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Reli^ionsj^e schichtliche
Versuche und Vorarbeiten.
Bd. 15, Heft 2
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25
/
Religionsgeschichtliche
Versuche und Vorarbeiten
begründet von
Albrecht Dieterich und Richard Wünsch
herausgegeben von
Richard Wünsch und Ludwig Deubuer
in Münster i. W. in Königsberg i. Pr.
XV. Band. 2. Heft
Die Milch
im Kultus der Griechen und Römer
von
Karl Wyß
Gießen 1914
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker)
Für Amerika: G. E. STECHERT & Co. 151—155 West 25th St., NEW YORK
A
Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten
Zuletzt sind erschienen:
^Tueh^ Der Einfluß der Mysterienreligionen
auf das älteste Christentum
von Carl Clemeu
1913 92 S. M. 3.40
Der Verfasser untersucht zunäclist, wo die einzelnen genauer bekannten Mysterienreli-
gionen, die eleusinischen, Attis- und Kybele-, Isis-, Osiris- und Sarapismysterien überhaupt
nachweisbar sind, und zeigt von neuem, daß die Mithrasmysterieu auf semitischem und
griechischem Gebiet nur sehr wenig und auch im Westen erst seit den Flaviern ver-
breitet waren. Dann bespricht er nacheinander den Einfluß der Mysterienreligionen auf
die Entstehung und älteste Entwicklung des Christentums, die paulinische Theologie und
die Religion der paulinischen Gemeinden, und die nachpaulinische Entwicklung. In
ersterer Beziehung wäre s. M. u. selbst dann kein solcher Einfluß anzunehmen, wenn die
Taufe schon in ältester Zeit Sündenvergebung hätte beschaffen sollen und das Abend-
mahl nur mit Brot gefeiert worden wäre; beides glaubt er aber bestreiten zu müssen.
Bei Paulus nimmt er einen Einfluß auf den Sprachgebrauch an, dagegen nicht auf die
Theologie, auch nicht in der Lehre von Taufe und Abendmahl, in der die korinthische
Gemeinde z. T. von den Mysterienreligionen abhängig sein könnte. Stärker wird ihr
Einfluß s. M. n. erst in der nachpaulinischen Zeit, beschränkt sich aber auch da auf An-
schauungen und Einrichtungen, die mindestens im Keime vorher schon vorhanden waren.
Die Schlange in der griechischen Kunst und Keligion
XIII.Band
a. Heft
Mit 32 Textabbildunsen und 1 Tafel
von Erich Küster
1913 182 S. M. 6.50
Der Verf. gibt im ersten, archäologischen Teil der Arbeit eine Entwicklung des Schlangen-
ornaments in Zeichnung und Plastik seit den ältesten Zeiten im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Spirale und zeigt, wie die künstlerische Darstellung der Schlange im
östlichen Mittelmeergebiet ihre ersten naturalistischen Formen erhielt. Sodann werden
besonders in der griechischen Kunst die mannigfachen Entwicklungsformen des Schlangen-
ornaments in den einzelnen Stilen vom mykenischen bis zum Beginn der hellenistischen
Kunst verfolgt. Besondere Beachtung wird den Schlangen an den geometrischen Gefäßen
zuteil, sowohl in ihrer künstlerischen wie religiösen Bedeutung.
Der zweite Teil, der unter Heranziehung alles wesentlichen archäologischen Materials
die religionsgeschichtliche Stellung der Schlange in Griechenland beleuchtet, enthält
folgende Kapitel: I. Die Schlange im griech. Seelenglauben. II. Die Schi, im Heroenkult.
III. Die Schi, als Erdgeist. IV. Die Schi, als mantisches Tier. V. Die Schi, als Symbol
der Fruchtbarkeit. VI. Die Schi, als Wasserdämon. Durch diese Einteilung und Behand-
lung der einzelnen Kapitel soll zugleich auf die Schwierigkeit hingewiesen werden, die
so verschiedenartigen Vorstellungen vom Wesen der Schlange bei den Griechen unter
einen größeren Gesichtspunkt zu vereinigen — es sei denn unter den allgemeinen des
chthonischen Grundcharakters dieses Tieres.
