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Full text of "Reise in die aequinoctial-gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1803 und 1804"

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in  die 


A  equinoctial  -  Gegenden 


des 


neuen    Continents 

in  den  Jahren  17995  1800,  1801,  1802,  i8o3 
und.  1804. 


Verfafst 


Alexander  von   Humboldt 

und 


A.    Bonpland.    /^Ii^??S^.-L> 
Dritter     TheiL  \^'^3^^^i'^X 


Stuttgart    und   Tübingen, 
in    der    J.    G.    Colta'schen    Buchliandiun 
1820- 


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in    die 

Aequinoctial'Gegenden 

des 
neuen   Continents. 


Fünftes     Buch. 


Vierzehntes    Kapitel. 

Erdbeben    von    Caracas.    —       Zusammgnhang    dieser    Erscheinung    mit 
den    vuicanischen   /liisbriichen     der    Antil„en  ■  Eilande. 


Wir  verliefsen  Caracas  am  7.  Hornung  Ley  der 
Abendkühle,  um  die  Wanderung  nach  dem  Orenoko 
anzutreten.  Die  Erinnerung  dieser  Abreise  ist  'reiren- 
wärtig  schmerzhafter  für  uns,  als  sie  vor  etlichen  Mo- 
naten Avar.  Unsere  Freunde  sind  in  den  blutigen  Ke- 
volutionen  umgekommen,  welche  diesen  fernen  Land- 
schaften die  Freyheit  vvechselsweise  gaben  oder  raubten. 
Das  Haus,  welches  wir  bewohnt  haben,  ist  nur  noch 
ein  Schutthaufen  j  schreckliche  Erdbeben  haben  die 
Oberfläche  des  Bodens  umgekehrt.  Die  Stadt,  welche 
ich  beschrieben  habe,  ist  nicht  mehr  vorhanden.  Auf 
der  nämlichen  Stätte,    auf  dem  zerrissenen  Erdboden, 

yllex.   V.    Humboldti  hist.   Reistn.   III.  j 


2  B  u  c  h   y. 

erhebt  sich  allmählig  eine  neue  Stadt.  Bereits  sind  die 
aufgehäuften  Trümmer,  die  Gräber  einer  zahheichen 
Bevölkerung,  neuerdings  Wohnungen  der  Menschen 
geworden. 

Meine  Darstellung  von  Veränderungen,  die  eine  so 
allgemeine  Theilnahme  aufregen,  begreift  Ereignisse, 
welche  erst  lange  nach  meiner  Rückkunft  in  Europa 
vorgefallen  sind.  Die  Volksbewegungen  und  die  Um- 
wälzungen, welche  der  gesellschaftliche  Zustand  erlitten 
hat,  übergehe  ich  mit  Stillschweigen.  Die  neueren 
Völkerschaften  sorgen  für  ihr  Gedächlnifs,  und  sie  las- 
sen die  Geschichte  menschlicher  Revolutionen,  welche 
eine  Darstellung  heftiger  Leidenschaften  und  eingewur- 
zelten Hasses  ist,  nicht  in  Vergessenheit  übergehen. 
Anders  verhält  es  sich  mit  den  Revolutionen  der  phy- 
sischen Welt;  diese  werden  um  desto  nachlässiger  be- 
schrieben ,  wann  sie  mit  den  bürgerlichen  Zwisten  zu- 
sammentrafen. Die  Erderschütterungen  und  die  Aus- 
brüche der  Vulcane  wirken  mächtig  auf  die  Phantasie, 
durch  die  Zerstörungen,  welche  sie  nothwendig  zur 
Folge  haben.  Die  Ueberlieferung  greift  vorzugsweise 
nach  allem,  was  unbestimmt  und  wunderbar  ist,  und 
der  Mensch  scheint,  in  grofser  öffentlicher  Noth  wi» 
im  Privatunglück,  das  Licht  z\x  scheuen,  welches  übe«* 
die  wahren  Ursachen  der  Ereignisse  Aufschlufs  erthei- 
len,  und  die  sie  begleitenden  Umstände  in  ihrer  Ver- 
bindung darstellen  könnte.  Ich  habe  geglaubt,  in  die- 
ses Wei-k  aufnehmen  zu  sollen,  was  ich  Zuverlässiges 
inne  ward  von  den  Erdbeben  des  26.  März  1812,  durch 
welche  die  Stadt  Caracas  zerstört  worden  ist,  und  in 
der  Provinz  von  Venezuela  über  zwanzigtausend  Ein- 
wohner fast  in  einem  Augenblicke  umgekommen  sind. 
Die  Verbindungen,  welche  ich  fortgehend  mit  Personen 
aus  allen  Ständen  unterhalten  habe,  setzten  mich  in  den 


Kapitel    XIV.  3 

Stand  ,  die  Erzählunn;en  verschiedener  Augenzeugen 
untereinander  zu  vergleichen,  und  ihnen  über  Gegen- 
stände, welche  der  allgemeinen  INaturlehre  Aufschlüsse 
Iringen  mögen,  Fragen  vorzulegen.  Als  Geschicht- 
schreiber der  Natur  soll  der  Keisende  die  Angaben  über 
grofse  Catastrophen  erwahren,  ihren  Zusammenhang 
und  ihre  gegenseitigen  Verhältnisse  ergründen,  und  in* 
schnellen  Laufe  der  Zeiten,  in  der  ununterbrochenen 
Bewegung  der  einander  folgenden  Veränderungen  feste 
Puncte  bezeichnen,  welche  für  die  Vergleiclmng  an- 
derer Catastrophen  in  der  Zukunft  dienen  mögen.  In 
der  unermefslichen  Zeitfolge,  welche  die  Geschichte  der 
Watur  umfafst,  nähern  sich  einander  alle  einzelnen  Zeit' 
puacte  (hpochen).  Die  verflossenen  Jahre  ersclieinen 
nur  noch  als  Augenblicke;  und  wenn  auch  die  Natur- 
beschreibungen eines  Landes  sehr  allgemeine  oder  sehr 
lebhafte  Theilnalime  nicht  erregen,  so  haben  sie  wenig- 
stens den  Vortheil,  dafs  sie  nicht  veralten.  Von  ahn- 
liehen  Betrachtungen  geleitet,  hat  auch  Hr.  de  la  (jon- 
damine,  in  seiner /let.ye  nach  dem  Aequator,  jene  denk- 
würdigen Ausbrüche  des  Vulcanes  von  Cotopaxi  bc' 
schrieben  *},  welche  eine  geraume  Zeit  nach  seiner  Ab- 
reise von  Quito  sich  ereigneten.  Wenn  ich  dem  Bey- 
spiele  dieses  berühmten  Gelehrten  folge,  so  glaube  ich 
um  so  weniger  Tadel  zu  verdienen,  als  die  Ereignis- 
se, welche  ich  schildern  werde,  der  Theorie  Avr- viil- 
canischen  Rückiüirkiingen  ^  oder  des  Einflusses,  wel- 
chen das  Viilcanen  -  System  über  einen  weiten  Land- 
umfang aus'ibt,  zum  Belege  dieneh  wird. 

In    der  Zeit,    wo    Hr.   Bonpland   und    ich    in   den 
Provinzen  von  Neu- Andalusien,    Neu- Barcelona  und 


*)   Es    sind    diejenigen    vom    3i.    ISovcmber    1744     und    vom 
5.   September    ijSo  ilrUrod.   hüt.^  p.    i56  und    160.) 


4  B  n  c  h     V. 

Caracas  verweilten^  herrschte  überall  die  Meinung,  es 
seyen  die  östlichsten  dieser  Küstengegenden  Aen  zer- 
störenden Wirkungen  der  Erdbeben  am  meisten  aus- 
gesetzt. Die  Einwohner  von  Cumana  scheuten  das 
Thal  von  Caracas  um  seines  feuchten  und  wechselnden 
Clima's,  um  seines  neblichten  und  melancholischen  Him- 
mels willen.  Die  Bewohner  dieses  gemäfsigten  Thaies 
sprachen  von  Cumana  als  von  einer  Stadt;,  in  der  man 
beständig  eine  glühende  Luft  athmet,  und  deren  Boden 
heftigen  periodischen  Erschütterungen  ausgesetzt  ist. 
Der  Verheerungen  von  Riobamba  und  anderer  sehr 
hochgelegener  Städte  uneingedenk  ,  und  unbewufst, 
dafs  die  aus  Glimmerschiefer  gebildete  Halbinsel  Araya 
den  Bewegungen  der  KaJkküste  von  Cumana  nicht  fremd 
bleibt,  glaubten  auch  wohlunterrichtete  Personen,  in 
der  Bildung  derUrfelsen  von  Caracas  und  in  der  hohen 
Lage  dieses  Thaies  Sicherheitsgründe  zu  finden.  Kir- 
chenfeste, welche  in  Guayra  und  in  der  Hauptstadt 
selbst  bey  nächtlicher  Weile  begangen  wurden  *),  er- 
innerten zwar  daran,  dafs  die  Provinz  Venezuela  von 
Zeit  zu  Zeit  Erdbeben  erlitten  hätte  j  aber  Gefahren, 
die  nur  selten  wiederkehren,  mögen  auch  nur  geringe 
Furcht  erregen.  Im  Jahr  181 1  hat  eine  grausame  Er- 
fahrung den  Zauber  der  Theorien  und  des  Volksglau- 
bens zerstört.  Caracas,  im  Gebirge  gelegen,  drey  Grade 
westlich  von  Cumana,  und  fünf  Grade  westlich  von  dem 
durch  die  Vulcane  der  Caraiben -Eilande  gehenden  Me- 
ridian,   erlitt  heftigere  Erschütterungen,    als  solche  je 


*)  Zum  Beispiel  die  nächtliche  Procession  vom  aistenOctober, 
welche  zum  Gedächtnifs  des  grofsen  ErdLebens  veranstaltet 
ward,  das  am  gleichen  Monatstag  um  ein  Uhr  nach  Mitter- 
nacht im  J.  1778  statt  fand.  Andere  sehr  heftige  Erschüt- 
terungen waren  die  von  1641,    i7o3   und  180a. 


Kapitel     XW.  5 

zuvor  an  den  Küsten  von  Paria  und  Neu- Andalusien 
waren  verspürt  vi^>prden. 

Mir  war,  schon  bey  meiner  Ankunft  auf  der  Terra 
Firma,  die  Verbindung  zwcyer  Naturereignisse,  der 
Zerstörung  von  Cumana  am  14.  Christmonat  1797, 
und  der  vulcanischen  Ausbrüche  in  den  kleinen  An- 
tillen •"') ,  auffallend  vorgekommen.  Die  Zerstörung 
ron  Caracas,  am  26.  März  1812,  hat  diese  Verhält- 
nisse neuerdings  zu  Tage  gelegt.  Der  Vulcan  von  Gua- 
deloupe schien  im  Jahr  1797  auf  die  Küsten  von  Cumana 
zurückgewirkt  zu  haben.  Fünfzehn  Jahre  später  war 
es  ein  dem  Festlande  näher  gerückter  Vulcan,  derjenige 
ron  St.  Vincent,  welcher  seinen  Einflufs  bis  nach  Ca- 
racas und  an  die  Gestade  des  Apure  ausdehnte.  In 
beyden  Epochen  befand  sich  wahrscheinlich  der  Mit- 
telpunct  des  Ausbruchs  ungemein  tief,  und  in  gleich- 
mäfsiger  Entfernung  von  den  Gegenden  ,  nach  denen 
hin  sich  die  Bewegung  auf  der  Erdoberfläche  fort- 
pflanzte. 

Seit  Anfang  des  Jahres  1811  bis  zum  Jahr  181 3  ist 
eine  weit  ausgedehnte  Landschaft  '"•■'•')^  die  vom  Meridian 
der  Azoren- Eilande ,  Vom  Thale  des  Ohio,  von  den 
Cordilleren  Neu- Granada's,  von  den  Küsten  Venezue- 
la's  und  von  den  Vulcanen  der  kleinen  Antillen  begrenzt 
wird,  beynahe  gleichzeitig  durch  Erschütterungen  be- 
troff'en  worden,  die  man  unterirdischen  Feuerheerden 
zurechnen  kann.  Die  hier  folgende  Aufzählung  be- 
greift die  Ereignisse,  welche  Verbindungen  in  weiten 
Entfernungen    anzudeuten    scheinen.      Am    3o.  Jenner 


*)  Man  vergleiche  oben,  Th.  I.  Kap.  IV.  S.  494-  4 

*•)    Zwischen   dem  5ten   und   36sten   Grad  nördlicher   Breite, 

und    dem    Sisten    und    gisten    Meridiangrade   westlich    von 

Paris. 


6  B  u  c  h   r, 

1811  nahmi  ein  Vulcan  auf  dem  Meeresgrunde,  in  der 
Nähe  von  St.  Michael,  einer  der  Azoren-Inseln,  seinen 
Ausbruch.  An  einer  Stelle,  wo  das  Meer  soch/ig  Klaf- 
ter Tiefe  besafs,  hob  «ich  ein  Fels  über  die  Wasser- 
fiäche.  Das  Emporsteigen  der  erweichten  Erdrinde 
scheint  dem  Flammenausbruche  de?  H raters  voran^e- 
gangen  zu  seyn  *},  wie  dies  "leichmäfsig  bey  den  Vul- 
canen  von  Jorullo  ,  in  Mexico,  und  7ur  Zeit  der  Ent- 
stehung der  Insel  von  Klein  Kameni,  in  der  Nähe  von 
Santorino  beobachtet  worden  ist  Das  neue  Kiland  der 
Azoren  war  anfänglich  nur  rine  unbeträchtliche  Klip- 
pe, ^ie  aber  am  j5.  Junius  durch  einen  neuen,  sechs 
Tage  andauernden  Ausbruch  vergrüTert  ui'd  nach  und 
nach  zur  Höhe  von  fünfzig  Toisen  über  der  Meeres- 
fläche erhoben  ward.  Dies  neue  Land ,  wovon  der 
Schiffscapitain  Tillard  im  Namen  der  brlttischen  Re- 
gierung ungesäumt  Besitz  nahm,  und  das  er  die  Insel 
Sabrina  benannte,  hatte  C)0o  Toisen  im  Durchmesser. 
Es  scheint  seither  wieder  im  Ocean  untergegangen  zu 
seyn.  Zum  dritten  Male  haben  bereits  nun  Vulcane 
im  Meeresgrund,  unfern  von  der  St.  Michaers-Insel, 
diese  aufserordentliche  Erscheinung  wiederholt;  und 
als  geschähen  die  Ausbrüche  dieer  Vulcane  in  regel- 
mäfsigen,  durch  eine  gewisse  Ansammlung  ela'^tischer 
Flüssigkeiten  bestimmten  Zeiträumen,  ist  die  kleine  Insel 
jedesmal  nachVerflufs  von  91  oder  92  Jahren**)  wieder 


')  Man  vergleiche  oben,  Th.  I.  Kap.  2    S.  25/<. 

**;)  Al<  .tf-  Biuriy  Geogr.  unii'. ,  Tom.  V,  p.  177 — 180.  Et 
wallet  zwar  noch  einiger  Zweifel  xiher  den  AusJiruch  von 
1628,  welchen  Analere  auf  16)8  iibertragen.  Der  Meeres- 
grund ward  jederzeit  in  der  INahe  der  Insel  St.  Michael 
emporgehoben  ,  obgleich  nicht  gon.iu  auf  der  nämlichen 
Stelle.     Beinerkenswerth  ist   es ,   dais  das  Ideine  Eiland  von 


/ 

Kapitel     XIV.  1 

2um  Vorschein  gekommen.  Man  kann  nicht  anders  als 
bedauern,  dafs  der  geringen  Entfernung  unerachtet,  we- 
der eine  europäische  Regierung  noch  eine  gelehrte  Ge- 
sellschaft, Naturforscher  und  Geologen  auf  die  Azoren- 
Inseln  zur  näheren  Unteisuchung  einer  Erscheinung  ab- 
ordnete^ welche  der  Geschiclite  der  Vulcane  und  der- 
jenigen des  Erdballs  überhaupt  wichtige  Aufschlüsse  lie- 
fern konnte. 

Die,  800  Meilen  südwestlich  von  den  Azoren  ge- 
legenen, kleinen  Antillen  erlitten  zur  Zeit  der  neuen 
Insel  Sabrina  vielfältige  Erschütterungen.  Ueber  zwey- 
hundert  Erdstöfs«  wurden  vom  Maymonat  1811  bis  zum 
April  1812  auf  der  Insel  Saint- Vincent,  einer  der  drey 
Antillen,  welche  noch  wirksame  Vulcane  haben,  ver- 
spürt. Die  Bewegungen  blieben  keineswegs  auf  das 
Inselland  des  östlichen  America  beschränkt.  Seit  dem 
16.  December  1811  befand  sich  die  Erde  in  einer  bey- 
nahe  anhaltenden  Bewegung  in  den  Thälern  des  Mis- 
sissipi,  des  Arkansaw  und  des  Ohio.  Die  Schwingungen 
waren  schwächer  auf  der  Ost-  als  auf  der  Westseite  der 
Aileghany  -  Gebirge  in  Tennesee  und  Kentucky.  Sie 
waren  mit  einem  beträchtlichen,  von  Südwest  herkom- 
jnenden,  unterirdischen  Donner  begleitet.  An  einigen 
Stellen  zwischen  Neu-Madrit  und  Little-Prairie,  so  wie 
bey  der  Saline  nördlich  von  Cincinnali,  unter  87°  46' 
der  Breite,  wurden  die  Stöfse  täglich  und  beynahe  stünd- 
lich mehrere  Monate  durch  verspürt.  Diese  Gesammt- 
Erscheinungen  dauerten  vom  16.  December  1811  bis 
ins  Jahr  i8i3-     Die  anfangs  südwärts  auf  das  Thal  dei 


1720  gefiau  die  ixämlicIjeHöhe  erreicht  hat,  welche  die  Insel 
Sabrina  im  Jahr  1811  erreichte.  Man  sehe  oben,  Th.  t. 
Kap.  1.  S.  128. 


8  B  u  c  h     F. 

untern  Missis«ipi  bpgriinz.ten  Bewegungen  schienen  all- 
mählig  gegen  INorden  vorzuschrciten    y. 

Zur  gleichen  Zeit,  wo  in  den  transalleghanyschen 
Staaten  diese  lange  Reihenfolge  von  Erdheben  ihren 
Allfang  nahm,  im  Uecemher  iSn^  erlitt  die  Stadt  (Ca- 
racas, bey  stillem  und  heiterem  Wetter,  einen  ersten 
Stofs,  Dies  Zusammentreffen  der  Erscheinungen  war 
vermutlilich  kein  blofser  Zufall  5  indem  man  nicht  ver- 
gessen darf,  dafs  der  weiten  Entfernung  dieser  Gegen- 
den uiierachtet,  die  ISiederungen  von  Louisiana  mid 
die  Küsten  von  Venezuela  und  Cumana  dem  gleichen 
Becken,  nämlich  dem  des  Antillen  Meeres  angehören. 
Dieses  mit  mehreren  Aiissänoen  versehene  IMittelmeer 
nimmt  seine  Hichtunsf  von  Noidost  nach  Nordwest,  und 
man  glaubt  eine  frühere  j^u^dehnung  desselben  in  den 
weiten  Ebenen  wahrzunehmen  ,  die  stufenweise  uni 
3o,  5o  und  80  Toisen  '"'•  )  über  der  Wasserfläche  des. 
Oceans  erliahen,  mit  Secundar  -  Formationen  bedeckt 
sind,  und  durcli  den  Ohio,  den  Missoury,  den  Arkan- 
saw  und  den  Mississipi  bewässert  werden.  Betrachtet 
man  das  J-Vasssrbecken  des  Antillen- JXleers  und  des 
Golfs  von  Mexico  mit  geologischem  Blicke,  so  findet 
man,  dafs  dasselbe  südwärts  durch  die  Küstenkette  von 
Venezuela  und  durch  die  Cordilleren  von  Merida  und 
Pamplona^  ö^tlicli  durch  die  Berge  der  Antillen-Inseln 
und  die  Alleghanys,    westlich  durch  die  mexicanischen 


*)  Die  anziehende,  von  Hrn.  Mitchill  verfafsle  Beschreiltung 
dieses  Erdbebens  findel  sich  in  den  Trans.  0/  the  litter. 
and  phil.  Soc.  0/  Nctv-J'orh.  Vol.  I.  p.  281 — 5o8,  und  die- 
jenige des  Hrn.  Drake  in  dein  Nat.  and  Stat.  View  of 
Cincinnati,    p.   232  —  258. 

**)  Cincinnali,  am  Ohio  gelegen,  unter  59°  6'  d»r  Breite,  hat 
nur  noch  85  Toisen  absoluter  Höhe. 


h  a  p  i  t  e  l     Xir.  9 

Anden  und  das  F«lsengel)irg  *),  und  nürdlicli  durch 
die  unbeträchtlichen  Hiigol  bogränzt  ist,  welclie  die 
canadisclien  Seen  von  dtMi  Zuflüssen  des  Mi3sis«ipi  tren- 
nen. Ueber  zwey  Drillhoile  dieses  Beckens  stehen  un- 
ter Wasser.  Zwey  Reihen  thätiger  Vulcane  fassen  das- 
selbe ein  5  üsilich  auf  den  kleinen  Antillen,  zwischen 
dem  i3ten  und  i6ten  Breitei^rad,  und  westlich  auf  den 
Cordilleren  von  JNicara^ua,  Guatimala  und  Mexico, 
zwischen  dem  iiten  und  20?ten  Grad.  Wer  sich  er- 
innert, dafs  da?  grofse  Erdbeben  von  Lissabon  am  i.  No- 
vember 1755  fa^'t  im  nämlichen  Augenblick  auf  den 
scliwedischen  Küsten,  am  Ontario-See  und  auf  Mar- 
tinique verspürt  ward  ,  der  wird  die  Vermuthung  nicht 
allzukühn  finden,  dals  das  ganze  Becken  der  Antillen, 
von  Cuniana  und  Caracas  bis  in  die  Ebenen  von  Louisia- 
na, zuweilen  gleichzeitig  durch  Erschütterungen,  die 
von  einem  gemeinsamen  Mittelpunct  ausgehen,  könne 
betroffen  werden. 

Es  ist  eine  auf  den  Küsten  der  Terra -Firma  sehr 


*)  Ich  hediene  mich  ungern  dieser  schwankenden  und  un- 
eigentlichen Benennung  ,  die  man  der  mitternächtlichen 
Ausdehnung  der  Berge  von  INeu-iMexico  gie])t.  Ich  würde 
den  IS'amen  der  Chippewaii- Kette  cChippewan  ränge)  vor- 
ziehen, welchen  Hr.  Druke  QStat.  rieiv  0/  Cincin.  p.  91) 
und  andere  ISaturforscher  der  Vereinten  Staaten  statt  der 
gewohnten  Benennung  von  Stony- M ountains  zu  gebrauchen 
anfangen;  allein  heynahe  gleichnamige  Völker,  die  sehr 
weil  von  einander  entfernt  wohnen,  und  verschiedene  Spra- 
chen reden  ,  die  CJiippeways  der  Quellen  vom  Mississipi, 
und  die  Chepewyans  vom  Sciavensee,  welche  von  Pihe  und 
Muchenzie  hcjchriehen  worden  sind  ,  könnten  eine  Ver- 
wechslung der  Berge  veranlassen,  die  sich  auf  der  Siitl- 
und  Südwest-Seite  der  grofsen  canadisclien  Seen  in  paralleler 
Richtung  mit  dem  FelsengcLirge  ausdehnen,  das  seine  Rich- 
tung von  Norden  gen  Süden  nimmt. 


10  B  II  c  It     V. 

allgemein  verbreitete  Meinung,  die  Erdbeben  werden 
häufiger ,  wenn  die  electrischen  Entleerungen  einige 
Jahre  durch  seltener  gewesen  sind.  In  Cumana  und  in 
Caracas  hat  man  zu  bemerken  geglaubt,  dafs  die  Re- 
gengüsse seit  dem  Jahr  1792  seltener  mit  Donner  be- 
gleitet waren ,  und  man  ermangelte  demnach  nicht, 
sowohl  die  gänzliche  Zerstörung  von  Cumana  im  Jahr 
1797,  als  hinwieder  die  in  den  Jahren  i8oo,  1801  und 
1802  in  Maracaibo,  Porto  -  Cabello  uud  Caracas  erlit- 
tenen Erdstüfse  *)  „einer  Electricitäts- Anhäufung  im 
Innern  dei^  Erde^^  zuzuschreiben.  Es  möchte  scliwer 
halten,  nachdem  man  einen  langen  Aufenthalt  in  Neu- 
Andalusien  oder  in  den  Niederungen  von  Peru  gemacht 
hat,  in  Abrede  zu  stehen,  dafs  die  Jahrszeit,  worin 
am  meisten  Erdbeben  zu  befürchten  sind,  diejenige  des 
Anfangs  der  Regenmonate  ist,  avo  dann  aber  auch  die 
meisten  Gewitter  eintreffen.  Die  Atmosphäre  und  der 
Zustand  der  Erdoberfläche  scheinen  auf  eine  uns  un- 
bekannte Weise  auf  die  Veränderungen  einzuwirken, 
velche  in  grofsen  Tiefen  vor  sich  gehen,  und  ich  halte 
dafür,  die  Verbindung,  welche  man  zwischen  dem 
Mangel  an  Gewittern  und  den  häufigen  Erdbeben  wahr- 
zunelimen  glaubt,  sey  viehnelir  eine  von  den  Halbwis- 
sern  des  Landes  ersonnene  Hypothese,  als  das  Ergebnifs 
einer  langen  Erfahrung.  Der  Zufall  kann  das  Zusam- 
mentreffen gewisser  Erscheinungen  begiinstigen.  Den 
aufserordentlichen  Erdstöfsen,  welche  zwey  Jahre  lang 
anhaltend  an  den  Gestaden  des  Mississipi  und  des  Ohio 
verspürt  wurden,  und  die  im  Jahr  1812  mit  denen  im 
Thale  von  Caracas  zusammentrafen,  war  in  Louisiana 
ein  beynahe  völlig  gevvitterloses  Jahr  vorangegangen**). 


')  De  Poiis,  Tom.  I,   p.   i25. 

**^   Trans,  of  New-Jork,  Vol.  I,  p.  285.     Drake,  p.  210. 


H  a  p  i  t  e  l     XIV.  11 

Diese  Erscheinung-  ward  abermals  allgemoiii  sehr  auf- 
fallend befunden.  Man  darf  sich  nicht  wumdern,  wenn 
im  Vatt'rlande  Franklin  s  eine  grofse  Vorliebe  für  Er- 
klärungen angetroffen  wird,  die  auf  der  Tlieorie  der 
Elecfricität  beruhen. 

Der  Erd^tofsj  welclier  zu  Caracas  im  December 
1811  verspürt  ward,  ist  der  einzige,  .welcher  dem 
schrecklichen  Unglück  vom  26  März  1812  voranging. 
Niemand  kannte  auf  dem  Festlande  die  Bewegungen, 
welche  einerseits  der  Vulcan  der  Insel  St.  Vincent, 
und  anderseits  das  Becken  des  Mississipi.  erlitt,  wo 
am  7.  und  8-  Februar  1812  der  Boden  sich  Tag  und 
Nacht  in  einem  Zustand  beständiger  Schwingungen 
befand.  Die  Provinz  Venezuela  litt  zu  jener  Zeit  an 
grofser  Trockenheit.  Kein  Tropfen  Hegen  war  in  Ca- 
racas und  90  Meilen  in  die  Hunde  während  fünf  Mo- 
naten unmittelbar  vor  der  Zerstörung  der  Hauptstadt 
gefallen.  Der  26.  März  eröffnete  sich  als  ein  sehr 
heifser  Tag,  die  Luft  war  ruhig  und  der  Himmel  wol- 
kenlos. Es  war  der  grüne  Donnerstag,  und  das  Volk 
gTofsentheils  in  den  Kirchen  versammelt.  Nichts  schien 
das  drohende  Uniilück  zu  verkünden.  Sieben  Minuten 
nach  vier  Uhr  Abends  ver  pürte  man  die  erste  Erschüt- 
terung. ;>,'^ie  war  stark  genug,  um  die  Kirclienglocken 
in  Bewegung  zu  setzen,  öie  dauerte  5  bis  6  Secundon 
an,  und  unmittelbar  darauf  folgte  eine  zweyte  Erschüt- 
terung von  10  bis  i2Sccuaden,  während  welcher  der 
Erdb  ;den  in  beständiger  Wellenbewegung  wie  eine  Flüs- 
sigkeit 7,u  kochen  schien.  Schon  glau.ite  man  die  Gefahr 
vorübergegangen,  als  sich  ein  helliges  unterirdi^.clies 
Getöse  hören  liefs.  Es  glich  dem  Hollen  des  Donners, 
war  jedoch  stärker  und  andaurender,  als  dieses  in  der 
Jahrszeit  der  Gewitter  zwischen  den  Wendekreisen  ge- 
wöhnlich ist.   Dem  Donner  folgte  unmittelbar  eine  senk- 


12 


B  u 


rechte,  diey  Ms  vier  Secunden  ungefähr  anhaltende 
Bowesrunir  ,  welche  von  einer  etwas  länß^er  dauernden 
wellenlürmigen  hegleitet  ward.  Die  Stöfse  erfolgten  in 
entgegengesetzten  Richtungen  von  Worden  gen  Süden 
und  von  Osten  nach  VVesten.  Dieser  Bewegung  von 
unten  nach  oben  und  diesen  sich  durchkreuzenden 
Schwingungen  vermochte  nichts  zu  widerstehen.  Die 
Stadt  Caracas  ward  gänzlich  zu  Grunde  gerichtet.  Tau. 
sende  ihrer  Bewohner  (zwischen  neun-  und  zehntau- 
send) fanden  unter  den  Trümmern  der  Kirchen  und 
Häuser  ihr  Grab.  Noch  hatte  die  Procession  ihren  Um- 
gang nicht  eröffnet  5  aber  das  Hinströmen  zu  den  Kir- 
chen war  so  grofs,  dafs  gegen  drey-  oder  viertausend 
Personen  unter  dem  Einsturz  ihrer  Gewülber  erdrückt 
wurden.  Die  Explosion  war  heftiger  auf  der  Nordseil» 
in  dem  dem  Berge  d'Avila  und  der  Silla  näher  gelege- 
nen Theil  der  Stadt.  Die  Kirchen  der  Dreyfaltigkeit 
und  Alta  Gracia,  die  mehr  als  i5o  Fufs  Höhe  hatten 
und  deren  Schiff  durch  zwölf  bis  fünfzehn  Fufs  dichte 
Pfeiler  getragen  ward,  lagen  in  einen  Trümmerhaufen 
verwandelt,  der  nicht  über  5  bis  6  Fufs  Höhe  hatte, 
und  die  Zermalmung  des  Schuttes  war  so  beträchtlich, 
dafs  von  den  Pfeilern  und  Säulen  fast  keine  Spur  mehr 
kennbar  geblieben  ist.  Die  Kaserne,  EI  Qnartel  de 
San  Carlos  genannt,  die  nördlich  von  der  Dreyfaltig- 
keitskirclie ,  am  Weg  nacli  der  Douane  de  la  Pastora 
lag  ,  ist  beynahe  völlig  verschwunden.  Ein  Regiment 
Linientruppen  stund  darin  unter  den  Waffen,  und  sollte 
sich  eben  zur  Procession  begeben.  Wenige  Einzelne 
ausgenommen,  ward  es  sämmtlich  unter  den  Trümmern 
des  grofsen  Gebäudes  verschüttet.  Neun  Zehntheile 
der  schönen  Stadt  Caracas  wurden  gänzlich  zerstört. 
Die  Häuser,  welche  nicht  einstürzten,  wie  diejenigen 
der  Stadt  San  Juan  beym  Kapuziner- Hospitium,  waren 


Kapitel     XJf,  i3 

dermafsen  zerrissen,  dafs  sie  nicht  weiter  liewohnt  wer- 
den konnten.  Etwas  minder  verheerend  zeigten  sich 
die  Wirliunsfen  des  Erdbebens  im  südlichen  und  west- 
liehen  Theile  der  Stadt,  zwischen  dem  grofsen  Platz 
und  dem  Hohlweg  von  Caragnata.  Hier  blieb  die  Ka- 
thedral  -  Kirche  ,  durch  gewaltige  Strebepfeiler  unter- 
stützt,   aufrecht  stehen  '"•). 

Wenn  die  Zahl  der  Todten  in  der  Stadt  Caracas 
auf  neun  bis  zehntausend  berechnet  wird,  so  sind  dabey 
die  Unglücklichen  noch  nicht  in  Anschlag  gebracht, 
welche  schwer  verwundet,  nach  Monaten  erst,  aus 
Mangel  an  Nahrung  und  Pflege  umkamen.  Die  Nacht 
vom  Donnerstag  auf  den  Charfreytag  bot  den  Anblick 
eines  unsäglichen  Jammers  und  Unglücks  dar.  Die 
dichte  Staubwolke,  welche  sich  über  die  Trümmer  er- 
hob und  die  Luft  gleich  einem  Nebel  verdunkelte,  hatte 
sich  zur  Erde  niedergeschlagen.  Die  Erschütterungen 
hatten  aufgehört  und  die  Nacht  war  so  hell  und  ruhig 
als  je  zuvor.  Der  fast  volle  Mond  beleuchtete  die  ab* 
gerundeten  Dome  der  Silla,  und  die  Gestalt  des  Him- 
mels bildete  einen  furchtbaren  Abstich  gegen  die  mit 
Trümmern  und  Leichen  bedeckte  Erde.  Mütter  trugen 
Kinderleichen  im  Arm,  durch  die  Hoffnung  getäuscht, 
sie  wieder  ins  Leben  zu  rufen.  Jammernde  Haushal- 
tungen durchzogen  die  Stadt,  um  einen  Bruder,  einen 
Gatten,  einen  Freund  zu  suchen,  dessen  Schicksal  un- 
bekannt war  und  den  man  im  Gedränge  verloren  glau- 
ben konnte.  Man  drängte  sich  in  den  Strafsen,  die 
an  Trümmer-  und  Schutt- Reihen  einzig  noch  kennbar 
waren. 

Alles  Unglück^    das  in  den  grofsen  Jammerscenen 


*)    Veber  das  Erdbeben   von   l^enezuela^    im  Jahr   iBia^    von 
Hrn.   Delpeche.     (.Handschrift.) 


14  B  u  c  h    y. 

von  Lissabon^  Messina,  Lima  und  Riobamba  war  erlebt 
worden j  wi<^derholte  sich  an  dem  Schreckenstage  des 
26.  März  1812.  j?Die  unter  dem  Schutt  begrabenen 
Verwundeten  riefen  die  Vorhergehenden  laut  flehend 
um  Hülfe  an 5  über  zweytausend  wurden  hervorgezogen, 
Nie  hat  w^ohl  das  Mitleid  sich  rührender ,  man  kann 
sagen  sinnreich  thätiger  gezeigt,  als  in  den  Anstrengun- 
gen, welche  gemacht  wurden,  um  den  Unglücklichen, 
deren  Seufzer  man  hürte,  Hülfe  zu  reichen.  Es  man- 
gelte gänzlich  an  Werkzeugen  zum  Nachgraben  und 
Wesfräumen  des  Schuttes:  man  mufste  sich  der  Hände 
bedienen,  um  die  Lebenden  hervorzugraben.  Die  Ver- 
wundeten sowohl  als  die  aus  den  Hospitälern  Geretteten 
wurden  an's  Gestade  des  kleinen  Guayre-Flusses  gelagert. 
Hier  mochte  der  Schatten  der  Bäume  allein  nur  ihnen 
Obdach  gewähren.  Die  Betten,  die  Leinwand  zum 
Verband  der  Wunden,  chirurgische  Werkzeuge,  Arz- 
neyslofFe  ,  alle  Gegenstände  ersten  Bedürfnisses  waren 
unter  dem  Schutt  vergraben.  In  den  ersten  Tagen 
mangelte  Alles,  sogar  Nahrungsmittel.  Auch  das  Was- 
ser war  im  Innern  der  Stadt  selten  geworden.  Die 
Erdstüfse  hatten  theils  die  Brunnenleitungen  zerschla- 
gen ,  theils  w  aren  durch  das  eingefallene  Erdreich  die 
Ouellen  verstopft.  Um  Wasser  zu  bekommen,  mufste 
man  an  den  Kio-Guayre  hinabsteigen,  der  hoch  stund, 
und  wo  es  an  Gefiifsen  zum  Schöpfen  fehlte." 

„Eine  den  Todlen  annoch  zu  leistende  Pflicht  w^ard 
gleichmäfsig  durch  die  Religion  und  durch  die  Besorg- 
uifs  der  Ansteckung  geboten.  Bey  der  UnmügUciik«'it, 
so  viele  Tausende  halb  unter  dem  Schutt  befindlicher 
Leichen  ordentlich  zu  begralien,  wurden  Commissarien 
ernannt  ,  die  für  ihr  Verbrennen  zu  sorgen  hatten. 
Scheitei'haufen  wurden  zwischen  dem  Schulte  erric'ttet. 
Diefs  Geschäft  dauerte  mehrere  Tage.      Mitten   unter 


IIa  p  i  t  e  l    Xir.  %b 

dem  allgemeinen  Jammer  vollzog  das  Volk  die  religiösen 
Gehl  äuche^  mit  denen  es  am  ehesten  den  Zorn  des  Him- 
mels besänftigen  zu  können  hoffte.  Die  einen  stellten 
feyerliche  Umgänge  an,  bey  denen  Leichengesänge  er- 
tönten; andere,  von  Geistesverirrung  befallen,  beich- 
teten laut,  mitten  auf  den  Strafsen.  Es  ereignete  sich 
damals  in  dieser  Stadt,  was  auch  nach  dem  schrecklichen 
Erdbeben  vom  4.  Hornung  1797  in  der  Provinz  Quito 
geschehen  war:  viele  Ehen  wurden  zwischen  Personen 
geschlossen,  die  seit  langen  Jahren  ohne  priesterlichen 
Segen  zusammen  gelebt  hatten.  Kinder  bekamen  jetzt 
Eltern,  von  denen  sie  bis  dahin  nie  anerkannt  waren  5 
Rückerstattungen  wurden  von  Leuten  veihelfsen  ,  die 
Niemand  eines  Diebstahls  beschuldigt  hatte;  Familien, 
welche  lange  in  Feindseligkeit  gegen  einander  gelebt 
hatten,  versöhnten  sich  im  Gefühle  des  gemeinsamen 
Unglücks.  Wenn  dieses  Gefühl  jedoch  bey  den  einen 
die  Sitten  milderte  und  das  Herz  dem  Mitleid  öffnete, 
so  geschah  hinwieder  auch  bey  andern  das  Gegentheil: 
sie  wurden  hartherziger  und  unmenschlicher.  In  gros- 
sen Nöthen  sieht  man  ,  dafs  gemeine  Seelen  weniger 
noch  die  Güte  des  Gen-üthes  als  seine  Stärke  beybehal- 
ten,  denn  es  verhält  sich  mit  dem  Unglück  wie  mit  dem, 
Studium  der  Wissenschaften  und  mit  der  Betrachtung 
der  Natur;  sie  mögen  ihren  wohlthätigen  Einflufs  nur 
an  Wenigen,  durch  Erwärmung  des  Gefühls,  durch 
Erhebung  des  Geistes  und  durch  vermehrtes  Wohlwol' 
len  des  Characters  bewähren. ^^ 

„So  heftige  Erdstüfse,  welche  innerhalb  einer  Mi- 
nute '•')  die  Stadt  Caracas  zerstört  haben,    konnten  nicht 


*)  Die  Dauer  des  Erdbebens,  das  will  sagen,  aller  schwingenden 
und  emporhebenden  Bewegungen  Cundulacion  y  trepidacioti)^ 
weiche  das  achreckliche  Ereignif«  vom  aösten  März  i8w  ver 


i6  B  u  c  h     P". 

auf  eine  kleine  Strecke  des  Festlandes  beschränkt  seyn. 
Ihre  traurigen  Wirkungen  dehnten   sich  über  die  Pro- 
vinzen von   Venezuela,    Varinas    und  Maracaibo,    der 
Küste  nach^  vorzüglich  aber  auch  über  das  Gebirge  im 
Innern  des  Landes  aus.      La  Guayra,  Mayquetia,  An- 
timano,  Barula,    la  Vega,  San  Felipe  und  Merida  wur- 
den beynahe  ganz  zerstört.      In  la  Guayra  und  Villa  de 
San  Felipe,  unl'ern  der  F>upferminen  von  Aroa,  betrug 
die  Zahl  der  Todten  wenigstens  vier  bis    fünftausend. 
Es   scheint  das  Erdbeben  in  der  Hichtung  einer  Linie, 
die  sich  von  Ost-JNord-Ost  nach  West- Süd- V\^est,  von 
Guayra  und  Caracas  gegen   die   hohen   Berge  von  Ni- 
quitao  und  Merida  ausdehnt,  am  heftigsten  gewesen  zu 
seyn.     Im  Königreiche  von  Neu  Granada   ward  es  von 
den  Verzweigungen  der  hohen  Sierra  de  Santa  Marta  *) 
his  nach  Santa- Fe  de  Bagota  und  Honda,    an  den  Ge- 
staden des  Magdalenen-FIusses,    in  der  Entfernung  von 
180  Meilen  von  Caracas  verspürt.     Es  war  überall  stär- 
ker auf  den  Gneifs-   und  Glimmerschiefer- Cordilleren 
oder  unmittelbar  am  Fufs  derselben,  als  in  den  Ebenen. 
In   den  Savanen  von  Varinas  und  Casanare  war  dieser 
Unterschied  am  fühlbarsten.     CEs  läfst  sich  derselbe  am 
ehesten   durch  das  System  der  Geologen  erklären,  wel- 
che annehmen,  dafs  alle  Ketten  vulcanischer  und  nicht- 
vulcanischer  Berge  zur  Zeit  ihrer  Bildung  wie   durch 
Spalten  emporgestiegen  sind.)     In  den  zwischen  Caracas 
und  der  Stadl  San  Felipe  liegenden  Theilen  von  Aragua 
wurden  nur  sehr  schwache  Erdstöfse  verspürt.     La  Vic- 
toria, Maracay,  Valencia  haben,    der  Nähe  der  Haupt- 
Stadt 

nrsachteii;  ward  von  den  einen  auf  5o",  von  andern  auf  1'  11'' 
tercchnei. 
.")  Bis  nach  Villa  de  los  Remedios,   und  sogar  bis  nach  Cartha 
sena  la  nueva. 


Kapitel     XIF.  17 

Stadt  uneraclitet,  beynahe  gar  nicht  gelitton.  Zu  Va- 
lecillo,  uenii^eMeilon  von  Valencia,  warf  die  zerrissene 
Erde  eine  solche  Menge  Wasser  aus,  dafs  rieh  ein  neuer 
Strom  Lildete.  Das  Gleiche  geschah  auch  in  der  Nähe 
von  Porto -Cahello*).  Hingegen  halte  sich  der  Soe  von 
Maracaybo  bedeutend  vermiiidert.  In  C^.oro  verspürte 
n)an  keinerley  Bewegung,  obgleich  die  Stadt  an  der 
Küste  und  zwichen  anderen  Städten  liegt,  die  nicht  un- 
heschädigt  gehlieben  sind  *'•)  "  Die  F'isclier,  aa  eiche 
sich  am  26.  März  auf  der  Insel  Orchila,  dreyfsig  Meilen 
nordöstlich  von  Guayra,  und  auf  dem  Lande  befanden, 
verspürten  keine  Stüfse.  Ks  gründen  sich  diese  Ver- 
Schiedenhl  iten  der  Richtung  und  Fortpflanzung  des 
Stofses  wahrscheinlich  auf  die  besonderen  Lagen  und 
Verhältnisse  der  Steinschichten. 

Nachdem  wir  die  Wirkungen  des  Erdbebens  auf  der 
W^estseite  von  Caracas  bis  zu  den  Schneegehirgen  von 
Santa  Marta  und  zum  Plateau  von  Santa -Fe  de  Bogota 
verfolgt  haben,  wollen  wir  nunmehr  auch  die  der 
Hauptstadt  östlich  gelegene  Landschaft  in's  Auge  fassen. 
Die  Erschütterungen  waren  ungemein  heftig  —  jen-seits 
von  Caurimare  im  Thale  von  Cupaya,  wo  sie  sich  bis 
zum  Meridian  des  Cap  Codera  ausdehnten  ;  äufserst 
merkwürdig  aber  ist  es,  dafs  sie  sich  an  den  Küsten  von 
Nueva  Barcelona,  von  Cumana  und  von  Paria  nur  sehr 
schwach  zeigten,    obgleich  diese  eine  Fortsetzung  des 


*)  Man  behauptet,  auf  den  Bergen  von  Aroa  sey  der  Boden, 
unmitlelLar  nach  den  Erschütterungen,  mit  einer  un<»emein 
feinen  und  weifsen  Erde  bedeckt  gewesen,  die  aus  den  Spalten 
herausgeworfen  zu  sevn  sciiien. 

**)  J  punta  mientos  sohre  las  principalef  circumstancias  del 
terremoto  de  Caracas ,  por  Bon  Manuel  Palucio  Faxardo 
CHandschrift.) 

yllex.   V.   Humboldts  hist.    Reisen.   III.  « 


i8  Buch     V. 

Küstenlandes  von  la  Guayra  sind^  und  von  Alters  her 
im  Hufe  stehen^  öfteren  unterirdischen  Erschütterungen 
auS'iesef.-t  xu  seyn.  Wofern  man  annehmen  d  irfle,  es 
sey  die  gän/liche  Zerslürung  der  vier  Städte,  Cai'acas, 
la  Guavra,  San  Felipo  und  Merida,  von  einem  vul- 
cani-^^chen  Herde  ausgegangen^  welcher  unter  der  Insel 
St.  Vincent  oder  in  ihrer  INälie  Hegt,  so  würde  dadurch 
hegreiflich,  -.vie  sich  die  Bewegung  von  INord-Ost  nach 
Süd-West  "')  ausdehnen  konnte,  auf  einer  Linie,  welche 
ihre  Kiclitung  durch  .die  kkincn  Eilande  der  los  Her- 
manos  nimmt,  nahe-hey  Blant[uilla  vorbey,  ohne  Be- 
rührung der  Küsten  von  Araya,  Cumana  und  INueva 
Barcelona.  Diese  Fortpflanzung  des  Stofses  könnte  so- 
gar auch  statt  finden,  ohne  dafs  die  Erdoberfläche  der 
zwischenliegenden  Puncte,  zum  Beyspiel  der  Hermanos- 
Eilande,  irgond  eine  Erscliütterung  verspürten.  Wir 
sehen  diese  Erscheinung  öfters  in  Mexico  und  Peru,  bey 
Erderschütterungen ,  welche  seit  Jahrhunderten  eine 
bestimmte  Richtung  befolgen.  Die  Bewohner  der  An- 
den brauchen  von  einem  Zvvischenland,  welches  ohne 
ThLilnahme  an  der  allgemeinen  Bewegung  bleibt,  den 
naiven  Ausdruck:  „es  bilde  eine  Brücke"  (^«e  hace 
piienle)^  als  wollten  sie  dadurch  andeuten,  die  Schwin- 
gungen pflanzen  sich  in  sehr  grofser  Tiefe  unter  einer 
träfen  Felsenmasse  fort. 

Fünfzelin  bis  achtzehn  Stunden  nach  dem  schreck- 
lichen Erelg:iifs  Mieb  der  Erdboden  ruhig.  Die  Nacht, 
wie  schon  oben  ist  bemerkt  worden,  war  still  und  hei- 
ter; erst  nach  dem  27.  März  erfolgten  wieder  neu© 
Strf  e,'die  von  einem  unterirdischen,  überaus  heftigen 
und  andauernden  Donner  (bramiäo}  begleitet  waren. 
Die  Einwohner  von  Caracas  zerstreuten  sich  in  der  Um- 


*;)  UngefflJir  auf  einer  Linie  in  der  Richtung  Süd.  64°  West. 


Kapitel     XIV.  ag 

gojTßnd  •,  well  aber  Durfer  und  Meierhüfe  gleichmäfsig 
gelitten  hatten,  wie  die  Stadt,  so  konnten  sie  nur  erst 
jenseits  der  Berge  von  los  Teques,  in  den  Thälern  von 
Araijua  und  in  den  Llanos  oder  Savanon  Obdach  finden. 
Oftmals  wurden  an  einem  und  dem  nämlichen  Tag  bis 
auf  fünfzehn  Schwingungen  verspürt.  Am  5.  April  er- 
folgte ein  Erdbeben,  das  «n  Hefl^igkeit  demjenigen  we- 
nig nachstund,  welches  die  Hauptstadt  zerstört  hatte. 
Der  Boden  erlitt  mehrere  Stunden  nach  einander  un- 
unterbrochene Schwino;un";en.  Es  erfolgten  beträcht- 
liehe  Bergstürze  5  gewaltige  Felsmassen  lösten  sich  von 
der  Sllla  de  Caracas  ab.  Man  behauptete  sogar  (und 
diese  Meinung  Ist  jetzt  noch  allgemein  im  Lande  ver- 
breitet,), die  beyden  abgerundeten  Spitzen  der  Sllla  hät- 
ten sich  um  5o  bis  6o  Toisen  gesenkt.  Diese  Behaup- 
tung beruht  aber  auf  keinerley  Messung.  Mir  ist  be- 
kannt, dafs  man  auch  in  der  Provinz  Quito  bey  jeder 
grofsen  Erderschütterung  sich  einbildet,  der  Vulcan  von 
Tunguragua  sey  niedriger  geworden. 

In  mehreren,  bey  Anlafs  der  Zerstörung  von  Ca- 
racas bekannt  gemachten  Nachrichten  ward  behauptet, 
„der  Berg  la  Sllla  sey  ein  ausgelöschter  V^ulcan,  man 
finde  viele  vulcanische  Erzeugnisse  auf  dem  Weg,  der 
von  la  Guayra  nach  Caracas  führt  *^,  die  Felsen  bieten 
keine  regelmäfsige  Schichtung  dar,  und  sie  tragen  alle 
das  Gepräge  des  Feuers  an  sich."     Man  hat  sogar  auch 


*)  Man  sehe  die  Noliz  des  Herrn  Drouet  von  Guadeloupe, 
übersetzt  in  den  Trans,  oj  N'W-YoTla ,  Vol.  I  ,  p.  5o8.  Ihr 
Verfasser,  indem  er  der  Silla  900  Toisen  absoluter  Hölje 
giebt,  hat  in  meiner  Messung  die  Höhe  des  Berges  über 
der  Meeresfläche  mit  der  Hölie  nber  dem  Thale  von  Ca- 
racas verwechselt,  welches  einen  Unterschied  yoxi  460  Toisen 
macht. 


20 


Bach     F. 


hinzugesetzt;  ',,es  hätten  Hr.  Bonpland  und  ich  zwölf 
Jahre  vor  der  grofsen  Catastrophe ,  zufolge  unsrer  mi- 
neralogischen und  physicali'chen  Untersuchungen,  die 
Silla  als  eine  gefahrliche  Naclibarschaft  für  die  Stadt 
angeschen,  indem  dieser  Berg  vielen  bchwefol  enthalte 
und  die  Erschütterungen  von  der  Nord -Ost- Seite  her- 
kommen miifsten/^  Ks  gescliieht  selten,  dafs  Natur» 
forscher  sich  Avegen  einer  in  Erfüllung  gegangenen  Vor- 
hersagung rechtfertigen  müssen,  allein  ich  achte  mich 
verpflichtet,  irrige  Meinungen  zu  hestreiten,  welche 
üher  die  örtlichen  Ursachen  derErdhehen  allzuleichten 
Eingang  finden. 

Ueherall  wo  der  Boden  ganze  Monate  lang  in  steter 
Bewegung  bleibt,  wie  auf  Jamaica  '•)  im  Jahr  169'^,  zu 
Lissabon  im  Jahr  175Ö,  in  Cumana  im  Jahr  1766,  in 
Piemont  im  Jahr  1808,  erwartet  man  den  bevorstehen- 
den Ausbruch  eines  Vulcanes.  Man  vergifst,  dafs  der 
wirksame  Herd  oder  Mittelpunct  fern  von  der  Erdober- 
flüche gesucht  werden  mufsj  dafs,  zuverlässigen  An- 
gaben nach,  die  Schwingungen,  und  zwar  so  zu  sagen 
im  nämlichen  Augenblick,  sich  auf  tausend  Meilen  weit 
über  Meere  von  grof  er  Tiefe  hin  fortpflanzen;  dafs 
die  grüfsten  Zerstörungen  nicht  am  Fufse  wirksamer 
Vulcane,  sondern  in  Bergketten,  die  aus  den  ungleich- 
artigsten Steinarten  bestehen,  statt  finden.  Wir  haben, 
im  vorhergehende  I  Buche,  die  geognostische  Beschrei- 
bung der  Gegend  von  (^aracas  geliefert;  es  finden  sich 
da'^elbst  Gneifse  und  Glimmerscliicfer,  welche  Lager  von 
Urkalkstein  enthalten.  Die  Schicht  n  sind  weder  mehr 
gebrochen,  noch  unregelmäfiger  eingesenkt,  als  bey 
Freiberg  in  Sachsen  und  allentlialben  ,  wo  das  Ur- 
gebi.-ge  sich  schnell  zu  grofser  Höhe  erhebt;    ich  habe 


*)  Phil.   Trans,  for  1694.  p.  99 


Kapitel     XIV.  21 

daselbst  weder  Basalt  noch  Dolerit  gefunden,  niclit  ein- 
mal Trachyten  oder  Trapp- Porphyre,  überhaupt  kei- 
nerley  Spur  au'-'gelöschttu'  Vulcane,  es  wäre  denn,  dafs 
man  wollte  die  Diabasen  oder  primitiven,  im  Gneifs 
voi  kommenden  Grünsteine  als  Spalten  ausfüllende  Lave- 
massen  betrachten.  Es  ist  dieser  Grünstein  von  gleicher 
Art  mit  dem  in  Böhmen,  Sachsen  und  Franken  vor- 
kommenden *),  und  was  man  auch  immer  über  die  vor- 
maligen Ursachen  der  Oxydation  der  Erdoberfläche  für 
eine  Meinung  gefafst  haben  mag,  so  wird  man  doch, 
denke  ich,  nicht  alle  Urgebirge,  welche  Gemengsei  von 
Hornblende  und  körnigem  Feldspath,  sey  es  in  Gängen 
oder  in  Kugeln  mit  concentrischen  Schichten  entiial- 
ten,  vulcaaisches  Gebiet  nennen.  Man  wird  den  Mont- 
Blanc  und  den  Mont  d'Or  nicht  in  die  nämliche  Klasse 
zusammen  ordnen.  Die  Anhänger  des  Universal -Vul- 
canismus  oder  der  sinnreichen  Hutton'schen  Theorie, 
unterscheiden  selbst  auch  die  Laven,  welche  unter  dem 
blofsen  Druck  der  Atmosphäre  auf  der  Oberfläche  des 
Erdballs  ihren  Flufs  nahmen,  von  denen  di<!  unter  dem 
gewaltigen  Druck  des  Oceans  und  aufliegender  Felsmas- 
sen durchs  Feuer  gebildet  wurden.  feie  würden  die 
Auvergne  und  das  granitische  Thal  von  Caracas  nicht 
unter  dem  gemeinsamen  IN  amen  einer  Landschaft  aus- 
gelöschter Vulcane  bezeichnen. 

INie  konnte  mir  in  den  Sinn  kommen,  auszuspre- 
chen, es  seyen  die  Silla  und  der  Cerro  de  Avila,  Berge, 
die  aus  Gneifs  und  Glimmerschiefer  bestehen,  eine  ge- 
fährliche Nachbarschaft  für  die  Hauptstadt,  weil  sie  in 


*)  Dieser  Grünstein  findet  sich  in  Böhmen ,  nahe  bey  Pilsen, 
im  Granit;  in  Sachsen  im  Glimmerschiefer  von  Schnee  erg; 
in  Franken  in  übergangsschieferschen  Stechen  und  Lauen- 
stein. 


32  B  u  c  h    r. 

nnlergeordneleii  L,agern  des  Urkalksteins  vielen  Schwe- 
felkies enthalten;  wohl  aber  erinnere  icbjnich,  w&\\' 
rend  meines  Aufenthalls  in  Caracas  gesagt  zu  haben,  es 
scheine  sich  tler  östliche  Ündtheil  der  Terra-  Firma  seit 
dem  grofsen  Erdbeben  von  Quito  in  einem  aufgeregten 
Zustand  zu  befinden,  der  die  Besorgnisse  erwecken  kön- 
ne, OS  möchte  die  Provinz  Venezuela  nach  einiger  Zeit 
ebenfalls  gowalt.-ame  Erschütterungen  erleiden.  Ich 
setzte  hinzu,  wenn  eine  Landschaft  lange  Zeit  Erdstös- 
sen  ausgesetzt  gewesen  sey,  so  scheinen  sich  neue  un- 
terirdische Verbindungen  mit  den  INachbarländern  zu 
öffnen,  und  die  in  der  Kichlung  der  Silla  nordöstlich 
von  der  Stadt  gelegenen  Vulcane  der  Antillen  seyen  viel- 
leicht Luftlöcher,  wodurch  zur  Zeit  der  Ausbrüche  die 
elastischen  Flüssigkeiten,  welche  die  Erdbeben  auf  den 
Küsten  des  Festlandes  verursachen,  ihren  Ausgang  neh- 
men. Es  ist  aber  ein  grofser  Unterschied  zwischen  die- 
sen, auf  Kenntnifs  der  Oertlichkeiten  und  blofse  Ana- 
logien gegründeten  Vermutbungen,  und  einer  durch 
den  Gang  der  JNaturereignisse  gerechtfertigten  Vorher- 
sagung. 

Während  gleichzeitig  im  Thale  von  Mississipi,  auf 
der  Insel  Saint- Vincent  \ind  in  der  Provinz  Venezuela 
jene  heftigen Erdst"fse  erfolgten,  ward  man  am  3o. April 
1812  zu  Caracas,  zuCalabozo,  das  mitten  in  den  Steppen 
liegt,  und  an  den  Gestaden  des  Rio  Apure,  in  einer 
Ausdehnung  von  4000  Geviertmeilcn^  durch  ein  unter- 
irdisches Getöie  erschreckt,  das  dem  wiederholten  Los- 
brennen von  Feuerschlünden  des  gröfsten  Kalibers  glich. 
Dies  Getöse  fieng  um  zwey  L'hr  Morgens  an.  Es  war 
von  keinen  Stöfsen  begleitet,  und,  was  sehr  bemerkens- 
werth  ist,  an  der  Küste  gerade  eben  so  stark,  als  fünf- 
zig Meilen  weit  im  Innern  des  Landes.  Allenthalben 
glaubte  man,    es  werde  dasselbe  durch  die  Luft  über- 


Kapitel     KW.  23 

getragen,  und  man  \var  so  weit  entfernt,  seine  unter- 
irdische Nafur  zu  erkennen,  dafs  in  Caracas,  wie  in 
Calabozo,  militärische  Mafsnahmen  getroffen  wurden, 
um  den  Ort  gegen  einen,  wie  es.scliien,  mit  grobem 
Geschütz  anrückenden  Feind  zu  vertheidigen.  Hr.  Pa- 
lacio  hörte  bevm  Uebergang  des  Kio  Apure  unterhalb 
vonOrivante,  unfern  vom  Zusammenflufs  des  Hio  INula, 
aus  dem  Munde  der  Kingebornen,  „die  Kanonenschüs- 
se''^ seyen  eben  so  deutlich  am  westlichen  Ende  der  Pro- 
vinz Varinas,  als  im  Hafen  von  Guayra,  aufderlMord- 
seite  der  Küstenkelte  eehürt  worden. 

Der  Tag,  an  dem  die  Einwohner  von  Terra -Firma 
durch  ein  unterirdisches  Getöse  er«chrecl;t  wurden,  war 
der  nämliche,  an  welchem  der  grofse  Ausbruch  des  Vul- 
cans  der  Insel  Saint- Vincent  statt  hatte  *).  Dieser  nahe 
an  5oo  Toisen  hohe  Berg  hatte  seit  dem  Jahr  1718  keine 
Lave  ausu;eworfen.  Kaum  bemerkte  man  einigen  Rauch 
aufsteigen,  als  imMaiiSu  öftere  Stöfse  verkündigten, 
das  vulcanische  Feuer  habe  sich  entweder  neu  entzün- 
det, oder  diesem  Theil  der  Antillen  zugewandt.  Der 
erste  Au?bruch  erfolgte  nicht  eher  als  am  27.  April  1811 
um  Mittag.  Es  war  nur  ein  Auswurf  von  Asche,  aber 
mit  einem  entsetzlichen  Krachen  begleitet.  Am  3osten 
geschah  der  Abflufs  der  Lave,  die  nach  vier  Stunden 
das  Meer  erreichte.  Das  Getöse  des  Ausbruchs  glich 
,,dem  wechselnden  Losbrennen  von  Kanonen  groben 
Kalibers  und  einem  Musketenfeuer  5  und,  was  sehr  be- 
merkenswerth  ist,  man  fand  dasselbe  stärker  auf  offener 
See,    in  grofser  Entfernung  von  der  Insel,  als  im  An- 


*)  Barhadoes  Gazette  Jor  May  6,  1812.  Bibl.  britt.  •,  j8j3, 
Mai^  p.  90.  ^ew  England  Journal  ofßledicine,  i8i5,  p.  gS. 
Trans,  of  New  Fork,  Tom.  I.  p.  5i5.  I^  Blont,  Fby.  aux 
Antil/es ,  Tom.  I,  p.  187. 


24  B  u  c  h     F. 

geslcht  des  Landes,   ganz  nahe  beym  brennenden  Vul- 
cane/^ 

Die  Entfernung  des  Vulcans  von  Saint-Vincent  vom 
Rio  Apure,  nächst  der  Ausmündung  des  Nula,  beträgt 
210  Mt'ilen  *)  ;  der  Ausbruch  ward  demnach  in  einer 
Entfernung  gehört,  welche  derjenigen  des  Vesuvs  voa 
Paris  gleich  kümmt.  Diese  Erscheinung,  der  sich  eine 
Men^e  andere,  in  der  Cordillere  der  Anden  beobachtete 
Thatsachen  anschlicfsen,  beweist,  wie  viel  ausgedehnter 
die  unterirdische  Thätigl<eit  eines  Vulcanes  ist,  als  man, 
den  kleinen  auf  der  Erdoberfläche  bewirkten  Verände- 
rungen nach,  zu  glauben  vei'sucht  seyn  sollte.  Die  De- 
tonationen, welche  in  der  neuen  Welt,  ganze  Tage  lang 
auf  \o,  auf  100  und  bis  auf  200  Meilen  von  einem  Krater 
entfernt^  gehurt  werden,  gelangen  nicht  durch  Fort- 
pflanzung des  Tones  in  der  Luft  zu  uns  5  das  Getöse 
theilt  sich  durch  die  Erde  mit,  vielleiclit  an  der  Stelle 
selbst,  wo  wir  uns  befinden.  Würden  die  Ausbrüche 
des  Vulcans  von  Saint- Vincent,  des  Cotopaxi,  oder  des 
Tunguragua  so  weit  hin  ertönen,  wie  ein  Feuerschlund 
von  ungeheurem  Umfang,  so  müfste  die  Stärke  des  Don- 
ners im  umgekehrten  Verhältnifs  der  Entfernung  wahr- 
genommen werden:  die  Erfahrung  zeigt  aber,  dafs  dies 
nicht  der  Fall  ist.  INoch  mehr:  auf  der  Südsee,  wäh- 
rend der  U eberfahrt  von  Guayaquil  nach  den  Küsten 
von  Mexico,  kamen  Hr.  ßonpland  und  ich  aufstellen, 
wo  unsere  sämmtlichen  Matrosen  von  einem  dumpfen, 
au-  der  Tiefe  des  Oceans  aufsteigenden  und  durcli  das 
Wasser  uns  mitgetheilten  Getöse  erschreckt  wurden.  Es 
geschah   dies  zur  Zelt  eines   neuen  Ausbruchs  des  Co- 


*)  Es  sind  jederzeit,  wo  das  Gegentheil  nicht  ausdrücklich  he- 
merkl  wird,  Seemeilen  zu  20  auf  den  Grad,  oder  von  i855 
Toisen  gemeint. 


Kapitel      XIV.  25 

topaxi.  und  wir  waren  von  diesem  Vulcane  eben  so  weil 
eitfiM-nt,  als  die  Entfernung  Neapels  vom  Aetna  betri'fit. 
Man  rechnet  nicht  weniger  als  145  Mellon  *)  vom  Vul- 
cane  dos  Cotoj)axi  bis  zu  der  kleinen  Stadt  Honda  am 
Gestade  des  Magdalenen-Flusses ;  def«unerachtet  hürte 
man  zur  Zeit  der  heftigen  Ausbrüche  dieses  Vulcans  im 
Jahr  1744  in  Honda  ein  unterirdisches  Getöse,  das  für 
ein  Losbrennen  groben  Geschützes  gel>alten  ward.  Die 
Frair/.iscaner  Mönche  breiteten  die  JNachricht  aus,  (^ar- 
tliagena  werde  von  den  Britten  belagert  und  bombardirt, 
und  es  fand  dieselbe  bey  den  Einwohnern  überall  Ein- 
gang. Der  Vulcan  von  Cotopaxi  ist  aber  ein  Kegel, 
welcher  mehr  denn  1800  Toisen  über  dem  Becken  von 
Honda  emporsteht:  er  sondert  sich  von  einem  Plateau 
ab,  dessen  Erhöhung  über  dem  Magdalenen-Thal  au» 
noch  i5oo  Toisen  beträgt.  Zwischen  inne  stehen  die 
sämmtlichen  colossalischen  Berge,  so  wie  die  vielfachen 
Thäler  und  Schluchten  von  Quito,  von  der  Provinz  de 
los  Pastos  und  von  Popayan.  Es  läfst  sich  nicht  denken, 
dafs,  unter  diesen  Umständen,  das  Getöse  durch  die 
Luft,  oder  durch  die  Schichten  der  Erdoberfläche  sich 
fortgepflanzt  und  von  dem  Punct  hergekommen  sey,  wo 
der  Kegel  und  der  Krater  von  Cotopaxi  stehen.  Es  ist 
vielmehr  wahrscheinlich,  dafs  der  erhabene  Theil  des 
Königreichs  Quito  und  der  benachbarten  Cordilleren 
keineswegs  aus  einer  Gruppe  vereinzelter  Vulcane  be- 
steht ,  sondern  dafs  diese  eine  gemeinsame  gewölbt© 
Masse  bilden,  eine  mächtige  vulcanische  Mauer,  di» 
von  Süden  nach  Norden  ausgedehnt,  einen  Gebirgskamm 
von  nahe  an  600  Geviertmeilen  Oberfläche  darbietet. 
Der  Cotopaxi,  der  Tunguragua,  der  Antifana,  der  Pi- 
chincha  befinden  sich  über  diesem  Gewölbe  und  stehen 


*)  Es  ist  dies  die  Entfernung  des  Vesuv»  vom  Montblanc. 


26  B  u  c  h     V. 

Sämmtlicli  avif  dem  unterhölilten  Boden,  Sie  führen 
ungleiche  JNairien^  wenn  ?ie  schon  nur  verschiedene 
Eri. Übungen  einer  getnein^anien  vulcanischen  Gi-und- 
mauer  sind.  Das  Feuer  nimmt  seinen  Ausgang  bald 
durch  den  einen,  bald  durch  den  anderen  jener  Gipfel. 
Die  geschlossenen  Krater  erscheinen  uns  als  au'Jgelü^chte 
Vulcanej  es  ist  jedoch  wahrscheinlich,  dafs  wenn  gleich 
der  Cotopaxi  oder  der  Tunguragua  während  eines  Jahr- 
huv,derts  nur  einen  oder  zwey  Ausbrüche  machen,  das 
Flauer  darum  nicht  desto  minder  unter  der  Stadt  Quito, 
unter  Fichincha  und  Imbaburu  sich  in  einer  beständigen 
Wirl<samkeit  befindet. 

Weiter  nordwärts  erblicken  wir,  zwischen  demVul- 
can  von  Cotopaxi  und  der  Stadt  Honda,  zwey  andere 
vulcanische  ßergsysteme ,  diejenigen  von  los  Pastos 
und  von  Popayan.  Die  Verbindung  dieser  Systeme  hat 
sich  in  den  Anden  auf  eine  ganz  unzweydeulige  Weise 
durch  eine  Erscheinung  zu  Tage  gelegt,  deren  ich  be- 
reits, wo  von  der 'letzten  Zerstörung  von  Cumana  die 
Rede  war,  zu  erwähnen  den  Anlafs  hatte.  Eine  dichte 
Rauchsäule  war  seit  dem  November  1736  dem  Vulcan 
von  Pasto  entstiegen,  welcher  westlich  der  gleichnami- 
gen Stadt  in  der  Nähe  des  Thaies  vom  Hio  Guaytara 
liegt.  Die  Mündungen  des  Vulcanes  stehen  seitwärts 
und  befinden  sich  am  westlichen  Abhänge;  dennoch 
stieg  die  Rauchsäule  drey  einander  folgende  Monate 
lang  über  den  Bergkamm  also  empor,  dafs  sie  den  Be- 
wohnern der  Stadt  Pasto  allezeit  sichtbar  blieb.  Zu 
ihrem  grüfsten  Erstaunen,  so  erzSlilten  sie  uns  alle,  sey 
am  4.  Hovnung  1797  der  Rauch  plötzlich  verschwunden, 
ohne  dafs  irgend  eine  Erschütterung  verspürt  ward. 
Es  geschah  dies  in  dem  Augenblick,  wo  65  Meilen  süd- 
wärts, zwischen  dem  (>hiniborazo,  dem  Tunguragua 
und  dem  Altar  (Capac-Vreu)  die  Stadt  Kiubamba  durch 


Kapitel     XfF.  27 

eines  der  verderbliclislen  Erdbeben  ^  deren  die  Ge- 
schiciite  Erwäbnung  tbiit;,  zerslört  ward.  Wie  liof-^e 
sicb's  bey  diesem  Zueansmentroflen  der  Erscbeitningen 
bt^zweifeln,  dafs  die  aus  den  klei)ien  Mündungen  oder 
Ventanillas  des  Vulcans  von  Pasto  aufsteig^enden  Dünste 
mit  dein  Drucke  der  elasiiscben  Flüssigkeiten  zusam- 
nienbängen^  die  den  Boden  des  Königreichs  Quito  er- 
schüttert, und  in  wenig  Augenblicken  dreyf-ig-  bis 
vierzigtausend  Einwohnern  den  Untergang  gebracht 
haben? 

Um  die  mächtigen  Wirkungen  der  vulcanisc/ten 
Reaclionen  zu  erklären,  vim  darzuthun,  dafs  die  Gruppe 
oder  das  VnJcanen-S^'slein  der  Antillen  ^  on  Zeit  zu  Zeit 
das  Festland  zu  erschüttern  vermag,  muf  le  ich  der  An- 
den-Cordillere  Erwähnung  thun.  Geologische  Vermu- 
thungen  mögen  nur  durch  Analogie  neuer  und  dem- 
nach unzweydeulig  bewährter  Thatsachen  tinterstützt 
werden  5  und  in  welch'  anderem  Erdstriche  liefsen  sich 
vulcanische  Erscheinungen  w^ahrnehmen,  die  zugleich 
gröfser  und  mannigfaltiger  wären,  als  in  dieser  durch's 
Feuer  emporgehobenen  doppelten  Bergkette,  in  diesem 
Lande,  \'\'0  die  Natur  über  jeden  Bei'ggipfel  und  jedes 
Thal  die  Fülle  ihrer  Wunder  ergossen  hat?  Betrachtet 
man  einen  entzündeten  Hrater  als  eine  abgesonderte  Er- 
scheinung, zieht  man  allein  nur  die  Masse  seiner  aus- 
geworfenen steinartigen  Erzeugnisse  in  Betrachtung,  so 
kann  uns  die  vulcanisclie  Wirksamkeit  auf  der  gegen- 
wärtigen  Oberfläche  des  Erdballs  weder  sehr  mächtig 
noch  sehr  ausgedehnt  erscheinen.  Allein  die  Vor- 
stellung des  Bildes  dieser  Wirksamkeit  vergröfsert 
sich,  nach  Mafsgabe  wie  wir  die  Verliältnisse  erfor- 
schen, welche  die  Vulcane  einer  gemeinsamen  Gruppe 
untereinander  verbinden  ,  zum  ßeyspiele  diejenigen 
yon   Neapel    und    Sicilien ,     jene    der    canarischen   In- 


aS  B  tt  c  h     V. 

sein  *),  der  Azoren,  der  kleinen  Antillen,,  die  Vulcane 
Ton  Mexico,  von  Guatimala  und  vom  Flateau  des  Quito, 
nach  Mafsgabe,  wie  wir  einerseits  die  gegenseitigen 
Rückwirkungen  dieser  vulcanischen  Systeme  aufeinan- 
der, und  anderseits  die  Entfernungen  würdigen,  in  de- 
nen sie  durch  unterirdische  Verliindungen  gleichzeitig 
die  Erde  in  Bewegung  setzen.  Das  Studium  der  V'ul- 
cane  zerfällt  in  zwey  Abtheilungen.  Die  eine,  rein  mi- 
neralogische, hat  die  Untersuchung  der  Steinlager  und 
Steinarten  zum  Gegenstand,  welche  das  Feuer  erzeugt 
oder  verändert,  von  der  Bildung  der  Trachyten  oder 
Trapp -Porphyre,   der  Basalte,  Phonolithen  und  Dole- 

*)  Schon  oben  (Th.  I.  Kap.  2.  S.  262.)  habe  ich  bemerkt,  wie 
die  Gesammtgruppe  der  canarischen  Inseln  ,  so  zu  sagen, 
über  einem  unter  dem  Meeresgrund  befindlichen  Vulcane 
steht,  dessen  Feuer,  seit  dem  i6ten  Jahrhundert,  abwech- 
selnd auf  den  Inseln  Palma ,  Tenerifla  und  Lancerote  seinen 
Ausbruch  nahm.  In  der  Auvergne  sehen  wir  ein  ganzes 
System  erstorbener  Vulcane ;  hingegen  darf  man  mitten  in 
einem  Systeme  wirksamer  Vulcane  einen  Berg  noch  keines- 
wegs als  erloschenen  Vulcan  betrachten,  dessen  Krater  ver- 
schlossen ist,  und  dessen  unterirdisches  Feuer  seit  Jahrhun- 
derten keine  neuen  Ausbrüche  gemacht  hat.  Der  Aetna, 
die  liparischen  Inseln,  der  Vesuv  und  der  Epomeo  ;  der  Pic 
von  Teyda,  Palma  und  Lancerota ;  St.  jMichel ,  die  Caldeira 
de  Fayal  und  Pico  ;  St.  Vincent,  St.  Lucie  und  Guadeloupe  ; 
der  Orizava,  der  Popocatepec,  der  Jorullo  und  die  Calima; 
der  Bombacho,  der  Vulcan  von  Granada,  der  Telica,  der 
Momotombo,  der  Isajco  und  der  Vulcan  von  Guatimala,  Co- 
topaxi ,  Tunguragua,  Pichincha,  Antisana  und  Sangay  ge- 
hören zum  nämlichen  Svsteme  brennender  Vulcane.  Sie  ste- 
hen überhaupt  reihenweise,  als  ob  sie  aus  einem  Hohlwege 
oder  einer  Spalte  her  ausgetreten  wären ;  und  was  sehr  be- 
merkenswerth  ist,  ihre  Keihenfolge  ist  bald  mit  der  all- 
gemeinen Richtung  der  Cordilleren  zusammentreffend ,  bald 
«teht  sie  derselben  entgegen.  (.Essai  politique  sur  le  Me- 
xique  1  Tom.  I.  p.  255.) 


Kapitel    XIV,  29 

rilen,  tis  herab  zu  den  jüngsten  Laven.  Die  andere^, 
weniger  zugängliche  und  Lis  dahin  vernachlässiglere 
Abtiicilung  begreift  die  physicalisclien  Verhältnisse,  wel- 
che die  Vulcane  untereinander  verbinden,  den  Einflufs, 
welchen  ein  vulcanisches  System  auf  das  andere  ausübt,  . 
den  Zusamnienhany,  welcher  sich  zwi  eben  den  feuer- 
speyenden  Bergen  und  den  Stüfsen  offenbart,  die  auf 
grofse  Entfernungen  hin ,  und  lange  anhaltend  in  glei- 
chen Kichtungen  die  Erde  erschüttern.  Es  kann  diese 
letztere  nicht  eher  bedeutende  Fortschritte  machen,  bis 
man  sorgfältige  und  genaue  Angaben  besitzen  wird,  von 
den  verschiedenen  Epochen  gleichzeitiger  Wirksamkeit;, 
Richtung,  Ausdehnung  und  Stärke  der  Erschüttervin- 
gen  ,  von  ihrem  allmähligen  Vorschreiten  in  vorhin 
durch  sie  unberührt  gebliebene  Gegenden  "Q,  von  dem 
Zusammentreffen  eines  entfernten  vulcanischen  Aus- 
bruchs mit  dem  unterirdischen  Getöse,  welches  die  Be- 
wohner der  Anden  um  seiner  Stärke  willen  auf  eine  aus- 
drucksvolle Weise  mit  dem  Namen  des  unterirdischen 
Gebrülls  und  Donners  **)  belegt  haben.  Diese  sämmt- 
lichen  Angaben  gehören  in  das  Gebiet  der  Naturge- 
schichte, einer  Wissenschaft,  der  nicht  einmal  ihr  Name 
gesichert  geblieben  ist,  und  die,  wie  alle  Geschichte  von 
Zeiten  ausgeht,  welche  uns  fabelhaft  vorkommen,  und 
von  ('ata«trophen,  deren  Gewalt  und  Gröfse  unsere  Phan- 
tasie nicht  erreichen  mag. 

Man  hat  sich  lange  Zeit  darauf  beschränl<t,  die  Ge- 
schichte der  Natur  mittibt  alter,  in  der  Erde  vergra- 
b  er Denkmä'iler  zu  studieren;  wenn  über  auch  gleich 
der  e  Ige  Kreis,  worauf  zuverlässige  U eberliefe run-^en 
bescbrlnkt  sind,  so  allgemeine  Umwälzungen  nicht  dar^ 


*)  Vergleiche  oben  T.  I.  Kap.  4.  S.  ^gS. 
•*)  B.  amidof  y  Cruenot  subterraneos. 


3o  B  II  c  h     V. 

biotet,  wie  jene  sind,  welche  die  Cordilleren  cinpo!*- 
hoben  und  Myriaden  pelagischor  Goschüpfe  in  die  Erde 
versenkten^  so  bietet  die  vor  unsern  Augen  wirksame 
Natur  darum  nichts  desto  minder  solche  tuniultuarische 
ohsclion  nur  partielle  V^eränderu+igen  dar,  deren  Kr- 
foischuniT  auch  die  entferntesten  Zeiträume  zu  beleuch- 
ten vermag.  Im  Innern  des  Erdballs  thronen  jene  ge«! 
heimnifsvollen  Kräfte,  deren  V\  irkungen  sich  auf  der 
Oberfläche  kund  machen  ,  durch  die  Erzeugung  von 
Dünsten,  von  glühenden  Schlacken,  von  neuen  vulca- 
nischen  Steinarten  und  Thermahjuellen,  durcli  empor- 
steigende Inseln  und  Berge,  durch  Erschütterui'ijen,  die 
sich  mit  der  Schnellio^l<eit  des  ekctrischen  Schla^jes  fort- 
pflanzen,  und  endlich  durch  jene  untorirdischen  Don- 
ner *),  welche  ganze  Monate  lang,  und  ohne  Erschütte- 
rung desErdbodens  in  Gegenden,  die  von  den  wirksamen 
Vulcanen  sehr  weit  entfernt  stehen,  gehört  werden. 

Nach  Mafsgabe,  wie  die  Aequinoctial-Länder  Ame- 
rica's  in  ihrer  Bevölkerung  und  t>ultur  Fortschritt.^  ma- 
chen,  und  wie  die  Vulcanen-Systenie  des  mexicanischen 


*)  Jene,  welche  die  Einwohner  der  Stadt  Giianaxualo  in  Me- 
xico in  Unruhe  und  Besorgnifs  versetzten ,  dauerten  vom 
9.  Jenner  bis  zum  12.  Hornung  1784.  Diese  Erscheinung, 
unter  den  genau  Leobachteten  Leynahe  die  einzige  ihrer 
Art,  soll  in  der  Portsetzung  dieser  Heise  beschrielicn  wer- 
den. Hier  ist  die  ßemer{;ung  hinreichend,  dai's  die  Sladt 
vierzig  Meilen  nördlich  von  dem  Vulcane  von  Jorullo  liegt, 
und  60  Meilen  nordwestlich  vom  Vulcan  von  Pupocatepetl. 
An  Stellen,  welche  diesen  zwey  Vulcanen  naher  lagen,  in 
drev  Meilen  Hntrernung  von  üuanaxuato,  wurden  die  un- 
terirdischen Donner  nicht  gcho'l.  Das  Gelöse  beschrankte 
sich  auf  einen  sehr  engen  Kaum  in  der  Uegion  eines  Ür- 
schiefers,  der  sich  dem  Ueliergangsschiefer  nähert,  welcher 
die  reichsten  Silberminen  der  bekannten  Welt  enthält ,  und 
der  hinwieder  mit  Trapp -Poiphyr-,  Schiefer-  und  Grünstein- 
Lagern  bedeckt  ist. 


Kapitel    KIF.  3i 

Central-PIateau,  der  kleinen  Antillen,  jene  von  Popayan, 
von  los  Pastos  und  von  Quito  Üeifsi^er  beobachtet  wer- 
den, uird  auch  der  Zusanimenhaiig-  der  Ausbrüche  und 
der  Erdbeben,  welche  ihnen  vora  :sgehen  und  sie  zu- 
weilen begleiten,  allgemeiner  anerkannt  u^erden.  Die 
vorhin  genannten  \  ulcane,  vorzüglich  jene  der  Anden, 
Welche  die  gewallige  Hübe  von  25oo  Toisen  überstei- 
gen, bieten  der  Beobachtung  grofseVorthcile  dar.  Die 
Epochen  ihrer  Ausbrüche  sind  sehr  ausgezeichnet.  Sie 
bleiben  dreyfsig  bis  vierzig  Jahre  unthätig,  ohne  Schla- 
cken, Asche,  oder  auch  nur  Dünste  auszustofsen.  In 
dieser  Zwischenzeit  bemerkte  ich  keine  Spur  von  Rauch 
über  dem  Gipfel  des  Tunguragua  und  des  Cotopaxi. 
Eine  dem  Krater  des  Vesuvs  entsteigende  HauchwolUe 
mag  kaum  die  Aufmerksamkeit  der  Einwohner  von  Nea- 
pel erregen ,  sie  sind  an  die  Bewegungen  dieses  kleinen 
Vulcanes  gewölint,  welcher,  zuweilen  lwqj  bis  drey 
Jahre  anhaltend,  Schlacken  auswirft.  Es  hält  alsdann 
schwer  zu  entscheiden,  ob  der  Schlackenauswurf  im. 
Zeitpunct  eines  in  den  Apenninen  verspürten  Erdbebens 
beträchtlicher  war.  Auf  dem  Hucken  der  Cordilleren 
gewinnt  alles  eine  entschiethiere  Ansicht.  Ein  Aschen- 
auswurf, der  nur  einigt  Minuten  dauert,  wifd  öfters 
von  einer  zehnjährigen  Kühe  begleitet.  Bey  solchen 
Umständen  hält  es  nicht  schwer,  Epochen  zu  bezeich- 
nen und  das  Zusammentreffen  von  Erscheinungen  an- 
zuerkennen. 

Wofern ,  wie  sich  daran  in  der  That  nicht  zweifeln 
läfst,  die  Zerstörung  von  Cumana  im  Jahr  1797^  und 
diejenige  von  Caracas  im  Jahr  1812  den  Einllufs  der 
Vulcane  der  kleinen  Antillen  '^')  auf  die  Erschütterungen 

*)  Die  Reihenfolge  der  Erscheinungen  ist  diese: 

87.   Septe/uber    i"<)6.     Ausbruch    auf  den   kleinen  Antillen 
rVulcan  von  Guadeloupe.) 


3z  Buch    V. 

der  Küsten  des  Festlandes  darlhun,  so  mag  am  Schlüsse 
dieses  Capitels  ein  kurzer  UebtrJjlick  dieses  miltellän. 
dischen  Archipelagus  an  seinei-  Stelle  seyn.  Die  vul- 
kanischen Inseln  bilden  den  fünften  Theil  des  Bogens, 
welcher  sich  von  der  Küste  von  Paria  his  zur  Halbinsel 
Florida  erstreckt.  Vermöge  ilirer  Ausdelinung  von  Sü- 
den nach  Norden  schliefsen  sie  auf  der  Ostseite  dieses 
Binnenmeer,  während  die  grofsen  Antillen  gleichsam 
die  Trümmer  einer  Gruppe  von  Bergen  primitiver  For- 
mation bilden,  deren  höchster  Theil  sich  zwischen  dem 
Cap  Abacou,  dem  Cap  Morant  uncl  den  hupjerhergea 
an  der  Stelle  befunden  zu  haben  scheint,  wo  die  Inseln 
St.  Domingue,  Cuba  und  Jamaica  einander  am  nächsten 
stehen.  Betrachtet  man  das  atlantische  Wasserbecken 
als  ein  sehr  grofses  77t«/  *) ,  welches  die  beyden  Fest- 
^ lande 

Noifember  i'j^^.    Der  Vulcan  von  Pasto  fangt  zu  rauchen  an. 
j4.  December  1796.     Zerslörung  von  Cuniana. 
4.   Februar  1797.     Zerstörung  von  Riobamba. 
3o.  Januar   löi  1.      Erscheinung  der  Insel  Sabrina   hey  den 
Azoren.      Sie  vergröfserl   sicli    insonderheit   am  i5.  Juni 
1811. 
May    1811.     Anfang  der  Erdbeben  der  Insel  Saint-Vincent, 

die  bis  zum  May   1812  andauern. 
16.   December  1811.     Anfang  der  Erschütterungen  im  Thale 
vom    Mississipi   und    Ohio,     die   bis   in's   Jahr    181 5    an- 
dauerten. 
December  1811.     Erdbeben  in  Caracas. 
26.  März.   1811.     Zerstörung  von  Caracas.     Erdbeben,    die 

bis  ins  Jahr   181 3  andauerten. 

3o.  April  1811.     Ausbruch    des  Vulcans  von  Saint-Vincent, 

und,    am  gleichen  Tag,    unterirdisches  Getöse  in  Caracas 

und  an  den  Gestaden  des  Ajture. 

*)  Man  vergleiche  meine  eiste  geologische Shizzc  des  südlichen 

America,    die  Herr  Delametherie    im   Journal  de    Phystque^ 

Tom.  LH!,    p.    35.    bekannl    gemacht   bat.      Die    Küsten   des 

alten  Continents  zwischen   dem  5ten  und  loten  Grad  nördlich 

liiiben 


Kapitel    XIF.  33 

lande  von  einander  trennt,  und  worin,  vom  20°  nüdlicl» 
his  7,uni  3o°  nördlic  I,  die  voi  spriiigenden  Winkel  Cßi'a- 
silien  und  benegamhien)  den  einwärts  gehenden  Win- 
keln (der  Golf  von  Guinea  und  das  Antillenineer^  ent- 
sprechen, so  wird  man  auf  die  Vermuthung  geleitet, 
dieses  letztere  Meer  sey  durch  Strömungen  gehildet 
^worden,  die,  wie  die  gegenwärtige  iireisslrömuiig^ 
von  Osten  nach  Westen  gerichtet  waren,  und  den  Süd- 
küsten von  Porto- Hico,  von  St.  Dominyue  und  von  der 
Insel  Guha  *)  eine  so  einförmige  Gestaltung  ertheilten. 
Es  hat  diese  wahrscheinliche  Vorausset/Aing  eines  pe- 
lagischen  Einbruchs  zwey  andere  Hypothesen  über  die 
Entstehuno-  der  kleinen  Antillen  veranhifst.  Einige  Geo- 
logen  nehmen  an,  es  stelle  diese  ununterbrochene  In- 
selkette, von  Trinidad  bis  Florida,  die  Trümmer  einer 
vormaligen  Bergkette  dar.  Sie  verbinden  diese  Ilette 
entweder  mit  den  Granitlelsen  des  fi'anzüsischen  Guinea^ 
oder  mit  den  Kalkbergen  von  Paria.  Andere,  durch  die 
Verschiedenheit  der  geognostischen  Beschallenheit  des 
Urgcbirgs  der  grofsen  Antillen  und  der  vulcanischen 
Kegel  der  kleinen  Antillen  geleitet,  sehen  diese  letzteren 
als  Erzeugnisse  des  Meergrundes  an. 


haben  die  gleiche  Richtung  Cvon  Südost  gen  Nordwest)  wie 
die  ainericanisclien  Küsten  zwischen  G°  südlich  und  10"  nörd- 
h'ch.  Hinwieder  zeigt  sicii  die  Küstenrichtung  von  Südwest 
gen  [Nordost,  in  America,  zwischen  dein  So"  und  72^5  auf 
dem  alten  Continent  zwischen  dem  25°  und  70°.  Das  Thal 
ist  enger  (3oo  Meilen)  zwischen  dem  Cap  Saint- Roch  und 
Sierra  I-eone.  Verfolgt  man  dieKüslen  des  neuen  Contincnts 
nordwärts  von  seinem  pyramidalischen  Endstücke  oder  dei^ 
magellanischen  Meerenge,  so  glauht  man  die  Wirkungen  eines 
Antriebes  zu  erkennen,  der  anfangs  nordostwärts,  alsdann 
nordwestwärts  und  zuletzt  wieder  nordostwärts  gericlilet  war. 

*)  Zwischen  dem  Cap  Majzi  und  dem  Cap  Cruz. 

j4lex.   V.   Humboldts  hist.   Reisen.  III.  3 


34  Buch     y. 

Erinnert  man  sich  der  geraden  Richtung,  welche 
die  vulcanischen  Aufstände  meist  heobachten,  wenn  sie 
durch  weithin  verlängerte  Kisse  geschehen ,  so  sieht 
man,  dais  es  schwer  hält,  nach  der  hlolsen  Lage  des 
Kraters  zu  beurtheilen,  oh  die  Vulcane  vormals  zur 
nämliclien  Kette  gehört  haben,  oder  ob  sie  von  jeher 
isolirt  waren.  Angenommen,  der  Ocean  würde  einen 
Ausbruch  machen,  entweder  gegen  den  östlichen  Theil 
der  Insel  Java  *),  oder  gegen  die  Cordilleren  von  Gua- 
»timala  und  Nicaragua,  wo  so  viele  feuerspeyende  Berge 
eine  zusammenhängende  Kette  bilden,  so  würde  diese 
Kette  in  mehrere  kleine  Inseln  zertheilt  werden  ,  und 
vollkommen  dem  Archipelagus  der  kleinen  Antillen  glei- 
chen. Auch  die  Vereinbarung  der  Primiliv-Forjnationen 
und  der  vulcanischen  Steinarten  in  der  nämlichen  zu- 
sammenhängenden Bergkette  hat  nichts  befrenidendes  : 
man  erkennt  dieselben  deutlich  in  meinen  geognosti- 
schen  Durchschnitten  der  Anden -Cordillere.  Die  Tra- 
chyten  und  die  Basalte  von  Popayan  belinden  sich  durch 
die  Glimmerschiefer  von  Almaguer  vom  Systeme  der 
Quito- Vulcane  abgesondert;  wie  die  Quito-Vulcane  iiin- 
wied&r  durch  die  Gneifse  des  Condorasto  und  des  Gua- 
sonto  von  den  Assuay'schen  Trachyten  getrennt  sind  **'). 
Es  giebt  keine  wahrhafte  Bergkette  in  der  Richtung  von 
Süd-Ost  ^en  Nord- West,  vom  üyapoc  zu  den  Mündun- 
gen des  ürenoko,  als  deren  nördliche  Ausdehnung  die 
kleinen  Antillen  betrachtet  werden  könnten.      Die  Gra- 


*^  Eajfics,  Hislorj-  of  Jma  j  1817,  p.  25  —  28.  Die  Haupt- 
rlchlung  der  Java-Vulcane,  auf  einer  Ausdehnung  von  160 
Meilen,  zieht  sich  von  Westen  gen  Osten  durch  die  Berge 
von  GagaU,  Gede ,  Tankuhan,  Frahu ,  Ungarang ,  Meiapi, 
Lavvu,   VYilis,  Arjuna,  Dasar  und  Tashem. 

**)  Man  vergleiche  das  Niieäement  baromiCri<jue   et   lableati 


Kapitel     XIF.  35 

nile  von  Ouiana,  so  wie  die  liornbleadschiefer  *)^  wel- 
che ich  in  der  JVä.ie  von  ^ngostura^  a:i  Aen  Gestaden 
des  untern  üreno  iO  sah,  g-ehüren  den  Bergen  von  Pa- 
caraiino  und  la  Pariine  an,  die  sicii  von  V'v  esten  nach 
Ostc'n  **)  ins  Innere  des  Landes  ausdehnen,  keineswegs 
aber  parallel  nii,t  d«  r  Ivüstenriclitung  zwischen  i{&\\  Aus- 
niündungen  des  aniazonen  -  Flusses  und  des  Urenokoj 
wenn  jedoch  schon  am  nordüstiichei»  Ende  der  Terra- 
Firina  koine  Bergkette  in  gleiciier  Richtung  mit  dem 
Archij)ela_ius  der  kleiiien  Antillen  vorlianden  ist,  so  folgt 
hieraus  allein  noch  keineswe^^s,  dals  die  vulcanischen 
Berge  der  Inselgruppe  niclit  ursprüiij^lich  dem  Festlande 
und  der  Küstenkette  von  Caracas  und  Cuiuana  angehört 
haben  konnten  ***^. 


des  formations  des  Andes ,  iti  meinen  Obs.  asir.  Tom.  I. 
p.  5oj  und  5ii.  ciN°    üö — 220.) 

*)  SchlsLes  aniphiboÜques;  AinjjliiJjolites  scliistoides  des  Hrn. 
ßrongniart. 

**3  Von  den  Kalaracten  von  Atures  zum  Rio  Esquibo.  Diese 
Ketle  von  Pacaraiiua  sclieidel  die  Gewä'^ser  des  Caronj  und 
des  Rio  Purime  oder  Rio  de  aeguas  Jjiancas.  Man  sehe 
meine  Analyse  de  l'  Alias  geogr. ,  PI.  X>J. 

***)  Unter  den  zalilreichen  ßeyspielen,  »veiclie  das  Gerüste 
des  Erdballs  darbietet,  nili  man  hier  nur  die  folgenden  er- 
wähnen: in  Europa,  die  reclit\vinl;iiclile  Einbiegung,  »velciie 
die  Ketle  der  Hochaipen  gegen  die  Küstenalpen  darsteilt; 
in  Asien,  den  Belour-tagh,  weloht-r  die  Que.  veibindung  des 
Mouz-tagii  mit  d'-m  Himaiava  bildet.  Zu  den  vorgelatslen 
^Meinungen,  weiciie  den  Forlsdirilten  der  inmei-alogisdien 
Erdbeschreüjung  hinderlicli  sind,  können  gezajiit  werden: 
].  die  Voraussetzung  einer  völligen  Beständigkeit  in  der  Rich- 
tung der  Berghelten  ;  2.  die  Hypothese  des  Zusammenhangs 
alier  dieser  Kelten;  5.  die  V  oiaussel/.ung ,  dais  je  die  höch- 
sten Gipfel  diePiiciilung  einer  (Jeniialketle  bestimmen;  4.  die 
Meinung,   dafs  überall,  wo  beträchtliche  Flüsse  entspringen. 


36  '  Bach      l. 

Wenn  icli  hier  die  Einwürfe  einiger  Lerühmler  Na- 
turforscher hekiirnpfe,  so  ist  meine  Absicht  ilocli  kei- 
neswegs, eine  vormalige  Vereinbarung  der  sänimtlichen 
kleinen  Antillen  in  Schutz  zu  nehmen.  Ich  bin  eher  «re- 
neigt,  sie  für  Eilande  anzusehen,  welche  durch's  Feuer 
emporgehoben ;,  in  der  Richtung  von  Süden  nach  Nor- 
den mit  derjenigen  Regelmäfsigkeit  gereihet  wurden, 
welclie  sich  uns  in  so  vielen  vulcanischen  Hügeln  der 
Auvergne,  in  Mexico  und  in  Peru  auf's  merkwürdigste 
darbietet.  Das  wenige,  was  uns  bis  dahin  von  der  geo- 
gnostischen  Beschaffenheit  dieses  Archipelagus  bekannt 
ist,  stellt  uns  ihn  als  demjenigen  der  Azoren  und  der 
canarisclien  Inseln  sehr  ähnlich  dar.  Das  Uro-ebirge 
liegt  nirgends  zu  Tage  *j,  und  es  findet  sich  nur,  was 
unmittelbar  den  Vulcanen  zugehört,  feldspathartige  La- 
ven,  Dolerite,    Basalte,    aus  Erdschlacken,    Bims-  und 


das  Daseyn  grofser  Plateaus  oder  sehr  hoher  Berge  könne  an- 
genommen werden. 
*)  rVauli  dem  Zeugnifs  der  Herren  Moreau  de  Jonnes  und 
Cortcs  CJournal  de  Phjs. ,  Tom.  LXX,  p.  129).  Dupugel 
und  I.e  Blond  glaahtcn  Granit  am  Berg  Pelee  auf  Mar- 
tinique und  in  anderen  Thcilcn  des  Archipelagus  wahrzuneh- 
men. iVoyage  aiix  AiUilles,  Tom.  I,  p.  87,  274  und  410). 
Der  Gneifs  ist  als  Bestandlheil  des  Schwefclbergs  der  Insel 
St.  Christoph  angegeben  worden.  Man  kann  nicht  mifs- 
trauisch  genug  gegen  solche  Angaben  sevn  ,  wenn  sie  in 
Werken  vorkommen  ,  deren  Verfasser  mit  der  Kunstsprache 
weniger  als  mit  den  Gegenständen  vertraut  sind.  Wie  grofs 
war  mein  Erstaunen  ,  als  Hr.  lAIutis  ,  wahrend  meines  Auf- 
enthalts in  Santa -Fe  de  Bogota,  mir  im  Journal  de  Phy- 
sique ,  1786,  p.  jai  eine  Abhandlung  des  Hrn.  I.-e  Blond 
vorwies,  worin  dieser,  librigens  achlungswerlbe,  Reisende  das 
Plateau  von  Bogota,  wo  er  jahrelangen  Aulenlbalt  gemacht 
halte,  als  ein  granitisches  Plateau  beschreibt.  Man  findet 
daselbst  nur  Secundar-Formationen  ,  Sandsteine  und  Gypi, 
wicht  einmal  einzelne  Bruchstücke  von  Granit. 


Kapitel     Xlt^.  3f 

Tuffstein  Lestehende  Genieng^sel.  Unter  den  Kalhfor- 
mationen  *)  mufs  man  die  den  vulcanischen  Tuffarton 
wesenllich  untergeordneten  von  denjenigen  unterschei- 
den, welche  von  Madreporen  und  anderen  Zoophyten 
herrühren.  Diese  letzteren  scheinen ,  der  Meinung-  des 
Hrn.  Moreau  de  Jonnes  zufolge,  Klippen  vulcanischer 
Herkunft  zur  Grundlage  zu  haben.  Die  Berge,  welch© 
Spuren  melir  oder  weniger  neuer  Entzündungen  dar- 
bieten, und  deren  einige  fast  neunhundert  Toisen  Höhe 
haben,  stehen  alle  auf  der  Westseite  der  kleinen  Antil- 
len **).  Jedes  dieser  Eilande  ist  nicht  durch  einmaliges 
Aufsteigen  entstanden:  die  meisten  scheinen  aus  abge- 
sonderten Massen,  welche  sich  allmählig  vereinbart  ha- 
ben, gebildet  zu  seyn  ***)  Der  vulcanische  Stoff  ward 
nicht  von  einer,  sondern  von  mehreren  Mündungen 
ausgeworfen  5  so  dafs  oftmal  ein  Eiland  von  geringem 
Umfang  ein  ganzes  System  von  Vulcanen  ****),    rein  ba- 

*)  Wir  liaben  solche  vorhin  (Th.  II,  S.  k'i'i-')  auf  Lancerota 
und  Fortaventura  im  System  der  canarischen  Inseln  angeführt. 
Unter  den  kleinen  Antillen  sind ,  nach  Hrn.  Cortc's ,  völlig 
kalharlige  Eilande :  Marigalanta ,  la  Desirada ,  die  Grande 
Terra  von  Guadeloupe  und  die  Grcnadillen.  Zufolge  der 
Beobachtung  eben  dieses  IVaturforschers  stellen  auch  Curacao 
und  Bonaire  iBucji-  Aj  re^  nur  Kail^forniationcn  dar.  Hr. 
Cortes  theilt  die  Antillen  i.  in  solche,  welche  sowohl  pri- 
mitive, secondare  und  vulcanische  Formationen  enllialten, 
wie  die  grofsen  Antillen;  2.  in  völlig  kalkartige,  oder  die 
dafür  gehalten  werden,  wie  Marigalanta  und  Curacao ;  5.  in 
die  theils  vulcanischen,  theils  kalkarligcn ,  wie  Antigua,  die 
St.  Bartholomäus-Insel,  St.  Martin  und  St.  Thomas;  4.  die 
ein  blos  vulcanisches  Gestein  darbieten,  wie  Saint- Vincent, 
Sainle- I.ucie  und  Saint -Eustache. 

**)  Siehe  die  Beobachtungen  des  Hrn.  Amie  in  dem  Rapport  sur 
Citat  du  Volcan  de  la  Guadeloupe ^  en  1797  ,  p.  17. 

***)  Siehe  oben  Th.  I.  Hap.  2.  S.  265. 

****>  Diese  Erscheinungen   finden  sich  sehr  gut  10  den  schönen 


3S  B  V  c  h     F. 

saltische  Theile  und  andere,  die  mit  frischer  Lave  be- 
deckt sind,  vereinbart.  IN  och  brennende  S  ulcane  sind 
die  von  ^aint- Vincent,  Sainte-Lucie  und  (juadeloupe. 
Der  erste  hat  in  den  Jahren  1715^  und  1S12  Lave  er- 
gosen:  im  zweyten  wird  dui"C:i  die  Verdichtung  der 
aus  den  Spalten  eines  vormaligen  Krati'rs  aufsteigenden 
Dünste  f"orlgi''iend  Schwefel  gebildet.  Dir  Vulcan  von 
Guadeloupe  spoyte  zum  letzton;. )al  Feuer  im  Jahr  1787. 
Der  Sc  iwefelberg  von  St.  (Christoph  brannte  noch  im 
Jahr  1692.  Auf  Martinique  miisscn  der  von  den  (ün£ 
Spit/.bergen  du  (^arbet  unigebene  Krater,  der  Vauclin 
und  der  Berg  Pelee  als  drey  ausgelöschte  Vulcane  be- 
trachtet werden.  JVlan  hat  dort  öfters  die  Wirkungen 
des  Blitzes  jnit  denen  des  untenrdi-chen  Feuers  verwech- 
selt. Der  anijehliche  vulcaniche  Aus!»ruch  vom  22.Jen- 
ner   1792*)    iit   durch    keine   zuverlässige    Beobachtung'' 


geologisclicn  Cliarlen  angpzpigt  ,  die  Hr.  Moreau  de  Jonne's 
heraus7.uge]jen  im  ßegriH  sielil. 
"J)  Jüunial  des  ivlines,  Tom.  111  ,  p.  5g.  Um  das  ganze  Sy- 
stem der  l^ulcane  der  kletne.'t  /iiiLillen  oiitcr  einem  gemein- 
samen Gcsichtspuncle  darzustellen,  »erde  ich  in  dieser  ISote 
der  Reihenordnung  der  Inseln  von  Siiüen  nach  INorden  folgen; 
Granada ,  der  vormalige  Kraler  ist  mit  Wasser  gef'iilll;  sie- 
dende VVasserquellen  ;  Basalte  zwischenSt.  Georg  und  Goave. — 
Saint-  l^incent,  l»rcnnender  Vulcan.  —  Salute  Lucie  ^  ein 
sehr  thätiger  Schvveielberg ,  der  Oualihou,  zwey  bis  drey- 
hunderl  Toisen  iiocli ;  lieiise  Wasserstrahlen ,  uelcjie  perio- 
disch kleine  J>ccl<en  anfüllen.  —  Martinique,  drey  grofse  er- 
loschene Vulcane:  der  Vauclin,  die  Spilzberge  von  Carhet, 
welche  vielleicht  die  höcjisten  Gipfel  der  kleinen  Antillen  sind, 
und  der  Berg  Pelee.  cDic  Huiie  dieses  Ictzleien  Berges  wahr- 
scheinlich 800  Toisen  ;  nacj»  I.c  Blond  670  T. ;  nach  Dupuget  , 
756T.  Zwischen  demVauciin  und  den  feld>palharligen  L.aven 
der  Spilzberge  von  Carbel  helindet  sich,  der  Angabe  des  Hrn. 
Moreau  de  Jonnes  zufolge,    in  einem  engen  Landstriche,    eine 


Kapitel     XIF.  3(3 

erwalirot.  Es  verhält  sich  mit  der  Vulcanen-Gruppe  der 
kleinen  Antillen,  wie  mit  jener  von  (^uilo  und  los  l'astos. 
Müiuhmi^ei),  die  mit  dem  unterirdischen  Feuer  weiter 
keine  Verbindung  zu  haben  scheinen,  stehen  auf  der 
nämliclien  Ijinie  mit  den  feuerspeyenden  Kratern  und 
wechseln  mit  ihnen  ab. 

Der  innigen  Verhältnisse  unerachtet,  die  sich  zwi- 
schen der  Wirksamkeit  der  V^ulcane  der  kleinen  Antillen 
und  den  Erdbeben  der  Terra -Firma  darstellen,  ge- 
schieht es  jedoch  nicht  selten,  dais  Erdstölse,  welche 
aul  der  vulcaniscen  Inselgruppe  verspürt  werden^  sich 
weder  auf  die  Insel  Trinidad^  noch  an  die  Küs-ten  von 
Cumana  und  Caracas  fortpflanzen.  Dieser  Umstand  hat 
nichts  befremdendes.  Auch  in  den  kleinen  Antillen  selbst 
bleiben  die  Erschütterungen  öfters  auf  eine  einzige  Insel 
beschränkt.  Der  grofse  Aufbruch  des  Vulcans  von  Saint- 
Vincent  im  Jahr  1812  verursachte  kein  Erdbeben  auf 
Martinique  und  auf  Guadeloupe,  wohl  aber  hörte  man 
daselbst,  wie  in  Venezuela ;,  ein  heftiges  Knallen ,  wäh- 
rend der  Erdboden  ruliig  blieb. 

Das  gleiche  Knallen    Cdetonations}  ^    das  mit  dem 


Region  aller  Basalte,  die  der  Gevierlfelsen  genannt  wird.) 
Heil'ses  Wasser  vom  Precheur  und  vom  I.amentin.  —  Do- 
minique,  ganz  vulcanisch.  —  Guadeloupe,  wirJisamer  Vul- 
can  ,  dessen  Hölie ,  nach  t.eboucher ,  799  T.  :  nach  Amie, 
85o  T.  beträgl.  —  Montserrat  ^  Soufriere,  schöne  Porphyr- 
Javen  mit  grofsen  FeldspotJi-  und  Grünstein -Krjstallen,  nahe 
hey  Galiowav,  nach  Angabe  des  Hrn.  PSugent.  —  ^ieves^ 
Soufriere. —  Saint-Crlslophe,  Soufriere  am  Mont-Misere. — 
Saint-U  US  Lache,  Krater  eines  erloschenen  VuJcanes,  vonBims- 
sleijnen  umgeben.  CDie  Trinidad,  welche  von  einer  Bergkette 
von  Urschiefer  durclizogen  ist,  scheint  vormaU  zur  Kiisten- 
kelle  von  Cumana  und  nicht  zumSvslem  der  Berge  der  kleinen 
Antillen  gehört  zu  haben,  Edwards,  Hist.  of  the  West  Ind.y 
Tom.  III,  p.  275.     Duuxion  Lauajsse^  Tom.  II,  p.  60.) 


40  B  II  c  h     V. 

Rollen  piclit  verwechselt  werden  darf,  welches  iil;crnll 
auch  den  geringsten  Erschütterungen  vorangeht,  läfst 
sich  nicht  selten  an  den  G;>staden  des  Urenoko,,  iui«I, 
wie  uns  an  Ort  und  Stelle  versichert  ward,  zwischen 
dem  Rio  Arauca  und  dem  Cuchivero  hören.  Der  Pater 
Morello  erzählt,  vvie  in  der  Mission  von  Cahruta  das 
unterirdische  Getöse  zuweilen  dem  Losfeuern  von  Stein- 
hölh^'n  (^pedreros^  dermafsen  gleich  war,  dafs  man  ein 
fernes  Treffen  zuhören  glaubte.  Am  21.  October  1766, 
dem  Tage  des  furcht'iaren  Erdhehens,  das  die  Provinz 
Neu- Andalusien  verheerte*),  bewegte  sich  der  Boden 
gleichmäf>ig  in  Cuniana,  in  Caracas,  inMaracavbo,  an 
den  Gestaden  des  Casanare,  des  M  'ta,  des  Orenoko  und 
des  Ventuario.  Der  Pater  Gili  **)  hat  eine  ßeschreibuiiir 
dieser  Errchütterungen  einer  völlig  granitischen  Gegend, 
in  der  ^Mission  von  Encaraniada,  wo  sie  von  heflisfem 
Knallen  hegleitet  waren,  beschrieben.  Es  erfolgten  an- 
sehnliche Bergstürze  am  Paurari,  und  in  der  Nähe  des 
Fehen  AravacotoVerschwand  eine  kleine  Insel  im  Ore- 
noi'.o.  Die  schwindenden  Bex^Ciiiinufen  hielten  eine  e^anze 
Stunde  an.  Es  war  gleichsam  das  erste  Signal  jenei-  hef- 
tigen Erschütterungen,  die  länger  als  zehn  Monate  an 
den  Küsten  von  (Humana  und  Cariaco  verspürt  wurden. 
Man  sollte  i>lauben,  zerstreut  in  Wäldern  lebende  Men- 
schen, die  Itein  anderes  Obdnclj  haben,  als  aus  Scljilf- 
rohr  und  PalmbliUtern  verfertii>te  Hütten ,  wiirden  sich 
vor  den  Erdbeben  weni"-  fürchten.  Allein  die  Indianer 
vom  (>revato  und  Caura  erschrecken  darüber,  wie  über 
eine  ziemlich  seltene  Erscheinung,  die  auch  den  Wald- 
thieren  Schrecken  einjagt,  und  die  Krokodile  aus  der 
Tiefe  des  Wassers  ans  Gestade  liinaustreibt.     Näher  am 


*j  Siehe  ölen  Th.  I.  Kap.  4-  S.  482. 

**)  Saggio  di  Storia  americnnii  ^  Toni.  IJ,  p.  6. 


h  a  p  i  t  e  l     XIV.  41 

Mcor,  n"0  die  Stöfse  häufiger  vorkoniinen,  fürchten  sich 
die  Einwohner  vor  denselhen  keines vveg-üs,  sondern  sie 
erkennen  darin  vieh)ielir  die  Vorholen  eines  leuchlL'U 
und  Iruchlharen  Jahres. 

Ich  liahe  in  diesen  Betraclitungen  üher  die  Erdbehen 
der  Terra- Firma  und  üher  die  V^ulcane  des  nahen  Insel- 
meers  der  Antillen  den  allgemeinen  Plan  hetoL.t^  wel- 
chen ich  mir  in  diesem  Werk  vorsetzte.  Erst  zählte 
ich  eine  ^rolse  Anzahl  vereinxelter  That  achen  auf,  die 
ich  hernach  in  ihrem  Zusammenhang  dar.tellte.  Alles 
verkündigt  im  Innern  des  Erdl>alls  eine  Wirksamkeit  le- 
bendiger Kräfte,  welche  gegenseitig  auf  einander  ein- 
wirken, sich  die  Wage  halten,  und  Veränderungen  in 
einander  hervorbringen.  Je  unbekannter  uns  die  Ur- 
sachen dieser  Schwingungen,  dieser  Wärme -Entwick- 
lungen, dieser  .Bildungen  elasti-cher  Flüssigkeiten  sind, 
■um  so  mehr  ist  es  dem  JNaturforscher  Pflicht,  die  Ver- 
hältnisse zu  ergründen,  welclie  diese  Erscheinungen  in 
weiten  [Entfernungen  und  auf  eine  so  gleichförmige  Weise 
darstellen.  Alsdann  nur,  wenn  diese  verschiedenen  Ver- 
hältnisse aus  einem  allgemeinen  Gesichtspunct  betrach- 
tet, und  über  eine  weite  Ausdehnung  der  Erdoberfläche 
durch  vielartige  Gesteinformationen  hindurch  verfolgt 
werden,  fühlt  man  sich  geneigt,  auf  die  Unterschiebun- 
gen kleiner  Localursachen  von  Schwefelkieslagern  oder 
Steinkohlen-Entzündungen  zu  verzichten  *'). 


*)  Ich  finde ,  in  einem  iilirigens  an  geistvollen  Ansichten  und 
richtig  beobachteten  Thatsachen  reichen  Buche ,  den  geogiio- 
stisch- geologischen  Aufsätzen  des  Hrn.  Stcfl'cns  (S.  525),  die 
Behauptung,  dafs  ., wanne  (j)uellen.  Erdbeben  und  viilcani- 
schc^usbrüche  nur  da  statt  finden,  wo  Sleinkoliienlager 
vorminden  sind,  weil  diese  allein  die  Verbrennung  niöglich 
machen,  und  in  dem  grofsen  electro- motorischen  Apparat  der 
Erde   eine  kräftige  eleclrische  Spannung  unterhalten  können. 


42  B  n  c  h     V. 

Folgendes  ist  die  Reihe  der  Erscheinungen,  ^reiche 
die  Nordküsten  von  Cuinana,  von  JNueva  liai'celona  und 


W  enn  man  diese  Erscheinungen  in  den  Primitiv-Forinationen, 
wie  neuerlich  im  südlichen  America,  zu  heohacliten  jjlauhte, 
so  wird  man,  sagl  der  Verfasser,  Secondar-  oder  Flötzpor- 
phyrc,  welche  Steinkohlenlager  enthalten  können,  mit  Ur- 
porphyren  verwechselt  hahen''.  Wir  liaben  so  eben  die  Erd- 
beben in  völlig  granitischem  Boden  heschrieben ,  in  ausge- 
dehnten Landschaften,  wo,  wie  an  den  Gestaden  des  Orenoko, 
keine  andere  primitive  oder  Secondar- Formation  über  dem 
Granit  liegt.  Bald  werden  wir  sehen  ,  dafs  siedende  Quellen, 
gleiclisam  vorzugsweise,  vom  Granit  und  Gneifs  ausströmen, 
und  dafs  die  Trachyten  oder  Trapp  -  Porplivre  der  Anden, 
weit  entfernt  der  Formation  des  rothen  Sandsteins  oder  jenen 
Tlntzporphyren  anzugehören  ,  mit  denen  die  Herren  SlelTens 
und  Freiesleben  uns  so  genau  bekannt  gemacht  haben ,  mitten 
in  vulcanischem  Boden  aus  Glimmerschieier  und  Gneifs  her- 
vorkommen. Mir  scheinen  übrigens  die  INatur  und  die  Ein- 
richtung der  Schichten  im  Innern  der  Erde,  hauptsächlich  in 
primitivem  Boden  ,  der  Ilvpothese  einer  grofsen  Pile  wenig 
zuzusprechen,  wodurch  die  Stöfse  auf  der  Erdoberfläche  ver- 
ursaciil ,  und  (mittelst  chemischer  Wirkung  des  electi-o- mo- 
torischen Apparats)  den  Salz-  sowohl  als  Thermal-Quellen  eine 
so  aufserordentliche  Beständigkeit  der  Mischung  und  des  spe- 
cifisciien  Gewichtes  ertheilt  werden  sollte  (_Geogn.  Au/s.  S.  52  2 
lind  535).  Wenn  man,  wie  ich  es  gethan  habe,  auf  der  Cor- 
dillere  der  Anden  einen  langen  Aufenthalt  geinaclit  hat ,  wenn 
man  die  sich  in  der  Tiefe  der  Erde  Ibrtpllanzenden  Detona- 
tionen gehört,  wenn  man  die  ungelieurcn  Wirbungen  des  Auf- 
stofsens  des  Bodens,  und  die  Wölbungen  des  Erdrciciis  gesehen 
hat,  das  aus  seinen  Spalten  eine  unermefsliche  Menge  Wasser, 
Schlamm  und  Dünste  auswirft,  so  hält  es  schwer,  nicht  an 
das  Dasejn  von  HöJilungen  und  an  Verbindungen  zu  glauben, 
welche  zwischen  dem  owdirten  Theil  des  Erdballs  und  einem 
Theilc  desselben  bestellen,  der  an  Metalloiden ,  an  Schwefel- 
hicsen  und  anderen  nicht  o.xydirten  Substanzen  noch  Ueberw 
Hufs  hat.  Siehe  oben  Th.  I.  Kap.  2.  S.  368,  und  Kap.  4- 
S.  5oy. 


h  a  p   i  t  e  l     XIV.  43 

von  Caracas  darliieten,  und  von  denen  man  glaulit^  sie 
düiltcn  mil  dcMi  Ursaclien  der  Lrdl)eL)en  und  der  Lave- 
erj^ier<uiigen  in  Verbindung-  stehen.  Wir  wollen  am. 
Östlichsien  iinde^  mit  der  Insel  1  rinidad  i\in\  Anl'ang-  ina- 
chen, die,  wie  bereits  oben  scl.on  benierlst  ward,  dem 
Küstenlande  viehnehr,  als  dem  System  der  Berge  der 
Antillen-Eilande,    an/.ugehüren  scheint. 

Der  Schlund,  welcher  Asphalt  ausspeyt  in  der  Bucht 
von  Mayaro,  auf  der  Uttivüste  der  Insel  Trinidad, 
südwärts  der  Guatar»  -  Spitze.  Ls  ist  dies  die  illi/ie 
'  vüii  Chapapole ,  die  den  mineralischen  l'heer  dieses 
Landes  liefert.  In  den  Monaten  März  und  Juni 
sind,  wie  man  veriicliert,  die  Ausbrüche  Öfters  von 
starken  Detonationen,  von  Hauch  und  Flammen  be- 
gleitet. Fast  auf  der  nämlichen  Parallele,  ebenfalls 
im  Meer,  aber  auf  der  Ostseite  der  Insel  (nahe  bev 
Punta  de  la  Brea,  südv/ärts  vom  Hafen  von  IN'apa. 
raimo")  findet  sich  ein  ähnliches  Zu,''ioch.  Auf  der 
nahen  Küste,  in  einem  thonigten  Boden,  befindet 
sich  der  berühmte  Asphallsee  (^J^agima  de  la  Brea), 
ein  Sumpf,  dessen  Wasser  die  Temperatur  der  At- 
mosphäre besitzt.  Die  kleinen  Kegel,  welche  am 
südwestlichen  Ende  der  Intel,  zwischen  der  Spilze 
Icacos  und  dem  Mio  Erin  gelegen  sind,  scheinen 
einige  Aehnlichkeit  mit  den  Luft-  und  Schlamni- 
Vulcanen  zu  haben,  welche  ich  zu  Turbaco  im 
Königreich  Neu -Granada  antraf  *).  Wenn  ich  der 
Asphalt-Lagerungen  gedenke,  so  geschieht  es  iim 
der  merkwürdigen,  in  diesen  Gegenden  ihnen  ei- 
gentijümlichen  V  erhältnisse  willen,  indem  ich  übri- 
gens wohl  weifs,  dafs  dieNaphta,  das  Ste'Jnöl  und 
der  Asphalt  gleichmäfsig    im  vulcanischen  und    im 


*>  Dauxion-Laraysse,  Voyage  ä  la  Trinite,  p.  25,  5o  und  3.>. 


f^4  B  u  c  h      V. 

Secondar- Boden  vorl<omnien  *),  und  im  letzteren 
sogar  auch  öfterer.  DasSteinöl  schwimmt,  dreyfsig 
Meilen  nordwärts  von  der  Trinidad,  um  die  hisel 
Granada,  die  einen  ausgelöschten  Vulcan  und  Ba- 
salte hat. 

Die  warmen  Quellen  von  Irapa,  am  nordöstlichen  End- 
theile  von  IN eu- Andalusien,  zwischen  Rio  Caribe, 
Soro  und  Yaguarapayo. 

Der  Luft- Vulcan  oder  Salce  von  Cumacatar,  südwärts 
von  San  Jose  und  Carupa*ao,  nahe  hey  der  INord- 
J<üste  des  Festlandes,  zwischen  A&r  iMoulunua  de 
Paria  und  der  Stadt  Caracio.  Man  hört  heynahe 
ununterbrochen  anhaltende  Detonationen  in  einem 
thonigten  Boden,  welcher  Schwefel  enthalten  soll. 
Warme  Wasserschwefel  -  Quellen  drängen  sich  aus 
dem  Boden  mit  solcher  Heftigkeit  hervor,  dafs  die- 
ser durch  die  Stöfse  merklich  erschüttert  wird.  Man 
behauptet,  seit  dem  grofsen  Erdheben  von  1797  auch 
öfters  das  Aufsteigen  von  Flammen  gesehen  zu  ha- 
ben. Diese  Thatsachen  verdienten  durch  einen  sach- 
kundigen Heisenden  erwahret  zu  werden. 

Die  Steinöl- Quelle  von  Buen  Pastor,  nahe  beym  Rio 
Areo.  Man  hat  im  thonigen  Erdreich  vonGuayuta, 
wie   im  Thale  von  San  Bonifacio  **) ,     und  in  der 


*)  Die  Lrennbaren  Dünste  (VTasserstoffgas ,  welches  IVaphta 
mit  sich  führt)  der  Pietra  mala  kommen  aus  dem  Alpenkalk- 
stein  hervor,  welchen  man  von  Covigliano  his  nach  Ralicofa 
verfolgen  kann  ,  und  der  in  der  JNaiie  von  Scarica  TAsino  auf 
altem  Sandstein  ruht.  Unter  diesem  alten  Sandstein  QgrSs 
rouge')  befinden  sich  schwarzer  Üehergangs-Halkstein  und  flo- 
rentiner  Grauvvacke  (Psammite  quarzeuse)-  Ueber  den  Asphalt 
der  Secondar -Berge  Thüringens  siehe  Freiesteben,  Kupfer- 
schiefer, Th.  5,  S.  27,  Th.  4,  S.  358.  iHausmaun  nordteut- 
sche  Beitr.  ,    St.  1  ,    S.  y5.) 

»*)  Th.  II,  Kap.  8,  S.  j58. 


Kapitel     XIK  45 

Nälip  des  Zusammenflusses  des  Rio  Pao  mit  dem 
Orenoko  grofse  Schwefelmassen  angetrolTen. 

Die  ^gvas  calientes ,  südwärts  vomKioAzulj  und 
das  hohle  Erdreich  von  Cariaco,  das,  zur  Zeit  der 
grofsenErdbehen  von  Cumana^  Schwefelwasser  und 
klebrichtes  Steinöl  ausgespcyt  hat  "). 

Die  warmen  Wasser  des  Gulfs  von  Cariaco  '■•"•*). 

Die  Steinöl<juelle  im  nämlichen  Golf^  nahe  bey  Ma- 
niquarez.     Sie  quillt  aus  Glimin erschiefer  **'••'). 

Die  Flammen,  die  der  Erde  entstiegen ,  in  der  Nähe 
von  Cumana,  an  den  Ufern  des  Manzanares  und  in 
Mariguitar '•"'""""') ,  am  südlichen  Gestade  des  Golfs 
von  Cariaco,   zur  Zeit  des  Erdbebens  von  1797. 

Die  feuerigen  Erscheinungen  des  Berges  Cuchivano, 
nahe  bey  Cumanacoa  t)» 

Die  in  einer  Untiefe  nordwärts  der  Caracas-Inseln  tO 
entspringende  Steinölquelle,  deren  Geruch  den  Schif- 
fen die  Gefahr  einer  Untiefe,  welche  nicht  über  ein 
Klafter  Wasser  hält,  von  weitem  her  ankündigt. 

Die  warmen  Quellen  des  Berges  Brigantin,  in  der  Nähe 
von  Nueva  Barcelona,  deren  Temperatur  48°;  2  des 
hunderttheiligen  Thermometers  beträgt. 

Die  warmen  Quellen  des  Provisor,  in  der  Nähe  von 
San  Diego,  in  der  Provinz  Nueva  Barcelona. 

Die  warmen  Quellen  vonOnoto,  zwischen  Turmero 
und  Maracay,  in  den  Thälern  von  Aragua,  west* 
lieh  von  Caracas. 


•)  Th.  I,  Kap.  4,  S.  482,  und  Th.  II,  Kap,  8,  S.   159. 

**)  Th.  II,  Kap.  8,  S.   169. 

•*0  Th.  I,  Kap.  5,  S.  547. 

•***)  Th.  I,  Kap.  4,  S.  485.  * 

t)  Tb.  II,  Kap.  6,  S.  71. 

ti)  Th.  II,  Kap.  1 1 ,  S.  3o,% 


46  B  u  c  h     V. 

Die   wai'nien  Quellen   vou  ISIariara,    in    eben  diesen 

Thivlorn^  deren  I  emperatur  58°,  9  beträft. 
Die  Avarmen  Quellen   von  Las  Trinciieras,    zwiscben 
Poi'to- Cabeliu  und   Valencia,    die  aus  dem   Granit 
Lervorkoninjen^    gleich  denen  von  Mariara,    und 
einen  warmen  Bacli  bilden,  Rio  de  aguas  calientes. 
Die  Temperatur  i-t  90°,   4. 
Die  Siedqueilon  der  Sierra  Nevada  de  Merida. 
Das  Zugloch   isoiipiraii)  von  Alena,    am  Gestade  des 
Maracavbo -beesj    es  speyt  Asphalt,    und  es  treten 
daraus  (wie  man  verjiciiertj  Gasdünste  hervor,    die 
sich  von  selbst  entzünden,  und  weit  umher  sichtbar 
werden. 
Dies  sind  die  Quellen  von  Bergül  und  heifsem  Was- 
ser,   die  feuerigen  Meteore,    die  mit  Detonationen  be- 
gleiteten   Schlaramauswüife ,     welche    mir    in   den   aus- 
gedehnten Provinzen  von  Venezuela,    in  einem  Umfang 
von  200  Meilen,  von  Osten  gen  Westen,  bekanntgewor- 
den sind.     Es  haben  diese  verschiedenen  Erscheinungen 
die  Phantasie  der  binwohner  seit  den  grofsen  Catastro- 
phen  von  1797  und  1812  vielfach  beschäftigt   und  beun- 
ruhigt:   obgleich  sie  eigentlich  nichts  enthaÜen,   was  zu 
einem  Vulcan,    dem  bisher  gewohnten  öinne  des  \\  orls 
nach,  gehört.      Wenn  die  Zuglöcher,  welche  mit  Gepras- 
sel Dünste  und  Wasser  auswerfen,  bisweilen  oolcaneilos 
genennt  werden,  so  geschieht  dies  von  solchen  Einwoh- 
nern,    die    iilauben,    es   müsse  notiiweudiy:   V  ulcane    in 
einem  Lande  geben,   welches  so  häuligen  Erdbeben  aus- 
gesetzt ist.      Von  dem  brennenden  Krater  auf  St.  V  inci'nt 
an   findet  sich  südwärts,    westwärts   und  süd westwärts, 
über   die  Bergkette  der  kleinen  Antillen  zuiiäciist,    her- 
nach über  die  Küstenkette  von  Gumana  und  V  enezuela, 
und  endlicli  über  die  Gordilleren  von  i^en  -  Granada,    in 
einer  Ausdehnung  von  3bo  IVleilen  kein  arbeilender  Vul- 


Kapitel     XIV.  47 

can,  bis  zum  Purace,  in  der  Nähe  von  Popayan.  Dieser 
gänzliche  Mangel  von  OelTnungen^  durch  welche  ge- 
schmolzene Stoffe  sich  auf  dem,  ostwärts  der  Anden- 
Cordiüere  und  des  Felsengebirges  gelegenen  Tiieile  des 
Festlandes  entleeren  können,  ist  eine  der  merkwürdig- 
sten geologischen  Thatsachen. 

Wir  haben  in  diesem  Kapitel  die  grofsen  Störungen 
untersucht,  welche  die  Sleincruste  des  Erdballs  von  Zeit 
zu  Zeit  erleidet,  und  durch  welche  Landschaften  ver- 
wüstet werden,  die  die  Natur  mit  ihren  köstlichsten 
Gaben  ausgestattet  hatte.  Eine  ununterbrochene  Huhe 
herrscht  in  der  oberen  Atmosphäre ;  aber,  um  mich  eines 
Ausdrucks  von  Franklin  zu  bedienen,  welcher  mehr  sinn- 
reich als  wahr  ist,  der  Donner  rollt  öfters  in  der  n/j/er- 
irdischen  Atmosphäre,  in  der  Mischung  elastischer  Flüs- 
sigkeiten, deren  heftige  Bewegungen  uns  auf  der  Erd- 
oberfläche fühlbar  werden.  In  der  Beschreibung  des 
Unterofang-s  so  vieler  volkreicher  Städte  haben  wir  Bilder 
des  gröfsten  menschlichen  Elendes  dargestellt.  Ein  Volk, 
das  im  Kampfe  für  seine  Unabhängigkeit  begrilTen  ist, 
wird  plötzlich  der  Nahrungsmittel  und  aller  Lebensbe- 
dürfnisse beraubt.  Hungrig  und  ohne  Obdach  zerstreut 
es  sich  durch  das  Land.  Sehr  viele  derer,  die  nicht  un- 
ter den  Trümmern  ihrer  Wohnungen  das  Grab  fanden, 
unterliegen  den  Krankheiten.  Weit  entfernt  das  Zu- 
trauen herzustellen,  wird  dieses  durch  das  Gefühl  des 
Jammers  vollends  unter  den  Bürgern  zer:^:tört5  das  phy- 
sische Elend  verstärkt  noch  die  bürgerlichen  Zwiste,  und 
der  Anblick  einer  mit  Blut  und  Thränen  getränkten 
Erde  mag  die  Wuth  der  obsiegenden  Farlhey  nicht  be- 
sänftigen. 

Nach  der  Aufzählung  so  vielfachen  Elendes  kann  ein 
Kuhepuiict  bey  tröstlicheren  Erinnerungen  der  Phan- 
tasie nicht  anders  denn  erwünscht  seyn.     Als  man  in  den 


48  B  II  c  h    y. 

Vereinten  Staaten  die  Zerslürung  von  Caracas  inne  ward, 
Lesclilofs  der  in  Washington  ver^^ammelte  Con^refs  ein- 
mütliig^  fünf  mit  ]\]ehl  Leladone  Scliilüe  zur  Vertlieilung 
an  die  diirftiü^sten  Einwohner  nach  den  Küsten  von  Ve- 
nezuela  zu  senden.  Die  grolsniülhige  Hülfreichung  ward 
mit  dem  lebhaftesten  Dank  enipiangen,  und  diese  feyer- 
liclie  Handlung  eines  freyen  Volkes,  dieses  Merkmal  ei- 
ner volktthüujlichen  1  heilnahnie,  wovon  bey  der  ge- 
steigerten Sittigung  des  alten  Europa  so  wenig  neuer- 
liche Beispiele  vorkommen,  erschien  als  ein  köstliches 
Pfand  des  gegenseitigen  Wohlwollens,  da»  zwischen  Aen 
Völkerschaften  beyder  America's  in  aller  Zukunft  Bestand 
hab^n  soll. 


Fünfzehntes    Kapitel. 


Abreise    von     Caracas.     —        Berge    von     San    Pedro     und    von     Los 
Tegues.    —         Victoria.     —         Thäler    von    ylragua 


Um  auf  dem  kürzesten  Wege  von  Caracas  an  die 
Gestade  des  Orenoko  zu  gelangen,  wären  wir  im  Fall 
gewesen  die  südliche  Bergkette  zwischen  Baruta,  ^ala- 
manca  und  den  Savanen  von  ücumare  zu  übersteigen, 
die  Steppen  oder  Llanos  von  Orituco  zu  durchw  andern, 
und  uns  in  Cabruta,  in  der  Wähe  der  Ausmündung  des 
Rio  Guarico  *),  einzuschifliVn  :  allein  dieser  gerade  Weg 
hätte  uns  des  Vortheils  beraubt,  den  schönsten  und  vor- 
züglich wohl  angebauten  Theil  der  Provinz,  die  Thäler 
von 

*)•  Siehe  Th.  11,  Kap.  12,  S.  585,  und  in  meinem  Geogra- 
phischen Atlas  die  Skizze  des  Thals  von  Caracas,  und  die 
Charte  des  untern  Orenoko. 


Kapitel     XK  49 

von  Aragua,  zu  selien  ,  das  JNivellement  eines  merk- 
^vüi'tligen  Theils  der  Küstenkette  mit  dem  Barometer 
auf/.iinelimen,  und  den  Rio  Apure  bis  zu  seiner  Ver- 
Linilun"  mit  dem  Orenoko  lierabzufahren.  Ein  Kei- 
Sender,  welcher  sich  mit  der  GestaUung  und.  den  na- 
türlichen Heichthümcrn  eines  Landes  bekannt  machen 
will,  läfst  sich  nicht  durch  die  Entfernung ,  wohl  aber 
durch  die  Eigenthüuilichkeit  der  Geg^enden  bestimmen, 
die  er  besuchen  will.  Dies  war  der  mächtige  Beweg- 
grund; der  uns  auf  die  Berge  von  los  TequoS;,  nach  den 
warmen  Quellen  von  Mariara,  an  die  fruchtbaren  Ge- 
stade des  Valencia  -  Sees ;  und,  durch  die  weit  aus- 
gcdclinten  bavanen  von  Calabozo,  nach  Saiy  Fernando 
de  Apure,  in  den  östlichen  Theil  der  Provinz  Varinas 
geführt  hat.  Auf  diesem  \\ege  gelangten  wir  anfangs 
in  westlicher,  hernach  in  südlicher,  und  endlich  in  ost- 
süd-üstliclier  Hichtung,  auf  dem  Apure  in  den  Orenoko, 
auf  der  Parallele  von  7°,  36'  23"- 

Weil  auf  einem  Wege  von  sechs-  bis  siebenhundert 
Meilen  die  Längen  durch  ilas  Zeitmafs  von  Caracas  und 
von  Cumana  bestimmt  worden  sind,  so  ward  unumgäng- 
lich nolhwendig,  die  Lage  dieser  bevden  Städte  genau 
und  mittelst  absoluter  Beobachtungen  festzusetzen.  Ich 
habe  oben,  im  zehnten  Kapitel  *J,  das  Ergebnifs  der 
astronomischen  Beobachtungen  mitgetheilt,  die  im  er- 
sten Piinct  der  Abreise  in  Cumana  angt  stellt  wurden; 
was  den  zweyten  Punct,  das  nördlichste  Ende  von  Ca- 
racas betrifl't,  so  befindet  >ich  dasselbe  unter  10°  3o'  bo" 
derßreite,  und  69°  20' o"  der  Länge**).  Die  magnetische 


*)  Th.  II.  Kap.   10.  S.  269. 

**)  Hr.  Fernes,  welcher  in  der  Douane  beobachtet,  findet  die 
Breite  von  10*  3o'  zk"-,  und  durch  das  Zeitmafs  von  Poito-Rico 
(diesen  Punct  zu  68°  28' 5"  angenommen)  die  Länge  vonGg^^aS'.- 

yllex.   V.    Humboldts  hist.    ßeisen    J!I  A 


5o  JB  u  c  h     V. 

Declination  fand  ich^  aui  22.  Jenner  i8oo,  aulser  der 
Stadt,  unfern  vom  Thor  de  la  Pastora,  4°  38'  45  nord- 
östlich, und,  am  3o.  Jenner,  innerhalb  der  Stadt,  im 
Universitüts^ehäude,  4°  ot/  i5",  demnach  um  26'  grös- 
ser als  in  Cumana.  Die  Inclinalion  der  Magnetnadel  uar 
42°,  90  (der  hunderttheiligen  Scale).  J3ie  Zahl  der 
Schwingungen,  welche  die  Stärke  der  magnetischen 
Kraft  bezeichnet,  stieg,  in  10' Zeit,  zu  Caracas,  auf 
2825  in  Cumana,  auf  229.  Diese  Beobachtungen  konn- 
ten nicht  sehr  vervielfältigt  werden;  sie  sind  das  Ergeb- 
nifs  dreymonatlicher  Arbeit. 

Am  Tage  unserer  Abreise  aus  der,  seither  durch 
schreckliclie  Erdbeben  verschütteten  Hauptstadt  von  Ve- 
nezuela ,  nahmen  wir  unser  IMachtlager  am  Fufse  der 
waldigten  Berge,  von  denen  das  Thal  südwestwärts  ge- 
schlossen wird.  Wir  folgten  dem  rechten  Ufer  des  Kio 
Guayre  bis  zum  Dorf  Antiinano,  auf  einer  sehr  schönen 
und  zum  Theit  in  den  Felsen  gehauenen  Strafse.  Man 
kommt  durcli  la'V^ega  und  Carapa.  Die  Kirche  von  la 
Vega  stellt  sich  ungemein  malerisch  auf  einer  kleinen 
Anhölie  dar.,  welche  aus  Hügeln  besteht,  die  mit  dich- 
tem Fflanzenwuchs  bekleidet  sind.  Zerstreute  Häuser, 
um  welche  her  Dattelbäunie  stehen,  scheinen  den  U  ohl- 
stand  ihrer  Bewohner  zu  verkünden.  Eine  Kette  nie- 
driger Berge   trennt  den  kleinen  Guavre-Flufs  von  dem  ' 


Beobachtungen,  die  einzig  nur  am  Himmel  angestellt  sind,  ge- 

Len  für  den  Fiatz  von  Trinidad  : 

nach  Monddislanzen  von  der  Sonne  und  Sternen  4  St.  5;'  27'' 
nach  Verdunklungen  von  Satelliten  .  4St.  jy'Sj" 


(«St.  J7'/,ü" 
Siehe  i^^cwü?//  d'observ.  astron.^  Tom.  I,   p.  i58 —  \^k-      VV'^ir 
lassen    eine    chronometrische  Bestimmung    bev   Seile,    wegen 
der  Bewegung  des  Schifles.  bey  stürmischer  See.  in  der  >ahe 
vom  Cap  Codera. 


Kapitel     XF.  5i 

in  der  Geschichte  des  Landes  berühmten  Thal  de  la 
Pasciia  *)  sotvohl,  als  vun  den  vormaligen  Goldniinen 
von  Banita  und  Oripoto.  Im  Aufsteigen  nach  Carapa 
genielst  man  nochmals  der  Ansicht  der  hilla,  die  sich 
als  eine  ge»valtigc,  gegen  das  Meer  steil  ahgesclinittene 
Kuppel  darstellt.  Dieser  ahgeruudete  Gipffd  und  der 
eiiier  hlauer  gleich  gekerbte  Hamm  des  Galipano  sind 
in  diesem,  aus  Gneifs  und  Glimmerschieier  gebildeten 
Beeilen  die  einzigen  Formen,  welche  der  Land  chaft 
Eigenthiimlichkeit  gewähren.  Die  übrigen  Bergspitzen 
haben  eine  traurig  einförmige  Gestaltung.  Eine  kurze 
Weile,  ehe  man  ins  Dorf  Antimano  kommt,  stufst  man 
reciiterseits  auf  eine  sehr  merkwürdige  geologische  Er- 
scheinung. Zum  Behuf  eines  neuen,  in  den  Felsen  ge- 
hauenen Weges  wurden  zwey  mächtige  Gneilsgänge  im 
Glimmerschiefer  zu  Tage  gelegt.  In  beynahe  senkrech- 
ter Lage  durchschneiden  sie  alle  Schichten  des  Glimmer- 
schiefers**), und  sind  6  bis  SToisen  dicht.  Diese  Gänge 
enthalten  nicht  Bruchstücke,  sondern  Kugeln  von  Ur- 
Grünstein    ***)   mit  concentrischen   Schichten.       Diese 


*)  Thal  der  Corles  oder  Osterthal^  das  diesen  lV«inen  daher 
trägt,  weil  Diego  de  Losada,  nachdem  er  die  Tekes-Indianer 
und  ihren  Kaziken  Guaycaypuro  in  den  Bergen  von  San  Pedro 
geschlagen  halte,  im  Jahr  1667  daselLsf  die  Ostertage  zu- 
brachte, ehe  er  in's  Thal  von  San  Francisco  vordrang,  wo 
er  die  Stadt  Caracas  anlegte.    (_Oi'iedo ,  p.   252.) 

**)  Die  Richtung  des  Giitnmerschiefei's  ist  St.  12,  2;  die  Sen^ 
kung  72°  östlich.  Die  Gneifs-  und  sogar  auch  Granit-Gänge 
einer  neuen  Formation  kommen  sehr  häufig  im  sächsischen 
Erzgebirge  vor,  das,  wie  wir  früher  schon  bemerkt  haben, 
viele  Aejinlichkeit  mit  der  Gegend  von  Caracas  hat.  Granit- 
gönge  kommen  im  Gneifs  zu  Geyer  und  im  Glimmerschiefer 
zu  Johanngeorgenstadt  vor. 

***j  Diabase  grenue.  Ich  erinnere  mich,  ähnliche  Kugeln,  die 
einen  Gang  im  Uebergangsschiefer  füllten,    in  der  INähe  dej 


Kuffeln  bestellen  aus  einer  innigen  Mischuno^  von  Horn- 

O  DO 

Llende  und  blättrigem  Fcldspath.  Der  Feldspath  gleicbt 
zuweilen  dem  glasigen  Feldspath^  wenn  er  in  sebr  dün- 
nen Blättern  in  einer  Masse  von  zersetztem  und  einen 
starken  Tbongerucb  ausdünstendem  Lr-Grünslein  zer-  ^ 
streut  ist.  Der  Durchmesser  der  flugeln  ist  sehr  un- 
gleich, und  beträgt  bald  nicht  über  4  bis  8  "LoWy  bald 
steigt  er  auf  3  bis  4  Fufs  an  :  ihr  Kern  ist  dichter,  ohne 
concentrische  Schichten  und  von  schwärzlichtem  Bou- 
teillen-Grün.  Ich  fand  keinen  Glimmer  darin,  hingegen, 
was  sehr  merkwürdig  ist,  viele  zerstreute  Granaten. 
Diese  Grajiaten,  von  schön  rolher  Farbe,  kouimen  nur 
im  Grünstein  allein  vor,  und  weder  im  Gneifs,  der  den 
Cement  der  Kugeln  bildet,  noch  in  dem  Glimmer- 
schiefer, den  die  Gänge  durchziehen.  Der  Gneifs,  des- 
sen Bestandthcile  sich  in  einem  Zustand  von  unvollkom- 
menem Zusammenhang  (desagregation  considerable)  be- 
finden, enthält  grofse  Feldspathkrystallen  :  und,  obgleich 
er  die  Gangmasse  im  Glimmerschiefer  bildi'l,  wird  er 
selbst  doch  hinwieder  von  Quarzadern  durchzogen,  die 
zwey  Zoll  dicht  und  von  einer  ganz  neuen  Formation 
sind.  Der  Anblick  dieser  Erscheinung  hat  etwas  selt- 
sames :  man  möchte  sagen,  Kanonenkugeln  seyen  in 
einer  Felsenmauer  eingelafst.  Ich  glaubte  hinwieder  in 
der  nämlichen  Gegend,  auf  der  iMoutamia  de  ylvilu 
und  am  weifsen  Vorgebirg,  auf  der  Ostseite  von  Guayra 
einen  Ur-Gj'ünstein,  mit  etwas  Quarz  und  Schwefelkies 
gemengt,    aber  ohne  Granaten,    nicht  in  Gängen,    son- 


Schlosses  Schauenstein  im  Markgraftlnun  Bayreuth  gesehen 
zu  haben.  ioli  liabe  mehreie  Kugeln  von  Anliinano  an  das 
kdiiiglidie  Kabinel  naoh  .Mailril  ül)ersi';!idl.  Sielie  die  Me- 
sclireibung  dei-  geulogischcn  Sammlung  aus  Caracas  in  mei- 
nem Schreiben  an  Don  Joseph  Clavijo.  iAiinales  de  hisC. 
nat. ,  Tom.   11,  p.  262  —  271.) 


Kapitel     XF.  53 

dern  in  untorgeordne4en  Lagern  im  Glimmei'scliiefer 
wahrgenommen  zu  haben.  Diese  Lagerung  kommt  zu- 
verlässig auch  in  Eiiropa  in  trgchirgen  vor;  überhaupt 
aber  gohört  der  Ui- Grünsloin  häufiger  dem  System 
der  Uehergangs- Felsen^  inshcsonderc  thMu  Ucbergangs- 
ihonscliiefer  an^  der  in  Lagern  von  st;.rk  kohlenhalti- 
gem  lydischem  Stein,  von  Kieselscliielcr  '•;),  von  Alaun- 
schiefer '"'■')  und  schwarzem  Kallistein  in  Menge  vor- 
kommt. 

In  der  Nähe  von  Antimano  stunden  alle  Baumgärten 
voll  hlül;»cnder  Pfirsiclihäume.  Dieses  Dorf,  so  wie  das 
Thal  und  die  Ufer  des  Macarao  liefern  dem  Markt  von 
Caracas  Pfirsiche,  Quitten  und  noch  andere  europäische 
Früchte  mehr  im  Ueberflufs.  Zwischen  Antimano  und 
Las  Ajuntasmufsman  siebzehnmal  über  den  Guayi^e-Flufs 
setzen.  Der  Weg  ist  sehr  beschwerlich  ;  doch  würde, 
statt  eine  neue  Strafse  anzulegen,  vielleicht  hesser  ge- 
than  seyn,  das  Flufsbett  zu  ändern,  worin  durch  die  In- 
filtration sowohl,  als  durch  die  Ausdünstung  eine  Menge 
Wasser  verloren  geht.  Jede  Krümmung  bildet  einen 
mehr  oder  minder  ausgedehnten  Pfuhl.  Dieser  Verlust 
mufs  bedauerlich  seyn,  in  einer  Provinz,  deren  ange- 
bauter Boden  überall,  mit  Ausnahriie  der  zwischen  dem 
Meer  und  der  Küstenkette  von  Mariara  und  Niguatar 
gelegenen  Landschaft,  überaus  trocken  ist.  Die  Hegen- 
niederschläge sind  daselbst  gar  viel  seltener  und  unbe- 
deutender, als  im  Innern  von  Neu-Andaluslen,  in  Cu- 
jnanacao  und  an  den  Gestaden  des  Guarapiche.  Zwar 
steigen  manche  Berge  von  Caracas  in  die  Wolkenregion 
empor;  aber  die  Schichten  derUrfelsen  sind  unter  einem 
Winkel  von  ^o°  bis  8q°  eingesenkt,    und  grofsentheils 


*)  Jaspe  schistoide. 
**J  Ampelite. 


54  B   n   r   h      V. 

in  nord  -  westllclier  Richtnnef,  so  dafs  sicli  das  \'\'a«ser 
entweder  im  Innern  des  Bodens  verliert ,  oder  in  reich- 
lichen Quellen^  nicht  avif  der  Süd-,  sondern  auf"  der 
Nord-Seite  der  Küslenherge  von  Niguatar,  Avila  und 
Mariara  zu  Tage  kommt.  Die  südlich  aufgerichtete 
Lagerung  der  Gneifs-  und  Glimmerschiefer- Schichten 
scheint  mir  grofsentheils  die  ausnehmende  Feuchligheit 
des  Küstenlandes  zu  erklären.  Im  Innern  der  Provinz 
finden  sich  Gegenden  von  zwey  und  drey  Geviertmeilen 
im  Umfang,  die  durchaus  keine  Quellen  hahen.  Das 
Zuckerrohr^  der  Indigo  und  der  Kalfeehaum  mögen  nur 
da  gedeihen,  wo  sich  laufendes  Wasser  befindet,  das 
während  der  grofsen  Trockenheit  zu  künstlichen  Bewäs- 
serungen gehraucht  werden  kann.  Die  ersten  Colonisten 
haben  sehr  unvorsichtig  die  Wälder  ausgerottet.  Die 
Ausdünstung  ist  gar  beträchtlich  auf  einem  steinigten 
Boden,  der  von  Felsen  umgeben  wird,  welche  von  allen 
Seiten  Wärme  zurückstrahlen.  DieKüstenherge  gleichen 
einer  Mauer,  welche  sich  von  Osten  nach  Westen,  vom 
Cap  Codera  gogen  die  Tucncas- Spitze  ausdehnt  5  sie 
halten  die  feuchte  Luft  der  Küsten,  die  unteren  Schich- 
ten der  Atmosphäre,  welche  unmittelbar  über  dem  Meer 
liegen  und  die  gröfste  Menge  Wasser  aufgelöst  enthalten, 
vom  Eindringen  in  die  innere  Landschaft  ab.  Es  finden 
sich  nur  wenige  Ueffnungen  und  Schluchten,  die,  gleich 
derjenigen  von  Catia*}  oder  Tipe,  vom  Küstenland  nach 
den  hochgelegenen  Längenthälern  hinziehen.  Kein  gros- 
ses Flufshett  und  kein  Busen  öH'net  sich  dem  Wasser  des 
Oceans,  gestattet  seinen  Eintritt  in'sLand,  und  macht 
die  Befeuchtung  dieses  letztern  durch  reichliche  Aus- 
dünstung möglich.  Zwischen  dem  8ten  und  loten  Brei- 
tegrad lassen  viele  Bäume  im  Jenner  und  Hprnung  ihr 


*;)  Th.  II.  Kap.  12.  S.  391.   Kap.   i3.  S.  455 


Kapitel     XF.  55 

Laiil)  fallen,  gewifs  niclil  um  clor  hülteron  Temperatur 
willen,  wie  in  Europa,  sondern  weil  in  dieser  von  der 
He"enzelt  enllVrntesten  .lahrs/.eit  die  Luft  dem  höchsten 
Stand  ihrer  Trockenheit  genähert  ist.  Einzig^  nur  die 
Pflanzen,  welche  glänzende  und  üheraus  zähe  Blätter 
hal)en,  mögen  diesen  Mangel  an  Feuchtigkeit  ertragen. 
Den  Heisonden  hefremdet  der  Anblick  einer  heynahe 
winterlichen  Landschaft  unter  dem  schönen  Himmel  der 
Tropenländer;  sohald  man  die  Gestade  des  Orenoko  er- 
reicht hat,  erscheint  aber  avich  wieder  frisches  Grün, 
Ein  anderes  Klima  herrscht  hier,  und  die  ausgedehnten 
Waldungen  erhalten  durch  ihren  eigenen  Schatten  dem 
Erdhoden  einen  gewissen  Grad  von  Feuchtigkeit  und 
schützen  ihn  gegen  die  verzehrende  Sonnenhitze- 
Jenseits  dem  kleinen  Dorf  Antimano  verengert  sich 
der  Thalgrund  heträchtlich.  Der  Flufs  wird  durch  die 
J^ala ,  jene  schöne  Grasart  mit  zweyzeiligen  Blättern 
eingefafst,  die  bis  an  dreyfsig  Fufs  Höhe  erreicht,  und 
die  wir  unter  dem  Namen  Gynerium  beschrieben  ha- 
ben *).  Um  jede  Hütte  her  stehen  gewaltige  Stämme 
der  Persea  **),  an  deren  Fufs  Aristolochien,  Paullinien 
und  noch  viele  andere  rankende  Pflanzen  wachsen.  Die, 
mit  Waldung  bedeckten,  nahen  Gebirge  schienen  über 
dieses  nördliche  Endstück  des  Thaies  von  Caracas  Feuch- 
tigkeit zu  verbreiten.  Die  Nacht  vor  unsrer  Ankunft  in 
Las  Ajuntas  brachten  wir  in  einer  Zuckerpflanzung  zu. 
Ein  viereckigtes  Haus  ***)  bewolmten  nahe  an  vierzig 
Neger;  sie  lagerten  sich  auf  Ochsenhäuten,  die  auf  dem 
Boden  ausgebreitet  waren;   in  jedem  Zimmer  des  Hauses 


*)   G.  saccharoides,  Plant,  aequin.^  Tom.  If.    tab.  ii5.      Noi^a 

Gen. ,  Tom.  I ,  p.    i4g. 
*•)  J.aurus  Persea,  Avocayer. 
"***>  Hacienda  de  Don  Fernando  Key  ■  Munnoz, 


56"^  Buch     V, 

hatten  vier  Sclaven  ihre  Schlafstälte ,  und  das  Innere 
g^Hch  ein  r  Kaserne.  Im  Hof  der  Meyerey  brannten  ein 
Dutzend  Feuer^  an  denen  gekocht  ward.  Die  lärmende 
Fröhlichkeit  der  Schwarzen  war  uns  abermals  auffallend, 
und  störte  uns  am  Schlafe.  Der  bewölkte  Himmel  ge- 
stattete keine  Stern -Beobachtungen:  der  Anblick  der 
Landschaft  war  traurig  und  einförmige  und  alle  um- 
stehenden Hiioel  von  INIaguevs  überdeckt.  Alan  arbei- 
tete an  einem  kleinen  Ableitungs-Canal ,  welcher  der 
MeyereVj,  ülier  70  Fufs  hoch,  die  Gewässer  des  Pvio  San 
Pedro  zuführen  sollte.  Einer  barometrischen  Beobach- 
tung zufolge  steht  der  Boden  der  Hacienda  mehr  nicht 
als  öoToisen  über  dem  Bett  des  Kio  Guayre  zu  la  INoria, 
nahebev  Caracas  erhöhet. 

Das  Erdreich  dieser  Gegfenden  hat  sich  weni»  ffün- 

O  CO 

stig  für  die  Cultur  des  Kaffeebaums  erzeigt,  der  über- 
haupt im  Thal  von  Caracas  einen  minderen  Ertrag  giebt, 
als  man  anfangs,  zur  Zeit  seiner  ersten  Pflanzungen  in 
der  JNähe  von  Chacao,  geglaubt  hatte.  Um  sich  einen 
allgemeinen  Begriff  von  der  U  ichtigkeit  dieses  Handels. 
Zweiges  zu  machen,  mufs  man  «ich  erinnern,  dafs  die 
ganze  Provinz  von  Caracas,  im  Zeitraum  ihres  gröfsten 
\A  ohlstandes,  vor  den  Revolutionskriegen  von  1812,  be- 
reits fünfzig-  bis  seclizigtausend  Centner  Kaffee  erzeugt 
hat.  Dieser,  den  veieinten  Ernten  von  Guadeloupe 
und  Martinique  beynahe  gleichkommende  Ertrag  mufs 
um  so  beträchtlicher  erscheinen,  wenn  man  vveifs,  dafs 
erst  seit  1784  ein  achtung  werther  Bürger,  Don  Bartho- 
lomeo  Blandin,  die  Einführung  dieses  Culturzweigs  auf 
den  Küsten  der  Terra-Pirma  versucht  hatte.  Weil  Hr. 
Depoiis,  in  «einer  statistischen  Bejchrei'>u!^g  derGeneral- 
Kapitain^chaft  von  Venezuela,  über  den  Zutand  des 
Hand.'ls  und  der  Landwirt!. schnft  i.ur  bis  zum  Jahr  1804 
Nachrichten  geben  konnte,  so  dürfte  es  angenehm  seyn^ 


Kapitel     XF.  57 

hier  elniofc  neuere  und  eben  so  zuverlässige  Ang"aben  zu 
finden.  Die  schönsten  Kaffeepflanzungen  helinden  sich 
gegenwärtig  in  der  Savane  von  Ocuuiare^  in  der  Nach- 
harscliaft  von  Salanianca,  und  in  Kincon,  so  wie  in  den 

Berffffeaenden  von  Los  Mariches,    han  Antonio  Hatillo 

DO   n  ' 

und  Los  Budares.  Der  in  den  drey  letztgenannten  Orten 
gezogene  Hailee  ist  von  vorzüglicher  Güte  j  hingegen 
irt  der  Ertrag  der  Sträuclier  geringer,  was  man  der  Höhe 
des  Orts  und  dem  kühlen  KHma  zuschreibt.  Die  grofsen 
Pflanzungen  in  der  Provinz  V^enezuela,  wie  Aguacates 
in  der  ISähe  von  V^alencia  und  Rincon,  können  in  guten 
Jahren  Ernten  von  3ooo  (jenlnern  litfern.  Im  Jahr  1796 
betrug  noch  die  Gcsammtausfuhr  der  Provinz  mehr  nicht 
als  4S00  Centnerj  im  Jahr  1804  war  sie  auf  10,000  ge- 
stiegen, und  doch  hatte  sie  bereits  seit  1789  angefan- 
een  ■-,).  Die  Preise  giengen  abwechselnd  von  6  zu  18 
Piaster  der  Centner.  In  Havanna  hat  man  dieselben  bis 
auf  3  Piaster  sinken  gesehen  5  es  lagen  aber  auch  in  jener, 
für  die  Colonisten  so  höchst  verderblichen  Zeit,  in  den 
Jabren  i8lO  und  1812,  über  zwey  Millionen  Centner 
KalTee  ffür  den  \Verth  von  zehn  Millionen  Pfund  Sterl.) 
in  den  Vorralhskammern  Englands  angehäuft '•'"). 

Die  grofse  Vorliebe,  welche  in  dieser  Provinz  für 
die  Kaileepflanzung  vorbanden  ist,  gründet  sich  zum 
Theil  auf  den  Umstand,   dafs  die  Körner  sich  viele  Jahre 


*3   Folgendes   sind  die   AngaLen    der   Douanen- Register   in   la 

Guavra  : 

Ausfuhr  von   1-89  ,       ajo  Cenlner,  zu  100  castillan.  Pfunden. 

—  —    1-92  .     1489       _         _     _         _  _ 
— "       —    1794  ,     5646      —         —     —         —  -^ 

—  —    1796  .     4847     •  —         —     —         —  — 

—  —    1797  .     5095       _         _     _         _  _ 

**)  Cvlquhoun,   on   the  ivealth  qf  the  British  Empire,    181 /,, 
p.  55?. 


58  Buch     V. 

anfbewahren  lassen,  da  hingegen  ^  aller  angewandten 
Sorgfalt  unerachtet,  der  Cacao  nach  zehn  Monaten  oder 
einem  Jalir  in  den  Magazinen  zu  Grunde  geht.  Wäh- 
rend der  lang  andauernden  Kriege  der  europäischen 
Mächte^  zu  einer  Zeit,  wo  der  Mutterstaat  allzusclnvach 
^var,  um  dem  Handel  der  Colonien  Schutz  zu  verleihen, 
mufste  sich  der  Arbeitsfleifs  vorzugsweise  einem  Erzeug- 
nisse zuv.endon,  dessen  Ahsatz  weniger  Eile  hatte,  und 
demnach  günstigere  politische  sowohl  als  Handelsver- 
hältnisse  abwarten  konnte.  In  den  Kafteegärten  von  Ca- 
racas sah  ich,  dafs  für  die  Anpflanzungen  seltener  die 
zufällig  unter  den  Sträuchern  gekeimten  jungen  Pflan- 
zen gesammelt  wurden,  hingegen  vielmehr  die,  von  der 
Beere  zwar  getrennten,  aber  doch  einem  Theil  ihres 
Fleisches  noch  anhängenden  Körner,  zwischen  ange- 
häufte Pisangblätter  fünf  Tage  durch  gelegt  und  zum 
Keimen  gebracht  wurden.  Diese  keimenden  Saamen 
werden  hernach  in  die  Erde  gelegt:  sie  liefern  Pflänz- 
chen,  welche  der  Sonnenhitze  besser  widerstehen  mö- 
gen, als  die  in  der  Kaffeepflanzung  selbst  und  im  Schat- 
ten aufgewaclisenen.  Es  w^erden  hier  zu  Lande  meist 
53oo  Stücke  im  Umfang  einer  Vauega,  welche  5if76 
Geviert -Toisen  hat  *),  gepflanzt.  Ein  solches  Stück 
Land,  wofern  es  zur  künstliclien  Bewässerung  tauglich 
ist,  kostet,  im  nördlichen  Theil  der  Provinz,  5oo  Piaster. 


*)  T.\nt  Vanega  von  Caracas  Tind  von  Cumana  enfliäll  ungefähr 
drey  alinuda^  ^  oder  28,300  vares  carrees,  oder  20,76  j  Ge- 
viert-Meters. Eine  Vanega  ist  demnach  beinahe  zwey  Hec- 
laren  gleich.  Ein  französischer  Morgen  Landes  Carpent  legal 
de  france),  7-u  i544  Geviert -Toisen,  welcher  in  Europa,  in 
mittelmafsigem  Boden,  1200  Pfund  Getreide  oder  5ooo  Pfd. 
Karloficin  beträgt ,  ist  der  vierte  Theil  einer  J''anega ,  und 
liönnte  .  unter  der  heifsen  Zone,  jährlich  nahe  nn.  1700  Pfd. 
Kaffee  ertragen. 


Kap  i  t  e  l     KV.  69 

Der  Kan'eeLaum  Mülit  erst  im  7.vvPvlen  Jahr^  viml  soine 
Blütlic  dauert  niclit  übor  24  Stunden.  Während  dieser 
Zeit  gewälirt  der  Straucli  einen  überaus  schönen  An- 
blick: von  f;'rne  betrachtet  j  sieht  er  wie  mit  Schnee 
bedeclit  aus.  Die  Erndtp  des  dritten  Jahrs  ist  schon  sehr 
ansehnlicli.  \n  wohl  gejäteten  und  gut  bewässertt'n  Pflan- 
zungen^ in  neuem  Aufbruche^  triflt  man  erwaclisene 
Bäume  an,  die  l-is  16,  18  und  selbst  20  Pfund  KaTee 
geben.  Im  Durchschnitt  aber  kann  man  mehr  nicht  als 
anderthalb  bis  zwey  Pfund  von  jeder  Pflanze  auf  eine 
Ernte  rechnen,  was  bereits  schon  ein  günstigerer  Dnrch- 
schnitlertrag  ist,  als  derjonige  auf  den  Antillen-Eilaiidi^ü. 
Der  Hegen,  %venn  er  zur  ßlüthezeit  fällt,  der  Mangel 
an  Wasser  für  die  künstlichen  Wässerungen,  und  eine 
Schmarotzerpflanze,  die  eine  neue  Art  des  LorantLus 
ist,  welche  sich  um  die  Aeste  schlingt,  werden  den  Kaf- 
feepflanzungen  sehr  schädlich.  Wenn  man  in  Pflanzun- 
gen von  achtzig-  und  von  hunderttausend  Sträuchern 
die  ungeheure  Masse  organischer  Substanz  betrachtet, 
welche  in  der  fleischigten  Beere  des  Kafl'eebaums  enllial-- 
ten  ist,  so  mufs  man  sich  billig  wundern,  dafs  noch  nie- 
mals versucht  ward,  Alcohol  daraus  zu  gewinnen  *). 


*~)  Die  angehäuften  Kirschen  oder  Beeren  des  KafTeebauins  {re- 
rathen  in  Weingälirung ,  während  welcher  sich  ein  sehr  an 
genehmer  Alcohol -Dunst  verflüchtigt.  Ich  Leobachtele,  als 
ich  in  Caracas  die  reife  Frucht  des  KafTeehauins  unter  eine 
umgestürzte  Glocke  brachte ,  die  mit  Wasser  ganz  angefüli'' 
und  den  Sonnenstrahlen  ausgesetzt  war,  dafs  in  den  ersten 
2k  «Stunden  heine  Gasentwicklung  geschah.  ISach  56  Stunden 
wurden  die  Beeren  braun  und  lieferten  Gas.  Ein  in  <i<'r 
Glocke  enthaltener  und  mit  der  Frucht  in  Berührung  stehen- 
der Wärmemesser  blieb  die  rSacJil  durch  4°  bis  5^  höher  als 
die  Tempei'atur  der  äufseren  Luft.  Innerhalb  87  Stunden  ei- 
hielt  ich  aus  60  Beeren ,  unter  verschiedenen  Glocken  ,  .18 
}>is  4oCubikzolle  von  einem  Gas,  das  mit  derSalpetcrluft  keine 


6o  B  u  c  h     r. 

Wenn  dip  Unruhen  von  Saint- Domingue,  die  vor- 
übergehende Theurung  der  Colonialwtiaren  und  die 
Auswanderung  der  französischen  Pflanzer  die  ersten 
Tjr:achen  der  Anlegung  von  Kafteepflanzungen  auf  deni 
aniericanischen  Festlande  ^  cui  der  Insel  Cuha  und  auf 
Jainaica  gewesen  sind,  so  ist  es  hingegen  lange  nicht 
der  Fali^  dafs  ihr  Ertrag  nur  das  Deficit  der  Ausfuhr 
der  französischen  Antillen  ersetzt  haben  sollte.  Dieser 
Ertrag  hat  sich  verhäitnifsniäfsig  mit  der  Bevölkerung, 
der  veränderten  Lebensart  und  dem  steigenden  Luxus 
der  europäischen  Völkerschaften  vermehrt.  Die  Insel 
St.  Domingue  hatte,  zu  Hrn.  Becker's  Zeit,  im  Jahr 
1780,  eine  Ausfuhr  von  nahe  an  76  Millionen  Pfund  *) 
Kaifee.  Die  Ausfuhr  im  Jahr  1S12  und  in  den  drey 
vorhergehenden  Jahren  betrug,    den  Angaben  des  Hrn. 


bedeutende  Verminderung  erlitt.  Obgleich  viele  Kohlensäure 
von  dem  Wasser  der  Glocke,  nach  JNlafsgabe  ivie  sie  sich  bil- 
dete ,  eingesogen  ward ,  fand  ich  jedoch  noch  o,  78  in  den 
1,0  Cubikzollen.  Der  Ueberrest,  oder  O;  22  war  Stickstoff. 
Die  Kohlensäure  hatte  sich  nicht  durch  die  Einsaugung  des 
Atmosphärischen  Sauerstoffs  gebildet.  Diejenige  ,  welche  sich 
aus  den  etwas  angefeuchteten  und  in  mit  Luft  angefüllten  und 
hermelisch  verschlossenen  Flaschen  enthaltenen  Kafieebeeren 
entwickelt,  führt  Alcohol  mit  sich,  ungefähr  eben  so  wie  die 
Schwaden,  welche  sich  bey  der  Gährung  des  Mostes  in  unsern 
Kellern  bilden.  Durch  Rüllcln  des  Wassers  mit  dem  Gas  er- 
hält jenes  einen  s^hr  entschiedenen  Alcohol-Geschniack.  ^"^ie 
manchcrley  Substanzen  mögen  vielleicht  jene  JMiscbungen  von 
Kohlensäure  und  Wasserstoff  mit  sich  führen,  die  wir  schäd- 
liche y?//flJOTe«  heifsen,  xind  die  in  den  Tropenländern  überall 
aufsteigen,  in  Sumpfgegenden  ,  am  iNIeercsul'cr,  in  den  Wäl- 
dern, wo  der  Boden  mit  abgefallenem  Laub  ,  Baumfrüchten 
und  verfaulten  Insecten  bedeckt  ist. 
*)  Stets  französische  Pfunde,  zu  9216  Gran;  iis  englische  Pfun- 
de rr:  io5  französisclien  Pfunden  Markgewicht,  und  joo  spa- 
nische Pfunde  :::z  ^5  französischen  Pfunden. 


Kapitel     XV.  6i 

Colquhouii  zufolge,  annoch  36  Millionen  *y.  Die  we* 
niger  heschvverliclie  und  weniger  kostbare  Cultur  des 
KalVoobaums  hat  seit  Einführung-  des  Regiments  der 
Schwarzen  minder  gelitten ,  als  der  Anbau  des  Zucker- 
rohrs. Das  Deficit  der  40  Millionen  Pfunde  aber  ist 
gegenwärtig  erset/.t  durch 

26,500,000  Pfunde  Ertrag  von  Jamaica  ; 

20,000,000      —      Ertrag  von  Cuba; 

11,4.00,000      —f      Ertrag   von    Surinam,    Demerary, 
Berbice  und  Curacao; 
5,000,000      —      Ertrag  von  Venezuela  5 

1 3,000,000       —      Ertrag  von  der  Insel  Java  **). 

70,900,000 

Die  Gesammteinfuhr  des  americanischen  Haft'ees  in 
Europa  übersteigt  gegenwärtig  106  Millionen  Pfunde 
französischen  Markgevvichts.  Rechnet  man  dazu  noch 
4.  bis  5  Millionen  von  den  Inseln  Frankreich  und  Bour- 
bon,  nebst  3o  Millionen  aus  Arabien  und  Java,  so  er- 
giebt  es  sich,  dafs  der  europäische  Gesammtverb rauch ***;> 
im  Jahr   1817  nahe    an  140  Millionen  Pfunde   erreicht 


*)  Die  Ausfuhr  von  St.  Doniingue  nach  den  britiischen  Häfen 
einzig  nur  betrug  (von  1009  bis,  1811),  im  Durchschnitt,  jähr- 
lich 19,36/1,666  engl.  Pfunde  Ka-^fee.  Colquhoun^  p.  33i  und  378. 
Ertrag  der  kleinen  Antillen,  1  4  Millionen  Pfunde.  Ertrag  von 
Cuba,  nur  im  Jahr  1809,  80,000  Centner. 

**.)  lieber  100,000  Pikuls^  jeder  zu  i33  Pfund.  Hr.  von  Hogen- 
dorp  glaubt,  es  könnte  die  Insel  Java,  im  gegenwärtigen  Zu- 
stand der  Civilisalion  (jedoch  mit  nicht  sehr  piiilanthropischea 
Mitteln),  5o  INlillionen  Pfund  Kaffee  an  Europa  liefern.  Ruf- 
fies-,  History  of  Java^  Vol.  1,  p.  129  und  21 3. 

***)  Der  Verbrauch  Frankreichs  wird  gewöhnlich  fetwas  hoch) 
zu  25  Millionen  Pfunden  berechnet.  Auch  beträgt  die  Be- 
völkerung Frankreichs  ungefähr  e'n\  Sechslheil  der  europäi- 
schen ßevöIkerul)'^ 


6  z  ß   II   c   h      f. 

hat.  In  den  Untersuchungen,  die  ich  im  Jahr  1810 
über  die  Coloniahvaaren  anstellte,  hlieb  ich  bey  einer 
kleineren  Summe  stehen  ^).  Dieser  ungeheure  Kallee- 
verhrauch  hat  demjenigen  des  Thees  keinen  Eintrag 
gethan,  zumal  die  Au?luhr  von  diesem  aus  China  in 
den  füuf/.ehn  letzten  Jahren  um  mehr  als  den  vierten 
Theil  höher  angestiegen  ist  '•*'■).  Der  Thee  künnte  so 
gut  wie  der  KafFoe  im  hergiglen  Theil  der  Provinzen 
von  Caracas  und  (jumana  aiigebaut  werden.  Es  finden 
sich  daselbst  alle  Klimate  gleich  Stockwerken  überein- 
ander geschichtet ,  und  es  würde  dieser  neue  Cultur- 
zweig  dort  eben  so  wohl  gedeihen,  als  in  der  südlichen 
Halbkugel,  wo  die  brasilianische  Regierung,  welche 
dem  Arbeitsfleifs  und  religiöser  Duldung  edelmütliigeu 
Schutz  verleiht,  gleichzeitig  den  Thee,  die  Cliinesen 
und  die  Glaubenslehren  des  Fo  einwandern  liefs.  Noch 
sind  niciit  hundert  Jahre  verflossen,  seit  die  ersten  Kat- 
feebäume  in  Surinam  und  auf  den  Antillen  gepfianzt 
wurden  ,  und  bereits  steigt  der  Ertrag  der  anjerica- 
nischen  Ernten  zum  VVcrthe  von  i5  Millionen  Piaster 
an,  wenn  der  Centner  Kalioe  auch  nur  zu  14  Piaster 
gerechnet  wird. 

Am  8.  Hornung,  bey  Sonnenaufgang,  machten 
wir  uns  auf  den  Weg  zum  Uebergang  des  Higuerote, 
feiner  Gruppe  hoher  Berge,  welche  die  zwey  Längen- 
thäler  von  Caracas  und  Aragua  von  einander  trennen. 
INachdem  wir  nalie  bey  Las  Ajuntas  die  Vereinbarung 
der  ilülschen   San   Pedro  und  Aiacarao,     die   den   Rio 


*)  Essai  policüjue  sur  le  Alexique,   Tom.  II,  p.  ;i55. 

**)  Die  TlieeaiisTuhr  von  Canton  belrug,  in  den  Jaliren  1804 
Lis  1806,  im  Durchschnitt,  260,000  Pik/es  oderöi  VliJlionen 
Pfunde.  Der  Verhrauch  von  Grolshritannien  ühcrsicigt  20 Mil- 
lionen. Siehe  a.  a.  O.  Tom.  II,  p.  658,  und  Colijuhoun^  p.  554  ; 
^Hppendixi  p.  8,  26,  54- 


Kapitel    XF.  63 

Guayro  bilden,  überschritten  hatten,  erstiegen  wir  ei- 
nen steilen  Abhang,  der  zum  Plateau  von  Buena-Vista 
führt.  Man  trifft  hier  einige  vereinzelte  Häuser  an. 
Die  Aussicht  delint  sich  nordöstlich  über  die  Stadt  Ca- 
racas und  südlicli  über  das  Dorf  Los  Tec[ues  aus.  Die 
Landschaft  ist  wild  und  sehr  waldigt.  Die  Pflanzen  dos 
Thals   von  Caracas  *)   waren    alhnählig  verschwunden. 


