während 
er in Cetinje nicht selten die niedrigen Häuser überragt. Daher hat sich 
der Fürst hier einen kleinen Palast bauen lassen, in dem er sammt 
seiner Familie vor der grimmigen Kälte Schutz sucht. 

Rijeka selbst, eine türkische Gründung, ist ein schmuckes Städtchen 
von etwa hundert Gebäuden, die, eine breite Strasse mit einigen engen 
Nebengässchen bildend, längs des gleichnamigen Flusses hinlaufen und 
an den umgebenden Kalkwänden ein Stück hinanklimmen. Die ein- 
oder zweistöckigen Häuser erinnern mit ihren grünen Läden, Erkern, 
Galerien und vorspringenden Dächern an die italienisch -dalmatinische 
Bauart; in den offenen Läden des Untergeschosses bieten arbeitsame 
Albanesen ihre Waaren feil, und die alten Maulbeerbäume einer breiten 
Promenade spenden eine wohlthätige Kühle. 

Die Rijeka, noch eben ein schäumender Karstbach, der mit mäch- 
tiger Wassermasse aus einer weiten, dunklen Höhle hervorsprudelt und 
die verborgenen Gewässer bis hinauf zum Lovöen in sich aufnimmt, 
dieselbe Rijeka, die noch eben einige Sägemühlen getrieben und die 
Maschinen der Pulverfabrik in Bewegung gesetzt hat, gleicht hier 
bereits einem träge dahingleitenden, fast stillstehenden Strome. Denn 
nunmehr ist sie nichts anderes als ein 10 Kilometer langer Arm des 
Scutari-Sees, der genau den Eindruck eines überschwemmten Thaies 
macht. So dicht ist der Wasserspiegel mit Nymphäen, Wassernüssen 
und anderen Sumpfpflanzeh bedeckt, dass nur eine schmale Fahrbahn 
offen bleibt. Das feuchte Element beherbergt zahllose Fische, und 
Möven, Reiher, Wasserhühner und andere Wasservögel gehen schaaren- 
weise ihrer Nahrung nach. Allerdings sucht die Rijeka in den heissen 
Sommermonaten die Stadt und ihre Umgebung mit lästigen Fiebern 



12 Ucber Rijeka nach Podgorica. 

heim, aber dafür ist sie als einziger Strom Montenegros das ganze Jahr 
hindurch für kleine Dampfer zugänglich. 

Kaum war ich den kleinen Ort eingebogen, als mich ein europäisch 
gekleideter Mann mit einem kräftigen »Guten Tag!« willkommen hiess. 
Es war ein Deutsch-Böhme, der seit vielen Jahren als Hof-Maschinist 
das Commando über den fürstlichen Dampfer führte. Beim dunkelrothen 
Crmnica-Wein verplauderten wir einige Stunden, und unter allgemeinem 
Zulauf der Crnogorcen machte ich eine photographische Aufnahme des 
belebten Bazars. 

Um I Uhr mussten wir wieder an den Aufbruch denken, da uns 
noch ein weiter Weg bevorstand; die heisse Sonnengluth und der fühl- 
bare Wassermangel gestalteten diesen Theil des Marsches nicht gerade 
zu einem angenehmen. Die schon von ferne als schmaler, heller Streifen 
kenntliche Strasse ist öfters tief in die Bergwand eingesprengt und hat 
die mit einer grau-schwarzen Verwitterungsrinde überzogenen, von Rissen 
und Spalten durchsetzten Gesteinsschichten gut aufgeschlossen. Bei den 
letzten Häusern von Rijeka bemerkt man eine wenig mächtige Kalk- 
einlagerung zwischen den dünnbankigen Kreidekalken; sie hat ein 
krystallinisches Aussehen und dürfte vielleicht ein tertiärer Süsswasser- 
kalk sein. Die Vegetation ist im grossen Ganzen erträglich, und in den 
Dolinen sind stattliche Bäume versteckt, die sich bei Drusici und Parci 
sogar zu ausgedehnten Beständen anhäufen. Gleichwohl können sie 
den traurigen Karstcharakter nicht verwischen, und so eigenartig die 
Landschaft anfangs erscheint, so schnell ermüdet sie durch die geringe 
Abwechselung ihrer Formen. Sehr selten unterbricht ein anmuthiger 

V 

Ausblick das unfreundliche Bild. Von Öindjon (ii8 Meter) aus sind der 
kahle Doppelkegel von Vranina und die Festung Zabljak sichtbar, 
und später grüssen die fernen Gebirge von Kud und Albanien herüber. 

So gelangen wir nach Ueberschreitung eines niederen Querriegels in 
die Lje§anska Nahija, die dem Herzen Alt -Montenegros, der Katunska 
Nahija, an Wüstenhaftigkeit nichts nachgibt und aus einer Anzahl grosser 
Becken zusammengesetzt ist, in denen Tausende kleiner Trichter und 
Karrenfelder wirr durcheinander gewürfelt sind. Der blaugrüne, von 
einem dichten Pflanzenteppich umrahmte Dolinensee Gornje Blato und 
der Scutari-See bringen vorübergehend Leben in die starre Natur, und 
mit Freude begrüssen wir die auf steilem Hügel errichtete Kirche von 
Gornji Kokot (214 Meter), da sie das Ende der langweiligen Karst- 
wanderung anzeigt. 

Die erblassenden Strahlen der scheidenden Sonne beleuchteten 
eine weite, mit wogenden Mais- und Tabaksfeldern erfüllte und von 



lieber Rijeka nncb Fodgorica. J4 

wasserreichen Flüssen zerschnittene Ebene, die im äussersten Süden 
der Scutaxi-See begrenzte und die auf den anderen Seiten von hohen 
Bergen umschlossen ward. Aus den zerstreuten Dörfchen klang das 
melodische Geläute der Abendglocken bis zu unserem erhabenen Stand- 
punkte hinauf, und am Fusse eines langgestreckten Hügels ragten 
aus dunklen Hainen schlanke Minarets und weissgetünchte Mauern 
empor. Fodgorica, die ausgedehnteste und volkreichste Stadt der Crnagora, 
entrollte sich vor uns. Doch noch immer mussten wir mehrere Stunden 



rüstig zuschreiten, bis die schier endlose Ebene durchmessen war und 
unbestimmte Häuserumrisse die unmittelbare Nachbarschaft unseres Zieles 
verriethen. Die Schatten der Nacht waren längst heraufgezogen, als wir 
nach 9 Uhr Abends auf dem Marktplatze vor einem kleinen, eben- 
erdigen Gasthause hielten, dessen Wirth ein Deutsch-Böhme namens 
Johann Kaiser war, nur dass er seinen guten deutschen Namen in den 
entsprechenden serbischen Ivo Carevic umgeändert hatte. Noch mehr 
war ich überrascht, als mich ein Anderer im gemüthlichsten Tone 
fragte: »Sie sind doch aus Sachsen?« Also auch in diesem abgelegenen 
Erdenwinkel gab es noch Reichsdeutsche; denn ein thüringischer 



JA Ueber Rijeka nach Podgorica. 

Landsmann, seines Zeichens ein ehrsamer, wanderlustiger Uhrmacher, 
war es, der mich anredete und der an meiner Aussprache sofort 
erkannte, aus welchem Theile des grossen Vaterlandes ich stammte. 

Die folgenden Tage waren der Besichtigung der Stadt und den 
letzten Vorbereitungen für die Reise ins Innere gewidmet, weil dieser 
lebhafte Handelsplatz selbst in Kleinigkeiten eine grosse Auswahl bietet. 
Zugleich versorgte ich mich mit einem genügenden Vorrathe an kleinem 
Gelde, da die Hirten im Gebirge nicht einmal einen Gulden mehr 
wechseln können. 

Podgorica erfreut sich einer ausserordentlich günstigen Lage. Mehrere 
Flüsse — Zeta, Sitnica, Ribnica — münden in oder bei der Stadt in 
die Moraöa, so dass an Wassermangel nie zu denken ist. Bequeme 
Strassen führen von dieser Eingangspforte ins Zeta-Thal, nach Cetinje, 
Albanien und an den Scutari-See, und ist erst die Eisenbahnlinie Nik§i6 
— Podgorica — (Plavnica — )Andrijevica vollendet, so wird sie an Bedeutung 
noch mehr gewinnen. Welch' reges Leben herrscht schon jetzt! In 
einer luftigen Halle an der Ribnica haben die Fleischer ihre Stände 
aufgeschlagen, und vor der Stadt hämmern die fleissigen Schmiede, die in 
Montenegro eine etwas verachtete Stellung einnehmen, weil das Schmiede- 
handwerk die Hauptbeschäftigung der gering geschätzten Zigeuner ist. 
An der Brücke und auf dem grossen Platze zwischen der alten und 
neuen Stadt verkaufen Frauen Milch, Käse, Eier und je nach der 
Jahreszeit Feigen, Kirschen, Melonen oder Trauben zu erstaunlich billigen 
Preisen. In der Hauptstrasse endlich und am Markte haben die Kauf- 
leute, Schuhmacher, Waffenschmiede, Klempner, Bäcker, Sattler u. s. w. 
ihre Läden und Werkstätten. Wegen der vielfachen engen Beziehungen 
zum Nachbarstaate gibt es in Podgorica ein türkisches Consulat, und 
auch sonst besteht der grösste Theil seiner Einwohner aus Türken und 
Albanesen, die Handel und Industrie völlig in ihrer Hand haben. Die 
Montenegriner dagegen konnten sich bisher nur wenig von ihren alt- 
hergebrachten Beschäftigungen, Viehzucht und Ackerbau, trennen, wenn- 
gleich nicht zu leugnen ist, dass auch bei ihnen das Handwerk 
immer mehr in Ansehen kommt. So gab es einige tüchtige monte- 
negrinische Schuhmacher, Packsattelverfertiger und Weber; und bei 
einem der letzteren arbeiteten ein paar albanesische Gehilfen, die 
vor dem Fanatismus ihrer muhamedanischen Stammesgenossen aus 
Gusinje geflohen waren. Leider war auch hier die Bettelei, die nach 
den Berichten vieler Schriftsteller in Montenegro unbekannt sein sollte, 
die mich aber schon auf der Strasse von Cattaro nach Cetinje über- 



Uebcr Rijeka nach Podgorica. ic 

raschte, so unverschämt, dass die zudringlichen Individuen sich trotz 
aller Mittel kaum verscheuchen Hessen. 

Militärisch ^var Podgorica ein nicht minder wichtiger Stützpunkt, 
der durch Feldschanzen auf den benachbarten Hügeln Gorica (169 Meter) 
und Ljubovid (131 Meter) geschützt wurde und noch immer von den 
türkischen Forts jenseits der Grenze beherrscht wird. Verfallene Block- 
häuser bewachten die wichtige Brücke Vezirov Most, und ein jetzt völlig 
in Trümmern liegendes Castell beherbergte die starke türkische Be- 
satzung. Eine ununterbrochene Festungskette bewerkstelligte die Ver- 
bindung mit Spuz, und von den Forts der umrandenden Kalkrücken 
konnte das Zeta-Thal und die ganze Moraca-Ebene bestrichen werden. 

Die Ereignisse von Podgorica gaben Montenegro einen erwünschten 
Anlass zum Kriege gegen die Türkei und zur offenen Unterstützung 
der aufständischen Hercegoviner. Im October 1874 erschoss ein türkischer 
Unterthan einen angesehenen Kaufmann, und gleich fiel der Pöbel über 
alle in der Stadt anwesenden Crnogorcen her, weil das Gerücht umlief, 
einer von ihnen sei der Mörder gewesen. Wohl ein Dutzend der Un- 
glücklichen wurde aufs grausamste hingemordet, ohne dass die Garnison 
dem Blutvergiessen Einhalt gethan hätte; und ebenso trat Niemand dem 
zügellosen Volke entgegen, als es am nächsten Morgen in der Umgebung 
von Podgorica noch zwanzig Montenegriner niedermachte. Auf ener- 
gisches Einschreiten der montenegrinischen Regierung wurden die Mörder 
zwar verhaftet und zum Tode verurtheilt; aber so ernst nahmen es die 
türkischen Behörden mit jenen Greueln, dass sie die Schuldigen ent- 
kommen Hessen. — Der Ausgang des mit grausamer Erbitterung ge- 
führten Krieges ist bekannt. Montenegro erhielt im BerHner Congress 
die lange gewünschte Stadt sammt ihren fruchtbaren Niederungen und 
begann sofort die schweren Wunden, welche die jahrelangen Unruhen 
und Kämpfe geschlagen, nach Kräften zu heilen. 

Im Laufe der Zeit ist ein ganz neues Viertel entstanden, das sich 
vortheilhaft von der alten Türkenstadt abhebt. Wohnliche Häuser sind 
im Untergeschosse von Läden oder Schänken eingenommen und 
schliessen sich zu breiten Strassen zusammen, die auf einem mit Bäumen 
bepflanzten Marktplatze zusammenlaufen und von blank geputzten 
Petroleumlaternen geziert sind. Wir gehen über einen zweiten Platz 
und über eine Steinbrücke, welche die schroffen Conglomeratwände der 
tief eingerissenen Ribnica überspannt, und alsbald stehen wir in einer 
traurigen Stätte des Verfalls, die nach der Auswanderung vieler Muha- 
medaner noch öder geworden ist. Krumme, winkelige Gassen kreuzen 
sich regellos, und hohe Mauern sperren die altersgrauen, zum Theil 



l6 Ueber Rijeka nach Podgorica. 

eingestürzten Häuser ab, die mit ihren kleinen vergitterten Fenstern 
wie Gefängnisse aussehen. Ein ehrwürdiger Uhrthurm, die Sahat Kula, 
der nach türkischer Zeitrechnung die Zeit angibt, und die spitzen Minarets 
von fünf Moscheen schauen auf das Chaos herab, in dessen Trümmern 
Feigenbäume, Sträucher und Unkraut üppig gedeihen, zierliche Eidechsen 
spielen oder träge Schildkröten schwerfällig dahinkriechen. Ein betrüben- 
des Zeugniss des Verfalls legen auch die mauerlosen türkischen Fried- 
höfe ab, die sich beiderseits der Strasse nach Plavnica hinziehen und 
stimmungsvoll zu der steinigen, baumarmen Umgebung passen. Aber 
an der schäumenden Ribnica, unweit der spärlichen Reste der türkischen 
Zwingburg, bildet ein stattliches viereckiges Gebäude in abendländischem 
Stile eine wohlthuende Ausnahme. Es enthält Schule, Gericht, Post- und 
Telegraphenamt, und jenseits der Moraöa grüsst das neu erbaute Lust- 
haus des Fürsten herüber. 

Trotz aller Veränderungen hat die eigenartige Stadt ihr orientali- 
sches Gepräge nicht verloren. Zwar will es einem sonderbar erschei- 
nen, wenn der Muezzin seine klagende Stimme vom Kranze des Minarets 
erschallen lässt und gleich darauf die Glocken der orthodoxen oder 
katholischen Kirche zum Gebet rufen ; jedoch der Mensch selbst erinnert 
sofort wieder an das Morgenland, und der wöchentlich zweimal statt- 
findende Bazar bietet die beste Gelegenheit, um die charakteristischen 
Eigenthümlichkeiten der einzelnen Nationen kennen zu lernen. Neben 
dem reich gekleideten albanesischen Kaufmanne steht der finster blickende 
Gebirgs-Albanese in seiner eng anliegenden, aus grobem Stoff verfer- 
tigten Tracht und dem schmutzigen, um Stirn und Fez geschlungenen 
Shawl. An dem stolzen Montenegriner eilen geschäftige Türken in 
weissen, wallenden Gewändern vorüber; ein weisser oder rother Fez 
bedeckt das glatt rasierte Haupt, das nur am Hinterkopfe einen 
struppigen, Haarbüschel trägt, und die Füsse stecken in schwarzen 
oder safrangelben Schuhen. Nie sieht man die Gläubigen zusammen 
mit ihren Frauen, die dicht verschleiert über die Strasse huschen und 
sich bei der Annäherung eines Mannes fester in ihre hässliche Ver- 
mummung hüllen. Das hindert sie indessen nicht, sich verstohlen nach 
diesem umzuschauen ; und mitunter haben sie, vielleicht absichtlich oder 
ohne es zu wollen, ihr Gesicht so nachlässig verhüllt, dass man die 
schönen, regelmässigen Züge sehen kann. Die Unverheirateten sind 
vom Schleiertragen noch befreit und zeichnen sich durch ihre prun- 
kende Tracht, den reichen Schmuck und ihre ebenmässigen Körper- 
formen vortheilhaft vor den untersetzten Montenegrinerinnen und den 
nicht minder knochigen Albanesinnen aus. 



Ueber Rijek« n«ch Podgorica. 17 

Mit unserem Hoflieferanten Nicolö Gugga, einem aus Scutari 
gebürtigen Albanesen, schlössen wir bald gute Freundschaft. Er war 
ein sehr gewandter Mann, der albanesisch, serbisch und italienisch 
gleich fliessend sprach und wie alle seine Landsleute im Handeln 
und Feilschen eine beneidenswerthe Geschicklichkeit entfaltete. Nach 
orientalischem Brauche beehrte er mich mit schwarzem Kaffee und 
duftenden Cigarretten ; und während er mich in seinem Magazin herum- 
führte, wurde er nicht müde, mit beredter Zunge seine Waaren anzu- 



preisen, die unnöthigsten Dinge als unentbehrlich für uns anzurathen 
und mit herzgewinnendem Lächeln stets eine solche Summe zu ver- 
langen, dass ohne erhebliche Verminderung derselben überhaupt kein 
Kauf zu Stande kam. Das Erste war die Ergänzung unseres Koch- 
geschirres durch blecherne Teller und Porzellantassen, die, wie die 
meisten derartigen Gegenstände, aus Wien und Paris eingeführt waren. 
Dann erhielt Kulaä einen neuen Packsattel, denn der, welchen wir aus 
Cetinje mitgenommen hatten, war von höchst fragwürdiger Beschaffen- 
heit. Ferner verlangten die Hufe des graubraunen Rössleins dringend 
nach einem neuen Beschläge; und kaum hatte der gewandte albanesische 



l8 Uebcr Ri?^a 

Schmied seine Arbeit vollendet, als einer seiner dienstbaren Geister davon- 
eilte, um gleich darauf mit kleinen Schälchen dampfenden Moccas zurück- 
zukehren. Denn es ist im ^lorgenlande üblich, nach Abschluss eines 
Geschäftes dem Käufer einen Kaffee anzubieten. 

Wir besuchten auch eine Moschee, nachdem wir mehr der Form 
halber einige weissbärtige Türken um Erlaubntss gebeten hatten, die 
uns ohne 2^gem gewährt wurde. Mit sichtlicher Befriedigung bemerkten 
die frommen Moslims, wie wir unsere Fussbekleidung ablegten und 
entblössten Hauptes den Betsaal betraten. Der niedere Raum, den in 
Manneshöhe eine kleine Gallerie umgab, war sehr einfach und nüchtern 
ausgestattet Stühle und Bänke fehlten gänzlich: vielmehr bedeckte ein 
grosser Teppich in der Farbe des Propheten den Boden, kleine, eben- 
falls grüne Teppiche hingen von den Wänden herab, und schmale Fenster 
dämpften das einfallende Licht. Stumm sassen die Andächtigen mit 
gekreuzten Beinen da, nachdem sie ihre Schuhe auf die dazu bestimmten 
Gestelle am Eingange gesetzt hatten: und Bildsäulen gleich lauschten 
sie den eintönigen, schwermüthigen Weisen, die ein Knabe mit dünner, 
näselnder Stimme aus dem Koran vortrug. Als der Hodia in himmel- 
blauem Mantel und weissem Turban zum Altare schritt und, ohne seine 
Stiefeln auszuziehen, den Gesang fortsetzte, veriiess ich das Gotteshaus, 
von dessen fremdem Cult ich nichts verstand. 

Am nächsten Tage machte ich durch einen merkwürdigen Zufall 
eine angenehme Bekanntschaft. Ich hatte mich an der malerischen 
Ribnica-Schlucht ergangen, war in der Schule über die vortrefflichen 
Wandkarten und Bildertafeln erstaunt, welche zur Belebung des geo- 
graphischen und naturwissenschaftlichen Unterrichtes dienten, und wollte 
eben auf den Ljubovic gehen, als uns ein Montenegriner eilends nach- 
lief und fragte, wer ich sei und was ich untersuchte. Mein misstrauischer 
Diener schickte ihn mit einer ausweichenden Ant>i«*ort wieder fort. 
Wenige Minuten später kam uns ein Herr in abendländischer Tracht, 
die montenegrinische Kapa auf dem Haupte, entgegen, und jetzt löste 
sich das Räthsel. Auch er war ein Deutschböhme Namens Wimmer 
und Leiter der fürstlichen Musikcapelle, und der vermeintliche Polizist 
gehörte zu seinen Untergebenen. Er zeigte mir das Heim seiner Leute, 
ein weitläufiges, türkisches Haus ; und diese, lauter kräftige, jugendliche 
Eingeborene, erklärten sich mit Freuden zu einer photographischen 
Aufnahme bereit. 

Mit Freund Gugga besuchte ich noch die Ruinen von Dioklea, 
wo einst die Wiege des römischen Kaisers Diokletian stand und wo die 



Darch das Zeta-Thal nach Danilorgrad and Kloster Ostrog. XQ 

Ausgrabungen des Herrn Rovinski bereits eine erhebliche Anzahl alter 
Strassen, Plätze und Bauten blossgelegt haben. Doch nun waren die 
schönen Tage von Podgorica zu Ende, und am i. Juni drang ich mit 
gespannten Erwartungen ins Herz Montenegros ein. 



3. Capitel. 

Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad und Kloster 

Ostrog. 



Vom Scutari-See bis zum Gacko Polje verläuft eine deutlich aus- 
gesprochene Einsenkung, die jetzt ganz zu Montenegro gehört und die 
beiden Hälften des Fürstenthums, die Crnagora und Brda, von einan- 
der scheidet. Commerciell wie militärisch ist sie als kürzeste Durch- 
zugslinie von Albanien nach der Hercegovina hochwichtig; und von 
ihren drei Abschnitten, dem Zeta-Thale, dem Niksiäko Polje und den Duga- 
Pässen, war der erstere Jahrhunderte lang der Lebensnerv der armen, 
unfruchtbaren Crnagora, weil seine wohlbewässerte und bis zu 8 Kilo- 
meter breite Sohle einen ergiebigen Ackerbau gestattete. Aber zugleich 
galt er als die verwundbarste Stelle der sonst schwer zugänglichen 
Schwarzen Berge, und deshalb benutzten ihn die Türken mit Vorliebe 
als Operationsbasis. Von ihr aus unternahm 17 14 Kjöprili Pascha seinen 
furchtbaren Rachezug, auf welchem auch die Landeshauptstadt zerstört 
wurde; die Pläne Omer Paschas waren 1862 ebenfalls von Erfolg be- 
gleitet, und er drang bis zum Belvedere bei Cetinje vor. Wäre § 5 des 
Vertrages von Scutari, der den Türken die Anlegung einer befestigten 
Heerstrasse von Spu2 nach NikSid zugestand, wirklich ausgeführt worden, 
so schien die Existenzmöglichkeit Montenegros ernstlich bedroht. Den 
berühmtesten Durchzug erzwang sich 1877 Suleiman Pascha. Nach 
harten Kämpfen gelang es ihm, seine Gegner aus ihren festen Stel- 
lungen in den Duga-Pässen zu vertreiben, worauf er ungehindert die 
dort errichteten Forts und NikSiö verproviantiren konnte. Nun begann 
für den ehrgeizigen General der schwerste Theil seiner Aufgabe, ins 
Zeta-Thal einzudringen, sich mit den Grarnisonen von Spui und Pod- 



2* 



20 Durch das Zeta-Thal nach DaniloTgrad und Kloster Ostrog. 

gorica zu vereinigen und dann mit Uebermacht gegen Cetinje vorzu- 
rücken. Das Fussvolk marschirte auf den linksseitigen Berghöhen, der 
Train in der Ebene; die verzweifelt kämpfenden Eingeborenen leisteten 
jedoch so mannhaften Widerstand, dass die Türken in acht Tagen 
kaum 14 Kilometer zurücklegten und nicht auf Feindesland, wie Sulei- 
man Pascha wollte, sondern auf albanesischem Boden bei Spuz ihre 
Vereinigung mit den dortigen Grenzbesatzungen bewerkstelligten. Sie 
hatten so schwere Verluste erlitten, dass von einem Vorstoss nach 
Cetinje keine Rede mehr sein konnte; aber auch die montenegrinische 
Kriegsmacht war bedeutend geschwächt, und man hatte sich in Cetinje 
schon auf das Schlimmste vorbereitet. Fasst man die Ergebnisse dieser 
vom 3. bis zum 24. Juni dauernden Kämpfe zusammen, so muss man 
zugeben, dass sich Türken und Montenegriner mit gleicher Tapferkeit 
geschlagen haben. Allerdings war der Hauptzweck Suleiman Pascha's 
nicht erreicht ; ebenso konnten jedoch die Crnogorcen die Verprovianti- 
rung der Duga-Forts und von NikSiö nicht aufhalten. Nun hört man 
vielfach, der pomphaft angekündigte Rachezug des türkischen Ge- 
nerals wolle nicht viel bedeuten, weil die Entfernung zwischen SpuX und 
NikM6 nur 32 Kilometer betrage und weil überdies den zusammen 
40.000 Türken höchstens halb soviel Feinde gegenüberstanden. Indessen 
ist nicht zu vergessen, dass Suleiman Pascha allein blos über 10.000 
Mann gebot, dass er erst die 47 Kilometer langen Duga-Pässe erobern 
musste und einen schwerfälligen Tross mit sich führte, während in den 
heimatlichen Bergen die Montenegriner den Vortheil wesentlich auf 
ihrer Seite hatten. 

Die Niederung der Zeta-Moraäa erfreut sich einer bequemen Fahr- 
strasse, deren Bau in der Mitte der achtziger Jahre begonnen wurde 
und jetzt bis Bogetic fortgeschritten ist. Von der alten türkischen Brücke 
Vezirov Most (Vezir-Brücke) an bleibt sie beständig auf der rechten Thal- 
seite und klimmt erst hinter Danilovgrad langsam am Gebirgsrande 
empor. Bis Spu2 hat sich derFluss tief in die Conglomeratmassen und 
Kalke seiner Umgebung eingewühlt, und die eben genannte Brücke 
überspannt ihn mit einem mächtigen Bogen. Ein kleines Blockhaus 
und andere zerfallene Festungsanlagen auf der Gorica beherrschten zur 
Türkenzeit den Uebergang, der auch heute noch die einzige Verbindung 
zwischen den beiden Hälften darstellt, in welche der steilwandige Strom 
die weite Zenta-Ebene theilt. Bald hatten wir die Gorica hinter uns, 
und die dünnbankigen Kalkzüge rückten näher zusammen. Ihren un- 
teren Rand umsäumte in breiten Windungen die blaugrüne Moraca und 
vermischte kurz unterhalb einer zweiten Brücke ihr Wasser mit dem 



Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad und Kloster Ostrog. 21 

der Zeta, worauf beide die ehrwürdigen Ruinen von Dioklea umschlossen. 
Wir betraten eine finstere Enge, welche die Zeta einst durchbrochen 
hat. Sie war so schmal, dass die Strasse in den Fels gesprengt werden 
musste und dass der Durchgang durch zahlreiche Forts auf dem Velje 
Brdo und der TrebjeS, sowie durch vier Kulas in der Thalschlucht völlig 
gesperrt werden konnte. Manche ernste und heitere Erzählung hat 
sich bei den Eingeborenen über die erbitterten Grenzstreitigkeiten mit 
den Türken erhalten; denn vor 1877 war hier die politische Grenze ein 
blosser Begriff, und die wahre Grenze endete bald hier, bald dort, je 
nachdem die eine oder andere Partei stärker war. Um den ewigen 
Reibereien Einhalt zu thun und die zweifelhaften Besitzansprüche ein 
für alle Male zu regeln, verkaufte nach der Darstellung des Volkes ein 
montenegrinischer Minister den Velje Brdo an den Sultan. Die Crno- 
gorcen trieben aber nichtsdestoweniger ihre Heerden auf den Berg 
und erklärten den Türken, die ihnen darüber Vorstellungen machten, 
sie hätten wohl den Berg, aber nicht das auf ihm wachsende Gras und 
Buschholz verhauft und könnten deshalb ihr Vieh ruhig auf die Weide 
treiben, die nach wie vor ihr Eigenthum sei. Die blutigen Schar- 
mützel begannen von neuem und dauerten so lange fort, bis der Sultan 
den Velje Brdo zum zweiten Male kaufte und durch eine stattliche 
Reihe von Befestigungen sichern Hess. 

Im Allgemeinen haben die weissgrauen, mit niederem Wald be- 
deckten Kalkberge des Zeta-Thales ein unfreundliches Aussehen. Dagegen 
wechseln auf dem humusreichen Grunde üppige Kartoffel- und Getreide- 
felder mit saftigen Wiesen, Weingärten und hochstämmigem Laubwalde ab 
und bilden einen anmuthigen Gegensatz zu dem einförmigen Gebirge. 
Noch einmal tritt dieses beiderseits nahe an die Zeta heran und scheidet 
zwei grössere Ausweitungen, die Ebenen von Spu2-Danilovgrad und 
Kujava, von einander. Jedenfalls waren beide Becken vor Zeiten voll- 
ständig getrennt und von Seen erfüllt, bis das Wasser durch die ver- 
einten Wirkungen der ober- und unterirdischen Erosion sich einen Aus- 
weg erzwang und mit Zurücklassung seiner feinen Sinkstoffe abfloss. 
Die Zeta und ihre am Bergfuss sich hinziehenden Nebenflüsse sind 
wegen ihres unbestimmten mäandrischen Laufes die Reste jener alten 
Wasseransammlungen; und endlich theilten niedere Hügelketten, die 
sich in zahlreichen* Ueberbleibseln, z. B. den Bergen von Spu2, erhalten 
haben, die grossen Polje in eine Menge kleiner Kessel. 

Eben hatten wir die Enge von Dioklea passirt, als unser Pferd — es 
war ein heisser Tag, und lästige Fliegen setzten dem armen Thiere sehr 
zu — das Gepäck abwarf, sich auf dem Boden herumwälzte und uns 



22 Durch das Zeta-Thal nacb Danilovgrad nnd Kloster Ostrog. 

durch das Wiederbelasten einen unliebsamen Aufenthalt verursachte. 
Mehrere Montenegriner gingen vorüber, ohne uns zu helfen; vielmehr 
bestürmten sie uns mit neugierigen Fragen, obwohl wir wenig Zeit und 
Lust zum Antworten hatten, und nur ein altes Mütterchen leistete uns 
getreulich Beistand. 

Plötzlich entrollte sich eine ausgedehnte Niederung, die von der 
akazienumsäumten Strasse durchschnitten ward. Ein drohender Kegel 
ragte über die anheimelnden Fluren, und ein malerisches Kastell krönte 
seinen Scheitel: es war die verhasste Türkenfeste Spui. Im letzten 
Kriege hatte sie den Crnogorcen Stand gehalten; aber der Berliner 
Congress sprach sie ihnen zu, und unter der neuen Herrschaft verwan- 
delte sich das brach liegende, verwilderte Ackerland in einen blühenden 
Garten. Spu2 ist ein erbärmlicher Ort, zu dem man über eine grosse 
Holzbrücke und durch ein Thor des halb eingestürzten Walles (50 Meter) 
gelangt. Zwischen dem Flusse und dem Felszacken gelegen, bietet er 
mit seinen zwei Moscheen, seinen zweihundert türkischen Häusern und 
seinen türkischen Friedhöfen nichts Bemerkenswerthes dar, man müsste 
denn die neue Gewehrrepariranstalt ausnehmen. In einem wenig ein- 
ladenden Han kehrten wir ein; aber die Gastfreundschaft seines Eigen- 
thümers ersetzte tausendfach das, was ihm an äusserem Schmuck abging. 
Kaum war unsere Ankunft bekannt geworden, als das Volk herbeieilte, um 
den Fremden wie ein wunderbares Geschöpf anzustaunen und erst ver- 
stohlen, dann immer offener meinen Diener über mich auszuhorchen. 
Bald begrüsste mich der Commandant, ein Artillerieofficier, und nach 
einem Trünke guten, schwarzen Kaffees stiegen wir zur Besichtigung 
der Festung den steilen Berghang hinan (195 Meter). Ein schnell herauf- 
ziehendes Gewitter mahnte uns zur Eile, und kaum hatte der Wächter 
das knarrende Thor geöffnet, als unter Blitz und Donner ein er- 
quickender Platzregen niederrauschte. 

Die sehr starken und noch gut erhaltenen Festungswerke beherr- 
schen das ganze Zeta-Thal, werden ihrerseits aber von dem höheren 
Gebirgsrande beherrscht. Leider thun die Montenegriner sehr wenig, 
um sie vor dem Verfalle zu bewahren, da ihre Berge ihnen vollauf Schutz 
gewähren ; bloss die Pulvermagazine werden durch Blitzableiter und ge- 
legentliche Ausbesserungen vor der Zerstörung gesichert. Unsere Unter- 
haltung betraf — wie konnte das anders sein — in erster Linie die 
blutigen Türkenkriege und Suleiman Paschas kühnen Zug. Wie blitzten 
die Augen meiner Begleiter, als sie mir die Stelle wiesen, wo das er- 
schöpfte und entsetzlich zugerichtete Heer des gefürchteten Feldherrn 
lagerte; und fast mechanisch fuhr die Hand nach dem Revolver oder 



Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad und Kloster Ostrog. 23 

dem Handzar, einem breiten, hirschfangerartigen Messer, als wir das 
Abschneiden der Köpfe berührten. 

Unter solchen Gesprächen erreichten wir unser Quartier wieder, 
wo inzwischen ein kräftiges Essen nach montenegrinischer Art zube- 
reitet war. Grosse Stücke goldgelben Maisbrotes, das eben erst gebacken 
war und noch dampfte, lagen auf einem Blechteller, in einer scharfen, 
kräftigen Brühe schwamm eine prächtige Zeta-Forelle, und grüner Salat, 
Eier, Käse und junge Zwiebeln (Luka) bildeten den Beschluss. 

Doch nun drängte die Zeit, denn es war schon 6 Uhr Abends 
vorüber, und ich wollte noch bis Danilovgrad, obwohl die guten Leute 
mich dringend baten, heute bei ihnen zu bleiben. Unter warmem Hände- 
druck trennten wir uns, und hurtig schritten wir auf der neuen Strasse 
aus. Da ich wegen der Eile und zunehmenden Dunkelheit wenig Ge- 
legenheit zum Beobachten fand, so verkürzten wir uns die Stunden mit 
allerlei Erzählungen. Selbstverständlich drehten sie sich wesentlich um 
Krieg und Kopfabschneiden, und mein Diener redete sich so ins Feuer, 
dass er ausrief: >Eher verliere ich meinen Kopf als Du Deinen in 
Montenegro; wenn wir aber nach Albanien gehen, so werde erst ich 
und dann wirst Du den Kopf verlieren!« Uebrigens zeigte die Land- 
schaft keine grosse Abwechslung. Untermischt mit Häusern und Baum- 
gruppen, reihte sich Feld an Feld, Wiese an Wiese, und so verlor 
die Niederung trotz ihrer anmuthenden Fruchtbarkeit und ausgiebigen 
Bebauung an Interesse. Jenseits der Su§ica-Brücke stellte sich ein 
ausgedehnter Eichenwald ein; und nachdem wir ihn durchwandert 
hatten, war Danilovgrad nicht mehr weit. Noch verbarg es ein vor- 
gelagerter Hügelzug, und als wir gegen 9 Uhr bei völliger Finsterniss 
um ihn bogen, erhoben sich unmittelbar vor uns die hell erleuchteten 
Häuser. In der sauberen, bescheidenen Locanda gingen wir bald zur 
Ruhe, weil wir den nächsten Tag ohnehin hier verbringen wollten. 

Danilovgrad (Danilos Stadt), wie es zu Ehren des Fürsten Danilo 
genannt wurde, ist ein noch jugendliches Städtchen von etwa sechshundert 
Einwohnern, dem man sofort die Neugründung anmerkt. Auf halbem 
Wege zwischen Podgorica und Niksiä gelegen, wurde es dort errichtet, 
wo ein Ausläufer des massigen Garaß-Gebirges bis zum Flusse vor- 
dringt (55 Meter), und sollte ein Gegengewicht gegen die türkischen 
Festungen sein, die bis zum letzten Kriege den montenegrinischen An- 
theil der Zeta-Ebene bedrohten. Die regelmässig sich durchkreuzenden 
Strassen sind nach einem bestimmten Plane angelegt, und die nüchter- 
nen, schmucklosen Häuser gleichen am ehesten den Häusern unserer 
Dörfer und Landstädte. Danilovgrad besitzt ein Post- und Telegraphen- 



24 Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad und Kloster Ostrog. 

amt, das mit der Schule in einem geräumigen, unfreundlichen Gebäude 
untergebracht ist. Ziemlich am Ende des Ortes steht die kleine Kirche, und 
in ihrer Nähe war ein Steinbruch aufgeschlossen, der das Material für die 
Steinbrücke lieferte, die an Stelle der baufälligen alten über die Zeta 
geschlagen wurde. Drei Kalköfen waren Tag und Nacht in Thätigkeit, 
und unter schmetternden Trompetensignalen lösten sich die Arbeiter ab. 
Die Kalke der Mauern und jene des Steinbruches wimmeln von Rudisten, 
so dass ihre Zugehörigkeit zur Kreide unzweifelhaft ist, und ebenso 
gibt es überall im Umkreise eine rostbraune Bildung, die an der Luft 
rasch erhärtet und theils als Terra Rossa (Rothe Erde) ein Verwitterungs- 
rückstand des Kalkes, theils ein Raseneisenstein ist, der sich auf den 
feuchten Thalgrund, also das ehemalige Seebecken, beschränkt. Aehn- 
liebes wiederholte sich an der Trebjeska Gora bei Niksid, an deren Fusse 
dieselben Bildungen zum Vorschein kamen und durch einen Graben an- 
geschnitten wurde, der schon bei i Meter Tiefe das Grundwasser be- 
rührte. 

Den Nachmittag benutzte ich zu einer Besteigung des Taras, der 
gegenüber Danilovgrad in nackten Wänden aufragt und ein wüstes 
Karrenfeld darstellt. Die drückende Hitze benahm uns indess bald die 
Lust zum Klettern, das einen unangenehmen Vorgeschmack für die Be- 
schwerden der nächsten Tage gab; und da wir überdies den Pfad 
verfehlt hatten und auf den übermässig steilen Gehängen kaum vorwärts 
kamen, so machten wir etwa 50 Meter unter dem Gipfel Halt. 

Gegen Abend besuchten uns die Honoratioren des Städtchens, 
wobei ich im Post- und Telegraphenvorstande einen trefflichen Ein- 
geborenen kennen lernte; und unter fröhlicher Unterhaltung kam die 
Nacht heran. 

Ich hatte mir vorgenommen, am nächsten Morgen den Garaß zu 
besteigen, und der Sohn eines Untermajors bot sich uns als Führer an. 
Ein dichter Nebel jedoch, der den Vormittag über die Gipfel verhüllte, 
vereitelte meine Absichten, und so hielt ich es für das Beste, unver- 
weilt nach Kloster Ostrog zu wandern. Der hohe Rang seines Vaters 
hinderte den Herrn Majorssohn nicht, meinem Diener beim Beladen 
des Pferdes zu helfen und dafür ein Trinkgeld in Empfang zu nehmen. 
In Montenegro herrschen eben andere militärische Anschauungen als 
bei uns, und das Verhältniss zwischen Vorgesetztem und Untergebenem 
weicht von unseren Einrichtungen gänzlich ab. Denn im Frieden liegt 
der gemeine Mann denselben Beschäftigungen ob wie der Officier und 
ist nicht selten wohlhabender als dieser. Jährlich werden einige Male 
die vom Staate gelieferten Gewehre — Hinterlader nach dem Werndl-, 



Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad and Kloster Ostrog. 25 

Krnka- und Peabody-System — geprüft und Musterungen abgehalten; 
sonst giebt es kein stehendes Heer und keine regelmässigen Uebungen, 
und nur zu Kriegszeiten erfolgt ein allgemeines Aufgebot der waffen- 
fähigen Mannschaft vom 16. bis zum 60. Jahre. Die einzigen Vertreter 
des stehenden Heeres sind die Perjaniken oder Federbuschträger, welche 
den Dienst der fürstlichen Leibwache versehen ; und eine nicht zu grosse 
Anzahl von Gendarmen sorgt für die öffentliche Sicherheit. 

Hinter Danilovgrad verschmälert sich die Niederung wieder, und 
der isolirte Rücken von Vrutak und Kujava, der einst mit den beider- 
seitigen Gebirgswänden zusammenhing, engt sie noch mehr ein. Vor 
Orjaluka wird ein neuer Nebenfluss der Zeta überbrückt, und bei der 
rudistenreichen Hügelkuppe des kleinen Ortes verlassen wir die Strasse, 
um das Thal zu durchqueren. Dichte Zäune aus Schlehen, Brombeer- 
und Himbeersträuchern, aus Heckenrosen, Weissdorn und wildem Wein 
grenzen die Aecker oder die blumendurchwirkten Matten ab, manns- 
hohe Farhkräuter wuchern im Schatten silbergrauer Weiden oder viel- 
ästiger Feigenbäume, und umfangreiche Eichenhaine verwandeln die 
Gegend in eine heitere Parklandschaft. Bunte Schmetterlinge spielen 
in der klaren Luft, schillernde Eidechsen verschwinden blitzschnell im 
Grase, und schwerfällige, bis zu V2 Meter lange Schildkröten kriechen 
über den sonnigen Boden. Sandsteine oder Sandsteinschiefer liegen längs 
des Bergfusses in grossen, dünnen Tafeln herum und sind nach Tietze 
wohl eine flyschartige Facies der Kreide, da sie durch ihre Höhenlage 
und ihr äusseres Aussehen von dem typischen Flysch an der Meeres- 
küste gänzlich abweichen. 

So kommen wir nach einer genussreichen Wanderung und immer 
begleitet von jenen merkwürdigen, leicht verwitterbaren Gebilden an 
die trägen Fluthen der Zeta, die sich mehrere Meter tief in das Schwemm- 
land eingewühlt haben, ohne dass die unterlagernden Gesteinsschichten 
blossgelegt wären. Der Eichenwald verbarg unter seinem grünen Dache 
ein einsames Kirchlein, und gleich vielen seiner Landsleute versäumte 
Arso nicht, hier wie vor jedem Gotteshause Kreuze zu schlagen, Ver- 
beugungen zu machen und ein kurzes Gebet zu murmeln; leider har- 
monirten jedoch seine anderen Eigenschaften nicht sonderlich mit seiner 
Frömmigkeit. An einer sanften Uferstelle winkte die Fähre (57 Meter); 
eine Schaar Türken belagerte sie mit ihren schwer bepackten Saum- 
thieren , und Jeder wollte beim Uebersetzen der Erste sein. Das 
ging sehr langsam von statten, und meinem Diener riss bald die Ge- 
duld. »Platz gemacht, ihr Türken,« rief er, »dieser Herr ist ein Russe, 
und ich bin ein Crnogorce, und wir haben das Recht, eher an die 



26 Dnrcli das Zeta-Thal nach Danilovgrad und Kloster Ostrog. 

Reihe zu kommen als ihr!< Ein erbittertes Hin- und Herzanken folgte 
den nicht gerade freundlichen Worten; aber wir erreichten unseren 
Zweck und betraten um ^4^ Uhr den steil zum linken Flussufer ab- 
fallenden Bergzug. Aus der nackten Wand sprudelte eine mächtige 
Quelle (4" 14* C), die sofort eine Mühle trieb und ihrer Umgebung den 
Namen Dobro Polje (Gutes Feld) verlieh. 

Während das malerische Felsenkloster Ober-Ostrog von der Ebene 
aus beständig sichtbar war, verschwand es beim Aufstiege hinter dem 
Walde. Zugleich ging der bequeme Steig in einen kümmerlichen Pfad 
über, und den Berghang zerfurchte ein endloses Karrenfeld. Die 
bekannte Karstvegetation verhüllte dürftig das Gestein , das 
wiederum Ueberfluss an Rudisten hatte und in seinen Klüften die 
charakteristische Terra Rossa barg. Am Bache Smokovac (Feigenbach) 
betrat ich den neuen Reitweg, den der Fürst vor einigen Jahren hat 
anlegen lassen und der bis über Dubrave fertig ist. Zwischen hoch- 
stämmigen Eichen, denen das ganze Gebiet seinen Namen Dubrave 
verdankt, führten uns die Zickzacke steil in die Höhe. Pflaumenbäume 
und Feigen, Felder und Weingärten, die sämmtlich Eigenthum des 
Klosters waren, lösten sich mit einander ab, und an den Lehnen traten 
viele Quellen aus, deren Wassertemperatur bei Dubrave -}-i9®C., beim 
Kloster -f-io® C. betrug. Ein Bächlein, das uns getreulich begleitete, 
sprang unweit der Kirche (200 Meter) jenes Dorfes als starke Quelle 
aus dem Kalke und trieb ebenfalls gleich eine Mühle. Ferner fanden 
wir ein feinkörniges, oolithisches Kalkconglomerat, das unterhalb des 
Klosters noch mehrmals anstand. 

Nun wurde der Weg ganz schlecht; erst vor Kurzem in Angriff 
genommen, war er mit scharfkantigen Steinen so überschüttet, dass 
man in dem trockenen Bette eines Wildbaches zu wandern meinte. Wie 
bedauerte ich den armen KulaS, der keuchend seine Last schleppte; 
aber ich konnte ihm nicht helfen und konnte ihm nicht tröstend zu 
verstehen geben, dass er die nächsten Tage Ruhe haben würde. Endlich 
schlug die Erlösungsstunde. Das Eichendickicht lichtete sich, und wir 
standen unmittelbar vor dem stattlichen Kloster Unter-Ostrog (647 Meter). 
Von Suleiman Pascha zerstört, ist es schöner denn zuvor aus der Asche 
wieder erstanden; schmucke, zweistöckige Gebäude und eine grosse 
Kirche umschlossen einen breiten, gepflasterten Hof, und etwas abseits 
lag der einfache Han, ein langes, schmales Haus mit hölzerner Gallerie 
und vorspringendem Dach. 

Nachdem wir iVg Stunden geruht und unseren Hunger gestillt 
hatten, brachen wir zu unserem eigentlichen Quartier, dem oberen 



Durch das Zeta-Thal nach Danilovgrad and Kloster Ostrog. 27 

Monasterium, auf. Ein Eingeborener erklärte sich bereit, mit uns am 
anderen Tage den Ostrog-Gipfel zu besteigen, und nach Zuriicklassung 
des Pferdes, Gepäckes und unseres Geldes klommen wir auf einem 
erträglichen Pfade zu dem berühmten Höhlenkloster hinan. Ein Gewölbe, 
welches die unermüdlichen Naturkräfte in die senkrechte Felsmauer 
gegraben hatten, beherbergte die niedrigen Gebäude, und von ihnen 
liefen etwa 50 Stufen auf eine schmale Terrasse herab. Am oberen 
Ende der sorgsam gearbeiteten Treppe sass ein ehrwürdiger alter Mann 
mit schneeweissem Bart und schneeweissem Haar: es war Vater Kristifor, 
der Priester des heiligen Basilius (Sveti Vasili). Er stammte, wenn ich 
recht berichtet bin, aus Mostar und betrieb dort das Fleischerhandwerk, 
bis ihn eine schwere Krankheit ergriff. Im Traume verkündete ihm eine 
Stimme, dass er genesen würde, wenn er dem Fleischgenusse für immer 
entsagte und sein Leben dem Heiligen von Ostrog weihe. Beides hat 
er treu gehalten und erfreut sich jetzt einer solchen Verehrung, dass 
er schon in den Geruch eines Heiligen gekommen ist. Mit bestrickender 
Herzlichkeit nahm er uns auf und führte uns zuerst in die enge Capelle, 
die auf zwei Seiten von dem überhängenden Fels eingenommen wurde 
und in einem reich verzierten Sarge den einbalsamirten Leichnam des 
Heiligen enthielt. Mein Diener wurde nicht mehr fertig, den Fussboden 
oder die Wandbilder zu küssen, Kreuze zu schlagen und Gebete her- 
zusagen, und Vater Kristifor ruhte nicht eher, als bis auch ich die 
vertrocknete Hand seines Schutzpatrons mit meinen Lippen berührt 
hatte. 

Nebenan war eine kleine Vertiefung, in der sich das Sicker- 
wasser der Kalke zu einem nie versiegenden Brunnen sammelte. Dann 
kamen wir in ein dunkles, feuchtes Gewölbe, in welchem der Diener 
des alten Kaludjer (Mönch) hauste. Ich hätte nimmer geglaubt, dass 
dieser äusserlich so harmlose Mensch einen Kirchendiebstahl versuchen 
konnte, der ihm einige Wochen später den Verlust seiner Stellung und 
obendrein die schimpfliche Prügelstrafe einbrachte. Gingen wir eine 
hölzerne Stiege hinauf, so gelangten wir in das schlichte Zimmerchen 
des Priesters und in eine für Fremde eingerichtete Kammer, die eben- 
falls in die Kalkwand eingelassen waren. 

Von der luftigen Höhe entrollte sich ein grossartiger Blick auf 
das Zeta-Thal, so anheimelnd und lieblich, wie man ihn in der wilden 
Crnagora kaum erwartete. Lange betrachteten wir schweigend die herr- 
liche Landschaft, die, von den Strahlen der untergehenden Sonne be- 
leuchtet, sich in nebliger Ferne verlor. Das war so recht der Ort, der 
ein frommes Gemüth dem Himmel nähern konnte. Dort oben wollte 



28 Darch das Zeta-Thal nach Danilovgrad and Kloster Ostrog. 

der Einsiedler sterben; und sein Grab, das er sich bereits errichtet 
hatte, contrastirte seltsam mit dem Absteigehäuschen des Fürsten. Der 
freundliche Mönch führte mich in den Klostergarten, den er noch mit 
eigener Hand bebaute. Dort grünten verschiedene Arten von Gemüse- 
pflanzen im Schatten kräftiger Feigen- und Maulbeerbäume, und edle 
Weinreben rankten sich um die festen Stämme oder krochen schlangen- 
gleich am Boden hin. 

Doch nun mussten wir uns erfrischen. Der dienstbare Geist brachte 
eine Flasche Feigenbranntwein, und zu Ehren der Dreieinigkeit tranken 
wir drei Schnäpse. Eine eigenartige Unterhaltung begann. Eisen- 
bahn, Dampfschiff und Luftballon waren dem geistlichen Herrn unbe- 
kannte Dinge, und voller Erstaunen bekreuzte er sich, als ich ihm von 
diesen Errungenschaften der Civilisation erzählte und ihm die schnell- 
schiessenden Magazingewehre erklärte ; als er mich aber fragte, ob Gott 
immer helfe und ob die Thiere Gott lobten, da war die Verlegenheit 
auf meiner Seite. Plötzlich wurde unser Gespräch durch lautes Klopfen 
und Rufen gestört, und Vater Kristifor sagte mit feinem Lächeln: »Es 
ist ein Türke, den ein körperliches Leiden hierher getrieben hat und der 
den Heiligen um Hilfe anfleht.« Einige Tage später kam ein anderer 
Muselman an, der aus denselben Gründen den weiten Weg von Bitolia 
(Macedonien) bis Ostrog nicht gescheut hatte. Eines solchen Rufes er- 
freute sich also SvetiVasili; und wirklich traf ich bei unserem Marsche 
nach NikSid den ersten Türken munter und gesund wieder; der Heilige, 
noch mehr jedoch der Arzt in NikSid, hatte seine Wunderkraft aufs 
glänzendste bewiesen. 

Zu Pfingsten, am Festtage des heiligen Basilius, ist das Kloster 
von Wallfahrern überfüllt, und der Alte erwähnte mit gewisser Genug- 
thuung, dass sich unter ihnen viele Muhamedaner befänden. Denn so 
oft die Türken das untere Kloster zerstört haben, so gelang es ihnen 
bloss einmal, sich des oberen Klosters zu bemächtigen; und die rauch- 
geschwärzten Wände, die Schiessscharten in den Mauern und die Kugel- 
spuren im Gestein zeigen deutlich, wie viele Kämpfe um jene fast 
uneinnehmbare Festung geführt worden sind. 1853 hielten es 22 Mon- 
tenegriner neun Tage lang mit Erfolg gegen 10.000 Feinde, 1877 'i^ss 
es Suleiman Pascha vom unteren Kloster aus vergebens mit Kanonen 
beschiessen, und nur im Unglücksjahre 1862 wurde das Felsennest 
vorübergehend von den Feinden besetzt. 



Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekomica. 20 



4. Capitel. 

Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der 

Prekornica. 



Das Gebirgsgebiet zwischen der Zeta, Morada und Graäanica stellt 
ein breites Hochplateau dar, dem beiderseits kleinere Kämme aufgesetzt 
sind, während die Prekornica-Kette die Mitte einnimmt. Die Gebirgszüge 
fallen schroff, ja senkrecht zu Thal, sind aber meist von terrassenartigen 
Absätzen unterbrochen, auf denen die Ortschaften liegen. Ausser diesen 
Hauptformen lassen sich bestimmte andere schwer unterscheiden; das 
Ganze ist vielmehr ein unentwirrbares Durcheinander von Dolinen und 
Karrenfeldern, welche jene Hochebene zu einer der entsetzlichst ver- 
karsteten Gegenden Montenegros stempeln. Der Urwald des Inneren 
ist dünn und bloss zur Weidezeit bewohnt, und die dauernd be- 
siedelten Dörfer nehmen ausnahmslos die äusseren Ränder ein. Die 
Wasserlosigkeit des Innern, die durch das Vorhandensein des Schnees 
kaum ausgeglichen wird, und der Quellenreichthum der Abhänge sind 
hierbei das ausschlaggebende Moment. — 

Kurz nach 4 Uhr weckte mich der durchdringende Ton der Kloster- 
glocken aus dem Schlummer, und rasch eilte ich aus der dumpfen 
Kammer in die Morgenkühle hinaus. Der alte Mönch hatte bereits sein 
Frühgebet verrichtet, und auch unser Führer aus dem Han Hess nicht 
lange mehr auf sich warten. Vater Kristifor hielt uns indessen noch einige 
Stunden fest, und erst gegen 7 Uhr konnten wir an den Aufbruch denken. 
Gleich hinter dem Kloster war nur ein halsbrechericher Steig vor- 
handen. Auf der einen Seite thürmte sich der schroffe Fels auf, und 
zur Linken gähnte ein tiefer Abgrund. Oft mussten wir uns mit 
Händen und Füssen auf dem glatten Gestein des abschüssigen, 
Pfades fortarbeiten, und die Anstrengungen wurden für mich um so 
grösser, als ich der montenegrinischen Wege noch ungewohnt war und 
zugleich mit Compass und Notizbuch eine topographische Aufnahme 
des wenig bekannten Gebietes versuchte, die mir den freien Gebrauch 
der Hände sehr einschränkte. Keuchend und nur schrittweise kam ich 



^O Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekornica. 

vorwärts; meine Begleiter dagegen eilten mit beneidenswerther Behen- 
digkeit voraus und wurden nicht müde, in beredter Sprache von ihren 
Heldenthaten zu erzählen. Der überaus steile Anstieg beanspruchte unsere 
ganze Kraft, und ausserdem mussten wir ängstlich darauf bedacht sein, 
keinen Fehltritt zu thun, der uns rettungslos in eine grausige Tiefe 
geschleudert hätte. Hunderte von Türken ereilte hier im letzten Kriege 
ein schrecklicher Tod; un'd zahllose verrostete Patronen, untermischt 
mit gebleichten Gebeinen, sind die letzten stummen Zeugen des furcht- 
baren Entscheidungskampfes. Endlich hob sich das trigonometrische 
Signal der russischen Landesaufnahme scharf vom blauen Himmel ab; 
und nach zweistündigem, hartem Klettern war der den Hauptgipfel des 
Ostrog krönende Steinmann (ii6i Meter) und mit ihm das Plateau 
erreicht. 

Eine umfassende Rundschau eröffnete sich dem überraschten Auge. 
Während das Nikäiäko Polje bloss theilweise sichtbar war, schweifte der 
Blick ungehindert über die anmuthige Zeta-Ebene, die erst der ferne 
Scutari-See begrenzte. Rings im Umkreise thürmten sich die abstossenden 
Kalkgebirge auf. Die charakteristischen Formen des Garaß, Pusti Lisac, 
Vojnik, Lovden, 2urim und der Rumija waren unverkennbar, im 
dunstigen Hintergrunde verschwanden die zersägten Kämme des Dur- 
mitor und Orjen, und das Plateau selbst durchquerte die einsame 
Prekornica-Mauer. Zahllose Schneeflecken bedeckten die höheren 
Gipfel, und kaum verbarg niederes Eichen- oder Buchengestrüpp das 
eintönige Grau des Gesteins; in geschützten Mulden standen kräftige, 
alte Bäume, aber auch sie vermochten nicht, den trostlosen Eindruck 
jener verlorenen Landstriche zu verwischen, deren zerrissene Oberfläche 
einem im wüthendsten Sturme erstarrten Meere glich. 

Da vom Ostrog kein Weg nach der Graöanica führte, so begann 
für uns beide — unseren Führer hatten wir bereits entlassen — eine 
mühselige Wanderung über das wild verkarstete Plateau. Dolinenauf 
ging es und dolinenab, bald über schmale Grate, bald zwischen kantig 
ausgearbeiteten Rinnen, und der unaufhörliche Wechsel zwischen Kamm 
und blindem Thal erschwerte die Orientirung ungemein. Zunächst 
stiegen wir in einen tiefen, schroff'en Kessel hinab (1037 Meter), der 
etwas dürftiges Ackerland und einige Kolibas (Sennhütten) enthielt. Ein 
brennender Durst quälte uns, und wir hofften, dort unten Wasser zu 
finden. Allein es war kein Tröpfchen zu entdecken, und mit trockenem 
Gaumen mussten wir die aufreibende Kletterei wieder aufnehmen. 
Das Buschholz gewährte vor den sengenden Sonnenstrahlen wenig 
Schutz, und Tausende dickblätteriger Zwiebelgewächse, gelber Himmel- 



Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekornica. ji 

Schlüssel und anderer Blumen verbreiteten einen starken, würzigen 
Duft. Wilde Bienen umschwärmten die Blüthen, goldgrüne Käfer 
krochen im Grase, und zierliche Eidechsen schlüpften in ein sicheres 
Versteck; sonst störte kein Ton die Einsamkeit, und nur einmal flog 
ein erschrecktes Rebhuhn in die Höhe. Unabsehbar war in den dünn- 
bankigen, wenig geneigten Kalken des Gewirr der Karsttrichter, die 
theils durch chemische Auslaugung, theils durch mechanischen Ein- 
sturz oder durch die vereinte Wirkung beider Kräfte entstanden waren. 
Mit peinlichster Sorgfalt spähten wir nach kleinen Spalten im Gestein, 
ob sie vielleicht natürliche Wasserbehälter, sogenannte Kamenice, seien; 
aber immer blieb unsere Mühe unbelohnt, und wer beschreibt daher 
unsere Freude, als wir V42 Uhr abermals auf einige Hütten stiessen 
(1059 Meter). Zwei Hunde, die wie alle einheimischen Hunde sehr 
bösartige Thiere waren und sich von ihren Stammesverwandten, 
den Wölfen, nicht allzusehr unterschieden, schlugen wüthend an; 
Menschen waren also in der Nähe. Erwartungsvoll krochen wir in den 
elenden Bretterbau, und wirklich, in einer Ecke stand ein Trog voll 
Schnee. Ohne uns um die lärmenden Hunde zu bekümmern, tranken 
wir gierig das kalte, schmutzige Schmelzwasser, fachten das glimmende 
Feuer an und bereiteten uns eine wohlschmeckende Erbssuppe. Wir 
Sassen noch beim Essen, als der Eigenthümer der Hütte athemlos 
herbeieilte und uns mit harten Worten anfuhr. Er glaubte, dass wir uns 
an seinen Milch- und Käsevorräthen gütlich thun wollten und Hess sich 
schwer überzeugen, dass wir nichts weiter als etwas Wasser genommen 
hatten. Um ihn ganz zu besänftigen, bot ich ihm eine Tasse Cacao an, 
und nun war Petko — so hiess der Hirt — wie umgewandelt. Er forderte 
uns auf, die Nacht bei ihm zu bleiben; doch mussten wir ihm seinen 
Wunsch abschlagen, und so begleitete er uns ein gutes Stück, bis 
wir auf einen schmalen Pfad stiessen. 

Der Karst blieb gleich wild. In geschützten Dolinen lagerten 
noch die letzten Reste des Winterschnees, und die Bäume schlössen 
sich zu einem schattigen Dache zusammen; ihre abgefallenen Blätter 
verhüllten den rauhen Boden, ohne jedoch die Spuren der starken Ver- 
karstung irgendwie aufzuheben. Nach 1V2 Stunden entdeckten wir eine 
kleine Quelle (1056 Meter), die erste und einzige während unserer drei- 
tägigen Wanderung auf der Höhe. Zugleich entrollte sich vor uns, 
eine freundliche Oase in der Stein wüste, die ausgedehnte Mulde Buhavica. 
Buchengruppen, unter die sich später Birken mischten, waren auf dem 
grünen Grasteppich zerstreut, und die Beine gingen auf dem weichen 
Grunde von selbst. Leider verschwand mit dem Aufstieg am jenseitigen 



ß2 Darch das Gebirgsgebxet des Ostrog und der Prekomica. 

Hange der erträgliche Pfad wieder; der zerrissene Kalk verlangte unsere 
ungetheilte Aufmerksamkeit, und wir konnten nur einen fluchtigen Blick auf 
den finsteren Ostrog und die Ebene von Nik^id mit ihren im Abend- 
sonnenschein leuchtenden Flüssen und Karstseen werfen. Wir gelangten 
auf einen zweiten Wiesenplan mit schmalen, sumpfigen Wasseräderchen 
und einer Viehtränke (1141 Meter). Ihm gegenüber winkten die Anhöhen 
und Umfassungsmauern des rechten Gracanica-Ufers, und schon wollten 
wir erleichtert aufathmen, als wir plötzlich erschrocken zurückprallten. 
Jählings stürzte das Gebirge zu dem 350 Meter tieferen Thale ab, ein 
noch nicht fussbreiter Steig lief auf dem lockeren Gestein in den fast 
Schwindel erregenden Abgrund, und erschöpft, wie wir waren, mussten 
wir zu guterletzt noch dieses Hindemiss bezwingen. Die Nacht zog 
herauf, und schliesslich tasteten wir uns in völliger Finstemiss vorwärts, 
bald über vorstossende Steine oder zahllose Kalktrümmer stolpernd, bald 
auf dem schlüpfrigen, von Quellen aufgeweichten Erdreich ausrutschend. 
Was sollte ich sagen, wenn sogar mein Führer betheuerte, diesen Weg 
in seinem Leben nie A^ieder zu gehen? Endlich blitzten Feuer auf und 
leiteten uns querfeldein zu einem Dorfe. Die guten Leute brachten 
sauere Milch und gaben uns einen Knaben als Führer zu dem noch 
'/j Stunde entfernten Kloster des heiligen Lucas (Sveti Luka) mit. Um 
9 Uhr standen wir vor seinem Thore. Der Iguman ^Abt) Teofan Djokovid, 
der sich bereits niedergelegt hatte, warf sich "sogleich in seine Kleider 
und Hess ein stärkendes Mahl auftragen. Dann aber übermannte mich 
die Müdigkeit, und ich fiel auf dem bequemen Bett in einen festen Schlaf. 
Die Gracanica durchschneidet in einem schmalen Thale das Plateau- 
massiv Mittel-Montenegros, um in der Ebene von Xikstc senkrechten 
Laufes der Zeta zuzueilen. Als echtes Karstgewässer entspringt sie 
aus zahlreichen Quellen, die in der sumpfigen Mulde Ponikvice zu- 
sammensickem und sich in verborgenen Canälen zur Gracanica ver- 
einigen. Schon im Spätfrühling verschwindet ihr klares Wasser zwischen 
den hoch aufgehäuften Gerollen, unter denen die flyschartigen Sand- 
steinschiefer von Kujava und Bruchstücke eines irgendwo im Thal- 
hintergrunde aufgeschlossenen Diabases nicht selten sind. Im Unter- 
laufe hält es sich einige Wochen länger, und auch dort war es versiegt, 
als ich Anfang Juli das Xiksicko Polje zum zweiten Male besuchte. 
Zwar gedeiht in diesem Bezirke, der 2upa Xiksicka, die Feige nicht 
mehr; aber Aepfel-, Birnen-, Kirschen- und Pflaumenbäume geben gute 
Erträge, grüne Matten zieren die unteren Berghänge, und der Grund 
wird von ergiebigen Getreidefeldern eingenommen. Stellenweise hat man 
sogar den metertief eingerissenen Ufern ein Stück Land absreruneen 



Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekornica. oo 

und es für den Ackerbau nutzbar gemacht. Das Kloster (780 Meter) 
liegt am Ende der fruchtbaren Niederung und wird von mehreren 
Dörfern umgeben; es ist erst vor wenigen Jahren erbaut und besteht 
aus einer kleinen Kirche, einer Schule und der Wohnung des Igumans. 
Um 10 Uhr sagten wir unserem gastlichen Wirthe Lebewohl und 
wanderten flussaufwärts zum Orte Staro Selo (altes Dorf), der eine feste 
Steinbrücke (800 Meter) über die Gracanica und ein altes, geräumiges 
Blockhaus, ein Werk der Montenegriner, besitzt. Mühelos wurde die 
linke Thalseite erklommen, die auf eine gut bebaute Terrasse führte 
(943 Meter). Um uns nach dem Wege zu erkundigen, traten wir in 
eine der Sennhütten ; hurtig sprangen die Insassinnen, lauter junge 
Mädchen, auf und wollten uns die Hand küssen. Wir verzichteten jedoch 
auf diese Ehre und setzten uns unter die fröhliche Schaar, die beim 
Abschied unseren Feldkessel noch mit Milch füllte. 

Nach wenigen Minuten befanden wir uns wieder im trostlosesten 
Karste, und nur ein schmaler, brauner Streifen deutete auf dem von 
Karren und Dolinen durchsetzten Gestein den Weg an. Mehr springend 
als gehend und beständig die überhängenden Zweige des Buschholzes 
auseinanderbiegend, gönnten wir uns nicht eher Ruhe, als bis wir in 
eine flache Grasmulde gelangten. Noch eine ganze Reihe dieser buchen- 
bestandenen Kessel, die auch einige Kolibas enthielten, hatten wir zu 
durchwandern, und in einem derselben entdeckten wir eine ansehnliche 
Ablagerung typischen Bohnerzes. Ueberall trat das rostbraune, mit erbs- 
artigen Kügelchen besetzte Gestein zu Tage und verlor sich erst an 
einer steilwandigen Doline, die in einen kurzen, trockenen Wasserriss 
überging. Ob sich der Abbau lohnt, wage ich nicht zu entscheiden; 
jedenfalls möchte er in diesen schwer zugänglichen Gegenden mit grossen 
Schwierigkeiten verbunden sein. 
I Nun stieg der Hang rascher an, und der landschaftliche Charakter 

I wurde ein anderer. Die Buchen gewannen an Höhe und Dicke, und 

schlanke Fichten gesellten sich zu ihnen. Ein grossartiger Urwald, dessen 
feierliche Stille zuweilen der Ruf des Kuckucks störte, nahm uns 
I auf, aber trotzdem hatte er die Verkarstung nicht im mindesten beein- 

flusst; im Gegentheil, allerorts schaute der wild zerrissene Kalk aus der 
weichen Blätter- und Nadelhülle hervor, und nirgends war das Rauschen 
! einer Quelle vernehmbar. Ja diese beispiellos traurigen Einöden würden 

I ganz verlassen sein, wenn sich in schattigen Trichtern der Schnee nicht 

I den Sommer über hielte! Unmittelbar vor uns thürmte sich die zackige 

I Prekornica auf; langgestreckte Firnbänder erfüllten ihre Klüfte, und 

ihre nackten Wände strebten drohend gen Himmel. 

Hassert. Reise durch Montenegro. 3 



^A Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekomica. 

Fünf Uhr war vorüber, als wir in einer roh ausgearbeiten Scharte 
den Prekornica-Kamm überschritten. Die Buchen begannen wieder vor- 
zuherrschen, und abgestorbene Stämme von i bis 2 Meter Durchmesser 
verfaulten unbenutzt am Boden. Auf die Nachbarschaft von bewohnten 
Kolibas war kaum zu rechnen, und zwei Eingeborene bestätigten unsere 
Annahme. Sie gaben uns wenigstens . die Gewissheit, dass die leeren 
Hütten von Stitavica nahe seien, und so beschlossen wir, dort unser 
Nachtquartier aufzuschlagen. Die dünnbankigen Kalke glichen durch 
die Art ihrer Verwitterung unvollkommenen Treppenstufen, die zu einer 
ziemlich ebenen Fläche hinaufführten. Was war das für eine Wüste! 
In mächtige Kalkplatten hatte der Verkarrungsprocess als erste Spuren 
seiner Wirkung tiefe, rechtwinklig sich kreuzende Furchen gegraben. Kaum 
ein Erdenstäubchen oder ein Grashälmchen barg sich in den Ritzen, und 
meterhohe Schneemassen waren in die Dohnen eingebettet. Den Hinter- 
grund bildete wieder die Prekomica mit ihren Firnstreifen und düsteren 
Fichten; und an ihrem Fusse waren die niedrigen, mit Balken gedeckten 
Hütten der Sennerei Stitavica (1384 Meter) errichtet. Hölzerne Tröge, 
die um das Dach liefen, dienten zum Auffangen des Regenwassers, und 
die Innenseite der roh aus Steinen aufgeführten Wände nahmen ein- 
fache Gestelle ein, auf denen die Milchkübel und Käsevorräthe Platz 
finden sollten. Im festgetretenen Boden war eine Vertiefung für das 
Feuer, und der Rauch zog durch die schmale Thüröfifnung oder durch 
die Fugen zwischen den Mauern ab, da es Fenster oder Luken nicht 
gab. Die Hirten hatten die abgelegenen Kolibas noch nicht aufgesucht, 
aber zahlreiche Spuren deuteten darauf hin, dass sie kürzlich dagewesen 
waren, um Alles für eine baldige Besiedelung vorzubereiten. Unter diesen 
Umständen waren uns die Conserven zum zweiten Male hochwillkommen. 
Die trockenen Aeste wurden gesammelt, und bald hing der Feldkessel 
über dem lodernden Herdfeuer. Nochmals lasen wir beim Monden- 
schein, der die abstossende Landschaft geisterhaft erhellte, neue Holz- 
vorräthe zusammen; denn kaum war die Sonne untergegangen, als die 
Kühle empfindlich fühlbar ward. Aus dürrem Fichtenreisig wurde ein 
Lager aufgeschichtet, der Lodenmantel diente als Unterlage, die Reise- 
decke als Oberbett und der Rucksack als Kopfkissen. Aber noch lange 
waren wir wach und lauschten dem unheimlichen Rufe des Uhu, dem 
hellen Tone des Waldhuhns, dem fernen Brummen des Bären und dem 
Heulen der Wölfe. Mehrmals am Tage hatten wir die Spuren der letzteren 
bemerkt, und am anderen Morgen erzählten uns die Senner von Topo- 
lovo mit betrübten Mienen, dass in der Nacht ein Rudel der gefrässigen Raub- 
thiere in ihre Heerden eingefallen sei und mehrere Schafe zerrissen habe. 






Duich das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekornica. oe 

Wohlgemuth kehrten wir dem wenig einladenden Orte den Rücken 
und wanderten im schweigenden Urwalde fort, unter den sich zuweilen 
dichte Birkenbestände mischten. Oefters war der braune Streifen, der 
den knappen Steig darstellte, so verblasst oder unter dem welken Laube 
verborgen, dass wir ihn verfehlten. Zwei Montenegrinerinnen, die singend 
und emsig den Spinnrocken führend vorübereilten, konnten wir nicht 
mehr um Auskunft fragen ; aber ihre Anwesenheit war ein neuer Beweis 
für die Sicherheit, die gegen Jedermann und besonders gegen die Frauen 
in der Crnagora herrscht. Nach einem mehrstündigen Marsche, der an 
tiefen Schneelöchern und zwei Hütten vorbeiführte, senkte sich die Höhe. 
Der Prekornica-Kamm war überstiegen, und schon zeigten sich die rechts- 
seitigen Plateaus des Zeta-Thales, während unmittelbar unter uns der 
Kessel Topolovo lag. Seine Wiesen, seine kleinen Kartoffelfelder und 
ein Katun (Sennereidorf) grüssten einladend herauf, so dass wir es uns 
nicht versagen konnten, bis zum Mittage dort zu rasten. 

Topolovo (987 Meter) gehört zu einer Schnur giösserer wasserloser 
Becken. Stark verkarstete, siebartig durchlöcherte Rücken trennen die 
einzelnen Mulden; und es kann den ermüdeten Wanderer zur Ver- 
zNveiflung bringen, wenn er, das erlösende Ziel vor Augen, ein schier 
endloses Gewirr von Trichtern und Graten auf den denkbar schlechtesten 
Wegen überwinden muss und dabei kaum vom Fleck zu kommen scheint. 
Nach und nach wurde der Wald dünner, und balsamisch duftendes Nadel- 
holz gewann stellenweise die Oberhand. Die Zahl der Kolibas nahm zu, die 
der Schneetrichter ab, und immer freier entrollte sich das Zeta-Thal 
bis zum blauen Scutari-See. Ein erbärmlicher Pfad rieb meine Kraft 
vollends auf, und ganz erschöpft warf ich mich um 4 Uhr an der Quelle 
Stubica (486 Meter) nieder, deren klares Wasser .(-f- 12® C.) aus einer 
breiten Felswand hervorschoss. Nun war, gottlob, das Dorf Jovanoviöi 
nicht mehr weit, und im Popenhause wartete unserer der beste Empfang. 
Ehrfurchtsvoll küssten die Frauen uns und einem zufällig eintretenden 
halbwüchsigen Jungen die Hand; ein Ceremoniell, das uns noch öfters 
begegnete und die unterthänige Stellung des weiblichen Geschlechtes 
erkennen lässt. 

Wenn auch die starke oder sehr starke Verkarstung den Weg noch 
anstrengend genug machte, so stand er doch in keinem Verhältniss zu 
dem der verflossenen Tage. Quellen belebten den waldigen Hang, überall 
grünten kleine Felder, und mehrere Dörfer waren auf einer Terrasse hoch 
über der Zeta vertheilt. Am 7. Juni wurde ohne sonderliche Eile der 
vierte Tagemarsch angetreten. In Sobajiöi (441 Meter) kehrten wir 
beim Popen ein, und der würdige Geistliche war sehr erstaunt, dass 

*3 



36 Nach NikSid und durch die Duga-Pässe nach Gacko. 

ich aus Deutschland sei. Er wollte wissen, wo dieses ihm völlig un- 
bekannte Kaiserreich läge, wie gross es sei und ob es auch Berge 
besässe wie seine Heimat. Er begleitete uns noch ein Stück, und einige 
Frauen schlössen sich uns an. Sie trugen eine schwere Last, die sie 
auf dem Bazar zu Nik§i6 verkaufen wollten; und wenn man bedenkt, 
dass sie dafür günstigenfalls zwei Gulden herausschlagen konnten und 
dabei einen Hin- und Rückweg von 40 Kilometern zurückzulegen hatten, 
so muss uns die Montenegrinerin doppeltes Mitleid, zugleich aber auch 
doppelte Achtung einflössen. Am gefassten Brunnen von Kupinovo 
(542 Meter) wollten wir uns erfrischen. Im Nu drängten sich über 
20 Männer und Weiber mit den üblichen Fragen: »Okle ste vi? Sto 
radite? (Wo seid Ihr her? , Was arbeitet Ihr?)« um uns herum, und ich 
hatte Mühe, die grossen Kinder zu befriedigen. Nachmittags V2 4 ^^^ 
waren wir in Unter-Ostrog angelangt, besuchten nochmals Vater Kristifor 
in seiner Klause, und den Abend verplauderte ich mit dem gebildeten 
Iguman, einem Zöglinge der Belgrader Hochschule. 



5. Capitel. 



Nach Niksic und durch die Duga-Pässe nach 

Gacko. 



Noch beschäftigte mich am anderen Morgen das Packen der Reise- 
körbe, als auf der Treppe Stimmen laut wurden. Zwei Fremde, der 
russische Consul Herr von Bakunin aus Sarajevo und ein Petersburger 
Professor, kamen herauf, und wir hatten bald gute Freundschaft ge- 
schlossen. Leider reisten beide in entgegengesetzter Richtung weiter, 
aber Herrn von Bakunin traf ich vier Tage später in Nik§i6 wieder und 
verlebte mit ihm noch einige angenehme Stunden. 

Der Weg, den wir einschlugen, setzte den gestrigen fort; doch 
strengte er viel weniger an, da schon hinter dem Weiler Povija leicht 
verwitterbare mergelige Schiefer anstanden, die nicht mehr mit scharfen 
Zacken den Fuss verwundeten. Sehr oft wurden sie von Kalktrümmern 
überlagert, die von dem senkrecht aufsteigenden Ostrog herabgerollt 
und zu einem festen Conglomerat verkittet waren. Ueberall traten 



Nach NikSid und durch die Daga-Pässe nach Gacko. jn 

Quellen und kleine Bäche aus, und statt der schroffen Mauern und 
Schluchten herrschten abgerundete Hügel und sanft abgeböschte 
Rinnen vor. 

Die Thalwände rückten näher zusammen, und als sie sich die 
Hand reichten, liefen die Telegraphenstangen der nach Nik§i6 führenden 
Leitung zu uns herauf. Der Planinica-Rücken trennt die Zeta-Ebene 
vom Nikäiöko Polje und verbaut dem Flusse seinen Weg, so dass er 
am jenseitigen Hange grollend in einem Schlünde, einem Ponor, ver- 
schwindet und diesseits als neugeborener Strom wieder ans Tageslicht 
tritt. Zwischen kleinen Feldern gelangen wir auf die kahle Höhe 
(831 Meter), und alsbald fesselt ein neues Bild unsere Aufmerksamkeit. 
Hinter uns liegt die Zeta-Niederung und vor uns der grüne Plan von 
Niksi^, der mit 48 Quadratkilometern Fläche das grösste Kesselthal Mon- 
tenegros darstellt. Zum Ostrog gesellen sich die finstere Prekornica und 
der dreigipfelige Vojnik, und im Westen wird das äusserste Stück des 
glockenförmigen Pusti Lisac sichtbar. Wiesen und Aecker nehmen das 
Polje ein, Wasserläufe oder trockene Geröllbetten umkreisen die Kalk- 
hügel, und vorspringende Plateau-Ausläufer sondern die Ebene in mehrere 
Hauptabschnitte. Einst war sie von einem See erfüllt, der sich noch in 
dürftigen Resten erhalten hat. Am östlichen Rande sind nämlich zwei 
kleine Seen, der Slano- und Krupac - Jezero, eingebettet, die nur vom 
Herbst bis zum Frühling eine zusammenhängende Wasserfläche besitzen, 
sonst aber zu einem ungesunden Sumpflande zusammenschrumpfen. 
Ein letzter Rest ist ferner das wirr verzweigte Flussnetz, das im Sommer 
meist versiegt und zur Regenzeit die Ebene überschwemmt. Steigen 
wir auf steilen Zickzacken zu ihr hinab, so werden die merkwürdigen 
hydrographischen Verhältnisse noch klarer. Die Flüsse und Bäche, die 
eben ein Mühlenrad in Bewegung setzten, verlieren sich plötzlich im 
Boden, tauchen zwischen Gerollen wieder hervor und vereinigen sich 
zur Zeta, die abermals im Erdboden verschwindet. Leider habe ich ihre 
Ponors, die B. Schwarz als ein grossartiges Naturwunder beschreibt, 
nicht in der Nähe gesehen. 

Noch andere Merkmale sprechen für eine ehemalige Wasser- 
bedeckung. Unter einer spärlichen Humusschicht oder einem feinen, 
staubartigen Sande lagern meist unverbundene Rollsteine, und man 
braucht kaum einen Meter zu graben, um auf Grundwasser zu stossen. 
Gleich vielen Karstseen entstand der Niköißko Jezero, indem die 
Herbst- und Frühlingsregen die Abzugslöcher verstopften und sich zu 
einem jährlich wachsenden Binnensee aufstauten. Slano- und Krupac- 
Sumpf zeigen diese Erscheinung noch immer, denn sonst könnten sie 



38 Nach Nik§id und durch die Duga-Pässe nach Gacko. 

die trockenen Monate nicht überdauern. Ihre Regulirung würde nicht 
bloss die Luft von schädlichen Dünsten reinigen, sondern auch eine 
umfangreiche Fläche für den Ackerbau geeignet machen. Zu irgend 
einer Zeit zerstörte die Erosionskraft des Wassers die leicht angreifbaren 
Kreidekalke, und es blieben nur die isolirten Hügel übrig, die als Festungs- 
berg von Nikäic, als Trebje§ka Gora u. s. w. im Kessel zerstreut sind und 
in ihren Wäldern noch vereinzelte Wölfe beherbergen* Schliesslich 
reinigten die Fluthen die bereits vorhandenen Abzugscanäle oder er- 
zwangen sich neue und verschwanden ebenso geheimnissvoll wie sie 
gekommen. 