XIII.Band ])e saltationibus Graecorum capita quinque
3. Heft • •. TT i. T *+
scripsit Kurt Latte
1913 115 S. M. 4.—
Nachdem im ersten Kapitel die antike Tradition über den Tanz geprüft ist, wird zunächst
die weitere Vorfrage nach den Einzelbewegungen, den 'Figuren', behandelt. Darauf folgt
eine Geschichte der Waflfentänze, namentlich der Pyrriche, bis in die Zeit des ausgehenden
Altertums, wobei die religionsgeschichtliehe Bedeutung der Kureten im Anschluß an
den neugefundenen Hymnus von Palaikastro ausführlich erörtert wird. Ein weiterer Ab-
schnitt beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen der Beteiligung am sakralen
Tanze und der Geschichte der Bürgerchöre. Im letzten Kapitel endlich wird die Ver-
breitung der ekstatischen Tänze auf griechischem Boden verfolgt und ihr Alter zu be-
stimmen gesucht. Ein Anhang führt die für die Geschichte der Pyrriche wichtige Frage
nach der Geltung des Deminutivsuffixes —ixos in den griechischen Mundarten weiter.
Jl^t\^\9'yiZ>f€.5cl>lcktiicinL VerSt^clnt. U77(L
6d/S, !-^4ti
Die Milch
im Kultus der Griechen und Römer
von
Karl Wyß
Gießen 1914
Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker)
Religionsgeschichtliche
Versuche und Vorarbeiten
begründet von
Albrecht Dieterich und Richard Wünsch
herausgegeben von
Richard Wünsch und Ludwig Deubner
in Münster i. W. in Königsberg i. Pr.
XV. Band. 2. Heft
K i /
1
Hit
Kapitel 1 bis 7 sind auch gesondert als Beruer Dissertation 1914 erschienen unter
deta Titel: Die Milch im Kultus der Griechen und Römer.
Diese Arbeit ist unter der Leitung von Herrn Professor
Dr. Otto Scliultheß entstanden, dem ich für seine unermüd-
liche Belehrung und Förderung während meiner ganzen Studien-
zeit herzlich dankbar bin.
R. Wünsch hat mich durch manchen wertvollen Hinweis
und seine Unterstützung bei der Drucklegung sehr zu Dank
verpflichtet.
Inhalt
Seite
Einleituug 1
1. Kap. Die Milch als eine Gabe unter Gaben 3
2. Kap. Die Milch als Opfergabe bei den Römern 7
3. Kap. Die ursprüngliche Bedeutung des Milchopfers bei den Griechen 13
4. Kap. Die Milch als weinlose Spende 19
5. Kap. Die Milchspende bei der Totenbeschwörung und im Totenkult 25
6. Kap. Die sühnende Wirkung der Milch 32
7. Kap. Die Milch als Götterspeise und Attribut des seligen Jenseits 39
8. Kap. Die Milch im Mysterienkult 52
9. Kap. Käseopfer • 58
Zusammenfassung 61
Register 65
Verzeichnis der wichtigeren Literatur 67
Karl Wyß, Die Milch im Kultus der Griechen und Römer
Einleitung
Die weitgehende Verwendung von Tiermilcli als Nahrungs-
mittel gilt heutzutage als etwas Selbstverständliches, von
vornherein durch die Natur Gegebenes. Daß unsere Milch-
tiere aber nicht überall in dieser Weise dem Menschen dienen,
beweisen die großen Völker Ostasiens und die meisten Ur-
einwohner der neuen Welt, die keine Milch genießen ^ Da-
gegen molken allerdings die Indogermanen seit den frühsten
geschichtlichen Zeiten ihre Kühe, Schafe, Ziegen und zum
Teil auch Pferde. Aber da diese Haustiere nicht vor der
jüngeren Steinzeit gezähmt gewesen zu sein scheinen ^, so
müssen in diese Epoche auch die ersten Versuche fallen, die
Muttertiere an eine verlängerte und vermehrte Milchabsonderung
zu gewöhnen.
Diese Entwicklung kann nur ganz allmählich vor sich
gegangen sein, muß Zeiträume in Anspruch genommen haben,
während denen viele Menschengeschlechter kamen und gingen.
Unmöglich kann daher die Zähmung die zielbewußte Tat
des Menschen gewesen sein. Woher hätte ihm auch ein solcher
Gedanke kommen sollen ? Die zufälligen Veranlassungen, den
ersten Anstoß zu dieser unbewußten, aber äußerst wichtigen
und folgenschweren kulturellen Eroberung mit Sicherheit fest-
zustellen, ist unmöglich. Verschiedene Erklärungsversuche
sind gemacht worden. Einer der ansprechendsten ist der von
A. Otto^, der annimmt, der Mensch habe aus Spielerei, durch
' E. Hahn, Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des
Menschen, Leipzig 1896, 78.
^ 0. Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte ^, Jena 1907, 152.
' A. Otto, Zur Geschichte der ältesten Haustiere, Breslau 1890, 1 ff.