*)  Die  Flora  von  Caracas  zeichnet  sich  hauptsächlich  durch  nach 
folgende  Pflanzen  aus,  die  zwischen  ^oo  und  600  Toisen  Höiic 
wachsen:  Cipura  marlinicensis,  Panicum  micranthum,  Par- 
theniuin  Hysterophorus,  Vernonia  odoratissima  (Pevetera,  de- 
ren Bliithen  einen  sehr  angenehmen  Heiiolropiuin-Geruch  ha- 
Lenj,  Tagcles  caracasana^  T.  scoparia  von  Lagasca  cHr.  Bon- 
pland  hat  diese  Pflanze  in  die  spanischen  Gärlen  eingeführlj, 
Croton  hispidus^  Smilax  scahriusculus^  VAmnoch^vis  Humboldti 
Rieh.  ,  Equiselum  raitiosissiinum  ,  Heterantiiera  allsmoides, 
(j\yc\n^  punctata  ^  Hvplis  Piumeri,  Pavonia  canceilata  Cav., 
Sperinacoce  rigida^  Crotolaria  acutifolia,  Polygala  tiemorosa, 
Stachylarpheta  mutabilis,  Cardiospermuni  ulmaceum^  Aina- 
ranthus  caracasanus ,  Elephantopus  strigosus ,  Hydrolea  rnol- 
lis  ,  Alternanthera  caracasaiia  ,  Eupatoriurn  amygdalinurn-, 
VAyXrAvidL  fasciculatui  S&\viajimbriata,  Angclonia  salicaria, 
Heliotropium  strictuni .  Convoivulus  Batatilla^  Rubus  ja- 
maicensis ,  Datura  arborea,  Dalea  cnncaphylla,  Buchnera 
rasen  ^  Salix  Huniboldciana  Willd. ,  Thenphrasta  longifolia, 
Tourneforlia  caracasana,  Inga  cinerea^  I.  ligustrina,  I.  sa- 
pindioides,  I.  fasluosa,  Schvvenlu'a  palens ,  Erythrina  /«/^ij-. 
Die  angenehjnsten  botanischen  Spaziergange,  welche  inan  in. 
der  rSahe  der  Stadt  Caracas  machen  Kann,  sind  die  nach  den 
Rergschluchten  von  Tacagua,  Tipe,  Cotecila,  Catoche,  Ajjiuico 
und  Ciiacaito.  C^  on  den  Pllanzen,  die  zwisi.iun  800  und  1  »00 
Toisen,  auf  der  SiJla,  in  der  Region  der  Refarien,  der  Trixis 
nereifolia  und  der  INlyrica  caracasana  wachsen  ,  vei-gleicJie 
man  oben,  Th.  II,  Hap.  i).  S.  418  folg)  In  den  vier  von 
uns  herausgegebenen  Wei  Ken  der  beschreibenden  llotanik,  dea 
Pl'iutes  equino.xiales  ^  der  Alunographie  des  Rhexia  ^  der- 
jenigen der  MelusCi)tTt.es   uMd    den  Nu^'u  Genera.,    iindci»   sich 


6;  B  u  c  h     F. 

Wir  befanden  uns  bev  835  Toisen  über  der  Meeres- 
fläche:  es  ist  dies  heynahe  die  Höhe  von  Popnyan^  al- 
lein die  nüttlere  Temperatur  des  Orts  betrügt  wahr- 
scheinlich nur  17°  bis  1^°  '*').  Dieser  liergpa/s  wird 
stark  gebraucht  5  man  begegnet  unaufliörlich  langen 
Zügen  von  Manllliieren  und  (Jchsen^  und  er  bildet  die 
Landstrafse,  welche  aus  der  Haupt;  ladt  nach  Victoria 
und  in  die  Thüler  von  Aragua  fülirt.  Der  V\  eg  ist  in 
einen  talkigen  **_)  und  verwitterten  Gneifs  eingeschnit- 
ten. Eine  mit  Glimmerblätlchen  vermengte  Thonerde 
bedeckt  den  Felsen  drey  Fufs  hoch.  hn  Winter  ist  der 
Staub  lästig,  wogegen  in  der  Megenzeit  das  Land  zum 
Sumpf   wird.       Beym    Herabsteigen   vom    Phileau    von 

Bueha-Vista  findet  sich   etwa   fünfzisr  Toisen  tiefer  süd- 

o 

ostwärts  eine  wasserreiche  Quelle,  die  aus  dem  Gneifs 
hervorkommt  und  mehrere  vom  dicksten  Pfiauzenwuchs 
eingefafste  Cascaden  bildet.  Der  Fufs  weg,  welcher  zur 
Quelle  führt,  senkt  sich  so  schnell,  dafs  nsan  die  Spitze 
der  baumartigen  Farnlsräuter,  deren  Stamm  über  26 
Fufs  hoch  ist,  mit  der  Hand  erreichen  kaim.  Die  um- 
stehenden Felden  sind  mit  Jungermannien  vmd  INToosen 
aus    der  Familie   der  Hypnum   überzogen.      Der  durch 

dia 


die  Pflanzen  der  verschiedenen  Theile  des  spanischen  America 
den  nalürlicJicn  Familien  gem.'irs  gesammelt  und  geordnet  :  in 
dieser  JieisL'kfschreiöiing  suclie  ich,  was  dem  n.imhclien  Ort 
angehört,  •zusammeny.uslellen,  nicht  um  eine  Flora  zu  liefern, 
sondern  damit  hotanisciie  I-eser  die  Physiognomie  der  I-and- 
schaft  und  die  Gestaltung  iiires  Pilanzcmvuchses  auffassen 
mögen. 
*)  Von  1  j^,  6  zu  14",  4  Reanmur. 

**)  Die  Piici:!ung  der  Gneifslager  wechselt;  sie  ist  entweder 
St.  5,  4  mit  Senkung  nach  IS.  W.  ,  oder  St.  8,  2  mit  Senkung 
nach  S.  O. 


Kapitel     XK  65 

die  Quollo  gebildete  und  durch  die  Heliconia  *)  beschat- 
tete Berifslroin  entblülst  in  seinem  Sturze  die  Wurzeln' 
der  Plumeria**),  des  Cupey  ***)^  der  ßrovvnea  und  des 


*)  ]lr.  fJrcdeinever ,  vvelclier  wfchllge  Handschriften  über  die 
Pilaiv/.en  von  Caracas  j)psil/,t ,  hal  eine  Musacee  unter  dem 
ISamen  der  Heliconia  Cassupa  beschrieben.  Sie  wäcJist  nur 
in  st'Jir  gemalsiglen  oder  J.alten  Orten.  Wir  können  niclit  sa- 
gen,  ob  es  die  auf  der  vSilla  wachsende  Art  ist,  (sielie  oben, 
TI».  II,  Kap.  iJ,  S.  i)2cO;  denn  die  Herren  Bredemeyer  und 
Hose  iiaben  weder  den  üiplel  dieses  Cerges  erstiegen  ,  noch 
di'!  Celarias  einer  so  hoch  gelegenen  Gogond  gesehen. 

**)  Der  Jasminhauin  (Prangipanier)  der  Infreln.  Die  in  den  Gär- 
ten der  Indianer  so  gemeine  Piumeria  ist  nur  selten  wildwach- 
send angetroffen  worden.  Sic  kommt  hier  in  Gesellschaft  des 
Piper  /iage//are  vor  ^  dessen  Blumenscheide  bis  an  drej  Fufs 
Lange  jiat.  In  Gesellschalt  der  neuen  Art  des  Feigenliauiil9, 
welchen  wir  Ficus  gigäntea  {Nol'.  Gen.,  Tom.  H,  p.  48)  nann- 
ten, weil  er  eine  Höhe  von  100  Puls  erreicht,  findet  sicli  in 
den  Bergen  von  Buena- Visla  und  Los  Teques  der  Picus  nynt-i 
pha'iföüa  des  Gartens  von  Schönbrunn,  welchen  Hr.  ßrede-, 
mcjer  in  unsere  Garten  eingeführt  hat.  \oi\  der  Identität  der 
am  gleichen  Standort  enthobenen  Art  bin  ich  liberÄeugl^  ob  es 
aber  auch  der  wahre  F.  njmpha;ifoiia  des  l.inne'  sey ,  für  des- 
sen Vaterland  man  Ostind'en  hält,    daran  xweifie  ich. 

***)  In  den  Versuchen,  die  ich  in  Caracas  mit  der  in  den  Pflan- 
zen umlaufenden  Luft  anstellte,  war  mir  der  schöne  Anblick 
auffallend,  den  die  Stiele  und  Blätter  der  Ciusia  rosea  gewäh- 
ren, wenn  sie,  den  SonncnslraJilen  ausgesetzt,  unter  dem  Was- 
ser abgeschnitten  werden.  Jede  Röhre  liefert  eine  Strömung 
von  Gas,  welches  um  0,08  reiner  ist  als  die  atmosphärische 
Luft.  Die  Erscheinung  hörte  auf,  sobald  die  Vorkehrung  in 
Schatten  gestellt  ward.  Die  Luftentwicklung  geht  aucli  nur 
äuiserst  schwach  auf  beydcn  Oberilächcn  dei-  Blatter  der  Ciu- 
sia vor  sich,  wenn  dieselben,  unabgeschnitten,  im  Wasser  der 
Sonne  ausgesetzt  ^vcrden.  Das  in  den  Saameneapseln  des  Car- 
diospermum  vesicurium  enthaltene  Gas  schien  mir  eben  so  viel 
Sauerstoff  zu  entliallen,  als  die  Atmosphäre,  während  das 
zwischen  den  Knoten   und  in  den  hohlen  Stengeln  enthaltene 

Alex,    u,    Humbotdtt   Aiit.    fleisen.   JII.  ^ 


66  Buch     V. 

Ficus  giganfea.  Diese  feuchte  und  von  Schlangen  te- 
woimte  Gegend  bietet  den  Pflanzenforschern  die  reich- 
sten Jirnten  dar.  Die  Brownea,  von  den  Einwohnern 
Rosa  del  yioiite  oder  Palo  dt  Cruz  genannt,  trägt  bis 
vier-  und  fünfhundert  Purpurblüthen  in  einem  einzigen 
Straufse  vereint.  Jede  Blume  hat  sehr  beständig  eilf 
Staubfäden,  und  dies  prachtvolle  Gewächs,  dessen  Stamm 
die  Höhe  von  5o  bis  60  Fufs  erreicht,  wird  selten,  weil 
sein  Holz  eine  sehr  geschätzte  Kohle  liefert.  Der  Boden 
ist  mit  Ananas,  Heniimeris,  Polygalas  und  Melastomen 
überzogen.  Ein  grasartiges  Rankengewächs  *)  verein- 
bart durch  leichte  Gewinde  Bäume,  deren  Daseyn  das 
sehr  kühle  Klima  dieser  Berge  bezeugt.  Darunter  sind 
die  Araiia  capitata  **) ,  die  Vismia  Caparosa  und  die 
Clethra  fagifolia.  Mitten  unter  diesen,  der  schönen 
Gegend  der  baumartigen  Farnkräuter  (regiou  de  los 
helechos")  eigenthümlichen  Gewächsen  erheben  sich  an 
lichten  Stollen  einige  Palmbäume  und  _einzelne  Gruppen 
des  Guarumo  oder  der  silberblätlerigen  Cecropia,  deren 
dünne  Stämme  gegen  die  Spitze  zu  schw^arz  und  wie 
durch  den  Sauerstofl'  der  Atmosphäre  verbrannt  aus- 
sehen. Es  ist  ein  befremdlicher  Anblick,  dafs  ein  so 
schöner  Baum,  der  die  Gestalt  der  Theophrasten  und 
Palmbäume  hat,  gewöhnlich  nur  acht  bis  zehn  Kron- 
blätter trägt.  Die  Ameisen,  welche  im  Stamme  des 
Guarumo    oder  Jarumo   nisten    und    seine    inneren   Ge- 


ülierliaupl  weniger  rein  ist.  Es  enthält  nur  o,  12  bis  o,  i5 
Sauerstofi".  Man  nmfs  die  in  den  Piöhren  umlaufende  Luft 
von  derjenigen  untersclieiden  ,  welche  in  den_groisen  J^ölllen 
der  Stengel  und  in  den  Saamenbehaltern  stockend  verweilt. 

*)   Carice.     Siehe  oben,  'I'h.  II.  Kap.  6.  S.  i5. 

**)  Candelero.  >Vir  fanden  iiu:  auch  auf  Cumbre.  iu  -00  Toisen 
Höiie. 


Kapitel     XK  ()2 

fache  zersti5ren,  scheinen  das  Wachsthum  desselben  zu 
heiiiinen.  Wir  hatten  schon  frülior  auf  diesen  ge#näs- 
sigliMi  Cerg(Mi  des  Hiij^ucrote  herborisirt^  im  Chrlstnio- 
nal  und  im  Begleite  des  General- Capitains^  des  Herrn 
von  Guevara,  bey  einem  Ausflüge,  welchen  er  mit  dem 
Intciulnnt  der  Provinz  nach  den  Mulles  de  Aragua  un- 
ternahm. Damals  entdeckte  Hr.  Bonpland,  in  der  dich- 
testen Abtheilung  des  Waldes,  einige  Stämme  des  Agua- 
tire ,  dessen  durch  seine  schone  rothe  Farbe  berühmtesl 
Holz  einst  ein  Ausfulirartikel  nach  Europa  werden  kann. 
Es  ist  die  Sicking-ia  Erytüvoxylon,  welche  die  Herren 
Bredemeyer  und  Willdenovv  beschrieben  haben. 

im  Hinunterstüigen  auf  der  büdwestseite  des  mit 
Waldung  bedeckten  Higuerote  kommt  mau  zu  deiil  klei- 
nen Dorfe  San  Pedro  '■•'),  das  in  einem  Becken  lie^t,  in 
welchem  mehrere  Thalgründe  sich  vereinen,  und  das 
nahe  an  3oo  Toisen  niedriger  ist,  als  das  Plateau  der 
Buena- \'i5la.  Es  werden  da  neben  einander  der  Pisang-, 
Karlolfeln  ■■■'■•)  und  Haifee  angebaut.  Das  Dorf  ist  nur 
sehr  klein,  und  der  Kirchenbau  war  nocli  nicht  vollen^ 
det.  \n  einem  Wirthshaus  Cpiilperia)  trafen  wir  meh- 
rere, bey  der  Tabakpacnl  angestellte  spanische  Eui'o- 
pöer.  Ihre  Stimmung  war  von  der  unsrigen  sehr  ver' 
scliieden.  Von  der  tSeise  ermüdet,  ergossen  sie  sich  in 
Klagen  und  Verwünschungen  über  das  unselige  Land 
(_esiiis  lierras  injelices};)  worin  sie  zu  leben  gezwungen 
seyen.  Wir  hingegen  konnten  im  Kuhnie  der  wilden 
Schönheit  der  Gegend,  des  fruchtbaren  Bodens  und  des 
milden  Klima  s  nicht  satt  werden.  In  der  INä'ie  von  San 
Pedro  gfiiil  der  talkartige  Gneifs  von  Buena  Vista  in  ei- 
nen Gliniinerschiefer  über,    worin   seiir  viele  Granaten 


*j  AIjsolule  Hölie ,  58  i  Toisen. 

*'.)  Soianurti  luLcrosuiu. 


6&  B  V  c  h    r. 

vorkommen,  und  welcher  untergeordnete  Serpenlin- 
lagej:.. enthält.  Diese  Lagerung  gleicht  derjenigen  von 
Züblitz  in  Sachsen.  Der  Serpentinstein,  welcher  sehr 
rein  und  von  einer  schön  grünen  Farbe  ist,  scheint  öf- 
ters nur  auf  dem  Glimmerschieier  aufzuliegen.  Ich  land 
einige  Granaten  darin,  aber  keinen  körnigen  Strahlslein 
(diallage  metalloide). 

Das  Thal  von  San  Pedro,  worin  der  gleichnamige 
Flufs  strömt,  theilt  die  zwey  grofsen  Gebirgsmassen  des 
Higuerote  und  des  Las  Cocuyzas.  Westwärts  stiegen 
wir  durch  die  kleinen  Mevereyen  von  Las  Lagunetas 
und  Garavatos  wieder  bergan.  Es  sind  dies  nur  einige 
einzeln  stehende  Häuser,  welche  Wirthschaft  treiben; 
die  Mavilthiertreiber  linden  hier  ihr  Lieblingsgetränk, 
den  Guarapo,  oder  den  Gährungssaft  des  Zuckerrohrs. 
Die  Indianer,  welche  diese  Strafse  besuchen ,  sind  dem 
Trunk  insbesondere  sehr  ergeben.  JNahe  bey  Garavatos 
findet  sich  ein  Glimmerschiefer-Fels  von  seltsaniem  Aus- 
sehen;  er  stellt  eine  Gräte  oder  steile  Mauer  vor,  auf 
der  zu  oberst  ein  Thurm  steht.  Wir  öfineten  den  Ba- 
rometer auf  der  Spitze  des  Berges  Las  Cocuyzas  ••),  und 
fanden,  dafs  wir  uns  beynahe  auf  der  nämlichen  Höhe 
wie  auf  dem  Plateau  von  Buena-Vista,  oder  doch  kaum 
IG  Toisen  höher  befanden. 

Man  geniefst  in  Las  Lagunetas  eine  sehr  weite, 
aber  ziemlich  einförmige  Fernsicht.  Die  bergigte,  un- 
bebaute Landfchaft,  zvvisclien  den  Quellen  des  Guayre 
und  des  Tuy,  beträgt  über  ^5  Geviertnicilen.  Es  be- 
findet sich  darin  ein  einziges  elendes  Dorf,  Los  Teques 
genannt,  süd- ostwärts  von  San  Pedro.  Der  Boden  ist 
wie  gefurcht  durch  eine  Menge  Thäler^  von  den«m  die 
kleinsten,  mit  einander  parallel  laufend,  sich  rechtwink- 


*)  Höhe,  845  Toisen. 


Kapitel     XK  69 

Hellt  den  breitesten  Thälern  anschliefsen.  Die  Gipfel 
der  Berge  sehen  eben  so  einlörmig  aus  wie^die  Schluch- 
ten. Man  sieht  weder  pyramidalische  Gestaltungen, 
noch  Auszackungen,  noch  steile  ßorgwände.  Ich  ver- 
muthe,  es  sey  die,  meist  sanfte  und  nellenförmige  Be- 
wegung dieses  Erdreichs  weniger  ein  Ergebnifs  der  Be- 
schaffenheit der  Felsen,  zum  Bey spiel  der  Verwitterung 
des  Gneifses,  als  vielmehr  des  langen  Aufenthalts  der 
Gewässer  und  der  Kraft  ihrer  Strömungen.  Die  Kalk- 
berge von  Cumana  zeigen  nordwärts  vom  Tumiriquiri 
eine  gleichartige  Gestaltung  ■•'). 

Von  Las  Lagunetas  stiegen  wir  ins  Thal  des  Rio 
^  Tuv  hinab.  Dieser  nördliche  Abhang  der  Berggruppe 
von  Los  Teques  führt  den  INamen  Las  Cocuyzas  5  er  ist 
mit  zwey  agave-blätterigen  Pflanzen  bewachsen,  dem 
IMagney  de  Cociiyza  und  dem  IMaguey^  de  Cocuy.  Der 
letztere  gehört  der  Gattung  Yucca  an  ^*'"'_) :  aus  seinem 
zuckerhaltigen  Gährungssaft  wird  durch  Destillirung 
Branntwein  bereitet ;  ich  sah  die  jungen  Blätter  als 
Speise  geniefsen  ;  aus  den  alten  Blättern  werden  über- 
aus zähe  Seile  verfertigt  '••'■••'••).  Wenn  man  die  Berge 
von  Higuerote  und  Los  Teques  verläfst,  kommt  man 
in  eine  Landschaft,  die  reich  bebaut,  mit  Weilern  und 
Dürfern,  deren  mehrere  in  Europa  Städte  heifsen  wür- 
den, übersetzt  ist.  In  einer  Entfernung,  die  zwölf 
Meilen  beträgt,  von  Osten  nach  Westen,  stehen  ia  Vit- 
toria,  San  Matheo,  Turmero  und  Maracay,  welche 
zusammen  eine  Bevölkerung  von  mehr  denn  28,000  Ein- 


*)  Siehe  oben,  Th.  II.  Kap.  6.  S.  81. 

**)  Es  ist  unsere  Yucca  acaulis.     Nov.  Gen.,  Tom.  I,  p,  289. 

»**)  Ein   Maguey-Scil,    5   Linien   im  Durchmesser,    hatte  am 

Uhrwerk  der  Kathedralkirche  von  Caracas,    teil  i5   Jahrca, 

ein  Gemcht  von  j5o  Pfund  getrogen. 


fo  B  V  c  h      V. 

Vrohnern  lialton.  Die  Ebenen  von  Tiiy  I<ünnen  als  das 
ijstliche  F-nde  derThäler  von  Araj^iia  aiiffeselien  m  erd'n, 
welche  sicli  von  Gviiüue^  an  den  Gestaden  des  Valincia- 
SeeSj  bis  an  den  Fuf^  des  La«  CocuA'zas  ausdehnen.  Das 
barometrische  Nivellement  hat  mir  2q5  Toisen  als  ab- 
solute Hühe  der  Falle  del  Tiiy ,  nahe  beym  Meyerhofe 
von  Manterola^  und  222  Toisen  für  die  Wasserfläche  des 
Sees  gegeben.  Der  Rio  Tuy,  welcher  in  den  Berpen 
von  Las(yOcuyzas  entspringt,  nimmt  anfangs  seinen  Lauf 
westwärts,  hernach  dreht  er  sich  nach  Süden  und  Osten, 
zieht  liings  den  hohen  Savaoen  von  Ocumare  hin,  em- 
pfingt die  Gewässer  des  Thals  von  Caracas,  und  mün- 
det unter  dem  Winde  des  Cap  Codesa  aus.  Es  ist  der 
Weine,  westwärts  gerichtete  Theil  seines  Beckens,  wel- 
cher, geologisch  gesprochen,  als  den  Thälern  von  Ara- 
gua  angehörend  konnte  erachtet  werden,  wofern  die 
aus  Kalk-TulT  bestehenden  Hüi-el,  welche  zwischen  Can- 
sejo  und  Vittoria  den  Zusammenhang  dieser  Thäler  tren- 
nen, nicht  einige  Beachtung  verdienten.  Wir  erinnern 
hier  nochmals,  dafs  die  Berggruppo  von  Los  Teques, 
welche  85o  Toisen  Höhe  hat,  zwey  Liöngenthäler  von 
einander  sondert,  die  in  Granit,  Gneifs  und  Glimmer- 
schiefer ausgehülilt  sind  ;  und  dafs  das  östliche  Thal, 
worin  die  Hauptstadt  Caracas  befindlich  ist,  200  Toisen 
höher  Hf*gt,  als  das  westliche  Thal,  welches  als  der  Mit- 
telpunct  des  landwirthschaftliclien  Kunstfleifses  betrach- 
tet werden  kann. 

Da  wir  seit  geraumer  Zeit  an  eine  gemäfsigte  Tem- 
peratur *)  gewöhnt  waren,  so  fanden  wir  die  Ebenen  von 
Tuy  aufserordcntlich  heifs.  Dennoch  stieg  der  Ther- 
mometer öinTage,  zwisclion  11  L'hr.Morgens  und  5 Uhr 
Abends,  nicht  über  23  oder  24°.      Des  Nachts  trat  eine 

*j  Auf  1,"  F.. 


Kapitel     XV.  71 

sehr  anffenohme  Külile  o\x\,  indem  die  Temperatur  der 
Luft  bis  aut"i7°,  5  herabsank.  Jin  Verhältnils  mit  der 
Abnahme  der  Wärme  schien  die  Luft  von  V^  ohlgerüchen 
der  Ptlanzen  mehr  erlullt  zu  werden.  ^^  ir  unterschie- 
den zunächst  die  küstllclie  Würze  der  J^irio  hermoso, 
einer  neuen  Art  des  Pancratium  "),  dessen  Blume  8  bis 
g  Zoll  lang  ist;  und  das  die  Gestade  desMioTuy  schmückt. 
Wir  braciilen  zwey  Tage  sehr  angenehm  in  der  Pflan- 
zung des  Don  Jose  de  Manterola  zu,  welcher  in  seiner 
Jugend  bey  der  spanischen  Gesandtschaft  in  Kufsland 
angestellt  gewesen  war.     Als  Züiiflin£:  und  Günstling-  des 

DO  Co  o 

Hrn.  von  Xavedra,  eines  der  einsichtsvollsten  Intendan- 
ten von  Caracas,  w^oUte  er  sich,  nachdem  dieser  be- 
rühmte iVjann  ins  Ministerium  gelangt  war,  nach  Eu- 
ropa einschiffen.  Der  Gouverneur  der  Provinz,  wel- 
cher den  Einflufs  des  Hrn.  von  Manterola  fürchtete,  liefs 
ihn  im  Hafen  anhalten  5  und  als  der  Befehl  des  Hofes, 
der  den  willkürlichen  Verhaft  aufhob,  eintraf,  war  der 
Minister  bereits  nicht  mehr  in  Gunsten.  Auf  i5oo 
Meilen  Entfernung  von  den  Küsten  der  americanischen 
Aequinoctial- Lande  mag  man  nicht  leicht  zu  rechter 
Zeit  eintreffen,  um  den  Einflufs  eines  Staatsbeamten  zu 
benutzen. 

Die  Meyerey,  in  der  wir  uns  aufhielten,  ist  eine 
schöne  Zuckerrqhr- Pflanzung.  Ihr  Boden  ist  geebnet, 
^vie  der  Grund  eines  ausijetrockneten  Sees.  Der  Hio 
Tuy  schlängelt  sich  durch  einen  Landstrich,  der  mit 
Pisangbäumen  und  einem  Wäldchen  aus  Hura  crepitans, 
Erythrina  Corallodendron  und  dem  nvmphäablättrigen 
Feigenbaum  bewachsen  ist.  Das  Flufsbett  besteht  aus 
Quarzgeschieben.  Ich  kenne  keine  angenehmeren  Bä- 
der als  die  des  Tuy-Flusses.      Das  krystatlhelle  Wasser 


*)  PaHcratium  undulatum  {Nou.  Gen. ,  Tom.  I ,  p.  380.) 


fZ  Buch      V. 

behält  auch  den  Tag  über  die  Temperatur  von  ig°,  6. 
Für  dieses  Klima  und  für  eine  Hübe  von  3üo  1  oiyen  ist 
<iies  eine  beträchtliche  Kühlung 5  aber  die  Quellen  des 
Flusses  finden  sich  in  den  benachbarten  Bergen.  Die 
auf  einem  i5  bis  20  Toisen  hohen  Hügel  stellende  Woh- 
nung des.  Gutsherrn  ist  von  Hütten  der  Neger  umgeben; 
die  verheirathtten  unter  diesen  sorgen  selbst  für  ihrJNah- 
rungsbedürfnifs.  INIan  überläfst  ihnen  hier^,  Avie  über- 
all in  den  Tliälern  von  Aragua,  ein  kleines  Stück  Pflanz- 
land;  welches  sie  am  Samstag  und  Sonntag,  ihren  ein- 
zigen freven  Wochentagen ,  Jiearbeiten.  Sie  xiehen 
Hühner  auf  und  zuweilen  auch  ein  Schwein.  Der  ge- 
bietende Herr  rühmt  ihr  Glück,  wie  im  nördlichen 
Europa  die  Grundherren  gern  den  W^ohlstand  der  leib- 
eigenen ßaut^rn  rühmen.  Am  Tage  unserer  Ankunft 
sahen  wir  drev  flüchtige  Neger  einbringen;  es  waren 
kürzlich  gekaufte  Sclaven.  Ich  besorgte  Zeuge  einer 
Strafweise  zu  seyn,  die  überall,  wo  Sclaverey  herrscht, 
das  Landlehen  widerwärtig  macht:  glücklicher  Weise 
wurden  die  Schwarzen  menschlich  behandelt. 

In  dieser,  wie  in  allen  andern  Pflanzungen  der  Pro- 
vinz Venezuela,  unterscheidet  man  von  fernher  an  der 
.  Farbe  der  r>lätter  die  drey  Arten  des  Zuckerrohrs,  wel- 
che angebaut  werden:  das  alte  creolische  Rohr,  das 
Kohr  von  Otaheiti  und  dasjenige  von  Balav  ia.  Die  er- 
stere  Art  hat  Blätter  von  dunklerem  Grün,  einen  dün- 
neren Stengel  und  näher  beysammen  stehende  Knoten. 
Es  ist  dies  das  Zuckerrohr,  welches  aus  Indien  zu- 
erst in  Sicilien ,  auf  den  canarischen  Eilanden  und 
auf  den  Antillen  eingeführt  ward.  Die  zweyte  Art 
unterscheidet  sich  durch  ein  helleres  Grün.  Ihr 
Stengel  ist  höher,  dicker  und  saftiger.  Die  ganze 
Pflanze  drückt  ein  üppigeres  Wachsthum  aus.  Man 
verdankt   sie    den  Reisen  von  Bougainville,    Cook  und 


Kapitel     Xr.  73 

Bliffli  *).  Bongainville  brachte  sie  nach  Isle  de  Fran- 
ce, von  wo  sie  aut'Cayenne  und  Martinique,  dann  seit 
I7g2  üucli  auf  die  übrigen  Antillen  verpflanzt  ward. 
Das  Zuckerrohr  v^on  Ütaheiti,  das  To  der  Insulaner,  ist 
eine  der  wichtigsten  Erwerbungen,  welche  die  Land- 
>A  irthschalt  der  Colonien,  seit  einem  Jahrhundert,  den 
Reisen  der  Naturforscher  verdankt.  JNicht  nur  liefert 
es,  auf  ö;leichem  Landesumfang,  einen  Drittheil  Fezou 
mehr  als  das  creoUsche  Piohr;  sondern,  um  seines  dicken 
Stengels  und  seiner  zähen  Holzfasern  willen,  gewährt 
es  auch  ungleich  mehr  Brennstoff.  Dieser  letzte  Um- 
stand ist  für  die  Antillen-Insehi  sehr  wichtig,  weil  die 
Zerstörung  der  Waldungen  die  Pflanzer  längst  nüthigte, 
sich  der  Tresler  als  Feuerung  unter  dem  Siedekessel  zu 
bedienen.  Ohne  die  Kenntnifs  dieser  neuen  Pflanze, 
ohne  die  Fortschritte  der  Landwirthschaft  auf  dem  Fest- 
lande des  spanischen  America,  und  die  Einführung  des 
indischen  und  Java-Zuckers  würden  die  Umwälzungen 
von  St.  Domingue  und  die  Zerstörung  der  grofsen  Zu- 
ckerpflanzungen dieser  Insel  einen  noch  weit  bedeuten- 
deren Einflufs  auf  den  Pjeis  der  Colonial-Waaren  in  Eu- 
ropa gehabt  haben.  Das  Kohr  von  Otaheiti  ward  von 
der  Insel  Trinidad  nach  Caracas  gebracht  '-''"O-  Von  Ca- 
racas gieng  es  nach  Cucuta  und  San  Gil  im  Königreich 
Neu-Granada  über  -''«''O«      Heutzutage  hat  ein  25jähriger 


*)  Siehe  meine   Tableaux  de  la  Nature ^  Tom.  I,  p.   74;    Nov. 

Genera^  Tom.  I,  p.  181  ;   und  eine  Note  der  Herren  Tliouin 

und    Du   Buc  in    der    Voyage    ä   la    Trinit6^     Tom.    II,    p. 

557  —  562. 
**)    Durch    die  Sorgfalt    der   Herren    Don   Simon    de  Majora, 

]\Tartin  Iriarte ,  i\Ianuel  Ayala  unil  Andres  Iharra. 
***)  Unter   dem    Namen    Canna   solcra.      Siehe    die   Nachricht 

des    D.    Eloy   de   Valenzuela,    Pfarrer  in    Bucaramanga,    in 

dem  Seman.  de  Santa-Fe.)  Tom.  U.  p.  i5, 


74  '  Buch     V. 

AnLau  dlo  anfangs  gehegte  Besorgnifs  fa5t  ganz  ge- 
hoben, es  möchte  dasselbe,  nach  America  verpHanzt, 
alhiiiililig  ausarten,  und  so  dünn  wie  das  crtolische 
Bohr  werden.  Wenn  es  eine  AJ^art  ist,  so  ist  es  eine 
sehr  standhafte  Abart  Die  dritte  Art,  das  violette  Zu- 
ckerrohr, welches  Canna  de  Butavia  oder  de  Guinea 
genannt  wird,  ist  zuverlässig  auf  der  Insel  Java  einhei- 
misch, wo  dasselbe  vorzüglich  in  den  Bezirken  von  Ja- 
para  und  Pasuruan  angebaut  wird  *}.  Seine  purpur- 
farbenen Blatter  sind  sehr  breit;  in  der  Provinz  Caracas 
gii'bt  man  ihm  für  die  Kumbercitung  den  V^orzug.  Die 
iuhlones  oder  mit  Zuckerrohr  bepflanzten  Felder  wer- 
den durch  Hecken  einer  colossalen  Grasart,  des  Ltcttta 
oder  Gyneriuni  mit  zweyreihigen  Blattern,  gesondert. 
In  Tuv  war  man  mit  Beendigung  eines  Dammbaues  be- 
schäftigt, um  einen  Wässerungscanal  herbeyzuleiten. 
Diese  Unternehmung  hatte  dem  Eigenthümer  7000  Pia. 
sler  SLW  Baukosten  und  4000  Piaster  an  Procefsauslagen 
mit  den  Nachbaren  gekostet.  Während  die  Sachwalter 
sich  um  einen  erst  noch  halbbeendigten  Canal  stritten, 
iieng  Hr.  von  Manterola  sogar  die  Ausführbarkeit  des 
Werks  zu  bezweifeln  an.  Ich  nahm  das  Nivellement  des 
Bodens  mit  dem  auf  einen  künstlichen  Horizont  gebrach- 
ten Probierglas  vor,  und  fand,  dafs  der  Damm  um  acht 
Fufs  zu  niedrig  angelegt  war.  Wie  vieles  Geld  sah  ich 
in  den  spanischen  Colonien  unnütz  verschwenden,  für 
Bau -Anlagen,  die  auf  irrige  Nivellements  berechnet 
waren  ! 

Das  Thal  von  Tuy  hat  „seinen  Goldschachf^'  wie 
fast  jeder,  von  Weifsen  bewohnte  und  an's  Ui'gebirg  stos- 
sende  Ort  in  America.  Fremde  Goldwäscher,  erzählte 
man,    hätten  im  Jahr  ij'So  in  der  Goldschlucht  (ravin 


*>  Raffles,  Hist.  of  Java^  Tom.  I.  p.   124. 


H  a  p  i  t  e  I     XP'.  75 

ile  rOro)  GoMl^ürnor  ^esanimolt  und  eine  Wascliein- 
rjchlung^  gemacht.  Der  Geschältsf'iilirer  (öder  Major- 
donius^  einer  lienachbarton  Pflanzung  liatto  die;;e  Spuren 
verfolgt:  nian  fand  unter  seinem  Naclilaf?  einen  Kan)isol| 
mit  GoldI<nüpfen,  und,  der  LiOgik  des  Volks  zufolge, 
konnte  dieses  Gold  nur  von  einem  Erzgange  herkommen, 
dessen  Ziitagcllegen  durch  eingestürztes  Erdreich  war 
verschüttet  v»'orden.  Ich  mochte  noch  so  sehr  vorstel- 
len, dafs  die  hlofse  Ansicht  des  Bodens,  ohne  einen  tie- 
fen Stollen  in  der  Richtung  des  Ganges,  mir  i's  kann» 
möglich  machen  würde,  iiber  das  Dasevii  des  Met.illes 
zu  urtheilen.  Ich  mulste  mich  dem  Ansinnen  meiner 
Hauswirthe  füiien.  Seit  zwanzig  Jahren  war  das  Ka- 
misol  des  Majördomus  ein  Gegenstand  aller  Gespräche 
im  Canton  gewesen.  Das  dorn  Schoofse  der  Erde  ent- 
hobene  Gold  besitzt  in  den  Augen  des  Volks  einen  viel' 
höheren  Reiz,  als  dasjenige,  welches  Ernebnifs  des  durch 
Fruchtbarkeit  des  Bodens  und  Milde  des  Klima  s  begün- 
stigten laiidwirthschaftlichen  Fleifses  ist. 

INordwosllich  von  der  Hacienda  del  Tuy ,  in  der 
nördlichen  Reihe  der  hiistenheife ,  öffnet  sich  eine  tiefe 
Schlucht.  Man  nennt  sif  Qiiehrada  seca,  weil  der  Berg- 
strom, welcher  ihr  das  Daseyn  gab,  sein  Wasser  in  den 
Felsspalten  verliert,  noch  ehe  er  das  Ende  der  Schlucht 
erreicht.  Dieses  ganze  Bergland  ist  mit  dichtem  PHan- 
zenwuchs  überdeckt.  \^^ir  fanden  hier  wieder  das  näm- 
liche Grün ,  dessen  Frisclie  uns  in  den  Bergen  von 
Buena-Vista  und  Las  Lugenatas,  überall  wo  sich  der 
Boden  bis  in  die  Nebel-Region  erhebt  und  wo  die  dem 
Meer  entsteigenden  Dünste  freyt-n  Zutritt  finden,  erfreut 
hatten.  In  den  Ebenen  hingegen  lassen  viele  Bäume, 
wie  schon  oben  bemerkt  ward,  einen  Theil  ihres  Laubes 
im  AA  inter  fallen:  und,  sobald  man  ins  Thal  von  Tuy 
henintersteigt ,    ist  man  über  die   fast  winterliche  G*> 


^6  B  II  c  h     V. 

staltung  des  Landes  betrofFen.  Die  Trockenheit  der  Luft 
ist  so  "Tols,  dafs  Deluc's  Hygrometer  *J  Tag  und  iNacht 
durch  zwischen  36°  und  40°  zeigt.  In  einiger  Entfer- 
nung vom  Flusse  trift't  man  nur  selten  einige  Hura  oder 
baumartige  Piper  an,  welche  ein  dürres  Gebüsch  be- 
schatten. Diese  Ersclieinung  ist  ohne  Zweifel  eine  Folge 
der  Trockenheit  der  Luft^    die  im  Hornung  ilir  Maxi- 


*)  ISach'teliendcs  ist  eine  Reihe  hygrometrischer  Beobachtun- 
gen, die  ich  in  den  Thälern  von  Tuy  und  Aragua  im  Schat- 
ten angestellt  habe;  der  Fischbein -Hygrometer  war  sorgfäl- 
tig auf  den  höchsten  Feuchtepunct  reducirt.  Hacienda  de 
Manterola  CHöhe  296  Toiscn).  Am  n.  Febr.  um  1  Uhr, 
Hygr.  560,  g;  hunderllh.  Therm.  26",  6*,  um  4  U.  H.  54",  7- 
Th.  270,  5;  um  12  U.  (Nachts)  H.  58°,  8.  Tb.  22°,  5.  Am 
12.  Febr.  um  22  U.  Morgens,  H.  Jy",  8.  Tb.  26"  5  um  5  U. 
H.  55%  o.  Tb.  26°,  2;  um  1 1  U.  H.  42°,  6.  Th.  210,2. 
Hacienda  de  Cura  (Höhe  226  Toisen).  Am  14.  Febr.  um 
2  U.  H.  55%  2.  Th.  27°,  5;  um  4  U.  H.  54%  0.  Tb.  28%  i ; 
um  5U.  5o'.  H.  54°,  2.  Th.  26%  5;  um  7U.  56°,  7.  Th.  25°; 
um  12U.  H.  59°,  5.  Am  i5.  Febr.  um  2  U.  5o'.  H.  54°,  a. 
Th.  25°;  um  11  U.  H.  5/°,  6.  Th.  25°,  7.  Am  16.  Febr. 
um  18  U.  H.  58°,  5.  Th.  20°,  o;  um  21  U.  H.  59°,  7.  Th. 
25°,  5;  um5U.  5o'  H.  55%  2.  Tb.  26°,  2;  um  9U.  H.  37°,  6. 
Th.  25°,  5:  lun  11  U.  H.  58°,  6.  Th.  22%  7.  Am  17.  Febr. 
um  19  U.  H.  59°,  6.  Th.  21°,  2 ;  um  1  U.  H.  55°,  2.  Th. 
26°,  5;  um  12  U.  H.  57°,  4.  Th.  220,6.  Am  19.  Febr.  um 
4U.  H.  54°  Tb.  25",  2;  um  12  U.  H.  58°,  7.  Tb.  220,5. 
Während  aller  dieser  Beobachtungen  war  der  Himmel  hell 
und  wolkenlos.  Die  mittlere  Feuchtigkeit  des  Hornungs 
schien  mir  in  den  Thälern  von  Aragua ,  bey  240,  5  mittlerer 
Temperatur,  55o  —  56°  Deine,  oder  70°  8  bis  -20  Saussure 
gewesen  zu  seyn.  Diese  Zahlen  bezeiclincn  eine  beträcht- 
liche Trockenheit,  wenn  man  an  den  gewöhnlichen  Stand 
des  Hygrometers  in  den  Tropcnländern  denkt.  (Siehe  oben, 
Th.  I.  Kap.  5.  S.  567.)  In  Paris  und  Genf  steigt  die  Feuch- 
tigkeit der  Monate,  welche  18°  mittlerer  Temperatur  errei- 
chen, über  82°  Sauss. 


Kapitel     XF.  77 

mum  erreicht^  und  keineswegs,  wie  die  europäischen 
Colonisten  ineynen,  j^des  Wechsels  der  Jahrszeiten  in 
Spanien,  deren  Wirkungen  sich  bis  in  die  heifse  Zone 
ausdelinen."^  Wur  die  aus  einer  Halbkugel  in  die  andere 
verpflanzten  Gewächse  bleiben  ,  in  ihren  organischen 
Verrichtungen,  in  der  Entwiclvlung  ihrer  Blätter  und 
Blumen,  mit  einem  entfernten  Klima  gleichsam  einver- 
standen, indem  sie,  ihren  Angewühnupgen  treu,  seine 
periodischen  Wechsel  fürdauernd  beybehalten.  In  der 
Provinz  Venezuela  fangen  die  Bäume,  welche  ilir  Laub 
verlieren,  einen  Monat  beynahe  vor  dem  Eintritt  der 
Regenzeit,  neues  zu  treiben,  an.  W  ahrscheinlich  ist  vim 
diese  Zeit  das  electrische  Gleichgewicht  der  Luft  bereits 
gebrochen,  und  die  Atmosphäre,  wenn  schon  noch  keine 
Wolken  sichtbar  sind,  wird  allmählig  feuchter.  Die 
Azurfarbe  des  Himmels  erblafst,  und  die  höheren  Ke- 
gionen beladen  sich  mit  leichten  und  gleiclifürmig  ver- 
breiteten Dünsten.  Man  kann,  diese  Jahrszeit  als  das  Er- 
wachen der  Natur  ansehen;  es  ist  ein  Frühlinff,  wel- 
eher,  nach  der  in  den  spanischen  Colonien  gewohnten 
Sprache  *),  den  Eintritt  des  Winters  verkündigt,  und 
auf  die  Sommerhitzeyb/y/. 

V  ormals  ward  Indigo  in  der  Ouebrada  seca  an- 
gebaut; weil  aber  ihr  mit  Pflanzen  überwachsener  Bo- 
den so  viele  Wärme  nicht  zurückstrahlt,  als  das  flache 
Land  oder  der  Thalgrund  von  Tuy  empfängt  und  wie- 
der ausstrahlt,  so  ward  jener  Culturzweig  mit  dem  des 
Kafi'ees   vertauscht.      So  wie    man  in    der  Bergschlucht 


*)  TVinter  nennt  man  denjenigen  Theil  des  Jahrs,  uorin  am 
meisten  Regen  fallt,  so  dafs  auf  der  Terra -Firma  die  mit 
dem  VVinlcr  -  Solstitium  anfangende  Jaiirszeit  der  Sommer 
,heifst,  und  man  täglich  sagen  hört,  es  sey  TVinter  auf  den 
Bergen,  zur  gleichen  Zeit,  wo  im  henachharlen  flaclien  Land 
Sommer  ist. 


78  Buch     F. 

vorrückt,  vermehrt  sich  die  Feuchtigkeit.  Nahe  Leym 
Hulo ,  am  nördlichen  Ende  der  Qiiebrada ,  fanden  wir 
einen  Bergstrom,  der  sicli  über  eingesenkte  Gneif^lager 
niederstürzt.  Man  arbeitete  an  einer  Wasserleitung,  die 
sein  Wasser  der  Ebene  xuführen  sollte.  Ohne  Wässerung 
mag  die  Landuirthschaft  in  diesem  Klima  keine  Fort- 
schritte machen.  Ein  Baum  '■'}  von  riesenhaftem  Wuchs 
zog  unsere  Aufmerksamkeit  an.  Er  stund  am  Abhang 
eines  Berges  über  dem  Hause  des  Huto.  Da  be\m  klein- 
sten Erdschlipf  sein  Fall  die  Zej'störung  des  von  ihm  be- 
schatteten Gebäudes  nach  sich  ziehen  mufstc,  so  ward 
er  nahe  am  Boden  angebrannt  und  auf  solche  \\  eise  ge- 
fällt, dafs  er  zwischen  gewaltige  Feigenbäume  zu  liegen 
kam,  die  sein  Herabrollen  in  die  Schlucht  henunten. 
Wir  niafsn  den  umgestürzten  Baum.  (JJiüleich  sein 
Obertheil  vom  Feuer  verzehrt  war,  betrus  die  Länye 
seines  htammes  doch  noch  i54FuIs  ■■" 0  j  sein  Durchmes- 
ser nahe  an  den  Wurzeln  war  8  Fuis^  und  am  oberen 
Ende  4  Fufs  2  Zoll. 

Unsere  Führer,  denen  die  Baumdicken  gleichgül- 
tiger als  uns  waren,  drangen  zum  Weitergehen  und  zum 
Aufsuchen  des  „Gold  -  Schachts^'.  Dieser  minder  be- 
suchte Theil  der  Schlucht  ist  ziemlich  merkwürdig-. 
Hinsichtlich  auf  die  geologische  Beschaftenheit  des  Bo- 
dens machten  wir  folgende  Bemerkungen.  Am  Eingang 
des  Quehrada  seca  sahen  wir  grofse  Massen  von  ziem- 
lich feinkürnigem  Urkalkstein,  derblaulicht  gefärbt  und 
mit  einer  Menge  Kalkspathadern  von  glänzendem  Weifs 
durchzogen  war.  Man  darf  diese  Kalksteinmassen  nicht 
mit  den  viel  jüngeren  INiederschlägen  von  Tutl"  oder 
kohlensaurem   Kalk   verwechseln,     welche   die   Ebenen 


*j  Hura  crcpitons. 

*'^  Französisches  Maafs,   ungefähr  5o  Meters. 


Kapitel     S.V.  ^g 

von  Tuy  ausfüllen:  sie  bilden  Lager  in  einem  Gliminex'- 
schiefer,  welcher  in  'J^alltscliiefer  *)  übergeht.  Oefters 
bedeckt  der  Urkalkstein  dies  letztere  Gestein  nur  in 
überoinslinimender  Scliichtung  (Stratificatioa  concordan- 
te)  *''''3.  Ganz  nahe  beyni  Halo  wird  der  Talkschiefer 
völlig  weifs,  und  enthalt  schwache  Schichten  von  zartem 
und  Jettigeni  Zeichenschicftr  (Ampelite  graphi«|ue).  Ei- 
nige Stücke,  die  kein«  Quarzadern  haben ^  sind  ein  äch- 
ter küriiigter  Graphit,  welchen  njan  für  die  Kunst  be- 
nutzen künnte.  Der  Anblick  des  Felsens  Ijat  etwas  ganz 
aufserordentliches  an  den  Stellen,  wo  dünne  Blättchen 
schwarzer  Kreide  mit  den  bogigen  und  athisarligen  Blät- 
tern eines  schneeweifsen  Kall-.schiefers  abwechseln.  Man 
möchte  sagen,  der  Kohlenstoff  und  das  Eisen,  welche 
anderswo  das  Urgestein  lärben,  haben  sich  hier  auf  un- 
tergeordnete Lager  coiicentrirt. 

Eine  vvestliclie  Krümmung  brachte  uns  endlich  in  die 
Goldschlucht  (^Qiiehrada  del  Oro~).  Man  hatte  Mühe, 
die  Spur  einer  Quarzader  am  Abhang  eines  Hügels 
aufzufinden.  Das  durch  Hegengüsse  eingestürzte  Land 
hatte  die  Oberfläche  des  Bodens  verändert,  und  machte 
jede  Beobachtung  unmöglich.  Schon  dehnten  sich  jetzt 
grofse  Bäume  auf  den  Standorten  aus,  wo  vor  zwanzig 
Jahren  die  Goldvväscher  gearbeitet  hatten.  Es  ist  wahr- 
scheinhch,  dafs  der  Glimmerschiefer  hier,  wie  in  der 
Gegend  von  Goldkronacli ,  in  Franken  und  im  Salz- 
burgischen, goldhaltige  Adern  enliiält.  Wie  könnte  man 
aJ)er  entscheiden,   ob  eine  bauwürdige  Lagerstätte  Cgile} 


*)  Aechtcr  Wernersclier  Talkscliiefer  ohne  Gr.malen  und  ohne 
Serpentinstein  .  nicht  der  JVeifsstein  oder  nuriie.  In  ilen 
Bergen  von  Buenavista  zeigt  der  Gneifs.  clicr  eine  INeigung 
zum  UeLergang  in  den  Weifsstein. 

**)  Piitlilung  St.  5.  5.     ISeigung  zu  yo'^  sudöstl. 


So  B  u  c  h     V. 

vorhanden  sey.    oder  ob   das  Erz  nur  nestervveise   und 
um  so  seltener^  als  es  reicher  isl^  vortioiiune?    Uin  Ai^n 
ernuulenden  Ausflug  nicht  ganz  vergeblich    getlmn  zu 
Laben ^  herborisirten  wii*  eine  geraume  Zeit  in  der  dich- 
ten Waldung,    die  sich  jenseits  des  Halo  ausdehnt,    und 
worin   die  Cedrelas,    die  Browneen  und  die  nyuiphsea- 
blättrigen  Feigenbäume  in  Menge  wachsen.    Die  Stämme 
dieser   letzteren  sind  mit   sehr  wohlriechenden   Vanille- 
Pflanzen  bedeckt,    welche  grofsentheils  erst  im  Monat 
April  blühen.    Es  fielen  uns  hier  abermals  jene  holzi^len 
Auswüchse  auf,   die,   in  Geslalt  von  Gräten  oder  Hippen, 
die  Stammdicke  der  aniericanischen  Feigenbäume  so  aus- 
serordentlich  und  bis  auf  20  Fufs  über  den  iJoden   aus- 
dehnen.    Ich  habe  Stämme  angetroffen,   die  nahe  an  den 
Wurzeln  22  und  einen  halben  Fufs  Durchschnitt  hatten^ 
Bisweilen   trennen   sich  diese  holzigten  Gräten  acht  Fufs 
toch  vom  Stamm,  und  verwandeln  sich  in  cylindrische, 
zwey  Fufs  dicke  W  urzeln.     Der  Baum  erscheint  alsdann 
wie  von  Strebepfeilern  getragen.     Diese  Stützen  dringen 
jedoch  nicht   sehr   tief  in   die  Erde  ein.     Die  Seitenwur- 
zeln schlängeln  sich  auf  der  Oberfläche  des  Bodens  ;   und 
wenn  man  sie,    bey  zwanzig  Fufs  vom  Stamm  entfernt, 
mit  der  Axt  durchhaut,    so  quillt  der  Milchsaft  des  Fei- 
genbaums hervor,    welcher,    sobald  er  der  lebendigen 
Thätigkeit  der  Organe  entzogen  ist,    sich  verändert  und 
gerinnt.      Wie  wunderbar  erscheint  uns  die  Zusammen- 
iügung  der  Zellen  und  Gefäfse  in  diesen  vegetabilischen 
Massen,   in  diesen  Hiesenbäumen  der  heifsen  Zone,    die 
seit  einem  Jahrtausend  vielleicht,  ununterbrochen,  näh- 
rende Flüssigkeiten  zubereiten,    dieselben  bey  löo  Fufs 
in  die  Höhe  treiben,    sie  alsdann  wieder  zur  Erde  herab 
führen  und,  unter  einer  rauhen  und  harten  Binde,  unter 
leblosen  Schichten  von  Hol/fasern,  alle  Bewegungen  dos 
organischen  Lebens  bergen ! 

Ich 


Kapitel     XF.  8l 

Ich  benutzte  die  Ijellen  Näclite^  um  in  der  Pflanzung 
von  Tuv  zwey  Austritte  des  ersten  und  des  dritten  Ju- 
piteitrabanten  zu  beobachten.  Diese  zwey  Beobachtun- 
gen galten,  nach  Delambre's  Tafehi ,  die  Länge  von 
4U.  39'  14"-  Dem  Chronometer  nach  f<ind  ich  4U.  89'  lo". 
Es  find  dies  die  letzten  Verdunklungen,  welche  ich  vor 
meiner  Kiickkehr  nach  dem  Orenoko  beohachtct  habe  j 
sie  wurden  gebraucht,  um  mit  einiger  Genauigkeit  das 
östliche  Ende  der  Thäler  von  Aragua  und  den  Ful's  der 
Ber:;o  von  Las  Cocuyzas  zu  bestimmen.  Vermittelst 
Meridian -Höhen  von  Canopus  fand  ich  die  Breite  der 
Hacienda  de  Manier ola,  am  9.  Febr.,  10°  16' 55";  am 
10.  Febr.,  10°  16'  34".  Der  ausnelimtnden  Trocken- 
heit der  Luft  unerachtet,  funkelten  die  8terne  bis  zu 
80°  Höhe;  eine  unter  diesem  Hirnmeisstrich  sehr  seltene 
Ersclieinung,  die  vielleicht  das  Ende  der  schönen  Jahrs- 
zeit verkündigte.  Die  Inclination  der  Magnetnadel  war 
41°,  60  (hundertgradiger  Abtheilung),  und  228  Schwin- 
gungen, mit  10'  Zeit  zusammentrellend,  drückten  die 
Jnlensität  der  magnetischen  Kräfte  aus.  Die  Declination 
der  Magnetnadel  war  4°  3o'  nordöstlich. 

Während  meines  Aufenthalts  in  den  Thalern  von 
Tuy  und  Aragua  zeigte  sich  das  Zodiacal-Licht  beynahe 
in  jeder  JNacht  überaus  heil  glänzend.  Ich  hatte  dasselbe 
unter  den  Wendekreisen  zum  erstenmal  in  Caracas,  am 
18.  Jenner,  nach  sieben  Uhr  Abends  wahrgenommen. 
Die  Spitze  der  Pyramide  fand  sich  zu  53°  der  Höhe. 
Der  helle  Schein  verschwand  gänzlich  um  g  U.  35' 
(wa'ire  Zeit),  beynahe  3  St.  5o'  nach  Sonnenuntergang, 
ohne  dals  die  Klarlieit  des  Himmelsgewölbes  sich  ver- 
mindert hätte  *>.     La  Caille  hatte,   auf  seiner  Reise  nach 

*)  Ami  5.  Febr.  trat  das  gänzliche  Verschwinden  schon  2S1.  5o' 
nach  Sonnenuntergang  ein.  Die  Höhe  derF/raniide  über  dem 
Horizont  war  5o°. 

Alex.   V.    Humboldts  hist.    Reisen     III.  (> 


82  ß  n  c  h      V. 

Rio  Janeiro  und  dem  Cap,  bereits  die  Schönheit  des 
Zodiacal- Lichts  zwischen  den  Wendekreisen  bemerkt, 
welche  weniger  der  minder  gesenkten  Lage,  als  der 
grofsen  Reinheit  der  Luft  zugerechnet  werden  mufs  *^. 
Man  dürfte  es  seihst  befremdlich  finden,  dafs  nicht 
schon  lange  vor  Childrey  und  Dominic  Cassini  See- 
fahrer, welche  die  Meere  beyder  Indien  besuchten,  die 
Gelehrten  Europas  auf  diesen  durch  bestimmte  Form 
und  Gang  ausgezeichneten  hellen  Schein  aufmerksam 
gemacht  haben,  wenn  man  nicht  wüfste,  wie  wenig 
überhaupt  dieselben,  bis  zur  Mitte  des  achtzehnten 
Jahrhunderts,  sich  um  Dinge  bekümmerten,  welche 
nicht  unmittelbar  auf  den  Lauf  des  Schiffes  und  die  Kunst 
des  Steuermanns  Bezug  hatten. 

Wie  glänzend  indessen  der  Zodiacal-Schein  in  dem 
trocknen  Thal  von  Tuy  auch  war,  so  habe  ich  ihn  doch 
noch  viel  schöner  auf  dem  Rücken  der  inexicanisclien 
Cordilleren,  an  den  Gestaden  des  Tezcuco- Sees,  1160 
Toisen  über  der  Meeresfläche  gesehen.  Deluc  s  Hy- 
grometer geht  auf  diesem  Plateau  bis  zu  i5°  zurück  **_), 
und  unter  21  Zoll  8  Linien  des  barometrischen  Druckes 
ist  die  Extinction  des  Lichtes  um  xöW  schwächer  als  in 
den  Ebenen.  Im  Jenner  1804  stieg  die  Helle  zuweilen 
mehr  denn  60*^  über  den  Horizont.  Die  IVlilchslrafse 
schien  vor  dem  nahen  Glänze  des  Zodiacal- Lichtes  zu 
erblassen  5  und  wenn  zerstreute  bläulichte  Wölkchen 
gegen  Westen  sich  gesammelt  hatten,  sah  es  aus,  als 
wolle  der  Mond  aufgehen. 

Ich  will  hier  einer  andern^    sehr  seltsamen  Erschei- 


*3  Der  überaus  lielle  Himmel  machte  im  Jahr  1668  in  den 
dürren  Ebenen  Persiens  auf  die  Erscheinung  aufmerksam. 

**)  Bis  auf  4aP,  8  Sauss.,  Ley  33°,  4  des  hundertgr.  Thermo« 
melers. 


H  a  p  i  t  e  l     XF.  83 

nung  gedenken,  die  melirmals  in  meinen ^  an  Ort  und 
Stelle  geführten  Tagebüchern  vei'zeichnet  steht.  Am 
iS-  Jenner  und  am  i5.  Hornung  1800  trat  eine  sehr 
merkliche  Veränderung  des  Zodiacal- Lichts  von  zwey 
7.U  zwey  Minuten  abwechselnd  ein.  Bald  war  es  un- 
gemein schwacli,  und  bald  übertraf  es  wieder  den  Glanz 
der  Milchstrafse  im  Schützen.  Der  Wechsel  hatte  in 
der  gan/.en  Pyramide,  füraus  aber  im  Innern,  von  den 
Rändern  entfernt  statt.  Während  dieser  Veränderungen 
des  Zodiacal  -  Scheins  deutete  der  Hygrometer  grofse 
Trockenheit  an.  Die  Sterne  vierter  und  fünfter  Grüfse 
stellten  sich  dem  unbewalfneten  Auge  in  unverändert 
gleicher  Stärke  des  Lichtes  dar.  Keine  Spur  von  Nebel 
war  vorhanden,  und  es  schien  durchaus  nichts  die  Rein- 
heit der  Atmosphäre  zu  sturen.  In  anderen  Jahren  sah 
ich  in  der  südlichen  Halbkusfvl  eine  Zunahme  des  Lichts 
eine  halbe  Stunde  vor  seinem  Verschwinden.  Dominie 
Cassini  anerkannte  *_)  „eine  Abnahme  des  Zodiacal-Lich- 
tes  in  gewissen  Jahren,  und  eine  Wiederkehr  seiner 
früheren  Helle. ^^  Er  hielt  dafür,  diese  alhnählig  ein- 
tretenden Wechsel  rühren  „von  den  nämlichen  Ausdün- 
stungen her,  welche  die  periodische  Erscheinung  der 
dunkeln  und  hellen  Sonnenflecl;en  begründen,^*  allein 
dieser  trefiliche  Beobachter  spricht  nicht  von  dem  Wech- 
sel der  Stärke  des  Zodiacal  Lichtes,  welchen  ich  mehr- 
mals in  den  Tropenliind^rn  innerhalb  weniger  Minuten 
wahrgenommen  habe.  Mairan  bezeugt**^,  in  Frank- 
reich sehe  man  gar  nicht  selten,  in  den  Monaten  Jenner 
vmd  Hornung,  den  Zodiacal  Schein  mit  einer  Gattung 
der  INordlichter,    die  er  unbestimmte  (indecises)  nennt, 


*)  Mem.  de  fAcad.    Tora.  VIII,  p.   164  u.   208. 
•*3    Traite  de   t Aurore  bor.    (ed.  2),   p.   112,   166-      Mem.  de 
lAcad..   1755,  p.  482.     Id,   1754.:  p.  572. 


84  B  u  c  h    r. 

vergosellschaftet,  deren  Nebelstoff  sich  entweder  rings 
um  den  Horizont  verbreitet^  oder  gegen  Westen  dar- 
stellt. Ich  glaube  nicht^  dafs  bey  den  Beobachtungen, 
deren  ich  so  eben  gedachte,  eine  Vermischung  beyder 
Liichtarten  statt  gefunden  habe.  Der  Wechsel  der  Stärke 
gieng  in  sehr  grofser  Hübe  vor  sich 5  das  Licht  war 
weifs  und  nicht  farbigt,  ruhig  und  nicht  flatternd.  Da- 
neben ist  die  Erscheinung  des  JNordlichts  in  den  Tro- 
penländern so  selten,  dafs  in  fünf  Jahren,  obgleich  ich 
im  Freyen  schlief  und  das  Himmelsgewölbe  mit  der  an- 
gestrengtesten Aufmerksamkeit  beobachtete,  ich  doch 
niemals  auch  nur  die  mindeste  Spur  davon  zu  sehen 
bekam. 

Wenn  ich  alles  zusammenfasse,  was  hinsichtlich 
der  Veränderungen  des  Zodiacal-Lichts  in  meinen  Tage- 
büchern verzeichnet  ist,  so  bin  ich  geneigt  zu  glauben, 
es  seyen  diese  Veränderungen  nicht  blofse  scheinbare 
Ergebnisse  gewisser  Modificationen,  die  unsere  Atmo- 
sphäre erleidet.  Bisweilen  habe  ich,  bey  nicht  minder 
hellen  JNächten,  das  Zodiacal-Licht  vergeblich  gesucht, 
wenn  es  am  vorhergehenden  Abend  in  seinem  grüfsteu 
Glanz  erschienen  war  '"').  Soll  man  annehmen,  dafs 
Ausflüsse  (emanations),  die  das  weifse  Licht  zurück- 
strahlen,   und  die  mit  den  Kojuetenschw  eilen  Aehnlich- 


*)  Mairan  lialte  das  namlitlie  umer  unsein  llimmelsstriclien 
wahrgcnoniinen.  ;-Ich  soll  nicht  unbemerl;l  lassen,  sagt  er, 
dafs  ich,  in  diesem  Monat  j4p;il ,  zwevnial  keine  Spur  des 
Zodiacal-Iachts  im  Westen  entdecken  konnte ,  zu  einer  Zeil, 
die  dazu  vorzugsweise  günstig  schien,  in  der  Tages-  und 
Jahreszeit,  worin  dies  Liclit  am  sichtbarsten  ist.  Dabey  ist 
noch  besonders  zu  beriierJ;cn,  dafs  dasselJie  an  jedem  un- 
mittelbar folgenden  Tage  wieder  sehr  glänzend  und  aus- 
gebreitet erschienen  ist.'-  jMein.  de  l  Acad.  ^  iJJJ,  p.  483, 
und  Mairan  Traice  de  CAurore  bor. ,  ed.   2  ,  p.   26j. 


Kapitel    XV.  85 

J<eit  7,u  lialien  sclieinen  ,  in  g-ewisscn  Zeiten  minder 
reichlich  vorkommen?  Die  Untersucliungcn  über  den 
Zodi.'cnl  -  Schein  werden  anziehender,  seit  die  Mefs- 
künsller  dargelhan  haben,  dals  wir  die  wahre  Ursache 
dieser  Erscheinung  nicht  kennen.  Der  berühnite  Ver- 
fasser der  IMecaniqne  Celeste  hat  gezeigt,  dals  die  Son- 
nen-Atmosphäre sich  nicht  einmal  bis  in  die  Bahn  des 
Mercurs  erstrecken  kann,  und  dafs  dioselbe  in  keinem 
Fall  die  Linsenform  darstellen  würde,  in  der  das  Zo- 
diacal- Licht  dem  Beobachter  erscheint  *).  Es  lassen 
sich  übrigens,  hinsichtlich  auf  die  Natur  dieses  Lichtes, 
die  nämlichen  Zweifel,  wie  über  diejenige  des  Kometen". 
Schweifs,  erheben.  Ist  es  wirklicli  ein  zurückgestrahltes, 
oder  ein  unmittelbares  Licht?  Hoffentlich  werden  rei- 
sende Naturforscher,  welche  künftig  die  Aequinoctial- 
Länder  besuchen^  sich  mit  solchen  Polarisations-Vor- 
richtunüren  versehen,  welche  die  wichtige  Fra^e  zu  lo- 
sen  geeignet  seyn  können. 

Wir  verliefsen,  am  ii.Hornung,  bey  Sonnenauf- 
gang, die  Pflanzung  von  Manterola.  Der  We^  führt 
längs  den  anmulhigen  Gestaden  des  Tuy;  der  Moi'gen 
war  kühl  und  feucht  5  die  Luft  war  mit  dem  herrlichen 
Geruch  des  Fancratium  undulatum  und  anderer  grofser 
Liliaceen  erfüllt.  XJm  nacli  Vittoria  zu  gelangen,  kommt 
man  durch  das  hübsche  Dorf  Mamon,  oder  Consejo, 
das  durch  ein  Wunderbild  der  Jungfrau  in  der  Provinz 
berühmt  ist.  Nahe  vor  dem  Dorf  machten  wir  in  einer, 
der  Familie  Monteras  zugehörigen  Meyerey  Halt.  Eine 
mehr  denn  hundertjährige  Negerin  safs  vor  einer  klei- 
nen, aus  Erde  und  Kohren  aufgeführten  Hütte.  Man 
kannte  ihr  Alter,  weil  sie  eine  Creolen-Sclavin  gewesen 
war.     Sie  schien  noch  sehr  gesund  zu  seyn.     ,,Ich  halte 


*)  Syst.  du  Monde  (ed.  4"°),    p.  270, 


S6  B  II  c  h     V. 

sie  nn  der  Sonno  ila  iengo  cd  sol},  sagte  ihr  Enkel,  die 
Wärme  erhält  ihr  Leben."  Das  Mittel  kam  uns  gewalt- 
sam vor,  denn  die  Sonne  warf  fast  senkrechte  Stralilen. 
Die  Völker? lüiunie  mit  schwarzbrauner  (basaneo)  Haut, 
die  wohl  acclimalisirlen  JNeger  und  die  Indianer  errei- 
chen unter  der  heifsen  Zone  ein  glückliches  Alter.  Ich 
habe  anderswo  die  Geschiclile  eines  Eingebornen  von 
Peru  erwähnt  '•■'),  der  im  i43sten  Lebensjahre  starb, 
nachdrm  er  c)0  Jahre  im  Ehestand  gelebt  hatte. 

Don  Francisco  Montera,  und  sein  Bruder,  ein  jun- 
ger sehr  aufgeklärter  Geistlicher,  hegleiteten  und  führ- 
ten uns  noch  ihrem  Haus  in  Vittoria.  Fast  alle  Fami- 
lien, mit  denen  wir  zu  Caracas  in  freundschaftlichen 
Verliältnisren  gelebt  hatten  ,  bewthnten  die  schönen 
Thalgründe  von  Aragua.  Als  Besitzer  der  reichsten 
Pflanzungeil,  bestrebten  sie  sich  in  die  Wette,  uns  un- 
sern  Aufenthalt  angenehm  zu  machen.  Ehe  wir  in  die 
Wälder  des  Orenoko  eindringen  ,  genosst-n  wir  noch- 
mals alle  Vorthe?le  einer  vorgeschrittenen  Sittigung. 

Der  Weg  von  Mamon  nach  Viltoria  geht  in  süd- 
licher und  südwestlicher  Bichtung.  Den  Tuy-Flufs 
verloren  wir  bald  aus  dem  Gesicht,  da  er  am  Fufs  der 
hohen  Gebirge  des  Guayraima,  sich  östlich  wendend, 
eine  Krümmung  bildet.  Wie  man  sich  Vittoria  nähert, 
wird  das  Land  flacher  und  gleicht  dem  Grund  eines  ab- 
gelaufenen Sees.  Man  könnte  sich  ins  Haslithal  des 
Cantons  Bern  versetzt  glauben.  Die  aus  Fialksinter  (tuf 
calcaire)  bestehenden  Hügel  der  INachbarschaft  sind  nur 
140  Toisen  hoch,  aber  senkrecht  abgestutzt,  reichen 
sie  gleich  Vorgebirgen  in  das  flache  Land  heraus.  Ihre 
Form  deutet  das  alte  Seegeslade  an.  Das  östliche  Ende 
des  Thals  ist  dürr  und  unbebaut.     Die  von  den  nahen 


*)  Hilario  Pari  de  Chiguata. 


Kapitel     XV.  87 

Bero^pn  bewässerten  Scliluchlen  sind  nocli  unbenutzt, 
claü:ofron  bat  zunäcbsl  um  die  Stadt  ber  eine  schöne  Lan- 
descultur  begonnen.  leb  sage  der  Stadt,  obgleich  zu 
meiner  Zeit  Vittoria  nur  noch  als  ein  Dorf  Cpueblo^  be- 
trachtet ward. 

Man  mag  sich  nicht  leiclit  unter  dem  Begriff  des 
Dorfes  einen  Ort  denken,  welcher  7000  Einwohner, 
schöne  Gebäude,  eine  mit  dorischen  Siiulen  verzierte 
Kirche*},  und  alles,  was  handelnder  Kunstfleifs  gewäh- 
ren kann,  besitzt.  Längst  schon  haben  die  Bewohner 
von  Vittoria  beyni  spanischen  Hof  um  die  Benennung 
Villa  und  um  die  Berechtigung,  einen  cahildo  oder 
Municipalrath  zu  ernennen,  angesucht.  Das  spanische 
MinisttM'ium  w  idersetzte  sich  ihrem  Begehren,  obgleich 
es,  zur  Zeit  der  Expedition  von  Iturriago  und  Solano 
nach  dem  Orenoko,  auf  das  dringende  Ansuchen  der 
Franciscaner- Mönche,  etlichen  Gruppen  indianischer 
Hütten  den  hochtönenden  Namen  ciudad  Ccite}  bewil- 
ligt hatte.  Die  Municipal- Regierung  sollte  ihrer  Na- 
tur nach  eine  wesentliche  Grundlage  der  Freyheit  und 
Gleichheit  der  Bürger  seyn,  in  den  spanischen  (volonien 
ist  sie  aber  zur  MunicipAl-Aristocratie  ausgeartet.  Die 
Innhaber  einer  unbeschränkten  Gewalt,  anstatt  den  Ein- 
flufs  mächtiger  Familien  klug  zu  benutzen,  fürchten  das, 
was  sie  den  Unabhängigkeitsgeist  der  kleinen  Gemein- 
heiten nennen.  Lieber  wollen  sie  den  Staatskorper  ge- 
lähmt und  kraftlos  lassen,  als  Wirkungskreise  begün- 
stigen, die  ihrem  Einflufs  entgehen,  und  ein  partielles 
Leben  unterhalten,  das  die  Gesammtmasse  beseelt,  weil 
es  vielmehr  vom  Volke  ,  als  von  der  höchsten  Gewalt 
ausgeht.  Zur  Zeit  Karls  V.  und  Philipps  II.  ward  die 
Municipal -Einrichtung  vom  Hofe  weislich  begünstigt. 


*)  Sie  war  nicht  vollendet,  man  baute  seit  fünf  Jahren  daran. 


88  B  u  c  h     V. 

Durch  angesehene  Männer,  die  hey  der  Besitznahme 
des  Landes  Hollen  gespielt  hatten,  Avurden  Städte  ge- 
gründet, und  die  ersten  cahildos  nach  spanischen  V^or- 
bildern  errichtet.  Dazumal  bestund  eine  Gleichheit  der 
Rechte  zwi.chen  den  Bewohnern  des  IVlutterlandes  und 
ihren  Abkömmlingen  in  America.  Die  8laatsklugheit 
war  damals  wohl  nicht  redhcher,  aber  minder  arg- 
wöhnisch als  heutzutage.  Das  neuerlich  eroberte  und 
verwüstete  Festland  ward  als  eine  entlegene  spanische 
Besitzung  betrachtet.  Der  Begri'i"  einer  Colonie,  in 
dem  Sinn,  welcher  gegenwärtig  damit  verbunden  wird, 
entwickelte  sich  erst  in  Folge  des  neueren  Systemes  der 
Handelspolitik 5  und  diese  erkannte  zwar  die  wahrhaf- 
ten (Quellen  des  INationalreichlhums ,  ward  aber  auch 
bald  engherzig,  argwöhnisch  und  ausschlief^lich.  Sio 
veranlafste  die  Zwietracht  zwischen  dem  Mutterland  und 
den  Colonien;  sie  stellte  zwischen  den  VVeifsen  eine  Un- 
gleichheit auf,  welche  der  ersten  Gesetzgebung  Indiens 
fremd  gewesen  war.  Die  Concentrirung  der  Gewalten 
schwächte  nach  und  nach  den  Einflufs  der  Municipa- 
litäten ,  und  die  nämliclien  cubddos ,  die  im  iGten  und 
l^ten  Jahrhundert  '••')  berechtigt  waren,  beym  Tod  eines 
Statthalters  das  Land  interimsweise  /.u  VQvweAien ,  wur- 
den vom  Hof  in  Madrit  für  gefährliche  Hindernis.--e  der 
königHchen  Gewalt  angesehen.  V^on  da  an  ward  es  auch 
den  reichr^ten  Dörfern,  des  Wachstliums  ihrer  Bevöl- 
kerung unorachtet,  sehr  schwer,  de  Benennung  von 
Städten  und  das  Recht  der  eignen  Verwaltung  zu  erhal- 
ten. Es  ergiebt  sich  hieraus,  dafs  die  Philosophie  an 
den  neueren  Veränderungen  der  Colonialpolilik  keinen 
Theil  hatte.  Um  sich  davon  vollends  zu  überzeugen, 
darf  man  sich  nur  mit  der   Gesetzgebung  Indiens  **^ 

*')  Cedulas  reales  von   i56o  und   iGyS. 
•*)  hey  es  de  Indias,   die  älteslen. 


Kapitel     W.  89 

näher  belvannt  machen,,  so  weit  solclie  die  nach  Amorica 
verptlaii/len  Spanier  und  ihre  ISachkomnien,  die  Hechte 
der  Genieiidieiten  und  die  Einrichtung  der  Mimicipa- 
litäten  belrillt. 

Die  Gegend  von  V  iltoria  gewährt  einen  merkwür- 
digen AnbHck,  hinsichthch  auf  die  Cultur.  Das  bebaute 
JLand  steht  270  bis  3oo  Toiien  iibtr  der  ■NJeeresfläche, 
und  doch  sieht  man  hier  Getreidefelder  zwischen  Pflan- 
zunijen  von  Zuckerrohr,  Kallee  und  Pisang.  Mit  Aus- 
nahme drr  inneren  Landschaft  der  hisel  Cuba  *)  trifft 
mau  fast  niriicnd  anderswo  in  den  Aequinoctial-Ge^^en- 
den  der  spanischen  Colonien  die  europäischen  Getreide- 
arten auf  so  yerinji^er  Höhe  im  Grofsen  gebaut  an.  In 
Mexico  steilen  die  schönen  Getreidefelder  zwischen  600 
und  i20oToisen  absoluter  Höhe,  nur  selten  steigen  sie 
auf  400  Toisen  herab.  Wir  werden  bald  sehen  ,  dafs 
der  Ertrag  der  Cerealien^  von  den  hohen  Breiten  gegen 
den  Aequator  hin^  in  Verbindung  der  mittleren  tlima- 
tischen  Temperatur  j  sich  bedeutend  vermehrt,  wie  die 
Vergielchung  verschiedentlich  hoher  Gegenden  darthut. 
Das  Gelingen  des  Feldbaus  hängt  von  der  Trockenheit 
der  Lult  ab  5  von  den  Hegen,  die  zwischen  verschie- 
dene Jahr?zeilen  getheilt,  oder  allein  nur  auf  die  Win- 
terszeit zusammengedrängt  sind  j  von  beständigen  Ost- 
winden, oder  solchen,  welche  die  kalten  Nordwinde  in 
niedere  Breiten  (wie  im  mexicanischen  Meerbusen)  her- 
abii.hren;  von  Nebeln,  durch  welche  Monate  lang  die 
Kraft  der  Sonnenstrahlen  gedämpft  wird;  von  einer 
Menge  andi^rer  örtlicher  Umstände  endlich,  welche  we- 
niger auf  die  mittlere  Jahrestemperatur,  als  aufdie  Ver- 
tlu  ilung  einer  gleichen  Wärmemasse  unter  die  verschie- 
denen  Jahrszeiten  Einflufs  haben.      Es   ist   eine  merk- 


*)  Der  Bezirk  der  Q^uatro  villas^ 


90 


Buch    r. 


würdige  Ersclioinung-,  die  europäischen  Cerealien  vom 
Aoquator  bis  nach  Lappland,  durch  69  Breitengrade, 
in  Ländern,  welche  +  22°  bis  in  solche,  die  —  2°  mitt- 
lerer Wärme  haben,  überall  angebaut  zu  sehen,  wo  die 
Temperatur  des  Sommers  über  9  l)is  io°  beträgt.  Man 
kennt  das  Minimum  der  zum  Keifen  des  Weizens,  der 
Gerste  oder  des  Hafers  erforderlichen  Wärme  :  ung-e- 
wisser  ist  man  hinsichtlich  des  Alaximums,  welches  diese 
sonst  so  biegsamen  Grasarten  ertragen  möü^en.  Wir  ken- 
nen  selbst  den  Inbegriff  der  Umstände  nicht,  welclie  dem 
Getreidebau  in  den  Tropenländern  auf  geringen  Höhen 
günstig  sind.  Vittoria  und  das  benachbarte  Dorf  San 
Matheo  ertragen  viertausend  Centner  Weizen.  Die  Aus- 
Saat  geschieht  im  Christmonat.  Nach  siebenzig  oder 
fünf  und  siebenzio;  Ta^en  erfol;>t  die  Ernte.     Die  Körner 

OD  C 

sind  grofs ,  weifs  und  reich  an  Kleber :  ihr  Häutchen  ist 
dünner  und  weniger  hart  als  dasjenige  des  W  eizens  der 
sehr  kalten  mexicanischen  Plateaus.  Ein  Morgen  Lan- 
des *)  erträgt  in  der  Gegend  von  Vittoria  gewöhnlich 
3ooo  bis  8200  Pfund  Weizen.  Der  Durchschnittsertrag 
ist  demnach  hier,  wie  in  Buenos-Ayres,  zwey  bis  drey- 
mal  so  grofs  als  in  den  nördlichen  Ländern.  Alan  erntet 
ungefähr  die  sechszehnfache  Saat,  während,  den  Ergeb- 
nissen von  Lavoisiers  Forschungen  zufolge,  der  Boden 
Frankreichs  im  Durchschnitt  nur  die  fünf-  bis  sechsfache 
Aussaat,  oder  eintausend  bis  zwölfhundert  Pfund  auf  den 
Morgen  erträgt.  Dieser  Fruchtbarkeit  dos  Landes  und 
dieses  günstigen  climatisclien  Einflusses  uncrachtet  ist 
die  Pflanzung  des  Zuckerrohrs  in  den  Thälern  von  Ar«- 
gua  einträglicher  als  diejenige  der  Cerealien. 


•)  Es  ist  die  Picde  von  dem  arpent  des  eaux  et  forets ,  oder 
arpent  legal  de  France^  deren  1,95  eine  Hectare  aus- 
in aolit. 


Kapitel     XF.  91 

Dei'  kleine  Rio  Calanchas  fliefst  tlurcli  Vilforxa; 
derselbe  mündet  sich  nicht  in  den  Tuy^  sondern  in  den 
Rio  Araüua  aus:  daher  fol^t,  dafs  diese  fcliüno  Land- 
schalt ,  welche  gleichzeitig  Zuckerrohr  und  Weizen 
reift^  bereits  dem  Biclien  des  Sees  von  Valencia  und 
einem  System  innerer  Flüsse  angehört,  die  mit  dem 
ISIeer  in  keiner  Verbindung  stehen.  Das  auf  der  West- 
seile des  Rio  Ca'anchas  gelegene  Stadtquaitier  führt  den 
Namen  la  otra  banda ,  imd  ist  der  vorzüglich  handel- 
treibende Theil.  Ueherall  sind  Waaren  ausgelegt,  und 
die  Strafsen  bestehen  aus  Keihen  von  Kram')uden.  Durch 
Vitloria  gehen  zwey  Handelsstrafsen,  diejenige  von  Va- 
lencia oder  von  Porto- Cabello  ,  und  die  Strafse  von 
Villa  de  cura  oder  der  Ebenen,  die  den  Namen  camino 
de  los  LjIciiios  führt.  Man  trifft  hier  verhältnifsmäfsig 
mehr  Weifse  s.x\  als  in  Caracas.  Bey  Sonnenuntergang 
erstiegen  wir  den  kleinen  Calvarienberff ,  der  eine  un- 
gemein  schöne  und  ausgedehnte  Fernsicht  hat.  West- 
wärts übersieht  man  die  anmuthigen  Thäler  von  Ara- 
gua ,  deren  weites  Erdreich  mit  Gärten,  angebauten 
Feldern,  wilden  ßaumijruppen,  Meyerhöfen  und  Wei- 
lern besetzt  ist.  Im  Süden  und  Südosten  sieht  man,  so 
weit  das  Auge  reicht,  die  hohen  Gebirge  von  la  Palma, 
Guayraima,  Tiara  und  Guiripa,  hinter  welchen  die  un- 
ermefslichen  Ebenen  des  Calabozo  liegen.  Diese  innere 
Kette  dehnt  sich  westwärts  aus,  dem  See  von  Valencia 
entlang,  gegen  Villa  de  Cura,  Cuesta  de  Yusma  und 
die  zackigten  Berge  von  Guigue.  Dieselbe  ist  steil  und 
allezeit  mit  dem  leichten  Dunste  bedeckt,  welcher  in 
heifsen  Climaten  Aen  entfernten  Gegenständen  eine  hell- 
blaue Färbung  ertheilt,  und  ihre  Umrisse  keineswegs 
verhüllt,  sondern  denselben  vielmehr  einen  kräftigeren 
Ausdruck  verleiht.  Unter  den  Bergen  der  inneren  Kette 
errei«hen,  wie  man  glaubt,  diejenigen  von  Guayraima 


92 


Buch     V. 


bey  zwülfljundertToisen  Hübe.  In  der  Nacht  des  1 1.  Hor- 
nung  fand  ich  die  Breite  von  V  ittoria  zu  10°  i3'  35"  j 
die  magnetische  Inclinalion  war  40°,  80,  die  Intensität 
der  entsprechenden  Kräfte  betrug  236  Schwingungen  in 
zehn  Minuten  Zeit  *J),  und  die  Abweichung  der  JNadel 
4°  40'  nordöstlich. 

Wir  wanderten  langsam  durch  die  Dürfer  San  Ma- 
theo,  Turmero  und  Maracay  nach  der  Hacienda  de 
Cura,  einer  schönen  Pflanzung-  des  Grafen  Tovar,  wo 
wir  erst  am  14.  Hornung  Abends  eintrafen.  Der  Thal- 
grund dehnt  sich  immer  weiter  aus:  er  ist  durch  Hü- 
gelreihen von  Kalk -Tuff,  welcher  hier  tierra  blanca 
helfstj  eingefafst.  Die  Gelehrten  des  Landes  haben  ver- 
schiedene V^ersuche  gemacht,  um  diese  Erde  zu  calci- 
niren:  sie  verwechselten  dieselbe  mit  der  Porcellanerde, 
^yelche  aus  verwitterten  Feldspalh- Schichten  entsteht. 
Wir  verweilten  einige  Stunden  bey  einer  eben  so  ach- 
tungswürdigen als  kenntnifsreichen  Familie,  den  üstariz, 
in  der  Coiicesion.  Das  Haus,  worin  sich  auch  eine 
gewählte  Büchersammlung  befindet,  stellt  auf  einer  An- 
höhe. Ein  Lustwäldchen  aus  Balsamsträuchern  C^al- 
samo')  **)  gewährt  der  Anlage  Schatten  und  Kühlung. 
3VTit  einer  lebhaften  Theilnahme  sahen  wir  die  zahlrei- 
ch«in,  im  Thal  zerstreuten  und  durch  Freygelassene  be- 


*)  Die  Intensität  der  magnetischen  Kraft,  wie  ich  sie  in  la 
Guavra,  auf  Vcnta  grande,  zwischen  la  Guavra  und  Ca- 
racas, und  in  Vitforia  Cvon  2J4  bis  auf  236o  Schwingungen) 
fand,  ist  die  stärkste,  welche  ich  auf  der  Terra  Perma  beob- 
achtet habe.  In  dieser  Zone ,  wo  die  Inclination  überhaupt 
zwischen  40°  und  45°  beträgt,  entspricht  der  mittlere  Stär- 
kegrad 226  bis  228  Schwingungen.  Es  beruht  dieser  Zu- 
Tvachs  ohne  Zweifel  auf  irgend  einer  örtlichen  Ursache  im 
naheliegenden  Gneifs,    Glimmerschiefer  und  Granit. 

**)  Amvris  elata. 


Kapitel     XK  '        93 

wolinten  Häuser.  Es  sind  die  Gesetze,  die  Institutionen 
und  die  Sitten  der  Freyheit  der  Keger  in  den  spaniscljan 
Colonien  günstiger,  als  in  denen  der  übrigen  europäi- 
schen iNationen. 

San  Matheo,  Turmero  und  Maracay  sind  reizende 
Dürfer,  worin  alles  den  grüßten  WoliKlaiid  verrälh. 
Man  glaubt  sich  im  gewerbfleifsiysten  Theil  von  Cata- 
lonlen  zu  befinden.  In  der  Nähe  von  San  IVIatheo  sahen 
wir  die  letzten  Weizenfelder,  und  die  letzten  IVIühieu 
mit  wagerechten  Wasserrädern.  Man  erwartete  eine 
zwanzi^fache  Ernte  nnd  als  wäre  dies  noch  ein  gar 
mäfsiger  Ertrag,  fragte  man  mich,  ob  in  Preufsen  und 
Polen  das  Getreide  mehr  ertrage?  Einem  in  den  Tropen- 
ländern allgemein  verbreiteten  Irrthum  zufolge  glaubt 
man,  es  seyen  die  Cerealien  Pflanzen,  welche,  so  v,ie 
sie  sich  dem  Aequator  nähern,  ausarten  und  in  den  nürd- 
lichen  Ländern  reichere  Ernten  liefern.  Seit  man  ge- 
lernt hat,  einerseits  den  Ertrag  der  Ernten  unter  den 
verschiedenen  Zonen,  und  anderseits  die 'f'emperaturen, 
unter  deren  Einflufs  die  Cerealien  sich  entwickeln,  zu 
berechnen,  überzeugte  man  sich,  dafs  über  den  45stea 
Breitegrad  hinaus  nirgends  der  Weizen  einen  so  reichen 
Ertrag  liefert,  als  auf  den  Kord.küsten  Africa's  und  auf 
den  Plateaus  von  Neu-Granada,  Peru  und  Mexico.  Üey 
Vergleichung  der  mittleren  Temperaturen,  nicht  des 
Gesammtjahres,  sondern  nur  allein  der  Jahrszeit  wel- 
che den  regelationscyclas  der  Cerealien  begreift,  ti-- 
geben  sich  *)  für  drey  Sommermonate  im  nördlichen 


*)  Die  mittlere  Temperatur  der  schottischen  Sommer  (in  der 
iSacliLarschaH  von  EJiniiurijli ,  56"  lir.j  lindet  sich  »vieJer 
auf  den  Plateaus  von  ISeu-üranada,  die  so  reiche  Gelreide- 
ernlen  Jiefern ,  hvy  1400  Toisen  llöJie  ,  unter  4"  ßreilc. 
Anderseits    trifft    man    die    miniere    Temperatm-    der    Thaier 


94  B  II  c  h     V. 

Europa,   i5°  tis  19°;    in  der  Barbarey  und  in  Egypten, 

27°  bis  29^5  in  den  Tropenländernj  zwi  eben  1400  und 
300  Toisen  Hübe,  14°  bis  25°,  5  des  huiideiltbeiligen 
Wärmemessers. 

Die  reicben  Ernten  in  Egypten  und  im  Königreich 
Algier,  diejenigen  der  Tbäler  von  Aragua  und  der  in- 
neren Landscbaft  der  Insel  Cuba  tbun  sallsam  dar,  dafs 
der  büliere  VVärme";rad  dem  Ertrasf  des  Weizens  und  an- 
derer  nährender  Grasarten  keineswegs  nacbtheilig  wird, 
wofern  nämlicb  dieser  büberen  Temperatur  kein  Ueber- 
mafs  von  Trockenheit  oder  Feucbligkeit  beygesellt  ist. 
Diesem  letzteren  Verbältnifs  müssen  ohne  anders  jene 
scheinbaren  Anomalien  zugerechnet  werden,  die  zuwei- 
len in  den  Tropenländern  hinsichtlich  auf  die  untere 
Grenze  der  Cerealien  bemerkt  werden  '•').     Alit  Erstau- 


von  Aragua  (Br.  10",  i30  und  aller  nur  ■»renig  erhöhelen 
Ebenen  ilcr  heifsen  Zone  in  der  Sonimertemperatiir  von 
IScapel  und  Sioilien  CBr.  59°  40)  nieder  an.  Diese  Zaliien 
hezeichnen  die  Lage  der  /j-oM^/e?«  -  Linien  Cglp'clier  Som- 
mer) und  nicht  jene  der  IsoÜierin-VÄmtn  (gleiclier  jahr- 
licher Wärme).  Dem  Verhallnifs  der  VYärmeniengc  zufolge, 
welche  ein  Punct  des  Erdballs  im  Zeitraum  eines  ganzen 
Jahres  empfängt,  entsprechen  die  mittleren  Temperaluren 
der  Thiilcr  von  Aragua  und  der  Plateaus  von  INeu  Granada, 
von  3oo  und  von  1400  Toisen  Erhöhung,  den  mittleren  Tem- 
peraturen der  Küsten  vom  25slen  und  45sten  ßrcilegrad. 
Uebcr  die  Grundlagen  dieser  P»echnungen  vergleiche  man 
vi\c\n^w  Essai  sur  la  distributiou  de  la  chaleur.,  in  ^f^wMcni. 
de  laSoc.  d'Arcueil^  Tom.  111,  p.  5i6,  579,  602;  und  diese 
Reisebesclircibung,  Th.   2,  S.   096. 

•)  Seit  meiner  Rückliunft  in  Europa  hat  Hr.  Caldas  eine  grofse 
Zahl  Beobachtungen  über  diese  Geiize  in  einer  Denkschrift 
gesammelt,  die  sich  zu  Santa  Fe  de  Bogota  unier  den  Pa- 
pieren unscrs  Lcrühmten  Freundes,  Don  Jose  Cclestino  iNlutis, 
finden  mul's.     Siehe  die  spanische  ücbersetzung  meiner  Pllan- 


Kapitel     Xy.  95 

nen  sieht  man,  ostwärts  von  Havanna;,  in  dem  sehr  he- 
kanulen  Landstrich  der  Qiiatro  viilas,  jene  Grenze  bis 
zur  Fläche  des  Oceans  herabsteigen  ^  während  west- 
wärts der  Havanna^,  am  Abhang  der  mexicanischen  Ber- 
ge;, in  der  Nähe  von  Xalapa^  auf  677  Toisen  Hühe^  der 
Pflanzenwuchs  noch  dorniafsen  üppig  istj  dafs  das  Ge- 
treide keine  Aehren  bildet,  hi  den  ersten  Zeiten  der 
Besitznahme  des  Landes  wurden  die  europäischen  Ce- 
realicn  mit  Erfolg  in  mehreren  Gegenden  angebaut,  von 
denen  man  heut/.utage  glaubt,  sie  seyen  zu  warm  oder 
zu  feucht  für  diesen  Zweig  der  Landwirthschaft.  Die 
eben  erst  nach  America  verpflanzten  Spanier  waren  der 
Maisnahrung  nicht  gewöhnt,  imd  den  europäischen  An- 
gewöhnungen noch  allzusehr  zugethan  ;  man  berech- 
nete nicht,  ob  der  Ertrag  des  Getreides  dem  des  Kaffees 
oder  der  Baumwolle  nachstehe,  man  versuchte  allerley 
Gesämej  man  befragte  die. INatur  mit  kühnerem  Sinn, 
weil  man  weniger  von  falschen  Meinungen  befangen 
war.  Die  Provinz  Carthagena,  durch  welche  sich  die 
Bei'gketten  von  Maria  und  Guamocö  hinziehen,  lieferte 
■  Getreideernten  bis  in's  sechszehnte  Jahrhundert  ^■■^.     \n 

der  Provinz   Caracas    i-t    dieser  Anbau    in    dem   Ber«-- 

c 

gelände  von  1  ocu}  o,  Quibor  und  Barquesimeto,  wel- 
ches die  Küstenkette  iv.'iX  der  Sierra  nevada  von  Me- 
rida  verbindet,  von  gar  langer  Zeit  her  üblich.  Er 
hat  sich  darin  sehr  glucklicli  erhalten,  und  die  Uiu- 
gegend  der  Stadt  Tocuyo  allein  nur  führt  jährlich  nahe 
an  8000  Centner  vortrefl'liches  Mehl  aus.  Obgleich 
indefs  die  Provinz  Caracas,    in  ihrem  weiten  Ujnfange^ 


zen-Geographie,  in  dem  Seminario  de  N.  Granada^  Tom.  II, 
p.   187. 

*)  T>jn  Ignazio  de  Pomho,    Informe   del  Real  Consulado   dt 
Cartagcna  de  Lidius ,    1810,    p.   75. 


96  Buch      K 

mehrere  der  Entwicklung  der  europäischen  Kornfrächte 
sehr  günstige  Gegenden  darLirtt't^  so  glaube  ich  doch 
nicht,  dal's  dieser  Zweig  der  Landwirthschalt  daselbst 
iiherhaupt  je  sehr  wichtig  werden  könne.  Die  müdesten 
TJiäler  sind  aihuschnjalj  es  sind  keine  achten  Plaleau'-\j 
und  ihre  iniltlere  liriiühung  über  die  Meerestläche  ist 
zu  unbclrächtUch  ,  als  dafs  die  Einvv  ohner  nicht  vor- 
th.ilhafter  finden  sollten,  vielmehr  Kaifcepfianzungen 
anzulegen,  ali  Getreide  zu  ]iau;n.  Gegenwärtig  wird 
das  Mehl,  dessen  Caracas  bedarf,  entweder  aus  Spanien 
oder  aus  den  vereinten  Staaten  eingeführt.  Wenn  einst 
dem  Gewerbüeifs  und  der  öffentlichen  Huhe  günstigere 
politische  Verhältnisse  werden  eingetreten  seyn,  und 
der  y^^^^  von  Santa  Fe  de  Bogota  nach  dem  Stapelplatz 
des  Pachaquiaro  gehahnt  ist,  so  werden  die  Einwohner 
von  Venezuela  alsdann  ihren  jNIehlhedarf  aus  i\eu-Gra- 
nada  auf  dem  Mio  iMeta  und  dem  Orenoko  erhalten. 

Vier  Meilen  von  San  iMalheo  steht  das  Dorf  Tur- 
inero.  Der  Weg  führt  ununterbrochen  durch  Pflan- 
zungen von  Zuckerrohr,  Indigo,  Baumwolle  und  Kaffee. 
Die  in  der  Anlage  der  Dörler  vorhandene  Regelmäfsig- 
keit  erinnert  daran,  dals  sie  alle  den  Mönchen  und  den 
Missionen  ihren  Ursprung  verdanl-.en.  Die  Strafsen  lau- 
fen der  Schnur  nach  parallel  mit  einander,  und  kreuzen 
sich  rechtwinklicht  5  auf  dem  in  der  Mitte  befindlichen, 
ein  Viereck  bildenden  grofsen  Platz  steht  die  Kirche. 
Diejenige  von  Turmero  ist  ein  kostbares,  abor  n)it  ar- 
chltectonischen  Zierathen  überladenes  Gebäude.  Seit 
die  Missionare  den  Pfarrern  Platz  machten,  haben  f^icli 
diii  Vv^ohnungen  der  weifsen  Einwohner  mit  denen  der 
Indianer  vernsisciit.  Die  letzteren  verschwinden  nach 
und  nach  als  ahsonderliciicr  Stamm,  das  will  sagen,  sie 
werden  in  der  Oesaintnlüber.ncht  der  Bevölkerung  durch 
die  Metis  und  die  Zambos  repräsenlirt,    deren  Anzahl 

sich 


Kapitel     Xf^.  t)7 

sicli  in  sletem  Wachsllium  befindt^t.  Inzwischen  haLe 
ich  doch  noch  4000  zinspflichtige  Indianer  in  den  Thä- 
lern  von  Arai^ua  angetiofl'en.  Die  von  Turmero  und 
Guacara  sind  die  zahh'eichsten.  Sie  sind  JJein^  aber 
wcnig^er  untersetzt  als  die  Chaymasj  ihr  Blick  verräth 
mehr  Lebhaftigkeit  und  Verstand,  was  vielleicht  we- 
niger von  einer  verschiedenen  Abstammung  als  von 
dem  höheren  Grad  der  Sitligung  herrührt.  Sie  arbei- 
ten ,  gleich  den  Freyon,  im  Taglohn:  während  der 
kurzen  Zeil,  die  sie  der  Arbeit  widmen ,  sind  sie  thätig 
und  fleifsigj  aber  was  sie  in  zwey  Monaten  gewinnen, 
verwenden  sie  in  einer  W  oche  auf  den  Ankauf  starker 
Getränke  in  den  kleinen  Wirthschafteu;,  deren  Zahl  be- 
dauerlicher Weise  von  Tag  zu  Tag  gröfser  wii'd. 

In  Turmero  sahen  wir  die  letzte  Abtheilung  einer 
Versanunlung  der  Landmiliz,  der  man  es  alsbald  ansah, 
dafs  diese  Thäler  seit  Jahrhunderten  in  ununterbroche- 
nem Frieden  gelebt  haben.  Der  General- Capitain,  in 
der  Absicht,  dem  Kriegsdienst  neuen  Antrieb  zu  geben, 
hatte  grofse  Musterungs-Uebungen  angeordnet  j  in  ei- 
nem Scheingefecht  hatte  das  Bataillon  von  Turmero  auf 
da>jenige  von  Vittoria  gefeuert.  Unser  Wirth ,  ein 
Lieutenant  in  der  Miliz,  unterhielt  uns  mit  einer  lan- 
gen Schilderung  dieser  gefahrvollen  Manövers.  ;;Er 
halte  sich  mitten  unter  Flinten  befunden,  die  jeden  Au- 
genblick zerspringen  konnten;  er  n)ufste  vier  stünden 
lang  an  der  bonne  stehen,  und  seine  Sclaven  durften 
niciit  einmal  einen  Sonnenschirm  über  ihn  ausbreiten!" 
A"\  ie  schnell  gewöhnen  sich  die,  dem  Anschein  nach,^ 
friedfertigsten  Völker  an's  Kriegerleben  !  Damals  lä- 
chelte  ich  über  eine,  n:»it  so  naiver  Offenheit  sich  aus- 
sprechende Furchtsamkeit,  und  zwölf  Jahre  später  sind 
eben  diese  Thäler  von  Aragua,  die  slillan  Ebenen  von 
Vittoria  und  Turmero,    der  Engpafs  der  Cabrera   und 

Alex.  V    Humboldts  Auf.   Reisen.  III.  "7 


9$  Buch     F. 

die  fruclitbaren  Gestade  des  Valencia -Sees  der  Schau- 
platz der  blutigsten  und  erbittertrsten  Gefechte  zwischen 
den  liingeborneu  und  den  Soldaten  des  Mutterlandes  ge- 
worden. 

Südwärts  von  Turmero  steht  eine  Masse  von  Kalk- 
gebirgen in  die  Ebene  hervor,  und  trennt  zwey  schöne 
Zuckerpflanzungen  ^  die  von  Giiayavita  und  diejenige 
von  Paja.  Die  letztere  ist  Eigenthum  der  Familie  des 
Grafen  Tovar,  welcher  in  allen  Theilen  der  Provinz 
Beisitzungen  hat.  Wabe  bey  Guavavita  hat  man  braunes 
Eisenerz  entdeckt.  INordwärts  von  Turmero,  in  der 
Küsten- Cordillere,  erhebt  sich  ein  Granilgipfel,  der 
Chnao ,  von  dessen  Höhe  herab  man  zugleich  das  MeeV 
lind  den  See  von  Valencia  erblickt.  Wenn  man  diese 
Felsengräte  übersteigt,  die  sich,  so  weit  das  Auge  reicht, 
nach  Westen  ausdehnt,  so  gelangt  man  auf  ziemlich 
schlimmen  Fufspfaden  nach  den  reichen  Cacao- Pflan- 
zungen, welche  das  Küstenland  in  Choroni,  Turiamo 
und  Ocumare  enthält,  und  die  wie  durch  die  Frucht- 
barkeit ihres  Bodens,  so  hinwieder  durch  ihr  ungesun- 
des Klima,  bekannt  sind.  Turmero,  Maracay,  Cura, 
Guacara,  jeder  Punct  des  Thals  von  Aragua,  hat  seinen 
Bergpidd,  der  nach  einem  der  kleinen  Küsten-Hafen  hin- 
führt. 

Beym  Austritt  vom  Dorfe  Tormero  entdeckt  man, 
in  der  Entfernung  einer  Meile,  einen  Gegenstand,  der 
sich  am  Horizont  wie  ein  abgerundeter  Hügel,  wie  ein 
nüt  Vegetation  bedeckter  tuiniilus  darstellt.  Es  ist  aber 
kein  Hügel  und  keine  Gruppe  nahe  beysammenstehen- 
der  Bäume,  sondern  ein  einziger  Baum,  der  berühmte 
'Lamang  del  Giiay-re ^  welcher  in  der  ganzen  Provin» 
durch  die  ungeheure  Ausdehnung  seiner  Zweige,  die 
einen  halbkugelförmigen  Gipfel  von  676  Fufs  Umfang 
bilden,   bekannt  ist.      Der  Zamang  i;<t  eine  schöne  Mir 


Kapitel     Xr. 


99 


mosen-Art,  deren  g-ewuiidL'ne  Zweite  sich  galiclförml'^ 
tlifilt-n.  Sein  zartes  und  dünnes  Blätlerwerl'.  stellt  sich 
auf  dem  Azur  des  Himmels  angenehm  dar.  Wir  ver- 
teilten lange  unter  diesem  PHanzen  -  Gewölbe.  Der 
Stamm  des  ZäCimang  del  Giiciyre  *),  welcher  eigentlich 
auf  der  Stiafse  von '1  urmero  nach  Maracay  steht,  hat 
mehr  nicht  als  6o  Fufs  Hühe  und  9  Fuls  Durchmesser, 
seine  eigi-ntliche  >clit)nheit  aher  hesteht  in  der  Gesammt- 
form  seines  Gipfels.  Die  Aeste  dehnen  sich  wie  ein  wei- 
ter Sonnenschirm  aus,  und  neigen  sich  überall  dem 
Boden  zu,  von  welchem  sie  gleichmälsig  bey  12  bis 
l5  Fufs  entfernt  bleiben.  Der  Umkreis  der  Zerästlung 
oder  des  Gipfels  ist  so  regelmafsig,  dafs  ich  bey  Auf- 
nahme mehrerer  Durchmesser ,  dieselben  zu  192  und 
186  F"xifs  gefunden  habe.  Die  eine  Seite  des  Baums 
war  völlig  entblättert,  in  Folge  der  Trockenheit  j  auf 
einer  andern  Seite  stunden  gleichzeitig  Blntter  und  Blu- 
men 5    Tillandsien,    Lorantlieen,    die  Pilabaya  -  Rakette 

und  andere  Schmarotzer- Pflanzen  bedecken  die  Zweio^e 

o 

und  zersj)alten  die  hinde.  Die  Bewohner  dieser  Thäler, 
vorzüglich  die  Indianer,  tragen  eine  grofse  Verehruno- 
für den  Zamang  del  Giiayre y  welchen  die  ersten  Er- 
oberer ungefähr  schon  in  eben  dem  Zustand,  worin  er 
sich  gegenwärtig  befindet,  angetroffen  zu  haben  schei- 
nen. Seit  er  genauer  beobachtet  wird,  hat  sich  weder 
Gröfse  noch  Gestaltung  des  Baumes  verändert.  Der 
Zamang  mufs  wenigstens   das  Alter  vom  Drachenbaum 


*)  Die  Mimosa  du  Guayre ;  denn  'Äamniig  ist  der  indianische 
INaine,  welcher  die  GaUungen  Mimosa,  Desmanllius  und 
Acacia  bezeiclinet.  Die  Gegend,  wo  der  IJaun»  waclist, 
heilst  El  Guayre.  Die  Mimosa  (ln^^^)  Saman  von  Jac(iuin 
Fragm.  bot.  p.  5.  Tab.  IX ,  die  in  den  schönen  Treihliau- 
scrn  von  Schönbrunn  gezogen  wird,  ist  eine  andere  Art, 
als  die  de?  Uicsenbaums  von  Turmero. 


100  ß  II  c  h     F. 

des  Orotava  haben.  Es  lieo^t  etwas  Imponirendes  und 
Majestätisches  in  dem  Anblick  hoclibelagter  Bäume  5 
auch  wird  die  Beschädigung  dieser  Denkmäler  der  Wa- 
tur  in  Ländern^  die  keine  Denkmäler  der  Kunst  haben, 
strenge  besti'aft.  Wir  hurten  mit  V^ergnügen,  es  habe 
der  gegenwärtige  Eigenthümer  des  Zamang  einen  Päch- 
ter^ welcher  sich  angemafst  halte,  einen  Ast  von  dem 
Baum  abzuschneiden,  vor  Gericlit  gezogen,  das  nach 
angehörter  Klage  und  Vertheidigung  den  Thäter  zur 
Strafe  verurtheilte.  Es  stehen  in  der  j>iähe  von  Tur- 
mero  und  der  Hacienda  de  Cura  andere  Zamangs,  deren 
Stamm  dicker  ist  als  derjenige  des  Guayre,  während  ihr 
halbkugelfürmiger  Gipfel  so  breit  und  ausgedehnt  nicht 
ist  wie  jener. 

Die  Landschaft  erscheint  angebauter  und  bevölker- 
ter, nach  Mafsgabe  wie  man  Cura  und  Guacara  am 
nördlichen  Seeufer  näher  kommt.  Im  Thale  von  Ara- 
gua  zählt  man  über  52,ooo  Einwohner  auf  einem  Lan- 
desgebiet, das  i3  Meilen  lang  und  2  Meilen  breit  ist. 
Es  giebt  dies  eine  relative  Bevölkerung  von  2000  Seelen 
aul  die  Geviertmeile,  was  ungefähr  mit  den  bestbevöl- 
kerten Gegenden  Frankreichs  zusammentriilt.  Das  Dorf 
oder  vielmehr  der  Flecken  Maracay  war  vormals  der 
Mlttelpunct  der  Jndigopflanzungen,  zur  Zeit,  wo  dieser 
Zweig  des  Colonial-Ge\verbHeifses  sich  im  höchsten  Flor 
befand.  Im  Jahr  i^qö  zählte  mau  daselbst,  auf  eine 
Bevölkerung"  von  6000  Einwoiinern,  70  Kaufhule,  die 
Kramljuden  hielten.  Die  Häuser  sind  alle  in  Mauer- 
werk aufgeführt 5  in  jedem  Hofraum  stehen  Cocusbäu- 
me ,  deren  Gipfel  über  die  Dächer  emporragt.  Die 
Ansicht  des  allgemeinen  Wohlstandes  ist  noch  auffal- 
lender in  Maracay  als  in  Turmero.  Der  Anil  oder  In- 
digo dieser  Gegenden  ward  jederzeit  im  Handel  dem 
von  Guatimala  gleichkommend,  oder  noch  vorzüglicher 


Kapitel     Xf^.  101 

geaclitel.  Seit  1772  ist  dieser  Anbau  dem  des  Cacao  ge- 
folgt^ er  war  Vorläufer  des  liauinwoll-  und  Kaffee- 
Anbaus.  Die  Vorliebe  der  Colonisten  wandte  sich  der 
Reihe  nach  jedem  dieser  vier  Erzeugnisse  zu  5  aber  der 
Cacao  und  dor  Kaffee  sind  allein  nur  wichtige  Vorwürfe 
des  Handelsverkehrs  niitüuiopa  ge])liel)cn.  Zur  gün- 
stigsten Zeit  glich  die  Indigolabrication  beynahe  der- 
jenigen von  Mexico  '0  5  in  Venezuela  stieg  sie  auf 
40,000  Arrobas  oder  eine  Million  Pfunde  an ,  deren 
^^  erth  über  1,260,000  Piaster  betrug  ^•••').  Ich  will  hier, 
nach  amtlichen,  bisher  nie  bekannt  gemachten ,  Anga- 
ben "•-•■•')  den  ^zunehmenden  Wachsthum  dieses  Zweiges 
der  Landwirthschaft  von  Aragua  mittheilen. 

Indigo -ausfuhr  durch   La  Giiayra. 

Durchschnitt-Ertrag  d.  Jahre  1774  bis  1778.  20,3ooPfd. 

1784 126,233  — 

J780 213,172  — 

1786. 271,005  — 

1787 432,570  — 

1788 5o5,956  — 

«789 718,393  — 

»792 660,229  — 

1794 898,353  — 

»796-         ♦        •        .        •        .  737,966  — 


*)  Guatfmala  liefert  dem  Handel  1,200,000  bis  i,5oo,ooo  Pfund 
Indigo. 

*•)  Das  Pfund  Indigo  zu  10  Realen  de  plata. 

***)  Expediente  relativo  ul  comercio  y  crecldo  contrabando 
de  la  Provincia  de  Caracas  ^  dirigido  al  Exe.  Seiinor 
Don  Pedro  Varela  ,  por  el  Conde  de  Casa  Valencia, 
i5  junio  1797.  —  In/ormes  de  Dun  Esteban  Fernandez 
de  Leon,  Intendente  de  Caracas,  del  j6  Sept.  1795. 
CHandschriftenO 


102  B  V   c   h      l\ 

In  di  Sfti'  Uebersicht  ist  der  Scliloichliandel  in  koi- 
nen  Anschlag  gelirachlj  welcher,  für  den  Indigo  wenig- 
stens, auf  ein  V  ier-  oder  Fünftlieil  der  jilluliciien  Aus- 
fuhr berechnet  werden  niufs.  Um  sich  von  dem  äufserst 
reiclien  Ertrag  der  Landuirthschaft  der  ?pani>chen  Co- 
lonien  einen  Begrift'  /u  machen,  mufs  man  daran  den- 
ken, dafs  d^>r  Indigo  von  Caracas,  dessen  W  erth  im 
Jahr  1794  auf  mehr  denn  6  Millionen  Franken  anstieg, 
das  Krzeuguifs  von  4  oder  5  Gevicrtmeil.  n  ist.  In  den 
Jahren  1789  bis  1796  begaben  sich  jähilich  vier-  bis 
fürftausend  freve  Menschen  in  die  Thäler  von  Aragua, 
um  bey  der  (Kultur  und  Fabrication  des  hidigo  Hülfe 
zu  leisten.  »8ie  arbeiteten  zwey  Monate  lang  im  Tag- 
lohn. 

Der  Indigo  erschöpft  mehr  als  keine  andere  Pflanze 
das  Land,  auf  dem  er  mehrere  Jahre  nach  einander  an- 
gebaut uird.  Man  sieht  den  Boden  von  Maracay,  von 
Tapatapa  und  von  Tumiero  als  erschöpft  an,  und  der 
Ertrag  der  Pflanze  hat  sieb  auch  stets  verringert.  Die 
Seel'.riege  fülirten  eine  Stockung  des  Handels  herbey, 
und  die  beträchtliche  Indigo- Einfuhr  aus  Asien  verrin- 
gerte die  Preise.  Die  oslindi<che  Gesellschaft  verkauft 
gegenwärtig  in  London  '■■')  über  5,5oo,ooo  Pfunde  In- 
digo, während  sie  im  Jahr  1786  aus  ihren  weitläuftigen 
Besitzungen  mehr  niclit  als  25o,otiO  Pfund  bezog.  Ver- 
hältnifmäfsig  mit  der  Abnahme  der  Indigo  Pflanzungen 
in  den  Thälern  von  Aragua  haben  diejenigen  in  der 
Provinz  Varinas  und  in  den  heifsen  Ebenen  von  Cucuta 
sich  vermehrt,  wo,  an  den  Gestaden  des  Hio  Tachira, 
das  neuaufgebrochene  Land  einen  reichhaltigen  Ertrag 
der  schönsten  F'ärbung  liefert. 


*)    Zum   Bevspiel,     im  Jahr    18 jo.      Siehe    Colquhoujij    App. 

p.     25. 


Kapitel     XV.  103 

Wir  trafen  selir  spät  in  Maracay  ein.  Die  Per- 
sonen, denen  wir  empfohlen  waren  ^  befanden  sich  ab- 
wesend; kaiun  hatten  die  Einwohner  unseie  Verlegen- 
heit wahrgenommen,  als  sie  uns  wetteifernd  ihre  Woh- 
nungen, die  zur  Aufstellung  unsrer  Werkzeug^e  erfor- 
derlichen Oertlichkeiten  und  die  üntorhringuitg'  un  rer 
Alaulthiere  anboten.  Es  ist  tausendmal  gesagt  worden, 
aber  der  Heisende  fühlt  sich  stets  neu  bewegt  es  zu  wie- 
derholen: die  spanischen  Colonien  sind  das  Land  der 
Gastfreundschaft ;  sie  sind  es  selbst  da  noch,  wo  Ge- 
werbfleifs  und  Handel  unter  den  Colonisten  VYohlstand 
und  einige  Cultur  verbreitet  haben.  Eine  Ganarias- 
Familie  nahm  uns  mit  der  liebenswürdigsten  Herzlich- 
keit auf:  man  rüstete  uns  eine  treffliclie  Mahlzeit,  und 
vermied  sorgfältig  alles,  was  unsere  Freyheil  stören 
konnte.  Der  Hausherr  *)  war  auf  einer  Handelsreise 
a])wesend  ;  sein  junges  Weib  genofs  seit  Kurzem  der 
Mutterfreuden.  Sie  drückte  das  lebhafteste  Vergnügen 
aus,  als  sie  vernahm,  dafs  wir  auf  der  Rückkehr  vom 
Kio  INegro,  an  den  Ufern  des  Orenoko,  durch  An- 
goslura  kommen  würden,  wo  sich  ihr  Mann  aufhielt. 
Durch  uns  sollte  er  die  Kunde  von  der  Geburt  seines 
ersten  Kindes  erhalten.  Wie  im  Altorthum,  werden  in 
diesen  Ländern  reisende  Gäste  als  die  sichersten  Mit- 
tlieilungswege  angesehen.  Es  giebt  zwar  Eilboten,  a!er 
diese  Eilboten  machen  so  weite  Umwege,  dafs  Privaten 
ihnen  nur  selten  Briefe  für  die  Litanos  oder  Savanen  des 
inneren  Landes  anvertrauen.  Im  Augenblick  der  Abreiße 
ward  uns  das  Kind  gebracht.  Wir  hatten  es  am  Abend 
schlafend  gesehen,  und  sollten  es  nun  des  Morgens  auch 
wachend  sehen.  Wir  verhiefsen  seine  Gesichtszüge  alle 
treulich  dem  Vater  zu  überbringen  j    allein  der  Anblick 


')  Don  Alexandro  Gonzales. 


104  Buch     V. 

unsrer  Büclier  und  Instrumente  erregte  bey  der  jungen 
Ffqu  Besorgnisse.  Sie  meinte^  ;, auf  einer  langen  Heise 
und  unter  so  viel  anderweitigen  Gesciiäften  könnten  wir 
gar  leicht  die  Farbe  der  Augen  ihres  Fiindes  vergessen/^ 
Uns  erfreute  die  milde  Sitte  gastfreundlicher  Gewöh- 
nungen ;,  und  der  unbefangene  Ausdruck  eines  dem 
ersten  Zeitalter  der  Siltigung  eigenthünilichen  Ver- 
trauens ! 

Auf  dem  Wege  von  Maracay  nach  der  Hacienda  de 
Cura  ölihet  sich  von  Zeit  zu  Zeit  die  Aussicht  auf  den 
See  von  Valencia.  Die  Granitkette  des  Hüstenlaiides 
sendet  südwärts  einen  Arm  in  das  flache  Land:  er  bildet 
das  V  orgebirg  von  Portachuelo,  wodurch  das  Thal  bey- 
Tiahe  ge  chlossen  würde,  insofern  nicht  ein  schmaler 
Engpafs  das  Vorgebirg  vom  Felsen  der  Cabrera  trennte. 
Es  hat  dieser  Ort  in  den  letzten  Hevolutionskriegen  von 
Caracas  eine  traurige  Berühmtheit  erhalten  :  alle  Par- 
theyen  haben  sich  um  den  Pafs,  der  den  Weg  nach  Va- 
lencia und  nach  den  Llanos  ülfnet,  lebhaft  gestritten. 
Cahrera  bildet  gegenwärtig  eine  Halbinsel ;  noch  sind 
I^eine  sechszig  Jahre  verflossen,  da  es  ein  Felsen-Eiland 
im  See  war,  dessen  Wasser  zusehends  abnimmt.  \\  ir 
verweilten  sieben  Tage  lang  sehr  angenehm  in  der  Ha- 
cienda de  Cura  in  einem  kleinen,  von  Lustgebüschen 
umgebenen  Gartenhaus,  indem  das  Wohnhaus  der  schö- 
nen Zuckerpflanzung  von  den  hubas ,  einer  unter  den 
Sclaven  dieser  Thäler  sehr  häufig  vorkommenden  Haut- 
krankheit,   angesteckt  war. 

Wir  führten  die  Lebensweise  der  wohlhabenden 
Landeseinwohner ,  indem  wir  innerhalb  24  Stunden 
zwey  Bäder  nahmen,  dreymal  uns  zur  Ruhe  legten, 
und  drey  Malilzeiten  geno-sen.  Die  Temperatur  des 
Seewassers  ist  ziemlich  lioch  und  steigt  auf  24  bis  25 
Grade  an 5    hingegen  giebt  es  ein  anderes,   sehr  kühles 


h  a  p  i  f  e  l     XV.  lo5 

xxnA  erquickendes  Bad^  im  Schatten  der  Coilia's  und 
grofser  ZädmaugSy  bev  Toma  in  einem  aus  den  Granit- 
Lerg^en  des  Kincon  del  DiaMo  herkommenden  Sliom- 
hetl.  ileym  Einsteigen  in  dieses  Bad  hat  man  keine 
Insectenstiche,  wohl  aber  die  kleinen  röthllchen  Haare 
zu  fürchten,  womit  die  Schotten  vom  Dolichos  prtiriens 
besetzt  sind,  und  die,  in  derLuit  zerstreut,  durch  Winde 
herbevgeführt  werden.  Wenn  diese  Haare,  denen  man 
sehr  passend  den  Namen  Picnpica  gegeben  hat,  sich 
auf  der  Haut  festsetzen,  so  erregen  sie  ein  äufserst  bren- 
nendes Jucken.  Man  fühlt  sich  gestochen,  ohne  zu 
wissen  wolier. 

In  der  Nähe  von  Cuba  fanden  wir  die  Einwohner 
alle  mit  UrJ)armachung  des  Bodens  beschäftigt,  welcher 
mit  Mimosen,  Sterculien,  und  der  Coccoloba  excoriata 
bewachsen  war,  um  den  Baumwollpflanzungen  mehr 
Ausdehnung  zu  geben.  Dieser  Cullurzweig,  welcher 
zum  Theil  den  des  Indigo  ersetzt,  hat  seit  einigen  Jah- 
ren ein  so  fröhliches  Gedeihen,  daf«  die  Baumwollstaude 
an  den  Ufern  des  Valencia-Sees  wild  wächst.  Wir  fan- 
den acht  bis  zehn  Fufs  hohe,  mit  Bignonien  und  andern 
holzigen  Rankengewächsen  durchschlungene  Sträucher. 
Noch  ist  indefs  die  Ausfuhr  der  Caracas-Baumwolle  un- 
bedeutend 5  sie  betrug  in  la  Guayra  im  Durchschnitt 
kaum  drey-  oder  viermal  hundert  Tausend  Pfunde  auf's 
Jahr  5  in  den  Gesammt  Hafen  der  Capitania  general  hin- 
gegen stieg  sie,  um  der  schönen  Pflan/.ungen  von  Ca- 
riaco,  Nueva  Barcelona  und  Maracaybo  willen,  über 
22,000  Centner  an  *).      Es  ist  dies  beynahe  der  halbe 


*;)  Im  Jahr  1794  betrug  die  Ausfuhr  sämmtlicher  Seehafen 
der  Capitania  general,  nach  Spanien,  ^04,075  Pfunde  Baum- 
wolle: nach  andern  spanischen  Colonien  in  America,  vor- 
züglich   nach   der   gewerhfleii'sigcn    Provinz,    von    Campcche, 


io6  B  u  c  h     F. 

Ertrag  der  ganzen  Inselgruppe  der  Antillen  ''"■).  Die 
BauuiwuUe  der  'l'häier  von  Aragua  ist  von  sehr  schöner 
Art  5  nur  die  brasilianische  tteht  über  ihr,  und  man 
zieht  sie  derjenigen  von  Carthagena,  von  der  Insel  St. 
Domingue  und  von  den  kleinen  Antillen  vor.  Die 
Baumvvollpflanzungen  dehnen  sich  einerseits  vom  See 
IVIaracay  nach  Valencia,  und  ajiderseits  von  Gua>ca 
nach  Guigue  aus.  Die  grofsen  Pflanzungen  ertragen 
60,000  bis  70,000  Pfund  jährlich.      Wenn  man   sich  er- 


wo  %-iele  Baumwollzeuge  verfertigt  werden,  9o,.',8j;  nach 
den  fremden  Colonien,  117,281:  insgesanimt  i,uii,8Jfi  Plun- 
de.  i^lnjorme  delSr.  Conde  de  Casa  Valencia^  Handschrift.) 
Im  nämlichen  Jahr  wurden  aus  la  Guavra  allein  nicht  mehr 
als  43i,658  Pfunde  ausgeführt,  wovon  i26,^,>6  Pfunde  der 
Provinz  Maraca^bo  angehörten.  Die  Ausfuhr  el>en  dieses 
Hafens  Cden  verbotenen  Handel  allezeit  ungerechnetj   betrug: 

im  Jahr  1789 170,427  Pfunde. 

1792  .         .         ,         .  253,5o2       — 

1796         .....         557,178      — 
1T97  ....  107,996      — 

Für  die  sechs  ersten  Monate  von  1809  sehe  man  das  Sg' 
minario  de  Santa- fe ^  Tom.  11,  p.  324.  Die  Preise  be- 
trugen, im  J.  1794,  von  54  bis  56  Piaster  der  Centner. 
*)  Hr.  Medford  berechnet  in  seinen  Untersuchungen  der  eng- 
lischen Manufacturcn,  dals  von  den  61, 38o,ooo  Pfunden  Baum- 
wolle ,  welche  diese  Manufacturcn  im  Jahr  i8o5  brauchten, 
5i  iMillionen  den  Vereinten  Staaten,  10  Millionen  Brasilien 
und  10  Millionen  den  Antillen  angehörten.  Dies  letztere 
Quantum  war  nicht  der  Ertrag  eines  einzigen  Jahrs  oder 
des  Bodens  der  Inseln.  Die  grofsen  und  kleinen  Antillen 
ertrugen  im  J.  1812  noch  mehr  nicht  als  5,2oo,ooo  Pfunde 
Baumwolle,  wovon  der  grölsere  Thell  der  Insel  Barbados, 
den  Bahamas-Eilanden,  Dominique  und  Granada  angehörte. 
Man  darf  das  Erzcugnifs  des  Bodens  der  Antillen  nicht  mit 
ihrer  Ausfuhr,  die  durch  den  Zwischenhandel  vermehrt  wird, 
verwechsejn.     iCo/<fuhoun,  p.  578.     i'ag^ •>  Tom.  I,  p.  5.) 


Kap   i  t  e  l     XK  107 

innerlj  dafs  in  den  Vereinten  Staaten ,  also  aiifserhalb 
der  Tropenländer,  in  einem  mancherley  Wechsel  un- 
terworffncn,  und  darum  öfters  der  (>ultur  unjiünstig<;a 
lilima  die  Ausfuhr  der  einlieimi^clien  Baumwolle  inner- 
halb 18  Jahren  C^on  1797  bis  181 5)  von  1,200,000  auf 
83  iMillionen  Pfund  angestiegen  ist,  so  mag  man  sich 
in  der  That  nicht  leicht  einen  Begrift'  von  der  gewal- 
tigen Ausdehnung  machen,  die  dieser  Handelszweig ''-'^ 
erl)alten  wird,  wenn  einst  dem  Gewerbfleifs  der  Nation 
in  den  vereinten  Provinzen  von  Venezuela,  in  INeu- 
Granada,  in  iMexico  und  an  den  Ufern  des  la  Plata  die 
Fesseln  abgenommen  seyn  werden.  Im  gegenwärtigen 
Zustajid  der  Dinge  sind  es,  nach  Brasilien,  die  Kihten 
der  holländischen  Guyana,  der  Golf  von  Cariaco,  die 
Thäler  von  Aragua  und  die  Provinzen  von  Maracaybo 
und  (^arthagena,  welche  im  südlichen  America  die  meiste 
Baumwolle  erzeugen.    ' 

Während  unsers  Aufenthalts  in  Cura  machten  wir 
zahlreiche  Ausflüge  nach  den  in  der  Mitte  des  Sees  von 
Valencia  sich  erhebenden  Eilanden,  nach  den  warmen 
Quellen  von  Mariara,  und  auf  den  hohen  Granitj^erg, 
welcher  El  Cucurucho  de  Coco  heifst.  Ein  schmaler 
und  gefährlicher  Fulspfad  führt  zum  Hafen  von  Tu- 
riamo  und  zu  den  bi  rühmten  Cacaopflanzungen  der 
Küste.  Auf  allen  diesen  Ausflügen  sahen  wir  uns  an- 
genehm überrascht,  nicht  durch  die  Fortschritte  der 
Landescultur  allein  nur,  sondern  durch  den  Wachs- 
thum  einer  freyen,    thätigen,    an  Arbeit  gewöhnten  Be- 


*)  Die  Baum\ToIlen-Manufacturen  von  Grofshritannien  für  sich 
allein  nur  liefern  an  aller  Arl  Baumwollgewebe  ( farbige 
Zeuge,  Strümpfe  u.  s.  w. )  für  den  Werlh  von  sg  Millio 
nen  Pfund  Sterling,  deren  Urstoff  auf  6  ^Tillioncn  Werth 
ansteigt. 


ioS  Buch     y, 

Vülkerung,  die  nicht  reich  genug  ist;  um  auf  Scla- 
venhülfe  zu  rechnen.  U eberall  hatten  l<leine  Pächter, 
TVeifse  und  Mulatten,  vereinzelte  Ansiedlungen  gebil- 
det. Unser  Uirth,  dessen  Vater  40^000  Piaster  Ein- 
kommen hat,  besafs  mehr  Land,  als  er  anbauen  konnte  j 
er  vertheilte  dasselbe  in  den  Thälern  von  Aragua,  an 
arme  Haushaltungen  ,  welche  Ba\imwolle  zu  pflanzen 
wünschten.  Er  suchte  in  der  Nachbarschaft  dieser 
grofsen  Pflanzungen  die  Ansiedlung  freyer  Menschen 
zu  befördern,  welche  frey willig,  und  abwechselnd  auf, 
eignem  Land  oder  auf  dem  der  benachbarten  Pflanzer, 
ihm  in  der  Erntezeit  Taglöhner  sicherten.  In  grofs- 
jfnüthiger  Beschäftigung  mit  den  Mafsnahmen  zu  all- 
mähliger  Austilgung  der  Sclaverey  der  Neger  in  diesen 
Gegenden,  überiiefs  sich  der  Graf  Tovar  der  doppelten 
Hoflfnung,  die  Sclaven  den  Landeigenthümern  minder 
nothwendig  zu  machen,  und  die  Freygelassenen  in  den 
Stand  zu  setzen,  Pächter  zu  werden.  Bey  seiner  Ab- 
reise nach  Europa  hatte  er  einen  Theil  seiner  Grund- 
slücke in  Cura,  die  westlich  am  Fufs  des  Felsens  von 
Ijcis  firiielas  gelegen  sind,  vertheilt  und  verpaclitet. 
Vier  Jahre  später,  bey  seiner  Rückkunft  nach  America, 
traf  er  an*eben  dieser  btelle  schöne  Bauinvvollpflanzun- 
gen,  und  einen  kleinen  VA  eiler  von  3o  bis  40  Häusern, 
der  Pnnta  Zamiiro  heifst,  und  den  wir  öfters  mit  ihm 
besucht  haben.  Die  Bewohner  dieses  Weilers  sind  fast 
alle  Mulatten,  Zambos  und  freye  Neger.  Es  ist  dies 
Beyspiel  der  Verpachtungen  glücklicherweise  von  meh- 
reren andern  grofsen  Eigenthümern  nachgeahmt  vvor-r 
den.  Der  Pachtzins  beträgt  lo  Piaster  auf  die  Vanega 
Landes.  Er  wird  in  Baarschaft  oder  in  Baumwolle  be- 
fahlt. Weil  die  kleinen  Päciitcr  öfters  in  Verlegenheit 
gerathen,  so  überlassen  sie  ihre  Baumwolle  in  sehr  mas- 
sigen Preisen.     Sie  verkaufen  solche  auch  wohl  vor  der 

I 


Kapitel    XK  109 

Ernte,  und  diese  von  reichen  Naclüjarn  gemacliten  Vor- 
schüsse bringen  den  üläuhi^er  in  eine  Abhängigkeit, 
die  ihn  zwingt^  seine  Dienste  als  Taglüliner  öfterer  an- 
zubieten. Der  Taglühncr  erhält  hier  geringeren  Lohn 
als  in  Frankreich.  Ein  Freyer,  der  im  Taglohn  (als 
peoiO  ai'beitet,  erhält  in  den  Tliälern  von  Aragua  und 
in  den  Llanos  vier  bis  iünf  Piaster  monatlich,  die  Wah- 
rung ungerechnet,  welche,  beym  Uebcrfluls^  von  Fleisch 
und  Gemüsen,  überaus  wohlfeil  ist.  Ich  mag  gern  bny 
diesen  einzelnen  Angaben  über  die  Landwirlhscliaft  der 
Colonien  verweilen  ,  weil  die  Einwohner  von  Europa 
den  Beweis  darin  finden  können  ,  dals  ,  worüber  bey 
den  aufgeklärten  Bewohnern  der  Coloniea  längst  kein 
Zvveifel  mehr  waltet,  das  Festland  des  spanisclien  Ame- 
rica, mittelst  freyer  Arbeiter,  Zucker,  Baumwolle  und 
Indigo  erzeugen  kann,  und  dafs  hinwieder  die  unglück- 
lichen Sclaven  gar  wohl  Bauern,  Päohter  und  Eigen)» 
thümer  werden  können. 


Sechszehntes    Kapitel. 


See  von  Tacarigua.  —  Wanne  Quellen  von  Maricua.  —  Die  Stadt 
Niteva  Valencia  de  el  Rey.  —  Herabsteigen  an  die  Küsten  von 
Porto-  Cabello. 


Die  Thäler  von  Aragua ,  deren  reichen  Anbau 
und  bewundernswerthe  Fruchtbarkeit  wir  eben  jetzt  ge- 
schildert haben,  bilden  ein  sclunales  Bicken  zwischen 
Granit-  und  Kalk-Bergen  von  ungleicher  Höhe.  INord- 
wärts  sondjert  sie  die  Sierra  Mariara  von  den  Küsten  des 
Oceansj  südwärts  schützt  die  Kette  des  Guacimo  und 
Yusma  sie  gegen  die  brennende  Luft  der  öteppen.     Hü- 


110 


Buch     F. 


gelgruppen,  welche  hoch  genug-  sind,  um  den  Lauf 
der  Ge\vä?ser  zu  hestimmen  ,  schliefsen  das  Becken  öst- 
lich lind  westlich  gleich  Querdänimen.  Diei^e  Hügel 
finden  sich  z\Aischen  dem  Tuy  und  Vittoria  '••\),  wie 
auf  dem  Weg  von  Valencia  nach  INirgua  und  nach  den 
Bergen  des  Torilo.  Vermöge  dieser  aufserordentlichen 
Gestaltung  des  Bodens  liilden  die  kleinen  Müsse  der 
Thäler  von  Aragua  ein  abgesondertes  System,  und  neh- 
men ihre  hichtung  gegen  ein  überall  geschlossenes  Be- 
cken hin;  sie  führen  ihre  Gewässer  nicht  dem  Ocean 
zu  ,  sondern  es  versammeln  sich  dieselben  in  einem 
Landsee,  Vfo  sie,  dem  mächtigen  Einflufs  der  Ausdün- 
stung preisgegeben,  sich,  so  zu  sagen,  in  der  j-\tmo- 
Sphäre  verlieren.  Auf  dem  Daseyn  dieser  Flüsse  und 
Seen  beruht  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens  und  der  Er- 
trag des  Anbaus  dieser  Thäler.  Die  Ansicht  der  Gegend 
und  die  Erfahrung  eines  halben  Jahrhunderts  haben  be- 
wiesen, dafs  die  Höhe  dieser  Gewässer  wechselnd,  und 
das  Gleichgewicht  zwischen  dt  m  Ertrag  der  Ausdün- 
stungen und  der  Zuflüsse  zerstört  ist.  V^  eil  der  See 
looo  Fufs  über  den  bteppen  in  der  INähe  von  Calabozo, 


*)  Man  könnte  die  hohen  Rerge  der  Los  Tequos,  aus  denen 
der  Tuy  entspringt,  für  den  ösl'ichen  Rand  der  Tlirler  von 
Aragua  ansehen.  Die  Fläche  des  Bodens  nimmt  wirklich 
fortgehend  an  Höhe  zu,  von  Viüoria  (269  Toisen)  i)is  zur 
Hacienda  de  Tuy  CagST.);  allein  der  Fmls  des  Tuy,  indem 
er  sich  südwärts  gegen  die  Sierras  de  Guairaima  und  de 
"Tiara  wendet,  hat  auf  der  Oslseite  einen  Ausweg  gefunden, 
und  es  ist  natürlicher,  als  Grenze  des  Beckens  von  Aragua 
eine  durch  die  (Quellen  der  sich  in  den  See  von  Valencia 
ergiefsenden  Gewässer.  Die  Charten  und  Prolilzeichnungen, 
welche  ich  von  dem  Weg  von  (Caracas  nach  INueva  Valencia 
und  von  Porto  Cahello  nach  Villa  de  Cura  nulgenommen 
hahe,  thun  den  Zusammenhang  dieser  geologischen  Veriiait 
nisse  dar. 


n  a  p  l  t  e  1     XVI.  II  t 

und  i332  Fufs  über  der  Meeresfläche  liegt,  so  ward  das 
Daseyn  unterirdischer  Verbindungen  und  Durchs'eihun- 
gon  vermuthet.  Die  Erscheinung  neuer  Eihinde  und 
der  fortgehende  Kücktritt  der  Gewässer  machten  glau- 
ben, der  See  könnte  wohl  gänzlich  austrocknen.  Ein 
Zusaininentreflfen  so  merkwürdiger  physischer  Verhält- 
nisse mufste  meine  Aufmerksamkeit  diesen  Thälern  zu- 
wenden, in  denen  die  wilden  Schönheiten  der  INalur 
durch  landwirthschaftliclien  Gewerbfleifs  und  die  Kün- 
ste einer  beginnenden  Civilisation  erhöhet  sind. 

Der  See  von  Valencia,  welchen  die  Indianer  Ta- 
earigiia  nennen*),  hat  einen  gröfseren  Umfang  als  der 
Neuenhurger  See  in  der  Schweiz  j  seii»e  allgemeine  Ge- 
slallung  erinnert  jedoch  mehr  an  den  Genfer  See,  des- 
sen Höhe  über  der  Meeresfläche  beynahe  die  gleiche  ist. 
Weil  in  den  Thälern  von  Aragua  der  Abhang  des  Bo- 
dens sich  gegen  Süden  und  gegen  Westen  senkt,  so  steht 
der  unter  Wasser  gebliebene  Theil  des  Beckens  der  Süd- 
kelte  der  Berge  von  Guigue,  von  Yusma  und  Guacimo, 
welche  sich  gegen  die  hohen  Savanen  von  Ocumare  hin- 
ziehen, am  nächsten.  Die  gegen  einander  überstehen- 
den Ufer  des  Valencia- Sees  stellen  einen  auffallenden 
CoDtrast  dar;  diejenigen  der  Südseite  sind  öde,  nackt 
und  fast  unbewohnt,  ein  Vorhang  hoher  Gebirge  gii-bt 
ihnen  ein  düsteres  und  einförmiges  Aussehen.  Das 
nördliche  Gestade  hingegen  ist  anmuthij^,  ländlich,  voll 
reicher  Zuckerrohr-,  Kaffee-  und  Baumwoll- l^ilanzun- 
gen.  Wege,  die  mitCestrum,  Azedar.-ics  und  andiin 
immerblüheiiden  Sträuchern  eingefafst  sind,  durchzie- 
hen die  Ebene  und  verbinden  die  zerstreuten  Pachthrfe. 
Jedes  Haus  ist  mit  ßaumgruppen  umgeben.     Der  Ceiba 


•j  Fr.-» V  Pedro  Simon  nennt  den  See,    veTinulJilJch  aus  Irrthum, 
Acarigua  und  Tarigua.     Ntitic.  hist.    p.   555  und  668 


112  B   II  c  h      F. 

mit  grolsen  gelben  Blumen  (^Carnes  tollendas ;  Boin- 
bax  kibiscijoliiis')  ertheilt  der  Landschaft,  indem  seine 
Zweige  von  denen  der  purpurlarbigLn  Eritliryna  durcli- 
flochten  werden,  einen  eigenthiimlichen  Cliaracter.  Die 
^JannigfalligUoit  und  der  Faibeiiglanz  der  Pflanzenwelt 
erscheint  abstechend  mit  der  gleichförmigen  Färbung 
eines  wolkenlosen  Himmels.  In  der  trockenen  Jahrsztil, 
wenn  der  erhitzte  Boden  von  einem  wallenden  Dunste 
bedeckt  ist,  werden  das  Grün  und  die  Fruchtbarkeit 
durch  künstliche  ^yässeruagen  unterhalten.  Hin  und 
wieder  stehen  Granitfelsen  aus  dem  angebauten  Boden 
bervor.  Gewaltige  Steinmassen  erheben  sich  plötzlich 
mitten  im  Thale.  Nackt  und  zerspalten,  nähren  sie  ei- 
nige Saftpflanzen,  welclie  künftigen  Jahrhunderten  Ge- 
wächserde bereiten.  Nicht  selten  haben  aul  dem  Gipfel 
dieser  vereinzelten  Hügel  ein  Feigenbaum  oder  eine  Clu- 
sia  mit  flcisclägon  Blättern  sich  zu  ischen  den  Felsen  ein- 
gewurzelt, und  beherrschcji  die  Landsclialt.  Ihren  lod- 
ten  und  dürren  Aesten  nacK  möchte  man  sie  für  Signale 
halten,  die  auf  einer  steilen  Felsenküste  errichtet  wur- 
den. Die  Gestalt  der  kleinen  Berge  verräth  das  Geheim- 
nifs  ihrer  alten  Herkunft:  denn,  zur  Zeit  wo  dies  ganze 
Thal  noch  unter  Wasser  stund  vxnd  die  Wellen  noch  ^e- 
^en  den  Fufs  der  Pics  von  Mariara,  gegen  die  Teufels- 
mauer (^El  Piincon  del  Diablo')  und  die  Bergkette  des 
Rüstenlandes  anschlugen,  waren  diese  Felsenhügel  Un- 
tiefen oder  kleine  Eilande. 

Diese  Zügü  eines  reichen  Landschaftgemäldes,  die- 
ser Abslich  zwischen  den  beidseitigen  Gestaden  des  Va- 
lencia-Sees, erinnerten  mich  oft  an  die  Seegeslade  des 
Waadllandes,  ,,wo  der  überall  bepflanzte  und  üherall 
fruchtbare  Boden  dem  Land'oauer,  dem  Hirtea  und  dem 
Winzer  die  gt^sicherle  Fruclt  ihrer  IMühen  darreicht"'^, 
während  da^  gegenüberstehende  Ufer  desChablais  nichts 

als 


Kapitel     Xn.  ll3 

als  ein  bcrjiif^tes  und  halb  verödetes  Land  ist.  In  jenen 
fernen  Hininielsstrichen^  mitten  unter  den  Erzeugnissen 
einer  fremden  Natur,  maclite  mir  die  Erinnerung  der 
küstlichen  Schilderungen  V^crgnüi^en,  zu  denen  der  An- 
bliclv  des  lemanischen  Sees  und  des  Felsen  von  Meillerie 
eiiii'n  grofsen  Schriftsteller  begeistert  hat.  Jetzt  ^  da 
ich  im  Milti-'lpunct  des  civilisirten  Kuropa  hinwieder 
selbst  die  Landschaften  der  Neuen  Welt  zu  schildern 
versuclie,  glaube  ich  dem  Leser  die  trouesten  Bilder 
und  die  richtigsten  Vorstellungen  darzureichen^,  wenn 
ich  unsere  Landschaften  mit  denen  dor  Aequinoctial- 
L'inder  vorgleiche.  Man  kann  es  nicht  satt?am  wieder- 
liolen,  div'  JNatur  erscheint  unter  j(  der  Zone^  in  der 
AviMen  oder  anü;ebautcn,  in  der  lachenden  oder  ma- 
jeslütischen  Landschaft,  n.it  eigenthümlichem  Charac- 
ter.  Die  Eindrücke,  welche  sie  zurücklälst,  sind  un- 
endlich mannijcfaltii": ,  wifi  die  K.ührunoeii ,  welche  die 
Werke  des  Geistes  erzeugen,  je  nach  dem  Zeitalter  ih- 
rer Entstehung  und  der  Verschiedenheit  der  Sprachen, 
von  denen  sie  einen  Theil  ihres  Hoizes  geborgt  haben. 
Richtig  niag  indefs  das  nur  verglichen  weiden  ,  was 
Grüfsen  und  Verhältnisse  der  äufseren  Form  betrifft 5 
es  lassen  sich  Vergleichungen  anstellen  zwischen  der 
hiesenkuppel  des  Mont-Blanc  und  den  Himalaja -Ge- 
birgen, zwischen  den  Cascaden  der  Pyrenäen  und  den- 
jeniiren  der  Cordilleren :  allein  diese,  in  wissenschaft- 
licher Hinsicht  nützliclien,  vergleichenden  Darstellun- 
gen mögen  uns  mit  den  characterischen  Unterscheidung 
gen  der  iSatur  der  gemäfsigtcn  und  der  heifsen  Zone 
nicht  bekannt  machen.  Am  Gestade  eines  Sees,  in  einer 
ausgedehnten  Waldung,  am  Fufs  jener  mit  ewigem  Eis 
bedeckten  Berggipfel,  ist  es  nicht  die  physische  Gröfse 
der  Gegenstände,  die  uns  mit  gelieimer  Bewunderung 
erfüllt.     Was  unser  Gemüth  anspricht,    und  darin  jene 

^iex.   V.   Humboldts  hist.    Reuen-    Jll  8 


114  B  u  c  h    y. 

mannigfachen  und  tiefen  Kührungen  hervorhringl,  das 
entzielit  sich  unsern  Mafs-Formen,  wie  denen  der  Spra- 
che. Ist  man  von  den  ISaturschönheiten  lebhaft  ergrif- 
fen, so  würde  man,  durch  Vergleichung  von  Gegenden 
ungleichen  Characters ,  seinen  Genufs  eu  scheuchen 
fürchten. 

Es  sind  aber  die  Gestade  des  Valencia- Sees  nicht 
durch  malerische  Scliönheiten  allein  nur  im  Lande  selbst 
berühmt  j  das  Becken  bietet  noch  mehrere  Erscheinun- 
gen dar,  deren  Erklärung  für  die  allgemeine  IVaturlehre 
und  für  den  Wohlstand  der  Bewohner  der  Umgegend 
gleich  wichtig  ist.  Woher  rührt  die  Abnahme  des  See- 
wassers? Erfolgt  diese  Abnahme  heutzutage  schneller, 
als  es  vor  Jahrhunderten  der  Fall  war?  Läfst  sich  vei'^ 
muthen ,  das  Gleichgewicht  zwischen  Zuflufs  und  Ver- 
lust dürfte  sich  bald  wieder  herstellen,  oder  hat  man 
ein  gänzliches  Verschwinden  des  Sees  zu  besorgen? 

Den  astronomischen  Beobachtungen  zutolgf  *3;  die 
in  Vitloria,  Hacienda  de  Cura,  Nueva  Valencia  und 
Guipue  sind  angestellt  worden,  beträgt  die  Länge  dos 
Sees  in  seinem  gegenwärtigen  Zustand,  von  Cagua  bis 
Guayros,  zehn  Meifen  oder  28,800  Toisen.  Seine  Breite 
ist  sehr  ungleich.  Den  Breitegraden  der  Ausmündung 
des  Rio  Cura  und  des  Dorfes  Guigue  nach  zu  urlheilen, 
reicht  sie  nii'gends  über  2,  3  Meilen  oder  65oo  Toisehj 
meistens  beträgt  sie  nur  4  bis  ö  Meilen.  Die  aus  den  von 
mir  angestellten  Beobachtungen  herfliefsenden  Ani^aben 
sind  belräclitlich  geringei-,  als  die  bis  dahin  von  denLan- 


*)  Man  hat  auf  die  Reiseentfernungen  von  Vittoria  nach  Ca- 
gua ,  so  wie  auf  diejenigen  von  Guacara  nacli  JMocundo 
und  I,os  Guayos,  RücksicIU  genommen.  Winkelmessungen 
wurden  auf  der  Insel  Cura,  auf  Cab©-iJlanco  und  zu  Mo- 
cundo  angestellt. 


Kapitel     Xn.  Ii5 

desciiigebornen  angenommen  wurden  *).  Man  könnte 
glauben,  um  sich  einen  ricliligen  Begriff  von  der  fort- 
schreitenden Abnahme  der  Gewässer  zu  machen,  wäre 
es  hinreichend,  die  gegenwärtige  Ausdehnung  des  Sees 
mit  derjenigen  zu  vergleichen,  welche  die  alten  Chro- 
nikschreiber ihm  geben,  zum  ßeyspiel  Uviedo,  in  sei- 
ner um  das  Jahr  1723  bekannt  gemachten  Geschichte 
der  Provinz  f  enezuela.  Dieser  Schriftsteller  ertlieilt 
in  teiner  aufgeblasenen  Schreibart  „diesem  Landsee,  die- 
sem monstruoso  €iierpo  de  la  laguna  de  Valencia''^ 
vierzehn  iVI eilen  Länge,  auf  sechs  Meilen  Breite  ;  er 
meldet,  dafs  in  kleiner  Entfernung  vom  Lfer  das  Senk- 
blei keinen  Grund  melir  finde,  und  dafs  grofse  schwim- 
mende Inseln  die  bestandig  durch  Winde  bewerte  Was- 
serfläche decken  **).  Ks  ist  unmüglich,  auf  Angaben 
Rücksicht  zu  nehmen,  die  auf  keinerley  i\i essungen  be- 
ruhen, und  in  Meilen,  Leguus,  ausgedrückt  sind,  wel- 
che in  den  Colonien  zu  3000,  zu  5ooü  und  zu  6656  Va- 
ras  berechnet  werden  ***^.     Was  hingegen  unsere  Auf- 


*3  Depons ,    Voyage  ä  la   Terre-Ferme. .,    p.   i38. 

**)   Oi>iedo  j    p.   125. 

***)  Weil  die  Seefalirer  zuerst  und  lange  Zeit'  allein  in  den 
spanischen  Colonien  einige  richtige  Begrifle  über  die  astro- 
nomische Lage  und  die  Distanzen  der  Orle  verbreitet  haben, 
so  ward  die  legua  nautica  von  665o  varas^  oder  2854Toiscn 
Cden  Grad  zu  20  Meilen)  ursprünglich  in  Mexico  und  im 
südlichen  America  eingefülirt ;  allein  diese  Itgua  nautica 
ward  nach  und  nach  um  die  Hälfte  oder  zwoy  Drilthcile 
verkürzt,  um  der  Langsamkeit  des  l.eisens  willen,  über  die 
steilen  Berge  sowohl  als  durch  die  beil'sen  und  dürren  Ebe- 
nen. Das  Volk  berechnet  unmittelbar  nur  die  Zeit,  und 
leitet  daraus,  nach  willkürlichen  Voraussetzungen,  die  Länge 
des  durchwanderten  Baumes  ab.  Ich  hatte  bey  meinen  geo- 
grapliiscben  Forschungen  öfteren  Anlals,  den  wahren  Betrag 
tierMeiyn  zu  prül'en,    durch  Vergleichung  der  Reiscdistanzen 


ii6  ß  «  c  h     V. 

merksanjkeit  in  dem  Werke  eines  Mannes  verdient,  wel- 
cher die  Thäler  von  Aragua  viellaltig  durchwandert  ha- 
ben inulsj  ist  die  Behauptung,  es  sey  die  Stadt  ISneva 
yaleuciu  de  el  Rey  y  im  Jahr  i  555,  in  der  Entfernung 
einer  halbe)i  Meile  vom  See  erbaut  worden  '•'),  und  da« 
Vei'hältnii's  der  Länge  dieses  Sees  zu  seiner  Breite  ver- 
halte sich  wie  7  zu  3.  Heutzutage  ist  die  Stadt  Valencia 
vom  Gestade  durch  ein  flaches  Land  getrennt,  das  über 
2700  Toisen  beträgt,  welches  Oviedo  ohne  Zweifel  für 
eine  Knlfcrnung  von  anderthalb  Meilen  gewerthet  hätte, 
und  die  Länge  des  Seebeckens  zu  seiner  Breite  steht  im 
Verhältniis  von  10  zu  1,0  oder  von  7  zu  1,6.  Der  An- 
blick des  Landes  zwischen  Valencia  und  Guigue,  dies 
auf  der  Ebene  plötzlich  aufsteigenden  Hügel  ostwärts 
von  Canno  deCambury,  von  denen  einlüde  (el  Islote  und 
die  Isla  de  la  Negra  oder  Caratapona)  sogar  noch  ^en. 
Namen  ßiltinde  behalten  haben,  bezeugen  hinlänglich, 
dafs  seit  Oviedo's  Zeiten  die  Gewässer  sich  beträcbthch 
zurückgezogen  haben.  Hinsiclitlich  der  Veränderung 
der  alli>emeinen  Gestallung  des  Sees  halte  ich  es  für  x\n- 
wahrscheinlich,  dafs  er  beynahe  zur  Hallte  so  breit  als 
lang  gewesen  seyn  sollte.  Die  Lage  der  Granitgebirge 
von  Mariara  und  Guigue,  und  die  Senkung  des  Bodens, 
der  schneller  gegen  Norden  und  Süden,  als  gegen  Osten 
und  Westen,  ansteigt,  widersprechen  gleichmäfsig  einer 
solchen  Voraussetzvmg. 

Wenn  der  «o  vielfältig  behandelte  Gegenstand  der  Ab- 
nahme der  (iewässer  in  Frage  kommt,  so  mufs  man,  glaube 
ich,  zwischen  den  verschiedenen  Epochen,  in -denen  die 
Senkungen  der  Wassertlächen  statt  fanden,    unterschei- 


niit    den  Breiteunterschieden,    unter  verschiedenen   anf  dem 
gleichen   Meridian  gelegenen  Piuiclen. 
*)   Oi-ifdu  y    p.   i.',o. 


Kapitel     XFI.  II7 

4en.  Uo])erall  findet  man  hey  Untersucliunf^  der  von 
Flüssen  ^durchströmten  Tliäler  oder  der  Seebccken,  das 
alte  Gestade  in  weiter  EntfernuDg.  Niemandem  kommt 
es  lieutzutage  zweifelhaft  vor,  dafs  unsere  Flüsse  und 
Seen  einst  sehr  beträchtliche  Verminderungen  müssen 
erlitten  haben  5  aber  eine  Menge  geologischer  That- 
sachen  bezeugen  uns  hinwieder  auch,  dafs  diese  gros- 
sen Abänderungen  in  der  Vcrtbeilung  der  Gewässer  al- 
ler historischen  Zeit  vorangiengen,  und  dafs  seit  meh- 
reren Jahrtausenden  die  meisten  Seen  ein  stetes  Eben- 
mafs  oder  Gleichgewicht  zwischen  ihren  Zuflüssen  und 
ihrem  Verlust  durch  Ausdünstung  oder  Durchseihung 
behalten  haben.  So  oft  dies  Gleichgewicht  gestört  er- 
scbeint,  so  ist  es  wohl  rathsamer  zu  untersuchen,  ob 
die  vorhandene  Störung  nicht  auf  blos  örtlichen  Ur- 
sachen beruht  und  sehr  neuen  Ursprungs  ist,  als  hin- 
gegen eine  fürdauernde  VVas?erabnahme  dabey  anzu- 
nehmen. Dies  Verfahren  ist  dem  umsichtigeren  Gang 
des  neueren  Zustands  der  Wissenschaften  anüremessen. 
Zu  einer  Zelt,  wo  die  IVaturlehre  der  Erde,  in  den  be- 
redsamen Schilderungen  einiger  geistvoller  Schriftstel- 
ler, aus  dem  Keiche  d'er  Phantasie  ihre  Reize  borgte, 
würde  man  in  der  Erscheinung,  wovon  hier  die  Kede 
ist,  einen  neuen  Beweis  des  Contrastes  gefunden  haben, 
den  man  zwischen  beyden  Festlanden  gern  aufstellen 
.mochte.  Um  daizuthun,  dafs  America  spiiter  als  Asien 
und  Europa  dem  Wasser  entstiegen  sey,  hätte  man  den 
See  von  Tacarigua  als  eines  der  Wasserbecken  des  in- 
neren Landes  angeführt,  die  ncch  nicht  Zeit  hatten, 
durch  die  W  irkung  einer  langsamen  und  allmähligen 
Ausdünstung  zu  vertrocknen.  Ich  zweifle  nicht,  dafs 
in  einer  sehr  alten  Zeit  das  ganze  Thal  vom  Fufs  der 
Gebirge  von  Cocuyza  bis  zu  denen  von  Torito  und  ISii»- 
gua,    von  der  Sierra  de  Mariara  bis  zur  Kergkette  von 


il8  B  u  c  h     P'. 

Guigue^  von  Guacimo  und  Palma,  unter  Walser  ge- 
standen ist.  Die  Gestalt  der  Vorgebirge  und  ihr  steiles 
An'leiuen  scheinen  das  Gestade  eines  Alpenfees,  \vie 
diejenigen  in  bteverniark  und  Tyrol  sind,  anzudeuten. 
Die  nämlichen  kleinen  Holiciten,  die  nämlichen  Valveen, 
welche  gegenwärtig  im  See  von  Valencia  leben,  finden 
sich  in  3  his  4  Fuis  dichten  Schichten  im  innern  Lande 
Bis  nach  Turmero  und  Concesion  nahe  bey  Vittoria. 
Diese  That-^achen  beweisen  unstreitig  einen  Rückzug 
des  Wassers  5  hingegen  erhollt  nirgends,  dafs  seit  dieser 
längst  vergangenen  Zeit  bis  auf  jetzt  der  RüclUritt  des 
Walsers  fürdauernd  gewesen  sey.  Die  Thäler  von  Ara- 
gua  bilden  eine  der  Ahlheilungen  von  Venezuela,  die 
am  frühesten  bevölkert  gewesen  sind,  und  doch  spre- 
chen weder  Oviedo  noch  irgend  einer  der  alten  Chro- 
nikschreiber von  einer  spürbaren  Abnahme  des  Sees. 
Soll  man  nun  annehmen,  es  sey  diese  Erscheinung  ihrer 
Aufmerksamkeit  entgangen,  in  eine«i  Zeilpunct,  wo 
die  indische  Bevölkerung  die  der  Weifsen  noch  weit 
überstieg,  und  wo  die  Seegestade  minder  bevölkert  wa- 
ren? Seit  einem  halben  Jahrhundert,  insbesondere  aber 
seit  dreyfsig  Jahren,  hat  die  natürliche  Austrocknung 
dieses  grofsen  Beckens  die  allgemeinste  Aufmerksamkeit 
erregt.  Man  findet  vormals  unter  Wasser  gestandene 
grofse  Ländereyen  ausgetrocknet  und  bereits  auch  mit 
Plsang,  Zuckerrolir  oder  Baumwolle  bepflanzt.  Allent- 
halben, wo  eine  Hütte  am  Seeufer  erbaut  wird,  kann 
man  von  Jahr  zu  Jahr  das  Wasser  von  iijr  zurückwei- 
chen sehen.  Man  nimmt  Eilande  wahr,  welche,  durch 
das  Zurücktreten  der  Gewässer,  kaum  erst  sich  dem 
Festlande  anzuschliefsen  beginnen,  (wie  die  Felseninsel 
Culebra,  auf  der  Seite  von  Guigue)  ;  andere  Inseln 
bilden  bereits  Vorgebirge  '•}  (wie  der  Morro,  zwischen 

*)    Isla   de   Cura   imd   Cabo-Blnnro.     Das  Vorge])irg   CaLrer« 


Kapitel     XVL  119 

Guigue  und  Nueva  Valencia, und  dieCabrera,  südostwärts 
von  Mariara);  noch  andere  erheben  sich  im  Innern  des 
Landes,  zerstreuten  kleinen  Hügeln  ähnlich.  Unter 
diesen,  aus  der  Ferne  so  leicht  kennharen,  stehen  die 
einen  eine  Viertelmeile,  die  andern  eine  halbe  Meile 
vom  jetzigen  Seeufer  entfernt.  Als  der  merkwürdigsten 
will  ich  hier  dreyer  Granit- Eilande  gedenken,  welche 
3o  bis  40  Toisen  hoch  am  Wege  von  der  Hacienda  de 
Cura  zu  den  Aguas  calienles  stehen,  und  am  westlichen 
Ende  des  Sees,  den  Serrito  de  Don  Pedro,  Islote  und 
Caratapona.  Beyni  Besuch  zweyer  Inseln,  welche  von 
Wasser  gänzlich  umgeben  sind,  haben  wir,  mitten  un- 
ter Gesträuche,  auf  kleinem  bey  vier,  sechs  und  auch 
acht  Toisen  über  der  jetzigen  Seefläche  erhabenem  Bo- 
den, feinen  mit  Heliclten  vermengten,  vormals  durch 
Wellen  abgesetzten  Sand  angetrolfen.  Man  erkennt  auf 
jeder  dieser  Inseln  die  unzweydeutigsten  Spuren  der 
zunehmenden  Senkung  der  Gewässer.  Noch  mehr,  und 
es  wird  dies  Ereignifs  von  den  Einwohnern  als  eine 
wundervolle  Begebenheit  angesehen:  im  Jahr  1796  ka- 
men ostwärts  von  der  Insel  Caiguire,  in  gleicher  Rich- 
tung mit  den  Inseln  Burro,  Otama  und  Zorro,  drey 
neue  Eilande  zum  Vorschein.  Diese  neuen  Inseln,  die 
das  Volk  los  nuevos  Pennones  oder  las  Apericidas  nennK, 
bilden  gewissermafsen  Untiefen  mit  völlig  ebener  Fläche. 
Sie  stunden  im  Jahr  1800  bereits  mehr  als  einen  Fufs 
über  dem  mittleren  Wasser. 

Wir  haben  zu  Anfang  dieses  Kapitels  bemerkt,  dafs 
der  See  von  Valencia,  gleich  den  Seen  des  Thaies  von 
Mexico  '•'),  den  Mittelpunct  eines  kleineu  Systemes  von 


ist  seit  den  Jahren  i^So  oder  17G0  durch  ein  Thal,   welche« 
Portachuelo  heifst,    mit  dem  Gestade  vereint. 
*)  >'or  der   durch  die  Spanier  in  der  fsähe  \on  Huehuetoqu« 


120  B   u   c  h      V. 

Flüssen  h'ildct,  deren  I<einer  mit  dem  Ocean  in  VoiLin- 
dung  steht.  Diese  Flüsse  verdienen  meist  nur  den  Ma- 
nien ßergstrünie  oder  Bäche*),  es  sind  ihrer  zuüll  bis 
vierzehn.  Die  Landeseinwohner^  mit  den  U  irkungen 
der  Ausdünstung  wenig  bekannt,  haben  sich  seit  langer 
Zeit  eing<,bihh4,  der  See  besitze  einen  unterirdischen 
Ausiianü,  wodurch  eine  seinem  Zufluls  ähnliche  Menffe 
Wasser  abfliefse.  Die  einen  bringen  diesen  Ausgang  in 
Verbindvxng  m-tGrottenj  die  sich  in  einer  grofsen  Tiefe 
vorfinden  sollen  5  andere  nehmen  an,  das  Wasser  werde 
durch  einen  absteigenden  Oanal  dem  Ocean  zugeführt 
Diese  gewagten  Vermvithungen  vorhandener  Verbindun- 
gen zwischen  zwey  benachbarten  Wasserbecken  haben 
sich  unter  allen  Himmelsstrichen  der  Phantasie  derMen- 
ge,  so  wie  derjenigen  der  iVaturforscher,  dargestellt^ 
denn  die  letztern  wiederholen  zuweilen,  ohne  es  ein- 
zugestehen, die  Volksmeiiiungen  in  wissenscliaftlicher 
Sprache.  Man  hört  von  Wasserschlünden  und  von  un- 
terirdischen Wasserausflüssen  in  der  Neuen  Welt  spre- 
chen, wie  an  den  Gestaden  des  caspischen  Meers,  ob- 
gleich der  See  von  Tacarigua  um  azzToisen  höher  und 
das  caspische  Meer  um  44  Toisen  niedriger  ist,  als  der 
Ocean,  und  obgleich  man  weifs,  dafs  die  Flüssigkeiten 
ihre  Flächenhühe  ausgleichen,  sobald  sie  durch  einen 
Seitengang  in  Verbindung  mit  einander  stehen. 

Die  Veränderungen  ,  welche  die  Zerstörung  der 
Wülder,  das  Urbarmachen  des  Bodens  in  den  Ebenen 
und  der  Anbau  des  Indigo  seit  einem  halben  Jahrhun- 


gegral)enpn    und   unter   dem    ISamcn   des    Desague   Real  he- 
Lannleu  Oeiinuug. 
*")    Ihre   ISamen    sind:    Rios    de    Ar.ngua,    Tunnero,    Maracay, 
Tapalapa,  Aguas  calienles,   IVIariara,  Cura,    Guacara ,    Gua- 
tflparo)  ValonrJa ,  Ganno  grandc  de  Cainbury,  etc. 


Ix  a  p   i  i  e  l     X.VI.  121 

dert  in  der  Masso  der  Zuflüsse  liorvoi'Lraclstt-n ,  gehen 
einerseits,  und  die  Ausdünstung-  des  Bodens  mit  der 
Trock.Milioit  der  Atmosphäre  lielern  anderseits  iiinläng- 
liche  Gründe  dar,  um  die  fortschreitende  Verminderung- 
des  Valencia- Sees  ku  erklären.  Ich  glauhe  keineswegs, 
wie  ein  K eisender,  welcljer  später  als  ich  diese  Gegen- 
den hesucht  hat'''),  dafs  „für  die  Befriedigung  des  (iei 
stes  uPid  7.ur  Ehre  der  Naturlehre^^  ein  unterirdischer 
Abflnfs  müsse  angenommen  werden.  Durch  Fällung  der 
Bäume,  welche  die  Berggipfel  und  BergaJjhänge  decken, 
bereiten  die  Menschen  unter  allen  Himmelsstrichen  den 
kommenden  Geschlechtern  gleichzeitig  eine  gedoppelte 
Plage,  Mangel  an  Brennstoff' und  Wassermangol.  Die 
Bäume  hüllen  sich,  vermöge  der  Einrichtung  ihrer  Aus- 
dünstung und  dem  Strahlen  ihrer  Blätter  gegen  einen 
wolkenlosen  Himmel,  in  eine  stets  kühle  und  nehligte 
Atmosphäre :  sie  Avirken  auf  den  Reichthum  der  Quel- 
len, nicht,  wie  man  lange  Zeit  geglaubt  hat,  durch  eine 
besondere  Anziehungskraft  auf  die  in  der  Luft  enthalte- 
nen Dünste,  sondern,  indem  sie  den  Boden  vor  der  un« 
mittelbaren  Sonnenwirkung  schützen,  mindern  sie  die 
Ausdünstung  des  Regenwassers.  Die  Zerstörung  der 
Wälder ,  wie  die  europäischen  Colonisten  dieselbe  in 
America  allenthalben  mit  unvorsichtiger  Eile  vorneh- 
men,   hat  die  gänzliche  Austrocknung  oder  wenigstens 


*)  Hr.  Depons  O'^o^ftge  n  la  Terre-Ferme ,  Tom.  I.  p.  Jjg) 
fügt  hinzu  :  -Die  kleine  Ausdeiinung  ^er  Wasserllnche  des 
Sees  (fie  betrögt  jedoch  io6/5oo,ooo  Gevierttoisenj  gestattet 
unmöglich  anzunehmen  ,  dafs  die  Ausdünstung  allein  nur, 
wie  beträchtlich  sie  auch  in  den  Tropenländern  seyn  mag, 
so  vieles  Wasser  verbrauclien  könne,  als  die  Flüsse  herbcv- 
führen."  In  der  Folge  scheint  der  Verfasser  jedoch  selbst 
..diese  verborgene  Ursache,  die  Hypothese  eines  Zuglochs", 
wieder  aufzugeben. 


132 


Bach     V. 


die  Abnahme  der  Quellen  zur  Folge.  Die  Betten  der 
Bäche,  welch«!  einen  Theil  des  Jahrs  trocken  bleiben, 
verwandtin  sich  in  Bergstrüme,  so  oft  Gufsregen  auf 
den  Hohen  fällt.  Und  weil  mit  dem  Gesträuche  auch 
der  Rasen  und  das  Moos  auf  den  Gräten  der  Berge  ver- 
schwinden, so  wird  der  Ablauf  des  Wassers  durch  nichts 
neiler  aufgehalten:  anstatt,  mittelst  eines  allmähligen 
Durchseihens,  die  Gewässer  der  Bäche  langsam  lür- 
dauernd  zu  unterhalten  ,  furchen  sie  bey  heftigen  He- 
gengüssen die  Hügelabhänge  aus,  schwemmen  das  los- 
gerissene Ei'dreich  fort,  und  bilden  jene  plützlichen  An- 
schwellungen, welche  das  Land  verheeren.  Es  ergiebt 
sich  hi»>raus,  dafs  die  Zerstörung  der  Wälder,  das  Ver- 
schwinden fürdauernd  fliefsender  Quellen,  und  das  Da- 
seyn  von  Bergströmen  drey  genau  mit  einander  ver- 
bundene Erscheinungen  sind.  Landschaften,  welche 
auf  entgegengesetzten  Halbkugeln  liegen,  die  von  der 
Alpenkette  begrenzte  Lombardey  und  das  zwischen  den 
stillen  Ocean  und  die  Anden  -  Cordillere  zusammenge- 
drängte untere  Peru  liefern  auffallende  Beweise  von  der 
Richtigkeit  dieser  Behauptung  '•). 

Bis  um  die  Mitte  des  abgeflossenen  Jahrhunderts 
stunden  die  Berge,  welche  die  Thäler  von  Aragua  ein- 
fassen, mit  Waldung  bedeckt.  Grofse,  den  Familien 
der  Mimosen,  Ceibas  und  der  Feigen  zugehörige  Bäume 
gaben  den  Seegestaden  Schatten  und  Kühlung.  Das  da- 
mals noch  wenig  bewohnte  flache  Land  war  mit  Sträu- 
chern bewachsen ,  zwischen  denen  zerstreute  Baum- 
stämme und  Schmarotzer -Pflanzen  sich  befanden,  der 
Boden  selbst  war  mit  ^ichtem  Rasen  überzogen,  welcher 


*)  Vergleiche  meinen  Essai  polltique  sur  la  Noiw.-Espagne, 
Vol.  I,  p.  208,  und  die  Eecherches  de  M.  de  Prony  sur 
les  CTues  du  Po. 


h  a  p  i  t  e  l     XVI.  12S 

zum  Strahlen  des  Wärmestofis  ungleich  weniger  fähig 
ist,  als  das  angebaute,  und  eben  deshalb  gegen  die  Son- 
nenhitze nicht  gescliül/.te  Land.  Mit  der  Zerstörung 
derBäunip,  und  mit  dem  vermehrten  Anbau  des  Zucher- 
rolirs,  des  Indigo  und  der  Baumwolle  haben  sich  die 
Quellen  und  alle  natürlichen  Zuflüsse  des  Valencia-Sees 
von  Jahr  zu  Jahr  vermindert.  Man  macht  sich  nicht 
leicht  einen  richtigen  Begriff' von  dem  ungemein  grofsen 
Ertrag  der  Ausdünstung,  die  in  der  heifsen  Zone  statt 
hndrt,  in  einem  von  steil  abschüssigen  Bergen  einge- 
falsten  Thal,  worin  die  Brise  und  absteigende  Strümvm- 
gen  gegen  Abend  eintreten,  und  dessen  gleichförmige 
Bodenfläche  wie  durchs  \\  asser  geebnet  ist.  Wir  ha- 
ben schon  andersv/o  bemerkt ,  dafs  die  Wärme,  welche 
das  ganze  Jahr  hindurch  in  Cura,  Guacara,  Nueva  Va- 
lencia und  an  den  Seegestaden  herrscht,  der  höchsten 
Sommerhitze  in  ISeapel  und  Sicilien  gleich  kommt.  Die 
mittlere  jährliche  Lufttemperatur  der  Thäler  von  Ara- 
gua  ist  ungefähr  *_)  26°,  5:  die  hygrojnetrirchen  Beob- 
achtungen geben  mir,  für  den  Monat  Hornung,  im 
Durchschnitt  von  Tag  und  Nacht,  71°,  4  des  Haar- 
hvgrometers  **•').  Weil  die  Worte  grofse  Trockenheit 
oder  grofse  Feuchtigkeit  keine  absolute  Bedeutung  ha- 
ben, und  eine  Luft,  welche  in  den  unteren  Gegenden 
der  Tropenländer  sehr  trocken  genannt  wird,  in  Eu- 
ropa für  eine  fc'vichte  Luft  gelten  würde,  so  läfst  sich 
über  diese  climatischen  Verhältnisse  nicht  anders  ur- 
theilen,    als  wenn  man   unter  gleichem  Hinunelsstrich 


*)  20",  4  Reaumur.  Aus  den  Beobschlungen  des  Monats  Hor- 
nung ergeben  sicli  19°,  5  R. ;  und  in  Cumana  steht  dieser 
Monat  o,  7   R.  unter  der  mittleren  Jahrestemperatur. 

**)   Diese    71*^,4   offenbarer  Feuchtigkeit  trafen  mit   der  mit! 
teron  Temperatur  von  34",  5  zusammen. 


124  B  II  c  h     V. 

befindllclie  Ortschaften  vergloiclit.  Nun  Ist  in  Cuniana, 
wo  zuweilen  ein  ganzes,  Jahr  lang  kein  Kegen  lallt,  und 
wo  ich  eine  grofse  Anzahl  hvgronietrischer,  in  ver- 
schiedener Zeit  Tag  und  Nacht  angestellter  ßeohach- 
tungen  sammeln  Konnte,  die  mittlere  Feuchtiükeit  der 
Luft  86°,  neben  der  mittleren  Temperatur  von  27°,  7. 
Trägt  man  der  Regenmonate  Rechnung,  das  will  sagen, 
Berechnet  man  den  Unterschied,  welcher  an  andern 
Orten  der  americanischen  Aequinoctial  -  Länder  zwi- 
schen der  mittleren  Feuchtigkeit  der  trockenen  Monate 
und  derjenigen  des  ganzen  Jahrs  beobachtet  wird  ,  so 
erhält  man  für  die  mittlere  jährliche  Feuchtigkeit  der 
Thäler  von  Aragua  höchstens  74°,  zu  der  Temperatur 
von  25°,  5.  In  dieser  so  warnjen,  und  doch  so  \t  enig 
feuchten  Luft  ist  der  Betrag  der  Wasserausdünslung 
ungemein  grofs.  Daltons  Theorie  berechnet,  unter 
den  gegebenen  Umständen,  die  Dichtigkeit  einer  inner- 
halb einer  Stunde  ausgedünsteten  Wasserschichte  auf 
o  •'^'"'■",36  oder  auf  3  """.S  innerhalb  24  Stunden  *). 
Nimmt  man  für  die  gemäfsigte  Zone,  zum  Beyspiel  für 
Paris,  die  mittlere  Temperatur  von  10°,  6  und  die  niitt- 
lere Feuchtigkeit  von  82°^  so  findet  sich,  den  nämlichen 
Formeln  zufolge,  o  "^'""',  10  auf  die  Stunde,  und  1  Linie 
auf  24  Stunden.  Will  man  der  Ungewifsheit  dieser  theo- 
retischen Rechnung  die  directen  Resultate  der  Beobach- 
tung vorziehen,  so  wird  man  sich  erinnern,  dafs  in 
Paris  und  in  IVIontmorency  die  mittlere  Jahrestempe- 
ratur von  Sedileau  und  Cotte  zu  32  ^,  1  ^'"  und  38  ^'y 
4  *""  ist  gefunden  worden.  Im  südlichen  F'rankreich 
haben  zwey  geschickte  Ingenieurs,  die  Herren  Clausade 
und  Pin,  berechnet,  dafs  nach  Abzug  der  \A  irkung  des 


*)   Vergl.   weiter   oben,    am   Ende   des   ersten   Buclis,    Th.    I. 
S.   öjo. 