Die Ebene ist nicht allzu sehr bebaut; zur Hälfte dient sie 
noch als Weideland, und kaum verbirgt das kurze Gras die abgerundeten 
Kalktrümmer. Der Grund liegt in erster Linie ari der Unfruchtbarkeit 
der mageren Erdkrume, der ausserordentlichen Durchlässigkeit des 
lockeren Untergrundes und der grossen Sommerdürre; schon im Spät- 
frühling sind die meisten Flüsse zu unbedeutenden Tümpeln eingetrocknet, 
und der wirthschaftliche Werth der Niederung würde sehr in Frage 
kommen, wenn nicht das Grundwasser einen Ersatz darböte. Daher 
gedeihen auf den Wiesen vor Allem Gewächse, die den trockenen Boden 
lieben, z. B. das blaue Eryngium amethystinum, das weisse Teucrium 
poUium, die nimmer fehlende Salvia officinalis, der genügsame Plantage 
maritima, der üppig wuchernde Strauch Ostrya carpinifolia und viele 
andere. 

Nach dreistündiger Wanderung, die sich Kulas wieder einmal 
durch das Abwerfen seiner Last zu erleichtern sucht, haben wir Nik§ic 
erreicht und kehren in der Locanda des Goldschmiedes Vaso ein. 

NikSi6 (670 Meter), mit etwa 2000 Einwohnern der drittgrösste Ort 
des Fürstenthums, war bis zum Kriege 1877/78 ein stark befestigter Stütz- 
punkt der Türken, da es im Verein mit Spu^ die Crnagora einschnürte 
und durch die wichtige Zugangslinie der Duga-Pässe gedeckt wurde. Als 
daher die Montenegriner angriffsweise vorgingen, sammelten sie hier 
ihre Hauptmacht, erstürmten die dominirende Trebjeska Gora und 
eröffneten ein verheerendes Feuer auf Festung und Stadt. Dem war 
der tapfere Commandant Iskender Bey auf die Dauer nicht gewachsen, 
und die Garnison ergab sich nach zehnwöchentlicher Belagerung be- 
dingungslos dem Feinde, der ihr freien Abzug gestattete. Die Einwohner 
bestanden der Mehrzahl nach aus Türken oder vielmehr aus Serben, 
die nach der unglücklichen Schlacht auf dem Amselfelde den muha- 
medanischen Glauben annahmen und wie alle Renegaten fanatischer 
waren als die anderen Bekenner des Islam. Sie sind zum grössten Theile 



Nach Nik§i<5 und durch die Duga*Pässe nach Gacko. og 

ausgewandert, so dass Nik§i6 gegenüber den wesentlich muhamedani- 
schen Städten Podgorica, Antivari und Dulcigno die grösste monte- 
negrische Stadt ist. 

Wie in Podgorica, so blühte auch in NikSiö ein europäisch ange- 
legter Stadttheil auf. Von einem breiten Marktplatze zweigen sich 
regelmässige Strassen ab, die mit ihren Petroleumlaternen und Baum- 
anpflanzungen einen gefalligen Eindruck machen. Das alte Militär- 
Lazareth hat verschiedentliche Verbesserungen erfahren, ein Schul- und 
Gerichtsgebäude ist in seiner Nachbarschaft errichtet worden, und dem- 
nächst sollen die zerschossenen oder verfallenen Türkenhäuser gänzlich 
beseitigt werden. Das Sonderbarste sind jedenfalls die tragbaren Häuser, 
die aus biegsamen Aesten geflochtenen Körben gleichen und auf hölzernen 
Balken ruhen. Sie können von einem Orte zum andern gebracht werden 
und dienen meist als Werkstätten für die Schmiede. Vor der Stadt 
liegt der Kuhstall der fürstlichen Sennerei, neben ihr am Fusse eines 
mit Anlagen gezierten Hügels die bescheidene Villencolonie des Landes- 
herrn, und an sie schliesst sich ein grosses, im Bau begriffenes Kloster 
an, zu dessen Herstellungskosten Russland einen erheblichen Theil bei- 
getragen hat. Der Aufseher der fürstlichen Villa, ein biederer Officier 
namens Nikola KruSka, war unser Führer; er hatte an der Belagerung 
von Nik§i6 theilgenommen und konnte uns in seiner schlichten, fesseln- 
den Weise nicht genug von jener grossen Zeit erzählen. 

Mit frischen Kräften nahmen wir am 12. Juni unsern Marsch wieder 
auf und kamen rasch ins Gornje Polje (Oberes Feld), das mit der Ebene 
von Nikeid in einem engen ursächlichen Zusammenhange steht. Eine 
feste Steinbrücke (655 Meter) führt über die Zeta, und an ihr endet die 
Fahrstrasse, um sich als bequemer Saumweg fortzusetzen. Den feinen 
Sand, den mageren Boden und die hydrographischen Eigenthümlich- 
keiten des Niksicer Feldes vermissen wir hier ebenfalls nicht, und sie 
sprechen mit grosser Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch das Gornje 
Polje ein ausgetrocknetes Seebecken ist. Noch waren die Flüsse ziemlich 
wasserreich, und zweimal musste mich Arso durch ihr Bett tragen; im 
übrigen hatte die Gegend ein freundliches Aussehen. Nach i Uhr hatten 
wir das Obere Feld durchmessen, und vor uns spannte sich die Brücke 
von Vir über die Zeta (689 Meter). Eine Kula schützte die hochwichtige 
Position, die den Schlüssel zu den Duga- Pässen bildete; die Brücke 
aber war so morsch, dass sie der Fussgänger nur mit Vorsicht betreten 
durfte, während die Pferde auf einer Furt das seichte Gewässer durch- 
waten mussten. 



AO Nach NikSic und durch die Duga-Pässe nach Gacko. 

Die berüchtigten, viel umstrittenen Duga-Pässe öffneten sich vor uns. 
Sie sind als eine sanft ansteigende und in der Hälfte ihrer Erstreckung, 
hinter Nozdre, langsam wieder abfallende Einsattelung im Kalkgebirge 
aufzufassen und haben zwei Vortheile. Ihr Untergrund besteht aus 
leicht verwitterbaren Schiefern, die einen erträglichen Saumpfad dar- 
bieten und eine Anzahl Quellen austreten lassen. Gleich beim 
Blockhause Vir sprudelte eine solche in mächtiger Breite aus dem zer- 
klüfteten Gestein, um als kurzer, blaugrüner Bach in die Zeta einzu- 
münden. Dunkelbraune, blätterige Oolithe, die bei der Verwitterung eine 
helle Oberflächenfarbe annahmen, gingen bald wieder in gewöhnliche 
Kreidekalke über. Ueppiges Buchen- und Eichengestrüpp, Haselnuss- 
büsche, Schlehen, Farnkraut und Dornensträucher umgaben den Weg 
mit einem lebenden Zaun, und lichter Wald bedeckte die Randberge 
bis zum Scheitel. Je mehr wir in der roh ausgearbeiteten Mulde empor- 
klommen, um so wahrscheinlicher wurde es, dass ihre Richtung und 
Anordnung einem unterirdischen Flusslaufe entsprach, dessen oberirdische 
Fortsetzung der bei Kula Vir austretende Bach war. So erreichen wir 
das zweite Bollwerk der Duga-Pässe, das Blockhaus Sijenokosi, und 
auf einmal wird die Fallrichtung der Kalke eine vollkommen horizontale. 
Doch was ist das? Sind wir in die Zeiten des Ritterthums zurück- 
versetzt oder ist es Wirklichkeit? Auf steilem Berggipfel thront eine 
stolze Burg; kleine Fenster und schmale Schiessscharten sind in die 
runde Mauer und ihre vorspringenden Thürme eingeschnitten: das ist 
Presjeka, das dritte Glied der Festungskette, welche in dem unsicheren 
Passe die Heer- und Handelsstrasse zu überwachen hatte. 

Während die Rudisten führenden Kalke die oberen Hänge be- 
haupteten, gewannen die hell- bis dunkelbraunen Kreideschiefer im Thale 
die Oberhand und entsandten aus einem klaffenden Spalt eine ergiebige 
Quelle (872 Meter). Menschliche Ansiedelungen gruppirten sich um sie 
und um die malerische Festungskuppe, und in dem elenden Hause des 
Kula -Wächters (901 Meter) — nach unseren Begriffen würde es ein 
Stall sein — fanden wir eine gute Aufnahme. Die Luftwärme, die am 
Mittag -|- 23^ C. betrug, war am Spätnachmittage bereits auf -|- ii"C. 
gesunken; das hinderte aber kleine, kaum des Laufens kundige Kinder 
nicht, bloss mit einem dünnen Hemdchen bekleidet, im Freien zu spielen. 
Wahrlich, in vielen Beziehungen gleichen die Crnogorcen den alten Spar- 
tanern! Von Jugend auf haben sie mit Entbehrungen zu kämpfen, die 
Kranke und Schwache einem frühen Tode überliefern und nur ein kraft- 
volles Geschlecht heranwachsen lassen. Gegen Abend kam eine verwandte 
Familie an, und ein minutenlanges Küssen und Händedrücken begleitete 



Nach Kik^iö BQil durch die Duga-Päise nach Gacko. a | 

die Begrüssungsfragen. Endlich war das kärgliche Abendessen fertig, 
wir nahmen rings um das Feuer Platz und langten tüchtig zu. Dann 
wurde für mich auf einem bettartigen Gestell ein Arm voll Schilf aus- 
gebreitet, meine Decken mussten das Bettzeug ergänzen, und erst der 
durchs Dach fallende Regen weckte mich gegen Morgen aus meinem 
festen Schlafe. 

Ein mühevoller Tag begann für mich. Der Druck des Bergschuhes 
hatte mir am rechten Fusse eine Entzündung verursacht, so dass ich 



keinen Stiefel mehr anziehen konnte und in Strümpfen gehen musste: 
Aussichten, die bei den zweifelhaften Wegverhältnissen nicht gerade 
ermuthigtcn. Allerdings hatte der kurze Tagemarsch meine Sohlen für 
die Opanken gut vorbereitet; dafür konnte ich aber in Folge der un- 
gewohnten Anstrengung nach der Ankunft in unserem Quartiere kaum 
noch stehen. 

Der erste Besuch galt der imposanten Kula, zu der uns der Sohn 
des Aufsehers durch lichtes Buschholz hinaufführte; den Hochwald 
hatten die Türken niedergelegt, um jeder feindlichen Annäherung vor- 
zubeugen. Vom Fort nahmen sich die Pässe wie ein breites Hoch- 



A2 Nach Nik§iö und durch die Doga-Pässe nach Gacko. 

thal aus, und der Blick schweifte bis zu den Kulas Hodzina Poljana 
und Smederevo, die eine Verbindung mit Zlostup und durch dieses mit 
dem Krstac herstellten. Leider geht Presjeka (966 Meter) mit Riesen- 
schritten dem Verfalle entgegen. Schon weist das Dach bedenkliche 
Löcher auf, die Sparren und Dielen sind verfault, der Brunnen des 
inneren Hofes ist verschüttet oder mit Unkraut erfüllt, und von der im 
Schussbereich liegenden Cisterne gilt das Gleiche. Möchte doch Prinz 
Arnulf von Bayern, dem der Fürst die wunderbare Veste geschenkt hat, 
für ihre Erhaltung eintreten! 

So schnell als es mir möglich war, wanderte ich über die fein- 
blätterigen Schiefer, die Dank ihrer Verwitterung den Fuss nicht vor- 
zeitig ermüdeten und bis Nozdre anhielten. Obwohl also der Weg einen 
wohlthuenden Gegensatz zu den Pfaden im spitzen, harten Kalke 
bildete, zog mich die schmerzhafte Empfindung sehr von der Natur- 
umgebung ab. Allerdings war dieselbe etwas einförmig, da sie, wie 
alle Karstgebiete, keine neuen Formen enthüllte; und so stiegen wir 
zwischen Hütten und Baumgruppen an, bis hinter dem Kessel Hod- 
iina Poljana (1135 Meter) das Thal weniger steil wurde. Um 11 Uhr 
hielten wir in einer tief eingesenkten Mulde an einer Quelle (1167 Meter). 
Ihr gegenüber erhoben sich die Ruinen der völlig zerstörten Burg 
Nozdre, die vordem eine wirkliche Thalsperre war, während auf der 
Höhe das Fort Smederevo die weitere Umgebung sicherte und zugleich 
Zlostup schützte. 

Die Pässe senkten sich langsam, der Schiefer unterteufte die 
rudistenreichen Kalke, und wir beobachteten öfter schroffwandige Natur- 
schächte, die Jamas. In einer ärmlichen Koliba ruhte ich eine Stunde 
und bewunderte das Trümmerwerk von Nozdre, das an Romantik der 
berühmten Rudelsburg in Thüringen kaum nachsteht. Hier herrschte 
einst ein reges Leben, als Läden, Kaffeehäuser und fliegende Ansiede- 
lungen die Festung umgaben, die wie jede der anderen ein kriegsstarkes 
Bataillon aufnehmen konnte. Nachdem sich aber die Forts den Monte- 
negrinern ergeben hatten, verschwanden die Handelsleute, und die Stille 
der Einsamkeit waltet jetzt über den traurigen Stätten der Verwüstung. 

Der Weg führte durch einen weichen Wiesengrund, der von Quer- 
riegeln unterbrochen ward und in eine schmale Schlucht einmündete, 
deren linke Höhe die malerischen Mauerreste der Zwingburg Zlostup 
einnahmen. Auch hier haben die Gehänge ihren Wald hergeben müssen, 
und die Stämme liegen überall herum. Die Schlucht öffnet sich zu 
dem weiten Becken von Golija (998 Meter), das so wasserarm ist, dass 
ihre Bewohner den Schnee vom Gebirge holen müssen. Jedenfalls 



Nach NikSid und durch die Duga-Pässe nach Gacko. a^ 

deutet die ganze Thalanlage wiederum einen verborgenen Fluss an, 
und die schroffen Umfassungswände gleichen aufs Haar den Steilufern 
eines solchen. 

Ein Saumweg, wie ihn nur die Kalke der Dinarischen Alpen be- 
sitzen, spielte meinem Fusse hart mit, und ich war noch sehr zurück, 
als mein Diener vor einem Hause am waldigen Zlostup-Rücken hielt. 
Aeusserlich stellte es sich als ein wohnliches Gebäude dar, die innere 
Einrichtung war jedoch sehr bescheiden, und eine Steinbank musste 
mir als Lager genügen. Der tagsüber wehende Nordsturm hatte die 
Luftwärme so erniedrigt, dass sich die Pässe während der Nacht mit 
einer dünnen Schneedecke überzogen und dass wir am andern Morgen 
',2 7 Uhr bei nur +7®C. weitermarschirten. 

Der erbärmliche Weg wand sich durch die dolinenbesäete, dicht 
bewachsene Mulde, und erst am Krstac stellte sich wieder Schiefer 
ein. Hurtig eilte ich den Berg hinauf, und wenige Minuten später standen 
wir in dem kleinen Weiler gleichen Namens, den jener Rücken (i 137 Meter) 
bisher verborgen hatte. Ein neues Thal setzt ein; vielfach ähnelt es 
der Strecke Nozdre — Zlostup, unterscheidet sich aber von ihr durch die 
Anwesenheit von Dörfern und Quellen. Die letzteren vereinigen sich 
zu dürftigen Wasserläufen, welche die Raseneisensteinbildungen des 
aufgeweichten, sumpfigen Untergrundes durchschneiden und zum Gacko 
Polje eilen. Im -Hintergründe endlich erhebt sich ein Kegel, der ein 
Fort trägt, es ist der Gat, einer der Grenzberge der österreichischen 
Hercegovina. 

Jetzt war aller Unmuth vorüber. Im Han (1087 Meter) kaufte ich 
mir ein Paar Opanken und fand sie so bequem und praktisch, dass 
ich fortan stets in ihnen ging und die schweren benagelten Schuhe nur 
gelegentlich benutzte. Nach einer guten Stunde überschritten wir die 
Grenze (940 Meter) und stiegen zum Wachthause Kazanci hinauf 
(1077 Meter), das die in ihrer grössten Ausdehnung erst hier endenden 
Duga-Pässe bis zur Kirche von Krstac beherrscht. Jeder Reisende hat 
beim Betreten und Verlassen der Grenze dort oben seinen Pass vorzu- 
weisen, und der commandirende Oberlieutenant, Herr Brataniö, lud mich 
aufs liebenswürdigste zu einem Glase Wein ein. Gleich seinen Kameraden 
musste er Monate lang auf dem einsamen Posten ausharren und war 
sehr froh, wieder einen Fremden zu sehen, wie auch mir die Unter- 
haltung mit ihm einen hohen Genuss bereitete. 

Selten kann es wohl eine traurigere Karstlandschaft geben 
als die Ebene, welche wir jetzt durchmassen. Zwar entbehren ihre 
Randgebirge der wilden Formen, und auch die höchsten Gipfel, z. B. 



44 



Nach KikSic unil durch die Dugi-Pässe nach Gaclto. 



die breitrückige Dobrelica, der zackige Troglav und die massige Baba 
sind nicht gar zu abstossend; aber das Polje als solches ist von einer 
unerwarteten Öde und Trostlosigkeit. Kaum ziert ein Strauch die fahlen, 
vertrockneten Grasmatten, und unter dem spärlichen Humus wird der 
graue Kalk sichtbar; niedere Kalkrücken und flache Dolinen, die vom 
Gat aus gesehen einem versteinerten Meere gleichen, werfen die Ober- 
fläche in unregelmässige Wellen, und eine tiefe Stille lagert über dem 



weiten Reiche des Todes. Eine einzige Quelle erquickt uns auf unserem 
Marsche, und selten schaut das Auge in dieser Wüste ein armseliges 
Dörfchen oder ein einsames Kirchlein. Dafür erblickt es drohende 
Blockhäuser auf den Höhen, vor uns erhebt sich die umfangreiche 
festungsartige Kaserne von Avtovac, und links von ihr glänzen im Abend- 
sonnenschein die Dächer von Gacko. 

Trotz ihrer Quellenarmuth ist die Niederung reich an Flüssen, die 
auf verborgenen Wegen kommen und gehen und im Verein mit tertiären 
Süsswasserbitdungen eine ehemalige Seebedeckung unzweifelhaft machen. 



Nach Ntk£i£ and darch die DngK-Päste Dach Gixcko. i^ 

Jedes Frühjahr überschwemmen sie das umliegende Land, weil dann 
die Abzugscanäle die Wassermassen nicht mehr bewältigen können. 
Deshalb hat Oesterreich geeignete Regulirungsarbeiten in Angriff ge- 
nommen, um durch Entwässerungsanlagen die Aecker vor übergrosser 
Feuchtigkeit zu bewahren. 



Mein Diencc Ano fupovit und mein TngpfEid Kalai. 

Mit Einbruch der Dunkelheit passirten wir die Muäica-Brücke und 
zogen in Avtovac ein. Mein Diener blieb mit dem ermüdeten Pferde in 
einem elenden Han des elenden Dorfes zurück, und ich eilte auf der 
vortrefflichen Kunststrasse noch nach Gacko (960 Meter), wo ich um 8 Uhr 
Abends eintraf. Wie mundete im Hotel der edle Gerstensaft, den ich 
seit Cetinje nicht mehr getrunken, wie die Butter, die ich seit meiner 



A/ß Nach NikSiö und durch die Daga-Pässe nach Gacko. 

Abreise von Wien vermisst hatte! Mit offenen Armen empfingen mich 
die österreichischen Venvaltungsbeamten, im frohen Chor erklangen 
deutsche Weisen, und eher wähnte ich mich in der Heimat als in 
einem wilden Lande der Balkan-Halbinsel. 

Gacko, auch Metokia oder Metohija genannt, zerfällt in die alte 
und neue Stadt, die sich von einander unterscheiden wie Tag und Nacht. 
Vor der Occupation war es ein unansehnlicher Ort, der auch heute 
seinen nüchternen Anstrich nicht verloren hat. Ueberden alten, gefängniss- 
artigen Türkenhäusern thront eine Kaserne, die früher einer Abtheilung 
des gefürchteten Streifkorps zum Aufenthalt diente und zur Zeit von 
einer Compagnie Infanterie besetzt ist. Einen viel freundlicheren Ein- 
druck machen die europäischen Häuser, das Hotel, die Schule, das 
Bezirksamt, die landwirthschaftliche Versuchsanstalt u. s. w. Sie zeigen 
so recht den Fortschritt der abendländischen Cultur, während das Türken- 
viertel den starren Stillstand und den unaufhaltsamen Rückschritt des 
Islam widerspiegelt 

Um einen Hauptmann zu besuchen, den ich auf dem Schiffe kennen 
gelernt, unternahm ich einen Ausflug nach dem Grenzposten Cemerno. 
Auf gut erhaltenem Reitwege ging es stundenlang durch unfruchtbares, lang- 
weiliges Karstland, das nur zweimal längs der Strasse eine Quelle entsandte. 
Gewaltige Schneemassen verhüllen zur Winterszeit die schutzlose Hoch- 
ebene und verbergen unter ihrem Mantel nicht selten die Steinp>Tamiden, 
die in gewissen Abständen am vielgewundenen Wege aufgeschichtet 
sind und ihn markiren sollen. Endlich bemerken wir die malerische 
Festung, und mit einem Schlage verändert sich die Landschaft. Am 
grasigen Cemerno-Sattel (,1373 Meter), der einen wichtigen Passübergang 
nach Foca und zugleich eine Wasserscheide zwischen dem Stromgebiet 
der Adria und des Schwarzen Meeres bildet, stellen sich Buchenhaine, 
Wiesen und Bäche ein, die von einem überwältigenden Hochgebirge 
begrenzt werden. Im Nordosten versperrt der riesige Volujak die Aus- 
sicht, und ernster Nadelwald bekleidet die untere Hälfte seiner schauerlichen 
Felsen, die vollkommen senkrecht zur finsteren Suäeska-Klamm ab- 
stürzen. Die kühnen Formen der Masulja verbinden sich mit dem lang- 
gestreckten Lebersnik, dessen zemssene, schneeerfüllte Mauern in einem 
breiten, mit Matten und Sennhütten bedeckten Plateau endigen. Für- 
wahr, ein Naturschauspiel, wie es diese wilde Alpenwelt gewährt, wäre 
ein lohnendes Ziel für den Touristen! 

Mit dem Hauptmann und dem Regimentsarzte besuchte ich am 
Nachmittag die Dramesina-Höhle. Unser Weg lief an der Südwand des 
Lebersnik hin, der von dieser Seite aus leicht erstiegen werden kann, und 



Nach NikSiö und durch die Duga-Pässe nach Gacko. ^n 

nach zwei Stunden standen wir vor der langen, schmalen Spalte, in 
der Schaaren wilder Tauben nisteten. Nicht ohne Mühe kletterten wir 
zum Grunde hinab, wo aus einem finsteren Canal ein grünes, klares 
Gewässer in ein kleines Felsbecken schoss, um dann lustig weiter zu 
hüpfen. Am nächsten Tage bewunderte ich die wildromantische Sudeska- 
Enge und kehrte am Abend nach Gacko zurück. Doch davon ein 
ander Mal! 

Leider verfloss die Zeit der Ruhe und Erholung gar zu schnell, 
und am 19. Juni, fünf Tage nach unserer Ankunft, musste ich mich 
zur Rückkehr nach Montenegro entschliessen. Schon gestern war ein 
heftiges Gewitter niedergegangen, und heute regnete es so oft, dass wir 
froh waren, als wir das gastliche Kazanci erreichten. Hier gerieth ich 
mit meinem Diener in ernstliche Zerwürfnisse. In Podgorica, Danilov- 
grad, Ostrog, Nikäid, Gacko und Cememo war er an jedem Tage unseres 
Aufenthaltes mehr oder minder betrunken gewesen, in Nikäid vergeudete 
er an einem Tage zehn Gulden für Schnaps, und auf Cemerno hatten 
ihn Wein und Branntwein so berauscht, dass er auf dem völlig durch- 
nässten Grase zusammengesunken war. Natürlich zog ich das Geld, 
welches er auf diese nichtswürdige Weise verschwendete, von dem aus- 
bedungenen Lohne ab, und nun antwortete mir der unverschämte Mensch, 
sein Trinken ginge mich gar nichts an, da er ja Alles bezahlen müsse. 
Uebrigens hätte er geschlafen und gegessen wie ein Hund und würde 
mir bei unserer Ankunft in Nikiid sofort kündigen. Ich kehrte dem ge- 
treuen Knechte den Rücken und suchte das Stübchen des Oberlieutenants 
auf. Dort traf ich auch den Befehlshaber des Blockhauses auf dem 
benachbarten Berge Stepen, Herrn Oberlieutenant Bednar, der mich 
alsbald zu einem Besuche seines Postens einlud. Ais ich die peinliche 
Scene erzählte, wollten mir Beide sofort einen neuen Diener besorgen und 
meinen Montenegriner über die Grenze bringen lassen. Ueber unserer 
Unterhaltung ging Mitternacht vorüber, und erst beim Morgengrauen 
machten wir uns in Begleitung eines Gendarmerie-Postenführers zum 
Stepen Vrh auf. Am Nachmittag wanderte ich hinüber zur Festung 
Gat, und der andere Morgen sah mich zum zweiten Male auf dem Stepen. 
Ich war kaum angelangt, als — mein Diener Arso erschien, ihm auf 
den Fersen zwei Gendarmen, die ihn über die Grenze schaffen sollten. 
Demüthig küsste er mir Hand und Fuss und bat mich kniefällig um 
Verzeihung für seine Vermessenheit. Ich solle ihn um Gotteswillen 
behalten, denn wenn er ohne seinen Herrn nach Cetinje käme, bliebe 
ihm nichts übrig, als sich zu erschiessen. Ich würdigte ihn anfangs 
keines Blickes, Hess mich aber durch sein flehentliches Bitten schliesslich 



J.8 Die Banjani. 

doch bewegen, ihn wieder in Gnaden anzunehmen. Der Oberlieutenant 
widerrieth mir diesen Schritt dringend, und er hatte nur zu recht, denn 
wenn auch Arso Popovid für die nächste Zeit einige Besserung zeigte, 
so musste ich ihn schon vier Wochen später mit Schimpf und Schande 
fortjagen. 



6. Capitel. 

Die Banjani. 



Wie die Erinnerung an das Schöne bleibt und die trüben Stunden 
in den Hintergrund drängt, so hatte auch ich die Aergernisse der letzten 
Tage vergessen, als ich am 22. Juni das gastliche Kazanci verliess und 
auf bekannten Wegen zum Krstac zurückkehrte. Der kleine Han bot 
uns eine bescheidene Unterkunft, und am nächsten Morgen lenkten wir 
unsere Schritte zu einem der ödesten Theile Montenegros, den Banjani. Sie 
stellen ein flachwelliges Hügel- und Dolinenplateau mit aufgesetzten Ketten- 
gebirgen dar. Unter letzteren ist der langgestreckte Rücken der Somina-, 
Ute§- und Njegos-Planina am bemerkenswerthesten, der ewigen Schnee 
in seinen Klüften birgt, nach den Duga-Pässen steil, nach den Banjani 
langsamer abfällt und im Südwesten durch die vorgelagerte Koplje ver- 
deckt wird. Sonst sind scharf ausgearbeitete Bergformen nicht allzu 
häufig; nur die ausdrucksvollen Formen des Planik und der Straiiste 
sind jederzeit in dem unbestimmten Chaos erkennbar. Unvermittelt 
stürzt das Plateau 300 Meter tief zur Trebinjdica-Schlucht ab, und am rechten 
Ufer steigt der waldige Plateaurand eben so steil an, wodurch zwischen 
hüben und drüben eine natürliche Grenze gebildet wird. 

Die Pfade sind schlecht, ohne jedoch dem an montenegrinische 
Wegverhältnisse gewöhnten Wanderer erhebliche Schwierigkeiten zu be- 
reiten. Die Gebirge überragen nämlich ihren Sockel nicht sehr bedeu- 
tend, und im Gegensatze zu den schroffwandigen Trichtern der Prekor- 
nica stellen die Dolinen der Banjani meist sanft geneigte Mulden dar. 
Dort beherbergten sie einen dichten Wald, hier sind sie viel häufiger 
mit kurzem Grase überzogen oder mit Buschholz bedeckt, so dass land- 
schaftlich und floristisch ein grosser Unterschied in der Physiognomie 
der Dolinen zu machen ist. Die Verkarstung hält sich mit Ausnahme 
der stark verkarsteten Gebirge und gewisser Gegenden der Hochebene 



i 



Die Banjani. aq 

in massigen Grenzen. Trotzdem hat das ganze Gebiet ein wüstenhaftes 
Aussehen, das selbst da nicht verwischt wird, wo sich alte kräftige Bäume 
zu Gruppen oder Wäldern zusammenschliessen. So selten ist eine 
Quelle, dass sie meist vom Schimmer der Sage umwoben wird und in 
der früheren gesetzlosen Zeit der Schauplatz blutiger Kämpfe war. Von 
Goslidi bis Kosijerevo fand ich nur eine kleine Quelle, während an den 
unteren Gehängen des Trebinjäca-Thales das kostbare Nass in zahl- 
reichen silberhellen Fäden austrat. Der Schnee, der im Winter bis zum 
Dache der niedrigen Häuser reicht und den Sommer über im Gebirge 
ausdauert, muss auch hier den Bedarf liefern, und wo er frühzeitig ver- 
schwindet, sind Cisternen angelegt, um den Regen aufzufangen. Ihr 
trübes, zweifelhaftes Wasser wird von Sumpfpflanzen überwuchert und 
bietet den Fröschen einen beliebten Tummelplatz dar; in regenarmen 
Sommern kann es gänzlich austrocknen, und dann hat man stundenweit 
nach ihm zu gehen. Unter solchen Umständen ist es leicht erklärlich, 
dass die Eingeborenen einem Fremden ungern Wasser geben, 
müssen doch — um ein Beispiel anzuführen — die Bewohner von 
Velimje das seltene Gut mitunter aus der ii Kilometer entfernten Tre- 
binjdica heraufschaffen. Wenn es daher sonderbar klingen sollte, dass 
wir im Verlaufe unserer Darstellung so oft die Brunnen und Cisternen 
erwähnen, so ist zu berücksichtigen, dass sie in einem wasserarmen Lande, 
wie in Montenegro, für die wirthschaftlichen und Siedelungsverhältnisse 
doppelt wichtig sind. Von ihnen hängt die Existenzmöglichkeit des 
Menschen ab, und aus diesem Grunde rechtfertigt sich die Aufzählung 
der Brunnen, Viehtränken, Quellen u. s. w. von selbst. 

Wir zogen an der rechten Seite der Mulde Golija hin und betraten nach 
1 72 Stunden einen von hohen Rücken umgebenen Kessel, in dem Wiesen, 
Felder und die wenigen Häuser des kleinen Dorfes Goslidi (883 Meter) 
zerstreut waren. Nachdem uns der Kapetan (Ortsvorstand) mit 
einem schwarzen Kaffe bewirthet hatte, stiegen wir zwischen schütterem 
Walde zu einer Stufe an, die wie die Abhänge mit Dolinen gespickt 
war und auf eine zweite Terrasse führte. Zur Rechten lief ein tief ein- 
gerissenes Dolinenthal zum klüftigen Uteä, und auf der anderen Seite 
des Weges waren in einer Grasmulde einige Hütten verborgen, die letzten, 
denen wir bis zu den Banjani begegneten. Die Aussicht war nach allen 
Seiten beschränkt und bot nichts Neues; darum nahmen wir ohne 
Zögern den letzten und beschwerlichsten Theil des steilen Aufstieges in 
Angriff, der uns über eine weiche Graslehne zwischen hochstäm- 
migen Eichen , Birken , Buchen , Ahorn - und Kirschbäumen auf 
den schmalen Kamm des schroffen Njegoä (1269 Meter) brachte. 

Hassert. Reise durch Montenegro. 4 



^O ^'^ Banjani. 

Wio-en die Kalke bisher ziemlich stark aufgerichtet, so wurde ihr Ein- 
fallswinkel von jetzt an geringer. Noch versperrten zwei Kuppen beider- 
seits der Passeinsattelung den Ausblick; aber auf einmal entrollte sich 
ein Bild, wie es abschreckender kaum gedacht werden konnte. Nichts 
anderes entdeckte das Auge als nackte Kalkwellen ; und wenn ihnen 
auch scharfe Zacken oder jähe Abgründe fehlten, so thaten sie es nur, 
um Karrenfeldern und Dohnen Platz zu machen. Verschwunden war 
der dichte Wald, und lichtes Buschholz, kurze Grashälmchen oder küm- 
merliches Erdreich verhüllten kaum das verwitterte Gestein, dessen helle 
Farbe im auffallenden Sonnenlichte noch greller ward. In vielen Curven 
lief der erbärmliche Pfad die steilen Hänge hinab und durchschnitt in 
Schlangenwindungen die trostlose Ebene, in der uns bis Grahovo fünf 
langweilige Tagemärsche bevorstanden. Das war der frostige Willkom- 
mengruss, mit dem uns die Banjani empfingen! 

Wir rasteten in einer Koliba (1183 Meter), in der zwei häss- 
liche, alte Frauen zurückgeblieben waren, während die Männer 
auf dem Gebirge das Vieh weideten. Sie labten uns mit Schneewasser 
und saurer Milch und sträubten sich mit aller Entschiedenheit, ein 
kleines Geldgeschenk anzunehmen. Ohne einem Menschen zu begegnen 
— denn die drei Hütten, an denen wir vorbeikamen, waren leer — 
wanderten wir in der Einöde fort, die durch niedere Hügelreihen zur 
Rechten und durch die Koplje-Kette zur Linken einige Abwechslung er- 
hielt. Endlich öffnete sich eine flache Mulde, die bereits zum Bezirke 
des häuser- und cisternenreichen Crnikuk gehörte. Auf einer niedrigen 
Bodenschwelle war eine Anzahl schmuckloser Gräber errichtet; Monte- 
negriner, die in der ruhmreichen Schlacht gegen Mukthar Pascha 1876 
bei Vudi Do gefallen waren, hatten dort ihre letzte Ruhe gefunden. Am 
unteren Rande war ein Wasserbehälter in den dünnblätterigen, schiefer- 
artigen Kalk eingemauert; doch hatte sein dürftiger Inhalt ein zweifel- 
haftes Aussehen. Die nächste Umgebung erfreut sich noch mehrerer 
Cisternen und Viehtränken und spielt deshalb im wirthschaftlichen Leben 
der Eingeborenen eine hochwichtige Rolle. 

Hinter dem Kessel Milagora verloren sich die Trichter in 
einem sorgsam bebauten Dolinenthale, das rasch in die einer Oase 
vergleichbare Mulde Dubodki Do überging. Zwischen kleinen Hainen 
tauchten Häuschen auf; Wiesen und Kartoffelland, Getreide- und 
Tabakfelder bedeckten die weiche Humusschicht, und V27 Uhr 
hielten wir vor zwei steinernen Gebäuden (1093 Meter), um bei ihren 
Besitzern, die gerade mit ihren Bienenstöcken beschäftigt waren und 
bei unserer. Ankunft neugierig herbei eilten, ein Nachtquartier zu 



Di« Binjani. ej 

suchen. Als sie aber unseren Wunsch hörten, machten sie allerlei 
AusSüchte: sie wollten kein kleines Geld haben, um mir beim Bezahlen 
zu wechseln, für das Pferd sollte kein Futter vorhanden sein u. s. w. 
Zufällig hörte ich, dass sie Verwandte des Hospitalarztes in Cetinje, 
Dr. Miljanid, seien, den ich später kennen lernte, und auf dessen Namen 
ich mich berief. Das wirkte. Sofort waren die Crnogorcen wie umge- 
wandelt, und ich konnte sie nur schwer davon abbringen, einen Hammel 
zu schlachten. Obwohl sie nach montenegrinischen Begriffen zur wohl- 



Die Koplje (BMJ.nl). 

habenden Classe gehörten, war ihre Häuslichkeit sehr einfach aus- 
gestattet, und mein hartes Lager bestand aus einer Schütte Stroh, die 
auf den Steinfliessen neben dem Feuer ausgebreitet wurde. 

Die vielgerühmte montenegrinische Gastfreundschaft ist in Wirk- 
lichkeit doch etwas andere als in den einschlägigen Büchern zu lesen 
steht. Man kann es ja Niemandem verdenken, wenn er bei seinen 
eigenen beschränkten Verhältnissen einen fremden Reisenden nicht gleich 
aufnimmt, weil er meint, dass dieser Bequemlichkeiten beansprucht, die 
er ihm nicht bieten kann. Zwar erhält man in den meisten Fällen 
keine ablehnende Antwort, aber der Wirt rechnet bestimmt auf ein 



2 2 ^i^ Banjani. 

Geldgeschenk und das um so mehr, als der grösste Theil der Montene- 
griner sehr arm ist. Andererseits kann ich nicht verschweigen, dass ich 
bei den Kapetanen, bei den Geistlichen und in den Klöstern das herz- 
lichste und uneigennützigste Entgegenkommen gefunden habe, und dank- 
bar gedenke ich jener Männer, die mit hingebender Freundschaft für 
den Wanderer sorgten, den sie vielleicht nie wiedersehen werden. 

Auf unserem Wege bis Milagora zurückgehend, gelangten wir 
in die grüne Flur von Zanuglina. Stattliche Gruppen von Ahorn, 
Weissbuchen und Eschen verwandeln sie in eine anmuthige Parkland- 
schaft, und unter den schattenspendenden Bäumen sind die der ärm- 
lichen Wohnstätten zerstreut. Im Popenhause (1157 Meter) wurden 
wir aufs beste empfangen, und ungern trennte ich mich von den 
guten Leuten, die keinen Kreuzer Bezahlung annahmen. Als wir die 
Höhe oberhalb des Dorfes erreichten, standen wir wieder im traurigen 
Karste. Kräftige, aber gleichwohl verkümmerte Laubbäume breiteten 
ihre kurzen Zweige über Gräser und Zwiebelgewächse, die zwischen den 
karrenartig zügeschärften Kalkrippen wucherten. Die Bergzüge schlössen 
eine sehr sanft geneigte Thalmulde ein, die, allmählich wilder und un- 
deutlicher werdend, bis Crkvice lief. Wir durchquerten sie bis zum 
Weiler Somina (1163 Meter) und blieben am rechten Hange, bis wir 
plötzlich merkten, dass wir vom richtigen Wege abgewichen waren und 
auf einem kümmerlichen Pfade in der Senke fortgingen. Der Wald 
wurde stärker, das Unterholz dichter, und durch eine ununterbrochene 
Flucht steilwandiger Dolinen kamen wir, vorüber an den zerstreuten An- 
siedlungen des Travni Do, zu der grossen Petrova Dolina, die einige 
Hütten und eine ergiebige Cisterne (11 10 Meter) enthielt* Ein halb- 
wüchsiger Bursche tränkte dort seine Heerden, aber er wusste in der 
Umgebung keinen Bescheid, und so hatten wir uns bald vollständig ver- 
irrt. Nach erfolglosen Kreuz- und Querzügen entdeckten wir einen er- 
müdenden Steig, den das Pferd nicht ohne Mühe passieren konnte. Gegen 
S Uhr eilte er rasch abwärts, der Wald wurde lichter, und die formlose, 
in der Höhe dünn mit Bäumen bestandene Kapavica trat in den Vor- 
dergrund. Bald blickten wir in ein aussichtsloses Hochthal, und von 
grünem Plane hob sich — ein liebliches Idyll — das weisse Kirchlein 
von Crkvice (1078 Meter) ab. Neben ihm stand ein einstöckiges Haus, und 
auf der kleinen Matte waren noch einige andere Hütten vertheilt Kulaä 
wurde von seiner Last befreit und mochte sich sein Futter suchen, wo er 
wollte, während wir uns ein wenig ausruhten und dann das versteckte 
Polje mustertert. 



Die BaDjani. 53 

Die Kirche, welche der Gegend ihren Namen gegeben hat, gleicht 
genau den anderen Gotteshäusern Montenegros. Einen Thurm besitzt 
sie nicht, sondern die Glocken hängen in einem steinernen Oberbau 
über dem Eingang; nicht selten sind sie auch in einem besonderen 
Gesteil neben der Kirche untergebracht. Eine durchbrochene Holzwand, 
die Heiligenbilder und Leuchter zieren, trennt das Heilige vom Aufent- 
haltsraume der Menge. Stühle oder Bänke gibt es eben so wenig wie 
eine Oi^el ; überhaupt ist die ganze Einrichtung sehr einfach. Unsere 



Kirche verdankt ihre Gründung der Frömmigkeit eines begüterten 
Mannes oder vielmehr eines Sonderlings, der fern vom Getriebe der 
Welt in einer Höhle auf der Kapavica seine Zeit mit Beten und Fasten 
hinbringt und bloss von Wasser, Brot und Oel leben soll. Auf seine Kosten 
entstand auch das Haus, das im Untergeschoss einen Laden und einen 
Schuppen, im Oberstock zwei Zimmer enthält. So viel versprechend es 
aber äusserlich aussieht, so viel lässt es im Innern zu wünschen übrig. 
Denn Fensterscheiben fehlen, die kahlen Wände entbehren jedes 
Schmuckes, Bänke, Schemel und ein wackeHger Tisch bilden nebst 



Ca Die Banjani. 

einem Bettgestell das einzige Meublement, und den Ofen vertritt eine in 
den Boden eingelassene Feuerstelle. 

Immerhin sind diese Häuser verhältnissmässig selten; zum grössten 
Theile bestehen sie aus elenden Hütten, die kaum den Namen Haus 
verdienen. Durch eine niedere Thür gelangt man in einen engen, halb- 
dunklen Raum, der durch lukenartige Fensteröffnungen und ein flackerndes 
Feuer nothdürftig erhellt wird. An den Seiten des festgetretenen oder 
mit Steinen ausgelegten Bodens verlaufen breite Fliesen, ein primitives 
Gestell beherbergt das wenige Hausgeräth, und über dem Herd hängt 
ein berusster Kessel. Steinblöcke, Holzklötze oder kleine Schemel ver- 
treten die Stühle, Platten mit kurzen Füssen den Tisch, und die rauch- 
geschwärzten Wände zieren Waffen, Heiligenbilder und das nie fehlende 
Portrait des Landesfürsten Nikolaus. Betten giebt es nur in den wenigsten 
Fällen; man legt sich einfach auf den Fussboden oder auf ein Bund 
Stroh, und doch schläft sichs nach anstrengendem Tagewerke auf 
diesem harten Lager besser als im weichen Bett, vorausgesetzt, dass'die 
sechsfüssigen Hausinsassen sich nicht gar zu sehr fühlbar machen. 

Inzwischen hatte unser Wirth einen fetten Hammel herbeigeholt 
und mit einem Schnitte den Hals des zuckenden Thieres durchschnitten. 
Mit erstaunlicher Geschwindigkeit ging das Abhäuten vor sich, und nach 
zwei Stunden sassen wir bei einem schmackhaften Mahle. Dann wurde 
Stroh und Schilf auf ein Bettgestell gebreitet, aber das Ungeziefer, mit 
welchem ich hier zum ersten Male unliebsame Bekanntschaft machte, 
Hess mich erst spät einschlafen. 

Die langweilige Gegend veränderte sich nicht allzusehr, als wir 
von Crkvice aufbrachen. Der zweifelhafte Weg führte uns bis Mrkovici 
durch eine zusammenhängende Reihe von sieben gut ausgearbeiteten 
Kesseln, eine Erscheinung, die im Karste nicht überrascht. Das erste 
dieser Becken war massig verkarstet und besass in der Nähe 
einiger Hütten eine wasserreiche Cisterne (1056 Meter), die dem 
ganzen Bezirke den Namen Ubli gegeben hat. Von neuem nahm 
uns ein Gebiet wildester Verkarstung auf, doch es würde zu sehr 
ermüden, wollte ich immer und immer wieder eine solche Landschaft 
schildern. Einmal, am Bratagos, durchwanderten wir einen hochstäm- 
migen Buchenwald, und da wir eine Quelle vergebens suchten, so be- 
grüssten wir mit Freude das Dörfchen Zljeme (1163 Meter). Allein unser 
Verlangen nach einem Trünke lehnten die Einwohner anfänglich ab, 
und selbst als wir ihnen Bezahlung anboten, verstanden sie sich nur 
zögernd dazii, uns von ihren geringen Wasservorräthen etwas abzulassen. 
Nun erhielt die Thalfurche, die zuweilen an gut auskrystallisirten 



Die Banjani. ^^ 

Kalkspathen Ueberfluss hatte, bestimmtere Gestalten und ein freund- 
licheres Aussehen. Wald und Wiesen, Ackerland und Hütten wurden 
häufiger, die Wege besser, und als wir uns der Kirche von Mrkovid 
(I051 Meter) näherten, waren die öden Banjani gar nicht mehr wieder 
zu erkennen. Ungehindert schweifte der Blick zum NjegoS und bis zu 
den Gebirgsmauern längs der Adria, bis wir in die dünn bebaute, ein- 
förmige Mulde von Velimje hinabstiegen, die ausser einigen Kirchen 
und Brunnen nichts Bemerkenswerthes besass. Um V4Ö Uhr hatten wir 



den gleichnamigen Ort (856 Meter) erreicht. Er liegt weithin sichtbar 
auf einem kahlen Plateau, das die ganze Niederung beherrscht und 
deshalb zur Türkenzeit eine Festung trug. Etwa zehn saubere Häuser, 
I darunter die Schule und eine recht wohnliche Locanda, in der man 

I sogar ein kleines Zimmerchen erhält, setzen das Dorf zusammen, das 

als Kreuzungspunkt der Verkehrsstrassen BÜek-NikSid und Risano-Gra- 
hovo-Bilek nicht unwichtig ist. Zufällig war der Bezirks- Kapetan, Cetko 
' Pejovid, anwesend, um einen Gerichtstag abzuhalten, der bei dem aus- 

geprägten Rednertalent des Crnogorcen nicht ohne viel Lärmen und 
Zanken verlief und sich noch bis zum nächsten Mittag fortsetzte. 



^5 ^ic Banjani. 

Montenegro zerfiel vor dem Kriege in acht Nahijen (Kreise, Pro- 
vinzen), diese in Plemena (Stämme oder Zusammenhäufungen von Familien 
gleichen Ursprungs), diese, in Bratstva (Brüderschaften, Familien, Ge- 
meinden), so dass die Familie die Grundlage der staatlichen Organisation 
bildete und der Fürst zum Staate als zu einer einzigen grossen Familie 
in einem patriarchalischen Verhältnisse stand. Die einzelnen Kreise be- 
sassen eine gewisse Selbstständigkeit, und diese Regierungsform sagte 
den an Freiheit und Unabhängigkeit gewöhnten Crnogorcen am meisten 
zu. Jetzt hat diese Eintheilung nur mehr eine historische Bedeutung, 
indem die einzelnen Nahijen in 83 Bezirke (Kapetanien) getheilt worden 
sind. Mit der Oberleitung eines jeden dieser Bezirke ist der Kapetan 
betraut, der die Civil- und Militärbehörde darstellt und unmittelbar der 
Regierung und den Ministerien untersteht. 

Der Kapetan von Velimje, ein Montenegriner von altem Schrot 
und Korn, hatte sich schon unter Fürst Danilo gegen die Türken rühm- 
lichst ausgezeichnet, und seine zahlreichen Narben bewiesen mehr als 
die mit Orden über und über geschmückte Brust, wie viele blutige 
Kämpfe er bestanden. Unter seinem Gefolge waren zwei alte Hau- 
degen, die sich nicht minder hervorgethan hatten als ihr Gebieter, 
und von allen Seiten wurde den um ihr Vaterland so verdienten Männern 
die grösste Hochachtung entgegengebracht. Ich konnte mich nicht ent- 
schliessen, schon am folgenden Tage weiterziehen, und meine Absicht er- 
regte lebhaften Beifall, da die Neugierigen längst meinen photogra- 
phischen Apparat bemerkt hatten und, eitel wie sie waren, photographirt 
sein wollten. Geschäftig ordnete der Lehrer, zu dessen kriegerischer 
Tracht die Brille gar nicht recht passen wollte, die Gruppe, aber es 
verging eine gute Zeit, bis ich die Aufnahme machen konnte. Dieser 
musste erst seinen Revolver, der aiKiere seinen Säbel holen, und ein 
alter, weissbärtiger Held, der keine Waffen bei sich hatte, wusste sich 
nicht anders zu hefen, als dass er seine schwieligen Hände über die Stelle 
des Gürtels legte, wo sonst der schussbereite Revolver zu stecken pflegte. 
Doch auch der Erzieher der Jugend wollte mit seiner Schule Ehre ein- 
legen, und ich musste ihn mit seinen hoffnungsvollen Sprösslingen 
ebenfalls abconterfeien. Da war die Brille verschwunden, und während 
die eine Hand den Revolver umspannte, hielt die andere ein dickleibiges 
Buch. Bei diesem wichtigen Geschäfte benahmen sich die biederen 
Eingeborenen wie Kinder; sie konnten das Bild nicht genug anstaunen, 
welches die matte Glasscheibe der Kamera zeigte, und waren schliesslich 
etwas betrübt, dass 'sie ihre Photographie nicht gleich erhielten. 



Die BaDJani. ^j 

Nun luden sie mich zu einem Trünke ein. Dunkelrother Dalmatiner- 
wein, Kaffee, Slivovic und goldgelber Meth, wie ich ihn in gleicher Güte 
nie wieder gefunden habe, wechselten sic^ unaufhörlich ab, so dass ich froh 
war, als mich der Lehrer in die Schule führte. Stracks erhoben sich die 
Schüler, als ich in die Classe trat, und abermals standen sie auf, als 
ich dieselbe wieder verUess. Dann musste ich dem trefi'lichen Kapetan 
Gesellschaft leisten ; er wollte vielerlei von mir wissen, und ich hatte 
Mühe, ihn zufriedenzustellen. Er erkundigte sich nach Deutschland, 



MonlcDcgrio« IUI VcUmjc (Bujinl), 

Russland und — eine Frage, die sehr oft an mich gerichtet wurde — 
nach unserem grossen Altreichskanzler Fürst Bismarck. Er fragte auch, 
wie wir über sein Vaterland dächten; und als ich ihm die falschen 
Vorurtheile über den Charakter der Crnogorcen und über die vermeint- 
liche Unsicherheit in ihren Bergen darlegte, da rief er in gerechter 
Entrüstung: >Wahrlich, ich will meinen Kopf verlieren, wenn bei uns 
Jemand einem Fremden ein Haar krümmt!« 

Am 27. Juni setzten wir unsere nicht gerade beschwerliche, aber 
um so langweiligere Wanderung fort. Wir verloren uns in den Dolinen- 
reihen des sanft gewellten Plateaus und eilten schnell an dem Kirchlein 



eg Die Banjani. 

von Tupanje (805 Meter) vorüber, um uns die fröhliche Stimmung nicht 
zu verderben. Auf dem kleinen Friedhofe wurde nämlich ein Mädchen 
begraben, das vor einem Tage in der Viehtränke Vrbica ertrunken war, 
und nach landesüblichem Brauche begleitete eine Schaar von Frauen 
den traurigen Act mit übermässig lautem Wehklagen und verzweifeltem 
Händeringen. 

Wir kamen an die eben genannte Viehtränke (910 Meter) und in das 
zerstreute Dorf Drpe (825 Meter). In der Ferne erhoben sich die Berge von 
Trebinje und Bilek; und wenn wir nicht wussten, dass dort die Grenze 
zu suchen sei, so sagten es die Forts, die von den dominirenden Spitzen 
herablugten. Vor ihnen stieg der charakteristische Kegelstutz des Planik 
auf, den statt der finsteren Burgen eine friedliche Kirche krönte. Ihn 
verdeckten theilweise die rundlichen Gipfel des Vjeternik, und das aus- 
drucksvolle Massiv der Straziste vervollständigte das starre Bild. Die 
ausserordentlich dünnbankigen Kalke, die vielleicht den Plattenkalken 
der oberen Kreide entsprechen, lagen in flachgewellten, wenig gestörten 
Schichten übereinander, und mageres Gras verhüllte kaum die wild ver- 
karsteten, stark verwitterten Gehänge. Zwischen Straziste und Vjeternik 
verlief ein Karstthal, wie ich es trostloser selten wieder gesehen habe. 
Nur hier und dort winkten, von schützenden Mauern umgeben, kleine 
Kartoffelfelder, und die Hitze der letzten Wochen hatte den steinigen 
Boden so ausgetrocknet, dass die Leute aus den benachbarten Ortschaften 
Wasser herbeischaffen mussten, um die verschmachtenden Pflanzen zu be- 
giessen. Wer in den Montenegrinern nichts anderes als Hammeldiebe und 
Faullenzer sieht, der möge die Steinwüsten der Banjani besuchen oder schon 
die sorgsam gepflegten Felder an der Strasse von Njegus nach Cetinje be- 
achten. Da wird er bemerken, wie die fleissigen Leute jedes verfügbare 
Fleckchen Erde ausnutzen, er wird nicht begreifen können, warum die 
Türken Tausende von Menschen opferten, um ein so armes Volk unter 
ihr Joch zu zwingen, und zugleich muss er zugeben, dass Montenegro 
im Verhältniss zu seiner Culturfläche eines der bestbebauten Länder 
Europas ist. 

Hinter dem ausgedehnten Kirchdorfe Usputnica-Petrovid verliert 
die Gegend ihre Wildheit, und der Weg senkt sich zwischen lichten 
Eichen- und Buchengruppen. Noch sind die langgestreckte Straiiste und 
der vulcanähnliche Planik nicht verschwunden, da fällt das Karstthal, 
dessen Anlage ebenfalls auf einen unterirdischen Fluss hinweist, steil 
ab, wir biegen in die schroffwandige Schlucht eines trockenen Baches 
ein, und aus jäher Tiefe grüsst die silberne Trebinj^ica herauf. Grüne 
Wiesen und üppige Buchenhaine umgeben einige Häuser und eine Kirche, 



Die Banjani. eg 

deren Mauern die Verwüstungen des letzten Krieges noch deutlich er- 
kennen lassen. Das ist unser Quartier, das alte Kloster Kosijerevo, und 
in einer halben Stunde sind wir auf vielgewundenem Pfade vor seinem 
Thore (344 Meter) angelangt. Der Iguman Gerasion Vujoviii und sein 
getreuer Mönch Josef Leki<5 heJssen uns herzlich willkommen, und bald 
macht der nie fehlende Pflaumenschnaps die Runde. Die geistlichen 
Herren nöthigten mich so zum Trinken, dass ich für die Festigkeit 
meiner Füsse ernsthaft zu fürchten begann und erleichtert aufathmete, 



als sie mich zu einer Besichtigung ihres Monasteriums aufforderten. 
Zuerst gingen wir in die Kirche, dann in die Schule, und mit Stolz 
zeigte mir Freund Lekiö eine Karte von Europa, die einer seiner Schüler 
gezeichnet hatte. Lange erfreuten wir uns an dem lustigen Spiele der 
Trebinjdca und an den murmelnden Quellen, die an dem waldigen 
Abhänge austreten und in dem an Raseneisenstein reichen Thalgrunde 
weiter rinnen.' Hier konnte ich wieder einmal die Geschicklichkeit der 
Montenegriner bewundem. Der Diener des Klosters stellte sich auf einen 
Stein im Flusse und durchbohrte mit sicherem Kugelschuss eine muntere 
Forelle. Uebrigens ist diese Art des Fanges sehr gewöhnlich, und der 



ßO Nach Grahovo durch diQ KrivoSije and zurück nach Nik§id. 

Crnogorce ist ein so geübter Schütze, dass er selten sein Ziel verfehlt. 
Ein reichliches Mahl, bei dem unsere Wirthe gleich ihren Landsleuten 
Finger und Zähne besser als Messer und Gabel zu benutzen verstanden, 
beschloss den Abend; und am folgenden Tage verliessen wir die Ban- 
jani, um in das nicht minder öde Gebiet von Grahovo einzudringen. 



7. Capitel. 

Nach Grahovo, durch die Krivosije und zurück 

nach Niksic. 



Heiss schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel herab, als wir 
um II Uhr den saueren Aufstieg begannen und bis Petrovidi denselben 
Weg wie gestern einschlugen. Schon nach wenigen Minuten waren wir 
in Schweiss gebadet, aromatische Pflanzen betäubten durch ihren Duft 
fast die Nerven, und eine unerträgliche Schwüle machte den ohnehin 
unangenehmen Pfad zu einem wahren Höllenpfade. Eine knappe Stunde 
dauerte es^ bis wir das Plateau erklommen hatten. Einige Männer, die mit 
uns gegangen waren, hiessen ihre Frauen Wasser aus den benachbarten 
Hütten herbeibringen, und in vollen Zügen stürzten wir den erfrischenden 
Trank hinunter, der uns trotz seiner zweifelhaften Güte vortreflFlich 
mundete. Doch bald mussten wir uns vom weichen Grase erheben, in 
dem wir uns behaglich ausgestreckt hatten, denn dunkles Gewölk ballte 
sich über der Stra^iste zusammen, und der Donner hallte grollend in 
ihren Klüften wider. Unaufhörlich folgten sich Blitz und Donnerschlag, 
aber nur ein paar Tröpflein des ersehnten Regens flelen auf den aus- 
gedörrten Boden nieder. Wohl hatten schon in den letzten Tagen 
schwere Gewitter das Firmament umzogen, doch stets zertheilten sie 
sich wieder, und die drückende Schwüle steigerte die Hitze dermassen, 
dass das Thermometer im Schatten stundenlang -{"S^^ C. und in der 
Sonne -|-6o® C. zeigte. Dazu kam die intensive Wärmeausstrahlung 
des nackten Kalkes, so dass man glauben konnte, in einem Backofen 
zu wandeln; und zu den Beschwerden der erbärmlichen Wege gesellten 
sich Tausende lästiger Fliegen, die Menschen und Thiere fortwährend 
mit ihrem Gesumme verfolgten. 



Nach Grahovo, dnrch die KrivoSije und zarttdc nach NikSiö. Qi 

Gleichgiltig gegen die Umgebung durchwanderten wir die wild 
verkarsteten Fluren von Brodanac (824 Meter). Kaum beachtete ich 
die niederen Bichengebüsche ^ welche das Gestein zu verhüllen 
strebten, und kaum würdigte ich die kümmerlichen Aecker eines Blickes. 
Endlich hat die Sonne ihren höchsten Stand überschritten. Zugleich 
treten erst schüchtern, dann immer zahlreicher blumige Wiesen auf, der 
Baumwuchs wird kräftiger, und Häuser beleben den grünen Plan. Daö 
stattliche Dorf Vilusi (926 Meter), das schon die ersten Anfänge einer 
kleinen Stadt zeigt, ist erreicht. An der Strasse von NikSid nach Trebinje 
gelegen, weist es Kaufläden und sogar einstöckige Häuser auf, die sich 
wenigstens einmal zu einer Strasse aneinanderreihen. Auch ein Kaffee- 
haus fehlt nicht, wenn man den ungemüthlichen, schuppenartigen Raum, 
der die stolze Ueberschrift Kafana trägt, so nennen darf, und eilends 
treten wir an den Schanktisch, um uns an einem Schälchen Mocca zu 
erquicken. Es war Sonntag, daher ruhten alle Geschäfte, und die Männer 
standen plaudernd herum oder huldigten dem beliebten Nationalspiele 
Kamenje ramenje (Steinwurf). Als sie uns aber bemerkt hatten, drängte 
sich Alt und Jung in das enge Zimmer, zudringlich den Fremden 
musternd und die landläufigen Fragen nach Wer, Woher, Wohin? u. s. w. 
stellend. Da hielten wir es allerdings nicht lange aus und nahmen unsere 
Wanderung wieder auf. Die schlechteste Strecke lag hinter uns, denn 
der Kalk, der bisher hart und krystallinisch gewesen war und mit 
deshalb zu zackigen Formen verwitterte, ward dünnplattig und 
fühlte sich zuckerkörnig an. Zahllose Risse und Spältchen durchsetzten 
seine flachgewellten Schichten, die den erodirenden Kräften weniger 
Widerstand leisteten, und bequeme, fast parkartige Pfade, unabsehbarer 
Laubwald und üppige Felder bezeichneten äusserlich diese Veränderung. 
Um den unverkennbaren Gegensatz voll zu machen, entsandte der thon- 
reiche Kalk auch Quellen, deren ergiebigste die Quelle Gsje^enica (1025 
Meter) war. In armdicken Strahlen sprang ihr Wässer aus dem Gestein, 
um sofort zu einer nimmer versiegenden Cisterne und Viehtränke auf- 
gestaut zu werden. Wie leicht ging sichs jetzt, wo die Sonne schon 
nahe am Horizonte stand, wo wir in eine Natur gelangt waren, die 
man bei Anlegung eines bescheidenen Massstabes als schön bezeichnen 
durfte, und wo eine Schar Eingeborner uns die Zeit verkürzte! Bereits 
legten sich die Schatten der Dämmerung auf die westlichen Grenzberge, 
als wir an der kleinen Ebene Grahovac vorüberzogen. 

Hinter Za Kurjaj (870 Meter) fällt das bewaldete Gelände allmählich 
ab, und der wilde Lisac von Grahovo kommt näher. Plötzlich 
endet der Plateau-Rand in der tief eingerissenen Klamm eines trockenen 



52 Nach Grahovo, durch die Krivo§ije und zurück nach NikSid. 

Karstbaches, und am Fusse seiner schmalen Oeffnung erstreckt sich eine 
rings geschlossene Ebene. > Grahovo!« riefen unsere Begleiter, und längst 
hatte mich die Karte belehrt, dass es Grahovo war, das vielumkämpfte. 
Entsetzlich kahl und zerklüftet waren die umgebenden Gebirge, deren 
eines seinen Namen Bijela Gora (Weisses Gebirge) in jeder Beziehung 
rechtfertigte. Aber wie ein grüner Edelstein auf hellem Grunde hob sich 
von diesem Chaos die Beckensohle ab, die in ihrer Mitte und an ihren 
Rändern schniucke Dörfer besass. Niedere Kalkhügel, die einst Inseln 
waren, als noch ein Karstsee den Grund bedeckte, störten die vollkommene 
Horizontalität, und durch die Niederung schlängelte sich der helle Streifen 
eines wasserlosen Flusses, der unvermittelt erscheint und ebenso plötzlich 
wieder verschwindet In der stark verkarsteten Schlucht, die sich als 
trockenes Rinnsal mit jenem Flusse vereint, arbeiteten wir uns auf 
einem aller Beschreibung spottenden Pfade über vorspringende Gesteine 
und lockere GeröUe, durch Brombeergesträuch und widerspenstiges 
Buschholz abwärts, und auf ebenem Boden weitergehend, betraten wir 
um 7 Uhr Umac (712 Meter), die grösste Ansiedlung des Kesselthales. 
Gefolgt wie immer von einer Menge Unberufener statteten mir die 
Honoratioren sofort ihren Besuch ab, und nach dem Abendessen suchte 
ich in dem bescheiden Kämmerlein das Bett auf. 

Hat man eins der montenegrinischen Polje durchstreift, so kann 
man sich auch die Beschaffenheit der andern leicht vorstellen. Daher 
bot das Becken von Grahovo nichts Neues, man müsste denn die zer- 
störte Türkenschanze en\'ähnen, die den Kalkhügel von Umac krönt. 
Auch hier sind unter der dünnen Humusschicht Massen von Rollsteinen 
verborgen, die den spärlich fallenden Regen rasch aufsaugen und dem 
Grundwasser zuführen, Cisternen, die bis auf den Spiegel desselben ein- 
gelassen sind, liefern allerdings genug Trinkwasser; aber für die Aecker 
und für das Vieh bleibt der Mangel immerhin bestehen, sodass mich 
die Leute mehrfach um Abhilfe angingen. 

Eine der öfters hervorgehobenen Eigenthümlichkeiten des Karstes, 
die perlenschnurartige Aneinanden*eihung grösserer und kleinerer Dohnen 
mit staffeiförmiger Unterlagerung, ist in dem zuletzt durchwanderten 
Gebiete deutlich ausgesprochen, und unser Polje gehört zu einer solchen 
Kette, die von Crkvice bis zur Adria abfällt. Allerdings muss hervor- 
gehoben werden, dass die zahllosen Karsttrichter sich auch zu andern 
Reihen zusammenlegen lassen, weshalb man eben so gut eine Linie 
Grahovo-Niksid, Niksid-Bilek, Crnikuk-Grahovo-Risano u. s. w. heraus- 
finden kann. 



Nach Grahovo, durch die KrivoSije und zurück nach NikSid. 63 

Da ich einige Briefe zu besorgen hatte und Grahovo bloss ein Tele- 
graphenamt besass, so erkundigte ich mich, ob in dem benachbarten 
Dragalj ein Gasthof und eine österreichische Poststation sei. Ich erhielt 
eine bejahende Antwort und machte mich am nächsten Morgen auf, um 
jenseits der Grenze meine Geschäfte zu erledigen. 

Wieder war es ein heisser Tag, und der abstossend nackte Kalk- 
wall, der die Ebenen von Grahovo und Dragalj trennte, strahlte eine 
drückende Wärme aus. Doch bedeutete er für uns kein grosses Hinder- 
niss, und in den leichten Opanken^ die man kaum an den Füssen merkte, 
sprangen wir behend über das Gestein. Wie seinerzeitaufdemKrstac, so 
musste mein Diener hier in einem Han Revolver, Dolch uud Gewehr 
zurücklassen, da im österreichischen Machtbereich das Waffentragen ver- 
boten ist. Bald markirten einige Pyramiden die Grenze zwischen Monte- 
negro und der Krivoäije, wir sahen das Heer der Festungen, die auf 
jedem geeigneten Berge errichtet waren, und schauten nach kurzer Zeit 
in das Kesselthal von Dragalj herab. Aber wie hatte ich mich in 

m 

meinen Erwartungen getäuscht! Ich glaubte, ein blühendes Stück Cul- 
turland, neue Häuser oder gar ein kleines Städtchen anzutreffen; und was 
musste ich erblicken? Weissschimmernde Steinfelder und verdorrte Gras- 
flächen nahmen eine Niederung ein, die nur im Süden ein lichter Eich- 
wald zierte. Kaum ein Acker hob sich von der mageren Steppe ab, 
und ärmliche Hütten waren um den Thalrand gruppirt Viele von ihnen 
lagen in Trümmern, und die rauchgeschwärzten Wände einer Kaserne 
vervollständigten die traurigen Spuren der Verwüstung, welche der letzte 
Aufstand der Krivoäijaner im Jahre 1882 zurückgelassen hatte. Erst nach 
Aufbietung dreier Armeecorps gelang es Oesterreich, der kaum 1200 
Seelen zählenden Insurgenten Herr zu werden, die in ihren pfadlosen 
Bergen eine natürliche Festung hatten, aus dem Hinterhalte die über- 
raschten Feinde überfielen und sogar so kühn waren, dass sie die eben 
genannte Kaserne in die Luft sprengten. Jetzt herrscht vollkommene 
Ruhe und Sicherheit; die überall errichteten Forts können das Land 
leicht überwachen, und ein Bataillon genügt zur Niederhaltung der noch 
sehr uncultivirten Krivosijaner. 

Ein zeitweilig Wasser enthaltender Schlundfluss, der jedenfalls den 
Fluss von Grahovo fortsetzt, durchschneidet das Dragalj Polje, das wie alle 
hochgelegenen Karstthäler unter einem übermässig rauhen Winter und 
einem glühenden Sommer zu leiden hat. An ein Gasthaus oder ein 
Postamt war in dieser verlorenen Oede nicht zu denken, die ausser 
einer kleinen Kirche (618 Meter) und einer Gendarmerie-Kaserne kein 
nennenswerthes Gebäude aufwies. Die Leute gaben uns wenigstens 



64 Nach Grahovo, durch die KrivoSije and zurück nach KikSiö. 

die tröstliche Versicherung, dass wir in Grkovac das Gewünschte finden 
würden, und unter diesen Voraussetzungen entschloss ich mich, unseren 
Marsch zu verlängern. 

Als wir auf unangenehmen Geröllmassen den letzten Theil der un- 
wirtlichen Ebene durchmessen hatten, begrüsste ich mit Freuden 
einen neuen Vorboten der Civilisation. Ein breiter, gut erhaltener 
Reitweg lief langsam an der Bergwand hinan, und man muss 
dem österreichischen Kaiserstaate zu Dank verpflichtet sein, dass 
er diese wilden Gegenden durch derartige Kunststrassen — denn die 
Strassen von Risano über Grkovac oder Crkvice nach Dragalj und noch 
mehr die Strasse auf den Veli Vrh verdienen in der That eine solche 
Bezeichnung im wahrsten Sinne des Wortes — leichter zugänglich ge- 
macht hat. Dolinen und Dolinenthäler, wie ich sie schauriger und tiefer 
nur bei Sanct Kanzian-Matavun im österreichischen Karste gesehen, 
zogen sich zu unserer Linken hin ; und selten bargen sie auf ihrem 
nackten Grunde vereinzelte Wohnstätten der abgehärteten, bedürfnis- 
losen Eingeborenen, die in ihrem Lebensunterhalte ganz von der Vieh- 
zucht abhängen. Wir erklommen mühelos die Höhe, und als wir um 
eine Felszunge bogen, die eine malerische Festung beherrschte, lag 
Grkovac vor uns. Eine neue Enttäuschung! Vergeblich suchte ich das 
kleine, nach italienischer Art gebaute Städtchen, das meine kühne Phan- 
tasie hierhergezaubert hatte. Da gab es bloss ein kleines Dorf, das 
durch die österreichischen Kasemements einen gewissen städtischen An- 
strich erhielt. Das Hotel ersetzte eine Militär-Cantine, und die typische 
Gestalt des österreichischen Finanzwächters mit der unvermeidlichen 
Frage: »Nichts Verzollbares?« rief mich vollends in die Wirklich- 
keit zurück. War ich einmal in Grkovac, so konnte ich die zwei oder 
drei Stunden noch zugeben und bis Risano gehen. Das trostlose Doli- 
nenfeld von Ledenice (610 Meter), bekannt unter dem bezeichnenden 
Namen des Steinernen Meeres, wurde passirt, und ein dunkelblauer 
Streifen blitzte am Fusse der kahlen Berge auf, neues Leben und neue 
Hoffnungen in die abstossende Oede bringend. Es ist das Meer, das 
allgewaltige, und schnell entrollt es sich in seiner Pracht, bis der 
Steilrand des Hochplateaus 600 Meter tief zu den romantischen Bocche 
abstürzt. Nunmehr hatten wir Wasser, das wir so lange vermissten, 
im Ueberfluss. Ueberall sprudelten aus den Gehängen ergiebige Quellen, 
und später machte sich beim Baden das kalte, unterirdisch abfliessende 
Wasser in den warmen Bocche unangenehm fühlbar. Aus einem lachen- 
den Garten südlicher Gewächse grüsste Risano herauf, in zahllosen Ser- 
pentinen führte der Weg zu seinen Häusern, und am Spätnachmittage 



Nach Grahovo, durch die KrivoSije und zurück nach NikSid, 55 

waren wir dort angelangt. Risano ist eben so gebaut wie Cattaro, nur 
dass es glücklicherweise der beengenden Festungsmauern entbehrt. Auch 
hier herrscht die serbische Sprache vor, und man liest ebenfalls mehr 
Aufschriften in slavischen als in lateinischen und deutschen Buchstaben. 
Wie in Gacko, so wurde ich von den Officieren aufs zuvorkommendste 
aufgenommen, und ungern schied ich nach dreitägigem Aufenthalte von 
ihnen, um über die Festung Crkvice in die Schwarzen Berge zurückzu- 
kehren. 

Die Landschaft bUeb gleich abschreckend, und die schier uner- 
trägliche Hitze, die auch heute in der Sonne über -[- 50 ® C. stieg, drohte 
mehrmals unsere Kraft zu erschöpfen, da wir im glühendsten Sonnenschein 
beständig bergauf zu wandern hatten. Hinter dem armseligen Weiler 
Knezlac (619 Meter), in dem 1862 durch gegenseitiges Uebereinkommen 
der erste Aufstand der unbotmässigen KrivoSijaner beigelegt wurde, durch- 
zogen wir einen lichten Wald. Dann mussten wir gänzlich ungeschützt 
bis Crkvice (984 Meter) emporklettern, ehe sich der trotz seiner Güte 
mühsame Weg senkte und bis Dragalj im schattenspendenden Laub- 
walde hinlief. Ein redegewandter Albanese aus Scutari hatte in Crkvice 
unter dem hochklingenden Namen »Hdtel Krivo§ije« eine Cantine er- 
richtet, und wie Freund Gugga in Podgorica wurde er nicht müde, die 
Vorräthe seines Warenmagazins nach allen Regeln der Kunst anzu- 
preisen. 

Abermals musste ich für einige Wochen der europäischen Be- 
quemlichkeit entsagen und war doch froh, als ich beim Glänze der 
Abendsonne das bescheidene Umac und die mir trotz aller Entbeh- 
rungen lieb gewordene Crnagora wieder betrat. Kulaä, der so lange der 
Ruhe gepflegt, konnte auch den nächsten Tag noch rasten, da er eine 
schwere Last zu tragen hatte und eine Erholung, wohl verdiente. 
Ich war noch nicht lange im Han abgestiegen, als das Volk eilends 
zusammenlief. Zwei allen Montenegrinern bekannte Personen, Seine 
Excellenz der russische Minister-Resident Herr Argiropulos und Herr 
Rovinski , kamen an und nahmen in einem Nachbarhause Quartier. 
Sie hatten eine mehrwöchentliche Reise durch Montenegro unternommen 
und wollten am anderen Tage nach Cetinje zurückkehren. Ich stattete 
beiden Herren meinen Besuch ab, und unsere in französischer Sprache 
geführte Unterhaltung betraf wesentlich unsere Erlebnisse* Am 4. Juli 
schied auch ich von dem gastlichen Orte, um auf einem 14 -stündigen 
Marsche nach Nikäid zurückzuwandern. Früh um 5 Uhr waren wir 
reisefertig und stiegen einige Minuten später an den steilen Um- 
fassungsbergen der Ebene empor. Die Höhe des Plateaus, in welches 

Hassert. Reise durch Montenegro. 5 



gg Nach Grahovo, durch die KrivoSije and zurück nach Nik§i(5. 

Grahovo und Nikäiiko Polje eingesenkt sind, erreicht etwa iioo Meter 
und gibt an Trostlosigkeit den Banjani nichts nach. Nur einmal erfreute 
uns eine Quelle, nur einmal — in der Oase i^iva — ein weicher Wiesen- 
grund, dann kam eine Cisterne (1087 Meter) und das Dörfchen Jabuka 
(1006 Meter). Erstere liegt am Hange, letzteres an der Sohle des un- 
vollkommen als Kettengebirge ausgebildeten Razmuöe und weist mit 
seinem Namen auf die Anwesenheit des Apfelbaumes hin. Um 10 Uhr 
hielten wir vor einigen Steinhütten (930 Meter); vor ihnen öffnete sich 
die gut bewaldete, dolinenerfüllte Mulde LjeSevice (790 Meter), die der 
scheinbar nahe Kirchberg von Rudine abschloss. Nun wurde der ohnehin 
schlechte Weg geradezu erbärmlich, so dass selbst mein Diener sich 
die Bemerkung nicht versagen konnte, es wäre das Werk von zwei 
Tagen, wenn ein Bataillon Soldaten die grössten Steine und Zacken 
zerschlüge und so den Pfad wenigstens etwas verbesserte. In einem 
solchen Zustande befindet sich also die vielbegangene Handels- 
strasse von Risano über Grahovo nach Nikäid! Auf sehr steiler Lehne, 
die von Schluchten zerrissen und mit Kalktrümmern übersäet war, 
stiegen wir nicht ohne Beschwerden in jenes Thal hinab und kamen 
in zwei Stunden nach Rudine. Die drückende Hitze, -{-28® C. im 
Schatten, hielt noch immer an, und finstere Wolken lösten sich auf, 
ohne das ersehnte Nass auszuschütten. Endlich — wir waren kaum 
in den engen, verräucherten Han getreten (891 Meter) — rauschte ein 
kräftiger Gewitterregen nieder, der die verschmachtende Natur wohl- 
thätig erfrischte. Im Dorfe wurde gerade Musterung abgehalten, und 
von allen Seiten strömten die Männer herbei. Voran trug der Barjaktax 
das weiss-rothe Banner, und an der Seite des ungeordneten Haufens 
marschirten die Trompeter und Anführer. Von einer einheitlichen Uni- 
formirung war keine Rede, doch gab die Nationaltracht den Leuten 
etwas Gleichartiges. Eben hatten sie sich in Reih und Glied aufgestellt, 
als die Wassermassen des Himmels sie jählings auseinandertrieben. Wir 
Hessen uns etwas zu essen geben; und nicht genug, dass uns der Wirt 
dafür einen unverhältnismässig hohen Preis abverlangte, wir mussten 
sogar — charakteristisch für jene Gegenden — das Wasser bezahlen. 
Die Sonne strahlte in neuem Glänze, auf den Blättern perlten die 
Tropfen in den Farben des Regenbogens, und der Pfad wurde erträg- 
licher. Die militärische Uebung und unser Marsch nahmen ihren Fort- 
gang, und binnen kurzem standen wir an den Trümmern der türkischen 
Kula Trubjelä (908 Meter), die vor 1877 die Grenze bewachte und zu- 
gleich ins Becken von Nikäiä hinabblickte. Eine tief eingerissene Rinne, 
die in Uebereinstimmung mit früher erwähnten Beispielen die verbor- 



Nitch Grahovo, darch di« KrivoSije und zurück nach NikSid. 67 

genen Wasser des Karstthaies Ljeäevice in den Siano Jezero leitete, 
lief zur Ebene hinab, und unser Weg folgte ihr. Am wildverkarsteten 
Bergrande, in dessen Spalten die reichlichen Niederschläge des Mittags 
längst versickert waren, zog sich der vielgewundene Steig abwärts. Ein 
breiter Saum weissen Sandes umgab die schmalen, blauschwarzen 
Wasseradern des Slano-Sumpfes (660 Meter), die in mäandrischen Krüm- 
mungen den schlammigen Boden durchschnitten und theilweise von 
einer trügerischen Pflanzendecke verhüllt waren. Mit verdoppelter 



Schnelligkeit durchschritten wir den unfruchtbaren, feinkörnigen Sand, 
der das anstehende Gestein des Untergrundes verbarg. Unmassen ver- 
faulender Stoffe verbreiteten einen üblen Geruch, und nur wenige Dörf- 
chen lagen in der Umgebung dieses Fieberherdes. Nach einer Stunde 
war dieser traurigste Theil des Nikäieko Polje passirt, den ein Berg- 
ausläufer mit der alten Veste Klaäina einigermassen von den an- 
baufähigen Fluren abschnürte. Der warme Regen hatte Tausende win- 
ziger Frösche hervorgelockt, und gar manches der kleinen Geschöpfe 
musste sein Leben lassen, da wir ihnen trotz aller Vorsicht nicht immer 

5* 



^ 



58 Nach Grab ovo, durch die KrivoSije und zurück nach NikSid. 

auszuweichen vermochten. Auf zwei noch aus der Türkenzeit stammen- 
den Steinbrücken wurden die unansehnlichen Karstflüsse Mostanica 
(652 Meter) und Zeta (661 Meter) überschritten, dann umgingen wir 
den langgestreckten Festungsrücken und kamen um 8 Uhr Abends ziem- 
lich ermüdet vor der Locanda des Vaso Zlatar an. 

Nicht allein an der übergrossen Hitze, die während der nächsten 
Tage anhielt, merkte man, dass der Sommer seine Macht entfaltet hatte. 
Das breite Schneeband, welches bei meinem ersten Aufenthalte den 
Vojnik zierte, war bis auf spärliche Reste verschwunden, und das Ge- 
treide, das auf den Plateaus noch grün aussah, färbte sich hier bereits 
gelb. Auch die Feigen waren reif geworden, und Arso überraschte 
mich eines Morgens mit einem Teller voll dieser köstlichen Früchte, 
die Eingeborene aus den gesegneten Gefilden von Bjelopavlid zum 
Wochenmarkte nach Nikäi<i gebracht hatten. Da wogte ein buntes 
Treiben im Städtchen, denn in Montenegro hat jeder Bazar den 
Charakter eines Jahrmarktes, und aus entfernten Orten strömen die 
Leute herbei, um Einkäufe zu machen, Geschäfte zu besorgen und 
die Annehmlichkeiten des Stadtlebens zu gemessen. Ein alter Vojvoda, 
Peko Pavlovid, der viele Kämpfe durchgefochten und gar manchen 
Türken ins Jenseits befördert hatte, kam mit gemessenem Grruss in 
mein Zimmer, setzte sich ohne weiteres aufs Bett und war bald fest ein- 
geschlafen. Ich gönnte dem weissbärtigen Haudegen die Ruhe und 
betrachtete lange seine ehernen Züge. Ueberhaupt bietet ein 
solcher Bazar die beste Gelegenheit zum Studium der Volkssitte und 
des Volkscharakters, Gute Bekannte, die sich lange nicht gesehen, be- 
grüssen sich mit einem herzhaften Kuss und erneuern ihre Freund- 
schaft durch gegenseitiges Bewirthen. Aber obwohl Wein und Schnaps 
reichlich fliessen, so begegnet man selten einem Betrunkenen; denn 
Trunkenheit gilt als eine Schande, und deshalb war mein Diener in Ce- 
tinje nicht sonderlich geachtet. 