Religionsgescbic'ütUche Versuche u. Vorarbeiten XV, 2. 1
2 Karl Wyß
den Geselligkeitstrieb veranlaßt, sich unter den Tieren nach
Spielzeugen und Gefährten umgesehen; denn der Mensch
tue immer zuerst das, was ihm gefalle, das Nützliche nehme
er in der Regel nur auf, wenn eine Notwendigkeit ihn dazu
dränge ^ Ganz anders E. Hahn aaO. Er findet das treibende
Moment in religiösen Anschauungen. Die Indogermanen, meint
er ungefähr, sahen als Verehrer der Hiramelsgestirne, besonders
des wechselnden Mondes, im Rinde mit seinen Sichelhörnern
das heilige Tier des Gottes. Das neugeborene Kalb, als die
Frucht, das Liebste des heiligen Tieres, war dem Gotte die
angenehmste Gabe. Um daran nie Mangel zu haben, wurden
in heiligen Bezirken Rinderherden gehalten. Durch eine nach
und nach sich steigernde Besorgung, besonders die Regelung
der Fortpflanzung der Tiere, gewöhnten sich diese und der
Mensch aneinander; neben dem Kalb wurde auch seine Nahrung,
die Milch, zum Opfer und ging dann später in den profanen
Gebrauch über als menschliches Nahrungsmittel. Sollte diese
Annahme richtig sein, so wäre doch wohl zu erwarten, daß
die religiöse Wertschätzung des Rindes und seiner Gabe, der
Milch, bis in spätere Zeit stark nachwirkte. Das Rind spielt
nun allerdings in den religiösen Anschauungen verschiedener
indogermanischer Völker eine gewisse Rolle. Von den Indern
mit ihrer lo und den Wolkenkühen ^ bis zu den Europa-,
Herakles- und losagen der Grieclien. Im ganzen aber über-
wiegt die profane Verwendung und Ausnutzung so sehr, daß
ich lieber annehmen möchte, erst durch sie sei die religiöse
Spekulation veranlaßt worden, diese unentbehrlichen Haustiere
auch in die Göttermythen einzubeziehen. Doch diese Frage
steht hier nicht zur Behandlung, sondern nur die sakrale Be-
deutung der Milch bei den beiden indogermanischen Stämmen,
die auch in religiöser Hinsicht das Erbe des ürvolks zu einem
eigenen reichen Besitztum ausgestaltet haben, den Griechen
und Römern. Wer freilich der Ansicht von H. Useuer'^ zü-
* F. Ratzel, Völkerkunde I Leipzig 1887, 57. S. auch K. Kircher,
Die sakrale Bedeutung des Weins, RGW IX 2, GieÜen 1910, 3.
* H. Oldenberg, Die Religion des Veda, Berlin 1894, 72 ff.
" Milch und Honig, Rheinisches Museum LVII (1802) 177 (Kl. Schriften
IV 398 ff.).
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 3
stimmt, die Milch habe von jeher samt dem Honig den Griechen
als Götterspeise, als Attribut des seligen Jenseits gegolten,
könnte sich versucht fühlen, die so eigenartige Auffassung
vom Wesen und der Wirkung der Milch mit der Hypothese
Hahns in Verbindung zu bringen. Hier handelt es sich nur
darum, die tatsächliche Stellung der Milch im griechischen
und römischen Sakralvvesen darzulegen. Die nicht zahlreichen
Zeugnisse gestatten dies kaum für die historische Zeit ; darum
soll vermieden werden, über die völlig dunkle Urzeit zu den
angeführten noch weitere Hypothesen hinzuzufügen. Wenn
ich mir trotzdem einige vorsichtige Schlüsse auf die Ent-
wicklung der betreiFenden Anschauungen, einige Vermutungen
über die vorhomerisch-griechische und die altrömische Volks-
religion erlaube, so bin ich mir wohl bewußt, daß beides einer
zwingenden Beweisführung entbehren muß.
1. Kapitel
Die Milch als eine Gabe unter Gaben
Als Griechen und Römer die beiden Mittelmeerhalbinseln
in Besitz nahmen, brachten sie als ihren Hauptreichtum Herden
mit. Wohl hatten sie schon gelernt, als notwendigen Zusatz
zu ihrer animalischen Nahrung einige Getreidearten zu ziehen ^.
Aber noch lange galt die Bearbeitung des Bodens als ein
Sklaven- und F)'auerigeschäft, die Besorgung des Viehs neben
Jagd und Streit als allein des freien Mannes würdig"; hüten
doch noch bei Homer Königssöhne die Herden ihres Vaters^.