H  a  p  i  t  e  l     XVI.  \ib 

Durchseihens  die  Gewässer  des  Canals  von  Languedoc 
und  des  Beckens  von  Saint-Ferreol,  jährlich  o  ^',  768  his 
o  '""  .  81  2,  oder  336  hls  36o  fjinion  einhiifson.  Hr.  v.  Prony 
hat  ungeüihr  ähnliche  Wirliungea  in  den  Pontinischen 
Sümpfen  angetroflen.  Alle  diese^  unter  den  Risten  und 
4c)slen  ßreitegraden  und  bey  10°,  5  und  16°  mittlerer 
Temperatur  angestellten  Versuche  zeigen  eine  mittlere 
tägliche  Ausdünstung  von  1  his  i;,  3  Linien.  Unter  der 
heilsen  Zone,  in  den  Antillen  zum  Üeyspiel ,  ist  die 
Wirkung  der  Ausdünstung  nach  Le  Gaux  dreymal  und 
nach  Cassan  doppelt  so  grofs.  In  Cuniana^  einer  Land- 
schaft, wo  die  Atmosphäre  doch  gar  viel  mehr  Feuch- 
tigkeit enthält,  als  in  den  Thälern  von  Aragua,  habe 
ich  öfters  innerhalb  12  Stunden,  an  der  Sonne  8  "'""'■  8, 
im  Schatten  3  "*■"'"■  /^  Wasser  ausdünsten  gesehen,  und 
ich  vermuthe,  der  Jahresertrag  der  Ausdünstung  dieser, 
in  der  Nachbarschaft  von  Cumana  befindlichen,  Flüsse 
betraiie  nicht  weniger  als  i3o  Zolle.  Die  V^ersuche  die- 
ser Art  sind  mit  eigenthiimlichen  Schwierigkeiten  ver- 
banden 5  aber  das  Vorgesagte  mag  hinreichen,  um  dar- 
zuthun,  wie  grofs  die  IVlenge  der  Dünste  sevn  niufs^ 
welche  dem  See  von  Valencia  und  dem  umliegenden, 
sein  Wasser  dem  See  zuliihrenden,  Land  entsteigen.  Ich 
werde  späterhin  Anlafs  haben,  auf  diesen  Geo^enstand 
zuri'ick  zu  kommen;  denn  in  einem  Werk,  das  die  gros- 
sen Gesetze  der  JNatiir  unter  den  verschiedenen  Him- 
melsstrichen darstellen  soll,  mufs  die  Lösung  der  Auf- 
gabe der  mittleren  Spannung  (tension  moyenne)  der  in 
der  Atmosphäre  enthaltenen  Dünste  unter  verschiede- 
nen Breiten  und  in  verschiedenen  Höhen  über  der  Was- 
serfläche des  Oceans  versucht  werden. 

Eine  grofse  Menge  örtlicher  Umstände  verändern 
das  Product  der  Ausdiinstung,  dahin  gehören  der  meh- 
rere oder  mindere  Schatten,  der  die  Wasserbecken  deckt. 


126  Buch      V. 

ihre  Bewegung  und  Ruhe,  ihre  Tiefe,  die  Natur  und 
Farhc  ihres  Bodens :  üherhaupt  aber  hängt  die  Aus- 
dünstung nur  von  drey  Elementen  ab,  von  der  Tem- 
peratur nämlich,  von  der  Spannung  der  in  der  Atmo- 
sphäre enthaltenen  Dünste,  und  von  dem  Widerstand, 
welchen  die  mehr  oder  minder  dichte,  mehr  oder  min- 
der bewegte  Luft  der  Verbreitifcng  der  Dünste  entgegen- 
setzt. Die  Wassermenge ,  welche  in  einem  gegebenen 
Ort  ausdünstet,  steht,  bey  übrigens  gleichen  Umstän- 
den, im  Verhältnlfs  zu  dem  Untei'schied  zwischen  der 
üunstmasse,  welche  die  vimgebende  Luft  in  ihrem  Sät- 
tigungszustand enthalten  kann,  und  zu  der  Masse  der 
wirklich  in  ihr  enthaltenen  Dünste,  Daraus  folgt,  dafs 
die  Ausdünstung  (wie  Hr.  d'Aubuisson,  welcher  über 
meine  hygrometrischen  Beobachtungen  Rechnungen  an- 
stellte, bereits  beobachtet  hat)  unter  der  heifsen  Zone 
so  grofs  nicht  ist,  als  man  der  sehr  mächtigen  Tem- 
peratur-Erhöhung zufolge  glauben  könnte,  weil  in  die- 
sen heifsen  Himmelsstrichen  die  Luft  gewöhnlich  auch 
sehr  feucht  ist. 

Seit  dem  Zuwachs  ,  den  der  landvvirthschaftliche 
Gewerbfleifs  in  den  Thälern  von  Aragua  erhalten  hat, 
können  die  kleinen  Flüsse,  welche  sich  in  den  See  von 
Valencia  ergiefsen,  während  der  sechs  auf  den  Christ- 
monat folgenden  Monate  nicht  mehr  als  Zuwachs  be- 
trachtet werden.  Sie  bleiben  im  Untertheil  ihres  Laufs 
trocl<en,  weil  die  Pflanzer  des  Indigo,  des  Zuckerrohrs 
und  desKalfees  häufige  Ableitungen  C^zequias^  machten, 
um  ihreLändereyen  durch  Hinnen  zu  bewässern.  JNoch 
mehr;  ein  ziemlich  beträchtlicher  Flufs,  der  Rio  Pao, 
welcher  am  Eingang  der  Lilanos  entspringt,  am  Fufs 
jener  Hügelreihe,  die/«  Ga/er«  heifst,  führte  vormals 
sein  Wasser  dem  See  zu,  indem  er  sich  auf  dem  ^^  eg 
von   der  Stadt  Nueva  Valencia  nach  Guigue  mit   dem 


Kapitel     WI.  127 

Canno  de  Cambury  vereinbarte.  Der  Lauf  dieses  Flus- 
ses war  damals  in  der  Kichtung  von  Süden  nach  Worden. 
Gegen  Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  kam  der  Ei- 
genlhümer  einer  benachbarten  Pflanzung  auf  den  Ge- 
danken, dem.Rio  Pao  am  Abhang  eines  Hügels  ein  neues 
Bett  zu  graben.  Er  lenkte  Aen  Flufs  ab  5  und  nachdem 
er  einen  Theil  seines  Gewässers  zur  Befruchtung  seiner 
Felder  verwandt  hatte,  liefs  er  das  übrige,  gleichsam 
zufällig,  südwärts,  in  der  Senkung  der  Llanos  abflies- 
sen.  In  dieser  neuen  südlichen  Richtung  ergiefst  sich 
der  Rio  Pao,  mit  drey  andern  Flüssen,  dem  Tinaco, 
dem  Guanai'ito  und  dem  Chilua  vereint,  in  die  Portu- 
guesa,  einen  Arm  des  Apurc.  Es  ist  eine  merkwürdige 
Erscheinung,  wie  durch  das  eigenthürnllche  Verhältnifs 
des  Bodens  und  die  Senkung  der  Theilungsgräte  ^esen 
Südwesten  der  Rio  Pao  sich  von  dem  Ivliinen  System 
der  inneren  Flüsse,  weichem  er  ursprünglich  ange- 
hörte, sondert,  und  seit  einem  Jahrhundert  durch  den 
Apure  und  denOienoko  mit  dem  Ocean  zusammenhängt. 
Was  hier  im  Kleinen  durch  Menschenhand  geschehen 
ist,  das  thut  die  iNatur  öfters  selbst,  entweder  durch 
fortschreitende  Anscliwemmungen,  oder  durch  Berg- 
stürze, die  von  heftigen  Erdbeben  bewirkt  werden.  Es 
ist  wahrscheinlich,  dafs  im  Lauf  der  Zeiten  einige  der 
Flüsse  von  Soudan  und  von  Neu-Holland,  welche  sich 
gegen  wältig  in  den  Sand  oder  in  die  inneren  Bassins 
verlieren,  einen  Weg  nach  den  Küsten  desOceans  finden 
werden.  Wenigstens  läfst  sich  nicht  bezweifehi,  dafs 
in  beyden  Festlanden  Systeme  innerer  Flüsse  vorkom- 
men, die  man  für  noc/i  nnvollsländie  entwickelt  -0  axi- 
sehen  kann,  und  die  untereinander,  theils  zur  Zeit  des 
hohen  Wasserstandes,  theils  durch  beständige  Gabel- 
theilungen in   Verbindung  stehen.  / 

O   Ca/7  Ritters  Erdkunde  ,  Th.  I.  S-   iiS. 


i:>8  Buch      F. 

Der  Rio  Pao  hat  sich  ein  so  tiefes  und  breites  Bett 
ausgehöhlt,  tlafs  in  Jor  Hegenzeit,  \Venn  der  Ctniiiu 
fS^rande  de  Canihiiry  die  gan/.e  Landschaft  norduestlich 
von  Guigue  unter  Wasser  setzt,  die  Gewässer  dieses 
C(inno  und  diejenigen  des  Sees  von  V^alencia  in  den 
Hio  Pao  seihst  zurücl;fliefsen  :  so  dafs  dieser  Flufs,  an- 
statt dem  See  Wasser  zu  bringen,  ihm  solches  eher  noch 
zu  entziehen  scheint.  Wir  sehen  etwas  ähnliches  im 
nördlichen  America,  da  wo  die  Geographen  auf  ihre 
(>])arten  eine  eingehihicti;  Bergkette  zwischen  die  gros- 
sen Seen  von  Caiiada  und  das  Land  der  IVIiamis  hin- 
zeichnen. Zur  Zeit  der  grof;en  Gewässer  stehen  die 
Einflüsse  der  Seen  mit  den  Einflüssen  des  Mis.^lssipi  in 
Verbindung,  und  man  Jsann  in  Booten  von  Ann  Ouelien 
des  St.  Maria- Flusses  in  denWahash,  so  wie  aus  dem 
Chicago  in  den  Illinois  gelangen  '••').  Diese  analogen 
Thatsachen  sclieinen  mir  die  vorzügliche  Aufmerksam- 
keit der  Hydrographen  zu  verdienen. 

Weil  der  Boden  um  den  Valencia- See  völlig  cheti 
und  flach  ist,  so  geschieht  hier,  was  ich  an  den  mexi- 
canischen  Seen  häufig  wahrzunehmen  Gelegenheit  hatte, 
dafs  eine  Senkung  der  Wasserfläche  um  etliche  Zolle  ein 
ausiredehntes  ,  mit  fruchtbarem  Schlamm  und  orn^ani- 
sehen  Trünunern  bedecktes  Erdreich  trocken  legt.  So 
wie  der  See  sich  zurückzieht,  rücken  die  Colonisten  ge- 
gen das  neue  Ufer  vor.  Diese,  der  Colonial-Landwirth- 
schaft  so  wichtigen  Austrocknungen  waren  füraus  in 
den  zehn  letzten  Jahren  sehr  beträchtlich,  während  wel- 
chen ganz  America  an  grofser  Trockenheit  lilt.  Statt 
der  Bezeichnung  der  gegenw^ärligen  Uferkrüm munden 
des  Sees  rieth  ich  den  reichen  Eigenthümern  dieser  Ge- 
genden, im  Seehecken  selbst  Granitsäulen  aufzustellen, 
um  von  Jahr  zu  Jahr  an  denselben  den  mittleren  VA  asser- 
stand 


*)   Drake y    Ficture  of  Cincinnati.,    l8i5,    p.  222. 


K  a  p   i  l  e  l     Xfl.  129 

stand  beobachten  zu  können.  Der  Marquis  del  Toro 
hat  die  Ausführung  dieses  Vorschlags  übernommen;  er 
bctlicnt  sich  dazu  dos  schönen  Granits  der  Sierra  de  Ma- 
riara ,  und  errichtet  die  Ljunnomelers  auf  den  im  See 
von  Vah>ncia  sehr  häufigen  Gneifs-Felsengrund. 

Es  ist  unmöglich  j  zum  Voraus  die  mehr  oder  we- 
niger engen  Grenzen  zu  bezeichnen^  aufweiche  dies 
Wasserbecken  «ich  einst  beschränken  wird,  wenn  zni- 
schi^n  diMii  Ertrag  der  Zuflüsse  und  demjenigen  der  Aus- 
dünsluniien  und  des  Einseihens  das  Gegengewicht  völlig 
hergestellt  seyn  wird.  Die  allgemein^  vei  breitete  V^or- 
stellung,  der  See  werde  gänzlich  versch\\  inden,  halte 
icli  für  chimärisch.  Wenn,  in  Folge  heftiger  Erdbeben 
oder  anderer  eben  so  geheiinnifs\  oller  Ur-achen,  zehn 
sehr  feuchte  Jahre  auf  lange  Trockenheit  folgen  wür- 
den 5  wen  '.  die  Berge  sich  mit  neuer  Waldang  bedecken 
und  hohe  Bäume  die  Gestade  und  die  Eoenen  von  Ara- 
gua  beschatten  würden,  so  könnte  wohl  elier  die  VVas- 
sermenge  von  Meuem  anwachsen,  und  den  schönen  Pflan- 
zungen, welche  gegenwärtig  das  Seebecken  beengen, 
gefährlich  werden. 

Während  die  Pflanzer  in  den  Thälern  von  Aragua 
einestheils  das  gän/liche  Verschwinden  des  Sees  und  an- 
dcrnlheils  seine  Rückl;ehr  zu  den  verlassenen  Gestaden 
fürchten,  wird  in  (Jaracas  die  Fra^e  ernstlich  aufge- 
worfen, oh  nicht,  um  dem  Landbau  mehr  Ausdehnung 
zu  verschaffen,  ratnsam  wäre,  das  Seegewässer  in  die 
Llaiios  zu  leiten,  und  dafür  einen  Abfülirungscanal  ^o^- 
gen  den  hio  Pao  /a;  graben.  Die  Möglichkeit  der  Aus- 
füJirung  dieses  Unternehmens '0  läfst  sich  nicht  läugnen. 


*J)  Die  Scheidungsgräte ^  wodurch  die  Gc.vässer  zwischen  die 
Thäler  von  Aragua  und  die  L.lanos  gelheilt  werden,  neigt 
sicli ,   wie  schon  ohen  ist  bemerkt  »vorden,    dermafscn  west- 

Alex.   V.    Humboldts  hist.    fieisgn.   III.  Q 


i3o  Buch     F. 

wenn  zumal  Stollen  oder  unterirdische  Canäle  dabey 
angewandt  werden.  Dem  allmähligen  Rücktritt  der 
Gewässer  verdankt  man  die  schönen  und  reichen  Län- 
dereyen  von  Maracay,  Cura,  Mocundo,  Guigue  und 
Santa  Cruz  del  Escoval,  die  mit  Tabak,  Zuckerrohr, 
Kaffee,  Indigo  und  KakaoLäumen  bepflanzt  sind,  wer 
möchte  aber  im  mindesten  zweifeln,  dafs  der  See  allein 
nur  die  Fruchtbarkeit  dieser  Gegenden  begründet?  Ohne 
die  ungemein  grofse  Menge  der  Dünste,  welche  seine 
Wasserfläche  alltäglich  der  Atmosphäre  übergiebt,  wä- 
ren die  Thäler  von  Aragua  dürre  und  trocken,  wie  die 
Berge,    von  denen  sie  umgeben  sind. 

Die  mittlere  Tiefe  des  Sees  beträgt  12  bis  i5  Klaf- 
ter. Die  tiefsten  Stellen  reichen  nicht,  wie  man  ge- 
wöhnlich annimmt,  bis  auf  80^  hingegen  aber  auf  35 
bis  40  Klafter.  Es  ist  dies  das  Ergebnifs  der  mit  dem 
Senkbley  durch  Don  Antonio  Manzano  aufs  sorgfältig- 


wärts  von  Guigue ,  dafs  es  Schluchlen  gicbt ,  welclie  die 
Gewässer  vom  Canno  de  Cainbur^ ,  vom  Rio  Valencia  und 
vom  Guataparo  ,  zur  Zeit  des  hohen  Wasserstandes ,  dem 
Rio  Pao  zululiren  5  es  >räre  aber  leiciiler,  einen  fahrbaren 
Canal  aus  dem  See  von  Valencia  zum  Orenoiso ,  durcJi  den 
Pao,  die  Portuguesa  und  den  vipure  zu  öflnen,  als  einen 
Austrocknungscanal  im  JSii'cau  des  Seegrundes  zu  graben. 
Dieser  steht,  dem  SenUbley  und  meinen  barometrischen 
Messungen  zufolge,  222  weniger  40,  oder  182  Toisen  über. 
der  V\ asser ilache  des  Oceans.  Aul  dem  Weg  von  Guigue 
jiatii  den  IJanos,  über  das  Plaleau  der  Villa  de  Cura,  fand 
ich  südwäi  Is  der  iScheiduiigsgrate  ^  imd  auf  ihrem  mittäg- 
lichen Abhang,  das  den  182  Toisen  enlsprechende  INiveau 
erst  in  der  fSahe  von  San  Juan.  Die  absolute  Höhe  dieses 
Dorfs  ist  194  Toisen.  ich  wiederhole  aber,  mehr  westwärts 
in  der  zwischen  (Janno  de  l^ambury  und  den  (luellen  des 
Rio  Pao  iniieliegenden  Landschaft,  die  ich  nicht  untersuchen 
konnte,  findet  sich  der  Punct  des  JNiveau  vom  Seegrund  gar 
viel  nördlicher. 


Kapitel     XFL  l3l 

ste  vorgenommenen  Messungen.  Wenn  man  die  grofse 
Tiefe  aller  Schweizerseen  bedenkt,  die,  ihrer  Lage  in 
liolien  BtM'gt'iälern  uneraclitet,  beynahe  die  Fläche  des 
!MiUelrneeres  erreichen,  so  befremdet  es,  keine  tieferen 
Hüiilungen  im  Grund  des  Valencia- Sees  anzutreffen, 
welcher  gleichfalls  ein  Alpensee  ist.  Die  tiefsten  Stellen 
befinden  sich  zwischen  der  Felseninsel  Burro  und  der 
Spitze  der  Canha  fi^tula,  so  wie  gegenüber  den  hohen 
Bergen  A'on  JVIariara:  im  Ganzen  aber  ist  der  südliche 
Thell  des  Sees  tiefer  als  der  nördliche.  Es  darf  nicht 
vergessen  werden,  dafs,  wenn  gegenwärtig  alle  Ufer 
flacli  sintl,  der  südliche  Theil  de>  Beckens  jedoch  einer 
sli'il  abge-tutzlen  Bergkette  näher  steht.  Bekanntlich 
al)er  erscheint  selbst  da?  Meer  da  überhaupt  tiefer,  v/o 
die  Küsten  hoch,  felsicht  und  steil  abgestutzt  sind. 

Die  Temperatur  des  Sees  auf  seiner  Oberfläche 
war,  während  meines  Aufenthalts  in  den  TJiälern  von 
Aragua  ,  im  iMonat  Hornuag,  beständig  zwischen  23° 
und  23°,  7.  Sie  stund  demnach  ein  wenig  -J)  unter  der 
mittleren  Lufttemperatur,  sey  es  als  Ergehnifs  der  Aus- 
dünstung '■•'••'),  die  dem  V\  asser  und  der  Luft  Wärme- 
sloff  entzieht,  sey  es  weil  eine  grofse  Wassermasse 
dem  Wärmewechsel  der  Atmosphäre  nicht  mit  gleicher 
Schnelligkeit  folgt,  und  weil  sich  Bäche  in  den  See  er- 
giefsen,  die  aus  mehreren  kalten  Quellen  auf  den  be- 
nachbarten Bergen  herkommen.  Der  geringen  Tiefe 
unerachtet   bedaure  ich  jedoch,    dafs  mir  die  Tempe- 


»)   Von  o";6  bis   i^^s. 

**)  Wir  werden  spater  sehcu,  dafs  In  den  zu  Cutnana  über 
die  Ergebnisse  der  Ausdiinstunn;  angesielllen  Versuchen  die 
Temperatur  des  Wassers  der  während  sieben  bis  acht  Stun- 
den der  Sonne  ausgesetzten  Gefäfse  am  Ende  der  Versi*che 
jederzeit  1°  bis  i".3  unter  der  im  Schatten  beobachteten 
Temperatur  der  Luft  stund. 


i3z  Bach     V. 

ratur  des  A\  assers  zur  Tiefe  von  3o  bis  40  Klaiter  zu 
untersuchen  nicht  möglich  uar.  Ich  war  mit  dem 
thermometrischen  öenkbley  '0  nicht  versehen ,  dessen 
ich  mich  in  den  Alpenseen  A'on  Salzburg  und  im  An- 
tillen-Meer bedient  hatte.  Aus  Saussure's  Versuchen 
ergiebt  slch^  dafs  auf  beyden  Seiten  der  Alpen  Seen^ 
die  auf  einer  absoluten  Höhe  von  ige  bis  274  Toison  '••0 
stehen,  im  höchsten  Sommer,  auf  900,  auf  600,  zu- 
weilen sogar  auch  auf  i5o  Fufs  Tiefe ,  eine  gleichför- 
mige Temperatur  von  4°^  3  oder  6  Centesirnal- Graden 
besitzen  ;  noch  sind  aber  diese  Versuche  in  den  Seen 
der  heifsen  Zone  nitht  wiederholt  worden.  In  der 
Schweiz  sind  die  kalten  Wasserschichten  überaus  dicht. 
Im  Genfer-  und  ßieler-See  wurden  sie  so  nahe  bey  der 
Oberfläche  angetroffen,  dafs  die  Abnahme  im  Wasser 
einen  Grad  des  hunderttheiligen  Wärmemessers,  auf 
zehn  oder  fünfzehn  Fufs  Tiefe,  betrug,  demnach  dann 
achtmal  schneller  als  im  ücean,  und  48nial  schneller 
als  in  der  Atmosphäre  ***)  statt  fand.  Unter  der  ge- 
mäfsigten  Zone,  wo  die  Wärme  der  Atmosphäre  unter 
den   Gefrierpunct  und  viel  tiefer  herabsinkt,    muis  der 


*)  Siehe  oben,  Tl».  I.  S.  79.  Die  folgende  Beobachtung  habe 
ich  am  16.  j^pril  1798,  um  4  Uhr  INachmitlagS;  auf  dem 
St.  Barlholomäus -See  ,  in  drn  Berchtesj^adcu^chen  Alpen, 
hinlfr  dem  Fnllienstcin  nni;;entolll.  Luft,  am  Geslode,  Iherm. 
17",  7  liundertlh.;  Haar -//>  grom.  56°.  Luft  auf  der  .Mitte 
des  Sees,  Th.  16",  Bjgr.  63°.  Wasser  des  Sees  auf  zwcy 
Fufs  Tiefe,  Th.  7«,  7-,  auf  42  Fufs  Tiefe,  T/i.  (>'\ -i  ;  auf 
60  Fufs  Tiefe,  Th.  5°,o,  und,  an  einer  andern  Steiler  auf 
84  Fufs  Tiefe,   Th.  3",  6. 

**)  Es  ist  dies  der  Unterscheid  der  absoluten  Höhe  des  Gcnfer- 
und  des  Thuner-Sces. 

***)  Siehe  Th.  I.  S.  5.(4,  und  Arago  in  den  .'l/i/i.  dg  Fh^s.. 
Th.  V.  p.  4o5. 


li  a  p  i  t  e  I     XFI.  i33 

Grund  eines  Sees,  wenn  er  auch  niclit  von  Gletschern^ 
oder  mit  ewigem  Schnee  bedeckten  Bergen  umgeben  ist, 
Wassertheilchen  enthalten,  welche  den  Winter  durch 
auf  der  Oberfläche  das  Maximum  ihrer  Dichtheit  (jiw'i- 
schen  3°j  4  und  4°,  4)  erreicht  haben,  und  demnach 
zur  grüfsten  Tiefe  heruntersanken.  Andere  VVasser- 
theilchen,  deren  Temperatur  +  0°,  5,  weit  entfernt, 
ihren  Platz  unter  der  Schichte  von  4°  einzunehmen, 
mögen  das  hydrostatische  Gleichgewicht  nur  über  der- 
selben finden.  Sie  werden  nicht  tiefer  herabsteigen, 
bis  ihre  Temperatur  durch  die  Berührung  minder  kal- 
ter Schichten  um  3°  bis  4°  hüher  gestiegen  ist.  Würde 
das  W^asser ,  indem  es  sich  erkältet,  fortfahren  sich 
gleichm.ifsig  bis  &ni Zero  zvi  verdichten,  so  würde  man 
in  den  sehr  tiefen  Seen  und  in  den  unter  einander  nicht 
zusammenhängenden  W  asserbecken,  ohne  Unterschied 
der  Orlsbreiten,  eine  Wasserschicht  finden,  deren  Tem- 
peratur dem  Maximum  der  Erkältung  über  dem  Gefrier- 
punct  beynahe  gleich  käme,  welche  die  untern  Regio- 
nen der  umgebenden  Atmosphäre  alljähilich  erleiden! 
Dieser  Betrachtung  zufolge  ist  es  wahrscheinlich,  dafs 
in  den  Ebenen  der  heifsen  Zone  oder  in  niedrigen  Thä- 
lern,  deren  mittlere  W^ärme  25°,5  bis  27°  beträgt,  der 
Seegrund  niemals  unter  21°  bis  22°  sinken  mag.  W^enn, 
unter  der  nämlichen  Zone,  der  Ocean,  in  Tiefen  von 
sieben-  oder  aclithundert  Klaftern,  Gewässer  enthält, 
deren  Temperatur  7°  beträgt,  demnach  12-  bis  iSmal  käl- 
ter ist,  als  das  Minimum  derW^ärmo  *)  der  Aequinoctial- 


*)  Es  dürfte  fast  überflüssig  seyn  zu  bemerken ,  dafs  ich  hier 
nur  denjenigen  Theil  der  Atmosphäre  in's  Auge  fasse,  wel- 
cher zwischen  dem  10  Grad  nördlicher  und  dem  lo  Grad 
südlicher  Breite  den  Ocean  deckt.  Gegen  die  nördliche 
Grenze  der  heifsen  Zone,  um  den  25  Breitegrad,  wo  ISord- 
ninde  mit  erstaunlicher  Geschwindigkeit  kaite  Lüfte  au»  Ca- 


i34  Buch     F. 

Seeluft  (air  equinoctial  surfiiarin'),  so  mufs,  meines 
Dafürhaltens,  diese  Erscheinung  als  ein  unniitlelharer 
Beweis  des  Daseyns  einer  in  der  Tiefe  des  Meers  vor- 
handenen Slrümung-  angesehen  werden  ^  welche  die  Ge- 
wässer vom  Pole  gegen  den  Aecjuator  hinführen.  Wir 
•wollen  hier  keineswegs  die  schwierige  Aufgabe  lösen, 
wie,  in  den  Tropenländern  und  in  der  gemiifsigten  Zo- 
ne, zum  ßeyspiel  im  Antillen-jMeer  und  in  den  Schwei- 
«erseen,  diese  unteren  Schichten  des  his  auf  4°  oder  7° 
erköltt^ten  Wassers  auf  die  Temperatur  der  von  ihnen 
bedeckten  Stein^chichten  des  Erdballs,  und  wie  eben 
diese  Schiclüen,  deren  ursprüngliche  Temperatur  in 
den  Tropenländern  27°  und  im  Genfersee  10°  ist,  auf 
die  halbuefrornea  Wasser  im  Grund  der  Seen  und  des 
Aequinoctial-Oceans  zurückwirken?  Diese  Fragen  sind 
von  der  höchsten  Wichtigkeit ,  sowohl  für  den  Haus- 
halt der  Thiere,  welche  gewöhnlich  im  Grund  des  süs- 
sen und  salzigten  Wassers  leben,  als  für  die  Theorie 
der  Wärmevertheilung  in  Ländern,  die  von  ausgedehn- 
ten und  tiefen  Meeren  umgeben  sind. 

Der  See  von  Valencia  enthält  viele  Inseln,  welche 
die  Landschaft  durch  die  malerische  Gestaltung  ihrer 
Felsen  und  den  sie  bedeckenden  Pflanzenwuchs  schmü- 
cken. Es  ist  dies  ein  Vorzug,  welchen  dieser  See  der 
Tropenländer  den  Alpenseen  gegenüber  besitzt.  Es 
sind  solcher  Eilande,  ohne  den  Morro  und  die  Cabrera, 
welche  bereits  mit  dem  Gestade  zusammenhängen,  fünf- 
zehn, die  in  drey  Gruppen  zerfallen 'O-     Ein  Theil  der- 


jiada  herbevführen ,  sinkt  der  Wärmemesser  auf  dem  Meer 
tu  16"  und  nocli  liefer. 
*)  Die  I-agc  und  Vorllieilung  dieser  Inseln  Ist  folgende:  nörd- 
lich, unfern  vom  Ufer,  Jsla  de  Cura;  süd-ostwärts,  Burro, 
HornOj  Otama,  Sorro,  Caiguire,  Nuei^os  Peiinones  oder 
die   neuen  Apericidas ;    nord-wcsUvärts ,    Cabo  Blanco    oder 


Kapitel     XVI.  l35 

selben  ist  angebaut  und  sehr  fruchtbar,  um  der  Aus- 
dünstungen des  Sees  willen.  Das  gröfste  dieser  Ei- 
lande, der  Burro,  welcher  zwey  Meilen  lang  ist,  wird 
sogar  von  einigen  Melis- Familien  bewohnt,  welche 
Ziegen  halten.  Diese  einfach  lebenden  Menschen  be- 
suchen nur  selten  das  Gestade  von  Mocundo.  Der  See 
däucht  ihnen  unermefslich  grofs  j  sie  haben  Pisang,  Ma- 
nioc,  Milch  und  etwas  Fische.  Eine  aus  Rohrstämmen 
verfertigte  Hütte,  etliche  aus  Baumwolle,  die  auf  be- 
nachbarten Feldern  gewachsen  ist,  verfertigte  Hänge- 
matten, ein  breiter  Stein  ,  worauf  Feuer  gemacht  wird, 
die  holzige  Frucht  der  Tutuma  zum  Wasserschöpfen  j 
hierin  besteht  ihr  ganzes  Hausgeräth.  Der  Metis,  wel- 
cher uns  die  Milch  seiner  Ziegen  anbot,  besafs  eine 
ungemein  hübsche  Tochter.  Von  unserm  Weffweiser 
vernahmen  wir,  es  habe  das  Alleinleben  ihn  nicht  min- 
der argwöhnisch  gemacht,  als  er  es  vielleicht  durch  den 
Umgang  mit  Menschen  geworden  wäre.  Den  Tag  vor 
unsrer  Ankunft  hatten  einige  Jäger  die  Insel  besucht. 
Von  der  Nacht  überrascht,  wollten  sie  lieber  unter 
freyem  Himmel  schlafen,  als  nach  Mocundo  zurück- 
kehren. Die  Kunde  hi:3rvon  erregte  Verdacht  auf  der 
Insel.  Der  Vater  zwang  das  Mädclien,  einen  sehr  hohen 
Zamang  oder  Acacienbaum  zu  erklettern,  welcher  in 
einiger  Entfernung  von  der  Hütte  auf  der  Ebene  steht. 
Er  selbst  nahm  sein  Nachtlager  unter  dem  Baum,  und 
liefs  die  Tochter  erst,  nachdem  die  Jäger  abgereist  wa- 
ren, vom  Baum  heruntersteigen.  Diese  schüchterne 
Vorsicht  und  diese  Sittenstrenge  haben  die  Reisenden 
nicht  allezeit  unter  den  Insulanern  ani^elroft'en. 


Isla  de  Ai'es  und  Chambery ;  süd-westwärls,  Brucha  und 
Culebra.  Mitten  im  See  erheben  sicii,  wie  Klippen  oder 
kleine  abgesonderte  Felsstücke,  Vcgre ,  Vraile^  Pennasc« 
und  Pan  de  Azucar. 


i36  Buch     V. 

Der  See  ist  überhaupt  sehr  fischreich  :  seiner  F'u Ch- 
arten !-intl  aber  nicht  niihr  als  drey,  deren  Fleisch  m  eich 
und  nur  \a  enig  schmackhaft  i?l  ;  es  sind  die  Gaavinay 
der  f'agre  und  die  Sardina.  Die  beyden  letztern  kom- 
men aus  den  Bächen  herab,  welche  sich  in  den  See  er- 
giefsen.  Die  Guavitia,  die  ich  an  Ort  und  Stelle  ge- 
zeichnet habe,  liat  eine  Länge  von  20  Zoll,  auf  3,5 
Breite.  Es  ist  vielleicht  eine  neue  Art  der  Gattung' 
Erythrlna  des  (»ronovius.  ^ie  hat  grofse  silberlarhcne, 
grün  geränderte  Schuppen.  Dieser  Fisch  ist  überaus 
gefräfb^ig,  und  er  vertilgt  die  ül.rigen  Arten.  Der  Aus- 
sage der  Fi-cher  zufolge  trHgt  ein  kleines  Crocodil,  der 
Baia  ■•'),  u  elcher  uns  oft  nahe  l;am,  wenn  wir  badeten, 
gleichfalls  zur  Zerstörung  der  Fische  bey.  Es  gelang 
uns  nie,  dieses  l^eptil  in  unsere  Gewalt  zu  betioninjen, 
um  dass.lbe  näher  untcrsucliea  zu  können.  Seine  Grüfse 
beträgt  selten  über  3  bis  4  Fufs.  Er  wird  für  ganz  un- 
schädlich gehalten,  indefs  sind  seine  Lebensart  und  seine 
Gestalt  denen  des  Gayman  oder  Crocodilus  acutus  sehr 
ähnlich.  Beym  Scl)wimnieijg»sinä  nur  die  Spitze  der 
Schnauze  und  das  Schwanzende  sichtbar;  es  legt  sich 
mitten  im  Tag  aufs  trockne  Gestade.  Zuverlässig  ist 
es  weder  ein  Monitor  (die  ächten  Monitors  finden  sich 
ausschliefslich  auf  dem  allen  Festland),  noch  Seba's 
Sauvegaräe  (Lacerta  Teguixin),  welche  untertaucht 
und  nicht  scliwimmt  *"•').  Künftige  lAeisende  mögen 
die  Frage  entscheiden j     wir  bemerken   hier  nur    noch 


*^  Der  Biwa  oder  Bavilla  ist  sehr  gemein  in  Bordones,  nahe 
bey  Guniana.  Siehe  oben  Th.  I.  S.  356  und  477.  Der^ame 
Ba\'a  (^Baueusei  hat  den  Herrn  Depons  sehr  irre  geführt. 
Er  hält  dies  Reptil  für  einen  Fisch  unserer  Meere ,  den 
Blennius  pholis.  (Vojage  ä  \a  Terre-Fermc,  Tom.  I» 
p.     142) 

**>  Cuuier,  Regne  animal y   »817,  Tom.  II,  p.  a6,  37. 


n  a  p  i  l  e  l     XFL  iSj 

das  auffallende  Verhälliiifs,  demzufolge  vyeder  der  See 
von  Valencia,  noch  das  ganze  System  der  Ideinen  Flüsse, 
die  sich  in  denselben  ergiei'sen ,  grofse  Caymans  be- 
sitzen, obgleich  dies  gelährliche  Thier,  wenige  Meilen 
entfernt,  in  den  Gewässern,  die  tlieils  in  den  Apure  und 
ürenoko,  theils  unmittelbar  in's  Antillen  ■  Meer  aus- 
fliefsen,  zwischen  Porto  -  Cabello  und  La  Guayra  in 
Menge   vorkommt. 

Auf  den  Inseln,  welche  sich  gleich  Bollwerken 
mitten  aus  dem  Wasser  erheben,  und  überall,  w^o  der 
Felsengrund  des  Sees  dem  Auge  siclitbar  ist,  habe  ich 
eine  gleichfürmig'e  Richtung*)  der  Gneifsschichten  wahr- 
genommen. Diese  Hichtung  ist  ungeftihr  diejenige  der 
auf  der  Nord-  und  Süd- Seite  des  Sees  stehenden  Berg- 
ketten. In  den  Hügeln  von  Cabo-Blanco  tritft  man  mit 
ten  unter  dem  Gneiis  eckige  Massen  von  einem  undurch- 
sichtii^en  Quarz,  welcher,  kaum  an  den  Rändern  durch-' 
scheinend,  in  grauer  und  dunkelschwarzer  Farbenschat- 
tirung  wechselt.  Er  geht  theils  in  Hornstein,  theils  in 
Kieselscliiefer  (Jaspe  schistoide)  ubei\  Ich  glaube  nicht, 
dafs  er  einen  Gang  bildet.  Das  Seevvasser  **)  löst  den 
Gneifs  durch  Zerfressung  auf  eine  ganz  aufserordent- 
liche  Art  auf.  Ich  habe  durchlücherte,  fast  zellenartige, 
in   Gestalt   von  Blumenkohl    zerj;heilte ,     und  auf  gan?, 


*)  Richtung  des  Gesteins,  St.  5-4  nord-westl.  Senl<ung.  Die 
Küstenberge  und  die  der  Villa  de  Cura  nehmen  ihre  Rich- 
tung von  VV.S.  VV.  nacl)  O.  IN.O. 

**)  Das  Seevvasser  ist  nicht  salzig,  wie  man  in  Caracas  behanp» 
tet.  Man  kann  es  undurchseihl  trinken.  Verdünstet  hieibt 
ein  geringer  Bodensatz  von  kohlensaurem  Kalk  und  viel- 
leichl  etwas  saurer  Pottasche  zurück.  Es  Lefremdet  sogar, 
dafs  ein  Binnensee  nicht  reicher  an  alcalinischen  oder  er« 
digien,  dem  ansloisenden  Erdreich  entzogenen  Saiaen  ist. 
PaileVy    in  d»n  Irans. ^    ijib.  p.  293. 


i38  B  u  c  h     V. 

dichtem  Gnolfs  festsitzende  Stücke  gefunden.  Vielleicht 
hört  die  Wirkung'  mit  dem  VA'ellenschlag  und  der  Wech- 
selberührung von  Luft  und  Wasser  auf. 

Die  Insel  Chambery  ist  um  ihrer  Höhe  willen  be- 
merkenswerth.  Sie  wird  durch  einen  Gneifsfelsen  ge- 
bildet, dessen  zwey  Spitzen  sattelförmig  vereint  und. 
200  Fufs  über  die  W^asserfläche  erhöht  sind.  Der  Ab- 
bang des  Felsens  ist  unfruchtbar,  und  nur  einige  Stäm- 
me der  Clusia  mit  grofsen  weifsen  Blumen  finden  eine 
l<ümmerliche  Nahrung  auf  ihm;  hingegen  ist  die  Aus- 
sicht über  den  See  und  den  reichen  Anbau  der  nahen 
Thäler  Hngemein  schön.  Sie  wird  vollends  entzückend, 
wenn  des  Abend«,  nach  Sonnenuntergang,  viele  Tausend 
Wasservögel,  Keiher,  Flamingos  und  wilde  Enten  nach 
den  Inseln  fliegen,  auf  denen  sie  die  Nacht  zubringen, 
und  wenn  der  breite  Gürtel  der  den  Horizont  begren- 
zenden Berge  mit  Feuer  gleichsam  bedeckt  i*t.  Die 
Lian<le?einwohner  lassen,  wie  wir  schon  früher  melde- 
ten, die  dürren  Weiden  abbrennen,  um  ein  frischeres 
und  feineres  Gras  zu  erhalten.  Der  Graswuchs  ist  auf 
den  Berggipfeln  am  kräftigsten,  und  diese  ausgedehnten 
Feuerbrände,  welche  oft  bey  lausend  Toisen  Länge  ha- 
ben, erscheinen  wie  Lavaströme,  die  von  der  Berggräte 
uberfliefsen.  Wenn  man  an  einem  dieser  schönen  Aben- 
de der  Tropenländer  am  Seeufer  ruht,  um  die  milde 
Kühle  der  Luft  zu  geniefsen,  so  ist  der  Wiederschein 
der  den  Hoiüzont  beleuchtenden  röthlichen  Flammen, 
in  den  an's  Ufer  schlagenden  W  eilen,  ein  ergötzlicher 
Anblick. 

Unter  den  Pflanzen  ,  welche  die  Felsen  -  Eilande 
des  Valencia -Sees  erzeugen,  fanden  sich  mehrere,  die 
man  ihnen  eigenthümlich  glaubt,  weil  sie  bis  dahin  nir- 
gend anderswo  entdeckt  wurden.  Es  gehören  dahin 
die    See  -  Papayers    (papayers    du    lac^    und    die    To- 


Kapitel     XVI.  135 

mates  *)  der  Insel  Cura,  Diese  letztem  sind  A'on  un- 
serni  Solanum  lycopersicum  verschieden.  Sie  liahen 
eine  runde,  kleine,  aber  sehr  schmackhafte  Frucht; 
man  pflanzt  sie  gegenwärtig  in  Vittoria,  Psueva  Valen- 
cia und  überall  in  den  Thälern  von  Aragua.  Auch  der 
Melonenbaum  (^Papaya  de  In  lagnnay  wächst  häufig 
auf  der  Insel  Cura  und  auf  Cabo-lilanco,  Sein  Stamm 
ist  schlanker  als  derjenige  des  gemeinen  Papayers  (Ga- 
rica  Papayaj,  seine  Frucht  aber  ist  um  die  Hälfte  klei- 
ner und  völlig  rund,  oline  vorstehende  Rippen;  ihr 
Durchmesser  beträgt  4  bis  5  Zoll.  Beym  Durchschnei- 
den findet  man  sie  voll  Saanien,  ohne  jene  leeren  Zwi- 
schenräume, die  der  gemeine  Melonenbaum  allezeit  dar- 
bietet. Der  Geschmack  der  Frucht,  die  ich  öfters  ge- 
nossen habe,  ist  ausnelimend  süfs"*);  ich  weifs  nicht, 
ob  die  Pflanze  eine  Spielart  der  von  Jacquin  beschrie- 
henen  Carica  microcarpa  ist. 

Die  Nachbarschaft  des  Sees  wird  nur  im  Zeitpunct 
der  grpfsen  Trockne  ungesund,  wenn  die  Wasser  bey 
ihrem  Rückzug  ein  schlammigtes,  der  Sonnenhitze  aus- 
gesetztes Erdreich  hinterlassen.  Die  von  Büechen  der 
Coccoloba  barbadensis  beschatteten,  mit  prachtvollen 
Liliengewächsen  ***)  geschmückten  Gestade  erinnern, 
durch  die  Haltung  der  Wasserpflanzen,  an  die  Sumpf- 
gestade  unserer   europäischen  Seen.      Man   findet  hier 


*}  Die  Tomates  werden,  n<^list  der  Papaya  du  Inc.,  im  Pilan- 
zengarten  zu  Berlin  gezogen ,  dem  ich  ihre  Saamen  sandte. 
Hr.  Willdenow  liat  dieses  Naclilschattengewächs,  unter  dem 
INamen  Solanum  Humboldtii ,  im  Hortus  Berolinensis,  p.  27, 
tab.   27.  beschrieben. 

**)  Man  schreibt  ihnen  stopfende  Eigenschaften  zu;  das  Volk 
nennt  sie   Tapaculo. 

***)  Pancratium  undulatum  ^  Amaryllis  nen^osa.  Siehe  unsere 
Noi-,  Gen.,  Tom.  1.  p.  378. 


140  Buch     f\ 

den  Wasserlncl<  (Potamogeton),  den  Armlcuchler  rClia- 
ra)  und  drey  Fufs  holie  TeichKolben  (ISIasselh'S),  die 
man  gar  leicht  mit  der  Typlia  ani>ustifolia  unsrer  Süm- 
pfe verwechseln  l^unnte.  Erst  nach  joriifällii'or  Lnter- 
siichung  erkennt  man  diese  Pflanzen  für  verschiedene, 
dem  neuen  Festland  eigenthümiiche  Arten  *).  .  Wie 
viele  Pflanzen  der  Magellanscheu  Strafse,  von  Chili  und 
von  den  Quito-Cordilleren  sind  vormals,  um  ihrer  Aehn- 
lichkeit  willen,  mit  den  Pflanzen  der  gemäfsigten  nürd- 
lic/jen  Zone  verwechselt  worden! 

Die  Bewohner  iler  Tiiäler  von  Aragua  fragen  öf- 
ters, warum  das  mittägliche  Seeufer,  vorzüglich  sein 
südwestlicher  1  heil  gegen  Las  Aguacatas  hin ,  über- 
haupt mehr  Schatten  und  ein  frischeres  Grün  als  das 
nördliche  Ufer  besitzt?  Im  Monat  Hornung  sahen  wir 
viele  entblätterte  Bäume  nahe  bey  der  Hacienda  do  Cu- 
ra,  in  Mocundo  und  Guacara,  w<ährend  süd -ostwärts 
von  Valencia  schon  Alles  die  nahe  Regenzeit  verkündig- 
te. Ich  stelle  mir  vor,  es  mögen  in  der  ersten  Ahthei- 
lung  des  Jahrs,  wo  die  Sonne  südliche  Senkung  hat, 
die  Hügel  in  der  Nähe  von  Valencia,  Guacara  und  Cura 
von  der  Sonnenhitze  verbrannt  werden  ,  während  das 
iniltägliche  Ufer,  mit  der  Brise,  sobald  sie  durch  ^4bra 
de  Porto  Cahello  in's  Thal  eintritt,  eine  Luft  empfängt, 
die  über  den  See  w^egstrich  und  mit  feuchten  Dünsten 
erfüllt  ist.  An  diesem  mittäglichen  Gestade  linden  sich 
auch,  nahe  bey  Guaruto,  die  schönsten  Tabakpflan- 
zungen der  ganzen  Provinz.  INIaa  unterscheidet  sie 
durch  die  Namen  von  primera ,  segnnda  oder  tercera 
Jundacion.  Dem  drückenden  Monopol  der  Pacht  zu- 
folge, dessen  wir  bey  Anlafs  der  Beschreibung  der  Stadt 


*)  Po'amogefon  tenulfol'mm  ^   Chara  comp  .   ta,   Typha  tenui- 
Jolia.     A.  a.  O.  Tom.  I,  p.  ^5  —  85,  und  370. 


Kapitel     XVI.  141 

Cumanacoa  geJacht  liabeu-)^  dürfen  die  Bewohner  der 
Provinz  Caracas  den  Tabak  nur  in  den  Thälein  von 
Araiiua  C^^u  Guaruto  und  zu  Tapatapa)  und  in  den 
l^lanos,  in  der  jNähe  von  Uritucu^  plianzen.  Der  Erlös 
davon  steigt  auf  fünf-  bis  sechsiiundert  Tausend  Piasler 
an  j  aber  die  Regie  -  V^erwallung  ist  so  ungeheuer  kost- 
bar, dafs  sie  jährlich  nahe  an  230,000  Piasler  eriieischt. 
Die  General  -  Kapitansciiaft  von  Caracas  könnte,  ver- 
möge ihrer  Gröfse  und  ihres  vortretflichen  Bodens,  eben 
so  gut  wie  die  Insel  Cuba,  alle  europäischen  Märkte  ver- 
sorgen 5  in  ihren  gegenwärtigen  Veriiältnissen  aber  be- 
zieht sie  durch  bchleichhandel  den  brasilianischen  Ta- 
hak  auf  dem  Rio  iNegro,  d>iin  Cassiquiare  und  dem  Ore- 
noko,  und  den  Tabak  der  Provinz  Pore  auf  dem  Ca- 
sanarc,  dem  Ariporo  und  dem  Hio  Meta.  Dies  sind  die 
A^erderblichen  Folgen  eines  verbietenden  Systems,  das 
die  Forlschritte  der  Landwirthschaft  hemmt,  die  INa- 
tur-Erzeugnisse  mindert  und  yergeblicli  darnach  strebt, 
Landschaften  zu  vereinzeln,  die  von  gemeinsamen  Flüs- 
sen durchzoi^en  sind  und  deren  Grenzen  sich  in  un- 
bewohnte Räume  verlieren. 

Unter  den  sich  in  den  Valencia -See  ergiefsenden 
Gewässern  giebt  es  solche,  die  aus  Thermalquellen  her- 
kommen, und  eine  besondere  Aufmerksamkeit  verdie- 
nen. Diese  (Quellen  entspringen  auf  drey  Puncten  der 
Granit- Cordillere  der  Fiüsten  :  nahe  bey  Onoto,  zwi- 
schen Turmero  und  IVIaracay  ;  nahe  bey  Mariara,  nord- 
ostuärts  von  der  Hacienda  de  Cura,  und  in  der  Nähe 
von  Las  Trincheras,  am  Wege  von  JNueva  Valencia  nach 
Porto  Cabello.  Es  war  mir  nur  möglich,  die  physischen 
und  geologischen  Verhältnisse  der  warmen  Wasser  von 
Mariara  und  Las  Trincheras  mit  gehöriger  Sorgfalt  zu 


*)  Th.  JI.  Kap.  6.  5.  49- 


142  Buch       f^. 

untersuchen.  Steigt  man  den  kleinen  Flufs  Cura  gegen 
seine  Quelle  an,  so  sieht  man,  wie  die  Berge  von  Ma- 
riara  ins  flache  Land  hervortreten,  in  Gestalt  eines  aus- 
gedehnten Ampliitheaters,  das  aus  senkrecht  ahiieschnit- 
tenen,  in  ge/ähnte  Hürner  auslaufenden  Felsmassen  be- 
steht. Das  IViittelstück  des  Amphitheaters  führt  den  selt- 
samen Namen  der  Teufels  JMauer  oder  Eche  (liiiicon 
del  Diablo^.  Von  den  zwey  Seiten  Vorsprüngen  wird 
der  östliche  El  Chapavro ,  der  westliche  Lios  f'iruelas 
genannt.  Diese  Trümmer-Felsen  beherrschen  das  flache 
L<and.  Sie  bestehen  aus  grohkürnigtem ,  beynalie  por- 
phyrartigem Granit,  dessen  weilsgelblichte  Feldspath- 
Krystallen  über  anderthalb  Zoll  lang  sind.  Der  nur 
selten  darin  vorkommende  Glimmer  hat  einen  schönen 
Silberglanz.  Man  kann  nichts  Malerischeres  und  Im- 
posanteres sehen,  als  diese  zur  Hälfte  mit  Vegetation 
bedeckte  Berggruppe.  Der  Pic  vonC^lavera,  welcher 
die  Teufels- IManer  mit  dem  Chaparro  vereint,  ist  aus 
grofser  Entfernung  sichtbar.  Sein  Granit  wird  durch 
senkrechte  Spalten  in  prismatische  Massen  getrennt.  Es 
sieht  aus,  als  stünden  Basaltsäulen  über  dem  Urgestein. 
Zur  Hegenzeit  stürzt  sich  eine  beträchtliche  Wasser- 
masse  als  Cascade  von  den  jähen  Abhängen  herunter. 
Die  ostwärts  an  die  Teufels-JManer  anstehenden  Berge 
sind  lange  nicht  so  hoch,  und  enthalten,  gleich  dem  Voi- 
gebirg  Cabrera  und  den  abgesonderten  Hügeln  auf  der 
Ebene,  Gneifs  und  granathaltigen  Glimmerschiefer. 

in  diesen  minder  hohen  Bergen,  zwey  bis  drey  Mei- 
len nordöstlich  von  Mariara,  bffindet  sich  :lie  Schlucht 
der  heifsen  Wasserquellen,  Qncbrada  de  aguas  colien- 
tes.  Die  hichtung  dieser  Schlucht  ist  N.  ^5°  W.,  und 
es  enthält  dleselhe  mehrere  kleine  Becken,  wovon  die 
zvvev  oberen,  welche  mit  einander  in  keiner  V^erbindung 
stehen,  nur  8  Zoll,  die  drey  untern  hingegen  2  bis  3  Fufs 


Kapitel     XVl.  143 

Durchmesser  haben.  Ihre  Tiefe  ist  verschieden  von 
3  bis  i5  Zoll.  Die  Temperatur  dieser  verschiedenen 
Trichter  Cpozos^  beträgt  36  bis  69  Centesiinal-Grade^ 
undj  was  sehr  bemerkensvverth  ist,  die  unteren  Trichter 
sind  wärmer  als  die  oberen,  obgleich  der  Gesammt- 
Unterschied  ihres  JNiveau  niclit  über  7  bis  8  Zoll  be- 
trägt. Die  warmen  Wasser  fliefsen  zusammen  und  bil- 
den einen  Bach  (Kio  de  aguas  calientes),  welcher,  dreys- 
sig  Fufs  tiefer,  nur  48°  Wärme  hat.  Zur  Zeit  der  gros- 
sen Trockenheit  (es  war  dies  der  Zeitpunct  '''},  wo  wir 
die  Schlucht  besuchten)  hat  die  Gesammtmasse  der  Mi- 
neralwasser einen  Durchschnitt  von  nicht  mehr  als  26 
Geviert/.oll.  'In  der  Regenzeit  vernjehrt  sich  dieselbe 
beträchtlich.  Der  Bach  wird  alsdann  zum  Bergstrom, 
und  seine  Wärme  vermindert  sich;  denn  es  scheint,  dafs 
die  warmen  Quellen  selbst  nur  unmerklichem  Wechsel 
unterworfen  sind.  Diese  sämmtlichen  Quellen  enthal- 
ten eine  geringe  Menge  von  gescliwefeltem  Wasserstoft- 
gas  **).  Der  demselben  eigenthümliche  Geruch  fauler 
Eyer  wird  nur  zunächst  bey  den  Quellen  verspürt.  In 
einer  einzigen  Quelle,  deren  Temperatur  auf  56°  an- 
steigt, zeigt  sich  eine  Entwicklung  von  Luftblasen  in 
ziemlich  regelmäfsigen  Zeiträumen  von  2  zu  3  Minuten. 
Ich  habe  bemerkt,  dafs  diese  Blasen  stets  von  den  glei- 
chen Puncten  ausgehen,  deren  vier  sind,  und  dafs  durch 
Umrühren  des  Beckengrunds  mit  einem  Stock  keine 
Aenderung  der  Stellen,  aus  denen  das  geschwefelte  Gas 
hervorkommt,   erzielt  ward.      Es  treffen  dieselben  ohne 


*)  Den  18.  Hornung  1800.  Der  geographische  Atlas  liefert 
die  Charle  der  Gegend  von  Mariara ,  die  ich  wührend 
meines  Aufenthalts  in  der  Hacienda  de  Cura  gezeichnet 
habe. 

**)  Acide  hydro  •  «ulfuri({ue. 


144  Buch     F. 

Zweifel  mit  eben  so  viel  üeiVnungen  oder  Spalten  im 
Gneifs  zusammen:  auch  ist  es  der  Fall,  dafs^  wenn  die 
Luftblasen  auf  einer  der  Oell'nungen  ersclieiisen  ,  der 
Gasausflufs  unmittelbar  nachher  bcy  dfen  drey  übrigen 
bemerkt  ward.  Zum  Entzünden  konnte  ich  weder  die 
kleinen,  sich  auf  der  Oberriäche  der  'I  hennahvasser 
verflüchtigenden  Gasmengen  noch  diejenigen  bringen, 
welche  ich  in  einer  Fla-che  über  den  (Quellen  san)mel- 
te,  wobey  mich  eine  Uebelkeit  befiel,  die  wahrschein- 
lich weniger  Wirkung  des  Gasgeruchs,  als  der  über- 
mäfslgen  Hitze,  die  in  dieser  Schlucht  herrsclite,  ge- 
wesen ist.  Findet  sich  dem  geschwefelten  Wasserstoft' 
viele  kohlensaure  oder  atmosphärische  Luft  beyge- 
mi-cht?  Ich  zweifle  am  Daseyn  der  erstem  dieser  Mi- 
schungen, die  sonst  in  Thermalwassern  C'/u  Aachen, 
in  Enghien,  und  in  Barege)  sehr  gewühnlich  ist.  Das 
in  der  Höhre  eines  Fonlnno'schen  Eudiometers  gesani- 
melte  Gas  war  lange  Zeit  mit  Wasser  geschüttelt  wor- 
den. Die  lileinen  Becken  sind  mit  einem  leichten  Schwe- 
felhäutchen  überzogen,  welches  sich  durch  das  lang- 
same Verbrennen  des  geschwefelten  Wasserstoffs  beym 
Zusammentreffen  oder  der  Berührung  mit  dem  Sauer- 
stoff der  Atmosphäre  bildet.  Einige  den  Quellen  zu- 
nächst stehende  Pflanzen  waren  n)it  Schwefel  üherzo- 
gen.  Von  diesem  Niederschlag  zeigt  sich  bovnahe  gar 
nichts,  wenn  man  das  Wasser  von  Mariara  in  einem 
offnen  Gefäfs  erkalten  läfst,  vermuthlich  weil  die  Menge 
des  freygewordenen  Gases  höchst  gering  ist  und  sich 
nicht  erneuert.  Das  kalt  gewordene  Wasser  schliigi  die 
Auflösung  des  Kupfersalpefers  nicht  nieder  ;  dasselbe 
hat  keinen  Geschmack  und  ist  völlig  trinkbar.  Wofern 
es  einige  salz.igte  Bestandthelle  enthält,  zum  Beyspiel 
schwefelsaure  Soda  oder  Magnesie,  so  mufs  ihr  Betrag 
äuiserst  klein  seyn.     Wir  waren  fast  mit  gar  keinen  Rea- 

gentien 


Kapitel     XVI.  145 

arnlien  versehen  '"\);  und  mufsten  uns  demnach  hegnü- 
gerij  7,uey  Flachen  an  der  Quelle  zu  füllen,  und  die- 
selben, in  Beg'eit  der  nährenden  Milch  des  sogenannten 
Kuhbaunis  (/  «c«)^  üher  Porto  Oahello  und  Havanna, 
den  Herren  Fourcroy  und  Vauquelin  zu  senden.  Dies» 
Reinheit  der  warmen  Wasser,  die  unniitleljjar  aus  den 
Granilbergen  hervorkommen,  ist  eine  dei;  merkwürdig- 
sten Erscheinungen  beyder  Festlande '""■■').  Wie  soll  man 
sich  den  Ursprung  des  geschwefelten  WasserstoiTgases 
erl'.lären?  Es  karm  nicht  aus  der  Zersetzung  der  Eisen- 
sulfüre  oder  Scliwefelkies  -  Lager  herliommen.  Sollte 
es  von  den  Sulfüren  des  (calcium,  des  Magnesium,  oder 
anderer  erdigten  Metalloide  herrühren,  welche  das  In- 
nere unsers  Planeten  unterhalb  seiner  lelsigten  und  oxy- 
dirten  Kinde  enthält? 

In  der  Schlucht  der  warmen  Quellen  des  Mariai'a, 
zwischen  den  kleinen  Trichtern,  deren  Temperatur  von 
56°  auf  59°  ansteigt,  wachsen  zwey  Wasserpflanzen  ;  die 
eine  ist  hautig  und  enthält  Luftblasen,  die  andere  Le- 
steht  aus  parallelen  Fibern  *^'*^.     Die  erste  ist  derUlva 


*)  Eine  kleine  Büchse,  welche  essigsaures  Bley,  salpctersaures 
Silber,  Alcohol,  hiaugesauerte  Poltasche  u.  s.  w.  enthält, 
war  aus  Versehen  in  Ciimana  zuriickgeLliehcn.  Icli  iiefs 
das  Wasser  von  Mariara  ahdünsten  5  es  hlieb  nur  ein  sehr 
kleiner  Piücksland  übrig.  Mit  Salpetersäure  digerirt,  schien 
dieser  Piückstand  nur  Kieselerde  und  einen  Exlractiv-Pllanzen- 
slofl'  7.U  enthalten. 

**)  Auf  dem    alten  Pestland  finden   sich    eben   so    reine  warme 

Quellen,    die   aus    Granit   hervorkommen,    in   Portugal   und 

in  Cantal.      Die  Pisciarelli  des  Agnano-Sees  in  Italien  haben 

eine   Wärme   von    gj   Centesimalgraden.      Sind    diese    reinen 

'Wasser  verdichtete  Dünste? 

***)  Conferua?  fibrosa,  laete  viridis^  Jibris  parallelis,  in- 
divisisy    apicem  versus   attenuatis. 

Alex.  V.  Humboldts  hist.   Reisen,   llh  10 


146  Buch     F. 

labyrinthiformis  de«  Vandelli  sehr  ähnlich ,  welche  in 
den  europäischen Thermalwassern  angetrofl'en  wird.  Auf 
der  Insel  Amsterdam  fand  Hr.  Barrow  *)  Büschel  des 
Lycopodium  und  der  Marchantia  an  Stellen^  wo  die 
Wärme  des  Bodens  noch  gar  viel  gröfser  war.  So 
stellt  sich  die  Wirkung-  eines  habituellen  Sliiniilus  auf 
die  Organe  der  Pflanzen  dar.  Die  Wasser  des  Mariara 
enthalten  keine  Wasser-Insecten.  Man  trifft  Frösche  in 
denselben;  die^  von  Schlangen  verfolgt,  in  die  Trichter 
sprangen  und  darin  umkamen. 

Südwärts  der  Schlucht,  in  der  Ebene ,  die  sich  ge- 
gen das  Seegestade  avisdehnt,  befindet  sich  eine  andere 
Schwefel-Wasserquelle,  die  nicht  so  warm  ist  imd  we- 
niger Gas  enthält.  Die  Kluft,  aus  der  das  Wasser  her- 
vorgeht, steht  sechs  Toisen  höher,  als  die  eben  be- 
schriebenen Trichter.  Der  Wärmemesser  stieg  darin 
nicht  über  42°.  Die  Gewässer  fliefsen  in  einem,  von 
hohen  Bäumen  umgebenen,  fast  kreisförn)igen  ,  i5  bis 
18  Fufs  im  Durchmesser  haltenden  und  3  Fufs  tiefen 
Becken  zusammen.  In  dieses  Bad  werfen  sich  die  un- 
glücklichen Sclaven,  wenn  sie  am  Abend,  mit  Staub 
bedeckt,  ihr  Tagwerk  auf  den  benachbarten  Ipdigo-  und 
Zuckerrohr  -  Feldern  vollendet  haben.  Obgleich  dies 
ß«/i7*o-Wasser  gewöhnlich  um  12  bis  14  Grade  wärmer 
ist,  als  die  Luft,  so  wird  es  doch  von  den  Negern  küh- 
lend genennt,  weil  unter  der  heifsen  Zone  dies  Wort 
für  alles  gebraucht  wird,  was  die  Kräfte  herstellt,  den 
Nei'venreiz  mildert,  oder  ein  Gefühl  von  Wohlbehagen 
verursacht.  Wir  liefsen  unsere  Hängmatten  an  die  Bäu- 
me befestigen,  welche  das  Wasseibeckcn  beschatten, 
und  verweilten  einen  ganzen  Tag  4n  dem  lieblichen  und 
Pflanzenreichen  Ort.      In  der  Nähe  des  baniio  de  ]\Ia- 


*)  Voysg«  to  Cochincbina,   p.   »45. 


Kapitel     XFL  147 

riarrt  trafen  u  ir  den  Volador  otlor  Gyrocarpus.  Die 
geÜiigolten  Früchte  dieses  hohen  Baums  drehen  sich  wie 
Federbälle ,  wenn  sie  sich  vom  Fruchtstiele  trennen. 
Beym  Schütteln  der  Aesle  des  Volador  gewährte  die 
Menge  gh'ichzeitig  niederlallender  Früchte  einen  ganz 
aufserordentlichen  Anblick.  Die  zwey  häutigen  und 
gestreiften  Flügel  sind  also  umgebogen ;,  dafs  sie  im 
Niederfallen  den  Kindruck  der  Luft  unter  einem  Win- 
kel von  45°  empfangen.  Glücklicher  Weise  hatten  die 
FrüchtP;  welche  wir  sammelten^  ihre  Reife  erreicht. 
AVir  sandten  davon  nach  Europa,  wo  sie  in  den  Gärten 
von  Berlin,  Paris  und  Malmaison  gekeinjt  haben.  Die 
zahlreichen  Stämme  des  Jolador ,  welche  gegenwärtig 
in  den  Treibhäusern  vorkommen,  stammen  alle  von  dem 
einzigen  Baum  dieser  Gattung  ab,  welcher  in  der  JNähe 
von  Mariara  steht.  Die  geographische  Vertheilung  der 
verschiedenen  Arten  des  Gyrocaipus,  den  Hr.  Brown 
für  eine  Laurinee  hält,  ist  sehr  sonderbar.  Jacquin 
fand  eine  Art  desselben  nahe  bey  Carthagena  in  Indien*^. 
Es  ist  dies  eben  die,  welche  wir  in  Mexico  nahe  bsy 
Zximpango,  auf  dem  \Ye^  von  Acapulco  nach  der  Haupt- 
stadt antrafen  **).  Eine  andere  Art,  die  auf  dem  Ge- 
birge von  Coromandel  wächst  ***),    hat  Koxburgh  be- 


*)  Jacq.  Hist.  americ,  t.  178,  f.  80.  Es  ist  der  Gjrocarpus 
Jacquini  von  Gärtner  (De  Fruct.  t.  97,  Tom.  II,  p.  92), 
oder  Gyrocarpus  americanus,   Willd. 

**)  Die  Landeseinwoliner  nannten  ihn  ,  in  Mexico ,  Quitla- 
coctli.  Ich  sah  junye  Biälter,  welche  5  und  5  Lappen  hat- 
ten :  die  erwachsenen  Biälter  sind  herzförmig  und  haben 
beständig  drey  Lappen.  Blühend  haben  wir  den  Volador 
nie  angetrofl'en.  Die  Herren  Sesse  und  Mocinno  besitzen 
Zeichnungen  davon. 

*■**)  Roxb.  Corom.  1,  pl.  l.  1.  Es  ist  der  Gyrocarpus  asi«- 
ticus,   WilJd. 


148  Buch     P\ 

schineben :   die  dritte  und  viei'te  *^  wachsen  in  der  süd- 
lichen Halbkugel,  an  den  Küsten  von  Neu-Holland. 

Als  wir  uns,  Leym  Aussteigen  vom  Bade,  halb  in 
ein  Tucli  gehüllt,  nach  Landessitte  an  der  Sonne  trock- 
neten, näherte  sich  ein  kleiner  Mann  von  mulatlischer 
Herkunft,  welcher,  nach  feycrlicher  Begrüfsung,  in 
einer  umständlichen  Rede  uns  von  den  Kräften  des  Was- 
sers von  Mariara,  von  der  Menge  der  Kranken,  die 
solches  seil  einigen  Jahren  besuchen,  von  der  günstigen 
Lage  der  Quellen  zwischen  zwey  Städten,  Valencia  und 
Caracas,  in  denen  die  Sittenlosigkeit  stets  überhand  neh- 
me, unterhielt.  Er  wies  uns  seine  Wohnung,  eine  klei- 
ne, mit  Palmblättern  gedeckte  Hütte,  die  auf  einem  nahe 
gelegenen  umzäunten  Räume  am  Ufer  eines,  mit  dem 
Bade  zusammenhängenden  Flusses  stund.  Er  versicher- 
te, wir  würden  daselbst  alle  Bequemlichkeiten  des  Le- 
bens finden,  Nägel  zum  Aufbängen  unsrer  Hängemat- 
ten, Ochsenhäute,  um  auf  Rohrbänken  zu  ruhen,  ir- 
dene, allzeit  mit  frischem  Wasser  gefüllte  Gefäfse  und, 
was  nach  dem  Bad  am  wohlthätigsten  wäre,  jene  gros- 
sen Eidechsen,  Igiianas.  deren  Fleisch  als  eine  kühlende 
Speise  bekaiuit  ist.  Wir  schlössen  aus  der  langen  Rede, 
dafs  der  gute  Mann  uns  für  Kranke  hielt,  die  bey  der 
Quelle  einen  Aufenthalt  zu  machen  gedächten.  Seine 
Rathschläge  und  seine  gastfreundlichen  Anerbictungen 
waren  nicht  ganz  uneigennützig.  Er  nannte  sich  den 
Aufseher  der  Gewässer  und  den  pnlpero  **)  des  Orts. 
Auch  war  seine  zuvorkommende  Aufmerksamkeit  zu 
Ende,    sobald  er    inne  ward,    dafs  wir  nur  aus  Neu- 


*)    G.    splienopterus    und  G.    rugosus.      (Brovii    Prodr.    T.    f, 

p.    4050 
**)  Eigentluiiner  einer  pulperia  oder  kleinen  Krambude,  vroriu 

Efswaaren  und  Getränke  verkauft  werden. 


Kapitel     Xri.  149 

gierde  gekommen  seyen  ,  oder,  wie  man  sicli  in  den 
Colonien;,  die  das  Land  des  Müssiggangs  sind^  aus- 
drückt, para  ver,  no  mas,  ,.,um  zu  schauen  und  weiter 
nichts/^ 

Die  Wasser  von  Mariara  werdem  mit  Erfolg  gegen 
rheumatische  Geschwülste,  alle  Geschwüre  und  jene 
schreckliche  Hautkrankheit  angewandt,  welche  bubas 
heifst,  und  nicht  immer  siphylitischen  Ursprungs  ist. 
Da  die  Quellen  nur  wenigen  geschwefelten  \'\  asserstofF 
enthalten,  so  mufs  man  sich  nahe  an  der  Stelle,  wo  sie 
hervorkommen,  baden.  Weiterhin  wird  das  nämliche 
Wasser  zum  Bewässern  der  Indigo -Felder  gebraucht. 
Der  reiche  Eigenthümer  von  Mariara,  Don  Domingo 
Tovar,  gieng  damit  um,  ein  ßadhaus  zu  erbauen,  und 
eine  Einrichtung  zu  treffen,  welche  wohlhabenden  Leu- 
ten etwas  mehr  Bequemlichkeit  gewähren  könnte,  als 
Eidechsenfleisch  zur  Speise,  und  über  eine  Kohrbank 
ausgebreitete  Ochsenhäute  zum  Ausruhen. 

Am  21.  Hornung  Abends  reisten  wir  von  der  schö- 
nen Hacienda  de  Curana.c\\  Guacara  und  Nueva  Valen- 
cia ab.  Um  der  aufserordenllichen  Tageshitze  willen 
zogen  wir  das  Nachtreisen  vor.  Wir  kamen  durch  den 
Weiler  von  Punto  Zamuro,  am  Fufs  der  hphen  Berge 
der  Las  Viruelas.  Der  Weg  ist  von  grofsen  Zamang- 
oder  Mimosen -Bäumen  eingefafst,  deren  Stämme  bey 
60  Fufs  Höhe  haben.  Die  fast  wagerechten  Aeste  der- 
selben erreichen  einander  auf  mehr  als  i5o  Fufs  Entfer- 
nung. Ich  habe  nirgendwo  ein  schöneres  und  dichteres 
grünes  Gewölbe  angetroffen.  Die  Nacht  war  finster. 
Die  Teiifels-Maner  und  ihre  gezähnten  Felsen  stellten 
sich  unterweilen  von  ferne  dar,  entweder  vom  Brande 
der  Savanen  erleuchtet,  oder  Von  röthlichem  Rauch  ein- 
gehüllt. Hier,  wo  das  Gesträuch  am  dichtesten  war, 
schreckte  das  Geschrey  eines  Thieres,    welches  uns  in 


l5o  Buch     P^. 

der  Nähe  zu  folgen  schien.  Es  war  ein  grolser  Tiger, 
der  seit  tlrey  Jahren  dies  Gebirge  durchstrich.  Er  war 
den  Nachstellungen  der  kühnsten  Jäger  allezeit  entgan- 
gen  ;  er  rauhte  Pferde  und  Maulthiere,  auch  aus  um- 
zäunten Käunien  ;  weil  es  ihm  aber  an  Nahrang  nicht 
fehlte,  so  halte  er  Menschen  noch  nie  angefallen.  Der 
Neger,  welcher  uns  begleitete,  erhob  ein  wildes  Ge- 
schrey,  wodurch  er  den  lig,er  zu  schrecken  glaubte, 
das  Mittel  blieb  natürlicli  ohne  Erfolg.  Der  Jaguar, 
wie  der  europäische  Wolf,  folgt  den  Wanderern,  wenn 
er  sie  auch  nicht  angreifen  will;  der  Wolf  thut  es  in 
freyem  Feld  und  im  ofi'enen  Lande  ;  der  Jaguar  folgt 
der  Ötrafse  seitwärts,  und  zeigt  sich  nur  von  Zeit  zu  Zeit 
im  Gebüsche. 

Den  23sten  verweilten  wir  im  Hause  des  Marquis 
del  Toro,  im  Dorfe  Guacara,  einer  sehr  ansehnlichen 
indianischen  Gemeine.  Die  Eingebornen,  deren  Cor- 
regidor,  Don  Pedro  Pennaiver,  ein  Mann  von  ausge- 
zeichneter Geistesbildung,  war,  geniefsen  einigen  W  ohl- 
sland.  Sie  halten  eben  in  der  Audiencia  einen  Procefs 
gewonnen,  der  ihnen  den  Besitz  von  Ländereyen  wie- 
der einräumte,  deren  Eigenthum  die  Weifsen  anges^pro- 
chen  hatten.  Eine  Carolinea-Allee  führt  von  Guacara 
nach  Mocundo.  Ich  sah  hier  zum  erstenmal  dies  pracht- 
volle Gewächs  im  Freyen,  das  unter  die  ersten  Zierden 
der  grofsen  Treibhäuser  von  Schönbrunn  gehört  '••'). 
Mocundo  ist  eine  reiche  Zuckerrohr  -  Pflan/.ung,  die 
der  Familie  von  Toro  angehört.     Man  triilt  da,  was  in 


*)  Alle  Stämme  der  Carolinca  princeps  in  Schönbrunn  sind 
aus  Saamen  gezogen,  welclic  die  Herren  Hose  und  Brede- 
meyer  von  einem  einzigen  Baume  von  ausnehmender  Grölse, 
in  der  ISähe  von  Chacao,  obhvärts  von  Caracas  gesammelt 
hatten. 


Kapitel     XVL  i5i 

diesem  Lande  selten  ist,  sogar  auch  „den  Luxus  der 
Agricuitur"  an,  einen  Gai'tcn,  künstliche  Gehölze  und 
am  Gestade,  auf  einem  Gneifsfelsen  *),  ein  Lusthäus- 
chen mit  einem  JMirador  odei'  ßelvedere.  Man  ge- 
niel'st  hier  einer  herrlichen  Aussicht  üher  den  nörd- 
lichen Theil  des  Sees,  über  die  umstehenden  Berge  und 
üher  einen  Wald  von  Palmbäumen,  welcher  Guacara 
von  der  Stadt  Nueva  Valencia  trennt.  Die  Zuckerrohr- 
felder gleichen  durch  das  zarte  Grün  der  jungen  Hohre 
einem  ausgedehnten  Wiesengrund.  Alles  verkündigt 
Ueberflufs,  aber  es  ist  dieser  auf  Unkosten  der  Freyheit 
der  Landbauer  erworben.  In  Mocundo  werden  mit 
280  Negern  77  tablones  oder  Rohrfelder  (^pieces  de 
Cannes^  angebaut,  deren  jedes  lo^ooo  Geviert- Vares  **) 
hält  und  einen  jährlichen  reinen  Ertrag  von  200  bis  240 
Piastern  abwirft.  Das  creolische  und  das  otaheitische 
Zuckerrohr  ***)  werden  im  Monat  April  gepflanzt,  das 
erstere^zu  4,  das  zweyte  zu  5  Fufs  Abstand.  Das  Rohr 
erreicht  nach  14  Monaten  seine  Reife.  Es  blüht  im  üc- 
tober,  wenn  die  Pflanze  ki'äftig  ist;  man  schneidet  aber 
die  Spitze  ab,  ehe  die  Rispe  sich  entvvickelt.  In  allen 
Monocotyledoneen  (der  in  Mexico  zu  Gewinnung  des 
Marks  gepflanzte  Maguey,  die  Weinpalme  und  das  Zu- 
ckerrohr) erleiden  die  Säfte  durch  die  Blüthe  Verände- 
rung.    Die  Gewinnung  des  Zuckers  (la  cuite  et  le  ter- 


**3  Riclitung  der  Gneifslager,  St.  3  —  4.     Incl.  80°  siitl-ösll. 

**)  Ein  Tablonzz.  1819  Geviert-Toisen,  begreift  ungefähr  1  i  Mor- 
gen;  indem  ein  gesetzlicher  Morgen  i3/J4  Gev.-T.  hat,  und 
1,  95  gesetzl.  Morgen  einen  Hectare  ausmacht. 

***)  Auf  der  Insel  Palma,  wo  unter  29°  der  Breite  das  Zucker- 
rohr, der  Angabe  des  Hrn.  v.  Buch  zufolge,  bis  auf  140 
Toisen  Höhe  über  der  Fläche  des  atlantischen  Meers  an- 
gebaut wird,    erheisclit  das  otaheitische  melu*  Wärme  als  das 

.  creolische  Piohn 


102 


Buch     F. 


rage)  ist  auf  der  Terra -Ferma  selir  mangelhaft,  weil 
man  nur  für  den  inneren  Verbrauch  fabricirt,  und,  für 
den  Ab- alz  im  Grofsen,  den  pape/on  den»  rafHnirten 
sowohl  als  dem  rohen  Zucker  vorzieht.  Dieser  papelon 
ist  ein  unreiner  Zuckei-,  von  gelbbrauner  Farbe,  in  ganz 
kleinen  Hüten,  Er  ist  mit  Melasse  und  schleimichten 
Materien  vermischt.  Die  ärmsten  Leute  speisen  pa- 
pelon, wie  man  in  Europa  Käse  ist.  Man  hält  ihn  all- 
gemein für  nährend.  Durch  Gährung  mit  Wasser  er- 
hält man  den  Giiaropo  daraus,  das  LieJ-Iingsgetränk  des 
Volks.  Zum  Auslaugen  des  Hohrsafts  bedi»Mit  man  sich 
iii  der  Provinz  Caracas,  statt  des  Kalks,  der  gereinigten 
Poltasche.  Vorzugsweise  wählt  man  die  Asche  vom  Bii- 
care ,    der  die  Erythrina  Corallodendron  ist. 

Wur  spät  erst,  wahrscheinlich  gegen  dem  Ende 
des  sechszehnten  Jahrhunderts,  ist  das  Zuckerrohr  von 
den  Antillen -Eilanden  in  die  Thäler  von  Aragua  ver- 
pflanzt worden.  Es  war  dasselbe  in  Indien,  in  China 
und  auf  allen  Inseln  des  stillen  Uceans  von  den  ältesten 
Zeiten  her  bekannt;  in  Persien  und  im  Chorasam  ist  es 
seit  dem  fünften  Jahi'hundert  unsrer  Zeitrechnung,  zur 
Gewinnung  des  harten  Zuckers  ")^  angebaut  worden. 
Die  Araber  haben  das,  den  Bewohnern  warmer  und 
gemäfsigter  Himmelsstriche  so  nützliche,  Kohrgewächs 
an  die  Küsten  des  Mittelmeers  vei'pÜanzt.  Im  Jahr  i3o6 
war  sein  Anbau  in  8icilien  noch  unbekannt,  während 
er  hingegen  auf  der  Insel  Cypern,  auf  Hhodis  und  in 
Morea    ""')    sich    schon  beträchtlich   verbreitet    hatte; 


*)  Siehe  meine  Unlersuchungen  über  den  Zucker  und  den  ta- 
basheer ^  dessen  indischer  IName  auf  den  Zucker  übergieng, 
in  den  Nov.  Gen.  et  Species ,  Tom.  I,  p.  24 j. 

**)  Zufolge  dtr  unler  dem  IVanien  von  Bongars,  Gesta  Dci 
pur  Francos^  bekannten  Sammlung  ^Sprenge/,  Geschichte  der 


Kapitel     XVL  i53 

hundert  Jahre  später  kamen  Calahrien;,  Sicilien  und  die 
Küsten  von  Spanien  in  den  Besitz  desselben.  Der  Infant 
Heinrich  verpflanzte  das  Zuckerrohr  aus  Sicilien  nach 
IVladeira*)^  von  Madeira  gieng  es  auf  die  (>anarischen 
Inseln  über,  denen  es  bis  dahin  völlig  fremd  geblieben 
war  j  denn  die  Feriilo?  des  Juba  ic/iiee  expressce  li- 
cjuorem  Jnndiint  poliii  jncundvin')  sind  Euphorbien, 
das  Tahayba  dnlce ,  und  keineswegs,  wie  neuerlich 
behauptet  ward  **'),  Zuckerrohr.  In  Kurzem  waren 
zwülf  Zuckerpflanzungen  Cmgenios  de  azucar")  auf  den 
Inseln  Grofs- Canaria  und  Palma,  und  zwischen  Adexe, 
Icod  und  Garachico,  auf  der  Insel  Teneriffa  zu  Stande 
gekommen.  Man  gebrauchte  die  Neger  für  ihren  An- 
bau, und  die  INaclikommen  derselben  bewohnen  jetzt 
noch  die  Grotten  von  Tiiaxana  in  Grofs -Canai-ia.  Seit- 
dem das  Zuckerrohr  nach  den  Antillen  verpflanzt  ist, 
und  die  Neue  Welt  den  Mais  auf  die  u-lückseligfen  Inseln 
(lies  fortunees)  übertrug,  hat  die  Cultur  dieses  letzterem 
Grasgewächses  auf  Grofs-Canaria  den  Bau  des  Zucker- 
rohrs verdrängt.  Gegenwärtig  findet  sich  dieses  nur 
noch  auf  der  Insel  Palma ,  in  der  Gegend  von  Argual 
und  Tazacorte  ***),  wo  es  jährlich  kaum  tausend  Centner 
Zucker  erträgt.  Das  canarische  Rohr,  v/elches  Aguilon 
nach  St.  Domingue  gebracht  hat,  ward  daselbst  imGros- 


geogr.  Entdeckungen.,  p.   186).     Alexandri  Benedict iy  Opera 

med.y  1649;  p-   i5o. 
*)  Ramusio,  Tom.  I,  p.    106. 
**)  Uelier  den  Ursprung  des  Rohrzuckers   im  Journ.   de  Phar- 

macie ^    1816,    p.  38/.      Das   Tabayba  dulce   ist,    nach  Hrn. 

V.  Ruch,  die  Euphorbia  balsamifera,  deren  Saft  nicht  ätzend 

und  bitter  ist,  wie  der  des   Cardoa  oder  der  Euphorbia  ca- 

nariensis. 
***)  Bericht  über  die  Zuckercultur  auf  den  canarischen  Inseln^ 

durch  Hrn.  Leopold  v.  Bush.     (Handschrift.) 


i54  B  u  c  li     '/. 

sen  seit  i5i3  oder  in  den  sechs  bis  sieben  darauf  folgen- 
den Jahren  unter  der  Leitung  der  Mönche  des  h.  Hiero- 
nynius  angebaut  *}.  Gleich  anfangs  wurden  die  I\eger 
in  diesen  Pflanzungen  gebraucht,  und  im  Jahr  i5i9 
ward  der  Regierung  bereits  schon  vorgestellt,  wie  noch 
heutzutage  geschieht,  „dafs  die  Antillen  verloren  wären 
und  üde  bleiben  niüfsten,  wofern  nicht  alljährlich  Sclaven 
von  der  Guinea-Küste  dahin  gebracht  würden  ^^'■•'_)." 

Es  sind  der  Anbau  sowohl  als  die  Gewinnung  des 
Zuckers  seit  einig-en  Jahren  auf  der  Terra -Firma  be- 
deutend  vervollkommnet  worden  ;  und  weil  die  Ge- 
setze auf  Jamaica  das  Verfahren  des  Raffinirens  nicht  ge- 
statten, so  glaubt  man  auf  die  Ausfuhr  des  geläuterten 
Zuckers  durch  den  Schleichhandel  nach  den  brittischen 
Colonien  rechnen  zu  können.  Indefs  ist  der  Verbrauch 
in  den  Provini,en  von  Venezuela,  in  Papelon  sowohl 
als  in  Rohzucker,  für  die  Bereitung  von  Chocolat  und 
Confituren  (^dalces'y  so  ungeheuer,  dafs  bis  dahin  über- 
all keine  Ausfuhr  statt  fand.  Die  schönsten  Zuckerpflan- 
zungen befinden  sich  in  den  Thälern  von  Aragua  und 
Tuy  **'"');  in  der  Nähe  von  Pao  de  Zarate,  zwischen 
Vittoria  und  San  Sebastian  *^^**)5  in  der  Gegend  von 
Quatire,  Guarenas  und  Caurimare  f).  Wenn  die  ersten 
Zuckerrohre  von  den  Canarischen  Inseln  nach  der  Neuen 
Welt  gebracht  wurden,    so  sind  es  überhaupt  auch  Ca- 


*)  Herera^   Dec.  2,  1.  3,    c.   14.      Vergl.    meinen  Essai  poIU. 

sur  la  Noiii>.  Espagne^  Tom.  2,  p.  425. 
**)  Uerera^  Dec.  2,  1.  5,  c.  5. 

***)  Tapatapa,  oder  Trinidad,  Cura,  Mocundo,  El  Palmar. 
****)  Zum  Beyspiel  die  Hacienda  de  Santa  Rosa, 
t)  Preise,  in  den  Thälern  von  Aragua :  papelon,  Hut  von  2  \  Pf. 

Gewicht,   \  real  de  plata  oder   ,'5   eines  harten  Piasters  ;  1  PI*. 

r«oh7,ucl;cr ,   1  real;   1   Pf.  >Teifser  Zucker,   1  bis   \\  real. 


Kapitel     Xn.  i55 

narler  oder  Islengos ,  die  noch  heutzutage  den  grofsen 
Pflanzungen  vorstehen,  und  die  Arbeiten  beym  Anbau  so- 
wohl als  bey  der  Gesinnung  und  Läuterung  des  Zuckers 
leiten. 

Die  nämliche  genaue  Verbindung  mit  den  Cana- 
rischen  In^elll  und  ihren  Bewohnern  hat  auch  die  Ein- 
führung der  Kanieele  in  die  Provinzen  von  V^enezuela 
veranlafst.  Der  Marquis  del  Toro  liefs  drey  derselben 
von  Lar.cerota  kommen.  Die  Kosten  der  Ueberfahrt 
waren  sehr  beträchtlich,  theils  um  des  haunjes  willen, 
den  diese  Thiere  auf  Kauffahrtheyschiflfen  einnehmen, 
theils  wegen  der  grofsen  Menge  süfsen  Wassers,  wel- 
ches ihnen,  bey  der  sie  in  einen  leidenden  Zustand  ver- 
setzenden langen  Reise,  erforderlich  wird.  Das  nämliche 
Kaineel,  dessen  Ankauf  nur  dreyfsig  Piaster  gekostet 
hatte,  kam  nach  der  Ankunft  auf  den  Küsten  von  Ca- 
racas auf  aclithundert  bis  neunhundert  Piaster  zu  stehen. 
Wir  sahen  diese  1  hiere  in  Mocundoj  von  vieren  waren 
drey  bereits  in  America  geboren.  Zwey  waren  am  Bifs 
des  Coral y  einer  am  tseeufer  häufig  vorkommenden  gif- 
tigen Schlange,  gestorben.  Bis  dahin  hat  man  sich  die- 
ser Kameele  aus^chliefslich  nur  für  den  Transport  des 
Zuckerrohrs  auf  die  Mühlen  bedient.  Die  männlichen 
Thiere,  welche  stärker  als  die  weiblichen  sind,  tragen 
40  bis  5o  arrobes.  Ein  reicher  Gutsbesitzer  in  der  Pro- 
vinz Varinas,  durch  das  Beyspiel  des  Marquis  del  Toro 
aufgemuntert,  hat  eine  Summe  von  i5,ooo  Piaster  be- 
stimnjt,  um  gleichzeitig  14  oder  i5  Kameele  von  den 
Canarischen  Inseln  kommen  zu  lassen.  Es  sind  diese 
Unternehmungen  um  so  lobenswerther,  weil  man  ge- 
sinnt ist,  sich  der  Lastthiere  für  den  Waarentransport 
durch  die  heifsen  Ebenen  von  Casanare,  von  Apure  und 
von  Calahozo  zu  bedienen,  die  in  der  trockenen  Ji»hrs- 
zeit  den  afiicanischen  Wüsten  gleichen.     Ich  habe  schon 


i56  B  u  c  h     V. 

andersvYO  *)  die  Bemerkung  gemacht,  wie  wünsclibar 
es  gewesen  wäre,  die  Conqiiistadores  hätten  gleich  zu 
Anfang  des  sechszehnten  Jahihunderts  America  mit  Ka- 
meelen versehen,  wie  sie  ihm  Hornvieh,  Pferde  und 
Maulthiere  hrachten.  Allenthalben,  wo  in  unbewohn- 
ten Gegenden  Wanderungen  durch  ausgedehnte  Land- 
schaften geschehen  müssen,  überall,  wo  der  Bau  von 
Canälen  unthunlich  ist,'"  weil  sie  allzuviele  Schleufsen 
erfordern  würden  (wie  in  der  Landenge  von  Panama, 
auf  dem  Plateau  von  Mexico,  in  den  Wüsten,  welche 
das  Königreich  Quito  von  Peru,  und  Peru  von^  Chili 
trennen),  wären  Kamecle  für  die  Erleichterung  des  in- 
neren Verkehrs  buchst  wichtig.  Es  befremdet  um  so 
mehr,  dafs  ihre  Einführung  nicht  gleich  im  Anlang  der 
Besitznahme  des  Landes  durch  die  Regierung  befördert 
ward,  da  doch  lange  nach  der  Einnahme  von  Granada 
die  Kameele,  für  welclie  die  Mauren  eine  grofse  Vor- 
liebe besafsen ,  im  mittäglichen  Spanien  noch  häufig 
vorkamen.  Ein  Biscaier,  Juan  de  Reinaga,  halte  auf 
eigene  Kosten  etliche  dieser  Thiere  nach  Peru  gebracht. 
Der  Pater  Acosta  **)  hat  dieselben  am  Fufs  der  Anden 
gegen  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts  gesehen  j 
weil  sie  aber  nur  schlechte  Pflege  hatten,  so  pflanzten 
sie  sich  auch  wenig  fort,  und  ihr  Stamm  gieng  völlig 
aus.  In  jenen  Zeiten  der  Bedrückung  und  des  Unglüchs, 
welche  als  die  Zeiten  des  spanischen  Ruhmes  geschildert 
worden  sind,  wurden  den  Reisenden  von  den  Conunen- 
datiu-ien  (^Encomenderos)  die  Indianer  wie  Laslthiere 
vermiethet.  Sie  wurden  bey  Hunderten  gebraucht,  theils 
zum  Waarentransport  über  die  Cordilleren ,    theils  als 


*)    Essai  po/it.  sur   la   Nou,\   Esp.,    Tom.    i,    p.    25;     T.    t. 

p.    689. 
**)   Hist.  Nat.  d*  Indiasy  Lib.  4,  c.  55. 


Kapitel     XVI.  \bl 

Gefolge  der  Armeen  bey  den  auf  Entdeckungen  und 
Raub  ausgehenden  Zügen.  Die  Eingebornen  ertrugen 
diesen  Dienst  um  so  geduldiger ^  als  sie,  bevm  fast  völ- 
ligen Mangel  an  Hausthieren,  dazu  längst  schon,  zwar 
auf  eine  minder  grausame  Weise,  auch  unter  der  Re- 
gierung ihrer  eigenen  Häuptlinge  waren  angehalten 
worden.  Die  durch  Juan  de  R^einaga  versuchte  Einfüh- 
rung der  Kameele  versetzte  tkie  Encomei^deros ,  welche 
nicht  zwar  gesetzlich,  aber  factisch ,  die  Oberherren 
(seigneurs)  der  indischen  Dörfer  waren  ,  in  nicht  ge- 
ringe Bestürzung.  Man  wird  sich  nicht  wundern,  dals 
der  Hof  den  Beschwerden  dieser  mächtigen  Herren  Ge- 
hör gab  ;  allein  die  Folge  der  Mafsnahme  war,  dafs  Ame- 
rica eines  der  kräftigsten  Mittel  missen  mufste,  w^odurch 
die  inneren  Verbindungen  und  der  Austausch  der  Län- 
dererzeugnisse erleiclitert  werden  konnte.  Gegenwär- 
tig, da  seit  der  Regierung  R.önig  Karls  III.  die  Indianer 
nach  billigeren  Grundsätzen  regiert  werden,  und  da  sich 
allen  Zweigen  der  National-Industrie  ein  freyeres  Feld 
öffnet,  sollte  die  Einführung  der  Kameele  im  Grofsen 
und  durch  die  Regierung  selbst  versucht  werden.  Ei- 
nige Hunderte  dieser  nützlichen  Thiere,  auf  dem  wei- 
ten Umfang  von  America,  an  warme  und  trockene  Orte 
verlheilt,  würden,  in  wenig  Jahren,  einen  spürbaren 
Einflufs  auf  die  Beförderung  des  öffentlichen  Wohlstands 
haben.  Durch  Steppen  getrennte  Provinzen  würden 
einander  dadurch  näher  gerückt  werden:  verschiedene 
Erzeugnisse  des  inneren  Landes  würden  an  den  Küsten 
im  Preise  fallen,  und  durch  Vermehrung  der  Kameele, 
vorzüglich  der  hedjines ,  der  Gejüfse  der  IViiste  (vais- 
seaux  du  desert),  würden  Gewerbfleifs  und  Handel  in 
America  neues  Leben  erhalten. 

Am  22sten  Abends  setzten  wir  unsern  Weg  von  Mo- 
cundo  durch  Los  Guayos  nach  der  Stadt  Nueva  Valencia 


i58  B  u  c  h    r. 

fort.  Man  kommt  durch  ein  kleines  Gehölz  von  Palm- 
bäumen, deren  Wuchs  und  fächerförmige  Blätter  dem 
Chanierops  humilis  der  Küsten  der  Barbarey  i;leichen. 
Ihr  Stamm  erreicht  jedoch  eine  Höhe  von  24,  bisweilen 
auch  3o  Fufs.  Wahrscheinlich  ist  es  eine  neue  Art  der 
Gattung  Coryplui  *)  5  die  Landeseinwohner  nennen  sie 
Palma  de  Sombrero ,  indem  ihre  Blattstiele  zum  Flech- 
ten der  Hüte  gebraucht  werden,  die  unsern  Strohhüten 
ähnlich  sind.  Dies  Palmengehölz,  dessen  ausgedörrte 
Blätter  beym  geringsten  W4nde  ertönen,  diese  in  der 
Ebene  weidenden  Kameele,  diese  wellenförmige  Bewe- 
gung der  Dünste  über  eine  durch  die  Sonnenljitze  ver- 
brannte Erde  geben*"  der  Landschaft  ein  aiVicanisches 
Aussehen.  Die  Dürre  des  Bodens  nimmt  zu,  nach  Mafs- 
gabe  wie  man  sich  der  Stadt  nähert  und  über  das  west- 
liche Ende  des  Sees  hinauskommt.  Es  ist  ein  vom  Was- 
ser geebneter  und  verlassener  Thonboden.  Die  benach- 
barten Hügel,  IMorros  de  l  aleucia  genannt,  bestehen 
aus  weifsem  Tuir,  einer  sehr  neuen  Kalkformation,  die 
unmittelbar  über  dem  Gneifs  liegt.  Sie  findet  sich  wie- 
der in  la  Viltoria  ,  und  auf  mehreren  anderen  Stellen, 
längs  der  Heile  des  Küstenlandes.  Die  Weifse  dieses, 
Tuffs,  der  die  Sonnenstrahlen  zurückwirft,  befördert 
die  grolVe  Hitze,  welche  hier  herrscht.  AHcs  erscheint 
unfruchtbar  und  öde;  kaum  finden  sich  einige  Stämme 
des  (>acaobaunis  an  den  Gestaden  des  Rio  de  Valencia; 
das  übrige  Haclie  Land  ist  nackt  und  ohne  allen  Pflan- 
zenwuchs. Dieser  Anschein  von  Unfruchtbarkeit  wird 
hier,  wie  überall  in  den  Thälern  von  Aragua,  dem  An- 
bau des  Indigo  zugi'schriiben,  der,  wie  die  Colonisten 
behaupten,  das  Erdreich  unter  allen  Gewächsen  am  mei- 
sten erschöpft  (^cansa).     Es  wäre  der  Mühe  werth,  die 


*>  Coryp]»a  tectorum;  I^^oi^a  Gen.,  Tom.  I,  p.  299. 


Kapitel     XVL  169 

waliren  physischen  Ursachen  dieser  Erscheinung-  ge- 
nauer zu  ergründen;  j|ie  ist,  wie  die  Wirkungen  der 
Brache  und  der  Wechselvvirthscliaft,  noch  lange  nicht 
hinlängüch  aufgeklärt.  Ich  heschränko  mich  hier  auf 
die  allgemeine  Bemerkung,  dafs  die  Klagen  üher  die 
zunehmende  Untruchtharkeit  des  angehauten  Landes  in 
den  Tropenländern  um  so  allgemeiner  sind,  je  näher 
man  sicli  dem  Zeitpunct  der  ersten  Urharmachung  he- 
findot.  In  einer  mit  keinem  Rasen  hedeckten  Gegend, 
wo  jede  Pflanze  einen  holzigen  Stamm  hat  und  strauch- 
artig emporwächst,  hleiht  die  jungfräuliche  Erde  he- 
schattet,  sey  es  durch  hohe  Bäume  oder  durch  Sträu- 
cher. Unter  diesem  dichten  Schatten  erhalten  sich  üher- 
all  Kühle  und  Feuchtigkeit.  Wie  kräftig  auch  der  Pflan- 
zenwuchs in  den  Tropenländern  erscheint,  so  ist  doch 
die  Zahl  der  in  die  Erde  dringenden  Wurzeln  im  unhe- 
hauten  Lande  so  grols  nicht,  während  die  Pflanzen  auf 
cultivirtem,  mit  Indigo,  Zuckerrohr  oder  Manioc  über- 
decktem Land  näher  heysammen  stehen.  Die  mit  Aesten 
und  Blättern  überladenen  Bäume  und  Sträucher  ziehen 
einen  grofsenTheil  ihrer  Nahrung  aus  der  sie  umgeben- 
den Luft,  und  die  Fruchtbarkeit  des  jungfräulichen  Bo- 
dens vermehrt  sich  durch  die  Zersetzung  des  fortschrei- 
tend anwachsenden  vegetabilischen  Stofl'es.  Anders  ver- 
hält es  sich  in  dem,  mit  Indigo  oder  andern  Kraulgewäch- 
sen bedeckten  Land.  Hier  dringen  die  Sonnenstrahlen 
ungehindert  in  die  Erde,  und  zerstören,  durch  die  be- 
schleunigte Verbrennung  der  Verbindungen  des  schwe- 
felhaltigen Wasserstoffgases  mit  Kohlenstoff  und  andern 
sauerbaren  Grundlagen,  die  Keime  der  Fruchtbarkeit. 
Diese  Ergebnisse  stellen  sich  der  Phantasie  der  Colo- 
nisten  um  so  auffallender  dar,  weil  sie  die  Fruchtbarkeit 
eines  seit  Jahrtausenden  sich  selbst  überlassen  gewese- 
nen Bodens  mit  dem  Ertrag  des  angebauten  Landes  y%V' 


i6o  B  II  c  h    F, 

gleichen.  Hinsichtlich  auf  die  Erzeugnisse  des  Land- 
haus besitzen  die  spanischen  Colonien  des  Festlandes 
und  die  grofsen  Inseln  von  Porto- Rico  und  Cuha  heut- 
zutage bedeutende  Vortheile  gpgen  die  kleinen  Antillen. 
V^ermüge  ihrer  Ausdehnung,  der  Verschiedenheit  ihrer 
Landschaften  und  ihrer  verliältnifsmäfsig  geringen  Be- 
völkerung tragen  die  erstem  noch  alle  Kennzeichen  ei- 
nes neuen  Erdreichs;  während  auf  Barbados,  auf  Ta- 
bago,  auf  Sainte  Lucie,  auf  den  Jungfrau-Eilanden  und 
im  französischen  Theil  von  St.  Domingue  spürbar  wird, 
dafs  die  andauernde  Cultur  das  Land  zu  erscliöpfim  an- 
fängt. Würde  man  in  den  Thälern  von  Aragua,  statt 
die  Indigo  Pflanzungen  aufzugeben  und  dieFeldiM-  brach 
liegen  zu  lassen,  diese  letztern  einige  Jahre  hindurch, 
nicht  mit  Cerealien- Grasarten,  aber  mit  anderen  Nah- 
runüfs-  und  Futter-Pflanzen  decken;  würde  man,  unter 
diesen  Pflanzen,  solche  auswählen,  die  ungleichen  Fa- 
milien angehören,  und  mit  ihren  breiten  Blättern  den 
Boden  beschatten,  so  möchten  dadurch  nach  und  nach 
die  Felder  verbessert,  und  ein  Theil  ihrer  vormaligen 
Fruchtbarkeit  wiederhergestellt  werden. 

Die  Stadt  Nueva  Valencia  nimmt  einen  bedeutenden 
Flächenraum  ein,  ihre  Bevölkerung  hingegen  beträgt 
kaum  seciis-  bis  siebentausend  Seelen.  Die  Strafsen  sind 
sehr  breit,  der  Marktplatz  iplaza  mayor')  hat  eine  über- 
mäfsiire  Gröfse ,  und,  weil  die  Häuser  ungemein  ni'e- 
driar  sind,  so  erscheint  das  Mifsverhältnifs  zwischen  der 
Bevölkerung  der  Stadt  und  dem  Raum,  welchen  sie  ein- 
nimmt, noch  ijröfser  als  in  Caracas.  Viele  Welfse,  von 
europäischem  Stamme,  besonders  die  ärmern,  verlassen 
ihre  Häuser,  und  leben  die  meiste  Zeit  des  Jahres  auf 
ihren  kleinen  Indigo- und  Baumwoll-Pflanzungen.  Sie 
dürfen  hier  ihr  Land  selbst  bearbeiten,  was  nach  ein- 
gewurzelten Vorurtheilen  in  der  Stadt  entehrend  für  sie 

wäre. 


Kapitel     XVI.  i6i 

wäre.  Der  Gewex'bfleifs  fängt  allgemein  zu  eru.ichen 
an.  und  die  Baumwoll-Pflanzungen  haben  sich  beträcht- 
lich virmehrl,  seitdem  Handel  von  Porto-Cabello  neue 
Freyheiten  ertheilt  worden  sind,  und  seit  dieser  Hafen 
(im  Jahr  179S)  als  Grofshafen  (^Puerto  mayor^  den  un- 
niitti^lbar  aus  dem  Mutterstaat  Kommenden  Schilfen  ge- 
öffnet ward. 

Nueva  Valencia,  im  Jahr  i555  unter  Villacindas 
Regierang  durch  Alonzo  Diaz  Moreno  gegründet,  ist 
zwölf  Jahre  älter  als  Caracas.  Wir  haben  bereits  an- 
deiswo  gezeigt,  dafs  die  spanische  Bevölkerung  in  Ve- 
nezuela von  Westen  nach  Osten  vorgerückt  ist.  Va- 
lencia war  anfangs  nur  eine  »Zugehör  von  Burburata, 
allein  diese  letztere  Stadt  ist  zu  einer  Embarcadere  für 
Maultliiere  herabgesunken.  Man  l^edauert  es,  und  viel- 
leicht mit  Grund,  dafs  Valencia  nicht  die  Hauptstadt  des 
Laüdes  geworden  ist.  llire  Lage,  auf  einer  Ebene,  am 
Seeiiestade,  würde  an  die  Lage  von  Mexico  erinnern, 
Beyin  Nachdenken  über  die  leichten  Verbindungen, 
w  eiche  die  Thäler  von  Aragua  mit  den  Ltlanos  und  den 
in  den  Orenoko  ausmündenden  Flüssen  darbieten,  und 
wenn  man  sich  die  Möglichlteit  denkt,  die  innere  SchifF- 
fahrt  durch  den  Rio  Hao  und  die  Portuguesa  bis  zu 
den  Mündungen  des  Orenoko  an  den  Cassiquiare  und 
Ania/.onen-Flufs  zu  öffnenj  begreift  man,  dafs  die  Haupt-' 
Stadt  der  weitläufigen  Provinzen  von  Venezuela  in  der 
INähe  des  prachtvollen  Hafens  von  Porto-Cabello,  unter 
einem  reinen  und  heitern  Himmel,  besser  stünde^  als 
in  der  Nähe  der  nur  wenig  geschützten  Rhede  von  la 
Guavra,  in  einem  gemäfsigten,  aber  stets  nebligten 
Thale.  Dem  Königreich  von  JNeu-Oranada  näher  ge- 
rückt, und  den  fruchtbaren  Getreidefeldern  Von  V'ittoria 
und  liaitjuesimito  zwischen  inne  liegend,  hätte  Valencia 
gedeihen  mögen  ;    so  aber  konnte  diese  Stadt,  ihrer  Vor- 

yllex.   U     Humboldts  hist.    Reisen.  III-  j  j 


102  -ß  II  c  h     A. 

züge  unerachtel^  neben  Caracas  nicht  aufkommen,  wel- 
ches ihr,  im  Laufe  zvveyer  Jahrhunderte,  einen  grolscii 
Theil  ihrer  Bewohner  enlzos^en  hat.  Die  Familien  der 
Mantuanos  wollten  lieher  in  der  Hauptstadt,  als  in  einer 
Provinzialstadt,    wohnen. 

Wer  die  zahllose  Menge  Ameisen  nicht  kennt,  von 
denen  alle  Länder  der  heifsen  Zone  geplagt  sind,  der 
mag  sich  kaum  einen  Begriff  machen  von  den  Zerstö- 
rungen und  von  dem  Versinken  des  Bodens,  die  diese 
Jnsecten  verursachen.  Sie  sind  auf  dem  Erdreich  der 
Stadt  Valencia  in  so  ungeheurer  Anzahl  vorhanden,  dafs 
ihre  Ausgrabungen  unterirdischen  Canälen  gleichen,  die 
sich  zur  Regenzeit  mit  Wasser  anlullen  und  den  Gebäu- 
den sehr  gefährlich  werden.  Bis  dahin  hat  man  die  aus- 
serordentlichen Mittel  nicht  angewandt,  welche  zu  An- 
fang des  sechszehnten  Jahrhunderts  auf  der  Insel  St.  Do- 
mingue  ergriffen  wurden,  als  die  schönen  Thal-Ebenen 
von  La  Vega  und  die  reichen  Besitzungen  des  Franzis- 
caner-Ordens  durch  Ameisen- Schwärme  verheert  wur- 
den. Die  Mönche,  nachdem  sie  die  Larven  dieser  In- 
sectcn  ohne  Erfolg  verbrannt  und  Käuclierungen  ver- 
sucht hatten,  riethen  den  Einwohnern,  durch's  Loos 
einen  Heiligen  zu  bezeichnen,  der  als  ^bagado  contra 
las  Hormigas  dienen  sollte  *),  Die  Ehre  ward  dem  h. 
Saturnin  zu  Theil,  und  die  Ameisen  verschwanden,  so- 
bald das  erste  Fest  dieses  Heiligen  gefeyert  ward.  Der 
Unglaube  hat  seit  den  Zeiten  der  Eroberung  grofse 
Forlschritte  gemacht,  und  nur  auf  dem  Rücken  der 
Cordilleren  traf  ich  eine  kleine  Capelle  an,  die,  ihrer 
Insclirift  zufolge,  für  die  Gebete  bestimmt  ist,  welche 
zum  Behuf  der  Zerstörung  der  Termiten  dem  Himmel 
■Übermacht  werden. 


*)  Berrcra,  Decad.  II,  I^.  5;  Cap.   14. 


Kapitel     XVI.  l63 

Valencia  bietet  einige  historisclie Erinnerungen  dar; 
allein  diese  Erinnerungen,  so  wie  alles,  was  die  Co- 
lonien  angeht,  reichen  nicht  weit  hinauf,  und  heziehen 
sich  entweder  auf  bürgerliche  Zwiste  oder  auf  blutige 
Gefechte  mit  den  Wilden.  Lopez  de  Aguirre,  dessen 
Schal. dthalen  und  Abenteuer  eine  ausgezeichnet  dra- 
matische Episode  in  der  Gechichte  der  Eroberung  bil- 
den, begab  sich  im  Jahr  i56i,  aus  Peru,  auf  drm  Ama- 
zonen-^trom  nach  der  Margaretha  Insel,  und  von  hier, 
durch  den  Hafen  von  burhurata,  in  die  Thäler  von  Ara- 
gua.  Bey  seiner  Ankunft  in  Valencia,  die  auf  den  Na- 
men der  königlichen  Stadt  stolz  ist,  kündigte  er  die 
.Unabhängigkeit  des  Landes  und  die  Ent.etzung  Phi- 
lipp's  II.  an.  Die  Einwohner  zogen  sich  auf  die  Inseln 
des  Tacarigua-Sees  zurück,  und  nahmen  zu  Sicherung 
ihres  Rückzugs  alle  Boote  vom  Ufer  mit  sich.  Diese 
Kriegslist  setzte  den  Aguirre  in  den  Fall,  nur  gegen 
seine  eignen  Leute  Grausamkeit  üben  zu  können.  In 
Valencia  schrieb  er  jenen  berüchtigten  Brief  an  den 
König  von  Spanien,  worin  die  Lebensart  und  Sitten 
des  Kriegsvolks  im  sechszehnten  Jahrhundert  mit  einer 
furchtbaren  Wahrheit  geschildert  sind  *).  Der  Tyrann 
(mit  diesem  ISamen  wird  Aguirre  noch  heutzutage  von 
dem  Volke  bezeichnet^,  der  Tyrann  rühmt  sich  wechsels- 
weise seiner  Verl»rechen  und  seiner  Frömmigkeit;  er  er- 
theilt  dem  König  Katlischläge  über  die  Regierung  der 
Colonien  und  die  Einrichtung  der  Missionen.  IVlitten 
unter  wilden  Indianern  und  auf  der  Fahrt  durch  ein 
grofses  Süfswasser  Meer,  wie  er  den  Amazonen-Strom 
nennt,  „schrecken  ihn  Martin  Luther's  Ketzereyen  und 
der  zunehmende  Einflufs  der  Schismatiker  in  Europa. ^^ 
Lopez  de  Aguirre  ward,  nachdem  ihn  seine  Leute  ver- 


*)  Siehe  die  ^'ote  A  am  Schlüsse  de»  fünften  Buch«. 


i64  B  II  c  h    y, 

lassen  hatten^  in  Barquesimelo  getödtet.  Im  Augenblick 
seiner  Niederlage  stiefs  er  seiner  einzigen  Tochter  einen 
Dolch  in  die  Brust,  ^^um  ihr  die  Schande  zu  ersparen, 
von  den  Spaniern  die  Tochter  eines  Verräthers  eenannt 
zu  werden/^  Die  Seele  des  Tyrannen  (so  glauben 
die  Eingebornen)  irrt  in  den  Savanen  herum,  wie  eine 
Flamme,  welche  die  Nähe  der  Menschen  tjicht  ■•')• 

Das  zweyte  geschichtliche  Ereignifs,  das  sich  dem 
Namen  von  Valencia  anschliefst,  ist  der  grofse  U eberfall 
der  Cariben  vom  Orenoko  in  den  Jahren  1578  und  i58o. 
Diese  Antropophagen-Horde  war  an  den  Gestaden  des 
Guarico  herauf,  über  die  Ebenen  der  Ltlanos  gekom- 
men. Sie  ward  glücklich  zurückgetrieben  durch  die 
Tapferkeit  von  Garci-Gonzalez,  einen  der  Kriegshaupt- 
leute, deren  Namen  jetzt  nocli  in  diesen  Provinzen  in 
hohen  Ehren  steht.  Man  erinnert  sich  gern,  dafs  die 
Nachkommen  dieser  nämlichen  Cariben  gegenwärtig  in 
den  Missionen  als  friedliche  Pflanzer  leben,  und  dafs 
kein  wilder  Volksstamm  aus  Guiana  die  Ebenen  zu  durch- 
ziehen wagt,  welche  die  Region  der  Waldungen  von 
derjenigen  des  angebauten  Landes  trennen. 

Die  K^üsten  Cordillere  ist  von  mehreren  Bergschluch- 
ten durchschnitten,  welche  sehr  einförmig  von  Süd-Ost 
nach  Nord-West  gerichtet  sind.  DieseErscheinung  zeigt 
sich  allgemein  von  la  Ouebrada  de  Tocume,  zwischen 
Petarez  und  Caracas,  bis  nach  Porto- Cabello.  Man 
sollte  glauben,  der  Stofs  sey  überall  von  Süd-Osl  her 
gekümineii,  und  es  ist  diese  Thatsache  um  so  auffallen- 
der, als  die  Gneifs-  und  Glimmerschiefer- Schichten  in 
den  Küsten-Cordilleren  allgemein  ihre  Richtung  von  Süd- 
West  nach  Süd-Ost  haben.  Die  meisten  jener  Schluch- 
ten dringen  auf  der  Mitlagsseite  in  die  Berge  ein^  ohne 


•)  Siehe  oben,  Th.  I.  S.  480. 


Kapitel    XVI.  i65 

sie  ganz  zu  durchschneiden;  aher  im  Mittagskreis  von 
Nueva  Valencia  befindet  sich  eine  OefTnung  (^Abra)y  die 
nach  der  Küste  führt,  und  wodurch  alle  Abende  ein 
sehr  kühlender  Seewind  die  Tliälcr  von  Aragua  heim- 
sucht. Die  Brise  stellt  sich  rcgelmäfsig  zwey  his  drey 
Stunden  nach  Sonnenuntergaiii»-  ein. 

Durch  diese  Abra,  durch  den  Meyerhof  von  Bar» 
bula  und  durch  einen  östlichen  Seitenarm  der  Berg- 
schlucht wird  eine  neue  Strafse  von  Valencia  nach 
Porto  -  Cabello  eröft'net.  Sie  wird  so  sehr  abkürzen, 
dafs  man  in  vier  Stunden  den  Hafen  erreicht,  und  dafs 
man  am  gleichen  Tag  aus  den  Thälern  von  Aragua  die 
Küsten  besuchen  und  wieder  zurück  seyn  kann.  Um 
uns  mit  dieser  Strafse  bekannt  zu  machen,  unternahmen 
wir  am  26.  Hornung  Abends  einen  Ausflug  nach  dem 
Meyerhofe  Barbula,  in  Gesellschaft  seiner  Eigenthümer, 
der  liebenswürdigen  Familie  der  Arambury. 

Am  27sten  Vormittags  -brauchten  wir  die  warmen 
Quellen  der  Trinchera ,  welche  drey  Meilen  von  Va- 
lencia entfernt  liegen.  Die  Bergschlucht  ist  sehr  breit, 
und  man  steigt  vom  Seegestade  fast  ununterbrochen  ge- 
gen die  Meeresküsten  herunter.  Trinchera  führt  seinen 
Namen  von  den  kleinen  Festungswerken,  die  durch 
französische  Filibustiers,  welche  die  Stadt  Valencia  aus- 
plünderten, im  Jahr  1677  errichtet  wurden.  Die  war- 
men Quellen  (diese  geologische  Thatsache  ist  bemer^ 
kensvverth)  kommen  nicht  auf  der  Südseite  der  Berge 
zum  Vorschein,  wie  diejenigen  von  Mariara,  Onota 
und  vom  Brigantin ;  sie  gehen  vielmehr  in  der  Kette 
selbst  fast  am  nördlichen  Abhang  zu  Tage.  Sie  sind 
gar  viel  reichhaltiger,  als  alle,  welche  wir  bisher  ge-, 
sehen  hatten,  und  sie  bilden  einen  kleinen  Flufs,  wel- 
cher zur  Zeit  der  grofsten  Trockenheit  zwey  Fufs  tief 
und  achtzehn  breit  ist.      Die  sorgfältig  aufgenommene 


i66  B  u  c  h     r. 

Temperatur  des  Wassers  war  90°,  3  des  hunderttheillgen 
Wärmemessers.    JNach  den  Quellen  von  Urjjino  in  Japan, 
die,    wie  man  versichert ,    reines  Wasser  sind  und  eine 
Temperatur  von  100°  zeigen ,    scheinen  die  Wasser  der 
Trinchera  zu  den  heifsesten  unter  allen  bekannten    zu 
gehören.      Wir  frühstückten  bey  der  Quelle,     -tyer,  die 
in  dieses  Thermalwasser  gelebt  wurden,    waren   inner- 
halb vier  Minuten  weich  gesotten.    Es  entspringen  diese 
mit  geschwefeltem  Wasserstoff  stark  geschwängerten  Ge- 
wässer auf  dem  Obertheil  eines  Hügels,    der   i5o  Fufs 
über  den  Grund  der  Bergschlucht  erhaben  ist,    und  in 
der  Richtung  von  Süd -Süd -Ost  gen  INord- INord- West 
steht.      Das  Gestein,   woraus  die  Quellen  zu  Tage  kom- 
men,   ist  ein  grobkörniger,    wahrhafter  Granit,    dem- 
jenigen der  Teufels-Mauer   in  den  Bergen  von  Mariara 
ähnlich.     Ueberall,   wo  die  Wasser  in  die  Luft  verdun- 
sten, bilden  sie  Niederschläge  und  Steinrinden  von  koh- 
lensaurer Kalkerde.     Vielleicht  nehmen  sie  ihren  Weg 
über  Lager  von    Urkalkstein,    der  im  Glimmerschiefer 
und  Gneifs  der  Küsten  von  Caracas  so  häufig  vorkommt. 
Wir  er.^aunlen  über  den  üppigen  Pflanzenwuchs  um  das 
Becken  her.     Mimosen  mit  zarten  und  gefiederten  Blät- 
tern,   Clusien   und  Feigenbäume  trieben  ihre  Wurzeln 
bis  in  den  Grund  eines  Pfuhls,    dessen  Temperatur  auf 
85°   stieg.      Die  Aeste  dieser  Bäume   dehnen   sich  über 
die  Wasserflache  in  der  Entfernung  von  2  bis  3  Zoll  aus. 
Obgleich  immeifort  von   dem  wannen  Dunste  befeuch- 
tet,   zeigte  die  Blätterbekleidung  dieser  Mimosen   den- 
noch das  schönste  Grün,     Ein  Arum,  mit  holzigem  Stam- 
me und  grofsen  pfeilförmigen  Blättern,  erhob  sich  sogar 
ro'tten   aus   einer  Pfütze,    deren  Tecnperatur  70°  war. 
Die  nämlichen  Pflanzenarten  wachsen  in  anderen  Thei- 
len   dieser  Berge,  am   Ufer  von  Waldströmen,    in  wel- 
chen der  Wärmemesser  nicht  über  18°  ansteigt,     .Moch 


Kapitel     XVl.  167 

mehr :  in  der  Entfernung  von  40  Fufs  von  der  Stelle, 
wo  die  heifsen  Quellen  ent<pringen,  deren  Temperatur 
90°  beträgt,  finden  sich  andere,  völlig  kalte.  Beyde 
verfolgen  eine  Zeitlang  eine  parallele  Hichtung,  und 
die  Eingebornen  zeigten  uns,  wie  sie  durch  Graben 
eines  Lochs  zwischen  den  zwey  Flüssen  sich  nach  Be- 
lieben ein  Bad  von  gewünschter  Temperatur  verschaf- 
fen können.  Es  ist  auffallend,  wie,  im  heifsesten  nicht 
minder  als  im  kältesten  Ulima,  das  Volk  die  nämliche 
Vorliebe  für  die  Wärme  zeigt.  Zur  Zeit  der  Einfüh- 
rung des  Christenthums  in  Island  wollten  seine  Bewoh- 
ner sich  nur  in  den  narmen  Quellen  des  Hecla  taufen 
lassen  5  unter  der  heifsen  Zone,  im  flachen  Lande  wie 
auf  den  Cordilleren,  werden  die  Thermalwasser  von  den 
Landeseingebornen  aller  Gegenden  begierig  gebraucht. 
Die  Kranken,  welche  um  Dampfbäder  zu  nehmen  nach 
der  Trinchera  kommen,  errichten  aus  Baumästen  und 
sehr  dünnen  Rohren  eine  Art  Gitterwerk  über  der  Quel- 
le. Sie  legen  sich  alsdann  nackt  auf  dieses  Gitter,  das 
mir  ziemlich  morsch  und  gefährlich  zu  besteigen  däuch- 
te.  Der  Bio  AfiAguas  calienles  nimmt  seinen  Lauf  nach 
Nord-Ost,  und  wird  in  der  Nähe  der  Küsten  ein  ziemlich 
bedeutender  Flufs,  der  mit  grofsen  Crocodilen  besetzt 
ist,  und  durch  seine  Ueberschwemmungen  die  ungesunde 
Beschaffenheit  des  Küstenlandes  vermehrt. 

Wir  stiegen  gegen  Porto  -  Gabello  hinunter,  wäh- 
rend der  Warm- Wasser -Flufs  uns  allezeit  zur  Hechten 
blieb.  Der  Weg  ist  sehr  malerisch.  Die  Wasser  stür- 
zen über  die  Felsblöcke  herab.  Man  glaubt  die  Cascaden 
der  vom  St,  Gotthard  abfliefsenden  Keuss  zu  sehen ;  al- 
lein welch  ein  Abstich  in  Stärke  und  Beichthum  des 
Pflanzenwuchses  !  Mitten  aus  blühenden  Sträuchern, 
mitten  unter  Bignonien  und  Melastomen  erheben  sich 
prachtvoll  die  weifsen  Stämme  des  Cecropia.      Sie  ver- 


i68  B  u  c  h     F, 

schwinden  eher  nicht  als  da,  wo  die  Höhe  über  der  Mee- 
resfläche  nur  noch  loo  Toisen  beträgt,  bis  zu  eben  die- 
ser Grenze  wachst  auch  eine  kleine  stachlichte  Pahiien- 
art,  deren  zarte  und  gefiederte  Blätter  am  Kande  wie 
gekräuselt  aussehen.  Sie  ist  auf  diesen  Bergen  sehr  ge- 
mein 5  da  wir  aber  weder  Blüthen  noch  Früchte  daran 
fanden,  so  künnen  wir  nicht  sagen,  ob  es  die  Piriitu- 
Palme  der  Cariben  oder  Jacquin's  Cocos  aculeata  ist. 

Der  Felsen  bietet  auf  diesem  Weg  eine  geologische 
Erscheinung  dar,  die  um  so  merkwürdiger  ist,  als  man 
lange  über  das  Daseyn  eines  wirklichen  Schichten-Gra- 
nites g'  stritten  hat.  Zwischen  der  Trinchera  und  dem 
Wirthsliause  von  Camhury  lauft  ein  grobkörniger  Gra» 
nit  zu  Tage  aus,  welchen  die  Anordnung  der  in  kleine 
Gruppen  vereinten  Glimmei  blättchen  mit  dem  Gneif$ 
pder  mit  Felsai  ten  von  schieferiger  Textur  zu  verwech- 
seln nicht  leicht  gestattet.  Dieser  in  2  oder  3  Fufs  dichte 
Lager  getheilte  Granit  zeigt  die  Richtung  IN.  62°  U.,  und 
senkt  sich  regelmäfsig  unter  Winkeln  von  3o°-4o°  nord- 
westlich. Der  in  zolllangen  Prismen  zu  vier  ungleichen 
Rauten  hrystallisirte  Feldspath  geht  durch  alle  Schatti- 
rungen  vom  Fleischrolhen  zum  VVeifsgelben  über.  Der 
in  stchsseiliyen  Tafeln  krystallisirte  Glimmer  i.>-:t  schwarz, 
zuweilen  grün.  Der  (^uarz  herrscht  in  der  Masse  vor: 
seine  Farbe  ist  überhaupt  milchweifs.  Ich  habe  in  die- 
sem schichtenfürniig*  n  Granit  weder  Hornblende,  noch 
schwarzen  Schörl,  noch  Hutil  (titane  rulhile}  angetrof- 
fen. Jn  einigen  Schichten  bemerkt  man  runde,  grau- 
schwärzliche ,  sehr  quarzartige  und  fast  glimmerlose 
Massen.  Ihr  Durchschnitt  beträgt  1  bis  i  Zoll,  ^ie 
finden  sich  unter  allen  Zonen,  in  allen  Granitgebirgen. 
Es  sind  nicht  solcne  eingt^fügte  Bruch;-tüc!'.e,  wie  am 
Greilfenslein  in  ^acIlsen,  sondern  Aggtegale  von  Thei« 
len^    welche  partiellen  Anziehungen  gefolgt  zu  haben 


Kapitel     XVL  169 

scheinen.  Ich  konnte  die  Vereinigungslinie  der  Gneifs- 
und  G'ianit  Gebirgsarten  niclit  verfolgen.  Winkeln  zu- 
folge, die  in  den  Thälern  von  Araoua  aufgfiionnnen 
wurdi'n,  scheint  der  Gneifs  unt«'r  dem  Granit  gelagert, 
welcher  demnach  einer  neueren  Bildung  angehören  wür- 
de.  Wir  wollen  anderswo  das  relative  r\ller  dieser  Ge- 
sleiuart  untersuchen,  wenn  wir,  nach  unserer  Hückkehr 
vom  Cirenoko,  in  einem  eigenen  Kapitel  den  geologi- 
schen Ahrifs  der  Bildungen,  vom  Aequator  his  zu  den 
Küsten  des  Antillen-Meer«,  zu  liefein  verbuchen  werden. 
Der  xAnhlick  •  eines  Schichten  -  Granits  zog  meine  Auf- 
merksamkeit um  so  mehr  an,  weil  ich,  als  mehrjähriger 
Aufseher  der  Bergwerke  des  Fichtelgebirgs  in  Franken, 
Granite  zu  sehen  gewöhnt  war,  die  in  3  oder  4  Fufs 
dichte  Lager  getheilt,  aher  wenig  gesenkt  waren,  und 
auf  dem  Gipfel  der  höchsten  Berge  *),  Thürmen  oder 
altem  Gemäuer  ähnliche  Massen  hildeten. 

Die  Hitze  w^ard ,  im  Verhältnifs  wie  wir  uns  den 
Küsten  näherten ,  erstickend.  Der  Horizont  war  mit 
einem  rüthlichen  Dunst  üherzogen.  Die  Sonne  stund 
ihrem  Untergang  nahe,  und  doch  wehele  der  Seewind 
noch  nicht.  Wir  machten  in  den  abgesonderten,  unter 
den  JNamen  Cambiiry  und  Canarisclies  Haus  iCaso  del 
Islengo)  bekannten  Meyerhöfen,  um  auszuruhen,   Halt. 

*)  Auf  dem  Ochsenkopf,  am  Rudolphstein,  am  Epprechtstein, 
am  I.uxburg  und  am  Schneeberg.  Die  Senkung  der  Schich- 
ten dieser  Granite  des  Fichtelbergs  beträgt  überhaupt  nur 
50  _  jqo^  seilen  (am  Schneeberg)  18°.  Den  Einsenkungen 
zufolge,  die  ich  an  den  Schichten  der  nahestehenden  Gneifs- 
und  Glimmer -Schiefer  wahrnahm,  möchte  ich  den  Granit 
vom  Fichleilierg  für  sehr  alt,  und  für  die  Grundlage  der 
üixigen  Formalionen  halten  :  aber  die  Grünstein-Lager  und 
das  Zinnmineral,  die  sich  in  ihnen  zerstreut  vorfinden,  kön- 
nen, nach  der  Analogie  der  sachsischen  zinnhaltigen  Granite, 
über  sein  hohes  Alter  Zweifel  erregen. 


170 


Buch    y. 


Dpi'  Flnfs  des  warmen  Wassers,  dem  wir  zur  Seite 
giengeiij  ward  immer  tiefer.  Ein  Crocodil  lag  todt 
Siin  Ufer;  es  war  über  9  Fufs  lang.  Wir  wollten  seine 
Zähne  und  seine  Mundhöhle  untersuchen  5  weil  es  aber 
schon  mehrere  Wochen  an  der  Sonne  gelegen  hatte, 
verbreitete  es  einen  so  scheufslichen  Geruch,  dafs  wir 
unsere  Absicht  aufgeben  Und  wieder  zu  Pferd  steigen 
mufsten.  Wenn  man  die  Meeresfläche  erreicht  hat,  so 
dreht  der  Weg  sich  ostwärts,  und  durchschneidet  eine 
dürre,  anderthalb  Meilen  breite  Ebene,  die  derjenigen 
von  Cumana  gleicht.  Man  findet  da  zerstreute  Hacketten, 
vom  Sesuvium,  etliche  Stämme  der  Coccoloba  uvifera, 
und,  längs  der  Küste,  Avicennien  und  Wurzelträger 
(Paletuviers).  Wir  durchwateten  den  Guiiiguaza  und 
den  Kio  Estevan,  die,  durch  häufige  Ueberschwemmun- 
gen,  ausgedehnte  Sümpfe  von  stehendem  Wasser  bilden. 
Auf  dieser  grofsen  Fläche  erheben  sich,  wie  fUippen, 
kleine  Felsen  vonMeandriten,  Madreporiten  und  andern 
ästigen  oder  rund  gewölbten  Korallen.  Man  könnte  sie 
für  Zeugen  des  neuerlichen  Rückzugs  der  See  halten. 
Es  sind  aber  diese  Polypenhäuser  nur  Bruchstücke,  die 
in  eine  Breccie  von  kalkigtem  Cement  eingesetzt  sind. 
Ich  sage  in  eine  Breccie,  denn  man  darf  die  weifsen  und 
frischen  Korallensteine  dieser  sehr  jungen  Küstenbildung 
nicht  mit  den  Korallilen  verwechseln,  welche  der  Ma^e 
der  Uebergangs  -  Gesteine ,  der  Grauwacke  und  des 
schwarzen  Kalksteins  einverleibt  sind.  Es  befremdele 
uns  nicht  wenig,  in  dieser  völlig  unbewohnten  Gegend 
einen  grofsen  blühenden  Stamm  der  Parkinsonia  aculeata 
anzutreffen.  Unsere  botanischen  Werke  geben  America 
als  das  Vaterland  dieses  Baumes  an;  aber  seit  fünf  Jahren 
hatten  wir  ihn  nur  zvveymal  wildwachsend  gefunden, 
in  a«;n  Ebenen  des  Rio  Guaiguaza  und  in  den  Llanos 
von  Cumana,    bey  dreyfsig  Meilen  von  der  Küste  nahe 


Kapitel     XVI.  171 

bey  der  Villa  del  Pao,  und  von  diesem  letztern  Ort  liefs 
sich  antioch  vermutht-n,  er  sey  ein  alter  conuco  oder 
vormals  angebauter  Einfang  gewesen.  Sonst  überall 
trafen  wir  auf  dem  aniericanischen  Festland  die  Par- 
l<insonia,  wie  die  Plumeria,  nur  in  den  Gärten  der  In- 
dianer an. 

In  Porto -Cabello  l<am  ich  zeitlich  genug  an,  um 
einige  Höhen  des  Canopus  in  der  JNähe  des  Meridians 
aufzunehmen :  allein  diese  Beobachtungen,  so  wie  die- 
jenigen der  entsprechenden  Sonnenhöhen,  die  am  28. 
Hornung  gemacht  wurden,  sind  nicht  ganz  zuverläs- 
sig *).  Ich  bemerkte  zu  spät  eine  kleine  Unordnung  im 
Diopter- Lineal  eines  Troughtonschen  Sextanten.  Es 
war  ein  Dosen- Sextant  von  zwey  Zoll  Radius,  dessen 
Gebrauch  den  Reisenden  übrigens  nicht  genug  empfoh- 
len werden  kann.  Ich  bediente  mich  desselben  über- 
haupt nur  für  geodesische  Aufnahmen,  welche  auf  Flüs- 
sen in  Booten  gemacht  wurden.  In  Porto -Cabello  wie 
in  Guayra  ist  man  ungleicher  Meinung,  ob  der  Hafen 
ostwärts  oder  westwärts  von  der  Stadt  gelegen  ist,  mit 
welcher  der  meiste  Verkehr  statt  findet.  Die  Einwoh- 
ner glauben,  Porto-Cabello  liege  nord- westwärts  von 
Kueva  V  alencia.  Meine  Beobachtungen  geben  wirklich 
eine  im  Bogen  3  bis  4  Minuten  westlichere  Länge,  Hr. 
Fidalgo  findet  eine  Differenz  ostwärts  *'^). 

\\  ir  wurden  in  der  Wohnung  eines  französischen 
Arztes,  des  Hrn.  Juliac,  welcher  recht  gute  Studien  in 
Montpellier  gemacht  hatte,  mit  der  zuvorkommendsten 
Höflichkeit  empfangen.  Sein  kleines  Haus  enthielt  eine 
Sammlung  sehr  verschiedenartiger  Dinge,  die  aber  alle 
den  Heisenden  angenehm   seyn  konnten.      Wir  fanden 


*)  Obs.  astr.,  Tom.  I,  p.   106. 

**)  Siehe  die  Einleitung  zu  meinen  Obs.  astr..,  Tom.  I,  p.  xli 


172 


Buch     V. 


literarische  und  naturgeschichtliche  Werke ;  meteoro- 
logische Bemerkungen;  Häute  vom  Jaguar  und  von 
grolscn  Wasserschlangen  5  lebendige  Thiere,  Aflfenj  Ar- 
madille  tmd  Vügel.  Unser  Hausherr  war  erster  Wund- 
arzt am  königlichen  Hospital  zu  Porto  -  Cabello  ,  und 
durch  eine  sorgfältige  Bel.anntschaft  mit  dem  gelben 
Fiel>er  unter  seinen  Landsleuten  vortheilhaft  bekannt. 
Seit  sieben  Jahren  halte  er  sechs-  bis  achttausend  von 
der  schrecklichen  Seuche  befallene  Kranke  in  die  Spi- 
täler bringen  gesehen;  er  hatte  die  V  erheerungen  beob- 
achtet, welche  die  Epidemie  vom  Jahr  1793  in  der  Flotte 
des  Admirals  Ariztizabal  veranlafste*  Diese  Flotte  verlor 
beynahe  einen  Drittheil  der  Schiffsmannschaft,  weil  die 
Matrosen  fast  alle  dem  Klima  nicht  angewöhnte  Euro- 
päer waren  und  frey  mit  dem  Lande  verkehrten.  Hr. 
Juliac  hatte  vormals  diese  Kranken,  wie  auf  der  Terra- 
Firma  und  auf  den  Inseln  gewöhnlich  gescliieht,  mit 
Blutlassen,  gelind  abführenden  Mitteln  und  säuerlichton 
Getränken  behandelt.  Die  Lebenskräfte  werden  bey  die- 
sem Verfahren  durch  keine  Reizmittel  gehohen.  Indem 
man  zu  beruhigen  trachtet,  vermehrt  man  die  Entkräf- 
tung und  Schwäche.  In  den  Spitälern,  wo  die  Kranken 
angehäuft  waren,  betrug  die  Sterblichkeit  damals  33 
vom  100  unter  den  weifsen  Kreolen,  und  65  vom  100 
unter  den  neu  angekommenen  Europäern.  Seit  man, 
anstatt  der  alten  schwächenden  Methode,  reizende  Mit- 
tel anwandte,  das  Opium,  die  Benzoe  und  alcoholartige 
Getränke,  hat  sich  die  Sterblichkeit  bedeutend  vermin- 
dert. Man  glaubt  sie  auf  20  vom  100  für  die  Europäer 
und  auf  10  für  dieKreolen  heruntergebracht  zu  haben*). 


*)  Ich  halic  die  Verhältnisse  der  Stcrbh'chkeit  im  gelben  Fieber 
in  einem  andern  Werke  hehandelt.  Nouf.  Esp.  ,  Tom.  II, 
p.  777  —  785  und  867.      Zu  Cadix  war  die  Sterblichkeit,   im 


Kapitel     Xyi.  173 

sogar  auch  in  Fällen^  wo  schwarze  Ausleerungen  durch 
den  Mund  und  Bkilungen  aus  Nase,  Ohren  und  Zalin- 
fleiscli  einen  hohen  Grad  von  Bösartigkeit  des  UeJ)els 
anzeigten.  Ich  mekie  treulich^  was  damals  iiir  das  all- 
gemeine Ergebnil's  der  Beobachtungen  gehalten  ward : 
man  soll  aber^  glaub'  ich,  bey  diesen  Zahlenvereloi- 
chungen  nicht  vergessen,  dafs  die  Epidemien  mehrerer 
aufeinander  folgender  Jahre  verschieden  sind,  und  dafs, 
um  über  den  Gebrauch  des  stärkenden  oder  schwächen- 
den Heilverfahrens  (wofern  anders  ein  solcher  Unter- 
scheid in  absolutem  Sinne  vorhanden  ist)  zu  urtheilen, 
zwischen  den  verschiedenen  Zeiträumen  der  Krankheit 
unterschieden  werden  mufs. 

Das  Klima  von  Porto- Cabello  ist  minder  heifs,  als 
dasjenige  von  Guayra.  Der  Seewind  weht  daselbst  stär- 
ker, häufiger  und  regelmäfsiger.  Die  Häuser  stehen 
nicht  an  Felswänden  ,  welche  die  den  Tag  über  ver- 
schluckten Sonnenstrahlen  zur  Nachtzeit  wärmend  wie- 
der ausstrahlen.  Die  Luft  mag  zwischen  den  Küsten 
und  den  Bergen  von  Ilaria  freyer  kreisen.  Die  Quellen 
der  ungesunden  Luftbeschaffenheit  müssen  an  den,  sich 
westlich  in  weite  Ferne  gegen  Piiiita  de  Tiicacos ^  in 
der  Nähe  des  schönen  Hafens  von  Chichiribiche  aus- 
dehnenden Seegestaden  gesucht  werden.  Hier  befinden 
sich  die  Salzwerke,  und  hier  herrschen,  beym  Eintritt 
der  Hegenzeit,    die  dreytägigen  Wechselfiebor,    welche 


Jahr  1800,  zwanzig  vom  Hundert j  zu  Sevilla,  im  J.  1801, 
war  sie  auf  sechzig  vom  Hundert  angestiegen.  In  Vera  Crus 
beträgt  die  Sterblichkeit  nicht  über  12  bis  i5  vom  Hundert, 
nofern  die  Kranken  gehörig  besorgt  werden  können.  In 
den  bürgerhchen  Spitälern  von  Paris  ist  die  Zahl  der  Sterbe- 
fälle, in  mittleren  Jahren,  14  bis  18  atifs  100;  man  ver- 
sichert jedoch,  ein  beträchtlicher  Theil  der  Kranken  konun» 
beynah«  sterbend,   oder  auch  sehr  betagt  in  die  Spitaler. 


Ijr^  B    U    C    h       K 

SO  leicht  in  bösartige  Fieber  ül)ergehen.  Man  hat  die 
auffallende  Bemerkung  gemacht,  dafs  die  in  den  Salz- 
werken arbeitenden  Metis  dunkler  gefärbt  sind  und  eine 
gelbere  Haut  haben,  wenn  sie  mehrere  Jahre  nach  ein- 
ander jene  Fieber  überstanden  haben,  welche  die  üü- 
stenhrankheit  genennt  werden.  Die  Bewohner  dieser 
Küste,  arme  Fischer,  behaupten,  nicht  die  Ueber- 
schwemmung  des  Meeres  und  das  Wiederabfliefsen  des 
salzigen  Wassers  sey  es,  was  die  mit  Wurzeiträgern 
bedeckte  Landschaft  ungesund  macht  *) ,  sondern  es 
rühre  die  ungesunde  Luftbeschafi'enheit  von  den  Ueber- 
schwemmungen  des  Guayguaza-  und  des  hstevan- Ötro- 
mes  her,  die  in  den  Monaten  Uctober  und  iNovember 
so  plötzlich  und  mächtig  an-tsigen. 

Die  Gestade  des  Hio  Estevan  sind  für  ihre  Anwoh- 
ner minder  gefährlich,  seit  daselbst  kleine  Mais-  und 
Pisanff-Pflanzuneen  anari^lest  worden  sind,  und  seit  man 
dahin  gelangt  ist,  durch  Erhöhung  und  Befestigung 
den  Flufs  in  engerem  Bette  zu  behalten.  Man  ist  mit 
dem  Plane  beschäftigt,  dem  Bio  San  Estevan  eine  an- 
dere Ausmündung  zu  geben,  und  dadurch  die  Umge- 
gend von  Porto-Cabello  jjesunder  zu  machen.  Ein  Ab- 
leitungscanal  soll  die  Gen  äs-er  dem  der  Insel  Guayguaza 
vorüberliegenden  Küstentheil  zuführen. 

Die  Salzwerke  von  Porto-(]abello  gleichen  ziemlich 
denjenigen  der  Halbinsel  Araya  in  der  INähe  von  Cu- 
mana.  Die  Erde,  welche  man  durch  Sammeln  des  Be- 
genvvassers  in  kleinen  Becken  auslaugt,    enthält  jedoch 


*)  Auf  den  Antillen  Eilanden  wird  seit  langer  Zeit  die  Ursache 
der  zur  Winterxeit  herrschenden  bösartigen  Krankheiten  auf 
Rechnung  der  Südwinde  gebracht.  Diese  Winde  führen  die 
Ausdünstungen  der  Mündungen  des  Orenoko  und  der  kleinen 
Flüsse  der  Terra-Firma  den  hochgelegenen  Breiten  zu. 


Kapitel     XVI.  175 

weniger  Salz.  Man  wirft  liier,  wie  in  Cumana,  die 
Frage  auf,  ob  das  Erdreich  mit  Salztheilchen  ge- 
sclnvängert  ist,  weil  es  seit  Jahrhunderlen  periodisch 
mit  an  der  Sonne  verdünstendem  Seewasser  bedeckt 
war,  oder  ob  der  Boden  salzhaltig  ist,  wie  eine  sehr 
arme  Steinsalzgrubt'.  Ich  fand  die  erfoiderliche  Mufse 
nicht,  um  dies  Gestade  mit  gleicher  Sorgfalt,  wie  die 
Halbinsel  Araya,  zu  untersuchen.  Sollte  übrigens  die 
Aufgabe  nicht  mit  der  sehr  einfachen  Frage. zusammen- 
treffen, ob  das  Salz  von  neuerlichen  Ueberschwenimun- 
gen  ,  oder  von  sehr  alten  Ueberschwemmungen  her- 
rührt? Weil  die  Arbeit  in  den  Salinen  von  Porto  Ca- 
bello  im  höchsten  Grad  ungesund  ist,  so  geben  sich 
nur  die  allerdürftigsten  Menschen  damit  ab.  Sie  sam- 
meln jdas  Salz  in  kleinen  Parthieen,  und  verkaufen  es  her- 
nach an  die  Magazine  der  Stadt. 

Während  unsers  Aufenthalts  in  Porto-Cabello  war 
die  Küsten  -  Strömung  ,  welche  sonst  überhaupt  west- 
wärts geht,  von  Westen  nach  Osten  gerichtet.  Diese 
aij/icarts  gehende  Strömung  Ccorriente  por  arriba'), 
von  der  wir  auch  schon  sprachen,  koinnit  während 
zwey  bis  drey  Monaten  Im  Jahr,  vom  Herbstmonat  bis 
Wintermonat,    öfters  vor  '0.     Man  hält  sie  für  die  Wir- 


*)  Die  Trümmer  der  auf  der  Dreyfaltigkeits-Insel,  zur  Zeit 
ihrer  Besitznahme  durch  die  Britten  im  Jahr  1797,  verbrann- 
ten »panischen  Schiffe  wurden  durch  die  allgemeine  oder 
Rotations  -  StrömuJig  nach  der  Punta  Brava,  unweit  von 
Porto-Cabello,  geführt.  Diese  allgemeine,  ostwärts  gehende 
Strömung,  von  den  Küsten  von  Paria  an  bis  zur  Landenge 
von  Panama  und  dem  westlichen  Ende  der  Insel  Cuba,  war 
bereits  im  sechszehnten  Jalirhundert  der  Gegenstand  eines 
lebhaften  Streites  zwischen  Don  Diego  Colomb,  Oviedo  und 
dem  Piloten  Andres.  Siehe  „de  novis  opinionibus  Huenth 
ad  occidentem  pelagi  Pariensis   et  de   impuisu   c^elorum  ^uo 


1^6  Buch     F. 

kung  einiger  IN ord-West- Winde  zwischen  Jamale»  und 
dem  St.  Antons- Vorgebirg  der  Insel  Cuba. 

Die  militärische  Vertlieidi^ung  der  Küsten  der 
Terra -Firma  beruht  auf  sechs  Puncten  ,  dem  St.  An- 
tons-Sclilofs  von  Cun)anaj  dem  Morro  von  JNueva  Bar- 
celona, den  Festungswerken  der  Guayra  (mit  184  Ka- 
nonen), Porto- Cabello  ,  dem  St.  Karls  -  Fort  an  der 
Ausmündung  des  Sees  von  iVIaracaybo,  und  Carthagena 
]a  nueva.  JNach  Carthagena  la  nueva  ist  Porto-Cabcllo 
der  wichtigste  befestigte  Platz.  Die  Stadt  ist  von  ganz 
neuer  Bauart,  und  ihr  Haien  einer  der  schönsten  von  al- 
len, in  beyden  Festlanden  beKannten.  Die  Kunst  durfte 
den  Vortheilen,  welche  seine  natürliche  Lage  darbietet, 
nur  weniges  hinzufügen.  Eine  Erd'.unge  verlängert 
sich  anfangs  nördlich,  hernach  westuärts.  Ihr  west- 
liches Ende  steht  einer  Heihe  von  Eilanden  gegenüber, 
die  durch  Brücken  verbunden  sind,  und  so  nahe  bey 
einander  stehen,  dafs  man  sie  lür  eine  zwevte  Erdzunge 
halten  möchte.  Diese  Inseln  gehören  alle  einer  noch 
sehr  neuen  Formation  von  Halkstein  -  Breccie  an,  die 
derjenigen  verwandt  ist,  welche  wir  auf  den  Küsten  von 
Cumana  und  in  der  INähe  des  Sclilos«es  Araya  beschrie- 
ben haben.  Es  ist  ein  Agi^lomerat,  worin  Bruchstücke 
von  Madreporen  und  andern  (>orall  Arten  durch  eine 
kalkartige  Masse  und  Sandkörner  veriiittet  sind.  Wir 
hatten  das  nämliche  Agglomerat  bereits  auch  in  der  Nahe 
des  Rio  Guayguaza  angetroffen.  Vermöge  der  aufser- 
ordentlichen  Verhältnisse  des  Bodens  gleicht  der  Hafen 
einem  Wassei'becken  oder  einer  inneren  Lagune,  deren 
Südseite  voll  kleiner,  mit  Wurzelbäumen  (niangliers) 
überdeckter  Eilande,  Die  westliche  Oeilnung  des  Ha- 
fens 

torrentcs    exeunt    ad   occidentem    et  per   Universum   circum 
aguntur."     Petr,  Martyr.  Oceuii.  Dec.  II.  Lib.  X,  p.  5j7. 


Kapitel     XFI.  177 

fens  trägt  Vieles  zur  Ruhe  der  Gewässer  Ley  '■'•'}.  Auf 
einmal  kann  nur  ein  einziges  Schill  einlaufen  5  aber  die 
grüfsten  Linienschilfe  können  ganz  nahe  am  Land  an- 
kern^ um  Wasser  einzunehmen.  Die  Felsenriffe  von 
PuntaBrava,  denen  gegenüber  eine  Batterie  von  acht 
Kanonen  errichtet  ist,  können  allein  nur  den  Hafen  ge- 
fährden. Westwärts  und  südwestwärts  erblickt  man  das 
Fori,  das  ein  regelmäfsiges  Pentagon  zu  fünf  Bastionen 
bildet,  die  Batterie  des  Felsenri^fs,  und  die  Festungs- 
werke der  alten  Stadt,  die  auf  einem  trapezförmigen 
Eiland  erbaut  ward.  Eine  Brücke  und  das  feste  Thor 
der  Eslacade  vereinbaren  die  alte  Stadt  mit  der  neuen, 
welche  bereits  schon  grüfser  als  jene  ist,  obgleich  sie 
nur  für  eine  Vorstadt  geachtet  wird.  Der  Hintertheil 
des  Beckens  oder  der  Lagune,  die  den  Hafen  von  Porto- 
Cabello  bildet,  umfafst  die  Südvvestseite  dieser  Vorstadt, 
und  bildet  ein  Sumpfland,  das  mit  stehendem,  verdor- 
benem Wasser  überschwemmt  ist.  Die  Stadt  zählt  ge- 
genwärtig nahe  an  gooo Einwohner.  Sie  verdankt  ihren 
Ursprung  dem  in  diesen  Gewässern  durch  die  Nähe  der 
im  Jahr  i549  gegründeten  Stadt  ßurburuta  veranlafbten 
Schleichhandel.  Erst  unter  der  Regierung  der  Biskaya- 
ner  und  der  Compagnie  von  Guipuzcoa  ward  Porto- 
Cabi;llo,  welches  zuvor  nur  ein  Weiler  gewesen  war. 
zu  einer  gut  befestigten  Stadt.  Die  Fahrzeuge  von  la 
Guayra,   das  weniger  ein  Hafen,  als  eine  schlechte,  of- 


*)  Man  ist  in  Porto-Cabello  getheiJter  Meinung,  ob  der  Name 
des  Hafens  von  der  Ruhe  seiner  Gewässer  herrühre,  ,,die 
kein  Haar  i,cabeüo~)  benegcn  würden,"  oder  ob,  was  wahr- 
scheinlicher ist,  dieser  ISame  von  Antonio  Cabello  herkommt, 
einem  Fischer,  mit  dem  die  Schleichhändler  von  Curafao 
vertraute  Verbindung  unterhielton ,  zur  Zeit,  wo  der  erst» 
Weiler  auf  dieser  halb  öden  Küste  erbaut  ward. 

AUx.  V.   Humboldit  hist.    Reisen.   III.  j  j 


178  B  n  c  h     V. 

fene  Rhede  ist,    kommen  nach  Porto -Cabello,    um  sich 
caliatern  und  ausbessern  zu  hassen. 

Die  wahre  Vertheidigung  des  Hafens  besteht  in  den 
niederen  Batterien  der  Erdzunge  von  Punta  lirava  und 
des  Felsenrills;,  und  man  hat  diesen  Grundsatz  mifs- 
kannt,  als  man  mit  grofsen  Kosten  auf  den  Bergen, 
welche  die  Vorstadt  südwärts  beherrschen,  ein  neues 
Fort,  das  Belvedere  QlMirador^  von  Solano  ••')  erbauen 
liefs.  Dies,  eine  Viertelstunde  vom  Hafen  entfernt  ste- 
hende Werk  ist  vier-  bis  fünfhundert  Fufs  über  der 
Meeresfläche  erhöhet.  Die  Baukosten  desselben  betru- 
gen alljährlich,  während  einer  langen  Reihe  von  Jah- 
ren, zwanzig- bis  dreyfsigtausend  Piaster.  DerGeneral- 
Capitain  von  Caracas,  Hr.  v.  Guevara  Vasconzelos,  in 
Uebereinstimmung  mit  den  geschicktesten  spanisclien 
Ingenieurs,  war  der  Meinung,  der  Mirador,  welcher 
zu  meiner  Zeit  nur  noch  mit  sechszehn  Kanonen  ver- 
sehen war,  könnte  für  die  Vertheidigung  des  Platzes 
wenig  leisten,  und  die  Arbeiten  wurden  auf  seinen  Be- 
fehl eingestellt.  Eine  lange  Erfahrung  hat  dargethan, 
dafs  die  sehr  hohen  Batterien,  selbst  wenn  sie  mit  gro- 
bem Geschütz  versehen  sind,  viel  weniger  zum  Schutz 
der  Rhede  leisten,  als  niedrige,  halb  im  Wasser  stehende 
Batterien  thun,  die  mit  kleinerem  Geschütz  versehen, 
aber  auf  den  Küsten  oder  Hafendämmen  errichtet  sind. 
Wir  fanden  den  Verlheidi»ungszustand  von  Porto -Ca- 
bello  sehr  wenig  sichernd.  Die  Festungswerke  dos  Ha- 
fens und  der  Stadt  mit  etwa  sechszig  Feuerschlünden 
erheischen  eine  Besatzung  von  1800  bis  2000  Mann;  es 
waren  aber  deren  nur  600  vorhanden.  Auch  war  eine 
königliche  Fregatte  von  den  Kanonier-Schaluppen  eines 


*)  Der  Mirador   liegt    östlich  von  der   Ilgia  alta   und   südöst- 
lich von  der  Batterie  des  Naizwerks  und  der  Pulvcrinühle. 


Kapitel     XVI.  179 

enffUschen  Krlcssschifies  an:',cori(Ten  und  genommen 
wordeil,  obgleich  sie  am  Hareneingang'  vor  AnKer  lag. 
Die  Blokade  Legünrtigte  den  ScMoichhandel  vielmehr, 
als  dafs  sie  ihn  hinderte;  Alles  sclsitMi  in  Porto-Cahello 
eine  zunehmende  Bevölkerung-  und  Gewerhiieifs  anzu- 
deuten. Der  thätigste  Schleichhandel  wird  mit  den  In- 
seln Curasan  und  Jainaica  getrieben.  Jährlich  werden 
über  zehnlausend  JVlauIthiere  ausgeführt.  Jbs  ist  merk- 
würdig diese  Thiere  einschifl'en  zu  sehen,  die  durch 
Schlingen  zu  Boden  geworfen,  und  mittelst  einer  dem 
Kranich  ähnlichen  Vorrichtung  an  Bord  der  SchiflV;  ge- 
bracht werden.  In  zwey  Keihen  gestellt,  können  die 
Maulthiere  sich  während  desSciilingerns  und  btarnpfeiis 
des  Schiffes  kaum  aufrcclit  halten.  Um  sie  zu  schrecken 
und  lenksamer  zu  machen,  wird  einen  grofsen  Theil 
des  Tags  und  der  JNacht  durch  die  Tronimel  gerührt. 
Man  stelle  sich  die  Kühe  vor,  deren  ein  Passagier  ge- 
niefsen  mag,  welcher  den  Muth  besitzt,  auf  einer  dieser 
mit  iVIaulthieren  beladenen  Giiletlen  die  Ueberiahrt  nach 
Jamaica  zu  nuichen. 

Wir  verliefsen  Porto -Cabello  am  ersten  März  bey 
Sonnen  -  Aufgang.  Mit  Verwunderung  sahen  wir  die 
Menge  der,  mit  dem  auf  den  Markt  bestimmten  übst 
beladenen,  Kähne.  Sie  erinnerten  mich  an  einen  schö- 
nen Morgen  in  Venedig.  Von  der  Seeseite  gewährt 
die  Stadt  überhaupt  einen  freundlichen  und  lieblichen 
Anbuck.  Mit  Pttanzengrün  bedeckte  und  in  Spitzen  *), 
die  uian  ihren  Umrissen  nach  für  trappartige  Felsen  hal» 
ten  könnte,  auslaufende  Berge  bilden  den  Hintergrund 
der  Landschaft.  In  der  Küstennähe  ist  Alles  nacLt,  weilV, 
und  hell  beleuchtet;  während  die  ßei'gwand  mit  dicht 
helaubten  Bäumen  besetzt  ist,  deren  lange  Schatten  sich 


*J  Las  Tetas  de  Ilaria- 


i8o  Buch     F. 

über  eine  braune  und  felsigte  Landschaft  ausdehnen. 
Bevni  Ausfi-anff  der  Stadt  besahen  wir  die  kürzlich  be- 
endigle  Wasserleitung.  Sie  ist  5ooo  Vares  lang,  und 
führt  durch  eine  Rigole  das  Wasser  des  Rio  Estevan 
nach  der  Stadt.  Das  Werk  kostete  über  3o,ooo  Piaster: 
dafür  fliefst  nun  aber  auch  Wasser  in  allen  Strafsen. 

Auf  dem  Rückweg  von  Porto  -  Cabello  nach  den 
Thälern  von  Aragua  machten  wir  nochmals  Halt  in  der 
Pflanzung  von  Rarbula,  durch  welche  die  neue  Strafse 
von  Valencia  geführt  wird.  Wir  hatten  seit  mehreren 
Wochen  von  einem  Baume  sprechen  gehört ,  dessen 
Saft  eine  nährende  Milch  ist.  Er  wird  der  Hiihbcnun 
(Varhre  de  la  vache^  genannt ,  und  man  versicherte 
uns,  die  Neger  der  Meyerey,  welche  diese  Pflanzen- 
milch  in  Menge  trinken,  halten  sie  für  eine  sehr  ge- 
sunde Nahrung.  Da  alle  Milchsäfte  der  Pflanzen  scharf, 
bitter  und  mehr  oder  weniger  giftig  sind,  so  kam  uns 
diese  Angabe  sehr  seltsam  vor.  Die  Eriahrung  jedoch 
belehrte  uns,  während  des  Aufenthalts  in  Barbula,  dafs 
in  dem,  was  man  uns  von  den  Eigenschaften  des  Palo 
de  Vaca  gesagt  hatte,  keine  Ucbertreibung  lag.  Es 
zeigt  dieser  scliöneBaum  die  Gestalt  des  Sternaplelbaums 
CCdimitier^  *).  Seine  ablangen,  zugespitzten,  zähen 
und  wechselnd  stehenden  Biälter  smd  mit  unterhalb 
vorspringenden  und  parallellaufenden  Seilenrippen  ver- 
sehen. Ihre  Länge  beträgt  bis  auf  zehn  Zoll.  Die  Blume 
haben  wir  nicht  gesehen;  die  Frucht  hat  wenig  Fleisch 
und  enthält  eine,  bisweilen  auch  zwey  Niisse.  Wenn 
in  den  Mamm  des  Huhbaiinis  Einschnitte  gemacht  wer- 
den, so  fliefst  eine  klebiigte,  ziemlich  dicke,  vollkom- 
men mildschmeckende  und  einen  sehr  angenehmen  bal- 


*)  Chrysoph^'llum  Cainito.     Siehe  yJ finales  du  ßluset-,  Tom.  IT. 
p.   180. 


Kapitel     XVl.  181 

samischcn  Geruch  ausdünstende  Milch  in  Menge  her- 
vor. Man  reichte  uns  diese  Milch  in  Früchten  vom 
Tiitnmo  oder  Kürhisflaschenbaum.  Wir  haben  davon 
ansehnliche  Portionen  getrunken,  sowohl  Abends  vor 
Schlalongehen ;,  als  früh  Morgens,  ohne  irgend  eine 
schädliche  Wirkung  zu  verspüren.  Nur  die  Klebrigkeit 
der  Milch  macht  sie  etwas  unangenehm.  Die  ISeger 
und  die  freyen  Arbeiter  der  Pflanzung  trinken  dieselbe, 
indem  sie  Mais-  oder  Manioc-Brod,  die  yirepa  und  die 
Cassace  darein  tauchen.  Der  Hausmeyer  des  Pachthofes 
versicherte,  die  Sclaven  würden  zusehends  fetter,  wäh- 
rend der  Jahrszeit,  wo  der  Palo  de  f'^aca  die  meiste 
Milch  liefert.  Bey  freyem  Zutritt  der  Luft  bilden  sich 
auf  der  Oberfläche  des  Saftes,  vielleicht  durch  Einsau- 
gung des  Sauerstoffs  der  Atmosphäre,  Häute  von  einer, 
dem  thierischen  Stoff  bedeutend  sich  annähernden,  gelb- 
lichten, faserigen,  einer  käseartigen  ähnlichen  Sub- 
stanz. Diese  von  der  übrigen,  mehr  wässerigten  Flüs- 
sigkeit getrennten  Häute  sind  elastisch,  beynahe  wie 
Federharz  (Caoutchouc) :  in  der  Folge  aber  gehen  sie 
eben  so  in  Fäulnifs  über,  wie  die  Gallerte.  Das  Volk 
nennt  den  sich  durch  Einwirkung  der  Luft  trennenden 
Klumpen  Jxüse ;  derselbe  wird  in  fünf  bis  sechs  Tagen 
sauer,  wie  ich  an  kleinen  Portionen  desselben,  welche 
ich  n)it  mir  nach  Nueva  Valencia  nahm  ,  beobachtet 
habe.  In  einem  wohl  verschlossenen  Fläschchen  auf- 
bewahrt, setzte  sich  aus  der  Milch  ein  geringes  coagu- 
7h«i  zu  Boden  :  und,  weit  entfernt  stinisend  zu  werden, 
behielt  die  Flüssigkeit  vielmehr  ihren  balsamischen  Ge- 
ruch. Unter  Beymischun^  von  kaltem  Wasser  gerann 
der  frische  Saft  beynahe  gar  nicht;  dagegen  erfolgte 
die  Trennung  der  klebrigten  Häute,  als  ich  ihn  mit 
Salpetersäure  in  Berührung  brachte.  Wir  sandten  zwey 
Flaschen  dieser  Milch  an  Herrn  Fourcroy  nach  Pari§. 


i8z  Buch     V. 

In  der  einen  war  sie  in  ihrem  natürlicTien  Zustand,  in 
der  aiidiTi)  liin^^egen  mit  einer  ge\vi:sen  Menge  kohlen- 
saurer Soda  vermischt.  Der  franzö^isclie  Consul  auf 
der  Insel  St.  Thomas  hatte  die  Gefälligkeit^  diese  Sen- 
dung 7,u  hejorgen. 

Es  scheint  der  aufserordentliche  Baum  ;  von  dem 
hier  die  iWde  ist,  der  fiüsten-Cordillere ,  vorzüglich 
der  Gegend  zwischen  liarhula  und  dem  Maracayho-See 
anzugehören.  Einige  Stämme  davon  stehen  auch  in  der 
Wähe  des  Dorfs  San  Mateo,  und,  dem  Zeugnifs  des 
Hrn.  Bredemeyer  zufolge,  dessen  Reisen  den  schönen 
Gewächshäusern  von  Schönhrunn  und  U  ien  so  reichen 
Zuwachs  brachten,  auch  im  Thale  von  Caucagua,  drey 
Tagreisen  östlich  von  Caracas.  Diespr  JNaturforecher 
fand,  wie  wir,  die  Pflanzenmilch  des  Palo  de  J-  tica  von 
angenehmem  Geschmack  und  gewürzhaftem  Geruch. 
In  Caucagua  nennen  die  Eingehornen  den  Baum,  wel- 
cher diesen  nährenden  Saft  liefert,  IMilc/ibaiim ,  Arbol 
de  lecke.  Sie  behaupten,  an  der  Dichtheit  und  Farbe 
des  Laubes  die  Stämme  zu  unterscheiden,  welche  am 
meisten  Saft  enthalten,  wie  die  Hirten  an  äufseren  Kenn- 
zeichen eine  gute  Milchkuh  erkennen.  ^och  hat  bis 
dahin  kein  Pflanzenforscher  das  Dasoyn  dieses  Gewäch- 
ses gekannt,  von  dem  man  sich  die  Befruchtungstheile 
leicht  wird  verschafl'en  können.  IN  ach  Herrn  Kunth 
scheint  dasselbe  der  Familie  der  Sapoteen  (Sapotilliers) 
anzugehören*^.     Ich  habe  erst  lange  nach  meiner  hück- 


*)  Galactodendrum^  ex  familla  sapotoarum.  Arbor  6-7 -or- 
gyalis.  Ramuli  teretes;  glabri ,  juniores  angiilali,  tcnuis- 
sime  canescenti  puberali.  Genxniae  lerminaics ,  subulal«^, 
convölutae,  slriceo  -  pubescentes.  Folia  altcrna  ,  petiolata, 
oblonga,  utrinque  rolumlala,  apice  brevissiine  acuininata, 
integerrima ,  reticulato- venosa,  venis  primariis  transversa- 
libus  'pauIo    approximatis   subparalleiis  nervoque   subtus  pro- 


Kapitel     XVI.  i83 

kunft  in  Europa,  in  der  Beschreihnng  von  Ostindien 
durch  den  Holländer  Lael,  eine  Stelle  gefunden,  die  auf 
den  Kulibaum  Bezug-  zu  haben  scheint.  ,,Es  befinden 
sich,  sag-tLeet*^,  in  der  Provinz  Cuinana  Bäume  ,  de- 
ren Saft  einer  geronnenen  Milch  gleicht,  und  eine  ge- 
sunde Nahrung  gewährt/"^ 

ich  gestehe,  dafs  unter  der  grofsen  Zahl  merk- 
würdiger Erscheinungen,  die  mir  auf  meinen  Reisen 
vorgekommen  sind ,  nur  wenige  einen  so  lebhaften 
Eindruck  auf  mich  machten,  wie  der  Anblick  des  Huh- 
bamns.  Alles,  was  auf  Milch  Bezug  hat,  alles,  was  die 
Cerealien  angeht,  regt  eine  Theilnahme  in  uns  auf,  die 
nicht  einzig  nur  auf  dem  Werth  der  Kenntnifs  natür- 
licher Dinge  beruht,  sondern  sich  einer  andern  Reihe 
von  Vorstellungen  und  Gefühlen  anschliefst.  Wir  mögen 
uns  nicht  leicht  denken,  wie  das  Menschengeschlecht 
ohne  mehligte  Substanzen,  ohne  den  Nahrungssaft  be- 
stehen könnte,  den  die  Mutterbrust  enthält,  und  wel- 
cher der  lange  dauernden  Schwäche  des  Kindes  ange- 
pafst  ist.      Der  Stärkmehl-Stoflf  der  Cerealien,    ein  Ge- 


minentibus,  subcoriacea,  glaberrima,  exsiccata  supra  viridia, 
sublus  aureo  -  fusca ,  növem  aut  decem  pollifcs  longa,  vix 
qualuor  pollices  lata.  Petioli  crassi,  canaliculali ,  glabri, 
S  aut  9  lineas  longi.  Stipulae  nullte.  Fructus  facie  drupae 
jugl.Tndis,  carnosus,  giobosus,  viridis,  fcetus  nucibus  i  aut  2, 
monospermis  (Drupa?  pluri  -,  arbotu  uni-  aut  bilocularis: 
loculis  monospermis?^.  Kunth  'inHumb.  et  Bonpl.,  Nou.Gen., 
Tom.  Ilf,  ined. 
"*)  Inier  arbores  quec  sponte  hie  passiin  nascunlur,  niemorantur 
a  scriploribus  hispanis  quaedam,  quae  lacteum  quemdam  li- 
quorem  fundunt ,  qui  durus  admodum  evadit  instar  gummi 
et  suavem  odorem  de  se  fundit :  aliec  quee  Uquorem  quem- 
dam edunt ,  instar  lactis  coagulati  ,  qui  in  cibis  ah  ipsis 
usurpatur  sine  noxa.  Descript.  Ind.  occ.  Lib.  18,  Cap.  4 
fed.   i653,   p.  67 j). 


iSi  Buch     V. 

g-en5tan(l  religiüser  Verehrung- bey  sehr  vielen  alten  und 
neueren  Völkern,  ist  in  den  PHanzensaamen  verbreitet, 
und  n  ird  nicht  minder  in  \A'ui'zeln  angetroft'en  ;  die  zur 
Speise  dienende  Milch  zeigt  sich  uns  ausschliefsiicli  als 
ein  Erzeugnifs  thierischer  Eildung-.  So  sind  die  Ein- 
drücke bescbaiTen,  welche  wir  von  frül'ester  Jug-end  an 
empfangen  haben,  und  dies  i'^t  auch  die  Quelle  des  Er- 
staunens, das  uns  der  Anblick  des  so  eben  beschriebenen 
Baumes  erregt.  Es  sind  hier  keine  prachtvollen  Schat- 
ten der  Wälder,  kein  majestätischer  Lauf  der  Strüme, 
und  keine  in  ewigen  Winter  gehüllte  Berge,  die  uns 
mächtig-  ergreifen.  Einige  Tropfen  eines  Fflanzensafts 
erinnern  uns  an  die  Allmacht  und  Fruchtbarkeit  der 
INatur.  Am  dürren  Abhang  eines  Felsen  wächst  ein 
Baum,  dessen  Blätter  dürr  und  zäh  sind.  Seine  dicken 
holzigen  Wurzeln  haben  Mühe  in  das  Gestein  einzudrin- 
gen. Mehrere  JNIonate  des  Jahres  befeuchtet  kein  er- 
quickender Regen  sein  Laub.  Die  Aeste  scheinen  ab- 
gestorben und  vertrocknet,  bohrt  man  aber  den  Stamm 
an,  so  entfliefst  ihm  eine  milde  und  nährende  Milch. 
Bey  Sonnen-Aufgang-  ist  diese  vegetabili:c!ie  Quelle  am 
reichsten.  Es  kommen  alsdann  von  allen  Seilen  her 
Neger  und  Eingeborne,  mit  grofsen  IVäpfen  versehen, 
um  die  Milch  zu  sammeln,  welche  gelb  wird  und  sich 
auf  der  Oberfläche  verdichtet.  Die  einen  heren  ihre 
Näpfe  unter  dem  Baume  selbst  aus,  andere  bringen  das 
Gesammelte  ihren  Kindern.  Alan  glaubt  den  Haushalt 
eines  Hirten  zu  sehen,  der  die  Milch  seiner  Heerde 
verlheilt. 

Dies  sind  die  Eindrücke,  welche  der  erste  Anlilick 
des  hu/tbaums  im  Geiste  des  Reisenden  zurückläfst.  Die 
Wissenschaft- zeigt  uns,  indem  sie  die  natürlichen  Ei- 
genschaften der  thierischen  Suhstan/en  und  der  Hflanzen- 
Substanzen  untersucht,   die  zwischen  beyden  bestehend© 


Kapitel     XVI.  i85 

enge  \  «jrbindung ;  aber  sie  entzieht  das  Wunderbare, 
und  vielleicht  auch  sogar  einen  Tlieil  seines  Reizes  dem- 
jenigen, das  unser  Erstaunen  erregt  lustte.  JNichts  er- 
scheint mehr  vereinzi'U  f  chymische  Grundtheile,  ivel- 
che  man  den  Tliieren  eigenthiunlich  glaubte,  finden 
sich  in  den  Pflanzen  wiedi^r.  Ein  gemeinsames  Band 
umschlingt  die  ganze  organische   Natur. 

Lange  bevor  die  öcheidekiinstler  kleine  Wacbs- 
theilchen  im  Blütlienstaub,  iin  Fiinifs  der  Blätter  und 
im  weifsen  Staubhauch  unserer  Pflaumen  und  Trauben 
erkannt  hatteii ,  verfertigltm  die  Bewohner  der  Anden 
von  Quindiü  Kerzen  aus  der  dicken  Wachskruste ,  die 
den  Stamm  eines  Palmbaums  bedeckt  *).  Seit  wenigen 
Jahren  erst  kam  man  in  Europa  auf  die  Entdeckung  des 
Caseiim  **),  als  des  Grundtueils  vom  Käse,  in  der  Man- 
delmilch; während  seit  Jahrhunderten  in  den  Küsten- 
bergen von  Venezuela  die  Milch  eines  Baumes ,  und 
der  Käse,  der  sich  aus  dieser  Pflanzenmilch  abscheidet, 
für  eine  gesunde  Nahrung  gehalten  wird.  Worauf  be- 
ruht dieser  seltsame  Gang  in  der  Entwicklung  unsrer 
Kenntnisse?  Wie  gelangte  ^as  Volk  in  der  einen  Halb- 
kugel zur  Erkenntnifs  dessen,  was  in  der  andern  so  lange 
Zeit  dem  Scharfsinn  der  Scheidekiinstler  sich  entzog, 
welche  gewöhnt  sind,  die  Natur  zu  befragen  und  sie 
in  ihrem  geheimnifsvollen  Gang  zu  überraschen?  Per 
Grund  liegt  darin,  dafs  eine  kleine  Zahl  UrslolTe  und 
verschiedenthcli  verbundene  Grundtheile  in  mehreren 
Pflaiizenfamilien    verbreitet    sind  5     dafs    die    Gattungen 


*)  '^ercj:\  Ion  and'tcola,  die  wir  in  den  Plantcs  equinoxialc?, 
Tom.  I,  p.  g,  pl.  I  et  II  Lekannt  gemaciit  lia'ben. 

'**)  Proust,  im  Journ.  de  Ph')s.,  Tom.  I.IV",  p.  43o.  Boullay 
und  \  ogei  in  den  A/tnales  de  Chiniie  et  de  Physiquc,  Tom.  VI, 
f.  408. 


iS6  Buch     V. 

und  Arton  dieser  natürlidien  Familien  nicht  gleich- 
mälsig  in  der  Aequatorial  Zone  und  in  den  kalten  und 
geinSrsi<^-ten  Zonen  vertheilt  sind  5  dafs  Völkerschaften, 
die  das  Bediirfnifs  antreiht  und  die  ihre  meiste  JNalirung- 
aus  dem  Pflanzenreich  '/iehon  ,  nährende  Grundtheile, 
niehliii:e  und  Nahrungs- Suhstanzen  überall  entdecken, 
wo  die  Natur  sie  in  Säften,  Binden,  Wurzeln  oder  Früch- 
ten der  Gewächse  niedergelegt  hat.  Dieses  Stärke-Satz- 
mehl, welches  die  Saamen  der  Cerealien  in  seiner  völ- 
ligen Keinheit  darstellen,  findet  sich,  mit  einem  scharfen 
vnd  zuweilen  sogar  auch  gütigen  Saite  vereinbart,  in 
den  Wurzeln  des  Arum,  der  Tacca  pinnatifida  und  der 
Jatropha  ATanihot.  Der  americanische  Wilde  hat,  gleich 
dem  Bewohner  der  Südsee-lnscln,  das  Satzmehl  durch 
Auspressen  und  Trennung  von  seinem  Safte  versüfsen 
gelernt.  In  der  Pflanzenmilch  und  in  den  milchisten 
Emulsionen  sind  überaus  nährende  Stofl'e,  das  Eyweifs, 
der  Caseum  und  der  Zucker,  mit  dem  Caoutchouc  und 
mit  ätzenden  und  zerstörenden  Grundtheilen  vermischt, 
wie  die  Morphine  '"')  und  die  Blausäure  sind.  Diese 
Mischungen  zeigen  sich  nicht  nur  in  den  ui'igleichen 
Familien  verschieden,  sondern  auch  in  den  Arten,  wel- 
che zur  nämlichen  Gattung  gehören.  Bald  ist  es  die 
Morphine  oder  der  narcotische  Grundtheil,  der,  wie 
dies  bey  einigen  Paperaceen  der  Fall  ist,  die  Pflanzen- 
milch  auszeichnet;  bald  das  Caoutchouc,  wie  in  der 
Hevea  und  Castilloaj  bald  das  Eyweifs  und  das  Caseum^ 
wie  im  Melonenhaum  tind  im  liuhhanm. 