Bei meinem diesmaligen dreitägigen Aufenthalte lernte ich den 
Hospitalarzt Dr. Kustudija, einen feingebildeten Crnogorcen, kennen, 
der das Gymnasium zu Zara absolvirt, in Graz und Wien studirt hatte 
und Italienisch wie Deutsch gleich vorzüglich sprach. Ich verdankte 
ihm eine Fülle von Belehrung und verbrachte in seiner Gesellschaft 
manche angenehme Stunde. Er zeigte mir die Festung und das Ho- 
spital, und als wir dabei die Volksdichte in seinem Vaterlande erörterten, 
theilte er die Ansicht von Schwarz nicht, dass Montenegro bloss 160.000 
Einwohner habe. Mag er mit seiner Annahme von 300.000 Seelen viel- 
leicht etwas zu hoch geschätzt haben, so glaube ich doch, die 



i 



Ueber die Lakavica ins obere Moraöa-Thal. 5q 

Gesammtbevölkerung auf 200.000 bis 250.000 veranschlagen zu dürfen. 
Bei der unstäten Lebensweise der Eingeborenen und bei den grossen 
Entfernungen zwischen den einzelnen Ortschaften ist es sehr schwer, 
eine genaue Zahl festzustellen; immerhin vermuthe ich, dass zur Be- 
rechnung der Steuererträge Volkszählungen abgehalten wurden, und 
dass die Regierung hinreichend genaue Angaben besitzt. Ueber die 
waffenfähige Mannschaft, 45.000 Mann, werden Listen geführt. Ebenso 
widersprach Dr. Kustudija der in älteren Werken verbreiteten Ansicht, 
dass die montenegrinischen Frauen nicht fruchtbar seien, und nach 
dem Kindersegen zu urtheilen, den ich überall fand, kann ich ihm nur 
beistimmen. 



8. Capitel. 

Ueber die Lukavica ins obere Moraöa-Thal. 



Orographisch zerfällt Montenegro in zwei ganz verschiedene Theile, 
in die eigentliche Crnagora (Schwarze Berge) und in die Brda (Berge), 
Jene war eine verkarstete Hochebene mit regellos angeordneten Ober- 
flächenformen, diese ist, entsprechend den veränderten Naturbedingungen^ 
ein scharf markirtes Plateauland mit anderem Vegetations- und Land- 
schaftscharakter. Zwar trägt es in unvermeidlicher Einförmigkeit wie- 
derum kleinere Plateaus, die sogenannten Planinas, aber auch ausdrucks- 
volle Kettengebirge sind ihm aufgesetzt. Wohl nimmt der Karstkalk, der 
den Westen vollkommen beherrscht, ebenfalls weite Flächen des Ostens 
ein, doch treten in der südlichen Hälfte paläozoische und Werfener 
Schiefer auf, und diese undurchlässigen Gesteinsschichten schaffen die 
Grundlage zu einer reichlichen und gleichmässigen Bewässerung. Ein 
Blick auf die Karte zeigt, wie sich die Leben spendenden Wasseradern 
und immerhin gut entwickelten Flusssysteme auf die Brda beschränken, 
so dass Lim, Tara, Piva und Mora^a im westlichen Landestheile nur 
an der Rijeka und Crmnica ein würdiges Gegenstück finden. Dort sind 
die Wasserscheiden deutlich ausgesprochen, hier fehlen sie wegen der 
Beschaffenheit des Kalkes gänzlich oder sind sehr verwischt; kurz, wie 



^O lieber die Lukavica ins obere Mora£a-ThaI. 

die Einsattelung von Podgorica durch die Duga-Pässe nach Gacko eine 
auffallende orographische Trennungslinie darstellt, so deuten die Flüsse 
Moraäa und Piva eine ebenso merkwürdige hydrographische Grenze an. 

Der Morgen des 8. Juli sah uns in der Ebene von NikSid. An 
der langgestreckten TrebjeSka Gora und dem Ozriniä-Berge dahinwan- 
demd, kamen wir zur ti*ockenen Gracanica, die den Nordfuss des letzt- 
genannten Rückens getreulich begleitet und in schmalem Thale aus 
dem Chaos der stark verkarsteten Kalkberge hervorbricht. Noch Hess 
sich die traurige Gegend nicht darnach an, als ob sie in kurzem besser 
werden würde; im Gegentheil, je mehr wir in den quellenlosen Karst 
eindrangen, um so abstossender wurde sie. Das mit Sand und Gerollen 
angefüllte Flussbett wurde einige Male durchquert; denn der Weg lief 
stellenweise in ihm und wurde durch die Fussspuren vieler Menschen 
und zahlreiche Hufabdrücke von Ochsen oder Pferden bezeichnet. Die 
armen Thiere mussten — ein sehr urwüchsiges Verfahren — mit Auf- 
bietung aller Kräfte Bauholz aus den Bergen herabziehen. Nun stiegen 
wir zwischen lichtem Niederwalde langsam an und befanden uns bald 
in ziemlicher Höhe über der Gradanica, die langsam nach rechts umbog 
und unserem Blicke entschwand. Zur Regenzeit steht das Thal völlig 
unter Wasser, und daher führt ein zweiter Saumpfad gleich am Becken- 
rande auf das Plateau. 

Ein junger Montenegriner schloss sich uns bis Dragovoljidi an, 
und unsere durstigen Kehlen hatten den dunkelrothen Zeta-Wein unserer 
bauchigen Feldflasche sehr rasch geleert, zumal die Luftwärme wieder 
-f- 24® C. betrug. Wir begrüssten das Dorfkirchlein (806 Meter) auf 
einem niedrigen Kalkhügel mit Freude und wanderten rasch an den 
zerstreuten Häusern vorüber. Noch betrachtete ich die gut bebaute 
Mulde von Dragovoljid und die uns gegenüber aufgethürmte Prekomica- 
Mauer, als unser Begleiter mit einem grossen Kübel Cisternenwasser 
zurückkehrte. Nicht zufrieden mit einem solchen Beweise seiner Er- 
kenntlichkeit, lud er uns auch in seine Hütte ein; aber ich konnte und 
wollte ihm nicht willfahren, da ich baldmöglichst aus diesen Einöden 
herauszukommen wünschte. 

Die Hochebene, welche von der 2upa und oberen Morada begrenzt 
wird, steigt beiderseits in Terrassen an. Auf unserem Wege konnten 
wir deren vier unterscheiden, und jedes Mal wurden sie durch mehr 
oder minder deutliche Kesselthäler charakterisirt Auf der ersten liegt 
Dragovoljiöi, auf der zweiten das waldige Gornje Polje (950 Meter), die 
dritte ist weniger scharf bestimmt, und auf der\'ierten sind die Kolibas 
von Dresnica 1,1255 Meter) vertheilt Den Scheitel bildet die ausge- 



Ueber die Lukavica ins obere Mora&a-Thal. 



71 



dehnte Konjsko Planina (1471 Meter), die eng mit der wasserreichen 
Lukavica zusammenhängt und steil zur Mrtvica abfällt. Wie im Pre- 
kornica-Gebiete und auf den Ebenen um den Durmitor, so ist auch 
hier bloss der Rand dauernd bewohnt, und die ausgedehnten Grasflächen 
des Innern, die im Sommer Tausenden von Hirten und Heerden zum 
Aufenthalte dienen, sind während des strengen Winters sämmtlich 
verlassen. 

Oberhalb der Felder und Sennhütten des Gornje Polje verschwand 
der Baumwuchs fast spurlos, um sich bis zu unserem Nachtquartier nur 
noch einmal einzustellen. Der Kalk wurde schiefriger, und seine schroffen 
Zacken machten einer sanft gewellten Oberfläche Platz. Trotzdem war 
die Gegend sehr eintönig und entschädigte höchstens durch die umfassende 
Rundschau einigermassen. Vom grünen Plan hoben sich die Häuser 
von Niksid ab, zur Linken leuchteten die Firnflecken der Prekornica, 
und hinter dem Pusti Lisac ragte der heilige Lovden gen Himmel. 

Ein trockener, jäh in einer Dolina endender Bachriss brachte uns 
zu einer Cisterne, und im Schatten einer uralten Buche rasteten wir 
ein halbes Stündchen, um unser kärghches Mittagsmahl in Gestalt 
einiger Kolafen zu verzehren. Die Kolafe (Kuchen) stammt aus Triest 
und ist in den südslavischen Landen ein beliebter Handelsgegenstand. 
Aus Mehl und Wasser ohne jede andere Zuthat gebacken, hält sie sich 
eine unbegrenzte Zeit und ist so hart, dass man sie vor dem Essen 
zerschlagen oder aufweichen muss. Man gewöhnt sich leicht an ihren 
Geschmack, der dem unserer altbackenen Semmeln gleicht, und ich 
habe stets einige dieser Hartbrote bei mir geführt. — Durch einen 
zweiten geröllreichen Wasserriss und längs einer tief ausgefurchten 
Rinne, die jedenfalls nach der Graäanica weist, gelangten wir zu einigen 
Sennhütten, deren Insassen auf der Weide waren. In der Nähe hatten 
die Eingeborenen einen Heuschober aufgeschichtet; als wir jedoch ge- 
nauer hinsahen, bemerkten wir, dass diese schützende Hülle einen mäch- 
tigen Schneehaufen verbarg, der das fehlende Wasser ersetzen musste. 
Bis zur Cisterne des Katuns Dresnica ging es ziemlich eben fort, aber 
dann war ein entsetzlich verkarsteter Rücken zu überwinden, dessen 
nackte, horizontal gelagerte Kalke eine unerträgliche Hitze ausstrahlten. 
Zu den Qualen der Sonnengluth gesellten sich, wie immer, Myriaden 
summender Fliegen, die nicht allein dem armen Kulaä arg zusetzten, 
sondern uns ebenfalls in dichten Wolken umschwärmten und auf keine 
Weise zu verscheuchen waren. 

Schon öfters hatte ich die Leute nach unserem Ziele, dem geheim- 
nisvollen Kapetanovo-See, gefragt und darüber die abweichendsten Ant- 



72 



Ueber die Lukavica ins obere Mora£a-Thal. 



Worten erhalten. In Nikäiä kannte Niemand den kleinen Weiher, und 
auf dem Plateau stiess ich auf eine solche Unwissenheit, dass mir nichts 
übrig blieb, als aufs Gerathewohl fortzumarschiren. 

Alles hat ein Ende, und so lag auch der abschreckende Kalkzug 
glücklich hinter uns. Kräftige Buchen zierten die Hänge, und vor uns 
entrollte sich — welch' überraschender Gegensatz zu den verbrannten 
steppenhaften Flächen des Westens — eine unabsehbare grüne Wiese. 
Bunte Blumen durchwirkten das hohe saftige Gras, und unser stets 
hungeriges Pferd wollte gar nicht mehr von der Stelle, so gut schmeckten 
ihm die zarten Halme. Die anheimelnde Matte erweiterte sich zu einem 
welligen Plateau, und auf dem weichen, 'erdigen Grunde schritten 
wir rüstig aus. Der Himmel hatte sich inzwischen umwölkt, und 
um ^/jS Uhr entlud sich unter Blitz und Donner ein strömender Ge- 
witterregen. In wenigen Minuten waren wir bis auf die Haut durch- 
nässt und irrten rathlos umher, weil uns die Karte in dieser Gegend 
vollständig im Stich Hess. Endlich trafen wir einen Mann, aber der 
Aermste war stumm, und wir verstanden sein Geberdenspiel nicht« Erst 
ein anderer vermochte uns Auskunft zu geben und bedeutete uns, dass 
der dunkle Gebirgswall vor uns der Borovnik und die lachende Gras- 
fläche die Konjsko Planina sei. Nach einem angestrengten einstündigen 
Marsche kamen einige Kolibas in Sicht, und in einer derselben schlugen 
wir unser Läger auf. Schleunigst wurde das Gepäck geborgen, Kula§ 
wälzte sich vergnüglich im Grase und hörte mit Fressen nimmer auf. 
Wir zündeten ein grosses Feuer an, und Arso holte aus den benach- 
barten Hütten Milch und Schnee; denn noch ist die Flur wasserlos, 
und die Senner sind auf die Schneemassen des Borovnik angewiesen. 
Nachdem wir mit Erbssuppe und Cacao unseren Hunger gestillt, schauten 
wir behaglich dem klatschenden Regen zu, der erst gegen 6 Uhr Abends 
nachliess. Mit Einbruch der Dunkelheit wurden die blockenden Heerden 
in die Pferche getrieben, die Hütten füllten sich mit Menschen, 
und wir erhielten Besuch. Ein alter Mann nahm sich unserer be- 
besonders an. Er war erst am späten Abend aus der 2upa heraufge- 
kommen und Hess seine Frau sofort Käse, Milch und Kiselo Mlijeko her- 
beiholen. Zum Schluss halfen uns unsere Gäste beim Zurechtmachen 
der einfachen Schlafstätte und entfernten sich geräuschlos, als sie mich 
einschlafen sahen. Uebrigens wird die Form der Kolibas von nun an 
eine andere, indem statt der kastenartigen Steinhäuser zeltähnliche Holz- 
hütten erbaut sind, deren fest zusammengefügte Stangen spitz zum Dache 
laufen und mit einer dicken Laub- oder Moosschicht überkleidet sind. 



Ueber die Lakavica ins obere Mora£a-ThaI. n'x 

Wegen der beträchtlichen Erhebung der Konjsko Planina über den 
Meeresspiegel ist die relative Höhe der aufgesetzten Gebirge nicht mehr 
bedeutend. Unser Standpunkt überragt sogar den Pusti Lisac, dessen 
Kuppe gerade noch mit ihrer äussersten Wölbung hinter den vorge- 
lagerten Ketten hervorlugt. Auch einzelne Abschnitte des Küstengebirges 
sind wahrnehmbar, sonst ist indessen der Blick beschränkt, weil die Um- 
fassungsrücken der Hochebene die Aussicht versperren. 

Als wir unseren nächsten Tagemarsch begannen, wurde die Gegend 
zusehends freundlicher. Selten kam unter dem Humus der zucker- 
kömige Kalk zum Vorschein, und zahllose Katuns waren im Umkreise 
zerstreut. Die Bergreihen rückten zu einer Thalenge zusammen, und 
ein Urwald kräftiger Buchen zierte den Grund und die Lehnen. Lustige 
Vögel zwitscherten in den Zweigen, der Kuckuk, so recht ein Bewohner 
Montenegros, Hess seinen Ruf erschallen, und mit dem dumpfen Tone 
der Axt vermischte sich das melodische Glockengeläute der Heerden. 
Man glaubte nicht mehr, in der abstossenden Crnagora zu sein, sondern 
fühlte sich eher in unsere mittel-europäischen Länder versetzt. Noch 
mehr, am Thaleingange war eine schmale Rinne ins Gestein gerissen, 
die wir vorher nicht bemerkt hatten. Sie war trocken und mit Gerollen 
besäet; je weiter wir indess vordrangen, um so schneller veränderte sich 
ihr Aussehen. Erst sammelte sich ein wenig, dann immer mehr Wasser 
an, bis wir an einem schäumenden Bache aufwärts wanderten. Fanden 
wir das lange vermisste Wasser, so konnten auch die langgesuchten 
Schiefer nicht mehr fern sein. Die schrofFwandige Erosionsschlucht 
leitete uns zu einer baumlosen Grasmulde namens Bare (1548 
Meter), deren schmale Wasseradern sich im versumpften Erdboden 
verloren oder zu dem eben passirten Hauptbache vereinigten. Der 
Borovnik bog nach Norden um und begrenzte eine lange grasige 
Ebene; das war die Lukavica, die im Haushalte und in der Viehwirth- 
schaft der Eingeborenen eine segensreiche Rolle spielt und eine Wasser- 
scheide zwischen Piva und Zeta, also zwischen Schwarzem und Adriati- 
schem Meere darstellt. Vor uns aber thürmte sich ein grossartiger Kalk- 
zahn auf. Seine dünnbankigen Schichten waren zu scharfen Zacken 
zersägt, und Schutthalden verhüllten die untere Hälfte seiner Gehänge. 
Bereits vom Ostrog aus hatte ich diesen phantastisch ausgearbeiteten 
Berg, den 2urim, gesehen, in dessen Klüfte grauweisse Schneeflecken 
eingebettet waren. Hier murmelnde Bächlein, dort starrer Firn, hier 
saftige Fluren, dort todtes Gestein, unten muntere Heerden, oben ein- 
same Hütten : diese Gegensätze waren das einzig Fesselnde in der öden 
Landschaft. 



HA Ueber die Lakavica ins obere Moraöa-Thal. 

Wir klommen am jenseitigen Rande der Mulde empor, um die 
Kolibas auf einem terrassenartigen Vorsprunge des 2urim (1698) aufzu- 
suchen. Ueberall standen die silbergrauen oder hellbraunen. Werfener 
Schiefer an, so dass wir mit Sicherheit im Bereiche der Triasformation 
waren. Des Holzmangels wegen waren die Sennhütten roh aus Steinen 
errichtet. Die Aussicht, die sie uns darboten, ergänzte das Panorama 
von der Konjsko Planina wesentlich und schloss ein weites Stück der 
Lukavica ein. Unsere Fragen betrafen zuerst den Kapetanovo Jezero, 
und da fand ich bei den allein anwesenden Frauen eine unglaubliche 
Unwissenheit. Nicht einmal die nächste Umgebung kannten sie, so dass 
der See nach den Angaben der einen gleich hinter dem 2urim liegen 
sollte, eine andere wies auf die entgegengesetzte Richtung, diese ver- 
sicherte uns, das kleine Meerauge sei ganz nahe, jene bestritt dieses 
mit aller Entschiedenheit, so dass wir unverrichteter Dinge abziehen 
mussten. Das Räthsel des Kapetanovo-Sees ist noch nicht gelöst, denn 
Rovinski, Baumann und Wünsch, die dieses Gebiet ebenfalls durchforscht 
haben, geben zwei Seen, aber mit verschiedenen Namen — Kapetanovo, 
Crno, Rovaäko, Brniäko und Manito Jezero — an. 

Umschwirrt von abscheulichen Fliegenschwärmen durchstreiften 
wir abermals die Mulde in der Richtung nach einem tiefen Thalriss. 
der von völlig kahlen Bergen auf 150 Fuss Breite eingeengt und von 
einem Bache durchschnitten wurde. Die Randgebirge gingen in steil 
abstürzende Plateaus über, deren Scheitel von unregelmässig angeord- 
neten Erhebungen und Vertiefungen unterbrochen ward. Die Sohle 
bestand aus feiner Erde, die ein Verwitterungsproduct des unterlagemden 
Schiefers war, dabei aber auch die Rückstände des aufgelösten Kalkes 
in sich aufgenommen hatte. Beiderseits mündeten unbedeutende Rinnsale 
in den kleinen Bach ein, und nachdem wir seinen von wilden Trümmer- 
massen fast verschütteten Ausgang nicht ohne Mühe überwunden hatten, 
eilten wir in dem trostlosen Hochthale weiter, bis es an einem flachen, 
schmalen Sattel, einer Wasserscheide, endete. Die einzige Abwechselung 
gewährten die Schneestreifen, die an geschützten Stellen bis auf unseren 
Weg hinabreichten; erst auf dem Sattel stellten sich wieder grüne Wiesen 
und hochstämmige Buchen ein. Zur Linken lief eine grasige Matte 
langsam zum finsteren Berghintergrund und, wie ich leider zu spät 
erfuhr, zum Kapetanovo-See hinauf. Eine neue Schlucht nahm ihren 
Anfang; gar angenehm marschirte sichs an ihren plätschernden Wassern, 
auf dem schwellenden Pflanzenteppich, unter dem Schatten der statt- 
lichen Bäume, und schon nach einer halben Stunde betraten wir das 
versteckte Dörfchen Milin Do (1537 Meter). Seine Holzhäuser, etwa 



Ueber die Lukayica ins obere Mora£a-Thal. y^ 

zwanzig an der Zahl, waren in einem Kessel zerstreut, dessen niedriger 
Umfassungsgrat das Thal zu einer Mulde abschloss. Kaum hatten wir uns 
niedergesetzt, so strömte das Volk zusammen, und im Nu drängten sich 
mindestens fünfzig Männer und Weiber um uns herum, die mich mit 
offenen Augen anglotzten, als ob sie noch nie einen Fremden gesehen 
hätten. Alles wurde betastet, nach Allem gefragt; Barometer, Thermo- 
meter und noch mehr der Feldstecher, mit dem ich die gewaltige Fels- 
pyramide des schneebedeckten Maganik betrachtete, erregten ihr höchstes 
Erstaunen, und als ich ihnen die Nadel des Compasses zeigte, die sie 
trotz alles Schütteins und Drehens nicht aus ihrer Richtung bringen 
konnten, während ich sie mit dem Taschenmesser flugs im Kreise 
herumdrehte, waren sie geradezu sprachlos. Endlich raffte sich eine 
Frau auf, mir eine Schale saurer Milch zu bringen, und dann sagten 
wir den kindlich-aufdringlichen Leuten Lebewohl, um in steil geböschter 
Bachschlucht 600 Meter tief zur Mrtvica hinabzuklettern. 

Die Schiefer gewannen beim Abstieg die Oberhand. Auf beschwer- 
lichen Zickzackpfaden durchmassen wir eine Zone, in der sich beide 
Gesteinsarten innig miteinander vermengten, bis der Schiefer vorherrschte. 
Am linken Hange gingen seine dünnblätterigen Schichten viel weiter 
in die Höhe als am rechten und entsandten zahllose Rinnsale; 
an der anderen Seite dagegen trat nicnt ein einziges Aederchen 
aus. Endlich waren wir in eine neue Welt gelangt. Ein hochstämmiger 
Wald stieg von den Gipfeln herab ins Thal, wo Bach an Bach dahin- 
rauschte, zahllose Quellen murmelten, und wo das dichte Grün des 
Laubdaches die Hitze milderte. Bald hier, bald dort tauchte aus einer 
Lichtung ein Häuschen auf, und der Weg, der mit den erbärmlichen 
Pfaden des Karstes nicht mehr verglichen werden konnte, brachte uns 
nach 3 Uhr in das weit zerstreute Dorf Velje Duboko (933 Meter). Es 
war wie ausgestorben, da sich seine Bewohner fast sämmtlich auf der 
Alm befanden. Ein Eingeborener Hess sich erst nach eindringlichem 
Zureden herbei, uns in sein Haus aufzunehmen. Immer rief er aus, er 
sei ein armer Mann und könne einem Fremden nichts bieten. Wir 
betonten, dass wir mit Wenigem gern vorlieb nehmen wollten und dass 
wir vor Allem ein Unterkommen wünschten. Endlich erklärte er sich 
bereit, uns zu beherbergen und erfüllte seine Obliegenheiten als Wirth 
aufs beste. Er brachte Honig, Milch und wilde Kirschen, Abends gab 
es sogar Fleisch, das allerdings einen bedenklichen Geruch und Ge- 
schmack hatte, und aus Stroh und Reisig wurde ein bequemes Lager 
für mich bereitet, während die anderen sich auf den blossen Dielen 
niederlegten. Ich merkte schon am Tage, dass es Ungeziefer gab; doch 



yß Ueber die Lukavica ins obere Mora£a-Thal. 

als ich schlafen wollte und das Dunkel der Nacht den stillen Raum 
einhüllte, da wurde es überall lebendig. Aus dem Stalle unterhalb der 
sogenannten Stube kamen die widerwärtigen Insecten herauf, von der 
Decke fielen sie herab, von den Seiten krochen sie heran. Ueberall 
machten sie sich fühlbar und peinigten mich derartig, dass ich keine 
Secunde Ruhe hatte. Bleiern verflossen die Stunden dieser verwünschten 
Nacht, und schon beim schwachen Morgengrauen entfloh ich aus dem 
schrecklichen Gefängnisse, um im klaren Flusse den zerstochenen 
Körper abzukühlen, der so viele rothe Punkte aufwies, als ob er von 
der Masernkrankheit ergriffen wäre. 

Velje Duboko liegt in dem tief eingerissenen Thale der Mrtvica 
oder, wie sie im Oberlaufe heisst, der Velje Rijeka. So schmal ist der 
Grund, dass er nur dem mit lockeren oder verbackenen Gerollen er- 
füllten Flusse Platz gewährt, weshalb sich die Hütten ängstlich an die 
Abhänge schmiegen. Der Ort verdient seinen Namen »Grosse Tiefe« 
mit Recht, denn beiderseits ragen die schrofien Bergzüge des Maganik, 
Brnik und der Siljevica zu beträchtlicher Höhe empor, um als maje- 
stätische Ketten steil zur Mora^a abzustürzen. Gleich unterhalb der 
letzten Häuser verengen sich die senkrechten Wände zu einem un- 
passirbaren Caflon; daher klimmt der Saumpfad bis Lijesnje rasch an 
der Berglehne hinan, und dieser steile Aufstieg, der stellenweise einen 
rothbraunen Schiefer aufschloss, war das einzig Anstrengende auf unserem 
heutigen Tagemarsche. 

Hinter Lije§nje (1163 Meter) wandten wir uns vom Mrtvica-Schlunde 
ab und gingen am Hange des Lukanjedelo langsam abwärts. Leider 
forderte die schlaflose Nacht ihr Recht, so dass ich nur mit getheilter 
Aufmerksamkeit in der idyllischen Gegend Rundschau hielt und die reiz- 
vollen Ausblicke auf das Moraäa-Thal kaum beachtete. Bald ruhte ich unter 
schattigen Baumkronen, bald im weichen Farnkraut, am rauschenden Quell 
oder an silberhellen Bächen, und längere Zeit rasteten wir im Weiler Jase- 
novo (856 Meter). Die Leute hatten bloss Skorup (eine Art dicker, süsser 
Milch) zu essen, an dessen Geschmack ich mich nie gewöhnen konnte, 
und so musste ich müde und hungrig wieder aufbrechen. Mit zuneh- 
mendem Abstiege mischten sich Eichen unter die Buchen, und aller- 
wärts verkündeten Kartoffel- oder Getreidefelder die Anwesenheit fleissiger 
Menschen. Giessbäche zerfurchten das wenig widerstandsfähige Gestein, 
der Kettencharakter der Moraca-Gebirge wurde immer ausgesprochener, 
und plötzlich entrollte sich in der Ferne die stolze Mauer des Kom. 
Zum ersten Male sah ich Montenegros zweithöchsten Berg, und dun- 
stiges Gewölk umwallte wie ein feiner Schleier die Zinnen des altehr- 



Ueber die Lukavica ins obere Moraöa-Thal. 



n 



würdigen Grenzpfeilers. Endlich standen wir an der Moraöa, die eine 
viel schärfere Rinne als die Duga-Pässe darstellt» weil ihre absolute Höhe 
bei Kloster Moraäa erst 280 Meter und die relative Höhe ihrer Um- 
gebung 900 Meter und mehr beträgt. Die Duga-Pässe dagegen er- 
reichen rasch 1400 Meter und sind viel weniger tief in die benachbarten 
Plateaus eingesenkt. Noch verbargen die waldigen Ausläufer das er- 
sehnte Monasterium; aber nach kurzer Thalwanderung leuchteten uns 
seine Gebäude aus nächster Nähe entgegen, und 74 2 Uhr hielten wir 
vor seinem Thore (314 Meter). 

Kaum hat die schäumende Morada ihr Ursprungsgebirge, die 
Javorje Planina, verlassen und ist mit sanfterem Gefälle in die Ebene 
des Moradki Monastir eingetreten, so vertauscht sie die enge Thalrinne 
ihres Oberlaufes mit einem schauerlichen Ca&on, den sie bis zur Ebene 
von Podgorica beibehält. Einige Male treten die umgebenden Berg- 
ketten und Plateaus auseinander, und die so entstandenen Becken, zu 
denen das eben erwähnte gehört, * waren von Seen eingenommen, die 
der reissende Gebirgsstrom nach und nach anschnitt und entleerte. 
Steigen wir zu seinen schäumenden Fluthen hinab, die beim Kloster eine 
feste Steinbrücke überspannt, so finden wir unter seinen colossalen 
Geröllmassen Kalke aller Farben und Grössen, dunkelgrüne Diabase, 
paläozoische und Werfener Schiefer, und mächtige Blöcke haben sich 
von den schroffen, höhlenreichen Wänden abgelöst, deren mittelgrosse 
Conglomerate durch ein ockeriges Cement nicht allzu fest verkittet sind. 
Kleine Wasserfälle, welche die einschneidende Wirkung des Wassers 
gut zum Ausdruck bringen, hüpfen in lustigen Sprüngen zur blau- 
grünen Morada hinab, und auf der etwa 50 Meter hohen Flussterrasse 
ist das Kloster errichtet, welches die Gebeine des heiligen Stephan birgt. 
Es ist das grösste seiner Art in Montenegro und streitet sich mit Piva 
um den Ruhm, das älteste zu sein, denn ein unscheinbares Häuschen 
mit Malereien religiösen Inhaltes soll noch aus den Zeiten der Nemanja 
(13. Jahrhundert) stammen. Das Innere der Kirche ist ebenfalls mit 
zahlreichen Wandmalereien geziert, unter denen neben einem eigenartig 
ausgeführten Teufelssturz die langen Gestalten der Heiligen auffallen, 
deren Füsse im Verhältniss zur Körperlänge viel zu kurz gerathen sind. 
Neben der Kirche steht die Schule, ihr gegenüber ein grosses Gebäude, 
in welchem die Wohnung des Igumans, die Fremdenzimmer und ein 
von zwei Glocken eingenommener Altan untergebracht sind, und um 
den gepflasterten Hof läuft eine mit Schiessscharten versehene Mauer. 

Im gesammtenFürstenthume gibt es dreizehn Klöster, nämlich rOstrog, 
Cetinje, Moraöki Monastir, Pivski Monastir, ;?ldrebanik, Öelija Piperska, 



yS Ueber die Lukavica ins obere Moraöa-Thal. 

Duga, Kosijerevo, Bijela, Bröele, Podmalinsko oder Suma, endlich die neu 
erbauten Klöster Sveti Luka und Vranina. Jedes derselben steht unter 
einem Iguman (Abt) oder Kaludjer (Mönch), nur in Kosijerevo und im 
Doppelkloster Ostrog sind deren zwei, und Vranina und Brßele werden 
vorläufig von einem zeitweilig anwesenden Popen verwaltet. 

Die höhere oder Kloster-Geistlichkeit darf nicht heiraten und er- 
hält ein gewisses Jahresgehalt. Die niederen Geistlichen oder Popen 
unterscheiden sich äusserlich bloss dadurch von dem gewöhnlichen 
Volke, dass sie einen Backenbart tragen; bei heiligen Handlungen legen 
sie die Vl^affen ab und ziehen das Ornat über ihre Kleider. Die niederen 
Geistlichen dürfen heiraten, aber nur einmal, und jeder Montenegriner, 
den das geistliche Oberhaupt, der Erzbischof in Cetinje, weiht, kann 
Pope werden, zumal mit dieser Würde kein Anspruch auf Gehalt ver- 
bunden ist. 

Der würdige Abt, Michail Dosiö, ein sehr sympathischer Mann in 
den besten Jahren, nahm mich mit' derselben Freundlichkeit auf wie 
meine Vorgänger Schwarz, Tietze, Baumann und Wünsch. Er hatte in 
Belgrad studirt, und sein ganzes Wesen zeugte von einer umfassenden 
Bildung; aber nicht allein seinen Beruf verstand unser Wirth vortrefflich, 
er hatte sich auch im Kriege als vorsichtigen Commandanten und tapferen 
Krieger bewährt, als Mehemed Ali Pascha von KolaSin aus verwüstend 
ins obere Moraäa-Gebiet einfiel. Am anderen Morgen wurde das Fest 
des heiligen Stephan abgehalten, und zur Unterstützung des Igumans 
war Michail Radovid, der Pope der Parochie Gornje Morada (Obere 
Moraöa) aus dem Kirchdorfe Polje herübergekommen. In ihm lernte ich 
einen nicht minder gebildeten Montenegriner kennen, der in Wien und 
Petersburg gewesen war und in allen Fächern des Wissenswerthen 
guten Bescheid wusste. Zu ihnen gesellte sich ein Baumeister aus Bije- 
lopolje (Sandäak Novibazar), der geschäftlich hier zu thun hatte, und 
lebhaft plauderten wir im Zimmer des Igumans oder lustwandelten unter 
den Pflaumen- und Apfelbäumen des Klostergartens, bis mich schliesslich 
die Müdigkeit übermannte. Ich erwachte erst, als ein heftiger Gewitter- 
regen an die Fensterläden schlug und den heissen Tag wohlthuend 
abkühlte. 

Am II. Juni weckte mich schon früh das feierliche Glockengeläute, 
und unverweilt eilte ich auf den Hof, auf dem es bereits von Cmo- 
gorcen wimmelte. Um g Uhr sollte der Gottesdienst beginnen, und um 
die viel beschäftigten Geistlichen nicht abzuhalten, erging ich mich am 
Flusse, bis mich der helle Glockenklang wieder hinüberrief. Ehrerbietig 
räumte mir die andächtige Menge den vordersten Platz ein, und die 



Ueber die Lukavica ins obere Moraöa-Thal. 



79 



heilige Handlung nahm ihren Anfang. Sie beschränkte sich auf das 
Vorlesen einzelner Bibelstellen und auf das Absingen einer monotonen 
Liturgie, die der Abt allein oder abwechselnd mit einem gewöhnlichen 
Manne vortrug. Das Volk begleitete die Ceremonien mit Kreuzeschlagen, 
Verbeugungen, Küssen des Fussbodens und der Heiligenbilder, ja einige 
Frauen krochen unter die Decke des hölzernen Altars und warteten 
in dieser gebückten Stellung das Ende des etwa halbstündigen Gottes- 
dienstes ab. Zuletzt erhielt Jeder der Anwesenden das Abendmahl in 
Gestalt eines Stückchens Brot, und dann verlief sich die Menge, um im 
Klosterhofe zu plaudern oder sich im Han zu erfrischen. 

Die Niederschläge des gestrigen Abends hatten die gehoffte Ab- 
kühlung nicht gebracht, und wir sassen noch beim Frühmahl, als sich 
der Himmel von Neuem umdüsterte. Doch wir mussten aufbrechen, da 
Polje, unser heutiges Ziel, sechs gute Stunden entfernt war und da der 
liebenswürdige Pope durch seinen Diener unsere Ankunft bereits an- 
gemeldet hatte. Mit herzlichem Gruss und Handschlag schieden wir von 
unserem Iguman, aber schon nach kurzer Zeit rauschte ein wolken- 
bruchartiger Gewitterregen nieder, der uns in wenigen Minuten durch- 
nässte, den Weg in einen schlüpfrigen Morast verwandelte und mit 
geringen Unterbrechungen von '/^ 2 bis 4 Uhr anhielt. Umkehren 
wollten und konnten wir nicht mehr, darum vorwärts, es sei dem, wie 
es wolle! Wie mir der verständige Pope später mittheilte, kam dieser 
Regen vom Meere, weil er nach Westen, also nach dem Meere zu an 
Stärke gewann und weil er in Cetinje ebenfalls aufgetreten war. Sonst 
haben die östlichen Landestheile vorzugsweise Nord- oder Nordostregen, 
die aus Bosnien oder Serbien herüberkommen und über die Osthälfte 
Montenegros nicht weit hinausgehen. 

Kaum hatte das Gewitter etwas nachgelassen, als wir schleunigst 
den jäh gestörten Marsch fortsetzten und uns zuerst im Thale hielten. 
W^ir zogen längs der munteren Moraäa hin; aber schnell drängten sich 
ihre steilen Uferwände zusammen, und es wurde uns klar, dass wir 
falsch gegangen waren. Aufs Gerathewohl schlugen wir uns in die Büsche 
und bemerkten bald ein Bauernhaus, dessen Bewohner uns die Richtung 
angaben, in welcher wir auf den rechten Weg stossen würden. Ueber 
100 Meter mussten wir auf dem aufgeweichten Boden steil emporklettern, 
bis wir den bequemen Pfad erreichten, der nunmehr viel langsamer 
aufstieg und sich schliesslich ebenso langsam zum Flusse senkte. Noch 
manchmal überraschten uns kurze, heftige Schauer, und der Abend 
näherte sich mit starken Schritten, als wir, in Jablan (680 Meter) ein- 
treflfend, Zweidrittel der gesammten Wegstrecke zwischen dem Kloster 



So Ueber die Lukavica ins obere Moraöa-Thal. 

und Polje zurückgelegt hatten. Die Brücke, die oberhalb Jablan sein 
sollte, war bei der ungenauen Darstellung und dem kleinen Massstabe 
der Karte nicht zu finden, und überdies wussten die allein anwesenden 
Frauen nichts von einer solchen. So mussten wir in einem grossen 
Bogen den Unterlauf des tief eingerissenen Wildbaches Po2nja umgehen, 
der wie viele seinesgleichen in den wenig bekannten Schluchten des 
Tali und der Kapa Moraöka entspringt. Der wolkenverhangene Himmel 
begünstigte die wachsende Dunkelheit, und um Va 8 Uhr standen wir 
rathlos an der brausenden Morada (516 Meter), in der wir weder eine 
Furt, noch am anderen Hange einen Pfad erblickten. Glücklicherweise 
watete als hochwillkommener Deus ex machina ein junger Bursche durch 
den knietiefen Fluss ; er führte das Pferd hinüber, nahm mich auf seinen 
Rücken und Hess sich durch ein kleines Geldgeschenk bewegen, uns 
nach dem eine halbe Stunde entfernten Polje zu geleiten. Bei völliger 
Finsterniss betraten wir die Schule (669 Meter), in der unser Wirth 
wohnte. Wir waren keine unbekannten Gäste mehr, denn der Diener 
des Popen hatte Alles pünktlich ausgerichtet. Die Popadija (Frau des 
Popen) und der Pope Savo Rube^iö aus Plana bei Kolaäin, der seinen 
Freund und Amtsgenossen bis zu dessen Rückkehr vertrat, empfingen 
uns aufs freundlichste; das Abendessen war schon zubereitet, und nach 
unserer leiblichen Stärkung entledigte ich mich der feuchten Kleider, 
um, froh über unsere Ankunft, das einfache Lager aufzusuchen. 

Die Gornje Moraöa besitzt den Charaktfer der zuletzt durchwanderten 
Gebiete in vollstem Masse. Sie bildet eine anmuthende Wald-, Wiesen- 
und Parklandschaft, welche die starren Schönheiten des Hochgebirges 
mit dem liebHchen Zauber des Mittelgebirges vereinigt. Viele Berge 
sind bis zur Spitze von einem grünen Grasteppich oder von dichtem 
Laubholze verhüllt; die höchsten Gipfel jedoch, die aus Triaskalk be- 
stehen, ragen in schroffen, nackten Mauern auf und bergen ewigen 
Schnee in ihren Schluchten. Theils enden sie in abgeplatteten Rücken, 
z. B. Vrmac, Kapa MoraCka, Javorje Planina, theils in ausdrucksvollen 
Zinnen oder scharfen Kämmen, wie z. B. die meisten Berge der Moraiko 
Gradiäte, der Tali, Zebalac, Podzki Vrh und viele andere. Zahllose 
Quellen und Bäche durchschneiden in schmalen Klammen jene viel- 
gegliederten, schwer zugänglichen Gebirgsmassive, und das tiefste Bett 
hat sich die Morada gegraben, die unter ihren Gerollen nicht selten 
hausgrosse Blöcke führt. Auf den Hochwiesen und zwischen den aus- 
gedehnten Buchenwäldern der unteren Lehnen liegen die stattlichen 
Dörfer. Sie erfreuen sich eines so milden Klimas, dass der Schnee nach 
Aussage der Einheimischen nur V2 bis i Meter hoch fällt und sich 



lieber <iie Lukavio im obere Moraüa-Th«], gj 

höchstens 8 bis 14 Tage hält. In den oberen Theilen ist das Klima 
natürlich rauher, und häufige Lawinenspuren erinnern dort an die Schnee- 
massen des langen Winters. 

Unser Wirth kam erst am nächsten Morgen an, und inzwischen 
war mir Pope Savo, der die gleichen Reisen wie Pope Michail unter- 



nommen hatte und sich ebenfalls durch eine gediegene Bildung aus- 
zeichnete, ein lieber Gesellschafter. Ich musste den ganzen Tag in 
Polje bleiben und kann wohl sagen, dass dieser Aufenthalt mit zu 
meinen schönsten Erinnerungen gehört Wir erörterten politische und 
wissenschaftliche Fragen ; über die Landeskunde jener Gegenden erhielt ich 
manche werthvolle Aufklärung, und mit den Principien des Thermometers 



g2 Ueber die Lukavica ins obere Morada-Thal. 

und Barometers, des Luftballons u. s. w. waren beide um so mehr 
vertraut, als sie ein gutes serbisches Lehrbuch der Physik besassen. 
Pope Michailwar auch sonst ein sehr belesener Mann; leider ging 
durch einen unglücklichen Zufall sein Haus in Flammen auf, und er 
vermochte nur das Wenigste von seiner Habe und von seinen Büchern 
zu retten. 

Am Nachmittage hatte ich Gelegenheit, einer Taufe beizuwohnen, 
zu welcher ausser der Mutter, die den Säugling trug, und einem 
ihrer kleinen Söhne Niemand erschienen war. Die Mutter gab den 
Täufling ihrem Sohne und blieb bis zum Ende der Feierlichkeit vor 
der Kirchenthüre sitzen. Der Geistliche warf im Gotteshause das Ornat 
über und sagte lächelnd die vorgeschriebenen Gebete her oder schlug 
mechanisch seine Kreuze, wobei er den Knaben einige Male aus- 
schalt, wenn er die Ceremonien nicht richtig befolgte. Hierauf be- 
goss er den Täufling, der schrie, als ob er am Spiesse stäke, mit nicht 
gerade warmem Wasser, schnitt einige Haare von dessen Haupte ab 
und Hess sie durch den Jungen an die Kirchenwand kleben. Damit 
war der heilige Act zu Ende, da ein Taufschein oder ein anderes 
Schriftstück nicht ausgefertigt wird. 

Was den Aufenthalt beim Popen Michail besonders angenehm 
machte, war die gute Küche seines Hauses. Zu jedem Mahle setzte uns 
die Popadija etwas anderes vor, und ich bedauerte es lebhaft, dass sie, 
die eine der schönsten Frauen Montenegros war, durch die Stellung ihres 
Geschlechtes zu übergrosser Zurückgezogenheit gezwungen ward und 
dass sie statt mit uns mit der Dienerschaft in einem anderen Räume 
essen musste. Sie trat nur in unser Zimmer, um ihren Gemahl und die 
Gäste zu bedienen und drehte uns beim Hinausgehen nie den Rücken 
zu. Bei diesem verständigen Manne und bei anderen vornehmen Monte- 
negrinern nahm die Frau also noch eine niedrige Stellung ein, die in- 
dessen durchaus nicht als ein Sklavereiverhältniss aufzufassen ist. Im Gegen- 
theil, auch hier herrscht ein herzliches Zusammenleben, die jungen 
Burschen und Mädchen scherzen fröhlich miteinander, und viele schöne 
Sagen, z. B. das montenegrinische Weib, das Mädchen auf dem Amsel- 
felde, der Mädchensprung, preisen das Eheglück und die innige Liebe 
zwischen den Familienangehörigen in tief empfundenen Worten. Nicht 
die Missachtung, sondern die Achtung der schwächeren Frau ist der 
Grund, weshalb sie auch zur Zeit der Blutrache unverletzbar war, im 
ganzen Lande sicherer einhergeht als bei uns und selbst die berüchtigtsten 
Theile Albaniens ohne Furcht betreten kann. Andererseits versteht es 
die Frau, ihrem Gatten das Dasein so zu vergällen, dass sie ihn — 



Ueber die Lukavica ins obere Mora£a-Thal. 33 

und Dr. Kustudija erzählte mir einen solchen Fall — sogar zum Selbst- 
morde treibt. Bei einem kriegerischen Volke mit ursprünglichen Sitten 
ist es natürlich, dass der Mann in höherem Ansehen steht, und deshalb 
hat sich aus der alten Zeit die Sitte erhalten, dass sich Frauen und 
Mädchen beim Herankommen eines Mannes erheben, um ihm die Hand 
zu küssen oder seinen Gruss abzuwarten, da sie es nicht wagen, ihn 
zuerst anzureden. In der ihnen zufallenden Arbeitslast sehen die weib- 
lichen Familienmitglieder nichts Ungewöhnliches, handelten doch ihre 
Mütter und Grossmütter nicht anders. Und in der That, bewunderns- 
werth ist der Fleiss der Montenegrinerinnen. Selbst wenn sie schweres 
Gepäck schleppen müssen, führt die geschäftige Hand den Spinnrocken 
oder den Strickstrumpf. Wenn ihre Gebieter, die übrigens auch fleissige 
Arbeiter sind, nach vollbrachtem Tagewerke gemächlich am Herde 
lagern und ihre Pfeife rauchen, müssen sie noch Wasser holen, die 
Kinder besorgen, das Vieh melken, den Milchkessel über das Feuer 
hängen, das Essen bereiten u. s. w. Zugleich werden aber die Frauen 
viel selbstständiger als bei unsf Auf den denkbar schlechtesten 
Wegen tragen sie Lasten , vor denen selbst unsere tüchtigsten Bäue- 
rinnen zurückschrecken würden, und im Kriege ersetzen sie den 
Train und die Krankenpfleger, ein Vortheil, der bei der beschränkten 
Zahl der waffenfähigen Mannschaft im Verhältniss zu der feind- 
lichen Uebermacht geradezu unschätzbar ist. Allerdings darf nicht 
geleugnet werden, dass die Stellung der Frauen noch mancher Ver- 
besserung bedarf, wenngleich dieselbe schon längst nicht mehr für so un- 
würdig gilt, dass sich kein Crnogorce öffentlich neben seiner Gemahlin 
zu zeigen wagte. Am Volksschulunterrichte nehmen jetzt auch die Mädchen 
theil, das Mädchen-Institut in Cetinje hat den Zweck, seine Zöglinge zu 
verständigen Hausfrauen heranzubilden, das Herrscherhaus und die ein- 
flussreichen Persönlichkeiten geben durch die Gleichstellung ihrer Frauen 
und Töchter ein segensreiches Beispiel, und nun mögen auch die 
anderen ihnen nachahmen, damit die montenegrinische Frau immer 
mehr eine gleichberechtigte Gehilfin ihres Mannes werde. 



6* 



84 Durch das Tu§ina-Thal auf dea Vojnik uad nach Bresna. 



g. Capitel. 

Durch das TuSina-Thal auf den Vojnik und nach 

Bresha. 



Am 13. Juli mussten wir von Polje scheiden, und beide Popen 
Hessen es sich nicht nehmen, uns bis auf die Javorje Planina das Geleit 
zu geben. Nach einem aus zarten Forellen bestehenden Frühstück wurde 
das Pferd beladen, und wohlgemuth wanderten wir auf dem steilen, 
aber nicht zu unbequemen Saumwege fort, der hoch über der Morada 
hinlief. Die Javorje Planina schob einen scharf markirten, dicht be- 
waldeten Ausläufer vor, der das Thal in zwei Hälften theilte. Aus 
der einen kam die Morada, aus der anderen, in welcher wir gingen, 
eilte ihr wichtigster Quellfluss, der Javorjski Potok, herab. 

Nach kurzer Wanderung stellen sich die freundlichen Holzhäuser von 
Aluga (993 Meter) ein, die an der Grenze der verkarsteten Kalke und 
der von Eruptivgesteinen durchbrochenen Schiefer liegen, und vorbei 
an mehreren Kolibas (1268 Meter) steigen wir langsam zu dem eben 
genannten Bache ab. Eine tiefe, passartige Einsattelung, das Dobri Do 
(Gutes Thal), öffnet sich. Kalkbreccien und Sandsteine setzen abwechselnd 
mit dem unvermeidlichen Kalke den Untergrund zusammen, und im 
Schatten alter Buchen erklimmen wir die rasch abfallenden Gebirgshänge. 
Kurz nach 12 Uhr stehen wir auf dem Scheitel der Javorje Planina 
(1634 Meterj, die nach Nord und Süd steil abstürzt und auf der Höhe 
in einem wellenförmigen Plateau endet. Kaum einen Kilometer breit, 
trägt es zahlreiche Sennhütten und bezeichnet zugleich die Stelle, wo 
sich die Wasserscheide der ins Schwarze und Adriatische Meer fliessenden 
Gewässer so verschmälert, dass zwei nach den entsprechenden Stromge- 
bieten abrinnende Quellen nur 50 Meter von einander entfernt sind. Zugleich 
gestattet es eine umfassende Aussicht auf das obere Moraöa-Gebiet und 
auf das Tu§ina-Thal; hier begrenzen das Granze die wilden Zacken des 
Durmitor, dort grüsst aus blauer Ferne der dreigipfelige Kom herüben 
Pope Michail besass auf der würzigen Alpenweide eine Koliba, und heim- 
lich Hess er die Hirten saure Milch für uns herbeibringen. Nach einer 
Stunde trennte ich mich mit herzlichen Dankesworten von unseren 



Durch das Ta§ina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 35 

Freunden, die ich leider zu bald wieder verlassen musste, und beflügelten 
Schrittes eilten wir am jenseitigen Gehänge hinab. 

Wir betraten die äussersten Enden des Durmitor und mit ihnen 
eine durchaus andere Landschaft, nämlich die der Canons. Zwar ver- 
räth das obere Tulina-Thal den Cafion-Charakter noch wenig; aber je 
mehr man es abwärts verfolgt, um so höher und schroffer werden seine 
Ränder. An die Tuäina schliessen sich Bijela, Bukovica, Komarnica und 
Piva, die an Grossartigkeit die Tuäina übertreffen, ihrerseits aber von 
den schauerlichen Tara-Schluchten in den Schatten gestellt werden. 
Wie mit einem Messer scheinen sie in die ausgedehnten Plateaus ein- 
geschnitten zu sein, aus denen das Durmitor-Gebiet besteht, und die 
gähnenden Schlünde werden meist nicht eher sichtbar, als bis man un- 
mittelbar vor ihnen steht. Diese Rinnen, die in mancher Beziehung als ein 
würdiges Seitenstück zu den berühmten Cafions des nord-amerikanischen 
Colorado gelten können, bedeuten für den freien Verkehr ein sehr un- 
erwünschtes Hinderniss. Obwohl sie so schmal sind, dass sich die Um- 
wohner mit ihren langgedehnten Rufen hinüber und herüber verständigen, 
können, so sind Ab- und Aufstieg nur an einigen Stellen möglich und er- 
fordern stundenlange Umwege. Aus diesen Gründen bildet das Tara-Thal eine 
natürliche Grenze zwischen der Crnagora und dem SandSak Novibazar. 

Je mehr die Kettengebirge den Hochebenen Platz machten, um so 
eintöniger wurde die Gegend, und der Waldbestand nahm auffallend ab. 
Die Uferränder der Tusina wurden durch übereinstimmende Stufen, die 
ehemaligen Flussterrassen entsprachen, in mehrere Abschnitte gegliedert, 
auf denen die Ortschaften, z. B. Zirovac (1232 Meter) und ihm gegen- 
über Bare, errichtet waren. Auch hier herrschten die Werfener Schiefer 
und die in ihrem Bereich so oft auftretenden Diabase vor; daraus er- 
klärte sich der Wasserreichthum des Flusses und die sanfte Abrundung 
der Ufer im Gegensatze zu den kantigen Zacken der auflagernden 
Kalke. Der Regen und die Quellen hatten in dem weichen Verwitterungs- 
schutte häufig erdpyramidenartige Ansätze herausgearbeitet, und mächtige 
Trümmermassen engten zuweilen das Thal ein. Um 4 Uhr erreichten 
wir die ersten Häuser von Tusina, die unter dem Namen Bohan zu- 
sammengefasst werden und auf einer niedrigen Flussterrasse (1095 Meter) 
liegen. Sie hatten ein sauberes Aussehen und waren fester gebaut als 
die anderen Wohnstätten jenes Gebietes. Das neugierige Volk verleidete 
mir jedoch mit lästigen Fragen den Aufenthalt, und ich suchte mir dadurch 
etwas Ruhe zu schaffen, dass ich mich auf den offenen Brief des Ministers 
berief. Das half. Sofort wollte man mir einen ortskundigen Führer mit- 
geben, ja man forderte mich auf, in Bohan zu übernachten. Ich lehnte 



g5 Durch das Tu§ina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 

beides dankend ab und nahm nach einem Trünke schwarzen Kaffees 
meine Wanderung wieder auf. 

Das Thal verengte sich rasch zu einem ausgesprochenen 
Canon, und horizontal geschichtete Conglomeratbänke, die beiderseits 
den Wasserspiegel um 20 Meter überragten, zeigten an, dass die Tu§ina 
einst eine bedeutendere Höhe besass. Ein kümmerlicher Pfad führte 
an der schroffen, ebenfalls von Terrassen unterbrochenen Wand hin und 
verlor sich schliesslich im Grase. Plötzlich standen wir vor einem 
finsteren Spalte, den die fessellosen Wasserkräfte in das Gestein ge- 
wühlt hatten. Gewaltige Trümmer, Kalke, Diabase, Schiefer- und Horn- 
steine mit rothen Jaspissen, erfüllten die Tiefe, und ein krystallheller 
Giessbach brauste über das Gestein, das Getriebe einer Mühle (983 Meter) 
in Bewegung setzend. Das war die Bukovica, die Durmitorgeborene, 
die in lustigen Sprüngen zur TuSina eilte. 

Der Himmel, der sich schon im Laufe des Nachmittags umwölkte, 
machte ein immer drohenderes Gesicht. Doch schon winkte unser Ziel, 
das Kloster Podmalinsko, und ich freute mich der guten Aufnahme, die 
mir ein Briefchen seitens des Popen Michail zusichern sollte. Als wir 
indessen ankamen, war der Kaludjer nirgends zu entdecken, und das 
Monasterium bestand aus einem Kirchlein und einem wenig einladenden, 
gefängnissartigen Hause. Wir traten in die Thüre, um den Regen ab- 
zuwarten, und gleich darauf erschien ein Mann aus einer benachbarten 
Hütte mit der Nachricht, der Mönch sei vor wenigen Minuten nach 
Kloster Bijela gegangen; obendrein verkündete uns der gesprächige 
Bote, dass es hier nichts zu essen gäbe. Wir sagten ihm, dass wir selber 
genug Vorräthe hätten, und richteten uns zum Dableiben ein. Mein 
Diener Hess die Vermuthung laut werden, der Mönch sei vielleicht gar 
nicht nach Bijela, sondern in die Hütte jenes Mannes gegangen, weil sein 
armes Kloster nichts bieten konnte und er sich deshalb schämte, uns 
persönlich zu empfangen. So kauften wir uns zu unseren Conserven 
etwas Brot, Käse und saure Milch und legten uns frühzeitig zum Schlafe 
nieder. 

Frohen Herzens kehrte ich Podmalinsko (969 Meter) den Rücken, 
denn nun näherten wir uns dem lange ersehnten Vojnik, einem der 
höchsten Bergriesen Montenegros, immer mehr. Unter blühenden, duf- 
tenden Linden stiegen wir hinter dem Kloster an, bis wir aus der Zone 
der Werfener Schiefer, Diabase und Hornsteine in die der Kalke ge- 
langten. Die stark zersetzten Diabase machten den sehr steilen Pfad 
erträglich, der in vielen Windungen auf das 300 Meter höhere Plateau 
lief, um dort in den von Tusina kommenden Hauptweg einzumünden. 



Durch das TuSina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 8? 

Noch lange begleitet von jenem dunkelgrünen Eruptivgestein durchzogen 
wir die waldarme Hochebene, auf der sich Kalk und Schiefer um die 
Herrschaft stritten , und passirten nach V2 ^ ^ Uhr das Dörfchen 
Mletidak (1350 Meter). Die einzige Abwechselung in der lang- 
weiligen Gegend boten die jähen Schluchten der Tusina und Bijela, 
und endlich erhob sich vor uns der plumpe, massige Vojnik. Ein 
500 Meter tiefes Thal trennte ihn von unserem Standpunkte, und 
rüstig kletterten wir zwischen zerstreuten Hütten über eine Stunde die 
starkgeböschte Wand abwärts, von deren Grunde die winzig kleinen 
Gebäude von Savniki heraufleuchteten. 

Savniki (844 Meter) erinnert vielfach an Bohan und ist trotz seiner 
Abgeschlossenheit nicht ohne Bedeutung, da es an der Handelsstrasse 
von Nikäiä nach Plevlje liegt. Seine einstöckigen, mit Schindeln oder 
gar mit Ziegeln gedeckten Wohnstätten gleichen fast den Bauernhäusern 
des Thüringer Waldes und sind grösstentheils auf einer schmalen Fluss- 
terrasse unterhalb der hier zusammenstossenden Bijela-, Tusina- und 
Savniki-Canons erbaut. Als Schwarz im Frühjahre 1882 diese romantische 
Gegend bereiste, stürzte die Bijela als brausender Bergstrom aus der 
finsteren Klamm; jetzt war sie ganz trocken, und aus den anderen 
Rinnen, von deren steilen Rändern Schutthalden bis zum Grunde 
hinabreichten , strömten seichte, unbedeutende Flüsschen heraus, 
deren Wasserkraft nicht mehr genügte, um die Räder mehrerer Mühlen 
herumzudrehen. Das interessanteste der drei Gewässer ist jedenfalls der 
äavniki Potok, weil seine Quelle intermittirt. Sie entspringt aus einer 
dunklen Höhle und versiegt zu gewissen, regelmässigen Zeitabschnitten 
gänzlich, während diese merkwürdige Naturerscheinung bei Savniki nur 
noch an dem schwächeren Fliessen kenntlich ist. Eine Steinbrücke 
überspannt die Tuäina, und der nahe Han macht einen guten Eindruck. 
Weniger gefielen mir seine Besitzer. Zwar empfing der Wirth den 
»Schwabski« — so heisst in den südslavischen Landen der Fremde und 
zumal der Deutsche — mit ausgesuchter Höflichkeit und redete ihn 
sogar in schlechtem dalmatinischem Italienisch an, aber bloss deshalb, 
weil er fürchtete, dass derselbe in einem anderen Hause einkehren 
könnte. Die Wirthin forschte meinen Diener nach allem Möglichen aus 
und wollte auch mich mit einer weisen Unterhaltung beehren, indem 
sie mich fragte, ob ich »Naski« verstünde. Na§ki, eigentlich »unsere 
Sprache,« wird allgemein zur Bezeichnung der serbischen Landessprache 
gebraucht. 

Nach mehrstündiger Rast ging es am Vojnik steil hinauf; die Hitze 
und der volle Magen erleichterten den Aufstieg nicht gerade, und öfters 



g8 Durch das TaSina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 

lagerten wir uns unter den gedrungenen Buchen, die überall aus den 
stark verkarsteten Kalken aufragten. Aufathmend betraten vnv eine mit 
Feldern und Wiesen bedeckte Stufe, die sich zu einem Plateau erweiterte. 
Von einer klaren, kalten Quelle (1122 Meter), deren Wasser -}- 5*C. 
hatte, überblickten wir das nahe Dorf Gradac und die wellige Hoch- 
ebene von Mokro; nach Norden zu ist sie offen und wird auf den 
anderen Seiten vom Vojnik und Krnovo umgeben. Der Boden bestand 
aus Werfener Schiefern und wurde in Folge dessen von sumpfigen 
Bächen durchzogen, die in einem tiefen Canon zur Piva abflössen. 
Zahlreiche Häuser waren in der Runde zerstreut, und eins derselben, 
das wegen seiner Grösse und weissen Farbe am meisten auffiel, be- 
stimmten wir zu unserem Quartiere (1069 Meter). Es gehörte dem Bar- 
jaktar, dem Fahnenträger von Mokro, und da er selbst nicht anwesend 
war, so forderte uns sein Vater zum Dableiben auf. Das Erste, was ich be- 
merkte, war eine mächtige Bärentatze. Der Vojnik beherbergt noch genug 
Bären und Wölfe, und vor wenigen Tagen hatte sich Meister Petz in hellem 
Uebermuthe aus seinem waldigen Verstecke in die Ebene gewagt, um 
einen der vielen Bienenstöcke zu plündern oder ein fettes Lamm zu 
erhaschen, ein Vorhaben, das er mit seinem Leben büssen musste. 
Hier, wie in Zanuglina, trugen die Frauen nicht mehr die montenegrinische, 
sondern die hercegovinische Tracht, so dass auf Grund dieser und 
anderer Beobachtungen die erstere nördlich der Linie Kolasin-Obere 
Moraöa-TuSina-Vojnik-Lukovo-NikSiö-Banjani endet. 

Als ich um 4 Uhr Morgens aufstand, war der Barjaktar ange- 
kommen. Ich bat ihn um einen ortskundigen Begleiter auf den Vojnik; 
da aber gerade die Zeit der Heuernte war, so Hess sich ein solcher 
schwer auftreiben, und unser Wirth verschmähte es trotz seines mili- 
tärischen Ranges nicht, uns für 80 Kreuzer selbst als Führer zu dienen. 
Ein feuchter Nebel lagerte über den Fluren, der reichliche Thau durch- 
nässte die dünnen Opanken, und das Thermometer zeigte nicht mehr als 
-f 6^ C, so dass wir rasch ausschritten, um uns einigermassen zu erwärmen. 
Bald lag die grasige Ebenfe hinter uns, und auf einem erbärmlichen 
Hirtenpfade, der schliesslich ganz aufhörte, stiegen wir zwischen Gebüsch 
bergan. Unser Mentor eilte mit erstaunlicher Geschwindigkeit voraus, 
und gern hätte es ihm mein Diener nachgemacht, wenn ich schneller 
vorwärts gekommen wäre. Mit katzenartiger Gewandtheit sprang er 
über Steinblöcke, Felszacken und breite Klüfte, ja, er zog sogar seine 
Opanken aus und lief barfuss über die spitzigen Steine. Obwohl ich 
ziemlich schnell ging, so konnte sich unser Fahnenträger nicht genug 
wundern, dass ich es ihm im Klettern nicht gleich thun konnte, und 



Darch das TuSina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. gn 

theilnahmsvoll fragte er mich, ob ich schon alt oder gar krank sei. 
Wahrlich, ein Mann, der von Jugend auf an die halsbrecherischen Wege 
seiner Heimat gewöhnt ist, lernt es mit der Zeit, wie eine Gemse zu 
klettern: ein Vorzug, um den ihn der Fremde ebenso sehr beneidet, 
wie er erstaunt ist, dass ein Fremder ihm nicht nachkommen kann. 
Der stark verkarstete, wasserlose Kalk war mit Dolinen übersäet, und 
die Bäume hatten sich schon längst zu einem dichten Urwalde zusammenge- 
schlossen. EndHch, nach zwei Stunden, war bei 1700 Meter ü. M. die Wald- 
grenze erreicht. Die Buche verschwand, und knorrige Legföhren überklei- 
deten die fahle Grashülle. Dagegen beherbergten steilwandige, geschützte 
Kessel, die wir auf der Höhe zu Hunderten fanden, prächtige, hochstämmige 
Fichtenbestände, die sich schon von Nikäiö aus als breite, dunkle Streifen 
abhoben. Nicht minder häufig waren mächtige Firnmassen, die eine 
feine Decke schmutzigen Schlammes überzog und die das ganze Jahr 
überdauerten. Noch hatten wir eine schroffe Graslehne zu erklimmen, 
dann war — ein lautes Hurrah entrang sich der keuchenden Brust — 
eine 1774 Meter hohe Kuppe gegenüber den vom Niksiäko Polje aus 
sichtbaren drei Zinnen gewonnen. 

Der Vojnik ist ein aus Triaskalk zusammengesetzter plateauartiger 
Gebirgsstock, dessen Oberfläche ein wirres Durcheinander von Er- 
hebungen und Vertiefungen darstellt und nur wenige scharf umrissene 
Gipfel, z. B. die eben genannten drei Zinnen (Troglav) besitzt. Während 
er in die Hochweiden von Krnovo und in die Lukavica allmählich über- 
geht, fällt er zur Terrasse von Mokro, zur Piva und ins Gornje Polje 
steil ab. Seine höchste Höhe beträgt 1997 Meter, und als ich dies 
unserem wissbegierigen Führer auf Befragen mittheilte, war er sehr er- 
staunt. »Was? so niedrig? rief er aus, ich hätte geglaubt, dass unser 
Vojnik mindestens 8000 Meter haben müsse!« Und in der That Hess 
er sich schwer überzeugen, dass der höchste Berg auf Erden nicht viel 
über 8000 Meter hoch sei. Leider herrschte bei den Umwohnern dieselbe 
Unkenntniss wie bei den Hirten in der Nachbarschaft des Kapetanovo- 
Sees. Keiner wusste genau anzugeben, wo das russische Triangulations- 
signal stand und wo der höchste Gipfel zu suchen sei. Die Frauen in 
Mokro erzählten mir von zwei Pyramiden, der Barjaktar kannte bloss 
eine; diese sagten, der Hauptgipfel wäre höchstens drei Stunden ent- 
fernt, jener behauptete, dass wir vor Abend nicht von ihm zurückkehren 
würden. Daher stellte ich es ihm frei, uns auf irgend eine Kuppe zu 
führen, mochte es die höchste sein oder nicht. 

In der Einsamkeit des Hochgebirges entfaltete sich ein seltsamer 
Farbengegensatz. Ueber uns wölbte sich das blaue Himmelszelt, grell 



qo Durch das Tu§ina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 

warf der helle Kalk die Sonnenstrahlen zurück, und grauweisser Schnee 
leuchtete aus dem ernsten, schwarzen Nadelwalde oder dem vertrock- 
neten Pflanzenteppich hervor. Sonst hat der Vojnik einen düsteren, 
abstossenden Charakter; er ist der einzige Berg Montenegros, der im 
Sommer nicht von Sennhütten belebt wird, und nicht allzu oft treiben 
die Eingeborenen ihre Heerden in das finstere Dickicht, das Raubthieren 
und edlem Wilde zu einem selten gestörten Aufenthalte dient. 

Was aber die Natur dem Bergcoloss versagte, wird überreich durch 
die umfassende Rundschau ersetzt, die er dem trunkenen Blicke dar- 
bietet. Was will das Panorama, das man von Mokro aus geniesst, gegen 
dieses sagen? In der von schaurigen Cafions zerschnittenen Tiefe sind 
freundliche Dörfer zerstreut, und vor uns breitet sich das grüne Gornje 
Polje mit der Kula Vir und dem Eingange zu den Duga-Pässen aus. 
Nikäid ist nicht sichtbar, wohl aber erblicken wir seine wilden Grenz- 
berge Ostrog, Pusti Lisac und Prekornica. Aus der Ferne grüssen 
Lovden und Kom herüber, am Ende der grasigen Lukavica erheben 
sich die wohlbekannten Ketten des Borovnik und die Berge des Morada- 
Knies, und im Norden winkt als gewaltigster von allen der königliche 
Durmitor. Ein Dunstschleier umfluthet die phantastischen Spitzen seiner 
langgestreckten Mauer, die sich halb widerwillig in der formenlosen 
Ivica und Sinjavina verliert. 

Der Barjaktar trieb zum Aufbruche, denn er hatte wie viele seiner 
Landsleute wenig Sinn für die Naturschönheiten und konnte nicht be- 
greifen, dass ich soviel Geld ausgäbe und soviel Mühe darauf ver- 
wendete, um das Land zu untersuchen und die Fernsichten zu bewundern. 
Frohe und ernste Gespräche verkürzten den Heimweg, und dabei lernte 
ich in unserem Begleiter einen der ritterlichsten Türkenkämpfer kennen. 
Er mochte am Ende der Dreissiger Jahre stehen und konnte sich 
rühmen, zehn Feinde getödtet und ebensoviele Türkenköpfe oder Türken- 
nasen abgeschnitten zu haben. Schon als fünfzehnjähriger Knabe nahm 
er an der Seite seines nicht minder bewährten Vaters an der blutigen 
Schlacht von Grahovo theil und erbeutete an jenem Tage die ersten 
fünf Köpfe. Im letzten Kriege pflückte er neue Lorbeeren und wurde 
vom Fürsten zum Barjaktar ernannt. Doch gibt es in Montenegro 
solcher und ähnlicher Helden noch genug. Uebrigens darf man das 
Kopfabschneiden nicht zu hart beurtheilen, zumal im Orient ein Men- 
schenleben wenig gilt und die Türken sich der gleichen Barbarei 
schuldig machten. Auch hier trat der rauhe Naturzwang in seine Rechte, 
und Jeder verstand das schauerliche Geschäft so meisterhaft, dass er 
mit seinem Handzar in einer Secunde den Kopf vom Rumpfe trennte. 



Durch das Tu§ina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. gj 

Im Kampfe gegen die feindliche Uebermacht war der letzte Mann nöthig 
und konnte zur Bewachung der Gefangenen kaum entbehrt werden. 
Und wie sollten diese beköstigt werden, da die eigenen Leute oft nicht 
genug zu essen und zu trinken hatten; mussten sie doch, wie unser 
Fahnenträger erzählte, einmal drei Tage und drei Nächte lang ohne 
jede Nahrung ausharren! Vergebens bemühten sich die Beherrscher 
Montenegros, durch gegenseitiges üebereinkommen mit den Türken 
diesen barbarischen Brauch zu unterdrücken; erst im Kriege von 1876/78 
zeigte sich eine gewisse Wendung zum Besseren darin, dass man sich 
meist mit der Nase als Trophäe begnügte und die Besatzungen der 
Duga-Pässe, von Nik§id, Antivari u. s. w. unverletzt entliess. Aber nicht 
allein den Feind machte der Crnogorce um einen Kopf kürzer, denselben 
Dienst erwies er auch seinem schwer verwundeten Bruder, damit er 
nicht in türkische Gefangenschaft fiele und vor einem grausamen Tode 
bewahrt bliebe. Jetzt pflegt man fürs Aeusserste den sechsten Revolver- 
schuss aufzusparen. 

Um V4H Uhr trafen wir wieder in Mokro ein und machten uns 
nach zweistündiger Rast zum Marsche nach Bresna auf. Unser Freund 
trennte sich mit Kuss, Handschlag und den besten Rathschlägen von 
uns, denn der Weg war der halsbrecherischsten einei-, so dass ihn selbst 
die Eingeborenen nicht gern benutzten. Zu unserer Rechten lief eine 
finstere Schlucht hin, welche das Wasser des Plateaus in die Piva leitete, 
und gleich hinter den letzten Häusern nahm uns ein Urwald auf, wie 
ich ihn nimmer erwartet hatte. Er bestand aus uralten Buchen und 
Fichten, die, jede Aussicht versperrend, für sich allein oder durcheinander 
gemischt die stark verkarsteten Abhänge bedeckten. Ab und zu störte der 
Ruf des Kuckucks oder ein anderer Vogellaut die feierliche Stille, und 
leise rauschte der Wind in den Wipfeln, die das Sonnenlicht gedämpft 
bis zum laub- und nadelverhüllten Grunde eindringen Hessen. Meter- 
dicke Stämme vermoderten am Boden, und junge Triebe schössen neben 
den erstorbenen Riesen aus der Erde empor. Aber unter dem trügeri- 
schen Pflanzenkleide lagerte der zerfressene, klüftige Kalk und Karren- 
felder, die genau denen von Stitavica glichen, zerfurchten öfters die 
steilen Lehnen. Auf einem kümmerlichen Pfade gingen wir zunächst 
bergan, dann fortwährend abwärts, und die Felsen beiderseits des 
Steiges rückten einigemale so nahe zusammen, dass KulaS das Gepäck 
nicht ohne Mühe durchbringen konnte. Plötzlich senkte sich der 
Hang zu jäher Tiefe, und aus dem Waldesdunkel hob sich der 
Koraamica-Cafion ab. Von ihm strahlte ein Schlund aus, den das Wasser 
im Laufe ungezählter Jahrtausende in die Flanken des Vojnik gewühlt 



2Q Darch das To§ioa-Thal auf den Vojnik und nach Bresna. 

hatte, und an seinen fast senkrechten Wänden mussten wir hinab. Vor- 
sichtig setzte das Pferd einen Fuss vor den anderen, mit gespannten 
Ohren längs des drohenden Abgrundes hinschreitend, und wir athmeten 
ebenfalls auf, als der 120 Meter betragende Abstieg überwunden war. 
Noch fünf solcher Wasserrisse, die allerdings viel weniger gefährlich 
als der erste waren, mussten wir durchqueren- Wir fanden keinen 
Schnee und keine Quelle, weder einen Menschen, noch ein Haus, aber 
das Schlechteste war der Saumweg, der bald durch seine spitzen Stein 
trümmer den Fuss ermüdete, bald im Humus verschwand. Endlich 
traten wir um ^f^t Uhr aus dem Waldesschatten in eine etwa 2 Kilo- 
meter breite und unabsehbar lange Ebene. Wir hatten eines der grössten 
blinden Thäler Montenegros, das Becken von Bresna, erreicht, das leb- 
haft an unsere Voralpen oder an die idyllischen Bilder Thüringens er- 
innerte. Nun trafen wir auch Hütten und Menschen, die wir im Urwalde 
umsonst gesucht hatten. Die Komarnica war nicht mehr sichtbar, denn 
schon ehe wir ins Polje kamen, bog sie nach rechts ab und ver- 
barg sich hinter einer Reihe niedriger Hügel. Das Buschholz wurde 
lichter und hörte schliesslich ganz auf; dafür erschienen am nörd- 
lichen Rande die Holzhäuser von Gomje Bresna (1055 Meter), und 
dünne Wasserfaden sammelten sich an, zum Beweise, dass eine un- 
durchlässige Schicht das Erdreich unterlagerte. Unweit einer Cisterne 
gelangten wir auf die Strasse Niksid-Goransko, die an Güte ebenfalls 
mancherlei zu wünschen übrig lässt und mitunter bloss durch die 
nebenher laufende Telegraphenleitung verrathen wird. Da es stark 
dunkelte und die Abendkühle empfindlich fühlbar wurde, so baten wir 
die Hirten mehrmals um ein Quartier. Es ging uns aber wie vor acht 
Jahren Dr. Baumann. Wir erhielten in gemessener Höflichkeit einen 
ablehnenden Bescheid und machten uns schon darauf gefasst, auf dem 
feuchten Rasen unter freiem Himmel zu nächtigen, als eine alte Frau 
uns in ihre Koliba einlud. 8 Uhr war vorüber, als wir nach schwerem 
Tagewerke in die Hütte krochen (999 Meter), die wie die anderen 
Kolibas der Bresna-Ebene nach dem Muster der Sennereien auf der 
Konjsko Planina erbaut war. Bald versammelten sich ihre Insassen, so 
dass wir uns in dem beschränkten Räume kaum rühren konnten; alle 
sprachen dem frugalen Nachtmale wacker zu und erstaunten wohl auch 
über unseren Marsch, doch es fiel Niemandem ein, den hungrigen und 
ermüdeten Wanderern etwas anzubieten. Wir mussten erst nach Mais- 
brot und Milch fragen, und als wir endlich im Schlummer Erholung finden 
wollten, raubte uns das jämmerliche Geschrei eines Säuglings noch 
lange die ersehnte Ruhe. 



Längs der Piva-Canons nach Foöa. qq 



10. Capitel. 

Längs der Piva-Canons nach Foca, 



Nachdem ich mich, nicht ohne auf eine überraschende Unkentniss 
zu stossen, bei den Frauen nach der Umgebung erkundigt hatte, be- 
zahlte ich unsere Wirthin und und durchmass das letzte Stück des 
Bresno Polje. Das lockere Erdreich nahm rasch ab, und einige Kalk- 
rücken ragten gleich Inseln und Halbinseln, was sie einst wohl waren, 
aus der Niederung auf. Porphyrgeschiebe, deren auch Tietze gedenkt, 
waren in dem blinden Thale zerstreut, und sie, der feine Humus und 
die unbestimmten Wasseransammlungen lassen vermuthen, dass vordem 
ein FIuss, wenn nicht ein See das Polje erfüllte. Vielleicht floss er in 
unserer Marschrichtung ab, weil die Porphyre in diesem Theile nicht 
anstanden, also erst hierher verschleppt wurden, und weil die Meeres- 
höhe des Kessels von Südost nach Nordwest abnimpit. Schliesslich 
gewann die Gebirgsfaltung die Oberhand und versperrte dem Wasser 
den Weg, worauf es in den höhlenreichen Kalken einen unterirdischen 
Abzugscanal fand. 

Ein unbedeutender Höhenzug trennte die grüne Oase von Bresna 
von dem wenig höheren Bajevo Polje, und wieder empfing uns eine 
langweilige Karstlandschaft. Die Hügel und Dolinen waren nothdürftig 
mit einem kurzen, halbverdorrten Grasmantel überkleidet, und niederes 
Gebüsch oder schütterer Nadelwald zierte die Lehnen. Drei aufeinander 
folgende Mulden , das Bajevo-, Milkovac- (1028 Meter) und Rudenice 
Polje (1012 Meter), waren von entsprechenden Höhenrücken umsäumt 
und im Osten von dem unvermittelt eingeschnittenen Komarnica-Cafion 
begrenzt. Endlich gewann die öde Landschaft, die fast den trostlosen 
Banjani glich, einige Abwechselung. Scharf hoben sich von der welligen 
Hochebene die zerstreuten Häuser des Dorfes Goransko ab, und hinter 
ihnen strebte die kühn gezackte Kruäca- Mauer zum wolkenlosen 
Himmel auf, während die Rinnen des Sinjac und der Pluzinje 
noch nicht sichtbar waren. Endlos setzte sich die Piva-Schlucht 
nach Norden fort, und zu ihrer Rechten behinderten die Vorberge des 
Durmitor den Blick. Wir kamen an den rothen Kalken von Milkovac 



QA Längs der Piva-Canons nach Foia. 

vorüber, in denen Tietze die einzigen jurassischen Ammoniten der Cma- 
gora entdeckte, und machten im Han von Rudenice Mittagsrast, um 
nicht zu früh im Kloster Piva einzutreffen. Die kleine Wirthschaft 
gehörte einem Officier; denn die militärische Beschäftigung ist in Mon- 
tenegro nicht ausschliesslicher Lebenszweck, sondern eine nebensäch- 
liche, für den Krieg berechnete Uebung. 

Schroffe Rinnen liefen zu dem breiten Schlünde hinab, in welchem wir 
nunmehr abwärts eilten. Buchen- und Eichengestrüpp, Haselnusssträucher 
und saftiges Gras verbargen den nackten Kalk, und mit dem Auftreten der 
Werfener Schichten wurde der Weg besser. Je mehr er sich senkte, 
um so kräftiger gedieh die Buche und bedeckte in stattlichen, hie und 
da von Lawinen zerrissenen Beständen die Uferwände. Durch das 
dichte Blattgewirr leuchtete die Kirche von Piva herauf, und ein 
breiter, grüner Strom, der Sinjac, der eigentliche Quellfluss der Piva, 
brauste in dem 300 Meter tiefen Bett dahin. Als klarer Bach 
springt er aus dem Felsen und nimmt nach dem Volksglauben die im 
Gacko Polje verschwindenden Gewässer auf, um sie hier zum zweiten 
Male ans Tageslicht zu bringen. Wenige Minuten später standen wir 
vor dem Kloster (658 Meter). 

Pivski Monastir besteht aus einer mittelgrossen Kirche, die des 
Glockenthurmes entbehrt und mit originellen Wandmalereien geschmückt 
ist. Trotz der Verwüstungen seitens der Türken kann man der inneren 
Ausstattung des Gotteshauses einen gewissen Prunk nicht absprechen. 
Der Kirche gegenüber liegt die Wohnung des Igumans und an der 
anderen Seite das ungemüthliche Gebäude der Dienerschaft. Die Frem- 
den und vornehme Montenegriner finden beim Geistlichen, die geringeren 
Leute im Han und bei den Dienern Unterkunft. Eine theilweise zer- 
störte Mauer umgibt das Kloster, an das sich ein ausgedehnter Obst- 
garten anschliesst. 

Der Iguman war nach Goransko geritten und kehrte erst spät 
Abends zurück. Er Hess Thee bereiten und einen Hammel schlachten, 
und Mitternacht war vorüber, als wir das Lager aufsuchten. Am an- 
deren Morgen, dem 17. Juli, besichtigten wir das Kloster und verab- 
schiedeten uns; doch fiel mir die Trennung trotz der guten Aufnahme 
nicht gerade schwer. 

Ein steiler Aufstieg über Schiefer und Diabase brachte uns 
in dreiviertel Stunden auf das Hochplateau und nach Goransko (1030 
Meter). Vor dem Kriege war es ein befestigter Ort und Sitz eines türki- 
schen Kaimakam (Richter), und seine Garnison unterhielt auch den 



Längs der Piva-Canons nach Fo£a. gc 

letzten vorgeschobenen Posten in Bezuj. Weiter nach dem Durmitor 
zu stand die türkische Macht nur auf dem Papiere , und kein 
Türke durfte es ohne Gefahr seines Lebens wagen, zu den thatsächlich 
unabhängigen und zu Montenegi'o gehörenden Hirten Nord-Montenegros 
vorzudringen oder gar Steuern von ihnen zu erheben. Heute besteht 
der Ort aus wenigen Häusern, und die Befestigungen sind bis auf spär- 
liche Trümmer beseitigt. Ausser dem Hane, der zugleich das Tele- 
graphenamt beherbergt, sind die Wohnstätten elende Hütten; in euro- 
päischem Stile aber und nicht ohne Comfort ist das Haus des 
Vojvoda Lazar Sozica erbaut, der ebenso wegen seiner körperlichen 
Kraft und Gewandtheit, als wegen seines Reichthums berühmt ist. Bau- 
mann entwirft von seinem Wesen und seiner Häuslichkeit eine nicht 
sehr schmeichelhafte Schilderung, doch hat sich seitdem vieles geändert. 
Der hohe Herr empfing mich in einem behaglich ausgestatteten Zimmer 
aufs höflichste, stellte mir seine Frau vor und Hess durch einen Diener 
Slivovic und Kaffee auftragen. Im Laufe des Gespräches bat er mich, 
eine merkwürdige Quelle bei Seljani zu besuchen und stellte mir zu 
diesem Zwecke eines seiner Reitpferde zur Verfügung. Ich versprach 
ihm zu willfahren, lehnte aber sein Pferd ab und stärkte mich im Han 
für den beschwerlichen Marsch, der das Sinjac-Thal ein gutes Stück 
hinab und hinauf und dann noch 300 Meter tief zur Komarnica hinab- 
führte. Anfangs vermochte ich die neugierigen Montenegriner kaum zu 
befriedigen, die wie Kinder meine Habseligkeiten betasteten, und erst als 
ich sie energisch zum Hinausgehen aufforderte, konnte ich mir für 
einige Zeit Ruhe schaffen. 