' Mommsen, Rom. Gesch. I* 18.
i I. V. Müller, Griechische Privataltertümer 241 ; Ed. Meyer, G. d. A.
II 79 ff.
" G. Finster, Homer I* Leipzig 1913, 93: „Die Herrensöhne werden
als Oberaufseher auf die Alp geschickt^ II. XX 91 ; VI423; XI104; XXIV 29;
Od. Xlll 222; B. Büchseiischütz, Besitz und Erwerb, Halle 18H9, 208:
Schrader, Sprachv. und Urg. 216 ff. H. XI 677; Od. XIV 100 u. a.
1*
4 Karl Wyß
Die Nutzung der Herden hatte sich allerdings bei beiden
Völkern im Verlaufe der vorgeschichtlichen Entwicklung
wesentlich geändert. Das zeigt ein Blick auf ihre indo-
germanischen Brudervölker nördlich des Alpen- und Balkan-
walles. Die Germanen und Britannier schlachten die Herden-
tiere zwar auch, aber in erster Linie scheinen sie doch auf
die Milch Wert gelegt zu haben. Caes. bell. gall. V 14:
(Britanni) lade et carne vivirnt — VI 22: 7naior pars eorum
(sc. Germamrum, victm in lade, caseo, carne consistit. Bei
Plinius n. h. XXVIII 133 heißt die Butter barhararmn gentium
lavtissimus cibusK Und auch die Skythen, deren Wohnsitz
oft als dem ursprünglichen Staramland der Indogermanen
wenigstens benachbart aufgefaßt wird, wissen besonders die
Pferdemilch zu verwerten, worüber Herodot IV 2 und Hippo-
krates De morbis IV 20 ^ berichten.
Daraus haben wir zu schließen, daß auch Griechen und
Römer in früheren Zeiten die Milchproduktion bei der Vieh-
zucht in die erste Linie stellten und erst durch die ver-
änderten klimatischen und andere Verhältnisse veranlaßt
wurden, auf die Viehmästung größeres Gewicht zu legen'.
Schon von Homer aber wird Kuhmilch als Nahrungsmittel
gar nicht mehr erwähnt, ungemischte Ziegen- und Schafmilch
nur als Getränk des Kyklopeu *. Die oberen Gesellschafts-
schichten verschmähten also die Milch fast ganz und ge-
» Vgl. Caes. bell. gall. IV 1; Athen. IV 131 C; Strabo XVI 4, 24;
VII 3, 2; III 3, 7.
2 Ed. E. Littre, Paris 1861, VII 585. Vgl. de aere 18 (I 61 Kuehlewein).
^ Gleichgültig, ob die Urheimat der Idg. mehr im Osten (Vorderasien),
oder in Mittelenropa, oder in Nordeuropa zu suchen ist, alle diese Gebiete
gewähren der Volkswirtschaft, im besonderen der Viehzucht, nicht allzu
verschiedenartige Bedingungen. Wesentlich verschieden aber vom euro-
päisch-asiatischen Binnenklima ist das der Mittelmeerländer, wohin nach
allgemeiner Ansicht die Griechen und Eömer von Norden her einwanderten.
Daher werden mit einigem Eecht diese Verhältnisse bei den nördlichen
Stämmen als weniger verändert als bei den Mittelmeervölkern angenommen
werden dürfen. Zur Frage der Urheimat s. z. B. 0. Schrader, Reallexikon
878—902. Sein Resultat ist: die ältesterreichbaren V/ohnsitze der Idg.
sind an der Grenze Asiens und Europas, in dem Steppengebiet Südrußlands
zu suchen. — S. auch K. Brugmann, Kurze Gramm, d. idg. Spr., Stras-
burg 1904, 22 * I. V. Müller aaO. 118: Od, IX 248.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eöiner 5
brauchten das Fleisch als Hauptnahrungsmittel. Bis sich
dieser Wechsel vollzogen hatte, vergiogen natürlich Jahr-
hunderte. Zum mindesten aber in diese frühen Zeiten, wenn
nicht schon in die Epoche vor der Trennung des indogermani-
schen Urvolks, muß wohl auch der Ursprung der sakralen
Verwendung der Milch gerückt werden.