Es  gehören  die  Milchsaftpflanzen  vorzugsweise  zu 
den  drey  Familien  der  Euphorhiaceen  ,  Urticeen  und 
Apocineen  **),   und  da  es  sich,    bey  Untersuchung  der 


*)  Das  Opium  enthält  die  Morphine,  das  Caoutchouc  u.  s.  >v. 
**)    Auf  diese  drey  grofsen  Familien   folgen  die  Papaveraceen, 


Kapitel    XFI,  1S7 

Vertlieilung  der  Pflanzenformen  über  den  Erdball ^  er- 
gi»>bt,  dafs  diese  drey  Familien  in  dcM-  lieleiei)  Gegend 
der  Tropenländer  in  zalilreiclieren  Arten  vorl'.ouunen, 
so  läfst  sich  daraus  l'olgcrn^  dafs  eine  sehr  erliühte  Tem- 
peratur zur  Ausarbeitung  der  Milchsäfte,  zur  Bildung 
des  Caoutchouc,  des  Eyueifses  niid  der  Käüesuh;  tanz 
beyträgt.  Der  Saft  des  J'alo  de  I  aca  zeigt  ohne  Zwei- 
fel das  merkwürdigste  ßey?piel  einer  Pflanzenmilch, 
worin  das  scharfe  und  schädliclie  Piincip  dem  Eyweifs, 
dem  Caseum  und  dem  Caoutchouc  nicht  beygesellt  ist  5 
inzwischen  landen  sich  bereits  auch  in  den  Gattungen 
der  Euphorbia  und  Ascleplas ,  die  so  allgemein  durch 
ihre  ätzenden  Eigenschaften  Siekannt  sind,  solche  Arten, 
deren  Salt  mild  vind  unschädlich  ist.  Dahin  geliüren 
das  Tabasba  diilce  der  Canarischen  Inseln ,  von  dem 
wir  anderswo  gesprochen  hal)en  *) ,  und  die  Asclcpias 
lactifera  aus  Ceylan.  Burmann  erzählt,  man  bediene 
sich,  in  Ermangelung  der  Kuhmilch,  dort  zu  Lande 
des  Milchsatts  dieser  letzteren  Pflanze,  und  nian  lasse 
mit  ihren  Blättern  die  Speisen  Kochen  ,  die  sonst  ge- 
w>5hnlich  mit  Thiermilch  zubereitet  werden!  Man  darf 
bolfen,  es  werde  ein  in  die  chymischen  Kenntnisse  tief 
eingeweihter  Keisender,  Hr.  John  Dav)',  diese  That- 
sache  während  seines  Verweilens  auf  der  Insel  Ceylan 


die  Chicoraceen  ,  die  Loltellaceen ,  die  Camparmlacoen ,  die 
Sapoteen  und  die  Cucurbitaceen.  Die  Blausäure  ist  der 
Gr;-ppe  der  Rosaceen  -  Amvgdaleen  eigen.  In  den  Mono- 
cot>  ledoneen  findet  sich  iiein  Milchsaft,  aber  die  Saamen- 
um;;üi)ung  der  Falmbaume,  welche  so  milde  und  angenehme 
milch.irtige  Emulsionen  liefert,  enthält  ohne  Zweifel  caseum. 
Wie  verhall  sich  s  nn't  der  Milch  der  Pilze? 
*)  Euphorliia  baisamifera.  Siehe  oben  Kap.  16.  S.  iS").  Der 
miiciii-te  Saft  des  (^actus  mamillarls  ist  eltenfaüs  siifs.  (De 
Candolle,  Essai  sur  ies  propr.  medicales  des  plantcs,  p.  i56.) 


i88  Buch     F.^ 

aufklären;  denn  es  wäre  möglich,  wie  Hr.  De  Candolle 
gar  wolil  bemerkt,  dafs  die  Eingebornen  nur  den  Saft 
der  ganz  jungen  Pflan/e  gebrauchen  würden,  in  einem 
Zeilpunct,  wo  der  scharfe,  Grundstoff  noch  nicht  ent- 
wickelt ist.  Die  ersten  Sprüfslinge  der  Apocyneen  wer- 
den auch  wirklich  in  mehreren  Ländern  gespeist*). 

Ich  wollte  durch  diese  Zusammenstellung  den  Ver- 
such machen,  die  Milclisäfte,  welche  in  den  Pflanzen 
umlaufen,  und  die  milchigten  Emulsionen,  welche  aus 
den  Frücliten  der  Amygdaleen  und  Palmbaumarten  er- 
halten werden,  unter  einem  allgemeinen  Gesichtspuncte 
darzustellen.  Es  sey  mir  vergönnt,  diesen  Betrachtun- 
gen die  Resultate  einiger  Versuche  beyzugesellen,  die 
ich  mit  dem  Saft  der  Carica  Papaya-  während  meines 
Aufenthalts  in  den  Thälern  von  Aragua  angestellt  habe, 
obgleich  ich  damals  beynahe  gar  nicht  mit  Keagentien 
versehen  war.  Der  nämliche  Saft  ist  seither  von  Hrn. 
Vauquelin  untersucht  worden  *'■*).  Dieser  berühmte 
Scheidekünstler  hat  das  Eyweifs  und  den  käseartigen 
Stoff  sehr  wohl  erkannt:  er  vergleiclit  den  milcliigten 
Saft  mit  einer  stark  animalisirten  Substanz  ,  dem  Blut 
der  Thiere^  er  konnte  aber  seiner  Prüfung  nur  einen 
gegohrnen  Saft  und  ein  Coagnliiin  von  stinkendem  Ge- 
ruch unterwerfen,  das  sich  während  der  Ueberfahrt  des 
Schifies  von  Isle  de  France  nach  dem  Havre  gebildet 
hatte.  Er  drückt  den  Wunsch  aus ,  ein  Keisender 
möchte  die  Milch  des  Melonenbaums  frisch ,  wie  sie 
aus  den  Zweigen  oder  der  Frucht  abfliefst,  unter- 
suchen. 

Je  jünger  die  Frucht  des  Melonenbaums  ist,    um  so 


*)  A.  a.  0.  p,  2i5. 

**)   Vauquelin    und    Cadet    de  Gassicourt,    in    den  Annales   de 
Chimicy  Tom.  A3,  p.  a/S;  Tom.  49,  p.  sho  und  3o4. 


K  a  p  i  f  e  l     XFL  \^ 

mehr  Milch  liefert  sie^  und  diese  findet  sich  bereits  auch 
in  dem  kaum  befruchteten  Keime.  So  wie  die  Frucht 
zeitiget;,  nimmt  die  Milch  an  Monge  ab  und  wird  wäs- 
seriger. Sie  enthält  alsdann  weniger  von  jenem  thieri- 
schen,  durch  Säuren  und  durch  die  Einsaugung  des 
Sauersloflt's  der  Atmosphäre  gerinnbaren  Stoff.  Weil 
die  ganze  Frucht  klebrig  ist  ")  j  so  könnte  man  glau- 
ben^ es  werde  der  gerinnhcire  Stoff  in  die  Organe  ab- 
gesetzt und  einTheil  der  mai'kigen  oder  fleischigen  Sub- 
stanz bilde  sich  daraus.  Wenn  mit  vier  Th eilen  Wasser 
verdünnte  Salpetersäure  tropfenweise  der  ausgeprefsteu 
Milch  einer  noch  ganz  jungen  Frucht  beygemischt  wird, 
so  zeigt  sich  eine  sehr  aufserordentliche  Erscheinung. 
Im  Mittelpunct  jedes  Tropfens  bildet  sich  ein  gallertiges 
Häutchen,  das  durch  graulichte  Striche  abgetheilt  ist. 
Diese  Striche  sind  nichts  anders  ,  als  der  wässerig  ge- 
wordene Saft;  dem  die  Berührung  der  Säure  das  Ey- 
weifs  entzogen  hat.  Zu  gleicher  Zeit  wird  der  Mif- 
telpunct  der  Häutchen  undurchsichtig,  und  nimmt  die 
Farbe  des  Eydotters  an.  Sie  vergrüfsern  sich  wie  durch 
die  Verlängerung  auseinander  laufender  Fibern.  Die 
ganze  Flüssigkeit  sieht  anfänglich  einem  Achat  mit  mil- 
chigten  Wölkchen  gleich  _,  und  man  glaubt  organische 
Häutchen  unter  seinen  Augen  entstehen  zu  sehen.  Wenn 
das  Coagiihim  sich  über  die  ganze  Masse  ausdehnt,    so 


*)  Die  niimliche  Klebrigkeit  ist  auch  der  frischen  Milch  des 
Pnio  de  Vaca  eigen.  Sie  rührt  ohne  Zweifel  von  dem  Caout- 
chouc  her,  der  noeh  nicht  gesondert  ist  und  mit  dem  Ey- 
weifs  und  dem  caseum  eine  gemeinsame  Masse  bildet,  wie 
die  Butter  und  der  caseum  in  der  Thiermilch.  Der  Saft 
einer  Euphorbiacee,  des  Sapium  aucuparium,  welches  gleich 
falls  Caoutchouc  liefert,  ist  so  klebrig,  dafs  man  sich  seiner 
zum  Fang  der  Papageyen  bedient  (^De  CandoUe,  a.  a.  0., 
p.  263.) 


J90 


B  n 


versclnvinilen  die  gelben  Flrcken  neuerdings.  DurcV 
Schütteln  wird  die  Masse  körnig,  wie  weicher  Käse  *^. 
Die  gelije  Farbe  kommt  wieder  zum  Vor^-chein^  wenn 
man  nochmals  einige  Tropfen  Salpetersäure  zugiefst. 
Die  Säure  wirkt  hier  wie  die  Berührung  des  Sauer'itoffs 
der  Atmosphäre  hey  der  Temperatur  von  27°  zu  35°  ; 
denn  das  weiCse  Coagnlum  wird  in  zwey  bis  drey  Mi- 
nuten gelb,  wenn  man  es  der  Sonne  aussetzt.  Etliche 
Stunden  nachher  gelit  das  Gelbe  in  Braun  über,  ohne 
Zweifel  weil  der  Kolilinstoft"  frcyer  wird,  nach  Mafs- 
gabe,  wie  der  mit  ihm  vereint  gewesene  Wasserstoff 
verbrennt.  Das  durch  die  Säure  gebildete  Coagnlum 
wird  klebrig  und  ninnnl  den  Wachsgeruch  an,  welchen 
ich  bey  der  Behandlung  des   Muskelfleisches   und   der 


*)  Was  sich  in  geronnenen  und  faserigten  Klümpchen  nieder- 
schlagt, ist  kein  reines  Caoulchouc,  vielleicht  aber  eine  Mi- 
schung dieser  Sujjstan/.  mit  dem  caseuin  und  dem  Evueifs. 
Die  Sciuren  schlagen  das  Caoulchouc  des  MilciisalU  der  Eu- 
phorbien, der  Fcigcnb.'iuine  und  der  Hevea  nieder;  sie  be- 
wirken den  rSiederschlag  des  caseutn  der  ThiermiJcb.  In 
hermetisch  verschlossenen  Fläschchen  mit  Milch  der  Hevea, 
die  sich  in  unsern  Sammlungen  befand,  bildete  sich,  wäh- 
rend unserer  Heise  an  den  Orenoko,  ein  weifses  Coagulum. 
Es  ist  vielleicjit  die  Entvvicliclung  einer  vegetabilischen  Sau- 
re, welche  alsdann  dem  Evweifs  Sauerstofl"  liefert.  Die  Bil- 
dung des  Coagulums  der  Hevea  oder  eines  wirklichen  Caout- 
chouc  geschieht  inzwischen  viel  schneller  durch  die  Berüh- 
rung der  Lult.  Die  Einsaugung  des  Sauerslofi's  der  Atmo- 
sphäre ist  keineswegs  erforderlich  für  die  Erzeugung  der 
Butter,  welche  völlig  gebildet  in  der  Thiermilch  vorhanden 
ist;  hingegen  liegt  es,  glaube  ich,  aufser  Zweilel,  dafs  in 
der  Pllanzcnmilch  diese  Einsaugung  die  Jläutchen  von  Caoul- 
chouc,  geronnenem  Eyweifs  und  Caseum  erzeugt,  welche 
sich  nach  einander  in  den  der  Luft  ausgesetzten  Gefäfscn 
bilden. 


Kapitel     X^Y.  igi 

Pilze  (Morcheln)  mit  Salpeterjiiure  wahrnalim  *).  Den 
schönen  Versuchen  des  Hrn.  Hatchelt  zufolge  läfst  sich 
anneinnen,  dafs  das  Eyweifs  zum  Theil  in  Gallrrle  über- 
geht **_).  Das  frisch  bereitete  Co«gH/u/«  des  Melonen- 
baums wird,  im  Wasser  aufgeweicht,  zum  Theil  auf- 
gelöst und  fiirht  das  Wasser  gelblich.  Die  Milch,  mit 
blofsem  Wasser  in  Verbindung  gebracht,  bildet  gleich- 
falls Häute.  Eine  zitternde  Gallerte,  dem  Stärkmehl 
ähnlich,  wird  alsbald  daraus  niedergeschlagen.  Diese 
Erscheinung  zeigt  sich  besonders  auffallend,  wenn  das 
dazu  gebrauchte  Wasser  zu  40°  oder  60°  erwärmt  ist. 
Die  Gallerte  verdichtet  sich  im  Ver^ältnifs  des  zugegos- 
senen mehreren  Wassers.  Sie  behält  ihre  weifse  Farbe 
lange,  und  wird  nur  durcli  die  Berührung  einiger  Tro- 
pfen Salpetersäure  gelb  gefärbt.  Veranlafst  durch  den 
Versuch  der  Herren  Fourcroy  und  Vauquelin  mit  dem 
Saft  des  Federharzbaums  (Hevea),  vermischte  ich  die 
Milch  des  Melonenbaums  mit  einer  Auflösung  von  koh- 
lensaure/n Natrum.  Es  bildete  sich  kein  Klumpen,  auch 
alsdann  nicht,  wenn  reines  Wasser  zu  der  Mischung  von 
Milch  und  laugenhafter  Auflösung  gegossen  ward.  Die 
Häute  erscheinen  erst,  \i  enn  durch  Zusatz  einer  Säure 
die  Soda  neutralisirt  und  ein  üebermafs  von  Säure  vor- 
handen ist.  Ich  habe  gleichmäfsig  das  duich  Salpeter- 
säure, durch  Citronensaft  oder  heifses  Wasser  gebildete 
Coagn/um  mittelst  der  Beymischung  von  kohlensaurem 
Natrum  zerstört.  Der  Salt  wird  wieder  milchi^^  und 
flüssig,  wie  er  urspi'ünglich  gewesen  ist 5  wenn  dieser 
Versvich  gelingen  soll,  so  mufs  jedoch  das  CoaguluiQ 
noch  frisch  und  kürzlich  erst  gebildet  seyn. 


*)  Siehe  meine  Versuche  über  die  gereizte  Muskelfaser    Th.  I. 

S.   .^7- 
**)  Siehe  am  gleichen  Ort,   S-   177. 


192 


B  n  c  h     r. 


Vergleicht  man  die  Milchsäfte  des  Melonenhaums, 
des  Kiiltbuiims  und  der  Hevea,  so  zeigt  sich  eine  ciuf- 
fallende  AeiuiHclikeit  zwischen  den  Saiten  ,  worin  der 
käsigte  Stofll"^  und  zwischen  denen,  worin  das  Caout- 
choAiC  vorherrschend  ist.  Alle  vveilsen  und  Irisch  he- 
reitefean  Caoutchoucs,  so  wie  die  wasserdicUlen  Män- 
tel'"'^, welclie  im  spanischen  America  durch  eine,  zwi- 
sclien  zvvey  Stücke  Leinwand  gehrackte,  Schichte  IVlilch 
vom  Federharzhaum  verfertigt  werden,  düngten  einen 
thierischen  oder  ekelhaften  Geruch  aus.  Dieser  scheint 
anzudeuten,  dafs  das  Caoutchouc  heym  Gerinnen  den 
Caseum  nach  sich  zieht,  der  vielleicht  nur  ein  modilicir- 
tes  Eyvveifs  ist  *'-*). 

Die  Frucht  des  Brodbaiims  ist  eben  so  wenig  Brod, 
als  die  Pisangfrucht  vor  ihrer  Reife  es  ist,  oder  die  knol- 
ligten,  stärkemehllialtigen  Wurzeln  des  Manioc,-  der 
Dioscorea,  des  Convolvulus  Balatas  und  dt.r  Hartoll'eln. 
Die  Milch  des  liuhbaiims[\'in^i?^Gn  enthält  den  Käse.^lo/lj 
gleich  der  Milch  der  Säugtüiere.  Zu  allgemeineren 
Betrachtungen  ansteigend,  halten  wir,  mit  Hrn.  Gay- 
Liussac,  das  Caoutchouc  für  d .n  üligtcn  J  hoil,  die  But- 
ter der  Pflanzenmilch.  Wir  Hnden  in  der  Milch  der 
Gewächse  Caseum  und  Caoiüclioiic ^  in  der  Milch  der 
Thiere  Caseum  und  Butter.  Die  iwey  eyw».'il->artigen 
und  üligten  Grundstöfi'e  kommen  in  alweiciiendem  Ver- 
hältnifs  in  den  verschiedenen  Arten  der  Thiere  und  der 
Milci;saftpflanzen  vor.  In  den  letzteren  sind  sie  njeist 
mit  andern,  als  Nahrung  schädlichen  Substanzen  ver- 
bunden, die  man  jedoch  vielleicht  durch  chymische  Vor- 
kehrun;ipn  zu  ti  eiuien  vermöchte.  Eine  PHanzenmilch 
wird  nährend,  wenn  sie  keine  scharfen  und  narcotischen 
Grund- 

*)  Ponchos  y  Ruanas  cncdiichndas  enlrc  dos  telas. 
**'}  SJelie  die  ISole  ß  am  Sclilusse  des  lunhen  Buchs. 


Kapitel     XVL  icß 

Grundtlicile  enthält^  und  wenn  das  Caoutcliouc  weniger 
als  dei'  KiisestolT  darin  vorherrschend  ist. 

Wenn  der  Palo  de  Vacca  die  unermefslicheFi'ucht- 
barkeit  und  Wohlthätigkeit  der  Natur  in  der  heifsen 
Zone  darstellt,  so  erinnert  er  auch  an  die  niancherley 
Ursachen^  welche  in  diesem  schönen  Klima  die  sorglose 
Trägheit  des  Menschen  begünstigen.  Mungo  Park  hat 
uns  mit  dem  Butterbaiim  von  Bambarra  bekannt  ge- 
macht, von  dem  Hr.  de  Candolle  vermulhet,  er  geiiöre, 
^\{e  unser  Milchbnnm,  zur  Familie  der  Sapoteea.  Der 
Pisang,  der  Sagobaum,  die  Mauritien  vom  Orenoko 
sind  JJi'odbüiwie,  wie  derKima  der  Südsee.  Die  Früchte 
der  Crescentia  und  des  Lecythis  dienen  als  Gefäfse  ;  Blu- 
menscheiden der  Palmbäume  und  Baumrinden  liefern 
Mützen  und  Gewänder  ohne  Näthe.  Die  Knoten  oder 
vielmehr  die  inneren  Scheidewände  des  Stamms  der  Bam- 
busrohre dienen  zu  Leitern,  und  erleichtern  auf  mannig- 
faltige Weise  den  Bau  der  Hütten,  die  Verfertigung  von 
Stühlen,  Betten  und  andern  Geräthschaften,  in  denen 
der  Keichthum  der  Wilden  besteht.  Mitten  unter  einer 
so  üppigen,  in  ihren  Erzeugnissen  so  mannigfalti- 
gen Vegetation  bedarf  es  kräftiger  Antriebe,  um  de^n 
Menschen  zur  Arbeit  zu  spornen ,  ihn  aus  trägem 
Schlummer  aufzuwecken,  und  seine  Geisteskräfte  zu 
entwickeln. 

In  Barbula  werden  der.  Cacaobaum  und  der  Baum- 
wollstrauch angebaut.  Wir  fanden  hier,  was  in  diesem 
Land  sehr  Selten  ist,  zwey  grofse  Maschinen  mit  Cy- 
lindern,  zur  Absonderung  der  Baumwolle  von  den  Saa- 
menkernen^  die  eine  wird  durch  ein  Wasserrad,  die 
andere  durch  einen  Göpel  und  durch  Maulthiere  ge- 
trieben. Der  Hausmeyer  des  Pachtguts,  welcher  diese 
Maschinen  verfertigt  hatte,  war  aus  Merida  gebürtig. 
Er  kannte  den  Weg,  welcher  von  Nueva  Valencia  durch. 

^Ux.   V.   Humboldts  hisi.   Reisen.  III.  .l3 


ig4  ß  II  c  h     A' 

Guanaie  und  Misagual  nach  Varinas,  und  von  da  durch 
die  licrgsciilucht  des  Calkjones  nach  Paramo  des  IVlu- 
cuchies  und  den  mit  ewigem  Schnee  hedeckten  Bergen 
von  Merida  führt.  Die  Angahen,  welche  wir  von  ihm 
erhielten,  üher  die  erfordiuliche  Zeit,  um  von  Valencia 
durch  Vax'inas  nach  der  Sierra  Nevada,  und  von  da 
durch  den  Hafen  von  Torunos  und  den  Rio  Santo  Do- 
mingo nach  San  Fernando  de  Apure  zu  gelangen,  waren 
uns  überaus  wichtig.  INIan  kann  sich  in  Europa  keine 
Vorstellung  machen,  wie  schwer  es  hält,  genaue  JN' ach- 
richten in  einem  Lande  zu  erhalten,  wo  so  wenige  Ver- 
bindungen vorhanden  sind,  und  wo  man  die  Entfernun- 
gen der  Orte  verringert  oder  vergrüfsert,  je  nachdem 
man  einen  Meisenden  aufmuntern,  oder  ihm  seine  Plane 
verleiden  will.  Bey  der  Abreise  von  Caracas  hatte  ich 
dem  Intendanten  der  Provinz  Gelder  übergehen,  um  die- 
selben durch  die  Beamten  des  königlichen  Schatzamts 
in  Varinas  bezahlt  zu  erhalten.  Mein  Enlschlufs  war, 
das  östliche  Ende  der  Cordilleren  von  Neugranada  zu 
besuchen,  da  wo  sie  sich  in  die  Paramos  von  Timotes 
und  JNiquilao  verlieren.  In  ßarbula  vernahm  ich,  dafs 
dieser  Ausflug  unsere  Ankunft  am  Orenoko  um  fünf  und 
dreyfsig  Tage  verzögern  würde.  Dieser  V^erzug  mufste 
uns  um  so  wichtiger  erscheinen,  da  man  den  Eintritt 
der  Regenzeit  früher  als  gewöhnlich  erwartete.  \'\  ir 
hatten  die  Hoffnung,  in  der.  Folge  zahlreiche,  mit  ewi- 
gem Schnee  bedeckte  Berge  in(^)uitOj  in  Peru  und  in 
Mexico  zu  besuchen,  und  es  schien  mir  um  so  rath- 
samer,  den  Plan  des  Besuchs  der  Berge  von  Merida 
Aufzugeben,  da  wir  fürchten  niulsten,  den  eigentlichen 
Zweck  unserer  Reise  zu  vexlieren,  welcher  darin  be- 
stund, durch  astronomische  Beobachtungen  den  Verein- 
barungspunct  dos  Orenoko  mit  dem  Rio  ISegro  und  dorn 
iVmazonen-Stroxn  festzusetzen.      Wir  kehrten  demnadi 


Ix  a  p  i  l  e  l     yiVI.  196 

von  Barbula  nach  Guacara  zurück,  ujo  uns  bey  der  ach- 
tungsvverthen  Familie  des  Marquis  del  Toro  zu  ver- 
abscliieden  und  noch  drcy  Tage  am  öeeufer  zu  ver- 
weilen. 

Es  waren  die  vier  letzten  Carnevalstage.  Alles  war 
frühhch  und  munter.  Die  Spiele,  die  man  treibt,  und 
die  man  Spiele  de  carnes  loUendus  heilst,  nelimon  mit- 
unter einen  etwas  rohen  Character  an.  Einige  führen 
einen  mit  U'asser  beladeiicn  Esel  herum,  und  wo  ein 
oflenes  Fenster  ist,  wird  das  Innere  der  Zimmer  mit  ei- 
ner Spritze  übergössen.  Andere  haben  Daten  voll  Haare 
der  Picapica  oder  des  Dolichos  pruriens,  die  sie  den 
Vorhergehenden  in's  Gesicht  blasen,  und  ihnen  damit 
ein  heftiges  Hautjucken  verursachen. 

Von  Guacara  kehrten  wir  nach  Nueva  Valencia  zu- 
rück*^. Hier  trafen  wir  etliche  französische  Ausgewan- 
derte, die  einzigen,  welche  wir  während  fünf  Jahren 
in  den  spanischen  Colonien  gesehen  haben.  Der  Bluts- 
verwandtschaft unerachtet,  welche  zwischen  den  künig- 
lichen  Familien  von  Fi-an!'.reich  und  Spanien  besteht, 
war  es  selbst  den  französischen  Priestern  nicht  ver- 
gönnt, sich  in  diesen  Thüil  der  Neuen  Welt,  wo  der 
Mensch  so  leicht  Nahrung  untl  Obdach  finden  mag,  zu 
flüchten.      Jenseits  des  VA  eltmeeres  waren  es  die  Verein- 


)  Ich  habe  die  Breite  der  Hacienda  de  Cura,  einen  der  zu- 
verlässigst bestimmten  Standpuncte  ,  10"  j5'  ItO"  gefundenj 
diejenige  von  Guacara  10"  11'  sj";  die  von  rsueva  Valen- 
cia 10"  9'  56".  iObs.  astr.  Tom.  I,  p.  199  —  204  und 
207  —  209.)  Die  Dedination  der  Mngnelnadel  war  jn  der 
Hacienda  de  Cura  41",  20;  in  ^ueva  Valencia  ^i^.yS.  Die 
Scliwingiingen  betrugen  an  diesen  bcvdcn  Orten,  in  zelin 
Minuten  Zeit,  23o  und  224.  Wir  stellten  alle  diese  Beob- 
achtungen in  frever  Luft  und  in  der  Entfernung  von  Ge- 
bäuden an.      dSii^he  weiter  oben,  Kap.   i3.  S.  104.) 


11)5  Buch     V. 

ten  Staaten  einzig  nur,  die  dem  Unglück  eine  Zuflucht- 
stätte darboten.  Eine  Kegierung,  die  stark  ist,  weil  sie 
freysinnig,  und  selbstvertrauend,  weil  sie  gerecht  ist, 
konnte  ohne  Furcht  den  Verbannten  bey  sich  Aufnahme 
geben. 

Wir  haben  weiter  oben  versucht,  einige  bestimmte 
Angaben  über  die  Verhältr.is?e  der  Cultur  des  Indigo, 
der  Baumwolle  und  des  Zuckers  in  der  Provinz  Caracas 
zu  geben.  Ehe  wir  das  Thal  von  Aragua  und  das  be- 
nachbarte Küstenland  verlassen,  müssen  wir  noch  von 
den  Cacaobüumen  sprechen,  welche  jederzeit  für  die 
Hauptquelle  des  Wohlstands  dieser  Gegenden  gehalten 
wurden.  Die  Provinz  Caracas  *•')  erzeugte,  zu  Ende 
des  aclitzehnten  Jalirhunderts,  jälirlich  i5o,ooo  Fanegas, 
wovon  30,000  in  der  Provinz  selbst  und  100,000  in  Spa- 
nien verbraucht  werden.  Berechnet  man  eine  Fanega 
Cacao,  zum  Preise  von  Cadix,  auch  nur  zu  20  Plaster, 
so  ergiebt  sich,  dafs  der  Gcsammlertrag  der  Cacao  Aus- 
fuhr in  den  sechs  Seehäfen  der  Capitania  geoeral  von 
Caracas  '-'^^  auf  4^800,000  Piaster  ansteigt.     Ein  so  be- 


*3  Die  Provinz  und  nicht  die  General-Capilanschoft,  also  mit 
Ausschlufs  der  Cacao-Pflanzungen  von  Cumana,  von  der  Pro- 
vinz Barcelona,  von  I\Iaraca_ylio,  Varinas  und  vom  spani- 
schen Guiana.  Zur  Zeit  des  Krieges,  im  J.  1800,  war  der 
Preis  e\ncr  Fanega  in  der  Provinz  Caracas  12  Piaster,  und 
in  Spanien  70  Piaster.  Von  1781  bis  1799  "cchsellen  die 
Preise  einer  Fanega  in  Cadix  zwischen  40  bis  100  Piaster. 
Die  Transportkosten  von  Guayra  nach  Cadix  beiragen  in 
Friedenszeilen  5  Piaster,  in  Hriegszeiten  11  bis  12  Piaster 
die  Fanesa.  In  Friedenszeiten  ist  der  Preis  des  Cacao  in 
Caracas  12  bis  20  Piaster  die  Fanega. 

**')  St.  Thomas  von  Keu-Guiana  oder  Angostura ,  Cumana, 
ISupva  Barcelona,  La  Guayra,  Porto  -  Cabello  und  iMara- 
coybo. 


Kapitel     XVI.  197 

deutender  Handelszweig  verdient  wohl  eine  sorgfältige 
Würdigung,  und  ich  schmeichle  mir,  durch  die  grofse 
Zahl  von  Materialien,  welche  ich  über  alle  Zweige  dor 
Colonial-Landvvirth;  cliaft  gesammelt  habe,  im  Stande 
zu  seyn,  die  Angaben,  welche  Hr.  Depons  in  seinem 
schätzbaren  Werk  über  die  Provinzen  von  Venezuela 
gesammelt  hat,  annocli  zu  vervollständigen. 

Der  Baum,  welcher  den  Cacao  erzeugt,  wäclist 
heutzutage  in  den  Wäldern  der  Terra -Firma  nordwärts 
d;^m  Orenoko,  nirgends  wild ;  wir  haben  ihn  nur  erst 
jenseits  der  Cataracten  von  Atures  und  JVlaypures  an- 
getroffen. In  Menge  wächst  er  hauptsächlich  unfern 
von  den  Gestaden  des  Ventuari  und  im  obern  Orenol;o, 
zwischen  dem  Padamo  und  dem  Gehette.  Diese  Selten- 
heit der  wilden  Cacao  -  Bäume  im  südlichen  America^ 
nördlich  dem  Parallelkreise  von  6°,  ist  eine  sehr  merk- 
würdige und  bisher  wenig  bekannte  Erscheinung  der 
Pflanzen-Erdkunde.  Sie  stellt  sich  um  so  auffallender 
dar,  als  man,  nach  dem  Jahresertrag  der  Ernten,  die 
Zahl  der  fruchtbaren  Bäume  in  den  Cacao  Pflanzungen 
vonCumana,  Nueva  Barcelona,  Venezuela,  Varinas  und 
Maracaybo  auf  mehr  denn  16  Millionen  berechnet.  Der 
wilde  (^acaobaum  ist  vielästig,  vind  sein  Laubwerk  ist 
dicht  und  schattig.  Er  trägt  eine  überaus  kleine  Frucht, 
die  der  Spielart  j^leicht,  welche  die  alten  Mexicaner 
TlalcacafinatL  nannten.  In  die  coniicos  der  Indianer 
vom  Cassiquiare  und  Rio  "Negro  verpflanzt,  behält  der 
Avilde  Baum  durch  mehrere  Geschlechter- Folgen  jene 
Stärke  d^s  Pflanzenlebens,  die  ihn  vom  vierten  Jahr  an 
tragbar  macht,  wäfirend  in  der  Provinz  Caracas  hin- 
gegen die  Ernten  im  sechsten,  siebenten  oder  achten 
Jahr  erst  ihren  Anfang  nehmen.  Sie  erfolgen  später 
landeinwärts  als  auf  dem  Küstenlande  und  im  Thalo  von 
Guapo.    Wir  fanden  keinen  Vülkerstamm  vom  Orenoko, 


198  Buch     V. 

der  aus  den  Saamen  des  Cacaobaums  ein  Getränk  bereitet. 
Die  Wilden  saugen  das  Mark  der  Hülsen  aus,  und  u  erfen 
die  Saamen  weg,  die  man  oft  in  Menge  an  stellen ,  wo 
sie  gelagert  hatten,  antri.'lt.  Obgleich  das  CAo/'O/e,  wel- 
ches ein  gar  schwacher  Cacao  Aulgufs  ist,  im  Ptüstenhinde 
für  ein  sehr  altes  Getränk  gilt,  so  sind  doch  keine  histo- 
rischen Angalten  vorhanden,  welche  darthun  Isüiinten, 
dafs  die  hingehornen  von  \  enezuela  den  Chocolal  oder 
irgend  eine  Zubereitung  des  Cacao  vor  der  Ankunft  der 
Spanier  gekannt  haben.  Ich  halte  es  für  wahrschein- 
licher, es  seyen  die  Cacao-Ptlaniungen  von  Caracas  durch 
diejenigen  von  Mexico  und  Guatimala  veranlafst  worden, 
und  die  Spanier  der  Terra-Firma  haben  sowohl  den  An- 
bau des  Cacaobaums,  dessen  junge  Pflanzen  unter  dem 
Schatten  der  Erythrina  und  dos  Pisangs  gedeihen  *),  als 
die  Verfertigung  der  C/ioco/«//- Täfelchen  und  den  Ge- 
brauch des  gleichnamigen  Getränks  durch  ihren  Ver- 
kehr mit  Mexico,  Guatimala  und  JN'icaragua  erlernt,  drey 
Landschaften,  deren  Bewohner  toltekischer  und  azteki- 
scher Herkunft  sind. 

Bis  in  s  sechszehnte  Jahrhundert  waren  die  Urtheile 
der  Keisenden  über  den  Chocolatl  sehr  verschieden,  ßen- 
zoni  ■'•'■"')  sagt  in  seiner  naiven  Schreibart,  er  sev  viel- 
mehr ein  Getränk  da  porci,  che  da  hiioviini.  Der  Je- 
suite  Acosta  '"'^^'y  meldet:    ;,die  in  A.-?erica  wohnenden 


*}  Dies  Verfahren  der  mexicanisclicn  Landwirthe,  welches  auf 
der  Ki'islc  von  Caracas  genau  hcfolgt  wird,  ist  hereits  in 
den  Deukschrillen  hesclirieben  worden ,  die  unter  defh  Na- 
men der  Relazlone  di  certo  gentiluomo  del  Sigiwr  Cortes^ 
cotiquistatore  dcl  Messico  (^Ramusio,  Tom.  II,  p.  iJi),  he- 
kannl  sind. 

**)  Girolamo  Benzoniy  Milaiiese^  Bist,  del  Moiido  NitovOf 
1572,   p.   104. 

•**3  Tiist.  Nat.  de  Indiasy  Lib.  IV,    c.  22    (Ausg.   von  iSog), 

p.    25l. 


Kapitel     XFf.  199 

Spanier  spyon  ganz  närrisch  in  den  Chocolat  verliebt, 
man  müsse  aber  an  diesen  schwarzen  Trank  g-ewöhnt 
seyn,  um  nicht  schon  vom  l.lofsen  Anblick  seines  oben 
scliu inimenden^  derti  Bodensat/,  eines  i^ährenden  Safts 
gleichenden  Schaums  Ekel  zu  fühlen."  Er  setzet  hin7u: 
.,Der  Cacao  ist  ein  Vorurtheil  (nna  supersticion}  der 
Mexicaner,  wie  der  Coca  ein  Vorurtheil  der  Periivianer 
ist/'^  Diese  Urtheile  erinnern  an  die  Prophezeiung,  wel- 
che die  Frau  von  Sevigne  dem  Gebrauch  di'S  Calfee  ge- 
stellt hat.  Fernand  Cortez  hingegen,  und  sein  Page, 
der  gentil-liomhre  ilel  gran.  Conquislador,  dessen  Denk- 
schriften Ramusio  bekannt  gemacht  hat,  rühmen  den 
Chocolat  nicht  nur  als  ein,  auch  kalt  zubereitet  *),  an- 
genehmes Getränk,  sondern  vorzüglich  als  ein  gutes 
ISahrungsmittel.  ^jVVer  eine  Tasse  davon  getrunken  hat, 
sag^t  der  Page  von  Hernan  Cortez,  der  hält  es  einen  gan- 
zen Tag,  ohne  weiter  etwas  zu  geniefsen,  auf  der  Heise 
aus,  sonderheitlich  in  heifsen  Erdstrichen,  denn  der 
Chocolat  ist,  seiner  Natur  nach,  halt  und  kühlend.^' 
Dieser  letzteren  Behauptung  können  wir  nun  zwar  nicht 
Leypflichten,  hingegen  werden  wir  bald  Anlafs  haben, 
bey  unserer  Fahrt  auf  dem  Orenoko  und  bey  der  Heise 
über  die  Cordilleren  die  wohlthätigen  Eigenschaften  des 
Chocolat  zu  preisen.  Indem  er  ausnehmend  leicht  mit- 
geführt und  zur  Speise  gebraucht  werden  mag,  enthält 
er  in  kleinem  Haume  viele  nährend.;  und  erregende  Thei- 
le.  Es  i^t  sehr  richtig  gesaugt  worden,  mitheis,  Gummi 
und  der  Butter  vom  Shea  möge  der  Mensch  die  africa- 


*)  Der  Pater  Gili  hat  aus  zwcv  Stellen  von  Torquemada  CMo- 
narquia  Indiana^  Lib.  XIV,  cap.  i4  und  !^2^  genügend  dar- 
gelhan  ,  dafs  die  Mexicaner  den  Aufgufs  kalt  machten,  und 
dafs  die  Sitte ,  den  Chocolat  durch  Sieden  des  Wassers  mit 
dem  Cacao-Teig  zu  verfertigen,  ron  den  Spaniern  eingeführt 
ward. 


200  Buch     V. 

nischen  Wüsten  durchwandern.  In  der  neuen  Welt 
haben  der  Cliocolat  und  das  Maismehl  ihm  die  Plateaus 
der  Anden  und  die  unbewohnten  ausgedehnten  Wälder 
zugänirlich  gemacht. 

Die  Cacao-Ernte  zeigt  sich  sehr  verschieden.  Die 
Vegetationskraft  des  Baumes  ist  so  mächtig,  dafs  aus 
seinen  holzigen  Wurzeln  sogar ,  wo  die  Erde  sie  nicht 
deckt,  BliUhen  hervorkonunen.  Die  INoidostwindc  sind 
ihm  schädlich,  wenn  die  Wärme  durch  sie  auch  nur  um 
etliche  Grade  vermindert  wird.  Die  Platzregen,  welche 
pach  der  Regenzeit,  wälirend  der  Wintermonate,  vom 
Christmonat  bis  zum  März,  unregelmäfsig  statt  finden, 
sind  dem  Cacaobaum  ebenfalls  sehr  nachtheilig.  Es 
geschieht  öfters,  dafs  der  Eigenthümer  einer  Pflanzung 
von  öo,ooo  Stämmen  innerhalb  einer  Stunde  für  mehr 
als  vier-  bis  fünftausend  Piaster  an  Cacao  einbüfst.  Grofse 
Feuchtigkeit  bekömmt  dem  Baume  nur  alsdann  gut,  wenn 
sie  allmählich  zunimmt  und  lange  ununterbrochen  an- 
hält. Wenn,  zur  Zeit  der  Trockenheit,  die  Blätter  und 
die  jungen  Früchte  durch  einen  starken  Regengufs  be- 
netzt werden,  so  löst  sich  die  Frucht  vom  Stiele  ab.  Es 
scheint,  die  Gefäfse,  welche  das  Wasser  einsaugen,  wer- 
den durch  eine  Art  Auf  Schwellung  zerrissen.  Wenn 
indefs  die-Cacao-Ernte  zu  den  unsichersten  gehört,  um 
der  naclitheiligen  Wirkungen  der  schlimmen  Witterung 
willen,  und  \\<i^Qx\.  der  Menge  Kaupen,  Insecten,  Vögel 
und  Säugethiere  *),  welche  die  Früchte  des  Baumes  ver- 
zehren j  wenn  dieser  CuUurzweig  den  IN  achtheil 'hat, 
dafs  ein  neuer  Pflanzer  nach  Verflufs  von  acht  bis  zehn 
Jahren  erst  den  Ertrag  seiner  Arbeit  geniefsen  kann,  und 
dafs  die  Aufbewahrung  des  Erzeugnisses  sehr  schwierig 


*)  Die  Papageyen,    die  IflTen,    die  Agoutis,   die  Eichhörnchen, 
die  Hirsche.     (Siehe  Depons,  Tom.  11,  p.  182  • — 204.) 


Kapitel     X.V1.  201 

ist  *D,  so  darf  man  hinwieder  auch  nicht  vergessen;,  dafs 
die  Cacao-jPflanzungen  weniger  Sclaven  erheischen;,  als 
die  meisten  andern  Cullurarlon.  Diese  Betrachtung  mufs 
sehr  wichtig  erscheinenj  in  einem  Zeitpunct,  wo  alle 
europaischen  Völker  den  grofsmüthigen  Enlschlufs  ge- 
faijt  haben,  dem  JNegerhandel  ein  Ziel  zu  setzen.  Ein 
Sciave  reicht  hin  für  tausend  Stämme,  welche  jährlich 
im  Durchschnitt  12  Fanegas  Cacao  abtragen  können. 
Allerdings  ist  es  der  Fall,  dafs  auf  der  Insel  (Juha  eine 
grofse  Zuckerpflanzung,  die  3oo  Neger  hat,  im  Durch- 
schnitt 1^0,000  yirr ob as  Zucker  erträgt,  dessen  Werth, 
die  Kiste  **)  zu  40  Piaster  gei'echnet,  auf  100,000  Piaster 
ansteigt,  und  dafs  man  auch  in  den  Provinzen  von  Ve- 
nezuela für  100,000  Piaster  Cacao  oder  4000  Fanegas, 
die  Fanega  zu  2  5  Piaster  gevverthet,  mit  nicht  mehr  als 
3oo  his  33o  Sclaven  erhält.  Die  200,000  Kisten  Zucker 
zu  3,200,000  Arrobas  ***),  welche  von  der  Insel  Cuha 
in  den  Jahren  1812  bis  1814  jährlich  ausgeführt  w  urden, 
bilden  einen  Werth  von  8  Millionen  Piaster,  und  könn- 
ten mit  24,000  Sclaven  fabricirt  werden,  wenn  die  Insel 
nur  aus  sehr  grofsen  PJlamungen  bestünde ^  diese  Vor- 
aussetzung trifft  aber  weder  mit  dem  Zustand  der  Co- 
lonie,  noch  mit  der  Natur  der  Sachen  überein.  Die 
Insel  Cuha  gebrauchte  im  Jahr  1811  für  die  Feldarbeiten 
allein  nur  143,000  Sclaven;  während  die  Capitania  ge- 
neral  von  Caracas,  welche  jährlich  200,000  Fanegas 
Cacao,  oder  den  Werth  von  5  Millionen  Piaster  erzeugt. 


•)  Siehe  weiter  oben,  Th.  2.  Kap.  8.  S.  164.  Der  Cacao  von 
Guayaquil  erhält  sich  viel  besser,    als  der  von  Caracas. 

**)  Eine  Kiste  (caxa)  wiegt  iS\  bis  16  Arrobas,  jede  Aroba 
zu   20  spanischen  Pfunden. 

***)  Die  Baciendas  von  Choroni,  Ocuraare,  Chuao ,  Turiamo, 
Quaiguaza. 


202 


Bach    r. 


aber  niclit  r.usführt,  überhtiupt  für  Städte  und  Land  nur 
60,000  Sclaven  zählt.  Ks  darf  wohl  kaum  erinnert  wer- 
den, dafs  diese  Resultate  je  nach  dem  Preis  des  Zuckers 
und  des  Cacao  abwechseln. 

Die  schönsten  Cacao -Pflanzungen  befinden  sich  in 
der  Provinz  Caracas  längs  der  Küste,  zwischen  Cara- 
valleda  und  der  Ausmündung-  des  Rio  Tocuyo  ''0>  in  den 
Thälern  von  Caucagua,  Cajiaya,  Curiepe  und  Guapo; 
in  denjenigen  von  Cupira,  zwischen  dem  Cap  (^odera 
lind  dem  Cap  Unare,  in  der  INähe  von  Aroa,  Barque- 
simeto,  Guigue  und  Lritucu.  Der  Cacao,  welcher  an 
den  Gestaden  des  Uritucu,  am  Eingang  der  Llanos,  im 
Gerichtsbezirk  von. San  Sebastian  de  los  Reyes  wächst^ 
ist  derjenige,  den  man  für  den  besten  hält.  Auf  den 
Cacao  von  üritucu  folgen  die  von  Guigue,  Caucagua_, 
Capaya  und  Cupira.  Im  Handel  von  Cadix  besitzt  der 
Cacao  von  Caracas  den  ersten  Rang,  unn)ittelbar  nach 
demjenigen  von  Socomusco.  Er  steht  gewöhnlich  um 
3o  bis  40  vom  Hundert  höher  im  Preis,  als  der  von 
Guayaquil. 

Seit  der  Mitte  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  erst 
waren  es  die  Holländer,  welche  als  ruhige  Besitzer  der 
Insel  (Airacao,  durch  den  Schleichhandel  den  landwirth- 
schaftliclien  Arbeitsfleifs  der  Bewohner  der  nahe  gele- 
genen Küsten  weckten,  und  den  Cacao  zu  einem  Aus- 
fuhrartikel der  Provinz  Caracas  gemacht  haben.  Alles, 
was  in  diesen  Gegenden  der  Niederlassung  der  Gesell- 
scliaft  der  Biscayer  von  Guipu/xoa,  im  Jahr  i7i8,*vor- 
angieng,  ist  uns  unbekannt.  Wir  besitzen  darüber  kei- 
nerley  zuverlässige  statistische  Angaben ,  und  wissen 
nur,  dafs  die  Ausfuhr  des  Cacao  von  Caracas  zu  Anfang 


*)  Die  iM'cy  Provinzen  Caracas  und  Nucva  Barcelona  machen 
sich  einander  diese  überaus  fruchtbare  Landschaft  streitig. 


Kapitel     XVI.  2o3 

des  aclilz.plinten  Jalirnuntlerls  kaum  "^0,000 Füiie^^as  a\iFs' 
Jalir  bttrui;.  Von  i73o  bis  1748  sandte  die  Gesellschaft 
85b,9"b  i^V//jega*  nach  ^panieuj  welches  im  Durchschnitt 
47,700  Fanegas  aufs  Jahr  beträgt.  Der  Preis  der  Fa~ 
negasAnk,  imJahr  1782,  auf  45 Piaster  herab,  während 
er  sich  früher  auf  80  Piaster  erhalten  halte.  Im  Jahr 
1763  hatte  sich  der  Anbau  schon  so  vermehrt  j  dafs  die 
Ausfuhr  auf  8o,65()  Fanegas  ang-estiegen  war  *).  Den 
Douanen- Hegistern  von  la  Guayra  zufolge,  welche  ich 
besitze,  stieg  die  Ausfuhr,  den  Betrag  des  Schleichhandels 
ungerechnet, 

im  Jahr   1789  auf  io3,655  FanegQS. 

—  —     1792    —    100,592     —     — 

—  —     1794   —   iii,i33    —    — 

—  —     1796  —     75,538    —    — 

—  —     1797   —     70,832    —    — 

hl  einem,  aus  dem  Ministerium  der  Finanzen  kom- 
menden ,  officieüen  Actenstück  **)  wird  „der  jährliche 
Ertrag  (die  Cosecha^  der  Provinz  Caracas  auf  1 35,ooo 
Fanegas  Cacao  gewerthet,  wovon  33,ooo  dem  inneren 
Verbrauch,  10,000  anderen  spanischen  Colonien,  77,000 
dem  Mutterstaate,  i5,ooo  dem  Schleichhandel  mit  den 
französischen,  englischen,  holländischen  und  dänischen 
Colonien  angehören.  Von  1789  bis  1793  betrug  die 
Einfuhr  des  Cacao  von  Caracas  in  Spanien  jährlich  im 
Durchschnitt  77719  Fanegas ,  von  denen  65,766  im 
Lande  selbst  verbraucht,    und  11,953  nach  Frankreich, 


*3  Von  diesen  80,659  P^ö«eg-«j-  wurden  5o,5)«)  unmittelbar  nach 
Spanien,  1 6,564  nach  Vera-Cruz.  11,160  nach  den  canarischen 
Eiianden  und  25i6  nach  den  Antillen  gesandt. 

**)  ßericlit  (JicindjchrlftUclier)  des  Grafen  von  Casa-Valcncia, 
Staatsraths  im  Deparlement  der  Indien,  an  Don  Pedro  Varela, 
Minister  von  Eeat  Haciendu^  üJjer  den  Handel  von  Caracas, 
vom  i3.  Juni  1797  (^»1«  46j- 


204  B  II  c  h     V. 

Italien  und  Deutschland  auFgeführl  wurden  *),  Zahl- 
reichen Erkundigungen  zufolge,  die  ich  an  Ort  und 
Stelle  eingezogen  habe,  sind  diese  Berechnungen  noch 
ct\vas  zu  niedrig.  Die  Douanen-Register  von  la  Guayra 
allein  nur  gehen,  in  Friedenszeiten,  den  jährlichen 
Durchschnitt  einer  Au-fuhr  von  80,000  bis  100,000  P«- 
negas.  Man  darf  unbedenklich  diese  Summe  um  ein 
Viertheil  oder  Fiinftheil  höher  annehmen,  wegen  des 
Schleichhandels  mit  der  Dreyfaltigkeits- Insel  und  den 
übrigen  Antillen.      Ich  halle  für  wahrscheinlich,    es  sey 


*)  Den  spanischen  Hafen-Regislern  zufolge  belrug  die  Einfuhr 
des  Cacao  von  Caracas  nach  der  Halbinsel, 
im  Jahr  1789  Fanegas  78,400     Pf.  88. 


1790 

— 

74-0S9 

-  3. 

»791 

— 

71,600 

-  45. 

1792 

— 

87,656 

-  54. 

1795 

— 

76,985 

-  4. 

Jährl.  Durchschnitt:  77/719  Fanegas. 
Von  diesen  '^'j,i\^Fanegas  vi'urden  60,202  Fß«.  in  den  nicht 
privilegirten  Provinzen  tprovincias  contribuyentes)  Spaniens 
verbraucht,  und  5564  in  den  privilegirten  Provinzen  Cpro- 
vincias  exemptas),  wielNavarra,  Biscaja  u.  s.  >v.  Die  Aus- 
fuhr aus  Spanien  betrug, 

im  Jahr  1789  Fanegas  15,718.     Pf.  98. 

1790  —  6,421.     —    80. 

1791  —         21,446.     —    17. 

1792  —         17,452.     —    48. 

1795  —  728.     —    25.  • 

Jährlicher  Durchschnitt :  i\,o,Si  Fanegas. 

Weil ,  zufolge  des  verwickelten  Svstems  der  spanischen 
Douanen,  der  Cacao  von  Caracas  sehr  ungleiche  Gcl)ühren 
zahlt,  >rena  er  in  der  Halbinsel  verbraucht  oder  wenn  er 
vom  Königreich  ausgeführt  wird  (im  ersten  Fall  52^,  im 
zweyten  29^  vom  Hundert>,  so  wird  vieler  Cacao  in  Spanien 
nochmals  wieder  eingeführt. 


Kapitel     XVI.  305 

in  den  Jahren  1800  bis  1806^  im  letzten  Zeitraum  in- 
nerer Hu!<e  der  spanischen  Colonien^  drr  Jahres-Ürlrag 
der  (lacao  -  Pflanzungen  der  Ca>)itanla  geueral  von 
Caracas  mindestens  auf  ic)3,000  Fanegas  angestiegen^ 
wovon 

auf  die  Provinz  Caracas  kommen     .     i5o,ooo 

—  —    —    —     Maracaybo      .      .  20,000 

—  —    —    —     Cumana      .  .       .        18,000 

—  —   —   —     Nueva  Barcelona  5,ooo. 
Die  Ernten,    welche  zweymal  des  Jahrs ^    zu  Ende 

desBrachmonals  und  dos  Christuionats,  eintrefren_,  sind 
sehr  ungleich  und  wechselnd,  minder  jedoch  als  die 
des  üllvenbaums  und  der  Weinrebe  in  Europa.  Von 
den  »91,000  Fanegas  Cacao,  welche  die  Capitania  ge- 
neral  von  Caracas  erzeugt,  nehmen  146,000  ihren  Weg 
nach  Europa  theils  durch  die  Seehäfen  der  Halbinsel^ 
theils  durcii  den  Schleichhandel. 

Ich  glaube  beweisen  zu  können  *)   ("und  diese  Be- 


*)  Siehe  über  die  Grundlagen  dieser,  für  alle  staatswirtlischaft- 
lieben  Untersuchungen  so  wichtigen,  Bereciinungen  meinen 
Essai  sur  la  Ncuv.  Esp.^  Tom.  II,  p.  43 1,  455,  436,  658 j 
die  Etats  der  Ausfuhr  von  Canton,  in  Sainte-Croix  Voyao-e 
commercial  aux  Indes  orientales,  Tom.  HI,  p.  i55,  161 
170;  Colquhouji,  on  the  v)ealth  of  the  British  Empire 
p.  55i,  354,  und  in  dieser  Reise,  Th.  5.  Kap.  i5.  S.  60  ff. 
Die  hriltischen  Antillen  füJirtcn  an  Zacher,  im  Jahr  1812, 
nach  allen VVelttheüen  über  2j5,ooo  hoghsheads  (zu  14  c»vt.> 
oder  526  Millionen  Pfunde  aus,  woran  Jamaica  allein  nur 
(mit  35o,ooo  INegern)  189  Millionen  Pfunde  lieferte.  Der 
Ertrag  von  Cuba  und  der  von  Saint- Doiningue  sind  zusam.- 
nien  auf  120  Millionen  Pfunde  Zucker  berechnet.  Wenn 
wir  den  europäischen  Cacaoverbraucb  zu  20  Millionen,  und 
den  des  Zuckers  zu  45o  Millionen  Pfund  angeben,  so  glau« 
hen  >vir,  es  seven  diese  Angaben  bis  auf  ein  Punflheil 
für  genau  zu  halten.     Es  kanj>  dieser  Grad  von  Cenaui'^keit 


2o6  B  n  c  h     V. 

rechnungen  sind  die  Ergebnisse  zalilreicher  einzelner 
AngabiMij,  dafs  Europa  im  gegenwärtigen  Zustand  sei- 
ner Civillsation  verbraucht: 

23  Mill.  Pfde.  Cacao  zu  1 20  Fr.  d.  Ctr.     27,600,000  Fr. 

32     —     —     Thee  zu      4  Fr.  d.  Pfd.   128,000,000  — 

140    —     —     CafTco  zu  1 14  Fr.  d.Ctr.   159,600,0^0  — 

460    —     —     Zucker  zu  04  Fr.  d.  Ctr.   243,000,000  — 


Gesamrnt  Betrag  -)  558,200,000  Fr. 

Von  diesen  vier  Erzeugnissen,  welche  seit  zwey  bis 

drey  Jahrhunderten  die  wichtigsten  Gegenstände  des  Ar- 


errelcht  werden,  wenn  man  die  Ausfuhr  der  Länder  sorg- 
fältig Avürdigl,  welche  zum  europäischen  Cacao  -  und  Zucker- 
Handel  das  iWe'/j-ff?  bejlragcn;  für  den  Cacao  zum  ßcyspiel 
die  Ausfuhr  der  Sceliafen  der  Terra -Firma,  von  Guayaquil 
und  Gualimala ;  für  den  Zucker  die  der  Ijrittischen ,  spa- 
nischen und  fianzösiscjicn  Antillen.  Wir  erinnern  hey  die- 
sem Anlafs,  dafs  der  Zuckerverbrauch  in  den  slalislischen 
F.Jats  von  Franl.reich  für  1800  zu  5j  Millionen  Pfundea 
herechnct  ist;  irh  Jahr  1817  betrug  derselbe  56,/ioo,ooo 
Pfunde. 
')  Jm  J.  1818  stunden  die  Cacaopreise  in  London,  für  den 
Cacao  von  Caracas,  zu  6  L.  bis  6  L.  10  Sh. ;  für  geringere 
Sorten  4  L.  10  Sh.  bis  5  L.  10  Sh.  der  Cenlner.  Der  Mit- 
teipreis  des  Calfees  war  zu  95  Sh.  der  Centner;  der  Zucker 
stund  zu  40  bis  5o  Sh.  Die  Preise  dieser  bcvden  Erzeug- 
nisse sind,  seit  der  Ausgabe  von  Hrn.  Colquhouns  Werk, 
belrachllich  gestiegen.  Eine  allgemeine  Angabe  für  den 
Preis  des  Thees  war  schwierig ,  um  der  so  grofsen  Ver- 
schiedenheit seiner  mannigfachen  Sorten  willen.  Di*  Ein-  • 
fulir  des  indischen  Zuckers  in  London  betrug  im  Jahr  1817 
nur  5o,oco  ha^^s ,  oder  5,5oo,ooo  Pfunde.  Um  einen  kla- 
reren Begriff  von  der  Wichtigkeit  des  europäischen  Handels 
in  Zucker,  Calfec,  Thee  und  Cacao  zu  geben,  bringen  wir 
hier  in  Erinnerung,  dafs  der  Werth  der  Gesammleinfuhr 
von  England,  in  den  Jaliren  i8o5  bis  1810,  im  Durchschnitt 
jährlich  1200  Millionen  I-^rankcn  betrug. 


Kapitel     XF/.  207 

beitsfleifses  und  des  Handels  der  Colonien  geworden 
sind,  gehört  das  erste  ausschlicl  lieh  America^  und  das 
zweyte  Asien  an.  Icli  sage  ausschliefslich,  denn  die 
Cacao-Ausfuhr  der  philippinischen  Inseln  isl  noch  eben 
so  unbedeutend,  als  die  Versuche,  den  Thee  in  Brasilien, 
auf  dcrDreylaltiglu'its-Insel  und  auf  Jamaica  zu  pflanzen. 
Von  der  Gesamnitmasse  des  Cacao,  der  im  westlichen 
und  südlichen  Europa  verbraucht  wird,  liefern  die  ver- 
einten Provinzen  von  Caracas  nahe  an  zwey  Drittheile. 
Dii'S  Ergebnifs  ist  um  so  merkwürdiger,  als  es  der  herr- 
schenden Meinung  widerspricht  5  der  Cacao  von  Ca- 
racas, von  Maracaybo  und  von  {^uniana  ist  jedoch  von 
ungleicher  Güte.  Der  Graf  von  Cara- Valencia  berech- 
net,  wie  wir  so  eben  sahen,  den  Verbrauch  von  Spa- 
nien nur  auf  6  bis  7  Millionen  Pfunde;  der  Abbe  Hervas 
giebt  denselben  auf  9  Millionen  an.  Wer  sich  eine  län- 
ge0C  Zeit  in  Spanien,  Italien  und  Frankreich  aufgehalten 
hat,  wird  bemerkt  haben,  dafs  der  Gebrauch  des  Cho- 
colat  unter  den  ärmeren  Volksciassen  nur  im  ersten  die- 
ser JLänder  bedeutend,  und  es  darum  kaum  glaublich 
ist,  dafs  Spanien  nur  ein  Drittheil  des  in  Europa  ein- 
geführten (3acao  A^erbrauchen  sollte. 

Die  jüngsten  Ilrirge  haben  auf  den  Cacao-Handel 
von  Caracas  ungleich  nachtheiligeren  Einflufs  gehabt, 
als  auf  den  von  Cuayaquil.  Die  gesteigerten  Preise  hat- 
ten zur  Folge,  dafs  in  Europa  weniger  Cacao  von  der 
kostbarsten  Art  verbraucht  ward.  Statt,  wie  sonst  für 
gemeinen  Chocolat  üblich  war,  ein  Viertheil  Cacao 
von  Caracas  drey  Vlerthcilen  Cacao  von  Guayaquil  bejr 
z,umischien,  ward  in  Spanien  der  letztere  all."in  nur  ge- 
braucht. Es  mufs  hier  erinnert  werden,  dafs  vieler  Ca- 
cao von  geringerer  Güte,  wie  derjenige  von  Maranon, 
vom  FvioJNegro,  von  Honduras  und  von  der  Insel  Salnte- 
JLucie,    im  Handelsverkehr  Cacao  von  Guayacjuil  heifst. 


2o8  Buch     V, 

Die  Ausfuhr  dieses  Seehafens  heträgt  nur  60,000  Fa- 
iiegas ^  sie  ist  demnach  um  zvvey  Drittheile  tileiner,  als 
die  der  Seeliafen  der  Capitania  general  von  Caracas. 

Ohgleicli  die  Cacao-Hflanzungen  der  Provinzen  von 
Cumana,  Barcelona  und  Maracayho  in  dem  V^erhältnisse 
zugenommen  hahen_^    wie   diejenigen   der  Provinz  Ca- 
racas abnahmen,    so  hält  man  doch  im  Alliiemcinen  da- 
für,    es  befinde  sich  dieser  alte  Zweig  landwirthschaflt- 
lichen  Arheitsfleifses  in   fürdauernder  Ahnahme.      Der 
Cafl'eebaum  und  der  Baumwollestrauch  treten  an  vielen 
Orten  an  die  Stelle  des  Cacaobaums,   dessen  späte  Ernten 
die  Geduld  des  Landhauers  ermüden.      Ehen  so  beliaup- 
tet  man,    die  neuen  Cacao-Pflanzungen  seyen  von  gerin- 
gerem Ertrag  als  die  alten.      Die  Bäume  gelangen  nicht 
zu  gleicher  Stärke,    und  sie   tragen  später  und  minder 
reichliche  Früchte.      Auch  hiervon  u^rd  dem  erschöpf- 
ten Boden  Schuld  gegeben  5    wir  glauben  aber,    es  sey 
vielmehr  die  Atmosphäre,  die  sich  durch  die  Fortschritte 
der   Cultur    und    der    Urbarmachungen  verändert    hat. 
Die  über  einem  noch  ungepflügten,    mit  Waldung  be- 
setztem Boden   stehende  Luft  nimmt  Feuchtigkeit   und 
iene  ijasai  tieen  Mischuuijen  in  sich  auf,   die  zur  Ernäh- 
rung  der  Pflanzen  geeignet  sind,  und  aus  der  Zersetzung 
organischer  Substanzen  hervorgehen.     Wenn  ein  Land 
seit  langer  Zeit  angebaut  gewesen   ist,    so  ändert  sich 
nicht  das  Verhällnifs  zwischen  dem  SaueistofF  und  dem 
Stickstoff,    die  Grundtheile  der  Atmosphäre  bleiben  die 
nämlichen;    aber   es  befinden  sich  jene  doppelttyi   und 
dreyfachen  Mischungen  von  Kohlenstoff,   Stickstoff  und 
Wasserstoff,   die  der  unangebaute  Boden  ausdünstet  und 
die  als  ene  Quelle  der  Fruchtbarkeit  angesehen  werden, 
nicbt  mehr  in  ihr  aufgelöst,    und  die  reinere,  mit  Mias- 
men oder  fremdartigen  Ausdünstunifen  weniger  beladene 
Luft  wird  zugleich  trockner,    die  Spannung  der  Dünste 

nimmt 


11  a  p   i  t  e  l     KFI.  209 

nimmt  fiililbar  ab.  Auf  den  voi'  sehr  langer  Zeit  urbar 
gciMacbteii  und  doswogon  der  Cullur  des  CAcaobaums 
minder  günstigrn  Liindereyen,  auf  den  Anlillen-Eilanden 
'/um  l]ey!i|)iel_,  ist  die  FrucJit  beynahe  so  klein,  wie  die 
dos  u'ilden  Cacaobaums.  An  den  Gestaden  des  oberrt 
Orenoko^  jenseits  der  LlanoS;  findet  sicb^  wie  wir  schon 
anderswo  beineri'.t  haben,  das  wahre  V  aterland  der  Ca- 
caobäunie,  wo  in  dichten  Waldungen  ,  auf  einem  noch 
nie  umgepHiigten  Boden  und  in  einer  stets  feuchten  At- 
mosphäre die  Stämme  vom  dritten  Jahr  an  reiche  Ernten 
gewähren.  Durch  die  Cultur  ward  die  Frucht  iiberall, 
wo  das  Land  nicht  erschöpft  ist,  grüfser,  weniger  bitter, 
aber  auch  verspätet. 

Bey  der  wahrgenommenen  fortgehenden  Abnahme 
des  Cacao-Ertrags  auf  der  Terra-Firma  fi  agt  man  sich, 
ob  sein  Verbrauch  «ich  in  Spanien,  in  Italien  vmd  im 
übrigen  Europa  im  gleiclien  Verhältniis  vermindern 
wird,  oder  ob  wahrscheinlicher  ist,  dafs  die  Zerstörung 
der  Cacao-Pflanzungen  den  Preis  sattsam  erhöhen  dürf- 
te, um  den  Arbeitslleifs  des  Landhauers  wieder  neu  auf- 
zureizen ?     Das  Letztere   ist  die  herrschende  Meinuna: 

Q 

unter  allen  denen,  welchr,  in  Caracas,  die  Abnahme 
eines  so  alten  und  so  einträi^lichen  Handelszweiges  be- 
dauern. Nach  Mafsgabe,  wie  die  Civiligation  den  feuch- 
ten Waldungen  des  inneren  [.»andes,  den  Ge-taden  des 
Orenoko  ui^d  des  Amazonen-Stioine*,  oder  den  Thälern, 
die  den  östlichen  Abhang-  der  -^nden  durchziehen,  näher 
ri'ic!;t,  mögen  die  neue;»  ColoniUen  eine  der  Cultur  des 
(jacaobaums  gleich  vortheilhalte  Beschaffenheit  des  Bo- 
dens und  der  Atmosphäre  antreffen.  Bekanntlich  scheuen 
die  Spanier  überhaupt  die  Misciiung  der  Vanille  mit 
dem  Cacao,  als  nervenreizend.  Audi  wird  die  Frucht 
dieser  schönen  Orchidee  in  der  Provinz  Caracas  gänz- 
lich vernachlässigt.      Man  könnte  reiche  Ernten   davon 

W/ex-  V.  Hu'nhoLdts  hist.    Reisen    III.  t  ■!^ 


210 


Buch    r. 


auf  der  foucliten  un<l  fieberhaften  Küste,  zwischen  Porto- 
Cabello  untl  Ocumare,  vorzüglich  zu  Turiaino  einsam- 
mehi ,  wo  die  Früchte  des  ßpidnndriiTn  f\(iii/la  bis  zu 
eili  und  zwölf  Zoll  Länge  erhalten.  Die  Dritten  und  die 
Anglo-Amcricaner  suchen  öfters  im  Hafen  von  Guayra 
Ankäufe  von  Vanille  zu  machen,  und  die  Kaufleute  ha- 
ben Mühe,  sich  auch  nur  kleine  Vorrätlie  davon  zu  ver- 
schaffen. In  den  von  der  Küstenkelle  gegen  das  Antillen- 
Meer  absteigenden  Thälern  der  Provinz  Truxillo,  wie 
in  den  IVIisslonen  von  Guyana  und  in  der  Nähe  der  Ca- 
taracten des  Orenoko,  Wei'ie  sich  viele  Vanille  sammeln, 
deren  Ertrag  noch  vermehrt  würde,  Avenn  man,  wie 
die  Mexicaner  thun,  von  Zeit  zu  Zeit  die  Pflanze  von 
den  Lianen  befreyen  würde,  welche  sie  umschlingen  und 
ersticken. 

Wir  haben  in  der  Darstellung  des  gegenwärtigen 
Zustands  der  Cacao-PHanzungen  in  der  Provinz  Vene- 
zuela, und  bey  der  Würdigung  der  Verhältnisse,  die 
zwischen  dem  Ertrag  dieser  Pflanzungen,  der  Feuchtig- 
keit der  Atmosphäre  und  ilirer  Gesundheit  bestehen,  der 
warmen  und  fruchtbaren  ThSler  der  Küsten-Cordillere 
gedacht.  Diese  iiand:^chaft  bietet  da,  wo  sie  sich  west- 
wärts gegen  den  See  von  JVlaracaybo  ausdehnt,  eine 
Mannigfaltigkeit  merkwürdiger  Gegenden  dar.  Ich  will 
am  Schlüsse  dieses  Kapitels  die  Angaben  zusMnmcnstel- 
len,  welche  ich  mir  über  die  Beschairenheit  des  Bodens 
und  über  den  metallischen  Heichthum  der  Bezirke  von 
Area,  Barquesimeto  und  Caroi'a  sammeln  konnte. 

Von  der  Sierra  Nevada  von  Merida,  nn(\  den  Pa- 
ramos  von  INiquitao^  von  BocOno  und  von  Las  Hosas  *), 


•)  Viele  reispnde  Mönche  erzählten  uns,  auf  den  kleinen  Pa- 
ramo  de  Las  Rosas  ^  dessen  Erhöhung  üher  iGoo  Toisen 
zu   se^n  scheint ,   wachsen  der  Rosmarin  und  die  weifse   ss- 


Kapitel     XVI.  211 

Äuf  denen  der  köstliche  Quinqulna-Baum  Aväch?t,  ^nkt 
sich  die  örtliche  Cordillere  von  INeu  Graniula  so  schnell*), 
dal's  sie  zwischen  dem  9.  und  10.  Breitegrad  nur  noch 
eine  niedrige  Bergkette  hildet,  die  nordwestuärls  durch 
den  Altar  und  den  Torito  verlängert,  die  Zuliüsse  des 
hio  Apure  und  des  Orenoko  von  den  zahlreicijen  Flüssen 
scheidet,  welche  sich  theils  in's  Meer  der  Antillen,  theils 
in  den  See  von  Maracaybo  er^iel'sen  *••').  Aul'  dieser 
T/ieiliingsgräte  stehen  die  Städte  Nirgua,  San  Felipe 
el  Puerto,  Barquesinieto  und  Tocuvo.  Die  diey  er- 
stem haben  ein  sehr  warmes  Klima,  in  Tocuyo  hin- 
gegen ist  die  Luft  sehr  kühl,  und  man  hört  ;.icht  ohne 
Befremden,  dals  seine  Bewohner,  unter  ihrem  schönen 
Himmel,  eine  grofse  IS'eigung  zum  Selbstmord  zeigen. 
Der  Boden  erhebt  sich  südwärts  5  denn  Truxillo,  der 
See  von  Ürao,  woraus  man  kohlensaure  Soda  zieht,  und 
die  ostwärts  der  Cordillere  gelegene  Grita  haben  schon 
vier-  bis  fünfhundei't  Toisen  Erhöhung  ''•'"*). 


wohl  als  die  rothe  europäische  Rose  in  Monge  wüd.  Man 
sammelt  diese  Rosen  zum  Sclimucl;  der  AMore  an  Klrcben- 
feslen  in  den  benachbarten  Dörfern.  Durcli  welclien  Zufall 
könnte  unsre  luindertblättrige  Rose  in  dieser  Gegend  wild 
wachsen ,  da  wir  sie  doch  sonst  nirgendswo  in  den  Anden 
von  Quito  und  Peru  angetroflTen  balien  ?  Sollte  es  aber 
wirljücli  unsere  Garlen  ]\ose  se  vn  ?  Vergleiche  oben  Tli.  2. 
S.  416. 

*)  Die  vom  Seehafen  von  Marficaybo  ausgeführte  Quinquinä 
kommt  nicht  aus  dem  Gebiet  von  Venezuela,  sondern  aus 
den  Bergen  von  Pamplona  in  iSeu-Granada,    den  Kio  de  San 

•  Faustino  herab,  welcher  in  den  See  von  Maracaybo  aus- 
mündet. (^Pornbo,  NoCicias  sobre  las  quinas,  1814,  p.  650 
Sic  wird  in  dei'  ISiihe  von  Merida,  in  der  ßcrgsclilucht  von 
-Viscucucuy  gesammelt. 

•*)  Siehe  oben,  Th.  2.  Kap.   i3.  S.  422  und   i.5o. 

***)    Mehr   süd^vesliich   liegt    die   Stadt   Pamplona .     deren    Er- 


212  Buch     V. 

Untersucht  man  das  Gesetz,  welches  Jie  Ürgehirgs- 
Schlchten  der  Cordillere  des  Küstenlandes  für  ihre  Ein- 
senkung^  Lefolgen,  so  scheint  darin  eine  der  Ursachen 
der  ausnehmenden  Feuchtigkeit  der  vom  Ocean  und  von 
jener  Cordillere  begrenzten  Landschaft  zu  liegen. 
Die  Schichlensenkung  findet  am  öftersten  in  nordwest- 
licher Richtung  statt  j  so  dafs  die  Gewässer  in  der  näm- 
lichen Kichlung  über  die  Felsenlager  herabfallen,  und, 
wie  oben  schon  bemerkt  worden  ist,  jene  IVIenge  von 
Bergstrümen  und  Flüssen  bilden,  deren  Ueherschwem- 
mungen  der  Gesundheit  der  Kinwohner ,  zwischen  deni 
Cap  Codera  und  dem  Maracaybo-See,  so  verderblich 
wird. 

Unter  den  Flüssen,  welche  nordostwärls  der  Küste 
von  Forto-Cabello  und  der  Fiiiila  de  Hicucos  zufliefsen, 
sind  die  merkwürdigsten  diejenigen  von  Tocuyo,  von 
Aroa  und  von  Yaracuy.  Ohne  die  Miasmen,  welche 
die  Atmospliäre  verpesten,  wären  die  Thäler  von  Aroa 
und  von  Yaracuy  vielleicht  bevölkerter  als  diejenigen 
von  Aragua  *).  Schift'bare  Flüsse  würden  den  ersteren 
sogar  den  Vorzug  einer  leichteren  Ausfuhr,  theils  ihrer 
eignen  Zucker-  und  Cacao -Ernten,  theils  der  Erzeug- 
nisse der  iNachbarschaft  gewähren,  d^  Getreides  von 
Quibor  nämlich,  des  Vielus  von  Monai,  und  desKupfers 
von  Aroa.  Die  Bergwcrlie,  aus  denen  man  dies  Kupfer 
erhält,  befinden  sich  in  einein  Seilcntlial,  das  in's  Thal 
von  Aroa  ausläuft,  und  weniger  Jieifs  und  ungesund  ist, 
als  die  dem  Meere  näher  liegenden  Bergschhichlen.     lu 


höhung  liLcr  der  Meeresfläche,  nadi  Hrn.  Caldas,   laSjToisen 
betragt. 
*)   Für   höchst   ungesunde    Oric   gellen   auch    Trama,    JMoron. 
Cabria,  San  ^icolas  und  die  Tliiiler  von  Alpargalon  und  Ca- 
ravinas. 


Kapitel     XFJ.  2i3 

diesen  letzteren  besitzen  die  Indianer  Goldwnsclien,  und 
ihr  Boden  birgt  reiche  Kupiererze,  die  man  l>is  dahin 
anzubauen  noch  nicht  versucht  hat.  Die  alten  Berg- 
werke von  Aroa,  nachdem  sie  lange  Zeit  vernachlässigt 
gehlieben  waren,  sind  neuerdings  durch  die  Bemühun- 
gen des  Don  Antonio  Henriquez,  welchen  wir  zu  San 
Fernando  an  den  Gestaden  des  Apure  antrafen,  wieder 
g^ülTnet  worden.  Den  von  ihm  erhaltenen  Angaben 
zufolge  scheint  es,  das  Erz  komme  in  einer  Art  Stock- 
werk (une  espece  d'amo.f^  vor,  das  aus  der  Vereinba- 
rung mehrerer  kleiner,  sich  in  allen  Richtungen  durch- 
kreuzender Gänge  gebildet  wird.  Dies  Stockwerk  ist 
zuweilen  zwey  bis  drey  Toisen  dicht.  Ks  sind  drey 
Bergwerke,  welche  alle  durch  Sclaven  bebaut  werden. 
Das  beträchtlichste,  die  Biscayna ,  hat  nur  dreyfsig 
Arbeiter,  und  die  Gesammtzahl  der  zur  Gewinnung 
und  zur  Schmelzung  des  Erzes  ^gebrauchten  Sclaven 
steiii:t  nicht  über  60  bis  70.  Weil  der  Altttufsstollen  nur 
dreyfsig  Toisen  tief  ist,  so  hindern  die  Gewässer  die 
Bearbeitung  der  reichsten  Theile  des  Siochiverks,  wel- 
che unter  dem  Stallen  liegen.  An  die  Errichtung  von 
Wasserrädern  ward  bis  dahin  nicht  gedacht.  Der  Ge- 
samint  Ertrag  des  Rothkupfers  ist  zwölf-  bis  fünfzehn- 
hundert Centner  jährlich.  Das  zu  Cadix  unter  dem 
TSamen  des  Hiipjers  von  Caracas  bekannte  Metall  ist 
von  vorlrefllicliem  Gehalt.  Es  wird  sogar  dorn  schwe- 
dischen und  demjenigen  von  Coquimlio  in  Chili  vor- 
gezogen ■').      Ein  Theil  des  Kupfers  von  Aroa  wird  an 


*)  Die  j4usfulir  des  Kupfers  von  Aroa  jjclrug  /.n  Guayra  im 
Jahr  i;'y4  mehr  nicht  als  j  i,525  Pfund«,  die  in  dtii  Douanen- 
Registern  1  eri.uichiiel  sind;  im  Jahr  1796  war  sie  5i,i/(2 
Pfunde  und  im  J.  1797  nur  2400  Pfund.  Der  Ccniner  ward 
damals  mit   12  Piaster  hezal)lt. 


214  Buch     V. 

ort  un(1  Sh  11(>  7uni  Glockpiigufs  gebraucht.  Kürzlich 
ist  zwisclion  Aroa  und  INirgua,  unfein  von  Guaiiita,  im 
Ber^ie  von  San  Hablo,  einiü'^s  Silbererz  entdnclil  ^vnrden. 
Gobll  örnor  Hiulen  sich  in  aUen  Gebirgslündern  zwischen 
dem  Hio  Yiacnv.,  der  Stadt  San  FeHpe,  Nirgua  und 
BarquesimetO;,  vorzüglich  im  Kio  de  Santa  Cruz^  in 
welchem  indianische  Goldsucher  zuweilen  Geschiebe  voa 
4  bis  SPi'istcr  an  VVerth  gefunden  haben.  Enthalten  die 
benachbarten  Glimmerschiefer-  und  Gneifs-Felsen  wirk- 
liclie  Erzgänge,  oder  ist  da<  Gold  hier^  wie  im  Granit- 
gesteine von  la  Guadarania  in  Spanien,  und  vom  Fich- 
tclberir  in  Franken  j  durch  die  ganze  Feiemasse  zer- 
streut? V^ielli^icht  ?ammelt  das  eindriri^ende  Masser  die 
zerstreuten  Goldblältcheil ,  iind  in  diesem  Fall  würden 
alle  V^ersuche  des  Grubenbaus  vergeblich  seyn.  In  der 
Savona  de  1a  RJiel ,  nahe  bey  der  St.^dt  Barquesimeto, 
W9rd  ein  Sc]iacht-  geffraben  in  einen)  schwarzen  und 
glänzenden,  dem  Erdharz  gleichenden  Schiefer.  Die 
dem  Schacht  enthobenen  Fossilien ,  welche  mir  nach 
Caracas  gesandt  wurden^  waren  Quarz,  Schwefelkiese 
ohne  Goldgehalt,  und  kohlengesäuentes,  in  JNadeln  von 
seidenartigem  Glan/.e  kr\  stallisirtes  Bley. 

Wir  haben  früher  schon  bemerkt,  d<Tfs  von  den  er- 
sten Zeiten  der  Eroberung  an  die  Bergwerke  von  Nirgua 
und  Buria*),  der  Einfälle  der  kriegerischen  Völl<erschaft 
der  Giraharas  unerachlct,  bebaut  wurden.  Im  näm- 
lichen Bezirke  veranlafste  im  Jahr  i553  die  Anhäufnng 
der  ISegersclaven  einen  Vorfall,  der,  an  sich  selbst  un- 
bedeutend, durch  die  Aehniichkeit  Theilnahine  erregen 
kann,   welche  er  mit  den  vor  unsern  Augen  aul  der  Insel 


*)  Das  'In.^I  von  Buria  nn.'  tler  Itleine  Flufs  dieses  IVaincns 
stehen  in  Verbindung  niil  dem  Thal  des  Hio  Coxede  ,  oder 
Piio  de  B^rqucsinielo. 


Kapitel     XVI.  2i5 

St.  DomingTic  st.Ttt  empfundenen  Ereiofriissen  darbietet. 
Ein  NegerscI.ive  brachte  die  Bergleute  von  Real  de  San 
Felipe  de  Buria  zum  Aufsland  j  er  zog  in  die  Wälder 
und  gründete,  mit  zneyliundert  seiner  Gefajirten,  ein 
Gemeinwesen,  das  ihn  zum  König  ausrief.  ]Mift,u€l, 
der  neue  König,  war  ein  Freund  von  Pracht  und  vor- 
nehmem Wesen.  Er  liefs  seine  Frau,  Guionutr ,  als 
Königin  begrüfsen,  und  ernannte,  wie  Oviedo  meldet*), 
Minister,  Slaatsräthe,  Beamtete  der  Casa  real,  und 
sogar  auch  einen  Neger-Bischof.  Bald  hernach  erfrechte 
er  sich,  die  benachbarte  Stadt  Nueva  Segovia  de  Bar- 
quesimeto  anzugreifen  5  er  ward  aber  von  Dieijo  de 
Losada  geschlagen,  \ind  fand  im  Handgemeng  seinen 
Tod.  Dieser  africanischen  Monarchie  folgte  in  Wirgua 
ein  Frey-Staat  iwn  Zamhos ,  aus  Abkömmlingen  von 
Negern  und  Indianern.  Die  ganze  Municipalität,  der 
cabildo,  besteht  aus  farbigten  Menschen,  die  der  König 
von  Spanien  seine  treuen  und  redlichen  Unterllianen, 
die  Zambos  von  Nir^ua,  genannt  hat.  Wenige  weifse 
Familien  wollen  in  einem  Lande  wohnen,  wo  eine  ihren 
Anmafsungen  so  widersprechende  Einrichtung  statt  fin- 
det, und  die  Ideine  Stadt  wird  spottweise  la  repuhlica 
de  Zambos  y  IMiilatos  genannt.  Es  ist  eben  so  vmklug, 
die  Regierung  einer  einzigen  Kaste  zu  überlassen,  als 
diese  Kaste  ihrer  natürlichen  Rechte  zu  berauben,  und 
sie  dadurch  abzusondern. 

Wenn  dir  üppige  Pflanzenwuchs  und  die  ausneh- 
mende Flüchtigkeit  der  Atmosphäre  die  durch  ihr  vor- 
trellliches  Bauholz  berühmten  warmen  Thaler  von  Aroa, 
von  Yaracuy  und  vom  Rio  Tocuyo  fieberhaft  machen, 
so  verhält  es  «ich  anders  mit  den  Savanen  oder  J^Ianos 
von  IMouai  und  von  Carora.     Diese  Llanos  sind  durch 


*)  Jiist.  de  Venezuela^  Tom.  I,  p.   ij^. 


2i6  B  n  c  h      F. 

das  bergigte  Land  vonTocuvo  und  Nirgua  von  d«^n  nns- 
gedohnten  J£hcnen  der  Portnguesa  und  von  Calubozo 
gelrennt.  Es  ist  eine  ganz  aufserordentliclie  Erschei- 
nung, dürre  Savanen  nüt  Miasn)on  überzogen  zu  sehen. 
Sumpfiges  Erdreich  findet  sich  nirgendwo ,  hingegen 
mehrere  Anzeigen  einer  Entwicklung  von  Wasserstoft- 
gas  ''0.  Wenn  Reisende,  die  mit  den  entzündbaren 
Schwaden  unbekannt  sind,  in  die  Cueva  del  Serrilo  de 
7V/o««i  geführt  werden,  so  schreckt  man  sie  durch  An- 
zünden der  Gasmiscbung,  die  im  01>erlheil  der  Hoble 
beständig  angehäuft  ist.  Soll  man  hier  die  gleiche  Ur- 
sache der  gesundiieilswidrigen  Beschafienheit  der  At- 
mosphäre annehmen,  die  in  dem  flachen  Land  zwischen 
Tivoli  und  Rom  vorkommt,  Entwicklungen  von  ge- 
schwefeltem  VVasserslolI'  **)?     Vielleicht  hat   auch   das 


*)  Worauf  beruhl  die  unter  dem  Namen  der  Lonterne  CFarol) 
von  ßlaraca^bo  heVannyc  Jcuchlcnde  Ersclicinung,  die  in 
jeder  ISacht,  auf  der  Secscile  sonolil  als  landeinwärts,  zum 
Bcyspiel  zu  Merida,  wo  Hr.  Palacios  dieselbe  zwey  Jahre 
lang  heoI>achlct  l)at,  wahrgenoninien  wir^':'  Die  über  vierzig 
IMeilen  bedagende  Entfernung,  in  der  man  cLis  Liclit  unter- 
scheidet, bat  die  Vermutbung  erregt,  es  bönntc  solclies  die 
Wirbung  eines  Gewitters  oder  elecfrischer  Entleerungen  seyn, 
die  in  einer  ßergscbluciit  alltäglich  stall  fänden.  JMan  be- 
Jiauptet,  den  Donner  rollen  zu  hören,  wenn  man  sich  dem 
Farol  nähert.  Andere  s[)rccbcn  unbestimmt  von  einem  Luft- 
vnlcan,  und  von  asphaltischeiu  Erdreich,  das,  dem  von  ]Mena 
ähnlich,  entzündlithe  und  in  ihrer  Erscheinung  so  regelmäs- 
sige Ausdünstungen  verursacht.  Der  Ort,  wo  die  Erschei- 
nung statt  iindet ,  ist  ein  unbewohntes  Bergland ,  an  den 
Ufern  des  Rio  Calalumbo ,  nahe  bey  seinem  Zusammenflufs 
mit  dem  Rio  Sulia.  Die  Eage  des  FaroVs  "ist  so  beschaffen, 
dafs  er,  beynahe  im  Meridian  der  Oeffnung  iboca)  des  INIa- 
racaybo-Sees  stehend,  den  Seefahrern  die  Dienste  eines 
Leuchtlhurms   leistet. 

'*)  Don  Carlos  del  Pozo  hat  in  diesem  Bezirk,    im  Hintertheil 


Kapitel    KFl.  217 

Gebir^sland ,  woran  die  Lla/iof  i^on  IMonai  grenzen, 
nachllieiligen  Einflufs  auf  die  benachbarten  Ebenen. 
Süd-Ost  AV'indo  können  fauligte  Ausdünstungen  herbey- 
führen  ,  die  der  Bergjclilucht  von  Villegas  und  der 
Sicnega  de  Cabra  zuisclien  Carora  und  Carache  entstei- 
gen. Fcb  mag  gern  alle  auf  die  Gesundheit  der  Luft 
Bezug  habenden  Umstände  san)nieln  ;  Aveil  man  über 
einen  so  dunkeln  Gegenstand  nur  durch  die  Verglei- 
chunsf  zahlreicher  Erscheiniino^en  der  VV.nhrheit  auf  die 
Spur  zu  kommen  hofl'en  darf. 

Die  dürren^  und  doch  so  fieberhaften  Savanen,  wel- 
che sicli  von  Barquesimeto  bis  ans  östliche  Gestade  des 
Maracaybo  -  Sees  ausdehnen,  sind  zum  Theil  mit  in- 
dischen Feigenbäumen  (raquettes)  besetzt;  aber  die  äch- 
te, wilde  Cochenille,  die  unter  dem  unbestimmten  Na- 
men der  grana  de  Carora  bekannt  ist,  kommt  aus  einer 
gemäfsigteren  Landschaft  zwischen  Carora  und  Truxil- 
lo,  hauptsächlich  aber  aus  dem  Thale  von  Bio  Mu- 
cuju  *),  ostwärts  von  Merida.  Die  Einwohner  ver- 
nachlässigen dieses  im  Handel  so  gesuchte  Erzeugnifs 
völlig. 


der  Qiiebrada  de  Moroturo  ein  Lager  von  Thonerdc  ent- 
deckt, welche  schwarz  ist,  die  Finger  stark  färbt,  einen 
starken  Schwefelgeruch  ausdünstet ,  und  sich  von  selbst  ent- 
zündet, wenn  sie,  nur  wenig  befeuchtet,  den  Sonnenstrahlen 
der  Tropenlande  geraume  Zeit  ausgesetzt  ist ;  die  Delonalion 
dieses  schlammiglen  Stoffes  ist  sehr  heftig. 
*)  Dieser  kleine  Flufs  kommt  vom  Paramo  de  los  Conejos 
herab,  und  ergiefst  sich  in  den  Rio  Albarregas. 


Noten    zum    fünften    Buch. 


Note  A.    . 


Folgendes  sind  einige  merkwürdige  Stellen  des  Schreibens, 
%velrhes  Aguirrc  an  den  König  von  Sp.inien  crliefs  : 

,, König  fMiili|ip,  aus  Spanien  gphiirh'g,  Karl's  des  Unüber- 
windlichen Solin  I  Ich  ,  I/Opez  von  Aguirre  ,  dein  Vasall  ,  ein 
alter  Christ,  von  armen,  aber  adlichen  Ellcrn  und  aus  der  Stadt 
Onnate  in  Biscaya  geLoren,  begab  mich  in  meiner  Jugend  nach 
Peru  als  Kriegsinann.  Ich  habe  dir  bey  der  Eroberung  Indiens 
grofse  Dienste  geleistet,  und  ich  habe  für  deinen  Ruhm  gehämpft, 
oline  dafür  Sold  von  deinen  Kriegsobersten  zu  verlangen,  wie 
dies  die  Bücher  deines  Schalzatnles  dartium.  Wohl  glaube  ich, 
christlicher  König  und  Herr,  der  du  sehr  undanlüjar  gegen  mich 
und  meine  Waiiengei;ibrlen  bist,  es  mögen  alle,  welche  dir  aus 
deinem  Lande  (aus  America)  schreiben  ,  dich  gewallig  läuschen, 
da  du  alle  Dinge  nur  aus  all/.uweiler  Ferne  sehen  bannst.  Ich 
ermahne  dich  gegen  die  redlichen  Vasallen,  welche  du  in  diesem 
Lande  besitzest,  gerechter  zu  seyn;  denn  ich  und  die  meinen, 
uir  sind  es  müde ,  den  Ungerechtigkeiten  und  Grausamkeiten 
zuzusehen,  welche  deine  Statthalter,  deine  Oberamtleutc  und  deine 
Kichter  in  deinem  iSamen  verüben,  und  wir  sind  entschlossen, 
dir  nicht  länger  zu  geborchen.  Wir  sehen  uns  niclit  mehr  fiir 
Spanier  an:  wir  führen  grausamen  Krieg  gegen  dich,  weil  wir 
die  Bedrückung  deiner  Beamten  nicht  dulden  wollen,  die,  um 
ihren  Söhnen  und  IN  eilen  Stellen  zu  vcrschaflcn,  über  unser  Leben, 
unsere  Ehre  und  unser  Vermögen  willkürlich  schalten.  Ici»  bin 
am  linken  P'ufse  durch  zwey  Flinlenschüsse  gelähmt,  die  ich  im 
Tbale  von  Coquimbo  erhielt,  als  ich  unter  derAnlübrung  deines 
Marschalls,  Alonzo  de  Alvoredo ,  gegen  Franz  Hernandez  Giron 
kämpfte,  der  damals  ein  ilebell  war,  wie  ich  es  nuninebr  bin 
und  allezeit  bleiben  werde;  denn  seit  der  Zeit,  wo  dei«  Statt- 
halter,   der  Marquis  von  Cannete,    ein  feiger,   eiller  Mann    und 


Noten.  ai9 

pin  Woiclilinof.    iinsore  tapfi^rston  Kripger  aufhängen  liefs.    traue 
ich    lieinon  HcLinadigungen   so   wenig,    als   den  Schriften  Martin 
1-iitlicr's.      r,s  sieht  dir  iiliel  an,  Honig  von  Spanien,  undankbar 
gegen   deine  Vasallen   zu   sevn ;    denn   es   geschah    zur  Zeit,,  wo 
dein  Valer.    Kaiser  Karl,    ruliig    in  Castilien  verweilte,    dafs  dir 
so  viele  Königreiche  und  grofse  Landschaften  zu  Theii  geworden 
sind.      Gedenke.    Konig  Philipp,    dafs  du  nur  alsdann  berecltligt 
bist,    aus  diesen  Provinzen,    deren  Eroberung  gefahrlos  für  dich 
gewesen    ist,    Einkünfte   zu  ziehen >   wofern    du   auch   diejenigen 
belohnest ,    die  dir  so  wichtige  Dienste  geleistet  haben.      Ich  bin 
völlig  iilierzeugt .    dafs  nur  wenige  Könige   in  den   Himmel    kom- 
men.     Auch  achten  wir  andere  uns   für  sehr  glücklich  ,    hier  In 
Indien  zu   leben,    und  die  Gebole  Gottes,    so  wie  diejenigen  der 
römisclien  Kirche,  in  ihrer  gän/.lichen  P.einheit  zu  erhalten :    wir 
zählen  darauf,  obgleich  wir  hicnieden  Sünder  waren,  doch  einst 
zum  Hange  der  Märtyrer  für  die  Ehre  Gottes  zu  gelangen.     Bey 
der  Ausfahrt  aus  dem  Amazonen-Strome  landeten  wir  auf  einem 
Eiland,    das  die  .Margaretha-lnsel  heifst.      Hier  erhielten  wir  au» 
Spanien  die  >'acliriclil  von  der  ausgedehnten  Verbindung  und  den 
Anschlügen  (/a  MaqniiKi)  der  Lutheraner.      Sie  erschreckte  uns 
nicht  wenig;    es    fand   sich   unter    den  Unsrigen   ein   dieser  A  er- 
bindung  Zugehöriger:   sein  IVame  ist  Monteverdo.      Ich  liefs  ihn 
umbringen,  von  Hechtes  wegen  ;   denn  glaube  mir,  gnädiger  Herr, 
dafs  überall,    wo  icii  mich  aufhalte,    dem  Gesetze  Folge  geleistet 
wird.      Aber  die  Sitienverderbnifs  der  Mönche    ist  so  übermäfsig 
hier    zu    Laii\le ,    dafs   strenge   Mafsnahmen    gegen    sie   ergriffen 
werden    sollten.      Unter   den   hiesigen  Heligiosen  ist   keiner,    der 
nicht   mehr   zu   sevn    glaubt,    als   der  Statthalter   einer   Provinz. 
Ich  bitte  dich ,    erlauchter  König,    du  wollest  allem   dem   keinen 
Glauiien  bevmcssen.  was  die  .Alönche  dir  in  Spanien  sagen.      Sie 
sprechen  allezeit  von  ihren  Aufopferungen,  von  dem  harten  und 
mühevollen  Leben,    welches  sie  in  America  zu   führen  genöthigt 
seven;    während  sie  in  derThat  die  reichsten  Besitzungen  haben, 
und  die  Indianer  täglich  für  sie  jagen  und  fischen  müssen.     Wenn 
sie  Thränen  vor    deinem  Thron  vergiefsen,    so   thun   sie  es   nur, 
damit    du    sie    hieher    sendest,    um    das    Land    zu    beherrschen. 
Weifsest  du,   was    sie    für  ein  Leben  hier    führen?    Sie   leben    in 
Praclit  und  Herrlichkeit,    sammeln  sich  Reichlluimer ,    verkaufen 
die  Sacramcnle,  sind  ehrsüchtig,  übermülliig  und  gefräfsig:    dies 
ist    ihre    Lebensweise    in    America.      So    böse  Beispiele   wirken 


2  20  ß   II   C   h       V. 

nachtlieilig  auf  den  Glauben  der  Indianer,  und  wofern  du,  o 
König  von  Spanien,  hierin  nicht  Hülfe  schaffst,  so  wird  dein 
Reich  keinen  ßesland  haben.  Weltli  Unglück  ist  es,  dafs  der 
Kaiser,  dein  Vater,  Deulsr.Iiland  mit  so  grofsem  Koslcnaufwande 
erobert,  und  dafnr  das  Geld  eben  dieser  Indien  verwandle,  die 
»vir  ihm  verscliafl't  halten.  \m.  Jahr  i559  sandle  der  lAIarquis 
von  Cannete  den  Pedro  de  Ursua  .  einen  INavaresen  ,  oder  viel- 
mehr Franzosen,  an  den  Amazonen  -  Flufs ;  nach  einer  langen 
Schifffahrt  auf  den  gröfstew  peruanischen  Flüssen  gelangten  wir 
endlich  in  eineSüfswasser-ßucht.  Wir  halten  bereits  dreyhundert 
Äleilen  zurückgelegt,  als  wir  diesen  schlimmen  und  elirsüchtigeu 
Capitain  umbrachten.  Zum  König  wiilillen  wir  einen  cavallcro 
aus  Sevilla ,  Fernand  de  Guzman ,  und  wir  schwuren  ihm  eben 
so  Treue ,  wie  dies  gegen  deine  Person  geschieht.  ich  ward 
zu  seinem  Feldzeugmeister  ernannt;  weil  ich  nach  seinem  Willen 
zu  leben  nicht  geneigt  war,  sollte  ich  umgebracht  werden.  Icli 
aber  tödtete  den  neuen  König,  den  Hauptmann  seiner  Wache, 
seinen  Generallieulenant,  seinen  Kaplan ,  eine  Frau  ,  einen  Ritter 
von  der  Insel  Rhodes ,  zwej  Fahnenträger  und  fünf  oder  sechs 
Bediente  des  vorgeblichen  Königs.  Von  da  &\\  war  ich  entschlos- 
sen, deine  Minister  und  deine  Auditoren  (Rathsgliedcr  der  Au- 
diencia)  zu  bestrafen.  Ich  ernannte  Ilauplleute  und  Serschenten ; 
sie  wollten  mich  abermals  umbringen,  aber  ich  licfs  sie  alle  auf- 
hängen. Wahrend  dieser  Abenteuer  dauerte  unsere  ScJiifffahrt 
eilt  Monate  bis  zur  Ausmündung  des  Flusses.  Wir  legten  über 
i5oo  3Ieilen  zurück.  Gott  weifs,  wie  wir  diese  grofse  Wasser- 
masse überstanden  haben.  Ich  ralhe  dir,  o  grofser  König,  nie- 
mals spanische  Flotten  in  diesen  verwünscliten  Strom  zu  senden. 
Gott  wolle  dich  in  seiner  heiligen  Obhut  behalten'.- 

Aguirre  übergab  diesen  Brief  dem  Pfarrer  der  Insel  Mar- 
garetha,  Pedro  de  Contreras,  zur  Bestellung  an  König  Philipp  11, 
Fray  Pedro^  Simon,  der  Provinzial  vom  Orden  des  h.  Franciscus 
in  INeu-Granada,  hat  mehrere  handschriftliche  Abschriften  davon 
in  America  und  in  Spanien  gesellen.  Der  Brief  ward  zum  er- 
stenmal, im  Jaiir  172J,  in  Oviedos  Geschichte  der  Provinz  Ve- 
nezuela (Tom.  I.  p.  206)  abgedruckt.  INicht  jninder  heftige  Kla- 
gen gegen  die  Lebensweise  der  Mönche  im  sechszehnlen  Jahr- 
hundert wurden  durch  den  mail.indischen  Reisenden ,  Girolamo 
Benzoni,    unmittelbar  an  den  Papst  gerichtet. 


Noten*  22% 


Note   B. 

Die  Milch  der  milchiglcn  BliUterschwäiiime  ist  nicht  ab- 
soiiflerlich  geprüft  worden;  sie  enthält  einen  scharfen  Griind- 
sloir  im  Agariius  pijierarus  ;  in  andern  Arien  ist  sie  mild  und 
unschädlich.  Die  schönen  Versuche  der  Herren  Braconnot, 
Bouilhjii  Lagrange  und  Vauqiielin  (^yinnules  de  Chirnic ^  Tom. 
XI-VF,  p.  211  ;  Tom.  LI,  p.  jS;  Tom.  LXXIX,  p.  265;  Tom. 
LXXXV,  p.  5)  haben  uns  in  der  Substanz  des  efshai-en  Erd- 
schuamms  (Agaricus  dcliciosus)  eine  grol'sc  Menge  EyweifsslofF 
dargeliian.  Dieser  in  ihrem  Saft  enthaltene  Evweifsstoflr  macht 
sie  lievm  Sieden  so  hart.  Ich  habe  weiter  oben  der  Versuche 
erwähnt,  die  ich  im  Jahr  1796  machte,  um  zu  beweisen,  dais 
die  Morcheln  CMorchella  esculenta)  in  eine  talgigle  und  felt- 
wachsarlige,  zur  Seifenbereilung  geeignete  Substanz  sich  ver- 
wandeln lassen.  iT>e  CamlAle,  sur  les  proprie'tes  mf-d.  des  plan- 
tes,  p.  3^5.)  Der  Zuchersloff  ward  in  den  Pilzen,  schon  im 
J.  1791,  von  Hrn.  Günther  erkannt.  CSiche  meine  yiphorismi 
ex  physiologia  ehem.  plcintarittn  in  der  Flora  Friberg.  p.  itS.) 
In  der  Familie  der  Pilze  CFtingl') ,  vorzüglich  in  den  Clavarien, 
Morillen,  Hervellen,  Mcrulea  und  in  den  kleinen  üjmnopen, 
die  sich  nach  einem  Gevvilterrcgen  innerhalb  etlicher  Slundou 
entwickeln,  sehen  wir  die  organische  ISatur  am  Jcbnellsteu  diu 
grölsle  Verschiedenheit  chymischcr  ßestandlhc-ilc  erzeugen,  den 
Zucker,  das  Ewreils,  das  Finiwachs ,  essigsaures  Kali,  Fett,  Or- 
mazom,  die  Geruchslofle  u.  s.  w.  Es  wäre  wünschbar,  dafs 
aufser  der  Milch  der  milchigen  Schwämme  auch  die  Arten  ge- 
prüft würden,  welche,  in  Stücke  zerschnitten,  bcv  der  ßerührun"»- 
des  atmoqdiärisciicn  Sauerstoffs  ilire  Farbe  ändein. 

Wenn  wir  den  Pcilo  de  luicca  zur  Familie  der  Brcyapfel- 
bäunio  tSapotilliers)  geordnet  haben,  so  fanden  wir  an  ihm  je< 
doch  nicht  minder  eine  groise  Achnlichkeil  mit  gewissen  i/r- 
ticecn,  vorzüglich  mit  dem  Feigenbaum,  um  der  gehörnt  aus- 
laufenden Afterblälter  willen,  und  mit  dem  Erosimum,  wegen 
der  lüidung  seiner  Frucht.  Hr.  Kunlh  hätte  auch'  diese  letztere 
ZusammiMislellung  vorgezogen  ,  wenn  die  am  Orte  selbst  auf- 
genonnnene  Beschreibung  der  Frucht,  und  die  Bcschart'enheit  der 
Milch,  welche  in  den  Urticeen  scharf  und  hcy  i\cx\  Scipotilliers 
■mild    ist,    die  Vermuthung  nicht  zu    bestätigen   scheinrn  würden. 


222  Such     y.        Noten. 

die  wir  oben  Kap.  16.  S.  186  ff.  ausgesprochen  halien.  Hr.  Brc- 
dcineyer  hat,  gleichwie  wir,  wohl  die  Frucht,  aber  nicht  die 
Blume  des  Kuhhaums  gesehen.  Er  versichert^  heohachlet  zu 
haben  Cmehrmals.'),  dafs  zwey  Saamen  neben  einander  stunden, 
wie  im  Avogadebaum  fl/aurus  Pcrsea.)  Viclleiclit  wollte  der 
Bo^iniker  die  gleiche  Bildung  des  Nucleus  ausdrücl(en,  weiche 
Schwartz  in  der  Beschreibung  des  ßrosimuin  andeutet :  Nucleus 
bilobus  aut  bipartibilis.  Wir  haben  die  Standorte  angegeben, 
wo  dieser  merkwürdige  Baum  wachst ;  es  wird  reisenden  Bo- 
tanikern leicht  seyn ,  sich  die  ßlüthc  des  Falo  de  Kacca  zu  ver- 
schafTen ,  und  die  Zweifel  zu  lösen ,  welclie  annoch  über  die 
Familie  walten,   zu  der  er  gehört. 


Sechstes     Buch. 


Siebenzehntes    Kapitel. 

Berge,    welche  die  AragitaThüler  -con  den  Llanos   de  Caracas   (rennen. — 
nila  de  Cura. —   Parapara. —    Llanos  oder  Steppen. —   Calabo2.o. 


Die  Bergkette,  welche  den  See  von  Tacarigua  süd- 
lich begrenzt,  bildet,  so  zu  sagen,  das  nördliche  Ufer 
des  grofsen  Beckens  der  L,Ianos  oder  der  Savanen  von 
Caracas.  Um  ans  den  Thälern  von  Aragua  in  diese 
Savanen  herunter  zu  kommen,  müssen  die  Berge  von 
Guigue  und  Tucutunemo  überstiegen  werden.  Aus 
einer  bevülkerten,  durch  Anbau  verschüncrten  Land- 
schaft gelangt  man  in  eine  ausgedehnte  Einöde.  Ari 
Felsen  und  schattige  Thalgründe  gewöhnt,  betrachtet 
der  Heisende  mit  Befremden  diese  baumlosen  Savanen, 
diese  unermefslichen  Ebenen,  die  bis  an  den  Horizont 
zu  reichen  scheinen. 

Ehe  ich  zu  der  Darstellung  der  hlanos  oder  der 
Gegend  der  Viehweiden  -0  übergehe,  will  ich  kür/.llch 
den  Weg  beschreiben  ,  den  wir  von  Nueva  Valencia 
durch  Villa  de  Cura  und  San  Juan  bis  in  das  kleine,  am 
Eingang  der  Steppen  gelegene  Dorf  Ortiz  zurücklegten. 
Am  6.  März,    vor  Sonnen-Aufgang,    verliefsen  wir  die 


*)  Siehe  oben,  Th.  IL  Kap.  12.  S-  363- 


224  Buch     FI. 

Tliiiler  von  Aragua.      Wir  wanderten  durcli  eine  wohl 
angebaute  Ebene,  längs  dem  südwestlichen  Gestade  des 
Valencia-Sees,   über  den  von  seinen  Gewässern  trocken 
gebliebenen  Boden,  und  konnten  nicht  sattsam  die  Frucht- 
barkeit des  mit  Pisang,  Flaschenkürbils  ur-d  Wasserme- 
lonen überdeckten  Erdreichs  bewundern.     Den  Aufgang 
der  Sonne  verküntlit^te  der  ferne  Schall  lieulcnder  Affen. 
In  der  Nähe  tiner  Baumgruppe,    die  zwischen  den  vor- 
maligen Eilanden  Don  Pedro  und  Negra  steht,    sahen 
wir  zahlreiche  Banden  Araguaten- Affen,    die  gleichsam 
processionsweise,    nur  sehr  langsam  von  einem  Baume 
zum   andern  übergiengen.      Einem  männlichen  Thier 
folgten  viele  weibliche,   worunter  mehrere  ihre  Kleinen 
auf  den  Achseln  trugen.     Es  sind  die  heulenden  Affen, 
welche  in  niehreren  Theilen  von  America  gesellig  bey- 
sammen   leben,    durch  verschiedene  Naturforscher  be- 
schrieben worden.      Ihre  Lehensart  und  Sitten  bleiben 
sich  gleich,  wenn  auch  die  Arten  nicht  überall  die  näm- 
lichen sind.     Man  wird  nicht  müde,    die  Gleichförmig- 
keit,   mit  der  die  Araguaten  '  )   ihre  Bewegungen  voll- 
ziehen, zu  bewundern.     Allentlialben,  wo  die  Aeste  be- 
nachbarter Bäume  sich  einander  nicht  berühren,    hängt 
das  den   Reihen   anführende    männlic])e   Thier  sich  mit 
dem  anfassenden  und  schwitlichen  Theil  seines  Sciiwan- 
zes  auf,  und.  Indem  es  den  übrigen  Körper  fallen  läfst, 
wiegt  es  sich  so  lange,    bis  mittelst  einer  der  Schwin- 
gungen  es   den  zunächst  befindlichen  Ast  erreicht  hat. 
Der  üanze  Zuar  vollzieht  hierauf  an  der  nämliciien  Stelle 
die  tfleiche  Bewegung.      Es  dürfte  fast  übi'rfiüsjig  seyn, 
bey  diesem  Anlafs  zu  bemerl<en,   wie  gewagt  die  Angabe 
Ülloa's  '^•"•')  und  anderer  einsichtsvoller  Keisender  mehr 

ist, 

*>  Simia  urslna.     Vergl.  Th.  H.  Kap.  8.  S.  i45. 
**3    Es     li.'U    der    berühmlc    Reisende    diese    aufserordenlliolie 
Vor];eIuung    der  X^en  mit    KuJIsclnvänzen   sogar   auf  einem 

Hupfer 


Kapitel     XriL  225 

ist,  derzufolge  die  Marimondeii  *") ,  die  Araguaten  und 
andere  mit  RoUschicänteii  (queve  prenanle)  versehene 
Affen  sich  keltenartig  aneinander  liänüen  sollen,  um 
vom  diesseitigen  an  das  jenseitige  Ufer  eines  Flusses  zu 
gelangen.  Wir  hatten  nährend  fiinf  Jahren  Gelegen- 
heit, Tausende  dieser  Thiere  zu  beohachten,  und  konn- 
ten eben  darum  Erzähluniren  keinen  Glauben  bevmfes- 
senj  die  vielleicht  durch  Europäer  selbst  erfunden  sind, 
obgleich  sie  von  den  Indianern  der  IVlissionen  wieder- 
holt werden  ,  als  wären  es  Ueberlieferungen  ihrer  Vä- 
ter. Auch  der  uncivilisirte  Mensch  findet  Genufs  in 
dem  Erstaunen,  das  die  Erzählung  der  Wunderdinge 
seines  Landes  hervorbringt.  Er  giebt  für  selbst  gese- 
hen aus,  was  er  glaubt,  dafs  andere  es  gesehen  haben 
konnten.  Alle  Wilden  sind  Jäger,  und  die  Erzählun- 
gen der  Jäger  werden  um  so  mehr  durch  die  Phantasie 
ausgeschmückt,  als  die  Tliiere ,  deren  Kunststücke  sie 
uns  melden,  verständiger  und  listiger  sind.  Daher 
die  Mährchen,  wozu  die  Füchse  und  die  Affen,  die  Ra- 
ben und  der  Condor  der  Anden  auf  beyden  Halbkugeln 
den  Stoff  lieferten. 

Man  beschuldigt  die  Araguaten  ,  ihre  Jungen  zu- 
weilen im  Stich  zu  lassen,  um  behender  fliehen  zu  kön- 
nen, wenn  sie  durch  indische  Jäger  verfolgt  werden. 
Man  behauptet,  Mütter  gesehen  zu  haben,  die  ihr  Jun- 
ges von  der  Achsei  losmachton,  um  es  vom  Baume 
herabzuwerfen.  Ich  bin  geneigt  zu  glauben,  es  sey 
hier  eine  ganz  zufällige  Bewegung  für  eine  absichtliche 
Handlung    angesehen    worden.     Die    Indianer    äufsern 


Kupfer  abzubilden  l.ein  Bedenken  getragen.  Siehe  Viagg 
a  la  America  meridional  CMadrid,  1748),  Tom.  I.  p. 
i.',4— 149. 

*)  Simia  Belzebuth.  Sielic  meine  Obs.  de  Zool,  Tom.  I,  p.  527. 

Alfix.   V    Humboldts  hiit.   Reiian.   III.  l5 


226  Buch     VI. 

Abneigung-  oder  Vorliebe  für  gewisse  Affenarten.  Sic 
lieben  die  Virditas,  die  Titis  und  überhaupt  alle  klei- 
nen Sagoin  -  AfTeUj  während  die  Araguaten,  um  ih- 
rer traurigen  Gestalt  und  ihres  eintönigen  Geheuls  wil- 
len, gleichniäfsig  verwünscht  und  verläumdet  werden. 
Beym  Nachdenken  über  die  Ursachen,  welche  die  Fort- 
pflanzung des  Schalls  in  der  Luft  /ur  Nachtzeit  beför- 
dern können,  schien  es  mir  nicht  unwichtig,  mit  Ge- 
nauigkeit die  Entfernung  zu  bestimmen,  worin  ,  zumal 
bey  feuchter  und  stürmischer  Witterung,  das  Geheul 
feines  Aragualen  -  Schwarms  geliürt  wird.  Ich  glaube 
gewifs  zu  seyn,  dafs  sie  noch  in  der  Entfernung  von 
800  Toisen  gehört  werden.  Die  vierarmigen  Affen  kön- 
nen keine  Streifzüge  in  die  Ljlanos  machen 5  und  wenn 
man  sich  mitten  auf  einer  ausgedehnten ,  mit  Gras  be- 
wachsenen Ebene  befindet,  so  hält  es  nicht  schwer,  die 
abgesonderten  Baumgruppen  zu  erkennen,  von  denen 
der  Schall  herkommt,  und  die  den  heulenden  Affen 
zum  Aufenthalt  dienen.  Indem  man  sich  nun  diesen 
Baumgruppen  nähert  oder  sich  davon  entfernt,  wird 
das  IMaxununi  der  Entfernung  ausgemittelt,  in  wel- 
cher das  Geheul  liörbar  ist.  Ich  fand  diese  Entfernun- 
gen zuweilen  um  einen  Drittheil  gröfser  zur  Nacht/.eit, 
vorzüglich  wenn  der  Himmel  bedeckt  und  die  Witte- 
rung feucht  und  warm  ist. 

Die  Indianer  behaupten  ,  wenn  das  Geschrey  der 
Araguaten  durch  den  Wald  ertönt,  so  scy  immer  einer, 
„welcher  als  Chorführer  singt.*'  Die  Bemerkung  ist 
ziemlich  richtig.  Man  unterscheidet  allgemein  und 
geraume  Zeit  eine  einzelne,  stärkere  Stimme,  l>i» 
eine  andere,  von  verschiedenem  Gehalt,  dieselbe  ersetzt. 
Der  gleiche  Nachahmungsinstinct  wird  auch  bey  unj 
zuweilen  unter  den  Fröschen  und  last  allen  in  Gesell- 
schaft  lebenden   und   singenden   Thieren   wahrgenom 


Kapitel     XFIL  22? 

mcn.  Die  Missionarien  versichern  noch  weiterhin, 
wenn  unter  den  Aragualen  ein  VVeihclien  im  BpgriflT  ist 
zu  gebären,  so  stelle  der  Chor  sein  Geheul  so  lange 
ein,  bis  das  Junge  geboren  ist.  Ich  konnte  über  die 
\"\  ahrheit  dieser  Angabe  nicht  selbst  urtheilen ;  inzwi- 
schen halte  ich  dieselbe  niciit  für  ganz  grundlos.  Ich 
bemerkte,  dafs,  wenn  eine  aufserordenlliche  Bewegung, 
zum  Beyspiel  die  Seufzer  eines  verwundeten  Aragua- 
ten  ,  die  Aufmerksamkeit  der  Bande  erregen,  das  Ge- 
heul für  einige  IVIinuten  unterbrochen  wird.  Unsere 
Führer  versicherten  in  vollem  Ernst:  ,_,gegen  Engbrü- 
stigkeit sey  ein  zuverlässiges  Hülfsmiltel,  aus  dem  knö- 
chernen Kasten  des  Zungenbeins  vom  Araguate  zu  trin- 
ken.'- Weil  dieses  Thier  einen  so  aufserordenllichen 
Umfang  der  Stimme  hat,  so  mufs  sein  Kehlkopf  wohl 
unstreitig  dem  Wasser,  welches  man  darein  giefst,  auch 
das  Vermögen,  Brusthrankheiten  zu  heilen,  verleihen." 
Es  ist  dies  die  JNaturlehre  des  Volks,  die  zuweilen  der- 
jenigen der  Alten  gleicht. 

Wir  übernachteten  im  Dorfe  Gulgue,  dessen  Breite 
ich  durch  Beobachtungen  des  Canopus  zu  10°  4'  11" 
fand.  Die  Entfernung  dieses,  in  einer  trefflich  angebau- 
ten Gegend  gelegenen  Dorfes  vom  Tacarigua  -  See  be- 
trägt nicht  über  eintausend  Toisen.  ^A  ir  nahmen  un- 
ser Quartier. bey  einem  allen  Feldwebel,  der  aus  Mur- 
cia gebürtig  und  ein  sehr  origineller  Mensch  war.  Um 
zu  beweisen,  dafs  er  bey  den  Jesuiten  studiert  habe, 
sagte  er  uns  die  Geschichte  der  Weltschüpfnng  in  latei- 
nischer Sprache  her.  Die  Namen  von  Augustus,  Ti- 
berius  und  Diocletian  waren  ihm  nicht  unbekannt. 
Bey  der  angenehmen  Kühle  der  Nacht,  in  einem  mit 
Pisang  bepflanzten  Gehege,  äufserte  er  viele  Theilnah- 
me  für  alles,  was  sich  am  Hof  der  romischen  Kaiser 
zugetragen  liatle.     Kr  bat   uns  dringend  um  Heilmittel 


328  Buch     Fl. 

gegen  die  Gicht,  von  der  er  schrecklich  gequält  ward. 
^^Ich  weifs,  sagte  er,  dafs  ein  Zambo  aus  Valencia,  der 
ein  berühmter  Curioso  ist,  mich  lieilen  kann^  aber  der 
Zamho  verlangt  mit  einer  Auszeichnung  behandelt  zu 
werden,  die  man  einem  larbigten  Menschen,  wie  er  ist, 
nicht  bewilligen  kann  j  ich  bleibe  darum  lieber,  wie 
ich  bin/' 

Von  Guigue  aus  beginnt  das  Ansteigen  der  Berg- 
kette, die  sich  südwärts  vom  See  gegen  Guacimo  und 
la  Palma  ausdehnt.  Von  einer  "^lo  Toisen  hohen  Ebene 
herab  sahen  wir  zum  letztenmal  die  l'häler  von  Ara- 
gua.  Der  Gneil's  stund  zu  Tage  :  er  zeigte  die  gleiche 
Schichtenlage,  die  gleiche  nordvvestliche  Senkung. 
Quarzadern,  die  den  Gneifs  durchziehen  ,  sind  goldhal- 
tig, und  eine  nahestehende  Bergschlucht  führt  auch  den 
Wamen  Quehrada  del  Ovo.  Man  ist  befremdet,  über- 
all den  pomphaften  Wamen  Go/i/jc/j/hcä/ in  einem  Lan- 
de zu  finden,  wo  nur  ein  einziges  Kupferbergwerk  be- 
baut wird.  Wir  legten  fünf  Meilen  Weges  bis  zum 
Dorf  Maria  Magdalena,  und  noch  zwey  andere  bis  zur 
Villa  de  Ciira  zurück.  Es  war  Sonntag.  im  Dorfe 
Maria  Magdalena  fanden  sich  die  Einwohner  vor  der 
Kirche  versammelt.  Man  wollte  unsere  Maulthiertrei- 
ber  zwingen  Halt  zu  machen,  um  Messe  zu  hören. 
Wir  entschlossen  uns  zu  bleiben  5  aber  nitch  langem 
Wortwechsel  setzten  die  Maullhiertroiber  ihren  Weg 
fort.  Ich  mufs  hier  beyfügen,  dafs  dies  der  einzige 
Streit  solcher  Art  war,  den  wir  erfuhren.  Man  macht 
sich  in  Europa  sehr  irrige  Vorstellungen  über  die  Un- 
duldsamkeit und  selbst  über  den  religiösen  Eifer  der 
spanischen  Colonisten! 

San  Luis  de  Cura,  oder,  wie  man  gewöhnlich  sagt^ 
die  Villa  de  Cura y  steht  in  einem  gar  uniruclitbaren 
Thale,  dessen  Kichtung  von  Nordwest  nach  Südost  gehl. 


Kapitel    Xril.  219 

nnd  dessen  Erhöhung  über  der  Wasserfläche  des  Oceans, 
meinen  barometrischen  Beobachtungen  zufolge,  266 
Toisen  betrügt.  Einige  Fruclilbäutne  ausgenommen, 
ermangelt  das  Land  ])eynalie  alles  Pflanzenwuchses. 
Die  Trockenheit  der  Ebene  ist  um  so  gröfser,  als  meh- 
rere Flüsse  (was  in  einem  L'rgobirg^land  als  aufseror- 
dentlich  kann  angesehen  werden)  sich  durch  Spalten  in. 
die  Erde  verlieren.  Der  Rio  de  las  Minas,  nordwärt« 
der  Villa  de  Cura,  verliert  sich  insFelsengebirg,  kommt 
wieder  zum  Vorschein,  und  versenkt  sich  nochmals,  ohne 
in  den  Valencia-See  zu  gelangen,  welchem  doch  seine 
Richtung  zugeht.  Cura  hat  eher  das  Aussehen  eines 
Dorfes  als  einer  Stadt.  Seine  Eevöll  erun_y  beträgt  nur 
4000  Seelen  ;  wir  fanden  aber  daselbst  mehrere  Perso- 
nen von  sehr  gebildetem  Geiste.  Wir  nahmen  unsere 
Herberge  bey  einer  Familie ,  gegen  welche  die  Regie- 
rung zur  Zeit  der  Revolution  von  Caracas,  im  Jahr 
1797,  strenge  verfahren  war.  Einer  der  Söhne  ward, 
nachdem  er  lange  eingekerkert  gewesen  war,  nach  der 
Havanna  gesandt ,  um  da  in  einem  festen  Schlosse 
verwahrt  zu  bleiben.  Die  Freude  der  Mutter  war  un' 
endlich  grofs,  als  sie  hörte,  dafs  wir  nach  der  Rück- 
kehr vom  Orenoko  einen  Besuch  in  Havanna  machen 
würden!  Sie  vertraute  mir  fünf  Piaster  an,  „alles,  was  sie 
hatte  ersparen  können.'*  Ich  würde  ihr  dieselben  gern 
zurücHgegeben  haben,  wenn  ich  nicht  fürcliten  mufste, 
ihr  Zart";efühl  zu  beleidi'i^en,  und  eine  JNIutter  zu 
kränken  ,  die  in  freywilligen  Entbehrungen  süfsen  Ge- 
nufs  findet.  Die  ganze  Gesellschaft  der  Stadt  versam- 
melte sich  Abends,  um  in  einer  Optili  die  Ansichten 
der  europäischen  Hauptstädte  zu  bewundern.  Das 
Schlofs  der  Tuillerien  ward  uns  gezeigt  und  die  Bild- 
säule des  grofsen  Kurfürsten  in  Berlin.  Es  ist  eine 
ganz  aufscrordentliche  Empfindung,    seine    Vaterstadt 


23o  Bach     PI. 

durch   eine  Optik    zu  sehen  ,    wenn   man  zAveytausend 
Meilen  von  ihr  enlfernt  ist! 

Ein  Apotheker^  den  ein  unsehger  Hang  znm  Berg- 
bau zu  Grund  gerichtet  hatte^,  begleitete  uns  beym  Be- 
such des  an  goldhaltigem  Schwefelkies  selir  reichen 
Serro  de  Chacao.  Man  steigt  weiter  am  südlichen  Ab- 
hang der  Küstencordillere  ,  in  welche  die  Ebenen  von 
Aragua  ein  Längenthal  bilden,  herunter.  Die  Nacht 
vom  11.  verweilten  wir  zum  Thell  im  Dorfe  San  Juan, 
das  durch  seine  Mineralwasser  und  die  ungewühnliche 
Gestalt  zwey  benachbarter  Berge  ,  welche  die  Morros 
de  San  Juan  heifsen,  merkwürdig  ist.  Diese  Berge 
bilden  schmächtige  Spitzen  ,  die  über  eine  sehr  breite 
Felsenmauer  emporstehen.  Die  Mauer  ist  senkrecht 
abgestutzt  und  gleicht  der  Tevfelsmauery  *)  welche  ei- 
nen Theil  der  Gruppe  des  Harzgebirgs  einfafst.  Weil 
diese  Bergspitzen  aus  grofser  Entfernung  in  den  Llanos 
sichtbar  sind,  und  die  Einbildungskraft  der  an  keinerley 
Unsleichhcit  der  Erdfläche  gewöhnten  Thalbewohner 
mächtig  ergreifen,  so  vvird  die  Höhe  der  Pic's  sehr 
übertrieben  geschätzt.  Sie  waren  uns  als  mitten  in  den 
Steppen  befindlich  angegeben  worden,  während  sie  die- 
selben vielmehr  nordwärts  begränzen,  beträchtlich 
weit  hinter  einer  Hügelreihe,  welche  /«  GrtZer«  heifst. 
Den  in  einer  Entfernung  von  zwey  Meilen  aufgenom- 
menen Winkeln  nach  zu  urtheilen,  sind  die  Bergspitzen 
kaum  mehr  als  i56  Toisen  über  dem  Dorfe  San  Juan, 
und  35o  Toisen  über  der  Fläche  der  Llanos  erhübet. 
Die  Mineralquellen  entspringen  am  Fufs  der  Berge, 
die  zum  Uebergangs- Kalkstein  gehören  j  sie  sind  mit 
geschwefeltem  Wasserstoff  geschwängert,  und  bilden 
einen  kleinen  Sumpf  oder  Ljagune^  worin  ich  den  Wär- 


*)  Bey  Wernigerode  in  Deutschland. 


Kapitel    KVIL  281 

memesser  nicht  über  3i°  3  steigen  sah.  Mittelst  sehr 
befriedigender  Stern  -  Beobachtungen  fnnd  ich  in  der 
Nacht  vom  9.  auf  den  10.  JViärz  die  Breite  von  Villa  de 
Cura  zu  10°  2'  47".  Die  spanisclien  Üfilclere,  welche 
im  Jahr  1755,  bey  dem  Grenzzug,  astronomische  Werk- 
zeuge an  den  Oreiioko  brachten,  haben  gewifs  nicht  im 
Cura  Beobachtungen  angestoilt,  denn  auf  Caulin's  Charte 
und  auf  der  von  la  Cruz  Olmedilla  wird  diese  Stadt 
um  einen  Viertelgrad  zu  weit  südwärts  angegeben. 

Die  Stadt  Cura  ist  in  der  Umoeo^end  durch  die  Wun- 
der  eines  Bildes  der  Jungfrau  berühmt,  das  unter  dem 
Namen  von  Nnestra  Sennora  de  los  Falencianos  be- 
kannt ijt.  Dies  Bild,  welches  ein  Indianer,  um  die 
Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts,  in  einer  Berg- 
schlucht gefunden  hat,  veranlafste  einen  Hechtshandel 
zwischen  den  zwey  Städten  von  Cura  und  San  ^ebastian 
de  los  Keyos.  Die  Pfarrer  der  letzteren  Stadt  behaup- 
teten, die  Jungfrau  sey  zuerst  &uf  dem  Gebiet  ihr.es 
Kirclispiels  erschienen.  Der  Bischof  von  Caracas,  um 
dem  Aergernifs  des  langen  Zanks  ein  ünde  zu  machen, 
liefs  das  Bild  in's  Archiv  des  Bisthums  bringen,  und  be- 
hielt es  darin  3ü  Jahre  verschlossen  ;  im  Jahr  1802  erst 
ward  es  den  Einwohnern  von  Cura  zurückgegeben. 
Hr.  Depons  hat  die  näheren  Umstände  des  seltsamen 
Streilhandels  ausführlich  erzählt.  *)  Nach  einem,  im 
kühlen  und  hellen  Wasser  des  kleinen  Flusses  San  Juan 
über  basaltischem  Grünstein  genommenen  Bade  setz- 
ten wir  um  zwey  Uhr  Nachts  unsern  Weg  über  Orlitz 
und  Parapara,  nach  der  iV/ej«  de  Paja  fort.  Weil  da- 
nials  die  Llanos  durch  Baubgesindel  unsicher  waren^  so 
schlössen  sich  mehrere  Reisende  uns  an,  um  eine  Art 
Caravane  zu  bilden.     Nach  sechs  bis  sieben  Stunden  an- 

*)  Tom.  ni.  p.  178. 


2^%  Buch     Fl. 

haltenden  NledervSteigens  zogen  wir  längs  dem  Cerro 
de  FLores  bin,  in  dessen  Nähe  die  zu  dem  groTsen  Dorf 
San  Jose  de  Tisnao  führende  Strafse  sich  trennt.  Mijn 
kommt  durch  die  Meyerliöfe  von  Lvique  und  Juncalito 
an  den  Eingang  der  Thalgründe^,  die  von  den  schlech- 
ten Wegen  und  der  hlauen  Farbe  der  Schiefer  die  Na- 
men iMalpasso  und  Piedras  ylzules  führen. 

Dieser  Boden  bildet  das  alte  Gestade  der  grofsen 
Steppen- Barsins ,  und  hat  für  die  Unterfuchungen  des 
Geologen  vielAnziehendes.  Man  findet  daselbst  Trapp- 
formationen, die,  wahrscheinlich  Jüngern  Ursprungs, 
als  die  Grünsteingänge  in  der  Nähe  der  Stadt  Caracas, 
den  Gebirgsarten  vulcanischen  Ursprungs  anzugehören 
scheinen.  Es  sind  nicht  lange  und  schmale  Ströme,  wie 
in  einem  Theil  der  Auvergne,  sondern  breite  Flüsse, 
die  wie  Schichten  aussehen.  Die  lavaarligen  Steinmas- 
sen declten,  so  zu  ?agen,  das  Ufer  des  alten  Landseesj  alles, 
was  zerstörbar  ist,  die  geschmolzenen  Auswürfe,  die 
blasigen  Schlacken  sind  w^eggeführt.  Diese  Erschei- 
nungen werden  insbesondere  merkwürdig  durch  die  ge- 
nauen Verhältnisse,  welciie  sich  zwischen  den  Kling- 
steinen (Phonolites)  und  den  IVIandelsteinen  zeigen,  die 
zuverlässig  Augll  (Pyroxene)  und  Grünstein  enthalten, 
und  in  dem  Uebergangsschiefer  Lager  bilden.  Um  den 
Zusammenhang  der  Lagerung  dieser  Gebirgsarten  und 
ihres  Aufliegens  deutlich  zu  machen,  wollen  wir  die 
Formationen  aufzählen,  wie  sie  sich  in  einem  von  Nor- 
den nach  Süden  gerichteten  Froille  darstellen. 

Zunächst  findet  sich  in  der  Sierra  de  Mariara,  die 
dem  westlichen  Arm  der  Küsten -Cordillere  angehört, 
ein  grobkörnigter  Granit }  hernach  in  den  Thälern  von 
Aragua,  am  Seeufer  und  auf  seinen  Inseln,  so  wie  auch 
im  südlichen  Arm  der  Küstenkette  Gneifs  und  Glim- 
merschiej'er.       Diese   zwey   letztern  Gebirgsarten  sind 


Kapitel     Xril.  233 

goldliallig  in  der  Ouehrada  dcl  Oro ,  nahe  tev  Guipj-ue 
und  zm?chen  Villa  de  (3ura  und  den  JMorros  de  San 
Juan,  iui  Gebirge  von  Chacao.  Das  Gold  kommt  in 
Schwefelläesen  vor,  die  tbeils  auf  eine  fast  unbenierk- 
bai"e  Art  in  der  Gesammtmasse  des  Gneifs  *)  zerstreut, 
tbeils  in  kleine  Quarzgänge  gesammelt  sind.  Die  mei- 
•  sten  Ströme,  die  von  diesem  Gebirg  abfliefsen  ,  fülirea 
[Gold.  Dürftige  Einwobner  der  Villa  de  Cura  und  von 
San  Juan  haben  zuweilen,  durch  das  Auswaschen  ihres 
Sandes,  in  einem  Tage  bis  an  dreiyfsig  P'astiT  gewon- 
nen* mei?t  jedoch  mögen,  wie  fleifsig  sie  auch  sind,  in 
der  Woche  nur  für  zwey  Piaster  Goldblättchen  gewon- 
nen werden.  Auch  geben  sich  nur  Wenige  mit  dem 
unsicheren  Gewerbe  ab.  Hingegen  geschieht  hier,  was 
allenthalben  beobachtet,  werden  kann,  wo  gediegenes 
Gold  und  goldhaltiger  Schwefelkies  im  Gebirge  zer- 
streu' sind,  oder  durch  Zerstörung  der  Gebiresarten 
in  angeschwemmtem  Lande  vorkommen,  dafs  sich  näm- 
lich das  V^olk  die  übertriebensten  Vorstellungen  von 
dem  metallischen  Reichthume  des  Bodens  macht.  Der 
Erfolg  des  Bergbaues  aber,  welcher  weniger  von  der 
Menge  des  auf  einer  weiten  Bodenfläche  vertheilten  Er- 
zes, als  von  seiner  Anhäufung  auf  dem  nämlichen 
Puncte  herrührt,  mag  die  so  günstigen  Vorurtlieile 
nicht  rechtfertigen.  Der  durch  die  Bergschlucht  von 
Tucutunemo  begrenzte  Berg  von  Chacao  ist  700  Fufs 
über  das  Dorf  San  Juan  erhübet.  Er  besteht  aus  Gneifs, 
welcher  füraus  in  den  oberen  Schichten  in  Glimmer- 
schiefer übergeht.  Wir  sahen  da  Ueberbleibsel  eines 
alten  Bergwerks,    das  unter   dem  Namen  des  Real  de 


*)  Die  vier  Metalle ,  welche  man  im  Granitgebirg  zerstreut 
findet,  als  gehörten  sie  gleichzeitiger  Bildung  an.  sind  das 
Gold,  das  Zinn,  das  Titanium  iind  der  Kohalt. 


234  Bach     VI. 

Santa  Barbara  bekannt  i?t.  Die  Arbeiten  Avaren  auf 
ein  angegrifTones  Lager  von  Quarz  *)  gerichtet,  der 
von  vitlflächigen  Hölilunjxen  durclilöchert ,  mit  ocher- 
gelhem  Eisen  vermengt  ist,  und  sowohl  goldhaltig« 
Schwelelkiese,  als  auch  Ideine  Goldblättchen  enthält,  die, 
wie  man  versichert,  auch  dem  unbewaffneten  Auge 
sichtbar  sind.  Der  Gneifs  des  Cerro  de  Chacao  scheint 
noch  einen  andern  metallischpu  Niederschlag  zu  ent- 
halten, eine  Mi  chung  von  Hupfer  und  Silbererz. 
Dieser  letztere  ist  der  Gegenstand  eines  mit  grofser  Un- 
wissenheit durch  mexicaniFche  Bergleute,  unter  der 
Verwaltung  des  Hrn.  Avale,  betriebenen  Baues  gewe- 
sen. Der  in  nordöstlicher  Richtung  ausgegrabene  Stol- 
len hat  nur  25  Toisen  Länge.  Wir  fanden  darin  Stücke 
T'on  azurfarbenem  Kupfer,  verbunden  mit  schwefelsaurer 
Schwererde  und  Quarz 5  aber  wir  konnten  nicht  selbst 
urtheilen,  ob  das  Erz  silherhal tiges  PaA/erz  enthalte, 
und  ob  es  eine  Lage  mache,  oder,  wie  unser  Führer, 
der  Apotheker,  versicherte,  wirkliche  Gänge  bilde.  Ge- 
wifs  ist,  dafs  der  Versuch  dieses  Erzgrabens  in  zwey 
Jahren  über  12,000  Piaster  gekostet  hat.  Man  würd« 
ohne  Zweifel  besser  gelhan  haben,  die  Bearbeitung  des 
goldhaltig'^n  Lagers  vom  Real  de  Santa  Barbara  wie- 
der fortzusetzen. 


*)  Dieses  Quarzlager  und  der  Gneifs,  worin  es  enthalten  ist, 
zeigen  die  Richtung  von  St.  8  der  Boussole  von  Frevberg, 
unter  70"*  südwestlicher  Einsenl^ung.  Auf  100  Toisen  Ent- 
fernung vom  goldhaltigen  Quarz  nimmt  der  Gneifs  wieder 
seine  gewohnte  Lagerung  an,  St.  3-4  mit  60°  nordwestli- 
cher Einsendung.  Einige  Gneifslager  enthalten  eine  Menge 
silberfarbigen  Glimmers,  und  statt  der  Granaten  kommen 
darin  zahllose  achtfliächige  Schwefelkiese  vor.  Dieser  silber- 
farbene Gneifs  gleicht  dem  Gneifs  der  bekannten  Gruhe  d«s 
Himmelsfürst  in  Sachsen. 


Kapitel     XVII.  235 

Tiie  Gneifs-Zone ,  von  der  wir  hier  sprechen^  ist 
in  der  Küsten -Kette  vom  Meer  Lis  nach  Villa  de  Cura 
zehn  Meilen  hreit.  In  diesem  ausgedeluilen  Landstrich 
finden  sich  ausschliefslich  Gneifs  und  Gliiiimerscliiefer, 
die  hier  nur  eine  gemeinsame  Formalion  darstellen.  *) 
Jenseits  der  Villa  de  Cura  und  des  Cerro  de  Chacao 
wird  die  Ansicht  des  Landes  für  den  Geognosten  nian- 
ni^^l'alliger.  Noch  sind  aciit  MeiltMi  Ahhang  von  der 
Ebene  der  Stadt  Cura  bis  zum  Eingang  der  Llanos  übrig, 
und  an  diesem  südlichen  Abhang  der  Küstenkette  sind 
es  vier  Gebirgsarten  ungleicher  Bildung,  die  den  Gneifs 


*)  Eifie  Formation,  welche  wir  die  gneifs  -  glimmerschiefrige 
nennen  wollen,  und  die  der  Küsteiikclte  uon  Caracas  ei- 
gen I  hü  ml  ich  ist.  j\Ian  müfs  ,  wie  die  Herren  von  Bucli  und 
R^aumer  in  ihren  vortrefllichen  Abhandlungen  über  Landeck 
und  das  Riesengebirge  so  richtig  gezeigt  liaben  ^  fünf  For- 
malionen unterscheiden ,  nämlich :  a)  Granit;  b)  Granit- 
Gncifs ;  c)  Gneifs;  d)  Gneifs-  Glimmerschiefer;  e)  und 
Glimmerschiefer.  Die  Vermengung  dieser  Formationen, 
welche  die  ISatur  in  vfplen  Ländern  aufs  bestimmteste  von 
einander  gesondert  hat,  ist  die  Ursache,  warum  Geognosten, 
deren  Beobachtungen  auf  eine  lileine  Erdlläche  beschrankt 
waren,  angenommen  haben,  der  Gneifs  und  Glimmerschie- 
fer wechseln  überall  in  aufcinanderliegenden  Schichten , 
oder  bieten  unmerkliche  Uebergänge  der  einen  in  die  an- 
dere Gebirgsart  dar.  Diese  Uebergänge  und  diese  wech- 
selnden Schichtenlagen  finden  unstreitig  in  den  Formationen 
des  Granit-  Gneifs  und  Gneifs  -  Glimmerschiefers  statt;  weil 
aber  diese  Erscheinungen  &Ti  einem  Orte  vorkommen,  so 
folgt  daraus  nicht ,  dafs  anderswo  sehr  genau  abgesondert© 
Formationen  von  Granit ,  Gneifs  und  Glimmerschiefer  nicht 
angetroffen  werden.  Die  gleichen  Betrachtungen  können 
auf  die  Formationen  des  Serpentins  angewandt  werden ,  die 
tald  abgesondert  vorkommen,  und  bald  dem  Eurit,  dem 
Glimmerschiefer  und  dem  Grünstein  angehören. 


236  Buch     VI. 

decken.      Wir  wollen  dieselben  zunächst  beschreiben, 
ohne  sio  nach  systematischen  Ideen  zu  gruppiren. 

Südwärts  dem  Cerro  de  Cfiacao,  zwischen  der  Berg- 
schlucht des  Tucutunemo  und  Piedras  Wegias  ,  birgt 
sich  der  Gneifs  unter  einer  lormation  von  Serpentin^ 
dessen  Mischung  iri  den  verschiedenen  übereinander  lie- 
genden Schicliten  ungleich  ersclieint.  Bald  ist  dieselbe 
vollkommen  rein,  selir  gleichartig,  von  dunkelm  Üli- 
vengrün,  vom  schuppichten  zum  glatten  Bruch  über- 
geliend^  bald  ist  sie  geädert,  mit  blaulichtem  Speck- 
stein vermischt,  im  BrucLe  ungleich  und  enthält  Glim- 
merblätlchen.  h\  beyden  Verhaltnissen  habe  ich  darin 
weder  Granaten,  noch  Hornblunde,  noch  körnigten. 
Strahlstein  (iliallage^  entdeckt.  Weiter  südlich,  und 
in  dieser  Hiclitung  verfolgten  wir  die  Landschaft  bestän- 
dig, wird'  der  Serpentin  dunkler  grün  5  man  nimmt 
darin  Feldspath  und  Hornblende  wahr:  es  hält  schwer 
"zu  sagen,  ob  er  in  Grünstein  (diabase')  übergeht,  oder 
damit  abwechselt.  Unbezweifelt  aber  ist,  dafs  er  Gän- 
^e  von  Kupfererz  enthält.  *)  Am  Fufs  dieses  Berges 
entspringen  zwey  schöne  Quellen  aus  dem  Serpentin, 
Wahe  beym  Dorfe  San  Juan  läuft  allein  nur  der  gekörn- 
te Gi'iijisteui  zu  Tage  aus,  der  eine  schwarzgrüne  Far- 
be annimmt.  Der  mit  der  Masse  innig  vermischte  Feld- 
«path  sondert  sich  in  einzelnen  Krj^slalhn  ab.  Der 
Glimmer  ist  selten  und  Quarz  mangelt  gänzlich.  Die 
Masse  erhält  auf  drr  Oberfläche  eine  gelbliche  Binde, 
wie  der  Dolerit  und  der  Basalt. 


*)  Einer  dieser  Günge,  auf  den  man  zwey  Stollen  trieb,  halte 
die  Richtung  von  St.  2,  1  und  die  Einsenknng  von  80"  östl. 
Die  Serpentinlagen,  wo  dieser  eine  etwas  regelmäfslge  Schich- 
tung zeigt,  haben  die  Richtung  von  St.  8  und  beynahe  senk- 
rechte Einsenhung.  Jch  habe  in  diesem  Serpentin,  wo  er 
in  Griinstein  übergeht,  hin  und  wieder  Malachit  angetroffen. 


Kapitel     XVII.  237 

Mitten  aus  diesem  Boden  von  Trapp formatlon  er- 
heben sich,  zwey  zerfallenen  Schlüssern  gleich,  die 
IMorros  de  San  Juan.  Sie  scheinen  mit  den  Mornes 
von  St.  Sebastian  und  mit  der  Galera  zusammenzuhän- 
gen, welche  die  LIanos  wie  eine  Felsen.naucr  begrenzt. 
Die  IMorros  de  San  Juan  sind  aus  einem  Kalkslein  von 
kryytallinischer  Textur  gebildet;  derselbe  ist  zuweilen 
sehr  dicht,  zuweilen  voll  Höhlungen,  grau-grün,  glän- 
zend, aus  kleinen  Körnern  bestehend  und  mit  einzel- 
nen Glimmerblättchen  vermischt.  Dieser  Kalkstein 
braust  init  Säuren  stai'k  auf:  Spuren  organisclier  Kör- 
per habe  ich  darin  nicht  angetroffen.  In  untergeord' 
nelen  Schichten  begreift  derselbe  Massen  eines  verhäi'- 
teten,  schwärzlichblauon  und  kohlenlialligen  Thons. 
Diese  Massen  sind  schieferig,  sehr  schwer  und  enthal- 
ten Eisen;  sie  stellen  weifJichte  Streifen  (rayure)  dar, 
und  brausen  mit  Säuren  nicht  auf.  Ihre  Oberflüci)e  er- 
hält durch  die  Verwitterun"^  an  der  Luft  eine  treibe 
Farbe.  Man  glaubt  in  diesen  Thonlagcrn,  eine  Ten- 
deaz,  entweder  zum  Uehergangsschiefer ,  oder  zum 
Jiieselschiejer  Cjaspe  schisloido),  welche  allenthalben 
den  schwarzen  Uehergangs  -  Kalkstein  bezeiclmen,  zu 
erkennen.  In  Bruchstücken  würde  man  sie,  boym  er- 
sten Anblick,  für  Basalte  oder  Amphiholiten  nehmen.*) 
Den  IMorros  de  San  Juan  ist  ein  anderer  vveifser,  dich- 
ter Kalkstein  angelehnt,    welcher  einige  Trümmer  von 


•)  Ich  halle  den  Anlafs,  nochmals  und  sehr  sorgfiilh'g  die 
GeLirgsarlcii  von  San  Ju;ni,  (]liacao ,  Parapara  und  Cala- 
bozo  während  meines  Aui'enllialts  in  Mexico  zu  untersuT 
chen,  wo  ich,  gemeinsam  mit  Hrn.  Del  Rio,  einem  der  vor- 
zügliclisten  Zögiinge  der  Schule  von  Freyberg  ^  eine  geo- 
gnostische  Sammlung  für  das  ColegLo  de  Mineria  von  ^tM- 
Spanien  anlegte 


238  B  u  c  h     VI. 

Schaalthieren  enthält.  Die  VeiLlndungsllnie  dieser 
zwey  Kalktteine  konnte  ich  nicht  beobachten^  so  wenig 
als  die  der  Kalkstein -Formation  mit  dem  Grünstein. 

Das  Querthal  j  welches  von  Piedras  Negras  und 
vom  Dorf«  San  Juan  gegen  Parapara  und  den  Llanos 
herabsteigt^  ist  mit  Trapp  -  Gebirgsarten^  die  eine  ge- 
naue Verwandtschaft  mit  der  unter  ihnen  liegenden  For- 
mation von  Grünschiefer  haben,  angefüllt.  Man  glaubt 
tald  Serpentin  zu  sehen,  bald  Grünslein ,  bald  Doleri- 
ten  und  Basalte.  Die  Vertheilung  dieser  problemati- 
schen Massen  ist  nicht  minder  aufserordentllch.  Zwi- 
schen San  Juan,  Malpasso  und  Piedras  A/ules  bilden 
sie  mit  einander  gleichlaufende,  und  regelmäfsig  unter 
Winkeln  von  40°  bis  5o°  nördlich  eingesenkte  Schich- 
ten; sie  decken  sogar  auch  in  übereinstimmender  Lage- 
rung (^Gisement  concordanO  den  Grünschiefer.  Wei- 
ter unten,  wo  die  Mandelsteine  und  Klingsteine  sich 
dem  Grünstein  beygeseüen,  gewinnt  Alles  ein  basalti- 
sches Aussehen.  Ueber  einander  gehäufte  Grünstein- 
Rugeln  bilden  solche  abgerundete  Kegel,  wie  man  sie 
häufig  im  böhmischen  IMllielgehirg ,  in  der  Gegend 
von  Bilin  ,  dem  Vaterland  der  Klingsteine  Cphonolites), 
antrifft.  Die  Ergebnisse  Kieiner  einzelnen  Beobachtun- 
gen sind  folgende: 

Der  Grünstein,  welcher  anfänglich  mit  den  Ser- 
pentin-Lagen wechselte,  oder  sich  dieser  Gel)irgsart 
durch  unmerkliche  Uebergänge  anschlofs,  stellt  sich 
abgesondert  dar,  entweder  in  stark  eingesenkten  Schich- 
ten, oder  in  concentriscli  gpsclilchteten  Kugeln,  die  in 
gleichartigen  Schichten  enthalten  sind.  In  der  Gegend 
von  Malpasso  liegt  derselbe  über  specksteinartigem 
Griinschiejer ,  der  mit  Hornblende  vermischt  ist,  we- 
der Glimmer  noch  Quarzkürner  enthält^  wie  der  Griiii' 


Kapitel    XVII.  a^Q 

alein  eine  nördliche  Senkung  von  45°,  und,  wie  er,  die 
Richtung  Von  N.  75°  W.  hat. 

Wo  diese  Griiaschiefer  vorherrschen^  ist  die  Land- 
schaft selir  unfruchtbar ,  ohne  Zweifel  uni  der  in  ihnen 
enthaltenen  Bittererde  CMagnesie}  wilh^n,  die^  wie  der 
niagncsiahaUige  Kalkslein  ■■■)  in  England  darthut,  dorn 
Fflanzenwvichs  sehr  naclitheilig  ist.  Di«  Einseukung 
der  Grünschiefer  Lleibt  die  nämliche;  aber  ihre  Schich- 
tenrichtunif  wird  nach  und  nach  der  al^enieinen  Rich- 
tung  des  Urgchirgs  der  Küstenkette  gleichfürmig.  Bcy 
Piedras  Aznles  erhalten  diese  mit  Hornblende  ver- 
mischten Schiefer,  wieder  in  gleichförmiger  Liagerungy 
einen  schwarzblauen  **),  sehr  brücliigen,  mit  schwa- 
clien  Quar^adern  durchzogenen  Schiefer.  Die  Grün- 
schiefer  enthalten  einige  Grünsteinschichten  ,  und  es 
finden  sich  in  ihnen  auch  Kugeln  der  nämlichen  Sub- 
stanz. INirgends  sah  ich  die  Grünschiefer  mit  den 
schwarzen  Schiefern  der  Schlucht  von  Piedras  ylznles 
abwechseln;  vielmehr  schienen  dieselben  auf  der  Ver- 
bindnngslinie  in  einander  überzugehen  ,  indem  die 
Grünschiefer,  nach  Mafsgabe  wie  sie  die  Hornblende 
verlieren  ,  perlgrau  werden. 

Weiter  südwärts,  gegen  Parapara  und  Ortiz,  ver- 
schwinden die  Schiefer.  Sie  bergen  sich  unter  einer 
Trappformalion  von  verschiedenllicher  Gestaltung.  Das 
Land  wird  fruchtbarer;  die  Felsmarsen  wechseln  mit 
Thonlagern  ab,    die   durch  Zersetzung  des  Grünsteins, 


*)  Magnesian  -  Limestone ^  Strohgelb,  mit  Madreporen  ;  unter 
dem  red  marl  oder  rothen  Sandstein  (gres  rouge  muriati- 
fere). 

**)  Die  7,wey  Formationen  von  grünem  und  schwarzblauem 
Schiefer  haben  daselbst  die  Riclitung  von  IN'.  52.  0.  (oder 
Sjt.   5;  4)  und  die  Einsenkujig  von  70"  nordwestlich. 


2+0  -ß   H   c    h      VI. 

der  Mandehleine  und  Klingsteine  erzeugt  zu  seyn 
scheinen. 

Der  Grünstein,  welclier  mehr  nordwärts  weniger 
körnicht  war  und  den  Uehergflng  zum  Serpentin  bildete, 
nimmt  hier  einen  ganz  andern  Characler  an.  Er  ent-' 
hält  Kugeln  vom  Mandelstein  (^amygdaloide') ,  welche 
acht  bis  zehn  Zoll  im  Durchmesser  haben.  Diese,  zu- 
weilen etwas  abgeplatteten  Kugeln  losen  sich  in  con- 
centrischen  Schichten  ab.  Es  ist  dies  eine  Wirkung 
der  Zersetzung.  Ihr  Kern  hat  beynahe  die  Härte  des 
Basalts.  Sie  sind  mit  kleinen  blasigen  Höhlungen  ver- 
sehen, die  mit  einer  grünen  Erde  und  Krystallen  von 
Augit  und  Zeolith  angefüllt  sind.  Ihre  Basis  ist  grau- 
licht-blau, ziemlich  \-jeich ,  mit  kleinen  weifeen  Fle- 
cken, deren  regelmäfsige  Bildung  auf  zersetzten  Feld- 
spath  schliefsen  läfst. 

Hr.  von  Buch  hat  die  Stücke,  welclie  Avir  davon 
mitbrachten,  durch  eine  slarlv  vergrüfsernde  Linse  un- 
tersucht. Er  hat  gefunden,  dafs  jeder  in  der  erdigen 
Masse  eingeschlossene  Augit-Krystall  durch,  den  Seiten- 
wänden des  Krystalls  parallfle,  Spalten  von  jener  ge- 
trennt ist.  Diese  Spalten  scheinen  die  Wirkung  eines 
Zurückziehens  zu  seyn,  welches  die  Masse  oder  Grund- 

lao^e  des  Mandelsteins  erlitten  hat.     Ich  sah   diese  Man- 

c 

delstein- Kugeln  theils  schichtenweise  vertheilt,  und 
durch  IG  bis  14  Zoll  dichte  Grünstvinlager  von  einan- 
der getrennt,  theils  (und  dies  war  die  gewöhnlichere 
Lagerung)  fanden  sich  die  zwey  bis  dreyFufs  im  Durch- 
schnitt haltenden  Mandelstein -Kugeln  in  kleine,  oben 
abgerundete  Hügel,  angehäuft,  wie  der  spheroidische 
Basalt.  Der  Thon,  welcher  zwischen  diesen  Mandel- 
stein -  Concretionen  inne  liegt,  kommt  von  der  Zerse- 
tzung ihrer  Rinde  her.  Sie  überziehen  sich  an  der  Luft 
mit  einer  ganz  dünnen  gelben  Ucherschichte. 

Süd- 


Kapitel    XFIT.  34t 

Süd-vresllich  vom  Dorfe  Parapara  erhebt  sich  der 
kleine  Cerro  de  Flores^  welcher  sclion  von  weitem  her 
in  den  Steppen  kennbar  ist.  An  seinem  Fufse,  hoyiiahe 
mitten  in  dem  Mandelstein-Gebiete,  das  wir  beschrie- 
l)en  haben,  liegt  ein  porphyrähnlicher  Klingstein  zu 
Tage,  eine  diclite  Feldspalhniasse  von  grünlicb-grauer 
oder  berggraiier  Farbe,  worin  länglichte  Krystallen 
von  glasigem  Feldspath  enthalten  sind.  Es  ist  der  ächte 
Porp/iyrschiefer  von  Werner,  und  kaum  möchte  man 
in  einer  Sammlung  von  Gebirgsarten  den  Klingstein 
(^phcnoHte~)  \on  Parapara  von  demjenigen  aus  Bilin 
in  Böhmen  zu  unterscheiden  im  Stande  seyn.  Er  stellt 
sich  inzwischen  hier  nicht  in  grotesk  geformten  Felsen 
dar,  sondern  er  bildet  kleine  Hügel,  die  mit  tafelför- 
migen Blöcken,  mit  breiten,  sehr  helltönenden,  am 
Rande  durchsichtigen,  und  beym  Zerbrechen  die  Fin- 
ger i'itzenden  Platten  überdeckt  sind. 

Dies  ist  die  Keihe  der  Gebirgsarten,  welche  ich 
auf  ihren  Standörtern  beschrieben  habe,  wie  ich  sie 
vom  Tacarigua  See  bis  zum  Eingang  der  Steppen  sich 
einander  folgend  antraf.  Nur  wenige  Landschaften  in 
Europa  mögen  eine  so  merkwürdige  geologische  Con- 
stitution darbieten.  Wir  fanden  darin  sehr  aufeinander 
folgende  Formationen : 

von  Gneifs- Glimmerschiefer, 

von  (Üebergangs-)  Grünschiefer, 

von  schwarzem  (Üebergangs-)  Kalkstein^ 

von  Serpentin  und  Grünstein, 

von  Mandelstein  (mit  Augit),  und 

von  Klingstein. 

Ich  bemerke  zunächst,  dafs  die  Substanz,  welche 
XfiT  hier  unter  dem  JNamen  Grünstein  beschrieben  ha« 
ten,  derjenigen  völlig  gleicht,  di«  im  Glimmerschiefer 

Alex.  x>.  Humboldts  h'st.  Btian.  Dl.  l6 


242  B  n  c  h     VI. 

Lagen,  und  in  der  Gegend  von  Caracas  Gänge  bildet;  *) 
sie  unterscheidet  sich  nur  dadurch,  dafs  sie  weder 
Quarz,  noch  Granaten,  noch  Schwefelkiese  enthält. 
Der  genaue  Zusammenhang  und  die  Verhältnisse,  wel- 
che wir  in  der  Nähe  von  Cerro  de  Chacao  zwischen 
dem  Grünstein  und  dem  Serpentin  antrafen,  können  die 
Geognosten,  welche  die  Gebirge  in  Franken  und  Schle- 
sien untersucht  haben,  nicht  befremden.  IVahe  bey 
Zobtenberg  **)  wechselt  ein  serpentinartiges  Fossil 
mit  dem  Gabbro.  In  der  Grafschaft  Glalz  sind  die 
Spalten  des  Gabbro  mit  einem  blau  grünliclien  Steatit 
angefüllt,  und  die  Gebirgsart,^  welche  lange  Zeit  zum 
Grünstein  ***)  gezählt  ward,  ist  eine  innige  Mischung 
von  Feldspath  und   körnigem  Strahlstein  (diallage). 

Der   Grünstein  von   Tuc'utunemo ,    von    dem  wir 
glauben  p    er  bilde  mit  der  serpentinartigen  Gebirgsart 


*)  Siehe  oben  Th.  II.  S.  347  ""d  Th.  III.  K.  i5.  S.  5i. 
**)  Zwisclien  Tainpadel  und  Silslervviz  QBiich ,  Geogn.  Beob- 
Th.  I.  is.  69,  und  Natur/,  freunde  tu,  Berlin.,  1810.  Th.  4. 
S.  144.) 
***)  heop.  de  Bucht  Descr.  de  Landeck ,  tradu.  par  Mr.  d'Au' 
buiisson ,  p.  26.  In  den,  an  Grünstein  und  Serpentin  so 
reichhaltigen  Bergen  von  Baireulh  in  Franken  sind  diese 
zwey  Formationen  nicht  miteinander  verbunden.  Der  Ser- 
pentin gehört  vielmehr  zum  Hornblendschiefer  (amphilwlite 
schistoide)  ,  wie  auf  der  Insel  Cuba.  Psahe  hey  Guanaxua- 
to  in  Mexico  liabe  ich  ihn  mit  dem  Syenit  wechselnd  an- 
getroffen. Diese  Erscheinungen  serpentinartiger  Gesteine, 
die  im  Weifsstein  (eurite),  im  ilornblendschiefer,  im  Gabbro 
und  im  Syenit  Lager  bilden  .  sind  um  so  merkwürdiger,  als 
die  grofse  Masse  der  granathaltigen  Serpentine  ,  welche  in 
den  Gneiis-  und  Glimmerschiefer -Bergen  angetroffen  wer- 
den, isolirte  und  durch  keine  anderen  Formationen  bedeckte 
Hügel  bilden.  Anders  verhält  sich's  bey  den  Mischungen 
von  Serpentin  imd  körnigem  Kalkstein. 


Kapitel     XFIL  243 

»Ine  gemeinsame  Formation,  enthält  Gän»e  von  Mala- 
chit und  kuplerlialtig'en  Schwefelkies.  Ehen  diese  me- 
tallli'tltigen  Ltctger  kommen  auch  in  Franken  vor,  im 
Grii:i-tein  der  Berge  von  Stehen  und  von  Lichtenberg, 
Was  die  GriinscUiefer  von  Malpasso  hetriil't ,  vvelclie 
aännntlich  die  Eigenschaften  des  Uehergangsschiejers 
an  sich  tragen,  so  sind  sie  völlig  zusammentreffend  mit 
deut-n,  welche  Hr.  von  Buch  in  der  Gegend  Aon  Schö- 
nau  in  Schlesien  sehr  gut  beschrieben  hat.  Sie  enthal- 
ten Grünsteinlager  gleich  den  Schiefern  der  so  eben  von 
uns  angeführten  Berge  von  Stehen.  *)  Der  schwarze 
Kalkstein  der  iMorros  von  San  Juan  ist  ebenfalls  ein 
Uehergangs  -  Kalkstein.  Vielleicht  bildet  er  ein  unter- 
geordnetes La^er  in  den  Schiefern  von  Malpasso.  Es 
wäre  diese  Lagerung  derjenigen  ähnlich,  die  in  vielen 
Gebenden  der  Schweiz  angetroffen  wird.  **)  Die  Schie- 
fer-Zone,  deren  Mittelpunct  die  Bergschlucht  von  Pie- 
dras Azules  ist,  scheint  aus  zwey  Formationen  zu  be- 
stehen. An  einigen  Stellen  glaubt  man  einen  U eber- 
gang der  einen  in  die  andere  zu  bemerken.  Die  Grün- 
steine, welche  am  südlichen  Ende  dieser  Schiefer  wie- 
der anfangen,  schienen  mir  nicht  verschieden  von  den- 
jenigen zu  seyn,  welche  noidwärts  der  Bergschlucht 
von  Piedras  Azules  vorkomnjen.  ich  habe  keinen  Augit 
darin  angetroffen  5    aber  am  Standorte  fand  ich  zahlrei- 


*)  Buch ,  1.  c.  T.  I.  p.  75.  Im  Portgange  des  Abzuggtollen» 
iFriedrich-Wühelmsstolleii)  ^  den  icli  1794  bey  Stelten  zu 
erö/Tnen  anfangen  liefs  ,  und  der  nur  noch  54o  Toisen  Län- 
ge hat,  fand  man  nacheinander  im  Uebergangs-  Schiefer: 
untergeordnete  Lager  von  reinem  und  porplijrartigem  Griin- 
slein ,  Lager  vom  Irdischen  Stein  und  vom  Alaunschiefer 
(ampelile) ,  Lager  von  feinkörnigem  Grünstein.  Alle  diese 
Lager  hezeichnen  die  Uebergangs -Formationen. 

")  Ztiiti  Beyspiel ;  am  Glj'sh«rn  ,  am  Col  de  Balme ;   «.  s.  tr 


244  Buch     VI. 

che  Kryslallen  in  dem  Mandelsteinc  (amy-gdoloide"), 
der  mit  dein  Grünstein  so  innig  verbunden  ist,  dafs  er 
öfters  mit  ihm  abwechselt. 

Der-Geognost  kann  seine  Pflicht  erfüllt  achten, 
wenn  er  die  Lagerungen  der  verschiedenen  Schichten 
genau  bezeichnet,  und  die  Analogien  nachgewiesen  hat, 
welche  diese  Lagerungen  mit  den  in  andern  Ländern 
beobachteten  darbieten.  Wer  sollte  sich  aber  nicht  ver- 
sucht fühlen,  zum  Ursprünge  so  mannichfacher  und 
verschiedenartiger  Substanzen  anzusteigen,  und  sich 
«u  fragen,  wie  weithin  das  Gebiet  des  Feuers  sich  in 
diesen,  das  grofse  Becken  der  Steppen  begränzenden  Ber- 
gen ausdehnt?  ßey  den  Untersuchungen  über  die  La- 
gerungen der  Gebirgsarten  ist  es  eine  allgemeine  Kla.re, 
dafs  die  V^erhältnisse  der  für  übereinanderliegend  gehal- 
tenen Massen  nicht  befriedigend  erkannt  werden.  Hier 
scheint  die  Schwierigkeit  aus  den  allzu  innigen  und  viel- 
fältigen Verliältnissen  hervorzugehen,  welche  Gebirgs- 
arten darbieten,  von  denen  man  glaubt,  dafs  sie  nicht 
zur  nämlichen  Familie  gehören. 

Der  Klingstein  (/>/io/?o///(f,  oder  Hrn.  Cordier's  leii' 
costine  compacte^  wird  beynahe  ungelheilt  von  allen, 
welche  beyderley,  brennende  sowohl  als  erloschene, 
Vulcane  zu  untersuchen  im  Falle  waren,  für  einen  Gufs 
steinartiger  Lave  angesehen.  Ich  habe  zwar  in  Para- 
para  keine  ächten  Basalte  oder  Doleriten  an^.etroften^ 
aber  die  Gegenwart  des  Augits  i{n  Mandelstein  von  Pa- 
rapara  läfst  nur  wenigen  Zweifei  über  den  vulcanischen 
Ursprung  dieser  kugelförmigen  zerspaltenen  tmd  mit 
Variolit  (Vacuoles)  angefüllten  Massen  übrig.  Kugeln 
dieses  Mandelsteins  finden  sich  im  Grünstein  eingefafst, 
und  dieser  Grünstein  wechselt  auf  einer  Seite  mit  dorn 
Grünschiefer,  und  auf  einer  andern  mit  dem  Serpentin 
von  Tucutunemo.     Hier  zeigt  sich  also  eine   ziemlich 


Kapitel     XVII.  245 

innlgfe  VerLinJung  /wisclien  den  Klingstein-  und  den 
Grünschiefern  ^  zwischen  den  augitartigep  Mandelstei- 
nen  und  den  Serpentinen,  welche  Kupfererz  enthalten, 
zwischen  den  vuloanischen  Substanzen  und  andern,  die 
mit  den  schwankenden  JN'amen  von  Uehergcin gs-Trapp- 
firlen  bezeichnet  werden.  Alle  diese  Massen  enthalten 
deinen  Quarz,  wie  die  ächten  trappartigen  Porphyre, 
oder  die  vulcanischen  Trachyten.  Es  ist  diese  Erschei- 
nung um  so  merkwürdiger,  als  die  Grünsteine,  dio 
für  "primitiv  gehalten  werden,  in  Kuropa  beynahe  al- 
lezeit Quarz  enthalten.  Die  allgemeinste  Einsenkung 
der  Schiefer  von  Piedras  Aznles ^  der  Grünsteine  von 
Parapara,  und  der  in  Grünstein- Lagern  eingefafsten 
Äugitartigen  Mandelsteine  folgt  nicht  der  Senkung  des 
Bodens  von  Norden  südwärts,  sondern  es  ist  dieselbe 
vielmehr  ziemlich  beständig  nordwärts  gerichtet.  Es 
fallen  die  Lager  gegen  die  Küstenkette  herab,  wie  Sub- 
stanzen, welche  nicht  in  flüssiger  Form  ausgelaufen 
Ovaren,  thun  würden.  Läfst  es  sich  annehmen,  dafs 
so  viele  wechselnde  und  über  einander  geschichtete  Ge- 
birgsarten  eine  gleiche  Abstammung  haben?  Die  Natur 
der  Klingsteine,  welcha  steinartige  Laven  mit  Feld- 
spath- Grundlage  sind,  und  die  Natur  der  mit  Horn- 
blende gemischten  Grünschiefer  mögen  es  kaum  gestat- 
ten. In  dieser  Lage  der  Dinge  sind  zwey  Lösungen 
der  vorliegenden  Aufgabe  möglich.  Der  einen  zufolge 
würde  der  Klingstein  des  Cerro  de  Flores  als  das  ein- 
zige vulcanische  Erzeugnifs  dieser  Landschaft,  betrach- 
tet, und  man  ist  genüthigt,  die  äugitartigen  Mandel- 
steine mit  den  übrigen  Grünsteinen  m  eine  einzige 
Formation  zu  bringen,  diejenige  nämlich,  welche  in 
den  bis  dahin  für  nicht  vulcanisch  gehaltenen  Ueber- 
gangsgehirgen  von  Europa  so  gewöhnlich  ist.  Die  an- 
dere Lösung  der  Aufgabe  sondert  die  Massen  voi^  Kling- 


«46  B  n  c  h     VI. 

stein,  Mandoblein  unH  Grünslein,  welche  südwärtl 
der  Bergsch)«cht  von  Piedras  A^nles  vorkommen,  von 
Aen  Grünb,tein  -  und  Serpentin  -  Gebirgsarten,  welch© 
den  Abhang  der  Berge  nordwärts  dieser  Bergscb locht 
decken.  Ich  finde  bey  dem  gegenwärtigen  Zuslani 
unsrer  Kenntnisse  beynahe  gleich  grofse  Schwierig- 
keilen für  die  Annahme  der  einen  oder  andern  dieser 
Hypothesen;  aber  ich  zweifle  auch  nicht,  dafs,  wftnit 
man  an  andern  Orten  die  wahren  Grünsteine,  (diejeni- 
gen, welche  keine  Hornblenden  [amphiholiles]  sind), 
welche  im  Gneifs  und  Glimmerschiefer  eingeschlosseh 
vorkommen,  sorgfältiger  untersuclit  haben  wird;  wenn 
man  theils  die  Basalte  (mit  Augit),  welche  in  den  Urge- 
birgen  Lager  bilden  '"')>  theils  die  Grünsleine  und  die 
Mandelsteine  in  den  Uebergangsgebirgen  genau  wird 
geprüft  haben;  wenn  man  den  hihalt  der  Massen  ei- 
ner gewissen  mechanischen  Analyse  unterworfen,  und 
die  Hornblenden  von  den  Augiten  ••'"')?  so  wie  die  Grün- 
Steine  von  den  Doleriten,  besser  unterscheiden  gelernt 
hat,  so  dürfte  ein  i^rofsor  Tlicil  der  jetzt  noch  verein- 
zelt und  dunkel  sich  darstellenden  Erscheinungen  als- 
dann auch  gleichsam  von  selbst  den  allgemeinen  Gese- 
tzen sie')  unterordnen.  Die  Klingsteine  und  die  übri- 
gen Gebirg: arten  vulcnnischen  Ur5prungs  von  Parapara 
sind  um  so  merkwürdiger,    als  sie  Zeugen  vormaliger 


*)  Zum  Rpyspiel  zu  Krobsdorf  In  SchlcsJpn  wavA  n'n  Ba- 
saltlager im  tilinimerschiefer  von  zw»y  berühmten  Geot'iio- 
sten  erkannt,  den  Herren  von  Buch  und  Raumer.  (_f''om  Grw 
jiil  des  Riesengehirgcs ,   i8i5,  S.  3o.) 

**)  Die  Grünsteine  oder  Diabasen  des  Ficbtelgebirges  in  Fran- 
ken ,  die  dem  ücbergangsschiefer  angeliören  ,  enthalten  zu- 
weilen Augile.  Siehe  Goldfnfs  u.  Bischof  über  das  Fich' 
teigehirgf^  Th.  I.  S.   173  —  174. 


Kapitel     XFII.  347 

Au8l)rüc}ie  in  einer  granitarli^en  Zone  sind,  als  sie 
dem  Gestade  des  Beckens  der  Steppen  eben  so  angehü- 
ren,  me  die  Basalte  von  Haruscli  dem  Gestade  der  Wüst© 
von  Sahara  zugeliören  *);  endlich  dann  auch,  weil  sie 
die  einzigen  sind,  die  wir  in  den  Gebirgen  der  Capita- 
nia  generai  von  Caracas  beobachtet  haben,  die  übri- 
gens keine  Tracliyten  oder  trappartige  Poi'phyre,  keine 
Basalle  oder  vulcanische  Substanzen  enthalten.  '■**) 

Der  südliciie  Abhang  der  Hiislenkette  ist  ziemlich 
steil,  zumal  die  Steppen,  meinen  barometrischen  Mes- 
sungen zufolge,  um  eintausend  Fufs  niedriger  liegen, 
als  der  Grund  des  Beckens  von  Aragua.  Von  der  aus- 
gedehnten Ebene  der  Villa  de  Cura  stiegen  wir  an  die 
Ufer  des  Bio  Tucutunemo  herunter,  welcher  sich  in 
dem  Serpentingestein  ein  Ltängenthal  in  der  Richtung 
•von  Osten  nach  Westen,  ungefähr  in  gleicher  Höhe 
mit  la  Vittoria,  eingegi-aben  hat.  Ein  Querthal  führte 
uns  von  da  in  die  Llanos,  durch  die  Dürfer  Parapara 
undUrtiz.  Die  allgemeine  Richtung  dieses  Thaies  geht 
von  Norden  nach  Südon.  An  verschiedenen  Stellen  ist 
es  eno^e  zusammengedrängt.  Becken  von  völlig  wage- 
rechter Grundfläche  werden  durch  enge  Bergschluch- 
ten und  steile  Abhänge  miteinander  verbunden.  Es 
waren  ohne  Zweifel  vormalige  kleine  Seen,  die  durch 
Anhäufung  der  Gewässer  oder  durch  eine  noch  gewalt- 
samere Catajtrophe  die  Dämme,  welche  sie  getrennt 
hatten,  durchbrachen.  Die  nämliche  Erscheinung  wird 
überall  auf  beyden  Festlanden  angetroffen,  wie  man  sich 


*)  Tiornemann^  T^oyage  en  Afrique,  Th.  I.  p.  81  ,  und  die 
vortreflliclie  Erdbeschreibung  von  Hrn.  Fütter ^  Th.  I.  S.  572. 

**)  Vom  Rio  negro  an  bis  zu  den  Kiisten  von  Cuinana  und 
Caracas,  ostwärts  der  Berge  von  Merida,  die  von  uns  niohl 
besucht  wurden. 


248  B  n  c  h     VL 

hiervon  bey  Jer  Untersuchung  der  Langenthaler,  welche 
die  Uebergiinge  der  Anden,  der  Alpen  *)  oder  der  Py- 
renäen bilden,  leiclit  überzeugen  l<ann.  Wahrschein- 
lich war  es  der  Einbruch  der  Gewässer  in  die  Ltlanos, 
welcher  durch  aufserordenlliche  Zerreifsungen  d«rt 
IMorros  von  San  Juan  und  von  San  Sebastian  ihre  Hui- 
nengcstalt  ertheilt  hat.  Der  vulcanische  Boden  von  Fa- 
rapara  und  von  Ortiz  steht  nicht  über  3o  bis  40  Toisea 
über  den  lAanos  erhübet.  Die  Ausbrüche  haben  dem- 
nach auf  der  niedrigsten  Stelle  der  Granitkette  stattge- 
funden. 