Gleich nach Mittag machte ich mich auf, begleitet von meinem 
Diener, einem berittenen Knechte des Vojvoda und einem ebenfalls be- 
rittenen jungen Manne namens Simo Radov Garcevid, der vor der 
Unduldsamkeit der Türken aus seiner Geburtsstadt Bijelopolje nach 
Montenegro geflohen war. Der Pfad umging in grossem Bogen 
den Thalschluss und durchkreuzte das gestern durchwanderte Ge- 
biet, das nach der Komarnica zu reich an Quellen und .Häusern 
war. Einiges Interesse boten mehrere verwitterte Bogomilengräber- 
und Denksteine bei Rudenice. Die Bogomilen oder Patarener, welche 
um die Mitte des 12. Jahrhunderts in dem theils katholischen; theils 
orthodoxen Bosnien eine religiöse Secte bildeten und blutige Ver- 
folgungen zu erleiden hatten, traten nach der Unglücksschlacht auf 
dem Amselfelde zum Islam über und vergalten Jahrhunderte lang an 
den ihrem Glauben treu gebliebenen Serben Gleiches mit Gleichem. 



q6 Längs der Piva*CanoDS nach Foda. 

Die muhamedanischen Bosniaken sind also die Nachkommen der alten 
Bogomilen. 

Um V24 tJhr waren wir an der Komamica angelangt (683 Meter) 
und passirten auf eine ebenso einfache als praktische Weise den brücken- 
losen Fluss. Zwei von uns ritten durch das klare Wasser und trieben 
die Pferde ans Ufer zurück, worauf die beiden Anderen nachfolgten. Ich 
glaubte, dass wir nunmehr am rechten Hange hinaufklettern müssten, 
aber unsere Gefährten überhoben mich dieser Sorge; sie wiesen auf 
einen unansehnlichen Wassertümpel, der zwischen den Gerollen des 
Flusses zusammensickerte und sagten, dass dieser der gesuchte Quell 
sei. So armselig hatte ich mir ihn allerdings nicht vorgestellt, und an- 
fangs schien er auch gar nichts Sonderbares darzubieten. Geschmack 
und Geruch des Wassers hatten nichts Aufialliges, und allein seine 
Temperatur {-{- 29^ C.) war um 10 Grad höher als die des unmittelbar 
benachbarten Flusses, Der Wärmeunterschied rührte wohl davon her, 
dass sich der seichte Wassertümpel viel stärker erwärmte als 
die knietiefe 9 rasch dahinschiessende Komamica. Die Ufer waren 
hoch hinauf aus den vielbekannten Conglomeraten zusammengesetzt, 
und an ihrem Fusse rieselte die Quelle hervor, die nach der Volksmeinung 
eine heilkräftige Wirkung besitzt. Luftblasen stiegen scharenweise vom 
Grunde auf und zerplatzten an der Oberfläche, wobei das von Algen 
überwucherte Wasser in eine wallende Bewegung gerieth, als ob es 
koche, und sich dann wieder glättete, bis nach fünf Secunden Pause 
das ruckweise Aufsteigen von Luftblasen abermals begann und sich in 
regelmässigem Wechsel fortsetzte. Eine chemische Untersuchung der 
mitgenommenen Proben wird lehren, ob und wie viel Wahres das 
Wasser von der ihm zugeschriebenen heilsamen Eigenschaft besitzt. 

Auf dem Rückwege bot mir Simo sein Pferd an, und ich versuchte 
mein Glück, obwohl ich der Reitkunst gänzlich unkundig war. Anfangs 
ging alles gut, bis ich dem Thiere einen falschen Sporentritt gab, so 
dass es im Galopp mit mir davonrannte und erst durch einen zufallig 
vorüberkommenden Montenegriner aufgehalten wurde. Ich er- 
kundigte mich alsbald nach den erforderlichen Kunstgriffen und konnte 
mit dem unruhigen Gaule zufrieden sein. Als er jedoch den Stall wit- 
terte, schoss er unbekümmert um jegliches Commando dahin und hielt 
erst vor der altgewohnten Thüre. Die Einwohner, voran der Vojvoda, 
empfingen uns mit sichtlicher Spannung, und nachdem ich unsere Er- 
gebnisse mitgetheilt, musste ich ihnen noch versprechen, sie am anderen 
Morgen zu photographiren. Da es im Han nur Pritschen gab, so ruhte 



Längs der Piva-Caüons nach Fo£a. gy 

Simo nicht eher, als bis ich statt dieses harten Lagers für die Nacht 
sein Bett angenommen hatte. 

Schon am frühesten Morgen waren alle wach und bereiteten sich 
mit ängstlicher Sorgfalt für die Aufnahme vor, denn alle wollten ihr 
Bild haben, die kleinen Söhne des Vojvoda, Freund Simo, der Tele- 
graphenbeamte, der gräfliche Diener, der Wirt und seine Frau. Nach- 
dem der Apparat seine Schuldigkeit gethan hatte, sattelten wir das Pferd 
und durchmassen bei heissem Sonnenbrande die einförmige, baumarme 
Hochebene, die mit grossen flachen Mulden besetzt war. Hierauf 
mussten wir von ihrem nördlichen Rande (1122 Meter) in einen 300 Meter 
tiefen Cafion hinabsteigen, den wir früher nicht erblicken konnten; es 
war die mit Buchen dicht bewaldete Schlucht der Plu^inje, die sammt 
ihren Zuflüssen auf dem schneereichen Lebersnik und den benachbarten 
Grenzbergen entspringt und das einzige wohl entwickelte Flussnetz 
im Gebiete der mittleren und unteren Piva darstellt. Die schützenden Thal- 
wände verbargen eine idyllische Landschaft. Ein saftiger Wiesenteppich 
überzog den Fels, und das Buchendickicht löste sich zu kleinen Gruppen 
auf; Obst- und Gemüsegärten lagen neben Getreide-, Mais- und Kar- 
tofiFelfeldern, und Holzhäuser zierten eine schmale, niedrige Flussterrasse 
(626 Meter), kurz, das Thal trug ein ganz anderes Gepräge als die 
traurigen, unfruchtbaren Plateaus. Die Pluiinje sprang in klaren, schwarz- 
grünen Wellen über mächtige Geröllmassen^ unter denen der unver- 
meidliche Kalk die Hauptrolle spielte; doch fehlten Werfener Schiefer, 
Homsteine und Diabase ebenfalls nicht, so dass eine Zone jener Ge- 
steine irgendwo im Oberlaufe ansteht* Die sonst beobachteten Con- 
glomeratbänke umsäumten auch hier den unteren Rand der Ufer und 
begleiteten uns noch immer, nachdem sich die Pluzinje nahezu recht- 
winklig in die grüne Piva ergossen hatte (596 Meter). An der Mündung 
engten Schotterablagerungen den breiten Fluss zu einem engen Streifen 
ein, und unwillig ob dieser Beeinträchtigung seiner Freiheit bedeckte 
er sich mit weissem Gischt. 

Ein wildromantischer Cafion erschloss sich. Senkrecht strebten die 
Kalkmkuern auf, und der Thalgrund wurde ganz von der Piva erfüllt. 
Das schmutzige Grau, das mehrere Meter über dem Flussspiegel die 
Gesteinsschichten färbte, zeigte zur Genüge, wie gewaltig der reissende 
Strom während der Schneeschmelze und der Frühlingsregen anschwillt, 
und Aeste, Strohhalme oder erhärteter Schlamm, die in den Baum- 
kroöen fest sassen, die umgerissenen Stämme und aufgewühlten Ufer, 
sie Hessen ahnen, wie furchtbar der fessellose Fluss in jenen Zeiten 
wüthet. Dann ist die Rinne für den Verkehr überhaupt gesperrt, und 

Hassert. Reise durch Montenegro. y 



^ 



q8 Längs der Piva-Canons nach Fo£a. 

schon im Sommer bedeutet sie ein empfindliches Hinderniss zwischen 
hüben und drüben. An wenigen Stellen ist sie passierbar, und nur bei 
der Pluiinje-Mündung und unterhalb des Barni Do befinden sich Fähren. 
Eine gute Stunde beansprucht der Abstieg, nahezu das Doppelte der 
Aufstieg an den 700 Meter hohen Steilwänden. Mit anderen Worten, 
drei Stunden sind nothwendig, um einen Weg zurückzulegen, der in 
Luftlinie noch nicht 2 Kilometer beträgt! Am Grrunde treten zahlreiche 
Quellen als kurze, starke Bäche aus, weil die Niederschläge in den 
porösen Kalken versickern und auf der undurchlässigen Schieferunter- 
lage wieder zum Vorschein kommen. Daher verdankt die Piva ihren 
Wasserüberfluss in erster Linie den Schiefern. 

Ein geländerloser Saumweg, der bald hoch über dem Wasser 
oder am Flusse hinlief, brachte uns rasch vorwärts, und wir be- 
durften der Eile um so mehr, als der Mittag längst vorüber war und 
wir noch den jenseitigen Hang zu erklimmen hatten. Doch wir be- 
mei'kten keinen Kahn, keine Furt in der mehr als mannestiefen Piva, 
Eingeborene begegneten uns nirgends, und Häuser fehlten in dem von 
Ueberschwemmungen heimgesuchten Thale. Obendrein verloren wir un- 
sere Hartbrote, und es dauerte eine gute Weile, bis wir wieder in ihrem 
Besitze waren. Endlich drangen Stimmen an unser Ohr; am rechten 
Ufer waren Montenegriner, die Heu- abmähten, und sie verkündeten 
uns die unwillkommene Botschaft, dass die Fähre noch weit entfernt 
und augenblicklich nicht benutzbar sei. So blieb uns nichts anderes 
übrig, als auf einer Furt, welche sie uns angaben, den kalten Gebirgs- 
strom zu durchwaten (577 Meter). Diesmal war ich auf mich allein 
angewiesen, da mein Diener mit sich und dem Pferde genug zu thun 
hatte. Trotzdem mir der Bergstock eine gute Stütze gewährte, kostete 
es mir grosse Mühe, ohne Schuhe über die glatten Gerolle zu schreiten 
und gegen die Gewalt des Flusses anzukämpfen, der uns bis zum Ober- 
schenkel reichte und mir mehrmals den Boden unter den Füssen weg- 
zureissen drohte. Ich athmete auf, als wir das jenseitige Ufer ge- 
wonnen hatten und bis zur Fähre an der Piva hinwanderten. Nun 
begann der anstrengende Aufstieg, der uns auf zweifelhaften Zickzack- 
pfaden in zwei Stunden auf das Plateau führte (1278 Meter). Der mit 
Macht hereinbrechende Abend Hess uns ernstlich an eine Unterkunft 
denken, und glücklicherweise nahm uns gleich der erste Hirt, mit dem 
wir zusammentrafen, in seine Koliba auf. Als wir jedoch die enge, 
erbärmliche Hütte sahen und die zerlumpten Gestalten durchmusterten, 
denen sie zum Aufenthalte diente, zogen wir es vor, im Freien zu 
übernachten. Ein lustiges Feuer wurde angefacht, die Leute ergänzten 



Längs der Piva-Cauons nach Foda. qq 

unsere Vorräthe mit Milch und Käse; und da die Luft ziemlich warm 
war, hatten wir einen erquickenden Schlummer. 

Am Morgen machten unsere Wirthe ein betrübtes Gesicht; der un- 
ersättliche Kulas war in ihr kleines Maisfeld gerathen und hatte dort 
mancherlei Schaden angerichtet. Wir ersetzten den Verlust nach Kräften 
und verloren uns rasch in der langweiligen Hochebene, die den Namen 
Barni Do trug und zu den weiten Plateaus um den Durmitor gehörte. 
Selten unterbrachen Baumgruppen das Gewirr der flachen , mit 
magerem Grase bewachsenen Dohnen, die stellenweise stark verkarstet 
und völlig wasserlos waren. Daher ist auf der Höhe der Schnee ein 
unschätzbares Gut und hat einen tausendfach höheren Werth als das 
nimmer versiegende Wasser im Thale, weil der mühsame Auf- und Ab- 
stieg an den bis zur Unzugänglichkeit schroffen Gehängen den wirth- 
schaftlichen Nutzen der Piva fast aufhebt. 

Ein fesselndes Bild bot die Kruäica, deren nackte Ketten auf 
einem breiten Sockel ruhten und senkrecht zum Piva-Schlunde ab- 
fielen. Weisser Schnee leuchtete aus den Schluchten, graue Schutthal- 
den überkleideten die Lehnen, und ein undurchdringlicher Nebelschleier 
umfluthete die zackigen Kämme. Bei jeder Wegkrümmung zeigte das 
Gebirge neue Formen, und dieses beständig wechselnde Schauspiel war 
das einzige Interessante in der öden, stillen Landschaft, die erst hinter 
dem armseligen Weiler Babid (1264 Meter) ein anmuthiges Gewand 
erhielt. Saftige Wiesen und stattliche Bäume, Buchen untermischt mit 
Birken, wurden häufiger, und um 10 Uhr erreichten wir das Kirchdorf 
Dolnji Crkvice (1163 Meter). Die Tara -Rinne wurde sichtbar, die 
Berge ihres Ostrandes lagen bereits in der Hercegovina und im Sandsak 
Novibazar, und da ich hoffte, heute noch bis Foda zu konjmen, so 
hielt ich mich nicht auf, so höflich mich auch der Hanbesitzer in sein 
Haus einlud. 

Aber welche trostlose Gegend that sich vor uns auf! Waren wir 
in die Wüsten der Prekornica oder der Banjani zurückversetzt? Da gab 
es nichts anderes als kahle Dolinen, spitze Karren und zersprengten 
Fels, aus dessen Fugen kaum ein Grashalm oder verkümmertes Gebüsch 
hervorsprosste. In der Tiefe schäumte die Piva, und zum siebenten 
Male mussten wir uns an ihrem Caöon versuchen, der bei Scepan- 
grad in den noch finstereren Tara-Schlund einmündet, worauf beide 
Bergwässer vereint als Drina weiterfliessen. Endlich wurden die Hänge 
sanfter; wir meinten, in einen natürlichen Garten eingetreten zu sein, 
und der oft gebrauchte Ausspruch, Montenegro sei ein Land der Ge- 
gensätze, traf auch in der Pivska 2lupa zu. Hecken von Brombeeren und 

7'' 



lOO Längs der Piva-Canons nach Fo£a. 

anderen Zaungewächsen umgaben die einzelnen Gebäude, bunte Blumen 
■durchwirkten die Matten, und die weissen Blüten des Flieders waren dem 
Verblühen nahe oder setzten bereits grüne Beeren an. Die mageren 
Aecker der rauhen Hochebene machten üppigen Maisfeldern und Wein- 
gärten Platz, und umfangreiche Buchenhaine oder Kemobstbäume der 
verschiedensten Arten waren etwas Allgewöhnliches. Statt des Kalkes 
herrschten die Werfener Schiefer vor, und so suchte die Natur \\'ieder 
auszugleichen, was sie auf andere Weise dem Menschen versagte. In 
Gestalt eines Cafions schuf sie ein unerwünschtes Verkehrshindernis, 
aber sie gab den tiefen Schluchten einen Ueberfluss an Wasser, 
ein mildes Klima und verwandelte sie in eine blühende Oase. Des- 
halb erfreuten sich die gesegneten Gefilde schon vor Jahrhunderten 
einer hohen Cultur, und die Ruinen einer uralten Burg in Sdepangrad, 
so genannt nach dem bosnischen Herzogsgeschlecht der Stephane (14. 
und 15. Jahrhundert), weisen auf jene Zeiten zurück. 

Nach dreistündigem Abstiege betraten wir Sdepangrad, und Arso 
Hess dort seine Waffen zurück, denn die Drina allein trennte uns noch 
vom österreichischen Gebiete, und wir mussten den Fluss auf einer Fähre 
übersetzen. (515 Meter). Das war allerdings leichter gesagt als gethan, da 
der Kahn am österreichischen Ufer angekettet und obendrein durch ein 
Schloss gesichert war, und der Fährmann musste erst einen Gendarmen rufen, 
der das Schloss öffnete. Nicht ohne Mühe trieben wir das sich sträubende 
Pferd in das Boot und landeten wenige Minuten später am andern Ufer. 
Das steilwandige Bett des breiten, tiefen Flusses bestand, wie kaum 
anders zu erwarten war, aus verbackenen Conglomeraten, die sich aus 
den bekannten Rollsteinen zusammensetzten und wegen ihrer leichten 
Zerstörbarkeit zahlreiche Risse und Höhlen besassen. 

Zum dritten Male stand ich unter dem Zeichen des Doppelaars, 
und ich hatte eben festen Fuss gefasst, als der pflichteifrige Gendarm 
unsere Pässe verlangte. Ich freute mich schon im Stillen, hier wie in 
Gacko dem Zollcerberus entgangen zu sein ; doch in demselben Augen- 
blicke ersuchte mich unser Begleiter, meine Reisekörbe zu öffnen. Steuer- 
bares, vornehmlich Pulver und Tabak, fand er natürlich nicht; aber 
immerhin erschien es mir sonderbar, dass man die unvermeidliche Zoll- 
revision nicht in dem nahen Cordonposten Hum abhielt, den wir noth- 
wendig passieren mussten. Der commandirende Gendarmerie- Wachtmeister 
begrüsste mich zuvorkommend und rieth mir, bei seinem Cameraden 
im Bastadi zu übernachten, da ich vor Abend nicht mehr nach Foca 
kommen würde. Auf seine Empfehlung hin wurde ich dort aufs beste 
aufgenommen. 



Längs der Piva-Caüons nach Fo£a. lOI 

Wie die meisten Gendamerie-Kasernen gleicht Bastaci mehr einem 
freundHchen Hause als einem militärischen Stützpunkte, und bloss die 
Schiessscharten und die starken Thore verleihen dem Ganzen einen 
kriegerischen Anstrich. Die Mannschaften, die wegen der Sprachverwandt- 
schaft aus Böhmen, Kroaten oder selbst Bosniaken genommen werden, 
bestehen ausnahmlos aus starken, kräftigen Leuten und haben einen 
ziemlich anstrengenden Tages- und Nachtdienst zu verrichten. Als Oester- 
reich Bosnien und die Hercegovina occupierte, haftete den Eingeborenen 
das gesetzlose Leben so an, dess sie sich schwer davon trennen konnten, 
und auch die blutsverwandten Crnogorcen Hessen sich in den ersten 
Jahren zu manchem Uebergriflfe verleiten. Aus diesem Grunde wurde 
längs der Grenze eine Kette von Befestigungen, der Grenzcordon, an- 
gelegt, wenige Wege blieben für den gegenseitigen Verkehr offen, und 
strenge Passvorschriften erschwerten denselben noch mehr. Zur wirk- 
samen Unterstützung von Militär und Gendarmerie organisirte man aus 
den tüchtigsten und verwegensten Leuten das berühmte hercegovinische 
Streifcorps. Durch seine Tapferkeit und durch sein rücksichtsloses Vor- 
gehen nicht minder wie durch die gut abgerichteten Spürhunde, 
von denen ich einige im Blockhause Grab gesehen habe, wurde es bald 
der Schrecken aller Räuber und erhielt wegen der Farbe seiner Uniformen 
den bezeichnenden Beinamen »Schar der grünen Teufel«. Dem Streif- 
corps ist vor allem die Schaffung geordneter Zustände zu danken, und 
es erfüllte seine Aufgabe in einer solchen W^eise, dass es im vorigen 
Jahre aufgelöst werden konnte. Jetzt herrscht in Neu-Oesterreich 
eine solche Sicherheit, dass Niemand vor einem Besuche Bosniens 
und der Hercegovina zurückschrecken sollte, wo er Fahrstrassen, Reit- 
wege, Hotels und alle Bequemlichkeiten findet, die er als verwöhnter 
Reisender verlangt. 

Von Bastadi bis FoCa blieb die Gegend gleich anmuthig. Aus dem 
Schiefergestein sprudelte ein Heer von Quellen und eilte zur grünen 
Drina, Wiesen und Wälder liefen bis zu den abgerundeten Gipfeln hinauf, 
und Häuser oder Dörfer folgten sich in kurzen Zwischenräumen, während 
die fernen Zacken des Hochgebirges ernst herüberschauten. Fünf 
Marschstunden standen uns am 20. Juli noch bis Foda bevor; aber sie 
verflogen schnell, und als wir um einen Hügel bogen , tauchte zu 
unserer Rechten eine bescheidene Anhäufung von Häusern auf, zu 
denen eine alte türkische Fahrstrasse hinführte. Sollte das Foäa sein? 
Ich muss gestehen, ich war anfangs enttäuscht. Je näher wir indessen 
kamen, um so mehr entrollte sich das Gewirr der rothen Dächer und 
Minarets, und um Mittag lag das vielgenannte Handelscentrum des süd- 



X02 Darch die Hercegovina nach Cetinje. 

Östlichen Bosnien (410 Meter) vor uns. Rasch schritten wir durch die 
krummen Gassen zum Hotel. Mein Diener zog es vor, in einem Han 
zu wohnen, weil er die fränkische Küche nicht vertragen könne, in 
Wahrheit wohl, um bei seinem unmässigen Trinken nicht beobachtet 
zu werden. Ich sass bald am schneeweiss gedeckten Tisch, labte mich 
wieder am edlen Gerstensaft und durchblätterte die seit drei Wochen 
vermissten Zeitungen. 



II. Capitel. 

Durch die Hercegovina nach Cetinje. 



Trotz zahlreicher europäischer Gebäude hat das moscheenreiche 
Foca seinen echt orientalischen Charakter treu bewahrt und ist in jeder 
Beziehung interessanter als Gacko, das es auch an Einwohnerzahl 
bedeutend übertrifft. Zwar ist dieselbe von den 10.000 Seelen, welche 
die flüchtige Schätzung annahm, nach der Volkszählung von 1885 auf 
etwa 4500 zusammengeschmolzen, aber noch immer besitzt Foca 3500 
bis 4000 Köpfe mehr als Gacko. Beide Städte sind von einer gewissen 
Wichtigkeit. Dieses liegt in einem weiten Polje, das die natürliche 
Fortsetzung der Duga- Pässe bildet; es ist von der Grenze nur 16 Kilo- 
meter entfernt, und es wimmelt dort jederzeit von Montenegrinern. 
Jenes wird von den Crnogorcen sehr wenig besucht, weil es von 
der Grenze 25 Kilometer abgelegen ist und weil die hindernden Cafions 
den Zugang erschweren: dafür hat es als äusserster Vorposten gegen 
Serbien, Montenegro und die Türkei einen hervorragenden strategischen 
Werth. 

Das Häusergewirr von Foca zieht sich als langer, schmaler Streifen 
zwischen der Drina und der hier einmündenden Cehotina hin und wird 
von wohlgeformten Bergen umschlossen. Mehrere von den öster- 
reichischen Honnieren geschlagene Holzbrücken, zu denen sich 
einige aus Stein und Eisen errichtete Brücken gesellen, überspannen 
die breiten Gebirgsströme, und eine vorzügliche Fahrstrasse stellt die 
Verbindung mit der Landeshauptstadt Sarajevo her. Nach der Occupation 



Durch die Herccgovina nach Cetinje. IO3 

veränderte sich Foöa einigermassen, aber jedenfalls nicht zum Schlech- 
teren. Eine Menge von Kasernen und Magazinen wurde errichtet, 
und eine grosse Vertheidigungskaserne befindet sich im Bau. Auch die 
Besatzung ist ziemlich stark, weil Foda ein berüchtigtes Räubernest 
war und weil die Nähe des türkischen Gebietes ein wachsames Auge 
seitens der österreichischen Verwaltungsbehörden erheischt. Neue Kirchen 
sind längst vollendet, das Hotel ist bequem eingerichtet, und eben so 
wenig vermissen wir ein Post- und Telegraphenamt, das wie das ganze 
Verkehrswesen Neu-Oesterreichs unter militärischer Verwaltung steht. 

Welch' eigenartige Stadt ist Foöa! Regellos zerstreut zwischen 
kleinen Gärten sind die luftigen, einstöckigen Häuser, die einander 
gleichen wie ein Ei dem andern. Das flachgeneigte Dach aus gewellten 
Ziegeln springt über einen Altan und über den breiten Flurein- 
gang vor. Altan und Eingang nehmen die Mitte der weissgetünchten 
Wand ein und theilen jedes Haus in zwei Hälften: eine Bauart, die 
man an den meisten türkischen Gebäuden beobachten kann. Schade 
nur, dass die Wohnstätten nach der Strasse zu von einer Mauer ver- 
sperrt und von engen, vergitterten Fenstern verunziert werden. Das Unter- 
geschoss nehmen nicht selten offene Läden ein, die Abends durch eine 
aus Brettern zusammengefügte Klappe geschlossen werden. Die schlanken 
Minarets und die gewölbten Kuppeln von 18 Moscheen überragen die 
Dächer und Baumwipfel; niedere Mauern oder türkische Friedhöfe mit 
seltsamen Grabdenkmälern umgeben die Plätze vor den theils schmuck- 
losen, theils mit ausgesuchter Pracht ausgestatteten Bethäusern, und 
zur bestimmten Stunde ruft der Muezzin mit langgedehnter Stimme 
die Zeit aus oder mahnt die Gläubigen zum Gebet. Denn Stadt und 
Bezirk Foda gehören zu den wenigen Gegenden Bosniens, in denen 
die Bekenner des Islam überwiegen, und die Stadtbewohner bestehen 
zu Dreiviertel aus muhamedanischen Serben. 

Ein reges Leben und Treiben herrscht in den schmalen, kreuz 
und quer verlaufenden Gassen, die sich nicht allzuoft zu einem kleinen 
Platze erweitern; und ich bedauerte es lebhaft, dass ich zu spät kam, 
um einer sonderbaren Procession beizuwohnen. Kurz vorher hatten 
nämlich die Türken mit entsprechender Feierlichkeit 70.000 Steine in 
die Drina geworfen, um dadurch den mangelnden Regen herbei zu 
zaubern. Wie in Podgorica, so war auch hier die Tracht eine bunte 
und mannigfaltige. Besonders fielen die verschiedenen Farben und 
Formen des Fez auf, und in Foda trugen die Türken den Kopf eben- 
falls bis auf einen kurzen Haarbüschel glatt geschoren. Die meiste 
Anziehungskraft übten natürlich die Türkinnen aus, die sich beim 



I04 Durch die Hercegovina nach Cetinje. 

Herannahen eines Mannes rasch in ihren undurchdringlichen Schleier 
hüllten und mit sichtlicher Neugierde dem Fremden nachblickten, der 
in Foäa noch immer eine seltene Erscheinung ist. 

Die Emsigkeit, mit welcher die Handwerker vor Aller Augen ihren 
Geschäften nachgingen, erhöhte den Reiz des Strassenbildes ungemein, 
und ein Blick auf die ausgelegten Waaren überzeugte einen, dass die 
Metropole Südost- Bosniens an industrieller Regsamkeit nur hinter 
Sarajevo und Banjaluka zurücksteht. Sind doch die Foöaner 
Schmiede wegen ihrer geschmackvollen WafiFenbeschläge und wegen 
ihrer Säbel- und Handzarklingen berühmt. Die einheimischen Schuhe 
sind weit verbreitet, und die zierlichen Lederarbeiten gemessen einen 
wohlverdienten Ruf. Die wohlschmeckenden Weizenbrote Foäas sucht 
man im Umkreise und in Montenegro vergebens, und überall bieten 
Obstverkäufer ihre Früchte zu erstaunlich billigen Preisen feil. An 
Fleischern, Reis-, Tabaks- und Kaifeehändlern ist kein Mangel, und 
Einkehrhäuser, Schenken und Militär - Cantinen sind nicht minder 
zahlreich. 

Ich bemass meinen Aufenthalt auf drei Tage und wollte dann 
nach Crkvice zurückkehren, um kürzesten Weges zum Durmitor auf- 
zubrechen. Doch es sollte anders kommen. Auch in Foda war es für 
meinen Diener das erste gewesen, sich jeden Tag gründlich zu be- 
trinken und seine Pflichten zu vernachlässigen. Ich will die unerquick- 
lichen Scenen nicht näher erörtern: kurz, als ich erfuhr, dass dei* 
charakterlose Mensch zur Befriedigung des Schnapsteufels seinen von 
der montenegrinischen Regierung ausgestellten Pass versetzt und Schulden 
gemacht hatte, die ich nachher bezahlen musste, und als er mir oben- 
drein den Gehorsam verweigerte, da jagte ich ihn mit Schimpf und 
Schande fort. Wohl umklammerte er bittflehend meine Kniee und rief 
verzweiflungsvoll aus, er würde sich erschiessen, sobald er jenseits der 
Grenze sei. Als ich jedoch einen Monat später in KolaSin eintraf, hörte 
ich, dass er soeben das Städtchen verlassen habe. Waren seine selbst- 
mörderischen Absichten also leere Worte gewesen, so schien er sich 
wenigstens vor seinen Landsleuten zu schämen. Er erzählte ihnen, ich 
sei durch ein Telegramm nach Hause gerufen worden, und deshalb 
erklärtem sich sein überraschend schnelles Verschwinden aus Kola§in, weil 
meine unvermuthete Ankunft seine Aussagen Lügen strafte. Jetzt war 
guter Rath theuer, aber die österreichische Gastfreundschaft bewährte 
sich wieder aufs glänzendste, und dank der Fürsorge des Bezirksamtes 
erhielt ich schon nach wenigen Stunden einen erfahrenen, nüchternen Mann. 
Er war ein Türke namens Bajro Hadzimuäid, der zwar nur seine Mutter- 



Durch die Hercegoviaa nach Cetinje. I05 

spräche, das Serbische, verstand; indessen hatte ich mir dieselbe im Laufe 
der Zeit soweit angeeignet, dass wir uns gegenseitig verständigen konnten. 
Die Abreise wurde auf den nächsten Tag, den 25. Juli, verschoben. Sie 
führte durch österreichisches Gebiet; und wenn mich auch dieser un- 
freiwillige Umweg etwas verstimmte, so war ich doch froh, dass ich 
meines zweifelhaften Begleiters Arso Popoviii für immer ledig war. — 
Da die obere Drina nicht überbrückt ist, so gingen wir 
am rechten Ufer ein gutes Stück aufwärts und setzten auf einer Fähre 



zwischen Foia und Bastad über. Noch lange wanderten wir längs der steilen, 
höhlenreichen Conglomeratbänke hin, bis wir in das liebliche Thal der 
Sufeska einlenkten, die 5 Kilometer von der montenegrinischen Grenze 
entfernt ihre klaren Fluthen mit denen der Drina vermischt. Wald, 
Wiesen und Aecker bedeckten in harmonischem Wechsel die quellen- 
reichen Schiefer, die befiederten Sänger erfüllten mit tausendstimmigem 
Schmettern die Lüfte, Dörfer und Kasernen schauten aus dem Ge- 
büsch, bis sich das Thal verengte und einen romantischen Charakter 
annahm. Doch der Himmel machte ein finsteres Gesicht. Schon am 



io6 



Darch die IJercegovina nach Cetinje« 



Morgen herrschte eine drückende Schwüle, die durch ein unbedeutendes 
Gewitter eher vermehrt ward, und jetzt, am Spätnachmittag, rauschte 
ein strömender Gewitterregen hernieder. Völlig durchnässt suchten wir 
unter einem Schuppen Zuflucht, aber durch die Lücken des Daches 
ergoss sich das Wasser ungehindert, und erst nach einer Stunde war 
das Unwetter vorüber. In den Vertiefungen des rauhen Pfades hatten 
sich grosse Pfützen angesammelt, und die Feuchtigkeit durchweichte 
die dünnen Opanken so rasch, dass sie nicht den geringsten Widerstand 
mehr boten. Glücklicherweise war unser Ziel, die Gendarmerie-Kaserne 
Suha (690 Meter), nicht mehr weit und öfifnete uns sofort ihre gast- 
lichen Thore. 

Schon seit einer guten Weile gingen wir in einem wilden Canon, 
aus dem uns ein kalter Wind entgegenwehte. Zerrissene Kalke hatten 
die sanften Schiefergehänge verdrängt, und senkrechte Wände 
traten zu einer schaurigen Schlucht zusammen, die bei 1500 Meter Tiefe 
kaum 15 Meter Breite besass. Buntes Buchendickicht bekleidete die 
unteren, dunkler Nadelwald die oberen Theile, die sich in phantastische 
Nadeln, Thürme und Pyramiden auflösten. Graue Nebel erfüllten den 
gähnenden Spalt, und am Grunde stürzte die eingeengte Suceska tosend 
über das Geröll. So setzte sich die grossartige Klamm am nächsten 
Morgen bis zum Blockhause Grab fort, das an der Grenze zwischen 
Bosnien und der Hercegovina liegt und die Stelle bezeichnet, wo sich 
die schier unersteiglichen Felsmauern im Volujak und in der Tovarnica 
die Hand zu reichen scheinen. Auf ihren Vorsprüngen stehen noch 
die Mauerreste zweier Burgen, die im 15. Jahrhundert das Thal sperrten 
und ihm den Namen Vrata (die Thore) gaben. So wenig Raum 
blieb für den schmalen Pfad, dass er auf roh zusammengefügten Holz- 
stegen beständig hinüber und herüber führte und nicht selten in den 
überhängenden Felsen gesprengt war. Obwohl er das Schlussglied der 
wichtigen Handelsstrasse von Ragusa nach Foda und Alt-Serbien bildete, 
thaten die Türken wenig für seine Erhaltung und Sicherheit; erst die 
Oesterreicher verbesserten ihn und säuberten das verrufene Thal 
von dem räuberischen Gesindel. Ein steiler Aufstieg brachte uns in 
dichtem Wald auf den Cemerno-Sattel, und dann zogen wir auf dem 
früher begangenen Wege nach Gacko. 

Dort fand ich die alten Freunde wieder und unter ihnen Herrn 
Oberlieutenant Bednar, der mich alsbald auf seinen neuen Posten, das 
13 Kilometer von Gacko entfernte Fojnica an der Strasse nach Neve- 
sinje, mitnahm. Zum zweiten Male sollte ich meine Reitkunst auf die 
Probe stellen, denn Herr Bednar nahm die Büchse über die Schulter, 



Durch die Hercegovina nach Cetinje. 



107 



gab mir ebenfalls ein doppelläufiges Gewehr, und hurtig sprangen wir 
auf die bereit gehaltenen Pferde, um die trostlose Umgebung von Foj- 
nica zu durchstreifen. Trotz des zweifelhaften Pfades trugen uns die 
vorsichtigen Thiere sicher an schroffen Abgründen vorbei. Hinter dem 
elenden Weiler Jugovid hielten wir in der tiefen Rinne eines Karstbaches, 
der zu einem Mühlenteiche aufgestaut war; nicht allzu oft zierte ein 
hochstämmiger Baum die zahllosen Dolinen, die durch ihre dichte Zu- 
sammendrängung das bekannte blattersteppige Aussehen hervorriefen. 
Gegen Abend kehrten wir in einem Gendarmerie-Posten ein, da es zu 
spät war, um nach Fojnica zurückzureiten. Ich hatte schon auf dem Wege 
geahnt, dass mir der liebenswürdige Oberlieutenant eine Ueberraschung 
bereiten wollte, und diese bestand, wie er mir jetzt offenbarte, in nichts gerin- 
gerem als in der Abhaltung einer Bärenjagd. Die Eingeborenen hatten ihm 
mitgetheilt, dass Meister Petz in der Nachbarschaft des Dörfchens Borad 
wiederholt Schaden angerichtet hatte, und so wurde die Jagdgesellschaft 
zusammengerufen. Sie bestand ausser uns beiden aus sechs Gendarmen 
•nd zwanzig bosnischen Treibern ; ich erhielt einen achtschüssigen Kara- 
biner, wie ihn die Gendarmen führten , und um YjS Uhr morgens, 
noch leuchteten die Sterne am nächtlichen Himmel, machten wir uns 
auf. Was uns der 28. Juli bringen mochte, darüber war ich sehr 
gespannt. 

Das Blockhaus hat eine wunderbare Lage. Zwar dehnt sich der 
öde Karst bis zum Horizonte aus, aber vor uns läuft eine tiefe Schlucht 
hin, die dichter Laub- und Nadelwald abwechselnd mit Häusern, Wiesen 
und kleinen Feldern bedeckt, während ein silberner Wasserstreifen die 
saftigen Matten durchschneidet. Das ist der grösste Strom der Herce- 
govina, die Narenta oder Neretva, die in jenen Gegenden entspringt 
und der todten Natur Leben und Abwechslung verleiht. 

Beim ersten Morgengrauen waren wir am Flusse, und nachdem 
die Eingeborenen sich mit der sprichwörtlichen Saumseligkeit der 
Orientalen eingefunden hatten, drangen wir in das Dickicht ein. Ein 
alter Türke wies den Jägern die Plätze auf der Höhe an ; die Uebrigen 
eilten an die Narenta, um das Wild von der Tränke zu verscheuchen 
und es uns zuzutreiben. Lautes Schreien, Pfeifen und Klopfen hallte 
durchdringend durch die Morgenstille, und aufmerksam lauschten wir 
auf jedes Knacken der Zweige, auf jedes Geräusch, das der Wind in 
den Baumkronen verursachte, doch kein Thier kam uns zu Gesicht. 
Daher überschritten wir den Fluss auf quer durch sein Bett gelegten 
Steinen, um im Urwalde des rechten Ufers unser Waidmannsheil zu 
versuchen. Aber obwohl wir bis zum Nachmittage noch fünf grosse 



Io8 Durch die Hercegovina nach Cetinjc. 

Treiben machten und obwohl ich mich im Geiste mehrmals dem grimmen 
Bären gegenüber wähnte, so durchbrach nirgends ein edles Wild unsere 
Kette, und mit leeren Händen mussten wir das Thal verlassen. Der 
alte Türke erfreute uns beim Abschiede mit einer Menge Forellen 
und benutzte die Gelegenheit, den Gospodin Doktor, den er gleich 
seinen Landsleuten für einen Arzt hielt, über eine Krankheit zu be- 
fragen. 

Um wenigstens etwas nach Fojnica zu bringen, stiegen wir unter- 
wegs vom Pferde und pürschten das an Hasen und Hühnern reiche 
Gelände ab. Darüber wurde es Abend, und wir mussten an die Heim- 
kehr denken. Mein Pferd, welches ich jetzt so gern vorwärts gehabt 
hätte, war nicht zu einem gelinden Trabe zu bewegen, und da meine 
Begleiter — der Officier und zwei Gendarmen — ein gutes Stück voraus 
waren, so überliess ich mich ganz meinem Gaule, bis ich plötzlich be- 
merkte, dass er mich wo anders hin, nur nicht nach der Festung trug. 
Das war eine höchst unangenehme Situation, und in der Voraussetzung, 
dass das Thier seinen alten Stall aufsuchen werde, stieg ich ab uni 
Hess es vorangehen. Und richtig, es führte mich zu seinem Eigenthümer 
in ein kleines Dorf, aus welchem mich ein Bauer zu dem eine halbe 
Stunde entfernten Fojnica geleitete, wo man wegen meines Ausbleibens 
schon besorgt war. 

Nach einem Rasttage schied ich von der Festung und durchwan- 
derte auf drei Tagemärschen die Hercegovina. Sie ist ein eintöniges 
Karstland, das des üppigen Pflanzenwuchses ebenso wie der Quellen 
entbehrt. Die meisten Wasserläufe — und zu ihnen gehört die früher 
erwähnte Trebinj6ca — verlieren sich ganz oder theilweise im Erd- 
innern, und allein die Narenta fliesst bis zur Adria in einem offenen 
Bett. Wohl zaubert die Kraft der südlichen Sonne in dem Steinmeere 
Oelbäume, Tabaksfelder und Weingärten hervor, aber in welchem Ver- 
hältnis steht die Fläche des bebauten oder anbaufähigen Bodens zu 
der des nackten, vegetationslosen Felsens? Da die Niederschläge in 
dem klüftigen Kalke schnell versickern, so ist der Humus am Grunde 
der Dolinen nur in beschränktem Masse ausnutzbar, und andererseits 
entzieht das Uebermass der Bewässerung weite Strecken dem Acker- 
bau, weil die Winterregen zu langsam abfliessen können und den Boden 
versumpfen. Tagtäglich wiederholte sich dasselbe Bild; denn kaum hatten 
wir das magere Gacko Polje hinter uns, so traten wir in die endlose Stein- 
wüste ein. 

Zwei Handelsstrassen erschliessen die österreichische und monte- 
negrinische Hercegovina. Die eine, die wir bereits kennen lernten. 



Darch die Hercegovina nach Cetinje. lOQ 

führt von Risano über Grahovo, Nikäiö und die Landschaft Drobnjak 
nach Plevlje, die andere läuft von Ragusa über Trebinje, Bilek und 
Gacko nach Fo^a, um abermals in Plevlje zu enden und Alt-Serbien 
mit dem Meere zu verbinden. Während die erstere Strasse von frag- 
würdiger Beschaffenheit ist, stellt die zweite eine wirkliche Kunststrasse 
dar, die demnächst von Gacko bis Foäa ausgebaut werden soll. Schon 
im Mittelalter herrschte auf den nach Bosnien eindringenden Verkehrs- 
adern ein reges Leben, und ihnen verdankt die dalmatinische Küste 
noch heute ihre wirthschaftliche Bedeutung, da sie ganz und gar vom 
Hinterlande a.bhängt. Deshalb hatten die Strassen und Eisenbahnen, 
welche man parallel der Küste anlegte, wenig Wert, weil das Dampf- 
schiff den Fernverkehr schneller und billiger besorgte und weil die ein- 
heimischen Erzeugnisse nicht darnach angethan waren, zur Förderung 
von Handel und Wandel wesentlich beizutragen. Kein Wunder, dass 
die Eisenbahnlinie Sebenico-Spalato-Knin in wirthschaftlicher Beziehung 
keine Rolle spielte, so lange Bosnien unter türkischer Herrschaft stand 
und der gegenseitige Handel fast Null war. Welch' einen Aufschwung 
nimmt dagegen der Schienenstrang Brod-Sarajevo-Mostar-Metkoviö, der 
sammt seinen Nebenbahnen Neu-Oesterreich mitten durchschneidet und 
im Anschluss an die kroatischen Bahnen eine der wichtigsten Durch- 
gangslinien zur Adria ist ! Ja viel hat die österreichische Verwaltung 
für die Hebung des Landes gethan. Ueberall gewinnen die Städte ein 
europäisches Aussehen, die Sicherheit des Eigenthums und Lebens hebt 
Handel und Industrie, die Flüsse werden regulirt, die reichen Boden- 
schätze ausgebeutet, der Ackerbau wird durch die Entwässerungsarbeiten 
verbessert, die Viehzucht durch landwirthschaftliche Musteranstalten ge- 
hoben, Post- und Telegraphenanstalten gibt es in reichlicher Zahl, und 
das Eisenbahnnetz ist längst über die ersten Ansätze hinausgeschritten. 
Das Militär und die trefflich organisirte Gendarmerie sorgen für die 
öffentliche Ordnung in einer solchen Weise, dass man allein und ohne 
Waffen die wilden Gebirge durchstreifen kann. Wehe dem, der das zur 
Türkenzeit gewagt hätte! Und wer hat das alles gethan? Der Soldat. 
Er, der sonst bloss zum Zerstören bestimmt ist, hat mit dem Schwerte 
in der Hand zugleich die Cultur gebracht, und die Hilfsmittel, die erst 
zur Unterwerfung der aufständischen Bewohner dienten, verwandte er 
später zur segensreichen Förderung des Landes. Und dadurch hat er 
nicht allein dem Reisenden, der aus dem türkischen Gebiet nach Neu- 
Oesterreich kommt, sondern der gesammten Civilisation einen unschätz- 
baren Dienst erwiesen. 



IIO Durch die Herc^ovina nach Cetinje. 

Als wir in die flache Mulde Korito (927 Meter) hinabstiegen, war 
die montenegrinische Grenze etwa 5 Kilometer entfernt und hielt 
sich bis Trebinje in diesem Abstände von der Strasse. Nach einem 
Trünke aus einer sorgfältig ausgemauerten Cisteme durcheilten wir 
das Dolinenlabyrinth, und sein kümmerlicher Baumwuchs war ein be- 
redtes Zeugniss für die Waldverwüstung, deren sich Menschen und Thiere, 
vor allem die gefrässigen Ziegen, im Rarste schuldig gemacht haben. 
Trotz unseres rüstigen Ausschreitens brach die Nacht herein, und 
wir erreichten erst spät abends die Kaserne von Plana (635 Meter). In 
dem Fremdenzimmer, das die meisten dieser Wachthäuser besitzen, 
fand ich nach den Anstrengungen des Tages ein weiches Bett, und neu 
gekräftigt gingen wir am andern Morgen Trebinje entgegen. 

Die malerische Kaserne ist auf einem Höhenrücken erbaut, und in 
dem weiten Troge an seinem Fusse gruppieren sich die ärmlichen Bauern- 
häuser von Plana um eine schmucklose Moschee. Als die Strasse einen 
grossen Bogen beschrieb, den wir auf einer breiten türkischen Strasse 
abschnitten, kam einige Abwechslung in das monotone Bild. Vor uns 
entrollte sich das Kesselthal von Bilek, und drohende Forts krönten 
seinen hohen, steilwandigen Bergkranz. Die Stadt selbst (476 Meter) ist un- 
interessant und hat höchstens als viel umstrittener Waffenplatz eine gewisse 
Berühmtheit. Das unansehnliche Türkenviertel wurde im letzten Kriege 
und während der Occupation fast völlig zerstört, aus den Trümmern 
aber erhoben sich die europäischen Gebäude von Neu-Bilek, das unter 
anderm auch zwei Hotels besitzt. Eine Kaserne, die man eher eine ^kleine 
Festung nennen möchte, diente der starken Garnison zum Aufenthalte. 

Um Mittag verliessen wir Bilek im glühendsten Sonnenbrande und 
standen nach einer halben Stunde an einer tiefen Schlucht, deren Sohle 
ein klarer, breiter Wasserstreifen ausfüllte. Es war die Trebinjdica, die 
als ergiebiger Strom aus den finsteren Eingeweiden der Erde sprudelte und 
sogleich ein Pumpwerk in Bewegung setzte, das die 120 Meter höhere 
Stadt mit Wasser versorgt. Rasch schiesst sie am Kloster Kosijerevo 
vorüber, bewässert in vielfach verschlungenen Windungen die Niederung 
von Trebinje und verschwindet urplötzlich, wie sie gekommen, um bei 
Ragusa als Ombla oberirdisch zur Adria abzufliessen. Allmählich wurde 
die Landschaft freundlicher, unter das lichte Eichengebüsch mengten 
sich einzelne hochstämmige Bäume, und der Blick schweifte hinüber zu 
den Banjani, deren öde Kalkschichten ein fahler Grasmantel überzog. 
Zwei alte Bekannte, die Straziste und der Planik, hoben sich vom klaren 
Himmel ab, und als die vorspringenden Bergcoulissen ihre kahlen Spitzen 
verdeckten, entrollte sich das weite Polje von Trebinje. 



Durch die Herccgovina nach Cetinje. HI 

Trebinje (213 Meter) ist eine originelle Stadt, weil sich in ihr die 
Cultur des Abendlandes mit der des Orients vermischt und weil die 
Spuren des Jahrhunderte langen Handels mit Ragusa noch immer be- 
merkbar sind. Hörnes schildert den etwa 2000 Seelen zählenden Ort 
als ein schauerliches Nest, und das mag er gewesen sein, als das Haus 
Habsburg die verwahrloste türkische Erbschaft antrat. Obgleich ich nur 
kurze Zeit in der Stadt verweilte und einen beschränkten Theil derselben 
kennen lernte, so muss ich doch sagen, dass ich von dem, was ich sah, 
nicht unangenehm berührt war. Trebinje erstreckt sich im nordöstlichen 
Winkel der Ebene zwischen dem Flusse und der Felswand. Eine breite 
Strasse, umrahmt von türkischen Häusern, löst sich einerseits in ein 
regelloses, von Moscheen überragtes Gewirr auf, andererseits mündet sie 
in eine mit Bäumen bepflanzte Allee, die von ebensolchen Strassen 
durchschnitten und von italienischen Gebäuden geziert wird. Auf einem 
flachen Hügel erhebt sich der plumpe Uhrthurm ; wo die Berge hart an 
den Fluss treten, tragen sie das Castell, und von jedem dominierenden 
Punkte der Umfassungsketten lugt ein Fort ins Land hinein. Das Kessel- 
thal ist als tiefstes Glied der staffeiförmig abfallenden Beckenreihe Gacko- 
Korito-Plana-Bilek-Trebinje bemerkenswerth, die, nach den bald ober-, 
bald unterirdisch abfliessenden Schlundgewässern zu urtheilen, auch einen 
hydrographischen Zusammenhang besitzt. 

Der I. August sollte uns wieder an das blaue Meer bringen, und 
die Strasse wandte sich nach Südwest, um den bedeutendsten Küsten- 
platz Dalmatiens, Ragusa, zu gewinnen. Noch lange waren die rothen 
Dächer von Trebinje sichtbar, als wir einen Karstbach überschritten, der 
das Wasser des bekannten Popovo Polje (Popenfeld) zur Trebinjcica leitet, 
und am Rande der langsam ansteigenden, wild verkarsteten Ebene 
emporklommen. Die uns begegnenden Eingebornen hatten stets ein Wort 
des Grusses; mit meinem Türken tauschten sie besonders viele Compli- 
mente aus, und ich will an dieser Stelle der merkwürdigen Begrüssungs- 
formen kurz gedenken. Zwar werden sie in Gegenwart eines Fremden 
glücklicherweise nicht zu ausführlich befolgt; wenn aber zwei Bekannte 
zusammentreffen, die gerade Zeit haben — und Zeit hat man im Orient 
ja immer — so beginnt ungefähr folgendes Zwiegespräch: 

»Pomaga ti Bog (Gott behüte dich)!« sagt der erste, »*Dobra ti 
sreca (Ich wünsche dir viel Glück)!«« der zweite. 

»Kako ste, brate (Wie gehts, Bruder)?« fragt der erste wieder. 

»»Dobro, hvala Bogu! Kako ti (Ich danke Gott, gut; und wie gehts 
Dir)?«« erwidert der andere. 



112 Durch die Hercegovina nach Cctinje, 

»Dobro, hvalaBogu!« entgegnet jener und fährt fort vEste li zdravi 
(Bist du gesund)?« 

»»Jesam Bogami, hvala Bogu (Ja, ich bin, Gott sei Dank, gesund)!« * 
ist meist die Antwort. 

>Bogu hvala (Ich danke Gott)!« wiederholt der erste erleichtert 
und forscht weiter: »Wie geht es deinem Vater? deiner Mutter? deinen 
Kindern? deinem Bruder? deiner Schwester? deiner Grossmutter?« 

Immer folgt ein salbungsvolles >»Dobro, hvala Bogu!«« 

Nachdem sich nun der erste vergewissert hat, dass es den Familien- 
gliedem gut geht, will er sich auch überzeugen, was der Hausstand 
macht. »Wie geht es deinen Pferden? deinen Kühen? deinen Schweinen? 
deinen Ziegen? deinen Bienen?« Und damit er in übergrossem Anstände 
ja nichts vergisst, fragt er zum Schlüsse: »I kako jo§ (Und wie gehts 
dir noch)?« 

»»Dobro, hvalaBogu!«« ist die unvermeidliche Antwort, und dann 
wiederholt sich oft das gleiche Frage- und Antwortspiel. — 

Aus den Kalken hob sich ein niedriger Rücken ab, der senkrecht 
zur Strasse verlief, und als wir ihn überwunden hatten, leuchtete in 
überwältigender Pracht das Meer herauf. Fest gebannt blieben wir stehen, 
und meinem Begleiter, der die unendliche See noch nie gesehen, ent- 
rang sich ein Ausruf der Bewunderung. Wir hatten das Dinarische Ge- 
birgsplateau durchwandert, das im Küstengebirge jäh zur Adria abstürzt, 
und zum letzten Male verlangte ein Gendarm meinen Pass, ob er auch 
vorschriftsmässig beglaubigt war. Zum Zwecke einer genauen Ueber- 
wachung hat die Landesregierung angeordnet, dass jeder Pass mit 
einem Visum der österreichischen Botschaften oder Consulate ver- 
sehen sein muss, und beim Besuche einer grösseren Stadt ist genau 
die Dauer des Aufenthaltes und die Richtung der Weiterreise anzugeben. 
Zwar ist dieses Verfahren etwas umständlich und lästig, aber es ent- 
schädigt reichlich durch die angenehmen Bekanntschaften, die man bei 
dieser Gelegenheit mit den stets zuvorkommenden Behörden macht. 
Jetzt standen wir an der Grenze zwischen Dalmatien und der Hercegovina, 
an einer Stelle also, die vor 15 Jahren die österreichische Küste und 
das türkische Hinterland von einander schied. Man kann die bitteren 
Gefühle jener Völker begreifen, die einen Büchsenschuss entfernt vom 
Meere wohnen und durch eine streng beaufsichtigte politische Grenze 
seiner Segnungen verlustig gehen. Zwar besass die Türkei am Hafen von 
Klek-Neum und in der Sutorina bei Castel Nuovo zwei schmale Küsten- 
streifen. Aber sie wurden von österreichischem Gebiete umgeben, Oester- 



Durch die Hercegovina nach CetiDJe. H^ 

reich beherrschte die Einfahrt durch die langgestreckte Halbinsel Sabbion- 
cello und die Punta d'Ostro, und so hing von Oesterreichs Willen und 
Erlaubniss die Benutzung beider Häfen ab. 

Wir durchschritten eine gut bebaute Mulde, die zwischen den 
Hauptkamm des Küstengebirges und eine vorgelagerte Parallelkette ein- 
gesenkt war, und kamen immer mehr aus dem Reiche der Armuth 
und Oede in glücklichere Gefilde. Schlanke Pinien und ernste Cypressen, 
Lorbeergebüsche und Granaten, Feigen und mannshohe Aloes, der an- 
dern Kinder Floras nicht zu gedenken, wechselten mit Aeckem, Dörfern 
oder finsteren Festungen ab, und baldgrüsste das ehrwürdige Ragusa herauf. 
Ein enger, von Schüfen erfüllter Hafen wurde von einer waldigen Insel, 
dem lieblichen Lacroma, einigermassen geschützt; aber viel wichtiger 
ist die Bai von Gravosa, die den grössten Fahrzeugen Einlass und 
Sicherheit gewährt. Da hier das Gewirr der Inselklippen endet, welches 
die Schifffahrt nicht unwesentlich beeinträchtigt und über eine locale 
Bedeutung nicht hinauskommen lässt, so war Ragusa zu einem Mittel- 
punkt des Fernverkehrs wie geschaffen und das um so mehr, als die 
Felsküste bis zu den Bocche keinen guten Landungsplatz mehr aufweist. 
Seit Jahrzehnten ist allerdings die Blütezeit dieses dalmatinischen 
Emporiums vorüber, und treffend hat man es im Gegensatze zu Zara, 
der Stadt der Gegenwart, und Spalato, der Stadt der Zukunft, die Stadt 
der Vergangenheit genannt. Doch warum sollen wir den vielen Be- 
schreibungen von Ragusa noch eine neue hinzufügen? 

Am nächsten Tage brachte uns der von Fiume kommende Eil- 
dampfer nach Cattaro, und auf der Fahrt lernte ich eine Anzahl junger 
Montenegriner kennen, die aus der Kriegsschule von Caserta in ihre 
rauhe Heimat zurückkehrten. Wir tauschten gegenseitig unsere Erlebnisse 
aus, und mit Freuden stimmte ich ihnen bei, noch während der Nacht 
gemeinsam nach Cetinje zu fahren. Um lo Uhr Abends verliess unsere 
kleine Gesellschaft Cattaro, und um 5 Uhr rollten die beiden Kutschen 
durch die stillen Strassen der Landeshauptstadt. Mit neuen Hoffnungen 
und Erwartungen betrat ich die Schwarzen Berge, konnte ich doch 
nun meine so jäh unterbrochenen Pläne wieder aufnehmen und in die 
östliche Crnagora eindringen! 



H asser t. Reise durch Montenegro. o 



114 



Nach KolaSin. 



12. Capitel. 

Nach Kolasin. 



Ungern trennte ich mich von meinem wackeren Bajro, da das 
Reisen mit einem Türken in Montenegro seine Schwierigkeiten hat Ein 
neuer Begleiter, ein sehr sympathischer Jüngling namens Marko BoSko 
Pi'avilovid Bjelica, war rasch gefunden, und am 6. August brach ich 
zum zweiten Male nach Cetinje auf. Bis Sindjon benutzten wir die neue 
Strasse und kamen im Fluge an die Rijeka. Ihr Spiegel hatte sich be- 
trächtlich erniedrigt, und in zahllosen Windungen durchschnitt der 
Fluss das dichte Gewirr der Sumpfpflanzen. Dann wandten wir uns 
nach links, wo ein knapper Pfad auf den zerklüfteten Kalken sichtbar 
wurde (i86 Meter), und bei -f- 30^ C. Mittagshitze erklommen wir 
schweisstriefend das Plateau. Da war nichts als Stein gethürmt auf 
Stein, den lichter Karstwald überwucherte. Wo jedoch von der harten 
Natur ein Fleckchen Erde aufgespeichert war, das hatten fleissige Hände 
mit bewundernswerther Zähigkeit dem Ackerbau dienstbar gemacht. Im 
Schatten eines alten Baumes schlürften wir begierig das erfrischende Nass 
einer Quelle und setzten nicht ohne ein gewisses Unbehagen die müh- 
selige Wanderung fort. Hinter den Dörfern Meterizi und Carevlaz öffnete 
sich eine ausgedehnte, nach Kräften bebaute Mulde; die nackte Velja 
Gora, die wie viele Berge der Crnagora ein Gotteshaus trägt, schloss 
sie ab, und vorbei an der Dorfkirche (361 Meter) durchzogen wir das 
Becken (254 Meter) mit seinen Cistemen und ärmlichen Hütten. 

Von der Höhe aus genossen wir eine wunderbare Fernsicht auf 
die grüne Ebene von Podgorica, den blauen Scutari-See und die Alba- 
nesischen Alpen. Welche Gefühle mögen die Brust der Montenegriner 
durchtobt haben, die überall von ihren wüsten Bergen auf jene geseg- 
neten Gegenden herabblicken konnten. Oft fehlte es ihnen am Noth- 
wendigsten, und dort unten lag der fruchtbarste Boden brach, dort 
gab es Nahrung in Fülle. Wer solche Gegensätze gesehen, der muss 
die Raubzüge der Crnogorcen, die Cetas, ganz anders beurtheilen als 
Diejenigen, welche sie in Unkenntnis der Verhältnisse für unehrenhafte 
Raubritterstreiche halten. Selbst heute, wo dank den neuen Erwer- 



Nach KolaSin. 



115 



bungen die Zustände sich wesentlich gebessert haben, müssen alljähr* 
lieh viele auswandern, um dem Mangel zu entgehen. Allerdings nahmen 
die Plünderungszüge mit der Zeit einen rohen, grausamen Charakter 
an, weil die Türken Gleiches mit Gleichem vergalten und weil der 
religiöse Hass hinzukam ; aber Fürst Danilo unterdrückte mit aller Energie 
diesen barbarischen Brauch, der seine Landeskinder in den Augen 
Europas zu Räubern und Hammeldieben stempelte. 

Die Strasse, obwohl noch heute als kürzeste Verbindung zwischen 
Cetinje und Danilovgrad wichtig und stellenweise auf einem steinernen 
Unterbau ruhend, Hess mancherlei zu wünschen übrig. So passirten wir die 
zerstreuten Ortschaften Parci (505 Meter) und Gradac (503 Meter) und 
gelangten um V27 Uhr ziemlich ermüdet in das langgestreckte Kessel- 
thal Buronje (434 Meter), von dessen abstossender Umgebung sich die 
wogenden Mais- und Roggenfelder wohlthuend abhoben. Ein Einge- 
borener nahm uns bei sich auf; KulaS musste mit ausgedroschenem 
Stroh als Futter vorlieb nehmen, und wir erhielten Maisbrot und mit 
Wasser verdünnte Milch. Ein mächtiger Waldbrand in den albanesi- 
sehen Bergen fesselte noch lange unsere Aufmerksamkeit; und da die 
Luft so lau war, dass auch während der Nacht das Thermometer nicht 
unter -f- 20^ C. fiel, so legten wir uns auf der steinernen Tenne ohne 
jegliche Decke zum Schlummer nieder. 

Um 727 Uhr schieden wir von den armen Leuten und verloren 
uns wieder in den sonnendurchglühten Einöden. Die wild verkarsteten 
Kuppen waren fast kahl, aber an den unteren Hängen oder in den Do- 
hnen bildeten Gestrüpp, Buschholz und kräftigere Bäume erträgliche 
Bestände. Nach rVi Stunden standen wir vor der Kirche von Komani 
(436 Meter) und tranken in einem verräucherten Han den landesübli- 
chen schwarzen Kaffee, der uns in schmutzigen, halb zerbrochenen 
Tassen gereicht ward. Welche Armuth herrschte auf jenen Höhen, die 
nur wenige Stunden von der ergiebigen Zeta- und Mora^a-Niederung 
entfernt sind! Auch an den Einwohnern war der Einfluss der rauhen 
Natur nicht spurlos vorübergegangen. Dürftige Kleider bedeckten ihren 
mageren Körper, in ihren eingefallenen Gesichtern spiegelte sich die 
Noth wider, und aus der gedrückten Stimmung sprach die Sorge um 
das tägliche Brot. 

Wie alle Ortschaften in den südslavischen Landen nahm Komani 
einen weiten Raum ein. Die Häuser waren bald hier, bald dort und mög- 
lichst in der Nähe der kleinen Aecker angelegt. Die Siedelungen gingen 
aus den Mitgliedern einer Familie oder aus der Zusammenhäufung ver- 
wandter Familien hervor und tragen oft noch deren Namen, z. B. 

8* 



jx6 Nach KolaSin. 

Petrovici, Miljanici, Milosani, Lipovac, Njegusi. Wer das Bedürfniss nach 
einem eigenen Heim fühlte, suchte sich einen ihm zusagenden Platz 
aus. Mit der Zeit umfassten die Hütten ein so ausgedehntes Gebiet, 
dass sie Viertel- oder halbe Stunden von einander abliegen und dann ge- 
wöhnlich den Namen der betreflfenden Gemarkung, z. B. Velimje, Du- 
bodke, Cmikuk, Ljesevdce, Mrkovici, Bratonoziöi führen. Daher wird 
ein Ort, selbst wenn seine Einwohnerzahl noch so gering ist, als Stadt 
bezeichnet, sobald sich seine Häuser zu einer Strasse zusammenschliessen, 
und man spricht von stadtartigen Dörfern, wenn sie wie Grahovo, 
Vilusi und Velimje die ersten Anfänge einer geschlossenen Bauweise 
besitzen. 

Jetzt fiel das Plateau zur anmuthigen Zeta-Ebene ab, und vor uns 
thürmten sich die plumpen Gipfel des Garad auf. Rudisten, die be- 
kanntesten Kreideversteinerungen, erfüllten den ven\'itterten Kalk, und 
mit der Tiefe wurde der Buchenwald üppiger und hochstämmiger. An 
den Hängen und am Grunde eines Thaies waren die Hütten von Za- 
garad vertheilt, und der geplagte Fuss fand weichen Humusboden. 
Ein letzter Steilabstieg brachte uns an einen Nebenfluss der Zeta, die 
Su§ica, die sich mit schrofifen Ufern in das Schwemmland eingewühlt 
hatte und bis auf wenige Tümpel völlig wasserlos war. Wir überschritten 
sie auf einer Steinbrücke (58 Meter), durchmassen auf bequemem Wege, 
den indessen die Hitze und der bei jedem Tritte aufwirbelnde Staub 
sehr beeinträchtigten, die fruchtbare, Koso\*i Lug (Amselnhain) ge- 
nannte Niederung und zogen um 2 Uhr in Danilovgrad ein. 

Drohende Gewitter hatten sich in den letzten Tagen zusammen- 
geballt, aber immer lösten sie sich auf, ohne das erquickende Nass ge- 
spendet zu haben, bis endlich während der Nacht ein wolkenbruch- 
artiger Gewitterregen die verdurstenden Pflanzen tränkte. Leider hielt 
die angenehme Kühle nicht lange an, und schon um 10 Uhr betrug 
die Luftwärme wieder -f- 25 ^ C. Bald war das alte Kloster 2dre- 
banik (68 Meter) am linken Zeta-Ufer erreicht, und zwischen Fel- 
dern, Wiesen und Hainen führte uns der Weg bis in die Nähe von 
Spuz. Ein Saumpfad, den eine halb verfallene Kula sicherte, lief längs 
eines trockenen Wasserrisses am unfreundlichen Randgebirge empor, 
das genau so beschafifen war wie seine nördlichen Abdachungen 
bei Joi-anovid und Ostrog und von Rudisten wimmelte. Auf einer 
grasigen Terrasse rasteten wir längere Zeit und betraten nach einem 
kurzen Marsche das einsame Kloster Celija Piperska (448 Meter). Der 
alte Geistliche arbeitete auf seinem Felde und eilte sofort herbei, als 
ihm unsere Ankunft gemeldet ward, \^'as er uns bieten konnte, setzte 



Nach KolaSin. I i y 

er uns vor. Eine Henne wurde geschlachtet, eine Menge steinharten 
Brotes, das die Bauern dem Monasterium zu schenken pflegten, wurde 
aufgeweicht, und der rothe Zeta-Wein mundete mir vortrefflich. 

Noch- war das Ende der langweiligen Karstwanderung nicht ab- 
zusehen, als wir am 9. August in den Gau der Piperi eindrangen, und 
bloss der stets wechselnde Blick auf Zeta- und Moraöa-Thal, auf den 
Scutari-See, die Rumija und den Lovden entschädigte uns einigermassen 
für die trostlose Umgebung. Ein orkanartiger Sturm hatte die Nacht 
über gerast und die Atmosphäre gereinigt; die frische Morgenluft Hess 
uns rüstig ausschreiten, und bald lagen die kleinen Ortschaften Crnci 
(438 Meter) und Stijena (479 Meter) hinter uns. Zwischen beiden Dörfern 
wurden die Rudistenkalke von scharfeckigen, massig grossen Kalk- 
trümmem überlagert. Ein Kalkcement hatte sie wieder verkittet; doch 
waren sie stellenweise aus ihrer Verkittung gelöst oder ganz beseitigt, 
so dass ihr Gefüge einem viellöcherigen Schwämme glich. Dass 
bei diesem Verwitterungsprocesse das Wasser eine wesentliche Rolle 
spielte, war aus den zahlreichen Kalkspath-Kryställchen zu schliessen, 
die als ein feiner Ueberzug die Wände der Hohlräume überkleideten. 

Die schmale Terrasse, welche längs des Zeta-Thales beständig an 
der Gebirgsmauer hinzulaufen scheint, verbreiterte sich zu der Hoch- 
ebene von Petrovidi, und plötzlich schössen dünne Lagen der hellbraunen, 
feinblätterigen Schiefer zwischen den Kalken hervor. Sie entsprechen 
in jeder Beziehung den cretaceischen Schiefem der Duga-Pässe und 
gehören wegen ihrer Einbettung zwischen Rudistenkalke unzweifelhaft 
zur Kreide. Ihre Ausdehnung und Mächtigkeit ist sehr gering, so 
dass der Kalk gleich wieder vorherrscht und den Stempel der ent- 
setzlichsten Verkarstung trägt. Die Banjani sind nicht so abschreckend 
wie jene Stätte des Todes, wo kein Aeckerchen, kein grüner Wiesen- 
fleck, kein sprudelnder Quell das Auge erfreut. Scharfe Rinnen verwan- 
deln das unverhüllte Gestein in ein endloses Karrenfeld, und vorsichtig 
gleitet der Fluss über den glatten, braunen Strich, der in dem pfadlosen 
Gewirr von Zacken und Löchern den Weg andeutet. Das ganze Gebiet 
der mittleren Moraäa, dessen Erhebung zwischen 250 und 650 Meter 
schwankt, ist von Karrenfeldern erfüllt, die ihrer Entstehung nach in 
erster Linie auf die chemisch auflösende Kraft des Wassers zurückzu- 
führen sind. Neuere Theorien, welche den Schmelzwassern einstiger 
Firn- und Gletscheranhäufungen eine hervorragende Rolle zutheilen, 
möchten für diese Gegenden ausgeschlossen sein, da selbst im monte- 
negrinischen Hochgebirge eine ehemalige Vergletscherung nicht nach- 
gewiesen ist und die Meereshöhe der langen Erhaltung des Schnees 



Xlg Nach KoltSin. 

entgegensteht. Da jedoch tiefe Cafions das Plateau durchschneiden, so 
muss es vor Zeiten wasserreicher gewesen sein, weil die Erosions- 
wirkung der armseligen Rinnsale und der spärlichen Sommerregen, wie 
wir sie heute finden, jene geheimnisvollen Gebilde kaum schaffen 
konnte. 

Wenige Dörfer belebten die Wüste , und ich bedauerte die 
armen Eingeborenen, die im Schweisse ihres Angesichtes dem undank- 
baren Boden einen kärglichen Ertrag an Tabak^ Kartofifeln und anderen 
Peldfirüchten abzuringen suchten. Man sollte meinen, dass sie der müh- 
selige Kampf ums Dasein zu gleichgiltigen, mürrischen Menschen 
machte, aber unter der rauhen Brust schlug ein gutes Herz, und es 
wartete unser stets ein freundlicher Empfang. Als wir das weithin 
sichtbare Kirchlein von Zavala (354 Meter) verlassen hatten und in dem 
öden Karstthale von Mrki (205 Meter) abwärts wanderten, trat das 
Kettengebirge längs der Moraäa immer schärfer hervor, und der nackte 
Brotnik überragte den mit magerem Buschholz bestandenen Sockel. Da 
nördlich und südlich die Kalkmauern fast unmittelbar aufsteigen, so ist 
die Senke von Mrki als einziger bequemer Zugang vom Moraca-Thal 
auf die Hochebene nicht unwichtig. 

Wir betraten das Becken von Bijoce, das trotz seiner zahlreichen 
Häuser einen nichts weniger als anheimelnden Eindruck machte. Nach 
Passirung der auf steinernen Pfeilern ruhenden Moraca-Brücke (95 Meter) 
folgten wir den Spuren Heinrich Barths, der vor 26 Jahren von Pod- 
gorica nach Bijelopolje reiste. Die von Podgorica nach Kola^n führende 
Telegraphenleitung begleitet den st-einigen, stellenweise untermauerten 
Saumweg. Trockene Bachrisse zerfurchen die Gehänge, und den grössten 
derselben, die Mala Rijeka (Kleiner Fluss), überspannt eine Steinbrücke. 
Mächtige Geröllmassen sind in ihrem Bett abgelagert, das zur Zeit der 
Schneeschmelze einen zügellosen Strom beherbergt. Im Oberlaufe ver- 
siegt er nie, weil er seine Nahrung aus den quellenreichen Schiefem 
von Vasoje\4<5 bezieht; aber im Unterlaufe versch\i'inden seine klaren 
Fluthen während des Hochsommers vollständig unter den Trümmern. 
Nun durchmassen wir das wild verkarstete Plateau zwischen den Ca- 
fions der Moraäa und Mala Rijeka, und wohin wir blickten, immer hatten 
wir dasselbe abstossende Bild der Trostlosigkeit. Zugleich gibt es jedoch 
den Schlüssel an die Hand, warum sich das kleine Montenegro sieg- 
reich gegen die türkische Uebermacht behaupten konnte. Die Cmo- 
gorcen wussten recht wohl, dass sie allein in ihren Bergen stark waren; 
und hatte der Feind wirklich einen Erfolg errungen, so vertrieb ihn 
der drückendste Mangel bald wieder aus den un\>irthlichen Gegenden. 



Nach KolaSin. 



119 



Daraus erklärt es sich, dass die Montenegriner mit grosser Liebe an 
ihrer Heimat hängen und mich oft fragten, wie mir ihre Kalke 
gefielen. 

Einmal war in den Einöden ein kleines Paradies verborgen. In 
der Tiefe wand sich die schäumende Moraäa durch einen länglichen 
Kessel, der das Polje von Bijoäe fortsetzte und mit Baumgruppen, 
Wiesen, Maisfeldern und vereinzelten Häusern geziert war. Aber im 
nächsten Augenblicke wurde die liebliche Idylle wieder von den vorge- 
lagerten Hügeln verdeckt, und im Hintergrunde erhob sich der Brotnik 
finsterer als zuvor. Im Kirchdorfe Peljev Brijeg {460 Meter) kehrten 
wir beim Popen ein, und unter anderem erzählten die armen Leute, 
dass sie in den letzten regenarmen Jahren wegen Futtermangels einen 
grossen Theil ihres Viehes verkaufen mussten. Mit peinlicher Gewissen- 
haftigkeit wai- jeder kleine Ackergrund, jedes Fleckchen Buschwald mit 
einer schützenden Steinmauer umgeben, und die dünnen Baumäste 
wurden im Spätsommer abgehauen, um statt des fehlenden Heues als 
Winterfutter zu dienen. In Peljev Brijeg lebte ein alter Haudegen, der 
den berühmten Türkentödter von Mokro noch übertraf und in der Schlacht 
auf der Fundina seinen Säbel vom Griff bis zur Klinge mit erbeuteten 
Nasen gespickt haben soll. Leider habe ich den gefürchteten Krieger 
nicht gesehen; dafür besuchte uns der alte Pope, der Vater unseres 
Wirthes, und erkundigte sich angelegentlich nach Russland und Deutsch- 
land, er fragte, ob wir auch eine türkische Grenze hätten, und wollte 
vor allem wissen, ob es mehr Protestanten und Katholiken oder mehr 
Anhänger seiner Religion gäbe. 

Am nächsten Morgen war noch der Vjeternik auf zahlreichen 
Zickzacken zu überwinden. An seinem Fusse dehnte sich das Dorf 
Bratonoziäi (652 Meter) aus, und auf der Höhe überraschte uns ein kräfti- 
ger Buchenwald, der zwischen seinen Stämmen eine grosse Cisterne 
(11 20 Meter) verbarg. Nun ging es unaufhaltsam abwärts, und so un- 
vermittelt verschwand der Kalk unter den Sandsteinen, Mergeln und 
Schiefem der Werfener Schichten, dass noch nicht 20 Schritte vom 
Vjeternik entfernt eine klare Quelle austrat und dass sich die Natur in 
ein neues Gewand einhüllte, wie wir es auf unserem Marsche nach 
Kloster Moraöa kennen lernten. Längs der brausenden Lijeva Rijeka, 
eines Quellflusses der Mala Rijeka, eilten wir zum gleichnamigen Dorfe 
(1041 Meter), das aus einer Kirche und einigen Holzhäusern bestand. 

Hinter Lijeva Rijeka oder Lopata steigen die massig hohen Berg- 
ketten zu einer ausgeprägten Wasserscheide zwischen der Donau und 
dem Adriatischen Meere an. Grasmatten und Laubwälder überziehen 



120 Nach KolaSin. 

allerorts die ausdrucksvoll gegliederten Hänge, und überall rieseln Quellen 
über den Weg, die zuweilen ein sehr kaltes Wasser (-{- 5 ^ C.) besitzen. 
Das ist ein Rauschen, ein Murmeln, ein Leben, in den Wipfeln treibt 
der Wind sein Spiel, lustige Vögel schmettern ihre Weisen, und im 
Thale hüpfen die munteren Gebirgsbäche über das Gestein. Die ab- 
gerundeten Schieferrücken verbergen die kahlen Mauern des Hochge- 
birges, und so gleicht die Gegend am ehesten den Landschaften des 
Harzes oder des Thüringer Waldes. Die Werfener Schiefer gehen in 
die zuweilen von Kalkeinlagerungen unterbrochenen paläozoischenSchiefer 
über, aber der landschaftliche Charakter bleibt derselbe. 

Langsam senkt sich der bequeme Saumpfad zu dem schmalen 
Thale der Veruäa, die sich beim Han Garandfid (1168 Meter) mit der 
Opasanica zu Montenegros grösstem Strome, der Tara, vereinigt, an 
deren Mündung wir bereits vor Wochen standen. Der Marsch an ihren 
Ufern gehört zu einem der angenehmsten und macht die lang gewohnte 
Unwirthlichkeit der Schwarzen Berge ganz vergessen. Die Tara selbst 
schoss in einem breiten, geröllreichen Bett dahin, aber sie führte so 
wenig Wasser, dass ihre Anschwemmungen zahlreiche Inseln bildeten 
und dass man mit Leichtigkeit die schmalen Wasserfaden durchwaten 
konnte, wenn sie nicht stellenweise gänzlich unter den Unmassen der 
abgelagerten Trümmer verschwanden. 

Seit früh 5 Uhr marschirend, rasteten wir um 10 Uhr in dem 
anmuthigen Jabuka (1060 Meter), das sich zwischen wohlbestellten Fel- 
dern an die bewaldete Berglehne schmiegte. Die Einwohner brachten 
uns ein Kind, das jedenfalls infolge der Unreinlichkeit einen Ausschlag 
bekommen hatte. Wie in jedem Fremden, so sahen sie auch in mir 
einen Arzt, und wohl oder übel musste ich den Doctor Eisenbart 
spielen und in Ermangelung einer geeigneten Medicin den Leuten vor 
allem Reinlichkeit anempfehlen. 

Jetzt erhielten wir einen Begleiter, indem sich ein montenegrini- 
scher Briefträger — denn als solchen kennzeichnete ihn die grosse, 
wohlverschlossene Ledertasche — zu uns gesellte. Da die Verbindung 
zwischen den neun Postämtern des Fürstenthums — Cetinje, Rijeka, Pod- 
gorica, Danilovgrad, Nikäid, Kola§in, Antivari, Dulcigno, Virbazar — 
wöchentlich bloss zweimal stattfindet, so gibt es keinen fest angestellten 
Briefboten, sondern irgend ein Mann wird für den Weg gemiethet und 
entsprechend bezahlt. Obwohl Montenegro zwei Häfen besitzt, in denen 
auch die Lloyd-Dampfer anlegen, so werden die für das Ausland be- 
stimmten Sendungen über Cetinje nach Cattaro geleitet, und man kann 
daher mit einem gewissen Rechte sagen, dass die österreichische Post 



Nach KolaSin. 1 2 1 

den Auslandsverkehr besorgt. Zu den genannten Post- und Telegraphen- 
stationen kommen noch die drei Telegraphenämter Grahovo, Goransko 
und Andrijevica. 

Bei Matesevo (1050 Meter) gingen wir auf das linke Ufer der 
erlenumsäumten Tara, wo schwarze, glimmerige Thonschiefer mit Sand- 
steinen, Quarziten und fest verbackenen Conglomeraten abwechselten. 
Gegen 4 Uhr wurde auf einem sanften Rücken ein weisses Fort sicht- 
bar. Es war eins der alten Türkenforts von Kolaäin, und als wir um 
jenen Bergzug bogen, erblickten wir auf einer niedrigen Terrasse der 
Svinjada-Niederung die einfachen Häuser der kleinen Stadt (1008 Meter). 

Kolaäin als Ganzes genommen bildet eine weit zerstreute Siede- 
lung inmitten waldbekränzter Berge. Ein Theil seiner meist aus Fach- 
werk erbauten Wohnstätten schliesst sich jedoch zu einem Marktplatze 
und einigen Strassen zusammen, und eine kürzlich vollendete Kirche 
schaut von einem künstlich aufgeschütteten Hügel auf das freundliche 
Landstädtchen herab. Zur Türkenzeit war Kolaäin ein wichtiger 
Grenzpunkt, da unweit des Tara-Ufers das montenegrinische Gebiet 
begann und hier die von Berani und Bijelopolje kommenden Handels- 
strassen zusammenliefen. Einige fast ganz zerstörte Festungen erinnern 
noch an die türkische Herrschaft; die Mohamedaner selbst sind ausge- 
wandert, und ihre schmucklose Moschee dient seitdem als Stall oder 
Bretterniederlage. Kurz unterhalb der Svinjaöa mündet die Plasnica ein, 
und die durch den Zusammenfluss beider Bäche geschaffene Verbreite- 
rung war für eine Niederlassung die geeignetste Stelle. Gleich darauf 
verengt sich die Tara wieder, und ihre unwegsamen CaRons bilden eine 
natürliche Grenzscheide zwischen Montenegro und dem türkischen 
Gebiete. 