Unser  Eintritt  in  das  Becken  der  ltlanos  geschah 
in  der  iMesa  de  Paja ,  unter  9°  i  der  Breite.  Die  Son- 
ne stund  beynahe  im  Zenith  5  der  Boden  zeigte  überall, 
wo  er  öde  und  von  Pflanzen  wuchs  enthlöfst  war,  ein© 
bis  auf  48°  und  5o°  ansteigende  Temperatur.  Kein 
Windhauch  ward  auf  der  Höbe,  worauf  wir  uns  mit  un- 
gern Maulthieren  befanden,  verspürt^  aber  mitten  in  die- 
ser scheinbaren  Ruhe  wurden  ununterbrochene  Staub %vir- 
bel  durch  jene  kleinen  Luftströmungen  empor  gehoben^ 
welche  nur  ülyer  die  Obeirläcbe  des  Bodens  hinstreifen 
und  durch  die  ungleiche  Temperatur  begründet  sind, 
die  der  nackte  Sand  oder  die  mit  Pflanzen  bedeckte  Er- 
de annehmen.  Diese  Sandwinde  erhohen  die  ersticken- 
de Wärme  der  Luft.  Jedes  Quarzkürnchen,  das  wär- 
mer ist  als  die  unj»el.ende  Luft,  strahlt  iiiöch  allen  Rich- 
tungen hin,  und  es  hält  echwer,  die  Temper.ttur  der 
Atmosphäre**) zu  beobachten,  ohne  dafs  feine  Sandtl>eil- 


*)  Ich  erinnere  die  Reisenden  an  die  Slrnfse  vom  Urscren- 
Thal  ins  Hospitium  auf  dem  St.  Gothard  und  von  da  nach 
Airolo. 

**)  In  den  Sand  eingesenkt,  stieg  der  Reaumursche  Tliei-mo« 
meler  auf  38",  4  und  40". 


Kapitel     XVII.  24^ 

chen  gpiyen  dio  Kugel  dos  Thermometers  ansclilagen, 
Kings  wm  uns  her  schienen  die  Ebenen  zum  Himmel 
anzusteigen j  und  diese  ausgedehnte  und  «lille  hinüd* 
?lt;llle  sich  uns  als  ein  mit  Tfln^-  oder  pelagischeni  Meer- 
gras bedeckter  Ocean  dar.  Je  nach  der  ungleich  durch 
die  Atmosphäre  vertheilten  Dünstemasse  und  nach  der 
xvechselnden  Temperatur  -  Abnahme  der  übereinander 
geh'iienpn  Luftschichten  erschien  der  Horizont  an 
einigen  St;^llen  genau  ahge?ondprt,  e^n  andern  zeigte  er 
sich  vv  ellenformig,  schlängelnd  und  gleichsam  gestreift. 
Die  Erde  ilofs  da  mit  dem  Himmel  zusammen.  Mitten 
durch  den  trockenen  Nebel  und  die  Dunstscliichten  er- 
blickte man  fernhin  Stämme  Ton  Palmbäumen.  Ihres 
Blälterschmuckes  und  ihrer  grünenden  Gipfel  beraubt, 
sahen  diese  Stämme  den  Mastbäumen  der  Schifi'e  gleich, 
die  das  Auge  am  Horizont  entdeckt. 

Es  liegt  etwas  Imposantes,  aber  Trauriges  und  Fin- 
steres in  dem  einförmigen  Anblick  dieser  Steppen.  Al- 
les ist  darin  gleichsam  erstarrt :  selten  nur  mag  der 
Schatten  einer  kleinen  Wolke,  die  durch  den  Zenith 
geht  und  die  Nä]ie  der  Regenzeit  verkündet,  auf  der 
Savjne  gesehen  werden.  Ich  lasse  unentschieden,  ob 
der  erste  Anblick  derLlano5  nicht  eben  so  überraschend 
ist,  wie  derjtniige  der  Andehkette.  Die  Gebirgsländer, 
welches  auch  die  absolute  Höhe  ihrer  höchsten  Gipfel 
seyn  mag,  besitzen  eine  gemeinsame  Physiognomie  5 
man  gewöhnt  sich  hingegen  nicht  leicht  an  das  Ausse- 
ben der  Lilanos  von  Venezuela  und  von  Casanare  an 
das  der  Pampas  von  Buenos -Ay res  und  von  Chaco, 
welche  ununterbrochen  und  während  20  untl  3o  Heise- 
tagen des  Oceans  ebene  Fläche  darstellen.  Ich  hatta 
die  Ebenen  oder  Lilanos  der  Mancha  in  Spanien,  und 
die  Heiden  (jericeta')  gesehen,    welche  sich  vom   Au-s* 


25o  B  u  c  h     r^L 

ganpre  Jüflands  Hnrch  Lüneburg-  und  Westphalpn  *)  his 
in  die  JNiederlantle  erstrecken.  Diese  letzleren  sind 
va'.re  St  ppt^n^  von  denen  der  Men-ch,  seit  Jahrhun- 
dertf'n,  nur  kleine  Abt  eilnn'<en  ertra^bar  zu  machen 
rerrnocht  hat;  allein  dieses  flache  Land  des  vvestliclien 
«..d  nürdlicheii  Europa  gewährt  nur  ein  schwaches  Bild 
der  unermefslichi'n  l^lanos  im  südlichen  America.  Im 
südöstlichen  Tlieilo  unsers  Festlands,  in  Ungarn,  zwi- 
achen  der  Donau  und  der  Theifs  5  in  IVufsland  «wischen 
dem  Borvstiiems  (Dniiper)  ,  dem  Don  und  der  Wolga 
triiTt  man  die  grofsen  und  ausgedelinten  Viehweiden  an, 
welche  durch  hingen  Aufenthalt  der  Gewässer  verebnet 
-scheinen,  und  von  denen  der  Hori'.ont  üherall  begränzt 
wird.  Hungarns  flache  Landschaft  beschältigt  die  t^han- 
tasie  des  Reisenden,  durch  ihre  fürdauernden  Spiele 
der  Luftspieglun^ ,  da,  wo  ich  sie  auf  der  Grenze 
Deutschlands  zwischen  Preshurg  und  Oedenburg  durch« 
wandert  habe  5  ihre  gröfste  Ausdehnung  aber  stellt  sich 
mehr  westwärts,  zwischen  Czegled ,  Debreczin  und 
Tittcl  dar.   ■'•0     Es  ist  ein  Meer  von  grünen  Basen,  das 


*)  Die  am  meisten  zusammenhängenden  S(recl<pn  dieses  Heide- 
lands (blandes)  finden  sich  zwischen  Oldenburg  und  Osna- 
brück in  der  JSähe   von  P'riesoylhe. 

*)  Hungarns  weite  Steppen  sind  nur  5o  his  40  Toisen  über 
die  Fläche  des  Meeres  erhöhet,  welches  mehr  denn  80  Mei- 
len davon  entfernt  ist.  ( Wahlenberg  Flora  Carpath ,  pag. 
XXXH.)  Der  Baron  von  Podmanifzky,  ein  durch  physi- 
sche Kenntnisse  ausgezeichneter  Mann,  hat  diese  Ebenen 
bey  Aniafs  eines  zwischen  der  Oonau  und  der  Theifs  pro- 
)eclirlen  Canales  nivelliren  lassen.  Er  hat  die  Theiluns;sgräte^ 
die  Wölbung  des  sich  gegen  beyde  Flufsbetten  herabsenhen- 
den  L-andcs,  i5  Toisen  über  dem  mittleren  \Yasserstand  der 
Dona«  erhaben  gefunden.  Mehrere  Geviertmeilen  sind  von 
Dörfern  sowohl   als  Meyerhöfen  entblöfst.     Diese  den  Hori- 


K  a  p    i    '   r   l     %VIL  25t 

z\rc\  Anspi^ännfe  liat.  dnn  rinon  in  der  Nähe  von  Gran 
und  Wailzan,  den  andern  zwischen  Belgrad  und 
VViddin. 

Man    hat    bezeichnende   Züge    der    verschiedenen 
Weltt'ioile   aufzufassen   geglaubt,    wenn  man  von   dem 
europäi.-chen  Heideland^  von  den  asiatischen  Steppen, 
von  Africa's   JVusten  und  von  den  Savanen  Anierica's 
sj>rach ;     e«  stellt   aber  dle'^e   Unterscheidung  Contraste 
auf,  die  it.  der  Natur  ds  r  Dinge  so  wenig,  als  im  Geiste 
der   Sprachen,    liegen.       Das  Daseyn  eines  Heidelands 
selzi  allezeit  das  Vorkommen  von  Pflanzen  voraus,  die 
der    Heidekraut  -  Familie    angehiJren;    Asien's   Steppen 
sind  nicht  alle  mit  Salzpflan/en  bewachsen  ;   die  Savanen 
von  Venezuela  bieten,  ihren  Gräsern  zur  Seite,   kleine 
krautartige    Mimosen,     Schotengewächse    und    ander© 
Dicotvledonen  mehr  dar.     Die  Ebenen  Songariens,   die- 
jenigen, welche  sich  zwischen  dem  Don  und  der  Wolga 
ausdehnen,  die  ungarischen  Pnszta  sind  wahre  Savanen, 
mit  reichlichem  Graswuchs  versehene  Viehweiden;  wäh- 
rend dieSavanen  im  0-tcn  und  Westen  des  Felsengebirgs 
und  Neu  Mexicos  mit  Pflanzen  aus  der  Chenopodeen-Fa- 
milie bewachsen  sind,  welche  kohlensaure  und  salzsaure 
Soda  enthalten.  *)     Asien  besitzt  alles  Pflanzenwuchses 


zont  begränzenden  Viehweiden  werden  von  den  Einwoh- 
nern Puszta  genannt.  jMan  iiiidet  diese  mit  Morastland  und 
Sandstrecken  untermischten  Ebenen  diesseits  der  Theifs, 
zwischen  Czegled ,' Csaba,  Komloss  und  Szarwass ,  jenseits 
der  Tl)eifs,  zwischen  Debreczin,  K«rkzag  und  Szoboszio. 
Kach  Lipsky's  Charte  beträgt  der  Fliichenraum  oder  die 
Area  dieser  Ebenen  im  inneren  Becken  von  Ungarn  zwi- 
schen 25oo  bis  jooo  Geviertmeilen  ,  zu  20  auf  den  Grad, 
Zwischen  Czegled,  Szolnok  und  Ketskcmet  gleicht  die  Flä- 
che heynahe  einem  Sandnieer. 

O  Ilord- westlich  vom  Missoury  und  nördlich  vom  Rio  Zagua- 


252  ß  n  c  h     yi. 

ermanffpln(!e  Wüsten,  in  Arabien,  im  Gobi  und  in  Per- 
sien, öeildem  man  die,  von  so  langem  her  und  so  un- 
testimmt  unter  dem  Namen  der  \\  iiste  von  Sahara  iZ.ah- 
ra)  vereinharttn  \Vü:lon  di  s  inneren  Alrica  näher  ken- 
nen g-elernt  hat,  beobachtete  man,  dafs  im  Osten  dieses 
Festlandes,  wie  in  Arabien,  mitten  im  nackten  und  un- 
fruchtbaren Lande,  bavanen  und  Vieliueiden  angetrof- 
fen werden.  Jene  ersteren,  die  mit  Kies  überzogenen, 
vind  mit  keinerley  Hflanzen  bewachsenen  Wüsten  sind 
es,  die  in  der  neuen  Welt  beynahe  gar  nicht  vorkom- 
men, lall  hal^e  solche  einzig  nur  im  tifferen  Thcil» 
von  Peru,  zuisrhen  Amatope  und  Coquimbo,  an  den 
Gestaden  der  Südsee  gefunden.  Die  Spanier  pennen 
sie  nicht  LJanos  f  sondern  desiertos  von  Sechura  und 
von  Atacaniez.  Es  ist  diese  Einöde  nicht  breit,  aber 
ihre  Länge  betrügt  440  Meilen.  Der  Felsengrund  liegt 
überall  zvvirchen  dem  beweglichen  Sand  zu  Tag.  Wie 
fällt  hier  ein  Hegentropfen;  und,  wie  die  Wüste  von 
Sahara,  nordwärts  von  Tombuclou,  so  bietet  auch  die 
peruvianische  Wüste  in  der  Gegend  von  Huaura  eine 
reiche  Steinsalz- Gi'ube  dar.  Soost  finden  sich  in  der 
neuen  Welt  überall  *)  zvvar  öde  Flächen,  weil  sie  un- 
lewohnt  sind,  aber  keine  eigentlichen  \\  üslen. 

In  den  entferntesten  Landschaften  niederholen  sich 
die  gleichen  Erscheinungen  5    und,   anstatt  diese  weit- 


nanas ,  der  sjch  jn  den  Rio  Colorado  von  Californien  er- 
giefst ,  enlhailen  die  Ebenen  Oyps  und  Steinsalz.  Siehe 
meinen  mexicanischen  Ailas  Tal'el  I. 
*)  Man  könnte  immerhin  vcrsnclit  seyn ,  den  Namen  IVüste 
den  Campos  dos  Parecis  zu  geben,  dieser  ausgedcbnten  Sand- 
ebene von  Brasilien,  in  der  die  Flüsse  Tapajos,  Paraguay 
und  Madeira  entspringen .  und  die  sich  übor  den  Jiucken 
der  höclislon  BcrgÄ  ausdehnt.  Sic  ermangelt  lirynahc  alles 
Pilanzcmvuchses,  und  erinnert  an  den  GoK  der  IVIongolöi. 


Kapitel     XVIL  ä53 

laufti^en  mit  kelnerley  Bäumen  besetzten  Ebenen  durch 
die  auf  ihnen  vorkommenden  Pflanzen  z\x  unterschei- 
den, mögen  sie  einfacher  in  IVnslen  (des(?rts)  und  irl 
Steppen  oder  Savaiien  j  in  nacktes  Land  ohne  Plhin- 
zenvvuchs  und  in  die  mit  Gräsern  oder  kleinern  Pflan- 
zen der  Dlcotyledonen  bewachsenen  Landscliaften  ge- 
theiit  werden.  Manche  Schriftsteller  haben  die  ameri- 
canischen  Savanen,  zumal  diejenigen  der  gemäfsigten 
Zone,  I^Vie  seil  gründe  genannt  j  dieser  Warne  dürfte  je- 
doch für  die  öfters  sehr  dürren,  obgleich  mit  vier  bis 
fünf  Fufs  hohen  Pflanzen  besetzten  Viehweiden  nicht 
anwendbar  seyn.  Die  Ltlanos  oder  Pampas,  des  südli- 
chen America  sind  wahre  Steppen.  Sie  sind  die  Regen- 
zeit hindurch  mit  schönem  Pflanzengrün  überdeckt;  zur 
Zeit  der  grofsen  Trockenheit  aber  erhalten  sie  das 
Aussehen  einer  Wüste.  Die  Pflanzen  zerfallen  alsdana 
in  Staub 5  die  Erde  wirft  Spalten  und  Risse;  das  Kro- 
kodil und  die  grofsen  Scliiangenarten  bleiben  im  ver- 
trockneten Schlamme  liegen ,  bis  des  Frühlings  erst© 
Regengüsse  sie  aus  der  langen  Ersiarrung  wieder  auf- 
wecken. Diese  Erscheinungen  stellen  sich  auf  dürren, 
5o  bis  60  Geviertmeilen  haltenden  Räumen  iiberall  dar, 
wo  die  Savane  von  keinen  Flüssen  durchströmt  wird; 
denn  am  Ufer  der  Bäche  und  um  die  kleinen  Lachen 
von  Sumpfwasser  her  stufst  der  Reisende,  von  Zeit  zu, 
Zeit,  sogar  auch  während  der  gröfsten  Trockenheit, 
auf  Büsche  der  Mauritia,  einer  Palmenart,  dt'i*en  fächer- 
förmige Blätter  ihr  glänzendes  Grün  nie  verlieren. 

Die  Steppen  Asiens  liegen  alle  aufser  den  Tropen- 
Ländern  und  bilden  sehr  hohe  Plateaus.  Auch  Ame- 
rica stellt  auf  dem  Rücken  der  Gebirge  von  MeKico; 
Peru  und  Quito  Savanen  von  bedeutendem  Umfanga 
dary  aber  seine  geräumigsten  Steppen,  die  Llanos  von 
Cuniana;    von  Caracas  und  voiiMeta,  sind  nur  weni^ 


a54  B  u  c  h     VI. 

über  die  Meeresfläche  erhölitt  und  gehören  alle  der  Ae- 
quinoctial-  Zone  an.  Diese  Umstände  ertheilen  ilitu-n 
einen  eigenthümlichen  Chnracter.  Sie  besitzen  nicht, 
wie  die  Steppen  des  nördlichen  Asiens  und  Persiens 
\^üsten,  jene  Seen  ohneAbüufs,  jene  kleinen  Systt^'ne 
von  Flüssen;,  die  sich  entweder  im  Sand  oder  durch  ein 
unterirdisches  Einseihen  verhören.  Die  americanischen 
Llanos  sind  östlich  und  südlich  eingesenkt,  und  ihr 
Wasser  fliefst  dein  Orenoko  zu. 

Der  Lauf  dieser  Flüs«e  holte  mich  früher  glauben 
gemaciit,  die  Ebenen  bildeten  Plateaus,  welche  xve- 
nigstens  loo  bis  150  loison  über  der  Meeresfiaclie  er- 
höhet seyen.  Ich  vermuthete,  die  Wüsten  des  inneren 
Africa  hätten  gleichfalls  eine  beträchtliche  Höhe  ,  und 
folgten  einander  stufenweise  von  den  Küsten  bis  in's 
Innere  dieses  ausgedehnten  Festlandes.  Woch  ist  kein 
Barometer  in  die  Sahara  gekommen.  Hinsichtlich  der 
arnericanischen  Lt/anof  habe  ich  aus  den  zu  Calabozo, 
jn  der  Villa  del  Pao  und  an  der  Ausmündung  des  Meta 
angestellten  liarometrischen  Höhemessungen  ersehen, dafs 
sie  nur  40  bis  00  Toisen  über  die  Wasserfläche  des  Mee- 
res erhöhet  sind.  Der  Fall  der  Gewässer  ist  ausneh- 
xnend  ifering,  öfters  bevna!  p  unmerklich.  Auch  mögen 
schon  der  schwächste  Wind  oder  der  höhere  Wasserstand 
des  Orenoko  das  Wasser  der  in  denselben  auslaufenden 
Flüsse  rückwärts  diängen.  D»'r  Rio  Arauca  zeigt  das 
Schauspiel  dieses  ^H/tor/r/j  fliefsens  oftmals.  Die  India- 
ner glaui>en  den  Tag  über  den  Flufs  abwärts  zu  fahr'jn, 
während  sie  in  der  Thal  von  der  Ausmündutig  zu  den 
Quclion  aufsteigen.  Die  abfllefsenden  Gewässer  sind 
von  den  aufsteigenden  duich  eine  bedeutende  Mas^o 
stillstehenden  Wassers  getrennt,  worin  sich,  durch 
Sl.Mung  d'.s  Gleiciigewichls^  den  Fahrzeugen  gefiihr- 
liche  Wirbel  bilden. 


Kapitel     XFII.  255 

Was  in  den  Savanen  oder  Steppen  dos  südlichen 
America  am  aullailendsten  erscheint,  ist  der  gänzliche 
Mangel  von  Hügeln  und  Unebenheiten ^  die  voUl^om- 
men  wagerechte  Gestaltung^  aller  Theile  des  Hodens. 
Auch  haben  die  spanischen  Rrober  'ir,  welche  voin  Coro 
her  zuerst  au  die  Gestade  des  Apu/e  vordrangen,  die^ 
,  selben  weder  Wüsten,  noch  Savanen,  noch  Wiesen- 
gründe, hingegen  aber  Ebenen,  los  Llanos ,  genannt. 
Auf  3o  Geviertmeilen  stellt  der  JBoden  oft  kein  fufshohes 
Hügelchen  dar.  Diese  Aehnlichkeit  mit  der  Meeresüä^ 
che  ergreift  die  Phantasie  da  am  meisten ,  wo  durchaus 
keine  Palmbäume  auf  den  Ebenen  wachsen  ,  und  wo 
die  Entfernung  von  den  Bergen  des  Küstenlandes  und 
vom  Urenoko  so  grofs  ist",  dais  man  sie  nicht  seheu 
kann  ,  wie  in  der  Mesa  de  Pavoiies.  Man  wäre  ver- 
sucht, mit  einem  Heflexions- Instrumente  Sonnenhühea 
daselbst  aufzunehmen,  wenn  der  Erdhorizont ,  um  des 
wechselnden  Spieles  der  Sti-ahlenbrechungen  willen, 
sich  nicht  allezeit  in  Nebel  aehüllt  fände.  Diese  eleich- 
förmio^e  Bodenfläche  wird  noch  vollkommener  anaretrof- 
fen  im  Meridian  von  Cakibozo,  als  ostwärts,  zwischen 
Cari,  Villa  del  Pao  und  IN  ueva  Barcelona :  sie  ist  hin- 
gegen ununterbrochen  vorherrschend  von  den  Mündun- 
gen des  Orenoko  bis  zur  Villa  de  Araure  und  nach  Os- 
piaos,  auf  einem  Para//e/ von  iSo  Meilen  Länge,  und 
von  San  Carlos  bis  in  die  Savanen  von  Caqueta,  auf  ei- 
nem Meridian  *J  von  200  Meilen.  Sie  bildet  den  ei- 
genthümlichen  Character  des  neuen  Festlandes,  wie  hin- 
wieder auch  den  der  niedrigen  Steppen  Asiens  zwischen 
dem  Dnieper  und  der  Wolga,  zwischen  dem  Irtiscii  und 
dem  Obi.  **)     Umgekehrt  finden   sich  in   den  Wüstpn 

*y  Eigentlich  N.  N.  0-  nach  S.  S.  W. 

**)  GäMenstedt,    Reise,    Th.  I,    S.   n6  — ia6.      Gmelin,  rtor. 
sibir.  Praef.  ^.  3i.     Fallas^  T.  11,.  p.  -5:  T.  Ui.  p.  658. 


a55  Buch    n. 

des  inneren  Africa,  Arabiens,  Syriens  und  Per?Ienf, 
in  Cobi  und  Oasna  *0  viele  Ungleichheiten,  Hü^elrei- 
jhen,  hchluchtei»  ohne  Wasser,  und  i  eisen,  die  aus  den» 
Sand  hervorragen.  **) 

Die  LjIüiiüs  zei«>:en  jedennoch,  der  scheinbaren 
Gleiciiförmigkeil  il>r»r  OberHaciie  unerachtet,  dem  Bli- 
cke do.«  aufitu  rissainen  HeiSi'iiden  zvvey  bemerk,  nswerthe 
Ungleichhellen.  Uie  erst.'*  wird  mit  dem  JNamen  bancos 
bezeichnet.  Es  sind  wirkliche  Klippen,  seichte  Gründe 
(liaiit-fonds^  im  [ieckea  der  Steppten,  ^ehrochne  Rand- 
stein- oder  dichti^  Kai  stoin- Lager,  welche  4  bis  5  Fufs 
auf  der  übrigen  Fläche  emporstehen.  Diese  Hauke 
haben  zuweilen  drey  bis  vier  Meilen  Länge  5  sie  sind 
völlig  eben  und  ihre  Oberl}äche  steht  wagerecht,  so 
dafs  man  nur  durch  Untersuchung  der  Känder  oderSeir 
tenwände  ihr  Daseyn  inne  wird.  Die  andere  Art  ün- 
fi^leichheit  mag  nur  durch  geodesische  oder  barometrische 
Ps'ivellements,  oder  durch  den  Lauf  der  Flüsse  erkannt 
Verden.  Sie  wird  IVlesa  genannt.  Ks  sind  dies  kleine 
Plateaus,  oder  vielmehr  gf  wölbte  Erhabenheiten,  wel- 
che unmerklich  auf  einige  Toi^en  höiie  ansteigen.  Es 
gehören  dahin  ostwärts,  in  der  Provinz  von  Cun?ana, 
auf  der  JNordseite  der  Villa  de  la  Merced  und  von  Can- 
delaria,  die  Riesas  de  ylniana ,  de  Oua/iipu  und  de 
Jonoro ,  deren  Richtung  von  Süd-West  nach  iSord-üst 
geht,  und  die  ihrer  Uleinen  Erhöhung  uncracht-t  die 
Wasserscheide  zwischen  dem  Orenoko  und  der  JNord- 
liüste  der  Terra  Ferma  bilden.  Die  blolse  Wölbung 
«1er  Savane  macht  die  Thcilung,   und  hier  finden  sich 

die 

*)    Oder  KsniK  zwischen  dem  Jaxartes  und  dem  Oxus. 

*"*)  Siehe  «lic  ileilsijjen  INacliforsclmngen  von  Jileiners  über  die 

Wüsten    in    den   L'ntertuchuiij^en    über    die  iVIensciienarlen, 

Th.  I,  S.  101. 


Kapitel    Xrif.  a5r 

die  iVtvortia  aquarum  *)  eben  so^  ^ie  in  Polen,  wo  in 
der  Entfernung  von  don  Karpathon  die  Ebene  selbst 
die  Gewässer  zwischen  dein  baltischen  und  dem  schwar- 
ten Meere  scheidet.  Die  Erdbeschreiber,  welche  über- 
all, wo  eine  Trennungsgräte  ist,  das  Uasevn  von  Berg- 
ketten voraussetzen  ,  haben  nicht  ermangelt,  solche  auf 
den  Ciiarten  bey  f^Qn.  Quellen  des  Kio  Neveri,  des 
Unare,  des  Guarapiche  und  des  Pao  zu  verzeichnen. 
Die  Priester  von  mongolischem  Stamme  errichten  ^leich- 
mäfsig,  einer  alten  abergläubischen  Sitte  zufolge,  Ühos 
oder  kleine  Steinhügel  auf  jeder  Stelle,  von  der  die  Ge- 
wässer in  entgegengesetzten  Richtungen  abfliefsen. 

Die  einfürmige  Gestaltung  der  Lilanos ,  die  äu- 
fscrst  selten  anzutreß'enden  Wohnungen,  die  Ermü- 
flungen  der  Heise  unter  einem  glühenden  Himmel  und 
in  einer  durch  den  Staub  verdunkelten  Atjnosphäre,  der 
Anblick  dieses  Horizontes,  welcher  stets  vor  dem  Be- 
schauer zu  fliehen  scheint,  die  vereinzelten  Stämme  der 
Palmhäume,  welche  alle  die  nämliche  Gestalt  haben, 
und  die  man  zu  erreichen  verzweifelt,  weil  sie  mit  an- 
dern Stämmen  verwechselt  werden,  welche  allmählig 
am  sichtbaren  Horizont  aufsteigen,  alle  diese  verein- 
barten Ursachen  lassen  die  Steppen  ungleich  viel  grofser 
erscheinen,  als  sie  in  der  That  sind.  Die  Pflanzer,  wel- 
che am  südlichen  Abhang  der  Küstonkette  wohnen,  se- 
hen die  Steppen  südwärts,  so  weit  das  Au^e  reic  t,  sich 
wie  ein  grünender  Ocean  ausdehnen.  Sie  wissen,  dafs 
man  von*  Delta  des  Urenoko  bis  in  die  Provinz  Varina'^, 
und  von  da,  über  und  längs  den  Gestaden  des  Meta,  des 
Guaviare  und  des  Caguan ,    im  flachen  Lande,  aniäng- 


*)  ,,  Cn.  Manlium  prope  jugis  (Tauri)  ad  divortia  aquarum 
castra  posuisse."  Lit'ius ,  üb.  58 ,  e.  75,  C^ä.  ygnet.j  Tom, 
IV.  p.  191.) 

Alex.  V.   Humboldts  hist.   Reisen.  III.  f  7 


25S  Buch     VI. 

lieh  von  Ost  nach  West,  hernach  von  Nord -Ost  nach 
Süd-Ost,  3So  Meilen  -•)  zurücl  legen  kann,  bis  üher 
den  Aequator  hin ,  am  Fufse  der  Anden  von  Pasto.  bie 
l<ennen  aus  den  Erzählungen  der  Reisenden  die  Fam- 
pas von  Buenos- Ayres,  welche  ebenfalls  Ljlanos  sind, 
auf  denen  ein  zartes  Gras  wächst,  und  die,  von  Bäu- 
men entblölst,  mit  verwilderten  Ochsen  und  Pferden 
angefüllt  sind.  Sie  haiton,  zufolge  den  Angaben  der 
meisten  unsrer  americanischen  Charten,  dafür,  dieses 
Festland  besitze  nur  eine  einzige  Bergkette,  die  der  An- 
den, welche  sich  von  Süden  nach  JNorden  verlängert, 
und  sie  bilden  sich  ein  unbestimmtes  System  des  Zu- 
sammenhangs aller  Ebenen  vom  Orenoko  und  Apure 
her  bis  zum  Rio  de  la  Plata  und  der  magellantschen 
Meerenge. 

Ich  will  hier  niclit  bey  der  mineralogischen  Be- 
schreibung der  Ouerketleii,  welche  America  von  Osten 
nach  Westen  trennen,  und  die  ich  **}  bereits  schon  im 
Jahr  iSoo  in  meinem  Abrifs  einer  geologischen  Darstel- 
lung geliefert  habe,  verweilen.  Ich  werde  einzig  nur,  in 
möglichster  Klaiheit  und  Gedrängtheit,  an  die  allgemeine 
Bildung  eines  Festlandes  erinnern ,  dessen  Endtheile, 
obgleich  unter  sehr  verschiedenem  Klima  gelegen,   je- 


*)  Es  ist  dies  die  Entfernung  von  Tombuctou  zu  den  INordkü- 
sten  Africa's. 

**)  Journal  de  Physique,  Tom.  LllI,  p.  3o.  Diese  Abhand- 
lung war  uniniltelbar  nach  meiner  Rückkunft  vom  Orenoko 
geschrieben  und  nach  Europa  gesandt  worden,  als  ich  kaunv 
nocli  die  astronomischen  Beoliachtungcn,  wodurch  ich  die  Ge- 
staltung der  Kelle  von  la  Parime  bestimmt  iiabe,  zu  berechnen 
Zeit  gefunden  hatte.  Seither  iiabe  ich  diese  ersten  Ansichten 
über  die  Ausdeimung  der  Ebenen ,  den  während  riieines  Auf- 
enthalts in  Pfru  und-  durch  meine  Verbindungen  mit  Brasilien 
gesammelten  >achric]iten  gemafs,  berichligt 


Kapitel     Xril.  269 

doch  mehrere  ähnliche  Züge  darbieten.  Um  sich  einen 
genauen  Begriff  der  Ebenen,  ihrer  Gestaltung  und  Gren- 
zen zu  machen,  mufs  man  die  Bergkelten  kennen,  die 
ihr  Gestade  bilden.  Wir  haben  bereits  die  Cordillere 
des  hüstenlandes  beschrieben  ,  deren  höchster  Gipfel 
die  Silla  von  Caracas  i^t,  und  die  sich  durch  den  Fara- 
mo  von  las  Hosas  mit  dem  JSevado  von  Merida  und 
den  Anden  von  ISeu-Granada  verbindet.  Wir  haben  ge- 
sehen, dafs  unter  10°  nördlicher  Breite  sie  sich  von 
Quibor  und  Barquesimeto  bis  an  die  Spitze  von  Paria 
ausdehnt.  Eine  zvveyte  Bergkette,  oder  vielmehr  ein© 
minder  holie,  aber  gar  viel  breitere  Gruppe  dehnt  sich 
zwischen  den  Parallelen  von  3°  und  7°,  von  den  Mün- 
dungen des  Guaviare  und  der  Meta  nach  den  Quellen 
des  Orenoko,  des  Marony  und  des  Esquibo^  g**g6n  d^s 
holländische  und  französische  Guiana  liin.  Ich  nenne 
diese  Kette  die  Cordillere  von  la  Parime,  oder  der  gro- 
fsen  Cataracten  des  Orenoko;  man  kann  sie  in  einer  Aus- 
dehnung von  25o  Meilen  verfolgen,  aber  es  ist  nicht  so 
fast  eine  Kette  als  vielmehr  ein  Haufe  granitischer  Berge, 
die  durch  kleine  Ebenen  getrennt,  jedoch  nicht  überall 
in  Heihen  geordnet  sind.  Die  Bergirruppe  von  la  Pari- 
me  verengt  sich  beträchtlich  zwischen  den  Quellen. des 
Orenoko  und  den  Bergen  von  Demerary^  in  den  Sier- 
ras  von  Quimiropaca  und  von  Pacaraimo,  vv^elche  die 
Gewässer  zwischen  den  Carony  und  den  Rio  Parime^ 
oder  Rio  de  Airuas  blancas  scheiden.  Es  ist  dies  der 
Schauplatz  der  zu  Aufsuchung  des  Dorado  und  dei* 
grofsen  Stadt  Manoa,  dem  Tombuctoo  des  neuen  Fest- 
landes, veranstalteten  Unternehmungen.  Die  Cordil- 
lere von  la  Parime  hängt  mit  den  Anden  von  Neu- Gra- 
nada nicht  zusammen,  sondern  sie  ist  davon  durch  einen 
achtzig  Meilen  breiten  Pvaum  geschieden,  ^^'ollte  matt 
der  Vermulhung  Kaum  geben^  sie  sey  in  diesem  Zwi- 


26o  B  a  c  li     VI. 

schenraum  durcli  irgend  eine  grofse  Erdrevolulioii  zer- 
stört wordßn,  welches  jedoch  keineswegs  wahrschein- 
lich ist,  so  müfstc  man  annehmen,  sie  hahe  sich  vor- 
mals von  Aen  Anden  zwischen  Santa -Fe  de  Bogota  und 
Pamplona  getrennt.  Es  mag  diese  Bemerkung  dio 
geographische  Lage  einer  his  dahin  nur  sehr  mangel- 
haft genannten  Cordillere  dem  Gedächtnirs  des  Lesers 
desto  leichter  einprägen.  Eine  dritte  Bergkette  verei- 
nigt unter  16  und  18  Graden  südlicher  Breite  (durch 
Santa-Cruz  der  Sierra,  die  Serranias  von  Aguapehy 
und  die  sehr  bekannten  "Crtmpoj  dos  Parecls')  die  pe- 
ruanischen Anden  mit  den  Bergen  von  Brasilien.  Es 
ist  die  Cordillere  de  Chiquitos ,  die  sich  in  der  Capi- 
tanschaft  der  IVIinas  Geraes  erweitert,  und  die  dem  Ama- 
zonenstrom und  dem  Bio  de  la  Plata  ^0  zufliefsenden 
Gewässer  scheidet,  nicht  nur  im  Innern  des  Landes, 
im  Meridian  von  Villa-Boa,  sondern  auch  einige  Mei- 
len von  der  Küste  entfernt,  zwischen  Rio  Janeiro  und 
Bahia.  **) 

Diese  drey  Querkelten,  oder  vielmehr  diese  drey 
zwischen  den  Grenzen  der  heilsen  Zone,  in  der  Rich- 
tung von\\'esten  nach  Osten  hefindlichen  dre^-  Jßerg- 
gruppen,  sind  durch  völlig  flache  Ländereven,  die 
Ebenen  von  Caracas  oder  vom  Orenoko,  die  Ebenen 
des  Amazonenßusses  und  des  Bio  JNegro,    die  Ebenen 


*)  Der  Zwischenraum  vom  Guapore  (einem  Arm  vom  Marmore 
lind  la  Madeira)  und  dem  Puo  Aguapehy  (der  ein  Arm  des 
Jaura  und  des  Paraguay  ist)  betrügt  nur  5J22  bracas.  Siehe 
die  lehrreiclie,  zu  Piio  Janeiro  unter  dem  Titel  des  Patriotu 
ausgegebene  Zeitschrift,   i8i3,  Nr.  5.  p.  55. 

^*)  Die  Cordillere  von  Chiquitos  und  t'on  Brasilien  dehnt  sich 
in  südöstlicher  Riciilung  im  Gouvernement  von  Rio  Grande 
bis  über  3o°  südlicher  üreite  aus. 


Kapitel    XFII,  a6i 

von  Jßnenos-ylyrrs  oder  von  la  Plata  getrennt.  Ich  ge- 
brauche die  JN'arnen  Thiiler  nicht,  \veil  der  untere  Ore- 
noko  und  der  Amazonenfluis,  weit  entfernt  in  einem 
Thale  zu  fliefsen ,  nur  eine  kleine  Furche  mitten  in 
einer  weiten  Ebene  bilden.  Die  zwey  an  den  Endthei- 
len  des  südlichen  America  i^elegenen  Becken  sind  Sa- 
vanen  oder  Steppen,  baumlose  Viehweiden;  daszwischen- 
inne  gelegene  Becken,  welches  das  ganze  Jahr  durch 
die  Aequatorial  -  Regen  \'\'^asser  empfängt,  ist  fast  ohne 
Ausnahme  ein  grofser  \Yald,  in  welchem  die  Bäche  ein- 
zig nur  statt  der  Wege  dienen.  Diese  den  Boden  de- 
ckende Kraft  des  Pflanzen  Wuchses  macht  auch  die  Ein- 
fürmigkoit  seiner  Fläclie  minder  auffallend ,  und  nur 
diejenigen  von.Caracas  und  la  Plata  werden  Ebenen  ge- 
nannt, in  der  Sprache  der  Pflanzer  werden  die  hier 
Leschriebenen  Becken  mit  den  Namen  der  Ltlanos  von. 
Varinas  und  von  Caracas ,  der  hoscjiies  oder  Selvas. 
(Wälder)  vom  Amazonenstrom,  und  der  Pampas  von 
Buenos -Ayres  bezeichnet.  Die  Bäume  decken  nicht 
nur  den  grüfseren  Theil  der  Ebenen  des  Amazonen- 
stroms von  der  Cordillere  von  Chiquitos  an  bis  zu  der- 
jenigen von  la  Parime;  sie  krönen  auch  die  zwey  Berg- 
ketten, welche  nur  selten  die  Hübe  der  Pyrenäen  errei- 
chen. *)  Es  erscheinen  deshalli  die  weitläuftigen  Ebe- 
nen dos  Amazonenstroms,  des  Madeira  und  des  Pilo  Ne- 
gro  nicht  so  genau  begrenzt,  wie  die  Ljlanox  von  Ca- 
racas und  die  Pampas  von  Buenos -Ayres.  Indem  die 
IValdrei^ioii   zugleich  Ebenen  und  Berge  begreift,  so 


*)  Mit  Ausnahme  des  westlichen  Theils  der  Cordillere  von  Chi- 
quitos,  zwischen  Cochabamha  und  Santa  Cruz  de  la  Sierra, 
wo  die  ßerggipfel  mit  Schnee  bedeckt  sind:  es  gehört  al)er 
diese  colossalische  Gruppe  noch  beynohe  ganz  zu  den  Anden 
de  Ja  Pez ,  von  denen  sie  ein  ostw.irts  verlängertes  Vorgehirg 
oder*  Wiederlage  Ccontre  -  fort)  bildet. 


202  B  II   C   h      VI. 

dehnt  sie  sich  von  18°  südl.  ")  Lis  zu  7°  und  8°  nörd- 
lich aus,  tmd  begreift  nahe  an  j 20  000  Geviertmeilen. 
Dieser  Wald  des  südlichen  America,  denn  eigentlich 
gieht  es  nur  einen,  ist  sechsmal  o^rüf-^^cr  als  Franki'^ichj 
die  Europäer  kennen  davon  nur  die  Ufer  elnigf  r  ihn 
durchströmender  Flüsse,  und  es  gleht  darin  Lichtun- 
gen, deren  Gröfse  mit  der  des  Waldes  in  Verhältnils 
steht.  Wir  nehmen  nun  hald  unsern  Weg  längs  der 
sumpfigen  Savanen,  zwischen  dem  obern  Orenoko,  dem 
Conorichite  und  dem  Cassiquiare  bey  3  und  4  Graden 
der  Breitf.  Uüter  dem  näiulichen  Parallel  finden  sich 
andere  hichlungen  oder  Savanas  limpias,  **)  zwischen 
den  (^Juellen  des  Mao  und  des  flio  de  Aguas  blancas, 
südwärts  der  Sierra  von  Pacaraima,  Piese  letzteren 
Savanen  werden  von  Cariben  und  von  den  Macusis-No- 
madcn  bewohnt.  Sie  nähern  sich  den  Grenzen  des  hol- 
ländischen und  französischen  Guiana. 

Dieser  allgemeinen  Anslclit  der  geologischen  Ver- 
hältnisse des  südlichen  America  wollen  wir  jetzt  die 
Hauptzüge  desselben  entheben.  Die  Westküsten  sind 
durch  eine  mächtige  Bergmauer  begrenzt,  welche  an 
edeln  Metallen  reich  ist,  überall  wo  das  vulcani.-xhe 
Feuer  sich  durch  den  ewigen  Schnee  hindurch  keine 
Bahn  ölTnete,  es  ist  dies  die  Cordillere  der  Anden. 
Gipfel  von  Irappartigem  Porphyr  steigen  über  33oo  Toi- 


*)  Westwärts  dehnen  sich ,  wegen  der  I-Ianos  von  Manso  und 
der  Pampas  von  Iluanacos ,  die  Wälder  insgemein  nicht  über 
die  Parallelen  von  18°  und  19°  südlicher  Breite  aus,  hinge- 
gen ostlich  von  Brasilien  (in  den  Capitanschaften  von  Rio 
Grande ) ,  so  yvie  in  Paraguay  an  den  Gestaden  des  Parama, 
verlängern  sie  sich  bis  zu  26"  südl. 

*)  OjTcne ,  baumlose  Savanen  j  limpias  de  arboles* 


Kapitel     XVIL  263 

sen  hocli  an,  und.  die  mittlere  Höhe  der  Kette  ^^')  te- 
li'ägt  iSöo  Toisen.  bie  dehnt  sich  in  der  Richtung  ei- 
nes Meridians  aus ,  und  sendet  jeder  Halbkugel  einen 
Seiteiiast  zu,  unter  10°  nördlicher  und  unter  16°  und 
iS°  südlicher  Breite.  Der  erste  dieser  Aeste,  derje- 
nige des  Küstenlandes  von  Caracas,  ist  minder  breit 
und  bildet  eine  wahre  Kette.  Der  zvveyte ,  die  Cor- 
dillere  von  Chiquitos  und  von  den  Quellen  des  Guapore, 
ist  überaus  reich  an  Gold,  und  erweitert  sich  ostwärts 
in  Brasilien  in  die  aus^'-edehnten  Plateaus  von  mildem 
und  gemUfsigtem  Klima.  Zwischen  diesrn  beiden,  mit 
den  Anden  zusammenhängenden  Querketten  befindet 
sich  vom  3»  zum  7.  Grad  nördlicher  Breite  eine  abge- 
sonderte Gruppe  von  Granitbergen,  welche  ebenfalls 
in  der  Richturfg  eines  Parallels  mit  dem  Aequator  aus- 
gedehnt, sich  aber,  den  Meridian  "'O  von  fi^  nicht 
überschreitend,  westwärts  auf  einmal  endigt,  und  mit 
den  Anden  von  Neu  -  Granada  in  keiner  Verbindung 
steht.  Diese  drey  Querketten  besitzen  keine  arbeiten,- 
denVulcane:  wir  wissen  nicht,  ob  die  südlichste,  gleich 
den  beyden  andern,  keinen  Trachyt  oder  trappartigen 
Porphyr  besitzt.  Keiner  ihrer  Gipfel  übersteigt  die 
Grenze  des  ewigen  Schnees,  und  die  mittlere  Höhe  der 
Cordillere  von  la  Parime  und  von   der  Küstenkette  von 


*)  In  Neu -Granada,  in  Quito  und  in  Peru,  zufolge  den  von 
Bougouer ,  von  la  Condainine  und  von  mir  angestellten 
Messungen.  Siehe  über  die  verschiedenen  Verhältnisse,  wel- 
che die  Pyrenöen  ,  die  Alpen,  die  Anden  und  das  Himalaya- 
Gebirg  in  ihren  höchsten  Gipfeln  und  in  ihrer  mittleren 
Kettenhöhe  (j.we\  so  oft  verwechjelten  Elementen)  darbie- 
ten, meine  Untersuchungen  über  die  Berge  Indiens.  (^Anna- 
les  de  Chymie  et  de  Physique ,   1816,  Tom.  III,  p.  010.) 

*)  Die  Länge  von  Porto-Cabelio  beträgt  70"  5;'  5"  nördlich 
von  Paris. 


204  -ß  "  c  h     VI. 

Caracas  steigt  nicht  auf  600  Toisen,  obgleich  einige 
Giph'l  '0  i)ey  1400  Toisen  über  der  Meeresfläche  erha- 
ben stehen.  Die  drey  Querketten  werden  durch  Übenen 
getrennt^  welche  alle  westwärts  geschlossen  sind,  ost- 
und  südostwärts  hingegen  ofFen  stehen.  Bedenkt  man 
diese  g<a'inge  Erhöhung  über  die  Flöclie  des  Oceans, 
so  wird  man  versucht,  sie  als  in  der  Kichtung  der  Ko- 
tations  -  Strömung  verlängerte  Golfe  zu  betrachten. 
Würden  die  Gewässer  des  atlanti'^^chen  Meeres,  in  Folge 
irgend  einer  besonderen  Anziehung,  bey  der  Ausnjün- 
dung  des  Urenoko  auf  5o  Toisen  ,  und  bey  derjenigen 
des  Amazonenstroms  auf  200  Toisen  erhoben  ,  so  wäre 
die  gröfsere  Hälfte  des  südlichen  America  durch  die 
grojse  FLutli  überschwemmt.  Der  üstliche  Abhang 
öder  der  Fufs  der  Anden,  welcher  jetzt  sechshundert 
Meilen  von  den  Küsten  Brasiliens  entfernt  ist,  wäre 
ein  durch  die  Wellen  geebnetes  flaches  Ufer.  Diese 
Ansicht  ist  das  Ergebnifs  einer  barometrischen,  in  der 
Provinz  von  Jaen  de  Bracamoras,  wo  der  Aujazonen- 
strom  aus  den  Cordillercn  hervortritt,  angestellten  Mes- 
sung, ich  fand  daselbst  den  mittleren  Wasserstand  die- 
ses mächtigen  Stromes  nur  **)  194  Toisen  über  der  ge- 
genwärtigen Wasserfläche  des  atlantischen  Meeres  er- 
höhet. Es  stehen  jedoch  diese  mit  Waldung  bedeckten 
Zvvischenflächen  noch  fünfmal  höher,  als  die  Pampas 
yon  Buenos -Ayres  und  die  mit  (jras  bewachsenen  JL/a- 
nos  von  Caracas  und  vouj  Meta, 


*}  Es  werden  hier  als  zur  Küstenkelte  gehörend  nicht  gezählt 
die  INevados  und  Paramos  von  Merida  und  Truxillo,  welche 
eine  Verlängerung  der  Anden  von  INeu-  Granada  sind.  Die 
Kelle  von  Caracas  nimmt  erst  östlich  hey  ji^  der  Länge 
ihren  Anfang. 
•*)  Unter  5°  öi'  28"  nördlicher  Ereile  und  80*  56'  S;"  west- 
licher Lmge. 


Kapitel     XVII.  265 

Diese  L,Ianos  f  welche  das  Becken  des  untern  Ore- 
noko  bilden  ,  und  die  wir  im  gleichen  Jahr  z*veymal, 
im  I\I;ir7,  und  im  Heun)onat^  durchwandert  haben^  hän- 
gen mit  dem  Jiecken  des  rvmazonenslronjes  und  des  Kio 
NcgTO  zusammen  ,  welches  einerseits  durch  die  Cordil- 
lere  von  Chiqnitos,  und  anderseits  durch  die  Berge 
von  la  Parime  begrenzt  ist.  Die  Oeffnung,  die  zwischen 
diesen  letztem  und  den  Anden  von  INeu-Granada  übrig 
ist,  boiiründct  diesen  Zusammenhang:.  Es  erinnert  der 
Anblick  dieser  Landschaft,  jedoch  nach  einem  ungleich, 
viel  grüfseren  IVIalsstab,  an  die  Jbbenen  der  Lombardey, 
welciie  gleichfalls  nur  öo  bis  60  Toisen  über  der  Fläche 
des  Uceans  emporstehen  *•"),  und  sich  anfangs  von  der 
Brenta  gegen  Turin  ^  von  Osten  nach  Westen,  hernach 
von  Turin  gegen  Coni,  von  Norden  nach  Süden  ziehen. 
Könnten  andere  geologische  Thatsachen  uns  berechti- 
gen, die  drey  grofsen  Ebenen  des  untern  Orenoko,  des 
Amazonenstroms  und  des  Kio  de  la  Plata  als  Becken 
vormaliger  Seen  anzusehen  '■"•'),  so  wäre  man  versucht^ 
in  den  Ebenen  vom  Rio  Vichada  und  vom  Meta  einen 


*)  Ilr.  Oriani  fand  den  Boden  des  Pilanzengariens  vom  Colle- 
gium  Brera  zu  Mailand  nur  65,  7  Toisen;  den  Boden  des 
Marktplatzes  zu  Pavia  nur  43 ,  5  Toisen  über  die  Küsten 
erhaben.  Aber  die  Wasserfläche  des  Laco  Maggiore  auf 
der  ZVordseile  der  Ebene  ist  um  106  Toisen,  und  Turin 
(der  Saal  der  Acadeiuie)  auf  der  Westseile  der  Ebene,  nach 
Hrn.  Ducros ,  um  izö  Toisen  über  die  VYasserlläche  des 
adriatischen  Meers  erhöhet. 

**)  In  Siberien  scheinen  die  grofsen  Steppen,  zwischen  dem  Ir- 
tisch  und  Oby,  hauptsächlich  die  von  ßaraba ,  worin  viele 
salzige  Seen  vorkommen  (Tchabacly,  Tchany,  Karasoesk 
und  Topolnoy),  chinesischen  Ueberlieferungen  zufolge, 
selbst  noch  in  historischen  Zeiten  ein  Eandsee  gewesen  z« 
seyn.  Siehe  die  gelehrten  Untersuchungen  des  Hrn.  Julius 
von  Klaprolh  im  Mag.  encyclop,  Sept.  1817.  p.  i34. 


266  Buch     FI. 

Canal  zu  erl)llcl<en ,  durch  den  sich  die  Gewässer  des 
oberen  Sees  und  die  der  Ebenen  des  Amazonenstroms 
einen  Weg  ins  unlere  Becken,  dasjenige  der  L,la- 
jios  von  Caracas,  ölTneten,  indem  sie  die  Cordillere  der 
Parime  von  derjenigen  der  Anden  trennten.  Dieser 
Canal  ist  eine  Art  Landenge  (detroit  terrestre).  '0 
Der  vollkoniincn  g;eebnete  Boden  zmschen  doni  Guavia- 
re,  dem  Mela  und  dem  Apure  zeigt  keine  Spur  eines 
g"e\valt«amen  Wassereinbriichs  j  aber  zur  Seile  der  Cor- 
dillere von  Parime,  zwischen  dem  4.  und  7.  Breitegrad, 
hat  sich  der  Orenoko,  welcher  von  seiner  Quelle  bis 
zur  Mündung  des  Guaviare  westwärts  fliefst,  einen  Weg 
durch  die  Felsen,  in  der  Richtung  von  Süden  nach  J\or- 
den,  gebahnt.  Alle  grofsen  Cataracten,  wie  wir  bald 
sehen  werden  ,  liegen  in  diesem  Zwischenraum.  So- 
bald der  Flufs  die  Mündung  des  Apure  in  der  überaus 
niedrigen  Landschaft  erreicht  hat,  wo  der  nördliche 
Abhang  mit  4em  Gegenhange  nach  Süd-Ost  zusan)men- 
trifft,  das  will  sagen  nät  der  Böschung  (talus)  der  Ebe- 
nen ,  welche  unmerklicii  gegen  die  Caracas- Gebirge 
ansteigen,  wendet  sich  der  Strom  netterdings  und  fliefst 
ostwärts.  Icli  glaubte  bereits  hier  schon,  die  Aufmerk- 
samkeit des  Lesers  auf  diese  seltsamen  Windungen  des 
Orenol'.o  lenken  zu  sollen,  weil,  da  er  zweyen  Becken 
zugleich  angehört,  sein  Lauf,  so  zu  sagen,  auch  auf  den 
dürftigsten  Charten  die  Richtung  dieses  Theils  des 
flachen  Landes  andeutet,  w  elches  zwischen  den  Anden 
von  Neu- Granada  und  der  Westseite  der  Berge  von  Pa- 
rime inne  liegt. 

Die  Ltlanos  oder  Steppen  des  untern  Orenoko  und 
des  Meta    führen,   wie  die  Wüsten  Africa's,    in  ihren 


*)  Andreossy,  Voyage  a  [embouchure  de  la  MerNoire,  1818, 
p.  27 ,  54  und  3i  j. 


Kapitel     XVII.  26? 

verschiedenen  Abt]ieilun,2fen  unerleiche  Namen.  Von 
don  Mi'indun^en  des  Dragon  fol<>^en  sich  einander  von 
Osten  nach  W^esten:  die  L^laiios  von  Cumana,  von  Bar- 
celona, und  von  Caracas  oder  Venezuohi.  *)  Hier,  wo 
die  Steppen  sicJi  südwärts  und  süd-süd- westwärts  wen- 
den, vom  8-  Breitegrad  an,  zwischen  dem  Meridian 
der  70  und  78  Längegrade,  finden  «ich,  in  der  Hich- 
tunjr  von  JNorden  nach  Süden,  die  Llanos  von  Varinas, 
von  Ca«anare,  vom  Meta,  vom  Guaviare,  vom  Caguan 
und  vom  Caqueta.  **)  In  den  Ebenen  von  Varinas  fin- 
den sich  einige  geringe  Denkmäler  von  dem  Kunstflei- 
fse  eines  niclit  mehr  vorhandenen  V^olkes.  Zwischen 
Mijagual  und  Canno  de  la  Hacha  kommen  wahre  liunu- 
Ins  vor,  die  von  den  Einwohnern  Serrillos  de  los  In- 
dios genannt  werden.     Es  sind  kegelförmige  Hügel,  die, 


*)  Die  Unterabtheilungeii  dieser  drey  grofsen  Llanos^  so  wie 
ich  sie  an  Ort  und  Sieüe  bezeichnet  habe ,  sind  folgende. 
Di«  Llanos  von  Cumana  und  von  Neu-Andalusicn  ontha'lcn 
diejenigen  von  Maturin  und  von  Terecen  ,  von  Amana ,  von 
Guanipa,  von  Jonoro  und  von  Cari.  Die  Llanos  von  INue- 
va  Barcelona  begreifen  diejenigen  von  Aragua ,  von  Paria-. 
guan  und  von  Villa  del  Pao.  Man  unterscheidet  in  den 
Llanos  von  Caracas  diejenigen  von  Chaguaramas ,  von  Uri- 
tucu,  von  Calabozo  oder  vom  Guarico,  von  la  Portugucsa, 
von  San  Carlos  und  von  Araiire. 

**)  Die  Bewohner  dieses  flachen  liandes  unterscheiden ,  als 
Unterabtheilungen  ^  vom  P»io  Portuguesa  bis  zum  Ca<pieta, 
die  Llanos  von  Guanare,  von  ßocono,  von  IVufrias  oder 
vom  Apure,  von  Palmerito  in  ■der  Nahe  von  Quintero  ,  von 
Guardalito  und  von  Arauca ,  vom  Meta,  von  Apiay  in  der 
Nahe  des  Hafens  von  Pachaquiaro ,  vom  Vichada,  vom  Gua- 
viare, vom  Arriari ,  vom  Inirida,  vom  Ptio  Hacha  und  vom 
Cagiian.  Die  Grenzen  zwischen  den  Savanen  und  Wäldern 
der  Ebenen,  die  sich  von  den  Quellen  des  Rio  Ncgro  zum 
Putumago  ausdehnen,   sind  nieirt  hinlänglich  bekannt. 


268  B  u  c  h     VI. 

«lurcli  Menschenhände  erbaiit  sind,  und  wahrschein- 
lich Knochen  enthalten,  \vie  die  iumnlus  in  den  Step- 
pen Asiens.  Hinwieder  'zei^t  sicli  in  der  JNähe  von  Hato 
de  la  Calzada,  zwischen  VcTiinas  und  Canagua,  eine 
schöne,  fünf  Meilen  lanjjce  Strafso,  welche  vor  der  Ero- 
Lerung  in  sehr  alter  Zeit  durch  die  Landeseingehor- 
3ien  erbaut  worden  ist 5  es  zieht  sich  diese  fünfzehn  Fufs 
exliühete  Runslstrafse  über  eine,  öfteren  Ueberschwem- 
mungen  ausgesetzte  Ebene  hin.  *)  Waren  es  vielleicht 
civilisirtere  Völker,  die  aus  den  Bergen  von  Truxillo 
und  von  Merida  in  die  Ebenen  des  Kio  Apure  herun- 
terstiegen? Die  jetzt  zwischen  diesem  Flufs  und  dem 
Meta  wohnenden  Indianer  sind  allzudumm,  um  an 
die  Erbauung  von  Kunststrafsen  oder  an  die  Aufführung^ 
von  tumulus  zu  denken. 

Ich  habe  die  Area  dieser  Llanos  von  la  Caqueta 
bis  zum  Apure  und  vom  Apure  bis  zum  Delta  des  Ore- 
noko  berechnet,  und  sie  auf  17,000  Geviertmeilen  zu 
20  auf  den  Grad  ansteigend  gefunden.  Der  von  Worden 
nach  Süden  gerichtete  Theil  ist  beynahe  doppelt  so 
grofs,  als  der  Aon  Osten  nach  Westen  zwischen  dem 
untern  Orenoko  und  der  Küstenkette  von  Caracas''"sich 
ausdehnende.  Die  Pampas^  nördlich  und  nordwestlich 
von  Buenos- Ayres,  zwischen  dieser  Stadt  und  Cordova, 
Jujuy  und  Tucuman,  sind  ungefähr  von  gleicher  Gröfse 
wie  die  Llanos;  allein  die  Pampas  verlängern  sich 
noch  um  18°  südwärts,  und  die  von  ihnen  bedeckte 
Landschaft  ist  so  ausgedehnt,  dafs  sie  auf  dem  einen 
ihrer  Endtheile  Palmbäume  nährt,  während  das  andere 
gleich  niedrige  und  ebene  unter  ewigem  Eis  begraben 
liegt. 


*)   J''iagc  de  Varinas  a  Santa  Fe,  durch  Hrn.  Palacio«  (Hanc(- 
JchrifQ. 


Kapitel     XVII.  '2(^() 

Die  amerlcanischen  Lilaiios ,  da  wo  sie  ?icli  In 
gleichlaufender  Richtung'  mit  dem  Aeqiintor  ausdehnen, 
sind  viermal  minder  breit  als  die  grofse  africanische 
Wüste.  Dieser  Umstand  ist  sehr  wichfig  in  einer  Ge- 
gend, wo  die  Winde  beständig  von  Ost  nach  West  wehen. 
Je  mehr  sich  die  Ebenen  in  dieser  Richtung  ausdehnen, 
desto  heiiser  ist  ihr  Klima.  Das  groise  aiVicanische 
Sandmoer  steht  durch  den  \  emen  *•')  mit  Gedrosien  unfl 
dem  Ualouchistan  bis  zum  rechten  Ufer  des  Indus  iix 
Verbindung,  und  das  kleine  Becken  des  rothen  Meers 
wird  durch  die  Winde,  welche  über  die  ostwärts  lie- 
genden Wüsten  hingezogen  sind,  zumal  es  überall  von 
Ebenen  umgeben  ist,  welche  die  strahlende  Wärme  zu- 
rückwerfen,   zu  einer  der  heifsesten  Gegenden  des  Erd- 


*)  Man  darf  sich  nicht  >vundern.  dafs  die  arabische,  mehr 
als  jede  andere  der  orientalischen  Spraclien ,  reich  an  INa- 
men  ist ,  welche  die  Begriffe  von  Wüste  ,  von  unbenolinten 
oder  mit  Gräsern  Ledecklen  Ebenen  ausdrücken.  Ich  könnte 
ein  Verzcichnifs  von  mehr  als  zwanzig  solcher  Namen  lie- 
fern, %velcbe  die  arabischen  Schriftsteller  abwechselnd  ge- 
brauchen .  ohne  sie  jedesmal  nach  den  Schattirungen  ,  wel- 
che jedes  Wort  bezeichnet,  zu  unterscheiden.  Suhl  bedeu- 
tet vorzugsweise  eine  Ebene  (plaine)  ;  Duccali,  ein  Plateau  j 
Kafry  Mikfar  y  Tih  ,  Mehmeh^  eine  nackte,  mit  Sand  oder 
Kies  bedeckte,  wasserlose  Wüste;  Tanou/ah,  eine  Steppe. 
Sahara  bezeichnet  eine  Wüste ,  worin  einige  Viehweiden 
voikommen.  Im  Persischen  bedeutet  Vaila^  Steppe,  eine 
mit  Gräsern  bewachsne  Elbene ;  Begaban,  eine  nackte  und 
dürre  Wüste;  Deschti  re/l ,  ein  Pisteau  oder  Bergebene 
In  türkisch  -  tartarischer  Mundart  wird  eine  Heide  tala  oder 
tschol  genannt.  Das  Wort  Gobi^  woraus  die  Europaer  durch 
Verderbnifs  Cobi  gemaclit  haben,  bezeichnet  im  Mongoli- 
schen eine  nackte  Wüste.  Es  ist  gleichbedeutend  mit  Scha- 
mo  oder  Hhan-hai  im  Chinesischen.  Steppe ,  oder  mit  Gras 
bewachsene  Ebene  wird  im  Mongolischen  durcli  Küdassh^ 
iTij  Chinesischen  durch  houang  ausgedrückt. 


270  Buch     VI. 

•  balls.  Der  unglückliche  C.Tpitaln  Tuokey  meldet,  *) 
es  erhalte  sich  der  hundertthcilig-e  Wärmemesser  dort 
die  Nacht  über  meist  zu  84°;  lun  Taire  steigt  er  auf  40° 
bis  44°.  \\  ir  werden  bald  sejien,  dafs  «eib^t  im  west- 
lichsten Theil  der  Steppen  von  Caracas  die  Tempera- 
tur der  Luft  im  Schatten,  und  vom  Boden  entfernt,  uns 
nur  selten  über  3"°  zeigte. 

Diesen  physischen  Betrachlung-en  über  die  Steppen 
der  neuen  Welt  reihen  sich  andere  von  höherem  In- 
teresse an,  welclie  auf  die  Geschichte  des  Menschen 
Bezug  haben.  Das  grofse  africani-che  Sandineer,  die 
wasserlosen  Wüsten  werden  nur  von  Karavanen  hesucht, 
die  5o  Tage  auf  den  Durchzug  verwenden.  **)  Die 
Sahara,  welche  die  Vollmer  vom  I  egerstamme  von  der 
Mauren- Race  und  derjenigen  der  Berberey  ***)  sondert, 
ist  einzig  auf  den  Oasen  bewohnt.  Ihr  üstlicher  Theil 
allein  nur  enthlilt  Vieliweiden,  weil  hier  durch  die 
Kraft  di'r  Passatwinde  eine  minder  dichte  Sanddecke  vor- 
handen ist,  so  dafs  die  Quellen  auf  der  Oberfläche  der 
Erde  zu  Tage  gelangen  können.^  In  America  sind  die 
■weniger  breiten,  minder  heifsen  und  durch  schöne 
Ströme  fruchtbaren  Steppen  ein  ungleich  schwächeres- 
Hindernifs  der  Verbindung  zwischen  den  Völkern.  Die 
JLlauos  trennen  die  Hiislenkette  von  Caracas  und  der 
Anden  von  Neu -Granada  der  Waldregion,  von  jener 
Hylaea  1)  des  Orenoko ,  die,  schon  zur  Zeil  der 
ersten  Entdeckung  von  America,    durch  rohere,    der 


*)  Exped.  to  explore  the  R'ner  Zaire,   1818,  I/itrod- ,  p.   I.A. 
**)  ISach  Hrn.  Piennel  ist  dies  das  ßlaxinium  der  Zeit.  (Vojage 

de  IMungo-Park,  Ton^.  IJ,  p..  535.) 
'**)  Die  SliilJia  und  die  Kalivles!' 
t)  'TXoctT}.  Herod,  melp.  {ed.  Schioeigh.  Tom,  II,  p.  »67) 


Kapitel     XFII.  271 

Cultur  cnlfremdetere  Völker,  als  die  Küstenbewohner, 
vorzüglich  aber  die  Bergbewohner  der  Cordilleren  sind, 
beset/.t  gefunden   ward.      Inzwischen  sind  die  Steppen 
einst  eben  se  wenig  eine  Vormauer  der  Civilisation  ge-  ' 
wesen,    als    sie  gegenwärtig  eine    Scliutzwehr  für   diö 
Freiheit    der    in    Aen  Wäldern   lebenden    Horden  sind. 
Die  VülkeF  vom  untern  Orenolto  wurden  durcli  sie  nicht 
gehindert,     die   kleinen   Flüsse   anzusteigen   und  nord- 
wärts wie  westwärts  üeberfälle  zu  machen.     Hätte  die 
ungleichartige  Vertheilung  der  Thiere  über  den  Erdball 
das  Hirtenleben   in  der  neuen  Welt  möglich  gemacht, 
wären,  vor  Ankunft  der  Spanier,  fiäe  Lilanos  und  die 
Pampas  bereits  schon  mit  Heerden  von  Hornvieh  und 
Pferden,  wie  solche  jetzt  auf  ihnen  weiden,  besetzt  ge- 
wesen,   so  hätte  Columbus  das  Mensel. en:reschlecht  in 
ganz  anderen  Umständen   angetroffen.        Hirtenvölker^ 
die  von  Milch  und  Käse  lebten,    wahre  Nomaden,  hät- 
ten alsdann  diese  ausgedehnten  und  mit  einander  zusam- 
menhängenden Ebenen   bevvohnt.     Sie  würden   in  Zei- 
ten grofser  Trockenheit  oder  auch  zur  Zeit  der  Ueber- 
schwemmungen,     um   den   Besitz   der  Viehweiden   ge- 
kämpft,  einander  wechselweise  unterjocht,  und,  durch 
gemeinsame  Sitten,   Sprache  und  Cultus  vereinbart,  je- 
nen Zustand  einer  halben  Sittigung  erreicht  haben,  der 
uns  bey  den  Völkern  mongolischer  und  tartarischer  Ab- 
stammung  überrascht.       America  hätte   alsdann  gleich 
dem   mittleren  Asien    seine  Eroberer  gehabt,    die    von 
den  Ebenen  her  das  Bergland  der  Cordilleren  erstiegen, 
auf  die  herumziehende  Lebensart  verzichtet,   die  civili- 
sirlen    Völker  von    Peru  und   INeu-Gi'anada    unterjocht, 
den  Thron  der  Incas  und  des  Zako  ■■'}  umgestürzt,  und 


")  Der  Zako  war  das   welUJche  Olicrliaupt  von  CunJiiuimarca. 
Er  llieilte  die  Gewalt  mit  dem  OLcrpriester  (Lama)  von  Iraca- 


2^2  B  n  c  7i     VI. 

tlen  Despotismus,  welchen  die  patriarchalieclie  Regie- 
rung der  Hirtenvölker  herbe}  fuhrt,  erset/.t  haben  wür- 
den. Es  hat  das  Menschongcfchlecht  in  der  neuen  Welt 
diese  grofsen  sittlichen  und  politischen  Veränderungen 
nicht  erlitten,  weil  seine  Steppen,  wenn  gloicli  frucht- 
harer  als  die  asiatischen,  keine  Hserden  ernährten  5  weil 
keine  der  Thieraiien,  welche  r.üchJiche  Milch  geben, 
den  Ebenen  des  südlichen  America  eigen  ist,  und  weil 
in  der  fortschreitenden  Entwicl:lung  der  americanischen 
Civilisatlon  die  Zwischenkette  mangelte,  welche  die 
Jägerstämme  mit  den  Ackerbau  treibenden  Völkern  ver- 
bindet. 

Ich  glaubte  diese  allgemeinen  Betrachtungen  der 
Ebenen  des  neuen  Festlandes  und  der  Contraste,  wel- 
che sie  mit  den  Wüsten  Africa's  und  den  fruchtbaren 
Steppen  Asiens  darstellen,  hier  sammeln  zu  sollen,  um 
der  Erzählung  einer  Reise  durch  so  einfürmige  Land- 
schaften einiij^e  Theilnahme  zu  verschaffen.  Jetzt,  nach- 
dem dies  geschehen  ist,  will  ich  ^q\\  Weg  beschreiben, 
den  wir  auf  unsrer  Heise  von  den  vulcanischen  Bergen 
des  Parapara  und  vom  nördlichen  Ende  der  Lilanos, 
bis  zu  den  Gestaden  des  Apure,  in  der  Provinz  Varinas, 
eingeschlagen  haben. 

INachdem  wir  zwey  Nächte  zu  Pferd  zugebracht 
und  mit  geringem  Erfolg  unter  den  Gebüschen  der  Aln- 
richi-VoXxne  vor  der  brennenden  Sonne  Schutz  gesucht 
hatten,  trafen  wir  vor  Anbruch  der  Nacht  bey  der  klei- 
nen Meierey  zum  CrocoJil  iEl  Cayman) ,  sonst  auch 
die  Giiadalupe  genannt,  ein.  Es  ist  dies  ein  hato  de 
ganaJo,  das  will  sagen  ein  einzelnes  Haus  In  der  Steppe, 
um  welches  her  etliche  mit  Rohren  und  Thierhäuten 
be- 

Siehe  meine    Recherches  sur   les  monumens  des  Americains 
Xed.  in  fol.,  p.  246  ;  ed.  in  8".  Tom.  II,  p.  225.) 


Kapitel     Xni.  273 

bedeckte  Hütten  steheiu  Das  Vieh,  Ochsen,  Pferde 
und  Maulthiere  sind  nicht  eingepfercht,  sondern  strei- 
fen auf  einem  Flächenraume  von  mehreren  Geviertmei- 
len frey  umher.  Umzäunungen  sind  nirgends  vorhan- 
den. Männer,  die  bis  zum  Gürtel  nackt  und  mit  einer 
Lanze  bewaffnet  sind,  reiten  durch  die  bavanen,  um  die 
Thiere  zu  besiclitigen,  diejenigen,  welche  sich  allza- 
Avcit  von  den  Weiden  der  Meyerey  entfernt  haben,  zu- 
rückzuführen, und  was  noch  kein  Zeichen  des  Eigen- 
thümers  halle,  mit  einem  gUihenden  Eisen  zu  bezeich- 
nen. Diese  farbigen  Menschen,  die  man  Peones  Ltltt' 
neros  nennt,  sind  thcils  Freye  oder  Freygelafsne,  theils 
Sclaven.  Es  ist  kein  anderer  Stamm  ,  welcher  so  an- 
dauernd der  sengenden  Hitze  des  tropischen  Himmels 
ausgesetzt  ist.  Sie  nähren  sich  von  dem  an  der  Luft 
gedörrtem  und  nur  wenig  gesalzenem  Fleisch  j  auch  ihre 
Pferde  sogar  geniefsen  zuweilen  davon.  Sie  sit/.en  fast 
immer  zu  Pferde,  und  glauben  sogar  den  kleinsten  Weg 
niclit  zu  Fufs  zurücklegen  zu  künnen.  In  der  Meyerey 
trafen  wir  einen  alten  Negersclaven,  der  in  Abwesenheit 
des  Herrn,  seine  Stelle  versah.  Man  sprach  unS^von 
Heerden  mehrerer  tausend  Kühe,  die  auf  der  Steppe 
weiden,  aber  vergeblich  war  unsere  Bitte  um  eine  Schale 
Milch.  In  Früchten  vom  Tutumo  ward  uns  ein  gelb- 
lichtes, schlammiges  und  stinkendes  Wasser  gereicht  j 
es  war  aus  einer  benachbarten  Lache  geschupft.  Die 
Trägheit  der  Bewohner  der  Lilanos  ht  so  grofs,  dafs 
Niemand  einen  Brunnen  gräbt,  obgleich  sie  uoi;l  wis- 
sen, dafs  auf  zehn  Fufs  Tiefe  fast  überall  schune  Quel- 
len in  einer  Lage  von  Conßlomerat  oder  rothem  Sand- 
stein angetroffen  werden.  Nachdem  man  die  eine  Hälfte 
des  Jahrs  an  den  Folgen  der  üeherschwemmUügen  ge- 
litt' n  hat,  setzt  man  .-ich  in  der  andern  Hälfte  den;  pein» 
lieh  ten  Wassermangel  geduldig  aus.     Der  alte  Neger 

^(sx.  V    Humboldts  hist    lieiaen.  IIL  iS 


274  Buch     VI. 

rieth  unS;,  ein  Leintuch  übei'  das  Trinkgefafse  zu  legen, 
und  gleichsam  durch  einen  Seiher  zu  trinken,  um  den 
widrigen  Geruch  abzuhalten,  und  von  dem  feinen, 
gelblichen  Thon,  der  im  Wasser  aufgelöst  ist,  weniger 
zu  verschlucken.  Wir  dachten  damals  nicht,  dafs  wir 
in  der  Folge  ganze  Monate  lang  dieses  Mittel  anzuwen- 
den genothigt  seyn  würden.  Die  Wasser  des  Orenoko 
enthalten  gleichfalls  viele  aufgelöste  erdige  Theile :  sie 
sind  auch  stinkend,  da,  wo  in  Buchten  todte  Krokodile 
auf  Sandbänken  oder  halb  im  Schlamm  begraben  liegen. 
Sobald  abgeladen  und  unsere  Instrumente  versorgt 
waren,  wurden  die  Maulthicre  freygelassen,  um,  wie 
man  sich  hier  zu  Land  ausdrüclit,  „in  der  Sarane  Was- 
ser zu  suchen. ^^  *)  Es  giebt  kleine  Teiche  oder  Lachen 
um  die  Meyerey  her:  die  Thiere  finden  solche,  durch 
ihren  Instinct  geleitet,  bey  Ansicht  einiger  zerstreuter 
Mauritia- Gebüsche,  oder  beym  Gefühl  einer  feuchten 
Kühlung,  welche  kleine  Luftströmungen  mitten  in  der 
uns  still  und  ruhig  scheinenden  Atmosphäre  darbieten. 
Wenn  die  Lachen  weit  entfernt  und  die  Knechte  im 
Meyerhof  zu  ti'äge  sind,  um  die  Thiere  zu  diesen 
natürlichen  Tränken  zu  führen,  so  werden  diese,  ehe 
man  sie  frey  läfst,  fünf  bis  sechs  Stunden  in  einen  recht 
warmen  Stall  eingesperrt.  Der  heftige  Durst  steigert 
alsdann  ihr  Spurvermögen,  indem  er  ihre  Sinnen  und 
ihren  Insllnct  gleichsam  schärft.  Sobald  der^tall  geöff- 
net wird,  siebt  man  Pferde  und  Maulthiere,  füraus  diese 
letzteren,  welche  an  Scharfsinn  die  Intelligenz  der  Hfer- 
de  übertreffen,  der  Savane  jähling  zulaufen.  Mit  emporge- 
hobenem Schweif  und  zurückgeworfenem  Haupt  rennen 
sie  gegen  den  Wind  an,  und  machen  von  Zeit  zu  Zeit, 
gleichsam  um  das  Land  auszukundschaften,    Halt^    sie 


*)  Fara  liii^enr  Agita. 


Kapitel     XVIL  275 

scheinen  weniger  auf  die  Eindrücke  des  Gesiölits  als  auf 
diejenigen  des  Gehöi'S  zu  achten,  und  endlich  verkün- 
den sie  durch  ein  anhaltendes  \yie!iern,  dafs  sich  dag 
Wasser  in  der  Richtung  ihres  Laufes  befindet*  Alle 
diese  Bewegungen  werden  viel  schneller  und  mit  mehr 
Leichtigkeit  von  den  eingebornen  Pferden  der  Llanos, 
welche  von  langem  her  sich  heerden weise  frey  darin 
aufgehalten  haben,  als  hingegen  von  denen  vollzogen, 
die  von  der  Küste  herkommen  und  von  zahmen  Pferden 
abstammen.  Bey  den  meisten  Thieren  geschieht  es, 
wie  bevm  Menschen,  dafs  ein  lange  anhaltender  Zwang, 
durch  die  von  den  festen  Wohnstätten  und  von  fort- 
schreitender Cultur  herrührenden  Angewöhnungen,  dio 
Sinne  abstumpft  oder  ihre  Zartheit  mindert. 

Wir  folgten  unsern  Maulthieren,  um  zu  einer  der 
Lachen  zu  gelangen  ,  woraus  das  schlammige  Wa'  ser, 
welches  unsern  Durst  so  unvollliommen  gestillt  hatte, 
geschöpft  war.  Mit  Staub  bedeckt  und  von  dem  Sand- 
wind, welcher  die  Haut  noch  empfindlicher  schmerzt 
als  die  Sonnenstrahlen,  verbrannt,  hatten  wir  sehnlich 
gewünscht  ein  Bad  nehmen  zu  können,  fanden  aber  nur 
einen  grofsen,  mit  Palmbäumen  umgebenen  Wasserbe- 
hälter. Das  Wasser  war  trübe,  obgleich,  zu  unserni 
grofsen  Erstaunen,  etwas  kühler  als  »He  Luft.  Wäh- 
rend der  langen  Heise  daran  gewöhnt,  uns  zu  haden,  so 
oft  sich  Gelegenheit  darbot,  bisweilen  auch  mehrmals 
im  Tage,  stunden  wir  nicht  an,  in  das  Wasser  d*  s  Sum- 
pfes zu  steigen.  Kaum  aber  hatten  wir  seine  Pvühlung 
zu  verspüren  angefangen,  als  ein  Gi  räuscli  am  jensi  iti- 
gen  Ufer  uns  auch  wieder  schnell  heraus  trieb.  Ein 
Krokodil  versenkte  sich  in  den  Sciilamo).  Es  wäre  urtf 
klug  gewesen,  zur  JNachtzeit  in  dieser  sumpfigen  Ge- 
gend zu  verweilen. 

Unsere  Entfernung  vom  Meyerhof  betrug  nur  eine 


276  Buch     VI. 

Viertelmeile,  und  doch  waren  >vir  schon  über  eine  Stun- 
de gega"g6";  ohne  ihn  zu  erreichen.  Zu  spät  ward 
bemerkt,  dafs  wir  eine  falsche  Richtung  genommen 
hatten.  Wir  hatten  bey  der  Abenddämmerung,  ehe 
noch  die  Sterne  sichtbar  waren,  unsern  Weg  angetre- 
ten, und  waren  in  der  Ebene  gleichsam  aufs  Gerathe- 
wohl  vorgeschritten.  Mit  einem  Compafs  waren  wir, 
wie  allezeit,  versehen;  auch  konnten  wir  uns  unschwer 
nach  der  Stellung  des  Canopus  und  des  Kreuzes  ihn  Sü- 
den Orientiren  5  diese  Mittel  alle  aber  blieben  darum 
unnütz,  weil  wir  nicht  wufsten  ,  oh  wir  vom  Meyerhof 
aus  südwärts  oder  nordwärts  gegangen  waren?  Wir 
versuchten  an  den  Ort  zurückzukehren,  wo  wir  geba- 
det hatten,  und  giengen  noch  drey  Viertelstunden  irre, 
ohne  das  Sumpfwasser  aufzufinden.  Oefters  glaubten 
wir  Feuer  am  Horizont  zu  erblicken,  es  waren  aufge- 
hende Sterne,  deren  Bild  uns  durch  die  Dünste  vergrö- 
fsert  erschien.  Nach  langem  Herumirren  in  der  Savane 
fafsten  wir  den  Entschlufs,  auf  dem  Stamm  eines  Palm- 
baums niederzusitzen,  an  einem  völlig  trocknen  und 
mit  niederem  Gras  bewachsenen  Ort;  denn  für  die  seit 
Kurzem  erst  ausgeschifl'ten  Europäer  überwiegt  die 
Furcht  vor  Wasserschlangen  diejenige  der  Jaguars  alle- 
zeit bedeutend.  Wir  konnten  nicht  holfen,  dals  unsere 
Wegweiser,  deren  grofse  Sorglosigkeit  uns  bekannt  war, 
ehe  sie  ihre  Speise  bereitet  und  ihr  Mahl  eingenommen 
hätten,  uns  in  der  Savane  aufsuchen  würden.  Je  un- 
sicherer diese  Lage  war,  desto  erwünschter  kam  uns 
der  ferne  Laut  eines  sich  nähernden  Pferdes.  Es  war 
ein  mit  der  Lanze  bewaft'netcr  Indianer,  der  seinen  ro- 
deo  machte,  das  will  sagen,  die  Treibjagd ,  wodurch 
man  die  Viehheerden  auf  einem  bestimmten  Räume  ver- 
sammelt. Der  Anblick  zwevcr  svelfsen  Menschen,  die 
sich  auf  ihrem  Wege  Verirrt  hatten,    kam  ihm  anlangs 


Kapitel    XFIL  277 

verdächtig  vor.  Wir  hatten  Mühe  ihm  Zutrauen  ein- 
zuflöfsen.  EnJlich  verstund  er  sich,  uns  zum  Meyer- 
hole  vom  liaiman  zu  führen,  jedoch  ohne  sein  Pferd 
darum  langsamer  trahen  zu  lassen.  Unsere  Führer  ver- 
sicherten, „sie  hätten  bereits  angefangen  um  uns  besorgt 
zu  werden, ^^  und  zu  Begründung  dieser  Besorgnifs 
zählten  sie  eine  Menge  Beyspielo  von  Personen  auf,  die 
sich  in  den  Llanos  verirrt  halten,  und  in  einem  Zustand 
gänzlicher  Erschöpfung  waren  angetroffen  worden, 
behr  grofs  ist  die  Gefahr  freylich  nur  für  diejenigen, 
w  eiche  sich  in  weiter  Entfernung  von  allen  Wohnun- 
gen verlieren,  oder  die,  wie  dies  in  den  letzten  Jahren 
begegnet  ist,  von  Räubern  überfallen,  beraubt  und  an 
Palmbaumstämme  festarebunden  wurden. 

Um  von  der  Tageshitze  weniger  zu  leiden,  mach- 
ten wir  uns  um  2  Uhr  Morgens  auf  den  Weg,  in  der 
Hoffnung  bis  um  Mittag  Calabozo,  eine  kleine  nicht 
unbedeutenden  Handel  treibende  Stadt,  mitten  in  den 
J^lanos,  zu  erreichen.  Das  Ausseifen  des  Landes  ist 
immer  das  nämliche.  Es  war  kein  Mondschein,  aber 
die  Menge  der  Nebelsterne,  welche  den  südlichen  Him- 
mel zieren,  erleuchteten  v^or  ihrem  Untergang  einen 
Theil  des  irdischen  Horizonts.  Dies  erhabene  Bild  des 
sich  in  seiner  unermefslichen  Ausdehnung  darstellenden 
Sternengewülbes,  dieser  kühle  Seewind,  der  zur  Nacht- 
zeit über  die  Ebene  weht,  die  wellenförmige  Bewegung 
der  Gräser,  überall  wo  sie  einige  Höhe  erreichen.  Alles 
erinnerte  uns  an  die  Fläche  des  Oceans.  Die  Täu- 
schung ward  noch  gröfser  (man  wird  nicht  müde  es  zu 
sagen),  als  die  Sonnenscheibe  sich  am  Horizont  zeigte, 
ihr  Bild  sich  durch  die  Wirkung  der  Strahlenbrechung 
wiederholte,  und  sie,  ihre  platte  Gestaltung  bald  able- 
gend, schnell  und  gerade  zum  Zenith  anstieg. 

Auch  in  den  Ebenen  ist  der  Zeitpunct  des  Sonnen- 


278  Buch     VI. 

aufganors  der  kühlste  des  Tages,  aber  es  macht  diese 
Aenderung  der  Temperatur  keinen  sehr  lebhaften  Ein- 
druck auf  die  Organe.  Wir  sahen  den  VA'^ärmemesser 
nicht  leicht  unter  27°,  5  ')  sinken,  während  in  der 
^'ähe  von  Acapülco  in  Mexico,  **)  in  gleich  niedriger 
Landschaft,  der  Thermometer  öfters  um  Mittag  3z°, 
und  bev  Sonnenaufgang  17°  bis  18°  zeigte.  Die  gleich- 
förmige Bodeiifläche  der  Llanos,  die  den  Tag  über  nie 
beschattet  istj'nimmt  so  viele  Wärme  in  sich  auf,  dafs,  un- 
erachtet  der  nächtlichen  Strahlung  gegen  den  wolken- 
losen Himmt'l,  die  Erde  und  die  Luft  nicht  Zeit  haben, 
sich  von  Mitternacht  bis  zu  Sonnenaufgang  bedeutend 
zu  erkälten.     In  Calabozo  ***)  war  die  Temperatur,  im 


*)  3s°  Picaum. 

**)    Siehe     über    diese    aufserordentUche    Erscheinung     meinen 
Essai  poUt.  ^  Tom.  II,  p.  760. 

***)  In  Calabozo ,  im  Schatten  und  in  weiter  Entfernung  von 
Boden  und  Mauern,  am  i5.  i\Iarz  i8->d,  um  1  "•,  Reaum. 
Therm.  24",  25  Fischbein  -  Hvgrom.  56":  um  7  "'  Abends, 
Th.  25»;  H.  55",  2:  um  12  "  Th.  23°,  2-,  H.  35%  4-  Am 
16.  März,  um  17  i',  Th.  22»,  7;  H.  56«:  um  25  "•,  Th. 
24",  2';  H.  37:  um  o  ",  Th.  25%  8 ;  H.  55":  um  2  "  ,  Th. 
36";  H.  34°,  5:  um  4J  ",  Th.  25°,  5;  H.  35%  5 ;  um  7 
P-  Th.  240,  6;  H.  35°,  5.  Am  17.  März,  um  16  r,  Th. 
26°,  5;  H.  54":  um  12  ^-^  Th.  220,  4;  H.  55",  3.  Am  18. 
März,  um  25  i^-,  Th.  25",  2;  H.  56",  bis  um  eilf  Uhr 
Nachts  ohne  Veränderung  von  o",  5  in  beiden  Instrumen- 
ten. Ich  vermulhete,  das  Klima  von  Calabozo  sey  noch 
wärmer,  als  dasjenige  von  Cumana.  Da  ich  Hrn.  Rnbio 
ersucht  hatte  ,  während  meiner  Abwesenheit  Beobachtungen 
in  diesem  Hafen  anzustellen,  so  konnte  ich  die  nämlichen 
Tage  vergleiclien.  In  Cumana  erhielt  sich  der  Reaumur- 
sclie  Thermometer,  vom  i5.  bis  zum  18.  März,  von  7  ^• 
Morgens  bis  1 1  "  ISachts,  auf  20"  bis  24"  R.  Zu  Calabozo 
hey  i3o  Meilen  von  der  Ostküste  entfernt ,  zeigte  er  in  den 


Kapitel     XVII.  279 

Monat  März,  Jjey  Tage  3i°  bis  32°,  5,  des  Nachts 
28°  bis  29°.  Die  mittlere  Wärme  dieses  Monats,  der 
jedoch  nicht  der  wärmste  des  Jahres  ist,  schien  unge- 
fähr 3o°,  6  zu  seyn,  was  eine  ungeheure  Wärme  für 
ein  unter  den  Wendekreisen  liegendos  Land  andeutet^ 
wo  Tag  und  Wacht  beynaljc  st^ts  von  gleicher  Länge 
sind.  In  Cairo  beträgt  die  mittlere  Temperatur  des 
wärmsten  Monats  nicht  über  29°,  g  5  zu  Madras  ist  die- 
selbe 3i°,  8j  und  zu  Abushar  ,  im  persischen  Meerbu- 
sen, wo  eine  Reihenfolge  von  Beobachtungen  gemacht 
worden  ist,  34°  5  allein  die  mittleren  Temperaturen  des 
ganzen  Jahres  sind  in  Madras  und  Abushar  niedriger 
als  in  Calabozo.  Obgleich  ein  Theil  der  Llanos,  wie 
die  fruchtbaren  Steppen  Sibiriens,  von  kleinen  Flüssen 
durchströmt  wird,  und  die  dürresten  Landstriche  von 
einem  zur  Hegonzeit  überschwemmten  Land  umgeben 
sind,  so  ist  die  Luft  überhaupt  doch  sehr  trocken.  De- 
luc's  Hygrometer  erhielt  sich  den  Tag  über  auf  34°  und 
zur  Nachtzeit  '",)  auf  36". 

So  wie  die  Sonne  gegen  den  Zenith  anstiesf,  und 
die  Erde  mit  den  übereinander  liegenden  Luftschichten 
ungleiche  Temperaturen  annahm,  stellte  sich  auch  die 
Erscheinung  der  Luftspieglung  (mirage)  in  ihren  ver' 
schiedenen  Abwechslungen  dar.  Es  wird  diese  Erschei- 
nung unter  allen  Himmelsstrichen  so  allgemein  ange- 
troffen, dafs  ich  ihrer  hier  nur  darum  gedenke,  weil 
wir  Halt  machten,  um  die  Breite  des  luftartigen  Zwi- 
schenraums vom  Horizont  bis  zu  dem  schwebenden  Ge» 
genstand    mit    einiger    Genauigkeit   zi^    messen.      Das 


gleichen   Stunden,    aS"    bis   aß"  R.       In   Cumana    hatte  die 
Temperatur    des   Monats  März    1800    12",   2    betragen;   in 
Calabozo  ungefähr  sk°t  5  Reaum. 
*3  Siehe  oben,  Kap.  iS.  S.  76. 


28o  Buch     VL 

Schweben  in  derLuft  war  nie  jnit  dem  verkehrten  Bilde 
verbunden.  Die  kleinen  Luftströmungen,  welche  üljer 
die  Bodenfläche  hinstreiften,  hesafsen  eine  so  wechseln- 
de Temperatur,  dafs  unter  einer  Heerde  wilder  Ochsen 
die  einen  Thiere  mit  den  Füfsen  in  der  Luft  zu  schwe- 
ben sciiienen,  während  die  anderen  mit  den  ihrigen  r.uf 
dem  Boden  ruhten.  Der  luftige  Zwischenraum  betrug-, 
je  nach  der  Entfernung  des  Thiers,  3  his  4  Minuten. 
Da,  wo  Palmgebüsche  der  Mauritia  in  langen  Reihen 
beysammen  stunden,  stellten  sich  die  End  lücke  dieser 
grünen  Keihen  auf  gleiche  Weise  schwebend  dar,  wie 
die  Vorgebirge,  welche  der  Vorwurf  meiner  andauern- 
den Beobachlungen  in  Cumana  gewesen  sind.  *)  Ein 
verständiger  Mann  versicherte  uns,  zwis^chen  Calabozo 
und  Uritucu  das  verkehrte  Bild  eines  Thieres,  ohne 
dafs  ein  aufrechtes  daneben  war,  gesehen  zu  haben, 
INiebuhr  hat  in  Arabien  das  Gleiche  beobachtet.  Ver- 
schiedentlich glaubten  wir  am  Horizont  die  Gestalten 
von  tnmiilus  und  Thürmen  zu  sehen,  die  wechselnd 
verschwanden  und  wieder  zum  Vorschein  kamen,  ohne 
dafs  wir  die  wirkliche  Form  der  Gegenstände  auszumit- 
leln  vermochten.  Es  waren  vielleicht  Hügel  oder  kleine 
über  dem  gewöhnlichen  Horizont  des  Auges  emporra- 
gende Erhöhungen,  Ich  will  jenes  von  Pflanzenwuchs 
entblöfsten  Bodens  hier  nicht  gedenken,  der  sich  wie 
grofse  Seen  mit  wellenförmiger  Oberfläche  darstellt. 
Von  dieser  Erscheinung,  die  am  frühesten  beobachtet 
worden  ist,  erhielt  die  Luftspieglung,  in  der  Sanscrit- 
sprache,  den  ausdrucksvollen  JNamen  des  f^erlangens 
(des  Durstes)  der  Antilope,  Wir  bewundern  bey  den 
indischen,  persischen  und  arabischen  Diclitern  häufige 
Anspielungen   auf  diese  zauberhaften   Wirkungen  der 


*)  Siehe  oLen ,  Tb.  3.  Kap.  i5.  S.  462—473. 


li  a  p   i  t  e  l     XVIl.  281 

irdischen  Stfahlenbrecliung.  Den  Griechen  und  Rö- 
mern waren  sie  kaum  bel;annt.  Des  Reichthuins  ihres 
Bodens  und-  der  milden  Tempei'atur  ihres  Kliina's  froh? 
konnte  die  Poesie  der  Wüste  nur  geringen  Heiz  für  sie 
haben.  Diese  ward  in  Asien  erzeugt.  Die  Dichter  des 
Orients  haben  sie  aus  der  Natur  des  von  ihnen  bewohn- 
ten Landes  geschöpft^  und  der  Anblick  dieser  ausge- 
dehnti^n  Einöden,  die  sich  wie  Meerengen  und  Buchten, 
zwischen  die  von  der  IValur  mit  reicher  Fruchtbarkeit 
ausgestatteten  Landschaften  einlegen  —  war  es,  der  sie 
tegeisterte. 

Mit  Sonnenaufgang  ward  die  Ebene  belebter.  Das 
Vieh,  welches  sich  die  Nacht  über  längs  der  Sumpf- 
stellen oder  unter  den  iMurichi  -  und  Rhopala  -  Gebü- 
schen gelagert  hatte,  sammelte  sich  jetzt  heerdenweise^ 
und  diese  Einöden  bevölkeiten  sich  mit  Pferden,  Maul- 
thieren  und  Ochsen,  Avelche,  wir  wollen  nicht  sagen 
als  wilde,  aber  als  freye  Thiere,  ohne  feste  VVohnstät- 
ten ,  die  Pilege  und  den  Schutz  der  Menschen  verach- 
tend, hier  ihren  Aufenthalt  haben.  Die  Ochsen,  ob- 
gleich von  spanischer  Herkunft,  wie  die  der  kalten  Pla- 
teaus von  Quito,  besitzen  in  diesen  heifsen  Erdstrichen 
einen  milderen  Character.  Der  Reisende  gefährdet  nicht 
von  ihnen  angegriffen  und  verfolgt  zu  werden,  wie  uns 
dies  bey  unsern  Ausflügen  auf  dem  Rücken  der  Cor- 
dilleren  öfters  begegnet  ist,  wo  das  Klima  roh  und  hef- 
tigen Stürmen  unterworfen  ist,  wo  die  Landschaft  ein 
wilderes  Aussehen  hat  und  die  Nahrung  sparsamer  ist. 
Unweit  von  Calahozo  sahen  wir  Rehheerden ,  die  mit- 
ten unter  Pferden  und  Ochsen  friedlich  weideten.  Man 
nennt  dieselben  Matacani:  ihr  Fleisch  ist  sehr  gut. 
Sie  sind  etwas  gröfser  als  unsere  Rehe,  und  gleichen  den 
Damhiischen  mit  sehr  glattem,  braunfalben  und  weifs- 
gedupften  Hautbaar.     Ihre  Geweihe  schienen  mir  ein- 


282  Bach     VI. 

fache  Spiefse  zu  sftyn.  Die  Gegenwart  des  Menschen 
schreckte  sie  nur  wenig-,  und  unter  den  Heerden  von 
3o  bis  40  Stücken  bemerkten  wir  mehrere  vCliig  weifse. 
Diese  unter  den  grof-en  Hirschen  der  kalten  Ai^den-Kli- 
mete  ziemlich  häufige  Spielart  mufste  uns  in  diesen 
niedrigen  und  heifsen  Ebenen  befremden.  Seilher  ver- 
nahm ich,  dafs  selbst  auch  der  Jaguar  der  heifsen  Land- 
schaften von  Paraguay  zuweilen  Alliinos- Spielarten  dar- 
bietet, deren  Kleidung  so  gleichförmig  wcifs  ist,  dafs 
die  Flecken  oder  Ringe  nur  beym  Widerschein  der 
Sonne  sichtbar  werden.  Die  IMatacani  oder  kleinen 
Damhirsche  *)  sind  in  den  Llanos  so  zahlreich,  dafs 
mit  ihren  Häuten  Handel  getrieben  werden  könnte.  '"•''') 
Ein  geübter  Jäger  mag  über  zwanzig  in  einem  Tage  er- 
legen. Allein  die  Trägheit  der  Einwohner  ist  so  grofs, 
dafs  man  sich  öfters  nicht  einmal  die  Mühe  giebt,  ihnen 
die  Haut  alizuziehen.  Eben  so  verhält  sich's  mit  der 
Jagd  der  Jaguars  oder  grofsen  americanischen  Tiger, 
deren  Haut  in  den  Steppen  von  Varinas  nur  einen  Piaster 
gilt,  während  sie  in  Cadix  mit  vier  und  fünf  Piaster  be- 
zahlt wird. 

Die  Steppen,  welche  wir  durchwanderten,  sind 
hauptsäclilich  mit  Grasarten  ,  die  zu  den  Gattungen 
Killingia,  Cenchrum  und  Paspalum  gehören  /•'*'••'),  be- 
wachsen.    Diese  Gräser  erreichten  in  der  gegenvvärti- 


*)   Venados  de  tierra  caliente. 

**)  Dieser  Handel   wird   wirklich  ,    aber  nur   sehr  im  Kleinen, 
zu  Carora  und  zu  Barqnesimeto  betrieben. 

'***)  Kvllingia  monocephala,  K.  odorata,  Cenchrus  pilosus^  Vilfa 
tenacissima  ,  Andropogon  plumosus  ^  Panicum  micranthumy 
Poa  reptans  ^  Paspalurn  leptostachyum  ^  P.  conjugatum, 
Aristida  recurvata.  Siehe  unsere  Not^a  Gentra  et  Spec.^ 
Tom.  I,  p.  84' — 345« 


Kapitel     XVIL  283 

gen  Jahrszeit,  in  der  Nähe  von  Calabozo  unil  St.  Hie- 
ronymus  del  Pirltal,  kaum  die  Höhe  von  9  bis  10  Zoll. 
In  der  Gegend  des  ApureÜusses  und  der  Portuguesa  ha- 
hen  sie  hey  vier  Fufs  Höhe,  so  dafs  drr  Jaguar  sich 
darin  verstecken  kann,  um  desto  unhemerkter  die  durch 
die  Ebene  wandernden  Maulthiere  und  Pferde  im  Sprun- 
ge zu  iiberlallen.  Den  Grasi'rn  sind  einige  Gewächse 
aus  der  Dicotyledonen- Classe  untermischt,  Turnera's, 
Malvaceen,  und,  was  sehr  merkwürdig  ist,  kleine  Mi- 
mosen "^  mit  reizbaren  Blättern,  welche  von  den  Spa- 
niern Dormideras  genannt  werden.  Die  gleiche  K.uh- 
race ,  welche  in  Spanien  mit  Klee  und  Esparcctte  ge- 
mästet wird,  findet  hier  in  krautartigen  Sensitiven  eine 
vortreffliche  Nahrung.  Die  Weiden,  auf  denen  diese 
Sinnpflanzen  in  grofser  JVIenge  wachsen,  weiden  zu  hö- 
heren Preisen  verkauft.  In  den  östlich  gelegenen  l^lu' 
iios  von  Cari  und  Barcelona  ragen  die  Cypura  und  die 
Craniolaria,  **)  deren  schöne  weifse  Blume  6  bis  8  Zoll 
JLänge  hat,  aus  den  Gräsern  einzeln  hervor.  Die  Vieh- 
weiden sind  am  ergiebigsten  ,  nicht  nur  um  die  den 
Ueberschwemmungen  ausgesetzten  Flüsse  her,  sondern 
auch  überall,  wo  die  Stämme  der  Palmbäume  näher  bey- 
sammen  stehen.  Wo  gar  keine  Bäume  wachsen,  da  sind 
sie  minder  fruclitbar,  und  die  Versuche,  sie  ertragbarer 
zu  machen,  würden  wolil  gutentheils  vergeblich  seyn. 
Man  kann  diesen  Unterschied  nicht  dem  Schutz  der 
Palmbäume  zurechnen,  welche  die  Sonnenstrahlen  ab- 
halten und  die  Austrocknung  oder  Dürre  des  Bodens 
hindern.  In  den  Wäldern  des  Orenoko  habe  ich  zwar 
Bäume,  die  zu  dieser  Familie  gehören,  angetroffen,  wel- 


•)  Turnera  gujanensis,  Mimosa  pjgra,,  M.  dormiens. 

*0  Cv-pura  graminea,   Craniolaria   annua   (die  Scorzonera  d«r 
£inwohner). 


28+  Buch     VI. 

che  ein  dichtes  Laubwerk  besalsen ,  aber  vom  Palni- 
baum  der  Ltlanos^  von  der  Palma  de  Cobija,  *)  ist 
I^ein  Schatten  zu  rühmen  ,  da  er  nur  wenige  fähige  und 
ha  ndl.  Irin  ige  ßhitter  besitzt^  die  denjenigen  des  Cba- 
inajrops  gleichen  ,  und  von  denen  die  unteren  auch 
allezeit  vertrocknet  und  dürr  sind.  Es  war  uns  aulFal- 
lend,  fa'^t  alle  diese  Corypha  Stämme  von  gleicher  Höhe 
anzutreffen.  Sie  betrug  20  bis  24  Fufs  und  der  Durch- 
messer des  Stamms  nahe  am  Boden  8  bis  10  Zoll.  Es 
giebt  wenige  Arten  der  Palmen,  die  in  so  ungeheurer 
Menge  vorkommen.  Auf  Tausenden  von  Stämmen,  die 
mit  olivenförmigen  Früchten  beladen  waren ,  fanden 
wir  etwa  l-.undert,  welche  keine  Frucht  trugen.  Soll- 
ten vielleicht  einzelne  Stämme  mit  blos  einhäusigen 
(monoicjues)  unter  den  Stämmen  mit  Zwitterblülhen 
vorkommen?  Die  Ltlaneros ,  oder  die  Einwohner  der 
Ebenen,  sind  der  Meinung,  diese  niedrigen  Bäume 
alle  seven  mehrere  Jahrhunderte  alt.  Ihr  Wnchsthum 
ist  fast  unmerklich,  und  der  Unterschied  von  20  oder  3o 
Jahren  mag  kaum  wahrgenommen  werden.  Uehrigens 
liefert  die  Palma  de  Cobija  ein  vortrefHiches  Bauljolz. 
Es  ist  dasselbe  so  hart,  dafs  man  Mühe  hat  einen  INagel 
einzuschlagen.  Die  fächerartig  gefalteten  Blätter  wer- 
den zur  Dachbedeckung  der  in  den  Llanos  zerstreuten 
Hütten  gebraucht,  und  diese  Dächer  dauern  über  20 
Jahre.  Die  Blätter  werden  durch  Krümmung  des  End- 
stücks der  Blattstiele,  die  zuvor  durch  Quetschung  zwi- 
schen zwey  Steinen  mürbe  und  biegsam  gemacht  wor- 
den sind,  befestigt. 

Aufser  den  vereinzelt  stehenden  Palmbäumen  kom- 
men auch  hin  und  wieder  Palmgruppen,  eigentliche  Bos- 


*)  Dachpalme   (Palmler   Sc  toiture  oder  couverture)  S.  oben, 
Kajp.   16.  S.  i58. 


Kapitel    XFJL  a85 

kets  (Palmares)  vor,  in  denen  die  Coryplia  mit  einem 
Baume  aus  der  Proteaceen- Familie  gemeinsam  wuchst. 
Der  lotziere  wird  von  den  Eingebornen  Chaparro  ge- 
nannt,  und  er  bildel  eine  neue  Art  der  ünttung  Rho- 
pala  *}  mit  harten  und  klingenden  Blättern.  Die  klei- 
nen Rhopala- W  äldchen  heilsen  Chaparrales,  und  es 
wirdj  wie  leicht  zu  erachten,  in  einer  ausgedehnten 
Ebene ,  wo  nur  zw  ey  oder  drey  Baumarten  wachsen, 
der  Chaparro ,  um  seines  Schattens  willen,  als  ein  sehr 
küstliclies  Gewächs  betrachtet.  Die  Corypha  -  Palme 
dehnt  sich  in  den  Llanos  von  Caracas  von  der  Mesa 
de  Paja  bis  zum  Guayaval  aus;  weiter  nördlich  oder 
nordwestlich  ,  in  der  Gegend  von  Guanare  und  von  San 
Carlos,  ersetzt  ihn  eine  andere  Art  der  nämlichen  Gat- 
tung, welche  gleichfalls  locherfürmige,  aber  gröfsere 
Blätter  hat.  Sie  führt  den  IVamen  Palma  real  de  los 
]^lano9,  **)  Südwärts  von  Guayaval  sind  wieder  andere 
Palmbäume  vorherrschend,  voraus  die  PiW/u- Palme 
mit  gefiederten  Blättern,  ***)  und  die  I\lnrichi-^a\me 
iJMoriche^ ,  die  der  Pater  Gumilla  unter  dem  Namen 
des  Ltehensbaums  (arbol  de  la  vida^  gepriesen  hat.  t) 


*)  Dem  Embothrium  verwandt,  von  dem  wir  auf  dem  n*uen 
Festland  Keine  Art  gefunden  lia}jen.  Die  EmLotnrium  wer- 
den in  der  americanischen  Pflanzenwelt  durch  die  Gattungen 
Lomalia  und  Oreocallis  vertreten.  Siehe  unsere  AW.  Gen.f 
Tom.  II,  p.  i54. 

**)  Diese  Palmenart  der  Ebenen  darf  nicht  mit  der  Palma 
real  von  Caracas  und  von  Curiepe,  mit  gefiederten  Blättern, 
verwechselt  werden.     Nov.  Gen. ,  Tom.  1,  p.  5o5. 

***)  Vielleicht  ein  Aiphanes. 

t)  Muriche  oder  Quiteve,  Mauritia  flexuosa.  Siehe  oben,  Th, 
I.  Kap.  9.  S.  201.  CGumilluy  Orinoco  illustrado,  1745,  Toni- 
I,  p.   163  —  iya.     Gili,  storia  A/riMric..,  Tom.  I.  p.  168. 


286  B  u  c  k     VI. 

Es  ist  dies  der  americanische  Sagobaum _,  welcher  vic' 
tarn  et  amictnm,  *)  Mehl,  Wein,  Fasern  zu  V;u  fertigung 
von  Hängematten,  Kürhen,  fSetzen  und  Khidern  gibt. 
Seine  tannzapfenförmigen  und  mit  Scbuppoii  bekleide- 
ten Früchte  gleichen  vollkommen  denjenigen  des  Cala- 
mus  Pvolang.  Sie  besitzen  etwas  vom  Geschmacke  der 
Aepfel.  Bey  voll  ger  Reife  ist  ihre  Farbe  von  Innen 
gelb  und  auswärts  roth.  Die  Araguaten-Aßen  sind  sehr 
lüstern  darnach,  und  die  Nation  der  Guaraons,  deren 
ganze  Existenz  so  zu  sagen  an  das  Daseyn  der  Miirichi- 
Palme  geknüpft  ist,  bereitet  sich  daraus  ein  saueriicbtes, 
sehr  kühlendes,  gegohrnes  Getränk.  Es  behält  dieser 
Palmbaum,  auch  in  der  Jahrszelt  der  gröfsten  Trocl'.en- 
hcit,  das  schöne  Grün  seiner  glänzenden  und  fächerför- 
mig gefalteten  Blätter.  Sein  Anblick  allein  scbon  ge- 
währt ein  angenehmes  Gefühl  von  Kühle,  und  es  bildet 
die  mit  ihren  schuppigen  Früchten  beladene  IMiirichi' 
Palme  einen  sonderbaren  Contrast  mit  dem  traurigen 
Aussehender  Palma  de  Cobija ,  deren  Blätter  allezeit 
grau  und  mit  Staub  überzogen  sind.  Die  Lianeros  glau- 
ben, die  erstere  ziehe  die  Dünste  aus  der  Luft  an  sich  **) 
und  darum  finde  man  allezeit  Wasser  um  sie  her,  wenn 
man  in  einiger  Tiefe  darnacii  gräbt.  Es  waltet  aber 
hierbey  eine  Verwechslung  zwischen  Ursache  und  Wir- 
kung ob.  Die  ilfiiricÄf- Palme  wächst  vorzugsweise  an 
feuchten  Orten,  und  man  könnte  vielmehr  sagen,  das  Was- 
ser ziehe  den  Baum  an.  Durch  ähnlichen  Tnigsclilufs 
geleitet,  halten  die  Eingebornen  am  Urenoko  dafür,   die 


*)  Plin. ,  lib.  XII ,  c.  VII. 

**)  Wäre  die  Murichi  -  Palme  mit  einer  dichteren  Blälterkrone 
versehen ,  als  gewöhnlidi  der  Fall  ist ,  so  liel'se  sich  eher 
annehmen ,  ilir  Schatten  JjewaJire  dem  üoden  um  sie  her 
seine  Feuciilii'kcit. 


Kapitel     XVII.  387 

grofsen  ScMangen  unterhalten  die  Feuchtigkeit  eines 
Bezirks.  Ein  alter  Indier  von  Javita  erklärte  uns  sehr 
ernsthaft:  ;»Wir  uürden  umsonst  Wasserschlangen  su- 
chen, >vo  kein  Sunipfland  ist  5  denn  es  sammle  sich  da 
kein  Wasser,  wo  man  die  Schlangen,  welche  solches 
anziehen,  unvorsichtiger  Weise  tüdtel.'* 

Die  Hitze  fiel  uns  auf  dem  Weg  durch  die  Mesa 
de  Calahozo  sehr  beschwerlich.  Die  Temperatur  der 
Luft  ward,  so  oft  der  Wind  zu  wehen  anfieng,  bedeu- 
tend erhöhet  Die  Luft  war  mit  Staub  erfüllt,  der  Wär- 
memesser stieg  während  solchen  Windstofsen  auf  40° 
und  41°  an.  Wir  kamen  nur  langsam  vorwärts,  in- 
dem es  gefährlich  gewesen  wäre,  die  mit  unsern  Instru- 
menten beladenen  Maultliiere   zu  verlassen.     Die  We«-- 

o 

weiser  riethen,  unsere  Hüte  mit  Blättern  des  Rhopala 
auszufüllen,  um  die  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  auf 
Haare  und  Scheitel  zu  schwächen.  Wir  fühlten  uns  in 
der  That  durch  dies  Verfahren  erleichtert,  noch  mehr 
aber  alsdann,  wenn  wir  Blätter  vom  Pothos  oder  einer 
andern  Pflanze  der  Aroideen -Familie  erhalten  konnten. 

Man  kann  unmüglich  diese  sengenden  Ebenen 
durchwandern,  ohne  sich  zu  fragen,  ob  sie  allezeit 
im  gleichen  Zustand  gewesen,  oder  durch  irgend  einö 
Natur- Kevolution  ihres  Pflanzen wuchses  beraubt  wor» 
den  sind.  Die  Erdschichte,  welche  gegenwärtig  die- 
selben deckt,  ist  allerdings  nur  seht  dünn.  Die  Lan- 
deseingebornen  glauben,  die  Palmares  und  die  Chapa- 
rales  (die  kleinen  Palmen-  und  Khopala  -  Wäldchen) 
seyen  vor  Ankunft  der  Spanier  zahlreicher  und  ausge- 
dehnter gewesen.  Seit  die  Llanos  bewohnt  und  mit 
verwildertem,  Vieh  besetzt  sind-_  wird,  zu  Verbesserung 
der  Weide,  die  Savane  öfters  ange7,ündet,  und  mit  den 
Gräsern  gehen  alsdann  zufällig  auch  zerstreute  Baum- 
gruppen zu  Grund.    Im  fünizehnten  Jahrhundert  waren 


288  "  B  u  c  h    FI. 

ohne  Zweifel  die  Ebenen  so  naclU  nicht,  wiß  sie  gegen- 
wärtig sind 5  inzwischen  haben  auch  sclion  die  ersten 
Conqaistadores ,  welche  von  Coro  her  kamen  ,  diesel- 
ben als  Savancn  beschrieben,  worin  man  nur  Himmel 
und  Rasen  erblickt,  auf  denen  gutcntheils. keine  Bäume 
wachsen,  und  die  um  des  Zarückstrahlens  des  Bodens 
willen  beschwerlich  zu  durchwandern  sind.  Warum 
dehnt  sich  die  grofse  Waldung  des  Orenoko  nicht  nörd- 
lich aufs  linke  Flufsgestadc  aus  ?  Warum  befafst  sie  den 
weiten,  sich  bis  zur  Cordillere  des  Küstenlandes  erstre- 
ckenden und  durch  viele  Flüsse  fruchtl)aren  Baum 
nicht?  Diese  Frage  hängt  mit  allem,  was  auf  die  Ge- 
schichte unsers  Planeten  Bezug  hat,  zusammen.  Will 
man  sich  geologischen  Träumen  überlassen,  und  anneh- 
men, es  seyen  durch  einen  Einsturz  des  üceans  die 
Steppen  America's  und  die  Wüste  von  Sahara  ihres  Pflan- 
zenwuchses beraubt  worden,  oder  sie  haben  ursprüng- 
lich die  Grundfläche  eines  Landsees  gebildet,  so  begi-eift 
man,  dafs  Jahrtausende  unzureichend  warerl ,  um  das 
Vorschreiten  der  Bäume  und  Sträucher  vom  Rande  der 
nackten  oder  mit  Gras  bedeckten  Ebenen  gegen  den 
Mittelpunct  zu  bewirken,  und  eine  so  ausgedelsnte  Ebe- 
ne zu  beschatten.  Es  ist  schwieriger  den  Urrprung  der 
nackten,  in  den  Wäldern  eingeschlossenen  Savanen  zu 
erklären,  als  die  Ursachen  auszumitteln,  welche  die 
Wälder  und  die  Savanen,  gleichmäfsig  wie  die  Festlande 
und  die  Meere,  innerhalb  ihrer  alten  Grenzen  zurück- 
halten. 

Zu  Calabozo  wurden  wir  im  Hause  des  Verwalters 
der  Pieal  Hacieiida  ,  Don  IVliguel  Consin  mit  der  ge- 
fälligsten Gastfreundschaft  empfangen.  Die,  zwischen 
den  Gestaden  des  Guarico  und  des  L'rltucu  ^^'legene 
Stadt  zählte  damals  nur  noch  5ooo  Einvvo'mer,  aber 
Alles  verkündigle  einen  zunehmenden  Wohlstand.      Der 

Reich- 


Kapitel     XFII.  289 

Relchthum  der  meisten  Einwolmer  besteht  ia  Heerden, 
die  von  Pächtern  besorgt  wei'den,  welche  Hateros  hei- 
fsen,  vom  Worte  Hato ,  das  im  Spanischen  ein  auf"  den 
Viehweiden  ein/.ehi  stehendes  Haus  oder  Meyerey  be- 
deutet. Weil  die  in  den  Llanos  zerstreute  Bevölkerung 
sich  auf  ifcwissen  Puncten  ,  vorzüg-lich  um  die  Städte 
her  anhäuft,  so  befinden  sich  um  Calabozo  her  bereits 
fünf  Dürfer  oder  Missionen.  Man  berechnet  das  auf 
den  Weiden  zunächst  bey  der  Stadt  befindliche  Vieh  auf 
bevläufig  98,000  Stücke.  Es  hall  übrigens  sehr  schwer, 
sich  eine  richtige  Vorstellung  von  den  Viehheerden  zu 
machen,  welclie  auf  den  Lilaiios  von  Caracas,  von  Bar-: 
celona,  von  Cumann  und  vom  spanischen  Guiana  ihren 
Aufenthalt  haben.  Hr.  Depons,  welcher  länger  als  ich 
in  der  Stadt  Caracas  verweilte  und  dessen  s^tatistische 
Angaben  meist  genau  sind,  zählt  in  diesen  weitläuftigen 
Ebenen ,  von  den  Mündungen  des  Orenoko  bis  zum 
See  Maracayho,  1,200,000  Ochsen,  3,ooo,ooo  Pferde  und 
<)0,ooo  Maullhiere.  Den  Ertrag  der  Hoerden  bereclv 
net  er  zu  5,ooo,ooo  Fr.,  wobey  neben  dem  W^erth  der 
Ausfuhr  auch  die  im  Lande  selbst  verbrauchten  Häute 
in  Anschlag  gebi'acht  sind.  ^•')  In  den  Pampas  von 
Buenos-Ayres  halten  sich,  wie  man  annimmt,  12,000,000 
Kühe  und  3, 000,000  Pferde  auf,  dasjenige  Vieh  unge- 
rechnet, welches  für  herrenlos  geachtet  wird.  *'-'3 

Ich  will  hier  keine  so  allgemeinen,  ihrer  Natur 
nach  sehr  unzuverlässigen  Berechnungen  wagen,  hin- 
gegen aber  die  Bemerkung  machen,  dafs  die  Besitzer 
der  grofsen  Halos  den  Betrag  ihres  eigenen  Viehstan- 
des gar  nicht  kennen.  Sie  kennen  nur  die  Anzahl  des 
jungen  Viehs,    welches  alljährlich  mit  einem  Buchsta- 


*)  Deports  f  voyage  a  la  Terre-Fermc  ^  Tom.  I.  p.  10. 
**)  Azzara^   Voyage  au  Paraguay  ^  Tom.  1.  p.  3o< 
Mex.  V.  Hu'.iiboldii  hist.    Reiitn    Hl  jn 


29Ö 


Buch     VI. 


berij  oder  mit  dem  jeder  Heerde  eigcntbümlichen  Merk- 
mal bezeichnet  wird.  Die  reichsten  Eigenthüiner  zeich- 
nen jähilich  bis  auf  14,000  Stücke^  von  denen  hinwie- 
der fünf-  bis  sechstausend  verkauft  werden.  Amthchen 
Urkunden  zufolge  *)  betrug  die  Ausfuhr  der  Thier- 
häut«  der  ganzen  Capitania  general  jährlich,  nur  al- 
lein für  die  Antillen  -  Eilande ;  174,000  Ochsen-  und 
li,5oo  Ziegen  -  Häute.  Bedenkt  man  nun,  dafs  diese 
Angaben  auf  den  Douanen-Hegistern  einzig  nur  be- 
ruhen, welche  die  durch  den  Sohleichhandel  ausgeführ- 
ten Häute  nicht  befassen,  so  wird  man  geneigt  zu  glau- 
ben, die  Berechnung  von  1,200,000  Stücke  Hornvieh,, 
welche  sich  in  den  J^lanos  vom  Rio  Carony  und  vom 
Guanapiche  bis  zum  Maracaybo-See  aufhalten,  sey  viel 
zu  niedrig.  Der  Hafen  von  la  Guayra  zählt  für  sich 
allein  nur,  von  1789  bis  1792,  alljährlich  70,000  bis 
80,000  auf  den  Douanen- Büchern  verzeichnete  Häute, 
wovon  kaum  ein  Fünftheil  für  Spanien.  Zu  Ende  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  betrug  die  Ausfuhr  von  Bue- 
nos-Ayres,  nach  der  Angabe  von  Don  Felix  d'Azarra, 
800,000  Häute.  Auf  der  spanischen  Halbinsel  werden 
die  Cai'acas- Häute  denen  von  Buenos -Ayres  vorgezo- 
gen, weil  diese  letzteren,  der  längeren  Reise  wegen, 
beym  Gärben  zwölf  vom  Hundert  Abgang  leiden.  Der 
südliche  Theil  der  Savanen,  gewühnlich  Lilanos  de 
arriba  genannt,  erzeugt  viele  Maullhiere  und  Ochsen  j 
weil  indefs  seine  Weiden  überhaupt  minder  gut  sind,  SQ 
ist  man  genöthigt,  die  Thiere  zur  Mästung,  ehe  sie 
verkauft  werden,  in  andere  Ebenen  zu  bringen.  Der 
Julano  de  Monai  und  alle  Lilanos  de  ahaxo  nähren 
weniger  zahlreiche  Heerden,    aber  ihre  Weiden  sind  so 


*)  In  forme   del  Conde   de  Casa- Valencia  ^    t'me  schon  öfter» 
von  uns  angeführte  Handschrift. 


H  a  p  i  t  e  1     XVII.  ÜQI 

fruchlliar,  Hafs  sie  für  Hen  Kiistenlied.irf  Fl.'^ischwaai'e 
von  vortrefflichem  Gehalt  liefern.  Die  Maulthiere, 
welclie  im  fünften  Jahr  erst  zur  Arbeit  tüchtig  werden 
und  alsdann  IMnIas  de  Saca  heifsen,  werd.-n  schon 
hier  mit  14  bis  18  Piaster  bezahlt,  und  im  Hafen ^  uo 
n»an  sie  einschifitj  mit  25  Piaster,  während  auf  den  An- 
tillen-Eilanden ihr  Preis  üflers  auf  60  bis  So  Pia>ter  an- 
steir;t.  Die  Pferde  der  L>laiios  stammen  von  der  schö- 
nen spanischen  Hace  her  und  sind  von  kleiner  Statur. 
Ihre,  meist  einförmige  Farbe  ist  rüthlichbraun,  oder 
die  boy  \Ailden  Thieren  gewöhnliche.  Wechselweise 
durch  Trockenheit  und  Ueberschwemmungen  geplagt, 
von  Insectenstichen  und  den  Bissen  der  grofsen  Fleder- 
mäuse goquält,  führen  sie  ein  beschwerliches  und  un- 
ruhiges Leben.  Ihre  guten  Eigenschaften  entwickeln 
sich  und  werden  spürbar,  wenn  sie  zuvor  einige  Mo- 
nate der  Pflege  des  Menschen  genossen  haben.  Ein 
wildes  Pferd  wird  in  den  Pampas  von  Buenos  -  Ayres 
mit  ^  bis  i  Piaster  bezahlt  3  in  den  L,Ia7ios  von  Caracas 
mit  2  bis  3  Piaster 3  der  Preis  der  Pferde  steigt,  im 
Verhältnifs  wie  sie  gezähmt  und  für  landwirthschaftli- 
che  Arbeiten  brauchbar  geworden  sind.  Schaafe  giebt 
es  keine,  und  wir  haben  solche  nur  auf  dem  Plateau 
der  Provinz  Quito  angelrofl'en. 

Die  Hatos  des  Hornviehs  haben  in  den  jüngsten 
Zeiten  durch  herumstreifende  Horden  viel  gelitten^  wel- 
che die  Steppen  durchziehen  und  die  Thiere  tödten, 
einzig  um  ihre  Haut  zu  verkaufen.  Es  haben  sich  diese 
Räubereyen  vermehrt,  seit  der  Handelsverkehr  mit  dem 
untern  Orenoko  blühender  geworden  ist.  Ein  halbes 
Jahrhundert  lang  waren  die  Gestade  dieses  grolsfen  Stro- 
mes, von  der  Ausmündüng  des  Apure  bis  zum  Angostu- 
ra,  den  Missionarien- Mönchen  einzig  nur  bekannt 
Die  Viehausfuhr  geschah  ausschliplslich  aui  den  Häier- 


292  Back      VI. 

der  Nortlküste,  durch  Cumana,  Barcelona,  Burburuta 
und  Porto -Cabello.  Gegenwärtig  hat  sich  diese  Kü- 
sten-Abhän^lükeit  wesentUch  vermindert.  DerSüdtheil 
des  flachen  Landes  hat  vielfähige  Verbindungen  mit  dem 
untern  Orenoko  angeknüpft,  und  dieser  Verkehr  ist  um 
so  lebhafter,  als  die,  welche  sich  damit  abgeben,  den 
Verfügungen   der    Prohibitiv- Gesetze   leicht    entgehen 


mögen. 

Die  gröfsten  in  den  Llanos  von  Caracas  vorkom- 
menden Heerden  sind  jene  der  Hatos  von  Merecure, 
ia  Cruz,  Belen,  Alta  Gracia  und  Pavon.  Das  spanische 
Vieh  ist  über  Coro  und  Tocuyo  in  die  Ebenen  gekom- 
men. Die  Geschichte  hat  den  Namen  des  Colonisten 
aufbewahrt,  welcher  zuerst  die  glückliche  Idee  fafste, 
diese  Weiden,  worauf  damals  nur  Damhirsche  und 
eine  grofse  Art  desAguti,  Cavia  Capybara,  hier  zu  Lande 
CÄi^Hire  genannt,  angetroffen  wurden,  mit  Hornvieh 
zu  bevölkern.  Christoval  Rodriguez  sandte  die  ersten 
Stücke  davon,  um's  Jahr  1648,  in  die  Lilanos.  *)  Er 
war  ein  Einwohner  der  Stadt  Tocuyo,  und  hatte  sich 
lange  Zeit  in  Neu  Granada  aufgehalten. 

Wenn  man  von  der  „zahllosen  Menge^'^  Hornvieh, 
Pferde  und  Maulthiere,  die  in  den  americanischen Ebe- 
nen leben,  reden  hört,  so  denkt  man  gewöhnlich  nicht 
daran,  dafs  im  civilisirten  Europa,  auf  ungleich  be- 
schränkterem Räume  und  bcy  Ackerbau  treibenden  Völ- 
kern, nicht  minder  grofse  Schaaren  vorkommen.  Frank- 
reich ernährt,  nach  Hrn.  Pcuchet's  Angaben,  6  Millionen 
Stücke  grofses  Hornvieh,  worunter  3,5oo,ooo  Zugoch- 
sen. In  der  österreichiscben  Monarchie  berechnet  Hr. 
von  Liechtenstern   die  Zahl   der  Ochsen,    Kühe   und 


*)  Fray  Pedro  Simon ^  Not.  5.  Cip,   14,  >'o.  J.  p.  J/i. 


Kapitel     XVII.  293 

Kälber  auf  18,400,000  Stücke.  Paris  allein  nur  ver- 
braucht jährlich  i55,OüO  Stücke  Hornvieh.  *)  Deutsch- 
land bezieht  jährlicl»  i5o,ooo  ungarische  Ochsen.  Die 
in  kleinen  Heerden  lebenden  Hausthierc  werden  bey 
tlen  Ackerbau  treibenden  Völkern  als  ein  untergeordne- 
ter Theil  des  Staalsvermügens  betrachtet.  Auch  regen 
sie. die  Phantasie  gar  viel  weniger  auf,  als  die  uni1)er- 
•chweifenden  Horden  von  Ochsen  und  Pferden,  welche 
die  einzige  Bevölkerung  des  tuibebauten  Landes  der 
neuen  Welt  ausmachen.  Die  Civilisirung  und  die  ge- 
sellschaftlichen Einrichtungen  sind  wie  der  menschli- 
chen Bevölkerung,  so  hinwieder  der  Vermehrung  nütz- 
licher Thierarten  günstig. 

ZuCalabozo,  mitten  in  den  Llanos^  fanden  wir  eine 
Electrisir- Maschine  mit  grofsen  Scheiben,  Electropho- 
re  ,  Batterien,  Electricitätsmesser,  einen  Apparat  bey- 
nahe  eben  so  vollständig,  wie  unsere  Naturforscher  in 
Europa  besitzen.  Alle  diese  Werkzeuge  waußn  nicht 
in  den  vereinten  Staaten  gekauft;  sie  waren  die  Arbeit 
eines  Menschen,  der  nie  ein  solches  Instrument  gesehen 
hatte,  der  Niemand  darüber  zu  Bath  ziehen  konnte, 
und  dem  die  Erscheinungen  der  Electricität  einzig  nur 
durch  das  Lesen  der  Schrift  von  Sigand  de  la  Fond 
und  aus  Franklin  s  Denkschriften  bekannt  geworden 
waren.  Hr.  Carlos  del  Pozo  Cdies  ist  der  Name  des  ach- 
tungswerthen  und  sinnreichen  Mannes)  hatte  anfangs 
cylindrische  Electrisir- Mascliinen  verfertigt,  wozu  er 
grofse  Glasglocken  gehrauchte,    denen  er  die  Hälse  ab- 


*)  Darunter  sind  72,000  Ochsen,  9000  Kühe,  74,000  Kälber, 
der  amtlichen  Z.ihlung  von  1817  zufolge,  wo  die  Bevölke- 
rung von  Paris  auf  715/766  Individuen  anstieg.  Danehen 
verbraucht  Paris  528,000  Schaafe  und  74,000  Schweine;  ins 
gesammt  77,500,000  Pfunde  Fleisch. 


294  Buch     VI. 

bracli.     Seil  etlichen  Jahren  erst  war  es  ihm  gelungen, 
sich  ühei'  Philadelphia  zvvey  Glasscheiben  zu  verschaf- 
fen^ mittelst  deren  er  eine  Scheiben- Maschine  verferti- 
gen  und  ansehnlichere  elechische  Wirkuniren  erzielen 
konnte.      Man  kann    sich   leicht  vorstellen,    wie  ^rofse 
Schwierigkeiten  Hr.  Pozo  zu  überwinden  halte,    nach- 
dem  ilim  die   ersten  Schriften   über  die  Electricität  be- 
kannt   geworden   waren,     und    er    den    muthigen  Ent- 
schlufs    gefafst  halte,    sich   durch   eigene  Anstrengung 
alles  dasjenige,  was  er  in  den  Büchern  beschrieben  fand, 
zu   verschaffen.     Bis   dahin  halle   er  nur  allein  das  Er- 
staunen und    die  Bewunderung  genossen,    welche  seine 
Versuche  bey  völlig  rohen  ununterrichtelen  Personen, 
die    nie   aufser    die  einsamen  Ltlanos   hinausgekommen 
waren,  hervorbrachten.     Unser  Aufenthalt  in  Calabozo 
gewährte  ihm  ein  ganz   neues  Vergnügen.     Es  mufste, 
wie  leicht  zu  erachten,  die  Meinung  zweyer  Heisender, 
iwelche    seine   Vorrichtungen   mit   den   in    Europa   ge- 
bräuchlichen vergleichen  konnten,    einigen  Werth  für 
ihn    hal)en.       ich    führte    mehrere  Electrometer,    von 
Stroh,  von  Korkkugeln  und  geschlagnen  Goldblättchen 
bey  mir,    auch  eine  kleine  Leydner  Flasche,    die  man 
nach  dem  Verfahren  von  Ingenhoufs  dürcli  Reibung  la- 
den konnte,  und  die  ich  zu  physiologischen  V^ersuchen 
gebrauchte,    Hr.  Pozo  drückte  seine  Freude  lebhaft  aus, 
als  er  zum  erstenmal  Instrumente  sah,  welche  er  nicht 
verfertigt  hatte,  und  die  den  seinigen  nachgeahmt  schie- 
nen.    Wir  zeigten  ilnn  auch  die  Wirkung  der  Berüh- 
rung ungleichartiger  Metalle  auf  (He  Nerven  der  Frösche. 
Galvani's  und  Volta's  Namer  waren  in  diese  weiten  Ein- 
öden noch  nicht  vorgedrungen. 

Nach  den  electrischen  Apparaten,  welche  der  sinn- 
reiche Kunstflelfs  eines  BevA  ohners  der  L,Ianos  verfer- 
tigt halle,  konnte  in  Calabozo  nichts  unsere  Theilnahme 


Kapitel     XVII.  296 

lebhafter  Anregen  als  die  Gymnoten,  Uelclie  belebt« 
electrisohe  Vorrichtuikgen  sind,  iieil  langen  Jahren,  >o 
zu  sagen  alltngllcli,  mit  den  Erscheinungen  der  galvani- 
schen Electricität  beschäftigt  j  dem  Enthusiasmus  hin« 
gegeben,  der  zum  Nachforschen  anspornt,  aber  das 
Entdeckte  richtig  zu  sehen  hindert,  und  naciideni  ich, 
ohne  daran  zu  denken,  wirkliche  galvanische  Säulen 
Cpiles^  durch  das  Aufeinanderlegen  metallischer,  mit 
Muskelsubstanz  oder  einer  andern  feuchten  Z^vischen- 
lage  wechselnder  Scheiben  *)  verfertigt  hatte,  war 
mir  gleich  nach  der  Ankunft  in  Cumana  sehr  angelegen 
electrische  Stahle  zu  erhalten.  Man  hatte  uns  oft  solche 
versprochen,  und  jedesmal  ward  unsere  Hoffnung  ge- 
täuscht. Das  Gold  sinkt  in  seinem  Werthe,  im  Ver- 
hältnisse wie  man  sich  von  den  Küsten  entfernt  5  und 
womit  soll  man  das  unerschütterliche  Phlegma  des  Volks 
überwinden,  wenn  die  Gewinnsftcht  nicht  aufgeregt 
werden  kann? 

Die  Spanier  bezeichnen  mit  dem  Namen  Temhla- 
dores  (^die  Zittern  machen,  eigentlich  Zitterer}  alle 
electrischen  Fische.  Es  finden  sich  solche  in  dem  Antil- 
len-Meer an  der  Küste  von  Cumana.  Die  Guayquerier- 
Indianer,  die  glücklichsten  und  geübtesten  Fischer  in 
diesen  Gegenden,  brachten  uns  einen  Fisch,  der,  wie 
sie  behaupteten,  ihnen  die  Hände  betäubte.  Dieser 
Fisch  steigt  den  kleinen  Flufs  Manzanares  hinauf,  und 
bildet  eine  neue  Art  der  Rochen  (Raja),  an  welcher 
die  Seitenflecken  nur  wenig  sichtbar  sind,  und  der  dem 
galvanischen  Krampffisch  ziemlich  ähnlich  ist.  Die  Zit- 
terrochen, mit  einem  ihrer  durchsichtigen  Haut  wegen 
von  aufsen  sichtbaren  electrischen  Organ  versehen,  bil- 


*^  Siehe  meine   Versuche  über  die  gereizte  Muskelfaser.  B.  I, 
S.  74.  Taf.  3.  4-  5. 


596  Buch     VI. 

den  eine  von  den  eigentlich  sogenannten  Rochen  ver- 
schiedene Gattung  oder  Gattungs- Abtheilung.  *>  Der 
Krampffi'^ch  von  Cumana  war  ungemein  lebhiift  und  in 
seinen  Muskelbewegungen  sehr  kräftig,  dennoch  aber 
leiglen  sich  die  electrisQiien  Krschütterungen,  die  wir 
von  ihm  spürten,  nur  überaus  schwach.  Sie  wurden, 
stärker,  als  das  Thier  durch  Berührung  von  Zink  und 
Gold  galvanisirt  ward*  Andere  Temhladores ,  wahr- 
hafte Gymnoten  oder  Zitteraale,  halten  sich  im  Rio-  Co- 
lorado, im  Guarapiche  und  in  mehreren  kleinen,  durch 
die  Missionen  der  Cbaymas- Indianer  fliefsenden  Gewäs- 
sern auf.  Sie  finden  sich  7,war  auch  in  den  grofsen 
americanischen  Flüssen,  dem  Orenoko,  dem  Amazo- 
nenstrom und  dem  Metaj  allein  die  starke  Strömung 
und  das  tiefe  Wasser  machen  es  den  Indianern  Yinmög- 
lich,  sie  zu  fangen.  Sie  sehen  diese  Fische  auch  selte- 
ner, als  sie  hingegen  beym  Schwimmen  oder  Baden  inj 
Flufs  elcctrische  Erschütterungen  von  ihnen  crlialten. 
In  den  L,h(nos ^  und  sonderheitlich  in  der  Gegend  von 
Calabozo,  zwischen  den  Meyereyen  von  Morichal  und 
den  Missionen  de  arriha  und  de  ahaxo  sind  die  Sumpf- 
wasser und  die  Gewässer,  welche  sich  in  den  Orenoko 
ergiefsen  (der  Rio-Guarico,  die  Connos  von  Rastro,  Be- 
rito  lind  Paloma)  mit  Zitteraalen  angefüllt.  Anfangs 
wünschten  wir,  die  Versuche  in  unsrer  Wohnung  zu  Ca- 
labozo selbst  anzustellen  5    aber   es  herrscht  unter  den! 


*)  Cui>ier^  Regne  animaly  T.  11.  p.  iJiG.  Im  Miltelmeer  kom- 
mpn  ,  nach  der  Angabe  des  Hrn.  Risso,  vier  Arten  des  Zitter- 
aales vor  ,    die  vormals  alle  unter  dem  Tiamon  Raja  torpedo 

-  vermengt  waren,  nämlich:  Torpedo  «a/Av,  T.  unimacu/atOj 
T.  galuajiii  und  T.  marmorata.  Der  Zitteraal  vomVorgebirg 
der  guten  Hoffnung,  mit  welchem  Hr.  Todd  neuerlich  Versu- 
che angestellt  hat,  ist  ohne  Zweifel  eine  noch  unbeschriebene 
Art. 


Kapitel     XVIL  2^7 

Volk  eine  so  grofso  unfl  übcrtrlAlipne  Furcht  vor  rlen 
electrischcn  Erschütterungen  des  Zitteraales,  dafs  wir 
(Irov  Tage  lang  dpien  keine  erhülton  konnten^  ohgleich 
ihr  Fang  sehr  leicht  ist,  und  nir  für  jeden  efrofsen  und 
starken  Fisch  den  Indianern  zwey  Piaster  verheifsen  hat- 
ten. Diese  Scheue  der  Eingebornen  ist  vini  so  auffallen- 
der, als  sie  ein  IVIittel  nicht  anzuwenden  versuchen, 
von  dem  sie  doch  mit  vieler  Zuversicht  sprechen.  So 
oft  sie  nämlich  über  die  Wirkungen  der  Temhladores 
befragt  werden  ,  so  versichern  sie  die  wcifsen  Menschen 
jedesmal,  man  könne,  wenn  man  Tabak  kaut,  jeno 
ohne  Nachtheil  berühren.  Dies  Mährchen  vom  Ein- 
flufs  des  Tabaks  auf  die  thierische  Electricität  ist  auf 
dem  FestJand  des  südlichen  America  eben  so  allgemein 
vei'breitetj  wie  unter  den  Matrosen  der  Glaube  an  dia 
Wirkung  des  Knoblauchs  und  des  Unschlitts  auf  die 
Magnetnadel. 

Des  langen  vergeblichen  Wartens  müde,  und  weil 
ein  lebendiger,  aber  schon  geschwächter  Krampffisch, 
den  man  uns  gebracht  hatte,  nur  sehr  unsichere  Er- 
gebnisse darbot,  verfügten  wir  uns  nach  Canno  deBera, 
um  daselbst  im  Freyen  und  am  Ufer  selbst  unsere  Ver- 
suche anzustellen.  Am  ig.  März  früh  Morgens  bega- 
ben wir  uns  in  das  kleine  Dorf  Rastro  de  abaxo  :  von 
da  führten  uns  die  Indianer  zu  einem  fliefsenden  Wasser, 
das  die  trockne  Jahrszeit  über  einen,  von  schonen  Bäu- 
men, *)  von  Clusien,  Amyris  und  wohlriechenden  Mi- 
mosen eingefafsten  Behälter  schlammigten  Wassers  bil- 
det. Es  hält  sehr  schwer  die  Zitteraale  mit  Netzen  zu 
fangen,  um  der  aufserordentlichen  Behendigkeit  dieser 
Fische  willen,  die  gleich  Schlangen  sich  in  den  Schlamin 


*)  Amyris  laterljlora ,  A.  coriacea,  Laurus  Pichurin,  Myroxy- 
lon  jecundunif  Malpigliia  reiiculata. 


29S  Buch     VI. 

vergraben.  Den  Rarhasco  wollte  man  niclit  fi^ebrau- 
cKen ;  worunter  die  Wurzeln  der  Piscidia  erilhryna, 
dftr  Jacqulnia  armillaris  und  einiger  Arten  des  l^hyllan- 
thus  verstanden  werden,  welche,  in  ein  Snmpfwasser 
geworfen,  die  darin  befindlichen  Thiere  betäuUen,  und 
woduich  die  Zitteraale  wären  geschwächt  worden.  Die 
Indianer  sagten  uns,  sie  wollen  mil  Pferden  fischen^ 
emharhasciir  con  cavalLos,  *')  Wir  hatten  Mühe  uns 
einen  Begriff  von  diesem  aufserordentlichen  Fischfange 
lu  machen,  sahen  aber  bald  unsere  Führer  von  der  Sa-i 
vane  zurückkommen,  wo  sie  ungezähmte  Pferde  und 
Maulthiere  zusammengetrieben  hatten.  Sie  brachten 
derselben  etwa  dreyfsig,  die  nun  in  den  Sumpf  zu  gehen 
genüthigt  wurden. 

Der  aufserordentliche ,  durch  das  Stampfen  der 
Pferde  verursachte  Lürm  treibt  die  Fische  aus  dem 
Schlamm  hervor  und  reizt  sie  zum  Gefecht  an.  Diese 
grofsen,  wie  Wasserschlangcn  aussehfnden,  grün  und 
gelben  Aale  schwimmen  auf  der  Oberfläche  des  Was- 
sers und  drängen  sich  unter  den  Bauch  der  Pferde  und 
Maulthiere.  Ein  Kampf  zwischen  Thieren  von  so  ganz 
verschiedener  Bildung  gewährt  ein  höchst  malerisches 
Schauspiel.  Die  Indianer  mil  Harpunen  und  langen 
und  dünnen  Bambusstäben  versehen  ,  umzingeln  den 
Sumpf;  einige  von  ihnen  steigen  auf  Bäume,  deren  Aeste 
sich  wagerecht  über  die  Wasserfläche  ausdehnen.  Durch 
ihr  wildes  Geschrey  und  mittelst  ihrer  langen  Hohre 
hindern  sie  die  Pferde  sich  aus  dem  Wasser  an's  Ufer 
zu  retten.  Die  Zitteraale,  vom  Lärm  betäubt,  verthei- 
digen  sich  durch  wiederholte  Entladungen  ihrer  electri- 
achen  Batterien.     Eine  geraume  Weile  scheint  es,    aU 


*)  Eigentlich  die  Fische  vermittelst  der  Pferde  einsahlä/ern  oder 
beiaiuchen. 


K  a  p  {  f  r  [     XVIL  299 

ob  sie  den  Sieg  davon  tragen  sollten.  Viele  Pferde  er- 
liegen unter  der  Stärke  der  unsichtbaren  Schläge,  die 
sie  von  allen  Seiten  her  an  den  empfindlichsten  Lebens- 
organen erleiden  :  durch  die  Stärke  und  Menge  der  Schlä- 
ge betäubt,  verschwinden  sie  unter  dem  Wasser.  Mit 
gesträubter  Mähne  schnaubend,  mit  wilder  Angst  im 
lunkelnden  Axige  stehen  andere  wieder  auf,  und  su- 
chen dem  tobenden  Ungewitter  zu  entfliehen.  Aber 
die  Indianer  treiben  sie  in's  Wasser  zurück :  nur  ein- 
zelne mögen  der  wachsamen  Aufsicht  der  Fischer  ent- 
gehen 5  diese  retten  sich  alsdann  an's  Ufer,  straucheln 
bey  jedem  Schritt,  dehnen  sich,  matt  und  erschüpft 
lind  die  Gliedmafsen  von  den  electrischen  Erschütterun- 
gen der  Gymnoten  betäubt,  auf  dem  Sand  aus. 

In  weniger  als  fünf  Minuten  fanden  sich  zwey  Pfer- 
de ertränkt,  Der  fünf  Fufs  lange  Zitteraal  drängt  sich 
verschlagen  unter  den  Bauch  der  Pferde,  und  es  erfolgt 
eine  Entladung  in  der  ganzen  Länge  seines  electrischen 
Organs,  die  gleichzeitig  das  Herz,  die  Eingeweide  und 
den  plexus  caliacus  der  Nerven  des  Unterleibs  trifft. 
Begreiflich  mufs  die  Wirkung,  die  das  Pferd  davon  er- 
leidet, ungleich  viel  heftiger  seyn ,  als  die  der  Schlag 
des  nämlichen  Fischers  in  dem  Menschen  verursacht, 
wenn  er  nur  eines  seiner  äufseren  Glieder  berührt.  Die 
Pferde  sind  wahrscheinlich  nicht  todt,  sondern  nur  be- 
täubt. Sie  ersaufen,  weil  der  fortdauernde  Kampf  zwi- 
schen den  übrigen  Pferden  und  den  Gymnoten  ihnen 
das  Aufstehen  unmöglich  macht. 

Wir  zweifelten  kaum  mehr,  es  werde  der  Fisch- 
fang sich  mit  dem  aufeinander  folgenden  Tod  aller  da- 
für gebrauchten  Thiere  endigen;  aber  nach  und  nach 
läfst  die  Wuth  des  ungleichen  Kampfes  nach  3  die  er- 
müdeten Gymnoten  zerstreuen  sich.     Sie  bedürfen  einer 


Zoo  Buch     P'J. 

langen  Rulie  *)  und  einer  rcichliclien  Nahrung,  um 
wieder  zu  sammeln,  was  sie  an  galvanischer  KTaft  ver- 
schwendet haben.  Die  Maulthiere  und  die  Pferde  er* 
holten  sich  von  ihrem  S'chrecken,  ihre  Mähne  sträuhte 
sich  nicht  mehr,  und  ihr  Auge  funkelte  nicht  länger 
angstvoll.  Die  Gymnoten  näherten  sich  furchtsam  dem 
Ufer,  wo  sie  durch  kleine,  an  langen  Stricken  l)efesligte 
Harpunen  gefangen  wurden.  Wenn  die  Stricke  völlig 
trocken  sind,  so  fühlen  die  Indianer,  während  sie  den 
Fisch  emporheben,  keine  Erschütterung.  In  wenig  Mi- 
nuten besafsen  wir  fünf  grofse  Aale,  die  meist  nur  leicht 
verwundet  waren.  Andere  wurden  gegen  Abend  auf 
gleiche  Weise  gefangen. 

Die  Temperatur  des  Wassers,  worin  die  Gymnoten 
sich  gevvühnlich  aufhalten,  beträgt  26  bis  27  Grade. 
Man  behauptet,  ihre  electrische  Kraft  nehmein  kälte- 
rem Wasser  ab  5  und  sehr  bemerkenswerth  ist  es,  dafs 
überhaupt,  wie  bereits  von  einem  berühmten  Natur- 
forscher bemerkt  worden  ist,  die,  mit  electrischen 
Werkzeugen,  deren  Wirkungen  dem  Alenschen  fiihl- 
hiv  werden,  versehenen  Thiere  nicht  in  der  Luft,  son- 
dern in  einer,  die  Electricilät  leitenden  Flüssigkeit  vor- 
J^ommen.     Der  Zitteraal  ist  der  grüfste  unter  den  elec- 


*)  Die  Indianer  Lcliaupten.  wenn  dir  Pferde  zwey  Tage  hin- 
tereinander in  ein  mit  GyninnJen  angefülltes  Snmpf>vasser  ge- 
trieben werden ,  so  gehe  am  zweyien  Tag  keines  derselben 
7,u  Grund.  Man  vergleiche  über  den  Gymnotenfang  und 
über  das  ISäherc  der  in  Calabozo  gemachten  Versuche  eine 
besondere  Abhandlung,  die  icli  in  meinen  Obscrvations  de 
Zoologie ,  T.  1.  p.  59  —  92  geliefert  habe  ,  und  meine  Ansicht 
ten  der  Natur ^  B.  I,  S.  5;  —  40.  Hier  konnte  ich  neue, 
auf  eine  genauere  Kenntnifs  der  Wirkung  der  elcctromo- 
torischen  Vorrichtungen  gegründete  Betrachtungen  hinzu- 
fügen. 


Kapitel    XVII.  3oi 

trischen  Fischen ;  ich  liahe  solche  gemessen ,  die  fünf 
Fufs  bis  XU  fünf  Fufs.drey  Zoll  lang  waren.  Die  India- 
ner versicheiten  ^  noch  grüfscro  gesehen  zu  haben. 
Wir  fanden  ,  dafs  ein  drey  Fufs  und  zehn  Zoll  langer 
Fisch  zwölf  Pfund  an  Gewicht  Jiielt.  Der  Ouerdurch- 
schnitt  des  Körpers  betrug  (die  in  Gestalt  eines  Kiels 
verlängerte  hintere  Flofsfeder  ungerechnet)  drey  Zoll 
fünf  Linien.  Die  Gymnoten  von  Canno  de  Bera  haben 
eine  schöne  olivengrüne  Farbe  5  Aar  Unterthcil  des 
Kopfs  ist  gelb  und  rothgefleckt.  Zwey  Reihen  kleiner 
gelber  Flecken  laufen  symmetrisch  längs  dem  Rückea 
vom  Kopf  bis  an's  Schwanzende.  In  jedem  dieser  Fle- 
cken üHnet  sich  ein  Ausleerungsgang  :  auch  ist  die  Haut 
des  Thiers  beständig  mit  einem  Schleim  überzogen, 
der,  wie  V^olla  dargethan  hat,  ein  zwanzig-  und  dreifsig- 
mal  besserer  Leiter  der  Electricität  ist,  als  reines  Was- 
ser. Ueberhaupt  ist  es  bemerkenswerth,  dafs  von  allen, 
bisher  bekannten  *)  electrischen  Fischen  der  verschie- 
denen Welttheile  kein  einziger  eine  Schuppendecke  hat. 


*)  Mit  einiger  Zuverlässigl'.eit  kennt  man  bisher  nur  sieben 
«lectrische  Fische:  Torpedo  narke  Risso ,  T.  unimaculata^ 
T.  marrnorata,  T.  gahanii,  Silurus  e/ectricus ,  Tetraodon 
electricus ^  G^mnotus  electricus.  Es  scheint  noch  unentschie-/ 
den,  ob  der  Trichiurus  indicus  eiectrische  Eigenschaften  be- 
sitzt (Cuvicr,  regne  animal^  T.  2,  p.  247).  Allein  die  Gat- 
tung Torpedo  ist  von  den  eigentlich  sogenannten  Rochen, 
(Raja)  sehr  verschieden;  viele  Arten  derselben  leben  in  den 
Aequalorial-Meeren  und  wahrscheinlich  giebf  es  mehrere  spe- 
cifisch  verschiedene  Gymnoten.  Die  Indianer  erzählten  uns 
\o\\  einer  dunhelscliv.arzen  und  überaus  krilftigeii  Art,  die  in 
den  Sumpfwassern  von  Apure  wohnt  und  nie  über  zwey  Fufs 
lang  wird,  die  wir  uns  aber  nicht  verschaffen  konnten.  Der 
Raton  vom  Piio  de  la  Magdalena  ,  welchen  ich  unter  dem 
ISamen  Gymnotos  aequi/abiaius  (Olis.  de  Zool. ..  T.  I.  pl.  «o. 
flg.  1.)  beschrieben  habe«    bildet  eine  eigene  Gattungsabthei- 


302  Buch     VI. 

Der  Zitteraal  mag,  gJoicli  unseren  Aalen,  auf  Jer 
Oberfläche  des  Wassers  gern  Luft  verschlucken  und 
einathinen.  Es  darf  jedoch  hit^raus  nicht  mit  Hrn.  Bajon 
gefolgert  werden,  dafs  der  Fisch,  wenn  er  nicht  Atliem 
holen  könnte,  zu  Grund  gienüC.  Unsere  Aale  verwei- 
len einen  Theil  der  Nacht  auf  Wiesengründen,  woge- 
gen ich  einen  sehr  starken  Zitteraal,  der  sich  aufser 
den  Wasserbehälter  geschwungen  hatte,  auf  dein  trock- 
nen Boden  sterben  sah.  Hr.  Provencal  und  ich  h.nhen 
in  der  Abhandlung  über  das  Atheinholen  der  Fische  dar- 
gethan,  dafs  ihre  feuchten  Kiemen  die  gedoppelte  Ver- 
richtung leisten  können  ,  einerseits  die  atmosphärische 
Luft  zu  zersetzen  und  anderseits  sich  den  im  Wasser 
aufgelösten  Sauerstoff  anzueignen.  In  der  Luft  wird 
ihr  Athemholen  nicht  untfjrbrochen  5  sie  ahsorbiren  aber 
den  gasförmigen  Sauerstoff,  wie  ein  mit  Lungen  verse- 
henes heptil  thut.  Die  Karpfen  werden  bekanntlich 
fett,  wenn  man  ihnen  aufser  dem  Wasser  Nahrung  reicht 
und  von  Zeit  zu  Zeit  ihre  Ki  Miien  mit  feuchtem  Moo- 
se benetzt,  um  das  V^ertrocl'.nen  derselben  zu  hindern. 
Die  Fische  dehnen  ihre  Luftmündungen  im  Sauerstoff- 
gas stärker  aus,  als  im  Wasser,  ihre  Temperatur  bleibt 
indefs  die  nämliche,  und  sie  leben  eine  gleich  lange 
Zeit  in  der  Lebensluft  und  in  einer  Mischung  von  90 
Theilen  Stickluft  und  10  Theilen  Sauerstoff.  Wir  ha- 
ben gefunden,  dafs  Schleihen  CCyprinus  tinea)  unter 
Glasglocken,  die  mit  Luft  angefüllt  waren,  innerhalb 
einer  Stunde  einen  cubischen  hallien  Centlmeter  Sauer- 
stoff verschlucken.     Diese   Verrichtung   geschieht  aus- 


lung ;  er  ist  ein  ungesclnippter  Carapo ,  ohne  electrisches  Or- 
gan. Dieses  letztere  mangelt  auch  völlig  hejm  hrasiliauischen 
Car«po,  so  wie  hev  allen  Rochen,  die  Hr.  Cuvier  auf  mein 
Ansuchen  nochmals  im  untersuchen  die  üefallisJ^tit  halte- 


Kapitel    XVII.  3o3 

schliefslich  durch  die  Kiemen;  indem  Fische,  denen  man 
Halsbänder  von  Kork  unilegt,  uad  deren  Kopf  aulscr 
donj  njil  Luft  ^efiillltMi  Geläise  bleibt,  durch  ihren  übri- 
gen Küi-per  niclil  auf  den  Sauerslofl' wirken.   *) 

Die  Schwimmblase  des  Gymnoten,  **)  deren  Da- 
seyn  Hr.  Bloch  mit  Unrecht  geläugnet  hat,  ist  bey  ei- 
nem drey  Fufs  und  zehn  Zoll  langen  Fische  zwey  Fufs 
und  fünf  Zoll  lang.  Von  der  äufseren  Haut  ist  sie  durch 
eine  Fettmasse  gesondert,  und  sie  ruht  aut  den  electri- 
schen  Organen,  die  über  zwey  Drillheile  des  Thieres 
anfüllen.  Die  gleichen  Gefäfse,  welche  sicli  zwischen 
die  Blätter  oder  Platten  dieser  Organe  einschieben  und 
dieselben  bey  Querdurchschnitten  blutig  machen,  geben 
auch  der  äufseren  Oberfläche  der  Schwimmblase  zahl- 
reiche Aeste  ab.  Ich  habe  in  hundert  Theilen  der  Luft 
der  Schwimmblase  4  Theile  Sauerstoff  und  qö  Theile 
Stickstoff  gefunden.  Die  Marksubstanz  des  Gehirns 
zeigt  nur  eine  schwache  Aehnlichkeit  mit  dem  eyweifs- 
artigen  und  gallartigen  Stoff  der  electrischen  Organe; 
hingegen  erhalten  beyde  Substanzen  gleichmäfsig  eine 
grofse  Menge  Pulsaderblut,  das  in  ihnen  desoxidirt 
wird.  Wir  wiederholen  bey  diesem  Anlafs  die  Bemer- 
kung, dafs  durch  eine  sehr  verstärkte  Thätigkeit  in  den 
Verrichtungen  des  Gehirns  der  Andrang  des  Blutes 
zum  Kopf  gleichmäfsig  vermehrt  wird,   wie  durch  die 


*3  Memoires  de  la  SociHk  cC Arcueil,  T.  2 ,  p.  398.  Ge-r 
schiebt  etwa  das  Aibeinholen  in  der  Luft  mittelst  der  Dazwi- 
schenkunft  einer  sehr  dünnen  Wasserschichle ,  welche  die 
Kiemen  Lefeuchtet? 

**)  Hr.  Cuvier  hat  mir,  seit  ich  in  Europa  zurücli  bin,  gezeigt, 
dafs  heytn  GymnoCuj  electricus^  neben  der  grolsen  Schwimm- 
blase, eine  zweyte  nach  vorn  liegende  kleinere  vorkömmt, 
die  der  gehörnten  Schwimmblase  gleicht,  welche  ich  vom 
Gymnotui  ae(juilubiacus  abgebildet  habe. 


3o4  Buch     ri. 

Tliätiffl<eil  der  Muskelbewegung  die  Desoxidirung  des 
arteriellen  Blutes  beschleunigt  wird.  Welchen  Contrast 
bilden  die  Zahl  und  Durchmesser  der  Blulgefilfse  des 
Gymnoten  mit  der  kleinen  Masse  seines  Muskelsvstems ! 
Es  erinnert  dieser  Contrast  den  Beobachter,  dafs  drey 
son^t  selir  ungleichartig  erscheinende  Lebensverrichlun- 
gen,  die  Verrichtungen  des  Gehirns,  diejenigen  des 
electrischen  Organs,  und  die  der  Muskeln,  gleichmä- 
fsig  des  Zuflus!-es  und  der  Mitwirkung  des  arteriellen 
oder  oxigenirten  Blutes  bedürfen. 

Es  wäre  verwegen,  sich  den  ersten  Erschüiternn- 
gen  eines  sehr  grofsen  und  stark  gereizten  Gymnoten 
auszusetzen.  Erhält  man  zufälliger  Weise  einen  Schlag, 
ehe  der  Fisch  verwundet  oder  durch  lange  Verfolgung 
ermattet  ist,  so  sind  Schmerz  und  Betäubung  so  heftig, 
dafs  sich  die  Empfindung,  welche  man  erleidet,  gar 
nicht  ausdrücken  läfst.  Ich  erinnere  mich  nicht,  durch 
die  Entladung  einer  grofsen  Leydner  Flasche  je  eine  so 
furchtbare  Erschütterung  erlitten  zu  haben,  als  die  war, 
da  ich  unvorsichtiger  Weise  einst  beyde  Füfse  über  ei- 
nen Gymnoten  legte,  der  eben  aus  dem  Walser  gezogen 
ward.  Ich  fühlte  den  ganzen  Tag  durch  in  denKnieen 
und  fast  in  .dien  Gelenken  den  empfindlichsten  Schmerz. 
Um  sich  von  dem  bedeutenden  Unterschied  zu  überzeu- 
gen, der  zwischen  den  durch  die  V^oltaische  Säule  und 
die  electrischen  Fische  verursachten  Empfindung  ob- 
■waltet,  müssen  die  letzteren  berührt  werden,  wenn  sie 
schon  sehr  ermattet  und  geschwächt  sind.  Die  Gym- 
noten und  die  Zitterroche  verursachen  alsdann  einen 
Schauer  (tressaillement),  *)  der  sich  von  der  auf  die 
electrischen  Organe  gestützten  btelle  bis  zum  Elbogen 
fortpflanzt.  Man  glaubt,  bey  jedem  Schlag  eine  innere 
Schwin- 

*;)  Subsultus  tendinum. 


Kapitel     XVIl.  3o5 

Sclivving-ung  zu  verspüren,  die  zwey  bis  drey  Secun- 
den  dauert  und  worauf  eine  schmerzhafte  Betäubung 
folgt.  Auch  nennen  die  Tau)anaken- Indianer  in  ihrer 
bedeutsamen  Sprache  den  temhlador  ariinna  ^  Aas,  will 
sagen  y  den  Liühmenden. 

Die  Empfindung-,  welclie  die  schwachen  Erschüt- 
terungen eines  Gymnoten  erregen,  kam  mir  mit  dem 
schmerzhaften  Schauer  nahe  verwandt  vor,  der  mich 
bev  jeder  Berührung  zwey  verschiedener  Metalle  ergrift', 
welche  auf  die  durch  Kanthariden  bewirkten  Wunden- 
steilen  des  Kückens  gelegt  wurden.  "••')  Dieser  Unter- 
schied der  durch  electrische  Fische  und  durch  die  Säule 
oder  eine  schwach  geladene  Leydner  Flasche  erree^ten 
Empfindung  war  allen  Beobachtern  auffallend  j  es  steht 
derselbe  jedoch  keineswegs  in  Widerspruch  mit  der 
vermutheten  Identität  der  Eleclricilät  und  der  galvani- 
schen Verrichtung  der  Fische.  Die  Electricität  kann 
die  nämliche,  ihre  Wirkungen  aber  können  verschie- 
dentlich modificirt  seyn,'  durch  die  Einrichtung  der 
electrischen  Apparate,  durch  die  Stärke  der  Flüssigkeit, 
durch  die  Schnelligkeit  ihrer  Strömung,  durch  eine 
eigen tliümliche  Wirl^samueit. 

Im  holländischen  Guiana,  zu  Demerary  zum  Bey- 
spiel,  wurden  vormals  die  Gymnoten  zur  Heilung  von 
Lähmungen  gebraucht.  Zur  Zeit,  wo  die  europäischen 
Aer/te  grofses  Vertrauen  in  die  Heilkraft  der  Electrici- 
tät setzten,  liefs  ein  Wundarzt  aus  Essequibo^  Hr.  Van- 
deriott,  in  Holland  eine  Abhandlung  üher  die  Heil- 
kriifte  der  Gvynitoten  drucken.  Diese  electrischen  Cu* 
ren  finden  sich  bey  den  americanischen  Wilden,  wie 
in  der  Vorzeit  bey  den  Griechen.     Scribonius  Largus, 


*)  Versuche  über  die  gereizte  Muikelfas4r y    Th.  I,   S.  3i3  — 

029. 
Alex.  M,  JJumioldis  hiit    Rtistn.  IW-  %Q 


3o6  Buch     VL 

Galcnus  und  Dioscorides  melden,  dafs  der  Zitterroche 
Kopfschmerzen,  Migrainen  und  die  Gicht  heilt.  Von 
ähnlichem  Heilverfahren  habe  ich  in  den  von  mir  be- 
suchten spanischen  Colonien  nichts  gßhürlj  hingegen 
kann  ich  versichern,  dafs  nach  vierstündigen  anhalten- 
den, mit  den  Gymnoten  angestellten  V^ersuchen  Hr. 
Bonpland  und  ich  bis  am  folgenden  Tag  eine  Schwä- 
che in  den  Muskeln,  einen  Schmerz  in  den  Gelenken 
und  öin  allgemeines  Uebelseyn,  als  unzweifelhafte  Wir- 
kung einer  heftigen P«,eizung  des  Nervensystems,  fühlten. 
Die  Gymnoten  sind  weder  geladene  Leiter,  noch 
Batterien  ,  noch  electro  -  motorische  Vorrichtungen, 
durch  die  man  Erschütterungen  empfängt,  so  ofl  man 
sie  mit  einer  Hand  berührt,  oder  zu  Bildung  des  leiten- 
den Bogens  zwischen  ungleichartigen  Polen  beyde  Hän- 
de anlegt.  Die  electrisclie  Wirksamkeit  des  Fisches 
hängt  einzig  nur  von  seinem  Willen  ab,  indem  er  ent- 
weder seine  electrischen  Organe  nicht  immer  geladen 
hält,  oder  aber,  sey  es  durch  die  Absonderung  irgend 
einer  Flüssigkeit,  sey  es  durch  ein  anderes,  uns  eben  so 
räthselhaftes  Mittel,  die  Wirksamkeit  seiner  Organe 
nach  aufsen  hin  leiten  kann.  IsoJirt  oder  nicht  isolirt, 
versucht  man  üftcrs  den  Fisch  zu  berühren,  ohne  die 
mindeste  E'rschülttMung  zu  verspüren.  Wenn  Hr.  Bon- 
pland ihn  am  Kopf  oder  mitten  am  Leib  fafste,  während 
ich  den  Schwan/,  hielt  und  wir,  auf  feuchtem  Boden 
Stehend,  einander  die  Hand  nicht  gaben,  erhielt  derEin© 
von  uns  Schläge,  die  der  Andere  nicht  fühlte.  Es  hängt 
von  dem  Gymnoten  ab,  einzig  nur  gegen  den  Punct 
hinzuwirken,  wo  er  sich  am  stärksten  gereizt  glaubt. 
Die  Entladung  geschieht  alsdann  durch  diesen  einzigen 
Punct,  und  nicht  durch  don  ihm  zunächst  befindlichen. 
Von  zwey  Personen,  welche  mit  dem  Finger  den  Bauch 
des  Fisches  einen  Zoll  weit  von  einander  und  gleich- 


Kapitel     XVII.  So? 

zeitig  berühren,  ist  es  bald  die  eine,  bald  die  andere,  die 
den  Sclilag  empfangt.  Hinwieder  wenn  eine  isoiirte 
Person  den  Schwanz  eines  starken  Gymnoten  fafst,  wäh- 
rend eine  andere  ihn  an  den  Kiemen  und  an  der  Brust- 
floi'sfeder  kneipt,  so  verspürt  öfters  nur  jene  erstere  die 
Errchütlerung^.  Wir  konnten  nicht  finden,  dafs  diese 
Verschiedenheiten  auf  Rechnung  der  Trocltenheit  oder 
Feuchtiü^keit  unsrer  Hände,  odo)-  ihres  ungh^ichen  Lei- 
tungsvermögens gebracht  werden  könnten.  Der  Gym- 
note  schien  seine  Schläge  bald  durch  die  Gesammt- 
oberfläche  seines  Körpers,  bald  durch  einen  einzelnen 
Theil  desselben  zu  leiton.  Diese  Wirkung  bezeichnet 
weniger  eine  partielle  Entladung  des  aus  einer  Unzähl- 
baren iVIenge  Blättchen  zusammengesetzten  Oi'gans,  als 
vielmehr  das  Vermögen  des  Thiers  (vielleicht  durch  die 
augen]>liclvliche  Absonderung  einer  sich  im  Zellgewebe 
verbreitenden  Flüssigkeit),  die  Verbindung  seiner  Or- 
gane mit  der  Haut  nur  auf  einen  sehr  engen  Kaum  zu 
beschranken. 

Das  Vermögen  des  Gymnoten  (durch  Gehirn  -  und 
^^erveneinüufs) ,  seine  Schläge  nach  Willkür  zu  schleu- 
dern und  zu  leiten,  wird  vollends  aufs  unzweydeutigste 
durch  die  mit  völlig  zahmen  Gymnoten  in  Philadelphia 
Und   Itürzlich   in  Stockholm    *^    angestellten    Versuche 


*J  Durch  die  Herren  WilÜamson  und  FahlLerg.  Der  letztere 
meldet  in  einer  den  Vetetiih.  Acad.  ny  handl.  quart.  2.  (1801), 
pag.  122  —  i56  einverleibten  Nachricht  Folgendes:  ,,Der 
Gymnote.  der  dem  Hrn.  fsorderling  aus  Surinam  nach  Stock- 
holm gesandt  ward,  hat  länger  als  vier  Monate  in  einem  Zu- 
stande vollkommner  Gesundheit  geleht.  Seine  Länge  betrug 
3  7  Zoll,  und  die  Schläge,  tvelche  er  versetzte,  waren,  vorzüg- 
lich in  der  Luft,  so  heftig,  dafs  ich  beynahe  nicht  wufste,  wie 
ich  mich  bevm  Fortbringen  des  Fisches  von  einem  Ort  zum 
andern  durch  nichtleitende  Korper  dagegen  schützen  solltfe. 
Sein  Magen  war  «ehr  klein :    er  frafs  nur  wenig  auf  einmal; 


3o5  B  n  c  h     ri 

erwiesen,  Naclidem  man  sie  lange  hatte  hungern  las- 
sen, lötlteten  sie  kleine  Fische,  die  in  den  Zuber  ge- 
brac})t  wurden,  aus  der  Entfernung.  Sie  wirkten  von 
weitem  her,  das  will  sagen,  ihr  clectrischer  Schlag 
durchzog  eine  sehr  dichte  Wasserschichte.  Man  darf 
sich  nicht  wundern,  dafs  man  in  Schweden  an  einem 
einzigen  Gvmnoten  beobachten  konnte,  was  wir  an  ei- 
ner grofsen  Zahl  derselben  in  ihrem  Vaterland  nicht 
sahen.  Weil  die  electrische  Wirksamkeit  der  Thiere 
eine  L^ehensverrichtiing  und  ihrem  Willen  unterworfen 
ist,  so  hängt  sie  nicht  ausschliefslich  von  ihrer  Gesund- 
heit und  Stärke  ab.  Ein  Gymnote,  der  die  Ueberfahrt 
vor^  Surinam  nach  Philadelphia  gemacht  hat,  gewöhnt 
sich  an  das  Geftingn  fs,  auf  das  er  beschränkt  ist  5  im 
Zuber  nimmt  er  allinählig  wieder  seine  früheren  Ge- 
tvohnheiten  der  Flüsse  und  Sumpfvvasser  an.  In  Cala- 
bozo  ward  uns  ein  im  Netze  gefangener  electrischer  Aal 
gebracht,  der  mithin  völlig  unverletzt  war.  Er  frafs 
Fleisch  und  verursachte  den  kleinen  Schildkröten  und 


dagegen  aber  öfters.  Lebendigen  Fischen  näherte  er  sich, 
indem  er  (aus  der  Entfernung)  einen  Schlag  gegen  sie  schleu- 
derte ,  dessen  Stärke  mit  ihrer  Gröfse  in  Verhällnifs  stund, 
ISur  selten  tättschte  sich  der  Gymnote  in  seinem  Urtheil;  ein 
einziger  Schlag  war  fast  immer  hinreichend,  um  den  Wider- 
stand zu  überwinden  (die  Hindernisse  nämlich  ,  welche  die  je 
nach  der  Entfernung  mei)r  oder  weniger  dicliten  VVasser- 
schichtcn  der  electrischen  Strömung  enlgegenselzlen).  Wenn 
ihn  stark  hungerte  ,  so  schleuderte  er  auch  wohl  Sciihige  ge- 
gen die  Person  ab ,  welche  ihm  täglich  gekochtes  oder  rohes 
Fleisch  brachte.  An  Giiederflufs  Leidende  kamen  und 
berührten  ihn,  in  der  Hofl'nung  geheilt  zu  werden.  Wenn 
er  beym  Hals  und  Schwanz  zugleich  gelafst  ward,  so  erfolg- 
ten stärkere  Erschütterungen,  als  hey  der  Berührung  mit 
einer  Hand.  Kurze  Zeit  vor  seinem  Tod  halte  sich  die  electri- 
sche Kraft  beinahe  ganz  verloren."  ^^ 


n  a  p  i  t  e  l     XVII.  3o9 

Fröschen,  die,  imit  der  Gefahr  unbekannt,  sich  ver- 
traulicli  auf  den  Kücken  des  Fisches  setzen  wollten, 
nicht  geringen  Schrecken.  Die  Frosche  empfiengen 
die  Erschütterung  nicht  eher,  als  in  dem  Augenblick, 
wo  sie  den  Körper  des  Gymnoten  berührten.  Als  si» 
wieder  zur  Besinnung  kamen,  flüchteten  sie  sich  aus 
dem  Zuber  5  und  nie  sie  nochmals  in  die  Niihe  des  Fi- 
sches gebracht  wurden ,  entsetzten  sie  sich  über  seinen 
blolsen  Anblick.  Von  einer  mittelbaren  Wirkung  (ac- 
tion  en  distance)  bemerkten  wir  damals  nichts  5  unser 
eben  erst  gefangener  Gymnote  war  aber  auch  nicht  hin- 
länglich zahm,  um  Frösche  anzugreifen  und  zu  verzeh- 
ren. Wenn  ein  Finger  oder  Metallspitzen  auf  eine  halbe 
Linie  Entfernung  von  den  electrischen  Organen  gehal- 
ten wurden,  so  war  keine  Erschütterung  fühlbar.  Viel 
leicht  nahm  das  Thier  die  Nähe  eines  fremden  Körpers 
nicht  wahr,  oder  wenn  es  sie  bemei'kte,  so  ist  wahr 
scheinlich,  dafs  die  im  Anfang  seiner  Gefangenschaft 
ihm  anwohnende  Furchtsamkeit  es  abhält,  kräftige  Schlä- 
ge auszustofsen,  die  niclit  eher  erfolgen,  bis  es  sich 
durch  unmittelbare  Berührung  stark  gereizt  fühlt.  Ich 
habe,  während  der  Gymnote  sich  im  Wasser  befand, 
meine  Hand  mit  oder  ohne  MetallbevvafTnung  seinen 
electrischen  Organen  auf  wenige  Linien  genähert,  ohne 
durch  die  Wasserschichten  irgend  eine  Erschütterung 
zu  erhalten,  während  Hr.  Bonpland  das  Thier  durch 
unmittelbare  Berührung  kräftig  reizte,  und  sehr  heftige 
Stöfse  von  üim  erhielt.  Hätte  ich  die  uns  bekannten 
empfindlichsten  Electroscopcn,  die  zugerichteten  (prä- 
parirten)  Frösche,  in  nahe  Wasserschichten  gebracht, 
so  würden  sie  ohne  Zweifel  im  Augenblick,  wo  der  Gym- 
note seinen  Schlag  anderwärts  zu  richten  schien,  Zu- 
sammenziehungen verspürt  haben.  Zugerichtete  Frö- 
sche,^ die    unmittelbar  auf  den  Körper  eines  Krampf- 


3io  Buch     VI. 

fisches  gebracht  werden,  erleiden,  naCh  Galvani's  Zoug"- 
Hifs,  bey  jeder  Entladung^  des  Fisches  starke  Zusam- 
menzieliungen. 

Das  electriscbe  Organ  der  Gvmnolen  ist  nur  unter 
dem  unmittelbaren  Einflufs  des  Gehirns  und  des  Her- 
zens wirksam.  Wenn  ich  einen  sehr  kräftigen  Gymno- 
ten  mitten  durchschnitt,  so  erhielt  ich  vom  äufseren 
Theil  allein  nur  Erschütterungen.  Die  Stärke  der 
Schlägeist  die  nämliche,  an  welchem  Theile  des  Kör- 
pers der  Fisch  berührt  werden  mag:  inzwischen  erfol- 
gen dieselben  ain  ehesten,  wenn  die  Brustflofsfeder,  das 
electrische  Organ,  die  Lippen,  die  Augen,  oder  die 
Kiemen  gekneipt  werden.  Ztiweilen  sträubt  sich  das 
Thier  heftig  gegen  den,  wtlcher  es  am  Schwanz  hält, 
ohne  die  mindeste  Erschütterung  zu  ertheilen.  Ich 
empfand  davon  eben  so  wenig  etwas,  als  ich  in  de^'Nähe 
der  Brustflofsfeder  des  Fisches  einen  leichten  Einschnitt 
machte  und  die  Wunde  durch  einfache  Berührung  mit 
Zink-  und  Silber -Bewaffnung  galvainsirte.  Der  Gym- 
note  zog  sich  krampfhaft  zusammen;  wie  durch  eine 
ganz  neue  Empfindung  erschreckt,  streckte  er  den  Kopf 
aus  dem  Wasser  hervor  5  hingegen  fühlte  ich  keine 
Erschütterung  in  den  Händen,  welche  die  Armaturen 
liielten.  Die  heftigsten  IVIuskelbewegungen  sind  nicht 
immer  von  elffctrischen  Entladungen  begleitet. 

Die  Wirkung  des  Fisches  auf  die  Organe  des  Men- 
schen wird  durch  die  nämlichen  Körper  geleitet  und 
unterbrochen  ,  welche  auch  die  electrische  Strömung 
eines  geladenen  Conductors  ,  Loydner  Flasche,  oder 
einer  Voltalschen  Säule  leiten  oder  unterbrechen.  Ei- 
nige Abweichungen,  welche  wir  wahrzunehmen  glaub- 
ten, lassen  sich  leicht  erklären,  wenn  man  sich  erinnert, 
dafs  selbst  die  Metalle  C^vie  dies  ihr  Erglühen  durch 
die  Säule  beweist)  dem  Durchgang  der  Eleclricität  ein 


Kapitel     XVII.  3i» 

leichtes  Hindernifs  entgegen  stellen ,  und  dafs  ein 
schlechter  Leiter  die  Wirkung  einer  schwachen  Electri- 
cität  auf  unsere  Organe  vernichtet.  M'ährend  diejenige 
einer  sehr  starlicn  durch  ihn  übertragen  wird.  Da  die 
abstofsende  Kraft,  welche  Zink  und  Silber  zwischen 
einander  darstellen,  ungleich  stärker  ist  als  diejenige 
von  Gold  und  Silber,  so  habe  ich  wahrgenommen,  dafs, 
wenn  ein  präparirter  und  mit  Silber  armirter  Frosch 
unter  dem  Wasser  galvanisirt  wird,  der  Leitungshogeri 
von  Zink  alsbald  Erschütterungen  hervorbringt,  wenn 
einer  seiner  Endtheile  auf  drey  Linien  Entfernung  sich 
den  Muskeln  nähert,  während  ein  Bogenleiter  von  Gold 
keine  Erregung  der  Organe  hervorbringt,  sobald  diu 
zwischen  Gold  und  Muskel  befindliche  Wasserschichte 
über  eine  halbe  Linie  dicht  ist.  Hinwieder,  wenn  man 
sich  eines,  aus  zwey  an  ihren  Enden  zusammengelüthe- 
ten  Zink-  und  Silber -Stücken  bestehenden,  Bogenleiters 
bedient,  und  das  eine  Ende  des  metallischen  Bogens 
wie  zuvor  an  den  Hüftbeinnerven  legt,  so  mufs,  um 
Zusammenziehungen  zu  erzielen ,  das  andere  Ende  des 
Leitungsbogens,  nach  Mafsgabe  der  abnehmenden  Reiz- 
barkeit der  Organe,  den  Muskeln  stets  mehr  genähert 
werden.  Gegen  das  Ende  des  Versuchs  ist  schon  die 
dünn;te  Wasserschichte  hinreichend,  uin  den  Ueber- 
gang  der  electrischen  Strömung  zu  hindern,  und  nur 
die  unmittelbare  Berührung  des  Bozens  und  der  Mus- 
kein  mag  Zusammenziehungen  bewirken.  Ich  erinnere 
wiederholt  an  diese  auf  drey  wandelbaren  Verhält- 
jiissen  beruhenden  Umstände  :  jene  sind  der  Grad  der 
Wirksamkeit  des  electrischen  Apparats,  die  Leitungs- 
fähigkeit der  Zwischendinge,  und  die  Reizbarkeit  der 
die  Eindrücke  erhaltenden  Organe.  Der  Mangel  satt- 
sam wiederholter  V^ersuche,  mit  Hinsicht  auf  diese  drey 
wandelbaren  Grundlagen^   ist  die  Schuld,    dafs  man  in 


3i2  Buch     VI. 

Beurtheilung  der  electrischen  VVirksamIteit  der  Gymno- 
ten  und  Krampffische  zufällige  Umstände  für  solch© 
nahm,  ohne  welche  die  electrischen  Erschütterungen 
nicht  statt  finden. 

Bey  verwundeten  Gymnoten,  welche  schwache,  aber 
sehr  gleichartige  Erschütterungen  liefern  ,  fanden  wir 
diese  jederzeit  stärker,  wenn  der  Fisch  mit  einer  metall- 
hewaffneten  Hand  berührt  ward,  im  Gegensatz  der  Be- 
rührung mit  der  nackten  Hand.  Sie  erzeigen  sich  hin- 
wieder auch  stärker,  wenn  statt  der  Berührung  mit  ei- 
ner nackten  oder  mit  keiner  Metall- Bewaffnung  verse- 
henen Hand  heyde  Hände  zugleicli ,  nackt  oder  be- 
waffnet, aufgelegt  werden.  Diese  Verschiedenheiten 
können,  ich  wiederhole  es,  alsdann  nur  wahrgenom- 
men werden,  wenn  man  eine  hinreichende  Zahl  Gym- 
noten  besitzt,  um  die  schwächsten  darunter  wählen  zu 
können,  und  wenn  die  vollkommene  Gleichheit  der 
electrischen  Entladungen  den  Unterscheid  zwischen 
den  wechselnden  Empfindungen  der  mplallbewaffneten 
und  der  unbewaffneten  Hand,  einer  oder  beider  nack- 
ter,  einer  oder  beider  metallbewaffneter  Hände,  wahr- 
zunehmen gestattet.  Eben  so  sind  auch  nur  bey  klei- 
nen, schwachen  und  gleichförmigen  Erschiilterungen 
die  Schläge  empfindlicher,  wenn  der  Gymnote  durch 
ieine  Hand  (ohne  Kettenverband)  mit  Zink,  als  hinge- 
gen, wenn  er  mit  Kupfer  oder  Eisen  berührt  wird. 

Die  Harzsubslanzen  ,  das  Glas,  das  wolil  getrock- 
nete Holz,  das  Hörn  und  sogar  auch  Knocken,  die  man 
gewöhnlich  für  gute  Leiter  hält,  hemmen  die  Wirkung 
der  Gymnoten  auf  den  Mensch.en.  Es  war  mir  befremd- 
lich ,  nicht  die  mindeste  Erschütterung  zu  fühlen,  als 
ich  mit  nassen  Siegellack&tangen  die  Organe  des  Fisches 
drückte,  während  das  nämliche  Thier,  mit  einem  me- 
öUischen  Stabe  gereizt,  mir  die  heftigsten  Schläge  ver« 


Kapitel     XVII.  3i3 

setzte.  Hr,  Bonpland  fulilte  Erscliütterungon,  als  er 
einen  Griiinoten  auf  zwey  aus  Palmfasern  gedrehten 
Stricken  tru«-;  die  wir  fi":r  vüllio-  trocken  g-ohalten  hat- 
ten. Eine  starke  Entladung  hahnt  sich  einen  Weg- durch 
sehr  unvollkommene  Leiter.  Vielleicht  wird  auch  durch 
das  im  Loitunirshoo[^en  vorhandene  Hindernifs  die  Ex- 
plosion  Tim  desto  schmerzhafter.  Ich  hahe  ohne  Erfolg 
den  Gyrnnoten  mit  einem  nassen  braun- irdenen  Topfe 
berührt j  und  hingegen  heftige  Schläge  erhalten,  als 
ich  den  Gvmnoten  in  den  nämlichen  Topf  legte,  weil 
die  Berührung  gröfser  war. 

Wenn  zwey  Personen^,  isolirt  oder  nicht  isolirtj  sich 
die  Hand  geben ,  und  alsdann  nur  die  eine  den  Fisch 
mit  di^r  nackten  oder  metallbevvaffneten  Hand  berührt, 
so  werden  die  Erschütterungen  meist  beyden  Personen 
fühlbar  seyn.  Docli  geschieht  es  auch  wohl,  dafs  bey 
den  scbmerzliaften  Schlägen  einzig  nur  die  in  unmit- 
telbarer Berührung  mit  dem  Fisch  stehende  Person  den 
Stofs  empfindet.  Wenn  der  Gymnote  dermafsen  er- 
schöpft oder  seine  Erregbarkeit  also  geschwächt  ist,  dafs 
er,  mit  einer  Hand  allein  gereizt,  durchaus  keine  Schlä- 
j^e  mehr  ertheilen  vviil ,  so  mag  man  mittelst  der  Kette 
und  der  Anwendung  beyder  Hände  nochmals  lebhafte 
Erschütterungen  erhalten.  Jedoch  findet  selbst  in  die- 
sem Fall  der  electrische  Stofs  nur  mit  dem  W^illen  des 
Thieres  statt.  Zwey  Personen,  von  denen  die  eine  den 
Schwanz  und  die  andere  den  Kopf  hält,  können  den 
Gymnoten  nicht  zwingen,  den  Schlag  zu  ertheilen, 
wenn  sie  sich  iey  der  Hand  fassen  und  eine  Kette 
bilden. 

Erscheinungen  der  Anziehung  und  Abstofsung 
konnte  ich,  auch  bey  der  mannigfach  veränderten  An- 
wendung  sehr  empfindlicher  Electricitätsmesser,    bey 


3i4  B  u  c  h     FL 

Isolirung  derselben  auf  einer  Glasscheibe,  u.nd  während 
ich  ungemein  starke^  durcli  i{en  Electrometer  gcleitole 
Erschütterungen  erhielt,  niemals  wahrnehmen.  Die 
Beobachtungen  des  Hrn.  Fahlberg  in  Stocliholm  tref- 
fen hiermit  zusammen.  Dieser  iNaturforscher  hat  in- 
zwischen, wie  vor  ihm  Walsh  und  Ingenhoufs  in  Lon- 
don, einen  electrischen  Funken  bemerkt,  wenn  der 
Gymnote  sich  in  der  Luft  befand,  und  die  Leitungs- 
kette durch  zwey  auf  Glas  geklebte  und  eine  Linie  ab- 
stehende Goldbliittchen  unterbrochen  ward.  Dagegen 
hat  Niemand  jemals  einen  aus  dem  Körper  des  Fisches 
selbst  herausgehenden  Funken  bemerkt.  In  Calabozo 
haben  wir  ilin  zur  Nachtzeit  und  in  völliger  Finsternifs 
lange  anhaltend  gereizt,  aber  niemals  irgend  eine  leuch- 
tende Erscheinung  wahrgenommen.  Als  ich  vier  Gym- 
noten  von  ungleicher  Stärke  so  ?.usammen  gereiht  hatte, 
dafs  ich  die  Erschütterung  des  stärksten  aus  ihnen  durch 
Coinmiinicalion y  das  will  sagen,  durch  die  Berührung 
eines  der  andern  Fische  empfieng,  so  bemerkte  ich  an 
diesen  keine  unruhige  Bewegung,  im  Augenblick  wo 
die  Strömung  durch  sie  geleitet  ward.  Vielleicht  nimmt 
diese  Strömung  ihren  We^  nur  durch  die  feuchte  Ober- 
„  fläche  der  Haut.  Wir  folgern  jedoch  hieraus  keines- 
wegs, dafs  die  Gymnoton  für  die  Electricität  unempfäng- 
lich seyen,  oder  dafs  sie  im  Grund  der  Sumpfwasser  nicht 
gegeneinander  ankämpfen  können.  Ihr  Nervensystem 
jnufs  den  gleichen  Einwirkungen  unterliegen,  wie  die 
Kerven  anderer  Thiere.  Ich  habe  auch  wirklich  die 
Beobachtung  gemacht,  dafs,  wenn  ihre  Nerven  nackt 
gelegt  werden,  sie  bey  der  einfachen  Berührung  un- 
gleicher Metalle  Muscalar  -  Zusammenziehungen  er- 
leiden, und  Hr.  Fahlberg  in  Stockholm  beobachtete, 
dafs  sein  Gymnote  in  ki'ampfhafte  Bewegungen  gerieth, 
wenn  er  sich  in  einem  kupfernen  Zuber  befand,    und 


h  a  p  i  t  e  l     XVIL  3i5 

schwache  Entladungen  einer  Leydner  Flasche  durch  seine 
Haut  geschahen. 

jNach  aIhMi  V^ersuclien ,  die  ich  mit  den  Gymnoten 
anaeslollt  halte  ,  w&r  es  mir  hev  der  HücKkehr  in  Eu- 
ropa  sehr  wrclitig',  die  Verhaltnisse  genau  zu  kennen, 
unter  wolclion  ein  andorer  electrischer  Fisch ^  der  Zit- 
lerrochü  unserer  Meere,  Erschütterungen  ertheilt  oder 
nicht  ertheilt.  Unerachlet  der  von  sehr  vielen  JMatur- 
forscliern  mit  ihm  vorgenommenen  Untersuchungen 
fand  ich  doch  alles  noch  sehr  schwankend,  was  von 
seinen  electrischen  Wirkungen  bekannt  geworden  (ist. 
Man  hat  völlig  willkürlich  angenommen,  dafs  er  wie 
eine  Leydner  Flasche  wirkt,  die  man  nach  Belieben 
entladet,  indem  man  sie  mit  beyden  Händen  berührt, 
und  diese  Voraussetzung  scheint  die  Beobachter,  wel' 
che  sich  mit  diesen  Forschungen  abgaben,  irre  geführt 
zu  hal>en.  Auf  unserer  Heise  durch  Italien  haben  Hr. 
Gay  -  Lussac  und  ich  zahlreiche  Versuche  mit  den  im 
Golf  von  Neapel  gefangnen  Zitterrochen  angestellt. 
Diese  Versuche  bieten  naehrere  von  den  auf  die  Beobach- 
tungen der  Gymnoten  gegründeten  ziemlich  abweichen- 
de Er:rebnisse  dar.  Wahrscheinlich  liejjt  die  Ursache 
dieser  Verschiedenheiten  mehr  in  der  Ungleichheit  der 
electrischen  Kraft  bey der  Fische,  als  in  der  verschiede- 
nen Einrichtung  ihrer  Organe.  '••') 

Wenn  gleich  die  Kraft  des  Zitterrochen  mit  der 
des  Gymnoten  nicht  zu  vergleichen  ist,  so  reicht  sie 
doch  hin  ,  um  sehr  schmerzhafte  Empfindungen  zu  ver- 
ursachen. Eine  an  elcctriiche  Erschütterungen  ge- 
wöiiute  Person  hat  Mühe,  einen  zwölf  bis  vie/zehn 
Zoll  langen,   seine  ganze  Stärke  besitzenden  Zitterro- 


*y  Ge^ffroy  de  St-  Bilaire  ,   in  den  Annales  du  Museum ,    T. 
I,  p.  592  —  407. 


3i6  Buch     FI. 

chen  in  dor  Hand  zu  halten.  Wenn  das  Thier  im  Was- 
ser nur  nocli  sehr  schwache  Schläge  ertheilt,  so  wer- 
den die  Erschütterungen  fühlharer,  sobald  man  es  über 
die  OborüücKe  des  Wassers  emporhebt.  Beym  Gulva- 
nisiren  von  Fröschen  habe  ich  diese  Erscheinung  öfters 
bemerkt. 

DerZitterroche  bewegt  die  Brustfiofsfedorn  krampf- 
haft, so  oft  er  einen  Schlag  ertheilt,  und  dieser  Schlag 
ist  mehr  oder  minder  schmerzhaft,  je  nachdem  die  un- 
mittelbare Berührung  eine  mehr  oder  minder  breite 
Fläche  einnimmt.  Wir  haben  oben  bemerkt,  dafs  der 
Gymnote,  wenn  er  die  stärksten  Erschütterungen  ertheilt, 
mit  üen  Füfsen,  dem  Kopf  und  den  Flofsfedorn  keine 
Bewegung  macht.  *}  Beruht  dieser  Unler>ehied  auf  der 
Lage  des  electrischen  ürganes,  das  beym  Gymnoten 
nicht  doppelt  ist?  Oder  geht  aus  der  Bewegung  der 
Brustflofsfedern  des  Zitterrochen  der  unmittelbare  Be- 
weis hervor,  dafs  der  Fisch  das  electrische  Gleichge- 
wicht durch  seine  eigene  Haut  herstellt,  dafs  er  sich 
durch  seinen  eignen  Körper  entladet,  und  dafs  wir  über- 
äU  nur  dje  Wirkung  eines  Seitenstofses  verspüren. 

Weder  ein  Zittcrroche  noch  ein  Gymnote  lassen 
sich  also  willkürlich  entladen,  wie  man  eine  Leidner 
Flasche  oder  eine  Voltai^cbe  Säule  willkürlich  entladen 
kann.  Man  fühlt  niclit  jederzeit  eine  Erschütterung, 
selbst  al-dann  nicht,  wenn  ein  electrischer  Fisch  mit 
beyden  Händen  ergriffen  wird  5  er  mufs  erst  gereizt 
werden,  wenn  eine  Erschütterung  von  ihm  ausgehen 
soll.  Diese  Verrichtung  ist  im  Zitterrochen  wie  im 
Gymnoten  eine  Lebensverrichtung 5    es  hängt  dieselbe 


*)  IVur  die  hinlere  Flofsfeder  bewogt  sich  heym  Gymnoten 
merklich  .  wenn  man  diese  Fische  unter  dem  Bauck^  da  w© 
das  electrische  Organ  beluidlich  ist,  reizt. 


Kapitel     XVIL  3i7 

Äusschllefslich  vom  Willen  des  Thieres  ab,  das  viel- 
leicht seine  elßctrischen  Organe  niclit  immer  geladen 
hält,  oder  auch  die  Wirksamkeit  seiner  Nerven  nicht 
jederzeit  zur  Unterhaltung  der  Kette  zni.^clien  den  posi- 
tiven und  negativen  Polen  anwendet.  So  viel  ist  gevvlfs, 
dafs  der  Zitterroche  mit  erstaunensvverther  Schnellig- 
keit eine  lange  Heihe  von  Erschütterungen  bewirken 
kann ,  sey  es  dafs  die  Scheiben  oder  Blätter  seiner  Or- 
gane nicht  jedesmal  ganz  erschöpft  werden,  oder  dafs 
der  Fisch  sie  alsbald  wieder  neu  zu  laden  vermaß-. 

Der  electrische  Schlag  wird  fühlbar,  wenn  das 
Thier  zu  dessen  Ertheilung  geneigt  ist,  sey  es  dafs  man 
mit  einem  einzigen  Finger  nur  eine  einzige  Oberfläche 
der  Organe  berühre,  oder  dafs  man  mit  beyden  Hän- 
den seine  beyden  Oberflächen,  die  obere  und  die  untere, 
gleichzeitig  umfasse.  In  beyden  Fällen  ist  es  völlig 
gleichgültig,  ob  die  Person,  welche  den  Fisch  mit  ei- 
nem Finger  oder  mit  beyden  Händen  berührt,  isolirt 
sey  oder  nicht.  Alles,  was  über  die  Nothwendigkeit 
eines  Zusammenhangs  durch  den  feuchten  Boden  für 
die  Erzielung  einer  Kettenverbindung  gesagt  worden 
ist,  beruht  auf  unzuverlässigen  Beobachtungen. 

Hr.  Gay-Lussac  hat  die  wichtige  Beobachtung  ge- 
macht, dafs,  wenn  eine  isolirte  Person  den  Zitterrochen 
mit  einem  einzigen  Finger  berührt,  ein  unmittelbarer 
Coötact  durchaus  erforderlich  wird.  Man  berührt  den 
Fisch  mit  einem  Schlüssel  oder  mit  irgend  einem  andern 
metallischen  Werkzeug,  ohne  Erfolg  und  ohne  eine  Er- 
schütterung zu  verspüren,  sobald  ein  leitender  oder 
nicht  leitender  Körper  zwischen  dem  Finger  und  dem 
electrischen  Organ  des  Zitterrochen  inne  liegt.  Dieser 
Umstand  bietet  einen  grofsen  Unterschied  zwisclien  dem 
Zitterrochen  und  dem  Gymnoten  dar,    indem  der  letz- 


3i8  B  u  c  h     VI. 

tere  seine   Stüfse  durch  das  Mittel  eines   mehrere  Fufs 
langen  Eisenstabs  ertheilt. 

Wird  ein  Zilterroclie  auf  eine  ganz  dünne  Metall 
Scheibe  gelegt,  so  dals  die  Scheibe  die  untere  Flüche 
seiner  Organe  unmittelbar  berührt,  so  fühlt  die  Hand, 
Avelche  die  Scheibe  hält,  niemals  eine  Erschütterung, 
wenn  gleich  eine  zweyte  isollrte  Ferson  das  Thier  reizt, 
und  obschon  die  krampfhaften  Bewegungen  der  Brust- 
flof-federn  sehr  starke  und  wiederholte  Entladungen 
darthun. 

Wird  hingegen  der  auf  der  Metallscheibe  liegende 
Zitterroche,  wie  im  vorhergehenden  Versuch,  von  Je- 
mand mit  der  linken  Hand  gehalten,  und  die  nämliche 
Person  berührt  nun  mit  der  rechten  Hand  die  obere 
Fläclie  des  electrichen  Organs,  so  wird  alsdann  eine 
kräftige  Erschütterung  in  beyden  Armen  verspürt.  Die 
Empfindung  i^t  die  nämliche,  wofern  der  Fiscii  sich 
zwischen  zwey  Metallschoiben  befindet,  deren  Bänder 
sich  einander  nicht  berühren,  und  wenn  alsdann  beyde 
Hände  gleichzeitig  an  diese  Scheiben  gelegt  werden. 
Die  Dazwi'chenkunft  einer  Metallscheihe  hemmt  die 
MitthciluniT,  wenn  diese  Scheibe  nur  mit  der  einen 
Hand  berührt  wird,  wogegen  die  Da7,wi>chenkunft 
zweyer  Matallscheibpn  die  Erschütterung  nicht  mehr 
hindert,  sobald  beyde  Hände  an  jene  gelegt  werden. 
Im  letzteren  Fall  bleibt  kein  Zweifel  mehr  ühriif,  dafs 
die  (^irculation  der  Flüssigkeit  durch  beyde  Arme  ge- 
schieht. 

Wofern  bey  eben  dieser  Lage  des  Fisches  zwischen 
beyden  Metallscheiben  irgend  ein  unmittelbarer  Zu- 
sammenhang zwischen  den  Bändern  der  zwey  Scheiben 
statt  findet,  so  hürt  jede  Erschütterung  auf  Die  Kette 
z\Aischen  bevden  Oberflächen  des  clectrischi  n  Organs 
wird  alsdann  durch  die  Scheiben  gebildet,  und  die  neuo 


K  a  pi  t  e  l     XVII.  319 

Verbindung,  welche  durch  diö  Berührung  beyder  Hän- 
de mit  den  Scheiben  zu  Stande  kommt,  bleibt  ohne 
Wirkung.  Wir  haben  den  Zitterrochen  zwischen  zwey 
Metallscheiben  getragen,  und  seine  Schlage  nicht  eher 
verspürt,  bis  die  beyden  Scheiben  sich  an  ihren  Rän- 
dern nicht  mehr  berührten. 

Beym  Zitlorrochen  wiebeym  Gymnoten  wird  nichts 
bemerkt,  woraus  nian  auf  t'ine  veränderte  electrische 
Spannung  der  sich  in  der  JNähe  des  Thiers  befindlichen 
Kurper  schlii^fsen  könnte.  Auch  der  empfindlichste 
Electrometer  zeigt  keine  V^eränderung,  wie  man  ihn 
immer  anwenden  mag,  sey  es  dafs  er  den  Organen  ge- 
nähert wird,  oder  dais  der  Fisch  isolirt,  mit  einer  Me- 
tallscheibe bedeckt  und  diese  durch  einen  Leitungsdraht 
mit  dem  Volta'schen  Condensator  verbunden  wird.  Wir 
haben  diese  Versuche,  wodurch  man  die  electrische 
Spannung  in  den  Organen  des  Zitterrochen  fühlbar  zu 
machen  suclit,  mit  Sorgfalt  und  unter  vielen  Abwechs- 
lungen wiederholt,  allein  jederzeit  ohne  Erfolg,  so 
dafs  dieselben  dasjenige  vollkommen  bestätigen,  was 
Hr.  Bonpland  und  ich,  während  unsers  Aufenthalts  im 
südlichen  Amerika,  hinsichtlich  der  Gymnoten  beobach- 
tet hatten. 

Die  electrischen  Fische  wirken ,  wofern  ihre  Kraft 
völlig  ungeschwächt  ist,  mit  gleicher  Stärke  unter  dem 
Wasser  und  in  der  Luft.  Diese  Beobachtung  hat  uns 
in  den  Stand  gesetzt,  die  leitende  Kraft  des  Wassers 
zu  prüfen,  und  wir  fandun,  dafs,  wenn  mehrere  Perso- 
nen die  Kette  zwischen  der  obern  und  untern  Fläche 
der  Organe  des  Zitterrochen  bilden,  die  Erschütterung 
nur  alsdann  fühlbar  wird,  wenn  jene  Personen  sich  die 
Hände  benetzt  haben.  Die  Wirkung  wird  nicht  unter- 
brochen, wenn  zwey  Personen,  die  mit  ihren  rechten 
Händen  den  Zitterrochen    halten,    statt   sich  einander 


320  B  HC  h     VL 

mit  der  linken  Hand  zu  fassen  ,  jede  ein  metallnes  Stab- 
chen in  einen  auf  einem  isolirenden  Körper  befindlichen 
Wassertropfen  einsenken,  \\  ird  der  Versuch  mit  einer 
JLiichtflanime  statt  des  Wassertropfens  gemacht,  so  ist 
die  JVlittheilung  unterbrochen,  und  sie  stellt  ^ich,  wie 
Leym  Cymnoten,  nur  dann  wieder  her,  wenn  beyde 
IVletallstäbchen  sich  im  Innern  der  Flamme  unmittelbar 
einander  berühren. 

Es  sind  uns  zuverlässig  die  Geheimnisse  der  electri- 
schen  Wirkung  der  Fische,  welche  durch  den  EinHufs 
des  Gehirns  und  der  Nerven  modificlrt  wird,  noch  lan- 
ge nicht  alle  enthüllt  5  allein  die  bisher  aufgezählten  Ver- 
suche thun  hinreichend  dar,  dafs  dir-se  Fische  durch 
eine  ferj/e///eElectriciti;t(el('Ctricite  dissimulee)  wirken, 
und  durch  electrische  Vorrichtungen  (appareils  electro- 
moleurs)  von  eigenthümlicher  Zusammepsetzung^  die 
mit  ausnehmender  Schnelligkeit  ihre  Ladungen  wieder- 
holen. Hr.  Volta  nimmt  an,  dafs  bey  den  Zitterrochen 
sowol  als  bey  den  Gymnoten,  die  Entladung  der  entge- 
gengesetzten Electricitäten  durch  ihre  eigene  Haut  ge- 
schieht, und  dafs  in  dem  Falle,  wo  wir  sie  nur  mit  der 
einen  Hand  oder  mittelst  einer  Metallspitze  berühren, 
wir  die  Wirkung  eines  Sc.ilenslofses  fühlen,  indem  die 
electrische  Strümunijr  ihre  Kichtung^  nicht  ausschlicfs- 
lieh  auf  dem  kürzesten  Wege  nimmt.  Wird  eine  Leyd- 
ner  Flasche  auf  ein  nasses  Tuch  gestellt,  Avelchos  ein 
schlechter  Leiter  ist,  und  wird  hierauf  die  Fla.-che  also 
entladen,  dafs  das  Tuch  in  dem  Bogen  einbegriffen  ist 
oder  dazu  gehurt,  so  zeigen  zugerichtete  und  in  ver- 
schiedener Entfernung  hingelegte  Frösche  durch  ihre 
Zusammen/iehungen,  dafs  die  Strömung  sich  auf  dem 
ganzen  Tuch  in  allen  möglichen  Hichtungen  verbrei- 
tet. Dieser  Analoi^ie  zufolge  wäre  der  stärkste  Schlag, 
Welchen  ein  Gymnote  in  die  Ferne  schleudert,    nur  ein 

schvva- 


Kapitel     XVII.  321 

sch\raclipr  Theil  desjenigen  Schl;iges,  der  das  Glrlcli- 
gewiclit  im  iniunen  des  Fi'^ches  herstellt.  *)  V'\  eil  der 
Gviiiiiole  seine  r  lüssigl.eil  nach  W  illkür  leitet,  so  niufs 
man  aucli  zugeben^  dafs  die  Entladung  nicht  gl  ich- 
zeitig über  die  ganze  Haut  erfolgt^  und  dafs  da«  gereizte 
Thier,  vielleiclit  mittelst  der  Absonderung  einer  in  ei- 
nen Theil  des  Zellgewebes  ergoesenen  Flüssigkeit,  die 
Verbindung  zwischen  seinen  Organen  und  diesem  oder 
jenem  Theil  seiner  Hauptfläche  willkürlich  anordnet. 
Es  ist  begreiflich  ,  dafs  ein  Seitenslofs  aufser  dem  Bogen 
unter  zwey  V^erliältnis^en  unmerklich  werden  niufs, 
nenn  entweder  die  Entladung  nur  sehr  schwach  war, 
oder  wenn  die  ßeschafienheit  und  die  Länge  des  Leiters 
ein  sehr  «rofses  Hindernifs  in  den  We^r  Ici'en.  Dieser 
Betrachtungen  unerachtet  kommt  es  mir  ilocli  nicht 
wenig  befremdlich  vor,  dafs  anscheinend  fe!;r  starke 
Ersoliütterungen    des  Zitterrochen  nicht    in   die   iriaud 


*3  Die  imgleicliarligen  Pole  der  doppellcn  elcctrisohon  Or- 
gtine  müssen  sich  in  jedem  Organe  vorfinden.  Hr.  Tolt  hat 
neuerlich  durch  Versuche,  die  an  ZiUcrrochen  vosn  Vorge- 
Lirgc  der  guten  HoHnui  g  angesleilt  wurden  ,  dorgelhan, 
dals  das  TJiier  auch  nach  der  Ausschneidung  des  einen  Or- 
ganes  forlfolu't,  starlie  ErschüUerungen  zu  gehen.  Hinge- 
gen wird,  imd  dieser  schon  von  Galvaui  erläuterte  Um- 
stand ist  von  der  gröfslen  Wichtigkeit,  jede  electrische  Wir- 
I<ung  zerstört,  theils  durch  eine  ansehnliche  Verletzung  des 
Hirns,  theils  durch  Zerschneidung  der  IVerven,  die  sich  in 
den  ßlättern  der  electrischen  Organe  verlheilen.  Im  letz- 
tem Fall ,  wo  die  INerven  ohne  üehirnverlelzung  zerschnit- 
ten sind,  lebt  der  Zilterroche  fort  und  übt  alle  .Muskulär - 
l)«wegungen  weiterhin  aus.  Ein  durch  allzuhnufige  eiectri'- 
sehe  Entladungen  ermüdeter  Fisch  erschien  ungleich  mehr 
leidend,  als  ein  anderer,  bcy  dem  man  durch  Zerschnei- 
dung der  IVerven  die  Verbindung  zwischen  dem  Gehirn 
und  den  electrischen  ßevvegungsorganen  unterbrochen  hatte. 
(^Fhilos.    Trans.  ^   1816,  P.  I.  p.    120.^ 

Al«^.  V.  Humboldts  hist.   Reisen.  IlL  2j 


321  Buch     VI. 

übergiengen,  wenn  eine  g-anz  dünne  Melallscheibe  zwi- 
schen die  Hand  und  den  Fisch  eingeschoben  war. 

Dr.  Schilling  halte  behauptet^  der  Gyinnole  nähere 
sich  unwillkürlich  dem  Magnet^  und  zu  unserm  Er- 
staunen hatte  auch  Hr.  Po/o  diese  Idee  angenommen. 
\^  ir  haben  auf  tausenderley  Arten  den  angeblichen 
Einflufs  des  Magnetes  auf  die  electrischen  Organe  ver- 
sucht, aber  nie  irgend  eine  Spur  davon  wahrgenom- 
men. Der  Fisch  näherte  sich  einem  Magnet  eben  so 
wenig  als  einer  unmagnetischen  Eisenstange.  Die  auf 
seinen  Kücken  gestreute  Elsenfeile  blieb  unbeweglich. 

Während  die  Gymnoten  ein  Gegenstand  der  Vor- 
liebe und  der  lebhaften  Theilnahme  der  europäischen 
Naturforscher  sind,  werden  sie  hingegen  von  den  Ein- 
gebornen  gefürchtet  und  verabscheut.  Es  gewährt 
zwar  ihr  Muskeifleisch  eine  ziemlich  gute  Nahrung; 
ctUein  das  electrische  Organ  macht  den  grüfsten  Theil 
ihres  Körpers  aus,  und  dieses  ist  schwammigt  und  hat 
einen  widrigen  Geschmack  5  auch  wird  es  sorgfältig 
vom  übrigen  Körper  getrennt.  Das  Daseyn  der  Gym- 
noten wird  bevnebens  für  die  Hauptursache  des  Man- 
gels der  Fische  in  den  Teichen  und  Sumpfwassern  der 
Llanos  angesehen.  Sie  tüdten  deren  gar  viel  mehrere, 
als  sie  verzehren,  und  die  Indianer  versicherten,  dafs, 
wenn  in  überaus  starken  Netzen  zu  gleicher  Zeit  jung« 
Crocodile  und  Gymnoten  gefangen  werden,  diese  nie 
eine  Spur  von  Verwundung  zeigen,  weil  sie  die  jun- 
gen Crocodile,  ehe  sie  von  ihnen  angegriffen  werden, 
dazu  aufser  Stand  setzen.  Alle  Wasserbewohner  fürch- 
ten die  Gesellschaft  der  Gymnoten.  Die  Eidechsen,  die 
Schildkröten  und  die  Frösche  suchen  Sumpfwasser  auf, 
wo  sie  vor  jenen  sicher  seyn  mögen.  In  der  Nähe  von 
Uritucu  mufste  die  Richtung  einer  Strafse  verändert 
werden,  -weil  die  electrischen  Aale  eines  Flusses    sich 


Kapitel     Xfll.  323 

dermafsen  vermehrt  hatten ,  dafs  sie  alljährlich  eine 
grofse  Anzalil  lasttragender  Maulthiere ,  die  den  Fluls 
durchwateten,  todt  schlugen. 

Obgleich  wir  uns  schmeicheln  dürfen,  beym  ge- 
genwärtigen Stand  unsrer  Kenntnisse  über  die  aufser- 
ordentlichen  Wirkungen  der  electrischen  Fische  eini- 
ges Licht  verbreitet  zuhaben,  so  bleibt  in  physischer 
und  physiologischer  Hinsicht  immer  noch  sehr  Vieles 
zu  untersuchen  übrig.  Die  glänzenden  Ergebnisse, 
welche  die  Chymie  durch  die  voltaische  Säule  erhalten 
hat,  nahmen  alle  Beobachter  in  Anspruch,  und  zogen 
für  eine  Weile  ihre  Aufmerksamkeit  von  den  Erschei- 
nungen der  Vitalität  ab.  Man  darf  hoffen,  diese  Phä- 
nomene, merkwürdiger  und  geheimnifsvoller  als  alle 
übrigen,  werden  jetzt  hinwieder  auch  ihrerseits  den 
Scharfsinn  der  Naturforscher  beschäftigen.  Diese  Hoff- 
nung mag  leicht  in  Erfüllung  gehen,  wenn  man  in  ei- 
ner der  grofsen  Hauptstädte  Europa's  dazu  gelangt, 
sich  neuerdings  lebendige  Gymnoten  zu  verschaifen. 
Die  Entdeckungen,  die  man  über  die  Vorrichtungen  der 
electrischen  Bewegungen  dieser  Fische,  welche  ungleich 
viel  kräftiger  "■'}  und  auch  leichter  lebend  aufzubewah- 


*)  Um  sich  mit  den  Erscheinungen  der  Ichendig-eH  electrischen 
Bcvvegiing^apparate  in  ihrer  ganzen  Einfachheit  veitrout  zu 
maclien  ,  und  lun  nicht  Umstände,  die  von  dem  versclücde- 
nen  Slärkegrad  der  Organe  abhängen,  für  allgemeine  Be- 
dingungen zu  nehmen  ,  müssen  zu  den  Versuchen  diejenigen 
electrischen  Fische  gehraucht  werden ,  die  man  am  leichte- 
sten aähmt.  Wären  die  Gvmnoten  unbekannt,  so  könnte 
man,  zufolge  der  mit  den  Zitterrochen  angestellten  Versu 
che,  glauben ,  dafs  die  Fische  ihre  Schläge  nicht  von  weitem 
her  schleudern,  durch  dichte  Wasserschichlen ,  oder  ohne 
Kette  ^  längs  einer  Eisenstange.  Hr.  Williamson  hat  leb- 
hafte Erschütterungen  verspürt,  wenn  er  nur  die  eine  Hand 
im  Wasser  Kjelt;    und  wenn  diese  Hundj  ohne  den  Gjnmo- 


324  Buch     VI. 

ren  sind  als  die  Zitterrochen ;,  machen  wird,  werden 
sich  über  alle  Erscheinungen  der  willkürlichen  Muskel- 
bevvegung  ausdeijnen.  Vielleicht  findet  sich's,  dafs  hey 
den  meisten  Thieren  einer  jeden  Zusanimenziehung' 
der  Muskelfieber  eine  Entladung  des  Nerv's  in  den  Mus- 
kel vorangeht;  und  daTs  die  einfache  Berührung  ver- 
schiedenartiger Substanzen  eine  Quelle  der  Bewegung 
und  des  Lebens  aller  organischen  Geschop/^e  ist.  Sollte 
wohl  ein  lebhaftes  und  geistreiches  V'olk^  die  Araber, 
schon  im  frühen  Alterthume  errathen  haben,  dals  eben 
die  Kraft,  Avelche  bey  Gewittern  das  Himmelsgewölbe 
entzündet,  auch  die  lebervdige  und  unsichtbare  Waffe 
der  Bewohner  der  Gewässer  ist?  Der  electrische  Fisch 
des  iNils  wird  in  Egypten  ,  wie  man  versichert,  mit  ei- 
nem iNamen  benannt,  der  den  Donnerstrahl  bezeich- 
net. *) 

Am  24- März  verliefsen  wir  die  Stadt  Calabozo,  ver- 
gnügt und  zufrieden  mit  unserm  Aufenthalt,  so  wie  mit 
unsera  Versuchen  über  einen  der  Aufmerksamkeit  der 


ten  zu  berühren,  sich  zwischen  diesem  und  dem  kleinen 
Fische  befand,  gegen  den  der  Schlag  in  zehn  oder  fünfzehn 
Zoll  Entfernung  gerichtet  war.  (_P/iil.  Trans. ,  T.  65 ,  p, 
99  u.  io8.)  War  der  Gymnole  geschwächt  ein  schlechtem 
Gesundheilszustand),  so  ward  der  Seitenstofs  nicht  verspürt, 
und  um  eine  Erschütterung  zu  erhalten,  mufste  eine  Kette 
gebildet,  und  der  Fisch  mit  beyden  Händen  zugleich  he- 
rujirt  werden.  Cavendish  hat  in  seinen  geistreichen  Ver- 
suciien  mit  einem  künstlichen  Zitteraal  diese  Verschieden- 
heiten ,  je  nachdem  die  Ladung  mehr  oder  weniger  stark 
war,  recht  gut  beobachtet.  (.Phii.  Trans.  1776,  p.  212.) 
*)  ylnnal.  du  Mus.^  T.  I,  p.  598.  Es  scheint  jedoch,  dafis 
zwischen  radhy  Donnerstrahl  ,  und  rahadd,  der  electrische 
Fisch,  unterschieden  werden  mufs ,  und  dafs  dies  letztere 
Wort  einzig  nur  etwas,  das  Zittern  macht-,  bedeutet.  (Silv. 
de  Sacy,  in  Abd.  AliatiJ.  p.   167.) 


Kapitel     XVIL  325 

Physiologen  80  würdigen  Gegenstand.  Ich  hatte  hey- 
nebens  auch  gute  Slernheohachtungen  erhallen,  und 
mit  Bcfi'emden  die  Bemerkung  gemacht ,  dafs  die  Feh- 
ler der  Charten  auch  hier  noch  auf  den  viprten  Theil 
eines  Breitegrades  ansteigen.  Vor  nur  hatte  hier  Nie- 
mand Bcobaclitungen  angestellt,  und  indem  die  Erdbe- 
schreiber,  wie  gewöhnlich,  dieKüstenahstiinde  im  Innern 
zu  grofs  annahmen,  wurden  alle  Standpunkte  unge- 
bührlich weit  nach  Süden  vorgerückt.  ^•') 


*)  Ich  fand  CalaLozo,  welches  auf  Arrovvsinith's  Charte  Cala' 
baco  heifst,  durch  Meridianliöhen  des  Canopus  auf  8°  56' 
8"  der  Breite  und  durch  Zeit-Uehei'trag  von  Caracas  auf 
70°  10'  40"  der  Länge,  das  will  sagen  0°  16'  56"  östlich 
von  Guacara ;  D'Anville  giebt  Calabozo  zu  8°  35'  an;  la 
Cruz  zu  8"  43.  (Siclie  meinen  Recnell  d'Obs.  Astr.^  Vol.I, 
p.  212.  2i5.)  Die  magnetisclie  Inclinalion  betrug  zu  Cala- 
bozo  58°,  5o  der  hundertth.  Scale.  Die  ISadel  halte  222 
Schwingungen  in  10'  Zeit,  zehn  Schwingungen  weniger 
als  in  Caracas.  Für  die  magnetische  Declination  erhielt  ich 
(am  18.  I\Iärz  1800)  4°  54'  10"  N.  0.  Die  Erhöhung  von 
Calabozo  über  der  Meeresfläche  ist  53  Toisen.  (Das  NU'el' 
lement  barometrique  giebt  irriger  Weise  gi  Toisen  an. 
Das  Tagebuch  lautete  ,,553  lin.  7  ,  aber  40  Fufs  über  dem 
Ilio  Guarico."  Die  Füfse  wurden  für  Toisen  genonnnen.) 
Ich  will  hier  folgende  Beobachtungen  miltheilen ,  welche  bis 
dabin  grofsentbeils  nicht  bekannt  gemacht  worden  sind.  In 
der  Hacienda  de  Cura  zeigte  mein  Barometer  um  5  U. 
(lootheil.  Therm.  27"  6)  53o  lin.  5:  in  Guacara  um  10  U. 
(Th.  25)  521  lin.  5;  in  IVueva  Valencia  um  14  U.  (Th.  26", 
4)  320  lin.  4:  in  Guigue  um  2  U.  (Th.  So",  5)  021  lin.  2* 
in  Villa  de  Cura  um  6  U.  (Th.  26a,  3)  3i7  lin.  6:  in  San 
Juan  um  1  U.  (Tli.  25",  2  cent.)  322  lin.  8;  in  Parapara 
um  23  U.  (Th.  37°,  2)  33i  lin.  5:  zu  Cayman  im  Llano 
um  14  U.  (Th.  28",  5)  33i  lin.  3:  in  Calabozo,  5  Toisen 
über  dem  Rio  Cuarico,  um  25  U.  (Th.  31°,  a)  535  lin.  7  ; 
zu  San  Geronimo  del  Guayaval ,  um  21  U.  (Th.  32°)  5  Toisen 
über  dem  Bio  Guarico  536  lin.  4 :  zu  San  Fernando  de  Apure, 


326  Buch     VI. 

Bevm  Vorrücken  im  südlichen  Theile  der  Llanos 
fanden  wir  den  Boden  staubigter,  von  Pflanzen  entblüfs- 
ter  und  durch  eine  anhaltende  Trockenheit  zerrissener. 
Die  Falmbäunie  verschwanden  nach  und  nach.  Der 
Wärmemesser  erhielt  sich  von  ii  Uhr  bis  zu  Sonnen- 
untergang- auf  34  oder  35  Grad.  Je  ruhiger  die  Luft 
aufs  oder  lo  Fufs  Hube  zu  seyn  schien,  desto  mehr 
wurden  wir  von  den  Staubwirbeln  eingehüllt,  welche 
die  kleinen  über  den  Boden  hin?treifenden  Luftzüge 
verursachen.  Gegen  vier  Uhr  Abends  trafen  wir  in 
der  Savane  ein  junges  indianisches  Mädcben  an.  Es 
war  völlig  nackt,  lag  auf  dem  Rücken  und  schien  nicht 
über  zwölf  oder  dreyzehn  Jahr  alt.  Müdigkeit  und 
Durst  halten  das  Kind  erschöpft j  Augen,  Nasenlöcher 
und  Mund  waren  mit  Staub  angefüllt,  sein  Athemholen 
röchelnd,  und  unsere  Fragen  konnte  es  nicht  beantwor- 
ten. Ein  umgestürzter  Krug,  zur  Hälfte  voll  Sand,  lag 
neben  ihm.  Zum  Glück  hatten  wir  ein  mit  Wasser  be- 
ladenes  Maulthier,  Durch  Waschen  des  Gesichts,  und 
durch  ein  wenig  Wein,  den  wir  das  Kind  zu  trinken 
nöthigten,  ward  es  aus  seinem  lethargischen  Zustand 
erweckt.  Anfangs  schien  es  erschrocken  über  die  vie- 
len Leute;  allmählig  aber  ward  es  ruhiger  und  sprach 
mit  unsern  Führern.  Der  Stellung  der  Sonne  nach 
glaubte  es  mehrere  Stunden  in  dem  Todesschlummer 
gelegen  zu  haben.  Es  wollte  durchaus  nicht  eines  un- 
serer Lastthiere  besteigen,  und  eben  so  wenig  nach  Uri- 
tucu  zurückkehren.     Es  hatte   in  einem  benachbarten 


5  Toisen  über  der  Wasserfläche  des.  Apure ,  um  sj  U.  (Th. 
3i*  4>  555  lin.  6.  Diese  Zahlen  liefern  Abiveichungen  der 
relativen  Höhe:  die  Correction  zur  Rcduction  des  Barome- 
ters auf  der  H*>he  der  IMeeresflache  zu  557  lin.,  8,  ist  nicht 
angewandt  worden.  Für  die  absoluten  Höhen  siehe  mein© 
Obj.  ajLr.^  Vol.  I,  p.  297  und  jCy. 


Kapitel     XVII.  327 

Meyerhofe  gedient^  und  war  von  seiner  Herrschaft  ver- 
abscliiedet  worden^  weil  es  in  Fol>^e  einer  überstande- 
nen  langen  Krankheit  zur  Arbeit  minder  brauchbar 
erachtet  ward.  Unser  Bitten  und  Drohen  w.ir  vergeb- 
lich: für  Leiden  unempfindlich,  wie  die  übrigen  Glieder 
seines  Stammes,  und  mit  der  Gegenwart  einzig  nur  be- 
schäftigt, ohne  künftige  Gefahren  zu  fürchten,  beharrte 
CS  auf  dem  Entschlufs  ,  sich  in  eine  der  indischen  Mis- 
sionen in  der  Nähe  von  Calabozo  zu  begeben.  Wir 
reinigten  seinen  Krug  vom  Sand  und  füllten  ihn  mit 
Wasser.  Das  IVIädchen  setzte  seinen  We^  in  den  Step- 
pen fort,  noch  ehe  wir  wieder  zu  Pferd  safsen,  und 
bald  hatte  uns  eine  Staubwolke  von  ihm  getrennt. 

In  der  Nacht  setzten  wir  über  den  Rio  Uritucu  *^ 
durch  die  Furt;  der  Flufs  enthält  ein  zahlreiches,  seiner 
W^ildheit  wegen  sehr  merkwürdiges  Crocodilgesclilecht, 
Man  rieth  uns,  die  Hunde  nicht  aus  dem  Strome  trinken 
zulassen,  weil  öfters  geschieht,  dafs  die  Crocodile  des 
Uritucu  aus  dem  Wasser  hervorkommen  und  die  Hunde 
am  Gestade  verfolgen.  Diese  Kühnheit  ist  um  so  auf- 
fallender, als  die  Crocodile  des  Rio  Tisnao,  in  einer 
Entfernung  von  nicht  mehr  als  sechs  Meilen,  ziemlich 
furchtsam  und  wenig  gefährlich  sind.  Die  Sitten  der 
Thiere  wecliseln  bey  der  gleichen  Art,  nach  Maisgabe 
Örtlicher  schwer  auszumittelnder  Verhältnisse.  Man 
zeigte  uns  eine  Hiitte  oder  vielmehr  eine  Art  Ueberdach 
(hangard),  worin  unser  Wirth  von  Calabozo ,  Don  Mi- 
guel Cousin,  Zeuge  eines  ganz  aufserordentlichen  Vor- 
falls gewesen  war.  In  Gesellschaft  eines  seiner  Freunde 
und  auf  eine  mit  Leder  überzogene  Bank  gelagert,  hatte 
er  hier  die  Nacht   zugebracht,    als   er  früh  Morgens. 


•)  Fasso  de  Uritucu,. 


328  Buch     VI. 

durcli  heftige  Stöfse  und  einen  farclitbarPn  Lärm  ge- 
weckt ward.  Erdschollen  wui'den  bis  mitlen  in  die 
Hültf  frp^chleudert.  Bnld  !<am  ein  jungesj  zwey  bis 
drev  Fufs  langes  Crocoilil  unter  dem  Bett  hervor,  warf 
sich  auf  einen  an  di^r  Thürschwelle  liegenden  Hund, 
verf<'hlte  ihn  im  Ungestüm  seine?  Sprung;.' s  und  (loh 
dann  gegen  das  Ufer^  um  den  Flufs  zu  erreichen.  Bey 
Ansicht  der  Stelle^  wo  die  harbacoa  ,  odfr  Schlafstätte 
errichtet  war,  konnte  man  sich  die  Ursache  des  seltsa- 
men Vorlalls  leicht  erklären.  Der  Boden  war  in  be- 
trächtlicher Tiefe  aufgewühlt.  Er  he  tunrl  aus  trock- 
nem  Schlamm,  welcher  das  Crocodil  in  dem  lothargi- 
schim  Zuitand  oder  Sommerschlaf  (sommeil  d'ete)  be- 
graben halte,  den  manche  Individuen  dieser  Art,  mit- 
ten in  den  Llanos ,  in  der  Jahrszeit,  wo  kein  Regen 
fällt,  erleiden.  Der  Lärm  von  iMeiischen  und  Pferden, 
vielleicht  auch  der  Geruch  des  Hundes,  hatte  das  Thier 
aus  seinem  Schlummer  erweckt.  Die  Stätte,  wo  das 
Ueherdach  errichtet  ward,  befand  sich  zunächst  bev 
einer  Lache,  und  sie  selbst  stund  einen  Thcil  des  Jahres 
durch  unter  Wass.er,  das  Crocodil  hatte  sich  vermutb- 
lich zur  Zeit  der  Ueberschuemmung  der  Savane  durch 
die  nämliche  Oeffnung  in  den  Boden  verdenkt,  aus  der 
Hr.  l'ozo  es  hervorkommen  sah.  Don  Indianern  wider- 
fährt nicht  selten,  dafs  sie  grofse  JBoaSj  welche  von 
ihnen  Lyt  genannt  werden,  oder  IT'asserschlaii^en;,  '"') 
in  ähnlichem  Zustande  von  Erstarrunij  antreffen.  Um 
diestlhen  zu  beloben,  müssen  sie,  sagt  man,  gereizt 
oder  mit  Wasser  begossen  werden.  Die  Boaschlange 
■wird  i^etüdlet,  um  durch  Fäulung  im  fliefsenden  V.'as- 
ser  die  Sehnentheilc  ihrer  Rückenmuskeln  zu  erhalten. 


*"_)  Culebras  de  agua,   Traga-Venado  (der  Hirsche  verschlingt). 
Das  Wort  UjL  ist  tamanalsiich. 


Kapitel     XVIL  329 

U'oraus  in  Calaho/.o  vorlreffliche  Guitarrftn -Saiten  ver- 
fertigt werden,  die  man  den  aus  den  Därmen  der  Alo- 
naten-Aft'en  bereiteten  vorzieht. 

Wir  sollen  hier,  dnfs  in  den  J^Ianos  Trocl<enheit 
tind  Wärme  auf  Thiere  und  Pflanzen  gloichmäfsig  wir- 
ken wie  die  Kälte.  Axifser  den  Wendekreisen  verlieren 
die  Bäume  in  sehr  trocKner  Luft  ihre  Blätter.  Die 
Reptilien,  vorzüglich  die  Crocodile  und  die  Riesen- 
schlange, mögen  hey  ihrer  ausnehmend  trägen  Natur 
die  Becken,  worin  sie  zur  Zeit  der  grofsen  Ueberschvvem- 
jnunii^en  Wasser  fanden,  nicht  gern  verlassen.  So  wie 
die  Lachen  allm'ählig  austrocknen,  vertiefen  diese  Thiere 
sich  im  Schlamm,  um  den  Grad  der  Feuchtigkeit  zu 
finden,  der  ihren  Hautdecken  Biegsamkeit  gewährt.  In 
diesem  Zustand  der  Ruhe  gehen  sie  in  Erstarrung  üherj 
sie  müüfen  vielleicht  noch  einig-e  V^erhinduns'  mit  der 
äufseren  Luft  unterhalten  5  und  wie  gering  diese  auch 
ist,  mag  sie  dem  Athemholen  eines  Saurus  (Thiere  der 
Eidechsenfamilie)  genügen,  der,  mit  überaus  grofsen  Lun- 
gensäcken versehen  ,  keine  Muskelbewegungen  macht, 
und  in  dem  auch  beynahe  alle  Lebensbevvegungen  un- 
terbrochen sind.  *)  Wahrscheinlich  beträgt  die  mitt- 
lere \"\  arme  des  vertrockneten  und  demEinflufs  der  Son- 
nenstrahlen ausgesetzten  Schhimmes  über  40°.  Als 
das  nördliche  Egypten,  wo  die  Temperatur  des  kälte- 
sten Monats  **)  immer  i3°}  4  beträgt,  noch  Crocodile 
ernährte,  sah  man  diese  öfters  von  Frost  erstarrt.  Sie 
waren  einem  J^VinterscIilaJ  unterworfen,    wie  bey  uns 


*)  Siehe  meine  VersucJje  über  das  Athemholen  der  jungen  Cro- 
codile in  den  Obs.  de  Zoologie.,  T.  I,  p.  258. 

*)  Es  ist  dies  die  mittlere  Temperatur  vom  Monat  Februar  in 
Cairo,  unter  jo"  2'  der  Breite:  gegen  Theben  hin  ist  die 
Abnahme  der  Temperatur ,  wie  leicht  zu  erachten ,  geringer. 


33ö  Buch     FL 

Frösche  und  Salamander,  Uferschwalben  und  Murmel- 
thiere.  Wenn  das  winterliche  Erstarren  gleichmäfsig 
l>ey  Tliieren  von  warmem  und  kaltem  Blut  vorkommt, 
so  wird  man  es  weniger  auftauend  finden,  dafs  diese 
fceyden  Classen  hinwieder  auch  Beyspiele  des  Sommer- 
Schlafes  darbieten.  Wie  die  Crocodile  des  südlichen 
America,  so  verleben  auch  die  Tenrecs  *)  oder  mada- 
gascarischen  Igel,  mitten  in  der  h'eifsen  Zone,  drey  Mo- 
nate des  Jahrs  im  lethargischen  Zustande. 

Am  25.  März  kamen  wir  durch  den  ausgezeichnet 
ehenen  Theil  der  Steppen  von  Caracas,  die  Riesa  de 
Pavones ,  auf  welcher  gar  keine  Corypha  oder  Muri- 
che  Palmen  angetroffen  werden.  So  weit  das  Auge 
reicht,  erblickt  man  keinen,  auch  nur  fünf  Zoll  hohen 
Gegenstand.  Die  Luft  war  rein  und  die  Farbe  des  Him- 
mels sehr  dunkelblau,  aber  am  Horizont  sah  man  den 
Wiederschein  eines  blassen  und  gelblichten  Lichtes, 
ohne  Zweifel  als  Wirkung  des  in  der  Atmosphäre  schwe- 
tenden  Sandes.  Es  begegneten  uns  zahlreiche  Vieh- 
heerden  und  in  ihrem  Gefolg  Schwärme  von  schwarzen 
in's  Olivenfarbe  spielenden  Vögeln,  die  der  Gattung 
Crotophaga  angehören.  Wir  haben  dieselben  öfters 
«uf  dem  Rücken  der  Kühe  sitzend  gesehen,  wo  sie 
Bremsen  und  andere  Insecten  aufsuchen.  **)  Gleich 
mehreren  Vögeln  dieser  Einöden  scheuen  sie  die  Nähe 
der  Menschen  so  \yenig,  dafs  die  Kinder  solche  zuwei- 
len mit  der  Hand  fangen.  In  den  Thälern  von  Aragua, 
wo  sie  in  Menge  vorkommen  ,    setzten  sie  sich  auf  un- 


*)  Centenes,  Illiger  (Erinaceus  ecaudatus,  Lin.). 

**)  Die  spanisrhen  Colonisten  nennen  den  Crotophaga  Ani  Za- 
murito  (kleiner  Vultur  aura)  oder  Garapalero  ^   der  Gara- 
-putas  speist  t  Insekten  aus  der  jMilbeu- Familie. 


Kapitel    XVn.  33i 

sere  Hängemallen,   während  wir  am  hellen  Tag  darin 
rubelen. 

Zwischen  Calabozo,  Uritucu  und  der  Riesa  de 
Pavones  erkennt  man  überall,  nvo  Menschenhände 
einige  Fufs  tief  die  Erde  öftneten,  das  geologische  Ver- 
hältnifs  der  Ljlanos.  Eine  Bildung  von  rothem  Sand- 
stein *■)  (oder  altem  Conglomerat)  dehnt  sich  über  meh« 
rere  tausend  Geviertmeilen  aus.  Wir  werden  sie  in  der 
Folge  iji  den  weiten  Ebenen  des  Amazonenstroms,  am 
östlichen  Ende  der  Provinz  Jaen  de  Bracumoros  wieder 
antreffen.  Diese  ungeheure  Ausdehnung  des  rothert 
Sandsteins  in  den  Niederungen,  die  sich  auf  der  Ostseile 
der  Anden  befinden,  ist  eine  der  merkwürdigsten  Er- 
scheinungen, welche  mir  das  Studium  der  Gebirgsar- 
ten  in  den  Aequinoctialländern  dargeboten  hat. 

Der  rothe  Sandstein  in  den  L/lanos  von  Caracas 
findet  sich  in  mnldenjörmiger  Liagerung  **)  zwischen 
den  Urgebirgen  des  Küstenlandes  und  denen  von  la  Pa- 
rime.  JNürdlich  scliliefst  er  sich  den  Uebergangsschie-  \ 
fern  an;  **'*)  südwärts  ruht  er  unmittelbar  auf  den  Gra- 
niten des  ürenoko.  Wir  fanden  darin  abgeründeto 
Bruchstücke  von  Quarz,  von  Kieselschiefer  und  vom 
lydischen  Stein,  die  durch  einen  eisenhaltigen  braun- 
licht -  olivenfarbenen  Thon  verkittet  sind.  Es  ist  völlig 
die  nämliche  Formation  wie  das  tote  Liegende  in  Thü- 
ringen. Der  Kitt  hat  zuweilen  eine  so  hellrothe  Farbe, 
dafs  die  Landbewohner  darin  Zinnober  zu  sehen  glau- 
ben.    In  Calabozo  machten  wir  die  Bekanntschaft  eine$ 


•)  Rothes  totes  Liegende  oder  ältester  Flötzsandstein  der 
ScJiule  von  Preyberg;  Poudingue  psammitique  der  Herr«! 
Brongniard  und  Binard. 

'*)  Gisement  concafe. 

'*)  Zu  Malpasso  und  Piedras  Azules.  Siehe  oben  Kap.  17.  S.  >St. 


33i  B  u  c  h     VI, 

Kapuziner -Mönchs,  der  sich  viele  vergehliche  Mühe 
gegeben  hatte,  um  Quecksilber  aus  diesoin  rothen  Sand- 
stein zu  gewinnen.  In  der  JMesa  de  Paja  enthält  diese 
Gebirgsart  Lagen  eines  andern  quarzichten  und  sehr 
feinkörnigen  Sandsteins:  ni^hr  S'idwärts  enthält  dieselbe 
braune  Eisenmassen  und  Bruchstücke  von  versteinertem 
Holz  au^  Gewächsen  der  Monocotyledonen -Familie ; 
dagegen  fanden  wir  keine  Cpnchylien  darin.  Der  rothe 
Sandstein,  welchem  die  J^laneros  Aen  IN  amen  Piedras 
de  arrecifes  *)  geben,  ist  allenthalben  mit  einer  Thon- 
schichtc  bedeckt.  An  der  Sonne  verhärtet  und  ausge- 
trocknet, spaltet  sich  dieser  Thon  in  einxelne  pi'ismati- 
sche,  fünf-  oder  sechsseitige  Stücke.  Gehört  jene  viel- 
leicht zur  Trapp -Formation  von  Parapara?  Es  wird 
dieselbe  dicker  und  mit  Sand  vermengt,  nach  Mafsgabe, 
wie  man  dem  Rio  Apure  näher  kommt:  denn  in  der 
Gegend  von  Calabozo  beträgt  ihre  Dicke  eine  Toise, 
und  in  der  Gegend  der  Mission  von  Guayaval  fünf  Toi- 
sen,  welches  auf  die  Vermuthung  führen  könnte,  es 
seyen  die  Lager  des  rothen  Sandsteins  südwärts  gesenkt. 
In  der  JMesa  de  Pavbnes  haben  wir  kleine  INester  von 
blauer  Eisenerde  **)  im  Thon  zerstreut  angetroffen. 

Ueber  dem  rothen  Sandstein  lagert,  zwisclien  Tis- 
nao  und  Calabozo,  ein  dichter,  grauweilser  Kalkstein, 
welcher  im  Bruche  glatt  und  der  Formation  von  Ca- 
ripe y  =••'•'*)  mithin  auch  derjenigen  des  Jura  sehr  ähn- 


•)  Pierre  de  ricage,  oder  d'ecnpüs;  Ufer-  oder  Klippen -Steint. 

**)  Fer  azuri^  fer  phosphale  bleu. 

•**)  Siehe  oben  Th.  2.  Kap.  6,  S.  gj;  Kap.  8,  S.  149;  Kap.  11, 
S.  5i5.  Enthält  diese  Formation  von  Secondar  -  Kalkstein  der 
l<!anos  Bieyglanz?  Man  findet  solchen  in  den  schwarzen  Mer- 
gel-Lagern von  ßarhacoa.  zwischen  Truxillo  und  Barquesi- 
meto,  auf  der  IS'ordweslseite  der  Llanos. 


Kapitel    XVII  333 

lieh  ist;  an  mehreren  andern  Stellen,  C^um  Beyspiel 
in  dei"  Mesa  de  San  Diego,  und  zwischen  Ortiz  und 
der  ^lesa  de  Paja  '"'))  triflfl  man  üher  dem  Kalkstein 
blättrigen  mit  Mergellagern  wechselnden  Gyps  an. 
Dieser  wird  in  bedeutender  Menge  nach  Caracas  **)  ffe- 
sandt,  welches  mitten  im  Urgehirge  liegt. 

Es  findet  sich  dieser  Gyps  meist  nur  in  kleinen 
Vorräthen  (depots)  und  er  ist  mit  vielfasiigem  Gyps 
vermischt.  Sollte  er  der  nämlichen  Formation  angehö- 
ren wie  derjenige  von  Guire,  auf  der  Küste  von  Paria, 
welcher  Schwefel  enthält?  oder  gehören  die  im  Thale 
von  Buen- Pastor  und  an  den  Gestaden  vom  Orenoko 
vorkommenden  Massen  dieses  letzteren,  mit  dem  tho- 
nichlen  Gyps  der  L,lanos ,  einem  Secondar- Boden  von 
viel  neuerem  Ursprünge  an.  *'-'^')  Diese  Fragen  sind 
für  das  Studium  des  verhültnifsmäfsigen  Alters  der 
Gebirgsarten,  dieser  Hauptgrundlage  der  Geognosie, 
von  grofser  Wichtigkeit.  Es  sind  mir  keine  Bildungen 
salzsaurer  Soda  in  den  Ltlanos  bekannt.  Das  Hornvieh 
gedeiht  hier  ohne  jene  berühmten  hareros ,  oder  das 
salzigte  Erdreich,  welches  in  den  Pampas  von  Buenos- 
Ayres  so  häufig  vorkommt. 

Nach  langer  ohne  irgend  eine  Spur  von  Weg  fort- 
gesetzter Wanderung  durch  die  öden  Savanen  der  Mesa 
de  Pavones  wurden  wir  sehr  angenehm  durch  eine 
abgesonderte  Meyerey  überrascht,  welche  Hato  de 
Atta  Gracia  heilst,    und  mit  Gärten  und  klaren  Was- 


*)  Auch  in  der  Gegend  von  Cachipe  und  San  Juacquim ,  in  den 
Llanos  von  Barcelona. 

**)  Dieser  Handel  geschieht  von  Parapara  aus.      Eine  Ladung 
von  8  arobas  wird  in  Caracas  mit  24  Piaster  Lezahlt. 

*»*)  Siehe  oben  Th.  I,  Kap.   3,   S.  269  j   Th.  II,  Kap,  6,  S.  Sjj 
Th.  3.  Hap.  14. 


334  Bach     VL 

serbecken  versehen  ist.  Hecken  vom  ^t«c?«rffc-Strauch 
umgaben  mit  Früchten  beladene  Gruppen  des  Icaco- 
Pflaumbaums.  Die  JNacht  brachten  wir  in  der  Nähe  des 
kleinen  Dorfes  San  Geronymo  dcl  Guayaval  zu,  das 
durch  Kapuziner -Missionare  gegründet  ward.  Es  Hegt 
nahe  am  Ufer  des  Kio  Guarico,  welcher  si  h  in  den 
Apure  ergiefst.  Ich  besuchte  den  Geistlichen,  welcher 
einstweilen  in  der  Kirche  >Vohntc,  weil  noch  kein  Pfarr- 
hof erbaut  war.  Der  junge  Mann  empfieng  uns  mit  zu- 
vorkommender Gefälligkeit,  und  gab  über  alles,  was  ich 
^vün?chte,  Auskunft.  Sein  Dorf  oder,  um  den  unter 
den  Mönchen  üblichen  Namen  zu  gebrauchen,  seine 
Mission  war  ein  schwieriges  Amt.  Ihr  Stifter,  welcher 
kein  Bedenken  getragen  hatte,  eiue  pulperia  für  seinen 
iVutzen  zu  errichten,  das  will  sagen,  in  der  Kirche  selbst 
Pisangfrüchte  und  Guarapo  zu  verkaufen,  war  in  der 
Auswahl  seiner  neuen  Colonisten  mit  eben  so  wenig 
Vorsicht  zu  Werke  gegangen.  Viele  Landstreicher  aus 
den  Lilanos  hatten  sich  in  Guayaval  angesiedelt,  weil 
die  Bewohner  der  Missionen  sich  dem  weltlichen  Rich- 
ter entziehen  können.  Hier,  wie  in  Neu-Holland,  darf 
man  sich  nur  von  der  zweyten  oder  dritten  Geschlechts- 
folge gute  Colonisten  versprechen. 

Wir  setzten  über  den  Bio  Guarico,  und  biwackteix 
in  den  Savanen  südwärts  von  Guayaval.  Sehr  grofsa 
Fledermäuse,  die  ohne  Zweifel  zur  Familie  der  Fhyl- 
lostomen  gehören,  schwärmten  wie  gewöhnlich  einen 
guten  Theil  der  Nacht  über  unsern  Hängematten.  Man 
glaubt  jeden  Augenblick,  sie  werden  sich  aufs  Gesicht 
anklammern.  Früh  Morgens  setzten  wir  unseren  Wog 
durch  niedriges  und  öfters  überschwemmtes  Land  wei- 
ter fort.  Zur  Regenzeit  kann  man  zwischen  dem  Gua- 
rico und  dem  Apure  wie  über  einen  See  im  Kahne  fah- 
ren.   Ein  Mann,   welcher  alle  Meyereyen  (^hatos)  der 


Kapitel    XVIJ.  335 

Lilanos  besucht  hatte ,  um  Pferde  zu  kaufen  .  ward  un- 
ser Begleiter.  Er  hatte  für  looo  Pferde  2200  Piaster 
bezahlt.  Die  Preise  *)  werden,  wie  leicht  zu  erachten, 
niedriger  bey  beträchtlichen  Ankäufen.  Am  27.  März 
trafen  wir  in  der  Filla  de  San  Fernando  ein,  die  der 
Hauptort  der  Kapuziner-Missionen  in  der  Provinz  Va- 
rinas  ist.  Es  war  dies  das  Ziel  unserer  Heise  auf  deni 
/lachen  Land,  denn  die  drey  Monate  April,  May  und 
Juny  brachten  wir  auf  den  Strumen  zu. 


Achtzehntes    Kapitel. 

San  Fernando  de  Apure.   —      Venehlingangen  und  Gabeltheilungen  der 
Strömt  von  ylpure  und  Arauea.   —      Schiffahrt  auf  dem  Rio  Apure. 


Die  Namen  der  grofsen  Ströme  des  Apure,  Paya- 
ra,  Arauea  und  Meta  waren  bis  zur  zweyten  Hälfte  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  in  Europa  beynahe  gar  nicht 


*)  In  den  Llanos  von  Calabozo  und  Guayaval  wird  ein  jnnger 
Ochse  von  2  bis  5  Jahren  mit  einem  Piaster  bezahlt.  Ein 
verschniltner  (das  Verfahren  ist  im  sehr  heifsen  Klima  mit 
bedeutender  Gefahr  verbunden)  kostet  5  bis  6  Piaster.  Eine 
an  der  Sonne  getrocknete  üchsenhaut  gilt  dritthalb  Reales  de 
plata  Ci  peso  :==  8  reales);  ein  Huhn  2  Reales  5  ein  Schaf  in 
ßarquesimefo  und  Truxillo ,  denn  ostwärts  von  diesen  Städten 
giebt  es  keine  mehr,  3  Realen.  Da  diese  Preise  sich  nolh- 
wendig  verändern  werden,  im  Verhäitnifs  der  ansleigendon 
Bevölkerung  der  spanischen  Colonien,  schien  es  mir  der  Mühe 
werlh,  Angaben  hier  aufzuzeichnen,  die  in  der  Folge  staats- 
wirth?ohaftlicheii  Unternehmungen  zum  Grund  gelegt  werden 
können. 


336  B  u  c  h     VI. 

Bekannt;  weniger  noch  denn  in  den  zwey  vorlierj^e- 
gangonen  Jahrhunderten,  als  der  tapfere  Filipe  de  Urre 
und  die  Eroherer  von  Tocuvo  die  i^lanos  durciizogen, 
um  jenseits  des  Apure  die  grofse  Stadt  vom  Dorado 
und  das  reiche  Land  der  Oineguas,  das  Tombouctou 
des  neuen  Festlandes,  aufzusuchen.  So  kühne  Unter- 
nehmungen mochten  nur  unter  dem  Schulze  von  Kriegs- 
rüstungen ausgeführt  werden.  Auch  wurden  die  Waf- 
fen, welche  nur  zum  Schutze  der  neuen  Colonislen 
dienen  sollten,  aHezeit  gegen  die  unglückliclien  Lan- 
deseingebornen  gebraucht.  Als  den  Zt-ilen  der  Ge- 
■waltthätigkeit  und  gemeiner  Noth  friedlichere  Zeiten 
gefolgt  waren,  bemächtigten  sich  zwey  ausgezeichnete 
Indianer -Stämme,  die  Cabresen  und  die  Cariben  vom 
Orenoko,  der  nämlichen  Landschaft,  welche  die  Con- 
quisladores  früher  verwüstet  halten.  Von  da  an  durf- 
ten nur  noch  arme  Mönche  südwärts  in  den  Steppen 
vordringen.  Eine  unbekannte  Welt  öffnete  sich  iSierL 
spanischen  Colonislen  jenseits  des  Uritucu,  und  die  Ab- 
kömmlinge der  muthigen  Krieger,  welche  ihre  Erobe- 
rungen von  Peru  bis  an  die  Küsten  von  Neu- Granada 
und  zur  Ausmündung  des  Amazonenslroms  ausgedehnt 
hatten,  kannten  die  Wpge  nicht,  welche  von  Coro  zum 
Bio  Mela  führen.  Das  Küstenland  von  Venezuela  blieb 
abgesondert,  und  die  langsamen  Eroberungen  der  Je- 
suiten-Missionare waren  nur  längs  den  Ufern  des  Ore- 
noko mit  Erff  lg  begleitet.  Diese  Ordensmänner  waren 
bereits  über  die  grofsen  Cataracten  von  Atures  und 
Maypuros  vorgedrungen,  als  die  andalusischen  Kapu- 
ziner kaum  noch  von  der  Küste  und  aus  den  Thälern 
von  Aragua  in  die  Ebenen  von  Calabozo  gelangt  wa- 
ren. Ein  solcher  Abstich  dürfte  sich  wohl  schwerlich 
aus  der  verschiedentlichen  Einrichtung  und  Verfahrens- 
weise beyder   Mönchsorden   erklären    lassen  3    die  Be- 

schaf- 


Kapitel     XVIIL  33? 

ScliafTenlieit  des  Landes  ist  es  vielmehr^  welclie  den 
sclmolleren  oder  langsainerei^  Erfolg-  der  Missionen 
zunächst  bopründ;-t.  Sie  rücken  im  Innern  des 
Lfin(!e<,  in  Ber^^egenden  odnr  Stoppen,  überall,  wo 
sie  nicht  längs  einem  Flusse  ihren  Weg-  nehmen  kön- 
nen ,  nur  langsam  vor.  Man  begreift  kaum ,  wie  es 
gescheljen  konnte,  dafs  die  Stadt  San  Fernaüdo  de  Apu- 
re .  die  in  gerader  Hichtung  nicht  über  5o  Meilen  von 
dem  am  frühesten  bewohnten  Küstenort  von  Caracai 
entfernt  liegt,  erst  im  Jahr  1789  gegründet  ward.  Es 
ward  uns  eine  pergamentne  Ui  künde  gezeigt,  voll  schö- 
ner Malereyen,  welche  die  Stiftung  (privilege)  der  klei-' 
nen  Stadt  enthielt.  Sie  war  auf  das  Gesuch  der  Mön- 
clse  a\is  Madiit  eingetroffen,  als  nur  nocli  wenige  Kohr- 
büttenein  grofses,  in  der  Mitte  des  Fleckens  aufgerich- 
tetes Kreuz  umgaben.  Weil  den  Missionarien  und  den 
Wrlllichfn  Vorstehern  gleichmäfsig  daran  gelegen  istj 
üliertriebene  Vorstellungen  von  dem  Erfolg  ihrer  Be- 
mühungen für  die  Cultur  und  Bevölkerung  der  jenseits 
des  Meeres  gelegenen  Provinzen  in  Europa  geltend 
zu  machen,  so  geschieht  öfters,  dafs  die  Namen  von 
Städten  und  Dörfern  geraume  Zeit,  ehe  diese  noch 
vorhanden  si'id,  in  die  Verzeichnisse  der  neuen  Ervoer' 
bimsten  aufgenommen  werden.  Es  wird  Anlafs  geben, 
an  den  Gestaden  des  Orenoko  und  des  Cassiquiare  Er- 
wähnung von  solchen  zu  machen,  die  eine  lange  Zeit 
l)indurcii  zwar  beabsichtigt  warert  ,  niemals  aber  zum 
Daseyn  gekommen  sind,  aufser  auf  den  in  Rom  und  zu 
Madrit  gestochenen  Charten  der  Missionen. 

Die  Lage  von  San  Fernando  &n  einem  grofsen 
schifFljaren  Strom,  nahe  an  der  Ausmündung  eines  an- 
deren Flusses,  der  die  ganze  Provinz  Varinas  durch- 
läuft, ist  dem  Handel  ausnehmend  günstig.  Die  sämmt- 
liclien  Erzeugnisse  dieser  Provinz,  ^  Häute ,  Cacao^ 
Altx.  V.  fiitmboldti  bist    Btistn.  Uh  32 


^38  Such     VI. 

Baumwolle  und  Indigo  von  Mijagual,  welcher  vom  be- 
sten Gehalt  ist,  gelangen  durch  diese  Stadt  an  die  Mün- 
dungen des  Orenoko.  Während  der  Regen/.eit  kommen 
grofse  Fahrzeuge  von  Angostura  bis  San  Fernando  de 
Apure  und  auf  dem  Rio  Santo  Domingo  bis  nach  To- 
runos  in  den  Hafen  der  Stadt  Varinas.  Gleichzeitig 
wird  die  Landschaft  in  einer  Ausdehnung  von  400  Ge- 
viertmeilen durch  Ueberschwemmungen  der  Flüsse, 
welche  ein  Labyrinth  von  Verilecatungen  zwischen 
dem  Apure,  dem  Arauca,  dem  Capanapuro  und  dem 
Sinaruco  bilden,  unter  Wasser  gesetzt.  Hier  ist  die 
Stelle,  wo  der  Orenoko  seine  Richtung  ändert  und  nicht 
durch  anstehende  Berge,  aber  durch  die  Erhöhung  der 
Gegenhänge  seinen  Lauf  östlich  nimmt,  statt  die  frühere 
Richtung  in  derjenigen  eines  Meridians  zu  verfolgen. 
Betrachtet  man  die  Oberfläche  des  Erdballs  als  ein  aus 
verschiedentlich  geneigten  Flächen  gebildetes  Polye- 
dron,  *)  so  ergiebt  sich  schon  aus  der  blofsen  Ansicht 
der  Charten,  dafs  zwischen  San  Fernando  de  Apure, 
Cavcara  und  der  Ausmündung  des  Meta,  der  Durch- 
schnitt dreyer  gegen  JNorden,  gegen  Westen  und  Sü- 
den **)  aufsteigender  Abhänge  eine  bedeutende  Vertie- 
fung zur  Folge  haben  mufste.  Die  Savanen  werden  in 
diesem  Becken  mit  zwölf  bis  vierzehn  Fufs  Wasser  be- 
deckt, und  sie  stellen  in  der  Regenzeit  das  Bild  eines  gro- 

*)  Siehe  die  Abhandlung^  über  die  Kunst  der  Canal  •  Zeichnun- 
gen von  den  Herreu  Dupuis-Torcv  und  Brissot,  im  Journal 
de  l'F.cole  poh  techaique  ,  Tom.  VII ,  p.  265. 
**)  Die  Erhöhungen  gegen  IN'orden  und  gegen  Westen  schliefsen 
«ich  in  znev  Giebel-Linien  ^  den  Bergen  von  Villa  de  Cura 
und  von  Merida  an.  Die  dritte  von  INorden  nach  Süden  ge- 
richtete .Senkung  ist  diejenige  der  Erdzunge  zwischen  dem  An- 
den-G^birg  und  der  Kette  von  Parime.  Sie  bestimmt  die  all- 
gemeine ISeigung  des  Orenoko  von  der  Mündung  desGuaviare 
bi«  zu  derjenigen  des  Apure. 


Kapitel     XFIII,  339 

fsen  Sees  dar.  Die  Dürfer  und  Meyereyen,  welch* 
auf  liüheren  Standpuncten  erbaut  sind,  heben  sich  kaum. 
2  oder  3  Fufs  über  der  WasserHäche.  Alles  erinnert 
hier  an  die  Ueberschwemniungen  von  Unter- Egypten 
und  von  der  Laguna  de  Xarayes,  welche  einst  in  den 
Erdbeschreibungen  so  berühmt  war,  obgleich  sie  nur 
einige  Monate  im  Jahr  Bestand  hat.  Die  Anschwel" 
lungen  der  Ströme  des  Apure  ,  des  Meta  und  dei 
Orenoko  sind  gleichfalls  periodisch.  Die  Pferde,  wel- 
che in  der  Savane  wild  leben,  und  beym  Eintritt  der  Re- 
genzeit nicht  schnell  genug  die  Plateaus  oder  erhüheten 
Ebenen  der  JLlanos  erreichen,  gehen  bey  Hunderten 
zu  Grunde.  Man  sieht  die  Stuten  mit  ihren  Füllen  '') 
einen  Theil  des  Tages  schwimmen,  um  sich  von  Pflan- 
zen zu  nähren,  die  mit  ihren  Spitzen  nur  über  das  Was- 
ser emporreichen.  In  dieser  Lage  werden  sie  von  den  Cro* 
codilen  überfallen,  und  es  ist  gar  nicht  selten,  dafs  man 
an  ihren  Schenkeln  die  Spuren  der  Zähne  dieser  fleisch- 
fressenden Reptilien  wahrnimmt.  Die  Aase  von  Pfer- 
den, Maulthieren  und  Kühen  locken  eine  grofse  Men- 
ge Geyer  herbey.  Die  Zamuros  *>  sind  die  Ibis  oder 
vielmehr  die  Aasgeyer  dieses  Landes.  Sie  haben  völlig 
das  Aussehen  des  Pharao- Huhns  und  leisten  den  Be- 
wohnern der  Llanos  die  gleichen  Dienste,  wie  der  Vul- 
tur  Percnopterus  den  Einwohnern  von  Egypten. 

Man  kann  den  Wirkungen  dieser  Ueberschwem- 
mungen  nicht  nachdenken,  ohne  die  ungemein  grofse 
Biegsamkeit  der  Organisation  d,er  Thiere  zu  bewundern, 
welche   der  Mensch  seiner  Herrschaft  unterworfen  hat  ^ 


*)  Die  Füllen  ertrinken  in  Menge,  weil  sie  im  Schwimraen 
schneller  ermüden,  und  ihren  Müttern  überall  hin  folgen 
wollen ,  wo  diese  allein  nur  sich  auf  den  FüTsen  halten  könneru 

'*}  VuUur  aurea,  L 


340  B  n  c  h     yi. 

In  Grönland  speist  der  Hiind  die  Ueberbleibsel  des 
Fischfangs,  und  in  Ermangelung  von  Fischen  nährt 
er  sich  von  Meergras.  •'Der  Esel  und  das  Pferd,  die 
aus  den  kalten  und  dürren  Ebenen  von  Ober -Asien  ab- 
stammen, begleiten  den  Menschen  in  die  Neue  Welt, 
kehren  daselbst  in  den  Zustand  der  Wildheit  zurück,  und 
führen  unter  dem  heifsen  tropischen  Himmel  ein  unru- 
higes und  beschwerliches  Leben.  Wechselweise  vonx 
Uebermafs  der  Trockenheit  und  der  JNässe  gedrängt, 
suchen  sie  entweder  zur  Stillung  ihres  Durstes  ein© 
Lache  mitten  in  dem  nackten  und  staubigen  Erdreich, 
oder  sie  fliehen  vor  dem  Wasser  und  den  Ueberschwem- 
mungen  der  Flüsse,  wie  vor  einem  sie  von  allen  Seiten 
umzingelnden  Feind.  Den  vTag  über  von  Bremsen  und 
Moustiko's  geplagt,  werden  Pferde ,  Maulthiere  und 
Hornvieh  des  JNachts  von  sehr  grofsen  Fledermäusen 
überfallen,  die  sich  auf  ihren  Rücken  anklammern,  und 
um  so  gefährlichere  Wunden  verursachen,  weil  solche 
alsbald  von  Milben  und  andern  schädlichen  Insecten 
wimmeln.  Zur  Zeit  der  grofsen  Trockenheit  werden 
selbst  die  stachlichten  Meiocuclus  *)  von  den  Maul- 
thieren  benagt,  um  ihren  erfrischenden  Saft  fast  gleichsam 
wie  aus  einer  vegetabilischen  Quelle  zu  trinken  j  zur 
Zeit  der  grofsen  Ueberschwemmungen  leben  diese  näm- 
lichen Thiere  als  wahre  Amphibien,  von  Crocodilen, 
Wasserschlangen  und  Seekühen  (Lamantins)  umgeben. 
Dennoch  aber  (so  wollen  es  die  unwandelbaren  Gesetze 
der  Natura  erhalten  sich  ihre  Ka^en  im  Kampf  der  Ele- 
mente mitten  unter  so   mannichfacben  Leiden  und  Ge- 


*)  Die  Esel  besitzen  eine  ganz  eigne  Geschicklichkeit,  um  sich 
des  im  Cactus  Melocactus  enthaltenen  Saftes  zu  bemächtigen  j 
sie  drücken  mit  den  Fiifsen  die  Dornen  seitwärts,  mitunter 
bleiben  sie  auch  von  dieser  Qjperation  her  hinkend. 


Kapitel    XVIII.  34t 

fahren.  Wenn  die  Gewässer  ablaufen  und  die  Flüsse'irt 
ihre  Betten  zurücktreten,  überzieht  sicli  die  Savahe 
mit  zarten  und  wohlriechenden  Kräutern  5  und  es  schei-^ 
nen  die  Thiere,  welche  aus  dein  alten  Europa  und  aus 
Hochasien  abstammen,  im  Millelpunct  derheifsen  Zone 
die  Rückkehr  der  Vegetatiou  des  Frühlings  eben  so  Aviff 
in  ihrem  Vaterlande  zu  geniefsen. 

Während  des  hohen  Wasserstandes  werden  von  dert 
Einwohnern,  zu  Vermeidung  der  Gefahr  starker  Strö- 
mungen und  der  davon  fortgeschwemmten  Baumstämme^ 
die  Strombetten  vermieden,  und  sie  fahren  mit  ihren 
Kähnen  über  die  Savanon.  Um  von  San  Fernando^  iri 
die  Dörfer  San  Juan  de  Payara,  San  Raphael  de  Ata- 
maica,  oder  San  Francisco  de  Capanaparo  zu  gelangen, 
fährt  man  in  südlicher  Richtung,  als  hätte  maa  über  ei- 
nen einzigen  zwanzig  Meilen  breiten  Strom  zu  setzen. 
Durch  den  Zusammenflufs  des  Guarico,  des  Apure,  des 
Cabullare  und  des  Arauca  mit  dem  Orenoko  bildet  sich 
in  einer  160  Meilen  betragenden  Entfernung  von  den 
Küsten  von  Guiana  eine  Art  Binnen -Delta  (Delta  in- 
terieur),  deren  in  der  alten  Welt  wenig  ähnliche  vor- 
kommen. Dem  Quecksilberstand  im  Barometer  zufolge 
beträgt  der  Fall  der  Gewässer  des  Apure  in  San  Fernan- 
do bis  zum  Meer  nicht  über  84  Toisen.  Es  ist  ein  eben 
so  unbeträchtlicher  Fall,  welcher  von  den  Mündungen 
des  Ossage  und  des  Missoury  bis  zur  Sandbank  des  Mis- 
sissipi  vorhanden  ist.  Die  Savanen  von  Unter- Louisia. 
na  erinnern  überall  an  die  Savanen  vom  untern  Ore- 
noko. 

Wir  verweilten  drey  Tage  in  der  kleinen  Stadt  San 
Fernando,  und  wohnten  daselbst  bey  dem  Kapuziner-Mis- 
sionar, der  in  grofsem  Wohlstand  lebt.  Der  Bischof 
von  Caracas  hatte  uns  an  ihn  empfohlen,  und  er  bezeigte 
sich  ausnehmend  gefällig.     Er  zog  mich  über  die  Arbei- 


341  Buch    VI. 

ten  zu  Ratli,  welche  man  begonnen  halte,  tim  cfair 
Ufer,  worauf  die  Stadt  erbaut  war,  gegen  das  Untergra- 
ben durch  die  Gewässer  des  Flusses  zu  schützen.  Der 
Eintritt  der  Portuguesa  in  den  Apure  drängh diesen  süd- 
ostwärts,  und,  anstatt  dem  Strom  freyeren  Abflufs  zu 
verschaffen,  hatte  man  ihn  durch  Wuhrungen  und 
Dämme  mehr  einzuengen  versucht.  Dal's  diese  Werke 
beym  höheren  Wasserstand  um  so  schneller  würden 
weggeführt  werden,  weil  man  durch  Wegnahme  der 
für  die  Wasserarbeiten  gebrauchton  Erde  hinter  den 
Dämmen  das  Ufer  geschwächt  hatte,  war  leicht  vor- 
herzusagen. 

San  Fernando  ist  durch  die  grofse  Hitze,  welche 
den  gröfsten  Theil  des  Jahrs  durch  daselbst  angetroffen 
wird,  berüchtigt;  und  ehe  ich  zu  der  Erzählung  un- 
serer langen  Stromfahrt  übergehe,  will  ich  noch  einige 
Thatsachen  vorausschicken,  welche  die  Meteorologie 
der  Tropenländer  einigermafsen  zu  beleuchten  geeignet 
sind.  Wir  begaben  uns,  mit  Thermometern  viirsehen, 
auf  das  mit  weifsem  Sand  bedeckte  Gestade  in  der  Nähe 
des  Apurestroms.  Um  2  Uhr  Nachmittags  fand  ich  die- 
sen Sand  allenthalben,  wo  er  der  Sonne  ausgesetzt  ist,*) 
auf  5*°?  5.  Zu  18  Zoll  Erhöhung  über  dem  Sand 
aeigte  der  Wärmemesser  42°,  8>  zu  6  Fufs  Erhöhung 
38°?' 7-  Die  Lufttemperatur  im  Schatten  einer  Ceiba 
war  36°,  2.  Diese  Beobachtungen  wurden  bey  völlig 
stiller  Liiift  gemacht.  Sobald  der  Wind  zu  vvej»en  an- 
iieng,  stieg  die  Temp  ''atur  der  Luft  um  3°:  dennoch 
waren  wir  von  keinem  Sandwind  eingehüllt.  Es  warea 
Luftschichten,  die  mit  einem  stärker  erwärmten  Boden 
in  Berührung  gestanden,  oder  durch  welche  SanJtrom- 
peten  gezogen  waren.     Dieser  westliche  Theil  der  Lala' 

*)  Auf  42"  R. 


Kapitel     XVin.  343 

nos  ist  der  wärmste,  weil  er  die  Luft  empfängt,  welche 
zuvor  sclion  die  übrige  dürre  Steppe  durchzogen  hat. 
Der  gleiche  Untprscliied  ist  zwischen  den  üstliciien  und 
westlichen  Theilen  der  africanischen  Wüsten  da  bemerkt 
worden,  wo  die  Passatwinde  wehen. 

Die  Hitze  nimmt  in  den  L,lanos  während  der  Ro- 
genzeit bedeutend  zu,  vornämlich  im  Julius,  wenn  der 
Himmel  bedeckt  ist,  und  die  ausstrahlende  Wärme  der 
Erde  zurücksendet.  Während  dieser  Zeit  hört  der  Ost- 
wind völlig  auf,  und  zufolge  sorgfältiger,  von  Hr.  Pozo 
angestellter  Beobachtungen  steigt  der  Thermometer 
im  Schatten  *)  auf  89°  und  89°,  5,  wenn  derselbe  auch 
mehr  denn  i5  Fufs  über  dem  Boden  erhöhet  ist.  Im 
Verhrlltnifs  wie  wir  den  Gestaden  der  Portuguesa,  des 
Apure  und  des  Apurito  näher  kamen,  ward  die  Luft 
um  der  Verdunstung  einer  so  beträchtlichen  Wasser- 
masse  willen  kühler.  Diese  Wirkung  ward  vorzüglich 
nach  Sonnenuntergang  verspürt;  den  Tag  über  wird 
die  Wärme  von  den  mit  weifsem  Sand  bedeckten  Strom- 
ufern auf  eine  unerträgliche  Weise,  und  gar  viel  mehr 
als  von  dem  thonartigen  braungelben  Brdreich  von  Ca- 
l^bozo  und  Tisnao  zurückgestrahlt. 

Am  28.  März,  bey  Sonnenaufgang,  befand  ich 
mich  am  Gestade,  um  die  Breite Tles  Apure  zu  messen, 
welche  206  Toisen  beträgt.  Der  Donner  rollte  von  allen 
Seiten  her.  Es  war  das  erste  Gewitter  und  der  erste  He- 
gen der  Jahrzeit.  Die  Wasser  des  Stromes  wurden  vom 
Ostwinde  emporgehoben,  bald  jedoch  ward  es  wieder 
windstill ,  und  alsbald  fiengen  grofse  Cetaceen  aus  der 
Familie  der  Blaser  (Souffleurs),  und  die  denMeerschvvei- 
nen  unserer  Meere  völlig  gleichen,  ^""0  in  langen  Rei- 


*)  Auf  5i°,  j  oder  5i  ,  6  R. 
**)  DeJphinus  phocaena,  h- 


344  Buch     VI. 

hen  auf  der  Oberfläche  des  Wassers  ihre  Spiele  an.  Die 
langsamen  und  trägen  Crocodile  scheinen  die  Nähe  die- 
ser lärmenden  und  in  ihren  Bewegungen  ungestümen 
Thiere  zu  fürchten.  Wir  sahen  sie  untertauchen,  wenn 
die  Blaser  ihnen  nahe  kamen.  Es  ist  eine  aufjerordent- 
liche  Erscheinung,  in  dieser  Entfernung  von  dfn  Kü- 
sten Cetaccen  anzutreffen.  Die  Spanier  der  IVlisnoner^ 
ijezeichnen  sie,  wie  die  Meerschweine  des  Ozeans,  durch 
den  Namen  Toninas.  Ihr  indischer  Name  he;ii*st  Ori- 
nucnu.  *y  Ihre  Lärtge  beträgt  drey  bis  vier  Füfs,.  und 
indem  sie  den  Rücken  krümmen  Mnd  den  Schwanz  ge- 
gen die  untern  Wasserschichten  anstüt/en,  wird  ein 
Theil  des  Rückens  und  der  Rückenflofsfeder  sichtbar. 
Ich  konnte  keines  dieser  Thiere  habhaft  werden,  ob- 
gleich ich  die  Indianer  wiederholt  aufforderte,  <nlt  Pfei- 
len nach  ihnen  zu  schiefsen.  Der  Pater  Gili  versichert, 
die  Guamos  essen  das  Fleisch  deyselhon.  Sind  di'  seCe- 
taceen  den  grofsen  Strömen  des  südlichen  America  ei- 
genthümlich,  wie  die  Seekuh  (Lamanlin),  welche,  den 
anatomi?chcn  Untersuchungen  des  Hrn.  Cuvier  zufolge, 
den  Siifiwasser  -  Cetaceen  gleichfalls  angehört,  oder 
soll  man  annehmen,  sie  steigen  aus  dem  Meere  strom- 
aufwärts, yi'ie  der  Beluga  (Delphinapt'ere  ßeluga)  in  den 
Strömen  Asiens  zuweilen  thut?  Was  mir  diese  letztere 
Vermuthung  unwahrscheinlich  n)acht,  ist  der  Ums^tand, 
dafs  wir  oberhalb  de?  griofsen  Cataracten  d.  i  Ortna!<o, 
im  Rio  Atapalio  Töninas  gesehen  ,  )iaben.  Sollten  sie 
in  die  Mitte  der  Aequinoctial -Gegenden  America  s  von 
der  Mündung  des  Amazoneurtronis  durch  die  Verbin-t 
dung.''n  desselben  mit  dem  Rio  Negrp.,  dem  Cassic[uiarej 
und  dem  Qrenoko  vorgedrungen  §eyn?  Man  tnift  sie 
zu  allen  Jahrzeiten  dort  an,  und  nichts  scheint  anzudeu- 


*)  In  der  Tamanaken  -  Sprache. 


Kapitel    XFIII.  345 

ten,    dafs  sie  wie  die  Lachse  periodische  Wanderungen 
machen. 

Während  der  Donner  bereits  um  uns  her  rollte, 
waren  am  Himmel  nur  noch  zerstreute  Wolken  sichtbar, 
die  langsam  und  in  entgegengesetzter  Richtung  gegen 
das  Zenith  anrückten.  Deluc's  Hygrometer  zeigte  53°, 
der  hunderltheiliiie  Thermometer  *)  23°,  7-  Der  mit 
einer  rauchenden  Lunte  bewaffnete  Electricitätsmesser 
verrioth  keine  Spur  von  Jilectricität.  So  wie  das  Ge- 
witter sich  bildete,  gieng  die  blaue  Himmelsfarbe  an- 
fänglich in  ein  dunldes  Azur  und  hernach  in  Grau  über. 
Der  bläschenartise  Dunst  ward  sichtbar,  und  der  Ther- 
mometer  stieg  um  3°,  wie  dies  in  den  Tropenländern 
bey  bedeckiem  Himmel,  welcher  die  strahlende  Wärme 
des  Bodens  zurücksendet,  beynahe  allezeit  der  Fall  ist. 
Der  Hegen  fiel  in  Strömen.  Da  wir  an  das  Clima  satt- 
sam gewöhnt  waren,  um  keine  nachtheiligen  Wirkun- 
gen des  Regens  der  Tropenländer  zu  fürchten,  so  blie- 
bon  wir  am  Gestade,  um  den  Gang  des  Electricitätmes- 
sers  genau  zu  beobachten.  Ich  hielt  denselben  über  20 
Minuten  in  der  Hand,  zu  6  Fufs  Erhöhung  über  dem 
Boden  ,  und  ich  bemerkte  überhaupt,  dafs  die  Korkkü- 
gelclien  nur  wenige  Secunden  vor  dem  Blitz  auseinan- 
derwichen. Die  Entfernung  betrug  4  Linien.  Die 
electrische  Ladung  blieb  mehrere  Minuten  unverändert, 
und  da  wir  Zeit  IVmden ,  die  Beschaffenheit  der  Electri- 
cität  zu  prüfen,  so  habe  ich,  bey  Annäherung  einer 
Stande  Siegellack  hier  in  der  Ebene  bemerkt,  was  ich 
häutig  während  der  Gewitter  auf  dem  Kücken  der  An- 
den beobachtet  hatte,  dafs  die  Luft-Electricität  anfangs 
positiv,  hernach  Zero,  und  endlich  negativ  waf. 
Diese  Schwingungen  vom  positiven  zum  negativen  (vom 


*J  Hygr.  von  Saussure,  87",  5}  Th.  19*  R. 


346  Buch     VI. 

Glas  -  Zii«!tand  zum  Harz-  Zustand)  wieclpt*lioltftn  sich 
öfters.  Jedoch  zeigte  der  Electrometer  j  kurz  vor  docn 
Blitz  allezeit  nur  Zero  E.  oder  -f-  E. ,  nlomals  —  E. 
Gt^g-fTi  Ende  des  Gewitters  trat  ein  sehr  heftiger  West- 
wind ein.  Die  Wolken  zertheilten  sich,  und  der  Ther- 
mometer sank  auf  22°,  um  der  Ausdünstung  des  Bodens 
und  der  freyeren  Strahlung  gPgen  den  Himmel  willen. 
fch  wollte  diese  einzelnen  Angaben  über  die  elec- 
trische  Ladung  der  Atmosphäre  hier  aufnehmen,  weil 
die  Heisenden  sich  meist  nur  begnügt  haben ,  den  Ein- 
druck zu  schildern,  welchen  der  imposante  Anblick 
ei.ies  Gewitters'in  den  Tropenländern  bey  einem  kürz- 
lich eingelroffnen  Europäer  hervorbringt.  In  einem 
Land,  wo  das  Jahr  sich  in  die  zwey  grofsen  Zeiten,  der 
Trockenheit  und  der  Nässe,  oder  wie  die  Indianer  in  ih- 
rer ausdrucksvollen  Sprache  §agen,  von  Sonne  *)  und 
Regen  **>  theilt,  gewährtes  ein  grofses  Interesse,  den 
Gang  der  meteorologii>chen  Erscheinungen  im  Ueber- 
gang  ron  der  einen  zur  anderen  Jahrzeit  zu  verfolgen. 
Bereits  hatten  wir  vom  18.  und  ig,  Hornung  an  in  den 
Thälern  von  Aragua  gesehen,  wie  sich  beym  Eintritt 
der  Nacht  Wolken  bildeten.  Zu  Anfang  des  Monats 
März  ward  die  Anhäufung  der  bläschenartigen  dem 
Auge  sichtbaren  Dünste,  und  damit  zugleich  die  Zei- 
ehen  der  atmosphärischen  Electricität  mit  jedem  Tag 
Ledeulender.  Wir  sahen  am  südlichen  Himmel  Wetter- 
leuchten ,    und  Volta's  Electrometer  zeigte  allezeit  bey 


•)  In  der  Majpure  -  Sprache  Camoti ,  eigentlich  glänzende 
Hitze  (der  Sonne).  Die  Tamanaken  nennen  die  Zeit  der 
Trocl;enhcit  Uamuy  die  Zeit  der  Jltuschrecken. 

*)  Tn  der  Tamanaken-Sprache  Canepo.  Das  Jahr  wird  bey 
verschiedenen  Nationen  durch  den  IVamen  einer  der  zwey 
Jahrzeiten  bezeichnet. 


Kapitel    XVIII.  347 

Sonnenuntergang  Glas-Electricität.  Das  Voneinander- 
weichen  der  kleinen  Kork  -  Kügelchen ,  welches  d»  n 
weiteren  Tag  über  nicht  zu  bemerken  war,  betrug  hey 
Eintritt  der  Nacht  drey  bis  vier  Linien  ,  od  r  das  drey- 
fache  dessen,  was  ich  mit  dem  gleichen  Werkzeug  in 
Europa  '■•')  bey  heller  Witterung  gewöhnlich  beobacu- 
tet  halle.  Endlich,  vom  26.  May  an,  schien  das  eltc- 
trische  Gleichgewicht  der  Atmosphäre  gänzlich  zerstört 
zu  seyn.  Ganze  Stunden  lang  war  die  Electricität  Zero, 
dann  ward  sie  sehr  bedeutend,  4  bis  5  Linien,  und  bald 
darauf  war  dieselbe  wieder  völlig  unbedeutend.  De- 
luc's  Hygrometer  zeigte  fürdauernd  eine  grofse  Tro- 
ckenheit ■••*)  von  33°  bis  35°,  und  doch  schien  die  At- 
mosphäre nicht  mehr  die  gleiche  zu  seyn.  Mitten  unter 
diesem  beständigen  Wechsel  der  electi'ischen  Ladung 
der  Luft  fiengen  die  ihrer  Blätter  beraubten  Bäume 
bereits  wieder  an  frisches  Laub  zu  entwickeln  und  vom 
nahenden  Frühling  gleichsam  ein  Vorgefühl  zu  haben. 
Die  hier  beschriebenen  Veränderungen  sind  nicht 
etwa  einem  einzelnen  Jahrgang  eigenthümlich.  In  dec 
Aequinoctial-Zone  folgt  Alles  mit  wunderbarer  Gleich- 
förmigkeit aufeinander,  weil  sich  die  lebendigen  Kraft© 
der  Natur  nach  leicht  erkennbaren  Gesetzen  einander 
begrenzen  und  aufwiegen.  Folgendes  ist  der  Gang  der 
atmosphärischen  Erscheinungen  im  Binnenlande  ostwärts 


*)  Zu  Salzburg,  zu  Baireulh  und  tn  Jena  in  Deutschland,  in 
der  Ebene  von  Saint -Denis  hey  Paris,  und  auf  dem  Plateau 
von  Casfilien.  Siehe  die  Darstellung  meiner  Versuche  über 
die  Electricität  der  Atmosphäre  im  Journal  de  Physique,  Tom. 
XLVIIl,  p.  J93. 

••)  Von  68°  zu  70" ,  8  des  Saussur'schen  Hygrometers  bey  23» 
bis  26"  Reaum. ,  welches  die  Trockenheit  der  Luft  in  der  Ae- 
quinoctial  •  Zone  darthut. 


348  Buch     VI. 

der  Cordilleren  von  Merida  und  von  Neu- Granada  in 
den  Li/anos  von  Venezuela  und  vom  Bio  Meta^  vom  4. 
zum  10.  Grad  nordlichor  Breite,  überall  wo  die  Hegen- 
zeit vom  May  bis  zum  October  anbäit,  und  demnach 
die,  Monate  der  gröfsten  Trockenheit  den  Julius  und 
August  befafsten.  *) 

Nichts  gleicht  der  Reinheit  der  Atmosphäre  vom 
December  bis  zum  Februar.  Der  Himmel  erscheint 
alsdann  beständig  wolkenlos,  und  wenn  eine  Wolke  sich 
sehen  läfst,  so  ist  es  eine  Erscheinung,  welche  die  ganze 
Aulinerksamlicit  der  Einwohner  beschäftigt.  Die  öst- 
liche und  ost-nord  -  östliche  Brise  bläst  heftig.  Weil 
die  durch  sie  herheygeführte  Luft  stets  einerley  Tem- 
peratur hat,  so  können  die  Dünste  durch  Erkältung 
nicht  sichtbar  werden.  Gegen  Ende  Februars  und  zu 
Anfang  des  Märzmonals  ist  das  Himmelsblau  minder 
dunkel  gefärbt,  der  Hygrometer  deutet  allmälig  auf 
gröfsere  Feuchtigkeit,  die  Sterne  sind  zuweilen  von 
einer  leichten  Dunsthülle  verdeckt,  ihr  Licht  ist  nicht 
mehr  ruhig  und  plai^etarisch :  man  sieht  dieselben  von 
Zeit  zu  Zeit  auf  20°  Erhöhung  über  dem  Horizont  fun- 
keln. Die  Brise  weht  um  diese  Zeit  minder  stark  und 
weniger  regelmäfslg,  sie  wird  öfterer  durch  PVind- 
stUle  unterbrochen.  In  Süd-Süd-(3st  sammeln  sich 
Wolken.  Sie  erscheinen  wie  ferne  Berge  mit  sehr  be- 
stimmten Umrissen.  Zuweilen  sieht  man,  wie  sich  die- 
selben  vom  Horizont  losmachen    und  das  Himmelsge- 


•}  Auf  den  Küsten  hingegen ,  f  u  Cumana ,  in  la  Guayra  und 
auf  der  henachbarten  Margarellien- Insel  trifft  ^as  Maxi- 
mum der  Wärme  erst  im  September  ein*,  und  die  Regen, 
wofern  man  einige  zuweilen  niederfallende  Tropfen  Wasser 
so  nennen  kann ,  werden  erst  im  October  und  fSovember 
fceobachlet. 


Kapitel     XFIII.  349 

ivülbe  "mit  einer  Schnelligkeit  durchlaufen^  die  der 
Schwäche  des  in  den  unteren  Luftschichten  herrschen- 
den Windes  keineswegs  entspricht.  Zu  Ende  des  März 
^yird  die  südliche  Kegion  der  Atmosphäre  durch  kleine 
electrische  Explosionen  erleuchtet.  Es  sind  wie  phos- 
phorescirende^  auf  eine  einzige  Dunstgruppe  beschränk- 
te Fiuiken.  Von  da  an  treten  von  Zeit  zu  Zeit  und 
mehrere  Stunden  anhaltend  West-  und  Süd- West- Winde 
ein.  Dies  ist  ein  sicheres  Zeichen  des  Anrückens  der 
Hegenzeit,  die  am  Orenoko  gegen  Ende  Aprils  beginnt. 
Der  Himmel  fängt  an  bedeckt  zu  werden ,  die  Azur- 
bläue verschwindet,  und  eine  gleichförmige  graue  Fär- 
bung ersetzt  dieselbe.  Gleichzeitig  nimmt  die  W'ärme 
der  Atmosphäre  mehr  und  mehr  zu,  bald  sind  es  nicht 
blofse  iWolken  nur ,  sondern  verdichtete  Dünste ,  die 
das  ganze  Himmelsgewölbe  decken.  Die  Brüllaffen  fan- 
gen an  ihr  klagendes  Geschrey  schon  lange  vor  Tages- 
anbruch hören  zu  lassen.  Die  atmosphär  sehe  Electri- 
cität,  welche  während  der  grofsen  Trockenheit  vom 
December  bis  zum  März,  fast  beständig,  den  Tag  über 
1,7  bis  2  Linien  des  VoLtaschen  Electrometers  betra- 
gen hatte,  wird  vom  iMärz  an  höchst  abwechselnd. 
Ganze  Tage  durch  ist  dieselbe  völlig  null,  hernach  für 
etliche  Stunden  weichen  die  Korkkugelchen  des  Volta'- 
schen  Electrometers  um  3  bis  4  Linien  von  einander. 
Die  Atmosphäre,  welche  überhaupt  in  der  hoifsen  Zone, 
wie  in  der  gemäfsigten,  sich  im  Zustand  der  Glas-EIec- 
tricität  befindet,  geht  wechselnd  8  bis  10  Minuten  lang 
in  den  Zustand  der  Harz-Electricität  über.  Die  Hegen- 
zeit ist  die  Zeit  der  Gewitter,  und  doch  haben  zahl- 
reiche, im  Lauf  von  drey  Jahren  angestellte  Versuche 
mir  dargethan,  dafs  gerade  in  dieser  Jahrzeit  der  Ge- 
witter in  den  unteren  Hegionen  der  Atmosphäre  eine 
geringere  electrische   Spannung  voi-handen  ist.      Sind 


35o  Buch     VI. 

die  Gewitter  das  Ergebnifs  dieser  ungleichen  Ladung 
dei-  verschiedenen  übereinander  liegenden  Luftschicht 
ten?  Was  hindert  die  Ülectricität  in  einer  seit  dem 
Monat  Miirz  feuchter  gewordenen  Luft  gegen  die 
Erde  herabzusteigen  ?  statt  gleichförmig  durch  die 
ganze  Atmosphäre  vertheilt  zu  seyn ,  scheint  die 
Electricität  in  diesem  Zeitpunct  auf  der  äufseren  Hülle, 
auf  der  Oberfläche  der  Wolken  angehäuft.  Es  ist,  wie 
Hr.  Gay-Lussac  glaubt,  die  Bildung  der  Wolken  selbst, 
welche  die  Flüssigkeit  nach  der  Oberfläche  hinführt. 
Das  Aufsteigen- des  Gewitters  erfolgt  zwey  Stunden  nach 
dem  Durchgang  der  Sonne  durch  den  Meridian,  mithin 
kurze  Zeit  nach  dem  Moment  des  Maximums  der  Ta- 
geswärme unter  dem  Tropenhimmel.  Hücbst  selten 
nur  läfst  sich  im  Binnenlande  der  Donner  in  der  Nacht 
oder  am  Morgen  hören.  Die  Nacht-  Gewitter  sind  nur 
gewissen  Flufsthälern ,  welche  ein  besonderes  Clim« 
haben,    eigen. 

Welches  sind  nun  aber  die  Ursachen  dieser  Zer- 
störung des  Gleichgewichts  in  der  electrischen  Span- 
nung der  Luft,  dieser  beständigen  Verdichtung  der 
Dünste  in  Wasser,  dieser  Unterbrechung  der  periodi- 
schen Winde,  dieses  Anfangs  und  dieser  Fürdauer  der 
Begenzeit?  Ich  zweifle,  dafs  die  Electricität  auf  die 
Bildung  der  bläschenartigen  Dünste  Einflufs  habe.  Es 
ist  vielmehr  die  Bildung  dieser  Dünste,  welche  die  elec- 
trische  Spannung  vermehrt  und  verändert.  Nördlich 
und  südlich  vom  Aequator  geschehen  die  Gewitter  oder 
grofsen  Explosionen  gleichzeitig  in  der  temperirten  und 
in  der  Aequinoclial-Zone.  Gif^jt  es  eine  Wirkung^  wel- 
c'ie  sich  durch  den  grofsen  Luft-Ocean  aus  der  ersten 
dieser  Zonen  gegen  die  Wendekreise  fortpflanzt?  VVie 
mag  man  sich's  erklären,  dafs  unter  dieser  Zone,  wo 
die  Sonne  beständig  zu  so  grofser  Höhe  über  den  Hori- 


Kapitel     XFIII.  göz 

lonl  ansteigt,  der  Durchgang  dieses  Gestirns  durch  das 
Zenith  einen  so  bedeutenden  Einflufs  auf  die  meteoro- 
logischen Veränderungen  äufsert?  fch  vermuthe,  die 
Ursache,  welche  den  Anfang  der  Hegenzeit  unter  den 
Wendekreisen  bestimmt,  ist  nicht  örtlich,  und  eine  ge- 
nauere Keniilnifs  der  oberen  Luftschichten  würde  die 
dem  Anschein  nach  so  verwickelten  Aufgaben  vcreinfa- 
clien.  Wir  können  nur  dasjenige  beobachten,  was  in 
den  unteren  Kegionen  der  Atmosphäre  vorgeht.  Die 
Anden  sind  über  20üo  Toisen  Erhöhung  fast  gar  nicht 
bewohnt,  und  auf  dieser  Höhe  haben  die  Nähe  des  Bo- 
dens und  die  Bergmassen,  welche  die  Untiefen  im  Luft- 
Ocean  darstellen,  einen  bedeutenden  Einflufs  auf  die 
in  ihrer  Nähe  befindliche  Luft.  Was  man  auf  dem  Pla- 
teau von  Antisana  beobachtet,  ist  von  dem  verschieden, 
was  auf  gleicher  Höhe  in  einem  Luftballon  über  den 
Lt/anos  oder  über  der  Fläche  des  Weltmeeres  schwe- 
bend wahrgenommen  werden  könnte. 

Wir  haben  so  eben  gesehen,  dafs  die  Jahrzeit  der 
Regen  und  der  Gewitter,  in  der  nördlichen  Aequinoc- 
tial-Zone,  mit  den  Sonnen  -  Durchgängen  durch  das 
Zenith  *)  des  Ortes,  irAi  dem  Aufhören  der  Brisen 
oder  Nord -Ostwinde,  mit  dem  öfteren  Eintreten  der 
Windstillen  und  der  ßendavales ,  welches  süd-östliche 
und  süd-westliche  stürmische  und  mit  überzognem  Him- 
mel *'•')  begleitete  Winde  sind,  zusammentrefi'en.  Ich 
glaube,  man  wird^  beym  Nachdenken  über  die  allge- 
meinen Gesetze  des  Gleichgewichts  der  gasartigen  Mas- 


*)  Diese  Durchgänge  geschehen  unter  den  5°  und  lo*  nörd- 
licher Breite,  zwischen  dem  3.  und  lo.  April  und  zwischen 
dem  37.  August  und  8.  September. 

•)  Vergl.  meinen  Etsat  politique  sur  la  NouvcUe  -  Efpagn». 
Tum.  II,  pa^.  38a,  712  und  767 


352  Buch     ri. 

sen,  aus  denen  unsere  Atmosphäre  bestellt,  in  der  Unter- 
brechung der  von  einem  gleichnamigen  Pole  herkom- 
roenden  Strömvxng,  in  dem  Mangel  der  Erneuerung 
der  Luft  unter  der  heifsen  Zone,  und  in  der  anhallen- 
den Wirkung  der  aufsteigenden  feuchten  Strömung, 
eine  sehr  einfache  Ursache  des  Zusammentrefliens  dieser 
Erscheinungen  finden.  Walirend  nordwärts  vom  Ae- 
quator  der  Nord -Ostwind  (brise)  in  seiner  vollen  Kraft 
weht,  hindert  derselbe  die,  die  Aequinoctial- Lande 
und  Meere  bedeckende  Atmosphäre  sich  mit  Dünsten 
zu  sättigen.  Die  warme  und  feuclite  Luft  der  heif^on 
Zone  steigt  in  die  Höhe  und  neigt  sich  den  Polen  zu, 
während  die  unteren  Polar- Strömungen  durch  herbey- 
geführte  trocknere  und  kältere  Luftschichten  die  auf- 
steigenden Luftsäulen  beständig  ersetzen.  Durch  dies 
anhaltende  Spiel  zwey  entgegengesetzter  Strömungen 
wird  die  Feuchtigkeit,  weit  entfernt,  sich  in  der  Aequa- 
torial  -  Region  anzuhäufen ,  vielmehr  den  l-.alten  und 
temperirten  Regionen  zugeführt.  Während  dieser  Zeit 
der  Nord-Ostwinde,  wo  die  Sonnein  den  mitläglichen 
Zeichen  ist,  bleibt  der  Himmel  in  der  nördlichen  Ae- 
quinoctial-Zone  stels  heiter.  Die  bläschenartigen  Dün- 
ste verdicken  sich  nicht,  weil  die  beständig  erneuerte 
Luft  von  ihrem  Sättigungs  -  Punct  weit  entfernt  ist. 
Nach  Mafsgabe  wie  die  Sonne  beym  Eintritt  in  die  mit- 
ternächtlichen Zeichen  sich  gegen  das  Zenith  erhebt, 
fängt  die  Nord-Ost-Brise  sich  zu  legen  an,  bis  sie  nach 
vmd  nach  gänzlich  aufhört.  Die  Verschiedenheit  der 
Temperatur  zwischen  den  Wendekreisen  und  der  ge- 
mäfsigten  nördlichen  Zone  ist  alsdann  die  möglichst 
kleine.  Es  ist  diefs  der  Sommer  des  Nordpols  5  und 
wenn  die  mittlere  Temperatur  des  Winters  unter  den 
42°  und  52°  nördlicher  Breite  um  20°  bis  26°  des  hun- 
derttheiligcn  Thermometers  geringer  ist,  als  die  Aequa- 

to 


Kapitel     XVIIL  353 

torial-Hitze^  so  beträgst  dieser  Unlorscliied  im  Sommer 
haum  4°  bis  6°.  Wenn  die  Sonne  im  Zenitli  stellt  und 
die  Brise  sich  fi^elegt  hat,  werden  die  Ursachen,  welche 
die  Feuchtigkeit  begründen  und  dieselbe  in  der  nördli- 
chen Aequinoclial-Zone  anhäufen,  gleichzoitig  wirksa- 
mer. Die  Luftsäule,  die  anf  dieser  Zone  ruht,  sättigt 
sich  mit  Dünsten  ,  weil  sie  durch  die  Polar-  Strömung 
nicht  mehr  erneuert  wird.  Die  Wolken  bilden  sich  in 
dieser  gesättigten  und  durch  die  Tereinbarten  Wirkun- 
gen der  Strahlung  und  der  Ausdehnung  der  aufsteigen- 
den Luft  erkälteten  Atmosphäre.  In  dem  Verhältnifs 
ihrer  V  erdünnung  wird  die  Capacität  der  Luft  für  die 
Wärme  gröfser.  Mit  der  Bildung  und  Gruppirung  der 
bläschenartigen  Dünste  häuft  sich  die  Electricität  in 
den  oberen  Hegionen  der  Atmosphäre  an.  Die  Nieder- 
schläge der  Dünste  sind  den  Tag  über  andauernd.  Sie 
hören  die  Nacht  durch  auf,  öfters  schon  mit  dem  Un- 
tergang der  Sonne.  Die  Regengüsse  erfolgen  regelmäs- 
sig am  stärksten  und  mit  electrischen  Explosionen  be- 
gleitet, kurze  Zeit  nach  dem  IXlaximum  der  Tages- 
wärrne.  Dieser  Zustand  bleibt  unverändert,  bis  die 
Sonne  in  die  mittäglichen  Zeichen  tritt.  Damit  fängt 
in  der  nördlichen  gemäfsigten  Zone  die  Kälte  an.  Von 
da  an  beginnt  auch  die  Strömung  des  Nordpols  wieder 
neuerdings,  weil  der  Unterschied  der  Wärme  zwischen 
der  Aequinoctial-  und  der  gemäfsigten  Region  von  Tag 
zu  Tag  gröfser  wird.  Die  Nord- Ost -Brise  weht  kräf- 
tig, die  Luft  der  Tropenländer  erneuert  sich  nicht,  und 
sie  mag  den  Sättigungspunct  nicht  mehr  erreichen. 
Der  Regen  fällt  demnacli  auch  nicht  länger,  der  bläs- 
chenartige Dunst  löst  sich  auf,  und  der  Himmel  erhält 
neuerdings  seine  Reinheit  und  seine  azurne  Färbung. 
Electrische  Explosionen  finden  jetzt  keine  mehr  statt, 
ohne  Zweifel  darum,  weil  die  Electricität  in  den  höhe- 
^Ux.  V.  Ilnwho'da  hist.    Btistn    III  23 


35:^  Buch     VI. 

ren  Luft  Rogionen  jene  Gruppen  bläschenartiger  Dün- 
ste, ich  möchte  fast  sagen,  jene  Nebelhüllen,  worauf  die 
FJüssigl<eit  sich  sammeln  kann,   niclit  mehr  anlritft. 

Wir  haben  das  Aufhören  der  Brisen  als  die  Haupt- 
ursache *)  der  Aeqiiaiorial  -  Regen  betrachtet.  Diese 
Regen  dauern  in  jeder  Halbkugel  nur  so  lange,  als  die 
Sonne  eii.e  gleichnamige  Abweichung  mit  der  Halbku- 
gel hat.  Es  mufs  hier  bemerkt  werden,  dals  (ieni 
Aufhören  der  Brise  nicht  allezeit  Windstille  folgt, 
sondern  dafs  diese  öfters,  zumal  längs  der  ameri- 
canisclien  Westküsten,  durch  die  Hendavales ,  oder 
Süd -West-  und  Süd- Ost- Winde  unterbrochen  wird. 
Dieses  Phänomen  scheint  darzuthun,  dafs  die  feuclilen 
Luftsäulen,  die  in  der  nördlichen  Aequatorial  -  Zone 
aufsteigen,  sich  zuweilen  gegen  den  Siidpol  hinneigen. 
Wirklich  zeigen  die  unter  der  heifsen  Zone,  dem  Ae- 
quator  nördlich  und  südlich  gelegenen  Gegenden,  im 
Sommer,  während  die  Sonne  durch  ihr  Zenith  geht, 
das  JMaxiniujn  des  Unterschieds  der  Temperatur  mit 
der  Luft  des  ungleichnamigen  Pol«.  Die  gemüfsigte 
südliche  "Zone  hat  ihren  Winter,  während  es  nordwärts 
vom  Aequator  regnet,  und  daselbst  eine  mittlere  um  5° 
bis  6°  gröisere  Wärme  herrscht,  als  in  der  Zeit  der  Tro- 
ckenheit, wo  die  Sonne  am  niedrigsten  ist  **).     Die  Fort- 


*)  Jch  Iiabe  alisichtlicli  bev  dieser  Untersuchung  die  gewagten 
Hypothesen  über  die  Verbindungen  des  Sauerstoft's  mit  dem 
^\asse^sloH',  und  über  die  der  Electricität  zugesrhriebne  Ei- 
genschaft, bläschenartige  Dünste  zu  bilden  und  niederzusc]ila- 
gen ,  bey  Seite  gelassen. 

**)  Vom  Aequator  bis  zu  lo*»  nördlicher  Breite  weichen  die  mitt- 
leren Temperaluren  der  Soiiimer  -  und  W  intermonatc  kaum 
um    2"   bis   5°   ron   einander   ab;    dagegen   auf  den  Grenzen 


Kapitel     Xri/l.  355 

dauer  des  Re^^ens ,  während  die  Beudavales  wehen, 
zcii^t  ,  dafs  die  Strömungen  des  entfernteren  Pols,  in 
der  n^irdlichen  Aequinoctial  -  Zone ,  um  der  grOfseren 
Feiichtiij-!<eit  der  ^i'.dliclien  PoKirslrüniung'  willen,  niclit 
gleich  den  Striinmngen  des  nJiheren  Pcds  wirken.  Die  l^uit. 
Welche  jene  Stiön'ung  bring5 ,  kommt  aus  einer  gleich- 
saiii  ganz,  nas^eri  Atmosphäre  her.  Um  den  Paiaileikreis 
von  8°  nördlicher  Breite  zu  erreicijen,  durchzieht  sie 
die  ganze  südliche  Aequatorial- Zone  5  sie  ist  def?nahen 
minder  trocken,  minder  kalt^  minder  geeignet  wie  eine 
Gegenströmung  zu  wirken,  die  Aequinoctial  -  Luft  zu 
erneuern  und  ihre  Sättigung  zu  hindern,  als  diefs  hin- 
ge^^en  die  nördliche  Polar  -  Strömung,  oder  die  nord- 
östliche Brise  *)  thut.  Es  ist  wahrscb'einlich,  dafs  diei 
Hendavales  auf  einigen  Küsten,  zum  Beyfpiel  auf  de- 
nen xon  Guatimala,  ungestüme  Winde  sind,  weil  sie 
nic';t  die  Wirkung  eines  regelmäfsigen  und  progressiven 
Uehertritts  der  Luft  der  \^  endekreise  gegen  den  Süd'' 
pol  sind,  sondi^rn  mit  Windstillen  wechseln,  von  elec- 
Irischen  Kxplo>;ionen  hegleitet  werden,  und  als  wahre 
Stof:-winde,  ein  Zurückschlagen,  eine  schnelle  und 
plötzliche  Störung  des  Gleichgewichts  im  Luft-Ocean 
darlhun. 

Wir  haben  hier  eine  der  wichtigsten  Erscheinun« 
gen  der  Meteorologie  der  Tropenländer  in  ihrer  gröfs- 
fen  Allgemeinheit  betrachtet.     So  wie  die  Grenzen  der 


der  üicifscn  Zone,    gegen  den  Wendekreis   des  Krebses,    dei* 
Unterschied  auf  ö''  und  9"  ansteigt, 

*)  In  Leyden  gemäfsiglcn  Zonen  verliert  die  Luft  ihre  Durch- 
sichtigkeil .  so  oft  der  Wind  vom  ungleichiuimigeii  Pole  her 
weht,  das  will  sagen,  von  dem  Pole,  dessen  IName  mit  der 
Haihktijfel.  worin  der  Wind  Verspiirt  wird,  nicht  gleichen  Na- 
men iVilnf. 


350  B  u  c  h     VI. 

regelmäfsigen  Winde  {vents  alises')  keine  Parallelkreise 
mit  dein  Aequator  bilden  *),  so  stellt  sicli  auch  die  Wir- 
kung der  Polar- Strömungen  unter  verschiedenen  Meri- 
dianen ungleich  dar.  In  der  nämlichen  Halbkugel  ha- 
ben die  Bergketten  und  das  Küstenland  öfters  entgegen- 
gesetzte Jahrszeiten.  Wir  werden  in  der  Folge  Anlafs 
finden,  mehrere  Beyspiele  solcher  Anomalien  anzufüh- 
ren j  um  aber  die  Naturgesetze  zu  ergründen,  mufs, 
bevor  die  Ursachen  der  örtlichen  Störungen  erforscht 
werden,  das  Durchschnitt  -  Verhältnifs  der  Atmospliäre 
und  der  beständige  Typus  ihrer  Abweichungen  ge- 
kannt seyn. 

Die  Gestaltung  des  Himmels,  der  Gang  der  Elec- 
tricität  und  der  Schlagregen  am  28.  März  verkündigten 
den  Eintritt  der  Regenzeit:  inzwischen  ward  uns  an- 
noch  gerathen,  von  San  Fernando  de  Apure  durch 
San  Francisco  de  Capannparo  über  den  Kio  Sinaruco 
und  den  Ilato  von  San  Antonio,  das  erst  kürzlich  naho 
an  den  Ufern  der  Meta  errichtete  Dorf  der  Otomakera 
zu  erreichen,  tmd  uns  etwas  oberhalb  Carichana  auf 
dem  Orenoko  einzuschilfen.  Dieser  Landweg  geht 
durch  ein  ungesundes  und  fiebriges  Land,  Ein  alter 
Pächter,  Don  P'rancisco  Sanchez,  bot  sich  uns  gefällig 
zum  Führer  an,  teine  Kleidung  verrieth  die  grofse 
Sitten- Einfalt,  welche  in  diesen  fernen  Ländern  herr- 
schet. Er  besafs  über  100,000  Piaster  im  Vermögen^ 
und  stieg  jedoch  mit  nackten  Füfsen  und  mit  grofseni 
silbernen  Spornen  zu  Pferde.  Da  wir  aus  einer  Erfah- 
rung mehrerer  Wochen  die  traurige  Einförmigkeit  der 
Vegetation  der  L,larios  sattsam  kannten,  so  zogen  wir 
den  längeren  Weg  auf  dem  Kio  Apure  zum   Orenok» 


*j  Siehe  oben,  Th.  I,  Kap.  3,  S.  297,  358,  und  mein  Memoirs 
sur  les  lignes  isochermes,  p.  114. 


Kapitel     XVIIL  35? 

vor.  Wir  uälilten  dafür  eine  der  sehr  breiten  PIrogen, 
welche  die  Spanier  lanchas  lieifsen.  Ein  Steuer- 
mann  *)  und  vier  Indianer  reichten  für  die  Bedienung 
des  Fahrzeuges  hin.  Im  Hintertheil  desselben  ward,  in 
ctliclien  Stunden ,  eine  mit  Corypha- Blättern  bedeckte 
Hütte  errichtet,  die  geräumig  genug  war,  um  einen 
Tisch  und  Bänke  zu  fassen.  Diese  bostund(>n  aus  stark 
ausgespannten  und  auf  eine  Art  Hahmen  von  antillischeni 
Brasilienholz  genagelten  Ochsenhäuten  **}.  Ich  führe 
diese  kleinliciien^Umstände  hier  &n,  um  darzuthunj  dafs 
unsere  Lage  auf  dem  Rio  Apure  von  derjenigen  sehr 
Terschieden  war,  auf  die  wir  in  den  schmalen  Kähnen 
des  ürenoko  beschränkt  waren.  Die  Piroge  ward  mit 
Lehensmitteln  für  einen  Monat  versehen.  In  San  Fer- 
nando sind  Hübner,  Byer,  Pisangfrüchte,  Maniocca- 
mehl  und  Cacao  im  Ueberflufs  zu  haben.  Der  gütige 
Kapuziner- Pater  ***)  vei'sah  uns  mit  Xerez- Wein,  mit 
Oraniren  und  Tamarinden- Frücliten,  um  kühlende  Li- 
xnonaden  zubereiten.  Wir  konnten  voraussehen,  dafs 
ein  aus  Palmblättern  verfertigtes  Dach  sich  in  einem 
breiten  Flufsbette,  wo  man  fast  immer  den  senkrechten 
Sonnenstrahlen  ausgesetzt  ist,  ungemein  erhitzen  werde. 
Die  Indianer  rechneten  weniger  auf  die  von  uns  ange- 
ltauften Lehensmittel,  als  auf  ihre  Angel  und  Garne. 
Wir  nahmen  auch  einige  Schiefsge wehre  mit,   welche 


•)  El  patron, 

**)  Wir  bezahlten  fiir  die  Fahrt  von  San  Fernando  de  ipure 
nach  Carichana  am  Orenoko  Cacht  Tagreisen  Entfernung), 
zehn  Piaster  für  die  lancha ,  und  darüberhin  den  Taglohn, 
welcher  einen  halben  Piaster  oder  4  Realen  für  den  Steuer- 
mann ,  und  zwey  Piealen  für  jeden  der  indianischen  Ruderer 
beträgt. 

'*)  Fray  Jose  Maria  de  Malaga. 


35S  Buch     VI. 

bis  in  die  Gebend  der  Cataracten  ziemlich  alh;einein  ffe- 
braucht  werden  5  wogegen  mehr  südwärts  die  ungentein 
starke  Feuchtigkeit  der  Liuft  den  Missionarien  den  Ge- 
brauch der  Flinten  untersagt.  Der  Hio  Apure  nährt 
<el\r  vi(4e  Fische,  Seekühe  und  Schildkröten,  deren 
Eyer  eine  mehr  nährende  als  angenehme  Speise  gewah- 
ren. Seine  Ufer  wimmeln  von  unv^älilharen  Vögeln, 
worunter  der  Pauxi  und  die  Guacharaca,  welche  man 
die  Truthähne  und  Fasane  dieser  Gegenden  nennen 
könnte,  uns  am  meisten  zu  gut  kamen.  Ihr  Fleisch 
schien  mir  zäher  und  nnnder  weifs,  als  dasjenige  unse- 
rer europäischen  Hühnerarten,  woran  die  kralligere 
Muscular-Bewegung  schuld  ist  '■').  Man  vergafs  nicht, 
den  Speisevorräthen,  den  Waffen  und  den  Werkzeugen 
für  den  Fi-chfang  einige  Branntwein- Fässer  beyzufü- 
gen,  um  solclie  als  Tauschmittel  bey  den  Indianern  am 
ürenoko  zu  gebrauchen. 

Unsere  Abreise  von  San  Fernando  **_)  geschah  am 


*>  Die  Miiscular-Zusammen/iohung  (die  Entladung  des  INervs 
in  den  Muskel)  wird  von  einer  chyniischen  Veränderung  der 
Bcstanddieile  Jbegleitcl.  Der  Sauerslofl'  des  arteriellen  Blutes 
wird  absorbirt,  und  während  dieser  Einsaugung  schwärzt  und 
verkühlt  sich  die  Muskeliieber. 

**)  Ich  habe  mittelst  Meridian  Höhen  des  a  >'<>'"  Hrouze  am 
Siidhinimel,  die  Breite  der  iStndt  San  Fernando  de  Apiire 
(Wohnung  des  Missionars)  7"  55  12"  gefunden  {Obs.  asbr.^ 
Tom.  1,  {>.  2  1Ö).  Die  chronometrische  Länge  war  70"  21' 
lo",  die  IncJination  der  M.Tgnelnadel  36",  71  (hunderlth. 
Scale).  Die  Intensität  der  magnetischen  Kri.fte  zeigte,  wie  in 
CalaliQzo,  222  Schwingungen  in  z.clin  Minuten  Zeit.  Der 
IS.Tine  von  San  Fernando  ist  auf  den  neueren  (Jhailen  noch 
nicht  zn  iinden  ,  xum  ße^.spiel  auf  den  schönen  (Jliarten  der 
Herren  Arrovvsmilh  und  ßrue.  oh  ich  gleich  vor  zwölf  Jah- 
ren schon    in   dem  Conspectus  iongitudinurn  et   lutiludinum 


Fl   a  p   i  t  e   f     Xrilf.  359 

3o.  März  um  4  Uhr  Abends,  bey  tingomein  grofser 
Hitze  5  der  Wärmeniesser  stieg  im  ScI.atten,  des  sehr 
heftigen  Süd- Ostwindes  unerachtet,  auf  34°.  ßey  die- 
sem Gegenwind  konnten  dio  Segel  nicht  aufgezogen 
werden.  Wir  wurden  während  dieser  ganzen  P»i,ise  auf 
den»  Apure^  dem  Urenoko  und  dem  Rio  INegro,  von 
dem  Sc!iwas:er  des  Stattliallers  der  Provinz,  Varinas, 
Don  ISicolas  Sotto,  begleitet,   welcher  kürzlich  von  Ca- 

dix  einffetroHen  war  und  eine  Kei^e  nach  San  Fernando 

r 

genjacht  hatte.  Um  die  der  riulmerksamkeit  eines  Euro- 
päers so  sehr  würdige  Landschaft  kennen  zu  lernen, 
stund  er  nicht  an,  sich  in  unsrer  Gesellschaft  74  Ts^ge 
durch  in  einen  engen  mit  ]Mosqiiito.s  angefüllten  Kahn 
zu  verschliefsen.  Sein  liebenswürdiger  Geist  und  sein 
munterer  Character  haben  uns  öfters  die  Beschwerden 
einer  nicht  allezeit  gefahrlosen  Schiffahrt  vergessen  ge- 
maclit.  Wir  kamen  bey  der  Mündung  des  Apurito  und 
längs  der  gleichnamigen,  vom  Apure  und  Guarico  ge- 
bildeten Insel  vorbey.  üs  ist  dies  Eiland  eigentlich  nur 
ein  sehr  niedriges  Erdreich,  das  von  zwey  grofsen  Flüs- 
sen eingefafst  wird,  die  sich  beyde  in  kleiner  Entfer- 
nung von  einander,  und  nachdem  sie  sich  unterhalb  San 
Fernando  durch  eine  erste  Gabelthcilung  des  Apure  ver- 
einigt hatten,  in  den  Orenoko  ergiefsen.  Die  Isla  del 
Apurito  ist  22  Meilen  lang  und  2  bis  3  Meilen  breit.  Sie 
wild  durch  den  Canno  de  la  Tigrera  und  den  Canno 
del  Manati  in  drey  Stücke  abgetheilt,  wovon  die  zwey 
Endtheile  die  Namen  Islas  de  ßlanco  und  de  las  Garzi- 
tas  heifsen.  Ich  verweile  bey  diesen  Angaben ^  weil 
auf  allen  bisher  erschienenen  Charten  der  Lau!  und 
die   Verflechtunü^en   tler   Flüsse   zwischen    dem  Guarjco 

Americae   aequinoctialls    die   astionoim'sclie    Tage    des^elhen 
bekannt  gemacht  habe. 


36o  Buch     Vi 

und  dem  Mela  -'),  auf  die  seltsamste  Weise  entstellt 
sind.  Unterhalb  dem  Apurito  ist  das  rechte  Ufer  des 
Apui'e  etwas  besser  angebaut  als  das  linke  ,  \vo  die  Ya- 
ruros-  (oder  Japuin-)  Indianer  aus  Rohren  und  Palniblät- 
tersten^eln  einige  Hütten  erbaut  haben.  Sie  leben  von 
der  Jagd  und  vom  Fischfang  ;  und  weil  sie  die  Jaguare 
mit  vieler  Geschicklichkeit  erlegen,  so  sind  sie  es  vor- 
züglich, welche  ihre,  in  Europa  unter  dem  Namen  der 
Tigerfelle  bekannten,  Häute  in  die  spanischen  Dürfet 
bringen.  Die  einen  dieser  Indianer  sind  getauft;  sie 
besuclien  jedoch  die  christlichen  Kirchen  niemals.  Sie 
werden  als  Wilde  angesehen,  weil  sie  unabhängig  blei- 
ben wollen.  Andere  Stämme  der  Yaruros  leben  unter 
der  Herrschaft  der  Missionarien,  im  Dorfe  Achaguas, 
südwärts  vom  Rio  Payara.  Die  Individaen  dieser  Na- 
tion, die  ich  am  Orenoko  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  be- 
sitzen; einige  Züge  der  Physiognomie,  welche  irriger 
Weise  die  tartarische  genennt  wird,  und  die  einem  der 
Stämme  von  mongolischer  Race  angehört.  Ihr  Blick 
ist  ernst,  die  Augen  hervorstehend,  die  Backenbeine, 
vorzüglich  aber  die  Nase,  der  ganzen  Länge  nach  sehr 
vorragend.  Sie  sind  von  gröfserer  Statur,  dunkler 
braun  gefiirbt  und  weniger  untersetzt,  als  die  Chaymas- 
Indianer.  Die  Missionarien  rühmen  die  Geistes- Anla- 
gen der  Yaruros,  welche  vormals  ein  mächtiges  und 
zahlreiches  Volk  an  den  Gestaden  des  Orenoko,  zumal 
in  der  Gegend  von  Caycara,  unterhalb  der  Mündung 
des  Guarico  gewesen  sind.  Wir  übernachteten  im  Dia- 
mattte ,  einer  kleinen  Zuckerrohr- Pflanzung,  die  der 
Insel  dieses  Namens  gegenüber  liegt. 

Während  der  ganzen  Heise  von  San  Fernando  nach 
San  Carlos  de   Rio  Negro  und  von  da  bis  in  die  Stadt 


*)  Siehe  meinen  Atlas  geogr. ,  PJ.  XVIII. 


Kapitel     XFIII.  36i 

Angoslura,  war  icli  heflissen,  Tag  für  Tag,  entweder 
zu  Scliilfe  oder  im  Nachtlagor,  alles  Bemerkensn  ertlie 
aufzuschreiben.  Heftiger  Kogen  und  die  ungeheure 
Menge  der  IMosqmi.os ,  von  denen  die  Luft  an  den  Ge- 
staden des  Orenoko  und  des  (>assiquiare  wimmelt,  mufs- 
ton  unvermeidliche  Lücken  in  diese  Arbeit  bringen. 
Ich  habe  dieselben  wenige  Tage  nachher  ausgefüllt. 
Die  folgenden  Blätter  sind  Auszug  meines  Tagebuchs. 
Alles  was  im  Angesicht  der  Dinge  selbst,  die  man  schil- 
dern will,  geschrieben  ist,  trägt  einen  Character  von 
Wahrheit  (ich  möchte  sage^h  von  Individualität^»,  wel- 
cher auch  den  unwichtigsten  Dingen  Reiz  verleiht.  Zu 
Vermeidung  unnutzer  Wiederholungen  habe  ich  dem 
Tagebuch  mitunter  Angaben  beygefügt,  die  mir  später 
erst  über  die  darin  behandelten  Gegenstände  zugekom- 
men sind.  Je  grüfser  und  imposanter  sich  die  Natur 
in  den  von  unermefslichen  Strömen  durchzogenen  Wäl- 
dern darstellt,  desto  mehr  müssen  die  Naturgemäldo 
dem  einfachen  Character  treu  bleiben,  welcher  das  vor- 
züglichste und  öfters  einzige  Verdienst  der  ersten  Ent- 
würfe ist. 

Am  3i«  März  wurden  wir  durch  widrigen  Wind 
bis  Mittag  am  Gestade  zurücl<gehalten.  Vv'ir  sahen  ei- 
nen Theil  der  Zuckerrohr- Felder  vom  Feuer  zerstört, 
das  aus  einem  nahen  Walde  auf  sie  übergetragen  Avard. 
Die  JNomaden- Indianer  zünden  den  Wald  jedesmal  an, 
wo  sie  des  Nachts  gelagert  haben  5  in  der  trocknen  Jahrs- 
zeit müfsten  ausgedehnte  Landschaften  durch  diese  Brän- 
de verheert  werden,  wenn  das  äufserst  harte  Ho4z  die 
Bäume  nicht  vor  gänzlicher  Zerstörung  sicherte.  Wir 
fanden  Stämme  des  Demanthus  und  des  Acajou-  oder 
Mahagonybaums  (jcahoba'),  die  kaum  zwey  Zoll  tief 
verkohlt  waren. 

Vom  Diamant  aus  kommt  man  in  ein  Land,    vvel- 


362  Bach      VI. 

ches  aus^chljefslich  von  Tiirern,  Crocot^ilen  und  Chi- 
giiire's ,  einer  grulsen  zu  Linno  s  Gattung  üavia  gehü- 
rii^en  Art,  bewohnt  \vircl.  Wir  sahen  dicht  /usanunen- 
gedrän^te  Schuürrne  von  Vöirfehi  ?ich  am  Himmel  xvie 
eine  schwarze  Wolke  darstellen,  die  jeden  Angi  nl)lick 
ihre  Gestalt  ändert.  Der  Fluls  wird  alhnälig  hrt-iter. 
Das  eine  seiner  Ufer  ist  mei-t  unfruclitbar  und  in  Folge 
der  Ueherschwenjmungen  sandig;  das  andere  liegt  hö- 
her und  ist  mit  hochstämmigen  Bäumen  bewachsen. 
Zuweilen  ist  der  Strom  auf  beyden  Seiten  mit  Waldung 
eingefafst  und  bildet  einen  geraden  iDo  Toisen  breiten 
Canal.  Die  Abtheilung  und  Ordnung  der  Bäume  ist 
sehr  merkvvürtlig.  Zunächst  finden  sich  Gebüsche  des 
Sniiso  '■^),  die  gleichsam  eine  vier  Fufs  hohe  Hecke  bil- 
den: man  sollte  glauben,  sie  seyen  durch  Menschen- 
hände beschnitten.  Hinter  dieser  Hecke  erhebt  sich  ein 
Schlag  von  Paternosterbaumen  Ccedre/a).  iilutholz  (^Bre~ 
sillel)  und  Lebenshoiz  (_Gaiac).  Pahnenbäume  Kom- 
men selten  vor  und  nur  etwa  einzelne  Stämme  der  Co- 
rozo  -  und  der  stachlichten  Piricu- Palme.  Die  grofsen 
A'ierfüfsigen  Thiere  des  Landes,  die  Tiger,  die  Tapir 
und  die  Pecari- Schweine  haben  sich  in  den  beschriebe- 
nen S'ffH^o- Hecken  Durcl>gänge  geöffnet,  aus  denen 
sie  am  Strome  zu  trinken  hervorkommen.  Weil  die«e 
wilden  Thiere  die  INähe  eines  Kahnes  nur  wenig  scheuen, 
so  hat  man  alsdann  das  Vergnügen,  sie  geraume  Zeit 
länüTS  dem  Ufer  hinstreichen  7,n  sehen,  ehe  sie  durch 
eine  der  hin  und  wieder  im  Gebüsch  vorliandenen  Oeff- 
nungei^  im  Walde  verschwinden.  Ich  gestehe  gern,  dafs 
dieser  Anblick  auch  nach  öfterer  ^Viederholung  allezeit 


"j  Hennesia  castancifolia.  Es  isl  eine  neue ,  dir  Alcliornea 
von  Swarz  verwandte  Gattung.  ( Siehe  unsere  tluntes 
iquin.'x..,  Toni.  I,  p.    i65  ,  PI.   XLVI). 


h  a  p  i  t  e  l     XVIII.  363 

nn^piniMii  an/ieliond  für  mich  geblieben  ist.  Das  Ver- 
gnügen, welches  inan  flabey  fühlt,  berulit  nicht  nur 
auf  der  Theilnahme,  die  dor  Naturforscher  an  den  \  or- 
würfen  seiner  Untersuchungen  nimmt;  es  geht  d.isseli)e 
aus  einem  riefühh;  hervor,  das  allen  in  den  Gevvöhnxin- 
gen  civilisirler  Völker  erlogenen  Menschen  gemeinsam 
ist.  Man  sieht  sich  in  Berührung  mit  einer  neuen  Welt, 
mit  einer  wilden  und  ungczähmten  Natur.  Bald  i?t  es 
der  Jaguar,  das  schöne  americanische  Panterthier,  das 
sich  am  Flufsgestade  zeij^t;  bald  erscheint  der  Hocco  '■•) 
mit  schwarzem  Gefieder  und  hehaubtem  Kopf,  längs 
dem  Sanso  langsam  einherschreitend.  Thiere  der  ver- 
schiedensten Classen  folgen  eines  dem  andern.  ,,Es  corno 
eil  el  Paraiso^'  **),  sagte  unser  Steuermann,  ein  alter 
Indianer  aus  den  Missionen.  Wirklich  erinnert  hier 
alles  an  jenen  Ur  Zustand  der  Welt,  dessen  Unschuld 
und  Glück  durch  alle  und  ehrwürdige  Ueberlieferungen 
allen  Völkern  verkündet  sind;  bey  sorgfältiger  Beach- 
tung der  Verhältnisse  der  Thiere  zu  einander,  nimmt 
man  indefs  bald  wahr,  dafs  sie  sich  gegenseitig  fliehen 
und  ßijrchten.  Das  goldene  Zeitalter  ist  verschwunden, 
und  in- diesem  Paradies  der  americanischen  Wälder  hat, 
wie  überall,  eine  lange  und  traurige  Erfahrung  allen 
Geschöpfen  den  Beweis  geliefert,  dafs  Milde  und  Stärke 
nur  sehen  vereinbart  gefunden  werden. 

Wo  das  flache  Ufer  eine  bedeutende  Breite  hat,  da 
stehen  die  L5rt^^i^o  -  Hecken  vom  Strome  entfernt.  Das 
Zwi-^chenland  dient  den  Crocodilen  zum  Aufenthalt, 
und  man  sieht  nicht  selten  acht  bis  zehn  derselben  auf 
dem  Sande  gelagert.  In  unbewegliclier  Stellung  und 
mit  rechtyvinklicht  geöffneten  Kinnladen  ruhen  sie  ne- 


*»  Crax  alector,    C.  Pauxi. 
**j  ,,Es  ist  wie  im  Paradiese." 


364        ^  Buch     VI. 

beneinander  hingestreckt,  ohne  sich  irgftnd  einos  jener 
Zeichen  freuiuUicher  Zuneigung  zu  ertheilen,  die  man 
bey  tnndern  gesellig  lebenden  Thieren  wahrnimmt.  Die 
Truppe  geht  ausi^inander,  sobald  sie  das  Ufer  i'erläfst. 
Es  ist  indefs  wahrscheinlich,  dafs  sie  aus  einem  einzigen 
männlichen  und  vielen  weiblichen  Thieren  besteht; 
denn  wie  dies  Hr.  Decourtils,  welcher  die  Crocodile 
von  Saint- Domingue  sorgfaltig  erforscht  hat,  «chon  vor 
mir  beobachtete.  Jis  sind  die  männlichen  Thiere  ziem- 
lich selten,  weil  sie  zur  Zeit  ihrer  Brunst  sich  einander  be- 
l<riegen  und  tüdten.  Diese  ungestolten  Reptilien  Kommen 
in  solcher  Menge  vor,  dafs  wir  auf  der  ganzen  Strom- 
fahrt fast  jeden  Augenblick  fünf  oder  sechs  derselben  er- 
blickten. Und  doch  hatte  damals  das  Steigen  der  Ge- 
wässer des  Rio  Apure  ktium  erst  angefangen,  nnd  viele 
Hunderte  von  Crocodilen  lagen  also  noch  im  Schlamme 
der  Savanen  begraben.  Gegni  4  Uhr  Nachmittags  macii- 
ten  wir  Halt,  um  ein  todtes  Crocodil  zu  anessen,  das 
der  Strom  aufs  Gestade?  geworfen  hatte.  Seine  Länge 
betrug  nicht  über  16  Fufs  8  Zoll ;  einige  Tage  später 
fand  Hr.  Bonpbnd  ein  anderes  (männliches),  welches 
22  Fufs  3  Zoll  Länge  halte.  Unter  allen  Zonen,  in 
America  wie  in  Egypten ,  erreicht  dies  Thier  *^)  die 
nämliche  Grüfse,  aucli  ist  die  im  Apure,  im  Orenoko 
und  im  Magdalenenstrom  so  zahlreich  vorkommende 
Art  keineswegs  ein  Cayman  oder  Alligator,  sondern 
ein  wahres  Crocodil  mit  am  äufsern  Rand  gekerbten 
Füfsen  und  demjenigen  des  Ailstroms  ähnlich.  Wenn 
man  sich  erinnert,  dafs  das  männliche  Thier  im  zehn-_ 
ten  Jahr  erst  mannbar  wird,  und  dafs  seine  Länge  als- 
dann 8  Fufs  beträgt,    so  darf  man  annehmen,    das  von 


*)  Es  ist  das  AniS  der  Tamanalten- Indianer,  das  Amana  der 
Maypurcn -Indianer,  der  Crocodilus  acutus  des  Hrn.  Cuvier. 


Kapitel    XFIII.  365 

Hrn.  Bonpland  gemessene  Thier  sey  wenigstens  2S 
Jahre  «>U  gewesen.  Die  Indianer  versicherten,  in  San 
Fernando  vergehe  selten  ein  Jahr,  wo  nicht  zwey 
oder  drev  erwachsene  Personen^,  meist  Weiher,  die  a?n. 
Strome  Wasser  schöpfen,  diesen  flelsclifressenden  Eidech- 
sen zur  Beule  werden.  IVlan  erzählte  uns  die  Geschichte 
eines  Mädchens  aus  Uritncu,  das  sich  mit  aulserordent- 
licher  Geistesgegenwart  und  Unersclirocl<enhcit  aus  dem 
Radien  eines  Crocodils  rettete.  So  hald  es  sich  vom 
Thier  gefafst  fühlte,  griff  es  nach  den  Augen  der  Bestie 
und  drückte  dieselben  mit  den  Fingern  so  gewaltsam, 
dafs  das  Crocodil,  von  Schmer/  überwältigt,  se'-ne  Beute, 
der  es  bereits  den  Vorderarm  abgekneipt  hatte,  fahren 
liefs.  Des  grofsen  Blutverlustes  unerachtet,  gelangt© 
die  Indianerin,  durch  Schwimmen  mit  der  ihr  üjjrig  ge- 
bliebenen Hand,  glücklich  an's  Ufer.  In  diesen  Einö- 
den, wo  der  Mensch  mit  der  Natur  in  stetem  Kampfe 
lebt,  ist  das  Tagesgespräch  vielfältig  auf  die  Mittel  ge- 
richtet, durch  die  man  sich  gegen  die  Nachstellungen 
eines  Tigers,  einer  Boa  oder  Traga- Venado y  und  ei- 
nes Crocodils  schützen  mag;  Jedermann  rüstet  sich, 
so  zu  sagen,  gegen  die  drohenden  Gefahren.  ,,Ich 
wufste,  sprach  hernach  das  junge  Mädchen  von  Uritucu 
ganz  ruhig,  dafs  der  Cayman  seinen  Raub  fahren  läfst, 
wenn  man  ihm  die  Augen  mit  den  Fingern  drückt.^"' 
Geraume  Zeit  nach  meiner  Rückkunft  in  Europa  ver- 
nahm ich,  dafs  die  Neger  im  Innern  von  Africa  das 
nämliche  Verfahren  kennen  und  anwenden.  Wer  sollte 
sich  nicht  mit  lebhafter  Theilnahme  erinnern,  dafs 
Isaaco,  der  Wegweiser  des  unglücklichen  Mungo-Park, 
zweymal  (unfern  von  Boulinkomhou)  von  einem  Croco- 
dil ergriffen  ward,  und  beydemale  sich  auT dem  Rachen 
des  Ungeheuers  rettete,  weil  ihm  gelang,  demselben 
unter  dem  Wasser  mit   den  Fingern  beyde   Augen  zu 


366  Buch     Fl 

clrüclten  *)!  Isaaco,  der  Africaiier  und  die  junge  Ame- 
ricanerin  verdankten  ihr  Heil  der  nämlichen  Geistesge- 
genwart,  dergleichen  Ideenverbindung. 

Das  Cro.codil  vom  Apure  zeigt  im  Angriff  schnelle 
und  stürmische  Beweguniren  ,  \\  ogegen  es  sicfi ,  durch 
Zorn  oder  Hunger  unt(erei/.t,  mit  der  Langsanjkeit  ei- 
nes Salamanders  fortschleppt.  Im  Laufen  erregt  das 
'1  hier  einen  dumpfen  Ton,  der  vom  Aneinandersclila-  " 
gen  seiner  Hautschuppen  herzurühren  scheint.  Es 
Itrümml  während  dieser  Bewegung  seinen  Rücken,  unä 
die  Füfse  erscheinen  dadurch  höher  als  in  der  Huhe. 
Wir  haben  diesen  Ton  der  Scliuppen  oft  vom  Ufer  her 
ganz  in  der  Nähe  gehört 5  aber  es  ist  nicht  wahr^  was 
die  Indianer  erzählen,  dafs  die  alten  Crocodile,  gleich 
dem  Schuppenthier  (pan<4olin) ,  .^ibre  Schuppen  und 
ijjre  ganze  Decke  in  die  Hi"he  richten  küiiiien/^  Die 
Bewegung  dieser  Thiere  geschieht  allerdings  in  gerader 
Richtung,  oder  vielmehr  in  der  lAiclitung  eines  Pfeils, 
der  von  Distanz  zu  Distanz  seine Bichtung  ändert.  Den- 
nuch  ,  und  unerachtet  der  kloinen  Vorrichtung  der  fal- '  \ 
'■rhon  Rippen,  welche  diu  -Kücltenwirbi  1  binden  und  die 
Sf'ifenbeu  enung  zu  erschweren  scheinen,  niögen  sich 
die  Crocodile  ,  wenn  sie  wollen,  recht  gut  umdrehen. 
Ich  haj3e  oftmals  Junge  gesehen,  die  sich  in  den  Schwanz 
bissen  ;  andere  Beobachter  sahen  das  Gleiclie  Ley  er- 
Machsenen  Thieren.  Wenn  ilire  Bewegungen  fast  im- 
mer geradlinigt  scheinen,  so  geschieht  dies,  weil  sie, 
wiv  ujisere  kleinen  Eidechsen,  dieselben  sprungweise 
thun.  Die  Crocodile  sind  vortreffliche  Scbwinuner, 
tmd  sie  mögen  auch  gegen  den  reifsenden  Strom  mit 
Leichtigkeit  emporsteigen j    liingegen  däucht  mir,   dafs 


*J>  Mungo-  Parks  ItuC  Mission  lo    ^frica^   iöi5,  png    ^9 


Kapitel     XVIII.  367 

ihnen  beym  Stroinabwärtssclnvimnien  das  schnelle  Um- 
drehen schwer  wird.  Ein  grofserHund,  welcher  auf 
der  Heise  von  Caracas  an  den  Rio  Negro  unser  Begleiter 
war,  sah  sich  einst  schwimmend  von  einem  sehr  grolsen 
Crocodil  verfolgt^  und  moclile  seinem  Feind  nur  da- 
durch entgehen,  dals  er  sicli  schnell  umwandte  und 
stromaufwärts  scliwainm.  Das  Crocodil  machte  nun 
zwar  d^t"  gleiche  Bewegung,  aber  viel  langsamer  als  der 
Hund,   welcher  glücklich  das  Ufer  erreichte. 

Die  Crocodile  vom  Apure-  Strom  finden  eine  reich- 
liche ISahrung  in  den  Chigaire's  ■')  (den  Wassersclnvei- 
nen  der  Naturforscher),  welche  in  Heerden  von  5o  bis 
60  Stück  am  Stromufer  leben.  Diese  unglücklichen 
1  hiore,  von  der  Gr^fse  unserer  Schweine,  besitzen  kei- 
ne Watfe,  mit  der  sie  sich  vertheidigen  könnten  :  sie 
schwimmen  etwas  besser  als  sie  laufen.  Indefs  werden 
sie  im  Wasser  ein  Kaub  der  Crocodile  ,  und  auf  dem 
festen  Land  eine  Beute  der  Tiger.  Man  begreift  kaum, 
wie  es  müglich  ist,  dafs  sie,  von  zwey  so  mächtigen  Fein- 
den verfolgt,  dennoch  in  so  grofser  Zahl  vorkommen  j 
aber  sie  ptlanzen  sich  eben  so  schnell  fort,  als  die  (jO- 
bayas  oder  Meerschweinchen,  die  wir  aus  Brasilien  er- 
halten haben. 

Unterhalb  der  Mündung  des  Cauno  de  !a  Tigrera, 
in  einer  Bucht,  die  f^iielta  de  Joval  heifst,  hielten  uir 


*)  Cavia  Capybara ,  Lin.  Das  Wort  Chiguire  gehört  der  Pa- 
Icnken  -  und  Cumanagoten  -  Sprache  an.  C^ieJ^e  oben  Th. 
2,  Kap.  9,  S.  241.).  Die  Spanier  nennen  das  Thier  Guur- 
dcUinaja  y  die  Cariben  Catigua^  die  Tamanaken  Cappiva. 
die  Maypuren  Chiato.  IVach  Azzara  giebt  man  ihm  in  Bue- 
nos A^res  die  indianischen  IN  amen  Capijgua  und  Capiguara. 
Diese  verscliiedenen  INamen  bieten  eine  auffallenUe  Arhnl;rh- 
keit  zwischen  den  Sprachen  vom  Orenoko  und  denjenigen 
vom  2iiQ  de  Ja  PJata  dar. 


36S  B  u  e  h     VI. 

an,  um  die  Sclitielligkeit  des  Wassers  auf  seiner  Ober- 
fläche zu  messen,  sie  betruj^  niclit  mehr  als  3;)  2  Fufs  *) 
iii  der  Secunde,  was  2,  56  Fufs  mittlererer  Schnelle 
giebt.  Die  harometrischen  Höhen ,  mit  Berücksichti- 
gung dffr  kleinen  Stunden- Variationen,  zeigten  höch- 
stens einen  Fall  von  17  Zoll  auf  die  Meile  (von  950  Toi- 
Sen).  Die  Schnellit»keit  ist  ein  gleichzeitiges  Ergebnifs 
der  Senkung  des  Bodens  untl  der  Ansammlung  der  Ge- 
wässer durch  das  Steigen  in  den  höher  gelegnen  Thei- 
len  des  Stroms.  Wir  sahen  uns  nochmals  von  den  Chi- 
guires  umgeben,  welchc;,  Kopf  und  Hals  über  dem  Was- 
ser emportragend  _,  wie  Hunde  schwimmen.  Am  ge- 
genüberliegenden Ufer  erblickten  wir  mit  Befremdea 
ein  grofses  Crocodil,  unbeweglich  und  schlafend,  mit- 
ten unter  diesen  Nagthieren.  Bey  der  Annäherung  un- 
serer Piroge  erwachte  es  und  bewegte  sich  hierauf  lang- 
sam dem  Strome  zu,  ohne  dafs  die  CJiignire's  scheu 
wurden.  Unsere  Indianer  erklärten  diese  01eicl)ijüllior- 
keit  aus  der  Dummheit  des  Thiers  j  es  ist  jedoch  wahr- 
scheinlicher, dafs  die  Chiguires  aus  langer  Erfalirung 
wissen,  das  Crocodil  vom  Apure  und  vom  Orenoko 
greife  auf  dem  Land  nicht  an,  wofern  der  Gegenstand 
seines  Raubes  sich  nicht  unmittelbar  am  Wege  findet, 
wenn  es  dem  Wasser  zugeht. 

In  der  Nähe  von  Joval  erhält  die  Landschaft  einen 
imposanten  und  wilden  Ciiaracter.  Hier  sahen  wir  auch 
den  grüfsten  Tiger,  der  uns  noch  vorgekommen  war. 
Selbst  die  Landes -Eingebornen  waren  über  seine  ganz 
, aus- 

*)  Zu  Ausmittiung  der  Schnelligkeit  derStröme  auf  ihrer  Was- 
serflache hahe  ich  gewöhnlich  am  Ufer  eine  Länge  von  2S0 
Fufs  gemessen,  und  &xii  Chronometer  die  Zeit  bezeichnet, 
welche  ein  dem  Strom  liherlassener  schwimmender  Körper 
brauchte  ,  um  den  nämlichen  Raum  zu  durchlaufen. 


Kapitel     XVIII.  369 

aufserordentliche  Länge  erstaunt 5  sie  übertraf'diejenliie 
ftllor  indianischen  Tiger,  welche  ich  je  in  den  europäi- 
sch»n  Menagerien  gesehen  habe.  Das  Thier  lag  im 
Schalten  eines  grolsen  Zamctui:^  '-')  hingestreckt.  Es 
halte  eben  erst  ein  Chigiiire  erlegt,  seinen  Raub  aber 
noch  nicht  vorzehrt,  sondern  eine  seiner  Tatzen  stützte 
sich  darauf.  Die  Zmnnros ,  eine  Art  Geyer,  welche 
wir  weiter  oben  mit  den  Percnopteres  von  Unter- Egyp' 
ten  verglichen  haben,  hatten  sich  haufenweise  versam- 
melt, um,  was  vom  Mahle  des  Jaguars  übrig  bleiben 
würde,  zu  verzehren.  Durch  eine  seltsame  Mischung 
von  Kühnheit  und  Furchtsamkeit  gewährten  sie  uns  ein 
anziehendes  Schauspiel.  Sie  näherten  sich  bis  auf  zvvey 
Fufs  dem  Jaguar,  aber  die  mindeste  Bewegung  dessel- 
ben schreckte  sie  zurück.  Um  die  Neigungen  dieser 
Tliiere  in  der  Nähe  zu  beobachten,  setzten  wir  uns  in 
den  kleinen  Kahn,  der  unsere  Firoge  begleitete.  Es  ge- 
schieht höchst  selten,  dafs  der  Tiger  Kähne  angreift,  wel- 
che er  schwimmend  erreichen  kann,  und  er  thut  dies 
einzig  nur,  wenn  andauernder' Nahrungsmangel  seine 
\Yildhcit  gesteigert  hat.  Das  vom  Schlagen  unsrer  Hu- 
der verursachte  Geräusch  bewog  das  Thier,  langsaxn  von 
seinem  Lager  aufzustehen  und  sich  hinter  Aen  Sauso- 
Gebüschen,  die  das  Ufer  einfassen,  zu  verbergen.  Die 
Geyer  wollten  diesen  Augenblick  benutzen,  um  das  Chi- 
gulre  zu  verschlingen.  Allein  der  Tiger  sprang,  der 
Nähe  unsers  Kahns  unerachtet,  mitten  unter  sie,  und 
trug  in  einem  Anfall  von  Zorn,  welchen  die  Geberden 
und  die  Bewegung  des  Schwanzes  auszudrücken  schie- 
nen, seinen  Haub  in  den  Wald.  Die  Indianer  bedauer- 
ten, ihre  Lanzen  nicht  bey  sich  zu  haben,  um  landen 
und  den  Tiger  verfolgen  zu  können.     Sie  sind  an  dies» 


*)  Eine  Art  der  Münos?. 

Alex.  ».  Humboldts  hist.  fieistn.  HI-.  2^ 


370  Buch     VI. 

Waffe  gewöhnt,  und  sie  hatten  recht ,  sich  auf  unsere 
Flinten  niciit  zu  verlassen,  welche  in  einer  so  ausneh- 
mend feuchten  Luft  öfters  den  Schufs  versagten. 

Weiter  unten  am  Strome  trafen  wir  die  grofse  Heer- 
de  der  Chiguire  an,  welche  der  Tiger  in  die  Flucht  ge- 
jagt und  aus  der  er  seine  Beule  geholt  hatte.  Diese 
Thiere  salien  unserer  Landung  ruhig  zu.  Einige  waren 
gelagert  und  liatten  ihre  Blicke  auf  uns  geheftet,  wäh- 
rend sie,  nach  Art  der  Kaninchen,  die  Oherlippe  beweg- 
ten. Den  Menschen  schienen  sie  nicht  zu  fürchten, 
aber  der  Anblick  unsers  grofr^en  Hundes  jagte  sie  aus- 
einander. Weil  ihr  Hinterbug  höher  ist,  so  laufen  sie 
im  kurzen  Galopp,  aber  so  langsam,  dafs  wir  zwey 
derselben  fangen  konnten.  Das  Chiguire  ,  welches  mit 
der  gröfsten  Behendigkeit  schwimmt,  stufst  im  Laufen 
kleine  Seufzer  aus,  wie  von  gehemmtem  Athemholen. 
Es  ist  das  gröfste  Thier  aus  der  Familie  der  JNagerj  es 
vertheidigt  sich  nur  im  äufsersten  Nothfall,  wenn  es 
gefangen  und  verletzt  ist.  Weil  seine  Backenzähne  *), 
vorzüglich  die  hintern,  ungemein  stark  und  ziemlich 
lang  sind,  so  kann  es  durch  seinen  Bifs  die  Tatze  eines 
Tigers  oder  das  Bein  eines  Pferdes  verwunden.  Sein 
Fleisch  hat  einen  ziemlich  unangenehmen  Bisamgeruch. 
Es  werden  jedoch  im  Lande  Sciiinken  daraus  bereitet, 
und  es  kann  dies  gevvissermafsen  den  Namen  J^Vasser- 
Schwein  rechtfertigen,    welchen  einige  ältere  Naturfor- 


*}  Wir  haben  auf  jeder  vScile  18  Scheidewände  C'ames)  gezählt. 
An  den  Hinlertüfsen,  oben  awi  Milteiknochen,  findet  sich  eine 
Schwiele,  3  Zoll  lang  und  l  Zoll  breit,  die  unbehaart  ist. 
Be^m  Sitzen  ruht  das  Thier  auf  diesem  Theil.  Ein  aus- 
wärts sichtbarer  Schwanz  ist  nicht  vorhanden ;  biegt  man 
aber  die  Haare  zurück,  so  nimmt  man  einen  Hübcl  wahr, 
eine  nackte  runzlige  Fleischmasse,  von  kegelförmiger  Ge- 
staltung und  einen  halben  Zoll  lans. 


H  a  p  {  t  e  I     XVIII.  '        371 

scher  dpin  Chiguire  ertlieilt  liaben.  Die  Mi^sionarien- 
Möüclie  machen  sich  kein  Bodenken ,  während  der  Fa- 
stenzeit von  diesen  Schinken  zu  speisen.  Ihrem  zoolo- 
gischen Systeme  zufolge  komiiien  das  Gnrtellhier  (Ta- 
tou),  da^  (hionire  und  die  Seekuh  (Lamantin)  nehen  die 
Scinifllu'vile  zu  stehen  5  das  erste,  weil  es  mit  einer  har- 
ten Decke,  einer  Art  Schale  versehen  ist,  die  zw ey  an- 
dern, weil  j^ie  Ampi  ihien  sind.  An  den  Gestaden  der 
Ströme  Santo  Domingo,  Apuie  und  Arauca,  in  den 
Sümpfen  und  üherschwemmlen  Savanen  der  Lilanos  *) 
kommen  die  (yhiguires  in  solcher  Menge  vor,  dafs  die 
Viehweiden  darunter  leiden.  Sie  verzehren  das  Kraut, 
von  dem  die  Pferde  am  leichtesten  fett  werden,  und  das 
den  jNauien  Chignirero  (Kraut  des  Chiguire)  führt.  Sie 
nähren  sich  hinwieder  auch  von  Fischen,  und  wir  sahen 
mit  Erstaunen,  wie  das  Thier,  durch  einen  annähernden 
Kalm  geschreckt,  heym  Eintauchen  acht  his  zehn  Mi- 
nuten unter  dem  Wasser  hlieb. 

Die  Nacht  brachten  wir,  wie  allezeit,  tmter  freyem 
Himmel  zu,  obgleich  in  einer  Pßanuing ,  deren  Be- 
sitzer sich  mit  der  Tigerjagd  abgab.  'Er  war  beynahe 
vüllio-  nackt  und  braunschwär/lich  wie  ein  Zambo. 
was  ihn  aber  keineswegs  hinderte,  sich  zur  Caste  der 
weissen  Menschen  zu  zählen.  Seine  Frau  und  seine 
Tochtei",  die  eben  so  nackt  wie  er  selbst  giengen,  nannte 
er  Donna  l«abela  und  Donna  Manuela.  Obgleich  er 
nie  die  Gestade  des  Apure  verlassen  hatte,  äufserte  er 
eine  lebhafte  Theilnahme  ,,an  den  Neuigkeiten  aus  Ma- 
drit,  an  den  immerwährenden  Kriegen  und  an  all*  den 
Dingen  von  dort  unten  (todas  las  cosas  de  allä).'^'  Er 
wufsle,    dafs  der  König  von  Spanien  bald  zum  hesuch 


*)  Nahe  bey  Urifucu,   im  Canno  dcl  RavanaJ.,  sahen  v.ir  ein«. 
Heerde  von  80  bis  loo  Stücke». 


3/2  Buch     FL 

y,dev  Herrlidikeiten  der  Landschaft  Caracas^'  kommen 
würde;  inzwischen  setzte  er  scherzhaft  hinzu,  ,,\veil 
die  Hofleute  nur  Weizcnbrod  essen,  so  dürften  sie  wohl 
nie  Aveiter  als  bis  in  die  Stadt  Victoria  kommen,  und  hier 
zu  Land  werde  man  von  ilinen  nichts  sehen."  Icli  hatte 
ein  CJiigiiire  mitgebracht,  und  wollte  dasselbe  braten 
lassen;  tinser  Wirth  aber  behauptete,  nos  ostros  cavel- 
leros  blancos,  weifte  L/aute  wie  er  und  ich  wären  nicht 
gemacht,  um  „indianisches  Wild^^  zu  speisen;  er  bot  uns 
einen  Hirsch  an ,  welchen  er  Tags  zuvor  mit  einem 
Pfeile  erlegt  hatte,  denn  Pulver  und  Schiefsgewehr  be- 
safs  er  nicht. 

Wir  vermutheten,  ein  nahes  Pisangwäldchen  berge 
die  Hütte  der  Meyerey;  es  fand  sich  aber,  dafs  dieser 
auf  seinen  Adel  und  seine  Hautfarbe  so  stolze  Mann 
sich  die  Mühe  nicht  gegeben  hatte,  aus  Palmblättern 
einen  Schoppen  zu  errichten.  Wir  wurden  eingeladen, 
unsere  Hängematten  neben  die  seinen,  zwischen  zwey 
Bäumen  aufzuhängen;  beynebens  versicherte  er,  mit 
einiger  Selbstzufriedenheit,  wir  würden,  wenn  wir  wäh- 
rend der  Regenzeil  zurück  reisten,  ihn  unter  Dache  '") 
finden.  Wir  kamen  bald  in  den  Fall,  die  Nachtheile 
einer,  der  Trägheit  so  günstigen  und  den  Menschen 
für  die  Bequemlichkeiten  des  Lebens  gleichgültig-  ma- 
chenden Philosophie  inne  zu  werden.  Wach  Mitter- 
nacht erhob  sich  ein  heftiger  Sturmwind,  Blitze  durch- 
zogen den  Horizont,  der  Donner  rollte,  und  wir  wurden 
bis  auf  die  Haut  durchnäfst.  Während  des  Gewitters 
ergab  sich  ein  seltsamer  Zufall,  der  uns  einen  Augen- 
blick erlustigte.  Die  Katze  der  Donna  Isabela  hatte 
sich  ihr  Nachtlager  auf  dem  Tamarindenbaum  gewählt, 
unter  dem  wir  bivvackten.     Sie  fiel  in  die  Hängematt» 

*)  Baxo  techo. 


11  a  p  i  t  e  l     XVIII.  3?3 

eines  unsrer  Begleiter  herab,  vvelclier,  von  flen  Klauen 
der  Katze  ^'erletzt  und  aus  iiei'em  Schlaf  aufgeweckt, 
sich  von  einem  wilden  Thier  überfallen  glaubte.  Wir 
eilten  auf  sein  Geschrey  herbey,  und  konnten  ihn  nur 
mit  Miihe  A^on  dem  Irrthume  überzeugen.  Während 
der  Hegen  in  Strömen  auf  unsere  Hängematten  und  auf 
die  ans  Land  gebrachten  Instrumente  niederfiel,  be- 
glückwünschte uns  Don  Ignacio,  dafs  wir,  statt  am  Ge- 
stade zu  übernachten,  uns  auf  seinem  Gute  befänden 
und  in  Gesellschaft  weifser  Menschen  von  Stande,  „en- 
ire  gente  blanca  y  de  trato."  Durchnäfst  wie  wir  wa- 
ren, fiel  es  uns  schwer,  die  Vortheile  dieser  Lage  ein- 
zusehen, und  wir  hurten  nur  mit  einiger  Ungeduld 
der  langen  Erzählung  zu,  die  uns  unser  Wirth  von  sei- 
nem vorgeblichen  Kriegerzug  an  den  Rio  Meta  machte, 
von  der  Tapferkeit,  welche  er  in  einem  blutigen  Ge- 
fecht mit  den  Guahibos- Indianern  erwiesen,  und  „von 
den,  durch  Wegnahme  von  Kindern  C^os  Indiecitos'), 
die  er  aus  der  elterlichen  Heimath  in  die  Missionen 
brachte,  Gott  und  seinem  König  geleisteten  Diensten/' 
Welch  eine  seltsame  Erscheinung  in  dieser  unermefsli- 
chen  Einöde ,  alle  eitlen  Anmafsungen,  jedes  erbliche 
Vorurtheil  und  alle  Verkehrtheiten  einer  alten  Civilisa- 
tion  bey  einem  Manne  anzutrefi'en ,  der  von  europäi- 
scher Herkunft  zu  seyn  glaubt,  und  aufser  dem  Schat- 
ten eines  Baumes  kein  anderes  Obdach  besitzt. 