Kolasin liegt zwei Tagereisen von Podgorica und einen Tage- 
marsch von Andrijevica , Berani oder Bijelopolje ab ; doch ist der 
Verkehr gering, weil ihn die Gebirgs- und Flussschranken und 
noch mehr die unsichere Nachbarschaft nicht gerade begünstigen. 
Wurde doch einige Wochen nach meiner Abreise eine Schar Montene- 
griner bei Bijelopolje von den räuberischen Albanesen überfallen und 
zersprengt, und dieses Ereignis ist nur eines unter vielen. Der Bau 
einer Eisenbahn möchte auch hier manche Vortheile bringen, und 
bereits hat ein französischer Ingenieur die Linien für eine schmalspurige 
Eisenbahn nach dem System Döcouville abgesteckt. Von Podgorica 
strahlt ein Schienenstrang nach Nik§id, der andere über KolaSin nach 
Treb^a bei Andrijevica aus; dieser wird vielleicht nach Serbien, jener 
nach Neu-Oesterreich verlängert. Von Podgorica soll die Bahn bis 



X22 Nttcli KolaSin, 

Plavnica am Scutari-See geleitet werden, und ist erst das Unternehmen 
gesichert, so wäre politischen Zwecken nicht minder wie wirthschaft- 
liehen Interessen Rechnung getragen. 

In der Locanda schräg gegenüber dem Post- und Telegraphen- 
amte wurden wir aufs beste untergebracht, obwohl unser niedriges Zimmer 
ausser zwei Bettstellen, einem roh gearbeiteten Tische und einem verbliche- 
nen Spiegel nichts weiter enthielt und mit seinen kahlen Wänden und 



den kleinen, vergitterten Fenstern wie eine Gefängsniszelle aussah. Ich 
traf einen alten Bekannten vom Kloster Moraäa her, den Baumeister 
aus Bijelopolje, wieder; ein zweiter guter Freund dagegen, mein Diener 
Arso Popoviii, zog es vor, bei meiner Ankunft das Städtchen schleunigst 
zu verlassen. Kaum war ich in Kolaäin angelangt, so erkundigte sich 
ein junger Mensch, ob ich ihn photographiren wolle. Bald darauf fragte 
mich ein Fieberkranker um Rath, und wie ich früher meine zahnschmerz- 
stillenden Mittel vertheilt hatte, so musstc ich jetzt meinen Chinin-Vor- 
rath angreifen. Nun besuchten mich angenehme Gäste. Der erste und 
mir der liebste war Djordjijo Stani<;, ein liebenswürdiger, des Italienischen 
kundiger Jüngling. Nach ihm kam der Barjaktar Milos Radonia, und 



Im Darmitor. 



123 



in seinem Hause lernte ich die Vojvodina Milica Todorova, eine statt- 
liche Frau aus einem der edelsten Geschlechter der Crnagora, kennen» 
die ihr feines Benehmen und die überraschende Beherrschung der fran- 
zösischen Sprache der sorgfältigen Erziehung im Mädchen-Institute zu 
Cetinje verdankte. Pope Savo Rubeiid aus dem benachbarten Plana, 
unser Gesellschafter in Polje, wurde auch nicht vergessen, und er wusste 
mir mancherlei aus der Gornje Moraäa zu erzählen. So verflossen die 
drei Tage meines Aufenthaltes, und ich nahm Abschied von den Freun- 
den, nicht ohne ihnen eine nochmalige Rückkehr zu versprechen. Mein 
Hauptziel, der Durmitor, war nicht mehr weit entfernt, und nach drei 
Tagen sollte ich an seinen Zinnen stehen, von denen mich die Flucht 
der Ereignisse so lange fern gehalten hatte. 



13. Capitel. 

Im Durmitor*). 



Ein nicht zu anstrengender Marsch brachte uns am 14. August 
aus dem Plaänica-Thale auf eine 600 Meter höhere, flachwellige Hoch- 
ebene, die ein dichter Urwald alter Buchen und Aleppokiefern und zahl- 
reiche Katuns bedeckten. 

Aber bald verschwand das anmuthige Bild, um einer end- 
losen Reihe bäum- und wasserloser Mulden Platz zu machen, und erst 
nach stundenlanger Wanderung herrschten die Schiefer wieder vor. 
Um den mit Nadelholz bestandenen und mit Firnflecken erfüllten Resoas 
gruppirten sich die ärmlichen Hütten von Muleöe (1706 Meter), und hier 
gedachen wir zu übernachten, obwohl die Hirten wenig Lust hatten, uns 
bei sich aufzunehmen, und sich unser unter allerlei Vorwänden zu ent- 
ledigen suchten. Daher bedeutete ich meinen Diener, er solle sich auf 
unser Empfehlungsschreiben berufen, und das half sofort. Der Kapetan 
Hess Decken für mich ausbreiten, und die neugierigen Leute fanden des 



*) Ausführlicheres ist enthalten in K. Hassert, Der Durmitor, Wanderungen im 
montenegrinischen Hochgebirge. Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen 
Alpen Vereins 1892. 



124 



Im Durmitor. 



Fragens und Untersuchens gar kein Ende. Der eine erkundigte sich 
nach meiner Religion, der andere nach Bismarck, dieser nach Russland, 
jener nach Deutschland; und nachdem die Ruhrast meines Revolvers 
und meine Zither genugsam angestaunt waren, streckte ich mich im 
Winkel einer Koliba aus, um mein Lager brüderlich mit Menschen, 
Flöhen und Fliegen zu theilen. 

Von Mulece bis zur Landschaft Jezera bestand die traurige Hoch- 
ebene aus 14 langgestreckten Kesselthälern, die mit wenigen Ausnahmen 
völlig wald- und wasserlos waren, so dass die Hirten mit Schnee vorlieb 
nehmen mussten. Noch vor zwei Jahrhunderten trug die Sinjavina 
einen zusammenhängenden Hochwald und war von stattlichen, dauernd 
bewohnten Ortschaften belebt, an deren einstiges Dasein spärliche 
Ruinen erinnern. Aber verheerende Brände und vor allem die rück- 
sichtslose Zerstörungswuth der Eingeborenen vernichteten die kostbaren 
Bestände bis auf wenige Reste, die eisige Bora und die gewaltigen 
Massen des Winterschnees verwandelten das schutzlose Plateau Monate 
lang in eine unwirthliche Wüste, und in demselben Masse, in welchem 
der Wald verschwand und der lockere Humus fortgetragen wurde, 
verminderte sich auch der Graswuchs. Das Vieh fand keine genügende 
Nahrung mehr, an Ackerbau war wegen des rauhen Klimas nicht zu 
denken, und so blieb dem Menschen nichts anderes übrig, als die er- 
traglosen Gegenden zu verlassen. Im kurzen Sommer konnte er mit 
seinen Heerden hierher zurückkehren; doch ist der magere, steinige 
Boden so grasarm geworden, dass auf der Sinjavina die goldene Zeit 
des Hirtenlebens längst vorüber ist. Um die Unbilden voll zu machen, 
war auch der Holzmangel so drückend, dass man getrockneten Dünger 
zur Feuerung benutzte. 

Wir rasteten heute in den Kolibas am Starac und hatten hier fast 
noch geistreichere Fragen zu beantworten als in Mulede, bis endlich die 
Leute den Eingang der Hütte mit Brettern schlössen, um das Eindringen 
der kalten Nachtluft zu erschweren, und in ihre Decken gehüllt sich 
auf dem nackten Fussboden zur Ruhe niederlegten. Einige Kälber aber, 
die mit uns den Raum theilten, und noch mehr die sechsfüssigen Blut- 
sauger Hessen mich erst gegen Morgen den ersehnten Schlummer finden. 

Am 16. August verloren wir uns zum dritten Male in der trost- 
losen Hügellandschaft. Nach einer guten Stunde stiessen zwei Mon- 
tenegriner zu uns, die auf ihren Saumthieren Aepfel aus den Tara- 
Dörfern nach ^abljak schafften. Wir schlössen uns ihnen an und durch- 
eilten mit montenegrinischer Geschwindigkeit die langweiligen, stillen 
Hochthäler. 



Im Durmitor. I25 

Noch war jegliche Aussicht benommen, da fallt von der Höhe 
Kurozeb das Plateau rasch ab, und vor dem erstaunten Blicke entrollt 
sich in überwältigender Grossartigkeit der Durirtitor, Hochstämmiger Nadel- 
wald umkränzt seinen Fuss, grauschimmernde Firnflecken lagern in 
seinen Schluchten, und mächtige Schutthalden laufen von den Hängen 
herab ins Thal. 

Um den brennenden Durst zu stillen, verzehrten wir einige der 
halb unreifen Aepfel und nahmen nach zweistündiger Rast unsern Weg 



wieder auf. Bald war der Durmitor hinter einem Gewirr von Bergcoulissen 
verschwunden; die Mulden wurden tiefer, der Hochwald stellte sich wieder 
ein, und ebenso nahm die Zahl der Sennhütten zu. 

So betreten wir am Nachmittag die ausgedehnten Niederungen um 
2abljak, und der Durmitor zeigt sich jetzt unverwandt dem Auge. Auch 
hier vermag das kümmerliche Pflanzenkleid die Eintönigkeit nicht zu 
verwischen, obwohl das lockere Erdreich eine ziemliche Mächtigkeit 
erlangt hat. Es wird von einer undurchlässigen Schicht unterlageit und 
ist stellenweise so aufgeweicht, dass es unter den Füssen schwankt. 
Sehr oft tritt das überreichliche Nass in schmalen Rinnsalen zu Tage, 
die ein schmutz igblaues, meist stagnirendes Sumpfwasser von unan- 



126 ^°> Durmitor. 

genehmem Geschmacke besitzen. Einladende Häuschen und dürftige 
Getreide- oder Kartoffelfelder gewähren eine willkommene Abwechslung; 
doch mischt sich in den Ausdruck der Freude zugleich das Gefühl des 
Mitleids, wenn man sich die spärlichen Ernteerträge vorstellt, welche 
die dünnstehenden, noch im Hochsommer grünen Halme unter dem 
Drucke des rauhen Klimas abwerfen. Kein Wunder, dass dort oben 
das Brot theurer ist als das Fleisch. 

Die Sonne geht zur Rüste, und ungeduldig erwarten wir den 
Augenblick, der den Schluss unseres Tagemarsches verkünden soll. 
Endlich ist das Dörfchen Junäev Do durchschritten, ein flacher Rücken 
wird erklommen, und an seinen jenseitigen Hang schmiegen sich die 
kleinen Holzhäuser von 2ab]jak (1455 Meter). 

Ein reges Leben herrscht vom Spätfrühling bis zum Frühherbst 
auf den Ebenen um den Durmitor, weil aus den umliegenden Gebieten 
die Eingebomen heraufkommen, um ihre Kühe, Schafe und Ziegen auf 
den saftigen Alpenwiesen zu weiden. Kaum zieht jedoch der Herbst ein, 
so erlischt mit einem Male das fröhliche Treiben. Die Schluchten des 
Durmitor werden anfangs September bereits wieder verlassen, und 
wenige Wochen später sind die weiten Flächen von KolaSin bis zur 
Tara vollkommen menschenleer. Nur wenige Orte werden dauernd be- 
wohnt, und zu ihnen gehört ^bljak. Seine niederen Gebäude besitzen meist 
einen steinernen Unterbau, damit sie von den Lawinen nicht fortgerissen 
werden. Das Dach springt über die kleinen lukenartigen Fenster vor und 
ist stark geneigt, um die Schneemassen leichter abrollen zu lassen und 
die Häuser vor übermässiger Belastung zu sichern. Nicht selten steigt 
indessen das weisse Kleid des strengen Winters bis zum Giebel empor 
und erreicht nach Aussage der Eingebomen sogar 10 Meter Mächtig- 
keit, so dass es sechs Monate lang den Verkehr unterbindet und die Leute 
auf die Benutzung von Schneeschuhen hinweist. 

Wir kehrten im Hane ein, und für Kulas begann in dem 
kleinen Stalle des Untergeschosses eine achttägige Ruhepause. Unser 
Wohn- und Schlafraum bestand aus einem kaum 3 Quadratmeter 
grossen Kämmerchen, und auf den harten Pritschen konnten wir inter- 
essante Beobachtungen über die unberechtigten Mitbewohner, Schwaben 
und Wanzen, anstellen, die vor dem Scheine der Lampe eiligst in dunkle 
Schlupfwinkel flohen. 

Am zweiten Tage nach unserer Ankunft wurde zur Erinnerung an 
irgendeinen der vielen Türkenkämpfe ein Volksfest in Verbindung mit 
einem Jahrmarkt abgehalten. Die Häuser waren bald so überfüllt, dass 
viele der Ankommenden im Freien nächtigen mussten, und die aller- 



Im Durmitor. 



127 



Orts aufflammenden Feuer, die frei herumlaufenden Pferde und die in 
Decken gehüllten Gestalten gewährten ein eigenartiges Bild, das der 
gestirnte Himmel und die unbestimmten schattenhaften Umrisse des 
Durmitor stimmungsvoll ergänzten, 

Wie hatte sich das stille Dorf am nächsten Morgen verändert! 
Eine vielköpfige Menge wogte auf und nieder, und man konnte sich 
wieder einmal an der schmucken montenegrinischen Tracht erfreuen. 
Schade nur, dass der immer mehr Eingang findende Regenschirm so 
wenig dazu passt wie zu der Uniform eines Officiers. Das Scherzen, 
Singen und Tanzen nahm kein Ende, Wein, Raki und Kaffee wurden 
stark begehrt, und erst mit Einbruch der Dunkelheit breitete sich die 
Ruhe der Einsamkeit wieder über den abgeschiedenen Ort. 

Inzwischen war einer der beiden Montenegriner, die uns auf dem 
Marsche über die Sinjavina begleitet hatten, ein schlichter, treuherziger 
Einwohner aus ^abljak namens Ilija Kovaäeviö, als Führer gewonnen 
worden. Er musste die Schlafdecken, unsere Koch- und Essgeschirre 
und einen kleinen Vorrath an Erbswurst, Cacao und Brot tragen, 
während meinem Diener Marko der photographische Apparat zufiel. Am 
Morgen des 19. August wurde der Marsch in das geheimnissvolle Hoch- 
gebirge angetreten. Eine flachgewellte grüne Wiesenfläche, mit kräftigem 
Nadelwald besetzt und von mäandrischen Wasseradern durchzogen, 
senkt sich so langsam gegen die Riesenmauer des Durmitor, dass der 
Höhenunterschied zwischen i^abljak und dem Schwarzen See, der 
tiefsten Stelle jener Mulde, kaum 20 Meter beträgt. Wir schritten rüstig 
unter dem schattigen Dache vorwärts und standen nach vierzig Minuten 
an dem idyllischen Crno Jezero (1497 Meter), der seinen Namen »Schwar- 
zer Seec wegen seiner Farbe und Umgebung vollauf rechtfertigt. Kein 
Vogellaut, kein Plätschern des Wassers störte die feierliche Stille, zu 
der die melancholische Landschaft und das leichtbewegte Meer der 
schlanken Wipfel harmonisch passte. Soll doch hier einst ein Kloster 
gestanden haben, das der heilige Sava durch seinen Fluch in die Erde 
versenkte. 

Die Fichten rückten näher zusammen, und schliesslich waren wir 
in einem majestätischen Urwalde, dessen Grund das belebende Sonnen- 
licht nur spärlich erhellte. Mächtige Stämme lagen vermodernd auf dem 
weichen Boden, Moose und Flechten überwucherten das morsche Holz, 
und die nackten Wände des Bergkönigs, welche ab und zu sichtbar 
wurden, trugen das Ihre zu dem düsteren Bilde bei. Nach einer halben 
Stunde betraten wir eine sumpfige Lichtung in der Nachbarschaft des 
Barno-Sees und gelangten an den Mlinski Potok (Mühlenbach), dessen 



128 Im Durmitor. 

lustige Wellen mehrere Mühlen treiben (1524 Meter), um nach kurzem 
Laufe dem Crno Jezero zuzueilen. 

Trotz der beträchtlichen Erhebung über den Meeresspiegel machte 
sich die Wärme des Sommers sehr fühlbar, und zusehends ballte sich 
schwarzes Gewölk zusammen. Eben so schnell aber, wie es gekommen, 
war es auch wieder vergangen, und die Sonne schien freundlich vom 
klaren Himmel, als vor uns eine kleine, grüne Dolina auftauchte (1617 
Meter). Auf drei Seiten umrahmten sie flehten- und buchenbestandene 
Kalkrücken, und auf der vierten erhob sich in seltener Grossartigkeit die 
senkrechte Wand der Crvena Greda, die ihre Bezeichnung >Rothe Klippe« 
jedenfalls den rothbraunen, eisenschüssigen Verwitterungsproducten des 
Kalkes verdankt. Frische Flecken auf der grauen Oberfläche zeigten die 
Stellen an, wo jüngst das lose Gestein abstürzte, und mächtige Schutt- 
halden umkränzten den nackten, wild zerrissenen Fels. Die auffallende, 
fast kreisrunde Form des versteckten Kessels ruft im Verein mit der 
Horizontalität des Bodens und der Lage unmittelbar am Fusse der zer- 
klüfteten, durchlässigen Gebirgswand die Vermuthung wach, ob wir es 
hier nicht mit einem alten See zu thun haben, der, wie so viele Karst- 
seen, durch irgendwelche Umstände trocken gelegt wurde. 

Nun war der bequeme Weg zu Ende. Mit dem Ueberwiegen des 
verkarsteten Kalkes wurde er so schlecht, dass er oft kaum zu flnden 
war, und stieg zuweilen so rasch an, dass wir ihn nicht ohne Mühe er- 
klimmen konnten. Das Nadelholz hat allmählich einem dichten Laub- 
walde den Platz geräumt, dessen verschlungenes, überhängendes Ast- 
werk den kümmerlichen Fusssteig noch mehr versperrt. Doch schon 
winkt wieder die Erlösung, denn wir betreten ein zweites Kesselthal, die 
Srijepulna Poljana (1743 Meter) an der noch immer schroffen Crvena 
Greda. Ein altes Mütterchen nimmt uns freundlich in ihre bescheidene 
Koliba auf, und wir halten — es ist i Uhr vorüber — eine wohlver- 
diente Mittagsrast. 

Mit frischen Kräften begannen wir den eigentlichen Aufstieg an 
der Durmitor- Mauer. Die Zickzacke liefen an steilen Bergwiesen vor- 
über, auf denen fleissige Arbeiter mit Lebensgefahr das Gras abmähten, 
und erst vor kurzem hatte einer derselben, wie uns das alte Mütterchen 
ziemlich gleichgiltig erzählte, durch einen Sturz sein Leben verloren. 
Die Hauptschuld an dem Ausgleiten trägt die einheimische Fuss- 
bekleidung; denn so brauchbar die leichten Opanken auf dem blossen 
Stein sind, so wenig erfüllen sie ihren Zweck auf grasigen Lehnen. In 
letzterem Falle meint man wie auf einer Eisfläche zu gehen und kann 
sich kaum auf den Füssen halten, und wenn auch die Crnogorcen so 



Im Dur 



129 



geübt sind, dass selten einer ausgleitet, so ist bei stark geneigten 
Hängen die Gefahr doppelt gross. Ich habe dieselben Erfahrungen ge- 
macht;J]und gerade im Durmitor vermisste ich meine Bergschuhe um 
so schmerzlicher, weil mich die steilen Matten und die in ihrer un- 
mittelbaren Nachbarschaft gähnenden Schlünde sehr oft zum Ablegen 
der Schuhe zwangen. 



In geschützten Einschnitten stiegen hochstämmige Fichten 
bis zu den Zinnen des Gebirges an, %vährend der Laubwald mit 
wachsender Höhe zu niederem Buschholz herabsank und schon unter- 
halb des Sattels kräftigen Legföhren Platz machte, die nunmehr aus- 
schliesslich vorherrschten. Zusehends erweiterte sich die Aussicht. Im 
dunklen Grün der Ebene war ein neuer See, der Zmijino Jezero, ein- 



I^o Im Darmitor. 

gebettet, einladend grüsste 2abljak herüber, und die tiefen CaSons der Tara 
trennten die Bergketten Montenegros von denen des Sand^aks Novibazar. 
Wir wandten uns um und blickten in ein Thal von schauerlicher 
Oede. Kaum ein Gräslein zierte den nackten Boden, und Fimflecken 
bedeckten die zerklüfteten Hänge, die eine schmale, von einer un- 
unterbrochenen Dolinenreihe erfüllte Mulde frei Hessen. Aber auch 
in diesem Reiche des Todes hausen Hirten. Vier steinerne Kolibas 
kommen in Sicht, und da Stunden vergehen, ehe wir wieder auf ein 
lebendes Wesen stossen, so schlagen wir hier unser Nachtlager auf 
(1989 Meter). 

Wir trafen 734 Uhr ein, so dass mir genug Zeit zur Durch- 
musterung unserer Umgebung verblieb. Ueberall waren die dünnbankigen 
Kalke stark gefaltet und geknickt, und Sprünge durchsetzten das Gestein 
meist senkrecht zur Schichtenbildung. Am auffälligsten waren jedoch 
zahlreiche Dolinen, die dem Thalhange ein blattersteppiges Aus- 
sehen verliehen, auf ihrem Grunde ewigen Schnee beherbergten 
und nach der dem Gebirge zugewandten Seite steil abfielen. Die Ent- 
stehung dieser Trichter ergibt sich von selbst: es ist die chemisch 
lösende Fähigkeit des Firns, welche das kleinste Loch nach und nach 
zu einem stattlichen Kessel erweitert, wobei natürlich Abbröckelungen 
des aufgeweichten oder vom Froste zersprengten Gesteins nicht aus- 
geschlossen sind. 

Nach der Faltungsrichtung zu urtheilen, scheint der gebirgsbildende 
Schub das Hochthal als solches schon vorgebildet zu haben. Der 
klüftige Kalk Hess jedoch das Wasser rasch versinken, so dass es seine 
erodirende Thätigkeit nicht ausüben konnte. Deshalb besitzt die roh 
ausgearbeitete Thalanlage einen ausserordentlich unregelmässigen Boden, 
indem höhere oder niedrigere Querriegel eine Schnur grosser und 
kleiner, flacher und tiefer Mulden von einander trennen. 

Noch lagen wir in festem Schlafe, als eine empfindliche Kühle uns auf- 
weckte ; ein heftiger Weststurm hatte sich erhoben, und es war schau- 
rig anzuhören, wie er mit Pfeifen und Aechzen die todte Natur durch- 
tobte. Mit dem Schlummer war es nun vorüber, denn zu den Plagen, 
welche die sechsfüssigen Hausbewohner verursachten, gesellte sich das 
unangenehme Gefühl der Kälte. Plötzlich schlugen die frei herum- 
streifenden Hunde an. Sofort sprangen die Männer auf und eilten mit 
ihren Gewehren ins Freie; aber bald stellten sie sich wieder ein, da ihre 
Furcht, dass Wölfe in die Heerden eingefallen seien, sich als unbe- 
gründet erwiesen hatte. Kurz nach 5 Uhr waren Alle wach; halb über- 
nächtig trat ich in die frische Morgenluft und wusch mir mit eisigem 



Im Darmitor. 



131 



Schneewasser Gesicht und Hände. Der Himmel, der sich gestern stark 
umzogen hatte, war noch dicht mit Wolken verhangen und drohte je- 
den Augenblick seine Regen massen auszuschütten, 

Ueber einen Querriegel ging es hinab in einen länglichen Kessel, 
dessen tiefste Stelle eine kleine trübe Lache einnahm; sie und einige 
andere Tümipel spielten hier oben als Viehtränken eine wichtige 
Rolle. Bald war ein eigentlicher Weg nicht mehr vorhanden, und auf 
Pfaden, die das Vieh getreten hatte, wanderten wir über Schwellen 
und Dohnen, vorbei an fahlem Gras oder ausgedehnten Fimflecken. 
Dazu kamen die Beschwerden, die der uns entgegenrasende Sturm 
verursachte, indem er uns oft zu Boden warf oder geradezu am 
Weiterklettern hinderte. Wir mussten uns mitunter an vorspringenden 
Felskanten oder an den knorrigen Stämmen des Krummholzes festhalten, 
um nicht den Berg hinabgeweht zu werden; und die Anstrengungen 
ermüdeten uns in kurzer Zeit derart, dass wir auf einem steilen Hange 
eine viertelstündige Rast hielten. 

Endlich standen wir auf dem über 2200 Meter hohen und etwa 
30 Meter breiten Hauptkamme, und vor uns lief ein tiefer, schmaler 
Riss, das Medjedi Do (Bärenthal), zum Trockenthale der Suäica hinab. 
Glänzender Firn und graue Schutthalden, dunkle Latschen und gelbes 
Gras boten auch hier die einzige Abwechslung; bis zum Horizont aber 
entrollte sich, ein unerwartetes Bild der Oede, das starre Tafelland Nord- 
und Mittel -Montenegros, und in der Ferne thürmte sich als alter Be- 
kannter der massige Vojnik auf. 

Meine Begleiter würdigten die grossartige Naturscenerie kaum eines 
Blickes und waren schon weit vorausgeeilt, während ich noch be- 
wundernd zurückgeblieben war. Plötzlich drangen menschliche Laute 
an unser Ohr; etwa zehn Crnogorcen kamen langsam herauf und 
trieben ihre keuchenden Pferde unter vielen Scheltworten vorwärts! 
Also selbst ein solcher Weg, den bei uns ein Fussgänger kaum be- 
nutzt, ist für die armen Thiere noch gut genug! Leider machten uns 
die Leute die nicht gerade angenehme Mittheilung, dass wir eine andere 
Richtung einschlagen müssten, um unser Ziel ohne Zeitverlust zu er- 
reichen. So arbeiteten wir uns denn mit Händen und Füssen am linken 
Hange empor, bis wir auf ein steil am Suäica-Canon endendes Plateau 
gelangten. Immer schärfer traten die phantastisch ausgemeisselten 
Formen des wilden Durmitor hervor. Noch wenige Schritte, und wieder 
entrollte sich ein Bild so abstossend und anheimelnd zugleich, 
dass man es nie vergessen kann. Die ungefügen Gipfel Pruta§, Stit 
und Cirova Pedina verbargen ein schmales Thal, aus dessen Grunde 

9* 



132 



Im Durmitor. 



zwei wundersame grüne Seen heraufleuchteten. Breite, bis an ihren 
Rand vortretende Schuttkegel engten den Hintergrund der Thalschlucht 
ein, und ein niederer Querriegel unterbrach die sonst ganz augenfällige 
Verbindung mit der Suäica. 

Ein halsbrecherischer Abstieg brachte uns gegen ii Uhr an eine 
Koliba, und ein schmutziges altes Weib bewirthete uns mit Maisbrot, 
Milch und Käse. Ich erkundigte mich sofort nach dem Wege; allein 
diesmal hatte ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die Frau 
schüttelte bedenklich den Kopf, und meine Leute weigerten sich ent- 
schieden, weiter zu marschieren, da sich die Gewalt des Sturmes fast 
verdoppelt hatte und uns leicht die schroffen Abgründe hinabstürzen 
konnte, die wir noch zu überwinden hatten. Auf meine Frage, wo wir 
ein Unterkommen finden könnten, schlug uns unsere zungenfertige 
Spenderin eine benachbarte Hütte vor, die einem wohlhabenden Manne 
gehören sollte. Als wir indessen vor die bezeichnete Koliba kamen, 
überlegten wir uns allen Ernstes, welche von beiden besser sei. Doch 
was halfs? Wir trugen der ebenfalls allein anwesenden Frau unser An- 
liegen vor und wurden freundlich aufgenommen. Bald Wiesen Marko 
und Ilija, behaglich hingestreckt, den Dampf ihrer Cigarretten in die 
Luft, während ich meine Aufmerksamkeit der interessanten Umgebung 
Zuwandte. 

Ich war noch nicht lange an den Ufern des stillen Sees umher- 
gewandelt, als der Himmel seine Schleusen öffnete und einen heftigen 
Platzregen niederrauschen Hess. Entsprechend der Natur des Hochge- 
birges war er mit Schnee und Hagel vermischt; aber ein lauter Donner 
mit tausendfachem Echo rief sogleich die Erinnerung an die letzten 
drückendheissen Tage des Hochsommers zurück. Eilends wurde das 
schützende Dach aufgesucht, und fröstelnd hüllten wir uns in unsere 
Mäntel; doch von allen Seiten ergossen sich unangenehm kalte Schauer 
in die Hütte und weichten den Fussboden zu einem schlammigen Morast 
auf. Gegen 3 Uhr Hessen Sturm und Niederschläge merklich nach und 
waren um V25 Uhr gänzlich eingeschlafen. Dafür ballten sich dunstige 
Nebel zusammen und verbargen die drohenden Grate unter einem 
wallenden Schleier; schliesslich verschwanden auch sie, und die scheidende 
Sonne vergoldete die einsamen Bergriesen mit magischem Lichte. Von 
ihren Flanken aber rollten dröhnende Steinströme herab; bald hier, 
bald dort löste sich ein Stück aus der Kalkwand los, und bis zum Morgen 
hielt die rastlose Arbeit der Verwitterung an. 

Jetzt kam Leben in das stille Thal; überall ertönte das Glocken- 
geläut der heimkehrenden Heerden, und in das Blöken der Schafe, 



i 



Im Durmitor. 



133 



das Brüllen der Kühe oder das Meckern der Ziegen mischte sich der 
Ruf der geschäftigen Hirten. Die engen Kolibas füllten sich mit ihren 
hungrigen Insassen, und unser Wirth Hess nicht lange auf sich warten. 
Doch schien er von seinen Gästen wenig erbaut zu sein und hatte 
kaum ein Wort des Grusses. Meine Begleiter mussten erst nach dem 
Abendessen verlangen, denn Niemand bot ihnen etwas an, und ich griff 
wieder einmal zu Erbswurst, Fleisch-Extract und Cacao. Da man keine 
Anstalten machte, um auf den schmutzigen Boden etwas Stroh, Schilf 
oder Reisig zu streuen, so breitete ich meine Schlafdecken über dem 
Schlamme aus und hatte bald den anstrengenden, langweiligen Tag 
vergessen. 

Eine unbedeutende Erhebung trennt den Malo und Veliko Skräko 
Jezero (1790 Meter) von einander. Der erstere ist eher ein kleiner Teich 
als ein See zu nennen und verräth durch seine Kreisform, dass eine 
Dolina seine Umrisse bestimmt hat. Der grosse See, auch Zeleno Jezero 
(grüner See) genannt, hat eine der Längsrichtung des Thaies parallel 
laufende Gestalt, und Marken rings am Strande zeigen den ziemlich 
beträchtlichen Unterschied zwischen Hoch- und Niederwasser an. Beide 
werden von den nie verschwindenden Firnmassen und von den at- 
mosphärischen Niederschlägen gespeist, die durch die Geröllhalden und 
Gesteinsklüfte sickern, und ihre Anwesenheit spricht mit Sicherheit für 
eine undurchlässige Schicht. Zwar erfüllen die in den See vorgeschobe- 
nen Schutthalden und feiner Grus den Boden völlig, aber unter dem 
Trümmerchaos sind nicht selten Sandsteinfetzen zerstreut. Dort, wo 
ein niederer Wall den Zusammenhang des Veliko Jezero mit der Susica 
unterbindet, kräuselt sich das Wasser in kleinen Strudeln und ver- 
schwindet zwischen dem Gestein. Die schmutzig graue Färbung 
der Kalke fehlt auch hier nicht und legt einige Katavothren bloss. Die 
meisten derselben sind mehr oder minder verstopft, einige aber haben 
sich verhältnissmässig rein erhalten. Hier iliesst demnach der See unterr 
irdisch ab, um ein gutes Stück weiter unterhalb in lustigen Kaskaden 
wieder aus Tageslicht zu kommen und als echter Karstfluss der Tara* 
zuzueilen. 

Die senkrecht abfallenden, ausserordentlich stark gefalteten Kalk- 
mauern sind wohl auf colossale Verwerfungen zurückzuführen; aller- 
dings sind diese noch nicht nachgewiesen , und man hat der 
Erosion, welche die grossartige Suöica-Schlucht aushöhlte, bei der 
Bildung dieses Thaies ebenfalls einen wesentlichen Antheil zuzu- 
schreiben. Andererseits lassen sich die 500 bis 800 Meter hohen Um- 
fassungswände des Skrk-Thales durch die Wasserwirkung allein schwer 



134 



Im Darmitor. 



erklären, zumal dann das Thal, anstatt unvermittelt in steilen Wänden 
zu endigen, mit einer schwächer ausgeprägten Furche zum Gebirgs- 
kamm laufen würde. Femer müsste im Falle eines Einsturzes, wie 
ihn der Karst-Process vorschreibt, die Thalsohle von Gesteinstrüm- 
mern überdeckt sein. Ueberall steht jedoch der Kalk an, und die Ge- 
röllhalden beschränken sich auf den Gebirgsfuss. Wie so oft, ergänzten 
also Wasserkraft und Verkarstung die geheimnissvollen tektonischen 
Kräfte, bis die Faltung die Erosion überflügelte und die Seen ab- 
sperrte. 

Als ich am anderen Morgen erwachte, lag ich mit der einen Seite 
des Gesichtes im Schlamme des noch immer durchweichten Fussbodens, 
und hurtig sprang ich auf die Beine, um mich in den krystallenen 
Fluten des Veliko Jezero zu reinigen. Ein paar Tassen Cacao bildeten 
den Frühtrunk, dann schnürten wir unser Bündel und schieden frohen 
Muthes von dem ungastlichen Dache. Es war \6 Uhr; die Luftwärme 
betrug nur 5 ^ C, und um uns zu erwärmen, sprangen wir munter von 
Stein zu Stein oder umgingen die mächtigen Blöcke, welche über- 
all auf den Wiesen zerstreut waren. Bald standen wir an der 
Grenze des Laubgebüsches und am Thalhintergrunde, der nur am 
rechtsseitigen Hange einen steilen Aufstieg gestattete. Stark geböschte 
Graslehnen zogen sich längs des Pfades hin, der eigentlich keiner war, 
und feuchte Flecken mit frischer, saftiger Vegetation und einem feinen 
Schlammüberzuge zeigten die Stellen an, wo jüngst der Schnee ver- 
schwunden war. Aus der mageren Erdhülle traten aber als nacktes 
Knochengerüst die kahlen Felsen hervor, in deren Flanken die Frühlings- 
wässer jähe trümmererfüllte Furchen gewühlt hatten. Eine derselben 
führte zu einem Sattel empor, den die Faltung zwischen Stit und Prutas 
legte und den die Verwitterung weiter austiefte. 

Bei 2060 Meter erreichte der Wald sein Ende, und bloss in geschützten 
Schluchten wagten sich schüchterne Ausläufer noch ein Stück bergaufwärts. 
Zuweilen machte der unvermeidliche Triaskalk einer aus winzigen, bunt- 
farbigen Stückchen fest zusammengefügten Kalkbreccie Platz, deren An- 
w^esenheit schon im Skrk-Thale zerstreute Bruchstücke verrathen hatten 
und die im Hochgebirge noch mehrmals anstand. Eben wollte ich zur Ver- 
vollständigung der barometrischen Höhenmessung die Luftwärnie ablesen, 
als das Schleuder-Thermometer — das einzige, welches ich aus meinem 
bereits sehr zusammengeschmolzenen Vorrathe mitgenommen hatte — an 
einen Stein stiess und in tausend Splitter zersprang. So sehr mich dieser 
Verlust schmerzte, so bald vergass ich ihn wieder; denn unter der 
Fülle des Neuen fand ich ein kleines Karrenfeld (21 14 Meter), das bis 



Im Darmitor. 



135 



ins Feinste ausgebildet war und seine Entstehung zweifelsohne der 
chemisch auflösenden Kraft des Schnees verdankte. Breite Kalkplatten 
überspannte, ein Netz schmaler, unscheinbarer Rillen, die jenen merk- 
würdigen, viel bewunderten Process einleiten. Auf andern hatten sich 
rechtwinkelig gekreuzte Spalten bereits tief eingeschnitten und um- 
grenzten eine Anzahl regelmässig nebeneinander gelagerter Vierecke. 
Hier war das Rinnensystem beträchtlich verbreitert, das Gestein da- 
gegen ausgefranst und zugeschärft, und dort trugen die Karren ihre 
messerartige Form in typischer Vollendung. 

Ueber rauhe Felsen oder trockenes Gras kletterten wir unauf- 
haltsam in die Höhe, bis wir ^4 8 Uhr die Einschartung (2232 Meter) 
betraten. Wieder entrollte sich eine Landschaft, die an Oede und 
Starrheit den früheren nichts nachgab. Der eben gewonnene Grat fiel 
200 Meter unvermittelt zum Todorov Do ab und umgrenzte mit dem 
Steilabsturz des jenseitigen Plateau-Randes eine Senke, die unwillkürlich 
an das SuSica-Thal erinnerte, nur dass ihr dessen beängstigender 
Schluchten-Charakter mangelte. Das einzig Auffallende war der plumpe 
Sockel des Sedlo (Sattelberg) mit einem breiten, massigen und einem 
schlanken, spitzen Home, der im Süden den Karst abschloss. 

Auf der Höhe blies ein schneidend kalter Wind; doch bald wurde 
uns wieder warm, als wir, jeden Schritt vorher prüfend, die schroffe 
Wand hinabkletterten. Abermals musste ich mich der Opanken ent- 
ledigen und in Strümpfen den höchst zweifelhaften Abstieg fortsetzen, 
der uns langsam zu Thal führte. Endlich waren wir mehr rutschend 
als gehend unten angelangt (2030 Meter) und durchmassen eilends den 
zum Dobri Do abfallenden Grund. Er ist stark verkarstet, mit Dolinen 
förmlich gespickt und entspricht einem verborgenen Flusslaufe, der im 
Dobri Do oberirdisch austritt. Sehr häufig waren schmale Natur- 
schächte, die sogenannten Jamas, deren senkrechte Wände sich im 
finsteren Erdinnern verloren. 

Durch eine enge Schlucht, in der soeben ein Ochse mit 
Aufbietung aller seiner Kräfte einen schweren Krummholzast hinauf- 
schleifte, kamen wir in jene Mulde, die ebenso einförmig und wald- 
arm wie die anderen Thäler des Durmitor ist. Sie verdient höchstens 
wegen des Vorherrschens der Werfener Schiefer und der von ihnen be- 
dingten Rinnsale einige Beachtung, und das Auftreten des Wassers mag 
wohl die Bezeichnung Dobri Do (gutes Thal) mit veranlasst haben. 
Wir bemerkten bald umfangreiche Hürden und eine Sennhütte (1728 
Meter). Ohne Zögern traten wir ein und wurden auf das gastlichste 
empfangen; die Frauen holten Brot, Eier, Käse und Milch und freuten 



Io5 Ina Durmitor. 

sich an dem regen Appetite, mit dem wir die einfache, derbe Kost ver- 
zehrten. Ausgenommen für das Brot, das ihnen bei den geringen Ernte- 
erträgen und bei dem schwierigen Transporte selbst theuer zu stehen 
kam, verweigerten die guten Menschen jede Bezahlung; und nach einer 
stärkenden Rast nahmen wir unser Hauptziel, die Cirova Pedna, in 
Angriff. 

Gegen lo Uhr standen wir am Fusse des schroffen Bergriesen, 
und nun wurde der Anstieg in einer längs des Stit hinauflaufenden 
Rinne zusehends beschwerlicher. Dürftige Graslehnen und sehr steile 
Geröllhalden wechselten unaufhörlich ab; letztere gaben bei jedem 
Tritte nach, so dass wir öfters ausglitten oder auf allen Vieren die schwan- 
kende Bahn hinaufklettern mussten. War dann der scheinbar erlösende 
Wiesenteppich erreicht, so erschwerten wieder die Opanken das Gehen, 
und deshalb begrüsste ich einen vom Vieh ausgetretenen Pfad als wahre 
Erlösung. Ein kleiner, flacher Kessel und ein schmaler Kamin waren 
noch zu überwinden, worauf uns eine grasbewachsene Fläche aufnahm, die 
von Dolinen und Firnflecken erfüllt war und den vom ewigen Schnee 
gespeisten Teich Zelena Lokva beherbergte. Jetzt empfing uns ganz die 
schauerliche Einsamkeit des Hochgebirges. Zur Linken erhoben sich 
die wild zusammengeschobenen, von Rissen und Knicken durchkreuzten 
Falten des Stit, und die grüne Lache spiegelte den zersägten Gipfel 
der Cirova Pedna, den Bobotov Kuk, wieder. Ein mächtiger, von vor- 
springenden Felskanten in eine Reihe von Absätzen gegliederter Stein- 
strom stellte die einzige Verbindung mit dem luftigen Grate her. Hier 
waren wir auf uns selbst angewiesen; denn kaum verirrt sich ein Hirt 
in jene verlorenen Einöden , deren ärmliche Grashälmchen bald 
zwischen den sonnendurchglühten Gerollen verschmachten. Jeder 
suchte aufs Gerathewohl seinen Weg; auf und ab ging es an nackten 
Wänden, über Firnlager und durch Dolinen, bis die trostlose graue 
Trümmerhalde ihren Anfang nahm. Bruchstücke vom winzigen Steinchen 
bis zum mannsgrossen Block waren wirr durcheinander geworfen. Mit 
grösster Vorsicht betraten wir das lockere Meer, die Hand klammerte 
sich fest um jedes Pflänzchen; und doch, wie oft gab die trügerische 
Masse nach, den Fuss mit fortreissend und zahllose Trümmer in eine 
jähe Tiefe schleudernd. 

Sehnsüchtig schaute das Auge nach der scharf eingeschnittenen 
Scharte, auf die wir zusteuerten. Endlich — welch' ein erhebendes 
Gefühl — standen wir am äussersten Gipfelzacken, der ohne Leitern 
nicht erstiegen werden kann. Ein paar Minuten fehlten an i Uhr, da 
hatten wir die kaum lo Meter niedrigere Scharte (2567 Mtr.) gewonnen, 



i 



Im Durmitor. 



137 



und, Hurrah, der höchste Berg Montenegros war unser! Aber sofort 
prallten wir wieder zurück, denn vor uns fiel der noch nicht 2 Meter 
breite Sattel in schwindelerregendem Abstürze in das von senkrechten 
Mauern umrahmte Skrk-Thal ab, dessen liebliche Meeraugen zum zweiten 
Male heraufgrüssten. Deutlich hob sich das weisse Kirchlein 2abljaks 
vom finsteren Nadelwalde ab, im Osten begrenzten die Gebirgsketten 
der Bunetina, Kraljeva Gora und Ljubiäna den Blick; hier schweifteer 
ungehindert über die Crnagora, und rings um uns thürmten sich die 
drohenden Giganten des Durmitor auf. 

Eine für diesen Zweck mitgenommene Flasche Mastica-Schnaps 
wurde zur Hälfte geleert, ein Zettel mit unseren Namen unter einer 
kleinen Pyramide verborgen, und dann legten sich meine Begleiter zum 
Schlummer nieder. Sie waren eben für die Reize der Natur wenig em- 
pfänglich, und das einzige Interesse, welches sie ihnen entgegenbrachten, 
beschränkte sich auf einen nichtssagenden Streit, ob dieser oder jener 
Berg der Vojnik sei. 

Die Sommersonne hatte ein freundliches Pflanzenkleid hervorge- 
zaubert. Wohlriechender Salbei und bescheidene Vergissmeinnicht, 
grossblütige Glockenblumen und schlichte Veilchen, blauer Enzian, 
kräftiger Steinbrech und andere Kinder Floras schmückten mit bunten 
Farben den vergilbten Teppich kurzgeschorenen Grases und brachten 
Leben in die starren Zinnen, auf deren übermässig steil geneigten 
Hängen sich der Schnee nur kurze Zeit hält. 

Doch wir konnten nicht allzu lange der beschaulichen Ruhe pflegen, 
da ein beschwerlicher und durchaus nicht gefahrloser Abstieg uns noch 
bevorstand. Wir sagten nach etwa i V2-stündigem Aufenthalte dem 
Bobotov Kuk wohl für immer Lebewohl und begannen wieder die 
Durchquerung der unsicheren Geröllhalde. Schliesslich nahm auch diese 
Plage ein Ende, der Gipfel war umgangen, und seine östliche Ein- 
sattelung lag vor uns. Wir glaubten bereits das Schwerste überwunden 
zu haben, als sich ein neuer Schlund aufthat. Schneefelder in einer 
Ausdehnung und Mächtigkeit, wie ich sie noch nie im montenegrini- 
schen Hochgebirge beobachtet, füllten seine Schluchten aus, und ge- 
waltige Schuttmassen umkränzten die abschüssigen Umfassungswände. 
Dort hinab führte unser Weg ; die Sorge, kein Nachtquartier zu finden und 
bei schneidender Kälte im Freien schlafen zu müssen, gab uns neuen 
Muth, und rutschend, kriechend oder springend erreichten wir eines 
jener Fimlager, das von einem geräumigen Kessel umschlossen wurde. 
Noch ein flüchtiger Blick galt der finsteren Wand, die wir soeben be- 
zwungen hatten; dann durchmassen wir den weichen, schmutzigen 



138 



Im Durmitor. 



Schnee und erklommen den rauhen Thah'and. Zwei, drei und mehr 
Firnflecken wurden passirt, bis wir aus dem Bereich des nackten Felsens 
wieder in die Zone des Krummholzes kamen und inmitten leuchtender 
Alpenblumen unserem Körper eine nothwendige Erholung gönnten. 

Rastlos wandern wir weiter und zählen nicht mehr die übermanns- 
hohen Wände, an denen wir nur mit gegenseitiger Hilfe herabklettem 
können, und achten kaum der hier und da auftretenden, schon beim Auf- 
stieg einige Male beobachteten Kalkbreccie des §krk-Thales. Vorwärts ist 
die Losung, denn die Sonne neigt sich bereits zum Horizonte, und das 
tief eingerissene Thal, zu welchem sich die schmalen Rinnen des Hinter- 
tergrundes erweitern, zeigt keine Spur von Ansiedelungen. Plötzlich 
ruft Ilija, auf eine Schlucht weisend: »Dort sind Pferde!« Und in der 
That, auch hier hatten die ausdauernden Thiere einen Weg gefunden 
und deuteten mit Sicherheit auf die Nähe von Menschen hin. Sogar 
ein kümmerlicher Hirtenpfad stellte sich ein, der längs der überhän- 
genden Felswände auf den ununterbrochen aneinahder gereihten Schutt- 
kegeln hinlief. Eben waren wir an einer Lokvica (kleiner Teich), wel- 
che der ganzen Mulde ihren Namen Lokvice Do gibt, vorübergeeilt, 
als das Blöken heimwärts ziehender Heerden an unser aufhorchendes 
Ohr drang. Das war ein willkommener Ruf, und bald arbeiteten wir 
uns ungestüm durch die Rinder, Ziegen und Schafe, bis wir in eines 
der linken Nebenthäler einbogen. Flache, mit hinderndem Krummholz 
bestandene Wellen und grasige Dolinen vermochten uns nicht aufzu- 
halten, denn nun musste Ilijas Sennerei ganz nahe sein. Ja dort lo- 
derten mehrere Lagerfeuer, wachsame Hunde verkündeten mit lautem 
Gebell die Ankunft Fremder, und gegen 6 Uhr standen wir vor den 
Kolibas von Lokvice pod Medjed (1993 Meter). Der Abstieg, den bisher 
wohl noch kein Reisender ausgeführt hatte, war beendet, und ich machte 
es mir auf den Strukas bequem, welche die aufmerksamen Montene- 
griner am besten Platze des Feuers für mich ausbreiteten. Nachdem 
der nagende Hunger mit den bekannten Nationalgerichten gestillt 
war, suchten alle das Lager auf. Die Frauen — denn jede grössere 
Hütte wird von mehreren Familien bewohnt — hatten bereits ihren ge- 
sammten Deckenvorrath ausgebreitet; und obgleich sich etwa 15 Per- 
sonen in den engen Raum theilten, so dass wir wie die Häringe zu- 
sammengedrängt waren und uns kaum rühren konnten, lagen wir bald 
in sanftem Schlummer. 

Früh um 5 Uhr trat ich in die frische Morgenluft hinaus, doch 
gingen wir erst um 72^ Uhr mit Zurücklassung des grössten Theiles 
unseres Gepäckes an die Besteigung des Medjed (Bärenberg). Wir 



Im Dunnitor. I^q 

schlugen bis zu dem erwähnten Teiche den gestrigen Weg ein, durch- 
querten die steile Thalschlucht, die sich schönen Krummholzes und reich- 
lichen Graswuchses erfreute, und standen nach einer Stunde am Medjed. 
Die allseitig tief eingegrabenen Risse gewähren den Firnflecken einen 
vortrefflichen Schutz, weil der Schnee, der hier wie auf dem zum Dobri 
Do abfallenden Kamme wegen des zu grossen Neigungswinkels nicht 
lange haften bleibt, in den zahllosen Mulden oder %m Bergfusse um so 



geeignetere Sammelplätze findet Die Wände des Medjed sind eben- 
falls stark zerklüftet und reich an Höhlen, deren eine, wie die Einge- 
borenen behaupten und wie der Name Ledenica Peöina (Eishöhle) be- 
sagt, in der Kühle ihrer Finsternis beständig Eis absetzt. Eine schmale 
Rinne fordert eine neue Probe von Geduld und Ausdauer, denn sie ist 
viel schroffer als die von der Cirova Peiiina ausstrahlenden Furchen. 
Ein wüstes Gewirr übereinander geworfener Geröllmassen engt ihre 
Flanken ein -und schliesst sie nahezu vom Hauptthale ab, dieselbe Un- 
sicherheit des Ganges hervorrufend, wie wir sie früher kennen lernten, 
und nur da einen festen Tritt ermöglichend, wo ein üppig wucherndes 



140 



Im Durmitor. 



Pflanzenkleid die Trümmer einigermassen verkittet hat. Stattliche Lat- 
schen aber, die wir am Bobotov Kuk so sehr vermissten, reichen am 
Bärenberg bis zur Spitze hinauf. 

Oft hatten wir Hände und Füsse nöthig, da senkrechte Absätze 
die Hänge unterbrachen und auf Vorsprüngen oder durch Kamine 
erklommen werden mussten. Nicht selten riss uns der trügerische 
Trümmermantel von dem mühsam errungenen Standpunkte wieder 
hinab, und die Zwischenräume zwischen Rasten und Gehen wurden 
rasch kürzer. Schliesslich hatten wir eine Einsattelung gewonnen, die 
jählings zum schnee- und schutterfüllten Kessel des Medjed und Savin 
Kuk abstürzte und einen vortrefflichen Ueberblick über die zurückge- 
legte Strecke gestattete. 

Nun war der Gipfel nicht mehr weit, und weiches Gras oder 
ästiges Krummholz Hessen seine gedrungenen Formen auf unserer Seite 
nicht gar so abschreckend erscheinen. Aber wir sollten bald eines an- 
deren belehrt werden, und gleich der erste Versuch, über eine Gras- 
lehne kürzesten Weges die Höhe zu erklimmen, musste wegen des fast 
go Grad betragenden Böschungswinkels als aussichtslos aufgegeben 
werden. Zusehends verschmälerte sich der Grat, die Schluchten beider- 
seits wurden schauriger und tiefer, und obendrein versperrte eine dichte 
Gruppe knorriger Legföhren den einzig möglichen Weg. Sie war 
um jeden Preis zu überwinden, und es dauerte eine geraume 
Weile, bis das jedem Bergsteiger unerwünschte Hindernis hinter uns 
lag. Doch kaum hatten wir uns durch das Gewirr durchgearbeitet, als 
jede Faser unserer Muskeln zum zweiten Male angespannt werden 
musste. Ein schmaler Kamm aus lockerem, verwittertem Gestein, der 
den früher erwähnten Sattel mit dem Bärenberge verbindet, stürzte vor 
uns ab, und unverwandt mussten wir das Auge auf den stellenweise 
kaum I Meter breiten Grat richten, sollte uns der Blick in die senk- 
rechten Abgründe nicht schwindelig machen. Ganz langsam krochen 
wir vorwärts, bald auf den scharfen Kanten reitend oder uns mit den 
Händen auf der einen, mit den Füssen auf der anderen Seite fest- 
haltend und vorsichtig jeden Stein prüfend, ob er noch fest in seinen 
Fugen sass. Eine gute Viertelstunde hielt diese ungemüthliche Felsklet- 
terei an; doch endlich wurde sie belohnt, und einige Minuten nach 
10 Uhr war der Medjed (2415 Meter) bezwungen. 

Behaglich streckten wir uns im kurzen Grase des kleinen, in un- 
ersteiglichen Mauern abfallenden Gipfelplateaus aus, auf dem' die Somraer- 
sonne ebenfalls einen anheimelnden Blumenteppich hervorgezaubert 
hatte. Der Rest unseres Branntweins wurde geleert, und abermals nahm 



Im Durmitor. 



141 



ein Steinmann einen Zettel mit unseren Namen auf. Meine Leute be- 
kundeten ihren ausgeprägten Natursinn dadurch, dass sie bald aus 
Leibeskräften schnarchten, und erst ein kalter Wind, der von der Sin- 
javina herüberblies, weckte sie gegen Mittag aus ihrem festen Schlafe. 

Der Abstieg war fast noch anstrengender und gefahrvoller als der 
Aufstieg und wurde auf demselben Wege ausgeführt, den wir herauf- 
gekommen waren. Nach zwei Stunden langten wir wohlbehalten bei 
unserem Wirte an und Hessen uns nach den Mühen des Vor- 
mittags das derbe, einfache Mahl doppelt schmecken. Dabei konnte 
ich Ilijas Genügsamkeit nicht genug bewundern : wie viele seiner Lands- 
leute ass er Fleisch nur in den seltensten Fällen; Milch und Milch- 
speisen genoss er gar nicht und begnügte sich mit Brot oder einer 
dünnen Suppe aus Brot, Salz, Mehl, Fett und Wasser. Unter Schlafen, 
Gusla-Spielen und allerlei Kurzweil verging der Tag, und der Abend 
verlief genau so wie die anderen. Nochmals wurde das Feuer mit 
Nahrung versorgt, und dann legten wir uns nieder ; allein diesmal machte 
mir das nimmer fehlende Ungeziefer die Nacht unerträglich, und mit 
Sehnsucht erwartete ich den Morgen, der uns nach ^abljak zurück- 
bringen sollte. 

Am 22. August sagten wir den Kolibas von Lokvice pod Medjed 
Lebewohl und wanderten im Hauptthale abwärts, das genau dem Valis- 
nica Do glich und sich nur durch seinen Gras- und Krummholz- 
reichthum vortheilhaft von ihm unterschied. Sehr rasch mischte sich 
Buchengebüsch unter die Legföhren, und beide gingen auf dem zum 
Crno Jezero offenen Abfalle in kräftige Bäume über. Wie bei den 
anderen Durmitor-Thälern, ist der Boden mit Dolinen übersäet, die eine 
vorwiegend reihenweise Anordnung zeigen. 

Da die Zeit nicht drängte, so gingen wir gemächlich weiter. Bald 
öffnete sich die Ebene von ^abljak, und wie ein Edelstein auf grünem 
Grunde leuchtete der Crno Jezero herauf. Zu der Heiterkeit der Natur 
gesellte sich unsere eigene Fröhlichkeit; denn der beschwerlichste 
Theil der ganzen Reise lag hinter uns, und in gehobener Stim- 
mung betraten wir wieder die saftigen Alpenwiesen, wo wir vor 
fünf Tagen unsere Durmitor -Wanderung begonnen hatten. Um 
II Uhr zogen wir im Dörfchen ein, Ilija wurde mit seinem wohl- 
verdienten Lohne entlassen, und ich suchte das kleine Kämmerlein auf, 
um mich der Instrumente zu entledigen. Doch was ist das? Stösse von 
Löschpapier und frische Pflanzen nehmen die Pritschen ein, und gleich 
darauf erschallt hinter mir eine Stimme: »Come sta (wie geht's), Signore 
H.?« Erstaunt drehe ich mich um, und ein junger Mann reicht mir die 



142 



Im Durmitor. 



Hand; es ist der italienische Botaniker Dr. Antonio Baldacci, der, 
ein eifriger Vertreter seiner Wissenschaft und ein warmer Freund der 
Montenegriner, zum siebenten Male im Lande der Schwarzen Berge 
weilte. In wenigen Minuten hatten wir Freundschaft geschlossen; in 
seinen Begleitern Krsto Popovid und Gajo Radonid aus NjeguS lernte 
ich zwei treffliche Eingeborene kennen, und in Krstos Tragthiere Murad 
fand auch Kulaä einen Kameraden. Mit Nichtsthun und Kartenspielen 
wurde der Tag hingebracht, die aufmerksamen i^abljaker kargten nicht 
mit Hochachtungs-Kaffee's oder Hochachtungs-Schnäpsen, und erst 
spät Abends dachten wir daran, den Fussboden des niedrigen Gast- 
zimmers in eine Lagerstätte umzuwandeln. Nun, liegen konnten wir 
wohl, aber nicht schlafen, denn gerade unter der Stube war der Stall, 
und die Ritzen der Dielen boten unberufenen Thierchen einen will- 
kommenen Weg nach oben. Wir hatten wenigstens keine Langeweile 
und verkürzten uns die träge dahinschleichenden Stunden auf jede 
Weise, bis uns endlich gegen Morgen die Müdigkeit übermannte. 

Unsere unerwartete Begegnung durchkreuzte die Absichten eines 
Jeden. Wir beschlossen, unsere Streifzüge in den nächsten Wochen 
gemeinsam fortzusetzen und bestimmten den heutigen Tag zu einem 
Besuche des Stulac. Der Stulac stellt einen verhältnismässig flachen 
Doppelkegel dar, der mit seiner sanft abgerundeten Gestalt, seiner Wald- 
bedeckung und leichten Zugänglichkeit auffallend von den übrigen Ab- 
schnitten des Durmitor-Massives absticht. Zwar besitzt er ebenfalls 
schroffe Schluchten, steilwandige Einsturztrichter und mächtige, bis zu 
2200 Meter herabgehende Lager ewigen Schnees; aber diese Formen 
der Auflagerung und feineren Ausarbeitung können das Charakteristische 
des allgemeinen Eindruckes nicht verwischen. An den bis zur Spitze 
mit Gras bewachsenen Hängen weicht der Nadelwald (Abies excelsa und 
pectinata, Pinus Mughus und picea) erst bei i960 Meter vor dem wetter- 
harten Krummholz (Pinus pumilio) zurück und dringt in geeigneten 
Rinnen weit in den Bereich der Legföhren vor, die ihrerseits wieder 
den Firnflecken den Platz streitig machen. 

Durch den bekannten Nadelwald der Klijeätina-Senke brachte uns 
der Weg zwischen Wiesen und Häuschen mühelos auf die Gehänge 
des zahmen Durmitor. Nach zweistündiger Rast im Schatten einer 
dichten Latschengruppe und nach mancherlei Kreuz- und Querzügen, 
die mit Ausnahme einer nicht ganz harmlosen Kletterei längs einer 
schroffen Felsmauer wenig Bemerkenswerthes boten und eher einer 
genussreichen Mittelgebirgswanderung glichen, kamen wir in die Zone 
der Firnflecken. 



Im Darmitor. 



143 



Gegen 2 Uhr Mittags gelangten wir auf unserem Spaziergange 
— anders Hess sich für montenegrinische Verhältnisse die Wanderung 
kaum bezeichnen — an die Crvena Greda und stiegen auf einer 
der vielen Schutthalden, welche die kühnen Zinnen umsäumten, zu 
einem See, dem Jablan Jezero (1919 Meter), ab. Welch' ein reizen- 
des Fleckchen in der abstossenden Gebirgseinsamkeit! Der grüne Grund 
jenes mit ernsten Fichten bestandenen Kessels beherbergte in seiner 
Mitte ein schwarzblaues Meerauge. Dieselbe feierliche Stille wie am 
Crno Jezero waltete in seiner Umgebung, die nur zur Winters- oder 
Frühlingszeit von dröhnenden Lawinen oder donnernden Steinströmen 
gestört wird. An den Ufern waren zahlreiche Gerolle zerstreut, unter 
denen äusserlich sehr verwitterte, inwendig aber ausserordentlich frische 
Bruchstücke eines jungen, vermuthlich obertriassischen Diabas-Por- 
phyrites vorherrschten, den auch Pandd und Tietze erwähnen. 

Auf dem am Morgen begangenen Pfade kehrten wir in unser 
Quartier zurück. 

Die Tage unseres Aufenthaltes in 2abljak waren vorüber, und am 
25. August mussten wir, wenn auch ungern, ans Scheiden denken. 
Schon zeitig hatten sich unsere 2abljaker eingestellt; zum letzten 
Male wurden Briscola, Quaranta und andere Kartenspiele gespielt, zum 
letzten Male kam die gegenseitige Hochachtung in Gestalt von Wein, 
Kaffee und Mastica zum Ausdruck, und dann bereiteten sich unsere 
Freunde für eine photographische Abschiedsaufnahme vor. Leider musste 
ich den guten Leuten bedeuten, dass sie ihr Bild nicht gleich erhalten 
konnten, und sie waren darüber einigermassen betrübt. 

Doch jetzt waren die Pferde beladen, und mit Kuss und herz- 
lichem Händedruck trennten wir uns. Einige gaben uns auf eine 
kurze Strecke das Geleit; und als auch sie uns verlassen hatten, nahm 
uns die weite, flachwellige Ebene auf. Ihre Eintönigkeit wird höchstens 
von den kahlen Mauern des Savin Kuk und von den Bergketten jenseits 
der Tara unterbrochen ; der Baum wuchs ist spärlich, und nur den Fuss 
des Durmitor schmücken anmuthige Matten und hoch wipfelige Buchen. 
Die zerstreuten Sennhütten des Komarski Katuns (1610 Meter) sind 
nach Juniev Do die ersten und zugleich letzten Wohnstätten auf dem 
heutigen Marsche, und daher gedenken wir, unter einem alten Baum- 
riesen Halt zu machen. Brot und Raki haben wir bei uns, Eier 
und Milch kaufen wir bei den Hirten, und nachdem die neugierig 
fragenden Eingeborenen befriedigt sind, überlassen wir uns sorglos dem 
Schlafe. 



144 



Im Darmitor. 



Als wir erwachten, neigte sich die Sonne bereits dem Untergange 
zu und mahnte zu eilendem Aufbruche. Ueberdies hörte der bequeme 
Weg auf, und ein kümmerlicher Pfad lief an den Ausläufern der Sto^ina 
empor. Wieder traten wir in die traurige Hochgebirgswüste, in eine 
trostlose Karst- und Karrenlandschaft ein und marschirten über einen 
flachen Rücken in ein nicht allzu breites Thal, das nach der Buko- 
vica ausmündete und an dem nackten Doppelkegel des Sedlo endete. 
Die auf dem Skrk Do und auf der Cirova Peöina gefundene Kalk- 
breccie steht hier ebenfalls an, und der Kalk wird dünnblätterig, um 
an den unteren Lehnen beiderseits des Sedlo in helle oder rothbraune 
Schiefer überzugehen, die eine Verbindung mit den entsprechenden 
Gebilden des Dobri Do herstellen und als Werfener Schichten an- 
zusprechen sind, da sie den Triaskalk unterteufen. Sofort erscheinen 
in der bis zu jener wasserdichten Unterlage eingestürzten oder ausero- 
dirten Rinne Quellen, Wasserfäden und zwei kleine Weiher, die Srablje- 
Seen, und am Thalausgange liegen abermals zwei durch einen meist 
trockenen Bach verbundene Teiche, der Podransko und Posöensko Jezero 
(1566 Meter). Damit ist der Kranz undurchlässigen Gesteins geschlossen, 
der den Durmitor mit Ausnahme einiger Lücken rings umsäumt und 
vor allem durch 30 Seen und Teiche angezeigt wird. 

Eine beängstigende Stille lagerte über dem öden Thale, in 
welchem wir aufwärts wanderten. Dicht zusammengedrängte, bis 
ins Feinste ausgeführte Falten und Fältelungen, die in Doppelschlingen 
oder bis zur Ueberkippung umgebogen an den grauen Felswänden 
hinliefen und ihre phantastisch zerfressenen Köpfe gleich Mauerzinnen 
gen Himmel sandten, waren ein beredtes Zeugniss der kolossalen Stö- 
rungen, welche die gebirgsbildenden Kräfte nach der Triaszeit im Dur- 
mitor verursacht haben. Mitunter lugten aus den Ritzen dunkle Leg- 
föhren hervor, tief unten am Srablje-Teich endeten bei 1830 Meter ver- 
krüppelte Gebüsche von Juniperus Nana, und dort standen auch — 
man traute seinen Augen kaum — einige alte, kräftige Buchen. In- 
zwischen hatte die Dunkelheit so zugenommen, dass die weitere Um- 
gebung schwer zu unterscheiden war; und trotz eiligen Zuschreitens 
dauerte es geraume Zeit, bis wir, ungeduldig wie wir waren, den Sedlo- 
Sattel (1974 Meter) erklommen hatten. 

Die wachsende Finsterniss und der sehr zweifelhafte Saumpfad 
des abschüssigen Hanges machten uns um unser Quartier besorgt. Da 
wir wegen der Nachtkühle eines Feuers dringend bedurften und doch 
kein Holz fanden, so schien es gewagt, im Freien zu schlafen: 
und was nützten die Conserven, wenn es hier oben weder Wasser noch 



Im Durmitor, Ij.c 

Schnee gab? Allein ein gütiges Geschick entriss uns der Verlegenheit. 
Hinter uns bog ein scharf bewaffneter Crnogorce um die Ecke, sein 
Tragpferd vor sich hertreibend, und reichte uns mit freundlichem »Dobar 
Veder! (Guten Abend !)€ die Hand. Als wir ihm unsere Noth ausein- 
andersetzten, war er fofort bereit, uns in seine Hütte aufzunehmen; 
*aber, setzte er hinzu, es giebt Flöhe!« Doch was kümmerte uns diese 
leider zu wahre Verheissung; für den Augenblick waren wir froh, 
einen kundigen Mentor gefunden zu haben, und folgten ihm eilends 
nach. 

Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, und wir sahen die Wohn- 
stätte unseres Führers noch nicht, die nach seiner Versicherung ganz 
nahe sein sollte, in Wirklichkeit aber noch ziemlich weit entfernt 
war, da der Montenegriner die Zeit nach unseren Marschbegriffen nicht 
zu schätzen versteht. Endlich tauchten aus der Tiefe einige Feuer auf, 
Hunde schlugen an, und gegen 9 Uhr standen wir an einer Sennhütte 
(1747 Meter). Sie war mit mehreren anderen auf der schmalen Stufe 
eines Bergzuges errichtet, der vom Sedlo-Ranisava zum Lojanik läuft. 
Die Pferde wurden entlastet, und wir krochen durch die enge Thür- 
öffnung, um die Familie unseres Wirthes zu begrüssen. In dem be- 
schränkten Raum war unseres Bleibens nur kurze Zeit, zumal das wider- 
wärtige Ungeziefer nicht lange auf sich warten Hess. Nach Verzehrung 
des frugalen Abendessens flüchteten wir schleunigst ins Freie, wo bereits 
ein mächtiges Feuer brannte. Flöhe und Läuse hatten uns jedoch den 
Schlaf gründlich verdorben; und da die glühenden Krummholzstösse 
eine behagliche Wärme verbreiteten und die Ausstrahlung von der 
Wolkenbedeckung sehr herabgemindert ward — das Thermometer fiel 
nicht unter -j- ^o^C. — so entledigten wir uns sämmtlicher Kleidungs- 
stücke, wendeten sie von oben bis unten herum und überlieferten in 
einer Nacht über 120 der hässlichen Feinde dem Tode. 

Der nächste Tag war der Ruhe und dem reizvollen montenegrini- 
schen Lagerleben gewidmet. Für den erstaunlich billigen Preis von 
zwei Gulden erstanden wir einen feisten Hammel, und im Nu hatte 
der gewandte Eingeborene mit einem gewöhnlichen Messer den Hals 
des zuckenden Thieres durchschnitten, so dass der Kopf nur noch an 
der Haut hing. Eben so schnell ging das Abhäuten von statten, grosse 
Fleischstücke wurden mit Salz und ein paar Händen voll Reis im rus- 
sigen Kessel gekocht, die edlen Eingeweide zerkleinert und am Spiesse 
gebraten; und nach zwei Stunden wartete unser ein schmackhaftes Früh- 
mahl, wie wir es selten gehabt hatten. 

Hassert. Reise durch Montenegro. lO 



X46 I"^ Darmitor. 

Der Himmel war noch immer umzogen und sandte zuweilen feine, 
kalte Schauer hernieder, so dass wir einige Male die ängstlich gemie- 
dene Hütte aufsuchen mussten und uns drinnen mit Lesen oder Tage- 
buchschreiben beschäftigten. Am Nachmittage stellten sich Verwandte 
zum Besuch ein; allgemeines Küssen und Umarmen begleitete die lan- 
desüblichen Begrüssungsfragen, und wir erhielten ebenfalls unseren 
Theil davon. Nach Eintritt der Dämmerung kamen auch die Bewohner 
der benachbarten Kolibas, und die Männer nahmen am Feuer Platz, 
während die Frauen ehrerbietig im Hintergrunde standen. Ein wunder- 
bares poetisches Gefühl durchweht das Volk der Südslaven, und unser 
Wirth war einer jener Vielbeneideten, von dessen Lippen die Worte 
in dichterischem Feuer flössen. In rhythmischen Weisen, die trotz ihrer 
Eintönigkeit fesseln und taktmässig dahingleiten wie die Epen Homers, 
pries er begeistert die Heldenthaten seines Volkes und seiner Herrscher, 
nach allgemeinem Brauche in jedem Liede das Wohl des Fürsten an- 
deutend oder ausführend. Da sang er vom Caren Lazar, vom Unglücks- 
tage auf dem Amselfelde und von den siegreichen Türkenkriegen, in 
kunstlosen und doch eigenartigen Versen rühmte er die beiden Fremden, 
die ein wildes Land und ein armes Volk kennen lernen wollten: und 
lautlos horchte die Menge, um ihm dann dankbar ihren Beifall zu 
bezeugen. 

Gegen Abend heiterte sich der Himmel auf, und ein frischer 
Wind verscheuchte die Wolken. Kaum war jedoch der blutrothe 
Sonnenball hinter der Gebigswand versunken, als die Abküh- 
lung des nackten Kalkes so stark wurde, dass wir uns fröstelnd den 
Winterüberzieher umwarfen. Da eilten die guten Menschen fort, um 
ihre schweren, grobwollenen Mäntel zu holen. Sorgsam deckten 
sie uns damit zu, schürten nochmals die Gluth und verschwanden 
mit freundlichem »Dobra vi nod (Gute Nacht)!« Das waren also die 
viel verschrieenen Nasenabschneider und Hammeldiebe, und unwill- 
kürlich mussten wir an die falsche, vorurtheilsvolle Meinung denken, 
die bei uns noch immer über die Montenegriner herrscht. Zusehends 
fiel die Temperatur; und als ich beim Morgengrauen des 27. August 
nach dem Thermometer sah, zeigte es einige Grade unter Null an. 
Die langsam am Körper heraufkriechende Kälte iiess mich nicht mehr 
einschlafen ; aber das grossartige Schauspiel eines Sonnenaufganges im 
Hochgebirge entschädigte mich reichlich für die verlorene Ruhe. Bald 
entfaltete Helios seine ganze Kraft; und ebenso rasch wie es sich ab- 
gekühlt, nahm das kahle Gestein die Wärme wieder an. 



Zurück nach NikSiö und Podgorica. iaj 

Da das Endziel unseres heutigen Marsches in wenigen Stunden 
I zu erreichen war, so Hessen wir uns mit dem Aufbruche bis zum Mittag 

I Zeit. Derselbe Weg wie vorgestern wurde eingeschlagen, und langsam 

1 verschwanden die stolzen Mauern des Durmitor hinter den Hügel- 

wellen der Ebene von Bukovica. 



14. Capitel. 

Zurück nach Niksic und Podgorica. 



Die ausgedehnte Mulde von Bukovica trägt den Charakter dei' 
Einförmigkeit, weil ihr ausdrucksvolle Gebirgsformen fehlen und weil 
ihre Ausnutzung noch nicht in dem Masse fortgeschritten ist, dass sie 
dem Auge einige Abwechslung gewährte. Die Meereshöhe verbietet 
den Gewinn versprechenden Anbau von Körnerfrüchten, Kartoffeln da- 
gegen gedeihen vorzüglich, und es ist zu bedauern, dass Montenegro 
nicht genug Hände besitzt, die das neuerworbene Ackerland ausgiebiger 
bearbeiten könnten. Eine dünne Kalk- und Humusdecke verbirgt die 
wasserhaltigen Schichten, die, nach häufigen Aufschlüssen zu urtheilen, 
aus Werfener Schiefern oder aus hellgelben, von Tietze den Wengener 
Schichten zugezählten Sandsteinen bestehen. Aus zahlreichen Sümpfen 
und Lachen rinnt die Bukovica zusammen, und nicht lange dauert es, 
so vertieft sich ihre Rinne zu einem finsteren Canon. Wie das 
Schnalser Thal am Fusse der Oetzthaler Alpen eine breite, wasserreiche 
Wiese darstellt und sich flussabwärts in eine schroffwandige Klamm 
verwandelt, dieselbe Erscheinung wiederholt sich hier. 

An den Steilufern treten die so oft beobachteten Conglomerate 
auf, und in demselben Masse, in welchem wir abwärts wandern, wird 
der Wiesenteppich saftiger, der Buchenwald, der dem ganzen Gebiete 
seinen Namen giebt, dichter und stattlicher. Um 4 Uhr standen wir 
vor dem Hane des weit zerstreuten Bukovica (1376 Meter). Ein kaltes 
Bad in dem knietiefen Gebirgsflusse bot uns eine lang entbehrte Er- 
quickung, wohlschmeckende Forellen und der letzte Rest unseres Vor- 
rathes an frischem Fleische versprachen ein leckeres Mahl, und zum 

lO* 



jaS Zurück nach NikSid und Podgorica. 

ersten Male seit meinem Aufbruche von Kolasin fand ich wieder ein 
Bett. Wie immer, so kamen auch hier die Eingeborenen, um sich von 
dem reisenden Photographen, für den sie mich hielten, ihr Bild an- 
fertigen zu lassen, und sie waren höchst verwundert, als ich ihre 
Wünsche höflichst ablehnte. 

Am nächsten Morgen zogen wir gemächlich an den versteckten 
Alpenhäuschen von Ober- und Unter-Bukovica (1333 Meter) vorüber. 
Zwei Neugierigen, die den Zweck unserer Reise wissen wollten, theilten 
wir geheimnissvoll mit, dass wir Goldsucher seien, und die biederen 
Cmogorcen nahmen diesen Bescheid mit sichtlicher Genugthuung hin. 
Die Bergzüge waren von abstossender Kahlheit, soweit sie die Aus- 
läufer der Ivica oder der wegen ihrer Holzarmut berüchtigten Sinjavina 
bildeten. Zugleich endeten sie weniger in Plateaus als in sanften 
Kuppen und Ketten, die den Thalgrund nicht allzusehr überragten. Der 
silberne Fluss, der beiderseits wasserlose, geröllerfüllte Bäche aufnahm, 
war schon eine geraume Weile unserem Blicke entschwunden, und ein 
schmaler, mit Buchen, Erlen und Haselnusssträuchern bewachsener 
Spalt gähnte an seiner Stelle. Auch kleine Aecker waren auf dem 
grünen Plane vertheilt, und fleissige Leute mähten die goldgelben Halme 
ab. Noch war das Dorf Timar (Kirche 1230 Meter) nicht in Sicht, als ein 
mächtiger Diabasstock, wie deren die Werfener Schichten in Montenegro 
so viele beherbergen, unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er war 
an der Oberfläche sehr zersetzt, mit einer dunkelgrünen Verwitterungs- 
kruste überzogen und in rundliche Trümmer zerfallen. Noch lange 
begleitete uns das für die Crnagora so charakteristische Eruptivgestein, 
und rasch absteigend gelangten wir nach kaum fünfstündigem Marsche 
nach Tusina (Kirche iiio Meter) und Bohan, den letzten Ortschaften 
der sich nunmehr zu einem unwegsamen Cafion verengenden Tusina. 

Am 29. August wartete unserer eine beschwerliche Wanderung 
auf die Wasserscheide der Hochebene von Krnovo. Die linken Ufer- 
gehänge der Tusina gliedern sich in mehrere Terrassen, die aus Diabasen, 
mergeligen Schiefern und dünnblätterigen Kalken bestehen und von 
einer üppigen Buschvegetation überwuchert werden. Emsige Landleute 
gehen ihrer Beschäftigung nach, und ihre vielgeplagten Pferde ziehen 
keuchend die plumpen, zweiräderigen Karren oder die flachen, auf 
einem schlittenartigen Gestelle ruhenden Kästen. Wir verlassen diese 
erste Stufe, von der aus sich ein anmuthender Blick auf das schmucke 
Tusina und das Kloster Podmalinsko darbietet, und betreten eine zweite 
Terrasse mit dem Dörfchen Malinsko (1184'Meter). Deutlich überschauen 
wir jetzt die waldarmen, eintönigen Plateaus jenseits des Flusses, deren 



Zurück nach Nik§iö und Podgorica. jaq 

orographische Gliederung genau mit der des linken Ufers übereinstimmt. 
Hier wie dort krönt das Ganze ein dünn bewohntes Hauptplateau, und 
wir durchschreiten die schroffe Schlucht eines trockenen Baches, deren 
massenhafte Gerolle fast ausschliesslich dem Kalke angehören. 

Da die Rovinski'sche und die österreichische Karte in diesen Ge- 
genden versagten, so verirrten wir uns öfters. Statt der Haselnuss- 
gebüsche stellten sich Ahorngruppen und prächtige Buchenwälder ein, 
auf blumigen Matten öffneten die Herbstpflanzen bereits ihre Knospen, 
und plötzlich mündete die Rinne, in welcher wir gingen, in das 
Bijela-Thal ein. Wie ganz anders sah es aus als die Tusnia-Klamm. 
Spärliche Bäume zierten die grasarmen Hänge, und in der Tiefe zog 
sich statt des brausenden Flusses ein hell leuchtender Geröllstreifen 
hin, dessen weisse Farbe, verbunden mit der kahlen, weissgrauen 
Umgebung, wohl den Namen Bijela (die Weisse) veranlasst hat. Hoch 
über dem tückischen Gebirgswasser lagen die Häuser von Bijela 
(1128 Meter), und 400 Meter hatten wir zu überwinden, bis wir an die 
einfache Holzbrücke (1053 Meter) gelangten. 

Der Triaskalk herrscht vor; doch fehlen auch die im Durmitor 
beobachteten Breccien nicht, und die quellenreichen Sandsteine und 
Werfener Schiefer behaupten die untere Hälfte der Uferränder. Eine 
mächtige Zwischenlagerung schieferigen Kalkes trennt sie vom eigent- 
lichen Kalke, von dem sie auch durch ihre gelb- oder rothbraune 
Färbung leicht zu unterscheiden sind. Den untersten Horizont endlich 
nehmen die in Montenegro ungemein häufigen Conglomeratbänke ein. 
Da die Schichten wenig gestört sind, so muss man die Bijela-Schlucht 
als ein reines Erosionsthal auffassen, und zugleich ist eine terrassen- 
förmige Ausbildung unverkennbar. Die Hochebene fällt zu einer steil 
geneigten Stufe und dann erst zum Bette des Flusses ab. 

Wir verloren auf dem Humusboden rasch unseren Weg und 
kletterten im Schatten uralter Buchen aufs Gerathewohl zu dem sonnen- 
verbrannten Plateau empor, das im Frühling von einem endlosen Gras- 
teppich überzogen wird. Unbestimmt verlaufende, trockene Bäche 
schliessen zuweilen die unter der Erdkrume oder unter dem Kalke ver- 
borgenen Schiefer auf, aber trotzdem ist der Wassermangel so 
empfindlich, dass die Bewohner von Gvozd sich mit dem Schnee des 
Vojnik behelfen müssen, und wegen des rauhen Winters sind auf 
der Höhe sehr wenige dauernd bewohnte Siedlungen zerstreut. Wie 
schon erwähnt, läuft die grosse montenegrinische Wasserscheide über 
dieses Krnovo genannte Plateau ; doch ist sie hier wegen der geringen 



I^O Zurück nach Nik§i(5 und Podgorica. 

Höhenunterschiede und wegen des Zusammenhanges mit dem mittel- 
montenegrinischen Rarste weniger scharf ausgeprägt. 

Eine gute Stunde durchwanderten wir die langweilige Gegend, 
deren massig verkarstete, dünn bewaldete Hügel jede Aussicht ver- 
sperrten. Der Vojnik, der sich beim Marsche nach Bijela in seiner 
ganzen Grösse zeigte, war zu einem wenig imponirenden Rücken 
zusammengeschrumpft. Eine jener giftigen Sandottern, deren wir in 
der sonnendurchglühten Cmagora so viele antrafen, schlängelte sich träge 
über den Weg, und unsere Leute bliesen ihr unbarmherzig das Lebens- 
licht aus. 

Vor Zeiten mögen ausgedehnte Bestände die Hochebene bedeckt 
haben, denn Gvozd (1432 Meter), der Name des kleinen Weilers, in 
welchem wir um VaS ^^^ ankamen, bedeutet Urwald, und die drei 
oder vier Gebäude sind von riesigen Buchen umgeben, deren Stamm 
zwei Männer kaum zu umfassen vermögen. Die ebenerdigen Häuser 
sind aus Steinen erbaut, die runden Viehhürden bestehen aus fest mit- 
einander verbundenen Stangen, und kleine Aecker nehmen den Grund 
der flachen Dolinen ein. Die genügsame Kartoffel verspricht einen 
guten Ertrag, das Getreide dagegen steht sehr dünn und hat noch 
einen grünlichen Anflug. Gegen Abend traf der Gerichtspräsident von 
Niksid ein ; der Han bot aber so wenig, dass der hohe Gast mit einigen 
Eiern vorlieb nehmen musste, während wir zu den Conserven griffen. 
Dann Hess er sich am Herde ein hartes Lager bereiten ; wir dagegen 
zogen die freie Natur der wenig Vertrauen erweckenden Herberge vor, 
schürten im Walde ein tüchtiges Feuer und betteten uns auf dem 
■weichen Rasen. 