Am  1.  April  bey  Sonnenaufgang  verabschiedeten 
•wir  uns  vom  Sennor  Don  Ignacio  und  von  der  Sennora 
Donna  Isabela,  seiner  Gemahlin.  Die  Luft  war  abge- 
kühlt, und  der  Thermometer,  der  meist  den  Tag  über 
3o°  bis  35°  zeigte,  war  auf  24°  gesunken.  Die  Tem- 
peratur des  Flusses  wechselte  nur  wenige  sie  blieb  sich 
immer   gleich    zwischen    26°  und    27°.       Eine  Menge 


374  Buch    PI, 

Baumstämme  schwammen  den  Strom  herab.  Man  sollte 
denken^  in  einem  ganz  flachen  Lande,  wo  das  Auge 
nirgends  den  kleinsten  Hügel  entdeckt,  liülte  sich  der 
Fluis  ,  durch  die  Gewalt  seiner  Strüniung,  einen  Ca- 
nal  in  gerader  Richtung  gegraben.  Ein  Blick  auf  die 
pharte,  die  ich  durch  Aufnehmen  mit  der  ßoussole  ge- 
zeichnet habe,  bezeugt  das  Gegentheil.  Die  beyden 
vom  Wasser  angegriffnen  Ufer  setzen  ungleichen  Wi- 
derstand entgegen,  und  fast  unmerkliche  Unebenheiten 
der  Oberfläche  reichen  liin,  um  grofse  Krümmungen 
zu  veranlassen.  Unterhalb  dem  JovuL  jedoch,  wo  das 
Flufsbelt  sich  einigermafsen  erweitert,  bildet  dasselbe 
einen  Canal,  der  völlig  nach  der  Schnur  gezogen 
scheint,  und  zu  beyden  Seiten  von  sehr  hohen  Bäumen 
beschattet  wird.  Diese  Abtheilung  des  Stromes  wird 
Caniio  ricco  genannt  5  ihre  Breite  betrug  i36  Toisen. 
Wir  kamen  bey  einem  flachen  Eilande  vorbey,  das  von 
unzählbaren  Flamingos,  rosenfarbigen  Löfl'elreihern, 
Fischreihern  und  Wasserhühnern  bevölkert  war,  deren 
Gefieder  das  bunteste  Farbenspiel  darbot.  Diese  Vögel 
fanden  sich  dermalsen  dicht  zusammengedrängt,  dafs  es 
schien,  als  könnten  sie  sich  kaum  bewegen.  Das  von 
ihnen  bewohnte  Eiland  lioifst  Isla  de  Aves.  Weiter 
unten  kamen  wir  bey  der  Stelle  vorbey,  an  welcher 
der  Apure  einen  Arm  (den  Rio  Arichuna)  dem  CabuUare 
sendet  und  dadurch  eine  beträchtliche  Wasserniasse  ver- 
liert. Wir  hielten  am  rechten  Ufer,  bey  einer  kleinen 
indischen  Mission  an,  die  von  einem  Stamme  der  GuU' 
mos  bewohnt  wird.  Sie  bestand  nur  noch  in  i6  bis  1^ 
aus  Pahnbaunxbiältcrn  erbauten  Hütten;  in  den  statisti- 
schen Tabellen  aber,  welche  von  den  Missionarien  dem 
Hof  jährlich  eingereicht  werden,  führen  diese  beysam- 
men  stehenden  Hütten  den  Namen  der  DorJ'schaJt  von 
Santa  Barbara  de  Arichuna. 


Kapitel     XFIII.  375 

Die  Gnamos'^  sind  ein  Indianer- Stamm,  der  nicht 
leicht  an  bieibeiide  W  ohnstätlen  gewöhnt  werden  mag« 
Ihi'e  Lebensweise  hat  viel  AtJinlichkeil  Jiiit  den  Sitten 
der  yicliagnas ,  der  Giiajihos  **)  und  der  Otomaco.v, 
denen  sie  an  Unreinlichkeit^  Kachsucht  und  in  der  Wei- 
sung zum  Herumstreichen  vollkommen  gleich  stehen 5 
ihre  Sprache  hingegen  ist  wesfutlicli  vtn-schiedcn.  Die 
grofse  Mehrzahl  dieser  vier  Stämme  nährt  sich  mit  Fi- 
scherey  und  Jagd  in  den  öfters  überschwemmten,  zwi- 
schen dem  Apuro,  dem  Meta  und  dem  Guaviare  gele- 
genen Ebenen.  Die  Beschaifenheit  des  Landes  selbst 
acheint  das  unstete  Leben  seiner  Bewohner  zu  veranlas- 
sen. Wir  werden  bald  sehen,  dafs  beym  Eintritt  in  das 
Gebirge  der  Cataracten  vom  Orenoko  unter  den  Pi- 
raoas ,  den  Macos  und  den  Maquiritares  mildere 
Sitten,  Neigung  zum  Landbau  und  eine  grofse  Rein- 
lichkeit im  Innern  der  Hütten  angetroffen  wird.  Auf 
dem  Kücken  der  Berge,  mitten  in  dichten  Wäldern  ist 
der  Mensch  genöthigt^  ein  kleines  Stück  Erdreich  an- 
zubauen und  darauf  sein  Obdach  zu  suchen.  Dieser 
Anbau  erheischt  nur  geringe  Anstrengung,  während 
in  einer  Landschaft,  worin  Flüsse  die  einzigen  Strafsen 
bilden,  die  Lebensart  des  Jägers  schwierig  und  müh- 
sam ist.  Die  Guamos  der  Mission  von  Santa  Barbara 
konnten  uns  die  Vorräthe,  welche  wir  wünschten,  nicht 
geben.  Sie  pflanzen  nur  etwas  Maniocj  übrigens  schie- 
nen sie  gastfreundlich  zu  seyn,  und  als  wir  in  ihre  Hüt- 
ten traten,  wurden  uns  gedörrte  Fische  nnd  Wasser  (in 
ihrer  Sj)rac:ie  cuh^  angeboten.  Das  Wasser  war  in  po- 
rösen Gefäfben  abgekühlt. 

*)  Der  Pater  Gili  hehauptel ,  ihr  indischer  IVamc  sey  Uanut 
und  Fau^  und  sie  haben  ursprünglicl»  am  obcrn  Ainpure 
gewohnt. 

**)  Ihr  indischer  !S"anie  ist  Guaii'a  (auszuspreclien  Guahii'o). 


37^?  Buch     VI. 

UnterLaib  Viielta  del  Cochino  roto,  an  einer  Stelle, 
wo  der  Strom  sich  ein  neues  Bett  gegraben  hatte,  brach- 
ten wir  die  Nacht  am  unfruchtbaren  und  sehr  ausgedehnt 
flachen  Gestade  zu.  Die  dichte  Waldunsr  war  so  iinzu- 
gänglich j  dafs  wir  die  gröfste  Mühe  hatten,  trockneg 
Holz  zum  Anzünden  der  Feuer  zu  erhalten,  in  deren 
Nähe  die  Indianer  sich  gegen  die  nächtlichen  Angriffe 
des  Tigers  gesichert  glauben.  Unsere  eigne  Erfahrung 
scheint  diese  Meinung  zu  unterstützen  ;  Hr.  Azara  hin- 
gegen meWet,  zu  seiner  Zeit  und  in  Paraguay  habe  ein 
Tiger  einen  Manschen,  welcher  bey  einem  in  der  Sa- 
vane  angezündeten  Feuer  safs,  überfallen  und  fortge- 
schleppt. 

Die  Nacht  war  still  und  heiter,  bey  schönem  Mond- 
schein. Die  Crocodile  lagen  am  Ufer  hingestreckt.  Sie 
hatten  sich  also  gelagert,  dafs  sie  in's  Feuer  schauen 
konnten.  Wir  haben  zu  bemerken  geglaubt,  dafs  sein 
Glanz  dieselben  eben  so  mächtig  anzieht,  wie  die  Fische, 
die  Krebse  und  andere  Bewohner  des  Wassers.  Di»,^  In- 
dianer zeigten  uns  im  Sand  die  Tritte  von  drey  Tigern, 
unter  denen  zwey  noch  ganz  junge.  Ohne  Zweifel  war 
es  ein  weibliches  Thier,  das  seine  Jungen  zur  Tränke 
an  den  Strom  geführt  hatte.  Weil  nirgends  l^ein  Baum 
zu  finden  war,  liefsen  wir  unsere  Huder  in  die  Erde 
stecken  ,  um  die  Hängematten  daran  zu  befestigen.  Al- 
les blieb  ruhig  bis  um  eili  Uhr  Nachts  5  alsdann  aber 
erhob  sich  aus  dem  nahen  Wühl  ein  so  furchtbarer  Lärm, 
dafs  es  beynahe  unmügUch  ward  ein  Auge  zu  sthliefsen. 
Von  der  Menge  wilder  Thierstimmen,  welche  gleich- 
zeitig ertönten,  mochten  unsere  Indianer  nur  diejenigen 
unterscheiden,  die  sich  auch  vereinzelt  hören  liefsen. 
Es  waren  die  leisen  Flötenlöne  der  Sapaju's,  die  Seuf- 
zer der  Alouaten,  das  Geschrey  des  Tigers,  dos  Coxx- 
guars,    oder  des  americanischen  Löwen  ohne  Mähne, 


Kapitel     XVIII.  377 

des  Blsainschweins,  des  Faulthiers,  des  Hocco^  des 
Parraqua  und  einiger  anderer  Vogel  aus  dem  Hüliner- 
fioschlecht.  Wenn  die  Jaguars  dem  Saum  des  Waldes 
nahe  harnen,  fieng- unser  Hund,  der  zuvor  beständig 
e;ebellt  iiatte ,  zu  heulen  und  sich  unter  den  Hängemat- 
ten zu  verkriechen  an.  Zuweilen,  nach  langer  Stille,  er- 
tönte das  Brüllen  des  Tigers  von  den  Bäumen  herab, 
und  alsdann  folgte  ihm  das  schneidend  anhaltende  Pfei- 
fen der  Affen ,  welche  der  sie  bedrohenden  Gefahr  zu 
entfliehen  schienen. 

Ich  stelle  diese  Nachtscenen  in  ihren  einzelnen  Zü- 
gen dar,  weil  sie  im  Anfang  der  Wasserfahrt  auf  dem 
Apure  uns  noch  neu  waren.  Wir  gewöhnten  uns  daran, 
nachdem  sie  ganze  Monate  lang  sich  wiederholt  hatten, 
überall  wo  die  Waldung  dem  Strombette  genähert  ist. 
Die  Sicherheit,  welche  die  Indianer  zu  Tage  legen, 
flöfsi  den  Reisenden  Zutrauen  ein.  Man  beredet  sich 
mit  ihnen,  die  Tiger  scheuen  alle  das  Feuer,  und  ein 
Mensch,  der  in  seiner  Hängematte  liegt,  werde  nie  von 
ihnen  angegriflTen.  Wirklich  sind  die  Fälle,  wo  solche 
Angriffe  geschahen,  äufserst  selten,  und  während  eines 
langen  Aufenthalts  im  südlichen  America  erinnere  ich 
mich  des  einzigen  Beyspiels  eines  Lälanero,  welcher, 
den  Achaguas- Inseln  gegenüber,  in  seiner  Hängematte 
zerfleischt  gefunden  ward. 

Die  Landes- Eingebornen,  wenn  man  sie  um  die 
Ursache  fragt,  warum  die  Waldthiere  zu  gewissen  Stun- 
den in  der  Nacht  einen  so  furchtbaren  Lärm  machen, 
geben  die  lustige  Antwort:  „Sie  feyern  den  Vollmond.'^ 
Ihre  Unruhe  rührt,  wie  ich  denke,  meist  von  einem 
Streit  her,  der  sich  im  Innern  des  Waldes  erhoben  hat. 
Die  Jaguars  zum  Beyspiel  verfolgert  die  Pecari's  und 
die  Tapir's,  welche  sich  nur  durch  ihre  Menge  verthei- 
digen,  in  gedrängten  Schaaren  fliehen  und  das  Gebüsöh 


3^8  B  II  c  h     VI. 

auf  ihrem  We^ye  7,erdrücl<en.  Die  furchtsamen  unH  arsr- 
wühnischen  Affen,  von  dem  Kampfe  erschrecl^t,  erwie- 
dern  das  Geschrey  dei"  grofsen  Thiere  von  den  Bäumen 
herah.  Sie  wecken  die  gesellig  lehenden  Vögel,  und 
nach  und  nach  geräth  die  ganze  Menagerie  in  Aufruhr. 
Wir  werden  bald  sehen,  dals  gar  nicht  immer  bey  hel- 
lem Mondschein,  sondern  vorzüglich  zur  Zeit  der  Ge- 
witter und  heftiger  f^egengüsse  jener  Lärm  unter  den 
wilden  Thieren  stattfindet.  „Der  Himmel  wolle  ihnen 
eine  gute  fSacht  und  Kühe  verleihen,  wie  uns  andern,^^ 
sprach  der  Mönch,  der  uns  an  den  Kio  Negro  heglei- 
tet haltf«,  als  er  von  Müde  erschöpft  unser  Biwack  er- 
richten hall!  Es  war  in  der  That  ein  seltsamer  Umstand, 
nulten  in  der  waldigen  Einöde  keine  Stille  finden  zu 
können,  in  den  spanischen  Gasthöfen  scheut  man  den 
scharfen  Ton  der  Zither  im  anstofsenden  Zimmer;  in 
denen  am  Orenoko  ,  welche  ein  offnes  Flufsgestade  oder 
der  Schatten  eines  einzeln  stehenden  Baumes  sind,  fürch- 
tet man  durch  die  aus  dem  Wald  herkommenden  Stim- 
men vom  Sclilafe-  abgehalten  zu  werden. 

Am  2.  April  giengen  wir  vor  Sonnenaufgang  unter 
Segel.  Der  Morgen  war  schön  und  kühl,  nach  dem 
Gefühle  derer,  welche  an  die  Hitze  des  Clima's  gewöhnt 
sind.  In  freyer  Luft  stieg  der  Thermometer  nicht  über 
28°,  aber  der  trockne  und  weifse  öfersand  behielt,  seiner 
Strahlung  ^a^en  den  wolkenlosen  Himmel  unerachlet, 
eine  Temperatur  von  36°.  Die  Meerschweine  {Toni- 
nas^  durchzogen  den  Strom  in  langen  Reihen.  Das 
Ufer  war  mit  J'aucher- Vögeln  beset/.t.  Einige  dersel- 
ben bonutzen  das  Flötzholz,  welches  den  Strom  her- 
unter kommt,  um  diejenigen  Fische  zu  übeifaüen,  wel- 
che sich  in  der  Mitte  des  Flusses  halten.  Unser  Kahn 
war  diesen  Vormittag  mehrmals  aufgefahren.  Solche 
Slöfse,   wenn  sie  heftig  sind,  können  leichte  Fahrzeuge 


Kapitel     XVIII.  379 

spalten.  Wir  sliefsen  gegen  dio  Spitze  mehrerer  gro- 
/"ser  BiiuDie,  die  seit  Jahren  in  einer  schiefen  Stellung  in 
den  Stronigrund  eingesenkt  waren.  Diese  Bäume  kom- 
men zur  Zeit  der  grofsen  Ueberschwemmungen  vom 
Sarare  herab.  Sie  füllen  das  Strombett  dermafsen  an, 
dafs  die  Pirogen  auf  der  Rückfahrt  stromaufwärts  zu* 
wellen  Mühe  haben,  zwischen  den  Untiefen  und  überall, 
wo  Strudel  sind,  sich  Durchgang  zu  öffnen.  Nahe  bey 
der  Insel  der  Carizalen  gelangten  wir  an  eine  Stelle,  wo 
wir  über  der  Wasserfläche  Courbaril- Stämme  von  aus- 
serordentlicher Grüfse  erblickten.  Sie  waren  mit  eine? 
dem  Anhinga  sehr  nahe  verwandten  Art  des  Plotus  be- 
deckt. Diese  Vögel  sitzen  reihenweise  wie  die  Fasanen 
und  die  Parraquas.  Sie  bleiben  Stunden  lang  unbeweg- 
lich mit  in  die  Höhe  gerichtetem  Schnabel,  was  ihnen 
ein  xMigemein  dummes  Aussehen  giebt. 

Von  der  Carizalen-Insel  abwärts  war  uns  die  Ab- 
nahme der  Wassermasse  des  Stromes  um  so  auffallender, 
als,  von  der  Gabeltheilung  bey  der  5oca  de  Arichuna 
an,  keinerley  Arm  oder  natürlicher  Ableitungs- Cajuil 
dein  Apure  Wasser  entzieht.  Das  Verhältnifs  beruht 
einzig  auf  den  Wirkungen  der  Ausdünstung  und  des 
Durchseihens  am  flachen  sandigen  und  feuchten  Ufer. 
Um  einen  Betriff  von  der  Gröfse  dieser  Wirkungen  zu 
erhalten,  mufs  man  sich  erinnern,  dafs  wir  die  Wärme 
des  trocknen  Sandes,  in  den  verschiedenen  Tageszeiten, 
zu  36°  bis  02°  gefunden  haben,  und  hingegen  diejenige 
des  mit  drey  bis  vier  Zoll  W^asser  bedeckten  Sandes  zu 
32°.  Das  Strombett  erwärmt  sich  bis  zu  der  Tiefe,  zu 
welcher  die  Sonnenstrahlen  dringen  mögen,  ohne  auf 
dem  Durchgang  der  übereinander  liegenden  Wasser- 
schichten eine  allzugrofseSchwäcliung  erlitten  zu  haben. 
Dazu  kommt,  dafs  das  Durchseihen  sich  weithin  über 
das  Flufsbelt  seitwärts  ausdehnt.      Die   Ufer,   obgleich 


38o  Buch     VI. 

sie  trocken  sind  ^  werden  bis  zur  Höhe  der  Stromfläche 
mit  Wasser  durchzog^en.  Wir  sahen  bey  fünfzig-  Toisen 
Entfernung-  vom  Gestade  Wasser  hervorquillen^  so  oft 
die  Indianer  ihre  Ruder  in  die  Krde  einschhigen  :  dieser 
in  der  Tiefe  feuchte,  auf  seiner  Oberfläche  trockne  und 
den  Sonnenstrahlen  aufgesetzte  Sandhoden  wirkt  me 
ein  Schwamm,  «nd  verdünstet  ununterbrochen  das  ein- 
gesogene Wasser.  Die  sich  ent^yickelnden  Dünste  durch- 
dringen die  obere  beträchtlich  erwärmte  Sandschichte 
•und  werden,  wenn  die  Luft  sich  am  Abend  abkühlt, 
eiclilbar.  In  dem  Verlüiltnifs  wie  das  Ufer  durch  diese 
Ausdünstung  Irockner  wird,  zieht  es  aus  dorn  Strom- 
bett wieder  neues  Wasser  an  sich,  und  es  ist  augenfillig, 
dafs  dies  fürdauernde  Spiel  der  Verdunstung  und  des 
seitwärts  ,  geschehenden  Einsaugens  einen  höchst  be- 
trächtlichen ,  der  genauen  Rechnung  jedoch  schwer 
zu  unterwerfenden  V^erlust  zur  Folcre  haben  mufs.     Die 

O 

Zunahme  dieses  Verlustes  müfste  mit  der  Länge  des 
StromlauffS  im  V^erhältnifs  stehen,  wofern  dieser  von 
seinem  Ursprung  bis  zur  Ausmündung  gleichmäfsig 
durch  flacht»  L'fer  eingefafst  wäre  5  weil  aber  die  letzte- 
ren ein  Ergebnifs  der  Anschwemmungen  sind,  und  die 
Ge\vässr>r  nach  Mafsgabe  der  weiteren  Entfernung  von 
ihren  Quellen  schwächeren  Fall  haben,  und  demnach 
mehr  Geschiebe  unterwärts  ablegen  als  weiter  oben,  so 
erleiden  dann  auch  manche  Ströme  der  heifsen  Länder, 
gegen  ihre  Ausmündung  hin,  einen  bedeutenden  Ver- 
lust in  ihrer  Wassermasse.  Hr.  Barrow  hat  diese  merk- 
würdiffon  Ergebnisse  des  Sandbodens  im  nördlichen 
Africa  an  den  Ufern  des  Orange-Flusses  beobachtet,  und 
es  sind  dieselhen  auch  sehr  wichtige  Momente  für  die 
Würdigung  der  verschiedenen  Hypothesen  über  den 
Lauf  des  Wigerstromes  geworden. 

Nahe  bey  der  Uuella  de  Basilio,  wo  wir  um  Pflan- 


Kapitel     XVIIT.  38l 

Ten  zu  sammeln  landoton,  ])omerkten  wir  Im  Gipfel  ei- 
nes Baumes  zwey  niedliclie  kleine  AfTen,  pechschwarz, 
von  der  GriJfse  des  Sai,  mit  'A  ickelschwänzen.  Ihre 
Gesichtszüge  und  Bewegungen  zeigten  hinlänglich,  dafs 
sie  weder  Co«i/rt'*,  noch  Chamek's  waren,  noch  über- 
haupt zu  den  Atece-  A^inn  gehörten.  Selbst  unsere  In- 
dianer hatten  noch  nie  solche  gesehen.  Es  finden  sich 
in  diesen  Wäldern  eine  Menge  den  europäischen  Natur- 
forschern noch  unbekannter  Sapajus  5  und  weil  die  Affen, 
zumal  die  rottenweiso  bevsammen  lebenden  und  darum 
auch  verwe^tüenern,  zu  gewissen  Zeiten  grofse  Wande- 
rungen imternehmen,  so  geschieht  öfters,  dafs  beym  Ein- 
tritt der  Regenzeit  die  Eingebornen  in  der  JNähe  ihrer 
Hütten  solche  Arten  entdecken,  die  sie  zuvor  nie  wahr- 
genommen haben.  Am  nämlichen  Ufer  zeigten  unsere 
Führer  uns  ein  Nest  junger  Leguanen,  die  nicht  über 
vier  Zoll  lang-  waren.  Man  mochte  sie  von  der  ffemei- 
nen  Eidechse  kaum  unterscheiden,  die  Wampe  unter- 
halb der  Kehle  war  einzig  noch  ausgebildet;  die  Kü- 
ckendornen hingegen,  die  grofsen  aufstehenden  Schup- 
pen und  alle  die  Ansätze,  welche  dem  Leguan,  wenn 
er  die  Länge  von  3  bis  4.  Fufs  erreicht  hat,  eine  so 
monströse  Gestalt  verleihen,  waren  gleichsam  nur  noch 
im  Keime  vorhanden.  Wir  fanden  das  Fleisch  dieser 
Eidechse  in  allen  Ländern,  die  ein  trocknes  Clima  ha- 
ben, sehr  schmackhaft,  auch  da,  wo  uns  andere  Nahrung 
keineswegs  fehlte.  Dasselbe  ist  sehr  weifs,  und  gehört 
nach  den  Fleisch  des  Tatou  oder  Armadills,  welches 
hier  Cachicamo  heifst,  zu  den  besten,  die  man  in  dea 
Hütten  der  Landes -Eingebornen  antrifft. 

Gegen  Abend  regnete  es.  Vor  dem  Regen  flogen 
die  Schwalben,  welche  den  unsrigen  völlig  gleichen, 
dicht  über  der  Wasserfläche  hin.  Wir  sahen  auch  einen 
Flug  Papagayen  Cperruches),  die  von  kleinen  nicht  ge- 


382  Buch     VI. 

schöpften  HaLichten  verfolgt  wurden.  Das  l^reischende 
Geschrey  der_  Papageyen  bildet  einen  seltsamen  Contrast 
mit  dem  Pfeifen  der  Haubvögel.  V^'ir  brachten  die  Nacht 
im  Freyen  am  Ufer  zu,  unfern  von  der  Cari/.alun-Insel. 
Verschiedene,  mit  Pflanzungen  umgebene  Hütten  der 
Indianci  befanden  sich  in  der  iNähe.  Unser  Steuermann 
sa^te  voraus,  wir  würden  den  Ja<i;uar  nicht  schreven  hö- 
ren,  weil  derselbe,  wofern  er  nicht  selir  hungrig  ist^ 
die  Orte  verläfst,  wo  er  nicht  allein  herrscht.  j^Die 
IS'ähe  der  Menseben  macht  ihn  launisch,  los  hombres 
lo  enjadan ,'■'  sagt  das  Volk  in  den  Missionen.  Es  ist 
dies  der  drollige  und  naive  Ausdruck  einer  richtig  beob- 
achteten Thatsache, 

Am  3.  April.  Seit  der  Abreise  von  San  Fernando 
hat  uns  kein  einziger  Kahn  auf  dem  schönen  Strome  be- 
gegnet. Alles  verkündigt  eine  völlige  Einöde.  Unsere 
Indianer  hatten  Vormittags  einen  Fisch  an  der  Angel 
gefangen,  den  die  Landes -Eingpbornen  Caribe  oder 
Caribito  heifsen,  weil  kein  anderer  Fiscli  blutgieriger 
ist.  Er  greift  badende  und  schwimmende  Mensclien  an, 
und  reifst  ihnen  öfters  ansehniiche  Stücke  fleisch  weg. 
Wer  auch  nur  leicht  verwundet  ist,  der  hat  Mühe  aus 
dem  Wasser  wegzukommen,  ehe  er  gefährlichere  Wun- 
den empfängt.  Die  Indianer  fürchten  diese  Carihen- 
Fische  ungemein,  und  mehrere  derselben  zeigten  uns 
an  der  Wade  und  am  Schenkel  vernarbte,  aber  tiefe 
Wunden,  die  von  diesen  kleinen  Thieren,  welche  die 
Maypuren  Umati  nennen,  herrührten.  Sie  halten  sich 
im  Grund  des  Stromes  auf}  sobald  aber  einige  Bluts- 
tropfen sich  ins  Wasser  ergiefsen,  so  sammeln  sie  sich 
zu  Tausenden  auf  der  Oberfläche.  Wenn  man  die  Men- 
ge dieser  Fische,  von  denen  die  gefräfsigsten  und  grau- 
samsten niclit  über  4  bis  D  Zoll  Länge  haben,  die  droy- 
eckige  Gestalt  ihrer  schneidenden  und    spitzen  Zähne, 


Kapitel    XVIH.  383 

und  die  Weite  ilires  dehnbaren  Mundes  bedenkt,  so 
mag  man  sich  über  den  Schrecken  nicht  wundern,  wA- 
chen  der  Carihe  den  Bewohnern  der  Gestade  vom  Apure 
und  ürenoko  A^erursacht.  \Vir  haben  au  Stellen,  wo 
der  Strom  vülli«»-  hell  und  noch  kein  Fisch  zu  sehen 
war,  Stückchen  bkiligen  Fleisches  in's  Wasser  gewor- 
fen, hl  wenigen  Minuten  war  ein  ganzer  Schwärm 
von  Cariben  versammelt,  die  sich  um  die  Beute  stritten. 
Der  Bauch  des  Fisches  ist  sägenförmig  gezähnt  und 
schneidend;  ein  Kennzeichen,  das  bey  mehreren  Gattun- 
gen angetroflen  wird,  bey  den  Serra  -  Salmes,  den  i'Wv- 
letes  und  den  Pristigastres.  Die  Gegenwart  einer  zwey. 
ten  fettigen  Rückenflosse  und  die  Gestalt  der  durch  die 
Lippen  bedeckten,  von  einander  entfernt  stehenden  und 
in  der  untern  Kinnlade  gröfseren  Zähne  weisen  dem 
Caribe  seinen  Platz  unter  den  Serra  -  Salmes  an.  Sein 
Alund  erscheint  ungleich  mehr  gespalten,  als  bey  den 
Myletes  des  Hrn.  Cuvier  der  Fall  ist.  Sein  Körper  hat 
gegen  den  Rücken  hin  eine  aschgraue  in's  grünlichte 
spielende  Farbe  5  hingegen  sind  Bauch,  Kiemen,  Brust-;, 
Bauch  -  und  Steifsflossen  von  schöner  ürangenfarbe. 
Man  findet  im  Orenoko  drey  Arten  (oder  Spielarten?), 
die  durch  ihre  Gröfse  unterschieden  werden.  Die  mitt- 
lere oder  Zwischenart  scheint  mit  der  mittleren  Art 
des  Piraya  oder  Piranha  von  Marcgrav  '•;)  identisch  zu 
seyn.  Ich  habe  sie  an  Ort  und  Stelle  beschrieben  und 
gezeichnet  **).  Der  Caribito  hat  einen  sehr  angeneh- 
men Geschmack.     Weil  man   nirgends  zu  baden  wagt, 


*)  Salmo  rhombeus,  I.in. 

*•)  Siehe  die  Abhandlung  über  die  Fische  der  aniericanischcn 
Aequinoctial  -  Länder ,  die  ich  gemeinsam  mit  Hrn.  Valen- 
ciennes  in  den  Observ.  de  Zoologie.  Vol.  IJ,  p.  14 5;  bekannt 
gemacht  habe. 


384  Buch     VI. 

wo  er  vorkommt,  so  kann  er  als  eine  der  grüfsten  Pla- 
gen dieser  Landschaften  angesehen  vv erden,  wo  die  Sti- 
che der  IVlosfjnitos  und  der  vielfältige  Hautreiz  den  Ge- 
brauch der  Bäder  so  nöthig  machen. 

Um  Mittag  hielten  wir  in  einer  öden  Gegend  an, 
die  Algodonal  heifst.  Während  das  Fahrzeug  ans  Ufer 
gezogen  und  unser  Mittagsmahl  zugerüstet  ward,  hatte 
ich  mich  von  der  Gesellschaft  getrennt.  Ich  gieng längs 
dem  Ufer  hin,  um  eine  Crocodil  Gruppe  in  der  TSähe 
zu  hoohachten.  Die  Thiere  schliefen  an  der  Sonne  und 
Agaren  so  gelagert,  dafs  ihre  mit  hreiti-n  Blättern  hesetz- 
ten  Schwänze  sich  gegen  einander  stützten.  Kleine 
schneeweifse  Heiher  *)  traten  ihnen  auf  den  Rücken 
und  eelhst  auch  auf  den  Kopf,  als  spazierten  sie  üher 
Baumstämme  hin.  DieCrocodile  waren  grauliclit-grün, 
zur  Hälfte  mit  trocknem  Schlamm  überzogen j  ihrer 
Farbe  und  Unbeweglichkeit  nach  konnte  man  bronzene 
Bilder  zu  sehen  glaui)en.  Es  fehlte  wenig,  so  wäre  mir 
dieser  Spaziergang  verderblich  geworden.  Ich  hatte 
immer  nur  gegen  das  Ufer  hingeschaut,  als  ich  beym 
Aufheben  der  im  Sand  vorkommenden  Glimmerblätt- 
chen  die  frischen,  durch  ihre  Gestalt  und  Breite  so 
leicht  zu  erkennenden  Fufstapfen  eines  Tigers  wahi*- 
nahm.  Das  Thier  hatte  seinen  Weg  nach  dem  Wald 
genommen,  und  so  wie  ich  mich  dorthin  umsah,  er- 
blickte ich  auf  80  Fufs  Entfernung  einen  Jaguar  unter 

dem 

*)  Garz'in  chicn.  In  Ober-Egypten  glaubt  man,  die  Reiher 
lieben  das  Crocodil,  weil  ibnen  beym  Fischfang  der  Schre- 
cken zu  gut  kommt,  den  das  monströse  Thier  den  Fischen 
einjagt,  die  es  aus  der  Tiefe  nach  der  Oberflfäche  des  Was- 
sers jagt  •,  an  den  INilgestaden  bleibt  jedoch  der  Reiher  kliig- 
licli  in  einiger  Entfernung  vom  Crocodil.  (Geoft'roy  de  Saint' 
Jlilaire ,  in  den  Annales  du  Mus.,  T.  IX,  p.  584)- 


Kapitel    XVIII.  385 

doin  {Hellten  Laubwei'k  eines  Cciba  aiisgostrecl't.  Ich 
glaubte  nie  einen  grüfseren  Tiger  gesehen  zu  haben. 

Ks  giebt  Zufalle  im  Leben,  i^egon  die  man  vorgeb- 
lich seuie  Vernunlt  zu  stählen  versucht.  Ich  erschrak 
heftig,  blieb  jedoch  meiner  selbst  und  der  Bewegungen 
meines  Körpers  hinliinglich  mächtig,  um  die  Hilthe  zu 
befolgen  j  welche  die  hingebornen  uns  für  solche  Fälle 
öiters  ertheilt  hatten.  Ich  schritt  weiter  vorwärts,  ohne 
zu  laufen  5  ich  vermied  jede  Bewegung  der  Arme,  und 
glaubte  zu  bemerken,  dafs  der  Jaguar  seine  ganze  Auf- 
jjierksamkeit  auf  eine  Keerde  Capyhuras  richtete^  die. 
über  den  Flufs  setzten.  Nun  schlug  ich  den  Rückweg 
unter  einem  bedeutenden  Bogenkreis  gegen  das  Ufer  ein. 
So  wie  ich  vorrückte,  glaubte  ich  meine  Schritte  be- 
schleunigen zu  dürfen.  Wie  manchmal  war  ich  ver- 
sucht zurückzusehen,  um  mich  zu  versichern,  dafs  ich 
niciit  verfolgt  ward  !  Zum  Glück  habe  ich  nur  spät  erst 
diesem  Trieb  Gehör  gegeben.  Der  Jaguar  war  unbe- 
weglich an  seiner  Stelle  geblieben.  Es  sind  diese  Bie- 
sen-Katzen mit  geflecktem  Kleide  in  den  Landschaften, 
die  an  Cnpyharas ,  Pecaris  und  Damhirschen  Üeber- 
flufs  haben,  so  wohl  genährt,  dafs  sie  nur  selten  den 
Menschen  angreifen.  Ich  kam  athemlos  bey  unserm 
Fahrzeuge  an,  und  erzählte  den  Indianern  mein  Abenteuer. 
Sie  blieben  dabey  ziemlich  gleichgültig 5  nachdem  je- 
doch die  Flinten  geladen  waren,  begleiteten  sie  uns 
nach  dem  Ceiba,  unter  den  der  Jaguar  sich  gelagert 
hatte.  Wir  trafen  ihn  nicht  mehr,  und  hielten  auch 
nicht  gerathen,  ihm  in  das  Gehölz  zu  folgen,  wo  man 
sich  zerstreuen  oder  einzeln  der  Reihe  nach  zwischen 
Lianengeflechten  gehen  mufs. 

Abends  kamen  wir  bey  der  Mündung  des  Canno 
del  yianali  yorhey ,  die  ihren  Namen  von  der  grolVen 
Menge  Manali's  oder  Seekiihe  führt^  welche  alljährlich 

Alex-   V.  Jiuinboldti  hist.    Riisen.    III.  25 


386  Buch     VI. 

da  gefangen  werden.  Dies  grasfressende  Thier  aus  der 
Familie  der  Cetaceen,  welches  die  Indler  Apcia  und 
yivia  ••')  nennen^  erreicht  gewöhnlich  eine  Länge  von 
lo  bis  12  Fuls.  Sein  Gewicht  beträgt  5oo  bis  800 
Pfund.  **J  Wir  sahen  das  Masser  von  seinem  Kolh  be- 
deckt, d(?r  sehr  übel  riecht,  und  übrigens  dem  Koth 
des  Rindviehs  völlig  gleicht.  Es  kommt  das  Thier  im 
Orenoko  unterhalb  den  Cataracten,  im  Kio  Meta  und 
im  Apure,  zwischen  den  zwey  Carrizales  -  Eilanden 
und  der  Conserva  in  Menge  vor.  Auf  der  Aufsenseite 
und  am  Rand  der  völlig  glatten  Flofsfedern  haben  wir 
l<eine  Spur  von  Nägeln  wahrgenommen  5  hingegen  zeig- 
ten sich  kleine  Nägelspuren  am  dritten  Glied,  wenn  die 
Haut  der  Flofsfedern  abgehoben  wird.  ***)  Bey  einem 
Thier,  welches  9  Fufs  Länge  hatte,  und  das  wir  zu 
Carichana,  einer  Mission  vom  Orenoko,  zergliederten, 
war  die  Oberlippe  vier  Zoll  über  die  Unterlippe  vor- 
stehend.    Sie   ist  mit  einer  sehr   zarten  Haut  bedeckt. 


*y  Das  erste  dieser  Worte  gehört  der  Tainanakcn-,  das  zweyte 
der  Otomaken  -  Sprache  an.  Der  Pater  Gili  hat  gegen 
Oviedo  beniesen  ,  dafs  das  Wort  Alanati  (Fisch  mit  Hän- 
dc/i)  nicht  spanisch  ist,  sondern  der  Haiti-  (von  Saint  -  Do- 
mingue)  und  Mavpuren-Spraclie  angehört.  Storia  del  Ori/ioco, 
Tom.  I,  p-  84 ,  Toni.  III,  p.  225.  Ich  glaube  ebenfalls, 
dafs ,  dem  Geist  der  spanischen  Sprache  zufolge ,  das  Thier 
Manudo  oder  Marion^  niemals  aber  Manuti  genannt  wor- 
den wäre. 

**)  Man  behauptet,  es  gebe  solclie,  die  bey  8000  Pfund  wiegen. 
(Cuvier  in  den  Ann.  du  Jllus.,  Tom,  XIII,  p.   28:). 

***)  Siehe  über  die  Seekuh  vom  Orenoko  und  von  den  Antil- 
len meinen  Hec  d'Obs.  de  Zoo/.,  Tom.  II,  p.  170.  Schon 
der  Paler  Caulin  hat  vom  iManati  gesagt:  ..,Tiene  dos  bra- 
zuelos  sin  division  de  dedos  v  sin  unnas.*'*'  iHist.  de  Nue- 
i-a  Aiidail ,  p.  49). 


Kapitel     Xrill.  38? 

und  dient  als  Rüssel  oder  Suciier  zu  Untersuchung  nahe 
Lelindlicher  Körper.  Die  Mundhöhlcj  welche  im  frisch 
getödleton  Tliier  eine  fühlbare  Wärme  hat^  zeigt  eine 
sehr  ungewühnliclie  Bildung-.  Die  Zunge  ist  fast  unbe- 
ueüücli:  aber  der  Zunffe  vorliegend ,  hefindct  sich  auf 
jeder  Kinnlade  eine  fleischige  Wulst  und  eine  mit  einer 
sehr  harten  Haut  überzogene  Höhlung-,  welche  gegen- 
seitig in  einander  passen.  Die  Seeluah  verschluckt  so 
viele  Futtergräser,  dafs  wir  sowol  den  in  mehrere  Fächer 
abijetheilten  Magen  als  die  108  Fufs  langen  Gedärme 
damit  angefüllt  fanden.  Wenn  das  Thier  rückwärts  ge- 
öffnet wird,  so  erstaunt  man  über  die  Gröfse,  Gestalt 
und  Lage  seiner  Lungen.  Sie  haben  weite  Zellen  und 
gleichen  sehr  grofsen  Schwimmblasen.  Ihre  Länge  ist 
drey  Fufs.  Mit  Luft  angefüllt  beträgt  ihr  Umfang  über 
eintausend  Cubikzoll.  Es  befremdete  mich ,  dafs  der 
3Ianali  nntso  ansehnlichen  Luftbehältern  doch  so  häufig 
zum  Behuf  des  Atheinholens  auf  der  Oberfläche  des  Was- 
sers erscheint.  Sein  Fleisch,  das,  ich  weifs  nicht  durch 
^velchcs  Vorurtheil,  für  ungesund  und  calentiiriosa  *) 
gehalten  wird,  ist  sehr  schmackhaft.  Ich  fand  es  dem 
Schweinefleisch  ähnlicher,  als  dem  Rindfleisch.  Die 
Guainos  und  die  Otomacos  sind  am  meisten  darnach 
lüstern  ;  und  diese  zwey  Völker  sind  es  auch  ,  die  sich 
vorzüglich  mit  der  Seekuh -Fischerey  abgeben.  Sein 
Fleisch  wird  eingesalzen  und  an  der  Sonne  gedörrt,  das 
ganze  Jahr  aufbewahrt,  und  weil  die  Geistlichkeit  die- 
ses Säugthier  unter  die  Fische  zählt,  so  ist  es  die  Fastea 
durch  sehr  begehrt.  Die  Seekuh  hat  ein  überaus  zähes 
Leben.  Sie  wird,  nachdem  sie  harpuniert  ist,  gebunden, 
aber  man  tödtet  sie  nicht  eher,  als  bis  sie  sich  wirklich 
in  der  Piroge-feefindet.     Dies  geschieht,  zumal  wenn  das 


*)  FieLermacIi^nd.  . 


388  B  u  c  h     PL 

Thler  grofs  ist,  oft  mitten  im  Strome,  indem  man  näm» 
Jicli  die  Piroge  zu  zwey  Drittheil  iliros  Inlialts  mit  Was- 
ser füllt,  sie  alsdann  dem  Thier  unterschiebt,  und  dja$ 
Wasser  mittelst  einer  Kürbifstlasche  wieder  ausschöpft. 
Der  Fang"  dieser  Thiere  ist  zur  Zeit,  wo  die  grofsen 
Ueberschwemmungen  zu  Ende  geiien,  am  leichtesten, 
indem  der  Ulanati  aus  den  grofsen  Flüssen  in  die  um- 
liegenden Seen  und  Sümpfe  übergehen  konnte,  und 
die  Wasser  jetzt  schnell  fallen.  Zur  Zeit  der  Jesuiten- 
Herrschaft  in  den  Missionen  am  untern  Orenoko  ver- 
sammelten sie  sich  alljährlich  in  Cabruta,  unterhalb 
der  Mündung  des  Apuro ,  um  mit  den  Indiern  ihrer 
Missionen,  am  Fufs  des  Berges,  welcher  gegenwärtig 
den  Namen  El  Capiichino  führt,  eine  grofse  Seekuh- 
Jagd  anzustellen.  Das  Fett  des  Thiers  ist  unter  dem 
INamen,  Maiileca  de  Manati  bekannt,  und  wird  zum 
Dienst  der  Kirchenlampen  benutzt  5  man  gebraucht  es 
auch  zur  Zubereitung  von  Speisen.  Es  hat  nicht  den 
widrigen  Geruch  des  Thrans  der  Wallfische  oder  ande- 
rer blasender  Cetaceen.  Die  Haut  der  Seekühe,  welche 
über  anderthalb  Zoll  dick  ist,  wird  in  Kiemen  zer- 
schnitten und,  gleich  den  Streifen  der  Ochsenhäute,  in 
den  JAtinos  statt  der  Stricke  gebraucht.  In's  Wasser 
getaucht,  bleibt  sie  einem  ersten  Grad  der  Fäulnifs  aus- 
tresetzt.  In  den  spanischen  Colonien  werden  Geiseln 
daraus  verfertigt.  Auch  liaben  die  Worte  latigo  und 
manati  eiiie  zusammentrefl'ende  Bedeutung.  Diese  Gei- 
seln aus  der  Haut  der  Seekühe  sind  ein  grausames  Straf- 
werkzeug der  unglücklichen  Sclaven  und  selbst  auch  der 
Indier  in  den  Missionen,  die  den  Gesetzen  zufolge  als 
freve  Menschen  behandelt  werden  sollten. 

Die  IN  acht  durch  biwakirten  wir  der  Insel  Conserva 
gegenüber.  Auf  dem  Weg  längs  dem  Saum  des  Waldes 
iiel  uns  ein  ungeheurer  Baumstamm  auf^  der,  bey  einer 


Kapitel     XVm.  3S9 

Höhe  von  70  Fufs,  voll  ästlgei' Dox'ncn  wrv.  Die  Lan- 
des -  Eingebornen  nennen  ilin  Barba  de  tigre.  Er  ge- 
hurt vielleicht  zur  Familie  der  Berberideen.  '')  FJie 
Indier  hatten  unsere  Feuer  am  Stromufer  angezündet. 
Wir  bemerkten  abermals,  dafs  ihr  Glanz  die  Crocodile 
anzieht  und  selbst  auch  die  Blaser  (^Toninas') ,  deren 
Geräusch  unser  Einschlafen  hinderte,  bis  das  Feuer  ge- 
löscht ward.  Wir  wurden  in  dieser  Nacht  zweymal  auf- 
geweckt, welches  ich  nur  defshalb  bemerke,  weil  es- 
<1en  wilden  Char^cter  der  Gegend  zu  bezeichnen  dient. 
Ein  weiblicher  Jaguar  näherte  sich  unserm  Biwack,  um 
sein  Junges  zur  Tränke  an  den  Strom  zu  führen.  Die 
Indier  jagten  ihn  weg,  aber  wir  hörten  das  Geschrey 
des  jungen  Thiers,  das  wie  eine  junge  Katze  miaute, 
noch  eine  geraume  Zeit.  Bald  hernach  ward  unser 
grofser  Doggen -Hund  vorn  an  der  Schnauze  gebissen, 
oder,  wie  die  Eingebornen  sagen,  gestochen.  Die  Ste- 
cher waren  sehr  grofse  Fledermäuse,  die  um  unsere 
Hängesäcke  her  schwärmten.  Sie  hatten  einen  langen 
Schwanz  wie  die  Molossen;  ich  glaube  jedoch,  dafs  es 
Phvllostomen  sind,  deren  mit  Wärzchen  besetzte  Zunge 
ein  Saugorgan  und  einer  bedeutenden  Verlängerung 
fähig  ist.  Die  Wunde  war  selix  klein  und  rund.  Wenn 
der  Hund,  sobald  er  sich  gebissen  fühlte.  Klagetöne 
ausstiefs,  so  geschah  dies  nicht  aus  Schmerz,  sondern 
weil  ihn    der  Anblick   der  unter  unsern   Hängematten 


*)  Am  Gestade  des  Apure  fanden  wir  folgende  Pflanzen :  Ain- 
mania  apurensis  ^  Cordia  cordifolia  ,  C.  grandi/lora  ,  Mol- 
lugo  sperguloides ,  IVIyosotis  lithospermoides  ^  spermacoce 
diffusa^  Coronilla  occidentalis  ^  Bignonia  apurcnsls  ^  Pisonia 
pubescens ,  P»uellia  viscosa ,  neue  Arien  der  Jussieva ,  und 
eine  Gattung  aus  der  Familie  de  Composeen,  der  flolandra 
verwandt ,  Hr.  Huntli's  Trichospira  menthoides. 


Sgo  *  B  n  c  h     VI. 

hervorkommenden  Fledermäuse  schreckte.  Diese  Zu- 
fälle sind  gar  viel  seltener,  als  man  selbst  hier  zu  Land 
glaubt.  Obgleich  wir  mehrere  Jahre  durch  vielfällig 
unter  freyem  Himmel  schliefen,  wo  der  Vampir  ••)  und 
andere  verwandte  Arten  häufig  vorkommen ,  so  sind 
wir  doch  niemals  verletzt  worden.  Uebrigens  ist  der 
Stich  ganz  und  gar  nicht  gefährlich  und  meist  auch  so 
wenig  schmerzhaft,  dafs  man  nicht  eher  erwacht ,  bis 
die  Fledermaus  wieder  weg  ist. 

Der  4.  April  war  der  letzte  Tag,  den  wir  auf  dem 
Rio  Apure  zubrachten.  Der  Pflanzen  wuchs  seiner  Ge- 
stade wird  stets  einförmiger.  Seit  ein  Paar  Tagen,  vor- 
züglich von  der  Mission  Arichuna  an,  liengen  wir  an 
durch  Insecten-Stiche  im  Gesicht  und  an  den  Händen 
jämmerlich  gequält  zu  werden.  Es  waren  nicht  JMos- 
qiiitos  y  welche  das  Aussehen  von  kleinen  Fliegen  oder 
Simnlies  **)  haben,  sondern  Zancudos ^  die  \iahre 
Schnacken ,  und  von  unserm  Culex  pipiens  völlig  ver- 
schieden sind.  Diese  stechenden  Insecten  kommen  erst 
nach  Sonnenuntergang  zum  Vorschein;  ihr  Saugrüssel 
ist  dermafsen  lang,  dafs,  wenn  sie  sich  auf  die  Unter- 
seite der  Hängematten  setzen,  sie  damit  durch  diese  und 
dichte  Kleidungen  hindurchdringen  mögen. 

Wir  wollten  die  Nacht  in  der  1  iiellci  del  Palmito 
zubringen;  die  Jaguars  finden  sich  aber  in  dieser  Ge- 
gend des  Apure  in  solcher  Menge,  dafs  unsere  Indier 
zwey  derselben  hinter  einem  Courbaril-Stamme  gilogert 
antrafen,  als  sie  eben  unsere  Hängematten  befestigen 
wollten.      Man   rieth  uns  weiter  zu  fahren  und   unser 


*)  Vespertili'o  speclrum. 

**)  Hr.  I.atrcille  liat  gefunden,  dafs  die  Mousticos  von  Süd- 
carolina zur  Gattung  Simulium  gehören  (Atraclocera  Mei- 
ßen). 


Kapitel     XVIIl.  391 

Naclillager  auf  dei-  Insel  Apurito,  ganz  nahe  beyni  Zu- 
sanimentiurs  mit  dem  Orenoko,  zu  nehmen.  Jis  gehört 
dieser  Theil  der  Insel  zur  Provinz  Caracas j  wo  hinge- 
gen die  Gestade  zur  Rechton  vom  Apure  und  vom  Ore- 
TJoko,  das  eine  zur  Provinz  V^arinas  und  das  andere  zur 
spanischen  Guiana  gehört.  Es  fanden  sich  keine  Bäume, 
an  die  unsere  KiJng'ematten  hefestiüt  -.v^erdon  konnten. 
Wir  mufsten  also  auf  Ochsenhäuten  und  zu  ebener  Erde 
lagern.  Die  Kähne  ?ind  zu  eng  ixnd  zu  voll  von  Zancu- 
dos,  um  die  Nacht  darin  zuzubringen. 

Weil  die  Ufer  an  der  Stelle,  wo  wir  unsere  Instru- 
mente an's  Land  gebracht  hatten,  ziemlich  steil  waren, 
so  k.onnten  wir  hier  neue  Beweise  dessen  erhalten,  was 
ich  anderswo  die  Trägheit  der  Vögel  aus  dem  Hühner- 
geschlecht in  den  Tropenländern  genannt  habe.  Die 
Hoccos  und  die  Stein  -  Pauxis  *)  sind  gewohnt  mehrmals 
im  Tag  zum  Flufs  herabzusteigen,  um  ihren  Durst  zu 
loschen.  Sie  trinken  viel  und  öfters.  Eine  beträchtli- 
che Anzahl  dieser  V^ögel  hatte  sich  in  der  Nähe  unsers 
Biwacks  einem  Schwärme  Parraquas- Fasanen  zugesellt. 
Das  Aufsteigen  am  abschüssigen  Ufer  fiel  ihnen  sehr  be- 
schwerlich, Sie  versuchten  es  mehrmals,  ohne  ihre 
Flügel  dabey  zu  gebrauchen.  Wir  trieben  sie  vor  uns 
her,  wie  man  eine  Heerde  Schaafe  vor  sich  hin  treibt. 
Auch  die  Zamuros- Geyer  mögen  sich  nicht  leicht  zun» 
Auffliegen  entschllefsen. 

Nach  Mitternacht  erhielt  ich  eine  gute  Beobachtung 
der  Mittagshöhe  vom  «  des  Kreuzes  im  Süden.  Die 
Breite  der  Mündung  des  Apure  beträgt  j-^  36'  23".  Der 
Pater  Gumilla  giebt  sie  zu  5°  5',  d'Anville  zu  7°  3'; 
Caulin  zu  7°  26'  an.  Die  Länge  der  hoca  des  Apure, 
nach  Sonnenhöhen,    die  ich   am   5.  Apiil  Morgens  auf- 


*)  Der  letztere  (CraxPauxi)  ist  minder  häufig'als  der  erste. 


392  Buch     VI. 

nahm,   beträg^l  69°  7'  29",  oder  1°  12'  41"  östlich  vom 
Meridian  von  San  Fernando. 

Am  5.  April  erschien  uns  die  geringe  Wassermasse 
sehr  auffallend,  welche  der  Hio  Apure  dem  Orenoko  in 
dieser  Jahrszeit  zuführt.  Der  nämliche  Strom,  der  mei- 
nen Messungen  zufolge  heym  Canno  ricco  noch  i36 
Toisen  hreit  war,  hatte  an  seiner  Ausmündung  nur  noch 
die  Breite  von  60  bis  80.  *)  Seine  Tiefe  betrug  an  die- 
ser Stelle  nur  3  bis  4  Toisen,  Er  verliert  allerdings  von 
seinem  Wasser  durch  den  Rio  Arichuna  und  den  Canno 
del  Manati,  zwey  Arme  des  Apure,  die  nach  dem  Pr.yara 
und  nach  dem  Guarico  hingehen;    inzwischen  scheint 

der  betrachtlichere  Verlust  auf  den  Durchseihunarcn  der 

o 

Gestade  zu  beruhen,  von  welchen  oben  die  Rede  gewe- 
sen ist.  Die  Geschwindigkeit  des  Apure  betrug  nahe  bey 
seiner  Ausmündung  nur  3  Fufs,2  in  der  Secunde;  so 
dafs  ich  die  ganze  Wassermasse  leicht  hatte  berechnen 
l<ünncn,  wenn  ich  durcb  genäherte  Senkbleye  mit  allen 
Dimensionen  des  Querdurchschnitts  bekannt  geworden 
wäre.  Der  Barometer,  welcher  in  San  Fernando,  28 
Fufs  über  dem  mittleren  Wasserstand  des  Apure,  sich 
um  halb  zehn  Uhr  Vormittags  auf  335,  6  Linien  erhal- 
ten hatte,  stund  an  der  Ausmündung  des  Apure  in  den 
Orenoko,  um  eilf  Uhr  Vormittags  auf  337,  3  Linien.**) 
Berechnet  man  die  ganze  Stromlänge  (mit  den  Krüm- 
mungen ='*^'"))  zu  94  Meilen  oder  §9,300  Toisen,  und 
berücksichtigt  man  die  kleine  von  der  Horar-Bewegung 


*)  Etwas  weniger,  als  die  Breite  der  Seine  am  Pont-Roy&l  dem 
Pallast  der  Tuillerien  gegenüber  beträgt. 

**)  Die  Temperatur  der  Luft  betrug   an  beyden  Orten  Si",  a 
und  32°,  4. 

***}  Ich  habe  diese  zu  \  der  Entfernung  berechnet. 


H  a  p  i  t  e  l     XFIII.  393 

des  Barometers  herrührende  Correction,  so  ergieht  sich 
ein  Durchschnitt- Fall  von  i3  Zoll  (genau  i  Fufs,  i5) 
auf  die  Meile  von  (j5o  Toisen.  La  Condarnine  und  der 
gelehrte  Major  Kennel  nehmen  an,  der  ünrchschnitt" 
Fall  des  Amazonenstromes  und  des  Ganges  betrage  nicht 
einmal  4  bis  5  Zoll  auf  die  Meile.  *_) 

Wir  stiefsen  mehrmals  auf  Untiefen,  ehe  wir  den 
Orenoko  erreichten.  Die  Anschwemmungen  sind  in 
der  Gegend  des  Zusammenflusses  ungemein  grofs.  Wir 
mufsten  unser  Fahrzeug  längs  dem  Ufer  .am  Taue  zie- 
l)en  lassen.  Welcher  Unterschied  zwischen  dem  Zu- 
stand des  Stromes  unmittelbar  vor  dem  Eintintt  der  Re- 
genzeit, wo  alle  Wirkungen  der  Lufttrocknifs  und  der 
Ausdünstung  ihr  IMaximiiTn  erreicht  haben,  und  je- 
nem andern  herbstlichen  Zustand,  wo  der  Apure  einem 
Arme  des  Meeres  gleicht,  und  die  Savanen,  so  weit  das 
Auge  reicht,  überdeckt.  Südwärts  entdeckten  wir  die 
abgesonderten  Hügel  von  Coruato ;  im  Osten  begannen 
die  Granitfelsen  von  Curiquima,  der  Zuckerhut  von 
Caycara  und  die  Berge  von  Tyran  **)  iCerros  del  Ti- 
rano')  sich  am  Horizont  zu  erheben.  Nicht  ohne  Küh- 
rung  erblickten  wir  zum  erstenmal  nach  langem  Har- 
ren die  Gewässer  des  Orenoko  auf  einem  von  der  Küst© 
60  entfernten  Punct. 


*)  Tuckey  Exped.  to  the  Congo  1818.     Einleitung  S.  17. 

**)  Dieser  Name  ist  vermuthlich  Anspielung  auf  die  Unterneh- 
mung  des  Antonio  Sedenno:  auch  der  Hafen  von  Caycara, 
gegenüber  von  Cabruta,  führt  heutzutage  noch  den  INamen 
dieses  Conquistador. 


Siebentes     Buch. 


Neunzehntes    Kapitel. 

T^erbindiing  des  Fiio  yipure  und  des  Orenoko.  —  Berge  von  Enea- 
ramoda-  ■ —  Uruana.  —  Baraguan.  —  Mündung  des  MetA.  — 
Insel   Paniunana. 


Als  wir  ^en  Rio  Apure  verliefsen,  hatte  die  Land- 
schaft ein  völlig  neues  Aussehen  erhalten.  Die  uner- 
mefsliche  Wasserfläche  lag-  einem  See  gleich ^  so  weit 
das  Auije  reichte,  vor  uns  ausgedehnt.  Schäumende 
Wellen  wurden  vom  Kampf  des  Windes  und  der  Strö- 
mung mehrere  Fufs  hoch  emporgehoben.  Die  krei- 
schenden Stimmen  der  Reiher,  der  Flamingos  und  der 
Löflelganse^  welche  in  langen  Reihen  von  einem  zum 
andern  Gestade  überfliegen,  liefsen  sich  jetzt  nicht  mehr 
in  der  Luft  hören.  Vergeblich  sahen  wir  uns  nach  den 
Schwimmvögeln  um,  deren  kunstreiche  List  sich  in  je- 
dem Stamme  verschieden  oifenbart.  Die  ffanze  JNatur 
halte  ein  minder  belebtes  Aussehen.  Nur  selten  erblick- 
ten wir  zwischen  den  holilen  Wellen  einzelne  grofse 
Crocodile,  welche  mittelst  ihrer  langen  Schwänze  die 
Fläche  des  unruhigen  Wassers  schief  durchschnitten. 
Den  Horizont  begrenzte  ein  waldigter  Kränz  5  allein 
nirgends  dehnte  der  Wald  sich  bis  zum  Flufsbette  avis. 
Ein  breites  Gestade,   von  der  Sonnenhitze   allezeit  ver- 


Kapitel     XIX.  395 

brannt,  öde  und  unfruchtbar  wie  das  Gestade  des  Meers, 
sah  von  weiten),  der  Luftspieglung  wegen,  wie  stillste- 
hendes Wasser  aus.  Weit  entfernt  dem  Strome  Grenzen 
zu  setzen,  machten  die  Sandufer  diese  vielmehr  unge- 
wifs,  und  es  erschienen  dieselben,  je  nach  dem  wech- 
selnden Spiel  der  Strahlenbrechung,  bald  näher  und 
bald  wieder  entfernter. 

In  diesen  einzelnen  Zügen  des  Landschaftgemäldes, 
in  diesem  Character  der  Einfachheit  und  der  Gröfse  er- 
kenntman  den  Lauf  des  Orenoko,  eines  der  ersten  unter 
den  majestätischen  Strömen  der  neuen  Welt.  Die  Ge- 
wässer, so  wie  das  Land,  stellen  überall  eine  eigenthüm- 
liche  und  bezeichnende  Gestaltung  dem  Auge  dar.  Das 
Strombett  des  Orenoko  hat  ein  anderes  Aussehen  als  die 
Betten  des  Meta,  des  Guaviare,  des  Kio  Negro  und  des 
Amazonenstroms.  Ihre  Verschiedenheiten  beruhen  nicht 
einzig  nur  auf  Breite  und  Schnelligkeit  des  Laufes  5  sie 
gehen  aus  einem  Inbegriff"  von  Verhältnissen  hervor,  die 
auf  Ort  und  Stelle  leichter  wahrzunehmen  sind,  als  sie 
genau  dargestellt  werden  mögen  5  so  dafs  ein  erfahrner 
Seemann  aus  der  blofsen  Gestaltung  der  Wellen  ,  aus 
der  Farbe  des  Wassers,  aus  dem  Ansehen  des  Himmels 
und  der  Wolken  errathen  könnte,  ob  er  sich  im  atlan- 
tischen, im  Mittelmeere  oder  im  Aequinoctial-Theil 
des  grofsen  Weltmeeres  befindet. 

Es  wehete  ein  kühler  Ost  Nord-Ost- Wind ,  dessen 
Richtung  unser  Stromaufwärtssegeln  nach  der  Mission 
von  Encaramada  begünstigte;  unsere  Piroge  leistete 
aber  dem  Wellenstofse  so  schwachen  Widerstand,  dafs 
Personen,  welche  der  Seekrankheit  ausgesetzt  waren, 
auch  auf  dem  Strome  Uebelseyn  litten.  Das  Gegenein- 
anderstofsen  der  Gewässer  bey  der  Vereinbarung  beyder 
Ströme  verursacht  den  Wellenschlag.  Dieser  Stofs  ist 
sehr  heftig,   jedoch  keineswegs  so  gefährlich,   wie  der 


396  Buch     VII. 

Pater  Gumilla  rersichert  *).  Wir  kamen  bey  der  Punla 
Curiquima  vorbey,  die  eine  Masse  von  quarzigem  Gra- 
nit^ ein  kleines  aus  abg^erundeten  Blöcken  bestolienrles 
Vorffebir^;-  ist.  Hier  halte,  am  rechten  Gestatio  des  Ure- 
noko,  zur  Zeit  der  Jesuiten,  der  l'iiter  Holella  eine 
Mission  vonPalenkes  und  Viriviri-  oder  Guires-Indianern 
gestiftet.  Zur  Zeit  der  Ueberschwemmungen  waren 
der  Felsen  Curiquima  und  das  an  seinem  Fuls  gelegene 
Dorf  völlig  mit  VVassor  umringt.  Dieses  sehr  nachthei- 
lige Verhältnifs  und  die  unzählbare  Menge  der  ISIosqni- 
los  und  Nigiias  **),  von  denen  der  Missionar  und  die 
Indianer  geplagt  wurden,  bewogen  sie  den  feuchten 
Ort  zu  verlassen.  Jetzt  ist  derselbe  gänzlich  verödet 5 
wogegen  jenseits  auf  dem  linken  Stromufer  die  Hügel 
von  Corualo  den,.theils  aus  den  Missionen,  theils  von 
den  Stämmen,  welche  nicht  von  Mönchen  beherrscht 
sind,  ausgestofsenen  herumstreichenden  Indianern  zum 
Aufenthalt  dienen. 

Die  aufserordentliche  Breite  des  Orenoko,  zwischen 
der  Mündving  des  Apui'e  und  dem  Felsen  Curiquima, 
bevvog  mich  ,  sie  mittelst  einer  zweymal  auf  dem  west- 
lichen Uler  gemessenen  Basis  zu  messen.  Das  Bett  des 
Stromes  hatte  in  seinem  gegenwärtigen  V^erhältnifs  des 
niedrigen  Wasserstandes  1906  Toisen  ***)  Breite;  die- 
selbe steigt  aber  auf  55 17  Toisen  t)  an?    wenn  zur  Re- 


*)   Orinoko  illustrndo ,  Tom.  I,  p.  47. 

**)  Die  Tschike's  oder  Sandilohe  rPulex  pcnctrans ,  I/in.),  wel- 
che dem  Menschen  und  den  Aflen  ihre  Ever  unter  die  INä- 
gcl  der  Pufsxchcn  legen. 

•**)  Oder  5714  Meiers    oder    4441    Varas   (1    INIeler  =z  o',5i3o7 
zr  1^,19546  berechnet). 

t)  Oder  10755  Meters    oder  i.i855   Varas. 


Kapitel     XIX.  397 

genzcit  der  Felsen  Curiquiina  und  der  Meyerhof  des 
Capuchino  ,  nahe  beym  Hügel  von  Pocopocori,  zu  In- 
seln wei'den.  Das  Anschwellen  des  Orenoko  vernielirt 
sich  durch  den  Andrang  der  Gewässer  des  Apure,  welche 
keineswegs,  gleich  andern  Flulseinniüadungen,  in  einem 
spitzen  Winkel  mit  dem  höheren  Theil  des  Haupt- Reci- 
pienten  zusammen  trefi'en,  sondern  sich  unter  einem 
rechten  Winkel  damit  vereinbaren.  Die  Temperatur 
der  Wasser  des  Orenoko,  an  mehreren  Puncten  des 
Strombetts  gemessen,  betrug  mitten  im  Thalweg,  wo 
die  Strömung  am  stärksten  ist,  28°,  3,  in  der  Nähe  der 
Ufer  29°,  2. 

Wir  fuhren  anfangs  in  süd-westlicher  Richtung  den 
Flufs  herauf,  bis  an's  Gestade  der  Guaricotos- Indianer 
am  rechten  Ufer  des  Orenoko,  von  da  aber  südwärts. 
Der  Strom  ist  so  breit,  dafs  die  Berge  von  Encaramada 
aus  dem  Wasser  emporzusteigen  scheinen,  als  sähe  man, 
sie  über  dem  Horizont  des  Meeres.  Sie  bilden  eine  zu- 
sammenhängende Kette  in  der  Richtung  von  Osten  nach 
Westen:  die  Landschaft  gewinnt,  im  Verhältnifs  wie 
man  ihr  näher  kommt,  ein  mahlerischeres  Aussehen.  Es 
sind  diese  Berge  aus  Ungeheuern  zerspaltenen  und  über 
einander  aufgehäuften  Granitblücken  zusammengesetzt. 
IhreTheilung  in  Blöcke  ist  die  Wirkung  der  Zersetzung. 
Zur  Verschönerung  der  Gegend  von  Encaramada  trägt 
der  kräftige  Pflanzenwuchs  wesentlich  bey,  welcher  die 
Felsen-Abhänge  deckt  und  einzig  nur  ihre  abgerundeten 
Gipfel  nackt  läfst.  Man  glaubt  altes  Gemäuer,  das 
mitten  aus  einem  Walde  emporragt,  zu  sehen.  Der 
Berg  selbst,  an  aessen  Fufs  die  Mission  gelegen  ist,  der 
Tepupano  *)  der  Tamanaken -Indianer,  stellt  auf  seiner 


*)   Tepu-pano.    Steingegend,    worin  man  tepu^  Stein,   Felsen 
findet ;    nie   in  tepu  -  iri ,    Berg.       Es   ist  dies   abermals  die 


398  Bach     VIL 

Höhe  drey  ungeheure  Granit -Cylinder  dar,  von  denen 
z\vey  "eingesenkt  sind,  während  der  dritte,  dessen  Un- 
tertheil  ausgeschnitten  und  der  über  So  Fufs  hoch  ist, 
eine  senkrechte  Stellung  behalten  hat.  Dieses  Fclsstück, 
dessen  Gestalt  an  den  Schnarcher  auf  dem  Harzgebirg, 
oder  an  die  Actopan'schen  Orgeln -erinnert  *),  gehörte 
vormals  zu  dem  abgerundeten  Gipfel  des  Berges.  Un- 
ter allen  Himmelsstrichen  ist  es  dem  niciit  aufgeschich- 
teten Granit  eigenthümlich,  sich  durch  Zersetzung  in 
Blöcke  von  prisn)atischer,  cylindrischer  oder  säulenar- 
ligfer  Geslaltunff  zu  trennen. 

Dem  Gestade  der  Guaricotos  gegenüber  näherten 
wir  uns  einer  andern,  sehr  niedrigen  und  drey  bis  vier 
Toisen  langen  Felsenmasso.  Sie  liegt  mitten  in  der 
libene,  und  gleicht  weniger  einem  tuiniilus ,  als  jenen 
Granit  -  Steinmassen ,  die  man  im  JNo'^-den  von  Holland 
und  Deutschland  Hiinenbette,  Grahmüler  (oder  Betten) 
der  Helden  nennt.  Die  Ufer  des  Ürenoko  sind  in  die- 
ser Gegend  nicht  mehr  ein  reiner  und  quarziger  Sand  5 
«ie  bestehen  aus  Thon  und  Glimmerblältchen,  welche  in 
düimen  \ind  meist  zu  40  bis  5o  Grad  eingesenkten  Sdiich- 
ten  gf^lagert  sind.  Man  könnte  zersetzten  Glimmerscliie- 
fer  zu  sehen  glauben.  Dieser  Wechsel  in  der  geologi- 
schen Bildung  der    Ufer    dehnt  sich  weithin  über  die 


Lesghier ,  tartarisch  :  oygurschc  Wurzel,  tep  (Stein) ,  die  in 
America  bey  den  Mexicanern  im  tepetl  ^  bcj  den  Cariben 
im  tebou^  bcy  den  Tamanal;en  im  tepuiri  wieder  angetrof- 
fen wird,  and  eine  merkwürdige  Verwandtscliaft  der  Spra- 
chen am  Caucasus  und  in  Ober  -  Asien  mit  denjenigen  an 
den  Gestaden  des  Orenol<o  darbietet. 

*)  In  der  Reise  des  Kapitän  Tuckey  an  den  Rio  Congo  findet 
sich  die  Abbildung  eines  Granit- Felsen  des  Taddi  Enzazi. 
weicher  dem  Berg  von  Encaramada  ungemein  gleich  sieht. 


Kapitel     XIX.  399 

Mündung  des  Apure  aus.  Wir  haben  dieselbe  an  die- 
sem letzteren  Strom  bis  Algodonal  und  bis  zum  Canno 
del  INIanati  walirgenomnien.  Die  Gliminerblältclien 
kommen  unzweifelhaft  von  den  Granit^ebirgen  von  Cu- 
riijuima  und  Encaraniada  her;  denn  weiter  nördlich 
und  östlich  trifl't  man  nur  (quarzigen  Sand,  Sandstein, 
dichten  Kalhstein  und  Gyps  an.  Die  von  Süden  nach 
IVorden  einander  folgenden  Anschwemmungen  Iiönnen 
uns  am  ürenoko  nicht  befremden;  wie  mag  man  sich 
hingegen  die  nämliche  Erscheinung  im  Bttte  des  Apure, 
sieben  Meilen  westwärts  von  seiner  Mündung,  erklären? 
In  den  jetzt  bestehenden  Verhältnissen  werden  auch  bey 
dem  gröfsten  Wasserstand  des  Ürenoko  die  Gewässer 
des  Apure  nie  so  weit  zurückgetrieben;  und  um  sich. 
die  Erscheinung  zu  erklären,  sieht  man  sich  genöthigt 
anzunehmen,  die  Glimmerschichten  seyen  zu  einer  Zeit 
abgelagert  worden,  wo  diese  ganze  sehr  niedrige  Land- 
schaft zwischen  Caycara,  dem  Algodanal  und  den 
Bergen  von  Encaraniada  das  Becken  eines  Binnensees 
bildete. 

Wir  verweilten  einige  Zeit  im  Hafen  von  Encara- 
niada. Es  ist  derselbe  eine  Gattung  embarctcclcre ,  ein 
Ort,  wo  die  Schiffe  sich  versammeln.  Ein  40  bis  5o  Fufs 
hoher  Fels  bildet  das  Gestade.  Es  sind  immer  die  glei- 
chen übereinander  gehäuften  Granit- Blöcke,  wie  im 
fränkischen  Schneeburg  und  in  beynahe  allen  europäi- 
schen Granitberircn.  Einitre  dieser  abi^efonderten  Mas- 
sen  haben  eine  kugelförmige  Gestalt:  es  sind  jedoch 
keine  aus  concentrisclien  Schichten  bestehende  Kugeln, 
y\ie  wir  deren  anderswo  beschrieben  haben,  sondern 
blofse  abgerundete  Blöcke,  Herne,  die  durch  Zersetzung 
von  ihren  Decken  getrennt  wurden.  Dieser  Granit  ist 
bleygrau,  öfters  schwarz,  w'ie  mit  Braunstein  Oxid  über- 
zogen}   diese  Farbe  dringt  jedoch  nicht  üjjer  eine  Drit' 


400  Buch     VIl. 

tel-Linie  des  Fossils,  welches  ueifs-rüthlich.  grob-kor- 
nigtist,  und  keine  Hornblende  enthält. 

Guftja  und  Caramana  *^  sind  die  indischen  Namen 
der  Mission  von  San  Luis  ilel  Encarumadu.  Das 
Dürfclien  ward  im  Jahr  1749  durch  den  Jesuiten,  Paler 
Gili,  den  Vei'fasser  der  zu  P^om  erschienenen  Storia 
dcll  Orinoco  gegründet.  Dieser  in  den  Sprachen  der 
Jndier  wohl  bewanderte  Missionar  hat  während  acht- 
zehn Jahren  bis  zur  Vertreibung  der  Jesuiten  in  dieser 
Einsamkeit  gewohnt.  Um  sich  von  dem  wilden  Zu- 
stand dieser  Länder  einen  richtigen  Beü:ril}zu  machen^ 
Inufs  man  sich  erinnern,  dals  der  Pater  Gili  von  Cari- 
chana 

*)  Die  Missionen  in  Süd -America  führen  insgesammt  IS'anien, 
uelche  aus  zucy  Worten  zusainincngeselzt  sind,  wovon  das 
erste  allzeit  der  IVame  eines  Heiligen  Cdes  Kirchen- Patrons) 
und  der  zvveyte  ein  indischer  ISanie  ist  (des  Volks,  das  sie 
}>euohnt  und  der  Gegend,  worin  die  Einrichtung  getroffen 
ward).  So  sagt  man  San  Jose  de  Alaypures  ,  Santa-Cruz  de 
Cachipo ,  San  Juan  iNcpomuccno  de  los  Atures,  u.  s.  w.* 
Diese  zusammengesetzten  PSamen  iverden  aher  in  amtlichen 
Schriften  der  Urkunden  nicht  gebraucht;  die  Einwohner  be- 
dienen sich  nur  des  einen,  und  gewöhnlich,  wofern  er  wohl- 
lautend ist,  des  indischen  ISamens.  Weil  die  Heiligen- !Sa- 
nien  in  nahe  beysammen  liegenden  Orten  mehrinals  ange- 
wandt werden,  so  veranlassen  diese  Wiederholungen  eine 
grofse  Verwirrung  in  der  Erdbesclueibung.  Die  INamen 
San  Juan ,  San  Pedro  und  San  Diego  erscheinen  auf  unsern 
Charten  wie  zufällig  h:nge;vorfen.  Die  Mission  von  Guaja 
stellt  (wie  man  versichert)  ein  sehr  seltenes  Beyspiel  der 
Zusammensetzung  zweyer  spanischer  Worte  dar.  Das  Wort 
Encaramada  bedeutet,  was  übereinander  lipgt,  von  encara- 
niar,  attolere.  Man  leitet  es  von  der  Gestaltung  des  Tepu- 
pano  und  der  benachbarten  Fclsstücke  her:  Vielleicht  ist  es 
nur  ein  in«Jischcs  Wort  CCaramanä),  worin  man,  wie  in 
Maiiali ,  durch  EfymoIogiL-nsucht  geleitet,  eine  spanische 
Bedeutung  zu  findea  geglaubt  hat. 


Kapitel     XrX.  401 

cliana  *')?  de'^'pn  Enlfornunnr  von  Rncaramafla  40  Mei- 
len betragt,  als  von  einem  weit  ei.tfernlen  Urlo  spricht, 
und  dafs  er  niemals  bis  /um  er.^ten  (>nlarnct  des  Stromes, 
von  dem  er  die  Beschreibung  unternonjmon  hat,  ge- 
langt ist. 

Im  Hafen  von  Encaramada  trafen  wir  Carlbon  aus 
Panapana  an.  Bs  war  ein  Cnzil-.e,  der  in  seiner  Plroge 
den  Orenoko  liinauffuhr,  um  dem  berühmten  Sclild- 
kroten-Everfanü;^  bey/uwohncn.  Der  Hintei  thoil  «meiner 
Piroge  war  wie  ein  Bongo  abgerundet,  und  von  eip.em 
kleineren  Kahn,  der  CHr/ar«  heifst,  begleitet.  Er  safs 
unter  einer  Art  Zelt  {loldo),  das  gleich  dorn  Segel  aus 
Palmbauml)lättern  verfertigt  war.  Sein  kaller  und  stum- 
mer Ernst,  so  wie  die  Ehrfurcht,  mit  der  seine  Begleiter 
ihn  bedienten,  deuteten  die  Wichtigkeit  der  Person  an. 
So'ist  tru"^  der  Cazike  keine   andere  Kleidun«-  als   seine 

D  O 

Indianer.  Sie  waren  nämlich  alle  nackt,  mit  Bogen 
und  Pff'il  bewaffnet,  und  mit  0/ioto ,  dfm  fiirltenden 
Satimehl  des  Kocon,  bemalt.  Der  Häuptling,  seine  Die- 
ner, die  Geräthschaften  und  die  Segel,  Alles  war  roth 
gefärbt.  Diese  Cariben  schienen  uns  Menschen  von 
fast  athletischer  Gestaltung  zu  seyn:  wir  fimden  sie  gar 
viel  schlanker,  als  die  Indier,  welche  uns  bisher  zu  Ge- 
sicht gekommen  waren.  I!)re  glatten  und  dichten  Haare, 
an  der  Stlrne  wie  bey  den  Chorknaben  aligeschiiitlin, 
ihre  schwarz  gefiirbten  Augenbraunen,  ilir  finsterer,  je- 
doch kräftiger  Blick  erthrllen  ihrem  Gesicht  einen  Aus- 
druck grofser  Häito.  Wir  liatlen  bis  dabin  nur  die  in 
den  europ;iischen  Sammlung  n  auf  beu  alirten  Schüdel 
einiger  Cariben  von  ^\en  Antillen  Ellanden  gesehr n^ 
und  waren  de«nahen  befremdet,  bey  die^^en  l.;dlern  vom 
Urstamme  die  Slirne  ungleich  gewülbter  (plus  bombe^ 


*)  Saggio  dl  Stnria  Americann^  Tom.  I5  p.    122. 
Alex.  u.  Humboidts  hist.  Reisen.  JJI.  26 


4oz  Buch     VIL 

anzutreffen,  als  solche  uns  v.nren  beschrieben 'worden. 
Die  sehr  grofsen,  aber  ekelliaft  schmutzigen  Weiber 
trugen  ihre  Kleinen  Kinder  auf  dem  Rücken  ;  um  die 
Schenkel  und  Beine  waren  diesen  letztern  breite  Bande 
von  Baumwollluch  in  einiger  Entfernung  von  einander 
umgelegt.  Das  unter  dem  V  erband  stark  zusammenge- 
prefste  Fleisch  war  in  den  Zwischenräumen  aufge- 
schwellt. Ueberhaupt  bemeikt  man,  dafs  die  Cariben 
auf  ihr  Aeufseres  und  auf  ihren  Schmuck  so  viele  Sorg- 
falt wenden,  als  nackte  und  rolh  bemalte  ISlenschtn  nur 
immer  thun  können.  Sie  legen  auf  gewisse  Leibesfor- 
men einen  grofsen  Werth,  und  eine  Mutter  würde  der 
Gleichgültigkeit  gegen  ihre  Rinder  beschuldigt,  wenn 
sie  der  Wade  niclit  die  Gestalt,  welche  die  Landessitte 
heischt,  zu  geben  bemüht  wäre.  Da  keiner  unserer  In- 
dianer vom  Apure  die  Caril)cn?prache  verstund,  so 
konnten  wir  bey  dem  Caziken  von  Ponama  auch  keine 
Erkundigungen  über  die  Lager  einziehen,  welche  man 
zum  Behuf  des  Einsammelns  der  Schihlkrüten- Eyer  in 
dieser  Jalirszcit  auf  verschiedenen  Inseln  des  Orenoko 
veranstaltet. 

In  der  Nähe  von  Encaramada  wird  der  Strom  durch 
ein  sehr  langes  Eiland  in  zwey  Arme  gelheilt.  Die 
Nacht  brachten  wir  in  einer  Felsenbucht  zu,  der  Mün- 
dung des  Rio  Cabullare  gegenüber,  der  aus  dem  Payara 
und  dem  Atamaica  gebildet  und  zuweilen  als  ein  Arm 
des  Apure  angesehen  wird,  weil  er  mit  diesem  durch 
den  Rio  Arichuna  zusammenhängt.  Der  Abend  war 
schon  und  der  IVIond  beleuchtete  den  Gipfel  der  Granit- 
felsen. Der  feucliten  Luft  unerachtet  war  die  Wärme 
so  gleichförmig  verlheilt,  dafs  kein  Funkeln  bemerkt 
wurde,  selbst  zu  4°  oder  5°  Erhöhung  über  dem  Hori- 
zont. Das  Licht  der  Planeten  war  ausnehmend  gc- 
schwächt5  und  wofern  ich  nicht^  um  der  Kleinheit  des 


Kapitel    XIX.  4o3 

scheinbaren  Dnrclimessers  vom  Jupiter  willen,  einen 
Irrthmii  in  der  Lieobachtun^  zu  mutliinarsen  verajilafst 
wäre,  würde  ich  sagen,  dafs  wir  hier  zum  erleimial 
die  Scheibe  dos  Jupiters  mit  unbewairnetem  Auge  zu 
unterscheiden  glaubten.  Gegen  Mitternacht  ward  der 
Nord -Ost -Wind  sehr  heftig.  Kr  führte  keine  Wolken 
herbey,  aber  das  Himmel  gewülbe  üher/og  sich  zuse- 
hends n^it  Dünsten.  Es  traten  starlie  Wliidstüfse  e.n, 
welche  für  die  Sicherheit  unserer  Piroge  ßesoTj^nisse 
erregten.  Diesen  ganzen  Taof  über  hatten  wir  nur  ue- 
nige  Crocodile  gesehen,  die  aber  alle  von  ausnehmen- 
der Gröfse,  20  bis  24  Fufs  lang  waren.  Die  Indianer 
behaupteten,  die  jungen  Crocodile  ziehen  die  Lachen 
und  die  woniger  hreitin  und  weniger  tiefen  Ströme  vor; 
sie  häufen  sich  sondi  rheitlich  in  don  Cannos  an,  und 
man  wäre  versucht  auf  sie  anzuwenden,  was  Abd-Allatif 
von  den  INil- Crocodilen  sagt:  *)  j^Sie  wimmeln  wie 
Würmer  in  den  Untiefen  des  Stroms  und  um  die  unbe- 
wohnten Inseln  her/' 

Am  6.  April  ward  die  Fahrt  den  Orenoko  hinauf 
fortgesetzt,  anfangs  in  südlicher,  hernach  in  süd- west- 
licher Richtung,  urid  wir  bekamen  die  Südseite  der 
Seri'ania  oder  Bergkette  von  Encaramada  zu  Gesicht. 
Der  dem  Strom  nächstgolegene  Theil  ist  nicht  über  140 
bis  160  Toisen  erhöhet  5  allein  durch  ihre  steilen  Ab- 
hänge, durch  ihre  Lage  mitten  in  einer  Savane,  durch 
ihre  in  uaregelmäfslge  Prismen  gehauenen  Felsenspitzen 
erhält  die  Serratia  ein  sehr  hohes  Ausgehen.  Ihre 
gröfste  Breite  beträgt  nicht  über  drey  Mellon ;  den  mir 
von  den  Indiern  der  Pareka-Nation  ertheilten  Anzeigen 
zufolge  breitet  sich  dieselbe  ostwärts  beträchtlich  wei- 
ter aus.  Die  Gipfel  der  Encaramada  bilden  das  n'ird- 
lichste  Glied  einer  Berggruppe,  welche  das  rechte  Ufer 

*)  Descripl.  de  lEgyplc,  trad.  par  M.  S^lvestre  de  Sacy,  p.  141. 


404  B  u  c  h     VII. 

des  Orenoko,  zwischen  Hern  5°  und  dem  ^°  J  der  Breite, 
von  der  Mündung  des  Rio  Zania  bis  zu  derjenigen  des 
Cabullare  begränzt.  Die  versc'uiedenen  Theile^  aus  de- 
nen diese  Gruppe  besteht,  sind  durch  kloine  begraste 
Ebenen  von  einander  gesondert.  Es  bestellt  kein  volU 
kommner  GK^chlauf  zwischen  iluien,  indem  die  nörd- 
lichsten die  Hichtung  von  West  nach  Ost,  die  südlich- 
sten hin^i;egen  diejenige  von  INordwest  nach  Südost  ha- 
ben. Dieie  veränderte  Hichtung  erklärt  die  Breitezu- 
nahme hinlänglich,  welche  in  der  Cordillere  von  la  Pa- 
ritne  osl  •.  ärts,  zwi'^chon  den  Quellen  des  Orenokö  und 
des  Bio  Paru.-pa,  wahrgenommen  wird.  Bevm  Vorrü- 
cken über  die  grofsen  Cataracten  von  Atures  und  May- 
pures  hinaus,  werden  wir  eine  Reihe  von  sieben  Haupt- 
gliedt'rn  der  Kette  aufeinander  folgon  sehen,  die  von 
Encaramada  oder  Sacuina  ,  von  Chaviripa,  vom  Bara- 
guan,  von  Carichana,  von  Uniama,  von  Calitamini 
und  von  S  papo.  Diese  Ueber?icht  mag  einen  allge- 
meinen Begrili  der  geologischen  Beschaffenheit  des  Lan- 
des gewähren,  lieber  den  ganzen  Erdball  erkennt  man 
ein  Streben  nach  regelmäfsigen  Formen  in  den  Ge- 
birgen ,  welche  am  uuregehnäfsigsten  gruppirt  schei- 
nen. Jedes  Glied  stellt  sich  den  Schiflahrern  auf  dem 
Orenoko,  in  einem  Querdurchschnitt,  als  ein  abgeson- 
derter Berggipfel  dar  5  allein  diese  Absonderung  i^t  nur 
scheinbar.  Die  Regelmäfsigkeit  in  der  Richtung  und 
Trennung  der  Glieder  scheint,  nach  Mafsgabe  wie  man 
ostwärts  vorrückt,  abzunehmen.  Die  Berge  von  Enca- 
ramada sc-iliefsen  sich  an  die  des  Mato  an,  auf  denen 
der  Rio  Asiveru  oder  Cuchivero  entspringt;  diejenigen 
von  CSaviripa  dehnen  sich  durch  die  Granitgebirge 
von(yaros«l^  von  Amoco  und  von  Muscielago  bis  zu 
den  Quellen  vom  Erevato  und  Ventuari  aus. 

Durch   dieses  Gebirgland^    das  von  Indianern  l>e- 


Kapitel    XIX.  4o5 

WoTint  wird,  die  milde  Sitten  habon  and  sich  mit  (fem 
Landliau  beschäftigen  *) ,  hatte  der  General  Iturriage 
zur  Zeit  des  Grenz- Zugs  das  für  die  Versorgung  der 
neuen  Stadt  San  Fernando  de  Atabapo  bestinmjte  Horn- 
vieh führen  lassen.  Die  Bewohner  von  Encaramada 
zeigten  damals  den  spanischen  Soldaten  den  Weg  des 
Rio  Manapiari  **"),  der  sich  in  den  Ventuari  ausmün- 
det. Führt  man  diese  zwey  Ströme  herab,  so  gelangt 
mafi  in  den  Orenoko  und  in  den  Ataliapo,  ohne  den 
gröfsen  Cataracten  zu  begegnen,  welche  dem  Fortbrin- 
gen des  Viehes  fast  unübersteigliche  Hindernisse  entge- 
gensetz«». Der  Unternehmungrgeisty  welcher  die  Ca- 
Sfcillanen  zur  Zeil  der  Entdeckung  von  America  in  so 
vorzüglichem  Grad  ausgezeiclmet  hatte,  trat  un>  die 
Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  für  einige  Zeit 
neuerdings  hervor,  als  König  Ferdinand  VI.  die  wahren 
Grenzen  seiner  ausgedehnten  Besitzungen  kennen  woll- 
te ,  üh'd  als  in  den  Wäldern  von  Guiana,  diesem  classi- 
schen  Boden  der  Lüge  und  mährchenhafter  Ueberlie- 
ferungon,  die  Schlauheit  der  Indier  jene  trügerischen 
Eeurüfe  von  den  Keichtliümern  des  Dorado,  welche  die 
Phantasie  der  ersten  Eroberer  so  mannichfach  beschäf- 
tigt hatte,  nochmals  in's  Leben  rief. 

Man  fragt  sich  mitten  in  diesen  Bergen  von  Enca- 
ramada, die  gleich  den  meisten  grobkörnigen  Granit- 
felsen keine  Erzgänge  haben  ,  woher  die  Goldgeschiebe 


*)  Die  Mapoycs-,  Parecas-,  Javaranas-  und  Curacicanas-IntUaner, 

die   schöne    Pflanzungen   Cconucos)    in    den   Savanen    haben, 

mit  <Ienen  diese  Waldungen  umgehen  sind. 
**)  Don    Miguel    Sancliez ,    der  Anführer    des   kleinen    Zuges, 
'    suzle   zwischen   l-Incaramada    und    dem  Rio  Manapiari   über 

de«    Ptio   Guainaima ,    der    sich    in   den   Cuchivero   ergiefst. 

Sanöiez  starb,    durch   diese  Reise  erschöpft,    an  den  Ufern 

des  Vmtuaii. 


4o6  Buch     VII. 

koiÄmen,  welche  Juaa  Martinez  *)  und  Raleigh  Bey 
den  Indianern  vom  Oronoko  in  so  gi'ofser  Menge  gese- 
hen zu  haben  vor^iclifru.  Jen  verinuthf,  den  Beob- 
achluMgpn  zufolie,  \v<-lche  ich  in  die?eni  l'heil  von 
Americi«  zu  machen  im  Fall  vv.ir,  es  liegt  das  Gold,  wie 
das  Zinü  ^ '■•'),  zuweilen  auf  eine  fast  .unmei^Miche  Weise 
duich  die  Masse  des  GrariiJgeoi'".^s  seihst  zerstreut,  ohl^e 
dafs  eine  Verästelung  oder  V'ereinh.irung  kleiner  •  lärige 
küiine  angenommen  werden.  Vor  nicht  gar. .langer 
Zeit  hahcn  die  Indianer  von  Encaraniada  in  dei*  Qiie- 
b'^ada  de!  Tigre  *-'^)  ein  Gold:.orn  von  zwey  Linien 
Durchmesser  gefunden.  Es  war  abgerundet  und  schien 
vom  Wasser  ge-c'nvemmt  /u  seyn.  Diese  Entdeckung 
war  den  Miss  onaren  gar  vi.d  wic'.li^er  als  den  Ur- Ein- 
wohnern;, sie  hlieb  aber  einzeln  und  ohne  Wieder- 
holung, 

Ich  kann  dieses  erste  Glied  der  Bergl<etle  von  En- 
caramada  n'cbl  verlassen,  ohne  einer  Tliatsache  zu  ge- 
denken, die  dem  Pater  Gili  nicht  unbekannt  gehiiohen 
war  ,  und  die  wir  während  unsers  Auf.  nthalts  in  den 
Missionen  vom  OrenoKo  üftirs  /,u  hören  Gelegenheit 
hatten.  U)!t^'r  den  Ur-Einwohnern  hat  sich  der  Glaube 
an  die  Ueberlieferung  erhalten,    „dafs,    zur    Zeit  dar 


*)  Der  Gefährte  von  Diego  de  Ordaz. 

*'")  So  findet  sich  das  Zinn  im  Granit  neuer  Formalion  (m 
Geyer» ,  im  Graisen  oder  Hyahmicte  (zu  Zinnivald)  uid 
im  syenitischen  Porphyr  (zu  Altenberg  in  Saclisen ,  so  we 
in  der  Gegend  von  ^aJia  im  Fichteljjebirgc).  Ich  Jiabe  au;h 
in  der  Obcrpfalz  das  gliniinrige  Eisen  und  den  schwarzen 
erdigen  Cobalt,  ohne  alle  Gänge,  in  einer  Granitmass:;,  die 
]<einen  Glimmer  enthielt,  zerslj-eul  angetrofien,  wie  As  tita- 
nisciie  Eisen  in  ^Tilcanischen  Fossilien  vorkommt. 

***)  ßergschluclit  des  Tigers. 


Kapitel     XTX.  407 

grofsen  Gewässer,  wo  ihre  Väter  sich  in  Kähnen  aus 
der  allgemeinen  Ueberschwemmung  reiten  niufsten,  die 
Felsen  von  Encaramada  durch  die  Meeret-flutlien  be- 
spült wurden/'  Es  findet  sich  dieser  Glaube  nicht  etwa 
nur  hey  einem  einzelnen  Volke,  den  Tamanakon,  son- 
dern es  ist  derselbe  Bestandtheil  eines  Systems  geschicht- 
licher üeberlieferungen  ,  wovon  die  zerstreuten  Anga- 
ben bev  den  Alaypu  en  der  grofien  Cataracten,  bey 
den  Indianern  vorn  Rio  Erevato  *^),  welcher  sich  in 
den  Caura  ergiefst,  und  bey  fast  allen  Volksstämmen 
am  Über-Orenoko  angetrofien  werden.  Fragt  man  die 
Tamanaken,  wie  das  Menschengeschlecht  die  grofse 
Sündfluth,  das  Zeitaller  der  Geicässer  der  Mexicaner 
überlebt  habe,  so  antworten  sie:  „Ein  Mann  und  ein 
Weib  retteten  sich  auf  einen  hohen  Berg,  welcher  Ta- 
inanacu  heifst  und  an  den  Gestaden  des  Asiveru  Hegt 5 
sie  warfen  die  Früchte  der  Mauritia- Palme  über  ihre 
Häupter  rücklings,  und  aus  den  Kei'nen  dieser  Früchte 
sind  Männer  und  Weiber  entsprossen,  welche  die  Erde 
reuerdln"S  bevölkert  haben. "^  In  solcher  Einfachheit 
wird  unter  gegenwärtig  wilden  Völkern  eine  Ueherlie- 
ferung  angetroffen,  die  \on  den  Griechen  mit  allem  Reiz 
der  Phantasie  ausgeschmückt  worden  ist!  Einige  Meilen 
von  Encaramada  erhebt  sich,  mitten  in  der  Savane,  ein 
Felsstück,  welches  Tepii-mereme ,  der  gemalte  Fels, 
heifst.  Derselbe  stellt  Thierbilder  und  symbolische 
Schriftzüge  dar,  die  denen  ähnlich  sind,  welche  wir, 
auf  der  Rückreise  den  Orenoko  herab,  in  der  Nähe  der 
Stadt  Caycara  antrafen.     In  Africa  werden  ähnliche  Fel- 


*)  Für  die  Indianer  vom  Erevalo  Isann  ich  mich  auf  das 
Zeugnifs  unsers  unglücklichen  Fieundes  Fray  Juan  Gonzales 
berufen,  welcher  sich  lange  Zeit  in  den  Missionen  von 
Caura  aufgehalten  hat.    Siehe  oben,  Th.  2.  S.  5oi. 


4o8  Bach     VII. 

sen  von  den  Reisendon  Fetisch-  Steine  genannt.  Ich 
werde  diesen  Namen  nicht  gebrauchen,  weil  die  Vereh- 
rung der  Fetische  unter  den  Ur- Einwohnern  des  Ore- 
noko  nicht  herrsclit,  und  weil  ich  nicht  glaube,  dafs 
die  Bilder  der  Sterne,  der  Sonne,  der  Tiger  und  Cro- 
codile  ,  die  wir  auf  div'sen  Felsen  eingegraben  fanden, 
Geirenstände  einer  religiösen  V^erehrung  dieser  Vülker 
Bez  nchnen.  Zwischen  den  Gestaden  des  Cas^iquiaro 
und  desOrenOi'.o,  zwischen  Encaramada,  Capuchino  und 
Cavcara  kommen  diese  Hieroglyphen  -  Bilder  oftmals 
in  grofer  Erhöhung  an  Felsmauera  vor,  die  dort  nur 
mittelst  sehr  hoher  Gerürte  zugänglich  sevn  würden. 
Fragt  man  die  Ur- Einwohner,  wie  es  möglich  war, 
diese  Bilder  in  don  Felsen  zu  graben,  so  antworten  sie 
lächelnd  durch  Hinvveisung  auf  eine  Thalsache,  die  nur 
einem  Fremden,  einem  weifsen  Menschen  unbekannt 
bleiben  konnte,  .,^ur  Zeit  der  grojsen  U  asser  seyen 
ihre  Väter  in  Kähnen  zu  jener  Höhe  gelangt/' 

Es  gewähren  diese  alterthümlichen  Sagen  des  Men- 
schenijesclileciits,  die  wir  gleic'i  den  Trümmern  ei- 
nes grofsen  Schifl'brucJis  über  den  Erdball  zerstreut 
antreffen,  dem  philo.^ophische;i  Forscher  der  Geschichte 
de;  Men'chen  das  höc  '^te  Interesse.  Wie  gewisse  Fa- 
milien der  Pflanzen,  des  Einflusses  der  Höhen  und  der 
Verschiedenheit  der  Cün^.ate  unerac'ilet,  das  Gepräge 
eines  gemeinsamen  Url.'ihles  beybehalten,  so  stellen 
auch  die  cosmogonischen  Ueberlieferungen  der  Völker 
übf^rall  die  gleichartige  Gestaltung  und  Züge  der  Aehn» 
llchkeit  dar,  die  uns  zur  Bewunderung  hinreifsen.  So 
mancherley  Sprachen,  welche  völlig  vereinzelten  Stäm- 
men anzugehören  scheinen,  überliefi-rn  uns  die  nämli- 
chen That'^achen.  Da<  Wesentliche  der  Angaben  über 
die  zerstörten  Stämme   und  über   die  Erneuerung   d-T 


Kapitel     XIX.  409 

Natur,  ist  nur  wonia^  abweichend  *) ;  jedes  Volk  aber 
ertheilt  ihnen  sein  örtliclies  Colorit  Auf  den  ^rofsen 
Festhinden,  wie  ,iuf  d'.>n  M  iüston  Insehi  des  stillen  Oct-ans, 
ist  es  jedesmal  der  höchste  und  nächste  Berg^,  auf  den 
sich  die  Uelierreste  des  Gesclihchts  der  Menschen  ge- 
rettet hahen,  und  das  Ereignifs  ersclieint  in  dem  Ver- 
hältnisse jünger,  als  die  V{;h'ter  ungehihh'tcr  sind,  und 
als  das,  was  sie  von  sich  selh-^t  wissen,  auf  engeren  Zeit- 
raum heschränht  ist.  Wer  die  mexicanischen  Alterthii- 
ner  aus  den  Zeiten,  welche  der  Entdeckung  der  neuen 
Welt  vorangiengen,  aufmerksam  erforscht,  wer  mit 
dem  Innern  der  Wälder  des  Orenoko,  mit  der  Kleinheit 
und  Vereinzelung  der  europäischen  Einric'itungen,  und 
hinwieder  auch  mit  den  Verhältnissen  der  unabhängig 
gebliebnen  Vülkerstämme  bekannt  ist,  der  kann  un- 
möglich versucht  seyn,  die  bemerkten  Aehnlichkeiten 
dem  Einflufs  der  Missionarien  und  des  Christenthums 
auf  die  National- Ueberlleferungen  zuschreiben  zu  wol- 
len. Gleich  unwahrscheinlich  ist  es ,  dafs  der  Anblick 
von  Seekürpern,  die  auf  den  iierghöhen  vorkommen,  un- 
ter den  V^ülkern  am  Orenoko  die  Vorstellung  der  gros- 
sen Ueberschwemmungen  erzeuj^^t  haben  sollte,  durch 
welche  die  Keime  des  organischen  Lebens  auf  dem  Erd- 
tall  für  einige  Zelt  sind  erstickt  worden.  Die  Land- 
schaft, welche  sich  vom  rechten  Ufer  des  Orenoko  bis 
zum  Cassiquiare  und  Pvio  Negro  ausdehnt,  ist  ein  dem 
Urgeblrg  angehöriges  Land.  Ich  fand  darin  eine  kleine 
Sand-  oder  Conglomerat- Formation  5  aher  keinen  Se- 
condar- Kalkstein  und  keine  Spur  von  Versteinerungen, 
Ein  frischer  Nord  Ost-Wind  brachte  uns  mit  vollen 
Segtln  nach    der  boca  de  la  Torliiga.     Um  eilf  Uhr 


*')  Siehe   meine  Monnmens  des  peuples  indigenes  de  rAmeri' 
que,  p.  204,  206,  223  und  227. 


4to  Buch     VlI. 

Vormittags  landeton  \vir  auf  einer  Insel,  welche  die 
Indianer  der  Mission  Uruana  als  ihr  Eigenthuni  betrach- 
ten, und  die  mitten  im  Flusse  liegt.  Das  Eiland  ist 
durch  den  Schildkröten-Fang  berühmt,  oder  durch  die 
jährlich  darauf  veranstaltete  cosecha,  SchUdkruien  - 
Eyersammlung.  Wir  trafen  daselbst  eine  über  drey- 
hundert  Personen  starke  Gesellschaft  von  Indiern  an, 
welche  unter  Hütten  aus  Falm!iaumbliUt?rn  gelagert 
waren.  Die  unter  ihnen  herrechende  lebhafte  Bewegung 
mufste  uns  um  so  mehr  auffallen  ,  weil  wir  seit  San  Fer- 
nando de  Apure  nur  öde?  Hüstenland  zu  sehen  gewohnt 
waren.  Aufser  Aen  Guamos  und  tUomacos  von  Uruana, 
die  als  zwey  wilde  und  ftörrige  Stämme  gelton,  hatten 
sich, auch  Carihen  und  andere  Indianer  vom  untern  Ore» 
noko  eingefunden.  Jeder  Stamm  war  absonderlich  ge- 
lagert, und  zeichnete  sich  durch  eigenthümliche  Haupt- 
färbung aus.  Wir  fanden  mitten  unter  dem  lärmenden 
Haufen  etliche  weifse  Menschen,  hauptsächlich  pulpe- 
ros  oder  Krämerleute  von  Angostura,  die  den  Strom 
heraufgekommen  waren,  um  das  Gel  der  Schildkröten- 
Eyer  von  den  Einwohnern  zu  kaufen.  Der  aus  Alcala 
de  Henarez  gebürtige  Missionar  von  Uruana  kam  uns 
entgegen,  und  war  über  unsere  Erscheinung  nicht  wenig 
befremdet.  Nachdem  er  unsere  Instrumente  bewundert 
hatte,  machte  er  uns  eine  übertriebene  Vorstellung  der 
Beschwerlichkelt-n,  denen  wir  beym'A  »steigen  des  Ore- 
noko,  über  die  Cataracten  hinauf,  ausgesetzt  seyn  wür- 
den. Der  Zweck  unserer  Reise  däuchte  ihm  sehr  ge- 
heimnifsvoll.  „Wer  wird  glauben,  sagte  er,  dafs  ihr 
euer  Vaterland  verlassen  habet,  um  euch  auf  diesem 
Strome  von  den  Mosquitos  verzehren  zu  lassen ,  und 
um  Länder  zu  vermessen,  die  nicht  euer  sind?*^  Wir 
waren  glücklicher  Weise  mit  Empfehlungen  des  Pater 
Guardian  der  Franciscaner  -  Missionen  versehen,    und 


Kapitel    XIX.  41t 

der  Scliwager  des  Stallhaltors  voa  Varinas,  welcher  uns 
begipitt'te  ,  beseitigte  bald  vollends  das  Mifstrauen, 
XTclclies  unsere  Kleidung,  unsere  Mundart  und  unser 
Eintreffen  auf  diesem  sandi^'^en  Eyland  hey  den  Weifsen 
veraiilafst  hatten.  Der  Missionar  lud  uns  zu  seinem 
aus  Pisangfrüchten  und  Fischen  bestehenden  einfachen 
Malil  ein.  Wir  vernahmen  von  ihm,  dafs  er  für  die 
Zeit  der  Eyer- Ernte  in's  Lager  der  Indianer  gekom- 
men sey,  j;Um  jeden  Morgen  unter  frevem  Himmel 
eine  Messe  zu  lesen,  um  sich  das  zum  Unterhalt  der 
Kirchen  Lampe  erforderliche  Oel  zu  verscliaft'en,  haupt- 
sächhch  aber  um  diese  repuhlica  de  Indios  y  Caslel- 
lanox,  worin  jeder  für  sich  allein  nur  benutzen  möchte, 
was  Gott  Alien  geschenkt  hat,  in  Ordnung  zu  halten.'' 
Wir  machten  einen  Garn»;  um  die  Insel  in  Gesell- 
Schaft  des  Missionar  und  eines  pntpero ,  der  sich  rühm- 
te ,  nun  bereits  seit  zehn  Jahren  das  Lager  der  Indier 
und  die  pesca  de  lortugas  besucht  zu  haben.  Es  wird 
diese  Gegend  am  Gestade  desOrenoko  ungeüihr  eben 
so  besucht,  wie  bey  uns  die  Messen  von  Frankfurt  oder 
von  Beaucaire.  Wir  befanden  uns  in  einer  vollkommen 
flachen  Sand -Ebene.  ,,So  weit  ihr  am  Ufer  hin  sehen 
könnt,  sagte  man  uns,  liegen  Schildkröten- Eyer  unter 
der  Erdschichte."  Der  Missionar  hielt  eine  lange  Stan- 
ge in  der  Hand.  Er  zeigte  uns,  wie  man  durch  Sondi- 
ren mit  dieser  Stange  (varcO  die  Ausdehnung  der  Eyer- 
schichte  ungefähr  eben  so  ausmlttilt,  wie  der  Bergmann 
die  Grenzen  eines  Lagers  von  Mergel,  Ortstein  (fei* 
limoneux)  oder  Steinkohlen  bezeichnet.  Beym  senk- 
rechten Eindrücken  der  Stange  nimmt  man  an  dem 
plöt/.Uch  aufhörenden  Widerstände  wahr,  dafs  man  in 
die  Höhlung  oder  Schichte  des  lockeren  Erdreichs  ge- 
langt ist,  worin  die  Eyer  enthalten  sind.  Wir  sahen 
diese  Schiclile  so  allgemein  und  gleichförmig  verbreitet, 


412  Buch     FII. 

dafs  in  einem  Umkreis  von  zehn  Toisen  um  eine  be- 
zeichnete Stelle  her  die  Sonde  solche  üh^'rall  antrifit. 
Auch  spricht  man  hier  nur  von  Geviert- Riüften  Even 
es  ist  gleichsam  ein  Grubenland,  das  in  Loose  vertheilt 
und  auf«  reaelmöAigste  bebaut  wird.  Jedoch  ist  es  lang© 
nicht  der  Fall,  dafs  die  ßyerschlck/e  sich  über  die  ganze 
Insel  auadehnt:  wo  der  Boden  plötzlich  anstei'.;t,  da 
kommt  dieselbe  nirgends  vor,  well  die  Schihlkrüte  /u 
jenen  etwas  erhüheten  Plätzen  nicht  gelangen  niag.  Ich 
erzählte  meinen  Fülirern  die  schwülstlo^en  Anaraben  des 
Pater  Gumilla  *) ,  welcher  versichert,  die  Geetade  dos 
Orenoko  enthalten  nicht  so  viele  Sandkörner,  als  der 
Strom  Schildl<röten  enthHlt,  i^nd  es  mülsten  diese  Thie- 
re  die  SchilTahrt  völlig  unmügllch  machen,  wenn  nicht 
jährlich  durch  Menschen  und  Tiger  einfe.iso  gro&e  Men- 
ge derselben  getödtet  würde.  ,,Son  ciienlos  defrailes^'^ 
sagte  ganz  leise  der  pnlpero  von  Angosturaj  denn, 
weil  arme  Missionarien  die  einzigen  Reisenden  in  die- 
sem Lande  sind,  so  nennt  man  Mönchs -IVlähr che iij 
was  in  Europa  Reise-  Miilirchen  heifsen  würde. 

Die  Indianer  versicherten  uns,  man  möge  beym 
Heraufiahren  des  Orenolto,  von  seiner  Ausmundansf  bis 
zu  seinem  Zusammenflufs  mit  dem  Apure,  kein  Eylantl 
und  kein  Gestade  finden,  auf  denen  nicht  Eyer  in  INIenge 
angetroffen  würden.     Die  grofse  Schildkröte  Arrau  **) 


*;)  Tarn  difficulfoso  es  contar  las  arenas  ^e  las  dilatadas  plavas 
del  Orinoco  ,  coma  contar  p1  immeiiso  nmnero  de  torlugas 
que  alimenta  en  sus  margenes  v  corrienfes.  —  Sc  nn  ubi- 
esse  tan  exorbilanfe  consumo  de  lorlugas ,  de  torluguillos  y 
de  huevos,  el  Rio  Orinoco,  aun  de  primera  magnilud,  se 
l)oIl)eria  innavegable,  sirviendo  de  embaraxo  a  las  cn)Jiarca- 
ciones  la  miillitud  imponderable  de  tortugas.  Orinoco,  //• 
lustr.,  Tom.  I,  p.  3.3i   —  536. 

*)  Wird  Ara-ou  ausgesproclicn.     Das  Wort  gehört  der  Majr- 


B  a  p  i  t  e  l     XIX.  413 

meidet  dip  von  Menschen  bewolinten  oder  von  Schif- 
fen viell/nsuchten  Orte.  Sie  ist  ein  furciitsames  und 
argwöhnisches  Tiiier,  das  den  Kopf  aus  dem  Wasser 
licrvorstreckt j  und  sich  hevm  niip.deslen  Ger.insche 
verbirgt.  Die  Gestade,  auf  dtnen  sich  fast  alle  Schild- 
kröten vom  Orenol;o  alljährlich  zu  sammeln  scheinen, 
sind  zwischen  dem  Zusammenflufs  des  Orenoko  mit  dem 
Apure  und  den  grofsen  Cataracten  oder  Piavdales ^  das 
will  «agen,  zwischen  (^r.bruta  und  der  Mission  von  Atu- 
res  gelegen.  Hier  beiinden  sich  die  drey  berühmten 
Fischereven  von  Encaramada  oder  Boca  del  Cabullare, 
von  Cucuruparu  *)  oder  Boca  de  la  Tortuga  und  von 
Pararuma,  etwas  unterhalb  von  Carichana.  Die  Schild- 
kröte ^rr«H  scheint  nicht  über  die  Cataracten  aufzustei- 
gen, und  man  versicherte  uns,  dafs  oberhalb  von  Atu- 
res  und  Mavpures  keine  anderen  als  T^ereAav-**;)  Schild- 
kröten vorkommen.  Es  ist  hier  der  Ort,  öin  Paar 
Worte  von  der  Verscbiedenheit  dieser  zwey  Arten,  und 
von  ihrem  Verhältnifs  zu  den  verschiedenen  Familien 
der  schildkrötenartiüren  Thiere  zu  sa^en. 

Wir  wollen  mit  der  v^r?Ym  -  Schild!;röte  anfangen^ 
welche  die  Spanier  der  Missionen  kurzweg  tortuga  nen- 
nen, und  deren  Daseyn  für  die  Völker  vom  untern  Ore- 
noko den  hüchiten  Werlh  hat.  Das  Thier  ist  eine  grofse 
Süfswasser- Schildkröte,  mit  Füfsen,  deren  Zehen  durch 
eine  bchwimmhtfut  veibunden  sind,    mit  sehr  flachem 


pure  Sprache  an,  und  imiTs  niclit  mit  Arui  vcrvvPcIiseU  wer- 
«len ,  nas  hey  den  Tamanaken,  den  Naclibarcn  der  Mav-pu- 
ren.  ein  Crocodil  Lezeiclinet.  Die  Otomak(>n  nennen  die 
Scliildkröte  von  Uruana  Achen  :  die  Tamanal;cn  Peje. 

*}  Oder   Curucuruparu.     Icli    liabe    heyin  Herunterfahren   des 
Oreno]<o  die  Breite  dieser  In?el  hestiinint. 

**)  Im  spanischen  Tereca^a*. 


414  B  II  c  h     VII. 

Kopf,  zwey  fleischigen,  stark  zugespitzten  Anhängseln 
unter  dem  Kinn,  fünf  ISägtln  an  den  V^order-  and  vier 
Wägein  an  den  Ilinlcrfülsen  ,  welche  unterhalb  gestreift 
sind.  Die  Schaalo  besteht  aus  5  mittleren,  8  Seiten- 
und  24  Randschuppen.  Die  Farbe  ist  oberhalb  grau- 
schwärzlich  un.I  unterhalb  orangengelb.  Die  Füfse 
sind  gleicli falls  gelb  und  «elir  lang.  Zwischen  den  Au- 
gen bemerkt  man  eine  tiefe  Furche.  Die  Nägel  sind 
sehr  stark  und  sehr  gewölbt.  D'^r  After  steht  zu  ^  vom 
Endtheil  des  Schwanzes  entfernt.  Das  erwachsene  Thier 
wägt  40  bis  5o  Pfund.  Seine  Eyer,  viel  gröfser  als 
Taubeneyer,  sind  so  länglicht  nicht  wie  die  Terehay- 
Eyer,  Sie  sind  mit  einer  kalkigten  Kruste  überzogen 
und,  wie  man  versichert,  fest  genug,  um  den  Kindern 
der  Otomaken -Indianer,  die  grofse  Ball-pieler  sind. 
Statt  der  Kugeln  zu  dienen,  die  sie  in  die  Hübe  und 
einander  zuwerfen.  Wenn  die  ^rrwH- Schildkröte  im 
Strombett  über  den  Cataracten  vorkäme,  so  würden  die 
Indianer  vom  Ober-Ürenoko  einen  so  weiten  Weg  nicht 
machen,  um  sich  das  Fleisch  und  die  Eyer  des  Thiers 
zu  verschatTen.  Man  hat  aber  vormals  ganze  Völker- 
schaften vom  Atabapo  und  vom  Cnssiquiare  von  jenseits 
der  Raudales  kommen  sehen,  um  an  der  Fischerey  in 
Uruana  Theil  zu  nehmen. 

Die  Terehays  sind  kleiner  als  die  yirrau.  Ihr 
Durchmesser  b(iträgt  meist  nicht  über  14  Zoll.  Die 
Zahl  der  Schuppen  ihrer  Schaalen  ist  die  nämliche, 
hingegen  weicht  die  Stellung  diser  Schuppen  etwas  ab. 
Ich  habe  drey  in  der  Mitte  und  fünf  sechseckige  auf 
jeder  Seite  gezählt.  Die  Ränder  sind  mit  24  durchavis 
viereckigen  und  stark  eingekrümmten  Schuppen  besetzt. 
Die  Farbe  der  Schale  ist  schwarz  auf  grün  schillernd:  c 
Füfse  und  Nägel  sind  wie  bev  der  yirrau.  Das  ganze 
Thier  ist  olivengrün  ^    hat  «dber  auf  dem  Scheitel  dea 


Kapitel    XIX.  4i5 

Kopfs  zwey  rolli-gelbe  Flecken.  Dio  Brust  ist  ßbenfalla 
gelb  und  mit  ein  m  slixhligen  Anhängsel  versehen. 
Die  Tfreliuys  veisamnii-ln  sich  nicht^  wie  die  Arrau 
oder  TortugaSy  in  gvofier  IVlengo,  um  ihre  Eyer  ge- 
meinsam und  am  gleichen  C-e.tade  abzulegen.  Die  Te- 
rekays-Eyev  hahiMi  einen  angenehmen  Gtschmack  ,  uiid 
sind  unter  den  iien  ohnern  des  spanischen  Guiana  sahr 
beliebt.  Man  findet  sie  am  Ober-Orenoko  wie  unter- 
halb der  Cataracten,  und  sogar  auch  im  Apure,  im 
Uritucu,  imGuarico  und  in  den  kleinen  Flüssen,  welche 
die  Ltlanos  von  Caracas  durchslrünien.  Die  Bildung 
der  Fülse  und  des  Kopfs,  die  Anhängsel  des  Kinnes 
und  der  Brust,  so  wie  die  Lage  des  Aflois  sclicinen  an- 
zudeuten, dafs  die  Aman-  und  vernuthlich  auch  die 
TVreA«^'- Schildkröte  einer  neuen  Gattungs- Abtheilung 
angehören,  die  von  denEmyden  getrennt  werden  kann. 
Sie  nähern  sich  durh  die  I^-äihchen  und  die  Stellung  des 
Afters  der  Emys  Nasuta  des  Hrn.  Schweigger  und  der 
iT/a/«wo/a -Schildkröte  des  französischen  Guiana;  von 
der  letzteren  unterscheiden  sie  sich  hingegen  durch  die 
Schuppen,  welche  mit  keinen  pyramidalischen  Ei'hü- 
hungen  besetzt  sind.  *^ 


*)  Ich  sdilage  vor,  der  Matamata  von  Brugnieres  oder  der  Te- 
studo fimbriata  von  Gnielin  {SchuepJ\  iah.  21.),  welche  Hr., 
Dumerii  zur  Bildung  seiner  Gattung  Chel^s  gebraucht  hat, 
einstweilen  zur  Seile  zu  setzen : 

Tettudo  Arrau  ^  testa  ovali  subconvexa,  *x  griseo  nigres« 
cenli,  subtus  lutea,  scutellis  disci5,  iateralibus  8,  margina- 
Jibus  i4,  Omnibus  planis  (nee  mucronnto- conicis),  pedibus 
luteis,  mento  et  gulture  subtus  biafipendirnlalis. 

Testudo  Terekay  ^  testa  ovali,  alio  -  viridi ,  scuteih's  discl  5, 
lateralibus  lo  ,  niarginalihus  2(,  caj)itis  vertice  maculis  dua- 
bus  ex  rubre  flavescentibus  notalo  ,  gulture  lutesccnli,  appen» 
dicalo  fpinoso. 


4i6  Buch     VII. 

Der  Zoitpunct,  wo  die  grofse  ^rr«H- Schildkröte 
ihre  Eyer  le^t,  trifft  mit  dem  kleinsten  \^  asserstand 
'  zu 

Diese  ncsclirciliungcn  sind  l;cinpswegs  rollständig,  ahor  es 
sind  die  rrslen,  >vel<;he  von  zwey  seil  langer  Zeit  durch  die 
Erzählungen  der  Missionarien  so  herühinten  und  durch  den 
'  INuly.en-  «elcliendie  Einwohner  davon  ziehen,  so  merkwür- 
digen Schildlaöten  zu  gclien  ^ersuchl  wurden.  Man  bemerkt 
an  den  in  der  Sammlung  iles  Ja' diu  du  Hoi  helindlichen  Indi- 
viduen, dafs  Ley  der  Tesludo  fuuLriata  (zu  25  Piandschuppen) 
die  OeflTnung  des  Afters  hevnahe  die  gleiclie  l.age  hat ,  wie 
hey  den  zvvev  Schildkröten  vom  Orenoko  ,  deren  ünterschei- 
dungs-Merkmale  ich  hier  angehe,  und  wie  bev  Trvonix  wgvp- 
tiaca ,  nämlich  auf  l  vom  Endlheil  des  Schwanzes.  Es  ver- 
dient diese  Stellung  des  Alters  die  Aufmerksamkeit  des  Zoolo- 
gen j  sie  nähert,  eben  so  wie  das  Daseyn  eines  verlängernden 
Rüssels  im  Malamala,  die  Cheliden  den  Tryonix;  diese  Gat- 
tungen sind  hingegen  durch  die  Zahl  der  tSägel  und  durch  die 
Festigkeit  der  Scliale  von  einander  verschieden.  Hr.  Geofl'roy 
hatte,  durch  andere  Griinde  geleitet,  diese  Verhältnisse  be- 
reits auch  angenommen  {Aiuiales  da  Museum^  T.  Xl\  ,  p.  19.). 
Bev  den  Che;onien,  den  Land -Schildkröten  und  den  wahren 
Emvden  beiindel  sich  der  After  an  der  Stelle,  wo  der  Schwanz 
anf.'ngl.  Ich  habe  in  meinem  Tagebuch  nur  ganz  junge  Indi- 
viduen der  'ifsL'tdo  Arrnu  liescbrieben.  Des  Rüssels  geschieht 
dabev  keine  Erw;ilinung;  uiul  wofern  ich  mich  auf  mein  Ge- 
däch'nils  verlassen  konnte  ,  wurde  ich  .».ageu  ,  die  erwachsene 
^rrav -Schildkröte  sey  nicht,  wie  die  M atamaca^  mit  einem 
Bussel  versehen.  Es  darf  übrigens  nicht  vergessen  werden, 
dafs  die  Gattung  Chclys  nur  bev  der  Kennlnifs  einer  einzigen 
Art  ist  gebildet  worden,  und  d.ifs  also,  was  der  Art  angehört, 
mit  den  Hennzeichen  der  Gattung  verwechselt  werden  l;onnle. 
Die  wesentlichen  Oharactere  der  neuen  Gallnng  Gheiys  beste- 
hen in  der  Gestalt  des  Mundes  und  in  den  hautigen  Anhäng- 
seln fies  Kinns  und  des  Halses.  Die  wahre  Testudo  fimbriata 
voh  Gayennc,  deren  Schuppen  kegeiförmig  und  jtvramidalisch 
sind,  habe  ich  in  America  nie  angetroffen,  und  ich  bemerkte 
mit  um  so  mehr  Verwunderung,  dafs  der  Paler  Gili,  Missionar 
in  Encamarada,  aujf  5ao  Meilen  Enllernung  von  Gayenne.,  be- 

reilR 


Kapitel     XIX.  417 

zusammen.  Da  der  Orenoko  vom  FrühUng3  -  Aequi- 
noctiuin  an  zu  wachsen  beginnt,  so  liegen  seine  nie-» 
drigston  Gestade  A'on  Ende  Jänners  bis  zrum  20.  oder 
20.  ISIärz  trocken.  üie  ^^/v'««-Schild!irüten ,  welche 
vom  Jänner  an  in  Rotten  zusammenhalten,  kommen 
alsdann  aus  dem  Wasser  hervor  und  wärmen  sich  an 
der  Sonne,  irjdem  sie  sich  auf  den  Sand  legen.  Die 
Indianer  glauben,  eine  beträchtliche  Wärme  sey  der 
Gesundheit  des  Thieres  unentbehrlich,  und  das  Sonnen 
beföidere  das  Eyerlegen.  Man  trifft  die  ^i/vf/H- Schild- 
liröle den  ganzen  Hornung  durch  auf  dem  Gestade  an. 
Zu  Anfang  März  versammeln  sich  die  zerstreuten  Rot- 
ten, und  schwimmen  auf  die  nicht  zahlreichen  Inseln 
hin,  wo  sie  ihre  Eyer  zu  legen  gewohnt  sind.  Wahr- 
scheinlich besucht  die  gleiche  Schildkröte  alljährlich 
aucli  das  nämliche  Gestade.  Um  diese  Zeit  und  einig« 
Tage,  ehe  das  Eyerlegen  seinen  Anfang  nimmt,  zeigen 
sich  diese  Thiere  bey  Tausenden  in  langen  Reihen  an 
den  Ufern  der  Inseln  Cucuruparu,  Ui'uana  und  Para- 
ruma  mit  ausgestrecktem  Hals  und  den  Kopf  über  dem 
Wasser  emporhaltend,  um  zu  sehen,  ob  von  Tigern 
oder  Menschen  keine  Gefahr  droht.      Die  Indianer,  de- 


reits  in  einem  1788  ausgegebenen  Werke  die  Arraii-  und 
Terehay -Sc\\'i\AkTÖ\c  von  einer  viel  l<leineren  unlerscheidef, 
welche  er  Matamata  nennt.  Er  giebt  ihr  in  seiner  italieni- 
schen Beschreibung,  il  guscio  non  convesso  come  neue  allre 
tartarughe ,  ma  piano  ^  scabroso  e  deforme.  Diese  letzteren 
Kennzeichen  passen  recht  gut  auf  die  Testudo  fimbriata,  und 
weil  der  Pater  Gili  weder  in  der  Zoologie  bewandert,  noch 
mit  den  Büchern  dioEf>s  Faches  beJ-.annt  war,  so  darf  man  an» 
nehmen,  er  habe  die  Matamata  vom  Orenoko  so  beschrieben) 
wie  er  sie  gesehen  hat.  Aus  diesen  Forschungen  erhellet, 
dafs  drey  verwandte  Arten,  die  Arrau,  die  Terekay  und  die 
Testudo  fimbriata  auf  dem  neuen  Festland  nahe  beysammen 
vorkommen. 
4U».  V.  Hii/nboldtt  hist.   fitittn.  Ut.  j» 


4i8  Buch     f^'JJ. 

nen  es  wichtig  ist,  dafs  die  A-ersammelten  Piotten  voll- 
ständig  bleiben,  dafs  die  Schildkröten  sich  nicht  zer- 
streuen und  dafs  das  Eyerlegen  ruhig  und  ungestört  vor 
sich  gehe,  stellen  in  gewissen  Entfernungen  am  Gestade 
Schildwachen  aus.  Die  Schlflleute  werden  erinnert, 
ihre  Fahrzeuge  in  der  Strommitte  zu  halten,  und  jedes 
Geräusch,  das  die  Schildkröten  schrecken  könnte,  zu 
vermeiden.  Das  Everlegen  geschieht  immer  zur  Nacht- 
zeit, und  liJngf  gleich  nach  Sonnenuntergang  an.  Da? 
Thier  gräbt  mit  seinen  sehr  langen  und  mit  gekrümm- 
ten Nägeln  versehenen  Hinterpfoten  eine  Grube,  wel- 
che drey  Fufs  Durchmesser  hat  und  zwey  Fufs  tief  ist. 
Der  Angabe  der  Indianer  zufolge  wird  zu  Befestigung 
des  Ufersandes  dieser  mit  dem  Harn  der  Schildkröte 
befeuchtet.  Man  glaubt  dies  am  Geruch  wahrzuneh- 
men, wenn  man  ein  kürzlich  gegrabenes  Loch,  oder, 
wie  man  hier  sagt,  ein  Eyernest  (Nidada  de  huevos) 
öffnet.  Der  Drang  zum  Eyerlegen  ist  bey  diesen  Thie- 
ren  so  grofs ,  dafs  einige  sich  dafür  der  Lücher  bedie- 
nen, die  von  andern  gegraben,  aber  noch  nicht  mit 
Erde  wieder  ausgefüllt  worden  sind.  Sie  bringen  alsdann 
auf  die  schon  in  der  Grube  vorhandene  eine  zweyle 
Eyerlas^e.  Bey  der  lärmenden  Unruhe  werden  eine 
grofse  Menge  Eyer  zerschlagen.  Der  Missionar  zeigte 
uns,  indem  er  den  Sand  an  verschiedenen  Stellen  auf- 
rührte, dafs  dieser  Verlust  einen  Drittheil  der  ganzen 
Ernte  betragen  mag.  Das  Gelbe  der  Eyer  trägt,  in- 
dem es  vertrocknet,  dazu  bey,  den  Sand  zu  verkitten, 
und  wir  haben  sehr  ansehnliche  verhärtete  Massen  von 
OuarzUörnern  und  zerbrochenen  Muschelschalen  ange- 
troffen. Die  Zahl  dieser  am  Ufer  die  Nacht  über  arbei- 
tenden Tliiere  ist  so  grofs,  dafs  man  des  Morgens  noch 
Manche  mitten  in  der  unvollendeten  Arbeit  überrascht. 
Sie  sind  alsdann  vom  doppelten  Bedürfnils,    des  Eyer- 


1{  a  p  i  t  e  l     XIX.  419 

legens  und  des  Zudeckens  der  gegrabenen  Lücher,  da- 
mit der  Tiger  sie  nicht  Wtihrnehnicn  möge,  gedrängt. 
Für  sich  selbst  kennen  diese  im  Kückstiind  gebliebenen 
Schildkröten  keine  Gefahr.  Sie  set/.en  ihre  Arbeit  in, 
Gegenwart  der  Indier,  die  das  Gestade  am  frühen  Mor- 
gen besuchen  ,  fort.  Man  nennt  sie  thöriclite  Schild- 
hrölen  (tortu.  s  folles).  Der  Heftigkeit  ihrer  Bewegun- 
gen unerachlet  lassen  sie  sich  leicht  mit  der  Hand 
fangen. 

Die  drev  Lager,  welche  die  Indier  an  den  obbe- 
zeiclmeten  Orten  be/.iehen,  nehmen  zu  Ende  März  und 
in  den  ersten  Tagen  des  Aprils,  ihren  Anfang.  Das 
Everlesen  geschieht  überall  gleichförmig  und  mit  der- 
jenigen Hegelmäfsigkeil,  die  den  mönchischen  Anstalten 
eigenthümlich  ist.  Ehe  die  Missionarien  an  diesen  Ge- 
staden eintrafen,  ward  das  von  der  Natur  in  solchem 
Ueberflufs  hier  niedergelegte  Erzeugnifs  gar  viel  weni- 
ger benutzt.  Jeder  Volksstamm  wühlte  den  Boden  nach 
Gutfinden  auf,  und  eine  ungeheure  Menge  Eyer  ward 
unnütz  zerbrochen,  weil  man  beym  Nachgraben  unvor- 
sichtig zu  Werke  gieng,  und  weil  mehr  Eyer  gefunden 
als  weggebracht  werden  konnten.  Das  V^erhältnifs  war 
ungefähr  das  nämliche,  wie  dasjenige  einer  von  unge- 
schickten Bergleuten  bearbeiteten  Grube.  Den  Jesuiten- 
Vätern  gebührt  das  Verdienst,  Regel  und  Ordnung-  in 
die  Arbeit  gebracht  zu  haben;  und  obgleich  die  Fran- 
ciscaner- Mönche,  die  Nachfolger  der  Jesuiten  in  den 
Missionen  am  Orenoko,  den  Pfad  ihrer  Vorgänger  zu 
verfolgen  sich  rühmen,  so  gehen  sie  doch  leider  keines- 
wegs mit  der  erforderlichen  Vorsicht  dabey  zu  Werke. 
Die  Jesuiten  gestalteten  nicht,  dafs  das  ganze  Ufer 
durchwühlt  werde :  sie  liefsen  einen  Theil  desselben 
unberührt,  aus  Besorgnifs ,  es  könnte  die  Race  der  ^r- 
raii- Schildkröte  wo  nicht  vertilgt^    doch  bedeutend  ver- 


420  B  IL  C  ft      f'JI. 

mindert  werden.  Jetzt  wird  diese  Vorsicht  nicht  mehr 
brobachtet^  und  man  glaubt  auch  bereits  zu  bemerken, 
dafs  die  Ernte  von  Jahr  zu  Jahr  abnimmt. 

Wenn  das  Lager  eingerichtet  ist,  so  ernennt  der 
Missionar  von  Uruana  seinen  Statthalter  odtr  Cominis^ 
sar ,  welcher  den  eyerhaltenden  Boden  in  verschiedene 
Portionen  tlieilt,  nach  der  Zahl  der  indischen  Stämme, 
die  an  der  Ernte  Theil  nehmen.  Sie  sind  alle  Indianer 
der  Missionen  ,  so  nackt  und  völlig  roh  als  die  India- 
ner der  TVülder:  man  nennt  sie  reducidos  und  neofitos, 
weil  sie,  wenn  die  Glocke  läutet,  zur  Kirche  gehen,  und 
weil  sie  gelernt  haben,  während  der  Segnung  nieder- 
knieen. 

Der  Stalthalter  oder  comissionado  del  Padre  be- 
ginnt seine  Verrichtungen  mit  dem  Sucher  Qsonde^.  Ei* 
untersucht,  wie  wir  oben  gesagt  haben,  mit  einer  lan- 
gen hölzernen  Stange  oder  mit  einem  Bambus -Rohr, 
wie  weit  die  Eyerschichte  sich  ausdehnt.  Unseren  Mes- 
sungen zufolge  erstreckt  sich  dieselbe  bis  120  Fufs  vom 
Stromufer.  Ihre  Tiefe  beträgt  im  Durchschnitt  drey 
Fufs.  Der  comissionado  steckt  Zeichen  aus  zu  Bestim- 
mung des  Puncts,  wo  jeder  Stamm  mit  seiner  Arbeit  ein- 
halten soll.  Mit  einigem  Erstaunen  hört  man  den  Er- 
trag der  Eyer- Sammlung  wie  denjonij^en  eines  gut  be- 
bauten Ackers  wcrthen.  Ein  genau  gemessener  ^rea 
von  120  Fufs  Länge  und  5o  Fufs  Breite  mochte  wohl 
100  Schilfkriige,  oder  für  eintausend  Franken  üel  ertra- 
gen. Die  Indianer  graben  die  Erde  mit  den  Händen  auf; 
die  ausgehobenen  Eyer  legen  sie  in  kleine  Körbe,  wel- 
che Mappiri  heifsen;  sie  tragen  diese  ins  Lager,  und 
werfen  den  Inhalt  in  lange  hölzerne  Tröge  voll  Wasser, 
In  diesen  Trögen  bleibendie  mit  Schaufeln  zerbrochenen 
und  umgerüttelten  Eyer  der  Sonne  so  lange  ausgesetzt, 
bis  das  Geibc  (der  ölige  Theil),    welches  oben  schwimmt. 


Kapitel     XIX.  421 

Sich  verdichtet  li.it.  Nach  Mafsgahe,  wie  dieser  ülig'e 
Theil  sich  auf  der  Oherflächo  des  Wassers  sammelt, 
wird  derselbe  ahgepchüpft  und  über  einem  starken  F'euer 
gekocht.  Man  behauptet,  dieses  thierische  Oel,  das. 
die  Spanier  manleca  de  tortugas  ')  nennen,  ei'kalte 
sich  um  so  besser,  je  einer  stärkeren  Kochune^  es  un- 
terworfen worden  ist.  Gut  zubereitet,  ist  dasselbe  klar, 
g^eruchlos  und  nur  von  schwach  gelblichter  Farbe.  Die 
^lissionarien  vergleiclien  es  dem  besten  Oliven- Oel, 
und  man  gebraucht  es  nicht  nur  für  die  Lampe,  son- 
dern vorzüglich  auch  zur  Bereitung  der  Speisen,  denen 
es  keinerley  widrigen  Geschmack  ertheilt.  Es  hält  in- 
dessen ziemlich  schwer,  sich  ein  völlig  reines  Eyer-()el 
zu  verschafl'en.  Gewöhnlich  hat  dasselbe  einen  faulifftcn 
Geruch,  welcher  von  der  Beymischung  solcher  Ever 
lierrührt,  worin  durch  die  andauernde  Sonnenhitze  die, 
jungen  Schildkröten  (los  tortiigudlos')  bereits  ausgebil- 
det sind.  Dies  Mifsgeschick  erfuhren  wir  vorzüglich 
Jjey  unsrer  Rückkehr  vom  Rio  Negro,  wo  wir  uns  eines 
Iraun  und  stinkend  gewordenen  flüssigen  Fettes  bedie- 
nen mufsten.  Ein  fasei'iger  Stoff  hatte  sich  auf  dem  Bo- 
den der  Gefäfse  gesammelt,  ui^d  man  erkennt  hieran 
die  Unreinigkeit  des  Schildkröten- Oels. 

Ich  will  hier  einige  statistische  Angaben  einrücken, 
die  ich  auf  Ort  und  Stelle  theils  von  dem  Missionar 
von  Uruana  und  seinem  Statthalter,  theils  von  den 
Krämern  aus  Angostura  zu  erforschen  im  Fall  war. 
Das  Gestade  von  Uruana  liefert  jährlich  1000  botijas  ^^) 


*)  Schildkröten-Fett.     Die  Tamanaken-Indianer,  geben  ihm  den 

IN  amen  carapa;  die  Maypurcn  nennen  es  timi, 
**)  Jede  botija  enthält  ^5  Flaschen:    sie  beträgt  1000  bis  1200 
-Cttbik-Zoll. 


422  Buch     FlI. 

oder  Schifr!<rüge  Oel  (manteccO.  Ein  Schifn<rug  {jarrey 
wird  in  der  Haxiptstadt  von  Guiana  j  gorneinhiu  Ango- 
stura  genaiintj  mit  zvvey  bis  dritthalb  Piaster  bezahlt. 
Man  kann  annehmen^  dafs  der  Gesamnilerlrag  der  drey 
Gestade^  auf  uelchen  jährlicli  A'xe  cosecJia  oder  Ey er- 
Ernte veranstaltet  wird,  auf  5ooo  &o//y«j  ansteigt.  Da 
nun  zuevhundert  Eyer  zu  Füllung  einer  Flasche  oder 
limetn  hinreichendes  Oel  liefern.,  so  sind  für  einen 
Schiffkrug  oder  hotija  5ooo  Ever  erforderlich.  Berech- 
net man  die  Zahl  der  Eyer,  welche  von  einer  Schild- 
kröte gelegt  werden,  auf  loo  oder  ii6,  und  nimmt  man 
an,  es  gehe  ein  Drilt'ieil  der  Eyer  im  Moment  des  Le- 
gens,  sonderheitlich  durch  die  tkörichten  Schildkröten 
zu  Grund,  so  ergiebt  sich,  dafs,  um  jährlich  öoooScbifT- 
krüge  Oel  zu  erzielen,  33o,ooo  ^'■ir?'«?«  -  Schildkröten, 
deren  Gewicht  i65,00O  Centner  beträgt,  auf  den  drey 
'  zur  Einsammlung  benutzten  Gestaden  33  Millionen 
Eyer  legen  müssen.  Die  Ergebnisse  dieser  Rechnun- 
gen erreichen  die  Wahrheit  noch  lange  nicht.  Viele 
Schildkröten  legen  nur  60  bis  70  Eyer  5  sehr  viele  die- 
ser Thiere  werden  im  Augenblick,  wo  sie  aus  dem 
Wasser  steigen,  durch  Jaguare  verzehrt.  Die  In- 
dianer nehmen  viele  Eyer  weg,  um  sie  an  der  Sonne 
getrocknet  zu  speisen  5  sie  zerbrechen  viele  andere 
unvorsichtiger  Weise  beym  Einsammeln,  Die  Menge 
der  Eyer,  aus  denen,  che  der  Mensch  sie  hervor- 
gräbt, die  Jungen  ausschlüpfen,  ist  so  grofs,  dafs 
ich  um  das  Lager  von  IJruana  her  das  ganze  Ufer  des 
Orenoco  von  kleinen  Schildkröten  wimmeln  sah,  die 
einen  Zoll  im  Durchmesser  hielten  und  den  IS'achstel- 
lupgen  der  indischen  Kinder  zu  entfliehen  Mühe  hatten. 
Bedenkt  man  dazu  noch  weiter,  dafs  nicht  alle  Arraiis 
sich  auf  den  drey  Gestaden  sammeln,  wo  die  Lager  er- 
richtet werden,  dafs  auch  viele  ihre  Eyer  einzeln,  »er- 


Kapitel     XIX.  4^3 

slreut  und  einige  AVochen  später  *),  zwischen  der  Mün- 
dung des  Orenoho  und  dorn  Zusainnienfluls  des  Apure 
legen,  so  sieht  man  sicli  genüthi^t  anzunehmen,  es  mö- 
een  wohl  nahe  an  eine  Million  Schildkröten  seyn,  die 
alljährlich  ihre  Ever  auf  den  Gestaden  vom  Unter- Ore- 
jioko  legen.  Diese  Zahl  ist  selir  bedeutend  für  ein  so 
grofses  Thier,  dessen  Gewicht  auf  einen  halben  Cent- 
ner ansteigt^  und  das  der  Mensch  in  solcher  Menge 
7,er.«tört.  Gemeiniglich  geschieht  die  Forlpflanzung  in 
beschränkterem  Mafse  bey  den  grofsen  als  bey  den  klei- 
neren Thieren. 

Die  Arbeit  des  Eyersammelns  und  die  Zubereitung 
des  Oeles  dauert  drev  Wochen.  In  dieser  Zeit  allein 
nur  stehen  di»  Missionen  in  Verbindung  mit  der  Küste 
und  mit  den  benachbarten  civilisirten  Ländern.  Die 
Franciscaner  -  Mönche,  welche  südwärts  der  Cataracten 
wohnen,  kommen  zur  F.\-pj--Erntep  nicht  so  fastum  sich 
Oel  zu  verschafteuj    als  um,    wie  sie   sich  ausdrücken. 


*}  Diejenigen  y^rr««  -  Schildkröten,  welche  ihre  Eyer  vor  An- 
fang des  ^liirzinonats  legen  (es  bringen  nämlicli  hey  ver- 
schiedenen Individuen  der  glciclien  Art,  die  melir  oder  min- 
der häufige  Sonnung^  die  iSahrung  und  eigcnlhümliche  Or- 
ganisation, solche  Abweichungen  hervor),  steigen  mit  den 
Tercliays  aus  dem  Wasser,  deren  E verlegen  iin  Jiinner  und 
im  Ilornung  statt  findet.  Der  Pater  Gumilla  glaubt,  es 
seyen  dies  die  y^r/Y/w  -  Schildkröten ,  welche  das  Jahr  zuvor 
nicht  legen  konnten  I  Was  der  Pater  Gili  von  den  Terekay's 
meldet  (Tom.  I,  p.  96,  loi  und  297),  stimmt  völlig  mit  dem 
überein.  was  ich  von  dem  Statthalter  der  Otomaken  von 
Uruana  vernahm ,  der  die  castiilansche  vSprache  verstund, 
und  mit  dem  ich  mich  unterreden  konnte.  Es  hält  ziem- 
lich schwer,  die  Eyer  der  Tijre/töjv'- Schildkröte  zu  sammeln, 
weil  diese  Thiere  sie  zerstreut  legen  und  sich  nicht  zu  Tau- 
senden dafür  auf  der  nämlichen  Küste  sammeln. 


(i24  B  II  c  k    VII. 

yjWeisse  Gewichter''  zu  sehen,  und  um  lu  vernehmen, 
ob  der  König  im  Escurial  oder  in  St.  Ildefonso  wohne, 
ob  die  Klöster  in  Frankreich  aufgehoben  bleiben,  son- 
derheitlich aber  auch,  ob  der  Türke  sich  noch  immer 
ruhig  verhalte.  Dies  ist  der  Inbegriff  der  Dinge,  die 
einen  Mönch  vom  ürenol<o  ausschliefslich  interessiren^ 
und  worüber  die  l^leinen  Krämer  von  Angostui'a,  die 
diesen  Schildkruten-Markt  besuchen,  Aufsciilufs  zu  ge- 
ben nicht  im  Stande  sind.  Neuigkeiten,  welche  ein 
Weifser  Mensch  aus  der  Hauptstadt  bringt,  bezweifelt 
in  diesen  fernen  Landen  Niemand.  Zweifeln  ist  dem 
Vernünfteln  nahe  verwandt ;  und  wie  sollte  man  es  nicht 
Lejcbwerlich  finden,  seinen  Verstand  zu  üben,  wo  man 
das  Leben  mit  Klagen  über  das  heifse  Klima  und  über 
den  Stich  der  Mouscjiiitos  zubringt? 

Der  Gewinn,  den  die  Oelhändler  machen,  beträgt 
70  oder  80  vom  100;  denn  die  Indianer  verkaufen  ihnen 
den  Schiffkrug  oder  die  bolija  für  einen  harten  Piaster, 
und  die  Transportkosten  betragen  nicht  über  |  Piaster 
vom  Schiffkrug  '•').  Die  hidianer,  welche  die  cosecha 
de  huevos  besuclien,  bringen  auch  eine  sehr  grofse 
Menge  an  der  Sonne  getrockneter  oder  einem  geringen 
Siedegrad  unterworfener Eyer  nach  Hause.  Unsere  Ru- 
derer hatten  immer  Körbe  oder  kleine  Säcke  von  Baum- 
wolltuch  mit  solchen  Eyern  angefüllt.     Ihr  Geschmack 


*)  Ankauf-Preis  von  3oo  botijas^  000  Piaster.  Transporlhoslen: 
ein  Fahrzeug,  Uiecha^  mit  vier  Ruderern  und  einem  üleuer- 
mann ,  60  p. ;  zwey  Kühe  zur  IVahrung  der  Ruderer  für  2 
Monate  10  p. ;  Maniocca  -  Melil  20  p.  5  kleine  Ausgaben  im 
Lager  3o  p. :  zusammen  420  Piaster.  Die  3oo  botijas  wer- 
den in  Angoslura,  einem  Durchschnitfpreis  von  10  Jahren 
zufolge,   für  600  bis  -jho  Piaster  verkauft. 


Kapitel     XIX.  4^5 

Iiain  uns,  ^-^enn  sie  gut  erhallen  sind,  nicht  unange- 
nehm  vor.  INIan  zeigte  uns  grofse,  durch  Jaguar  -  Ti' 
ger  geleerte  SchihlKrüt- Schalen.  Diese  Thiere  folgen 
der  _//vv/H  -  Schildluüte  an  die  Gestade,  wo  sie  ihreEyer 
legt.  Sie  überlallen  solche  auf  dem  Sand  5  und  um.  sie 
desto  hpquemer  vorzehren  zu  können,  wenden  sie  die- 
selbe also  um,  dafs  der  Brustschild  aufwärts  gekehrt 
ist.  In  dieser  Laare  können  die  Schildkröten  sich  nicht 
wieder  aufrichten;  und  weil  der  Jaguar  ungleicli  meh- 
rere derselben  wendet,  als  er  in  einer  Wacht  frifst, 
so  benutzen  die  Indianer  öfters  seine  List  und  seine 
bösartige  Gier  zu  ihrem  eignen  Vortheil. 

Bedenkt  man,  wie  schwierig  es  für  den  reisenden 
Naturforscher  ist,  den  Körper  der  Schildkröte  heraus- 
zunehmen, ohne  die  Decke  vom  Brustschild  zu  trennen, 
so  kann  man  die  Gewandtheit  der  Pfote  des  Tigers  nicht 
sattsam  bewundern,  die  den  gedoppelten  Panzer  der 
^Jfrr«H- Schildkröte  ausleert,  als  wären  die  Muscular- 
Bande  mit  einem  chirurgischen  Instrumente  gelöst  wor- 
den. Der  Jaguar  verfolgt  die  Schildkröte  bis  in's  Was- 
ser, wenn  dieses  nicht  sehr  tief  ist.  Er  gräbt  auch  die 
Eyer  hervor;  und  nebst  dem  Crocodil,  dem  Keiher  und 
dem  GalUuazo  -  Geyer  ist  er  der  grausamste  Feind  der 
kleinen,  eben  erst  ausgekrochenen  Schildkröten.  Im 
Jahr  zuvor  ward  die  Insel  Pararuma  durch  Crocodile 
während  der  Eyerzeit  dermafsen  beunruhigt,  dafs  die 
Indianer  in  einer  einzigen  Nacht,  mittelst  gekrümmter 
\ind  mit  Seekuhfleisch  besetzter  Eisen,  achtzehn  dieser 
Thiere  von  zwölf  bis  fünfzehn  Fufs  Länge  einfiengen. 
Neben  den  Waldthieren ,  wovon  so  eben  die  Rede  war, 
thun  auch  die  wilden  Indianer  der  Oelfabrication  bedeu- 
tenden Schaden.     Durch  (üe  ersten  Regenschauer,  wel- 


426  B  u  c  h     VII. 

che  sie  Schildkrül- Regen  Cpeje  -  caneporO  *)  nennen, 
auimeri^saro  gemacht,  begehen  sie  sich  an  die  Gestade 
des  Orenoko,  und  tüüten  niit  vergifteten  Pftdlen  die 
Schihlhröten,  welche  mit  eiDporstehendem  Hopf"  und 
ausgestreckten  Füfsen  sich  an  der  Sonne  wärmen. 

Wenn  schon  die  jungen  Sc'iihlkrüten  (torhignillos'y 
die  Schale  ihres  Eyes  am  Tage  durchbrochen  haben,  so 
sieht  man  sie  doch  immer  erst  zur  Nachtzeit  aus  der 
»Erde  sclilupfen.  Die  Indianer  behaupten,  das  junge 
Thier  scheue  dieSonnenhitze;  sie  versuchten  auch,  uns 
zu  zeigen,  nie  die  junge  Schihlkröte,  wenn  sie  in  ei- 
nem Sack  weit  vom  Ufer. hinweggetragen  und  so  gestellt 
wird,  dafs  sie  dem  Gestade  den  Kücken  zuwendet,  den- 
noch ohne  Anstand  denJuirzesten  \Ve<j  zuivi  Wasser  ein- 
schlägt.  Ich  gestehe  zwar,  dafs  dieser  Versuch ,  von 
welchem  auch  schon  der  Pater  Gumilla  gesprochen  hat, 
nicht  immer  gleich  gut  gerüth:  im  Aligemeinen  aber 
schien  es  mir,  dafs  diese  Thierchen  in  grofser  Entfer- 
nung vom  Ufer,  und  seihst  auch  auf  einer  Insel,  mit 
ausnehmend  zartem  Gefühl  unterscheiden,  von  welcher 
Seile  her  der  feuchteste  Wind  weht.  Wenn  man  über 
diese  Eyerschichte  nachdenkt,  die  sich  beynaho  unun- 
terbrochen längs  dem  Gestade  ausdehnt,  und  über  die 
Tausende  kleiner  Schildkröten,  die,  so  wie  sie  ausge- 
schlüpft sind,  das  Wasser  o-rhen,  so  mag  man  schwer- 
lich glauben,  dafs  eine  solche  Menge  von  Schildkröten, 
die  ilire  INesler  am  nämlichen  Ort  haben,  ihre  Jungen 
unterscheiden,  und  sie,  wie  die  (^rocodile  tlmn,  zu  den 
benach])arten  Lachen  des  Orenoko  führen  können.  Es 
ist  jedoch  zuverlässig  der  Fall,  dafs  das  Tiiier  seine  ei- 
sten Lebensjahre  in  den  Lachen  zubringt,  deren  Was- 
ser nicht  tief  sind,    und  dafs  nur  das  erwachsene  Thier 

*)  In  der  Tamanaken-Sprache ,    aus  peje  Schildl^röte ,    und  ca- 
iiepQ  liegen. 


n  a  p  i  t  e  l     XIX.  42? 

ersi  In's  Bell  des  grofson  Stromes  zurückkehrt.  Wie 
mögen  nun  aber  die  lortugiüUos  diese  Laclien  auffin- 
den :*  \A  ej-don  sie  durch  weihliche  Schihlkröten ,  wie 
der  Zufall  sie  darreicht,  adoptirt  und  dorlhiu  geleitet  ? 
Die  weniger  zahlreichen  Crocodile  legen  ihre  Eyer  in 
ahiresonderle  Lücher;,  und  wir  werden  hald  sehen,  dafs 
in  dieser  Eidechsen  -  Familie  das  weihliciie  Thier  um 
die  Zeil,  wo  die  Incubation  ?u  Ende  geht,  sich  wieder 
einfindet,  die  Junten  ruft,  welche  seiner  Stimme  ant-^ 
Worten,  und  denselben  meist  auch  beym  Auskriechen 
behülflich  ist.  Die  ^y;v«n -Schildkröte  erkennt  ohne 
Zweifel,  wie  das  Crocodil,  den  Ort,  wo  sie  ihre  Eyer 
gelegt  hat;  weil  sie  aber  nicht  auf  das  Gestade  zurück- 
kehren darf,  wo  die  Indianer  ihr  Lager  aufgeschlagen 
liaben,  wie  sollte  sie  ihre  Jungen  von  den  ihr  nicht  an- 
S[ehuri2:en  torlu"uiUos  unterscheiden  können  ?  Die  Oto- 
n)aken  -  Indianer  behaupten  hinwieder,  zur  Zeit  der 
Ueberschwemmungen  weibliche  Schildkröten  von  einer 
grofsen  Zahl  junger  Schildkröten  begleitet  angetroffen 
zu  haben.  Es  waren  dies  vielleicht  solche  yirraus,  die 
auf  einer  öden  Küste,  ihre  Ever  abgesondert  gelegt  hal- 
len und  dortliin  zurück!(ehren  konnten.  Die  männli- 
chen Thiere  sind  äufserst  selten,  und  unter  mehreren 
hundert  Schildkröten  trilft  man  kaum  eine  männliche 
an.  Die  Ursache  dieser  Seltenheit  kann  nicht  die  glei- 
che seyn,  wie  bey  den  Crocodilen,  die  in  der  Brunstzeit 
ihre  getährlichen  Kämpfe  bestehen. 

Unser  Pilote  halte  in  der  Playa  de  huevos  ange- 
halten,  um  daselbst  einige  Provisionen,  die  uns  zu 
mangeln  anfiengen  ,  einzukaufen.  Wir  fanden  hier  fri- 
sches Fleisch,  Angostura  -  Heifs  und  selbst  auch  aus 
Waizenmehl  bereiteten  Zwieback.  Unsere  Indianer 
füllten  die  Piroge,  für  ihren  eignen  Bedarf,  mit  kleinen 
lebendigen  Schildkröten  und  an  der  Sonne  getrockneten 


428  Buch     VIL 

Eyern.     Nachdem  wir  vom  Missionar  aus  Uruana^  wel- 
cher uns   mit  vieler  Herzlichkeit  behandelt  liatte^    Ab- 
schied   genommen   hatten,    ^iongen    wir  gegen    4    Uhr 
Abends  unter  Segel.     Der  Wind  wehete  kühl  und  stofs- 
iveise.     Seit  wir  den  gebirgigten  Thell  des  Landes  er- 
reicht  hatten,    bemerkten  wir,   dafs  unsere  Piroge   ein 
schlechter  Segler  sey;    der  Patron  aber  wollte  den  am 
Gestade  versammelten  ladiern  zeigen,     dafs,    wenn  er 
recht  dicht  beym  Winde   segle,    er  alsdann  mit  einem 
einzigen  Schlag  die  Mitte   des  Stroms  erreichen  möge. 
In  dem  Augenblick,  wo  er  sich   seiner  Geschicklichkeit 
und  kühnen  Schwenkung  rühmte,    ward  der  Stofs  des    ' 
Windes    auf   den  Segel    so    heftig,     dafs    wir   auf  dem 
Puncte  waren  unterzusinken.     Die  eine  Seite  des  Fahr- 
zeugs stund  unter  Wasser  und  dieses  drang  mit  solcher 
Gewalt  ein,  dafs  es  uns  bis  über  die  Hniee  gieng.    Es  über- 
schwemmte ein  Tischchen,    worauf  ich  im  Hiiüerlbeil 
des  Schiffes  gerade  mit  Schreiben  beschäftigt  war.     I\Iit 
Mühe  mochte  ich  mein  Tagebuch  retten  und  augenblick- 
lich sahen  wir  unsere  Bücher,    unsere  Papiere  und  un- 
sere getrockneten  Pflanzen  im  \Vasser  schwimmen.      Hr. 
Bonpland  hatte  sich  mitten  in    die  Piroge  gelagert  und 
schlief.     Dnrch  das   eindringende  Wasser   und  das   Ge- 
schrey  der  Indianer  geweckt,    beurtheilte  er  unser  Ver- 
hältnifs  mit  der  Gleichmütliigkoil,    welche  er  jederzeit 
unter  den  schwierigsten  Umstlindon  zu  Tage  gelegt  hat. 
Weil  die  eingesenkte  Seile  des  Schiffessich  während  des 
Windstofses  von  Zeit  zu  Zeit  emporliob,    hielt  er  das 
Fahrzeug  noch  nicht  für  verloren.     Sollte  es  auch  ver- 
lassen werden  müssen,  so  glaulite  er,  könnten  wir  uns 
durch  Schwimmen  retten,    weil    kein  Crocodil    in   der 
IVähe  war.     Während  dieser  Ungewifsheit  rifs  plötzlich 
das  Tauwerk  des  Segels.     Der  nämliche  Windstofs,   der 
uns  seitwärts  geworfen  hatte,    hob  uns  jetzt  hinwieder 


Kapitel    KJK.  42g 

empor»  Mit  den  Fn'icliten  der  Ci'escenUa  Cujete  ward 
hierauf  ungesäumt  das  Wasser  aus  der  Piroge  g-csciiüpft: 
die  Segel  uurden  ausgebessert^  utul  vor  Abflufs  einer  hal- 
ben Stunde  Salven  wir  uus  im  Stand  weiter  zu  fahren. 
Der.  Wind  hatte  sich  etwas  gelegt.  Windstöfse,  die  mi^ 
g^änzliclier  Luftstille  wechseln,  sind  übrigens  in  diesem 
Theil  des  von  Bergen  eingeschlossenen  Stromes  sehr  ge-' 
wohnlich.  Sie  werden  für  überladene  Schiffe  ohne  Ver- 
deck gefiihrlich,  und  wir  waren  gleichsam  durch  ein 
Wunder  gerettet.  Der  Pilote  empfieng  mit  indischera 
Phlegma  die  Vorwürfe,  die  ihm  über  sein  dicht  beym 
Winde  Segeln  gemacht  wurden,  indem  er  kaltblütig  er- 
wiederte  ;  „es  werde  den  Weissen  auf  diesen  Gestadea 
nicht  an  Sonne  zum  Trocknen  ihrer  Papiere  felilen. 
Wir  hatten  nur  ein  einziges  Buch  eingebiifst.  Es  war 
der  erste  Band  von  Schreber  s  Genera  Planlariiin^  wel- 
cher in  s  Wasser  fiel.  Man  wird  für  solche  Verluste 
empfindlich,  wenn  man  auf  eine  kleine  Zahl  wissen- 
schaftlicher Bücher  beschränkt  ist. 

Bey  Eintritt  der  Nacht  biwacltten  wir  auf  einer  un« 
■fruchtbaren,  mitten  im  Strom,  nahe  bey  der  Mission 
Uruana  gelegenen  histl.  Boy  schönem  Mondschein 
nahmen  wir  unser  Abendessen  ein,  auf  grofsen  Schild- 
krütschalen  sitzend,  die  am  Ufer  zerstreut  lagen.  Die 
Fi'eude,  uns  Alle  vereint  zu  sehen,  wargrofs!  Wir  stell- 
IPft  uns  die  Lage  eines  Menschen  vor,  welcher  sieb 
allein  aus  dem  Schiffbruch  gerettet  hätte,  an  diesen  Ge- 
staden wanderte  und  vielmals  an  Ströme  geriethe,  die 
sich  in  den  Orenoko  er^^iefsen,  und  über  die  man,  um 
der  Menge  von  Crocodilen  und  Car/6eA' -  Fischen  wil- 
len, nicht  ohne  Gefahr  schwimmen  kann.  Wir  dach- 
ten uns  den  für  zarte  Gefühle  empfänglichen  Menschen 
mit  dem  Schicksal  seiner  Unelückssrefährlen  völlii;  un- 
bekannt,   und  mehr  um  sie,   als  um  lieh  selbst  bekam» 


43o  Buch    rn. 

jnert.  Man  überlüfst  sich  so  traurigem  Nachdenken 
elsdann  um  so  eh^r,  »^  enn  man.  der  Gefahr  entg-angen, 
Jas  Bedürfnifs  starker  Külirungen  neuerdings  empfin- 
det. Wir  waren  Alle  mit  dem,  was  so  eben  uns  vor  Au- 
gen geschwebt  hatte,  beschäftigt.  Es  giebt  Zeilpuncte 
des  Lebens,  in  denen  ohne  Verzagllieit  die  Zukunft 
doch  ungewisser  erscheint.  Wir  befanden  uns  seit  drey 
Tagen  erst  auf  dem  Orenol.o,  und  es  lagen  noch  drey 
Monate  einer  Schiflahrt  vor  uns,  auf  Strömen,  die  durch 
Felsmasscn  eingeengt,  und  auf  Fahrzeuijen,  die  kleiner 
waren ,  als  dasjenige ,  worauf  wir  so  eben  erst  mit  der 
Gefahr  des  Untei'gangs  bedrohet  w^aren. 

Die  JVaclit  war  sehr  schwül.  Wir  hallen  uns  auf 
Thierhäute  gelagert,  die  über  dem  Boden  ausgebrei- 
tet wurden^  weil  zur  Befestigung  unserer  Hängematten 
keine  Bäume  vorhanden  waren.  Mit  Befremden  be- 
merkten wir,  dafs  die  Jaguars  durch  unsere  Feuer  hier 
nicht  abgehalten  wurden  sich  zu  nähern.  Sie  setzten 
schwimmend  über  den  Flufsarm ,  welcher  uns  vom 
Festland  trennte.  Gegen  Morgen  hurten  wir  ihr  Ge- 
schrev  ganz  nahe.  Sie  waren  auf  die  Insel  gekommen, 
wo  wir  biwackirten.  Von  den  Indianern  vernahmen 
Avir,  dafs  zur  Zeit  der  Schildkröt- Eversammlung  die 
Tiffer  allezeit  am  häufigsten  auf  diesen  Gestaden  ange- 
troffen werden,  und  dafs  sie  zu  eben  dieser  Zeit  auch 
die  meiste  Unerschrockenheit  zu  Taffe  lesren. 

Am  ^,  April  sahen  wir  rechts  die  Ausinündung  des 
grofsen  Bio  Arauca,  der  durch  die  Menge  Vügel^  wel- 
che er  ernährt,  berühmt  ist,  und  hnks  die  IVIission  Urua- 
na,  gemeiniglich  die  Concepcion  de  Urhaiia  genannt. 
Dies  kleine  Dorf,  welches  5oo  Seelen  zählt,  ward  um's 
Jahr  1748  dnrch  die  Jesuiten  gemeinsam  aus  Otoma- 
ken  und  Cavercs-  oder  Cabres- Indianern  gebildet.  Es 
liegt  am  Fufs  eines  aus   einzelnen  Granitblocken  beste- 


H  a  p  i  t  e  l     X.IX.  43 1 

henden  Berges.  Der  Name  dieses  Berges  ist,  wo  ich 
nicht  irre,  Saraguaca.  Steinhaufen,  die  dui^ch  Verwit- 
terung von  einander  getreiint  sindj  bilden  Höhlen, 
\vorin  uiizwcvdeutiii^e  Zeuijnisse  einer  vormaliü-en  Cul- 
tur  der  Ur -Einwohner  angetroHen  werden.  Bs  finden, 
sich  daselbst  Hieroglyplicn  Bilder  und  sogar  auch  in 
gerader  Linie  stehende  Zeichen.  Ich  zweifle,  dafs 
diese  Zeichen  mit  einer  alphabetischen  Schrift  verwandt 
seyen.  *j  ^^  ir  haben  auf  der  hückreise  vom  Rio  Negro 
die  Mission  üruana  besucht,  und  daselbst  mit  eignen 
Augen  die  Erdhaufen  gesehen,  welche  die  Ütomaken 
speisen,  und  die  ein  Gegenstand  vielfältiger  Untersu- 
chungen in  Europa  geworden  sind. 

Die  Vermessung  der  Breite  des  Orenoko  zwischen 
den  Eylanden  ,  welche  Isla  de  Uruanci  und  Isla  de  la 
manteca  heifsen,  gab  uns  beym  hohen  Wasserstand  eine 
Breite  von  2674  Toisen  **),  welche  beynahe  4  Seemei- 
len betragen.  Es  ist  dies  achtfach  die  Breite  des  Nils 
bey  Manfalout  und  Syont  ***^  j  indefs  befanden  wir  uns 
bey  1^4  Meilen  von  der  Ausmündung  des  Orenoko  ent- 
fernt. Die  Temperatur  des  Wassers  auf  seiner  Ober- 
fläclie  betrug  in  der  Nähe  von  Uruana  27°,8  des  hun- 
derttheiligen  Thermometers.  Diejenige  des  Stromes 
Zaire  oder  Congo  in  Africa  ward  in  gleicher  Entfer- 
nung vom  Aefj[uator  ****)j  vom  Capitän  Tuckey,  in 
Ae.n  Monaten  Julius  und  August,  nur  zu  23°, 9  bis  25°,6 
angetroffen.     Wir  werden  in  der  Folge  sehen,  dafs  die 


*)  Siehe    meine  Monumens   des  peuples  de  l' Ainerique  (Folio- 
Ausg.),  Tom.  I,  p.  61. 

**>  Oder  5211   Meters,  oder  GsSo   J''arat. 

***)  Girard ,   sur  la  Vallee  d'Egypte ,  p.    1  %. 

"***;)  In  der  südlichen  Halbkugel. 


43z  Buch     HL 

Gewisser  des  Orenoko,  sowol  nahe  am  Lfer_,  wo  sie  in 
dichtem  Schatten  fliefsen,  als  im  Thohneg ,  mitten  im 
Strome,  his  auf  2t)°,5  ansteigen  *) ,  und  nicht  unter 
27°j5  sinken  *■'*):  es  betrug  aher  auch  die  Tempei-atur 
der  Luft  in  diesem  Zeitraum,  vom  April  his  zuui  Ju- 
nius,  den  Tag  über  meist  zwischen  28°  und  3o^  ;  de? 
Nachts  zwischen  24°  und  26°  ;  während  sich  im  Thale 
von  Congo  die  Temperatur  von  ö  Uhr  früh  bis  Mit- 
tags,   zwischen  20°,6  und  26^,7  erhielt. 

Das  westliche  Gestade  des  Orenoko  bleibt  niedrig, 
bis  über  die  Ausmündung  des  Meta  hin,  wogegen  sich 
von  der  Mission  Uruana  an  die  Berge  dem  östlichen 
Gestade  mehr  und  mehr  nähern.  Weil  die  Stärke  der 
Strömung,  nach  Mafsgabe  wie  das  Flufsbett  enger  wird, 
zunimmt,  so  ward  der  Lauf  unsers  Fahrzeugs  nun  be- 
deutend langsamer.  Wir  segelten  zwar  weiter  strom- 
aufwärts, aber  die  hohen  und  waldigen  Küsten  entzo- 
gen uns  den  Wind.  Zuweilen  sandten  die  engen  Ge- 
birgsschluchten, bey  denen  wir  vorbeykamen  ,  heftige 
Stofswinde,  die  jedoch  nur  von  kurzer  Dauer  waren. 
Die  Zahl  der  Crocodile  vermehrte  sich  unterhalb  der 
Vereinbarung  des  Kio  Araiica,  vorzüglich  dem  grofseii 
See  von  Capanaparo  gegenüber,  welcher  mit  dem  Ore- 
noko zusammenhängt,  wie  die  Laguna  von  Cabullarilo 
zugleich  mit  diesem  und  dein  Kio  Arauca  in  Verbin- 
dung steht.  Die  Indianer  sagten  uns,  diese  Crocodile 
kommen  aus  dem  innern  Lande  bor,  wo  sie  im  trock- 
nen Schlamm  der  Savanen  begraben  lagen.  Sobald  die 
ersten  Schlagregen  dieselben  aus  ihrer  Erstarrung  we- 
cken, sammeln  sie  ^ich  rottenvveise  und  laufen  dem 
Stro- 

•)  Bis  auf  2.30,6  R. 
**;  »30,0  R. 


Kapitel    XIX.  433 

Strome  zu,  um  sich  darin  wiodor  zu  vertheilen.  Hier, 
in  der  Aequinoctial  -  Zone,  ist  es  die  Zunahme  der 
Feuclitigkeit ,  welche  sie  ins  Lelx'n  zurückruft;  in 
Georgien  und  in  Florida,  im  g-emäfsigten  Erdstrich, 
ist  es  die  steigende  Wärme  ,  wodurch  diese  Thiore  aus 
einem  Zustand  von  Schwäche  des  INcrven-  und  Muskel - 
Systems,  während  dessen  die  Thätigkeit  des  Aihemho- 
lens  entweder  unterbrochen  oder  aufserordentlich  ver- 
mindert Avar ,  erweckt  werden.  Die  Zeit  der  grofsen 
Trockenheit,  welche  uneigentlich  der  Som??ic7'  der 
heijsen  Zone  genannt  wirdj  trifft  mit  dem  Winter  der 
gemäfsigten  Zone  zusammen,  und  es  gewährt  eine 
merl'xwürdige  physiologische  Erscheinung,  die  Alliga- 
toren des  nördlichen  America  durcli  die  strenge  Kälte 
zur  gleichen  Zeit  in  den  Winlerschlaj  vei'sunken  zu 
sehen  ,  wo  die  Crocodile  der  l^lanos  hinwieder  ihren 
Sommerschlaf  machen.  Wäre  es  wahrscheinlich,  dafs 
diese  der  nämlichen  Famihe  zugehürlgen  Thiere  vor- 
mals die  gleiche  nördliche  Landschaft  hewohnt  hätten, 
so  könnte  n)an  glauben,  sie  fühlen  Leym  Vorschroiten 
gegen  den  Aequator,  nach  einer  sieben-  bis  achtmonat- 
lichen Muskulär -Bewegung,  das  Bedürfnifs  der  Ruhe, 
und  behalten  unter  einem  neuen  Erdstrich  Gewöhnun- 
gen "'') ,  die  mit  ihrer  Organisation  sehr  innig  zusam- 
menhängen. 

Nachdem  wir  bey  den  Mündungen  der  Canäle  vor- 
Leygekommen  waren,  die  mit  dem  See  von  Capanaparo 
in  Verbindung  stehen,  gelangten  wir  in  eine  Gegend 
des  Orenoko,  wo  das  Strombett  durch  die  Berge  von 
ßciragnan  verengt  wird.  Es  ist  eine  Art  Engpafs,  der 
sich  bis  zum  Zusammenflusse  des  Rio  Suapure  verlän- 


*)  Siehe  oben,  Kap.  i5,  S.  77. 
jilex.   V.   Humboldts  hist.    fleisen.    III.  •^S 


434  Buch     VII. 

gert.  Von  diesen  Grariitbergen  hatten  vormals  die  Ur- 
Klnwohner  dem  zwischen  den  Mündungen  des  Arauca 
und  des  Atabaj>o  gelegenen  Theil  des  Orenoko  den  Na- 
men ßaragiuui  ertljeilt.  Bey  den  wilden  Völkern  füh- 
ren die  grolsen  Ströme  abweichende  Namen  in  verschie? 
denen  ihrer  Abthi  ilungen.  Der  Baraguan  -  Pofs  stellt 
eine  sehr  malerische  Landscliaft  dar.  Die  Granitfelsen 
sind  senkrecht  abgestutzt:  da  sie  eine  von  Nord- West 
gen  Süd-Osl  laufende  Pveilie  von  Bergen  Jjilden,  und 
der  Strom  diesen  Damm  gleichsam  im  rechten  Win- 
kel durchschneidet,  so  stellen  sich  die  Berggij»fei  als 
abgesonderte  Spitzen  dar.  Ihre  Erhöhung  beträgt  im 
Ganzen  nicht  über  120  Toisen  5  aber  ihre  Lage  mitten 
in  einer  Idcinen  Ebene,  ihre  abgestutzten  Wände,  ihre 
nackten  Abhänge  ertheilen  ihnen  einen  imposanten  Cha- 
racter.  Es  sind  allezeit  die  Ungeheuern  Granitmassen, 
welche  in  Gestalt  von  Langwürleln  ,  aber  mit  abgerun- 
deten Händern,  über  einander  gehäuft  sind.  Die  Blöcke 
haben  öfters  So  Fufs  Länge,  auf  20  bis  3o  Fufs  Breite. 
Man  könnte  sie  durch  irgend  eine  äufsere  Gewalt  auf 
einander  gethürmt  glauben  5  wenn  die  Nähe  einer  Fels- 
inasse  von  gleichartiger  Zusammensetzung,  die  aber 
keineswegs  in  Blöcke  zertheilt,  sondern  mit  Gängen '•) 
durchzogen  ist,  nicht  darthäle,  dafs  die  Parallelepipe- 
den-Form  einzig  nur  Ergebnlfs  der  atmosphärischen 
Einwirkungen  seyn  kann.  Diese  zwey  bis  drey  Zoll 
dichten  Gänge  unterscheiden  sich  durch  einen  feinköi'- 


*)  llire  Dlrcction  jsi  meist  St.  5.  Ich  sah  auch  viele  solcher  Gän- 
ge, deren  Riclilung  St.  6  — 11  ist,  im  Winterhafen  (P-'/er^o  rf<f 
iin'ifnio')  von  Alures.  Es  finden  sich  darin  •weder  ein  leerer 
Baum,  noch  eine  Spur  von  Drusen.  Es  sind,  wie  in  Bara- 
giian,  Gange  von  feinkörnigem  Granit,  nelciie  den  groltkör- 
jii^on  Granit  durchziehen. 


H  fi  p  i  t  e  l    XIX.  435 

nigen  quarzigen  Granit,  der  einen  grollkörnigen,  Jjcy- 
nalie  porphyrartigen  und  an  schönen  rothen  Feldspath- 
Kryslallen  reichen  Granit  durchzieht.  Ich  habe  mich  in 
der  Cordlllere  von  Baragnan  vergeblich  nach  der 
Hornblende  und  den  Specksleinmassen  umgesehen, 
durch  die  sich  verschiedene  Granite  der  schweizeri- 
schen Hochalpen  auszeichnen. 

Wir  landeten  mitten  im  Engpasse  von  Barctguan, 
um  seine  Breite  zu  messen.  Die  Felsen  sind  dermafsen 
gegen  den  Strom  vorgerückt,  dafs  ich  Mühe  halt?,  eine 
Grundlinie  von  80  Toisen  zu  erhalten.  Die  Breite  des 
Stroms  betrug  889  Toisen.  Um  zu  begreifen,  wie  hier 
von  einem  Engpasse  die  Rede  seyn  kann,  mufs  man 
sich  erinnern,  dafs  von  Uruana  bis  zum  Einflufs  der 
Meta  die  Strombreite  meist  i5oo  bis  25oo  Toisen  be- 
trägt. An  der  nämlichen,  überaus  heifsen  und  dürren 
Stelle  habe  ich  drey  sehr  abgerundete  Granit- Gipfel 
gemessen,  von  denen  der  eine  nur  iio  und  der  andere 
85  Toisen  betrug.  Es  finden  sich  höhere  Gipiel  im  In- 
nern der  Gruppe,  überhaupt  aber  besitzen  diese  so  wild 
aussehenden  Berge  die  Höhe  keineswegs,  welche  die 
Alissionarien  angeben. 