Erst kurz vor den Buchenhainen von Bukovik (1299 Meter) nahm 
das monotone Dolinenplateau ein Ende, und ein hübscher Blick öffnete 
sich auf die Ebene von Niksid und die Gebirge Alt-Montenegros. Niedere 
Mauern umgaben die wenigen Gebäude des Ortes, und unter ihren roh 
aufeinandergelegten Blöcken waren Sandsteine, Werfener Schiefer und 
die Kalkbreccien des Durmitor häufig vertreten. In der Nähe rieselte 
eine Quelle über das Gestein; doch war ihr Vorrath so gering, dass 
der Schnee im Haushalte der Eingeborenen nach wie vor unentbehrlich 
blieb. Die undurchlässige Gesteinsschicht bestand aus Werfener Schiefern, 
deren Bruchstücke noch immer anzutreffen waren, als wir die trockene 
Rinne eines etwa 3 Meter tief eingerissenen Baches passirt hatten. Da 
im Kalke keine Versteinerungen zu finden waren, so konnte die in 
diese Gegend fallende Grenze zwischen Trias- und Kreideformation nur 






Zurück nach NikSid und Podgorica. icj 

auf Grund der Werfener Schiefer bestimmt werden, eine Grenze, die 
bereits Tietze mit bevvundemswerthem Scharfsinn hier vermuthete. 

[ Hinabgehend in das Becken von Lukovo sahen wir uns im un- 

j beschränkten Bereiche des Karstes, und Eschen-, Buchen-, Eichen- und 

I Ostryagebüsche überwuchsen den grauschwarz verwitterten Kreidekalk. 

\ Das Polje selbst wird durch eine Stufe getheilt (1032 und 920 Meter) 

und steht an Grösse der Ebene von Cetinje wenig nach, obgleich es 
in diesem Umfange auf Rovinski's Karte nicht zum Ausdruck kommt. 
Unvollkommen abgerundete Kalkgerölle machen die Anwesenheit eines 
alten Karstsees sehr wahrscheinlich, und der staffeiförmige Abfall der 
Kessel von Gvozd bis Nikäid weist auf einen inneren Zusammenhang 
hin. Vielleicht deutet die von Lukovo nach Nikäid laufende Furche 
die Richtung an, in welcher das Wasser einst abfloss. Eine spärliche, 
dünn bebaute Humusdecke überlagert das Trümmerfeld, und in die 
zuckerkörnigen Kalke der oberen Mulde, die sehr an die Kalke der 
Quelle Osjedenica erinnern, ist eine Cisterne bis auf das Grundwasser 
eingelassen. Einige Frauen schöpften dort das kostbare Nass, und 
während sie unsere Feldflaschen füllten, hatten wir Mühe, ein schwach- 
sinniges Mädchen fern zu halten, das uns in zudringlicher Weise an- 
bettelte und laut zu weinen begann, als wir uns von ihm abwandten. 

Ein drittes Polje schloss sich den andern an, und die Dolinen 
und steinerfüllten Wege machten im Vereine mit der -f- 25^ C. be- 
tragenden Nachmittagshitze unsere Wanderung nicht gerade angenehm. 
Immer näher kamen die Randberge der Niksider Ebene : die wilde 
Prekornica begrenzte den Hintergrund, und zu unserer Linken stürzte 
der Ostrog jäh zum Planinica-Sattel ab. Unser Krsto, ein alter Krieger 
aus dem Jahre 1877, wies uns voller Begeisterung die Stelle, wo der 
linke Flügel der Crnogorcen den schier unersteiglichen Bergcoloss er- 
klomm und die sich bereits siegreich wähnenden Türken nach grauen- 
vollem Ringen zersprengte. Eine verfallene türkische Strasse, die nicht 
viel besser war als die zweifelhaften einheimischen Fusspfade, führte uns 
zu den wogenden Maisfeldem von Rubezi (732 Meter), und auf breiten 
Kalkplatten stiegen wir wie auf roh behauenen Stufen in die weite 
Niederung hinab. Gajo und Marko, welche mit den Pferden einen be- 
quemeren Weg eingeschlagen hatten, empfingen uns mit Revolver- 
schüssen und lauten 2ivio-Rufen, und zusammen zogen wir längs der 
wasserlosen Bistrica zu dem Randdörfchen Dragovaluka (689 Meter), 
wo uns Krstos Verwandte zuvorkommend aufnahmen. Um die guten 
Leute nicht ihrer Betten zu berauben, wählten wir ein abgemähtes 



1^2 Zurück nach Nikäid und Podgorica. 

Feld ZU unserer Schlafstätte; und die Nacht war so warm, dass wir 
unsere schweren Mäntel ganz entbehren konnten. 

Die nächsten beiden Tage verweilten wir in Niksid. Das Obst war 
reif geworden, und wir schwelgten in einem Ueberflusse von Feigen, 
Melonen, Aepfeln, Birnen und Trauben, von denen das Pfund nur 
wenige Kreuzer kostete. Zu den alten Bekannten gesellten sich neue 
Freunde. Da trafen wir Dr. Kustudija und seine mittlerweile aus Graz 
zurückgekehrte Gemahlin, einen liebenswürdigen Major und mehrere 
junge Montenegriner, die eben ihre Studien in Italien und Frankreich 
beendet hatten. Diesmal machten wir auch dem Stadtoberhaupte Voj- 
voda Öako Petrovid unsere Aufwartung; nur war guter Rath betreffs 
einer würdigen Kleidung theuer, denn so sehr wir unsere Koffer durch- 
stöberten, so wenig tadellose Wäsche fanden wir noch darin. Die Berg- 
schuhe mussten die Salonstiefeln vertreten, der Lodenhut ersetzte den 
Cylinder, und ein bunt gestreifter Kragen, eine blaue Halsbinde und 
ein Paar noch halbwegs erträgliche Handschuhe passten mehr oder 
minder zu dem schwarzen Rocke und den dunklen Hosen, die wir 
allein aus dem allgemeinen Schiffbruche unserer im Laufe der Zeit ab- 
genutzten Kleider gerettet hatten. 

Am Nachmittage des 2. September nahm ich zum dritten Male 
von Niksid Abschied. Wir blieben auf der neuen Strasse, die bis zum 
Beckenrande fertig ist; eine Brücke jedoch, die das Trockenbett der 
Zeta überspannen und bei dem allwinterlichen Hochwasser den Verkehr 
aufrecht erhalten soll, muss erst in Angriff genommen werden, und 
ebenso harrt die Strasse, soweit sie das Gebirge bis Bogetid durch- 
schneidet, noch der Vollendung. Die erforderlichen Felssprengungen 
sind bereits ausgeführt, die Fundamente theilweise gelegt, und so ist zu 
hoffen, dass auch dieser letzte Theil baldigst dem Verkehre übergeben 
werden kann, zumal jeder Montenegriner einige Tage im Jahre um- 
sonst oder gegen eine geringe Entschädigung an öffentlichen Bauten 
arbeiten muss. 

Die flachgewölbten Faltungen der dünnbankigen Kalke sind an 
den Strasseneinschnitten gut erkennbar und halten wenige Minuten 
oder Viertel- und halbe Stunden lang an. Die starke Ausnagung und 
Zerklüftung hat in den oberen Schichten grosse Zerstörungen und Ab- 
tragungen verursacht, so dass eine und dieselbe Kalklage in eine Menge 
zusammenhangsloser Fetzen getrennt ist. 

Weil der Höhenunterschied zwischen Danilovgrad und dem Ge- 
birgsrücken über 700 Meter beträgt, so lief die Strasse in zahlreichen 
Krümmungen am Abhänge hin; und diese Biegungen durch holperige 



Zarück nach NikSiö und Podgorica. je? 

Steige abschneidend, erreichten wir gegen 7 Uhr Abends das Dörfchen 
Bogetid (435 Meter). Der Hanbesitzer wollte uns nicht aufnehmen, da 
seine Frau auf den Tod darniederlag und er kaum für sich das Nöthigste 
zu essen hatte. Er nannte uns einen wohlhabenden Montenegriner, der 
uns gewiss in sein Haus rufen würde. Doch wir erhielten ebenfalls 
einen ablehnenden Bescheid und dachten schon daran, die ganze Nacht 
hindurch bis Danilovgrad oder Podgorica zu marschiren, als sich der 
Eigenthümer des Hans endUch dazu verstand, uns etwas Heu zu 
bringen und auf einem kleinen Sturzacker ein Feuer anzuzünden. Aber 
die Verpflegung? Er machte ein bedenkliches Gesicht, denn der heisse 
regenarme Sommer hatte die Saaten verbrannt, und ein Mandel Eier, 
einige Zwiebeln und etwas Schnaps war alles, was er uns vorsetzte, 
»Mehr kann ich Euch beim besten Willen nicht bringen«, sagte er, 
»hat uns der liebe Gott doch selber bloss Steine gegeben!« Fürwahr 
ein bezeichnendes Wort für den Mangel, der die montenegrinischen 
Berge so oft heimsucht. Wie gut war es, dass wir ein Brot mit- 
genommen, sonst hätten wir sogar dieses wichtigste Nahrungsmittel 
entbehren müssen. 

Da das Plateau ziemlich unvermittelt abfiel, so lag das Zeta-Thal 
fast in seiner ganzen Länge vor uns. Die Bergkegel von Orjaluka und 
Spui, der Garaö und das in die scheinbar senkrechte Felswand ein- 
gemauerte Kloster Ober-Ostrog begleiteten uns beständig auf unserem 
Wege, der an den armseligen Hütten von Cerovo und Drenovstica 
vorbeiführte. Rauchgeschwärzte Ruinen, die wir gestern schon in Stu- 
bica bemerkten, waren hier am häufigsten, und voller Stolz zeigte uns 
Krsto die Stelle, wo seine Abtheilung in der denkwürdigen Schlacht 
von Ostrog stand. Nun mussten wir uns für zwei Tage trennen, weil 
Dr. Baldacci Danilovgrad und ich das Gebiet von Kdevo noch nicht 
kannte. Gajo nahm sich unseres Pferdes an, und mit leichtem Gepäck 
schlugen Marko und ich einen steinigen Saumpfad ein, während unsere 
Freunde die Fahrstrasse verfolgten. 

Schon strahlte die Sonne heiss vom wolkenlosen Firmamenle 
herab und verkündete einen jener Tage, die um Mittag -{- 28^ C. 
Wärme im Schatten besitzen. Doch hatte uns die Länge der Zeit so- 
wohl an das Ungemach der Hitze als an die Beschwerden des Weges 
gewöhnt, und rüstig wanderten wir in den jungen Morgen hinein. Wir 
betraten eine mit Dolinen übersäete Terrasse. Lichter, gestrüppartiger 
Eichenwald, den zuweilen stattliche Bäume überragten, sprosste aus den 
Fugen des dünnbankigen Gesteins, und am Grunde der Trichter grünten 
kleine Kartoffelfelder. Um 8 Uhr ging es an dem rauhen, wasserlosen 



IC « Zarück nach Ntk$ic and Podgorica. 

Felshange 500 Meter steil in die Höhe, wobei die Eiche der Buche 
Platz machte. Unser Weg, bekannt als Pisine Strane, bildete einen 
Theil der kürzesten Verbindungslinie zwischen Cetinje und NikSid, war 
aber nichtsdestowenigei ein erbärmlicher, ermüdender Steig. Endlich 
winkte uns der Weiler Orani Do (loio Meter), und wir flüchteten vor 
der drückenden Sonnengluth in den primitiven Han. Der anstrengende 
Aufstieg war überwunden, denn die Häuser des Ortes lagen am oberen 
Rande der Hochebene, die sich in zwei Terrassen zur Zeta senkt. 
Ein niedriger, verwischter Hügelzug sondert beide Absätze von einander, 
so dass die Gliederung des linksseitigen Thalhanges genau mit der des 
rechtsseitigen übereinstimmt. 

Die Inhaber des Hans \%'aren mürrische, stumpfsinnige Menschen. 
Als ich das Barometer ablas, in der Gegend Umschau hielt und die 
rudistenreichen Kalke betrachtete, hielten sie mich für verrückt und 
bereiteten nicht ohne einen vielsagenden Seitenblick auf den sonder- 
baren Fremden ein frugales Frühstück. Da auch meinem Diener ihre 
Gesellschaft nicht gerade behagte, so brachen wir nach dem Essen 
gleich wieder auf und bogen in eine schmale Mulde ein, die sich zu 
einem wohlbestellten Dolinenthale verlängerte. Einmal erfreute uns 
ein stattlicher Buchenhain, vielleicht der letzte Rest eines ausgedehnten 
Waldes, und unter seinem grünen Dache überliessen wir uns sorglos 
dem Schlummer. 

Der Weitermarsch führte uns über das unabsehbare Hochplateau, 
das ebenso wasserlos und öde war, wie das Gebiet des Ostrog und der 
Prekomica. Quellen waren nirgends, Häuser und Menschen nur in ver- 
schwindend geringer Zahl anzutreffen. Der Höhenunterschied zwischen 
Orani Do und Plo^ betrug etwa 100 Meter, und daher konnten wir das 
dachähnlich abfallende Plateau deutlich überschauen, das, um das alte 
Bild nochmals zu gebrauchen, einem im mldesten Sturme erstarrten 
Ocean glich. Froh ob des zurückgelegten Weges rasteten y\iT an einem 
nie versiegenden Brunnen des Beckens von Plo^ (1060 Meter), dessen 
klares, kaltes Wasser in einer finsteren Jama zusammensickerte. Wenige 
Minuten später sahen wir unser Ziel, Ktevo, zu unseren Füssen, 
und bis zum Lovcen und den von Festungen gekrönten Bergen der 
Krivosije schweifte der überraschte Blick. Eine von Dolinen und Ab- 
sätzen unterbrochene Furche verbindet die Polje von Ploda und Köcvo 
und stürzt so jäh ab, dass der Saumweg einen grossen Bogen be- 
schreibt, ehe er in den halsbrecherischen Fusspfad einmündet. 

Kdevo, berühmt als Geburtsort der Landesfürstin Milena, hat vor 
den anderen montenegrinischen Siedelungen nichts voraus, und von 



Zurück nach NikSic und Podgorica. I^^ 

seinen Häusern sind höchstens das Pulvermagazin und der geräumige 
Wohnsitz des fürstlichen Schwiegervaters bemerkenswerth. Wir hatten 
es uns in dem bescheidenen Han (767 Meter), einem schmalen, eben- 
erdigen Gebäude, nicht lange bequem gemacht, als uns der Kapetan 
nach Landessitte seinen Besuch abstattete. Andere trieb die Neugierde 
her, und indem sie sich um uns setzten, sich beständig räusperten — 
eine hässliche Angewohnheit der Montenegriner — und ihren Gast 
einem regelrechten Bombardement aussetzten, fragten sie: »Woher 
kommt er? Was will er? Wie heisst er? Wer bezahlt seine Reise? 
Dient er seinem Vaterlande? Spricht er unsere Sprache? Wie alt ist 
er? Lebt sein Vater noch? Ist er verheiratet? Hat er Familie? Raucht 
er? Trinkt er Branntwein?« u. s. w. Zwar wird man das Rede- und 
Antwortstehen bei einem noch sehr ursprünglichen Volke bald gewohnt, 
und diese landläufigen Fragen sind aus den alten Zeiten der Blutrache 
übernommen, indem man sich bei Ankunft eines jeden Fremden ver- 
gewissern wollte, ob man es mit einem Freunde oder Feinde zu thun 
hatte. Diesmal schienen mir aber die Zumuthungen so unerhört, dass 
ich den lästigen Fragern nur halben Bescheid gab und mich mit einem 
jungen Menschen unterhielt, der mir von vornherein artig entgegen- 
gekommen war. Er hatte das Gymnasium zu Cetinje besucht, und sein 
Benehmen Hess eine gediegene Schulung wohl erkennen. 

Meine müden Glieder fanden die erhoffte Ruhe nicht, .denn sechs- 
füssige Plagegeister setzten mir so zu, dass ich erst gegen Morgen ein- 
schlief und vor 7 Uhr nicht an den Abmarsch dachte. So anheimelnd 
sich das Käevsko Polje von der Höhe ausnahm, so traurig war es 
in Wirklichkeit. Dürftige Aecker und dürres Gras bedeckten den 
steinigen Boden, der statt der Quellen einige Cistemen enthielt. Der 
spärliche Baumwuchs vermochte sich noch immer nicht zu dichteren 
Beständen aufzuschwingen, und die Wärmestrahlung der nackten, 
wiederum von Rudisten wimmelnden Kalke steigerte sich zu einem un- 
erträglich hohen Grade. 

Die wild verkarsteten, mit Eichen-, Eschen- und Ostrya-Gebüsch 
bewachsenen Lehnen gewähren einem flachen Dolinenthale Raum, das 
an einem nicht allzuhohen Rücken (940 Meter) nach Nordost abbog. 
Zum letzten Male grüsste aus dunstiger Ferne der gewaltige Orjen her- 
über, und vor uns erhob sich der schroffe, massige Gara6 Von welcher 
Seite man ihn sehen mag, immer zeigt er zwei flache Kuppen, und ein 
tiefer Pass trennt ihn von dem ähnlich geformten, aber viel niedrigeren 
Mali Garaä. Eine Mulde begleitet ihn bis zu unserem Kamm, und in 
ihr soll die in Aussicht genommene Fahrstrasse Cetinje-Danilovgrad ver- 



1^4 Zurück nach NikSiö und Podgorica. 

Felshange 500 Meter steil in die Höhe, wobei die Eiche der Buche 
Platz machte. Unser Weg, bekannt als Pisine Strane, bildete einen 
Theil der kürzesten Verbindungslinie zwischen Cetinje und NikSid, war 
aber nichtsdestoweniger ein erbärmlicher, ermüdender Steig. Endlich 
winkte uns der Weiler Orani Do (loio Meter), und wir flüchteten vor 
der drückenden Sonnengluth in den primitiven Han. Der anstrengende 
Aufstieg war überwunden, denn die Häuser des Ortes lagen am oberen 
Rande der Hochebene, die sich in zwei Terrassen zur Zeta senkt. 
Ein niedriger, verwischter Hügelzug sondert beide Absätze von einander, 
so dass die Gliederung des linksseitigen Thalhanges genau mit der des 
rechtsseitigen übereinstimmt. 

Die Inhaber des Hans waren mürrische, stumpfsinnige Menschen. 
Als ich das Barometer ablas, in der Gegend Umschau hielt und die 
rudistenreichen Kalke betrachtete, hielten sie mich für verrückt und 
bereiteten nicht ohne einen vielsagenden Seitenblick auf den sonder- 
baren Fremden ein frugales Frühstück. Da auch meinem Diener ihre 
Gesellschaft nicht gerade behagte, so brachen wir nach dem Essen 
gleich wieder auf und bogen in eine schmale Mulde ein, die sich zu 
einem wohlbestellten Dolinenthale verlängerte. Einmal erfreute uns 
ein stattlicher Buchenhain, vielleicht der letzte Rest eines ausgedehnten 
Waldes, und unter seinem grünen Dache überliessen wir uns sorglos 
dem Schlummer. 

Der Weitermarsch führte uns über das unabsehbare Hochplateau, 
das ebenso wasserlos und öde war, wie das Gebiet des Ostrog und der 
Prekornica. Quellen waren nirgends, Häuser und Menschen nur in ver- 
schwindend geringer Zahl anzutreffen. Der Höhenunterschied zwischen 
Orani Do und Ploäa betrug etwa 100 Meter, und daher konnten wir das 
dachähnlich abfallende Plateau deutlich überschauen, das, um das alte 
Bild nochmals zu gebrauchen, einem im wildesten Sturme erstarrten 
Ocean glich. Froh ob des zurückgelegten Weges rasteten wir an einem 
nie versiegenden Brunnen des Beckens von Ploäa (1060 Meter), dessen 
klares, kaltes Wasser in einer finsteren Jama zusammensickerte. Wenige 
Minuten später sahen wir unser Ziel, Käevo, zu unseren Füssen, 
und bis zum Lovden und den von Festungen gekrönten Bergen der 
Krivosije schweifte der überraschte Blick. Eine von Dohnen und Ab- 
sätzen unterbrochene Furche verbindet die Polje von Ploöa und Kicvo 
und stürzt so jäh ab, dass der Saumweg einen grossen Bogen be- 
schreibt, ehe er in den halsbrecherischen Fusspfad einmündet. 

Käevo, berühmt als Geburtsort der Landesfürstin Milena, hat vor 
den anderen montenegrinischen Siedelungen nichts voraus, und von 



Zurück nach NikSid und Podgorica. jce 

seinen Häusern sind höchstens das Pulvermagazin und der geräumige 
Wohnsitz des fürstlichen Schwiegervaters bemerkenswerth. Wir hatten 
es uns in dem bescheidenen Han (767 Meter), einem schmalen, eben- 
erdigen Gebäude, nicht lange bequem gemacht, als uns der Kapetan 
nach Landessitte seinen Besuch abstattete. Andere trieb die Neugierde 
her, und indem sie sich um uns setzten, sich beständig räusperten — 
eine hässliche Angewohnheit der Montenegriner — und ihren Gast 
einem regelrechten Bombardement aussetzten, fragten sie: »Woher 
kommt er? Was will er? Wie heisst er? Wer bezahlt seine Reise? 
Dient er seinem Vaterlande? Spricht er unsere Sprache? Wie alt ist 
er? Lebt sein Vater noch? Ist er verheiratet? Hat er Familie? Raucht 
er? Trinkt er Branntwein?« u. s. w. Zwar wird man das Rede- und 
Antwortstehen bei einem noch sehr ursprünglichen Volke bald gewohnt, 
und diese landläufigen Fragen sind aus den alten Zeiten der Blutrache 
übernommen, indem man sich bei Ankunft eines jeden Fremden ver- 
gewissern wollte, ob man es mit einem Freunde oder Feinde zu thun 
hatte. Diesmal schienen mir aber die Zumuthungen so unerhört, dass 
ich den lästigen Fragern nur halben Bescheid gab und mich mit einem 
jungen Menschen unterhielt, der mir von vornherein artig entgegen- 
gekommen war. Er hatte das Gymnasium zu Cetinje besucht, und sein 
Benehmen Hess eine gediegene Schulung wohl erkennen. 

Meine müden Glieder fanden die erhoffte Ruhe nicht, .denn sechs- 
füssige Plagegeister setzten mir so zu, dass ich erst gegen Morgen ein- 
schlief und vor 7 Uhr nicht an den Abmarsch dachte. So anheimelnd 
sich das Kßevsko Polje von der Höhe ausnahm, so traurig war es 
in Wirklichkeit. Dürftige Aecker und düiTes Gras bedeckten den 
steinigen Boden, der statt der Quellen einige Cisternen enthielt. Der 
spärliche Baumwuchs vermochte sich noch immer nicht zu dichteren 
Beständen aufzuschwingen, und die Wärmestrahlung der nackten, 
wiederum von Rudisten wimmelnden Kalke steigerte sich zu einem un- 
erträglich hohen Grade. 

Die wild verkarsteten, mit Eichen-, Eschen- und Ostr>'a-Gebüsch 
bewachsenen Lehnen gewähren einem flachen Dolinenthale Raum, das 
an einem nicht allzuhohen Rücken (940 Meter) nach Nordost abbog. 
Zum letzten Male grüsste aus dunstiger Ferne der gewaltige Orjen her- 
über, und vor uns erhob sich der schroffe, massige Garaä. Von welcher 
Seite man ihn sehen mag, immer zeigt er zwei flache Kuppen, und ein 
tiefer Pass trennt ihn von dem ähnlich geformten, aber viel niedrigeren 
Mali Garaä. Eine Mulde begleitet ihn bis zu unserem Kamm, und in 
ihr soll die in Aussicht genommene Fahrstrasse Cetinje-Danilovgrad ver- 



^ 



y 



15^ Zurück nach NikSid und Podgorica. 

Felshange 500 Meter steil in die Höhe, wobei die Eiche der Buche 
Platz machte. Unser Weg, bekannt als Pi§ine Strane, bildete einen 
Theil der kürzesten Verbindungslinie zwischen Cetinje und Nikäiö, war 
aber nichtsdestoweniger ein erbärmlicher, ermüdender Steig. Endlich 
winkte uns der Weiler Orani Do (loio Meter), und wir flüchteten vor 
der drückenden Sonnengluth in den primitiven Han. Der anstrengende 
Aufstieg war überwunden, denn die Häuser des Ortes lagen am oberen 
Rande der Hochebene, die sich in zwei Teirassen zur Zeta senkt. 
Ein niedriger, verwischter Hügelzug sondert beide Absätze von einander, 
so dass die Gliederung des linksseitigen Thalhanges genau mit der des 
rechtsseitigen übereinstimmt. 

Die Inhaber des Hans waren mürrische, stumpfsinnige Menschen. 
Als ich das Barometer ablas, in der Gegend Umschau hielt und die 
rudistenreichen Kalke betrachtete, hielten sie mich für verrückt und^ 
bereiteten nicht ohne einen vielsagenden Seitenblick auf den sonder- 
baren Fremden ein frugales Frühstück. Da auch meinem Diener ihre 
Gesellschaft nicht gerade behagte, so brachen wir nach dem Essen 
gleich wieder auf und bogen in eine schmale Mulde ein, die sich zu 
einem wohlbestellten Dolinenthale verlängerte. Einmal erfreute uns 
ein stattlicher Buchenhain, vielleicht der letzte Rest eines ausgedehnten 
Waldes, und unter seinem grünen Dache überliessen wir uns sorglos 
dem Schlummer. 

Der Weitermarsch führte uns über das unabsehbare Hochplateau, 
das ebenso wasserlos und öde war, wie das Gebiet des Ostrog und der 
Prekornica. Quellen waren nirgends, Häuser und Menschen nur in ver- 
schwindend geringer Zahl anzutreffen. Der Höhenunterschied zwischen 
Orani Do und Plocia betrug etwa 100 Meter, und daher konnten wir das 
dachähnlich abfallende Plateau deutlich überschauen, das, um das alte 
Bild nochmals zu gebrauchen, einem im wildesten Sturme erstarrten 
Ocean glich. Froh ob des zurückgelegten Weges rasteten wir an einem 
nie versiegenden Brunnen des Beckens von Plo^ (1060 Meter), dessen 
klares, kaltes Wasser in einer finsteren Jama zusammensickerte. Wenige 
Minuten später sahen wir unser Ziel, Kcevo, zu unseren Füssen, 
und bis zum Lovden und den von Festungen gekrönten Bergen der 
Krivoäije schweifte der überraschte Blick, Eine von Dolinen und Ab- 
sätzen unterbrochene Furche verbindet die Polje von Ploöa und Köevo 
und stürzt so jäh ab, dass der Saumweg einen grossen Bogen be- 
schreibt, ehe er in den halsbrecherischen Fusspfad einmündet. 

Kievo, berühmt als Geburtsort der Landesfürstin Milena, hat vor 
den anderen montenegrinischen Siedelungen nichts voraus, und von 



Zurück nach NikSiö und Podgorica. icc 

seinen Häusern sind höchstens das Pulvermagazin und der geräumige 
Wohnsitz des fürstlichen Schwiegervaters bemerkenswerth. Wir hatten 
es uns in dem bescheidenen Han (767 Meter), einem schmalen, eben- 
erdigen Gebäude, nicht lange bequem gemacht, als uns der Kapetan 
nach Landessitte seinen Besuch abstattete. Andere trieb die Neugierde 
her, und indem sie sich um uns setzten, sich beständig räusperten — 
eine hässliche Angewohnheit der Montenegriner — und ihren Gast 
einem regelrechten Bombardement aussetzten, fragten sie: »Woher 
kommt er? Was will er? Wie heisst er? Wer bezahlt seine Reise? 
Dient er seinem Vaterlande? Spricht er unsere Sprache? Wie alt ist 
er? Lebt sein Vater noch? Ist er verheiratet? Hat er Familie? Raucht 
er? Trinkt er Branntwein ?€ u. s. w. Zwar wird man das Rede- und 
Antwortstehen bei einem noch sehr ursprünglichen Volke bald gewohnt, 
und diese landläufigen Fragen sind aus den alten Zeiten der Blutrache 
übernommen, indem man sich bei Ankunft eines jeden Fremden ver- 
gewissern wollte, ob man es mit einem Freunde oder Feinde zu thun 
hatte. Diesmal schienen mir aber die Zumuthungen so unerhört, dass 
ich den lästigen Fragem nur halben Bescheid gab und mich mit einem 
jungen Menschen unterhielt, der mir von vornherein artig entgegen- 
gekommen war. Er hatte das Gymnasium zu Cetinje besucht, und sein 
Benehmen Hess eine gediegene Schulung wohl erkennen. 

Meine müden Glieder fanden die erhoffte Ruhe nicht, .denn sechs- 
füssige Plagegeister setzten mir so zu, dass ich erst gegen Morgen ein- 
schlief und vor 7 Uhr nicht an den Abmarsch dachte. So anheimelnd 
sich das Kdevsko Polje von der Höhe ausnahm, so traurig war es 
in Wirklichkeit. Dürftige Aecker und dürres Gras bedeckten den 
steinigen Boden, der statt der Quellen einige Cisternen enthielt. Der 
spärliche Baumwuchs vermochte sich noch immer nicht zu dichteren 
Beständen aufzuschwingen, und die Wärmestrahlung der nackten, 
wiederum von Rudisten wimmelnden Kalke steigerte sich zu einem un- 
erträglich hohen Grade. 

Die wild verkarsteten, mit Eichen-, Eschen- und Ostrj'^a-Gebüsch 
bewachsenen Lehnen gewähren einem flachen Dolinenthale Raum, das 
an einem nicht allzuhohen Rücken (940 Meter) nach Nordost abbog. 
Zum letzten Male grüsste aus dunstiger Ferne der gewaltige Orjen her- 
über, und vor uns erhob sich der schroffe, massige Garad. Von welcher 
Seite man ihn sehen mag, immer zeigt er zwei flache Kuppen, und ein 
tiefer Pass trennt ihn von dem ähnlich geformten, aber viel niedrigeren 
Mali Garaä. Eine Mulde begleitet ihn bis zu unserem Kamm, und in 
ihr soll die in Aussicht genommene Fahrstrasse Cetinje-Danilovgrad ver- 



I^Ö Zurück nach NikSiö und Podgorica. 

laufen. Plötzlich vernahm ich einen hellen Klang, wie wenn Glas mit 
einem Stein in Berührung kommt; voll banger Ahnung drehte ich mich 
um, aber das Unglück war schon geschehen. Mein letztes Thermometer 
war aus seiner Hülle gefahren und lag in tausend Scherben am Boden, 
nachdem es Marko 13 Tage lang mit ängstlicher Sorgfalt behütet hatte. 
Verstimmt setzten wir unsern Marsch bis zum Dörfchen Miogost fort 
und erkletterten bei -|-3o^C. Hitze den steilen Pass (732 Meter), nach- 
dem wir einen Schluck schalen Zisternenwassers getrunken hatten. Doch 
die Schwüle war zu dmckend, und die Mittagssonne stand gerade über 
uns, so dass wir ermattet unter einem verkrüppelten Baume Schutz 
suchten und der keuchenden Brust eine Stunde Erholung gönnten. 

Hinter dem Gebirge zog dunkles Gewölk herauf, und der Donner 
trieb uns wieder fort. Beiderseits fielen die nackten Gipfel des Garai 
schroff zu der schmalen Einsattelung ab, und ihre dünnbänkigen Kalke 
waren zu mannshohen Riesentreppen verwittert. Eine kleine Häuser- 
ansammlung belebte die mit Getreidefeldern besetzte Mulde, die nach 
einer Viertelstunde endete; und das freundliche Danilovgrad vor Augen, 
eilten wir auf zahlreichen Serpentinen zur leuchtenden Zeta hinab. 
Wohl stellt dieser Pass den kürzesten, geradesten Weg über das Gebirge 
dar, aber trotzdem wird er von der geplanten Fahrstrasse nicht benutzt, 
da sein 700 Meter betragender, übermässig steiler Absturz ohne schwere 
Opfer an Zeit und Geld nicht bezwungen werden kann. Die Strasse um- 
geht ihn daher in einem grossen Bogen um den Mali Garaö, und auf 
ihr wird man ebenso schnell zum Ziele kommen wie auf dem müh- 
seligen Wege über den entsetzlich verkarsteten Bergrücken. 

Schon tränkten schwere Regentropfen die durstende Erde, als wir 
auf einer Steinbrücke die Susica überschritten und die Ebene betraten, 
in der wir eine bequeme Fahrstasse vorfanden. Nächtliches Dunkel 
legte sich über die lechzenden Fluren, ein orkanartiger Sturm durch- 
raste die schwüle Luft und wirbelte den Staub zu thurmhohen Wolken 
auf. So heftig war er zuweilen, dass er uns am Weitergehen hinderte; 
aber die Hoffnung, noch ein schützendes Dach zu gewinnen, gab uns 
Flügel, und eben hielten wir vor der bekannten Locanda, als sich ein 
schweres Gewitter mit einem wolkenbruchähnlichen Platzregen entlud. 

Nach einer halben Stunde drang die Sonne wieder siegreich durch 
die Wolken, ein frischer Hauch spielte mit den Baumwipfeln, und Mil- 
lionen Wassertröpfchen erglänzten in den Farben des Regenbogens. Da 
hielt es uns nicht länger in dem dumpfen Zimmer, und nicht eher 
hemmten wir unsere Schritte, als bis wir im Abenddunkel das traute 
Podgorica erreichten. 



Das Ku£i-Land. 



157 



15. Capitel. 

Das Kuci-Land. 



Herzlich bewillkommnet von Dr. Baldacci und den andern Freunden 
zogen wir in der Locanda des Ivo Carevid ein. Die Anstrengungen des 
über 40 Kilometer betragenden Marsches von Köevo nach Podgorica 
wurden erst am andern Morgen fühlbar; daher that uns die Ruhe 
doppelt wohl, und wir konnten mit Müsse nach einem Thermometer 
Umschau halten. Aber obwohl Podgorica gegen 5000 Einwohner zählte, 
blieb unsere Nachfrage erfolglos, bis ich erfuhr, dass der Gouverneur 
ein für mich so werthvolles Instrument besitze. Er überliess es mir mit 
der grössten Bereitwilligkeit, und wenn es auch ein ganz gewöhnliches 
Reaumur-Thermometer war, so reichte es für meine Zwecke vollkommen 
aus. Nun konnte ich mich, um eine Sorge erleichtert, den Bekannten 
widmen, zu denen sich ein fein gebildeter Montenegriner namens Peter 
Lipovac gesellt hatte, der das Russische, Französische, Italienische, 
Englische und Deutsche mit einer seltenen Vollkommenheit beherrschte. 
Der drückenden Hitze wegen machten wir wenig Ausflüge in die Um- 
gebung und besuchten dafür fleissig die Lesehalle, die Öitaonica, deren 
es in jeder montenegrinischen Stadt eine giebt. Die grösste besitzt 
Cetinje, und man vermisst dort auch die englische, französische, deutsche 
und österreichische Presse nicht, während in Podgorica die wichtigsten 
türkischen Blätter vertreten sind. Ausserdem liegt in jeder Lesehalle 
eine mehr oder minder grosse Zahl russischer und serbischer Zeitungen 
auf, und der montenegrinische Staatsanzeiger »Glas Crnogorca« (Die 
Stimme des Montenegriners) fehlt natürlich nirgends. Er erscheint 
wöchentlich einmal und bringt auf vier grossen Folioseiten eine Fülle 
politischer, belletristischer und anderer Darstellungen. 

Der Abend bescherte uns eine eigenartige Ueberraschung. Eben 
wollten wir schlafen gehen, als die Wirthsleute in unser Zimmer 
stürzten und in jedes Fenster ein Licht stellten. In andern Häusern 
geschah dasselbe, und binnen wenigen Minuten war die ganze Stadt 
erleuchtet. Auf unsere Frage, was das zu bedeuten habe, erhielten wir 
die Antwort, es seien soeben an der Grenze Schüsse gefallen, und 



um den Albanesen zu zeigen, dass die wachsamen Einwohner auf 
ihrer Hut seien, pflege man bei derartigen Anlässen eine brennende 
Lampe nach der albanesischen Seite zu ins Fenster zu setzen. Doch 
es wurde kein Schuss mehr hörbar, und bald herrschte in Podgorica 
wieder ungestörte Ruhe. 

Leider nahm unser dreitägiger Aufenthalt wie immer zu rasch 
ein Ende. Dr. Baidacci schloss seine 2 Vo monatliche Reise ab, und ich 
wollte noch fünf Wochen lang die albanesisch-montenegrinischen Grenz- 
gebiete und das Küstenland durchstreifen. Da ich in 14 Tagen wieder 
in Podgorica einzutreffen gedachte, so Hess ich den grössten Theil des 
Gepäcks und darunter meine Zither zurück, die mir oft die Langeweile 
vertrieben und manche Gelegenheit zu lustigen Erlebnissen gegeben 
hatte. Am 8. September schieden wir mit Kuss und herzlichem Hände- 
druck von Dr. Baidacci, Krsto und Gajo und durchwanderten bei -\- 28'' C. 
Hitze etwas niedergeschlagen ob der Trennung von unseren Reisegefährten 
die staubige, magere Ebene. 

Von der Fruchtbarkeit, welche sonst die Ebenen um Podgorica 
auszeichnet, war hier wenig zu bemerken. Der Boden, den vor 
Zeiten ein ausgedehnter Binnensee überflutete, setzt sich aus locker 
verbackenen Gerollen zusammen, die den Regen nicht lange festhalten 
und nur selten von einer anbaufähigen Krume überlagert werden. Gras 
und Buschholz überkleiden die wasserlose Steinfläche; aber die Riesel- 
felder an der Ribnica und die Aecker längs der Gorica geben reichliche 
Erträge. Unser Weg führt durch die Weingärten von Doljani, und 
glutrothe, pfundschwere Trauben schimmern verlockend durch die breiten 
Blätter. 

Bald standen wir vor dem Kirchlein von Doljani (94 Meter) und 
erklommen unter den sengenden Sonnenstrahlen die stark verkarsteten 
Gehänge, bis mit dem Weiler Sjenica (265 Meter) das Plateau gewonnen 
war. Auf dem Wege waren noch die Reste von Unterbauten und roher 
Pflasterung erkennbar, lief er doch zu der vielgenannten Zwingbui^ 
Medun. Neben der charakteristischen Karst -Vegetation herrschten dick- 
blättrige Eichen vor, und an einer ergiebigen Quelle (-(-15** C.) rasteten 
wir einige Minuten. Zu unserer Rechten erhob sich die Kakariöka Gora, 
ein sanfter, mit dem Plateau wenig zusammenhängender Kalkrücken, 
und das schmale, gut bebaute Ribnica- Thal trennte sie von den Aus- 
läufern unserer Hochebene, der Fundina, die wegen ihres Wasserüber- 
flusses schon bei den Römern Fontana hiess. Eine grauenvolle Schlacht, 
in der es keinen Pardon gab, tobte 1876 auf jenen Höhen. 8000 
Cmogorcen schlugen unter dem Befehle Marko Miljanovs 40.000 Türken, 




Das Ka£i-Laiid. 



159 



und li.ooo Feinde . bedeckten am Abend das blutgedüngte Schlachtfeld. 
Noch heute sind die Reste der türkischen Feldschanzen zu sehen, und 
noch immer findet der Wanderer gebleichte Gebeine in den einsamen 
Schluchten. Marko Miljanov! Mit Ehrfurcht spricht der Montenegriner 
von dem ritterlichen Kämpen, dessen Wunden eben so zahlreich wie 
die Köpfe sind, die er im erbitterten Handgemenge erbeutet. Jetzt wohnt 
er in Medun, dessen Eroberung ihm einen neuen Lorbeerzweig ins graue 
Haar wand, und mit Genugthuung kann er allabendlich die Fundina- 
Berge überschauen. — 

Zu unserer Rechten begleitet uns ein freundliches Thal, bis ihm 
die 150 Meter hohe, senkrechte Felswand von Dolnji Medun Halt ge- 
bietet. Schon von Podgorica aus ist sie deutlich sichtbar, denn die Fels- 
zinnen, welche nirgends so plump und abstossend wie auf dieser Seite die 
Zeta-Ebene umgrenzen, bilden hier eine Lücke und lassen im Hintergrunde 
eine jäh abstürzende Mauer frei. Plötzlich ragt vor uns ein nackter, weisser 
Kalkzahn auf. Zerstörte Ruinen krönen seinen Scheitel, und beiderseits 
scheinen sich die schroffen Bergmauern die Hand zu reichen. Das ist 
Medun, das Medione der Römer, und kaum erblickt man von der Ebene 
aus die alte Türkenveste, die den weiten Plan von Podgorica und die 
flachen Becken auf der Höhe überwacht. Steinmauern umgeben die Felder 
und die von Feigenbäumen beschatteten Häuser von Gornji Medun 
(469 Meter), und eine Cisterne bietet uns einen erwünschten Ruheplatz, 

Die geologische Zusammensetzung dieser Gegend scheint auf eine 
Wechsellagerung zwischen Kreide und Trias hinzuweisen. Die Kalke 
von Doljani bis Unter-Medun gehören wegen ihrer zahlreichen Rudisten 
unzweifelhaft zur Kreide und werden hinter Ober-Medun an der Weg* 
kreuzung nach Dudiöi durch das beschränkte Auftreten von Kreide- 
schiefern und Rudisten abermals als kretaceisch gekennzeichnet. Im 
Kessel von Ober-Medun dagegen verschwinden die Rudisten ganz, der 
Habitus der Kalke wird ein anderer, und die im Triaskalk des Durmitor 
beobachtete Breccie stellt sich ein; dazu kommen Sandsteine und Schiefer, 
die durchaus den Typus der Werfener Schichten tragen. Kurz vor Ubli 
werden die Kalke vollkommen versteinerungslos, ohne sich im äusseren 
Aussehen irgendwie zu verändern; man kann daher hier die Trias- 
formation beginnen lassen, zumal die bisher ziemlich häufigen Rudisten 
plötzlich und für immer ausbleiben. 

Ueber eine zweite Gebirgswand gelangten wir auf ein neues 
Plateau (502 Meter), dessen wellige Oberfläche an einer dritten Mauer 
endete, die in eine vierte Hochebene überging. Nun wurde der Karst 
noch trostloser als bisher, so dass er den verlorenen Einöden von 



l6o ^^ Ka6i-Land. 

Bratonoiiöi nicht nachstand. Wo aber eine culturfähige Dolina in den 
verwitterten Stein eingebettet war, da umschloss sie ein kleines Feld, 
und um die Weingärten oder die lichten Maulbeer-, Feigen- und Stein- 
eichenhaine hatten fleissige Hände einen schützenden Steinwall auf- 
geschichtet. 

So erreichten wir die zerstreuten Hütten von Ubli (500 Meter), und 
da wir keine grosse Lust verspürten, im heissen Sonnenbrande weiter 
zu marschieren, so schauten wir uns nach einem Quartiere um. Ein 
solches war bei den gastfreien Kudi bald gefunden; unsere Wirthe 
thaten alles Mögliche, um uns den Aufenthalt bei sich angenehm zu 
machen, und als wir am Morgen von dannen zogen, entschuldigten sie 
sich immer wieder, dass sie uns wegen ihrer Armuth nichts Besseres 
als Brot, Trauben und Eier vorsetzen konnten. 

Die Kuä zerfallen in die beiden Hauptstämme Kuä Drekalovidi 
und Kuä Krajna und sind ihrem Ursprünge nach Albanesen, die ihre 
Muttersprache und die meisten ihrer heimischen Gebräuche zu Gunsten 
der montenegrinischen Sprache und Sitte aufgegeben haben. Doch ist 
die Mehrzahl dem römisch-katholischen Glauben treu geblieben und stand 
um deswillen mit den streng orthodoxen Crnogorcen zuweilen in scharfem 
Gegensatze. Wechselheiraten mit den Amanten sind nichts Seltenes; das 
hindert indessen die einzelnen Familien nicht, sich wüthend zu bekriegen. 
Im Gegentheil, während die Regierung die Blutrache durch energische 
Massregeln unterdrückt hat, ist sie in diesen Grenzgebieten noch 
immer nicht erloschen und wird es nicht eher sein, als bis sich 
auch die Albanesen zu einem Vergleich herbeilassen. Damit wird es 
aber noch gute Wege haben, denn ihre Häuptlinge erklärten in Djakova 
auf die diesbezüglichen Vorschläge der Pforte, es sei von den Montene- 
grinern Blut vergossen, und dieses erheische Sühne. 

Die Kuäi waren stets ein freies Volk, das sich um die türkische 
Herrschaft eben so wenig kümmerte wie vor dem letzten Kriege die 
Hirten des Durmitor und wie noch heute die Albanesen der schwer 
zugänglichen Gebirge. Sie verspotteten die drohende Zwingburg Medun 
und trotzten in ihren Häusern oft den türkischen Soldaten. Eine feste 
Mauer umgiebt den gepflasterten Hof und die Wohnstätten, deren Bau- 
art vielfach an das türkische Haus erinnert und deren kleine, schiess- 
schartenartige Fenster den festungsähnlichen Eindruck noch erhöhen. 

Der öde, nackte Hang, an dessen Fusse Ubli liegt, wurde auf 
vielgewundenem Pfad erstiegen. Wein und Feigen kamen fortan nicht 
mehr fort, und in die fleischrothen Kalke waren gähnende Klammen 
und Ponos gebohrt. Beachtet man, dass diese Schlünde das Ende 



Das Kuöi-Land. l6l 

eines tief eingeschnittenen, geröllerfüllten Trockenthaies sind und sich 
im Becken von Medun und in der Ribnica-Furche fortsetzen, so haben 
wir ein neues Beispiel für den hydrographischen Zusammenhang, der 
mit den Karsterscheinungen so oft Hand in Hand geht. Das Wasser 
rundete die Steine ab und zerriss die Flanken des Gebirges; allein der 
klüftige Kalk hat es längst verzehrt, so dass es auf unterirdischen 
Canälen zur Ribnica und Moraäa abiloss. Die unbeschreibliche Wasser- 
armuth, ja Wasserlosigkeit jener Bezirke im Allgemeinen und dieses 
Karstbaches im Besonderen konnte sich das einfache Volksgemüth nicht 
besser erklären als durch die Sage, der heilige Sava habe, ergrimmt 
über die Sünden der Umwohner, ihr kostbarstes Gut auf Nimmerwieder- 
kehr verflucht. 

• Nicht weniger langweilig und wuld verkarstet war die Gegend, die 
sich jetzt vor uns öffnete, und bald nahm uns das eben erwähnte 
Trockenthal auf, dessen 5 Meter hohe Wände senkrecht in das Gestein 
gegraben waren. Ueberall waren die Leute mit dem Einbringen der 
Feldfrüchte beschäftigt, und die Mehrzahl der Aecker stand bereits in 
Stoppeln. Der dicht bewölkte Himmel entsandte einen feinen Regen, 
aber er war wie der Tropfen auf einen heissen Stein und belästigte uns 
längst nicht mehr, als die roh ausgearbeitete Schlucht bei der Kirche von 
Dolnji Krzanje (1082 Meter) aufhörte. 

Ein weniger steiler Hang führt auf ein fünftes Plateau, das frucht- 
bare Becken von Qber-Krzanje (1123 Meter). Der Karstwald wird hoch- 
stämmiger, und die Steineiche weicht in diesen kühleren Regionen all- 
mählich vor der Buche zurück. Die Laubbäume würden noch kräftiger 
sein, wenn nicht die Eingebornen hier wie in andern Theilen Monte- 
negros gezwungen wären, das mangelnde Heu durch die Blätter der 
jungen Aeste zu ersetzen, so dass die verstümmelten Bäume wie unsere 
geköpften Weiden einen traurigen Anblick darbieten. Sonst verändert 
sich die Gegend nicht zum Bessern, ja sie wird bei dem kleinen Weiler 
Strapse (1275 Meter) besonders wüst und trostlos. 

Nachdem ein Mann aus seiner entfernten Hütte bereitwilligst etwas 
Cisternenwasser für uns herbeigeholt hatte, setzten wir unseren Marsch 
fort. Der Canon der Mala Rijeka, der uns zur Linken begleitete, und 
die grauen Kuppen des Vjeternik verschwanden langsam, und zu unserer 
Rechten trat das imposante Gebirgsmassiv der Zijovo Planina in den 
Vordergrund. Leidlich dichter Laubwald bekleidete die untere Hälfte 
ihrer stark verkarsteten Gehänge, und schmutzige Firnflecken lagerten 
in den Nischen des zersägten Kammes. 

Hassert. Reise durch Montenegro. II 



l62 I^^s Ku(^i-Land. 

Endlich winkte die Erlösung. Wir näherten uns den Werfener 
und paläozoischen Schiefem, die schon von weitem an ihren sanft abge- 
rundeten Bergformen und ihrer rothbraunen Färbung kenntlich waren, und 
auf Schritt und Tritt vollzog sich eine durchgreifende Veränderung in dem 
landschaftlichen Bilde. Als wir um den niederen Zagon-Rücken in eine 
flache Mulde einbogen, verlor sich der öde Karst immer mehr; inmitten 
grüner Wiesen lag eine Viehtränke, und an einer ebenso spärlichen 
Quelle, der zweiten seit Podgorica, rastete eine Schar lustig plaudernder 
Kuä mit ihren schwer beladenen Packpferden. Sie schafften reichliche 
Vorräthe an Käse und Skorup für den langen Winter in ihre Dörfer, 
und Andere trugen ihre Gerätschaften zu Thal; denn bereits er- 
hielten die Bäume ein herbstliches Gewand, und Mitte oder spätestens 
Ende September verlassen die letzten Senner die Alpenweiden, welche 
bald darauf der erste Schnee unter einem weissen Schleier begräbt. 
Wegen der nahen Grenze und aus Furcht vor der Blutrache vermeidet 
man es, allein zu gehen und schliesst sich möglichst zu kleinen, scharf 
bewaffneten Gesellschaften zusammen. 

Das rechte Gehänge der tiefen, grasigen Brskut-Schlucht, eines 
Quellarmes der Mala Rijeka, vermittelte den Uebergang zu dem lang- 
gestreckten Treskavac, und die Schiefer, aus denen das gesammte Südost- 
Montenegro besteht, gewannen mit Macht die Oberhand. Der Kalk 
beschränkte sich auf die oberen Theile der Gebirge und prägte ihnen 
seine charakteristischen Erosionserscheinungen auf. Die Cebesa z. B. setzte 
sich zu Dreiviertel aus wenig mächtigen, wohlbewaldeten Schieferbänken 
zusammen, den zerzackten Kamm aber bildete nackter Kalk, der in breiten 
Schutthalden an seiner kaum gestörten Unterlage hinabgeglitten und sich 
mit den Trümmern derselben nicht selten zu einem festen Conglomerat 
verbunden hatte. Neben dem Farbencontrast stellt also die üppige Pflanzen- 
bedeckung auf der einen, die fast bis zur Vegetationslosigkeit sich steigernde 
Pflanzenarmuth auf der anderen Seite ein nicht minder wesentliches 
Unterscheidungsmerkmal beider Gesteinsarten dar. 

Wieviel schöner ist die östliche Crnagora als Nord-Montenegro ! Müssen 
wir auch dem königlichen Durmitor vor dem Kom entschieden die Palme 
zuerkennen, so birgt die Umgebung des letzeren tausendmal mehr Reize 
in sich als die des ersteren, und es ist nur zu bedauern, dass die Sicher- 
heit des Lebens längs der berüchtigten albanesischen Grenze viel zu 
wünschen übrig lässt. Verschwunden sind die sonnverbrannten, wald- 
und wasserarmen Plateaus des montenegrinischen Nordens; statt ihrer 
erfüllt ein Heer steiler, runder Kuppen das ausgedehnte Gebiet. Ueppige 
Laub- und Nadelwälder, die uns dort nicht gerade häufig begegneten, 



]>as Kaji-L>nd. lö'i 

klettern bis auf die niedrigeren Gipfel, und grüne Alpenmatten fehlen 
selbst den höchsten Pfeilern nicht. Was Wunder, dass bei 1900 Meter 
noch zahllose Kolibas anzutreffen sind, eine Höhe, die seinerzeit bloss 
von den wenigen Hütten des Vahgnica- und Lokvice-Thales überboten 
wurde. Quellen und Bäche eilen in brausenden Cascaden zu den silber- 
hellen Flüssen hinab, die nie versiegend in waldigen Thälern über die 
Gerolle springen, und des Durmitor tiefgrüne Meeraugen linden im 
Rikavac-See, Vukomirsko Jezero und einigen andern versteckten Teichen 



Die J^Jjovo Planinn und der Vukomiisko Icieio (Kuii-Lind). 

ebenfalls ihre Vertreter. So gleicht die Landschaft der freundlichen Gornje 
Moraüa oder den bosnisch-hercegovJnischen Alpen; und dass ihr auch 
der ausdrucksvolle Hintergrund nicht fehle, dafür sorgen die seltsamen 
Kalkrücken mit ihren Teufelsmauern, Riesentreppen und Hexentanz- 
plätzen. Ein Berg auf unserem Wege ragt wie das Matterhorn als scharfer 
Zahn empor; es ist der östliche Thei! der wilden, wenig bekannten /iijovo 
Planina, und unmittelbar vor uns werfen die schwarzgrünen Fluten des 
geheimnisvollen Vukomirsko-Weihers kleine Wellen. 

Noch bewunderte ich das fesselnde Bild, als mich der Ruf meines 
Dieners: »Herr, KulaS ist gestürzt!« in die Wirklichkeit zurückversetzte. 



164 



Das Kadi-Land. 



Das arme Thier war erschöpft zusammengesunken, nicht bloss, weil wir 
eine zehnstündige, anstrengende Wanderung zurückgelegt hatten, sondern 
weil für unseren Gaul die goldene Jugendzeit schon lange vorüber war. 
Zum Glück fand sich rasch Hilfe. Ein junger Bursche, der von Strapt^e 
aus mit uns gegangen war und ein lediges Pferd führte, erklärte sich 
zur Uebernahme unseres Gepäckes bereit, Kula§ trabte trübselig hinter- 
drein, und eine halbe Stunde später hielten wir vor dem Katun von 
Mokro (1551 Meter). Bei den wackeren Kudi brauchten wir nicht erst 
zu sagen, was wir wollten. Decken wurden ausgebreitet, die Frauen be- 
reiteten ein einfaches Abendessen, und da die Luft sich empfindlich ab- 
kühlte, so krochen wir in die Hütte und suchten um 9 Uhr das harte 
Lager auf. 

Das schmale Thal Mokro ist zwischen die schroffen Hänge der 
Öebesa und des Maglid eingebettet und wird durch einen niederen 
Kalkrücken vom Plateau Sirokar und dem in einen 250 Meter tiefen 
Kessel eingesenkten Rikavac Jezero getrennt. Seinen Namen Mokro 
(feuchter Ort) verdient es mit Recht, da sein Grund, der auffallend einem 
alten Flussbette ähnelt und in die romantische Schlucht des Tara-Quell- 
flusses Veru§a ausmündet, reich an Quellen und Bächen ist. — Um sich 
für den Ausfall schadlos zu halten, den sie in Folge anhaltender Miss- 
jahre durch Verkleinerung ihrer Heerden erlitten, wenden sich die Ein- 
geborenen immer mehr dem Feldbau zu. Unser Wirth hatte ebenfalls den 
Versuch gemacht, Erdäpfel um seine Hütte anzupflanzen und war damit 
so zufrieden, dass er einen grossen Theil seiner Weiden in Kartoffel- 
land umzuwandeln beabsichtigte. 

Als wir dem armen Kulas seine leichte Last wieder auflegten, sagten 
mir die erfahrenen Männer und Marko gleich, dass wir keinen guten 
Weg haben würden, und ein Sohn des Hauses bot sich uns als Soldat, 
Wegweiser und nöthigenfalls auch als Helfer in der Noth an. Da ich den 
abgetriebenen Gaul wenigstens bis Andrijevica zu bringen hoffte und dort 
um jeden Preis zu verkaufen gedachte, so wollte ich es noch einmal mit 
ihm versuchen, und in der Ebene ging Alles nach Wunsch. Als wir jedoch 
am steilen Maglid emporzusteigen begannen, fing das Ungemach an. 
Ganz langsam schritt das alte Pferd fürbass und blieb nach jeder halben 
Minute keuchend stehen. Der Weg, der vielleicht in ly^ Stunden zurück- 
gelegt worden wäre, beanspruchte unter diesenVerhältnissen das Doppelte, 
und schliesslich sah ich ein, dass wir so nicht weiterkommen würden. 
So nahmen wir Kulas seine Bürde ab und überliessen ihn vorläufig sich 
selbst. Alsbald fiel er, gefrässig wie er war, über das saftige Gras her, und 
wir schleppten das nicht gerade schwere Gepäck zu dem nahen Katun 



Das Kudi-Land. 165 

auf dem Kurlaj (1762 Meter). Unser Freund war gern bereit, unsere 
Sachen gegen eine geringe Bezahlung nach Podgorica zu schaffen, und 
ich schenkte ihm unser Pferd sammt Sattelzeug, da es für uns keinen 
Werth mehr hatte. Als ich nach Podgorica zurückkehrte, war der Reise- 
korb längst angekommen, und von seinem Inhalte fehlte nicht das 
Geringste. Ueberhaupt kann ich von der Ehrlichkeit der Montenegriner 
viel Rühmliches sagen. Dr. Baldacci Hess seine Leute stets einen Theil 
seines Geldes tragen, und ich brachte meinem Diener Marko das gleiche 
Vertrauen entgegen, ohne mich jemals getäuscht zu sehen. 

Wir nahmen Abschied von dem treuen Thiere, das manche 
ernste und heitere Stunde mit uns getheilt, das in Montenegro und in 
der Hercegovina unser unverdrossener Reisegefährte gewesen war und 
das, am Durmitor geboren, am Kom seine dornenvolle Laufbahn für 
uns wenigstens beendete! 

Die Buchengrenze lag schon längst unter uns, als wir um V4I0 Uhr 
eine schmale Scharte zwischen Magli<* und Crna Planina betraten. Ein 
steinernes Grab zierte die einsame Höhe (1945 Meter) und verlieh ihr 
den Namen Groblje (Friedhof). Ueber den schwach gefalteten Schiefern 
lagerten als letzte Reste einer einst zusammenhängenden Decke ein- 
zelne verwitterte Kalkfetzen, und beiderseits fiel das Gebirge nahezu 
senkrecht ab. Ein schneidend kalter Ostwind blies uns ins Gesicht, aber 
\ trotzdem blieb ich festgebannt stehen, weil das Bild, das sich uns dar- 

bot, zu überwältigend, zu grossartig war. Selbst der Pinsel eines geübten 
Malers ist nicht im Stande, dem farbenfrohen Reize der Landschaft gerecht 
zu werden; wie viel weniger vermögen das erst Worte zu thun? Eine 
majestätische Gebirgsmauer, aus deren finsteren Schluchten breite Firn- 
flecken leuchteten und deren kühn geschwungener Kamm drohende Thürme 
und Zinnen trug, so strebten die unnahbaren Alpen Albaniens zu dem 
Wolkenmeere auf, das um die zerrissenen Spitzen wogte. Dort, wo der 
zackige Wall nach Süden umbog, übertraf er den Durmitor an Höhe, 
und auf ihm thronte in starrer Pracht der Verfluchte Berg, die Prokletija. 
Tief unten umsäumte eine Waldschlucht die nackten, schutterfüllten 
Ketten, und in ihr wand sich das weisse Geröllbett der Skrobotusa- 
VrmoSa, des bedeutendsten Quellflusses des Lim, dahin. Uns am nächsten 
beherrschte ein Fort die kleine Ebene Veli Polje, und hinter einem Berg- 
vorsprung vermischte sich eine zarte Rauchsäule mit der frischen Morgen- 
luft. Das war das liebliche und doch so verrufene Thal von Gusinje und 
Flava, und der aufsteigende Rauch verrieth die Stelle, wo Gusinje lag. Leider 
sind beide Städte den Fremden seit Jahren so gut wie verschlossen; 
denn wild wie das Gebirge sind die hier hausenden Albanesen, die dem 



l66 Das Kuöi-Land. 

berüchtigten Clan der Malissoren angehören. Der Berliner Congress hatte 
den lange gewünschten Bezirk den Montenegrinern zugesprochen, aber 
die fanatischen Bewohner leisteten ihrem bewaffneten Einschreiten er- 
folgreichen Widerstand, und es blieb den Grossmächten nichts übrig, 
als die Crnogorcen durch die Abtretung von Dulcigno zu entschädigen. 
Selbst die Türken besitzen trotz ihrer Garnisonen so wenig Autorität, 
dass die Eingebornen von Gusinje jüngst den Kaimakam (Richter) ver- 
trieben, und dass es nicht möglich war, die Festung im Veli Polje von 
dem nahen Gusinje aus zu verproviantiren. Die türkischen Soldaten mussten 
vielmehr durch montenegrinisches Gebiet ziehen und auf einem mehrere 
Tagemärsche betragenden Umwege die Lebensmittel in das Fort schaffen. 
Während meines Aufenthaltes in Andrijevica sah ich täglich die schmutzigen, 
schlecht gekleideten Gestalten auf schwer beladenen Saumthieren Mais, 
Reis, Aepfel und andere Dinge über die Grenze befördern. Ja als um 
dieselbe Zeit ein Pascha mit starker Geleitmannschaft von Berani nach 
Scutari reiste, hielten ihn die getreuen Unterthanen von Gusinje vier 
Tage lang gefangen. Nur die montenegrinischen und albanesischen 
Frauen können ungefährdet aus- und eingehen, und in Carine wusste 
uns ein Mädchen viel von den eigenartigen Arnautenstädten zu erzählen. 
Doch unsere Rundschau ist noch nicht beendet. Zur Linken erhebt 
sich das stolze, dreigipfelige Massiv des Kom, dessen schroffe Kalkwände 
auf einem fahlgrünen Hochplateau ruhen. Es ist von viel begrenzterer 
Längen- und Breitenausdehnung als der Durmitor und bedeckt mit 
seinen äusserten Ausläufern, seinen Füssen oder Wurzeln, wie das Volk 
sagt, die Fläche zwischen Tara, SvinjaCa, Jelovica und Lim. Im Einzelnen 
zeigen jedoch seine Kalkschroffen dieselbe Ausarbeitung wie die Cirova 
Pedina. Lockere, halsbrecherische Grate, unzugängliche Pyramiden und 
steil geböschte Schutthalden gibt es auf ihm ebenfalls genug, und 
blumige Wiesen, die man dort vergebens sucht, zieren den Scheitel 
dieses interessanten Berges. Quellen und Bäche, vom ewigen Schnee 
gespeist, rinnen von den Hochweiden hinab, und ihnen ist ein grosser 
Theil der Reize zuzuschreiben, die eine vom fliessenden Wasser durch- 
zogene Gegend in unseren Augen so sehr auszeichnen. Wie sich aber 
von seinen Gipfeln eine umfassende Rundsicht über Montenegro, Bos- 
nien und Albanien erschliesst, so gewährt der Kom selbst einen über- 
raschenden Anblick. Auf Wiesen und Felder folgt eine Zone üppigen 
Eichen- und Buchenwaldes, dann stellen sich ausgedehnte Bestände 
an Fichten und Schwarzkiefern ein, und saftige Alpenmatten vermitteln 
den Uebergang zu den Zinnen und Schluchten, die Bären, Wölfen und 
Gemsen einen sicheren Schutz gewähren. 



Das Ku£i-Land. l5;r 

Unser Weg lief auf der Höhe der Crna Planina hin, deren kaum 
I Centimeter mächtige Schieferlagen stark, ja bis zur Ueberkippung 
gefältelt waren. So jäh stürzt der Hang in die Tiefe, und so abschüssig; 
wird zuweilen der geländerlose Pfad, dass eine kräftige Hand die schwer 
beladenen Pferde festhalten und dass man sich vorsichtig vor einem 
Fehltritt hüten muss, ein Umstand, der den Genuss jenes einzigen 
Panoramas sehr beeinträchtigt. 



Der Kon von Konj u he iub. 

Der Rücken bildet einen Theil der grossen Wasserscheide, die von 
Gacko durch die Duga-Pässe, über den Vojnik und die Lukavtca, über 
die Javorje Planina und Moraäko Gradiäte zur Crna Planina streicht und 
sich über die Vila zu den Albanesischen Alpen fortsetzt. Oft beträgt 
die Entfernung der beiderseitigen Quellsysteme noch nicht i Kilometer, 
und die Wasserscheiden sind mitunter sehr verwischt. Der Rikavac- 
See z. B. fliesst verborgen zur Cijevna (also zur Moraia) und zur Skro- 
botu^a (also zum Lim) ab; und als wir in eine sich beiderseits thalartig 
verlängernde Senke (1698 MeterJ hinabstiegen, sagte uns ein Hirt, dass 
sich in einer flachen Bodenvertiefung während des Winters ein Teich 



l68 ^*s Ku^i-Land. 

sammle, der seinen Inhalt an die Opasanica (also die Tara) und die 
Vucji Rijeka (also den Lim) abgäbe. 

Ein ausgedehnter Buchenwald nahm den Raum zwischen diesem 
Sattel und der Grenze ein. Sein dichtes Unterholz bot bei räuberischen 
Ueberfallen einen vortrefflichen Schutz, und mehrere einfache Stein- 
pfeiler verriethen die Stellen, wo das Blei des feige im Hinterhalte 
lauernden Malissoren das nichts ahnende Opfer niederstreckte. Wir be- 
obachteten daher unsere Umgebung mit gespanntester Aufmerksamkeit, 
bis wir in den Kolibas des Kurlaj anlangten und dort den grössten 
Theil unseres Gepäckes zum Rücktransport nach Podgorica zurückliessen. 
Dreimal schneller kamen wir ohne unser Pferd vorwärts und rasteten 
nur einmal an einer sehr kalten Quelle (-f- 3 ^ C), die zwischen den 
auflagernden Kalken und den unterlagernden Schiefern austrat und zu- 
gleich die Grenze der Buchen (1800 Meter) anzeigte. Oefters bemerkten 
wir schwarze Kalke, die von röthlichen und weissen Adern durch- 
setzt waren. Sämmtliche Kalke und Dolomite sind triadisch, weil sie 
auf den alten Schiefern ruhen und am Korn, wie es scheint, durch 
eine dünne Schicht Werfener Schiefer von jenen getrennt werden. 

Gegen 3 Uhr langten wir in unserem Bestimmungsorte, dem vom 
Kurlaj aus gut sichtbaren Sommerdörfchen Carine (1884 Meter) an, dessen 
Hütten auf einem flachwelligen Plateau unterhalb des Kuäki Kom zer- 
streut sind. Ein aus Albanien herüberwehender Wind erniedrigte die 
Lufttemperatur auf -|- 8° C, und die Kühle steigerte sich in der Nacht 
so, dass das Thermometer um 6 Uhr des nächsten Morgen erst -|- 6^ C. 
angab. In der reinlichen Hütte des Kapetans von Medun fanden wir 
ein behagliches Unterkommen, und am 11. September schied ich von 
Carine und dem KuciLande. Von einer Besteigung des 600 Meter 
höheren Kom-Gipfels sah ich ab, da sie mit meinen Plänen nicht mehr 
recht vereinbar war und ich schon damals darauf rechnete, auf 
einer zweiten Reise das Versäumte nachzuholen. 

Als wir ins Freie traten, hüllte ein undurchdringlicher Nebel das 
gewaltige Gebirge ein, so dass die kaum 20 Schritte entfernten 
Hütten nicht zu erkennen waren. Ein Hirt begleitete uns deshalb, bis 
sich der knappe Pfad von der hier oben entspringenden Carinska Rijeka 
abwändte und zur Perucica führte. Unser Mentor hatte uns noch nicht 
lange verlassen, als die Sonne siegreich durch die Finstemiss drang; 
binnen Kurzem war der Nebel zu kleinen Wölkchen aufgelöst, die als 
Vorzeichen guten Wetters ins Thal sanken und dort zerrannen. Hurtig 
schritten wir auf dem weichen Boden eines erhabenen Kiefernwaldes 
aus, der an den Kalkklippen zahlreiche Ausläufer nach oben sandte. 



Das Kuöi-Land. i6q 

Uralte, stark herbstlich angehauchte Buchen mischten sich darunter 
und gewannen schliesslich die Oberhand. Die wetterfesten Laub- und 
Nadelbäume waren am unteren Theile ihres Stammes ausnahmslos 
krumm gebogen und wandten sich vom Gebirge ab, weil durch die La- 
winen und die vorherrschenden Winde schon das junge Stämmchen 
gebeugt ward und in dieser Lage weiterwuchs. Nach einiger Zeit ver- 
nahmen wir helles Glockengeläut, Blöken, Meckern und lautes Rufen. 
Eine endlose Heerde von Kühen, Ziegen und Schafen, wohl looo Stück 
und mehr, wurde bergab getrieben, und es dauerte eine geraume Weile, 
bis wir uns durch die scheu auseinander weichenden oder störrisch 
Widerstand leistenden Thiere hindurchgearbeitet hatten. 

Wir stiessen auf zwei Kuäi, die uns mit Kuss und Handschlag be- 
grüssten und bis Andrijevica unsere Gefährten blieben. Da die Zeit 
nicht drängte, so rasteten wir inmitten der mannshohen Farnkräuter, 
aus denen ein guter Theil des Unterholzes bestand, und Hessen uns 
von unseren Freunden nicht lange zum Essen nöthigen. Ein Schluck 
kalten Wassers, trockenes Brot und in Würfel geschnittener Käse, wie 
köstlich mundete das bescheidene Mahl, das uns zu neuer Wanderlust 
stärkte. Je mehr wir ins enge Thal hinabstiegen, um so häufiger wurden 
die Ansiedelungen und Felder, und um so öfter begegneten wir Einge- 
borenen. Eine kleine Gesellschaft schloss sich uns auf ein Stündchen 
an. Die Gesprächigste von allen war ein altes Mütterchen, das der 
Hexe im Dornröschen aufs Haar glich und seinen Redefluss nur dann 
unterbrach, wenn es einer Schnupftabaksdose eine tüchtige Prise ent- 
nahm. Dabei vergass jedoch die sorgsame Grossmutter nicht, ihrem 
schreienden Enkelchen, das xsie in einer schmalen, hölzernen Wiege 
auf dem Rücken trug, zur Beruhigung dann und wann ein Stück Käse 
in den Mund zu stecken. 

Unweit der Einmündung der Desna Rijeka (967 Meter) betraten 
wir den Thalgrund der Perudica, die sich mühevoll einen Abfluss durch 
die Unmassen ihrer Kalk-, Schiefer- und Diabas-Gerölle bahnte. Ihre 
Umgebung, Konj u he genannt, entsprach genau den reizvollen Ufern 
der oberen Morada und mittleren Tara, und die von dichten Hecken 
umgrenzten Holzhäuser waren eben so freundlich wie dort. Aepfel-, 
Birnen-, Pflaumen- und Herlitzenbäume wuchsen in den Obstgärten, und 
Tabak-, Mais- oder Kartoffeläcker nahmen die Uferlehnen ein. Der 
zahllosen Quellen und Bäche wollen wir ebensowenig wie der stets an- 
muthigen Landschaft gedenken, die in den dominirenden Zacken des 
Kom und Zelentin einen würdigen Hintergrund findet. Dort, wo sich 
das klare Wasser nach Aufnahme der Kuika Rijeka in scharfem Bogen 



IJO ^on Andrijevica nach Berani und über KoIaSin zurück nach Podgorica. 

nordwärts wendet, heisst es Zlorjedica, und noch 5 Kilometer waren 
in dieser nicht minder anheimelnden, gut bewohnten Gegend mit monte- 
negrinischer Geschwindigkeit zu durchmessen, bis einige Häuschen auf- 
tauchten. »Andrijevica!« riefen meine Begleiter, und voller Erwartungen 
umging ich den niederen Hügel, der die freie Aussicht verhinderte. Nach 
wenigen Minuten standen wir vor dem kleinen Grenzstädtchen, ein 
letzter Händedruck galt unseren beiden Kudi, und w^ir eilten in die 
einfache Locanda hinauf. 



16. Capitel. 



V • 



Von Andrijevica nach Berani und über Kolasin 

zurück nach Podgorica- 

Andrijevica (827 Meter), der Endpunkt einer montenegrinischen 
Telegraphenlinie, zählt höchstens 200 Einwohner, gilt aber als eine Stadt, 
weil seine Gebäude sich zu einer breiten, mit grünen Laternen gezierten 
Strasse zusammenschliessen. Die vor wenigen Jahren vollendete Kirche 
ist etwa fünf Minuten vom Orte enfernt, unter dessen Häusern das 
stattlichste und massivste dem Vojvoda Tomaso gehört. Die Lage von 
Andrijevica gleicht vielfach der von Kolasin. Es wurde auf einer hohen 
Flussterrasse des Lim am Rande einer nicht sehr ausgedehnten Thal- 
weitung gegründet, die aus einer engen Schlucht hervorgeht und sich 
wiederum zu einer solchen verschmälert. Sanft geformte, mit Wald, 
Wiesen und Feldern bedeckte Berge schützen rings die Niederung. Die 
Eich^ ist für jenes Gebiet charakteristisch und bildet umfangreiche Be- 
stände, die jedoch nicht hochstämmig werden können, weil die gefrässi- 
gen Ziegen mit Vorliebe den jungen Trieben nachstellen und weil der 
Mensch in Ermangelung genügender Heuvorräthe die zarten Aeste ab- 
i schneidet. 

Da es zu verlockend schien, türkische Zustände kennen zu lernen, 
so plante ich einen Ausflug nach Berani, der nächsten Grenzstadt des 
türkischen Sandsaks Novibazar. Der liebenswürdige Kapetan Jevrem 
Bakic stellte mir einen Gendarmen zur Verfügung und gab uns ein 



Von Andrijevica nach Berani und Über Kolnfia zurück nach ["odgorica. 171 

Schreiben an den Kaimakam mit, worin er Zeitdauer und Zweck 
unseres durchaus harmlosen Besuches mittheilte. Savo Bjelica, ein 
Verwandter meines Marko, wechselte uns etwas türkisches Geld ein, 
und dem Wirth gab ich meine Barschaft in Venvahrung. Montenegro 
besitzt keine eigene Münze; italienische und französische Goldstücke, 
türkisches Silbergeld (Med^idie) und vor allem österreichische Geldstücke 
sind im Umlauf. Ausserdem cursieren sehr viele sogenannte Zwanziger, 



die in der Crnagora und den meisten Orten Bosniens 33 Kreuzer, in 
manchen Städten, z. B. Foda aber nur 30 Kreuzer gelten. 

Es war ein klarer Sonntagsmorgen, und die Uhr zeigte noch 
nicht Sechs, als wir am 13. September mit unserm militärischen 
Begleiter Ivan das Städtchen vertiessen. Ein lindes Lüftchen spielte 
mit der herbstlichen Natur, und wir schritten bald auf den links- 
seitigen Terrassen, bald im Thale des luftig dahinplätschernden Lim 
unserem interessanten Ziele zu. Nach einer guten Stunde hatten wir 
das kleine von Aeckern und Pflaumenbäumen erfüllte Becken von 
TrebtJa (745 Meter) erreicht und stärkten uns im russigen Han mit 
einigen Gläschen Slivovic. Nach 15 Minuten brachen wir wieder auf. 



172 ^on Andrijevica nach Berani and über KoIaSin zurück nach Podgorica. 

und höher wuchs unsere Neugierde, denn von grüner Bergeshöhe winkte 
das erste türkische Wachthaus herab. Nicht lange, so stellten sich die kunst- 
los aus- Steinen aufgethürmten Grenzpyramiden ein, und die breite Ebene 
von Berani entrollte sich vor uns. Sie war von massig bewaldeten Berg- 
ketten umrahmt, auf denen weisse Kulas sichtbar wurden, und den Ein- 
gang beherrschte ein grosses kreisrundes Fort. Ein Vorposten sass, das 
Gewehr an einen Pfeiler gelehnt, gemächlich unter einer Laube, und 
abseits von ihm war eine Abtheilung Soldaten mit Freiübungen be- 
griffen. 

Die Ebene ist noch lange nicht in dem Masse bebaut, wie ihr 
fruchtbares Schwemmland es verdient. Sie wird von zahlreichen Bächen 
durchschnitten und ist vor den Ueberschwemmungen des Lim gesichert, 
weil sich dieser ein tiefes Bett gegraben hat, das mitunter zwei sich 
genau entsprechende Reihen von Terrassen besitzt. Der Boden ist, nach 
den ihn zusammensetzenden Gerollen zu urtheilen, wohl der Grund 
eines alten Seebeckens. 

Kurz nach 9 Uhr zogen wir in Berani (745 Meter) ein, neugierig 
betrachtet von den Stadtbewohnern, Türken, Serben, Albanesen, und 
von den zahlreichen Soldaten.*) Ich habe nie einen zerlumpteren und 
tüchtigeren Soldaten gesehen als den türkischen. Die Officiere waren 
sauber gekleidet ; aber die verschossenen Uniformen der Gemeinen und 
der vielfarbige und vielgestaltige Fez schillerten in allen Abstufungen 
von Blau, Grün und Roth. Hosen und Waffenrock waren trotz ihres Flick- 
werkes so zerrissen, dass die nackten Füsse und Ellenbogen aus grossen 
Löchern hervorschauten; ja einige mussten sich mit Civilkleidern und 
zusammengenähten Säcken begnügen. Die einen gingen in Stiefeln, 
die anderen in Schuhen, die dritten in Opanken, die mit wenigen Aus- 
nahmen ebenfalls so abgenutzt waren, dass die durch keinen Strumpf 
verhüllten Füsse einen nicht gerade ästhetischen Anblick darboten. 

Bei einem serbischen Kaufmanne Hessen wir unsere Waffen zu- 
rück und begaben uns zum Kaimakam, um unsere Ankunft anzumelden. 
Im Gerichtszimmer, einer niedrigen Kammer, die ausser zerrissenen Ta- 
peten, einigen Tischen und Bänken keinen Schmuck besass, war die 
Gerichtsbarkeit bereits vollzählig versammelt. Gemäss der türkischen 
Etiquette traten wir bedeckten Hauptes ein, machten statt des Grusses 



') Vielfach werden Berani und Bijelopolje fälschlich zu den Städten des Sand^ks 
gezählt, die von Oesterreich besetzt sind. Nur in Plevlje, Prijepolje und Priboj liegen 
gemeinsame österreichische und türkische Garnisonen, in allen übrigen Orten steht 
ausschliesslich türkisches Militär. 



Von Andrijevica noch Berani und über Kolaäin inrück nach Podgorica i -j-i 

mit der rechten Hand ein Zeichen auf Kopf und Brust und setzten un; 
worauf ein Diener ungezuckerten schwarzen Kaffee und die unvermeid- 
lichen Cigaretten brachte. Darauf überreichten wir unsere Papiere. Abei 
o wehe, die hochwohlweisen Herren waren wohl der serbischen Sprache, 
nicht jedoch der serbischen Schrift kundig; und da sie unseren Gen- 
darmen in übergrossem Misstrauen das Schreiben nicht vorlesen lassen 
wollten, so dauerte es eine gute Viertelstunde, bis sie einen des Lesens 
kundigen Mann nach ihrer Art gefunden hatten. Der wieder konnte 



Die Jerinj. Ginir. hei Andrijevica. 

die lateinischen Buchstaben nicht entziffern, und daher richteten die 
Beamten eine Unmenge Kreuz- und Querfragen an mich. Was will der 
Fremde in unserem Lande? Wie lange denkt er hier zu bleiben, und 
woher kommt er? Spricht er die französische Sprache, und ist er ein 
Russe oder Franzose? Es hatte sich nämlich das Gerücht verbreitet, dass 
Russland für die noch immer nicht getilgte Kriegsschuld das Sandsak 
verlangen und zwischen Serbien und Montenegro theilen wollte. Was 
Wunder, dass ich gleich für einen Spion galt, der nur gekommen war, 
um sich das Land anzuschauen und darüber den verhassten Moskovitern 



ly^ Von Andrijevica nach Bcrani und über KoIaSin zurück nach Podgorica. 

ZU berichten ? »Aber Herren des Gerichtes, begann jetzt der Mann, der 
unsere Pässe vorgelesen, was fragt ihr den Reisenden so aus? In 
Deutschland reisen auch viele Türken, und Keiner unterzieht sie einem 
so peinlichen Verhöre wie ihr!« Diese Worte kümmerten indessen den 
würdigen Kaimakam Murad Aga Ganid wenig ; er wollte uns sogar einen 
Zaptieh (Gendarmen) als Begleiter oder vielmehr als Wächter mitgeben, 
und erst auf den energischen Protest unseres Ivan verzichtete er auf die 
uns zugedachte zweifelhafte Ehre. Wir wurden ohne unsere Pässe ent- 
lassen, aber fortwährend folgte uns ein Gerichtsdiener nach und beob- 
achtete unsere Bewegungen. 