Wir  suchten  vergeblich  nach  Pflanzen  in  den  Spal- 
ten dieser  Felsmassen,  die  Mauern  gleich  abgestutzt 
sind,  und  einige  Spuren  von  Stratification  zeigen  •••_). 
Es  fand  sich  einzig  nur  ein  alter  Stamm  der  Aubletia  **) 


*)  An  einer  einzigen  Stelle  haben  wir  den  Granit  von  Bara- 
gnan geschichtet  und  in  drey  Zoll  dichte  Lagen  zertheilt 
angetroffen.  Die  Richtung  dieser  Schichten  war  N.  20"  \V.  j 
ihre  Einsenkung  beteilig  85°  IVordöstl.  Es  war  ein  grobkör- 
niger Granit ,  geschichtet  wie  derjenige  von  Las  Trinche- 
ras^  in  der  Gegend  von  Porto  •  Cabello ,  und  kein  Gneüi. 
(^Sielie  o])en,  Kap.  16,  S,  I66. 
**)  Aubletia  Tiburba. 


436  Buch     VIL 

mit  grofser  apfelformiger  Frucht^    und  eine  neue,  der 
Apocyneen- Familie  zugehürige  Art*).     Die  Steine  wa- 
ren überall  mit  einer  unzählbaren  Menge  Leguanen  und 
Geckos  mit  blättrigen  Fufszeben  überdeckt.     Unbeweg- 
lich, mit  aufgerichtetem  Kopf  und  offenem  Mund,  schie- 
nen diese  Eidechsen  nach  der  heifsen  Luft  zu  schnap- 
pen.    Der  an  den  Fels  gelehnte  Thermometer  stieg  **> 
auf  5o°,2.     Der  Boden  schien   durch   die  Wirkung  der 
Luftspieglung  in    wellenförmiger   Bewegung   zu  seyn, 
ohne   dafs  irgend  ein  Wind  spürbar   war.       Die  Sonne 
stund  nahe  am  Zenith  ,  und  ihr   vom  Wasserspiegel  des 
Stroms  zurückgeworfenes,  schimmerndes  Licht  contra- 
stirte   mit  dem  rüthlichen  Dunst,  der  alle  in  der  Nähe 
Lefindlichen  Gegenstände  umhüllte.     Es  ist  ein  mächti- 
ger Eindruck,  welchen,    um  die  Mitte  des  Tages,  in 
diesen  heifsen  Erdstrichen  die  Stille  der  Natur  hervor- 
bringt.    Die  Waldthiere  bergen  sich  im   Dickicht,  die 
Vögel  im  Laubwerk  der  Bäume  oder  in  Felsspalten.    So- 
bald   man    inzwischen,     während     dieser    scheinbaren 
Stille,  mit  aufmerksamem  Ohr  den  schwächsten,  durch 
die   Luft  herbeygeführlen  Tönen  lauscht,   so  vernimmt 
man  ein  dumpfes  Rauschen,  ein  ununterbrochenes  Ge- 
sause  und   Summen  der  Inseclen,  von  denen  alle  unte- 
ren Luftschichten,  so  zu  sagen,  voll  sind.     Nichts  kann 
geeigneter  seyn,   dem  Menschen  den   Umfang  und  die 
Macht   des     organischen    Lebens   fühlbar    zu    machen. 
Myriaden     Insecten    kriechen    über    den    Boden     und 
schwärmen  um  die  von  der    Sonnenhitze    verbrannten 
Pflanzen.     Ein  verwirrtes  Gesause  ertönt  aus  jedem  Ge- 
büsch, aus   faulenden  Baumstämmen,    aus  Felsspalten, 
aus  dem  von  Eidechsen,   Tausendfufsern  und  Cecilien 


*)  Allamanda  SallciJoUa. 
**)  40°,i  Reaum. 


n  et  p  i  t  e  l     XIX.  437 

wnlerliölillen  Botlcn.  Es  sind  diese  Tüne  eben  so  viele 
Stimmen,  die  uns  verkünden,  dafs  Alles  in  der  Natur 
«itliniet,  dafs  unter  tausend  verschiedenen  Gestalten  das 
Leben  im  staubigen,  dürren) und  zerspaltenen  Erdreich 
eben  so  allgemein  verbreitet  ist,  wie  im  Schoofse  des 
Wassers  und  in  der  uns  umgebenden  Luft.  Die  Em- 
pfindungen, an  Welche  ich  liier  erinnere,  sind  denen 
nicht  fremd,  die,  ohne  sich  dem  Aequator  zu  nähern, 
Italien,  Spanien  oder  Egyplen  besucht  haben.  Es  be- 
schäftigt dieser  Contrast  von  Bewegung  und  Stille, 
dieser  Anblick  einer  zuf'l'iich  ruhi.i  '^  ^ind  '  ?'vehten  Na- 
tur  die  Phantasie  des  Reisenden  alsbald  beym  Eintritt 
in  das  Becken  des  Mittelmeers,  in  den  Erdstrich  der 
Olivenbäume,    des  Chamasrops  und  der  Dattelpalmen. 

■  Wir  bivvackten  auf  dem  östlichen  Gestade  des 
Orenoko,  am  Fufse  eines  Granithügels.  In  der  Nähe 
dieser  Einöde  war  ehemals  die  Mission  von  San  Regis 
gelegen.  Wir  hätten  gern  in  Baraguan  eine  Quelle  ge- 
funden. Das  Flufswasser  hat  einen  Bisamgeruch  und 
einen  süfslichen,  höchst  widrigen  Geschmack.  Im  Ore- 
noko, wie  im  Apure,  ist  der  Unterschied  des  Wassers 
am  dürren  Gestade  in  den  verschieden-eri  Abtheilungen 
des  Stromes  sehrauflallend.  Am  einen  Ort  ist  dasselbe' 
sehr  trinkbar,  während  es  am  andern  mit  gallertigen 
Stoffen  übersättigt  zu  seyn  scheint.  «jDie  Ptinde  t[die 
lederartige  Decke)  der  faulenden  Caymans  ist  daran 
Schuld,  sagen  die  Eingebornea.  Je  älter  der  Cay- 
man ist,  desto  bitterer  wird  seine  Ptinde/^  Ich  glaube 
wohl,  dafs  die  Aeser  dieser  grofsen  Reptilien,  diejeni- 
gen der  Seekühe,  welche  fünf  Centner  wiegen,  und  die 
Gegenwart  der  Meerschweinchen  (^toniv(is)  mit  schlei-" 
miger  Haut,  das  Wasser,  zumal  in  Buchten  und  Krüm- 
mungen, wo  der  Stromlauf  schwächer  ist,  allerdings 
verderben  können.     Indefs  fand  sich  das  stinkende  Was* 


435  Buch     ril. 

ser  nicht  immer  da,  wo  wir  tOflte  Thiere  am  Ufer  an- 
gehäuft sahen.  Wenn  man  sicli  in  diesen  heifsen  Regio- 
nen, wo  der  Durst  beständig  quält,  auf  das  Stroniwasser 
Jjeschränlit  ^icht,  dessen  Temperatur  27°  bis  28°  he- 
träot,  so  ist  der  Wunsch,  ein  so  warmes  und  sandige« 
Weisser  möchte  geruchlos  seyn,  niclit  zu  verargen. 

Am  b.  April  kamen  wir  auf  der  Ostseite  der  Mün- 
dungen von  Suapure  oder  Sivapuri  und  von  Caripe  ,  so 
wie  auf  der  Westseite  der  Mündung  des  Sinaruco  vor- 
über. Nach  dem  Kio  Arauca  ist  dieser  letztere  Strom 
der  beträchtlichste  zwischen  dem  Apure  und  dem  Mela. 
Der  Suapure,  voll  kleiner  Wasserfalle,  ist  bey  den  In* 
diern  durch  den  vielen  wilden  Honig  berühmt,  wel- 
chen die  benachbarten  Wälder  liefern.  Die  Mellponen 
hängen  ihre  Ungeheuern  Stöcke  an  die  Baumäste.  Der 
Pater  Gili  hat  im  Jahre  1766  den  Suapure  und  den  Tu- 
riva ,  welcher  sich  in  den  erstem  ergiefst,  befahren. 
Er  hat  daselbst  Stämme  von  dem  Volke  der  Areverier 
angetroßen.  Wir  biwackirten  etwas  unterhalb  der  Insel 
Macupina. 

Am  Q.  April  trafen  wir  frühmorgens  am  Gestade 
von  Pararuma  ein.  Wir  fanden  hier  ein  Lager  von 
Indiern,  demjenigen  ähnlich,  das  wir  auf  der  hoca  de 
la  Tortiiga  gesehen  hatten.  Sie  waren  versammelt,  um 
den  Sandboden  aufzuwühlen,  Schildkröten -Eyer  zu 
sammeln  und  ihr  Oel  zu  gewinnen  5  allein  unglückli- 
cher Weise  waren  sie  um  mehrere  Tage  zu  spät  ge- 
kommen. Die  jungen  Schildkröten  •')  waren  aus  ih- 
ren Schalen  gekrochen,  che  die  Indier  ihr  Lager  gebil- 
det hatten.  Dies  Versäumnils  machten  die  Crocodil« 
und  die  Garzes,  eine  Art  grofser  weifser  Reiher,  sich 
wohl  zu  Nutz.     Diese  nach  dem  Fleisch  junger  Schild- 


*)  Los  tortuguillos* 


I\  a  p   i  l  e  l     XIX,  459 

l<rölGn  glelcliniärsig-  lüsternen  Thlere  verzehren  eine 
zahllose  Menge  derselben.  Sie  gehen  des  Nachts  auf 
den  Kanb,  denn  die  iortii<yuillos  kriechen  nach  der 
Abenddämmerunf;  erst  aus  der  Erde  hervor,  um  den 
nahen  Fluls  zu  erreichen.  Die  Zamiiros- Geyer  -O  sind 
zu  träge,  um  nach  Sonnenuntergang  «lagd  zu  machon. 
Sie  streichen  hey  Tage  am  Gestade  hin,  werfen  sich 
mitten  in's  Lager  der  Indier,  um  Speise  zu  holen,  und 
ölters  bleibt  ihnen,  ihre  Frefsgior  zu  stillen,  anders 
nichts  übrig,  als  entweder  auf  dem  festen  Lande  oder  in 
untiefen  VA  assern  sieben  bis  acht  Zoll  lange  junge  Cro- 
codile  anzugreifen.  Es  ist  mei'kwürdig  zu  sehen,'  wie 
listig  sich  diese  kleinen  Thiere  eine  Zeit  lang  gegen 
die  Geyer  zu  vertheidigen  wissen.  Sobald  sie  ihrer  an- 
sichtig werden,  richten  sie  sich  anf  ihren  Vorderpfoten 
in  die  Höhe,  krümmen  den  Rücken,  und  heben  den 
Hopf  empor,  indem  sie  das  breite  Maul  offen  halten, 
liangsam  zwar,  kehren  sie  sich  jedoch  allzeit  ^e^en  ^p.n 
Feind,  um  ihm  die  Zähne  zu  weisen,  die  bey  dem  eben 
erst  aus  dem  Ey  gekrochenen  Thiere  schon  sehr  lang 
und  sehr  spitzig  sind.  Oefters  sieht  man,  wie,  während 
einer  der  Zamiiros  die  ganze  Aufmerksamkeit  eines 
jungen  Crocodils  bescliäftigt,  ein  anderer  den  günstigen 
Augenblick  für  einen  unvorgesehenen  Angriff  benutzt. 
Er  schiefst  auf  das  Thier  herab ^  packt  es  bevm  Nacken, 
und  hebt  es  in  die  hohen  Lüfte  empor.  Wir  hatten  Gele- 
genheit, dieses  Verfahren  ganze  Vormittage  zu  beobach- 
ten, als  wir  in  der  Stadt  Mompox  *-•')  in  einem  geräu- 
migen, von  einer  Mauer  umgebenen  Hofraum  mehr 
denn  40,  seit  i5  bis  20  Tagen  erst  dem  Ey  entschlüpf- 
ter Crocodile  beysammen  hatten. 


*)  Siehe  oben,  B.  I,  Hop.  8.  5.   175. 
**J  Ain  Gestade  des  Magdalenenslroms, 


440  Buch     VIL 

Unter  den  in  Pararunia  versammelten  Indianern 
fanden  sich  einige  weifse  Menschen,  die  von  Angostura 
zum  Einkauf  der  manteca  de  torluga  eingetrofi'en  wa- 
ren. JNachdenj  sie  uns  durch  ihre  Klagen  über  die 
j, schlechte  Ernte"  und  über  den  von  den  Tigern  zur 
Zeit  des  .fyerlegens  verursachten  Schaden  lange  ermüdet 
hatten,  füiirti-n  sie  uns  unter  einen,  mitten  im  indischen 
Lager  stehenden  Ajoupa,  wo  wir  die  Missionarien-Mönche 
von  Caiichana  und  von  den  Cataracten  zur  Erde  gela- 
gert, in  der  Harte  spielend  und  aus  langen  Pfeilen  Ta- 
Lak  räuchi'nd,  antrafen.  Ihrer  weiten  blauen  Klei- 
dung, ihren  geschornen  Küpfen  und  ihren  langen  Bar- 
ten nach  hätten  wir  sie  für  Morgenländer  gehalten. 
Diese  armen  Ordensmänner  empfiengenuns  aufs  Freund- 
licliste,  und  gaben  uns  alle  für  die  Fortsetzung  unserer 
Schiffahrt  nöthige  Au«lainft.  Seit  mehreren  Monaten 
waren  sie  vom  dr?vtögigen  Fieber  geplagt,  und  ihr  blas- 
ses abgezehrtes  Aussehen  konnte  uns  leicht  überzeugen, 
dafs  die  Landschall,  welche  wir  zu  be.^uchen  im  Begriff 
stunden,  der  Gesundheil  der  Reisenden  einigermafsen 
gefährlich  soy. 

Der  indische  Pilote,  welcher  uns  von  San  Fernando 
de  Apure  bis  ans  Gestade  von  Pararuma  geführt  hatte, 
war  mit  der  Fahrt  durch  die  rapides  *)  vom  Orenoko 
unbelvannt^  und  wollte  unser  Schifi  nicht  weiter  füh- 
ren. \'\'ir  mufsten  uns  seinem  Willen  lügen.  Glückli- 
cher Weise  fand  sich  der  Missionar  von  Carichana  ge- 
neigt ,  uns  eine  schöne  Piroge  um  sehr  mäfslgen  Preis 
zu  überlassen.  Der  Pater  Bernardo  Zea,  Missionar  von 
Atures  und  Maypures,  in  der  INähe  der  grofsen  Cata- 
racten, erbot  sich  sogar,  obgleich  krank,  uns  bis  an 
die  brasilianische   Gränze  zu  begleiten.      Die  Zahl  der 


*)  Kleine  Cascaden,   chorroty  raudalitos» 


Kapitel     XIX.  441 

Eingebornen,  welclie  l>eym  Transport  der  Käline  durch 
die  Raiidales  Hülfe  leisten,  ist  so  klein,  dafs  wir,  ohne 
die  Gegenwart  eines  Missionars,  Gefahr  liefen,  wochen- 
lang in  diesen  feuchten  und  ungesunden  Gegenden  aiif- 
gehalten  zu  werden.  An  den  Gestaden  des  Orenoko 
•werden  die  \Yäldor  vom  Rio  Negro  für  ein  herrliches 
Land  gehalten.  \A  irklich  ist  die  Luft  dort  frischer  und 
gesunder.  Der  Strom  enthält  nur  selten  Crocodile; 
man  kann  darin  unbesorgt  baden,  und  zur  Nachtzeit  so- 
wohl als  bey  Tage  wird  man  an  seinen  Ufern  weniger 
als  am  Ürenoko  durch  Insectenstiche  gequält.  Der  Pater 
Zea  hofi'te  durch  den  Besuch  des  Missionaren  vom  Piio 
INegro  seine  Gesundheit  herzustellen.  Er  spx'ach  davon 
mit  dem  Enthusiasmus,  den  man  in  allen  Colonien  des 
Festlandes  für  entfernte  Dinge  fühlt. 

Die  in  Pararuma  versammelten  Indianer  regten 
neuerdings  die  Theilnahme  in  uns  auf,  welche  die  Be- 
trachtung-des  wilden  Menschen  und  das  Studium  der  all- 
mähligon  Entwicklung  seiner  Geisteskräfte  beym  culti- 
virlen  Pvlenschen  anspricht.  Es  halt  schwer,  in  dieser 
Kindheit  der  Gesellschaft,  in  diesem  Haufen  finsterer, 
stiller,  gleichgültiger  Menschen  den  Urcharacter  un- 
sers  Geschlechts  zu  erkennen.  Die  menschliche  Watur 
stellt  sich  hier  nicht  in  jenen  Zügen  der  milden  Einfalt 
dar,  wie  sie  von  Dichtern  in  allen  Sprachen  so  reizend 
ist  geschildert  worden.  Der  Wilde  vom  Orenoko  schien 
uns  eben  so  häuslich  zu  scyn ,  wie  der  Wilde  am  Missis- 
sipi,  den  der  philosophische  Reisende  *)  geschildert 
hat,  welcher  die  Menschen  der  verschiedenen  Erdstriche 
am  trefl'endsten  zu  zeichnen  verstund.  Man  beredet  sich 
gern,  es  seyen  diese  Landes -Eingebornen,  die  um  ei- 
nen Feuerheerd  hocken,  oder  auf  grofsen  SchildkrÖt- 

*)  Hr.  von  Volney. 


442  Buch     FII. 

Schalen  sitzen,  mit  Erde  oiler  Fett  beslrlclien  sinJ, 
und  stundenlang  den  dummen  Blick  auf  das  Getränk 
heften,  dessen  Zubereituno- sie  teschäftiijt,  keineswegs 
der  Ur-Tvpus  unsers  Geschlechts^  sondern  vieliriehr  ein 
ausgearteter  Stamm^  und  die  schwachen  Ueherreste  von 
Völkerscljaftfn^  die  durch  langen  und  zerstreuten  Auf- 
enthalt in  den  Wäldern  in  Barbarey  zurückgesunken 
sind. 

Das  Piothmalen  dient  den  Indianern  unjrefahr  statt 
aller  Kleidung,  und  man  unterscheidet  zwey  Arten  des- 
selben bey  mehr  oder  minder  wohlhabenden  Personen. 
Den  gemeinen  Schmuck  der  Cariben,  dei-Otomaken  und 
der  Jaruros  liefert  das  Onoto  *),  welches  die  Spanier 
yichole ,  und  die  Colonisten  auf  Cayenne  Piocoii  nen- 
nen. Es  ist  dasselbe  der  Färbestoif,  den  das  Mark  der 
Bixa  orellana  •'")  gewährt.  Um  das  Onoto  zu  bereiten, 
werfen  die.  indi-^chen  Weiber  die  Saamen  der  Pflanze 
in  eine  mit  Wasser  gefüllte  Kufe.  Sie  rühren  dieses 
Wasser  eine  Stunde  lang  um,  und  lassen  hornacli  das 
farbigte  Sat/.mehl,  dessen  Farbe  ein  sehr  dunkles  Ziegel- 
rolh  ist,  ruhig  niederschlagen.  Das  Wasser  wird  abge- 
gossen, das  Satzmehl  herausgenommen,  mit  den  Händen 
ausgedrückt,  mitÜel  von  Scliildkrüten-Eyern  geknätet, 
und  darai>s  runde  Kuchen,'  drey  bis  vier  Unzen  schwer, 
verfertigt.     In  Ermanglung  von  Schildkrut-Oel  bedie- 


*)  Eigenllich  Anoto.  Dies  Wort  gohört  der  Tamanalien-Spra' 
che  an.  Die  .Maypuren  nennen  das  Rocou  Majepa.  '  Die 
spanischen  Missionare  sagen  onotarse^  sich  die  Haut  mit  Ro- 
cou heraalen,  s'onotcr. 

**J)  Das  ^Yort  Bixa  sogar,  das  die  Botanilier  aufgenommen 
hahen,  ist  aus  der  alten  Sprache  von  Haily  oder  St.  Do- 
iiiingue  entlehnt.  Rocou  kommt  vom  brasih'anischen  Wort 
Urucu  her. 


Kapitel     XIX,  443 

nen  sicli  einige  Stämme  des  Fetts  der  Crocodile,  wel- 
ches sie  dem  Oiiolo  beymisclien.  Ein  anderer,  ungleich 
kostbarerer  Färbestofl'wird  aus  einer  Pflanze  erhallen,  die 
zur  Bignonien-Fainilie  gehört,  und  welche  Hr.  Bonpland 
unter  dem  Namen  der  Bignonia  Chica  *)  Ijeschrieben. 
bat.  Die  Tamanaken  heirsen  sie  Craviri ,  die  Maypu- 
ren  Chirraviri.  Sie  erklettert  die  höchsten  Bäume  und 
befestigt  sich  daran  mittelst  ihrer  Ranken.  Ihre  zolllan- 
f>,en,  zwey lippigen  Blumen  sind  schön  violett  geftirbt^ 
und  stellen  zu  zwey  oder  drey  beysammen.  Die  dop- 
pelt gefiederten  Blätter  werden  beym  Vertrocknen  rüth- 
licht.  Die  Frucht  ist  6ine  mit  geflügelten  Saamen  be- 
setzte Schote,  von  zwey  Fufs  Länge.  Diese  Bignonie 
wächst  wild  und  in  grofser  Menge  in  der  Gegend  von 
Maypures,  und  aufwärts  am  Orenoko,  jenseits  der  Mün- 
dung des  Guaviare,  von  Santa-Barbara  bis  zu  dem  ho- 
ben Berg  von  Duida,  vorzüglich  in  der  Nähe  von  Esme- 
ralda.  VVir  haben  sie  hinwieder  auch  an  den  Ufern  des 
Cassiquiare  angetrofien.  Die  rothe  Farbe  des  Chica 
wird  nicht  wie  das  Oiioto  aus  der  Frucht,  sondern  aus 
den  im  Wasser  eingeweichten  Blättern  erhalten.  Der 
Farbestofl^  sondert  sich  in  Gestalt  eines  überaus  leichten 
Slaubes  ab,  weicher  ohne  Zumischung  von  Schildkröt- 
Oel^  in  kleinen,  8  bis  g  Zoll  langen  und  2  bis  3  Zoll  ho- 
}ien,  an  den  Enden  abgerundeten  Brüdchen  vereinbart 
wird.  Erwärmt,  dünsten  diese  Brüdchen  einen  ange- 
nehmen Benzoingeruch  aus.  Beym  Destilliren  verrälh 
das  Chica  kein  flüchtiges  Laugensalz.  Es  ist  dasselbe 
keine  slickgashaltige  Substanz,  wie  der  Indigo.  In 
Schwefel  -  und  Salz -Säuren,  und  auch  sogar  in  den 
Alealien  löst  es  sich  leicht  auf.     Mit  Oel  abgerieben. 


•)  Plantes  equinoxlales^  Tom.  I,  p.  108.  PI.  XXXI.  G'diy  Sag- 
gio,     Tom.  1,  p.  ^18. 


444  '        Buch    VIL 

liefert  das  Chica  eine  rothe,  etwas  lackartige  Farbp.  Auf 
Wolle  angewandt,  konnte  sie  leicht  mit  der  rothen 
Firappfarbe  vei'wechselt  werden.  Es  liegt  aiifser  Zwei- 
fel, dafs  das  vor  unserer  Heise  in  Europa  unbekannte 
Chica  in  den  Künsten  nützliche  Anwendung  leiden  mag. 
Die  Völker  am  Orenoko,  welche  diese  Farbe  am  besten 
zubereit,  n,  sind  die  Salivas,  die  Guaypunaves,  die  Ga- 
reres und  die  Pivaoas.  Das  V^erfahren  der  Aufgüsse  und 
der  Einu  eichungen  ist  überhaupt  unter  allen  Völkern 
am  Orenoko  «ehr  al'gemein  verbreitet.  Die  Maypuren 
führen  ihren  Tansclihandel  mit  P«r/j/na -Brüdchen,  die 
aus  einem  vegetabilischen  Satzmehl  bestehen,  welches  auf 
ähnliche  Art,  wie  der  Indigo,  getrocknet  wird,  und  eine 
sehr  dauerhafte  gelhe  Farbe  liefert.  Die  Scheidekunst 
der  Wilden  beschränkt  sich  auf  Zubereitung  von  Farbe- 
stofien,  von  Giften,  und  auf  die  Versüfsnng  der  stärk- 
mehlhaltigen  Wurzeln  von  Pflanzen  aus  den  Aroideen - 
und.  Euphorbiaceen  -  Familien. 

Die  meisten  Missionarien  am  Ober-  und  Unter- 
Orenoko  erlauben  den  Indianern  ihrer  Missionen,  sich 
die  Haut  zu  färben.  Einige  sind  niederträchtig  genug, 
aus  der  Nacktheit  der  Ur- Einwohner  Gewinn  zu  zie- 
hen. Weil  ?le  ihnen  weder  Jjeinwand  noch  Kleider 
verkaufen  können,  so  treiben  die  Mönche  mit  der  ro- 
then, bey  jenen  so  beliobten  Farbe  einen  Handel.  Ich 
habe  öfters  in  ihren  Hütten,  welche  pomphaft  conven- 
/oj  *)  heifsen,  Niederlagen  von  Chica  gesehen,  wovon 
der  Kuchen,  die  liirla,  bis  zu  4  Franken  verkauft  wird. 
Um  einen  richtigen  Begriff  von  dem  Luxus  zu  geben, 
den  die  nackten  Indianer  mit  ihretn  Schmucke  treiben, 
bemerke  ich  hier,   dafs  ein  grofsgewachsener  Mensch 


*)  In  den  Missionen   heilst   der   Pfarrhof   das   Kloster .,   es  ist 
die  Casa  del  Fadre. 


Kapitel     XIX.  445 

Mülie  hat,  In  zwey  Woclien  mit  seiner  Arbeit  so  viel  in 
verdienen,  als  er  bedarf,  um  das  nölliige  Chica  einzu- 
tauschen, womit  er  sicli  roth  fiirbt.  Auch  ist  es  der 
Fall,  dafs,  so  wie  man  in  yemiirsigten  Klimaten  von 
einem  armen  Menschen  sagt:  „er  ist  so  arm,  dafs 
er  sich  nicht  kleiden  kann,^'^  so  hört  man  die  hidianer 
am  ürenoko  sagen:  „dieser  Mensch  ist  so  elend,  dafs 
er  sich  nicht  einmal  am  halben  Leib  zu  malen  ionoter, 
majepayer')  verma{j/^  Der  kleine  CA/ra- Handel  fin- 
det hauptsächlich  mit  Aen  Stammen  am  Lanier-  Orenoko 
statt,  deren  Landschaft  die  Pflanze  nicht  erzeugt,  wel- 
che diesen  köstlichen  Stofi"  liefert.  Die  Cariben  urd  die 
Otomaken  malen  sich  nur  Kopf  und  Haare  mit  Cldca, 
die  Saliven  hingegen  besitzen  diesen  Färbestoff  im  Ue- 
berflufs,  so  dafs  sie  den  ganzen  Körper  damit  färben- 
AVenn  die  Missionarien  fiir  ihre  Rechnung  kleine  La- 
dungen von  Cacao/  Tabak  und  Chiqiii-chiqiii  '■')  vom 
Rio  Negro  nach  Angostura  senden,  so  legen  sie  allezeit 
auch  Chica-  Kuchen  als  eine  sehr  beliebte  Waare  bey. 
Einige  Personen  von  europäischer  Herkunft  gehrauchen 
dieses  i'othe,  im  Wasser  aufgelöste  Satzmehl  als  ehi  vortr{?ff. 
liebes  harntreibendes  Mittel  **).  —  Die  Gewohnheit  sich 
zu  färben,  ist  bey  den  verschiedenen  Vi'ilkerstämmen  am 
Orenoko  nicht  von  gleichejn  Alter.  Sie  hat  sich  allge- 
meiner verbreitet  seit  dem  Zeitpunct,  v/o  das  mächtige 
Volk  der  Cariben  öftere  Einfälle  in  die  Landschaft 
machte.    Sieger  und  Besiegte  waren  beyde  gleich  nacktj 


*}  Seile,  die  aus  den  Stielen  eines  Palmbauins  mit  gefiederlea 
Blättern  verfertigt  werden,  von  denen  nachher  die  Rede 
seyn  wird. 

**)  Das  Mark  des  Hocou  und  auch  das  Chica   sind   zusammen- 
zieiiend  und  gelind  ohführend. 


445  Buch     VII. 

und,  um  dem  Sieger  gefallig  zu  werden,  mufsle  man 
sich  malen  wie  er,  und  seine  Farbe  annehmen.  Heut- 
zutage, nachdem  der  Einflufs  der  Cariben  aufhörte,  und 
sie  zwischen  den  Flüssen  von  (>arony,  von  Cuyuni  und 
von  Paraguamuzi  begränzt  sind,  hat  die  Carihe n-JMode , 
den  ganzen  Leib  zu  ftirben,  sich  dennoch  erhalten.  Die 
Sitte  hat  die.  Eroberung  überhbt.     , 

Ist  der  Gebrauch  dos  Onolo  und  des  Chica  aus  Ge- 
fallsucht und  aus  jener  Neigung  zum  Putz  hervorgegan- 
gen, die  avich  unter  den  wildesten  Völkern  so  allgemein 
ist,  oder  soll  m:.n  vielmehr  annehmen,  es  beruhe  der- 
selbe auf  der  Erfahrung,  dafs  die  farbigen  und  öligen 
Stoffe,  womit  man  die  Haut  einreibt,  diese  gpgen  die 
7\^o^^jn7o.y-Sliche  schützen?  Ich  habe  diese  Frage  in 
den  Missionen  vom  Orenoko  und  überall  in  den  Tro- 
penländern, wo  die  Luft  von  giftigen  Insecten  wimmelt, 
öfters  aufwerfen  und  viel  darüber  sprechen  gehurt.  Man 
bemerkt,  dafs  der  Caribe  und  der  Saliva,  die  sich  roth 
färben,  durch  die  IMosquilos  und  die  Zanciidos  gleich 
arg  mifshandelt  werden,  wie  die  Indianerstämme,  wel- 
che sich  den  Leib  nicht  färben.  Bey  den  einen  und 
andern  verursacht  der  Stich  der  Insecten  keine  Ge- 
schwulst 5  nur  selten  entstehen  hcy  ihnen  jene  Pusteln 
undkleinen  Beulen,  welche  den  neu  angekommenen  Eu- 
ropäern ein  so  schmerzbaftes  Jucken  verursachen.  Aber 
den  Eingebornen  und  den  weifsen  Menschen  schmerzt 
der  Stich  gleiclnnäfsig,  so  lange  das  Insecl  den  Siuge- 
rüssel  nicht  aus  der  Haut  zurückgezogen  hat.  Nach 
vielfältigen  andern  vergeblichen  Versuchen  haben  Hr. 
Bonpland  und  ich  unsere  Arme  und  Hände  mit  Croco- 
dil-Fett  und  mit  dem  Oel  der  Schildkröten -Eyer  einge- 
rieben, ohne  irgend  eine  Erleichterung  davon  zu  ver- 
spüren ;  wir  wurden  nachher  eben  so  häufig  gestochen, 
wie  vorher.      Ich  weifs  woJil,  dafs  Oel  und   Fett  von 


Fl  a  p  i  t  e  l     XIX.  447 

den  Lapplnndern  als  sclir  '.v irksame  Scliulzniittel  ge- 
riibmt  werden ;  aber  die  Insecten  der  nördlichen  Län- 
der sind  von  d-enen  am  Orenoko  verschieden.  Der  Ta- 
Lak^ranch  vertreibt  unsere  Schnaclten,  g^g*''"'  tlie  Zan- 
cndos  lungr<*^L-n  wird  er  ohne  Erfolg"  angewandt.  Weni^ 
der  Gebrauch  fetter  und  zusainincnzieliencler  Stoffe  die 
unglücl^lichen  Bewoliner  dieser  Länder  gegen  die  Plage 
der  Insecten  schül/en  würde ,  wie  sollte  der  Ge- 
Lrauch^  sich  zu  färben,  an  diesen  Gestaden  nicht  allge- 
mein ge.vonlen  seyn?  wie  konnte  man  alsdann  wohl  so 
viele  nackte  Völker  *)  antreffen,  welche  sich  nur  das  Ge- 
sicht färben,  und  doch  unmittelbar  neben  denen  woh- 
nen '••'*),   die  sich  den  ganzen  Leib  färben? 

Es  ist  aufiallentl,  dafs  die  Indianer  am  Orenoko, 
gleich  den  L^r- Einwohnern  von  Nord- Amerika,  die  ro- 
then  Färbestoffe  allen  andern  vorziehen.  Sollte  diese 
Vorliebe  sich  auf  die  Leichtigkeit  gründen,  womit  der 
^\ilde  sicli  die  ockerfarbigen  Erden  oder  das  färhendq 
Satzmehl  des  liocou  und  des  Chica  verschärfen  kann? 
Ich  zweifij  sehr  daran.  Der  Indigo  wird  in  einem  gros- 
sen Theil  der  amerikanischen  Aequinoclial-Länder  wild- 
wachsend angetroffen.  Diese  und  viele  andere  Schoten- 
Cevvächse  konnten  den  Eingebornen  Pigmente  zum 
lilaufärben  eben  so  wie  den  alten  Bretagnern  darbie- 
ten ^'^*).  Wir  hnden  jedoc!»  keine  blaugefärbten  ameri- 
kanischen Völkerslämme.  Mir  ist  wahrscheinlich,  wie 
ich  bereits  oben  angedeutet  habe,  dafs  die  Vorliebe  der 
Amerikaner  für  die  rolhe   Farbe   am   meisten   auf  der 


*)  Di«  Guaypunaves,  die  Caveres,  die  Guahibes. 

"**)  Die  Cariben ,    die   Saliven ,    die    Tamanaken  und   die   May- 
puren. 

***)  Die  halbnackten   Völl.er  der  gemfifsigten   Zone    fiiirben   sieh 
die  Haut  öfters  mit  der  Farbe  ilirer  Kleidunsr. 


448  Buch     VII. 

herrsclienden  Neigung  der  Völker  beruht,  alles  dasje- 
nige schön  zu  finden,  was  ihrer  National-Physiognoini© 
eigenthüinlicli  ist,  Menschen,  deren  natürliche  Haut- 
farbe Lraunroth  ist,  liehen  die  rothe  Farbe.  Diejeni- 
gen, welche  mit  einer  flachen  Stirne  und  mit  einem 
eingedrückten  Kopf  zur  Welt  Itommen,  suchen  ihren 
Kindern  die  Stirne  noch  flaclier  zu  drücken.  Unter- 
scheiden sie  sich  von  andern  Völkern  durch  einen  sehr 
geringen  Bart,  so  trachten  sie  auch  die  wejiigen  Bart- 
haare, die  sie  haben,  noch  auszureifsen.  Sit?  irlauben 
um  so  viel  schöner  zu  seyn,  als  sie  die  Characterzüge 
ihres  Stammes  oder  ihrer  National- Bildung  vorherr- 
schender machen  können. 

hn  Lager  von  Pararuma  war  es  uns  auffallend  zu 
hemerken,  dafs  sehr  alte  Weiber  ungleich  mehr  Sorg- 
falt auf  ihren  Putz  verwandten,  als  die  jüngsten.  Wir 
sahen  eine  Indianerin  vom  Stamme  der  Otoinalten,  die 
sich  ihre  Haare  mit  dem  Oel  von  Schildkröten-Eyern 
einreiben,  und  den  Rücken  niit  Ünoto  und  Caruto*^  be- 
malen licfs :  es  waren  zwry  ihrer  Töchter,  die  dies 
Geschäft  verrichteten.  Die  Malerey  bestund  in  einer- 
Art  Gitterwerk,  kreuzweise  gezogener,  schwarzer  Stri- 
che auf  rolhem  Grund.  Jodes  der  kleinen  Viereck.a 
hatte  einen  schwarzen  Punct  in  der  Mitte.  Es  war  eine 
Arbeit,  die  ungeheure  Geduld  erheischte.  Wir  kamen 
von  einem  lani^en  botanischen  Spaziergang  zurück, 
und  die  Malerey  war  noch  nicht  zur  Hälfte  beendigt. 

Man 


*)  Das  schwarze  und  «tzende  Pigment  des  Caruto  (Genipa 
americana)  widersteht  jedoch  dem  Wasser  lange,  wie  wir, 
zu  unserm  nicht  geringem  Leid  ,  an  uns  seihst  erfahren  ha- 
ben,  als  wir  uns,  mit  den  ludiern  scherzend,  einst  Flecken 
und  Zeichen  von  GaruCo  im  Gesicht  machen  liefsen.  Sie 
waren  noch  sichtbar,  als  wir  nach  Angoslura  zu  den  euro- 
päischen civilisirten  Menschen  zurückkamen. 


li  a  p  i  t  e  l     XfX.  44() 

Man  erstaunt  um  so  mehr  üLcr  oinon  so  ausgesuchten 
Putz,  wenn  man  bedenkt,  clafs  die  Bilder  und  Züge 
nicht  durch  das  beym  Tuloirireu  gehi'äucljliche  Verfah- 
ren zu  Stande  gebracht  si'ul;,  sondern  dafs  die  mit  so 
vieleilVIühe  gelertigten Maleroyen  durch  starken  Regen, 
•wenn  der  Indianer  sich  unvorsichtig  demselben  aussetzt, 
zerstört  werde.  Es  gieht  Völker,  die  sich  nur  für  ge- 
wisse Feste  malen j  andere  erscheinen  das  ganze  Jahr 
durch  gefärbt,  und  bey  diesen  wird  der  Gebrauch  des 
Onoto  für  so  unentbehrlich  geachtet,  dafs  Männer  und 
Weiber  sich  vielleiclit  minder  schämen  würden,  ohne 
Giitiyuco  als  unbemalt  zu  erscheinen.  Diese  Guayucos 
vom  Orenoko  bestehen  z\im  Theil  aus  Baumrinde,  zum 
Theil  aus  Baumwolltuch.  Die  Miinner  tragen  breitere 
als  die  Weiber,  welche  (dem  Zeugnifs  der  Missiona- 
rien zufolge)  überhaupt  ein  geringeres  Sc'jamirefühl  ha- 
ben, tine  ähnliche  Bemerkung  iiatte  auch  schon  Chri- 
stoph Columbus  gemacht.  Sollte  diese  Gleichgültig- 
keit, dieser  Mangel  an  weiblichem  Schamgefühl  bey 
Völkern,  unter  denen  keine  grofse  Sittenverd«  rbnifs 
herrscht,  nicht  auf  Kechnung  der  V^erwilderung  und 
Sclaverey  zu  bringen  seyn,  welchem  im  südlichen  Ame- 
rica das  weibliche  Geschlecht  durch  Unbill  und  Mifs- 
brauch  der  Stärke  von  Seite  der  Männer  unterlie<>t. 

o 

Wenn  in  Europa  von  einem  Ur-Einvvohncr  aus 
Guiana  die  Redeist,  so  stellt  man  sich  einen  Menschen 
vor,  welcher  an  Kopf  und  Gürtel  mit  schönen  Aras  -, 
Toucans-,  Tangaras-  und  Colibri  -  Federn  geschmückt 
ist.  Unsere  Maler  und  Bildhauer  haben  seit  langer  Zeit 
solchen  Putz  für  das  auszeichnende  Alerkmal  des  Ame- 


*)  Das  Wort  gehört  der  CarJben  -  Sprache  an.  Das  perizoma 
der  Indier  arn  Orenoko  ist  eher  ein  Bändchen  als  eine  Scliürz«. 
Siehe  oben  TJj.   2.  S.   196. 

^I*x.  V.  Humboldts  hist.   Reisen.   III.  2Q 


45o  Buch     VU. 

rikaners  ^»^elialten.  Wir  waren  erstaunt,  weder  in  den 
Chavmas- Missionen,  noch  in  den  Lagern  von  Uruana 
und  Pararuina,  ich  könnte  fast  sagen,  auf  allen  Gestaden 
des  Orenoko  und  des  Cassi(juiare,  die  scliönen  Federbü- 
sche und  die  aus  Federn  verfertigten  Schürzen  anzutref- 
fen, welche  von  Reisenden  so  häufig  aus  Cayenne  und 
Demerarv  heinigebracht  werden.  Uie  meisten  Völker 
von  Guiana,  st-lbst  solche ,  deren  Geistcsliräfte  ziemlich 
entwickelt  sind,  die  Nahrungspflanzen  anbauen  und 
Kaum wollge webe  verfertigen,  sind  eben  so  nackt  *), 
eben  so  arm,  vind  eben  so  schmucklos,  wie  die  Einge- 
bornen  von  Neu  Holland.  Die  grofse  Hitze  der  Atmo- 
«phäre,  die  übermäfsigen  Schweifse,  welche  den  Tag 
und  einen  grofsen  Theil  der  IVacht  durch  andauern, 
machen  die  Kleidung  unerträglich-  Putzsachen,  vor- 
züglich Federbüsche,  werden  nur  zum  Tanz  und  bey 
festlichen  Anlässen  gebraucht.  Die  Federbüsche  der 
Guaypunaves  '"''O  sind  durch  die  Auswabl  der  schönen 
Federn  der  Manakino's  und  der  Fapagaien  vorzüglich 
berühmt. 

Die  Indianer  begnügen  sich  nicht  immer  mit  ei- 
ner gleichniäfsig  vertheilten  Farbe,  und  sie  ahmen 
zuweilen  in  ihren  Hautmalereyen  auf's  Seltsamste  die 
»Kleidungen  der  Europäer  nach.  In  Pararuma  trafen 
wir  solche  an,  die  sich  eine  blaue  Jacke  mit  schwarzen 
Knöpfen  hatten  maclien  lassen.  Die  Missionarien  er- 
zählten uns  von  Aen  Guaynaven  am  Hio  Caura  sogar, 
sie  seyen  gewohnt,  sich  mit  Onolo  zu  färben  und  längs 
dem  Körper  breite  Querstreifen  zu  machen,  worauf  sie 

*)  Zum  Beispiel  die  Macos  und  die  Piraoas.  Die  Cariben  ma- 
chen eine  Ausnahme,  indem  das  perizoma  hey  ihnen  ein  so 
Lreiles  ßauniuolltuch  ist ,  dafs  es  die  Scliulter  decken  kann. 

**)  Sie  stammen  von  den  Gestaden  des  Inü'ida ,  einer  der  Zu- 
llüsse  des  (Juaviare  her. 


Kapitel     XIX.  461 

Bliittclien  von  sllberfarlienein  Glimmer  befestigen.  Wenn 
man  diese  nackten  Menschen  von  ferne  erblicht ,  so 
glaubt  man  sie  in  galonnirt;>n  Kleidern  zu  sehen.  Hätte 
man  die  gemalten  f'ölker  so  sor''lalti^  l)eobaclitet ,  vvie 
die  heJdeideten  Völker,  so  würde  man  gefunden  ha- 
Lon,  dafs  die  fruchtbarste  Phantasie  und  die  beweirlich- 
ste  Laune  sich  in  den  Malereyen  der  einen,  wie  in  der 
Beklcitiung  der  andern,    zu  Tage  legen. 

Malerev  und  Tatouirung  sind  in  beyden  Festlanden 
veder  auf  einen  einzigen  Stamm,  noch  auf  eine  oinzis^e 
Zone  beschränkt.  Diese  Putzarlen  werden  bey  der  ma- 
hn ischen  und  amerikanischen  Kace  häufiger  angetroffen  5 
aber  zu  den  Zeiten  der  Körner  fanden  sie  sich  auch  bey 
der  weifscn  l^ace  im  Noidon  von  Europa.  So  wie  die 
nanz  vorzüülich  maierisc!;en  Kleider  und  Trachten  im 
griechischen  Ai-chipelagiis  und  im  nördliclicn  Asien  an- 
getroffen werden,  so  finden  sich  die  vollendetsten  Mu- 
ster von  Malerey  und  Tatouirnng  bey  den  Insulanern  der 
Südsee  -)  Einige  belvleidcte  Völker  malen  sich  arinoch 
Hände,  Nägel  und  Gesicht.  Die  Malorev  en^cheint  hier 
auf  die  einzigen  nacl;t  bleibenden  Tlieile  beschränkt; 
nmd  während  das  Srliminken,  welches  an  den  wilden 
Zustand  der  Menschen  erinnert,  in  Europa  nach  und 
nach  verschu^indet,  fflauben  di.-:  Frauenzimmer  einiarer 
Provinzen  von  Peru,  ihre  übrigens  sehr  feine  luid  sehr 
Wftifse  Haut  durch  Bedeckung  i\n\.  Lirbenden  Pflanzen- 
stoffen, n)it  Stärke.  Eyweifs  und  Mehl  zu  verschönern. 
IVachdem  man  lange  Zeit  unter  den  mit  Oiioco  und 
C/iicfi  gcfirblen  Alenschen  gewohnt  hat,  so  erstaunt 
man  nicht  wenig,  die  Ueberresle  einer  allen  BarbareV 
mitten  unter  allen  Gewühnunjren  der  Civilisirun'r  an- 
noch  wahrzunehmen. 


*)  Im  Arcfiipelagus  der  Mendoza-EvJande. 


4'52  -0  n  c  k     in. 

Das  iiidlsclie  Lager  von  Pararuma  verscIiafTte  uns 
Gele«>enlieit,  mehrere  Thiere,  die  wir  bis  dahin  nur  in 
den  europäischen  Sammhiifgen  gesehen  halten,  zum 
erstenmal  lebendig  zu  beobachten.  Diese  kleinen  Thiere 
gehören  zum  Handel  der  Alissionare,  welche  Tabak, 
il/«/ii-Harz,  C//i6'«  -  Pigment,  Gallitos  imanakin'syy 
Titis,  Kapuziner-  und  andere  in  den  Küstenländern 
sehr  beliebte  Allen  gegen  Tücher,  Nägel,  Beile,  An- 
geln und  Stecknadeln  eintauschen.  Die  Erzeugnisse 
vom  Orenoko  sind  um  niedrige  Preise  von  den  India- 
nern erkauft  worden ,  welche  in  Abhängigkeit  von  den 
München  leben,  und  diese  nämlichen  Indianer  sind  es 
hinwieder  auch,  die  von  den  IVIönchen,  aber  zu  sehr 
hohen  Preisen,  aus  dem  bey  der  Kverernle  erlösten 
Geld  die  Fischerey-  und  Garten  -  Geräthschaften  wieder 
einkauften.  \^  ir  kauften  mcjirere  Thiere,  die  uns  auf 
unserer  übrigen  Slrömiahrt  begleitet  haben,  und  deren 
Lebensart  wir  indcfs  beobachten  konnten.  Ich  habe 
diese  Beobaclilungen  in  einem  andern  Werke  bekannt 
gemacht;  weil  ich  aber  zweymal  von  dergleichen  Sache 
sprechen  muls,  so  beschränke  ich  mich  hier  auf  sehr 
gedrängte  Angaben,  denen  ich  die  ßen)erkung  beyfüge, 
welche  ich  seither  in  unsern  Heise- Tagebüchern  zer- 
streut fand. 

Die  Gallitos  oder  Coqs  de  roclie ,  welche  zu  Para- 
ruma in  hübschen  kh'inen,  aus  Palmblattstielen  verfer- 
tigten Käfichen  verkauft  werden,  sind  an  den  Gestaden 
des  Orenoko  und  im  ganzen  PSord  und  West  der  Aequi- 
noctial -Gegenden  von  Amerika  überaus  viel  seltener, 
als  in  dem  französischen  Guiana.  Sie  sind  bis  dahin  ein- 
zig nur  in  der  Gegend  der  iSIission  von  Encaramada 
und  in  den  Kaudales  oder  Cataracten  von  Maypures  ge- 
funden worden.  Icii  sage  absichtlich  in  den  Cataracten, 
Acnii  es  sind  die  Spalten  der  kleinen  Granitfelsen,  wel- 


n  a  p   i  t  e  l     XIX.  453 

die  quor  durch  den  Orcnoko  sireichen  und  die  zahlrei- 
chen Cascaden  bilden,  die  diese  Vügol  sich  vorzugsweise» 
für  ihre  Woliiiungon  wähl.'n.  Wir  haben  ?ie  öfters  am 
INIorgen  mitten  in  den  Schaunnvellon  des  Stromes  ihre 
Weibchen  hcrbeyrufen  und  Kämpfe  bestehen  sehen,  wie 
unsere  Hiiline  thun,  und  indem  sie  den  doppelten  he- 
weglichen  Kamm,  der  ihren  Scheitel  schmückt,  in  Fal- 
ten legen.  Da  die  Indianer  nur  selten  erwachsene  Gal- 
litos  einlaniien,  und  in  Europa  nur  die  Männchen  ge- 
schätzt werden,  die  vom  drillen  Jahr  an  zierlich  hoch- 
gelb gefärbt  sind,  so  müssen  Käufer  sich  in  Acht  neh- 
men, um  nicht  statt  junger  Männchen  junge  W^eibchen 
zu  erhalten.  Beyde  haben  eine  braune  Olivenfarbe, 
€iber  der  pol/o  oder  das  Hähnchen  unter':cheidet  sich 
bereits  noch  ganz  jung  durch  seine  Gröfse  und  durch 
die  gelben  Füf*e.  Das  Weibchen  behält  allezeit  eine 
düstere,  dunkelbraune  P'arbe,  und  nur  die  Spitzen  und 
Unterflächen  der  Vögel  sind  gelb  ••')•  Wenn  der  männ- 
liche und  erwachsene  Hahn  in  unsern  Sammlungen  die 
schöne  Farbe  seines  Gefieders  behalten  soll,  so  darf  er 
dem  Licht  nicht  ausgesetzt  werden.  Seine  Farbe  erblafst 
gar  viel  schneller,  als  in  andern  Gattungen  der  Sper- 
lings -  Familie.  Die  jungen  Hähnchen  haben,  wie  bey 
den  meisten  Vögeln  der  Fall  ist,  das  Gefieder  oder  die 
Kleidung  ihrer  Mutter.  Mich  wundert,  dafs  ein  so  vor- 
■züglicher  Beobachter,  wie  Hr.  le  Vaillant  **),  es  in 
Zweifel  setzen  konnte,  ob  wirklich  das  Weibchen  be- 
ständig: seine  düstere ,  olivensrrüne  Farbe  behält?  Die 
Indianer  der  Piavdalen  versicherten  mich  übereinstim- 
mend, nie  ein  aurorafarbenes  Weibchen  gesehen  zu 
haben. 

*)  VorzügWrh    der   Tlieil  .     den    die    Ornithologen    le  poigneb 

nennen. 
**)  Oiseaux  de  Paradi«,  Tom.  II,  p.  61. 


45(^  B  a  c  h      III. 

Unter  flcn  Affen,  welclie  die  Indianer  auf  den  Markt 
vonParaiumo  gebracht  hatten,  bemerkten  wir  verschie- 
dene Spielart«  a  des  Sai  *),  die  der  kleinen  Gruppe 
der  Brüllaffen,  uelche  in  den  i-paniscbcn  Colonien  i\/«/- 
chi  heifsen,  angfliürenj  Mamarimondes  **}  oder  roth- 
bauchige Alelesj  Titis  und  f^iiiditas.  Die  zwey  letzte- 
ren beschäftigten  un?.?rc  Aufmerhsaniheit  vorzüglich, 
und  wir  kauften  dieselben  ,  um  sie  nach  Europa  zu  sen- 
den ^**).  Der  Oui^'liti  **■■•')  von  Buffon,  welcher  der 
Titi  des  Hrn.  von  Arzara  irt,  der  Tili  von  Carthagena 
in  hidien  Und  von  Darien  t)?  welcher  Buffons  Pinche 
ist,  und  der  Tili  vom  Oreno!;o  {t),  welcher  der  Sai- 
luari  der  franzüsiscben  jNalui  forscher  ist,  dürfen  nicht 
mit  einander  verwechselt  werden.  Der  Name  Titi  wird 
in  den  verschiedenen  spanischen  Colonien  an  Affen  er- 
theilt,  welche  drey  verschiedenen  Unterabiheilungen  ttt) 
angehören,  und  in  der  Zahl  ihrer  Bachenzähne  von 
einander  abweichen  tttt)>  Die  Zahl  dieser  letzteren 
schliefst  auch  den  schönsten  der  drcy  Titi,  denjenigen 
vom  Orenoko,  von  der  Gattung  aus,  welche   llr.  jlliger 


*)  Simia  capucina.  Ueber  die  ^'emi^^ung,  welche  in  der  Sv- 
nonvmik  des  Sai  und  der  verwandten  Arten  ]ierrsclit,//t7/(?  mei- 
ne Ohseru.  de  Z  ologie.  Tom.  I,  p.  jaj  —  525,  5j6  u.  555. 

**)  Simia  ßelzcluilii. 

***)  Zu  Pararuma  I<auft  man  einen  schönen  .^aimiri  oder  Titi 
vom  Orenoko  für  8  Lis  9  Pi.islrr.  Der  IMissionar  zahlt  dem  lä- 
dier, der  ihn  gelangen  und  zaliui  gemacht  lial,  anderilialb  Piaster. 

****)  Simia  jacchus. 

t)  Simia  oedipus. 

•j-f)  vSimia  sciurea. 

f  I ; )  Die  Gattungen  Callithrix,  Jacchus  und  Midas  des  Ilrji.  Gcof- 
frov  de  Saint- Hilaire. 

tttt)  Der  Titi  vom  Orenoko  (aus  der  Familie  der  Sagoine)  hat 
sechs  Backenzähne ;  der  Titi  aus  Darien  und  Paraguay  (aus 
der  Familie  derHapalen)  hat  auf  jeder  üeije  fünf  Backenzähne. 


/{  a'p  i  t  e  l     XIX.  455 

unter  dorn  Nainon  Üulstili  odor  Hapule  Aufgestellt  lial, 
IN'acli  dem  eben  Gesagten  wird  die  Erinnerung-  fast  über- 
flüssig,   wie  wünscli«nswerth    es   wäre,    dafs  in  wissen- 
scliaflliclien    Werken   Keine    INanien  aus   lebcMiden  Spra- 
chen aufgenommen  würde  i,    weil  dieselben,  durch  un- 
sere Heclilschreibung    entstellt  luid   von   einer   Provinz 
zur    andern   wechselnd,     die    bedauerliche   Verwirrung 
der  zoologischen  JNomencbilur  nur  vermehren  können. 
Der   Tili  vom    OrenoLo  (Simia  scinrea)  ,   welcher 
bis  dahin  nirgends  gut  ahgchildel  ist,   obgleich  er  in  un- 
sern  Sammlungen  niclit*  selten  vorkommt,  hellst  bey  den 
Maypures  Indianern />i///pn/.     Er  ist  südwärts  der  Ca- 
taracten sehr  gemein.     Sein  Gesicht  ist  weifs  :  ein  klei- 
ner schwnrzblauer  Fleck  deckt  das  Maul  und  die  Spitze 
der  Mase.     Die  am  zierlichst  gebildeten  und  schonst  ge- 
färbten  (mit  goldgelbem  Pelzwerk)   Titis  kommen  vom 
Gestade  dos  Cassiquiare.    Diejenigen,  welche  man  an  den 
Lifern  des   Gnaviare  fängt,  sind  grofs  und  nicht  leicht 
y.ahm    zu   machen.      Kein   anderer  Affe  hat   ein  solches 
Hindorgesicht  wie  der  Titi:   er  zeigt  den  nämlichen  Aus- 
druck von  Unschuld,  das  gleiche  schalkhafte  Lächeln, 
den   gleich   schnellen    Uehergang  von   der  Freude  zur 
Trauer.     Seine  grofsen  Augen  füllen  sich  mit  Thränen, 
sobald  er  in  Furcht  geräth.     Er  ist  ausnehmend  lüstern 
nach   Insecten ,  vorzüglich  nach  Spinnen.     Der  Scharf- 
sinn dieses  kleinen  Thiers  ist  so  grofs,    dafs  eines  der- 
selben, welches  wir  in  unserm  Kahne  nach  Angostura 
führten  ,    die  verschiedenen  dem  Tahleaii  elenicntaire 
dhisloire  nalnrelle  des  Hrn.  Cuvier  angehängten  Kupfer- 
tafeln   recht  gut   unterschied.     Die  Kupfer  der  Werke 
sind  nicht  farbigt,  und  dennoch  streckte  der  Titi  seine 
kleine  Hand  schnell  aus,    in  der  Hoffnung,  eine  Heu- 
schrecke oder  eine  W^espe  zu  erhaschen,  so  oft  wir  ihm 
die  eilfle  Tafel  vorlegten,  auf  der  diese  Insecten  abge- 


456  Bach     ril. 

bildet  sind.  Er  blieb  hingegen  völlig  gleicbgiiltig,  \TCnn 
ihm  die  Aboihlungen  der  Gerippe  oder  Köpfe  von  Säug- 
thieren  *)  gezeigt  wurden.  Wenn  mehrere  dieser  klei- 
nen Affen,  im  nämlichen  Käfich  verschlossen,  dem  Re- 
gen ausges(  tzt  sind,  und  die  gewohnte  Temperatur  der 
Luft  plülzlich  um  zvvey  oder  drey  Grade  sinkt,  so  bie- 
gen sie  ihren  Schwanz,  der  doch  kein  VVickelschwanz 
ist,  sich  um  den  Hals,  und  schlingen  Arme  und  Beino 
in  einander,  um  sich  wechselseilig  zu  \-\  armen.  Die 
indischen  Jäger  erzählten  uns,  man  treffe  öfters  im  Wald 
Gruppen  von  zehn  bis  zwölf  solclier  Affen  an,  die  ein 
jämmerliches  Geschrey  hören  lassen,  weil  die  auswärts 
betindlichen  in's  Innere  des  Knauls  zu  dringen  versu- 
chen^ um  daselbst  U  arme  und  Obdach  zu  finden. 
Schiefst  man  mit  in  gescliicüchtes  Gift  *'•')  getauchten 
Pfeilen  nach  einem  solchen  Knäuel,  so  kann  man  eine 
grofse  Zahl  jung'er  Aflen  auf  einmal  lebendig  fangen. 
Der  Titi  bleibt  im  Fallen  an  seiner  Mutter  liängen,  und 
wofern  er  durch  den  Fall  nicht  verletzt  ist,  so  verläfst 
er  die  Schulter  oder  den  Hals  des  getüdteten  Thiers 
nicht  mehr.  Die  meisten  derer,  welche  man  lobendig 
in  den  Hütten  der  Indianer  antrifft,  sind  auf  diese  Weise 
von  den  todten  Müttern  weggenommen  worden.  Die 
erwachsenen,  von  einer  ungefährlichen  Wunde  geheil- 
ten  Thiere   gehen   meist  zu  Grund,  ehe  sie  zu  Haus- 


*)  Ich  bemerke  bey  diesem  Anlafs,  dafs  icli  nie  gescbcn  habe, 
dafs  ein  Gemälde  ,  wclclics  Hasen  und  Pielie  in  n.itiirlichpr 
Oröfse  und  aufs  Allerbeste  darstellte,  den  mindeslcn  I'indruck 
auf  Jagdhunde,  deren  Versland  vorzüglich  entwickelt  schien, 
gemacht  hätte.  Kennt  man  ein  zuverlässiges  Bevspiel  eines 
Hundes,  der  das  Bild  seines  Herrn  in  ganzer  Figur  erkannt 
hätte?  In  all'  diesen  Fällen  wird  das  Gcsiclil  vom  Geruch 
nicht  unterstützt. 

**)  Curare  dgstemplado. 


li  n  p   i  t  e  l     XIX.  45?^ 

lliieren  gewohnt  sind.  Die  Titi's  sind  üLerlianpt  zarte 
und  furchtsame  kleine  Thi:'re.  Es  hält  sehr  scliwer,  sie 
von  den  Mis-^ionon  am  Orenoko  an  die  Küsten  von  Caracas 
und  Cumana  zu  vorpHanzen.  Sie  werden  traurig-  und 
niedergeschlagen,  sobahl  man  die  Kegion  der  Waldun- 
gen verläfst  und  in  die  Hanos  übergeiit.  Diese  Verän- 
derung kann  nicht  auf  der  geringen  Zunahme  der  Tem- 
peralur  beruhen,  und  sie  scheint  eher  von  einer  gröfse- 
ren  istärke  des  Lichts,  von  einer  minderen  Feuchtigkeit 
und  von  irgend  einer  chyniischen  Eigenschaft  der  Kü 
stenluft  herzurühren. 

Die  Saimiri's  oder  Titi's  vom  Orenoko,  die  At'eles, 
die  Sajous  und  andere  seit  langer  Zeit  in  Europa  ge- 
kannte Vierlüinder  bilden  einen  grofsen  Contrast  in 
Hallung  und  Betragen  mit  dem  IMacavahs  *),  den  die 
INIissionare  Vindita  oder  Traaerivilfioe  nennen.  Dies 
kleine  Thier  hat  feine,  glanzende,  schÖH  schwarze  Haare. 
Sein  Antlitz  ist  mit  einer  viereckigten,  weifslichten  und 
in's  Blaue  spielenden  Larve  bedeckt.  Diese  Larve  be- 
greift Augen,  INase  und  .Mund.  Die  Ohren  haben  eine 
Kandleibtej  sie  sind  klein,  niedlich  und  beynahe  ganz 
unbehaart.  Der  Hals  der  JVitlioe  ist  vorn  mit  einem 
weifsen,  einen  Zoll  breiten  Streif  besetzt,  der  einen 
Halbring  bildet.  Die  hintern  Füfse  oder  vielmehr  Hän- 
de sind  gleich  dem  übrigen  Körper  schwarz,  aber  die 
Vorderhände  sind  auswendig  weifs  und  inwendig  glän- 
zend schwarz.  An  diesen  weifsen  Zeichen  oder  Flecken 
glauben  die  Missionavien  den  Schleyer ,  das  Halsluch, 
und  die  Handschuhe  einer  Tranerwittive  zu  erkennen. 
Der  Character  dieser  kleinen  Affen,  der  sich  nur  zum 
Fressen    auf  den  Hinterpfoten    aufstellt,    kündigt   sich 


*)  Es  ist  dies  der  maravitanische  IS'ame  des  Siiiiia  lugens.     Si^ke 
meine  Obs.  dt  Zoologie.    Tom.  I|  p>  äig* 


458  B  u  c  h     VII. 

durch  seine  Haltung  nur  wenig;  an.  Er  lial  oin  sanftes 
und  schüchternes  Aussahen;  dio  ihm  dargehotene  Nah- 
rung verweigert  er  öfters  auch  dann  ,  wenn  er  von 
grofsein  Hunger  gequält  wird.  Er  meidet  dcMi  Upi. 
gang  mit  andern  AfFcn,  und  sclion  der  Anhlick  des  J<lein- 
slen  Saimiri  verjagt  ihn.  Sein  Auge  drückt  viele  Lebhnf- 
tigkeil  aus.  Wir  haben  ihn  stundenlang  in  unhewegh- 
cher  Stellung  gesehen,  ohne  zu  schlafen,  und  sehr  auf- 
jnerksam  auf  alles,  was  um  ihn  her  vorgieng.  Aber 
diese  Schüchternheit  und  Sanftheit  sind  nur  scheinbar. 
Wenn  sie  allein  und  sich  seli>st  überlassen  ist,  wird  die 
Vindita  beym  Anblick  eines  Vogels  wüthend :  sie  klet- 
tert und  läuft  alfdann  mit  erstaunender  Schnelligkeit j 
sie  springt  wie  eine  Katze  auf  ihren  Haub  los,  und  er- 
würgt, was  sie  erhaschen  l;ann.  Dieser  sehr  seltene 
und  sehr  zarte  Affe  findet  sich  am  rechten  Ufer  desOre- 
nol<o  in  di^n  Granit-Gebirgen,  die  sich  hinter  der  Mis- 
sion von  Santa  Barbara  erheben.  Er  wohnt  auch  an 
den  Gestaden  des  Guavinre,  in  der  Geiicnd  von  San  Fer- 
nando de  Atabapo.  Die  P'indila  hat  uns  aut  der  ganzen 
hcise  vom  Cassiquiare  und  vom  Rio  Negro  zweyn)al  bey 
den  Calarncton  vorbey  begleitet.  Ich  halte  es  für  die 
genaue  Kennlnifs  der  Sitten  und  Lebensweise  der 
Thiere  sehr  vortheilhaft,  wenn  man  sie  mehrere  Mo- 
nate hindurch  beständig  vor  Augen  hat,  und  zwar  im 
Freven,  nicht  in  verschlossenen  Wohnungen,  wo  sie 
ihre  naliirliche  Lebhaftigkeit  völlig  einbüfsen. 

Die  neue  für  uns  bestimmte  Piroge  ward  noch  am 
gleichen  Abend  beladen.  Es  war,  wie  alle  indischen  Häh- 
ne, ein  auf  dem  gedoppelten  Wei(  der  Axt  und  des  Feuers 
ausgehöhlter  Baumstamm.  Seine  L3nge  betrug  vierzig 
Fufs  auf  drey  Fufs  Breite.  Drey  Personen  hätten  darin 
nicht  nebeneinander  sitzen  können.  Diese  Piroxen  sind 
so  beweglich,  und  sie  erheischen  um  ihrer  geringen  Fe- 


Kapitel     XIX.  45^ 

stlgheil  willen  eine  so  glelclifürmig  vertlieille  Ladung, 
dafs,  wenn  man  nur  eiiu'n  Augenblick  aufstehen  will, 
die  Huderer  [boiias}  erinnert  werden  müssen,  auf  die 
andere  Seite  zu  drücken.  Ohne  diese  Vorsicht  würde 
das  Wasser  unfehlbar  über  den  eingesenkten  Hand  ein- 
treten. Es  hält  schwer,  t^ich  einen  richtigen  Begriff  von 
den  Beschwerlichkeiten,  die  man  in  so  elenden  Fahr- 
zeugen erduldet,  zu  machen. 

Der  Missionar  von  den  Raudales  hatte  die  Zu- 
rnstungen  der  Heise  mit  mehr  Eifer  betrieben ,  als  uns 
li.^b  war.  Aus  Furcht,  nicht  die  hinreichende  Zahl 
Macos-  und  Guahibes- Indianer  zu  erhalten,  welche  das 
Labyrinth  der  kleinen  (Kanäle  und  Cascaden  kennen,  aus 
denen  die  rmuditles  oder  (Cataracten  bestehen,  wurden 
zwev- derselben  die  Nacht  über  im  cepo  behalten,  das 
will  sagen,  sie  mulsten  ihre  Füfse  zwischen  zwey  einge- 
schnittenen, durch  eine  ilctte  mitVorlegsclilofs  zusam- 
mengehallenfn  Hölzern  gelagert  halten.  Frühmorgens 
weclUe  uns  das  Schrcyen  eines  Jünglings ,  der  mit  le- 
dernen Lamantin- v'^triemen  grausam  gepeitscht  ward. 
Es  war  Z,erepe,  ein  gar  verständiger  Indianer,  welcher 
uns  in  der  Folge  sehr  nützlich  ward,  und  der  uns  nicht 
hatte  begleiten  wollen.  In  der  Mission  von  Apures, 
durch  einen  Maco  -  Vater  mit  einer  Mutter  aus  dem 
Mavpuren- Stamme  erzeugt,  war  er  in  die  Wälder  («/ 
inonte')  zurückgekehrt,  und  hatte  einige  Jahre  unter 
den  wilden  Indianern  verlebt.  Dort  verschaffte  er  sich 
die  Kenntnifs  mehrerer  Sprachen ,  und  der  Missionar 
gebrauchte  ilin  als  Dolmetscher.  Wir  hatten  Mühe 
dem  Jüngling  Gnade  auszuwirken.  ,,Ohne  solche  Hand- 
lungen der  Strenge  (ward  uns  geantwortet)  würdet 
Ihr  bald  an  Allem  Mangel  leiden.  Die  Indianer  der 
fiaudales  und  am  Ober-Orenoko  sind  ein  kräftigerer 
und  arbeitsamerer  Stamm ^   als  die  Bewohner  voni  XJn:' 


46o  Buch     riL 

ter-OrenoUo.  Sie  wissen ,  dafs  man  in  Angostura  viel 
auf  sie  hält.  Liefse  man  sie  thun,  wie  sie  gern  wol- 
len, sie  kämen  alle  den  Flufs  herab,  un)  ihre  Erzeugnisse 
zu  verlsauten,  und  unter  den  Weifsen  in  Freyheit  zu 
leben.     Die  Missionen  blieben  verödet." 

Diese  Gründe,  ich  gestehe  es  gern,  haben  mehr 
Schein  als  Wahrheit  Um  die  V^ortheile  der  Geselhchaft 
zu  geniefsen,  mufs  der  Mensch  allerdings  auf  einen 
Theil  seiner  natüHiclien  Piechte  und  seiner  ursprüngli- 
chen Unabhängiglieit  verzichten.  Wenn  aber  das  Opfer, 
welches  man  ihm  auflogt,  in  den  Vorthcilen  der  Silti- 
gung  keinen  Ersatz  findet,  so  wird  der  Wilde  in  seiner 
Tcrständiijen  Einfalt  allezeit  die  Kückkchr  nach  den  Wäl- 
dern wünschen,  in  denen  er  geboren  ward.  Die  christ- 
lichen Ansiedelungen  am  Orenoko  bleiben  verlassen, 
weil  in  den  meisten  Missionen  die  Indian^^r  der  Wälder 
als  Leiheigene  behandelt  werden,  und  die  Früchte  ih- 
rer Arbeiten  ihnen  nicht  zu  gut  kommen.  Eine  auf  die 
Zei'slürung  der  Freyheit  der  Ur-E  nwohner  gegrün- 
dete Regierung  muls  die  Geisteskräfte  ersticken  oder 
ihre  Enlwickelung  hindern. 

Es  ist  eine  unpassende  V^ergleichung,  wenn  man 
Lehauptet,  der  Wilde  müsse  als  ein  Kind  behandelt  und 
zu  strengem  Gehorsam  angehalten  werden.  Die  India- 
ner vom  Orenoko  haben  wohl  etwas  Kindisches  in  dem 
Ausdruck  ihrer  Freude,  in  dem  schnellen  Wechsel  ih- 
rer Gemüthsslimmung :  aber  sie  sind  darum  keine  gros- 
sen Kinder;  sie  sind  es  eben  so  wenig,  als  die  armen 
Landbauer  im  östlichen  Europa,  welche  die  Barbarey 
unserer  Feudal -Institutionen  in  der  gröfslen  Verwil- 
derung erhalten  hat.  Die  Anwendung  der  Gewalt  als 
erstes  und  einziges  Mittel  der  Siltigung  des  Milden  ist 
beynebens  ein  Grundsatz ,  der  auf  die  Erziehung  der 
Völker  eben  so  unrichtig  angewandt  wird,  wie  auf  die 


Kapitel     X/X.  461 

Erziilmng  der  Jugend.  Wie  schwach  und  wie  tief  ge- 
sunken der  Mensch  auch  seyn  mag,  seine  Kräfte  sind 
nie  ganz  zerstört.  Der  uicnscliliche  Verstand  zeigt  sich 
nur  in  versciiiedentlichpm  Grad  der  Starke  vmd  der 
Entwicklung.  Der  Wilde  wie  das" Kind  vergleicht  die 
Gegenwart  mit  der  Vergangenheit  j  seine  Handlungen 
werden  nicht  durch  einen  Minden  Inslinct,  sondern 
durch  Gründe  seiner  Vorlheile  geleitet.  Die  V^ernunft 
ivird  überall  durch  die  Vernunft  aufgehellt,  und  ihre 
Fortschritte  müssen  um  so  mehr  yerzügerl  werden,  als 
diejenigen,  welche  sich  zur  Eiziehung  der  Jugend  oder 
zur  Kcgierung  der  Völker  berufen  glauben,  vom  Gefühl 
ihrer  Uebermacht  aufjjiebläht,  jene  verachten,  auf  die 
sie  wirken  sollen,  und  durch  Gewalt  und  Stärke  dasje- 
nige zu  erzielen  streben,  was  durch  moralischen  Ein- 
flufs  erzielt  werden  soll,  welcher  einzig  nur  die  werden- 
den Kräfte  entwicRl'ln^  die  aufgereizten  Leidenschaften 
hesänfligen,  und  den  Gesellschafts -Zustand  befestigen 
kann. 

Am  10.  April  konnten  wir  um  zehn  Uhr  Morgens 
erst  unter  Segel  gehen.  Wir  hatten  MüIie,  uns  an  die 
neue  Pircge,  die  uns  wie  ein  neues  Gofängnifs  vorkam, 
zu  gewöhnen.  Um  Breite  zu  gewinnen,  hatte  man  aus 
Baumästen  auf  dem  Hinlertheil  des  Fahrzeugs  eine 
Art  von  Gitter  oder  Laube  errichtet,  das  zu  heyden  Sei- 
ten über  den  Rand  der  Piroge  hinausragte.  Leider  war 
das  ßlätterdach  "0  des  Gitters  so  niedrig,  dafs  man  ent- 
weder, ohne  etwas  zu  sehen,  ausgestreckt  liegen ,  oder 
dann  gebückt  sitzen  mufste.  Die  JNothwendigkeit,  die 
Fahrzeuge  über  die  schnellen  Abschüsse,  oder  auch  von 
einem  Strom  in  den  andern  überzutra-n-n,  die  Besorfi- 
nifs  durch   Erhöhung  des  toldo  dem    Wind    zu    vielen 

*)  £■/  coiclo , 


462  B  u  c  h     111. 

Spielraum  einzuräumen,  ni-ochen  diesen  Bau  für  die 
Meinen,  den  Nio  Negro  aufsteigenden  Fahrzeage  nolh- 
wendig.  Das  Dach  ^var  für  vior  Personen,  welche  auf 
dem  Gilter  oder  der  Lauhe  von  Baumäi>ten  Ligen,  be- 
rechnet; aber  die  Beine  reiclitn  weit  unter  der  Decke 
hervor,  und  wenn  es  regnet,  wird  man  am  lialben  Leib 
durchnäfst.  Dazukommt,  dafs  man  auf  üclisenhäuten 
oder  Tigerfellen  liegt,  und  dafs  die  Baumäsle,  über 
welche  die  Häute  ausgebreitet  sind,  «lurch  die  dünne 
Decke  schmerzhaft  drücken.  Den  Vorderllieil  des  Schif- 
fes besetzen  die  rudernden  Indianer,  mit  drey  Fufs  lan- 
gen, löflelfürmigen  pagaies  versehen.  Sie  sind  völlig 
nackt,  sitzen  paarweise  und  riuh^rn  im  Tact  ungemein 
harmonisch.  Ihre  Gesänge  sind  traurig  und  eintönig. 
Die  kleinen  Käfiche,  worin  unsere  Vugol  und  AflVn  ver- 
wahrt waren,  und  deren  Zahl  sich  nach  und  nacli  mehr- 
te, waren  die  einen  am  toldo,  die  andern  aui  Vorder- 
iheil  des  Schlßes  befesJigt.  Sie  bildeten  unsere  wan- 
dernde IMenagerie.  Der  häufigen  Einbufsen  unerach- 
tet,  die  durch  Zufälle,  und  vorzüglich  durch  die  ver- 
derbliche Wirkung  des  Sonnens  (insotatioiO  veranlafst 
wurden,  besafsen  wir  vierzelm  dieser  kleinen  Thie- 
re  bev  unscn'er  Rückkunft  vom  Cassic|uiare.  Natur- 
wissenschaflliche  Samn>ler,  welche  lebendige  Thiere 
nach  Europa  zurückbringen  wollen,  könnten  in  beyden 
an  den  Gestaden  des  Orenoko  und  des  Amazonen-Stroms 
gelegenen  Hauptstädten,  in  Angoslura  oder  in  Grand- 
Para^  eigene  Pirogen  verfertigen  lassen ,  deren  erster 
Drittheil  zwey  Reihen  vor  der  Sonne  gedeckter  Käfiche 
enthalten  würde.  In  jedem  INachtlager,  wenn  wir  un- 
sern  Biwack  einrichteten,  bildeten  die  JMenageiie  und 
unsere  Instrumente  den  Mittelpunct:  ringsum  kamen 
dann  unsere  Hängematten ,  hernach  die  Hängematten 
der  Indier,  und  auswendig  die  Feuer,  welche  man,  um 


Kapitel     XIX.  463 

den  Jaguar  zu  verscheuchen,  für  unentbehrlich  hält.  Ge- 
Äen  Morien  eru'iedorten  die  Allen  unserer  Käficije  den 
Ruf  der  Allen  im  Walde,  Diese  Mittlieilunffen  zwischen 
Thleren  gleicher  Art,  die  mit  einander  synipatliisiren, 
ohne  sich  zu  sehen,  und  von  denen  die  einen  die  Frey- 
heit  genlofsen  ,  deren  die  andern  beraubt  sind,  haben 
etwas  Trauriges  und  Kührendos. 

In  einer  so  engen  Pirooe,  die  keine  drev  Fufs  breit 
war,  Konnte  für  die  getroclineten  Pflanzen,  für  die  Man- 
telsäcke, für  einen  Sextant,  für  die  Inclinalions- ßous- 
sole  und  die  meteorologii-chcn  Werkzeuge  kein  anderer 
Raum  übrig  bleiben,  als  der  Unterboden  des  Gitters,  auf 
dem  wir  den  gröfsten  Tlieil  des  Tages  in  gezwungener 
Stellung  gelagert  waren.  Um  irgend  etwas  aus  dem 
Felleisen  zu  holen,  oder  um  ein  Instrument  zu  gebrau- 
chen, mufste  man  landen  und  auspacken.  Diesen  Un- 
bequemlichkeiten allen  gesellte  sich  annoch  diePIage  der 
JMosquitos  hinzu,  welche  sich  unter  dem  niedrigen  D«- 
che  anhäufen,  und  die  Hitze,  die  von  den  Palmblättern 
ausgellt,  deren  Obertheil  derSonne  beständig  ausgesetzt 
ist.  Wir  suchten  jeden  Augenblick,  aber  allezeit  um- 
sonst, unsere  Lage  zu  be'.sern.  Während  der  j'ine  zum 
Schutz  gegen  die  Inseclen  ein  Tuch  über  sich  drckte, 
verlangte  der  Andere,  man  solle  grünes  Ho!/,  unter  dem 
toldo  anzünden,  um  die  mosquilos  durch  den  Rauch 
zu  vertreiben.  Das  Brennen  der  xAugen  und  die  Zu- 
nahme der  ohnedies  schon  erstickenden  Hitze  mach- 
ten die  Anwendung  beyder  Mülfsmittel  gleich  unthun- 
lich.  Mittelst  einiger  natürlicher  IVJtinterkeil,  durch 
Verhältnisse  wechselseitigen  Wohlwollens,  und  mit  ei- 
nem lebhaften  Gefühl  für  die  hehre  Pracht  der  Natur 
in  diesen  grofsen  Flufsthälern ,  mag  der  Reisende  die 
allmählig  gewöhnten  Beschv/erden  leichter  erduld  n. 
Ich  habe  diese  kleinlichen  Umstände  hier  nur  erwähnt. 


464  ^  «  c  /i     VIL 

um  die  Verhältnissa  der  Schiflalirt  auf  dem  Oronoko  zu 
schildern^  und  um  darzuthuni^  warum  Hr.  Bonpland 
TUid  ich  boym  bestem  Willen  wälirend  dieses  Abschiiills 
unserer  Heise  so  vielfältige  lieobachlungen  niclit  ma- 
chen konnten,  als  unsere  merkwürdigen  Umgebungen 
erheischt  halten. 

Die  Indianer  zeigten  uns  die  Stelle,  wo  auf  dem 
rechten  Stromufer  vormals  die  von  den  Jesuiten  um  das 
Jahr  1733  gegründete  Mission  von  Pararuma  gelegen 
war.  Eine  Pockenseuche,  die  unler  den  Salivas'- India- 
nern grofse  Verheerungen  anrichtete,  war  die  Haupt- 
ursache der  Zerstörung  der  IVIission.  Die  wenigen  Ein- 
wohner, welche  die  bösartige  Seuche  überstunden,  wur- 
den dem  Dorfe  Carichana  einverleibt^  das  wir  nun  bald 
besuchen  werden.  In  Pararuma  war  es,  wo,  dem  Zeug- 
nifs  des  Pater  Roman  zufolge,  um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts,  während  eines  heftigen  Gewitters,  Schlös- 
sen gefallen  sind.  Es  ist  dies  beynahe  das  ein/.ige  mir 
bekannte  Bey^piel,  in  einer  Ebene,  die  mit  dem  Meere 
fast  wagerecbt  steht 5  denn  unter  den  Wendekreisen  fällt 
unter  3oü  Toisen  Erhöhung  gewöb.nlich  kein  Hagel  ••'). 
Wofern  er  sich  in  gleicherHöhc  über  den  Thal-Ebenen 

und 


*)  Siehe  oben,  Th.  2,  S.  596.  Thibaiilt  de  Clianralon  nirft  in 
einer  sehr  soiiarfsinnigen  Aliliandlung  über  die  Meteorologie 
der  'IVupenl.ndor  und  der  genialVigtcn  Zone  die  Frage  auf: 
warum  die  Gewitter  iti  den  Ebenen  nur  im  geniaisigleu  Erd- 
striche mit  Schloisen  begleitet  sind?  ^Die  Wanne  der  Ebe- 
nen, heincrkt  er,  kann  kein  Hindcrhirs  der  Entstehung  des 
Hagels  seyn.  In  Europa  ist  derselbe  in  der  heiiscn  Jahreszeit 
am  häufigsten.''  Er  meldet,  man  habe  auf  Martinique  nur 
«inmal,  im  Jahr  1721.  auf  den  Irlbenen  Schloisen  l'ailen  gese- 
hen. {Voy  (Ige  ä  la  Martinique^  ji.  i55,  INro. -lO).  Diese  An- 
gabe scheint  jedocli  unzuverlässig.  (^Moreau  de  Jonnis-,  sttr 
le  sämat  des  Antilles,  p.  49) 


Kapitel     X.IX..  465 

und  Berghohen  Cplaleaiix)  hildet,  so  mufs  man  anneh- 
men, es  schmelze  im  Niederfallen  beym  Durchgang  der 
untersten  Schichten  der  Atmosphäre,  d(^ren  mittlere 
Temperatur  (zwischen  o  ^  und  3oo  ^)  27°,5  und  i!^^ 
des  hunderttheiligen  Thermometers  beträgt  Ich  ge- 
stehe, dafs  es  beym  gegenwärtigen  Zustand  der  Meteo- 
rologie schwer  halt,  zu  erklären,  warum  in  Philadel- 
phia, in  Rom  und  zu  Montpellier  Schloffen  niederfal- 
len in  den  wärmsten  Monaten,  wo  die  mittlere  Tempe- 
ratur auf  20°  bis  26°  ansteigt,  während  die  gleiche  Er- 
scheinung in  Cumana,  in  la  Guayra  und  überhaupt  in 
den  Aequatorial -Ebenen  nicht  wahrgenommen  wird. 
In  den  vereinten  Staaten  und  im  südlichen  Europa  (un- 
ter 40°  und  43°  der  Breite),  ist  die  Hitze  der  Ebenen 
im  Sommer  ungefähr  die  nämliche,  wie  unter  den  Wen- 
dokreisen.  Auch  die  Abnahme  der  Wärmestofli'e  wech- 
selt, meinen  Untersuchungen  zufolge,  nur  wenig  ab. 
Wenn  also  der  Mangel  an  Schlofsen  unter  dem  heifsen 
Himmelsstrich,  in  der  Meereshühe,  vom  Schmelzen  der 
Hagelkörner  beym  Durchgang  der  unteren  Luftschich- 
ten herrührt,  so  mufs  man  annehmen,  es  seyen  diesel- 
ben, im  Augenblick  ihrer  Bildung,  im  gemäfsigten  Erd- 
striche gröfser  als  im  heifsen.  Die  Verhältnisse,  unter 
denen  das  \V  asser  in  einer  Gewitterwolke  in  unserm 
Clima  gefriert,  sind  uns  noch  zu  wenig  bekannt,  um 
urtheilen  zu  können,  ob  die  gleichen  Bedingungen  auch 
unter  dem  Aequator,  über  den  Elenen  vorhanden  sind. 
Ich  zweirie,  dafs  die  Sclilofsen  allzeit  nur  in  einer  Luft- 
region gebildet  werden,  deren  mittlere  Temperatur 
Zero  ist,  und  welche  bey  uns  im  Sommer  nur  auf  der 
Höhe  von  i5oo  oder  1600  Toisen  angetroffen  wird.  Die 
Wolken,  in  denen  man  die  Schlofsen  vor  ihrem  Nieder- 
schlag gegen  einander  stofsen  hört,  und  die  sich  wage* 
recht  bewegen,  schienen  mir  allzeit  gar  viel  niedriger 
^Ux.  V.  Humboldts  hist.  Reisen.  HI.  'JO 


466  B  n  c  h   rn. 

zu  seyn  5  und  auf  diesen  minderen  Höhen  Begreift  man^ 
dafs  aufserordentliche  Erkältungen  durch  die  Ausdeh- 
nung der  aufsteigenden  Luft,  welche  an  Fassungsvermö- 
gen für  den  Wärmestoff  zunimmt ,  durch  aus  einer  hö- 
heren Breite  kommende  Strömungen  kalter  Luft  und 
insondt^rheit  (nach  Hrn.  Gay-Lussac)  durch  die  Strah- 
lung der  ohern  Wolkenfläche  ent^:tellen  können.  Ich 
werde  Anlafs  hahen,  auf  diesen  Gegenstand  zurück  zu 
liommen ,  wenn  ich  yon  den  verschiedenen  Formen 
spreche,  unter  welchen  Schlofsen-  und  Graupenhagel 
auf  dem  Rücken  der  Anden  bey  2000  und  2600  Toiserx 
sich  darstellen,  und  wenn  ich  die  Frage  untersuche,  ob 
man  die  Wolkenschichle,  welche  das  Gebürge  einhüllt, 
als  eine  wagerechte  Fortsetzung  derjenigen  Sciiiclite  be- 
trachten kann,  welche  wir  unmittelbar  über  uns  in  den 
Ebenen  erblicken. 

Der  mit  vielen  Inseln  besetzte  Orenoko  beginnt  sich 
in  mehrere  Arme  zu  theilen,  deren  westlichster  den  Jän- 
ner und  Hornung  durch  trocken  bleibt.  Die  Gesammt- 
brcite  des  Stromes  beträgt  über  aöoo  bis  3ooo  Toisen. 
Der  InselJavanava  gegenüber  bemerkten  wir  östlich  die 
Mündung  des  Canno  Anjacoa.  Zwischem  diesem  Can- 
no  und  dem  Kio  Paruasi  *)  oder  Paruati  wird  das  Land 
zusehends  holzreicher.  Mitten  aus  einem  Wald  von 
Palmenbäumen,  unfern  vom  Orenoko  **),  erhebt  sich 
ein  abgesonderter  Felsenrücken  von  überaus  malerischer 
Gestaltung.  Es  i<t  ein  Granilpfeiler,  eine  prismatische 
Masse,  deren  nackte  und  schroffe  Seitenwände  nahe  an 


*y  Der  Jesuite  Pater  Mon'llo  haue  an  den  Ufern  des  Paruasi 
eine  Mission  dieses  ISainens  gestiftet,  worin  er  Mapo^es- 
oder  Mapoi -Indianer  sammelte.  Sie  löste  sich  jedocii  balil 
nieder  auf.     CG///,  Ton(i.  I,  p.  5".) 

**_)  Dem  HaUo  de  San  Antonio  gegenüber. 


ji  a  p  i  t  e  i  xrx,  i^r 

zwpyluindert  Fnfs  Hühe  liabiMi.  Sein  Gipföl,  darüber 
die  hüclislcn  Waldhäumeeniporrngl ,  ist  mit  einer  Fel- 
senLank  gekrüril^  deren  Oborflöche  glatt  und  wagerfcht 
hi.  Auf  diosem  Gipfel  sti'Iien  andere  Bäume.  Die  Mis- 
sionare lieifscn  ihn  den  Pic  oder  JMogote  de  Cocuyzai. 
Es  erinnert  dieses,  in  seiner  Gröfse  oirtfache  Denkmahl' 
der  Natur  an  die  cyclopischen  Denkmähler.  Seine 
sehr  bestimmten  Umrisse,  mit  der  Baum-  und  Gebüsch- 
Gruppe  über  ihm,  stellen  sich  auf  deöa  azurnen  Hirn-, 
iiiel  merkwürdig-  dar.  Es  gleicht  einem  Gehölze,  nel-, 
ehes  über  einem  andern  Gehülze  emporsteht. 

Weiter  hin,  nahe  bey  der  Mündung  des  Paruasi, 
verengert  sich  der  Orenuko.  Ostwärts  bemerkten  wir 
eine'n  Berg  mit  plattem  Gipfel,  der  wie  ein  Vorg^ebirg. 
Lervorstcbt.  Seine  Höhe  beträgt  nahe  an  dreybundert 
Fufs,  und  die  .Jesuiten  gebraucliten  ihn  als  Festung. 
Sie  hatten  ein  Fortin  darauf  angelegt,  welches  mit  drey: 
Kanonen-Batterien  versehen  und  allezeit  mit  einem  Mili- 
tär-Detaschement  besetzt  war.  Wir  haben  die  von  ih- 
ren Laffetten  abgenommenen  und  zur  Hälfte  in  den 
Sand  vergrabenen  Kanonen  zu  (3arichana  und  zu  Atu- 
res  gesehen.  Das  Fortin  der  Jesuiten  (oder  fortalexa 
de  San  Francisco  Javier)  ist  seit  der  Auflösung  des 
Ordens  /erelört  worden;  aber  der  Ort  wird  immer  noch 
el  Castillo  genannt.  Auf  der  Handzeichnung  einer 
Charte,  die  vor  Kurzem  erst  in  Caracas  von  einem  Welt- 
priesler  verfertigt  worden  ist,  fand  ich  ihn  mit  den* 
seltsamen  Namen  Trinchera  del  despolismo  monacal'^y 
bezeichnet.  In  allen  Revolutionen  drückt  sich  der  Neüe^ 
rungsgeist,  der  die  Menge  hinreist,  auch  in  der  geogra- 
phischen Nomenclatur  aus. 

Die  von  den  Jesuiten  auf  diesem  Felsen  unterhalb 


')  Verschanz  ung  des  monchisehen  Despotismus., 


468  Buch     yil. 

tene  Besatzung  war  nicht  blofs  zum  Schutz  der  Missio» 
nen  gegen  die  Einfalle  der  Cariben  bestimmt;  sie  ward 
auch  zum  Angriffskriege  gebraucht,  oder,  wie  man  hier 
sagt,  zur  Seelen-Eroberung,  conqiiista  de  almas.  Dio 
Soldaten,  durch  Geldbelohnungen  angereizt ,  machten 
bewaffnete  Ueberfälle  oder  entradas  in's  Gebiet  der  un- 
abhängigen Indier.  Was  Widerstand  leistete,  ward  um- 
gebracht 5  die  Hütten  wurden  verbrannt,  die  Pflanzun- 
gen zerstört,  und  Greise,  Weiber  und  Kinder  wurden 
als  Gefangene  weggeführt.  Diese  Gefangenen  vertheilte 
man  in  die  Missionen  vom  Meta,  Kio  Negro  und  Ober' 
Orenoko.  Die  entferntesten  Orte  wurden  vorzugsweise 
gewählt,  um  der  Versuchung  zur  Rückkehr  in  die  Hey- 
math  entgegen  zu  wirken.  Dieses  gewaltsame  Mfttel 
zur  Seelen-Eroberung  war  zwar  durch  die  spanischen 
Gesetze  untersagt,  aber  darum  nichts  desto  minder  von 
den  Landesstatthaltern  geduldet,  und  von  den  Obern 
der  Gesellschaft  als  für  die  Religion  und  für  die  Aus- 
breitung der  Missionen  sehr  vortheiDiaft  gepriesen. 
„Die  Stimme  des  Evangeliums '^'j  sagt  ein  Jeeuite  vom 
Orenoko  in  den  erbaulichen  Briefen  '-'')  sehr  naiv,  „fin- 
det nur  da  Eingang,  wo  die  Indianer  zuvor  den  Knall  des 
Gescliützes,  et  ecco  de  la  polvora,  gehurt  haben.  Die 
Gelindigkeit  ist  ein  gar  langsam  wirkendes  Mittel.  Durch 
Züchtigung  der  Ur- Einwohner  wird  ihre  Bekehrung 
erleichtert."  Diese  die  Menschheit  entehrenden  Grund- 
sätze wurden  vermuthlich  nicht  von  allen  Gliedern  ei- 
ner Gesellschaft  gotheilt,  die  in  der  neuen  Welt  und 
allenthalben,  wo  die  Erziehung  ausschliefslich  den  Mün- 
chen anvertraut  geblieben  war,  den  Wissenschaften  und 
der  Civilisation  beförderlich  gewesen  ist.     Die  entradas 


*)  Cartas  edlficnntes de  la  Compannla  dg  Jesus,   »rS/,  Tom. 
XVI,  p.  9>. 


li  a  p  i  l  e  l     XIX,  469 

aber  und  die  geislllchen  Bekehrungen  durch  Bayonnetle 
waren  ein,  dem  auf  schnelle  Vergröl'scrung  der  Missio- 
nen berechneten  Reo;imenle  innvvohnendes,  Gebreclien« 
Es  ist  tröstlich  zusehen,  dafs  die  Franciscaner-,  Domi- 
nicaner-und  Augustiner- Mönche,  welche  gegenwärtig 
ausgedehnte  Landschaften  beherrschen,  und  durch  die 
Milde  oder  die  Rohheit  ihrer  Sitten  einen  so  mächtigen 
Einflufs  auf  das  Schicksal  so  vieler  Tausenden  der  Ur- 
Einwohner  ausüben  ,  jenem  Systeme  nicht  huldigen. 
Die  bewaffneten  Ueberfälle  sind  beynahe  völlig  abge- 
schafft; und  wo  sie  noch  stattfinden,  da  werden  sie  von. 
den  Vorgesetzten  der  Orden  mifsbilligt.  Wir  wollen 
in  diesem  Augenblick  nicht  entscheiden,  ob  diese  Ver- 
besserung der  mönchischen  Einrichtungen  einem  Man- 
gel an  Thätigkeit  und  einer  trägen  Lauheit,  oder,  wie 
man  eher  wünschen  möchte,  vermehrter  Aufklärung 
und  würdigeren,  dem  wahren  Geist  des  Christernthums 
besser  entsprechenden  Gesinnungen  müsse  zugerechnet 
%v  erden. 

Von  der  Mündung  des  Rio  Paruasi  an  verengert 
der  Orenoko  sich  neuerdings.  Sein  mit  kleinen  Insfln 
und  Granit- Blöcken  angefülltes  Bett  stellt  nun  die  rapi- 
des oder  kleinen  Cascaden  *)  dar,  deren  erster  Anblick 
den  Reisenden  durch  den  beständigen  Wasserslrudel  be- 
unruhigen kann,  die  jedoch  den  Fahrzeugen  in  keiner 
Jahreszeit  gefährlich  sind.  Man  mufs  wenig  iu  Schiff 
gewesen  seyn,  um  mit  dem  Pater  Gili  **),  welcher  sonst 
so  genau  und  verständig  ist,  zusagen,  ^^e  terribile  pe 
jnolti  scogli  il  tratto  del  fiiime  tral  Castello  e  Caric- 
ciana.'*  Eine  Rrihe  Klippen,  welche  beynahe  durch 
die  ganze  Breite  des   Stroms   läuft,   führt  den  Warnen 


•)  Los  rgmolinof, 
**)  Tom.  I,  p.  II, 


470  Bach     VII. 

Mandat  de  Marimara  '••)•  E.\n  enffer  Canal  geht  zwi- 
sehen  durch,  worin  das  Wasser  zu  sieden  scheint,  wenn 
•  es  untcrhall»  d«r  P/eJ/-«  de  iMarimara ,  einem  dichten 
Granitfekcu  von  So  Fufs  Höhe  und  3oo  Fufs  Umfang, 
ohne  üpalten  oder  J^pur  von  Schichtenbildung,  urtge- 
strau  hervorkömmt  **).  Der  Strom  dringt  lief  landein- 
wärts, und  bildet  geräumige  Buchten  in  dem  Felsen- 
ufer. Eine  dieser  Buchten,  die  zwischen  zw^ey  nack- 
ten Vorgebirgen  eingeschlossen  ist,  heifst  der  Hafen 
von  Carichana***y.  Die  Gegend  hat  ein  wildes  Ausse- 
hen.  Die  Felsküste  wirft  Abends  ihre  langen  Schatten 
über  die  Wasserfläche  des  Stroms.  Das  Wasser  erscheint 
schwarz,  indem  es  die  Bilder  dieser  Granitmassen  zu- 
rückwiift,  die,  wie  wir  schon  bemerkt  haben,  durch 
das  Colorit  ihrer  äufsern  Oberfläche  bald  den  Steinkoh- 
3en,  bald  demBleyerze  gleichen.  Wir  übernachteten  in 
dem  kleinen  Dorfe  Carichana,  wo  uns,  auf  die  Empfeh- 
lung des  guten  Missionars,  Fray  Jose  Antonio  de  Torre, 
im  Pfarrhof  oder  convento  Aufnahme  zu  Theil  ward. 
Wir  hatten  seit  vierzehn  Tagen  unter  keinem  Dache  ge- 
schlafen. 

Am  11.  April.  Um  den  der  Gesundheit  oft  so  nach- 
theiligen Folgen  der  Ueberschwemmungen  zu  entgehen, 
ward  die  Mission  von  Carichana  in  der  Entfernung  von 
Dreyviertel- Meilen  vom  Strom  angelegt.  Die  India- 
"jier  gehören  zu  dem  Stamme  der  Salivas:  sie  haben  ei- 
nen widrigen  JN  äsen -Ton.      Ihre  Sprache,  von  welcher 


*)  Man  crl;ennt  diesen  Namen  in  demjenigen  des  Berges  von 
Castillo,  neleher  MnrimaTuta  oder  Marimarota  heifst.  {Gu- 
milla^  Tom.  I,  p.  283.) 

**3  Diese  Gegenden  werden  in  den  spanischen  Colonien  choT' 
reras  genannt. 

•**)  Fietra  j  piierto  de  Carichana* 


H  a  p  i  f  e  l     XIX.  471 

clor  Jesuit  P.  Anisson  eine  handschriflHcli  geblieben« 
Sprachlehre  verfertigt  hat,  ist,  neben  der  Cariben-,  Ta- 
manaken-,  JVTaypuren-,  Otomaken-,  Guahiven-  und 
Jaruro- Sprache,  eine  der  am  Orenoho  am  weitesten 
verbreiteten  Mutter- Sprachen.  Der  Pater  Gili  *)  hält 
das  Ature,  Piraoa,  Guayna  oder  Mapoje  nur  für  Dia- 
lecte  der  Saliva.  Meine  Reise  war  viel  zu  schnell,  als 
dafs  ich  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  beurtheilen  könnte ; 
wir  werden  aber  bald  sehen,  dafs  in  dem,  durch  diein  sei- 
ner Nähe  befindlichen  grof?;en  Cataracten  berühmten  Dorf 
Atures  heutzutage  weder  die  Saliva  -,  noch  die  '>  ture  -,  son- 
dern die  Maypuren-Sprache  geredet  wird.  In  der  Saliva- 
Sprache  von  Carichana  heifst  der  Mann  cocco,  das  Weib 
gnacii,  das  Wasser  cf'gH«,  Aa.%¥e\xGvegnssa,  die  Erde  sehe, 
der  Himmel  **)  innmeseke  (das  Oberland),  der  Jaguar 
impü ,  das  Crocodil  cuipöo ,  der  Mais^zo/n«,  die  Pi- 
sangfrucht  paractiinct  ,  die  Manioccawurzel  peipe. 
Ich  will  eine  der  beschreibenden  Zusammensetzungen 
anführen,  welche  die  Kindheit  der  Sprache  zu  bezeich- 
nen scheinen,  obgleich  sie  sich  auch  in  einigen  sehr 
ausgebildeten  Idiomen  erhalten  haben  ***).  Wie  in  der 
Basken  -  Sprache ,  wird  der  Donner  das  Krachen  der 
TVolken  iodotscO  genannt;  die  Sonne  heifst  in  der  Sa- 
liva-Sprache  mume- sehe- cocco,  das  will  sagen, Mensch 
(jcocco)  des  Landes  isehe')  droben   (miime'). 

Der  älteste  Wohnsitz  des  S.iliva- Stammes  scheint 
das  weltliche  Gestade  des  Orenoko  zwischen  dem  Rio 
Vichada  **■*)    und  dem   Guivare  sowohl,  als  zwischen 


*)  Tom.  Iir,  p.  2o5. 
**)  Tom.  III,  p.  212. 
**♦)  Siehe  oben  Th.  II,  Kap.  9,  S.  200. 

****)   Die    Mission    Salive,    am  Rio  VichaJa,    ward  durch  die 
Cai-iben  zerstört.  ^Casaiüy  Uist.  Gen.,  Cap.  XXVl,  p.  168.) 


47*  Buch     VlI. 

dem  Meta  und  dem  Rio  Pante  gewesen  «u  seyn.     HeuK- 
zuta:>e  tr'iTt  man  Menschen   vom    Saliva- Stamme  nicht 
nur   in  Carichana  an  ,    sondern  auch  in  den  Missionen 
der  Provinz  von  Casanare,  in  Cabapuna,  in  Guanapale, 
in  Cahinna  und   in  Macuco.     Dieses  letztere,  im  Jahr 
j^3o  durch  den  Je«uiten- Pater  Fray  Manuel  Boman  ge- 
gründete Dorf  zählt  i3oo  Einwohner.     Die  Salivas  sind 
ein  getelliges^  sanftes,  fast   schüchternes,  und  leichler) 
ich  will  nicht  sairen  zu  cullivirendes ,  aher  zu  unterjo- 
chendes   Volk,    als  die    übrigen    Stämme   am  Orenoko. 
Um  der  Herrschatt  der  Cariben  zu  entgehen,   haben  die 
Salivas   sich   den    ersten  Missionen   der   Jesuiten   willig 
angeschlossen.    Darum  rühmen  dann  auch  diese  Ordens- 
leute in  ihren   Schriften  überall  den   Verstand  und  die 
Gelehrigkeit    derselben   "■•').        Die    Salivas    sind    grofse 
Freunde    der  Tonkunst;    sie   bedienen   sich,    von  sehr 
alten  Zeiten  her,  der  Trompeten  aus  gebrannter  Erde, 
welche  vier  bis  fünf  Fufs  lang  sind  und  mehrere   kugel- 
förmige  Bauchungen  haben,  welche  durch  enge  Boh- 
ren zusammenhängen.  Die  Töne  dieser  Trompeten  sind 
überaus  kli^glich.     Die  Jesuiten  haben  die  natürlichen 
Anlagen  der  Salivas  für  die  Instrumental- Musik  ausge- 
bildet y   und  die   Missionarien  vom  Rio  Meta  haben  so- 
gar auch  seit  Auflösung  des  Ordens  in  San  Miguel  de 
Macuco  eine  schöne  Kirchen- Musik  und  den  musikali- 
schen   Unterricht    der    indischen    Jugend   beybehalten. 
Ganz   neuerlich    noch   war   ein   Reisender  verwundert, 
die  Ur-Einwohner  die  Violine,  das  Violonzell,  den  Trian- 
gel, die  Guilarre  und  die  Flöte  spielen  zu  sehen.  *""') 

*)  Gnmilla,  Tom.  I,  Cap.  XIII,  p.  309  —  224.      Gili ,  Tom.  I, 

p.  57  5   Tom.  II,  p.  /j4. 
**)  Diario  del  Fresbilero  Josef  Cortes  ßladaiiaga  en  su  viag9 

de  Santa-  Fe  de  Bogota  por  el  Rio  Meta  a  Caracas  C>8'Q» 
/o/.  i5.  (HandschrifQ. 


Kapitel    XIX.  473 

Diß  Verhältnisse  der  abgesonderten  Missionen  am 
OrenoKo  sind  den  Fortscliritten  der  Sittigung  und  der 
Zunaliine  der  Bevölkerung  der  Salivas  so  günstig  nicht, 
wie  die  von  den  Augustiner -Mönchen  in  den  Ebenen 
von  Casanare  und  vom  Metastrom  befolgten  Einrich- 
tungen '0.  In  Macuco  haben  die  U:* -Einwohner  ihr© 
Verbindungen  mit  den  Weifsen  benutzt,  welche  im 
nämlichen  Dorf  wohnen  und  fast  alle  Flüchtlinge  au» 
Socorro  sind  **).  Am  Orenoko  wurden  zur  Zeit  der 
Jesuiten  die  dr^v  Dürfer  von  Pararuma,  von  Castillo 
oder  Marumarutu  und  von  Carichana  in  ein  einziges, 
nämlich  dasjenige  von  Carichana  verschmolzen,  welches 
dadurch  eine  ansehnliche  Mission  ward.  Im  Jahr  1769, 
als  die  Forlaha  de  San  Francisco  Xavier  und  ihre 
drey  Batterien  noch  vorhanden  waren,  zählte  der  Pater 
Caulin  ***>  in  der  Mission  von  Carichana  400  Salivas. 
Im  Jahr  1800  fand  ich  ihrer  kaum  i5o.  Von  dem  Dorfe 
sind  nur  noch  einige  aus  Lehmerde  erbaute  Hütten 
übrig,  welch  ein  symmetrischer  Ordnung  ein  ungeheuer 
hohes  Kreuz  umgeben. 


•)  Recoletos,  vom  grofsen  Collegiuin  de  la  Candelaria  de  Santa  • 
Fe  de  Bogota  abliängend. 

**)  Die  Stadt  Socorro,  südlich  vom  Rio  Sogamozo,  und  nord- 
nord- östlich  von  Santa -Fe  de  Bogota,  ^var  der  Miltelpuncl 
des  Aufruhrs,  welcher  im  Königreich  Neu- Granada,  im  Jahr 
1781,  unter  dem  Erzbischof,  Vicekönig  Gongora ,  um  der 
Bedrückungen  willen,  welche  das  Volk  durch  Einführung  de» 
Tahakspachts  erlitten  hatte,  ausgebrochen  ist.  Viele  gewerb- 
fleifsige  Einwohner  wanderten  damals  in  die  Llanos  der 
Äleta  aus,  um  den  Verfolgungen  zu  entgehen ,  welche  im  Ge- 
folge der  vom  Hof  zu  Madril  ertheilten  allgemeinen  Amne- 
stie eintraten.  Diese  Auswanderer  werden  in  den  Missionen 
Socorrennos  refugiados  genannt. 

*'**}  Hut,  corogra/ieaf  p.  71. 


A74  Buch     VIL 

IVIitten  unlpr  den  Salivas- Indiern  trafen  wir  ein 
Weib  an  von  weifser  Herkunft,  die  Schwester  eines  Je- 
suil?n  aus  Neu-Granada.  Das  Vergnügen  ist  unaus- 
sprechlich grofs,  welches  man  fühlt,  wenn  man  mitten 
unter  Völ!;ern,  deren  Sprache  man  nicht  kennt,  ein 
Geschöpf  antrifft,  init  dem  eine  Unterredung  ohne  Dol- 
metscher geschehen  kann.  Jede  Mission  hat  wenig- 
stens zwpy  solcher  Dolmetscher,  lenguaraies.  Es  sind 
Indianer,  etwas  weniger  dumm  als  die  übrigen,  und 
durch  welche  die  Missionarien  am  Orenoko,  die  sich 
nur  selten  Mühe  gel)en  die  Landesspraclien  selbst  zu  er- 
lernen, mit  den  Neubekehrten  Unterredung  pflegen. 
Diese  Dolmetscher  haben  uns  auf  unsern  botanischen 
Spaziergiingen  meist  begleitet;  sie  verstehen  jedoch 
das  Castiüanische  eher,  als  dafs  sie  solches  sprechen 
können.  In  ihrer  trägen  Gleichgültigkeit  beantworten 
sie  jede  an  sie  gerichtete  Frage,  gleichsam  aufs  Gerade- 
wohl, aller  allzeit  mit  einem  gefälligen  Lächeln  durch 
ein  :  ;«,  mein  Puter ^  nein  ,  mein  Pater.  Man  stellt 
sich  leicht  vor,  wie  ungeduldig  solche  Gespräche  ganze 
Monate  lang  machen  müssen,  wenn  man  gerne  Aufklä- 
rung über  Dinge  hatte,  die  eine  lebhafte  Theilnahme 
erregen.  Oeflers  sahen  wir  uns  genöthigt,  gleichzeitig 
mehrere  Dolmetscher  und  verschiedene  Uebersetzungen 
nacheinander  zu  gebrauchen,  um  mit  den  Ur -Einwoh- 
nern uns  unterhalten  zu  können.  '0 


*)  Um  sich  von  «Ten  Verlegenheiten,  welche  diese  INIillheilun- 
gcn  durch  Dolmelscher  begleiten ,  einen  richtigen  Begriff  zu 
machen  ,  müfs  man  daran  denken  .  \v\e  auf  der  Reise  von  Le- 
wis und  Clarel«  an  den  Rio  Columbia  der  Capilain  Clark, 
um  sich  mit  den  Chapnnish- Indianern  zu  unterhallen,  mit  ei- 
nem seiner  t.eute  Englisch  sprach;  dieser  übersetzte  die  Frage 
dem  Chabaneau  französisch  ;  Chabaneau  übersetzte  seiner  in- 
dianischen Frau  das  Französische  in  die  Minetarru-lSlusiinr\\ 


Kapitel    XIX.  475 

^jUeLcr  meine  Mission  hinaus,  sagte  der  gute  Or- 
densinann  von  Uruana,  werden  Sie  wie  Stumme  rei- 
sen/'^ Diese  Vorlior?agung  ist  ungefähr  in  Erfüllung 
gegangen^und  um  nicht  allen  Vortheil^  der  aus  dem  Um- 
gang auch  mit  den  rohesten  Indianern  gezogen  werden 
magj  zu  verlieren,  hahen  wir  bisweilen  die  Zeichen- 
sprache vorgezogen.  Sobald  der  Landes -Eingebor'ne 
wahrnimmt,  dais  man  sich  keines  Dolmetschers  bedie- 
nen will,  sobald  man  ihn  durch  Hinweisung  auf  die 
Gegenstände  unmittelbar  fragt,  so  legt  er  seine  gewohnte 
Gleichgültigkeit  ab,  und  verräth  eine  nicht  gemeine  Ge- 
wandtheit, sich  verständlich  zu  machen.  Er  wechselt 
mit  den  Zeichen  ab,  spricht  die  Worte  langsam  aus, 
xmd  wiederholt  sie  auch,  ohne  dazu  aufgefordert  za 
werden.  Seine  Eigenliebe  scheint  sich  durch  die  Ach- 
tung geschmeichelt  zu  fühlen,  welche  ihm  dadurch  be- 
zeugt wird,  dafs  man  sich  von  ihm  unterrichten  läfst. 
Diese  Leichtigkeit,  sich  verständlich  zu  machen,  zeigt 
sich  besonders  auffallend  beym  unabhängigen  Indianer 
und  in  den-  cl.risllichen  Ansiedelungen  5  ich  empfehle 
den  Reisenden,  sich  vorzugsweise  an  die  seit  Kurzem 
erst  be kehrte filJr-Winyirohner  oder  an  solche  zu  wenden, 
welche  von  Zeit  zu  Zeit  in  die  Wälder  zurückkehren, 
um  ihre  vormalige  Freyheit  zu  geniefsen  '"■).  Es  unter- 
liegt keinem  Zweifel,  dafs  die  unmittelbaren  Verhält- 
nisse mit  den  Ur-Einwohnern  gar  viel  belehrender  und 


die  Frau  üLersclzte  dies  hinwieder  einem  Gefangenen  in  die 
Shosshonee :  und  der  Gefangene  dann  endiicli  in  die  Chapu' 
rj/jÄ- Sprache.  Dafs  durch  die  fünf  aufeinander  folgenden 
Uebersetzungen  der  Sinn  der  Frage  zuweilen  gefälscht  ward, 
läfst  sich  wohl  mit  Recht  befürchten. 
*}  Indios  neuvamente  reducidos  ;  Lidios  medio  •  reducldoSy  va' 
gosj  que  vuelven  almonte. 


476  Buch     VIL 

zuverlässiger  sind,  als  die,  welche  durch  Dolmetscher 
geschehen  ■'),  sobald  man  die  Fragen  zu  vereinfachen 
weifs,  und  sie  mit  zweckmäfsigen  Aenderungen  mehre- 
ren Personen  nacheinander  vorlegt.  Die  Verschieden- 
heit der  Mundarten,  welche  an  den  Ufern  des  Meta, 
des  Orenoko,  des  Cassiquiare  und  des  Rio  Negro  ge- 
sprochen werden,  ist  übrigens  dermafsen  grofs ,  daft 
ein  Reisender,  wie  ausgezeichnet  auch  sein  Sprachta- 
lent seyn  mag,  sich  niemals  schmeicheln  dürfte,  so  viele 
zu  erlernen,  als  erforderlich  wäre ,  um  sich  längs  den 
schiffbaren  Strömen,  vom  Angostura  bis  zum  Fortin  von 
San  Carlos  del  Rio  INegro  versländlich  zu  machen.  In 
Peru  und  in  Quito  ist  die  Kenntnifs  der  Qquichua  odei? 
der  Incas- Sprache  liinreichend ;  in  Chili  genügt  dai 
Araucanische ;  in  Paraguay  das  Guaranysche ,  um  sich 
dem  gröfsern  Theil  der  Bevölkerung  verständlich  zu 
machen.  Anders  verhält  es  sich  in  den  Missionen  des 
spanischen  Guiana,  wo  die  Völker  verschiedener  Stämme 
im  gleichen  Dorfe  vermischt  beysammen  leben.  Hier 
Itönnte  es  sogar  noch  nicht  genügen,  die  Cariben  oder 
(Jarina,  die  Guamo,  die  Guahlve  **),  die  Jaruro,  die 
Otomaken,  die  Maypuren,  die  Saliva,  die  Marivitan, 
die  Maquiritare  und  die  Guaica,  alle  diese  zehn  Spra- 
chen erlernt  zu  haben,  von  denen  nur  unförmliche 
Sprachlehren  vorhanden  sind,  und  deren  Verwandschaft 
zu  einander  geringer  ist,  als  diejenige  zwischen  dein 
Griechischen,  Deutschen  und  Persischen. 

Wir  fanden  die  Umgebungen  der  Mission  von  Cari- 
chana  überaus  angenehm.  Das  kleine  Dorf  liegt  in  ei- 
ner der  mit  Gras  bewachsenen  Ebenen,  welche  vom  En- 
caramada  bis  jenseits  der  Cataracten  von  Maypures  alle 


*)  Siehe  oben  Th.   2,  Kap,  9,  S.  20J. 

**y  Wird  ausgesprochen  guaslua ,  im  Spanischen  guajiva. 


K  et  p  i  t  e  l    XIX.  47- 

Glieder  des  Cranitgcbirges  von  einander  trennen.  Die 
Waldgränze  stellt  sich  nur  in  der  Ferne  dar.  Der  Ho- 
rizont erscheint  von  Bergen  begränzt^  die,  zum  Theil 
mit  U  aldung  l)e\vachsen,  ein  düsteres  Aussehen  haben, 
zum  Tiieil  nackt  sind,  mit  Felsengipfeln  gekrönt,  die 
vom  Glanz  der  Abendsonne  vergoldet  werden.  Was 
dieser  Landschaft  einen  eigenlhümlichen  Character  er- 
theilt,  das  sind  die  beynahe  alles  Pflanzenvvuchses  ent- 
blüfjten  Felsen -Bänke  *),  welche  oft  über  achthundert 
Fufs  Umkreis  haben,  und  kaum  einige'  Zoll  über  die 
umliegende  Savane  erhöht  sind.  Sie  bilden  gegenwär- 
tig einen  Theil  der  Ebene.  Man  fragt  sicii  erstaunt,  ob 
irgend  eine  aufserordentliche  Umwälzung  die  Erde  und 
die  Pflanzen  von  ihnen  weggeführt  hat,  oder  ob  der 
Granit-Kern  unsers  Planeten  sich  nackt  darstellt,  weil 
die  Keime  des  Lebens  noch  nicht  auf  allen  Puncten  sich 
entwickelt  haben.  Das  nämliche  Phänomen  scheint  sich 
auch  im  S/tamo  darzubieten.,  welches  die  Mongolei  voa 
China  trennt.  Diese  abgesonderlan  Felsenbänke  in  der 
AVüste  werden  Tsy^  genannt.  Es  würden,  denk'  ich, 
wahrhafte  Plateaus  seyn,  wenn  die  umliegenden  Ebenen 
von  Sand  und  von  der  Erde,  die  sie  decken,  und  dio 
durch  das  Wasser  an  den  niedrigsten  Stellen  angehäuft 
wurden,  entledigt  wären.  Theilnehmend  verfolgt  man 
auf  diesen  Stein  -  Plateaus  von  Carichana  die  Anfänge 
des  Pflanzenwuchses  in  den  versciüedenen  Stufen  seiner 
Entwicklung.  Man  nimmt  flechtenartige  Pflanzen  wahr, 
welche  den  Stein  zu  spalten  anfangen,  und  die  in  mehr 
oder  minder  dichten  Krusten  vorhanden  sind  j  in  klei- 
nen Häufchen  von  quarzigem  Sand  ernähren  sich  Saft- 
gewächse 5  und  endlich  in  Schichten  von  schwarzer 
Erde,  welche  in  hohlen  Spalten  abgesetzt,  und  aus  U«- 

*)  Laxas. 


478  B  n  c  h     ril. 

berbleibseln  von  Wurzeln  und  Blattern  gobildet  ist, 
waclisea  Büsche  von  schattigen,  immergrünen  Sträu- 
cliern.  Ich  würde  unserer  Gärten  und  der  schüchter- 
nen Werke  der  Kunst  nicht  gedenken,  wenn  von  gros- 
sen Nafurscenen  die  Rede  wäre;  dieser  Conlra?t  aber 
von  Felsen  und  blumigten  Gebüschen,  diese  in  der  Sa- 
vane  zerstreuten  Buschwerke  kleiner  Bäume  erinnern 
unwillkührl:ch  an  das,  was  unsere  Garlenanlagen  Man- 
nigfaches und  Malerisches  darbieten.  Man  könnte  glau- 
ben, der  Menscii  habe ,  durch  ein  inniges  Gefühl  der 
Schönheiten  der  Natur  geleitet,  die  wilde  Rohheit  die- 
ser Gegenden  zu  mildern  versucht. 

In  der  Entf<»rnung  von  zwey  bis  drev  Meilen  von 
der  Mission  stellt  sich  in  diesen  durch  Granithügel  von 
einander  gelrx?nnten  Ebenen  ein  eben  so  reicher  als 
mannigfaltiger  Pflanzenwuchs  dar.  Vergleicht  man  die 
Gegend  von  Carichana  mit  derjenigen  aller  Dorfschaf- 
ten oberhalb  der  Cataracten,  so  erstaunt  man  über  die. 
Leichtigkeit,  womit  das  Land  durchwandert  wird,  ohae 
den  Stromufern  zu  folgen  ,  und  ohne  durch  die  dichten 
Waldungen  aufgehalten  zu  werden.  Hr.  Bonpland  hat 
mehrere  Ausflüge  zu  Pferd  gemacht,  die  ihm  eine  rei- 
che Pflanzenernte  gewährten  '■*).  Ich  will  nur  des  Para- 
guatan  gedenken,  einer  prächtigen  Art  des  Macrocne- 
nium,  deren  Hinde  roth  ftirbt**);  des  Guaricamo  mit 
giftiger  Wurzel***),  des  Jacaranda  obtusifolia  ****),  und 


*)  Camhroyvkm  fraric'daefoliurn  ^  Bi|Tnonia  carlchanensis .,  B. 
fluvialiJis,  B.  salivifoUa.,  Hypericum  Euge/üae/o/i um ,  Convol-' 
vulus  disco/or,  Casearia  cap:tata,  Spathodia  oriuoceiuisy 
Heliolropiuin  cinereum^  H.  Jiliforme^  etc. 

**)  Macrocnemum  tinctorium. 

***)  Ryania  coccinea. 

****)  Siehe  unsere  PlcuUcs  eqiiin.,  Tom,  I,  p.  63,  tab.  i8. 


Kapitel    XIK.  479 

des  Serrnpe  oder  J<//je*)  der  Salivas- Indianer,  \v(4Gliep' 
Aublet  s  Couinarouna,  und  auf  der  ganzen  Terra-Firma 
um  seiner  gewürzreichen  Frucht  willen  beriihmt  ist,' 
Diese  Frucht,  die  in  Caracas  zwischen  die  Wäsche  ge- 
legt wird,  wie  man  sie  in  Europa  unter  dem  NaiTien  der 
Tonca-  oder  Toiigo  -  Bohne  dem  Schnupftabak  bey- 
mischt,  wird  für  giftig  gehalten.  Es  ist. eine  irrige,  in 
der  Provinz  Cumana  seJir  verbreitete  Me\i\ung,  dafs 
der  vortreffliche  in  Martinique  bereitete  Likör  sein  he- 
sonderes  Aroma  dem  Jape  verdankt.  In  den  Missionen 
heifst  er  Simaruba.  ein  Name,  der  grofse  MifsgriHT» 
veranlassen  kann ,  indem  die  wahre  Simaruba  eine  der. 
Gattung  Quassia  angehürige  fiebertilgt-nde  Art  Ist,  und 
in  der  spanischen  Guiana  nur  im  Thale  vom  Rio  Caura 
wächst,  wo  die  Paudacotes- Indianer  ihr  den  Namen 
^chec-chari  geben. 

Auf  dem  Marktplätze  in  Garichana  fand  ich  die  In- 
clination  der  Magnetnadel  zu  33°,7oCneuer  Eintheilung). 
Die  Intensität  der  Kräfte  drückte  sich  durch  227  Schwin- 
gungen in  zehn  Zeitminuten  aus,  ein  Zuwachs  von 
Kräften  **),  welcher  das  Daseyn  einiger  örtlicher  An- 
ziehungen vermuthen  lassen  dürfte.  Die  von  den  Ge- 
wässern des  Orenoko  geschwärzten  Granit-Biücke  wir- 
ken jedoch  nicht  merklich  auf  den  Magnet.  Die  Baro- 
meter-Höhe ***;  betrug  Mittags  336  Lin,  65  der  hun^ 


*)  Diplerix  odorata,  Willd  ,  oder  Baryosma  Tongo  von  Gaert- 
ner.   Der  Jape  liefert  in  Carichana  ein  vertrcfffiches  Bauholz. 

**)  Siehe  oben  Kap.  18,  S.  558.  Die  Breite  von  Carichana,  nach 
derjenigen  von  Uruana  und  von  der  Ausmündung  des  Met« 
berechnet,  beträgt  6", 29'. 

***)  Im  Hafen  von  Caricliana  halte  sich  der  Barometer  Tim  6  Uhr 
Abends  auf  3j5  lin.  erhallen ;  der  Thermometer  betrug  an 
frejer  Luft  36°,8.  (Siehe  weiter  oi»cn  Hp.  xü.  Ü.  igs.) 


48o  B  II  c  h     Vll. 

derltheilige  Thermometer  zeigte  im  Schallen  3o°,6. 
In  der  Wacht  sank  die  Temperatur  der  Luft  auf  26°,2  ; 
Deluc's  Hygrometer  erhielt  siel»  auf  46°. 

Der  Strom  hatte  sich  am  10.  April  den  Tag  über 
om  mehrere  Zoll  erhöhet;  dieses  Steigen  ward  den  Ein- 
gebornen  um  so  auffallender^  als  die  ersten  Anwachse 
unmerklich,  und  auch  gewöhnlich  im  Monat  April  ei- 
nige Tage  lang  mit  einer  Abnahme  begleitet  sind.  Der 
Orenoko  war  schon  um  drey  Fuf  her  dem  niedrigsten 
Wasserspiegel  erhöhet.  Die  IJr  -  Einwohner  zeigten 
uns  auf  einer  Granitmauer  di  Merkmale  dei-  jetzigen 
grofsen  Wasserhöhen.  Wir  fanden  sie  von  42  Fufs*)  Er- 
höhung, welches  das  Doppelte  ^es  mittleren  Steigens 
vom  Nil -Strom  ist.  Allein  dieses  Mafs  war  an  einer 
Stelle  genommen,  das  Bett  des  OrenoKo  aufseror- 
dentlich  zwiscb  eingeengt  ist,  und  ich  mufsta 
mich  einzig  nur  die  Aussage  der  Landes  -  Eingobor- 
nen  halten.  Man  sieht  le":ht  ein,  dal's  die  ^Vi^kuni^en 
und  die  Höhen  der  steigenden  Wasser,  je  nach  dem 
Strom- Profil,  nach  der  Beschaffenheit  der  mehr  oder 
minder  erhöheten  Ufer,  der  Zahl  der  die  Hrgenwasser 
sammelnden  Zuflüsse,  und  nach  der  Länge  des  durch- 
laufenen Erdreichs  ungleich  und  verschieden  seyn 
müssen*  Was  aber  aufser  Zweifel  liegt,  und  allen 
Bewohnern  dieser  Gegenden  höchst  merkwürdig  er- 
scheint, ist  der  Umstand,  dafs  in  Carichana,  in  San 
Borja,  in  Alures  und  Maypures,  da,  wo  der  Slrom  sich 
durch  Berge  seinen  Weg  gebahnt  hat,  auf  hundert,  zu- 
weilen auch  hundert  und  dreifsig  Fufs  über  den  gegen- 
wärtigen gröfslen  Flufshöiien  schwarze  Streifen  und 
Anfres- 

*)  Oder   iS^iS.     Die  Höhe  dos  mittleren  Steigens  vom  Mlslrom 
beträgt  14  Vorderarmlangen  des  ISilmcssers  von  Elephantine, 

oder  7", 41. 


Kapitel     XIX.  481 

Anfressungen  sichtbar  sind,  welche  den  vormaligen 
Stand  der  Gewässer  andeuten.  Dieser  Strom  des  Ore- 
noko,  ^velcher  uns  so  imposant  und  majestätisch  er- 
scheint, wäre  demnach  nur  ein  schwacher  Ueberrest 
jener  unermefsliclien  Süfswasser- Strömungen  ,  die  vom 
Alpenschnee  oder  von  stärkeren  Regengüssen  ange^- 
schwellt,  von  dichten  Waldungen  überall  beschattet, 
luid  jener  Ebenen  entbehrend,  welche  die  V^erdünslung 
begünstigen,  vornial,  da'  Land  ostwärts  der  Anden  wie 
Arme  von  ßinnennieerer  urchzoffen  haben  ?  Was  mufs 
damals  das  Verhältnifr.  dieser  niedrigen  Landschaften 
der  Guiana  gewesen  sv^^n,  welche  gegenwärtig  den  Wir- 
liungen  der  jährlichen  Ueberschwemmungen  ausgesetzt 
sind?  Welche  ungeheure  Menge '.,  Crocodilen,  See- 
kühen und  Boas  müssen  damals  ^  -r -"Uäuftiären  Ebe- 
nen  bewohnt  haben,  die  aus  wechse.  -/-n  Sumpflachen 
stillstehenden  Wassers,  und  einem  dürren,  zerrissenen 
Boden  bestunden.  Die  ruhigere  Welt,  welche  wir  be- 
wohnen, hat  auf  eine  lärmendere  Welt  gefolgt.  Kno- 
chengerippe des  Mammuth  und  achter  amerikanischer 
Elephanten  werden  auf  den  Plateaus  der  Anden  zerstreut 
^^getrofifen.  Das  Megatherium,  lebte  in  den  Ebenen 
Ton  Uruguay.  Beym  tieferen  Ausgraben  der  Erde  in 
ten  Hochthälern,  welche  heutzutage  weder  Palmbäume, 
loch  baumartige  Farnkräuter  ernähi^n  können,  wer- 
den Steinkohlenlager  entdeckt,  worin  Kiesen -Trümmer 
von  Gewächsen  aus  der  IVIonocotyled,jnen- Classe  be- 
graben liegen.  Es  war  also  eine  entfernte  Zeit,  wo  die 
Familien  der  Gewächse  anders  vertheill,  wo  die  Thiere 
gii'jfjcr,  die  Ströme  breiter  und  liefer  waren.  Hier 
enden  nun  aber  die  Denkmahle  der  ISatur,  T/elche  wir 
zu  Rath  ziehen  mögen.  Wir  wissen  nicht,  ob  das 
Menschengeschlecht,  welches  zur  ^eit  der  Entdeckung 
von    Amerika   ostwärts    der    GoYdilleren    l<aum    einige 

jll«».  V.  f/n.-nboldts  hiit.   Reisen.  JJI  3^ 


482  Buch    VlI. 

scliw  acLe  Stamme  zeigte ,  Lereits  in  die  Thäler  herat- 
gestiegen  war,  oder  ob  die  alte  Ueberlieferung  der 
grofsen  Gewässer ,  die  unter  den  Völkern  am  Orenoko, 
am  Erevato  und  am  Caura  angetroffen  wird^  anderen 
Erdstrichen  angehört,  aus  welchen  sie  in  diesen  Theil 
des  neuen  Festlandes  verpflanzt  worden  ist. 

Am    11.  April  waren   wir  um  2  Uhr  Nachmittags 
von   Carichana  abgefahren;    das   Strombett   zeigte   sich 
immer  mehr  mit  Gi'anit-Blöcken  angefüllt.     Wir  kamen 
westlich  beym  Canno  Orupe  *J  vorbey,    und  hernach 
bey  der  grofsen,  unter  dem  Namen  Piedra  del  Tigre 
bekannten  Klippe.     Der  Strom  ist  daselbst  so  tief,  dafs 
man  mit  einer   22  Ellen    langen   Sonde    seinen    Grund 
nicht  erreicht.     Gegen  Abend  ward  der  Himmel  über- 
zogen  und   düster.      Die  Nähe  des  Gewitters  kündigt© 
sich  durch  Stofswinde  an,  die  mit  gänzlicher  Luftslille 
wechselten.      Der  Regen   fiel  in   Strömen  nieder,   und 
das  Laubdach,  unter  dem  wir  gelagert  waren,  gewährt© 
ein    unzureichendes    Obdach.      Zum  Glück  vertrieben 
die  Regengüsse,  für  eine  V\  eile  wenigftens,  die  iMosqui- 
tos,  welche  uns  den  Tag  über  gi'ausam  geplagt  hatten. 
Wir  befanden  uns  dem  Wasserfall  von  Cariven  gegen- 
über, und  der  Andrang  der  Gewässer  war  so  stark,  dafj 
wir  Mühe  hatten  an's  Land  zu  kommen.     Wir  wurden 
allezeit  wieder  in  die  Mitte  des  Stroms  zurücl;gedrängt 
Endlich  sprangen  zwey  Sft/iüßj- Indianer,  vortrefflich» 
Schwimmer,  ins  Wasser,  um  mittelst  eines  Taues  di» 
Piroge  an's  Ufer  zu  ziehen,  und  sie  an  der   Piedra  de 
Carichana  vieja  zu  befestigen,    einer  nackten  Felsea- 
bank,  worauf  wir  biwackten.     Der  Donner  rollte  einen 
Theil  der  Nacht  durch  j    das  Wasser  stieg  bedeutend. 


*)   Urupe. 


Kapitel    XIX.  483 

und  man  furclilete  einigemal ,    die  Slürmisclicn  Wellen 
würden  unser  leichtes  Fahrzeug  vom  Ufer  losreifsen. 

Dor  Granitfels  j    auf   welcliem   wir    die    Nacht   zu- 
Jjrachton,  ist  einer  von  denen,  worauf  die  Reisenden  am 
Oronoko  von  Zeit  zu  Zeit  gpg'en  Sonnenaufgang  iinter- 
irdisciie  Töne   gehört  haben,    denjenigen   einer  Orgel 
iihnlich.    Die  Missionarien  nennen  diese  Sleine  laxas  de 
Tiiusica.  ,,Es  ist  Hexenwerk  (cosa  dehrnras'),^'  sagte  un- 
ser junger  indischer  Pilote,  welcher  Castilianisch  sprach. 
W\t  seihst   haben    diese   geheimnifsvollen   Töne   weder 
zu  Carichana  vieja,  noch  am   Ober-Orenoko   gehört, 
aber  den  Aussagen. glaubwürdiger  Zeugen  zufolge   mag" 
die  Wahrheit  der  Erscheinung  nicht  be/wpift^lt  werden, 
\Yfilche  von  einer  gewissen  BcschaflTenheit  der  Atmosphäre 
Iierzurühren  scheint.       Die  Felsenbanke  sind  voll  sehr 
enger  und  sehr  tiefer  Spalten.      Sie  erhitzen    sich  den 
Tag  über  bis  zu  48°  und  5o°.     Ich  habe  ihre  Tempera- 
tur an  der  Oberfläche  dos  Nachts   öfters  zu  3«)°  gpfun- 
den,    während  die  umgebende  Atmosphäre    28°    hatte. 
Es  ist  leicht  begreiflich  j  dafs  der  Unterschied  der  Tem- 
pei'atur    zwischen  der  unterirdischen  und  der  äufseren 
Luft   sein    IMaxirnnm    gegen    Sonnenaufgang  erreicht, 
in  dem  Augenblick,    welcher  zugleich  der  entfernteste 
1  om  Zeitpunct  des  Maximums  der  Wärme  des  vorher- 
gehenden  Tages   ist.      Sollten    die    Orgeltöne,    welche 
man  bevm  Nachtlager  auf  dem  Felsen  höi-t,    wenn  das 
Ohr  sich  an  den  Stein  lehnt,  nicht  die  Wirkung  einer 
durch    die    Spalten    austretenden    Luftströmung   seyn? 
Sollte  der  Andrang  der  Luft  gegen  elastische  Glimmer- 
blätlchen,    welche    die    Spalten    zum    Theil   ausfüllen, 
nicht  zur  Modification   der    Töne  beytragen  ?     Liefse 
sich  nicht  vermuthen,  es  haben  die  alten  Bewohner  Ae- 
gyptens ,    bey  ihrem  beständigen   Auf-   und  Niederfah- 
ren des  Nilslroms  j  die  nämliche  Beobachtung  auf  ir^ 


48+  Buch     VII. 

gend  einem  Felsen  der  ihcbaischen  Wüste  gemacht, 
und  es  habe  die  JMiisik  des  Felsen  zu  den  Gaukeleyen 
der  Priestor  mit  der  Bildsäule  des  Meninon  die  Veran- 
lassung gegeben?  Damals  vielleicht,  als  ,,die  rosen- 
fingrige  Aurora  ihrem  Sohn ,  dem  glorreichen  Mem- 
non,  die  Stimme  verlieh  '"•')."  Diese  Stimme  war  dieje- 
nige eines  unter  dem  Fulsgestell  des  Bildes  verborgenen 
Menschen;  die  hier  angeführte  Beobachtung  der  Ur- 
Einwohner  vom  Ürenoko  scheint  aber  auf  eine  natürli- 
che Weise  zu  erklären,  was  den  Glauben  der  Aegyptier, 
dafs  ein  Stein  bey  Sonnenaufgang  Tüne  erschallen  lasse, 
veranlafst  hat. 

Beynahe  zur  gleichen  Zeit,  '.vo  ich  diese  Vermu- 
thungen  einigen  europäischen  Gelehrten  mittheilte, 
sind  franzilsisciie  Reisende,  die  Herren  Jomard,  Jollois 
und  Devilliers  auf  ähnliche  Ideen  geführt  worden.  In 
einem  Denkmahl  aus  Granit,  welches  mitton  im  Pallast 
von  Karnak  steht,  haben  sie  bey  Sonnenaufgang  einen. 
Ton  gehört,  welcher  demjenigen  einer  springenden 
Saite  glich.  Dies  ist  gerade  auch  die  Vergleichung, 
deren  sich  die  Alten  bedient  haben,  wo  sie  von  derMem- 
nons- Säule  reden.  Die  französischen  Reisenden  waren 
eben  so,  wie  ich,  der  Meinung,  es  habe  der  Durch- 
gang der  verdüiu»ten  Luft  durch  die  Spalten  eines  wi- 
derhallenden Steins  die  ägyptischen  Priester  auf  die  Er- 
findung der  Gaukeleyen  des  Memnoniums  führen  kön- 
nen **). 

Am  12.  April  setzten  wir  unsere  Reise  frühmor- 


*)  Es  sind  dies  die  Worle  eitipr  Inschrift,  weldie  von  den  am 
i5.  des  Monats  Paclion  im  ^l'lmlcn  Jahr  der  Regierung  Anlo- 
nio's  gehörten  Tönen  Zeugnifs  ablegt.  Siehe  xllon.  de  l'E- 
gypte  ancienne^  Vol.  JI.  p.  XXIJ,  fig.  6. 

**)  A.  a.  0.  Tom.  I,  p.  io3  und  2a4. 


Kapitel    XIX.  485 

gerts  um  vier  Uhr  weiter  fort.  Der  Missionar  verkün^ 
digte  eine  beschwerliche  Fahrt  bey  den  rapides  und  der 
Ausmündung  des  Meta  vorüber.  Die  Indianer  ruder- 
ten zwölf  und  eine  halbe  Stunde  ununterbrochen,  Ma- 
nioccamehl  und  Pisangfrucht  waren  während  dieser 
Zeit  ihre  einzige  Nahrung.  Bedenkt  man  die  Anstren- 
gung, welche  der  Kampf  gegen  die  mächtige  Strömung 
und  die  Gewalt  der  Cataracten  erheischt,  und  überlegt 
man  diesen  anhaltenden  Gebrauch  der  Muscularkräfto 
während  zwey  Monate  andauernder  Stromfahrten,  so 
erstaunt  man  gleichmalsig  über  die  kraftvolle  Leibesbe- 
schaft'enheit  und  über  die  Enthaltsamkeit  der  Indianer 
am  Orenoko  und  am  Amazonen- Strom.  Stärkmehlai*- 
tige  und  zuckerhaltige  Substanzen,  zuweilen  Fische  und 
das  Fett  der  Schildkröten -Kyer  versehen  die  Stelle  der 
den  zwey  ersten  Classen  des  Thierreichs,  der  Säugthiere 
und  Vögel,   enthobnen  Nahrungsmittel  *). 

Wir  fanden  das  Strombett  in  einer  Länge  von  600 
Toisen  mit  Granit-Blöcken  angefüllt.  Es  ist  dies  der 
sogenannte  Piaudal  de  Cariven  **).  Wir  fuhren  durch 
Canäle,  die  keine  fünf  Fufs  breit  waren.  Zuweilen 
ward  unsere  Piroge  zwischen  zwey  Granitblöcken  fest- 
gehalten. Man  suchte  die  Stellen  zu  vermeiden,  wo 
die  Gewässer  sich  mit  entsetzlichem  Geräusch  Weg 
bahnten.  Mit  einem  guten  indischen  Steuermann  ver- 
sehen, läuft  man  keine  Gefahr.  Wo  die  Strömung  all- 
zuschwierig wird,  da  werfen  sich  die  Ruderer  in's  Was- 
ser, und  befestigen  ein  Tau  an  die  Felsenspitzcn,  um 
die  Piroge  stromaufwärts  zu  ziehen.  Dies  mühsame 
Verfahren  erheischt  viele  Zeit,  die  zuweilen  von  uns 
benutzt  ward,  um  die  Klippen  zu    ersteigen,  zwischen 


*)    Tliiere  mit  rothem  und  warmem  Blut. 
**)  Oder  Chrlveni. 


486  Buch     VII. 

denen  wir  durchfuhren.  Es  glcbl  ihrer  von  allen  Grös- 
sen 5  sie  sind  abgerundet,  sehr  schwarz,  glänzend  wie 
Bley,  und  von  aller  Vegetation  enlhlüfst.  Es  gewährt 
einen  ganz  aurscrordentlichen  Anblick,  die  Gewässer 
eines  der  grüfsten  Ströme  des  Erdballs  gleichsam  ver- 
sciiwinden  zu  sehen.  Auch  sogar  in  weiter  Entfernung 
vom  Gestade  saht  n  wir  die  mächtigen  Granitblöcl'.e  aus 
der  Erde  emporsteigen  und  sicli  gegen  einander  lehnen. 
In  den  Rapides  sind  die  Zwischen -Canäle  über  25  El- 
len lief,  und  ihre  l'ntersuchunar  wird  um  so  schwieri- 
ger, als  die  Fehen  im  Grund  oft  äufscrst  enge  sind,  und 
über  der  Wasserfläche  gleichsam  hängende  Gewölbe  bil- 
den. Crocodile  haben  wir  im  Putudal  de  Cariven  kei- 
ne wahrgenommen.  Es  scheinen  diese  Tliiere  den 
Lärm  der  Cataracti^n  zu  meiden. 

Von  Cabruta  bis  zur  Mündung  des  Rio  Sinaruco, 
in  einer  Entfei-nung  von  beynahe  zwey  Breilcgraden, 
ist  das  linke  Ufer  des  Orenoko  völlig  unbewohnt;  dage- 
gen hat  westlich  vom  Raudal  de  Cariven  ein  unter- 
nehmender Mann,  Don  Felix  Belinchon,  die  Jaruros- 
und  Otomaken -Indianer  in  ein  kleines  Dorf  versammelt. 
Es  ist  dies  ein  Civilisations- Versuch,  worauf  die  Mönche 
Keinen  uumittelbaren  Einflufs  halten.  Es  wäre  über- 
flüssig beyzufi'igen  ,  dafs  Don  Felix  in  offener  Fehde 
mit  den  Missionarien  vom  rechten  Ufer  des  Orenoko  lebt. 
Wir  werden  bey  einer  andern  Gelegenheit  die  wichtige 
Frage  untersuchen,  ob  in  der  gegenwärtigen  Lage  des 
spanischen  Amerika  solche  Capitanes  pobladores  und 
fnndadores  an  die  Stelle  der  mönchischen  Einrichtun- 
gen gebracht  werden  können,  und  welche  von  den  zwey, 
gleich  launischen  und  willkürlichen  Regierungen  für 
die  armen  Indier  mehr  zu  fürchten  ist? 

Um  neun  Uhr  gelangten  wir  in  unserer  Stromauf- 
fahrt vor  die  Mündung  des  Meta,  der  Stelle  gegenüber. 


Kapitel    XIX.  487 

%vo  vormals  die  von  den  Jesuiten  gestiftete  IVIission  von 
Santa  Teresa  lag.  Der  Meta  ist  nach  dem  Guaviare 
der  belräclitliclistc  Strom,  welcher  sicli  in  den  Orenoko 
crf>iorst.  Man  kann  ihn  mit  der  Donau  vergleichen, 
nicht  hinsichtlich  der  Länge  seines  Laufes,  wohl  aber 
seiner  Wassermasse.  Seine  mittlere  Tiefe  beträgt  36 
Fufs,  die  höchste  erreiciit  84.  Die  Vereinbarung  beyder 
Ströme  gewährt,  einen  sehr  imposanten  Anblick.  Verein- 
zelt stehende  Felsblöcko  erheben  sich  am  östlichen  Ge- 
stade. Uebereinander  liegende  Granitblöcke  sehen  von 
ferne  zertrümmerten  Schlössern  gleich.  Ausgedehnte 
Sandufer  entfernen  die  Grenze  der  Waldungen  vom 
Strome;  aber  mitten  unter  denselben  erblickt  man  über 
dem  Horizont  einzelne,  am  Himmelsraiim  sich  darstel- 
lende und  die  Berggipfel  krönende  Palmenbäume. 

Wir  verweilten  zwey  Stunden  auf  einem  grofsen, 
mitten  im  Orenoko  befindlichen  Felsen ,  welcher  der 
Stein  der  Geduld  "-^  heifst,  weil  die  stromaufwärts  fah- 
renden Pirogen  zuweilen  zwey  Tage  brauchen,  um 
den  von  diesem  Fels  herrührenden  Wasserstrudel  zu- 
rückzulegen. Es  gelang  mir  meine  Instrumente  daselbst 
aufzustellen.  SonnenhöI)en  gaben  mir  **)  für  die  Län- 
ge der  Mündung  des  Meta  7o°4'29''.  Diese  chronome- 
trische Beobachtung  zeigt^    dafs  an  dieser  Stelle  d'An- 


*)  Piedra  de  la  Vac'iencia. 

**)  Siehe  meine  Obs.  astr.,  Tom.  I,  p.  222.  Der  Pater  Caulin 
hat  da,  wo  er  der  im  Jahr  1756  auf  der  Reise  von  Iturria- 
ga  und  Solano  gemachten  Beobachtungen  gedenkt,  ausdrück- 
licli  bemerkt,  der  Breitegrad  der  Ausmündung  des  Meta  sey 
6°, 20'  (Hist-  corogr.  ^  p,  70),  und  dennoch  findet  sich  der- 
selbe auf  den  nach  eben  diesen  Beobachtungen  gezeichneten 
Charten,  denjenigen  von  Survüle  und  von  La  Cruz  zu  6°7' 
Hnd  6°  10'  angegeben. 


488  B  n  c  h     vn. 

ville's  Cliarte  des  südlichen  Amerika  hinsichtlich  der 
Länge  beynahe  durchaus  richti^«^,  in  der  Breite  hinge- 
gen um  einen  Grad  fehlerhaft  ist. 

Der  Rio  Meta,  welcher  die  weiten  Ebenen  von 
Casanare  durchströmt  und  bis  an  den  Fufs  der  Anden 
von  INeu- Granada  schiffbar  ist,  wird  einst  für  die  Ein- 
wohner von  Guiana  und  Veftezuela  eine  grofse  politische 
Wichtigkeit  erhalten.  Vom  Trauergolf  und  von  der 
Mündung  des  Drachen  mag  eine  Flottille  den  Orenoko 
und  den  Meta  bis  zu  i5  oder  20  Meilen  Entfernung  von 
Santa -Fe  de  Bogota  ansteigen.  Das  Getreidemehl  von 
ISeu-Grauada  kann  hinwieder  auf  gleichem  Weg  herab- 
kommen. Der  Mota  ist  gleichsam  ein  Verbindungsca- 
nal  zwischen  Ländern,  die  unter  gleicher  Breite  liegen, 
deren  Erzeugnisse  aber  so  verschieden  sind,  wie  dieje- 
nigen von  Frankreich  und  von  Senegal.  Dieser  Um- 
stand macht  die  genaue  Kenntnifs  der  Quellen  eines 
auf  unsern  Charten  so  fehlerhaft  gezeichneten  Stromes 
wichtig.  Der  Meta  entsteht  durch  die  Vereinbarung 
zweyer  Ströme,  die  von  den  Pax-amos  de  Chingasa  und 
Von  Sunia  Paz  herkommen.  Der  erste  ist  der  Kio  Negro, 
welcher  tiefer  unten  den  Pachaquiaro  aufnimmt ;  der  zwey- 
le  ist  der  Rio  de  Aguasblancasoder  Umadea.  Ihr  Zusam- 
jnenflufs  geschieht  in  der  Nähe  des  Hafens  von  Marayal. 
Vom  Passo  de  la  Cabulla,  wo  man  den  Rio  Negro  ver- 
läfst,  beträgt  die  Entfernung  der  Hauptstadt  von  Santa - 
Fe  nur  8  oder  10  Meilen.  Ich  habe  diese  merkwürdi- 
gen Angaben,  so  wie  ich  dieselben  von  Augenzeugen 
sammelte,  in  der  ersten  Ausgabe  meiner  Charte  vom 
Rio  Meta  verzeichnet  *).     Die  Beschreibung  der  Reise 


*)  Atlas  geogr.,  PI.  XIX. 


li  et  p  i  t  e  l     XIX.  489 

des  Canonicus  Don  Jost^f  Cortes  Madariaga  hat  niclit 
nur  meine  ersten  Ansichten  über  die  Quellen  des  Meta 
Leslätigt^  sondern  mir  auch  für  die  Vervollkommnung 
meiner  Arbeit  höchst  schätzbare  Materialion  geliefert. 
Von  den  Dörfern  Xiramena  und  Cabullaro  bis  zu  den- 
jenigen von  Guanapalo  und  Santa  Rosalia  de  Cabapuna, 
auf  einer  Länge  von  60  Meilen,  sind  die  Gestade  des 
INIela  bevölkerter,  als  des  Orenoko.  Man  findet  da  14 
christliche,  zum  Theil  sehr  zahlreiche  Niederlassun- 
gen 5  aber  von  den  Mündungen  des  Pauto  und  des  Casa- 
nare  an  wallen  in  einer  Strecke  von  mehr  denn  5o  Mei- 
len die  Wilden  Guahibos  -0  an  den  Gestaden  des  Meta. 

Zur  Zeit  der  Jesuiten  und  vorzüglich  während  der 
Reiseunternehmung  Iturriaga's  im  Jahr  1756  war  die 
Schiffahrt  auf  diesem  Strome  gar  viel  thätiger,  als  sie 
gegenwärtig  nicht  ist.  Missionarien  des  gleichen  Or- 
dens herrschten  damals  an  den  Gestaden  des  Meta 
und  des  Orenoko.  Die  Dörfer  von  Macuco,  von  Zuri- 
niena  und  Casimena  waren  gleichmäfsig  durch  Jesuiten 
gegründet  worden  ,  wie  diejenigen  von  Uruana,  Enca- 
ramada  und  Carichana.  Es  lag  im  Plan  dieser  Väter, 
eine  Reihenfolge  von  Missionen  zu  gründen,  die  sich 
voTn  Zusammenflufs  des  Casanare  mit  dem  I\Ieta  bis  zum. 
Zusammenflufs  des  Meta  mit  dem  Orenoko  ausdehnen 
sollte.  Ein  schmaler  Strich  angebauten  Landes  hätte 
die  ausgedehnte  Steppe  durchzogen,  welche  die  Wäl- 
der der  Anden -Guiana  von  j\eu- Granada  trennt.  Aus- 
ser den  Mehlvorräthen  von  Santa -Fe  sah  man  damals, 
zur   Zeil  der  Ernte  der  Schildkiöten-Ever,    auch   day 


*)  Man  schreibt  Guajibos,  Guahiuos,  und  Guagiuos.     Sie  selbst 
nennen  sich  Gua-ii>a. 


490  'Bach     ni. 

Salz  von  Chita ,  die  Bauinwolltiiclier  von  San  Gil  und 
die  farbigen  Decl^en  von  Socorro  den  Slrom  her.il)  schif- 
fen. Um  den  kleinen  Krämern,  die  sich  mit  diesem 
Binnenhandel  ahgaben,  einige  Sicherheit  zu  verschaf- 
fen, wurden  vom  Cnslillo  oder  Fortin  von  Carichana 
von  Zeit  zu  Zeit  Ausftille  gegen  die  Guahibos- Indianer 
gemacht. 

Weil  der  nämliche  Weg,  welclier  den  Handel  der 
Erzeugnisse  von  Neu- Granada  begünstigte,  auch  den 
Schleichhandel  der  Küsten  von  Guiana  erleichtert,  so 
hat  der  Handelsstand  von  Carlhagena  in  Indien  von  -'er 
Regierung  Mafsnahmen  ausgewirkt,  welche  den  freyen 
Handel  auf  dem  Meta  ungemein  beschränken.  Der 
gleiche  Monopolien- Geist  hat  den  Meta,  den  Rio  Atracto 
und  den  Amazonenslrom  verschlossen.  Seltsame  Staats- 
lilugheit,  welche  die  Muttorstaaten  glauben  macht,  dafs 
ihr  V"orth(;il  erheische,  Länder  unbebaut  zu  lassen,  in 
welchen  die  Natur  die  Keime  jeder  Fruchtbarkeit  nie- 
dergelegt hatte.  Die  wilden  Indier  haben  sich  die  man- 
gelnde BeA-ülkerung  überall  zu  Nutz  gemacht.  Sie  ha- 
lben sich  den  Strumen  genähert,  sie  beunruhigen  die 
Durchreisenden,  und  sie  suchen  wieder  -ii  erobern, 
was  sie  seit  Jahrhunderten  eingebüßt  hatten.  Um  die 
Guahibos  im  Zaum  zu  halten,  wollten  die  Kapuziner- 
Missionarien,  die  in  den  Missionen  am  Orenoko  den 
Jesuiten  folgten,  an  der  Ausmündung  des  Meta*)  eine 
Stadt  erbauen,  die  den  Namen  f'il/a  de  San  Carlos 
führen  sollte.  Trägheit  und  die  Furcht  vor  Wechsel- 
fiebern  haben  de  Ausführung  dieses  Planes  gehindert. 


*)  Oestlich  von  f.ahranza  grande  und  nord- westlich  von  Pore, 
der  jetzigen  Hauptstadt  der  Provinz  Oasanare. 


H  n  p  i  t  e  l    XIX.  49i 

und  es  ist  von  der  Stadt  VIUa  de  San  Carlos  nie  etuas 
anders  vorhanden  gewesei».;,.  als  ihr  auf  schünein  Perga- 
ment gemaltes  Wappen? cliiJJ,  und  ein  ungeheuer  hohes 
am  Gestade  des  Mela  errichtetes  Kreuz.  Die  Guahihos, 
deren  Zahl,  wie  man  hehauptct,  aui*  einige  Tausend© 
ansteigt,  sind  so  frech  geworden,  dafs  sie  hej  unserer 
Durchreise  in  Carichana  dem  Missionar  hallen  hedeu- 
ten  Kassen,  sie  würden  aui- Flüfsen  kommen,  um  sein 
Dorf  zu  verbrennen.  Diese  Ftüfse  (valzas'y,  die  wir  zu 
sehen  Gelegenheit  hallen,  sind  auf  zwölf  Fufs  Läng© 
kaum  driy  Puls  breit.  Sie  tragen  mehr  nicht  ais  zwey 
oder  drey  Indianer  5  aber  i5  oder  16  solcher  Flöfso 
werden  mit  Stengeln  der  Paullinia,  der  Dolichos  und 
anderer  Rankenpflanzen  aneinander  gebunden.  Es  Ist 
beynahe  unbegreiflich,  wie  diese  leichten  Fahrzeug© 
beym  Durchgang  der  rapides  unzerstürt  und  mit  ein- 
ander verbunden  bleiben.  Viele  Flüchtjinge  aus  den 
Dörfern  Casanare  und  Apure  haben  sich  den  Guahiboa 
angeschlossen  5  sie  haben  diesen  die  Sitte,  das  Ochsen- 
fleisch zu  speisen  und  die  Ochsenhäut^  zu  benutzen, 
übei'liefert.  Die  Meyereyen  von  San  Vicento,  vom  Ru- 
bio  und  von  San  Antonio  haben  durch  die  Ui^berfälle 
der  Indier  einen  grofsen  Theil  ihres  Hornviehs  einge- 
büfst.  Sie  sind  es  hinwieder  auch,  welche  die  Pieisen- 
den,  die  den  Mela  aufschiflen,  bis  zum  Zusamraenflufs 
des  Casanare  am  Gestade  zu  übernachten  hin<'/era.  Zui? 
Zeit  der  niedrigen  Gewässer  geschieht  es  öfters,  daf» 
Meine  Krämer  von  IN eu- Granada,  deren  einige  noch 
das  Lager  von  Pararuma  besuchen,  durch  die  vergifte- 
ten Pfeile  der  Guahihos  gel  jdtet  ^-^  e;  uen. 

Von  der  Ausmündung  des  Mela  an  schien  uns  der 
Orenoko  weniger  Klippen  und  Felsenhiöcke  zu  entbal- 
tcr«     Wir  schiliten  in  einenj  yoo  Toisen  breiten  CauÄl. 


49^  B  u  c  h     VIL 

Die  Indianer  ruderten  in  der  Piroge,  ohne  sie  zu  ver- 
holen und  ohne  ihre  Arme  stark  anzustrengen;  hin- 
gegen ermüdeten  sie  uns  durch  ihr  wihles  Geschrey. 
Wir  kamen  westlich  bey  den  Cannos  Vita  und  Endava 
vorbey.  Es  war  bereits  Nacht,  als  wir  vor  dem  Pian- 
dal  de  Tahaje  eintrafen  *).  Die  Indier  wollten  es  nicht 
wagen  den  Wasserfall  vorbey  zufahren,  und  wir  über- 
nachteten am  Lande  an  einer  höchst  unbequemen  Stelle, 
auf  einer  über  18°  eingesenkten  Felsenbank,  die  in  ih- 
ren Spalten  einer  Scliaar  Fledermäuse  zum  Aufontlialt 
diente.  Wir  hörten  die  ganze  Nacht  durch  das  Ge- 
schrey des  Jaguars  völlig  in  der  Nähe.  Unser  grofser 
Hund  beantu  ortete  dasselbe  durch  ein  anhaltendes  Heu- 
len. Ich  hofite  vergebens  auf  die  Steniej  der  Himmel 
war  von  furchtbar  dunkler  Schwärze.  Das  dumpfe  Ge- 
tös der  Wasserfälle  des  Orenoko  contrastirle  mit  dem 
Knall  des  Donners,  der  fern  gegen  den  Wald  hin  rollte. 

Am  i3.  April  kamen  wir  frühmorgens  bey  den 
Wasserfällen  von  Tahaje  vorbey,  dem  Ziel  der  Heise 
des  Pater  Gumilla  ""'O;  und  wir  stiegen  hier  wieder  an's 
Land.  Der  Pater  Zea,  welcher  uns  begleitete,  wollte 
in  der  seit  zvvey  Jahren  errichteten  neuen  Mission  von 
San  ßorja  Messe  lesen.  Wir  fanden  daselbst  sechs  von 
nicht  -  catechisirten  Guahibos  bewohnte  Häuser.  Sie 
waren  von  den  wilden  Indiern  durch  nichts  unterschie- 
den. Ihre  ziemlich  grof^en  und  schwarzen  Augen 
drückten  mehr  Lebhaftigkeit  aus,  als  die  Augen  der  in 


*)   Tai'aje^  olme  Zweifel  Atavoje. 

**)  Ort-ncgiie  ilhisLre  (franz.  Uel)er3.) ,  Tom.  I.  p.  '19  und  ;?f. 
Gumilla  verndierl  jedocji,  p.  CG,  auf  dem  Tjnaviare  g!».«chiilt 
zu  haben.  Er  giebt  für  den  Raudal  de  Jabaje  1°  4  UrJite 
«n,  wobey  eine  Irrung  von  5°   10'  wallet. 


Kapitel     XIX.  493 

den  allen  Missionen  wohnenden  Indianer.  Wir  boten 
ihnen  vergebens  Branntwein  anj  sie  wollten  ihn  auch 
nicht  einmal  scliinecken.  Die  jungen  Mädchen  hatten 
alle  runde  und  schwarze  Flecken  im  Gesicht.  Man  hätte 
sie  für  Schönjlechchen  halten  können,  deren  sich  vor- 
mals die  Frauen  in  Europa  bedienten,  um  die  Weifse 
ihrer  Haut  damit  zu  erliühen.  Der  übrige  Körper  der 
Guahibos  war  nicht  bemalt.  Melirere  hatten  Barthaare, 
sie  schienen  stolz  darauf  zu  seyn  5  und,  indem  sie  uns 
beym  Kinn  fasten ,  gaben  sie  durch  Zeichen  zu  verste- 
hen, sie  seyen  gebildet  wie  wir.  Ihr  Wuchs  war  über- 
haupt schlank.  Hier  neuerdings,  wie  bey  den  Salivas 
und  Macos,  befremdete  mich  die  wenige  Einförmigkeit 
der  Gesichtszüge  dieser  Indianer  vom  Orenoko,  Ihr 
Blick  ist  finster  und  traurig;  er  zeigt  weder  Härte  noch 
Wildheit.  Ohne  einigen  Begriff  von  den  Gebräuchen 
der  christlichen  Religion  zu  haben  (der  Missionar  von 
Carichana  liest  in  San  Borja  nicht  mehr  als  drey  oder 
vier  Mal  im  Jahr  Messe),  war  ihr  Betragen  in  der  Kir- 
che überaus  anständig.  Die  Indianer  lieben  Alles,  was 
Ansehen  giebt  Cla  representation) ;  sie  unterziehen  «ich 
gern  für  eine  kurze  Weile  allem  Zwang  und  Unterwür- 
figkeit, wofern  sie  nur  bemerkt  zu  werden  versichert 
sind.  Im  Augenblick  der  Einsegnung  gaben  sie  einan- 
der durch-  Zeichen  zu  verstehen,  der  Priester  werde 
jetzt  den  Kelch  an  seine  Lippen  b?ingen.  Diese  Liewe» 
gung  ausgenommen,  blieben  sie  völlig  still  in  unbtör- 
barer  Gleichgültigkeit. 

DieTheilnahme,  mit  der  wir  die  Verhältnisse  die- 
ser armen  Wilden  untersuchten,  ist  vielleicht  Ursache 
der  Zerstörung  der  Mission  geworden.  Einige  aus  ih- 
nen ,  die  ein  umherziehendes  Leben  den  Arbeiten  des 
Landbaues  vorzogen,  beredeten  die  übrigen  nach  de» 


49^  Buch     VII. 

Ebenen  des  Meta  zurückzukehren.  Sie  sagten  ihnen: 
,,Die  weilsen  Menschen  würden  nach  San  Borja  zurück- 
l<ommen,  um  sie  in  ihren  Kähnen  abzuführen,  und  als 
poitos  oder  Sclaven  in  Angostura  zu  verkaufen/^  Dio 
Guahibos  erwarteten  die  Nachricht  von  unserer  Rück' 
kehr  vom  Rio  Negro  durch  den  Cassiquiare  5  und,  als 
sie  inne  wurden,  wir  seyen  beym  ersten  greisen  Wasser- 
fall, dem  von  Atures,  eingetrolkMi,  zogen  sie  alle  weg, 
und  flüchteten  in  die  den  CKrenoko  westlich  begränzen- 
den  Savanen.  Schon  dio  Jesuiten  -'jVäter  hatten  eine 
Mission  an  eben  dieser  Stelle,  die  au&h  den  gleichen 
Namen  führte,  gegründet.  Kein  Indicr- Stamm  ist 
schwieriger  an  einen  festen  Wohnsitz  zu  gewöhnen,  als 
die  Guahibos.  Sie  mögen  sich  lieber  mit  faulen  Fi- 
schen, Scolopendern  und  W^ürmern  nähren,  als  ein 
Weines  Stück  Land  anbauen.  Darum  sagen  auch  die 
übrigen  Indianer  sprichwörtlich:  „ein  Guahibos  ifst 
Alles,  was  auf  und  unter  der  Erde  vorkömmt.^^ 

Beym  südwärts  Aufschiffen  des  Orenoko  nahm  die 
Hitze  keineswegs  zu,  sondern  sie  ward  vielmehr  er- 
träglicher. Den  Tag  über  *)  betrug  die  Ten)peratur 
der  Luft  26°  oder  27°,5,  des  IVaclkts  **)  23°,7-  Das 
Wasser  des  Orenoko  behielt  seine  gewöhnliche 
Temperatur  ***)  von  27°,?.  Die  Plage  der  IMosqnitos 
jiahm^  der  verminderten  Wärme  unerachtet,  jämmer- 
lich zu.  Nirgends  hatten  wir  so  arg  davon  gelitten, 
äIs  in  San  Borja.  Man  konnte  weder  sprechen ,  noch 
das  Gesicht  entblöfsen,  ohne  Mund  und  Nase  mit  die- 
sen 

*)  20", 8  oder  22«»  R, 
**)  19°  R. 
*'*)  ii.°,^  R. 


Kapitel    XJX.  496 

sen  In«ccton  angefüllt  zu  bekommen.  Wir  wunderten 
uns  den  Thermometer  nicht  auf  35°  oder  36^  angestie- 
gen zu  sohen  5  die  so  ausn^ehmend  erhöhete  Hautrei- 
zung liefs  uns  glauben,  die  Lult  sey  glühend.  Wir 
biwackten  am  Gestade  von  Guaripo  *).  Die  Furcht  vor 
den  kleinen  Caribes- Fischen  hielt  uns  vom  Baden  ab. 
Die  Crocodile,  welchen  wir  an  diesem  Tag  begegneten, 
waren  alle  von  ungewöhnlicher  Gröfse,  22  bis  24  Fufs 
lang. 

.Am  14.  April  bewog  uns  die  Plage  der  Z,cinciidos 
um  5  Uhr  morgens  abzureisen.  In  der  unmittelbar  über 
dem  Strom  ruhenden  Luftschichte  befinden  sich  weni- 
ger Insecien,  als  unfern  vom  Saum  der  Waldungen. 
Zum  Früh-tück  macliten  wir  auf  der  Insel  Guachaco  *''^'') 
Halt,  wo  eii»e  Sand-  oder  Aggloniei'at- Formation  un- 
mittelbar den  Granit  deckt.  Die?er  Sandstein  enthält 
Bruchstücke  von  Ouarz  und  selbst  auch  Fcldspath  durch 
verhärteten  Thon  gekittet.  Er  zeigt  kleine  Adern  von 
Braun-Eisenerz,  das  sich  in  linsendichten  Blättchen  oder 
Platten  ahlöst.  Wir  iiatten  bereits  solche  Blättchen  am 
Gestade  zwischen  dem  Encaramada  und  dem  Baraouan 
angetroffen,  wo  die  Missionarien  solche  bald  für  Gold- 
erz, bald  für  Zinn  hielten.  Es  ist  walirscheinlich,  dafs 
diese  Secondar- Formalion  vormals  eine  gröfsere  Aus- 
dehnung hatte.  JNachdem  wir  bey  der  Mündung  des 
Rio  Parueni,  jenseits  welcher  die  Macos  -  Indianer 
wohnen,  vorübergekommen  waren,  biwackten  wir  auf 
der  Insel  von  Panumana.     Wicht  ohne  Mühe  konnte  ich 


•)  Hölie  des  Barometers  um  G  Uhr  Ahends  335  ^'"  6.  (Ihin- 
derttli.  'Iherm.  ih''o  )  Die  Ideinen  Unregelmärsigljpiten  der 
stündlichen  Variationen  machen  den  Einfluis  des  .Stromfalis  auf 
die  Höhe  des  Barorneters  hevnahe  unmerklich. 

**)  Oder   Vachaco. 

Alex.  V.  Humboldts  hisf.  Rtisen.  III.  2^ 


4q6  Buch     J'II. 

Höhen  des  Canopus  ernalten,  um  diß  Länfrenhe^tiin- 
inung  ■"•)  dieses  Punctes  zu  machen ,  bey  welchem  der 
Strom  sich  auf  einmal  nach  Werten  wendet.  Die  Insel- 
Panumana  besitzt  einen  grofsen  Heichthum  an  Pflanzten. 
Es  finden  sicli  hier  abermals  jene  nackten  Felsbänke, 
jene  jVlelastoinen  -  Gebüsche^  jene  Boskets  von  Sträu- 
chern, die  uns  in  den  Ebenen  von  Carichana  so  aulTr.l- 
lend  gewesen  waren.  Die  Berge  der  grofsen  WaSber- 
fälle  begräiizten  den  Horizont  süd- östlich.  Im  weite- 
ren Vorrücken  bemerl^ten  wir,  dafs  die  Gestade  des  Ure- 
noko  ein  imposanteres  und  malerisches  Ansehen  ge- 
wannen. 


*)  Länge  ro^S'Sg'',  in  Voraussetzung ,  nach  den  Reise-Entfer- 
nunjjen,  die  Breite  der  Jnsel  scy  5''4i'. 


Druckfehler 

im      ersten      Theil. 

Seite  61   Zeile  22  Genf,  statt  10°, i    lies  9", 6. 

—  61     —      24  Toulon,  St.  17°  5  I.  16», 7. 

—  61     —      27  rseapel,  st.   iS^o  I.   17"  5. 

—  202     —        2  V.  utilcn  1.  cheiranthifolia. 

—  '450     —        2  V.  unten  Laguna  ^tadt,  1.  264  Toisen,  nach  Hrn. 

von  Buch. 

Im      zweyten      Theil. 
Seite     3     Zeile    8  lies  Petrarca. 

—  7       —  <*i'4  1.  hervorstehender,  so  lange. 

—  12  —       6  1.  Zucl<errohr, 

—  26  —       7  u.  J I  von  unten  1.  Aublet. 

—  28  —        4  V.  unlen  I.  apiifolia. 

—  3i  —  i3  V.  unlen  1.  dafs. 

—  41  —        7  V.  unten  I.  um,  gemolken. 

—  42  —  i4  1.  Bemerkung. 

—  45  —  17  I.  des. 

—  46  —      5  V.  unten  1.  Stvartz. 


Seile  66  Zeile  ß  ist  das   Vcrblndungs/cinlipii  nacli   Alpcnkallistein 
weg-ÄUSlrcKiiCii. 

—  85  —       2  V.  unten  1.  Meridianhöheii  von  Deneb  du  Cignc. 

—  85  —  12  V.  unicn  I.  Rüchen. 

—  91  —  i5  V.  unlcn  1.  er. 

—  lo^  —  17   1.  erl)liol;l. 

—  106  —  6  V.  unten  I.  Genipa. 

—  11/,  —  i5  V.  unten  sind  die  Worte,  um  die  Mitte  des  Ta- 

'    ges^  durchzustreichen, 

—  126  —  17  '•  Schichten. 

—  120  —  i5  V.  unten  nach  Pflanzen  setze  ein  Comma. 

—  i33  —  12   I.  unwichtig. 

—  i57  —  5  J.  lafst. 

—  107  —       71.  Boden. 

—  141  —  3  V.  unten  I.  Cap.  Vf.  S.  90. 

—  142  —  4  1.  abstechend. 

—  142  —  j8  I.  Aspidium. 

—  142  —  21    I.  Acrosticiium, 

—  142  —  22   1.  Aspidium, 

—  i55  —  j6  I.  nichts, 

—  i58  —       9  I.  Cumana, 

—  160  —      8  V.  unten  I.  Haushaltungen. 

—  166  —       8  1.  faneges. 

—  177  —  i5  I.  Piämavana. 

—  i85  —  5  V.  unten  I.  angesehen. 

—  j85  —       5   1.  Sprachen. 
_   ,87  —  j8  I.  Hapilel. 

—  109  —       5   u.   1 2   I.  Hautfarbe. 

—  jo3  —       5  V.  unten  I.  Hindernisses. 

—  2o5  —       5  V.  unt«n  1.  Rohlieit. 

—  218  —        9  1,  loya,  ihm. 

—  218  —  18  I.   Oroa.  drev. 

—  si8  —  20  ].  Pun,  Fleisch. 

—  228  —  10  I.  nicht. 

—  229  —  10  V.  unten  1.  bezeichnender. 

—  200  —       2  V.  unten  1.  Hauptwort. 

—  242  —       5  1.  würde. 

—  242  —  16  1.  lionnte. 

—  240  —  i5  1.  verbündeten. 

—  245  —  16  J.  Caraiben- rSation. 

—  245  —       2  1.  glaubte. 

—  246  —  12  I.  qui. 

—  246  —       8  V.  unten  1.  tenus. 

—  247  —  II   i.  bekräftigen. 

—  247  —       IV.  unten  1.  Grvn. 

—  248  —       9  I.  Berührung. 

—  255  —       9  V.  unten  1.  des. 

—  265  —  17  1.  ausnehmend. 

—  266  —       8  1.  seiner. 

—  272  —  12  u.  i4v.  unten  I.  Eleclricität. 

—  275  —  17  1.  gleicher. 


Seife  288  Zelle  s  1.  Aufmerlsanikeit. 

—  291     —  7  1.  mit  iler  Zeit  von. 

292     —  i3  V.  unten  1.  nämlichen  Zeil  eine  üLeraus. 

—  293     —  i5  st.  immerliin  1.  aucli. 

—  295     —  5  nach  angehöi-ende  ist  ein  Hiammerzeichen  zu 

setzen. 

—  299     —  '5  St.  Raum  1.  Baum. 

—  5o4     —  1  1-  Pyrenäen.                               ♦ 
_  5i5     —  12  V.  unlen  I.  mittelst. 

3i4    - —  5  1.  ßoracha. 

—  5i5     —  11  1.  noch. 

—  5i5     —  i5  1.  beträchllicher. 

5i5     — ■  2»  1.  bewachsen. 

3i8     —  1  1.  ISovember. 

3i7     —  7  V.  unlen  I.  Hygrometer- 

. 028     —  12  1.  lebende. 

55o     —  i5  1.  auseinandervveichen. 

—  539     —  3  1.  Stadt. 
__  543     —  16  1.  Aer/,le. 

352     —  7  ].  in  den  vereinten. 

—  362     —  41.   eine. 

362     —  12  V.  unten  I.  zahlen. 

365     —  2  V.  unlen  I.  Spanien. 

—  366     —  7  V.  unten  I.  Küsten. 
367     —  8  St.  die  I.  der. 

. 370     —  7  J-  Reisebeschreibung. 

370     —  9  V.  unten  1.  iiürzlich. 

372     —  10  V.  unten  I.  Valencia-See. 

3^5     —  5  V.  unten  1.  Wortes. 

582     —  IG  I.  begrub. 

382     —  11   1.  dieser. 

585     —  8  V.  unten  I.  zwischen. 

—  385     —  i4  V.  unlen  1.  Aiusgetrocknclen. 
597     —       7   1.  Zuckerrohr. 

—  397     —  14  ••  Sladt. 

406     —  19  sl.  im  I.  ein. 

, 4i5     _       4  V.  unten  I.  Sisyrinchium. 

1^22     —       7  V.  unlen  !.  Früchte. 

/,2  2     —       8  V.  unten  I.  ßaumrebe. 

/j2  4     —       3  V.  unlen  I.  beynahe. 

—  426    —      5  1.  7°.     Aus. 

—  428     —       4  1-  eines. 
«431     —       3  1.  dar. 

45 1     —       7  1.  Valencia -Sees. 

467     —       4  V.  unlen  1.  Erde. 

^  4g^     —  10  V.  unlen  1.  syenitischen. 

4q5    —      4  V.  unten  1.  Gattungs-  und  Arten -Namen. 


NORTHEASTERN  UNIVERSITY  LIBRARIES       DUPL 


3  9358  01412108  8 


L8.604ä    Humboldt,  Alexander  freiherr  von 


Reise  in  die  aequinoctiülgegenden  des 
neuen  continsnts  in  den  jähren  1799,  1800 
1801,  1002,  1803,  and  1804.    Stuttgart  u 
Tubingen,  J.G.  Cotta,lS15. 


220095  V.3 


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