Berani zieht sich längs des breiten, von einer wackeligen Holz- 
brücke überspannten Lim hin und bietet durchaus nichts Originelles. 
Die Holzhäuser zeigen die altbekannte Bauart, und an einer niederen 
Kaserne, einer nüchternen Moschee, einem von einem Kiosk überdachten 
Brunnen und einigen Feldschanzen auf der rechtsseitigen Höhe findet 
das Auge keine grosse Befriedigung. Wir gingen dehalb zur Post, um 
einige Karten zu kaufen, klopften aber vergebens an, da man sich erst 
vergeNvissem wollte, ob man den verdächtigen Individuen solche aus- 
händigen dürfe. Auf eine zweite Anfrage erhielten wir das Gewünschte, 
doch aus dem Schreiben wurde noch immer nichts. Der Kaimakam 
Hess mich aufs neue zu einem peinlichen Verhör rufen; er wollte 
wissen, ob ich ein eifriger Politiker sei und die neuesten Zeitungen ge- 
lesen hätte, was ich zu den Bündnissen der europäischen Grossmächte 
meinte, und auf welcher Seite der Sultan stünde. Ich antwortete ihm, 
der Sultan stünde zunächst auf keiner Seite, würde aber wahrschein- 
lich zu unserer Allianz halten und nahm zugleich die Gelegenheit wahr, 
unsere Pässe zu verlangen. Nunmehr, nach 3 Stunden, wurden sie uns 
zugestellt, ohne dass ein einziger Federstrich darinnen gemacht worden 
wäre, und ich konnte endlich die Postkarten schreiben, nachdem ich 
den Herrn Kaimakam noch um seine gütige Erlaubnis gebeten hatte. 

Nach Mittag brachen wir zu dem nahen Kloster Djurdjevi Stupovi 
(774 Meter) auf, das schon vor dem Unglückstage von Kosovo ge- 
gründet sein soll. Kaum hatten wir jedoch das Innere der Kirche be- 
sichtigt, als ein Mann serbischer Nationalität erschien und meinen Be- 
gleitern zuflüsterte, dass der Kaimakam uns mit einer Abtheilung Sol- 
daten auf der Spur sei. Daher eilten wir, Gewehr und Revolver schuss- 
bereit, ohne Zögern der Grenze zu und athmeten erst erleichtert auf, 
als wir den gastlichen Boden Montenegros wieder betraten. Bei hellem 
Mondschein trafen wir in Andrije\ica ein, und ein kräftiges Nachtmahl 
beschloss den abenteuerlichen Ta«:^. 



Von Andrijevica nach BeranI und über KolaSin zurück Dacli Podgorica. i y^ 

Nach einem Ruhetage wurde am 14. September der Marsch quer 
über das Gebirge nach KolaSin angetreten. Da wir das Dorf Zabrdje 
(916 Meter) durchwandern mussten und unser Kapetan dort sein Haus 
besass, so scheute er den einstündigen Weg nicht, um uns abzuholen und 
in seiner Familie zu bewirten. Schwer wurde es mir, von dem wackeren 
Manne zu scheiden, der, wie die ordengeschmückte Brust zeigte, in 
manchen Stunden der Gefahr seinem Vaterlande treu gedient hatte, 
ohne über dem rauhen Kriegerhandwerk das fein fühlende Herz zu ver- 



lieren. Wir stiegen an steilen, mit dünnästigen Eichen bedeckten Schiefer- 
lehnen empor und waren froh, als wir die Höhe (1380 Meter) erklom- 
men hatten. Stark erodierte Kalkreste überlagerten die leicht zer- 
fallenden Schiefer, und kleine Häuser, die letzten dauernd besiedelten 
Wohnstätten, umsäumten ein endloses Buchendickicht. Im schattigen 
Hochwalde kamen wir zur schmalen Schlucht der klaren GradiSnica, 
die bei Trebfia in den Lim mündet. Machten am Rande des Plateaus 
— denn ein solches stellte das weite Gebiet dar — die Eichen und 
Herlitzensträucher den Buchen Platz, so stritten sich diese hier mit 
schlanken Fichten um die Herrschaft, bis sie schliesslich wieder vor- 
herrschten. 



1/6 Von Andrijevica nach Berani und über KolaSin zurück nach Podgorica. 

Doch bald verliess der Weg das anmuthige Thälchen, und bis 
zum breitrückigen Kljuc ging es unaufhaltsam bergan. Grrüne Wiesen 
und schweigende Wälder wechselten mit luftigen Kolibas ab, und auf 
dem weichen, quellendurchtränkten Erdreich schritt sichs leicht dahin, 
obgleich das beständige Aufsteigen einigermassen anstrengte. Eine röth- 
liche Kuppe wurde unser Markstein, und als wir neben ihr standen, 
blickten wir rechts in die tiefe Jelovica-Rinne hinab. Die wellige Hoch- 
fläche bildete eine Wasserscheide zwischen Lim und Tara, und die 
beiderseitigen Quellbäche hatten enge Schluchten in das Plateau ge- 
rissen. Nun gelangten wir in das grasige Krivi Do, das trotz seiner 
bedeutenden Meereshöhe (1900 Meter) von zahlreichen Sennhütten be- 
lebt ward, und endlich war der Kljud nicht mehr weit. Stark verwitterter 
Diabas stand dort an, und der Kalk gewann für ein kurzes Stück eine 
ziemliche Mächtigkeit. Die Conturen des Tara-Thales traten deutlicher 
hervor, und unser imposanter Begleiter, der Kom, verschwand allmählich. 
Gottlob, jetzt senkte sich der waldige Hang, dauernd bewohnte Häuser 
fanden sich wieder ein, und die Stiahlen der scheidenden Sonne be- 
leuchteten das kleine Kolasin. Als wir den Thalgrund betraten, war 
es Nacht gew^orden, und beim Sternenschein hielten wir vor der Lo- 
cafida. Die Nachricht von unserer Ankunft verbreitete sich rasch, und 
noch am späten Abend kamen die Freunde, darunter der fein gebildete 
Stadt-Kapetan Bogdan Memedovid Drobnjak und unser alter Bekannter 
Pope Michail aus Polje, um uns zu besuchen. 

Drei Tage waren Kolasin gewidmet, und am 19. September über- 
schritten wir das wasserarme Geröllbett der Tara. Djordjijo Stanid ge- 
leitete uns als Getreuester von Allen ein Stück, und dann lenkten wir, 
uns selbst überlassen, in die schmale Bachschlucht der Bistrica ein, 
die durchaus in den Rahmen der reizenden Landschaften Südost-Mon- 
tenegros passte. Ein mahnendes Zeichen des Todes unterbrach das 
frohe Bild des Lebens. Im friedlichen Walde waren zwei Gräber ver- 
borgen, in denen mehrere Crnogorcen ruhten. Noch vor 15 Jahren 
durchtobte der Guerillakrieg das kleine Thal, da unweit desselben die 
viel umstrittene Grenze verlief. Wir begegneten einem Trupp serbischer 
Zigeuner, die wie alle ihre Stammesgenossen mit Stehlen, Betteln, 
Wahrsagen und dem Schmiedehandwerk ihr unstätes Leben fristen und 
uns sofort um Tabak oder ein Geldgeschenk angingen. Der bequeme 
Pfad führte in dem leider rasch endigenden Thale auf die schmale 
Wasserscheide zwischen Tai*a und Moraca; und überraschend, wenn 
auch etwas beschränkt, war die Fernsicht, die sich dort oben eröff- 
nete. Die regelmässigen Bergformen der vielgipfeligen Moraäko Gradiste 



VoD Andrijevio nach Berani und über Kolnäin inhlck nacb PodgoricK. 



177 



versperrten den Blick nach Norden, und ihr gegenüber thürmte sich 
die wilde Mauer des Tali und der tafelartigen Kapa Morafika auf. Noch 
einige Minuten, da fällt der schroffe Hang wohl 1000 Meter tief zur 
Mora^ ab, und aus ihrem waldumsäumten Grunde leuchtet das Monastir 
Mora£ki herauf. 

Nun stiegen wir an den Schieferlehnen ab, deren Wasserrisse wir 
öfters in grossen Bogen umgehen mussten, und betraten nach Passi- 
rung der Dörfer Ravni (1002 Meter) und Bare-Djurdjevine (642 Meter) die 



Die Vutje (MoraCko C»d»tc) von KoUüd aui. 

fruchtbaren Uferlandsc haften der MoraCa. Auch hier räumen die Buchen 
vor den Eichen das Feld, statthche HerUtzen-, Pflaumen- und Nuss- 
bäume mischen sich unter die unabsehbaren Bestände, und alle Ge- 
treidearten gedeihen vortrefflich. In wohlgepflegten Obst- und Gemüse- 
gärten rankt sich die Melone am Boden hin, und erst oberhalb Bare 
endet das Reich des Weinstockes. Isolirte Kalkfetzen, welche in die 
paläozoischen Schiefer eingelagert sind, verschlechtern stellenweise den 
aufgewühlten Pfad, der sich wegen der überhand nehmenden Steilheit 
des Abhanges zu kleinen Zickzacken auflöst und an der schrofTwan- 
digen Mündung eines Baches den Hauptstrom erreicht. Auch er hatte 



178 ^'^^ Andrijevica nach Berani uod über KolaSin zurück nach Podgorica. 

sich in die verbackenen Geröllmassen eingegraben, die längs der Mo- 
raäa bis Podgorica zu beobachten sind und das einstige Niveau des 
Wasserspiegels andeuten. Im Popenhause zu Medjure(5 (232 Meter) 
wurden wir gastlich aufgenommen, und das muntere, aufgeweckte 
Söhnlein des Hauses konnte nicht genug Fragen an mich richten. Was 
Küche und Garten aufbieten konnten, wurde uns vorgesetzt; und da 
sich eine milde Nacht über das Thal breitete, so schlugen wir unser 
Lager auf der schmalen Veranda auf. 

Medjured führt seinen Namen »Zwischen den Flüssen« nicht um- 
sonst, weil es zwischen der Mora^a und der hier ausmündenden Mrt- 
vica liegt. Die letztere braust aus einem gähnenden Schlund hervor, 
der sich mit senkrechten Wänden im Gebirge verliert und dessen Ober- 
lauf wir früher besuchten. Auch die Ufer der Morada werden zusehends 
wilder, ihr CaSon-Charakter prägt sich immer mehr aus, und bald bietet 
das Thal nur noch für den forellenreichen, grünen Fluss Raum. Selten 
kann man an den Conglomeratbänken hinabklettern, und zeitraubende 
Umwege sind nothwendig, um hinüber und herüber zu kommen. So ge- 
niesst dieMoraca den Ruhm, der grösste Strom Montenegros zu sein, wirth- 
schaftlich aber ist sie von sehr geringem Werthe, und die breite Zeta- 
Ebene bildet den Lebensnerv des armen, unfruchtbaren Ländchens. Im 
mittel-montenegrinischen Rarste empfängt jene von der Sjevernica bis 
zur Mala Rijeka keinen Nebenfluss mehr. Die kurzlebigen Giessbäche 
trocknen sehr bald aus, und in besonders regenarmen Jahren trifft ihren 
Mutterstrom dasselbe Schicksal. So wirkt die unwirthliche Gegend be- 
klemmend und niederdrückend, weil sie dem Menschen feindlich gegen- 
übersteht und weil die hohen Bergketten beängstigend nahe zusammen- 
treten. Deshalb gehört das weite Gebiet zu den wenigst bekannten und 
unzugänglichsten von ganz Montenegro, und nur zwei Wege vermitteln 
den Verkehr zwischen dem Zeta-Thale und der reichen Gornje Moraca. 
Der eine führt durch die Kessel von Kobilje und Radovce über das 
wasser- und menschenarme Plateau von Central-Montenegro zu einem 
Passe zwischen Kamenik und Maganik und senkt sich bei Medjurec 
steil zur Morada. Der zweite benutzt die Morada bis zum Brotnik, 
klimmt an ihm empor und steigt ebenfalls zu jenem Dorfe hinab, wo 
eine vom Fürsten Danilo erbaute Steinbrücke die Mrtvica überspannt. 

Als wir unsere Augen prüfend über die himmelan strebenden 
Felsen gleiten Hessen, begannen wir mit nicht gerade angenehmen Ge- 
fühlen unsere Wanderung, die ich zu einer der beschwerlichsten auf 
meiner Reise rechne. Der hoffnungsvolle SprössHng des Popen wies 
uns eine Furt, zu der wir uns auf einem kaum fussbreiten Stei^^e hinab- 



Von Andrijevic« ii«ch Berani und Über KolaSin lurUck nach Podgoric«. 17g 

arbeiteten. Am jenseitigen Steilufer gelangten wir bald zu dem kleinen 
Becken von Gunjen. Ein tiefer Bachriss stürzte vom waldigen Gebirge 
herab, und hoch über seinem Bett waren dieselben Conglomerate auf- 
geschichtet wie an der Moraca, eine Erscheinung, die im Verein mit 
der Umgebung für die einstige Anwesenheit eines Sees spricht. 

Nun nahm die sauere Kletterei ihren Anfang, denn bis zur ersten 
Ortschaft, Andrijevo, kam auf 3 Meter Weglänge i Meter Steigung. Ob- 
wohl kräftige Buchen sich zu einem dichten Walde zusammenschlössen. 



brannte die Sonne mit voller Kraft in den engen Mulden und Hess die 
Luftwärme bis -]- 25" C. anwachsen. Als wir die wenigen Häuser von 
Andrijevo (615 Meterj erreichten, hatte der Kalk und mit ihm die 
Verkarstung schon so überhand genommen, dass nur noch die unteren 
Theile des Gebirges aus Schiefer bestanden und obendrein vielfach von 
den abgebröckelten Kalktrümmern überschüttet waren. Als der Weiler 
Bogutov Do (670 Meter) in Sicht kam, glaubten wir, das Schwerste 
hinter uns zu haben ; aber leider hatten wir uns getäuscht und mussten 
nochmals 200 Meter überwinden. Keuchend stiegen wir in einer wal- 
digen Schlucht an, die kein Ende nehmen wollte, während der Pfad 



l8o ^^^ Andrijevica nach Berani und über Kolaäin zurück nach Podgorica. 

von Minute zu Minute schlechter ward und Quellen schon längst zu den 
unbekannten Dingen gehörten. Aus dem Buchengewirr tauchte ein läng- 
liches Polje, das Jasenov Do (Eschenthal, 892 Meter), mit wogenden 
Maisfeldern und einigen Bauernhäuschen auf. Wasser gab es in der 
Nähe nicht, denn was half die in Luftlinie kaum i Kilometer entfernte 
Moraäa, wenn sie in einem unerreichbaren, 800 Meter tiefen Grrunde dahin- 
floss? So mussten die armen Hirten iVj Stunden, wie sie sagten, nach 
dem unersetzlichen Nass laufen; und wer die montenegrinischen Zeit- 
masse schätzen gelernt hat, der weiss, dass sie nach unseren Begriffen 
fast das Doppelte bedeuten. Um den Leuten, die mit ihren Aeckem 
beschäftigt waren, nicht lästig zu fallen, brachen Avir nach kurzer Rast 
wieder auf; noch 100 Meter wurden zwischen den wild verkarsteten 
Kalkhügeln erklommen, und endlich war die höchste Stelle des Plateaus 
gewonnen, zu der wir so sehnsuchtsvoll emporgeschaut hatten. Da die 
letzten menschlichen Wohnstätten nicht mehr fern waren, so legten 
wir uns in einer grasigen Dolina zu einem zweistündigen Schlummer 
nieder, den wir nach den Plagen des Vormittags auch verdient zu haben 
meinten. Ein frischer Wind weckte uns auf, und rasch durcheilten 
wir eine neue Mulde namens Sriete (1036 Meter), die einige voll- 
ständig zerfallene Hütten enthielt und seit Jahren nicht mehr benutzt 
zu sein schien. Jetzt standen wir auf dem sie abschliessenden Quer- 
riegel und blickten erstaunt in ein drittes Becken hinab, das in mancher 
Beziehung an die Konjsko Planina oder das Bresno Polje erinnerte. 
Ihr weiches, mit kurzem Gras bedecktes Erdreich ist jedenfalls der 
Rückstand eines alten Karstsees, dessen Existenz auch die auffallende 
Horizontalität des Bodens und die regelmässige Begrenzung seiner 
Ränder wahrscheinlich macht. Klüftige Kalkberge ziehen sich als aus- 
gesprochenes Kettengebirge längs der mittleren Moraca hin, und in unser 
Polje schaut der wilde Kamenik (der Steinige) herab. Finsterer Urwald 
erfüllt hoch hinauf seine Schluchten, die wilde Thiere in Menge beher- 
bergen und aus denen die Hirten sich ihren Bedarf an Schnee holen, 
da das anheimelnde Trmanje völlig wasserlos ist. 

Am Beckenrande von Trmanje lagen Kolibas, die theils nichts anderes 
als roh aneinandergelegte Windschirme aus Baumzweigen, theils dauer- 
hafte Holzhütten waren. Als die Niederung nach links umbog, fanden wir 
sogar einige nach allen Regeln der montenegrinischen Baukunst er- 
richtete Steinhäuser, die sehr stark gebaut waren, weil sie auch den 
strengen, schneereichen Winter Ober bewohnt werden. Eines derselben 
war Eigenthum des Kapetans, und wir durften bei ihm eines freund- 
lichen Willkommens sicher sein. Der breitschulterige Mann lud uns 



Von Andrijevica nach Berani und über KoIaSin zurück nach Podgorica. i8l 

mit kräftigem Händedruck zum Nähertreten ein und stellte uns seine 
Frau vor, die sich sofort in ihre besten Kleider warf. Alsbald Hess er 
ein Lamm schlachten und führte uns in das einfache Wohnzimmer. In 
den gedielten Fussboden war eine viereckige Feuerstelle eingemauert, 
an den weiss getünchten Wänden hingen Waffen und Wirthschaftsge- 
räthe, und eine anstossende Kammer enthielt ein breites Bett, das so- 
fort für mich bestimmt wurde. 

Waren wir gestern in Luftlinie höchstens 12 Kilometer vorwärts 
gekommen, so legten wir heute trotz des erbärmlichen Weges mehr 
als das Doppelte zurück, weil 'wir beständig bergab gingen. Unser 
Kapetan war nicht zu bewegen, irgendwelche Bezahlung anzunehmen; 
er entschuldigte sich sogar, dass er uns nicht mehr bieten konnte. Nach 
wenigen Minuten waren wir in dem urwaldartigen Buchendickicht ver- 
schwunden, das ein unregelmässiges Dolinenthal überwucherte. Da der 
Himmel stark umwölkt war und zuweilen feine Regentropfen nieder- 
fielen, so sprangen wir eilends von Stein zu Stein, bis wir an eine 
Stelle gelangten, wo der vorgelagerte niedrige Gebirgskamm endete und 
das Gebiet jenseits der Moraöa enthüllte. Wieder sahen wir die Stein- 
wüsten des Kudi-Landes, den Kom, den Vjeternik, die Ebene von Pod- 
gorica und den glänzenden Streifen des Scutari-Sees. Messerscharf war 
der Morada-Canon in das Plateau eingeschnitten, und in flachem Bogen 
führte der Weg am schroffen Brotnik zu Thal. Statt der Buchen stellten 
sich rasch Eichen ein, aber es waren keine kräftigen Bäume mehr, 
sondern kümmerliches Gestrüpp bedeckte die dünnbankigen Kalke. Der 
Pfad spottete aller Beschreibung, denn er führte durch ein endloses 
Karrenfeld, und nur derjenige, der die Wanderung durch ein solches 
aus eigener Erfahrung kennt, vermag sich von den mit ihr verbunde- 
nen Mühseligkeiten einen Begriff zu machen. In Begleitung mehrerer 
Hirten kamen wir zu einer ergiebigen Cisterne, und dann stand uns 
noch ein ermüdender, jäher Abstieg bevor. Die Füsse schmerzten uns 
und die Knie zitterten infolge der stundenlangen Anstrengungen, als 
wir um 11 Uhr das Thal betraten. Wohl konnten wir fortan ganz anders 
ausschreiten als auf dem hindernden Karste, aber doch fanden wir auf 
dem unebenen, steinigen Grunde die gehoffte Erleichterung nicht. 

Die Moraäa ist von Polje bis Podgorica mit verbackenen Geröll- 
schichten hoch angefüllt, in welche sich der reissende Strom eine 
schmale Rinne gegraben hat. Die Humusdecke, welche dieses Stein- 
feld überlagert, ist an verhältnismässig wenigen Stellen von einiger 
Mächtigkeit und kann auch in dieser Beziehung nicht mit der Zeta- 
Ebene wetteifern. Nicht allzu oft treten die Bergketten beiderseits des 



l82 Vo° Andrijevica nach Berani und über Kola^in zurück nach Podgorica. 

Flusses zurück und lassen mehrere kettenförmig aneinander gereihte 
Becken frei, in denen die vielgewundene Moraäa hin- und herläuft und 
wegen ihrer brückenlosen Steilwände zu unliebsamen Umwegen nöthigt. 
Diese Kessel hingen früher nicht zusammen, bis sie der schäumende 
Gebirgsstrom durchbrach, zu Karstseen umwandelte und seine Gerolle 
in ihnen absetzte, sich dann wieder in letztere einschnitt und endlich 
nach Ausarbeitung einer 6 Kilometer langen Enge ungehindert zur Zeta- 
Niederung abfliessen konnte. 

Das kleine Becken am Fusse des Brotnik war bald durchmessen, 
und über einen niedrigen Riegel stiegen wir in einen grösseren Kessel 
ab, der einige Dörfchen und das ehrwürdige Kloster Duga (137 Meter) 
beherbergte. Die ihn umrandenden Berge verdienten um deswillen Be- 
achtung, weil Tietze hier die Grenze zwischen Trias und Kreide ver- 
muthete. Aeusserlich war nichts wahrzunehmen, aber 30 Minuten unter- 
halb des Klosters lag am unteren Gehänge der rechtsseitigen Berg- 
mauer ein grosser, mit Rudisten gespickter Block. Da der Regen ge- 
nauere Untersuchungen verbot und die Fossilien bloss noch in undeut- 
lichen Exemplaren auftraten, so gewährten die für die Kreide so cha- 
rakteristischen bituminösen Ausschwitzungen bei Bijoce einen um so will- 
kommeneren Anhalt. Vermuthlich war das Kalkstück aus der Höhe 
herabgefallen; demnach überlagern die Kreidekalke die sich auskeilenden 
Schichten der Triaskalke, und die von Tietze gezogene Formationsgrenze 
wäre hier wie zwischen Medun und Ubli nur um wenige Kilometer nach 
Süden zu verschieben. 

Feigenbäume, Granatäpfel und andere südliche Pflanzen zierten 
bereits den heissen Kessel von Duga. Eben wollten wir am Dörfchen 
Sviba vorübereilen, als der Zuruf eines Eingeborenen unsere Schritte 
hemmte. »Halt, Zigeuner, wo wollt Ihr hin?« herrschte uns der naive 
Montenegriner an, der uns vermuthlich wegen unseres Gepäckes für 
Angehörige jenes missachteten Volkes hielt. Erstaunt blieben wir stehen. 
In Zabrdje galten wir wenigstens bloss für Holzfäller, und die Leute 
beeilten sich, uns die Stellen anzugeben, wo die besten Bäume wuchsen; 
dass wir aber Zigeuner sein sollten, das war meinem Marko ausser 
Spass. »Was sagst Du?« antwortete er in hellem Zorne, »dieser Herr 
ist ein Russe, und ich bin ein Crnogorce!« »Entschuldigt, dass ich mich 
so irren konnte!« tönte es zurück^ und im Nu verschwand der unbe- 
rufene Frager hinter einem Zaun. 

Trotzdem die Sonne vergebens das Gewölk zu durchdringen strebte, 
herrschte eine drückende Schwüle, und der Durst plagte uns sehr. Wohl 
gingen wir immer neben dem Wasser hin, aber wir konnten nicht zu 



Von Anünjevica nach Berani und über Kola§in zurück nach Podgorica. x33 

ihm hinabsteigen und setzten unsere Hoffnung auf einen Bachriss, der 
das Polje durchquerte und in die Morada mündete. Doch nicht genug, 
dass er für den freien Weg ein unerwünschtes Hinderniss bedeutete, 
er war auch vollkommen ausgetrocknet, und verstimmt durchmassen 
wir die schroffwandige Rinne, die über 8 Meter tief in die Conglomerate 
eingewühlt war, ohne deren Grund erreicht zu haben. Endlich be- 
merkten wir dort, wo das Becken sich verschmälerte, einen zum Wasser 
führenden Steig. Als Trinkgefäss dienten meine noch ungebrauchten 
türkischen Schuhe, und Marko brachte in ihnen so schnell als möglich 
das kühle Nass herauf. 

Der Querwall, der den Kessel von Duga von der noch ausgedehn- 
teren Mulde vor) Bijoce trennte, ward auf einem senkrecht über dem 
Flusse verlaufenden Pfade überwunden, und um 2 Uhr passirten wir 
die wohlbekannte Brücke von Bijode. Die Wolken hatten sich immer 
dichter zusammengezogen, gewitterhaftes Dunkel lastete über der er- 
schlaffien Natur, und endlich verwandelte sich der feine Niederschlag, 
der mit grösseren Unterbrechungen bereits seit 7 Uhr Morgens an- 
hielt, in einen wolkenbruchartigen Platzregen, um erst gegen V26 Uhr 
Abends nachzulassen. In einer Minute waren wir vollständig durchnässt, 
und ehe wir den Han an der Mala Rijeka aufsuchten, konnten wir in 
unseren triefenden Kleidern auch bis Podgorica eilen, wo uns wenig- 
stens trockene Wäsche und ein behagliches Zimmer erwartete. Aber 
wenn nur der dreistündige Weg bis dorthin besser gewesen wäre, denn, 
theilweise in den Fels eingesprengt, war er mit runden und eckigen Ge- 
steinstrümmern wild übersäet. Bald hingen die aufgeweichten Opanken 
wie Lappen an den Füssen, so dass ihre dünnen Sohlen keinen Schutz 
mehr gewährten. Bei jedem Schritte fühlte der ohnehin angestrengte 
Fuss die spitzen Steine, welche das widerstandslose Schuhleder 
in wenigen Viertelstunden zerschnitten. Schweigend und uns mit 
Gleichmuth in unser Schicksal fügend, gingen wir nicht mehr, wir 
rannten unbekümmert um die hoch aufspritzenden Pfützen vorwärts, 
bis wir an einige Häuser oberhalb Zlatica kamen und in einem dersel" 
ben ein Weilchen verschnauften. Das unfreundliche Benehmen seines 
Eigenthümers trieb uns bald wieder fort, und von neuem versuchten 
wir uns an dem martervollen Pfade, der nicht besser als der Weg zur 
Hölle war. Endlich verschwand der Spalt, den unsichtbare Hände in 
das Gebirge gemeisselt zu haben schienen und der noch eben den 
Fluss einengte, und vor uns breitete sich die unabsehbare Ebene von 
Podgorica aus. Zahlreiche Montenegriner kamen lustig plaudernd vom 
Bazar zurück und schienen sich wenig um das Unwetter zu kümmern. 



184 ^^^ Scutari-See. 

Unter ihnen begegneten wir manchem lieben Freunde und wechselten 
mit jedem einige Worte; sonst aber hielten wir uns nicht auf und 
langten nach 2 V2-stündigem Eilmarsche ziemlich erschöpft vor dem 
Hause des Ivo Carevid an. 



17. Capitel. 

Der Scutari-See, 



Heiterer Sonnenschein vergoldete am anderen Morgen die Berge, 
und wenige Spuren erinnerten noch an den wolkenbruchartigen Guss 
des gestrigen Tages. Wieder herrschte in dem weiten Kessel eine 
solche Wärme, dass das Thermometer bis + 25 ^^ C. stieg, und so war 
es an jedem unserer drei Rasttage, von denen keiner ohne Gewitter 
und heftige Platzregen vorüberging. Ich fürchtete schon, die Zeit der 
Herbstniederschläge sei gekommen, aber glücklichen^'eise hielten ihre 
mahnenden Vorboten nicht lange an, und bis zu meiner Abreise wurde 
ich nur noch zweimal von ihnen überrascht. Sonst verlief unser Auf- 
enthalt im alten Geleise, und nachdem ich mein Gepäck mit Ausnahme 
des photographischen und des Tiefenlothungs-Apparates nach Cetinje 
vorausgesandt hatte, sagte ich am 24. September Podgorica Lebewohl. 

Wieder war es ein drückend heisser Tag, als wir auf der Fahr- 
strasse nach Plavnica einherschritten. Beständig begleiteten uns zur Rechten 
die Bergzüge Alt-Montenegros, zur Linken die Albanesischen Alpen, und 
beiden waren isolirte Rücken vorgelagert, die sich längs des Seerandes 
fortsetzten, und, soweit sie auf dem benachbarten türkischen Gebiete 
lagen, von Festungen gekrönt wurden. Diese Hügel stellen die Reste 
ausgedehnter und vielleicht zusammenhängender Ketten dar, welche der 
die Kbene einst überfluthende See zerstörte. Nach dreistündigem 
Maische kamen wir an die friedliche Kirche Srpska Crkva und an die 
125 Schritte lange Bogenbrücke. welche die vollkommen wasserlose 
Cijevna überspannt. Hier verliessen wir die Fahrstrasse und schlugen 
einen ihr ungetahr parallel laufenden Feldweg ein. Das montenegrinische 
Klcmcnt wich vor dem albanesischen immer mehr zurück und war 
in den Dörfern» die wir passirten. bereits in der Minderzahl. U eberall 



Der Scntari-See. 185 

begegneten wir den fieissigen Bauern, die, auf den landesüblichen Karren 
sitzend, ihre Vorräthe einbrachten, und schon von weitem war das 
markdurchdringende Geräusch der mannshohen, roh aus Holzscheiben 
zusammengefügten Räder hörbar. Die Gerolle, welche den oberen 
Theil des Polje ausfüllten, verschwanden unter einer feinen Humus- 
decke; die Gegend wurde zusehends fruchtbarer und gewährte ein 
freundliches, wenn auch nicht gerade interessantes Landschaftsbild. 
Wiesen und Maisfelder bildeten ein wogendes Meer, Obstbäume, Maul- 
beerbäume und die bisher nur bei Podgorica beobachteten Pappeln 
schlössen sich zu kleinen Gruppen zusammen, und dichte Hecken aus 
Brombeersträuchern, wildem Wein, Weissdorn und anderen vielrankigen 
Zaungewächsen umgaben Häuser und Aecker mit einer lebenden Mauer. 
Abzugsgräben, die nach allen Richtungen hin den Boden durchkreuzten, 
hatten den Grund der mächtigen Humusschicht noch lange nicht er- 
reicht, auch in den 2, 3 und mehr Meter tiefen Flussbetten war das 
anstehende Gestein nicht erkennbar, und verwundert fragte man sich : 
Wo ist das steinige Montenegro, wo die steinige Umgebung von Pod- 
gorica geblieben? 

Hinter dem Kirchdorfe Mahala bringt uns der Weg an die Mo- 
raäa; ihr wohl 300 Meter breites Bett ist mit hell leuchtenden Ge- 
rollen hoch angefüllt, und selten stagniert ein Tümpel schmutzigen 
Wassers zwischen dem wilden Trümmergewirr. Wie die Cijevna, so 
trocknet auch die untere Moraöa im Hochsommer aus, weil die Zufuhr 
aus dem Sammelgebiete zu gering ist, um das breite von Gesteinsbruch- 
stücken verstopfte Bett des Unterlaufes zu speisen. Der poröseKalk- undCon- 
glomerat-Untergrund verzehrt schon unterwegs einen grossen Theil des 
Wassers, und erst dort, wo die Ueberschwemmungen des Scutari-Sees 
als Grundwasser zurückbleiben, füllt sich das Bett wieder mit schmu- 
tzigem, träge dahingleitendem Wasser. Zur Regenzeit dagegen ist die 
Moraca ein majestätischer Strom, und die Kähne, die im Sommer un- 
benutzt am Ufer liegen, vermitteln dann allein den Verkehr, weil erst 
bei Podgorica eine Brücke über die aufgeregten Fluten geschlagen ist. 

Der Himmel hatte sich drohend umdüstert, und schon in Goridani 
überraschte uns ein kurzer, kräftiger Guss. Da wir jedoch hofften, noch 
heute trockenen Fusses nach ^abljak zu gelangen, so Hessen wir uns 
durch ihn nicht aufhalten und hatten bereits die Stelle gewonnen, wo 
das Kalkplateau und mit ihm die Morada nach Westen umbog, als ein 
strömender Gewitterregen herniederrauschte. Anfangs suchten wir, unbe- 
kümmert um die zuckenden Blitze, unter einem Baume Schutz; aber 
auch hier durchnässte uns der Regen bis auf die Haut, und so sahen 



l85 ^cr Scutari-See. 

wir den einzigen Ausweg darin, sobald als möglich ein sicheres Dach 
zu finden. Nach einer Viertelstunde erblickten wir jenseits des Flusses 
einige Häuser; das nahe Ziel vor Augen sprangen wir hurtig über das 
aufgehäufte Blockwerk, und einmal in der dunklen, ärmlichen Hütte 
angelangt, lauschten wir mit einem gewissen Behagen dem Klatschen 
des Regens und dem Rollen des Donners. 

Da wir keine trockenen Kleider mehr zum Wechseln hatten, so 
wurde es uns in unserer nasskalten Hülle etwas unbehaglich, und wir 
vernahmen mit innerlicher Freude, wie uns das alte Hausmütterchen 
die Vorzüge des nahen Hans von Bijelopolje in lebhaften Farben schil- 
derte. Nach einer Stunde war das Unwetter vorüber, und ein starker 
Wind reinigte die Luft; daher machten wir uns wieder auf die Wander- 
schaft und durchquerten zum zweiten Male das Moraäa-Bett, in dem sich 
schmale Wasserstreifen anzusammeln begannen. Die vom Sturm be- 
wegten Bäume überschütteten uns freigebig mit perlenden Tropfen, und 
grosse Pfützen erfüllten den aufgeweichten Pfad. Zuerst umgingen wir 
sie mit ängstlicher Sorgfalt, da unsere türkischen Schuhe dem Ein- 
dringen der Feuchtigkeit noch Stand gehalten hatten. Schliesslich 
nahmen jedoch die knöcheltiefen Lachen so überhand, dass sie den 
ganzen Weg versperrten und dass uns nichts anderes übrig blieb, als 
sie zu durchwaten. Doch schon tauchte der Han von Bijelopolje vor 
uns auf. Er bestand aus einem stattlichen Hause, dessen weissgetünchte 
Wände und schmucke Fensterläden ihren guten Eindrück auf uns nicht 
verfehlten. Das Untergeschoss beherbergte ein kleines Warenmagazin, 
in dem man Kaffee, Zucker^ Raki, Reis, Nägel, Kapas, Kleiderstoffe, 
Opanken, Flaschen, Tinte und dgl. mehr erhalten konnte. Wir stiegen 
auf der schmalen Treppe ins Oberstock hinauf; aber da waren meine 
Illusionen gleich zerronnen. Wir traten in einen abschreckend kahlen 
Raum, der nach unseren Begriffen einen Trockenboden darstellte; Bet- 
ten gab es ebenso wenig wie Fensterscheiben, und unangenehm blies 
der frostige Nord in das ungemüthliche, zugige Zimmer. In einer Ecke 
brannte ein kümmerliches Feuerchen, um welches schon eine ganze 
Zahl frierender Gestalten kauerte. Wir drängten uns in den kleinen 
Kreis, zogen Schuhe und Strümpfe aus und trockneten unsere Kleider 
so gut als wir konnten. Noch mehr sank uns der Muth, als das Abend- 
essen aufgetragen wurde, denn es bestand aus abscheulich schmecken- 
dem Reis und einem uralten, steinharten Huhn. Als wir uns endlich 
schlafen legen wollten, reichten für die Menge der Gäste die Decken 
nicht aus: kurz, alles vereinigte sich, um uns diesen Tag auf jede 
Weise zu vergällen. 



i 



Der Scotari-See. 187 

Bald neben, bald in dem über 300 Meter breiten Trockenbett 
der Mora^a hinwandernd, näherten wir uns dem malerischen Festungs- 
kegel von ^abljak, den wir vordem nur undeutHch über die hohen 
Bäume hervorragen sahen, immer mehr. So vollkommen eben ist die 
Niederung, dass der Ausblick ziemlich beschränkt ist und dass Nichts 
auf die unmittelbare Nachbarschaft des Scutari-Sees hinweist. Plötzlich 
ist in den Gebirgswall eine fast kreisrunde Lücke geschnitten ; sumpfige 
Wiesen umziehen ihren Rand und umschliessen eine tiefgrüne Wasser- 
fläche, den Kartsee Gornje Blato (Oberer Sumpf). Der nimmer ver- 
siegende Sinjac-Bach und zahlreiche Quellen versorgen ihn das ganze 
Jahr hindurch mit Wasser, während ein unbedeutendes, meist ausge- 
trocknetes Bächlein die Verbindung mit der Moraöa, die Karatuna eine 
solche mit dem Skadarsko Jezero (Scutari-See) herstellt. Vor Zeiten war 
der Gornje Blato ein oberirdisch abflussloser Binnensee, und an Stelle 
der eben erwähnten Lücke thürmte sich ein absperrender Kalkwall auf, 
der bis auf spärliche Reste, z. B. den Berg von ^abljak, der Erosion 
zum Opfer fiel. 

Der Blick wurde freier, und wir sahen die einstöckigen Häuser 
meist türkischer Bauart, welche rings den kahlen, steilen Bergkegel 
umgaben. Auf seinem abgeplatteten Scheitel ruhte eine starke Veste, 
die eigentliche Stammburg des montenegrinischen Herrschergeschlechtes 
der Crnojevid. Wegen ihrer militärischen Wichtigkeit wurde sie von 
den Türken erobert und fiel nach mancherlei Wechselfällen erst 
1878 den Crnogorcen wieder zu. Vor uns dehnte sich ein mauerloser 
türkischer Friedhof aus. Dornen- und anderes Gestrüpp überwucherten 
die verwitterten Grabsteine und Grabdenkmäler, das Vieh weidete auf 
der geweihten Stätte, und eine altersgraue Moschee passte nicht minder 
in dieses Reich des Verfalls wie eine baufällige Kula, deren vor dem 
letzten Kriege so viele die Grenze überwachten. 

Wir sind in dem unansehnlichen Orte angelangt und kehren in 
einem der beiden Hane d. h. in einem engen, verrussten Räume ein, 
der Küche, Schlafstätte, Wohn- und Gastzimmer zugleich ist. Der blosse 
Fels bildet die Rückwand und den ungedielten, holperigen Boden; die 
Vorderseite besteht aus einer niedrigen Brüstung, und die bis zum Dache 
frei bleibende Oeff'nung vertritt das Fenster, das durch eine herabklapp- 
bare Fallthür verschlossen werden kann. Essen und Trinken giebt es 
nicht gerade im Uebermass, und mit Marko muss ich in einem Bette 
schlafen, was unsere widerwärtige Wirthin, deren Mundwerk und Ge- 
baren mit dem Benehmen der montenegrinischen Frauen durchaus 



l88 ^^^ Scutari-See. 

nicht im Einklänge steht, gleichwohl nicht hindert, einen unverschämten 
Preis von uns zu verlangen. 

Unser erster Besuch galt der wohl erhaltenen Festung (129 m), 
die eine Rundsicht darbot, wie sie umfassender kaum gedacht werden 
konnte. Bis zum Loväen und dem fernen Scutari schweifte das Auge, 
hier haftete es an dem massigen Doppelkegel von Vranina, dort an den 
schroffen Ketten des Küstengebirges Rumija und an den Albanesischen 
Alpen. Zu unsern Füssen lag die endlose, über alle Begriffe fruchtbare 
Niederung, und unmerklich senkte sie sich zu dem leuchtenden Scutari- 
See, während sich im Gornje Blato die nackten Kalkkuppen der Bobija 
und Ponorska Gora widerspiegelten. 

Der Rundgang um den kleinen Ort war bald vollendet, denn die 
vor Schmutz starrenden Gebäude, die zu einem guten Theile zerfallen 
und verlassen waren, und der übelriechende, schlammige Wassergraben 
hatten wenig Verlockendes an sich. Eben wollte ich meine Wanderung 
beenden, als mich einige Leute einholten und ohne weiteres aufforderten, 
sie zu photographiren. Da mein Plattenvorrath nicht mehr gross war 
und ich schon genug Eingeborene aufgenommen hatte, so trug ich 
wenig Verlangen, ihren Wunsch zu erfüllen und erklärte ihnen achsel- 
zuckend, mein Apparat sei bloss für Landschaften eingerichtet. Mit 
dieser Antwort waren beide Theile zufriedengestellt, die Montenegiiner, 
weil sie einen unerfüllbaren Wunsch vorgebracht zu haben meinten, 
und ich, weil ich durch dieses harmlose Manöver meine Platten ge- 
rettet hatte. 

Nachdem ich ^abljak gebührend gewürdigt, musste ich auch daran 
denken, dass ich die nächsten Tage im Skadarsko Jezero Lothungen an- 
stellen wollte. Dazu brauchte ich natürlich ein Boot, und durch Ver- 
mittelung des Festungsaufsehers war ein solches bald gemiethet. Die 
beiden Ruderer verpflichteten sich allerdings nur für einen Tag, da der 
See wegen seines unbeständigen Charakters gefürchtet ist, wie alle 
seichten Gewässer vom Sturme stark aufgewühlt wird und alljährlich 
einige Opfer fordert. Auf Vranina waren indessen leicht andere Leute 
zu finden, und so entschloss ich mich, am ersten Tage bis zu jener Insel 
zu fahren. Unser Kahn, Londra oder schlechthin Ladja (Schiff) genannt, 
war eines jener Fahrzeuge, wie sie ausschliesslich auf dem Scutari-See 
und seinen schiffbaren Flüssen gebräuchlich sind. Die Londra ist ein 
enges, schmales Boot mit spitz zulaufenden Enden, deren hinteres riel 
länger als das vordere ist. Je nach seiner Grösse wird das Fahrzeug 
von zwei oder drei Menschen fortbewegt, und der am Hintertheil ste- 
hende Mann versieht mit seinem langen Ruder zugleich die Dienste 



Der Scutari-See. ign 

des Steuermannes, da es eine besondere Steuervorrichtung nicht giebt 
Weht ein günstiger Wind, so wird ein Mastbaum aufgerichtet und ein 
breites Segel aufgezogen, und die hierdurch erzielte Geschwindigkeit ist 
so bedeutend, dass man in drei Stunden von Plavnica nach Scutari 
gelangen kann. Bänke oder Quersitze sind in den Londras nicht an- 
gebracht; man muss daher mit einem beliebigen Brett vorlieb nehmen 
oder sich aus etwa vorhandenen Gepäckstücken einen Ruheplatz be- 
reiten. 

Kein Lüftchen regte sich, als wir am 26. September unser schwim- 
mendes Haus bestiegen und sanft auf den trägen, lehmigen Fluthen der 
Karatuna hinabglitten. Die erdigen Ufer des breiten Stromes waren 
meist über 2 m hoch, so dass wir selten und auch dann nur auf- 
recht stehend die endlose Ebene überschauen konten. Wenn ich eine 
Messung machte, Hess ich das Boot halten. Zahlreiche Kähne kamen 
uns entgegengefahren, und ihre Insassen waren über unsere Arbeit nicht 
wenig verwundert. Ja, als ich gegenüber dem Dörfchen DodoSi das Loth 
auswarf, sammelten sich die Bewohner am Strande und verlangten über 
unser seltsames Vorhaben sofort Aufklärung. Von hier an sank die Tiefe 
rasch auf i V2 ^ und weniger, so dass wir mehrmals aufstiessen und uns 
nicht ohne Mühe wieder frei machen konnten. Das fruchtbare Ackerland 
hatte bereits ausgedehnten, halb versumpften Wiesen Platz gemacht, und 
isolierte Kalkhügel, die Odrinska Gora, der Lipovnjak, Kamenik und 
die Öakavica-Klippen, wurden theils von ihnen, theils vom Wasser um- 
geben. Das nunmehr kaum noch fusshohe Schwemmland, an welchem 
wir vorüberruderten, konnte augenblicklich zur Noth als magere Trift 
benutzt werden, vom Spätherbst bis zum Frühsommer aber ist es ein 
unzugänglicher, unbenutzbarer Tummelplatz von Fröschen und Wasser- 
vögeln. Diese Eigenschaften erschweren eine genaue Begrenzung un- 
gemein, da das beständig wechselnde Niveau des Sees keine festen 
Normen gestattet. Bloss die Flüsse besitzen ein halbwegs offenes Bett; 
beiderseits der Ufer aber erstreckt sich eine mit Schilf dicht überwachsene 
Wasserfläche, die landeinwärts den Charakter eines schlammigen Mo- 
rastes annimmt und schliesslich zu festem Boden wird. Man kann also 
am Ost- und Nordostufer vier Zonen unterscheiden. Die entfernteste, 
die aus den verbackenen Gerollen der ehemals einmündenden Flüsse 
besteht, ist wald- und wasserlos und mit magerem Grase überkleidet. 
Sie verliert sich in dem gut bewachsenen Landstriche, der von den 
Ueberschwemmungen verschont ist und reiche Erträge liefert. Südlich 
der Linie Karatuna-Hum beginnt ein weniger stark bewirthschafteter 
Streifen, der dem jährlichen Hochwasser ausgesetzt ist und die Ernte- 



igo 



Der Scutari-See. 



hoffnungen nicht selten zu Schanden werden lässt. Den See endlich 
umsäumt ein versumpfter Gürtel, der zeitweilig als dürftige Weide 
Werth hat und unter den Strahlen der Sommersonne so hart und 
brüchig wird, dass er in grossen Rissen aufspringt. 

Inmitten dieser zweifelhaften Umgebung, nicht weit von dem wegen 
des Scoranzenfanges berühmten Weiler Ploda vereinigt sich die Karatuna 
mit der noch breiteren, trägeren und wasserreicheren Rijeka. Einige 
Minuten später fahren wir in den Skadarsko Jezero ein. Leicht kräuseln 
sich seine Wellen im fluthenden Sonnenlichte, silberglänzende Fische 
schnellen blitzschnell aus dem blauen Wasser, und kleine Kähne oder 
grosse Londras werden sichtbar. Vorspringende Caps lassen uns den 
See noch nicht in seiner Gesammtausdehnung überschauen; vielmehr 
rudern wir in einer schmalen Strasse hin, die von schroffen Gebirgs- 
ketten und nackten Inselleibem eingerahmt und von einem wirren 
Ueberzuge grüner Sumpfpflanzen, zahlloser Wassernüsse und gelber 
oder weisser Nymphäen noch mehr eingeengt wird. Gerade vor uns 
ragen stolzer als zuvor die imposanten Felskegel von Vranina auf, und 
ein kleines, in den Wogen fast verschwindendes Eiland, Lesendra, das 
eine drohende Festung trägt, schmiegt sich ängstlich an ihren Fuss. 

Bald sind wir am Kamenik und an den Cakavica-Klippen vorüber- 
gesegelt und lenken in den Hafen von Vranina, der grössten Insel des 
Sees, ein. Ausser Lesendra und Grmozur ist sie das einzig bewohnte 
Eiland und zwar aus dem Grunde, weil am unteren Horizonte der 
nackten, dünnbankigen Kalke einige Quellen austreten. Im kleinen Han 
(27 Meter) des hoch über dem Wasserspiegel angelegten Dorfes fanden 
wir eine gute Aufnahme. Zum Mittag gab es freilich bloss Käse und 
Maisbrot; doch vertrösteten wir uns auf den Abend, für den uns ein 
Gericht schmackhafter Fische in Aussicht gestellt wurde. Da die elenden 
Fischerhütten und der übelriechende Strand keine grosse Anziehungs- 
kraft auf uns ausüben konnten, so unternahmen wr eine Besteigung 
der einen Bergspitze. Sehr steil mussten wir auf den wild verkarsteten, 
stellenweise mit Karrenfeldern überzogenen Kalken emporklettern, und 
nicht ohne Anstrengung gewannen wir im heissen Sonnenbrande den 
Gipfel (330 Meter). Aber was sahen wir? Dort oben waren von Menschen- 
hand Feldschanzen aus Steinblöcken errichtet. Zwar waren sie zum 
grössten Theile zerfallen, aber noch immer bezeugten sie die zähe 
Energie, mit welcher die Türken diese öden Felsen zu behaupten 
suchten. Auf dem jenseitigen Kegel entdeckten wir ähnliche Brust- 
wehren, denn diese Höhen waren zur Anlage von Befestigungen wie 
Seschafl'en. Von ihnen enbollte sich ein Panorama so reizend und so 



! 

Der Scutari-See. 



191 



wild, so grossartig und so interessant, dass nur wenige Gegenden der 
südslavischen Lande sich- mit dieser messen können. Von Nord bis 
nach Süd, von Ost bis nach West war der Scutari-See zu übersehen, 
jede Bucht, jede Klippe hob sich scharf von der stahlblauen Wasser- 
fläche ab, und bis zu den starren Gebirgen Albaniens und des Ku^i- 
Landes lag die weite Ebene vor uns. Als eine stattliche Hochgebirgs- 
kette stieg vom Lovöen bis zum breitrückigen Taraboä das Küstengebirge 
auf, und zum ersten Male blickte ich in die vor Fruchtbarkeit strotzenden 
Fluren der Crmnica hinab. Ein vielgewundener Fluss durchschnitt die 
grünen Wiesen, und aus lichtem Laubwalde schimmerte das Städtchen 
Virbazar hervor. Dort grüssten der scheinbar eng mit der Hinterwand 
verwachsene Festungsberg von 2labljak und der in blauen, grünen und 
braunen Farbentönen schillernde Gornje Blato herüber, und im Süden 
erhob sich das weisse Castell von Scutari, hinter dem sich finster und 
drohend die Berge jenseits des Drin aufthürmten. 

Lange standen wir fest gebannt auf unserem Platze; als wir uns 
aber umwandten, umfing uns wieder die trostloseste Karst-Einsamkeit, 
und lange dauerte es, bis wir ein schattiges Fleckchen bemerkten, 
das uns einige Stunden vor den unbarmherzigen Sonnenstrahlen schützen 
sollte. Dann stiegen wir, um noch das Kloster zu besuchen, zu einer 
mit Dolinen erfüllten Einsattelung hinab, welche die beiden Kegel von 
einander trennt, und standen nach einer beschwerlichen, pfadlosen 
Wanderung vor dem Monasterium, einem geräumigen, einstöckigen Ge- 
bäude mit einem kleinen Kirchlein. Da das Kloster noch nicht ganz 
ausgebaut war, so führte vorläufig ein Pope die Aufsicht, der uns nach 
freundjicher Bewirthung ein Stück das Geleit gab. Der Rückweg brachte 
uns am Nordfusse der Insel, der von dem baumbewachsenen Nieder- 
lande nur durch einen schmalen, stellenweise ganz ausgetrockneten 
Sumpf- oder Wasserstreifen getrennt wurde, zum Dorfe Vranina zurück. 

Am Spätabend erschienen die Leute, mit denen ich wegen einer 
neuen Bootfahrt unterhandeln wollte; als Endstation wurde das alba- 
nesische Dorf Muri<i bestimmt, und um 7 Uhr des nächsten Morgens 
stieg unsere von drei Fischern bediente Londra vom Ufer ab. War ich 
schon in^abljak über die abgehärmten Gestalten der Eingeborenen einiger- 
massen erstaunt, so bedauerte ich noch mehr die Insulaner von Vranina, 
wenn ich ihre eingefallenen Gesichtszüge betrachtete, in die das nimmer 
rastende Fieber seine Spuren eingegraben hatte. Die Ueberschwemmungen, 
welche den grössten Theil der Niederung heimsuchen, weichen sehr 
langsam zurück, und die Kraft der südlichen Sonne verwandelt die 
zurückbleibenden Sümpfe, das aufgeweichte Erdreich und die ver- 



192 



Der Scutari-See. 



faulenden organischen Stoffe in einen unerschöpflichen Brutkessel 
schädlicher Miasmen. 

Es war ein heiterer, windstiller Tag, und langsam durchschnitten 
wir die trüben, undurchsichtigen Fluthen. Nach einer Stunde ankerten 
wir in der seichten Bucht von Virbazar, imd einige unserer Leute be- 
sorgten in dem nahen Städtchen etwas Proviant Wir andern be- 
obachteten indessen eine schwache Rauchsäule, die rasch näher kam. 
Ein Schiff wurde sichtbar und hielt weit von uns entfernt in einer 
durch Stangen angezeigten Fahrbahn. Es war ein kleiner Raddampfer, 
der im Dienste der kürzlich gegründeten montenegrinischen Dampf- 
schiflfahrtsgesellschaft den Verkehr zwischen Rijeka, Virbazar, Plavnica 
und Scutari vermittelte. 

Erst um ii Uhr waren wir wieder reisefertig und schlugen die 
Richtung nach dem entgegengesetzten Ufer ein. Da sich dieses ganz 
langsam unter den Seespiegel senkt, so konnten wir, ohne auszusteigen, 
nicht an die Stelle kommen, wo das feste Land aus dem Wasser empor- 
taucht. Das war für unsere Zwecke jedoch nicht nöthig, und übrigens 
sahen wir deutlich, wie sich zahlreiche Heerden auf dem weichen 
Wiesenplane tummelten und wie Reiher, Pelikane, Störche, Wasser- 
hühner, Wildenten und andere Wasservögel im mannshohen Röhricht 
ihrer Nahrung nachgingen. Ueber den leise plätschernden Wellen 
zogen gefrässige Möven ihre Kreise und schössen gewandt herab, 
wenn ihr scharfes Auge einen Fisch erspähte, an denen der Scutari- 
See überreich ist. Man wird nicht müde, dem lustigen Spiele der 
stummen Geschöpfe zuzuschauen, und erstaunt über die Tausende der 
grössten und schwersten Aale, Hechte, Karpfen, Forellen, Schleien ly s. w., 
die täglich auf dem Bazar von Scutari verkäuflich sind. Am wichtigsten 
von allen ist die Scoranze oder Uklijeva, ein sardellenartiger Fisch, der 
zur Herbstzeit seeaufwärts zieht, um in den breiten Strömen zu über- 
wintern. Sein Fang gilt als ein wahres Volksfest und wird durch einen 
feierlichen Gottesdienst eingeleitet, der wohl am sinnigsten den un- 
geheueren Werth und die mit dem Erscheinen des kleinen Fisches 
verknüpften Hoffnungen zum Ausdruck bringt. Vermag man doch an 
einem Tage nicht selten 15 bis 20 der grössten Londras mit den Un- 
massen der Scoranzen zu füllen! 

Schon nach wenigen Stunden griffen wir zu unseren Vorräten 
und stillten in Ermangelung eines Besseren unseren Durst mit dem 
trüben, unangenehm schmeckenden Seewasser. Da sich ein schwacher 
Wind erhob, so setzten wir den Mast ein und zogen ein Segel auf; 
leider fiel das gelinde Lüftchen bald wieder ab, und das ermüdende 



Der Scutari-See. 



193 



Rudern begann von neuem. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand 
bereits überschritten, als wir den Curs nach dem Steilufer des Ska- 
darsko Jezero nahmen. 2 7« Stunden später hatten wir Staräevo, eine 
der dreissig Inselklippen, erreicht, die sich längs des felsigen West- 
randes hinziehen. Wildes Trümmerwerk umgab ihren Fuss, und ein 
gelbbrauner, etwa 3 Meter hoher Schmutzstreifen, der sich an der Küste 
fortsetzte, zeigte das Niveau des Hochwassers an. Keine Quelle 
sprudelte aus dem von Gras, Glockenblumen, Brombeersträuchern und 
niederem Weidengebüsch überwucherten Kalkbänken, kein Mensch hat 
je auf ihnen seine Hütte aufgeschlagen, und nur auf Mund und Moradnik 
stehen noch die spärlichen Ruinen uralter Kirchen. 

Um YjS U^r fuhren wir in den kleinen Hafen von Murid ein. 
Gern wäre ich am nächsten Tage bis Scutari gerudert; aber unsere 
Montenegriner wollten nicht darauf eingehen, weil sie einige Arnauten 
auf ihrem Gewissen hatten und die in Albanien noch immer nicht er- 
loschene Blutrache fürchten mussten. Ein treuherziger Albanese, der 
auch des Serbischen kundig war und unser Gespräch angehört hatte, 
lud uns, ohne unsere Frage abzuwarten, in sein Haus ein und versprach 
mir, für eine neue Londra Sorge zu tragen. Sorglos konnten wir uns 
ihm anvertrauen; denn die Albanesen des montenegrinischen Gebietes 
sind fleissige, friedfertige Menschen, bei denen die Gastfreundschaft 
noch in ihrer patriarchalischen Schlichtheit fortblüht. Hurtig packte unser 
Freund unsere Habseligkeiten auf seinen Esel, und wir folgten lustig 
plaudernd hinterdrein. 

Nicht bloss die Sprache und die abweichende, vielfach an die 
türkische Bauart erinnernde Einrichtung der Häuser verrieth, dass wir 
zu einem fremden Volksstamme gekommen waren; der Typus der Ein- 
geborenen, ihre Tracht, Religion und Denkweise waren anders geworden. 
Unser Wirth bekannte sich sammt den übrigen Dorfbewohnern zum 
muhamedanischen Glauben; daher Hessen sich seine Frauen vor uns 
nicht sehen, und er besorgte unser Abendessen und Nachtlager in 
eigener Person. Der Speisezettel war allerdings sehr einfach, denn es 
gab weiter nichts als Brot, Käse und Wasser. Vor und nach dem Essen 
mussten wir uns die Hände und den Mund waschen, und erst nach- 
dem wir zufriedengestellt waren, eilte unser aufmerksamer Wirth ins 
Nebenzimmer, um dort seine Abendmahlzeit einzunehmen. 

Zum dritten Male trug uns eine von drei Albanesen geruderte 
Londra auf den See hinaus, der sich den farbenprächtigen Strand- 
bildern Istriens und Dalmatiens würdig zur Seite stellt und wegen 
seiner Schönheiten die Perle Montenegros genannt werden kann. Unsere 

H asser t. Reise durch Montenegro. '3 



194 



Der Scatari>See. 



Fahrt verlief genau so wie früher. Wir drangen südlich bis zur Gorica 
Topal, der Grenzinsel zwischen dem türkischen und montenegrinischen 
Seeantheile, vor und steuerten nordostwärts bis in die Nähe des Hoti 
Hum. Unsere Bootsleute verspürten durchaus keine Lust, sich dem 
sumpfigen, schilfbewachsenen Ufer des ungastlichen Albaniens noch 
mehr zu nähern oder gar ihren rohen, räuberischen Stammesgenossen 
dort drüben einen Besuch abzustatten. So lenkten wir wieder zum 
Küstengebirge um und trafen um 5 Uhr wohlbehalten in Murid ein. — 

Es sei mir gestattet, die Eindrücke, welche wir aus der knappen 
Schilderung unserer Kreuz- und Querfahrten über das Wesen des Ska- 
darsko Jezero gewonnen haben, durch einige Bemerkungen zu er- 
gänzen. Vor Zeiten war der Scutari-See viel umfangreicher als heute; 
er endete bei Podgorica, wenn nicht gar bei Spuz und bildete sich in 
einem ausgedehnten Polje. Auf die Dauer konnte der klüftige Kalk- 
wall, der die Wasserfläche rings umgrenzte, der Erosion nicht Stand 
halten; er wurde an zwei Stellen, am Bojana- und Kiri-Austritt, durch- 
brochen, und die tosenden Wellen fanden einen Ausweg zur Adria. 
Der Seespiegel musste infolge dessen beträchtlich fallen und sank zu 
einem breiten Strome herab, der die Rijeka und Moraca mit der Bojana 
verband. In den trockenen Monaten hielten sich Zu- und Abfluss das 
Gleichgewicht; zur Schnee- und Regenzeit aber konnten die schmalen 
Ausgänge die Zufuhr nicht mehr bewältigen, und es traten regelmässig 
wiederkehrende Ueberschwemmungen ein, wie sie für viele Karstbecken 
charakteristisch sind. Die Ueberfluthungen begannen die Physiognomie 
der Ebene sofort umzugestalten; schon vor Christi Geburt existirte ein 
guter Theil des alten Sees wieder, und die im Wachsen begriffene 
Wasserfläche war nichts anderes, als eine Verbreiterung des oben ge- 
nannten Verbindungsstromes. Sagen und Urkunden bezeugen das all- 
mähliche Anschwellen des Skadarsko Jezero, und nach einem Schriftstück 
wurde Vranina zwischen 1200 und 1233 zur Insel. Als 1858/59 der 
Drin seinen Lauf veränderte und senkrecht in die Bojana einmündete, 
verstopften seine Ablagerungen den ungenügenden Abfluss des Sees 
noch mehr, und seitdem stieg sein Niveau unverhältnissmässig rasch. 
Fruchtbare Felder, die vor 50 Jahren völlig trocken waren, sind jetzt 
in einen Morast verwandelt, zwei Häuser unweit der Insel Moraänik 
sind heute verlassen und eingestürzt, weil die periodischen Ueberschwem- 
mungen bereits ihre halbe Höhe erreicht haben, und allwinterlich wird 
der Bazar von Scutari 3 Meter und höher überflutet. Der neu ent- 
standene See ist also eine in ihren tiefsten Theilen unter Wasser ge- 



Der Scutari-See. 



195 



setzte Niederung und nimmt ein Gebiet von 350 Quadratkilometern ein, 
das sich zur Regenzeit nahezu um die Hälfte vergrössert. 

Wegen der Natur des Scutari-Sees haben wir es mit sehr geringen 
Tiefen zu thun, ein Umstand, der das Volk häufiger Sumpf von Scutari 
als See von Scutari sagen lässt. Seine nördlichen Theile spiegeln 
durch ihre ausserordentliche Seichtigkeit, die geringe Höhe der Ufer 
und ihr unmerkliches Hinabtauchen unter das Wasser am deutlichsten die 
überschwemmte Ebene wider. Dagegen senkt sich der flache Ufer- 
saum südlich des Hoti Hum viel rascher als man erwarten sollte und 
fällt erst von 4 Meter an langsamer ab. Am felsigen Westrande ist 
der Böschungswinkel am grössten, so dass bei einem Abstände von 
I bis 2 Kilometer bereits die grösste Tiefe, 7 Meter, erreicht wird. Noch 
bedeutendere Tiefen wie 8 und 10 Meter gehören entschieden zu den 
Seltenheiten. — 

Ein lieblicher Küstenstreifen, erfüllt von blumigen Grasmatten, 
schmiegsamen Weidenbüschen, Feigen- und Olivenbäumen, das war der 
Hintergrund der schmalen Düne, auf deren feinen Sand unser Boot 
gestern auffuhr. Ganz anders sah die Stelle aus, wo wir heute landeten. 
Eine enge Bucht, die von der langgestreckten Insel Murid verdeckt 
ward, nahm uns auf. Ein chaotisches Trümmerwerk aus verwitterten 
Kalkblöcken aller Formen und Grössen war ebenfalls mit einem -grauen 
Schmutzbande überzogen, und erst nach 5 Minuten angestrengten 
Kletterns fühlten wir den weichen Wiesenplan unter den Füssen. Dies- 
mal kehrten wir beim Kommandir Omer Ali ein, der erst gestern Nachts 
von seinen Reisfeldern bei Scutari zurückgekommen war und sich 
schon in der Frühe entschuldigte, dass wir nicht seine Gastfreunde ge- 
wesen waren. 

Um die albanesischen Unterthanen an sich zu fesseln und ihrer 
Eigenart in jeder Weise Rechnung zu tragen, hat die montenegrinische 
Regierung den meisten albanesischen Gemeinden albanesische Vorge- 
setzte gegeben. Natürlich müssen dieselben, um die ihnen ertheilten 
Aufträge zu verstehen, der Landessprache kundig sein, und Omer Ali 
beherrschte dieselbe meisterhaft. Sein Haus war einfach und sauber 
eingerichtet. Aus den Kammern und Stallungen des Untergeschosses 
führte eine Treppe zu den Wohnräumen im oberen Stock, wo uns 
mehrere unverschleierte Frauen begrüssten. Sie brachten Wasser zum 
Waschen, und dann setzten wir uns mit gekreuzten Beinen zum 
Essen nieder. Wieder einmal musste ich unfreiwilliger Vegetarianer 
sein; aber wenigstens gab es zur Abwechslung tüi'kische Gerichte, die 
ich bisher noch nicht gegessen hatte und die mir vortrefflich mundeten. 

13* 



ig5 Nach Antivari und Dalcigno. 

Sie bestanden aus fettem Pilav, dem bekanntesten Nationalgericht der 
Türken, und einem Kuchen aus Reis und Brot. Statt des Tisches diente 
eine Bastmatte, statt des Tellers die Hand, und die Finger vertraten 
das Besteck. Nach dem Essen bereiteten die Frauen aus weichen 
Decken unser Lager, und der unermüdliche Gastgeber drehte noch 
eine Menge Cigarretten. Als wir am anderen Morgen aufbrachen, 
konnten wir unseren Wirthen nur mit aufrichtigem Danke ihre Grast- 
freundschaft lohnen, denn ein Geldgeschenk wiesen sie entschieden zu- 
rück. Bloss für den Transport meines Loth-Apparates nach Virbazar 
hatte ich eine geringfügige Summe zu bezahlen; und ich brauche wohl 
kaum zu erwähnen, dass mein Auftrag pünktlich und gewissenhaft aus- 
geführt wurde. 



i8. Capitel. 

Nach Antivari und Dulcigno, 



Kaum lag die Moschee (107 Meter) sammt den letzten Häusern von 
Muriö unter uns, als das öde Gebirge unverhüllt zu Tage trat. Ver- 
schwunden waren die zarten Kinder des Südens, dorniges Gesträuch 
behauptete sich auf den plattigen Kalken, und die trockene Schlucht 
eines Giessbaches durchfurchte den Abhang. Ehe wir den schweren 
Marsch begannen, der uns quer über den Gebirgskamm ans Meer 
bringen sollte, schauten wir uns noch einmal um. Aus den blitzenden 
Fluthen des Scutari-Sees ragten die weissen Inselklippen empor, und 
ihnen gegenüber entschwanden in dunstiger Ferne die firnbedeckten 
Alpen Albaniens und die massigen Gebirgswälle des Kuci-Landes. Als 
breiter, glänzender Arm drang der Hoti Hum tief ins ebene Flachland 
ein, aus dessen lichtem Walde der festungsgekrönte Hum und das 
Kirchlein von Vraka herübergrüssten. Aber wer möchte für das Leben 
dessen einstehen, der dort ans Land zu gehen wagt? So berüchtigt 
sind die Albanesen des jenseitigen Ufers und insbesondere die Bewohner 
von ^^aka, dass selbst die montenegrinischen Albanesen nicht ohne 
Abscheu von ihnen sprechen. 



Nach Antivari and Dulcigno. igy 

Ein knapper, stellenweise ganz verschwindender Pfad lief zwischen 
Kärrenrinnen und Steintrümmem zu einer schmalen Scharte, die in eine 
wenig ausdrucksvolle Kette von niedrigen Kuppen und Rücken einge- 
senkt war. Sie verbarg eine grosse, freundliche Doline, Mittel-Muriö 
(489 Meter), deren sorgsam bebaute Maisfelder, wie überall im Küsten- 
lande und am Scutari-See, bereits die zweite Ernte trugen. Feigen, 
dickblätterige Eichen und edle Kastanien überschatteten die Wiesen 
und Bauernhäuschen, und eine ebenfalls wasserlose Rinne mündete in 
die fruchtbare Oase ein. Auf einem kümmerlichen Steige gelangten wir 
in einen dritten, ebenso anheimelnden Kessel, Ober-Murid (678 Meter), 
und dann verloren wir uns ganz im trostlosen Karste. Der Weg Hess 
sich gut an, denn er führte zu einer Cisterne; aber doch hatte er 
uns irre geleitet, denn er verlor sich plötzlich im Grase, und auf einem 
kümmerlichen Hirtenpfade mussten wir uns querfeldein durch ein Heer 
von Dolinen hindurcharbeiten. Sie wurden von duftendem Salbei, Busch- 
holz und hochstämmigen Bäumen überwuchert, die, entsprechend der 
Meereshöhe, aus blattabwerfenden Eichen bestanden. Endlich gelangten 
wir in eine flache Mulde und sahen an ihrem jenseitigen Rande einen 
Saumweg. Ueberdiess trafen wir einen Hirtenknaben, und wenn auch 
wegen der Sprachverschiedenheit ein gegenseitiges Verständniss sehr 
schwer war, so glückte es uns doch, unter Zuhilfenahme von Zeichen 
und Geberden, aus dem anstelligen Albanesen-Jünglinge herauszulocken, 
dass jener der richtige Weg nach Antivari sei. 

Um II Uhr hatten wir den Pass, bekannt unter dem Namen Bi- 
jela Skala (Weisse Treppe, 959 Meter), erklommen. Zur Rechten und 
Linken erhob sich eine schmale Gebirgskette ; ihre zerrissenen Zinnen, 
unter denen die massige Rumija wohl die höchste, aber nicht gerade 
die imposanteste war, strebten gespensterhaft zum wolkenlosen Himmel 
auf, und ein einförmiges Gewand hüllte die Dolinenlandschaft ein, die 
wir soeben durchmessen hatten. Auf der Einsattelung befand sich ein 
kaum quadratfussgrosses Loch, ein Schöpfbecher mit langem Holzstiel 
lag daneben, und mit ihm holten wir einen erquickenden Trunk Wasser 
aus der dunklen Tiefe herauf. Behaglich streckten wir uns an dem klei- 
nen Börnlein aus und hielten Umschau. Ein schmaler, glitzernder 
Streifen, der hinter den abstossenden Kalken hervortauchte, entrollte 
sich als der Scutari-See. Wir wandten uns um, und viel jäher als auf 
der andern Seite stürzte das Gebirge ab; brausende Bäche durchschnitten 
seine Flanken, Wiesen, Aecker und Häuser erfüllten die Becken, und 
in spitzen Zickzacken lief eine Fahrstrasse zum dunstumwobenen Su- 
torman-Passe empor. Wie Wetterleuchten aber schimmert es am Gebirgs- 



XqS Nach Antivari und Dulcigno. 

fusse, und blaue Wogen ziehen ihre Kreise, um am unendlichen Hori- 
zonte zu verschwinden. Ja, vor uns breitet es sich aus in seiner zaube- 
rischen Pracht das Meer, das allgewaltige und unermessliche! 

In wenigen Secunden hatten wir den kaum 5 Meter breiten Ge- 
birgsrücken überschritten und stiegen neu gestärkt zur Adria ab, die 
uns bald durch einen flachen Rücken entzogen wurde und erst bei An- 
tivari wieder in Sicht kam. Der Abhang war geologisch ganz anders 
beschaffen als der Abfall zum Skadarsko Jezero. Schon 100 Meter un- 
terhalb des Passes wurden die Kalke dünnblätteriger und gingen rasch 
in gelbliche Schiefer über, die sich sandig anfühlten und auch dort, 
wo sie noch nicht zu Grus verwittert waren, beim Berühren leicht ab- 
bröckelten. Sie lagen in der Verlängerungszone der analog ausgebildeten 
Schichtencomplexe, die Tietze zwischen Antivari und dem Sutorman- 
Passe beobachtete, und wurden weiter unterhalb von glimmerglänzenden 
Sandsteinschiefern und intensiv grünen oder braunrothen Schiefern ab- 
gelöst, die für die Werfener Schichten Montenegros so charakteristisch 
sind und in ihren untersten Horizonten von dem genannten Reisenden 
ebenfalls bereits festgestellt wurden. Zahlreiche Bruchstücke der über- 
lagernden Kalke waren auf die weichen Schiefer herabgefallen und 
wieder verkittet, doch konnten sie die Oberflächenformeh nicht beein- 
flussen, die sich ebenfalls auffallend von denen der minder begünstigten 
Ostseite unterschieden. Zwar fehlten auch hier steile Schluchten nicht, 
aber ihre sanft abgeböschten Hänge nahmen sich ganz anders aus als 
die scharf abgebrochenen, harten Kalkbänke. Und endlich, welch' ein 
Wasserreichthum ! Zahllos waren die Quellen, die den undurchlässigen 
Schiefern entsprangen und sich zu nimmer versiegenden Bächen ver- 
einigten, eine Erscheinung, die wir auf dem Ostabfall vergebens suchten. 

Obwohl unser Weg die kürzeste Verbindung zwischen dem Meere 
und dem Scutari-See darstellt, war er ein erbärmlicher Pfad. Im Orient 
ist eben der Begriff Strasse ein sehr ausgedehnter, denn er umfasst so- 
wohl die nach allen Regeln der Technik angelegte Fahrstrasse als den 
halsbrecherischen Steig, auf welchem kaum die gewandte Ziege fort- 
kommt. Im Bereiche der Schiefer wurde der Weg auffallend besser, 
leider nur stellte sich zu bald eine türkische Strasse ein, und mit der 
Bequemlichkeit war es vorbei. Die roh zubehauenen Steine waren so 
glatt, dass wir uns vor dem Ausrutschen hüten mussten; an den meisten 
Stellen war der Saumweg jedoch verfallen, und schliesslich wanderten 
wir auf einem endlosen Blockmeere wie in dem trockenen Bett eines 
Wildbaches abwärts. Vor dem letzten Kriege lief über den Sutorman- 
Pass die Grenze, und der Pfad Antivari-Muriä wurde aus dem Grunde 



Nach Aotivari und Duleigno. igy 

viel benutzt, weil die Türkei sich eine von Montenegro unabhängige 
Strasse sichern wollte. Nachdem aber das Küstenland in montenegri- 
nischen Besitz übergegangen und Antivari mit Virbazar durch eine Fahr- 
strasse verbunden war, überüess man den alten überaus beschwer- 
lichen Pfad quer über das Gebirge seinem Schicksal. 

Wir waren in eine schrofTwandige Thalenge gelangt, die uns den 
Anblick der Stadt noch immer missgönnte. Der am Grunde schäumende 
Wildbach wurde auf schmalen Steinbrücken zweimal überschritten, und 



endlich mehrten sich die Anzeichen, dass die alte Türkenveste nicht 
mehr fern sein konnte. Einige vollständig in Trümmer geschossene 
Forts waren die ersten Vorboten, dann rasteten wir an einer überhän- 
genden Schieferwand, die eine mit Schiessscharten gespickte Mauer 
stützte. Aus sorgsam gearbeiteter Steinfassung sprang ein heller Wasser- 
strahl, und verborgene Röhren leiteten den Ueberschuss in die Festung. 
Wir bogen um einen niedrigen Felsvorsprung, und mehr erschrocken 
als erstaunt hemmten wir unseren Schritt, denn vor uns lagen — die 
Ruinen von Antivari. Da gab es kein Gebäude, in welches die monte- 
negrinischen Kanonen nicht eine klaffende Bresche gelegt hätten. 



200 Nach AotiTari nnd Dalcigno. 

Selten war von den Dächern, den spitzen Minarets und den hohen 
Rauchfängen ein dürftiger Rest erhalten ; hier schauten verkohlte Balken 
aus den rauchgeschwärzten Mauern, dort standen noch die blendend 
weissen Wände und drohten, jeden Augenblick einzustürzen. Mächtige 
Rosen- und Goldregensträucher, Feigen- und Lorbeerbüsche verhüllten 
schmeichelnd die zerborstenen Mauern und umschlangen die zersprun- 
genen Quadern in fester Umarmung- Noch schrecklicher entrollten sich 
die Spuren der Verwüstung, als vrir am nächsten Tage die Trümmer- 
stadt durchwanderten. Undurchdringliche Schuttmassen erfüllten die 
Gassen, in denen kein Haus unversehrt geblieben war, verrostete Ka- 
nonen lagen überall herum, und der eingegrabene Stern und die fremd- 
artigen, verschnörkelten Buchstaben zeigten, dass es türkische Geschütze 
waren, die den Siegern in die Hand fielen. Sechs Wochen belagerten 
die Montenegriner die feindlichen Wälle, und erst nachdem sie 
durch einen kühnen Handstreich die Wasserleitung zerstört hatten, er- 
gab sich die Garnison. Auch Spizza und Dulcigno mussten vor den 
triumphirenden Bergsöhnen die Flagge streichen, und Vojvoda Maso 
Vrbica, dem Befehlshaber der Artillerie und zugleich einem scharfsin- 
nigen Ingenieur, gebührte in erster Linie die Siegespalme. 

Langsam näherten wir uns den hochromantischen Ruinen, die 
einer verwunschenen Stadt aus Tausend und einer Nacht glichen. Von 
den Hügeln bis zum Meere breitete sich ein silbergrüner Olivenwald 
aus, der so hoch und dicht war, dass nur zuweilen ein rothes Dach aus 
ihm hervorschaute. Unter den verschlungenen Baumkronen wanderten 
wir leicht dahin und sahen uns bald zwischen den zerstreuten Häusern, 
die, umschlossen von hässlichen Mauern, sich zu einem Labyrinth 
enger, winkeliger Gässchen aneinanderreihten. Jetzt stehen wir vor einem 
festen Wall, der wie die Wasserleitung ein Werk der Venetianer ist. 
Im Osten findet er an der tiefen Schlucht, in der wir abwärts wanderten 
und in der die neue Olivenöl-Raffinerie errichtet ist, einen natürlichen 
Graben. Die Mauer umschliesst das Reich des Todes, und um sie grup- 
pieren sich die vom Feuer verschonten oder neu aufgebauten Häuser. 
Ueberhaupt kann man für unsere Stadt vier Perioden unterscheiden. 
Sie wurde von den Römern gegründet und Antibarium genannt, weil 
sie dem italienischen Hafen Bari gegenüberliegt. Gut erhaltene Inschriften 
und einige leider sehr beschädigte Gebäude erinnern an diese alte 
Zeit. Hierauf kamen die Venetianer, nach ihnen die Türken, bis endlich 
das jugendkräftige Montenegro die Herrschaft in die Hand nahm. 

Obwohl nach dem Kriege sehr viele Türken Antivari (slavisch Bar) 
verliessen, kann man die Bevölkerung doch auf looo bis 1500 Seelen 



Nach Antivari unCi Duicigno. 20I 

veranschlagen, unter denen das türkische und albanesische Element weit- 
aus überwiegt. Eine breite, stark geneigte Strasse, auf deren glattem 
Pflaster man sehr vorsichtig gehen muss, stellt den Bazar dar, und in 
offenen Verkaufsbuden mit vorspringendem Dach werden allerhand 
Dinge feilgeboten; doch sucht man vergebens nach Artikeln, die wir 
nicht schon in Podgorica gesehen hätten, und nur eins gab es, wonach 
sich der Deutsche immer sehnt : Bier! Dankbar gedachte ich des österrei- 
chisch-ungarischen Lloyd, dessen Schiffe zweimal wöchentlich hier halten 
und den schäumenden Gerstensaft an diese halb vergessenen Küsten 
tragen, und eilends trat ich in den Laden, der die wohlverkorkten 
Flaschen enthielt. Auch Besuch stellte sich ein, nicht das faule, 
bettelnde Volk, welches sich vor dem Verkaufsstande ansammelte, 
sondern ein alter österreichischer Tischler, der gleich von mir wissen 
wollte, wie es »draussen« aussähe. 

Erst um 4 Uhr dachten wir daran, zum Pristan (Hafen) zu wan- 
dern. Wohl gab es in der Stadt einige Schänken und Hans; da sich 
indessen der Hafen einer nach abendländischer Art eingerichteten Lo- 
canda erfreute, so zog ich diese natürlich vor. Der belebte Bazar mit 
seinen Läden und offenen Werkstätten nahm rasch ein Ende, aber am 
Bergrande waren noch zahlreiche Häuser angelegt, und im Umkreise 
zierten freundliche Ortschaften die grasigen Bergrücken. Die Ebene, 
in welche wir hinabstiegen, bildete einen einzigen Garten voll 
unbeschreiblicher Fruchtbarkeit. Wo der Wald der hundertjährigen Oel- 
bäume eine Lücke aufwies, da drängten sich Maisfelder, Feigen und 
Granaten hinein, an schlanken Pappeln rankte sich der edle Wein 
empor und kaum verbarg das Blattgewirr die schweren, grossbeerigen 
Trauben. Quellen und Bäche bewässerten dieses Paradies, und so gross 
war der Ueberfluss an Feuchtigkeit, dass er den Grund stellenweise in 
einen Morast verwandelte, während die tiefsten Fluren in der Nachbar- 
schaft des Meeres wegen der alljährlichen Ueberschwemmungen nur 
schmiegsame Weiden, düstere Lebensbäume und mageres Gras trugen. 
Welch' eine Fülle landschaftlicher Gegensätze bot sich dar, wenn man 
den Blick über die Niederung schweifen Hess! Im Westen schienen die 
brandenden Wogen der Adria mit den Wolken zu verschwimmen ; im 
Norden thürmten sich Sutorman und Vrsuta auf, aber die wildesten Berg- 
zinnen umschlossen im Osten und Süden die Ebene, die ihre Entstehung 
den Meeres- und Flussanschwemmungen verdankt. Hier fiel der eben- 
massige Lisin in steilen, zerrissenen Wänden ab, an ihn stiess, durch 
ein breites Thal getrennt, die Rumija. Bestimmte Formen sind in ihrer 
von Schutthalden und Erosionsrinnen erfüllten Mauer schwer zu er- 



202 Nach Antivari und Dulcigno. 

kennen : was sie aber vor allem auszeichnet, das ist nicht bloss die pit- 
toreske Lage von Antivari (182 Meter), in noch höherem Grade sind 
es die colossalen Faltungen und Knickungen der fast senkrecht abge- 
brochenen Gesteinsschichten, die mit grosser Wahrscheinlichkeit für 
eine Verwerfung sprechen, wie wir sie eben deshalb für das Skrk-Thal 
im Durmitor annahmen und wie sie bereits Tietze hierher verlegte. In 
diesem Falle kommt hinzu, dass die Kalke der Rumija wegen der unter- 
lagernden Werfener und Wengener Schichten triadisch sind, dabei aber 
unmittelbar neben einer Zone tertiären Flysches lagern, ferner dass 
Tietze hier ein Erdbeben erlebte, wie solche für Gebiete tektonischer 
Störungen bekanntermassen charakteristisch sind. 

Der Hafen ist mit der 5 Kilometer entfernten Stadt durch eine 
Fahrstrasse verbunden, und seinen Einrichtungen merkt man sofort das 
jugendliche Alter an, wenngleich nicht geleugnet werden kann, dass 
bereits ein anerkennenswerther Fortschritt zum Bessern gemacht worden 
ist. Etwa ein Dutzend einstöckiger Häuser zieht sich längs der weit ins 
Meer vorspringenden Volovica hin, kräftige Bäume beschatten die Ma- 
rina, und erbeutete Geschützrohre, sowie mehrere Pyramiden verrosteter 
Kanonenkugeln verleihen dem Ganzen ein kriegerisches Gepräge. Die 
Bai selbst ist wegen ihrer Seichtigkeit grösseren Schiffen nicht zugänglich; 
doch wird eine Ausbaggerung, die bei gesteigertem Verkehr nothwendig 
vorgenommen werden muss, dieses Hindernis leicht beseitigen, und wo 
^le Volovica gegen Stürme nicht mehr wirksam genug ist, lassen sich 
Wellenbrecher oder andere Schutzanlagen anbringen. Obwohl Monte- 
negro beide Hafenplätze der weiten Bucht, Antivari und Spizza, mit 
stürmender Hand eroberte, nahm Oesterreich Spizza und den grössten 
Theil des Bassins für sich in Anspruch, und zwar aus militärischen 
Gründen, weil es so den montenegrinischen Küstenantheil überwachen 
konnte. 

Doch nun machen wir es uns in der wohnlichen Locanda be- 
quem und versparen uns die Besichtigung der Stadt und ihrer Umge- 
bung auf morgen. Längs des Meeres gehen wir zu dem innerlich wie 
äusserlich eleganten Palaste des Fürsten und zu dem Leuchtthurm, der 
auf der Punta Volovica neben den Trümmern eines alten Türkenforts 
erbaut ist. Am Nachmittag führt uns ein Soldat in die grausige Trüm- 
merstadt von Antivari, deren Besuch ohne Erlaubniss der Behörden nicht 
gestattet ist, und in der Frühe des i. October sind wir zu unserem 
Mui*sche nach Dulcigno gerüstet. 

Anfangs war der Weg sehr schlecht, da wir einen abkürzenden 
Fusspfad längs der stark verkarsteten Volovica einschlugen. Oft gab 



Nach Antiviri and Datdgno. 20^ 

uns nur die Telegraphenleitung nach Scutari die Richtung an, und 
schliesslich verirrten wir uns ganz, so dass wir querfeldein liefen, bis 
wir zu einem Dorfe unweit Antivari kamen und eine türkische Strasse 
betraten, die wie alle ihresgleichen von höchst fragwürdiger Beschaffen- 
heit war und den armen Füssen ein grosses Opfer zumuthete. Wir 
waren daher sehr froh, als der Mensch ganz und gar aufgehört hatte, 
die Natur zu verschlechtern, statt zu verbessern. 



Unser Weg führte zwischen Olivenhainen, Obstgärten und den 
hohen Mauern der peinlich verwahrten Türke^häuser hin. In die Fugen 
hatten sich mit verschwenderischer Ueppigkeit die lieblichen Kinder der 
süd-europäischen Flora eingenistet und begleiteten uns bis zu unserem 
Ziele. Immergrüne Eichen und ernste Pinien, Lorbeer- und Myrthen- 
büsche umsäumten die Gehänge, dornige Sträucher zogen schützende 
Hecken um die Getreide- und Tabakfelder, und bis auf die höchsten 
Spitzen der thurmhohen Pappeln kletterten die fruchtbeladenen Reben, 
deren unerreichbare, pfundschwere Trauben vertrockneten oder eine 
Beute der gefrässigen Vögel wurden. 



204 Nach Antivari und Dulcigno. 

Nun stiegen wir, begleitet von dem azurblauen Meere, an den 
Ausläufern des Lisin über Dobravoda (Gutes Wasser, 262 Meter), Pe- 
diurica (225 Meter) und Kunje (325 Meter) beständig auf und ab, denn 
vor das zusehends niedriger werdende Küstengebirge schiebt sich eine 
Reihe flacher Ketten, die quer zu unserem Wege zur Adria streichen, 
aus leicht zerstörbaren Nummulitenkalken, Flyschschiefern und Sand- 
steinen bestehen und von der Brandung in eine imposante Steilküste 
umgewandelt sind. Dabei leisteten die härteren Kalke länger Widerstand 
als die weichen Schiefer, und daher setzt sich das Gestade aus einer 
Menge kleiner Buchten zusammen, die durch die vorragenden Kalk- 
zungen von einander getrennt werden. Man kann sich keine schärferen 
landschaftlichen Gegensätze denken als zwischen diesen beiden Gesteins- 
complexen, die zwischen Antivari und Dulcigno je dreimal mit einander 
abwechseln. Der graue verkarstete Kalk, der z. B. bei Kunje reich an 
Nummuliten ist, bildet baumarme, wasserlose Rücken, die unter sich 
und mit dem Küstengebirge parallel laufen und in der Mozura-Planina 
ihre bedeutendste Höhe erlangen. Die dunkelgrünen, feinblätterigen und 
leicht ablösbaren Schiefer zeichnen sich durch eine Fülle von Vegetation 
und Wasser aus; sie nehmen die Thalmulden ein, werden von Bach- 
schluchten mannigfach zerschnitten und neigen gern zu Rutschungen. 
In ihnen sind Acker- und Weinbau zu Hause, und manche der kleinen 
Becken wie Mirkojevid und Gorana gleichen einem lieblichen Garten. 

Bei Kunje begann dichter Eichenwald vorzuherrschen, und in 
grossen Biegungen erklomm der Pfad die steinige Mozura Planina. 
Nichts verrieth in diesen gesegneten Gefilden den Einzug des Herbstes, 
im Gegentheil, die Sonne brannte so heiss, dass wir uns im Hochsom- 
mer wähnten. Mancher Schweisstropfen rollte von der gebräunten Stirn, 
als wir uns an den nicht gerade steilen Lehnen versuchten, und er- 
wartungsvoll begrüssten wir drei ausgemauerte Cistemen, die auf halber 
Bergeshöhe angelegt waren. Wohl leuchtete aus der Tiefe das kühle 
Nass herauf, und doch war es für uns werthlos, denn es gab keine 
Schöpfgeräthe, mittelst deren wir das durststillende Getränk heraufholen 
konnten. Da der Bergrücken (452 Meter) bald überwunden war, so ver- 
gassen wir unser Missgeschick, zumal sich zu der Aussicht, die wir bis- 
her genossen, ein lieber alter Bekannter, der Scutari-See, gesellte. Auch 
der südliche Theil der Adria öffnete sich. Dulcigno war noch nicht 
sichtbar, aber die unserem Standpunkte parallel laufenden Hügelzüge 
lagen frei vor uns, und hinter ihnen breitete sich die endlose Bojana- 
Ebene aus, der erst die nebelverhüllten Berge jenseits des Drin ein 
Ziel setzten. 



Nach Antivari und Daicigno. 205 

Eben wollte ich meinen Diener einholen, als ich ein lautes »Stani 
(Halt)!€ vernahm und sah, wie ein Montenegriner mit schussfertigem 
Revolver vor dem erbosten Marko stand und bei meiner Ankunft die 
gefähriiche Waffe sinken Hess. Es war der Briefträger, der die Post von 
Dulcigno nach Antivari beförderte und uns über sein Gebaren sofort 
aufklärte. Es sei, sagte er, in diesen von den Albanesen noch immer 
unsicher gemachten Gegenden ein Gebot der Klugheit, den Revolver 
jederzeit bereit zu halten und von Jedem Aufschluss über seine Perso- 
nalien zu verlangen, da jene unbotmässigen Menschen oft genug einen 
Raubmord verübten und in das nahe türkische Gebiet, das Eldorado 
aller Verbrecher, flüchteten. Höchlichst vergnügt über das lustige Aben- 
teuer sagte ich dem kriegerischen Diener Stephans Lebewohl, Marko 
dagegen konnte seine Aufregung nicht gleich bemeistern und ärgerte 
sich weidlich über seinen unhöflichen Landsmann. 

Vorbei an den Dörfern Krud und Kruse stiegen wir in ein schma- 
les Thal hinab, dessen geröllreicher Bach so wenig W^asser führte, 
dass die Mühlen an seinen Ufern still standen. Die kalkigen Hügel 
beiderseits wurden niedriger, bei Bratica (53 Meter) erweiterte sich die 
enge Rinne mehr und mehr, und die Vegetation wurde wieder üp- 
piger. Auf dem kahlen, sonnigen Gestein wuchsen stachelblätterige 
Eichen, mächtige Aloes, der überall im warmen Küstenlande heimische 
spanische Ginster, und zwischen dichtem Gestrüpp bemerkte ich die 
erste Palme in Montenegro, die Stechpalme. Jetzt öffnete sich auch die 
grüne Bojana-Ebene ; ein paar Schritte noch auf der verfallenen tür- 
kischen Strasse und das vielgenannte Dulcigno lag vor uns. Im ersten 
Augenblicke wusste ich nicht, was ich sagen und denken sollte. Ich 
erinnerte mich eines Holzschnittes aus einer illustrirten Zeitschrift, der 
eine kleine Felsinsel mit einer Zusammenhäufung elender Gebäude dar- 
stellte. Ich hatte deshalb meine Erwartungen nicht sehr hochgespannt 
und erstaunte um so mehr, als nichts von diesen Phantasiegebilden 
vorhanden war. Doch versparen wir unsere Eindrücke auf eine zusam- 
menhängende Schilderung und führen wir rasch unsere Erlebnisse 
zu Ende. Am Hafen bot uns die saubere Locanda eines Albanesen 
einen angenehmen Aufenthalt, und der nächste Tag galt der Besich- 
tigung der Stadt, der ich viel mehr Reize und Interesse abgewinnen 
konnte als dem vielgepriesenen Scutari. 

Dulcigno, das Olcinium der Römer, Uljcinj der Slaven, Olgun der 
Albanesen, zerfällt in die alte und in die neue Stadt. Erstere, auf den 
schroff zum Meere abfallenden Ausläufern der Bijela Gora errichtet, 
bietet das malerische Bild zerstörter Ruinen und beherbergt für den 



2o6 Nach Antivari und Dulcigno. 

Archäologen manchen kostbaren Schatz, da sie nicht weniger als fünf 
Herren, den Römern, Byzantinern, Serben, Venetianem und Türken, 
gehörte, bis sie als Entgelt für das Gebiet von Gusinje und Flava den 
Montenegrinern zugesprochen wurde. Allerdings hat die Flotten-Demon- 
stration, durch welche die Grossmächte die Türkei oder vielmehr die nach 
Selbstständigkeit strebende Albanesische Liga zur Abtretung dieses Ha- 
fens zwangen, beträchtlichen Schaden angerichtet, obgleich das Zer- 
störungswerk nicht von so furchtbaren Wirkungen begleitet war, wie in 
Antivari. Kümmerliche Reste von Häusern und Minarets, die Ruinen 
einer alten lateinischen Kirche und durchlöcherte Mauern ragen in 
die Luft, und bloss der starke Festungswall und die meterdicken 
Wände des Castells haben sich ziemlich gut erhalten. Jetzt ist das alte 
Dulcigno fast verlassen, und seine als kühne Piraten berüchtigten Be- 
wohner machen nicht mehr die Küsten der Adria bis hinüber nach 
Italien und Sicilien unsicher. 

Wir suchen die Neustadt auf, wo ein warm pulsirendes Leben 
uns entgegenschlägt und wo wir drei Theile unterscheiden können, 
den Hafen, den Bazar und die sich um beide gruppirenden Gebäude. 
Der erstere bildet ein kleines, auf drei Seiten von klippigen Ufervvänden 
umschlossenes Bassin, das sich mit der ausgedehnten Bai von Antivari 
in keiner Weise messen kann. Die schroffen Hügel gehören dem ma- 
rinen Neogen an und bestehen aus abgerundeten Kalkstücken, die durch 
ein gelb gefärbtes, ockeriges, lehmiges oder sandiges Bindemittel ver- 
kittet sind und Reste von Austern und Bohrmuscheln enthalten. Leider 
ist die Bucht so versandet, dass sich viele Meter entfernt vom Strande 
die Wellen brechen und dass tiefgehende Schiffe nicht einfahren kön- 
nen. Eine gründliche Ausbaggerung ist also auch hier nothwendig. Die 
Bucht ist der Ausläufer eines schmalen Querthaies, wie deren mehrere 
von den früher erwähnten Parallelketten herabkommen ; eine Senke da- 
gegen, die zwischen Bijela Gora und Mendra verlaufend die parallele 
Hauptrichtung beibehält und Val di Noce (Nussthal) heisst, endigt in 
dem zweiten Hafen, der einen Leuchtthurm besitzt. Er liegt 4 Kilometer 
von der Stadt ab, ist viel grösser als der erstere und bis ans Ufer tief 
genug. Auf drei Seiten vortrefflich geschützt, wäre er auf der vierten 
leicht durch Dämme zu sichern, eine Fahrstrasse Hesse sich ohne wei- 
teres anlegen, und alle Bedingungen wären gegeben, um hier den Zu- 
kunftshafen von Dulcigno zu schaffen. 

Ehe wir vom Strande auf den Bazar gelangen, müssen wir mehrere 
schmale Gässchen durchwandern, die in einer breiten Fahrstrasse enden. 
Eine Bachrinne läuft neben ihr hin, und zu beiden Seiten tauchen zer- 



Nach Antivari und Dulcigoo. 207 

Streute Häuser aus dem Grün auf, bis die Handelsstadt Dulcigno ihren 
Anfang nimmt, auf deren Getriebe ein altehrwürdiger Uhrthurm her- 
niederschaut. Die Läden zwar haben sich nicht verändert, und auch die 
Waren sind zum kleinsten Theil Erzeugnisse des einheimischen Gewerbe- 
fleisses. Da aber die Handwerker ihre Beschäftigung nicht hinter ver- 
schlossenen Thüren ausüben, so kann man mit Müsse die Geschicklich- 
keit der Töpfer und Klempner, Tischler und Holzschnitzer, Schuhmacher 
und Schneider bewundern, während vom andern Ende der Strasse das 



Dolcigno (AltttJidt). 

Hämmern der gewandten Schmiede heraufschallt. Hier legen die Bäcker 
ihre flachen Brote aus, dort zerhackt der Fleischer das wichtigste 
Schlachtthier des Orients, den Hammel, und überall halten Obstverkäufer 
oder geschwätzige, vermummte Frauen ihre verlockenden Früchte feil. 
Neben einem der vielen Tabaksläden hat ein Materialwaren händler seinen 
Stand aufgeschlagen, und dort locken Kleiderstoffe, Schmucksachen und 
farbige Kleinigkeiten die Damenwelt an. Die Kaufleute sind mit wenigen 
Ausnahmen Türken und Albanesen, die Montenegriner besitzen meist 
die Hans oder die primitiven Kaffeehäuser, und fortwährend tragen 



2o8 Nach Antivari und Dulcigno. 

flinke Jungen ■ den duftenden Mocca in kleinen Schälchen von Haus 
zu Haus. 

In Dulcigno tritt das montenegrinische Element noch mehr zurück 
wie in Antivari; auch die Tracht ist südlich der Mozura eine andere 
geworden, indem sie sich mehr an die prunkvolle Scutariner Kleidung 
anlehnt. Das grösste Interesse gebührt jedoch den Frauen, denen 
gerade hier die Sitte eine abscheuliche Vermummung aufgezwungen 
hat. Auf gelbe Schuhe fallen weite, faltige Hosen herab, bauschige 
seidene Obergewänder werden von einem bunt gestreiften Gürtel zu- 
sammengehalten, und rabenschwarzes Haar hängt über das weiche Ge- 
sicht, aus welchem zwei schwarze, lebhafte Augen blitzen. Aber wie 
wenig kann man von den feinen Zügen sehen. Ein seidener Schleier 
verhüllt das Gesicht bis auf Augen und Stirn, darüber wird ein Shawl 
geschlungen und um Alles ungeachtet der Hitze ein Mantel aus 
schwerem, grobem Stoff geworfen, der zum Ueberfluss eine hässliche 
Kaputze besitzt und mit dem vielfarbigen Costüm nicht im geringsten 
harmonirt Allerdings lüften die Muhamedanerinnen, wenn sie sich unbe- 
achtet glauben, gern die lästige Hülle, und man erkennt zuweilen die 
zarten, ebenmässigen Züge, die man an den unverschleierten Mädchen 
bewundert; sowie sie jedoch des Mannes ansichtig werden, ziehen sie 
rasch den Mantel um und wenden das Gesicht ab, bis der Fremde 
vorüber ist. Wie ungeheuer stechen von den Türkinnen die knöchernen, 
sonnenverbrannten und dürftig gekleideten Montenegrinerinnen ab, die 
sich beim Strassen- und Hausbau ihr Brot verdienen müssen. Sie sind 
die abgehärteten Vertreterinnen der Entbehrung und der Arbeit, während 
jene auf weichem Pfühl dem Nichtsthun huldigen. 

Ueber den Frauen hätten wir beinahe etwas vergessen, was unsere 
Aufmerksamkeit nicht minder verdient. Begegneten wir schon in Anti- 
vari vereinzelten Söhnen des Schwarzen Erdtheils, so giebt es in Dul- 
cigno gleich eine ganze Negercolonie, die sich aus allen Farben und 
Stämmen der äthiopischen Rasse zusammensetzt und ein origineller 
Rest aus der Türkenzeit ist, in welcher diese schwarzen und dunkel- 
braunen Gestalten im Haremsdienst u. s. w. Verwendung fanden. 

Wir haben noch den dritten Theil des eigenartigen Küstenplatzes, 
die Villencolonie und die vom Meere aus nicht sichtbare Neustadt, zu 
durchwandern. Jene liegt am Hafen und zeigt bereits eine recht statt- 
liche Entwicklung; dort steht das Palais des Fürsten, die Wohnung 
des Gouverneurs, das Lusthaus des russischen Residenten, das türkische 
Consulat u. s. w. Auch eine Moschee fehlt nicht; von ihrem Minaret 
aus fordert der Muezzin die Moslims zum Gebet auf, ihm antwortet 



Nach Antivari und Dulcigno. 20Q 

der Muezzin aus der Altstadt, und bald erschallt der gleiche Ruf von 
den übrigen Minarets, die wie Nadeln die rothen Dächer von Neu-Ulj- 
cinj überragen. 

In dem anmuthigen Thale, dessen wir schon mehrfach gedacht, 
sind die Wohnstätten des neuen Viertels zerstreut Die Häuser sind 
ganz nach türkischer Art gebaut, die Wände mit Malereien und 
Inschriften bedeckt, die Fenster nach der Strasse zu klein und ver- 
gittert oder gänzlich durch feine Holzgitter ersetzt. Auf der Bijela Gora 
stehen die kleinen Kirchen der Orthodoxen und Katholiken (138 Meter), 
die wogenumtoste Mendra ziert das neu erbaute stattliche Gotteshaus 
der Orthodoxen, und nun nimmt uns ein unabsehbarer Olivenwald 
auf, in dessen Schatten wir stundenlang sitzen, um den Blick über 
das blaue Meer und die malerischen Ruinen der Altstadt schweifen zu 
lassen. 

Dulcigno fordert von selbst zu einem Vergleiche mit Antivari auf. 
Die Beschaffenheit der Häfen haben wir schon hervorgehoben; nur ist 
die Lage der Stadt zum Hafen hier eine günstigere, indem beide un- 
mittelbar zusammenhängen. Die Einwohnerzahl von Uljcinj übertrifft 
die von Bar um ein Bedeutendes, denn man kann trotz der massen- 
haften Auswanderung der Muhamedaner 4000 bis 4500 Seelen an- 
nehmen. Wie Antivari als Stapelplatz für Virbazar, Podgorica und den 
nördlichen Scutari-See gelten kann, so ist Dulcigno der Vorhafen von 
Scutari und dem ertragreichen Bojana-Gebiet. Leider fällt der Um- 
stand schwer ins Gewicht, dass die Metropole Nord-Albaniens sich in 
türkischem Besitze befindet und dass ihre Umgebung zu den un- 
sichersten Theilen der Türkei gehört. Andererseits liegt das von den 
Montenegrinern viel benutzte Cattaro auf österreichischem Boden, und das 
Haus Habsburg wird nie daran denken, dasselbe einer anderen Macht 
zu überlassen. Warum streben indessen die Crnogorcen so sehr nach 
Cattaro, das einer steilen Gebirgsmauer angelehnt ist und Montenegros 
werthlosesten Bezirk, die Katunska Nahija, zum Hinterlande hat? Anti- 
vari und Dulcigno dagegen besitzen als Hinterland die fruchtbaren 
Niederungen um den Skadarsko Jezero, die den wirthschaftlichen Mittel- 
punkt Albaniens und der Schwarzen Berge ausmachen. Allerdings 
müssten beide Häfen eine durchgreifende Ausbaggerung und Ver- 
besserung erfahren, und die Bojana-Regulirung wäre eine ebenso un- 
erlässliche Vorbedingung, damit das zeitraubende und preisvertheuernde 
Umladen der Waren erspart bliebe und damit der Dampfer vom Meere 
bis Scutari und Rijeka fahren könnte. Aber das kleine Montenegro, 

Hassert. Reise durch Montenegro. I4 



2IO Darch die Bojana^Ebene nach Scatari and zunick nach Antivari. 

jenes Räubernest, wie man es noch immer gern nennt, hat bereits 
eine so erspriessliche reformatorische Thätigkeit entfaltet, dass es 
sicherlich auch hier nach Kräften zur Förderung seiner Interessen bei- 
tragen wird. 



19. Capitel. 

Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück 

nach Antivari. 



Da jetzt ein Gebiet vor uns lag, in welchem die serbische Sprache 
nur noch von den Wenigsten verstanden wurde, so musste uns darum 
zu thun sein, einen des Albanesischen kundigen Begleiter zu gewinnen. 
Marko, so hiess unser Dragoman, war ein guter Bekannter meines 
Dieners und hatte eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Er war 
ein Hercegoviner aus Bilek, der in dem berüchtigten Corps des Insur- 
gentenführers Kova(5evic acht Jahre lang ein vogelfreies Hajduken-, d. i. 
Räuberleben führte und schliesslich nach Montenegro flüchtete, als die 
verwegene Schar zersprengt wurde und sich auflöste. Mir gegenüber zeigte 
er sich anfangs etwas zurückhaltend, da er mich bei seinen beschränkten 
geographischen Kenntnissen für einen der verhassten Oesterreicher hielt; 
allmählich thaute er jedoch auf, und nach vier Tagen schieden wir als 
die besten Freunde von einander. 

Südlich von Dulcigno beginnt die öfters erwähnte Niederung, die 
sich weit über die Bojana und den Drin fortsetzt und mit dem flachen 
Ostufer des Scutari-Sees ein Ganzes bildet. Sie ist wegen ihrer Frucht- 
barkeit berühmt, und nicht ohne Grund heisst ein Theil derselben, das 
Stoj, die Kornkammer Montenegros. Zahllos sind die Wiesen, die 
Mais-, Getreide- und Tabaksfelder, die Feigen- und Quittenbäume, und 
üppige Hecken aus Himbeer-, Brombeer- und Haselnussgesträuch um- 
geben die einzelnen Besitzthümer, während aus dichtem ünterholze 
Eichen und Erlen hervorragen, und wegen ihres Reichthums an Reb- 
hühnern, Wildenten und anderem Vogelwild für den Jäger ein wahres 
Paradies bedeuten. Kein Stein ist in den weichen Humusboden einge- 



Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück nach Antivari. 21I 

bettet, der, wie die vielen Geleise verrathen, auch fahrbar ist, ohne dass 
der Mensch nöthig hätte, mit künstlichen Mitteln einzugreifen. 3 Meter, 
ja stellenweise 6 Meter und tiefer hat sich die Bojana in das Erdreich 
eingegraben, ohne auf das unterlagernde Gestein gestossen zu sein, und 
alljährlich führt der majestätische Strom durch seine Ueberschwem- 
mungen dem Boden neue Ackerkrume zu. Da sein Gefäll ein fast un- 
merkliches ist, so vermag er bloss die feinen, schlammigen Stoffe 
niederzuschlagen, und wie man Aegypten als ein Geschenk des Nil be- 
zeichnet, so kann man diese Gegenden als ein Geschenk der Bojana 
auffassen. Leider lässt sie Sümpfe zurück und hat lästige Fieber im 
Gefolge, und gerade das Stoj ist wegen seiner bösartigen Bojana-Fieber 
so verrufen, dass die wenigen Ansiedelungen ausnahmslos am kühlen 
Meere oder am luftigen Gebirgshang angelegt sind. 

So vollkommen horizontal ist das Niederland und so dicht sein 
Baumwuchs, dass man das Meer nicht sieht, obwohl der Weg noch 
nicht I Kilometer entfernt an ihm entlang führt. Nur durch das 
Brausen der Wogen, das noch 15 Kilometer landeinwärts in Oboti als 
dumpf grollender Donner vernehmbar ist, verräth sich seine unmittel- 
bare Nachbarschaft. Man muss jedoch hinzufügen, dass sich flache 
Dünen, die einzigen in Montenegro, an der Küste hinziehen, weshalb 
schon aus diesem Grunde der freie Ausblick unmöglich ist. Ebenso 
bemerkt man die Bojana erst, wenn man noch wenige hundert Schritte 
von ihr entfernt ist, und den Zoganjsko- und Sas-See bekommt man 
überhaupt nicht zu Gesicht, obwohl man an ihnen gar nur in 7^ Kilo- 
meter Entfernung vorüberwandert. So plötzlich sind die Berge und 
die schlechten Wege verschwunden, dass dieser Umstand geradezu 
befremdet, und in der That haben wir in dieser Ebene die grossartige 
Wirkung eines geologischen Ereignisses vor uns. Bis nach Scutari 
und über den Drin wurden die schroffen Mauern des Küstengebirges 
durch tektonische Störungen abgebrochen und bildeten die innerste 
Bucht des grossen süd-adriatischen Einbruchskessels; zahlreiche Kalk- 
klippen, die in der Streichungsrichtung des Küstengebirges verlaufen, 
waren die Inseln dieses Golfes, der im Laufe der Jahrtausende wieder 
verlandet wurde. Am Rande der Ebene, bei Dulcigno, soll eine abbau- 
würdige Braunkohlenmine aufgeschlossen und bereits in Angriff ge- 
nommen worden sein; ich hörte davon erst in Cetinje und kann daher 
weder Einzelheiten angeben, noch für die Wahrheit dieses Gerüchtes 
einstehen. 

Wohlgemuth marschirten wir am 3. October in die grüne, wenig 
abwechslungsreiche Ebene und standen nach einer halben Stunde auf 

14* 



212 Durch die Bojana-Ebene nach Scatari nnd zurück nach AntiFari. 

der Holzbrücke (lo Meter), welche einen schmalen Canal überspannt. 
Er leitet den Ueberschuss des Zoganjsko Jezero ins unersättliche Meer, 
denn dieser abilusslose Binnensee entzog durch Versumpfung seiner 
Ufer grosse Strecken fruchtbaren Ackerbodens der Cultur und ist nach 
Anlage des Canals beträchtlich zurückgegangen. 

Wir rasteten einige Zeit in dem Hause eines unserem Marko be- 
freundeten Albanesen und erblickten von dort die Masten der an der 
Bojana-Mündung ankernden Schiffe. Um V22 Uhr war der schmutzig- 
gelbe, 700 Meter breite Riesenstrom und das Kirchdorf Sinkol oder 
Sveti Nikola (8 Meter) erreicht. Zahlreiche Schiffe, meist Küstenfahrer, 
liefen aus und ein, und auch für kleine Dampfer wäre die Bojana zu- 
gänglich, hätten sich an ihrer Mündung die Sinkstoffe nicht zu einer 
fliegenden Barre angehäuft, die mit dem Wechsel von Wind und 
Strömung beständig ihre Lage verändert und bloss noch 2 bis 5 Meter 
unter dem Meeresspiegel liegt. In diesem dritten Hafen seines Landes 
besass der Fürst ein Landhaus, das in seiner Abwesenheit der Bezirks- 
Kapetan inne hatte. Der verantwortungsvolle Posten bedurfte einer 
tüchtigen Kraft, und Kapetan Philipp war seiner Stellung durchaus ge- 
wachsen. Der fein gebildete Mann, der sammt seiner Gemahlin das 
Italienische, Französische und Albanesische geläufig sprach, lud uns 
mit herzgewinnender Freundlichkeit ein und zog uns in eine interessante 
Unterhaltung. Am meisten klagte er über die unausgesetzt anhaltenden 
Fieber, die ihn und seine Familie schon so geschwächt hatten, dass 
sie tagtäglich eine nicht unbedeutende Dosis Chinin einnehmen mussten, 
um einem sofortigen Rückfalle vorzubeugen. 

Unser Pfad führte längs der Bojana hin, und in dem regellosen 
Durcheinander von Feldwegen, Hecken und Sümpfen wussten wir oft 
nicht, wo aus und ein. Nach zwei Stunden betraten wir das Dörfchen 
Re^ und kehrten bei einem katholischen Albanesen ein. Zum ersten 
Male wurden uns hier Süssigkeiten, candierte Aniskömer u. s. w\ vor- 
gesetzt, die in dem Paris aller Albanesen, in Scutari, zubereitet waren. 
Sonst herrschten dieselben Gebräuche \N'ie in Muric; doch waren 
die katholischen Amanten nicht so enthaltsam wie ihre muhame- 
danischen Stammesgenossen, und die Branntweinflasche machte fleissig 
die Runde. 

Vor Einbruch der Dunkelheit bestiegen wir eine Hügelkuppe 
^76 Metern, an deren Fuss sich das kleine Dorf anschmiegte. Die 
dünnbankigen, mit niederem Buschholz bewachsenen Kalke waren des- 
halb von Interesse, weil sie Nummuliten enthielten, also ein isolirter 
Rest der früher durchwanderten Nummulitenkalke waren. Von der 



Darch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück nach Antivari. 213 

Höhe konnten wir die weite Ebene überschauen und entdeckten 
jetzt erst die stahlblaue Wasserfläche des Zoganjsko- und Sas-Sees, 
während sich die blutrothe Scheibe der untergehenden Sonne in der 
vielgewundenen Bojana wiederspiegelte. 

Von unserem Hügel und einem ihm gegenüberliegenden, auf 
welchem türkische Soldaten eben Befestigungen anlegten, wird der ge- 
waltige Strom zum ersten Male eingeengt. Allmählich treten die letzten 
Ausläufer des Küstengebirges und die flachen Flügel des linken Ufers 
näher zusammen, und die Gegend verliert den Charakter einer voll- 
kommenen Ebene. Sonst bot unser Marsch nach dem Grenzorte Sneri 
oder Sveti Djordjijo eben so wenig etwas 'Neues wie der Rückweg 
längs des Gebirges nach Zoganj. Das Bemerkenswertheste waren die 
Rudisten, die der Mali Brijeg (Kleiner Hügel) bei Kneta, einem halb 
verfallenen Weiler zwischen jenen beiden Orten, enthielt. 

In Zoganj wusste unser Dolmetscher ebenfalls ein gastliches Dach, 
und wir wurden von seinem Freunde, einem wohlhabenden albanesischen 
Grundbesitzer namens Marko Uijk, aufs herzlichste empfangen. Die 
Frauen mussten eine grosse Kanne Feigenschnaps herbeiholen, und 
auf die erste folgte bald eine zweite. Das einzige Glas unseres Wirthes 
kreiste ohne Aufhören von Mund zu Mund; es wurde auf gegenseitige 
Gesundheit, auf das Wohlergehen von Haus, Familie und Staat ge- 
trunken, und wenn unsere Complimente erschöpft waren, so begnügten 
wir uns mit einem einfachen Biviol oder Na Zdravlje (Zur Gesundheit) F 
Als Dankeswort folgte das übliche Biviol Zdravi bio (Ich bin gesund 
gewesen)! oder Bog ti da zdravlje (Gott gebe dir Gesundheit)! und so 
ging es bis zum Mittagsmahle hin und her. Natürlich wurde uns auch 
die unvermeidliche Cigarrette gereicht; denn überall waren die abge- 
ernteten Tabaksblätter zum Trocknen aufgehängt, und Marko Uijk nahm 
eine Handvoll derselben, legte sie auf eine Maschine und schnitt soviel als 
wir brauchten, in feine, dünne Streifen. Die eben so einfache als 
praktische Maschine bestand aus einem mit einer Rinne versehenen 
Holzbalken, an dessen Ende ein scharfes, breites Messer befestigt war; 
in der Rinne wurde das Blätterbündel langsam vorgeschoben und 
durch einfaches Niederdrücken des Messers abgeschnitten. Im Nu hatte 
sich die Familie unseres neuen Freundes um uns versammelt, und ein 
kaum 16-jähriger Bursche wurde uns als glücklicher Bräutigam vorge- 
stellt, der demnächst heiraten wollte. Er sah noch recht kindlich aus, 
doch das that dem kleinen Manne keinen Abbruch; sind doch im Orient 
frühe Heiraten nichts Ungewöhnliches! Bei unserem Gespräch spielte 
natürlich Scutari und die Unsicherheit jenseits der Grenze eine Haupt- 



2X4 Durch die Bojana-Ebene nach Scatari und zurück nach Antivari. 

rolle, und wenn dabei auch vieles übertrieben war, so entsprachen 
im Grunde genommen die Mittheilungen doch den thatsächlichen Ver- 
hältnissen. 

Im ganzen sind die montenegrinischen Albanesen fleissige, wohl- 
habende Menschen; als getreue Unterthanen jedoch lassen sie mancherlei 
zu wünschen übrig, da sie es schwer empfinden, dass der arme Mann 
über den reichen herrscht. An einem Kriege gegen ihre Glaubensge- 
nossen würden die muhamedanischen Amanten wohl nur mit Wider- 
streben theilnehmen, und immer sprechen sie in einem Athemzuge vom 
Landesfürsten und vom Sultan. Zwar hält sie das montenegrinische 
Regiment streng darnieder, jedoch der ungünstige Verlauf der Grenze 
leistet einem Verbrecher in jeder Weise Vorschub, und mancher Mörder 
entkam ungestraft auf türkisches Gebiet. Trotzdem kann der Sprach- 
kundige allein und ungefährdet Montenegrinisch-Albanien durchstreifen, 
wehe aber dem, der das im Nachbarstaate versuchen wollte. Die 
türkischen Albanesen stehen zur Regierung in einem sehr lockeren 
Abhängigkeitsverhältnis; sie haben einige Abgaben, z. B. die Kriegs- 
steuer zu entrichten, aber oft genug verweigern sie dieselben und lassen 
es auf die Entscheidung der Waffen ankommen. Bismarck's berühmtes 
Wort: »Wir Deutsche fürchten Gott und sonst Niemanden in der 
Welt!« hat auch bei den Amanten seine Geltung, nur lautet es bei 
ihnen: »Wir Albanesen fürchten Niemanden ausser Gott und auch 
diesen nur ein wenig!« Kein Wunder, dass sie von der türkischen 
Herrschaft nichts wissen wollen; sagte doch ein alter Malissore zu mir: 
»Wenn du einmal in unser Land reisen willst, so komme nicht etwa 
mit türkischen Gendarmen, denn dann findest du verschlossene Thüren; 
gehst du hingegen mit zweien von uns, so bist du sicherer als unter 
dem Schutze von zwanzig Türken!« Unter diesen Verhältnissen muss 
es als ein groser Fortschritt der türkischen Machtbefestigung gehen, 
dass der energische Gouverner von Scutari, Ferik Pascha, den unbot- 
mässigen Stämmen 50.000 Gewehre abgenommen hat, da frühere Ver- 
suche von den Albanesen schroff abgelehnt wurden. 

Fast täglich hört man von einem Morde, und es mag Wenige 
geben, die ihre Hand nicht mit Menschenblut befleckt haben. Doch 
nicht im offenen, ehrlichen Kampfe, sondern feige und wohlversteckt 
aus dem Hinterhalte lauern die elenden Strauchdiebe ihrem Opfer auf, 
und ein beliebter Kunstgriff besteht darin, sich hinter einem Busche 
schlafend zu stellen. Daher schiesst der vorsichtige Reisende auf jeden 
am Wege schlafenden Albanesen, und unser Begleiter Marko rettete auf 
diese Art zweimal sein Leben. Wie oft aber erreicht der Schurke seinen 



Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück nach Antivari. 215 

Zweck und flieht nach vollbrachter That in ein Dorf, wo man ihn an- 
standslos aufnimmt und vor den nachforschenden Gendarmen verbirgt. 
Einige Tage vor unserer Ankunft in Re6 hatte ein Arnaut seinen Feind 
aus Blutrache, — ein barbarischer Brauch, der in diesen Gebieten noch 
in furchtbarer Blüthe steht, — erschossen und Hess dessen Bruder in 
beissendem Hohne sagen: »Komm und begrabe deinen Bruder, ich habe 
ihn getödtet!« Darauf entfloh er und lebt irgendwo unbehelligt weiter,' 
bis ihn vielleicht doch die gerechte Strafe, sei es durch die türkischen 
Behörden oder durch die Kugel des unermüdlichen Rächers, ereilt. 

Alle diese Umstände waren nicht darnach angethan, einen Besuch 
von Scutari auf dem Landwege als etwas Verlockendes erscheinen zu 
lassen; da aber unsere Freunde die Schönheiten von Scutari mit be- 
redter Zunge schilderten, so konnte ich der Versuchung nicht mehr 
widerstehen. »Wollen wir nach Scutari gehen?« fragte ich. »»Wir 
wollen«, riefen meine Leute wie aus einem Munde »da es im Gmnde 
unrecht wäre, wenn wir, unserem Ziele so nahe, Skadar nicht gesehen 
hätten.«« So brachen wir um V22 Uhr eilends auf, weil wir hofften, 
noch vor Abend in dem Bagdad Albaniens einzutreffen. Nach einer 
Stunde hatten wir das Kirchdorf Snerä hinter uns und betraten klopfen- 
den Herzens die schmale Holzbrücke, die über den Ausfluss des Sas- 
Sees geschlagen war. Noch ein Schritt, und das ungastliche Albanien 
nahm uns auf. Der Charakter der Ebene war derselbe wie drüben in 
Montenegro; daher widmeten wir unsere Aufmerksamkeit ganz und gar 
der Strasse. Vorsichtig spähten wir nach den Zäunen zur Rechten 
und Linken und schauten unverwandt nach den Baumkronen; denn 
düstere Wahrzeichen verkündeten, dass es mit der Sicherheit durchaus 
nicht aufs beste bestellt war. Wir waren kaum einige Minuten jenseits 
der Grenze, als uns ein Grabstein auffiel, der dort errichtet war, 
wo ein unglücklicher Reisender seinen Tod von Mörderhand ge- 
funden hatte. Mit jedem Fuss breit mehrten sich diese stummen Zeugen 
einer Blutthat und häuften sich stellenweise so, dass fünf, sechs und 
mehr neben einander lagen. 

Nach einer zweiten Stunde sehen wir uns dem Weiler Belaj 
gegenüber, wo zwei Hügel so nahe an die Bojana treten, dass sie den 
geeignetsten Platz für Sperrforts darbieten und wirklich von Feld- 
schanzen gekrönt sind. Hier beschreibt der Strom eine solche 
Biegung, dass deren Umgehung einen zeitraubenden Umweg erfordern 
würde. Deshalb führt eine Fähre über die trägen, schmutzigen Fluthen, 
und ein zerlumpter Albanese setzte uns über, der ausser seiner Be- 
zahlung sofort ein Trinkgeld, ein Backschisch, verlangte. Wir ver- 



2l6 Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück nach Antivari. 

trösteten den wackeren Bootsmann bis zu unserer Rückkehr, konnten es 
aber trotz unserer beschränkten Zeit nicht ausschlagen, einen Kaffee 
zu trinken. Die verdächtigen Gesellen, die sich in der rauchigen Hütte 
aufhielten, benützten die Gelegenheit, um mitzutrinken, denn für sie 
verstand es sich ja von selbst, dass wir alles bezahlen würden. Rüstig 
durchmassen wir die Niederung, die im Verhältnis zu ihrem cultur- 
fähigen Lande noch lange nicht ausgiebig genug bebaut war; und als 
wir nach 5 Uhr in Oboti ankamen, ging der kurze Herbsttag bereits 
zur Rüste. Daher hielten wir es für gerathener, nicht weiter zu mar- 
schieren, und Hessen uns ans rechte Ufer des 700 Meter breiten Stromes 
rudern, wo uns die kaiserlich türkische Zollwache in Gestalt eines 
nichts weniger als höflichen und elegant gekleideten Beamten den Pass 
abverlangte. Der gestrenge Herr richtete seine Augen durchdringend 
auf mich, und ich zog es vor, Barometer und Thermometer im Ge- 
heimen abzulesen, damit man mich wegen dieser unschuldigen Instru- 
mente nicht zu einem Spion stempelte. Ein einfacher Han gewährte 
uns eine leidliche Unterkunft, und die wie ferner Kanonendonner herüber- 
schallende Brandung wiegte uns in festen Schlummer. 

Die steilen, erdigen Ufer der Bojana sind 5 Meter hoch 
und höher geworden, die Wassertiefe dagegen ist von 5 Meter auf i 
und 2 Meter gesunken, so dass grössere Schiffe nicht weiter vordringen 
können und ihren Inhalt auf die flachen Londras umladen müssen. 
Um deswillen ist Oboti der beste Ort für eine Zollstelle, und zur Ueber- 
wachung des Stromes liegt hier ein Raddampfer vor Anker, der bei 
Hochwasser von Scutari bis zum Meere verkehren kann. Unser Dol- 
metscher fand einige Bekannte aus Dulcigno wieder, und ein herculischer 
Neger beehrte uns alsbald mit Raki und Kaffee. Ans Bezahlen dachte 
er nicht, und so hatte er nebst einigen anderen eine erkleckliche Zahl 
von Kreidestrichen auf dem Kerbholze, eine Einrichtung, die dem- 
nach das halbwilde Albanien nicht minder kennt wie das civilisierte 
Abendland. 

Am 5. October waren wir sehr früh auf den Beinen und wanderten 
mit verdoppelter Schnelligkeit Scutari entgegen, dessen weisses Castell 
uns schon lange entgegenleuchtete. Deutlich konnten wir die Zer- 
störungen beobachten, welche die Bojana alljährlich an ihren Ufern 
und dem umliegenden Lande anrichtet. Tiefe Buchten waren in das 
weiche Schwemmland gewühlt, und mächtige Erdmassen stürzten in 
den fischreichen Strom hinab, BaiTen und fliegende Inseln bildend und 
raubgierigen Möven einen erwünschten Ruheplatz darbietend. An 
seichten Stellen hatten sich vielästige Bäume verfangen, Sand, Erde, 



Durch die Bojana-Ebene nach Scatari und zurück nach Antivari. 217 

Zweige und Holzstücke setzten sich an ihnen fest und verwuchsen zu 
neuen Inseln, bis eine kräftige Hochwasserströmung die eine oder 
andere derselben fortriss. Infolge dieser Verstopfungen hat der Strom 
an Breite gewonnen und an Tiefe verloren, er musste sich andere 
Auswege suchen und brach da durch, wo er den schwächsten 
Widerstand fand. Eine ebenfalls den Charakter der Verwilderung 
tragende Vegetation verhüllte die Ufer, und oft mussten wir uns durch 
eine dichte Wand von Ulmen, Erlen und Espen, durch Farnkraut, 
Weidengebüsch und Dornensträucher hindurcharbeiten, die nur in der 
Nähe eines Dorfes Weinreben, Feigen, Nussbäume und Aecker an- 
muthig unterbrachen. 

Die Fundamente einer türkischen Strasse und die zunehmende 
Menge der Häuser verkündeten die Nähe der Metropole Ober-Albaniens. 
Wir holten zwei Gendarmen ein, deren Uniformen bedenkliche Risse 
und Flecken aufwiesen und deren mit Rost überzogene Carabiner uns 
keine sonderliche Achtung vor dem türkischen Armeewesen einflössten. 
Nun engte der Tarabos im Verein mit dem Bergkegel von Scutari zum 
letzten Male die Bojana ein, und die Strasse war in den Felsen hinein- 
gesprengt. Die Festung, wiederum ein Werk der Venetianer, ist nicht 
mehr in bestem Zustande und hat an strategischem Werthe sehr 
verloren, da sie von dem 400 Meter höheren Tarabos leicht bestrichen 
werden kann. 

Doch das grösste Interesse hat für den Naturfreund die Ver- 
einigung von Drin und Bojana südwestlich des Festungsberges. Baum- 
inseln, Schlamm- und Sandbänke werden von seichten Wasserstreifen 
umschlossen, die ihrerseits in die sumpfige Niederung übergehen. Senk- 
recht zu dieser schmutzigen Wasser- und Morastfläche, welche die 
Bojana darstellt, mündet eine breite, trockene Rinne ein, die hoch 
hinauf mit Gerollen erfüllt ist und einen mächtigen Schuttkegel in den 
Hauptstrom vorgeschoben hat. Das ist der Drin, der im Winter 
1858/59 die Ebene durchbrach und sich rechtwinklig in die Bojana 
einbohrte. Zwar hatte er schon früher seine Richtung mehrfach ge- 
wechselt, aber so gross war seine Geröllführung und mechanische 
Wirkung noch nie gewesen. Die schon im Sommer, geschweige denn 
im Winter unzureichenden Abzugsöfifnungen zwangen nunmehr das 
Wasser zum Stillstande, zur Versumpfung und trieben es in den 
Scutari-See zurück. Ausgedehnte, lang anhaltende Ueberschwem- 
mungen wurden unvermeidlich ; allwinterlich steht der Bazar von Skadar 
unter Wasser, und eine durchgreifende Stromregulierung ist nothwendig, 
um das Schlimmste abzuwenden. Vor allem muss der Drin in sein 



2x8 Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurtick nach Antivari. 

altes Bett zurückgedrängt und die Bojana auf der seichten Strecke von 
Scutari bis Oboti ausgebaggert werden. Dann können die Ueber- 
schwemmungen keinen so hohen Stand mehr erreichen wie bisher, weil 
ihre Ursache, der verzögerte, ungenügende Abfluss, beseitigt ist, und 
überdies würden umfangreiche Moraststrecken in fruchtbares Ackerland 
umgewandelt. 

Schon eine geraume Weile waren beiderseits des Festungskegels 
einzelne Gebäude und die wohlbekannten Minarets sichtbar geworden. 
Sie boten aus der Ferne ein recht freundliches Bild, aber jetzt trugen 
sie einen entschieden kleinstädtischen, verwahrlosten Anstrich. Das war 
also das oft genannte Skadar der Serben, das viel gepriesene Skodra 
der Albanesen ! Ich muss gestehen, dass mich sein Anblick enttäuschte 
und meine Vorstellungen sofort zerstörte, die mir die Königin Ober- 
Albaniens als eine echt türkische Stadt, ausgestattet mit allen Reizen 
der orientalischen Pracht, erscheinen Hessen. Und nun die schmutzigen 
Häuser und eine 250 Schritte lange, wackelige Holzbrücke, die über 
die missfarbige Bojana führte. Doch wir haben zu Betrachtungen wenig 
Zeit, denn die am Ende der Brücke stationierte Polizeiwache hält uns 
an und fragt nach dem Passe, dessen Inhalt natürlich kaum be- 
achtet wird. 

Zuerst gelangen wir auf den Bazar, der entschieden das Eigen- 
artigste von Scutari ist. Er besteht aus 2000 offenen Läden oder leicht 
gebauten Baracken, die sich zu einem Labyrinthe von Gassen zusam- 
menschliessen. Allerdings gibt es auch in der eigentlichen Stadt Ver- 
kaufsstände übergenug, doch drängt sich hier das unruhige Hasten und 
Treiben zusammen, während dort eine schläfrige Langweile herrscht. 
Die vorspringenden Ladendächer, aufgespannte Leinwandschirme oder 
üppig sich emporrankender Wein machen die engen dunklen Gassen 
noch dunkler, und wegen der Menschenmenge, die sie erfüllt, ist unsere 
Wanderung ein ununterbrochenes Drängen, Schieben, Stossen und Aus- 
weichen. Finster blickende Albanesen, reich gekleidete Scutariner, bis 
an die Zähne bewaffnete Polizisten und Soldaten, dicht verschleierte 
Türkinnen, Albanesinnen im kurzen, rothgestreiften Rock und einzelne 
Söhne Afrikas wogen in buntem Durcheinander an uns vorüber. Und 
was für zierliche Dinge findet man nicht in den Läden ! Fein gear- 
beitete Schuhe, elegante Ledersachen, vielfarbige Truhen und geschmack- 
volle Klempnerei- Erzeugnisse sind am häufigsten vertreten, Holzschnitzer 
fertigen gefällig zugerichtete und bemalte Stühle, Tischchen und Wand- 
schränke an^ und der Töpfer legt die bauchigen Krüge aus, die in keiner 
albanesischen Wirthschaft fehlen. Dort hängt der Metzger sein nicht 



Durch die Bojana>£bene nach Scutari und zurück nach Antivari. 2 IQ 

gerade appetitliches Fleisch auf, und hier breitet der Bäcker seine dün- 
nen Brotfladen oder eine beliebte Leckerei der Scutariner, fingerdicke 
Maiskuchen mit Obstfülle, aus, und vor den verlockenden Süssigkeiten 
eines Conditors bleiben die schönen Scutarinerinnen stehen. Gleich darauf 
fesselt sie das glänzende Geschmeide eines Goldschmiedes, und so kann 
man stundenlang gehen und schauen. Wie in den Markthallen unserer 
grossen Städte die Anordnung der Verkaufsstände nach gewissen Grup- 
pen geschieht, so wird auch hier diese Strasse vornehmlich von den 
Bäckern, jene von den Getreide- und Reishändlern eingenommen, dort 
sind die Fleischer oder Schmiede in der Ueberzahl, und an einer an- 
dern Stelle erfreuen die Fische des Skadarsko Jezero und der Bojana 
das Auge. Bald kommen die Tuch- und Teppichhändler, bald die Nipp- 
sachenverkäufer, deren Gegenstände wohl ausschliesslich mittel-euro- 
päisches Fabrikat sind. Dazwischen halten Obsthändler ihre Früchte 
feil, und aus den Tabaksläden strömt der aromatische Geruch des edlen 
Scutariner Krautes, das bekanntlich einen Weltruf geniesst. Beständig 
laufen schreiende Fleischverkäufer und flinke Jungen hin und her, die 
in glühenden Kohlenbecken die kleinen Tässchen und die kleinen 
blechernen Kaffeekannen in die Läden tragen. 

Um das Volksleben recht kennen zu lernen und meinen nicht 
mehr allzustraffen Geldbeutel zu schonen, vertauschte ich das H6tel 
— Scutari besitzt deren zwei — mit der Behausung eines türkischen Gar- 
koches, deren es neben Schenken und Kaff'eehäusern eine grosse Zahl 
gibt. Es wurde uns ein mit Matten belegter Raum im oberen Stock 
eingeräumt, und mit Wohlbehagen verzehrten wir die türkischen Ge- 
richte, eine säuerliche Suppe mit kleinen Fleischwürfeln und eine fette, 
süsse Mehlspeise. Viele Gäste gingen aus und ein und wählten sich unter 
den Gerichten aus, die auf kleinen Blechtellern bereit standen. Dann 
wuschen sie sich die Hände, zogen die Schuhe aus und setzten sich 
mit gekreuzten Beinen auf das Strohgeflecht, nach dem Essen wuschen 
sie sich abermals und gingen ebenso schweigend und würdevoll von 
dannen, wie sie gekommen. Eben wollte ich meine Instrumente ablesen, 
als mich ein türkischer Polizist vertraulich auf die Schulter klopfte und 
zum zweiten Male nach meinen Papieren fragte. Vielleicht hoffte er, 
sich ein Backschisch zu erjagen; aber ich wies ihm kaltblütig meinen 
Pass hin und wartete mit der Beobachtung, bis der pflichteifrige Diener 
der heiligen Hermandad um die Ecke bog. 

Wir wollten nun auch der Stadt einen Besuch abstatten, die sich 
eine gute Viertelstunde entfernt längs des langgestreckten Festungs- 
berges hinzieht und mit dem Bazar durch eine vortreffliche Fahrstrasse 



2 20 Durch die Bojana Ebene Dach Scotari und zurück nach Antivari. 

verbunden ist. Zur Linken dehnt sich eine sumpfige, baumbewacbsene 
Wiese aus, die im Winter unter Wasser steht und in die stahlblauen 
Fluthen des Scutari-Sees übergeht, dessen Charakter als überschwemmte 
Niederung hier ganz augenfällig ist Ohrenzerreissendes Trompeten- 
geschmetter schallt uns entgegen ; Dutzende von Soldaten lagern auf dem 
grünen Plane und üben sich im Signalblasen, denn Skadar gleicht 
einem grossen Kriegslager und hat eine starke Garnison von Truppen 
aller Waffengattungen. Rasch eilen wir aus dem Bereiche dieser ab- 
scheulichen Musik und betreten die Stadt (ii Meter); aber noch immer 
will sie uns ihren orientalischen Charakter nicht offenbaren, sondern 
eine breite Strasse mit Häusern abendländischen Stiles nimmt uns auf. 
Da finden wir das russische, österreichische und griechische Consulat, 
die Tabak-Regie, die Hotels u. s. w. Das türkische Post- und Telegraphen- 
amt und das österreichische Postamt sind in türkischen Häusern unter- 
gebracht. In allen Haupt- und Handelsstädten des Osmanischen Reiches 
besitzt die eine oder andere europäische Grossmacht eine Postanstalt, 
und so kann uns die Anwesenheit einer österreichischen Post in Scutari 
nicht überraschen. 

Endlich beginnen die türkischen Häuser, und die krummen, hoch 
ummauerten Gassen haben dasselbe nüchterne Aussehen wie in jeder 
orientalischen Stadt. Grosse Thorwege sperren das Innere des Hofes 
ab und machen es unmöglich, hinter seine Geheimnisse zu dringen, ja 
man verliert darüber leicht die Orientierung, denn der sich ohne jeden 
Plan kreuzenden Strassen gibt es unzählige, und noch immer soll in 
ihnen der Christ vor dem thätlichen Angriffe eines fanatischen Moslims 
nichr sicher sein. Regellos — im Orient ist ja Regellosigkeit die 
Regel — sind auch die Friedhöfe angelegt ; oft gruppieren sie sich um 
eine Moschee oder Schule, und stürmt nach beendetem Unterrichte die 
liebe Jugend mit Schreien und Zanken heraus, so fragt man sich allen 
Ernstes, ob man auf einem Kinderspielplatze oder einer Ruhestätte der 
Todten angelangt ist. Zuweilen liegen die Gräber beiderseits der Strasse, 
und dort sitzt mit Vorliebe der bettelnde Faullenzer, um sich sein Brot 
durch Nichtsthun zu verdienen. Endlich stehen wir vor einem stattlichen, 
in europäischem Stile gehaltenen Uhrthurme und vor der mächtigen 
Kaserne, die wie eine kleine Festung mit Wall und Graben umgeben 
ist und auf drei Seiten einen geräumigen Hof umschliesst. Ihre zwei- 
stöckigen Gebäude, die den mitteleuropäischen Kasernen aufs Haar 
gleichen, beherbergen die gesammte Garnison und gewähren auch dem 
Pascha von Scutari Wohnung. Ein türkisches Bad fehlt selbstverständ- 
lich nicht, und ein kleiner, wohlgepflegter Park bildet den Abschluss der 



Durch die Bojana-Ebene nach Scatari und zurück nach Antivari. 221 

Sehenswürdigkeiten. So entspricht Skadar trotz seiner 30.000 Einwohner 
und als Hauptstadt des gleichnamigen Paschaliks einer gewöhnlichen 
türkischen Stadt, die wenig von dem geheimnissvollen Zauber des 
Morgenlandes an sich hat. 

Die brennende Sonne neigt sich zum Horizonte, und die Kühle 
des Spätnachmittags lockt die Menschen aus ihren vergitterten Häusern. 
Scharen türkischer Frauen, begleitet von gravitätisch einherschreitenden 
Eunuchen, huschen schüchtern und sich zugleich neugierig umblickend 
über die Strasse; Scutariner, Officiere und reich ausstaffierte Neger 
plaudern in kleinen Gruppen, und stark bewaffnete Albanesen machen 
sich nach ihren freien Bergen auf. Die Posten treten stets mit gelade- 
nem Gewehr und patronengespicktem Gürtel an, und ebenso halten die 
Polizeimannschaften den Revolver schussbereit, da der wilde Arnaut in 
Scutari oft seinen Gegner trifft und ohne Gnade und ohne an seine 
eigene Sicherheit zu denken, niederschiesst. 

Nach einem Ausfluge an den Drin, den See und die von Fischerei- 
reusen fast versperrte Bojana suchten wir den Bazar wieder auf und 
kehrten bei einem andern Garkoch ein. Das verdross indessen seinen 
Nachbar, und als mein Diener sein Messer von ihm zurückforderte, 
welches er am Morgen in dessen Hause vergessen hatte, wollte er es 
nicht herausgeben und bequemte sich hierzu erst auf energisches Ver- 
langen. Als wir ihn ob seines Benehmens zur Rede stellten, anwortete 
er gereizt, er hätte das Messer eigentlich behalten sollen, weil wir bei 
ihm nicht zu Abend gegessen hätten. Nach diesem sonderbaren Zwischen- 
fall mussten wir schleunigst den Heimweg in unsern Han jenseits der 
Brücke antreten, denn es dunkelte stark, die meisten Kaufleute hatten 
ihre Läden schon geschlossen, und das rege Leben war überraschend 
schnell verstummt. Noch lange genossen w^ir am offenen Fenster die 
milde Abendluft und blickten auf die weite Stadt, die wie ausgestorben 
schien. Zuweilen zog eine Patrouille gemessenen Schrittes vorüber, dann 
wurde wieder alles still, und nur den Wind hörten wir leise in den 
Blättern rauschen, da lästige Insecten uns erst gegen Morgen einen 
kurzen Schlaf gönnten. 

Der 6. October war zur Abreise von Scutari bestimmt; als wir je- 
doch zum Fenster hinausschauten, war der Himmel dicht umwölkt und 
sandte einen wolkenbruchähnlichen Gewitterregen hernieder. Drei Stun- 
den hielt derselbe an, und erst um 9 Uhr konnten wir an den Abmarsch 
denken. Der Weg freilich war überall aufgeweicht und mit knöcheltiefen 
Pfützen bedeckt; denn Skadar steht mit dem Meere bloss durch kunstlose 
Saumpfade in Verbindung, die von einem kräftigen Regen in einen ein- 



222 Darch die Bojana-Ebene nach Scutari und zarück nach Antivari. 

zigen Morast verwandelt werden. Ungeachtet des Schmutzes und der 
sonstigen Unannehmlichkeiten eilten wir vorwärts, brannten wir doch 
vor Verlangen, den sicheren Boden Montenegros baldigst wieder zu 
betreten. Um lo Uhr rasteten wir in Oboti, setzten bei Belaj zum 
letzten Male über die Bojana und gaben dem bettelnden Fährmanne 
das versprochene Trinkgeld. Um V2 2 Uhr standen wir auf montene- 
grinischer Erde, und ein kräftiges >^ivio Crnagora!« entrang sich unserer 
aufathmenden Brust. Eine Stunde später empfingen uns die albanesischen 
Freunde in Zoganj, und nun gings an ein Erzählen, Essen und Trinken, 
dass wir uns erst spät Abends der feuchten Kleider entledigten und auf 
dem Altan unser Lager bereiteten. 

Mit herzlichem Danke trennten wir uns von den gastlichen Ar- 
nauten, Marko, um nach Dulcigno, wir, um nach Antivari zurückzu- 
kehren. Hinter Zoganj erhebt sich der Mozura-Rücken und wird durch 
ein tiefes, schmales Thal vom Mali Brijeg getrennt. In diese Schlucht 
bogen wir ein, klommen an der stark verkarsteten Mozura empor und 
wanderten in der flachen Mulde von Gorana (250 Meter) fort. Der klüf- 
tige Kalk war von wohlriechendem Salbei und dickblätterigen Eichen 
überwuchert, und am Beckenrande lagen die Häuser der Albanesen. 
Einer von ihnen bot uns eine Tasse Kaffee an, und wir leisteten seiner 
Einladung Folge. Diese hatte aber den Zweck gehabt, uns zu einem 
Gegendienst zu verpflichten, denn der schlaue Eingeborene führte mich 
zu seiner kranken Frau und bat mich, ich solle sie gesund machen. 
Wie es dem Fremden bei einem naturwüchsigen Volke so oft ergeht, 
so war ich wieder einmal für einen Arzt gehalten worden und musste 
meine Unkenntnis hinter einer ernsthaften Miene und einigen allge- 
meinen Worten verbergen, um dem Ansehen des Europäers keine 
Blosse zu geben. 

Eben lenkten wir bei Kunje in die vor einer Woche begangene 
Strasse ein, als uns ein reisender Handwerksbursche begegnete. Gilt der 
fahrende Gesell schon bei uns als eine originelle Gestalt, wieviel mehr 
musste seine Anwesenheit in einem Lande überraschen, wo man ihn 
kaum vermuthet! Sonst verlief unser Marsch bis Pristan Bar ohne 
dass sich etwas Bemerkenswertes ereignet hätte. Nur die vor kurzem 
noch spärlichen Rinnsale glichen infolge des Regens brausenden Bächen, 
und die schmalen Wasserläufe der Ebene von Antivari waren so breit 
und tief geworden, dass mich Marko hinübertragen musste. War also 
unsere W^anderung mit einigen Hindernissen verknüpft, so sollte der 
letzte Theil derselben noch unangenehmer werden. Die Niederung ist 
reich an wilden Tauben, und die Umwohner liegen deren Jagd mit 



Durch die Bojana-Ebene nach Scatari und zuiück nach Antivari. 223 

einer gewissen Leidenschaft ob. Auch heute knallte bald hier, bald dort 
ein Schuss, und plötzlich stiessen wir auf einige Männer, die, obwohl 
sie uns bemerkt und unsern warnenden Zuruf vernommen hatten, in 
blindem Eifer dreinfeuerten, so dass uns die Schrote um das Gesicht 
flogen, glücklicherweise ohne Schaden anzurichten. Als wir die Unvor- 
sichtigen darob anfuhren, waren sie sogar so naiv, uns ihre Beute 
zum Kaufe anzubieten. Noch mehr. An der Brücke, welche im 
Zuge der Fahrstrasse einen Bach überspannt und wenige Minuten 
vom Hafen entfernt ist, hatten wir einige Zeit gerastet und waren in 
fröhlichster Stimmung bis zu den ersten Häusern des Pristan gelangt, 
als ich mein Tagebuch mit den Aufzeichnungen der letzten beiden 
Monate vermisste. Um so grösser ward mein Schrecken, als ich es auf 
der Brücke nicht mehr fand, obwohl ich mich genau entsann, es dort 
zuletzt in der Hand gehabt zu haben. Schon wollte ich niedergeschlagen 
die aussichtslosen Bemühungen aufgeben, als mein Diener ausrief: 
»Herr, ich sehe Ihr Buch!« Und wirklich, da ragte ein kleines Endchen 
desselben unter einem Steine hervor, der unter der Brücke halb im 
Wasser lag. Sofort sicherte ich mir den kostbaren Fund, Marko da- 
gegen, auch hier das Richtige erkennend, holte zwei Jungen ein, die 
eilends Fersengeld gaben. Obgleich das Buch für sie nicht den geringsten 
Werth hatte, ganz abgesehen davon, dass sein Inhalt in deutscher 
Sprache geschrieben und obendrein stenographirt war, so waren sie 
unehrlich genug, es an sich zu nehmen, und ich musste es als 
ein Glück betrachten, dass sie das gestohlene Gut nicht gleich mit- 
genommen hatten. Wir verspürten nicht wenig Lust, ihnen eine hand- 
greifliche Strafe zu Theil werden zu lassen ; aber ihr Vater, der an der 
Volovica Steine klopfte, war über unsere Absicht sehr erbost, statt seinen 
SprössHngen den Unterschied zwischen Mein und Dein gehörig klar zu 
machen. Nach diesem letzten und bedenklichsten Zwischenfalle suchten 
wir die Locanda auf, um uns für den morgigen genussreichen Marsch 
zu stärken. 



224 Darch 'Jic Cnnmca nach Cerinjc und aber den Lovcen nach Cattaro. 



20. Capitel. 

Durch die Crmnica nach Cetinje und über den 

Lovcen nach Cattaro. 



Wenige Tage noch, und ich stand am Ende meiner Reise; an- 
genehm war dieser Gedanke, und doch mischte sich in die Freude ein 
unbestimmtes wehmüthiges Gefühl, wenn ich der schönen Stunden ge- 
dachte, deren ich in den Schwarzen Bergen so viele erlebt hatte. Bald 
frohen, bald ernsten Sinnes schritten wir durch die Ebene, bis zur Weg- 
kreuzung am Gebirgsrande immer der neuen Strasse folgend. Statt- 
liche Ortschaften, wie es deren vor dem Südthore von Antivari gab, 
waren auf der Nordseite nicht minder zahlreich, und hier wie dort 
grünte eine üppige Vegetation. Je mehr wir auf der vortreflFlichen 
Kunststrasse anstiegen, die den Wanderer mühelos auf den Sutorman- 
Pass hinaufbringt, um so ausdrucksvoller traten die zackigen Mauern 
des Küstengebirges hervor, und um die kahlen Häupter wogte ein wal- 
lender, sich proteushaft verändernder Nebel. Als die kleinen Dörfer 
Sustaä (174 Meter) und Tudjemile (308 Meter) hinter uns lagen, gewann 
das Pflanzenkleid ein anderes Aussehen. Die Oliven, Feigen und anderen 
Vertreter der südeuropäischen Flora machten dickblätterigen Eichen 
Platz, die als ausgedehnter Niederwald die Lehnen bedeckten. Die Ein- 
lagerungen der Werfener und Wengener Schichten stachen unver- 
kennbar vom Triaskalke ab, und die Bäche, die uns auf der Höhe 
einen kühlen Trunk gespendet, flössen zwischen beiden Orten zur 
i^elesnica (Eisenwasser) zusammen. In Tudjemile, einer der letzten al- 
banesischen Siedelungen, rasteten wir in Gesellschaft mehrerer be- 
dauernswerther Crnogorcen, die im Ötoj ihr Glück zu finden hofften, 
aber vom Fieber geschwächt und ärmer als zuvor in ihre rauhe Heimat 
zurückkehren mussten. Der beschwerliche Steig über die Bijela Skala, 
an dem wir uns vor zehn Tagen versucht hatten, kam stellenweise der 
neuen Strasse sehr nahe, allein ein überaus schroffer Abhang trennte 
beide von einander. Die tiefen Wasserrisse zwangen die Strasse öfters 
zu weiten Biegungen; trotzdem zog ich es vor, auf ihr zu bleiben, da 
wir mit unserer Zeit nicht zu geizen brauchten und da ich die kunst- 



Darch die Crmaica nach Cetinjc ood aber den Lorcen nach Cinuo. -2^ 

volle Anlage kcDnea. lernen wollte, der die Strasse von Cattaro nach 
Cetinje zum Vorbilde gedient hat. Schlangengleich winden sich die 
Serpentinen empor und erreichen bei der Ueberwindung des Passes ihre 
höchste technische Vollendung. 

Da die Fahrstrasse wieder eine grosse Curve beschrieb, so kürzten 
«■ir sie auf einem Saumpfade ab, der, wie alle seinesgleichen, mit Steinen 
übersäet war und uns unter der heissen Sonnenhitze manchen Seufzer 
abpresste. Und doch bedeutete dieser Pfad, der in gerader Richtung 



Det SnlOTnuii.Pu9 von Tudjcmilc aui. 

von Antivari nach Virbazar führt und an dem auch die Telegraphen- 
leitung hinläuft, die Haupthandelsstrasse über den Sutorman ! Fünf 
malerische und zum Theil gut erhaltene Festungen beherrschten ihn 
gänzlich; das oberste Fort war auf dem Kamme errichtet und 
bestrich zugleich die Einsattelung und die Crmnica - Ebene. Nun 
befanden wir uns im traurigen Karste, und nordischer, niedriger 
Eichenwald überzog das verwitterte Gestein. Welch ein Gegensatz 
zwischen unserer Höhe und den Landschaften unmittelbar an ihrem 
Fusse, die, so schien es, ein Steinwurf treffen musste. Wir waren 

Haxeil. R«iK durch Uoplenegro. 15 



232 Durch die Crmnica nach Cetinje und über den Lovden nach Cattaro. 

von allen Seiten zum Lovden hinauf, und wir wählten den von Bajce 
aus auf die Höhe laufenden Pfad, üeber stark verkarstetes, mit 
dichtem Buchenwalde bestandenes und von zahllosen Dolinen erfülltes 
Kalkgestein stiegen wir mehrere Stunden lang zu einer ausgedehnten 
Ebene empor, die eine sehr unregelmässige Oberfläche besass und in 
die ausgedehnte Mulde Korita überging. Ein kleiner Karstbach und 
nie versiegende Quellen tränken die grasige Niederung; eine derselben 
sprudelt mit mächtigem Strahl unweit einer uralten, zerfallenen Kirche 
aus den Kalkbänken, und ihr ausserordentlich kaltes Wasser (+5^0.) 
fliesst durch eine Reihe von Trögen ab, um sich dann in den blumigen 
Wiesen zu verlieren. Ein schier undurchdringlicher Urwald riesiger 
Buchen umsäumt die vortrefflichen Weiden und die grösseren Becken, 
die in den meisten Fällen wohlbestellte Aecker und menschliche Wohn- 
stätten beherbergen, und aus dem Gewirr von Bergen und Vertiefungen 
erheben sich in stolzer Majestät die beiden Hauptgipfel des Lovden- 
Gebietes, der Stirovnik und der Jezerski Vrh, auch schlechthin Lovden 
g;enannt. Unvermittelt ruht der ungefüge würfelähnliche Coloss des 
Stirovnik auf seiner breiten Unterlage, in vollkommen senkrechten 
Mauern stürzt er zu dem schmalen Dolinenthale ab, das ihn vom Je- 
zerski Vrh trennt, und kein Baum wächst auf seinen wild verkarsteten, 
nackten und schwer zugänglichen Felsen. Ganz anders der ausdrucks- 
vollere Nachbarberg. Zwar ragen seine hellen, nicht selten krystal- 
linischen Kalke ebenfalls in schroffen Wänden empor und werden nur 
in ihren unteren Horizonten von lichtem Eichen- und Buchenwalde über- 
kleidet; aber sie sind zu einem scharfen, schmalen Rücken ausge- 
arbeitet, der beiderseits mit Schutthalden überdeckt ist und einen 
kleineren, sargdeckelartigen Aufsatz trägt. In allen Theilen Montenegros 
ist seine charakteristische Gestalt erkennbar, und als ein weithin sicht- 
bares Wahrzeichen lugt die dem Andenken des Fürsten Petar IL ge- 
weihte Capelle ins Land hinein. Ein sumpfiger See, eigentlich ein 
Teich mit tiefgrünem Wasser, der von unterirdischen Quellen gespeist 
wird und zu gewissen Monaten ganz verschwindet, gibt dem Jezerski 
Vrh seinen Namen Seeberg, und es möchten hier einige abschliessende 
Bemerkungen über die einheimischen Ortsnamen am Platze sein, soweit 
sie auf die Eigenschaften ihrer Umgebung hinweisen. In einem 
trockenen Lande spielen Wasser und Schnee eine hervorragende Rolle, 
daher kehren die entsprechenden Namen am häufigsten wieder, z, B. 
Suvo Polje Trockenes Feld, Dobra Voda Gutes Wasser, Mokro Feuchter 
Ort, Ponorska Gora Schlundgebirge, Ponikvica Loch, Ubli Brunnen- 
oder Cisternenort, Susica Wildbach, Ledenica Pedina Eishöhle, Drecin 



Durch die CrmtiiCB nach Cetinje und über den Lovcen nach Cattaro. 21^ 

Usov Lawinenberg. Der Wald und seine Baumarten spiegeln sich 
wider in den Bezeichnungen Gvozd Urwald, Golija Nacktes Gebirge, 
Travni Do Grasthal, Borovnik Fichtenberg, Lipa oder Lipnik Linden- 
ort, Bukovik oder Bukovica Buchengegend, Dubovik oder Dubrave 
Eichengegend, Jabuka Apfelort, Treänjevo Kirschenort, Javorje Planina 
Ahorngebirge u. a. Die Viehzucht oder das Vorhandensein irgend eines 
Thieres gaben Veranlassungen zu den Namen Zabljak Froschort, Riblje 



Jezero Fischsee, Golubovci Taubenort, Katunska Nahija Sennerei-Bezirk, 
Medjed Bärenberg, Jelen Do Hirschthal, Kosovi Lug Amseinhain. Die 
Farbe bedingt Namen wie Crvena Greda Rothe Klippen, Bijela die 
Weisse, Crno Jezero Schwarzer See u, v. a. Nach der äusseren Form, 
der Lage oder einer Kirche richten sich die Bezeichnungen Crkvice 
Kirchenort, Podgorica Unter dem kleinen Berge, Trogiav Drei Köpfe, 
Bijela Skala Weisse Treppe, Korito Trog, Krivi Do Schiefes Thal, Sto 
Tisch. Aus dem Klima entspringen die Namen Studena Planina Kaltes 
Gebirge, Zupa Sonniges Land, von Volkssagen rühren her Savinkuk 
Berg des heiligen Sava, Drobnjak Land des Riesen Drob, und an die 
bereits erwähnten Familien- und Verwandtschaftsnamen knüpfen an 
Kuüi, Vasojeviöi, Petrovidi, Banjani u. v. a. 



234 Durch die Crmnica nach Cetinje und über den Lovcen nach Cattaro. 

Nach kurzer Rast an der kalten Quelle von Korita wanderten wir 
in die von einigen Häusern belebte Thalrinne zwischen Stirovnik und 
Jezerski Vih und klommen, eine ergiebige Cisterne hinter uns lassend, 
an den steilen Lehnen des letzteren in die Höhe. Die Gewinnung des 
Grates machte keine allzugrossen Schwierigkeiten, denn der vom Fürsten 
angelegte Reitweg lief bis auf ihn hinauf, und ein wendeltreppenartiger, 
durch Mauern geschützter Pusssteig leitete uns in kurzer Frist an den 
senkrechten Zinnen des aufgesetzten Rückens zu dem kleinen, einsamen 
Kirchlein (1657 Meter) empor. Um 12 Uhr betraten wir das nach 
Länge und Breite beschränkte Plateau, in welchem jener Rücken endete, 
und ein schneidender Wind wehte uns entgegen, sodass wir uns fröstelnd 
in unsere Mäntel hüllten. Doch wir achteten nicht der unangenehmen 
Kälte und hörten kaum das Pfeifen des Sturmes, der unsem Stand- 
punkt umtobte, weil das Bild, das sich zu unseren Füssen ausbreitete, 
uns alles Andere vergessen Hess. Wer könnte dieses Panorama be- 
schreiben, gegen welches die Rundsicht vom Durmitor, Vojnik, Ostrog 
oder von Vranina in nichts zusammenschrumpft und dem selbst der 
umfassende Blick vom Kom an zauberischer Schönheit nicht gleich- 
kommt? Wahrlich, ein poetisches Gemüth, wie das des Fürsten Pctar, 
konnte es wieder und immer wieder auf jene starre Höhe ziehen, von 
welcher der als Dichter und Herrscher gleich erprobte Sohn der Schwarzen 
Berge sein kleines Land, das einst allmächtige Serbenreich und das 
türkische Gebiet überschaute, wo er die Gedanken zu seinem berühmten 
Heldenliede Gorski Vijenac, dem Bergkranz, sammelte und wo er, 
seinem Wunsche gemäss, begraben wurde. Leider beeinträchtigte ein 
feiner Nebel die Aussicht, so dass die entfernteren Bergzüge un- 
deutlich aus der Dunsthülle hervortraten; aber das gesammte Monte- 
negro lag wie auf einer Reliefkarte vor uns. Hier spielte die Sonne 
mit den leicht bewegten Fluthen der Bocche, dort leuchtete der Spiegel 
des Scutari-Sees herauf, und am Horizonte verschwand die blaue Adria. 
In wilder Pracht erhoben sich die Albanesischen Alpen und das Küsten- 
gebirge Rumija, und allerorts schweifte das Auge über ein endloses 
Durcheinander von Ketten und Thälern, aus deren Hintergrunde die 
schneebedeckten Zacken des Durmitor und Kom zum letzten Male 
herübergrüssten. Vom grünen Plane hob sich Podgorica ab, die kleinen 
Becken von Cetinje, NjeguS und Kdevo unterbrachen anmuthig das 
Grau in Grau gehüllte Gestein, und 100 Meter unter uns war in einen 
kreisrunden Kessel der See des Jezerski Vrh eingebettet. 

Nur schwer vermochte ich mich von dem überwältigenden Bilde 
zu trennen, und beflügelten Schrittes eilten wir auf dem einzig möglichen 



Durch die Crnmica nach Cetinje und über den Hovcen nach Cattaro. 2^5 

Wege wieder ins Thal hinab, das nach kurzer Wanderung rasch abfiel 
und sich zu der mit Häusern, Feldern und Wiesen bedeckten Mulde 
2anjev Do erweiterte. Die Bocche di Cattaro zeigten sich uns un- 
verwandt, und bei jeder Biegung des erträglichen Pfades schien die 
reizvolle, farbenfrohe Landschaft am Meeresstrand ein anderes Gewand 
anzunehmen, während hoch oben selten ein grünes Becken oder ein 
kleiner Buchenhain die zersprengten, fast vegetationslosen Kalke zierte. 
In ^anjev Do angelangt, hatten wir noch wenige Schritte bis zum Han 
Krstac an der neuen Strasse, und hier verbrachte ich die letzte Nacht 
auf montenegrinischem Boden, um mich noch einmal in die Einfachheit 
der einheimischen Unterkunftsverhältnisse zurückzuversetzen und am 
Morgen mit frischen Kräften auf dem alten, noch heute viel benutzten 
Saumwege nach Cattaro hinabzusteigen. Zwei nebeneinander gestellte 
Holzladen bildeten das Bettgestell, einige Decken das Bett, aber erst in 
der Frühe konnte ich wegen der unbefugten sechsfüssigen Bewohner 
meiner harten Lagerstatt einschlafen und trieb schon zeitig zum Ab- 
märsche. In 67 kurzen Windungen führte der mauer- und geländerlose 
Pfad längs einer schroffwandigen Schlucht an den abschüssigen Lehnen 
hinab zum Meere. Verwitterte Kalktrümmer überdeckten den kümmer- 
lichen, mitunter sogar halsbrecherischen Steig, oft hatte das Wasser tiefe 
Löcher und Risse in die stellenweise vorhandenen Fundamente gewühlt, 
und überall starrten uns seltsame Felsformen an. Ohne Aufhören ging 
es von rechts nach links und von links nach rechts, ja wenn uns die 
Curven gar zu gross dünkten, kürzten wir sie nach montenegrinischer 
Art durch gerade Verbindungswege ab und und kamen rasch an die 
Linie, welche den Besitz des Hauses Habsburg von dem des Hauses 
Petrovid sondert. Auf österreichischem Gebiet wurde der Weg nach 
Breite und Ausbau besser, doch lässt man ihn seit Vollendung der 
Fahrstrasse verfallen, und die Gewalt der Elemente hat bereits mannig- 
fachen Schaden angerichtet. Nach zweistündiger Wanderung standen 
wir vor dem Festungsthore von Cattaro, und ein allzupflichteifriger Zoll- 
wächter unterwarf mein Handgepäck einer peinlichen Durchsuchung. 
Die für die Abreise nöthigen Vorkehrungen waren binnen kurzem 
erledigt, und wir konnten den Nachmittag der Müsse und unseren Ge- 
danken widmen. Am Morgen des 13. October schlug die Scheidestunde, 
und mein treuer Marko Hess es sich nicht nehmen, mich bis an Bord 
zu begleiten. Noch ein herzlicher Abschied, dann mussten wir uns 
trennen; er kehrte zurück zu seinen Bergen, und mich trugen Dampf- 
schiiSr und Eisenbahn eilenden Flugs der Heimat zu. 

16* 



236 



Inhalt. 



I 
2. 



1 



4 

5 
6. 

7. 
8. 

9 
10. 

II 

12. 

13. 
14. 

»5 
16. 

17 
18. 

J9- 
20. 



Capitel: Nach Cetinje ^ , 

Ueber Rijeka nach Podgorica 

Durch das Zcta-Thal nach Danilovgrad und Kloster Ostrog 
Durch das Gebirgsgebiet des Ostrog und der Prekornica . . . 

Nach Nikäid und durch die Duga-Pässe nach Gacko 

Die Banjani 

Nach Grahovo, durch die KrivoSije und zurück nach Nik§i<5 . . 

Ueber die Lukavica ins obere MoraÖa-Thal 

Durch das Tu§ina-Thal auf den Vojnik und nach Bresna . . . . 

Längs der Piva-Ca&ons nach Foda 

Durch die Ilercegovina nach Cetinje 

Nach KolaSin 

IinDurmitor 

Zurück nack NikSid und Podgorica 

Das Kuöi-Land 

Von Andrijevica nach Berani und über KolaSin zurück nach 

Podgorica 

Der Scutari-See 

Nach Antivari und Dulcigno 

Durch die Bojana-Ebene nach Scutari und zurück nach Antivari 
Durch die Crmnica nach Cetinje und über den Lovccn nach 

Cattaro 



Seite 

I 

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29 

36 
4S 
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69 

84 

93 
102 

114 
123 

147 
157 

170 

184 
196 
210 

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