Einer primitiven Kulturstufe müssen also auch die An-
schauungen entsprechen, die zu der Verwendung der Milch
als Gabe an die Götter führten. Man könnte sich versucht
fühlen, an einen Glauben an zauberisch-dämonische Wirkung
dieses Sekretes des menschlichen und tierischen Körpers zu
denken, wenn man sieht, daß bei primitiven Völkern anderen
warmen Ausscheidungen des Körpers wie Speichel, Urin,
Samen usw\ Zauberkraft zugeschrieben wird ^ ; selbst in unseren
Tagen wird beim niederen Volk besonders Frauenmilch als
ein wirksames Zaubermittel angesehen, wie aus populären
Zauberbüchern zu ersehen ist. Die überkommenen Zeug-
nisse der Alten aber lassen, so viel ich sehe, in keiner Weise
den Schluß zu, daß sich solcher Aberglaube an die Milch
hing, wodurch allerdings nicht bewiesen ist, daß das nie und
nirgends geschehen wäre^
Jedenfalls aber hätte der alltägliche Gebrauch als Nahrungs-
mittel dann doch bald bewirkt, daß die Milch als etwas ganz
Harmloses, Ungefährliches aufgefaßt wurde, wie etwa das
„tägliche Brot'' jener Zeit, der Mehlbrei (jro/Tog, puls). Und
so ist die Milch denn wohl auch ganz so, wie die anderen
N a h r u n g s m i 1 1 e 1 , in die Reihe der Opfergaben aufgenommen
worden. Von den guten Gaben, die die Natur, d. h. die
' Belege bei E. Bethe, Die dorische Knabenliebe, Rhein. Mus. LXII
(1907) 463 ff.
^ Vgl. Bethe aaO. 467. — Nachträglich werde ich durch Rieß, Aber-
glaube, PW I Sp. 86 auf Plinius XXVIII 72—75 aufmerksam, wo Frauenmilch
als Heilmittel gegen Biß von tollen Hunden und Augenkrankheiten emp-
fohlen wird. Bedeutung für die Annahme einer ursprünglichen Anschauung
kann diese späte Einzelheit nicht beanspruchen. Überhaupt wage ich nicht
ans den Anschauungen der Medicina popularis Rückschlüsse auf ursprüng-
liche Vorstellungen zu machen. Es findet sich mehr derart bei Pliniua,
B. den Index von L. Jan, Teubnev 1898, 206 unter lac, usus in medicina.
S. auch L. Deubner De incubatione 43 Anm.
6 Karl Wyß
Gottheit, den Menschen bot, kamen den Göttern zum Danke
wieder Opfer und Spenden zu. Dieses Gefühl des Dankes
oder, wenn man will, der Abhängigkeit von der Gnade der
Götter, verbunden mit der Überzeugung, daß diese trotz all
ihrer Überlegenheit doch im Grunde auch menschliche Be-
dürfnisse hätten, war doch wohl der stete Antrieb zum Opfer.
Was dem Menschen gehörte, war zunächst doch wieder Gottes,
und Gott wiederum bedurfte nicht mehr als der Mensch: denn
„die Götter lebten nicht anders und besser als die Menschen" ^.
„Diese Beschränkung auf das Heimatliche", wie Ourtius sich
ausdrückt, „blieb in Geltung" bis in späte Zeiten.
Ebenso wird auch das Milchopfer verschiedener anderer
Völker von den modernen Gelehrten erklärt. So z. B. das der
Ägypter: „Für den Schutz, den sie gewährt, erhält die
Gottheit von der Gemeinde alles, was sie bedarf, Brot, Fleisch,
Milch, Bier, Wein, Kleider und Schmuck, Blumen und Weih-
ranch", oder, wie es später in den Opferformeln heißt, „alle
guten und reinen Dinge, welche auf den Opfertisch kommen
und von denen der Gott lebt" ^ Ähnlich das der Inder:
„Auch auf dem Gebiete des vedischen Opferwesens bestätigt
sich der natürliche Satz, daß der Mensch dem Gott eben das
darbietet, was ihm als seine eigene Nahrung willkommen ist".
„Lassen wir zunächst das Tieropfer und das Somaopfer außer
Betracht, so begegnen als Opferspeise alle hauptsächlicheren
Produkte der Acker Wirtschaft wie der Viehzucht: an der
Spitze Milch in ihren verschiedenen Zuständen (saure Milch
usw.), Butter und die beiden vornehmsten Körnerfrüchte,
Gerste und Reis . . . Daß den von der Kuh kommenden
Produkten ein höheres Gewicht der Heiligkeit und mystischen
Bedeutung beigelegt wurde als den Erzeugnissen des Acker-
baues, tritt dabei unverkennbar hervor" ^.
1 E. Curtius, Sitz. Ber. Ak. Berl. 1890, 1142.
^ Ed. Meyer, G. d. A. I* § 189.
' H. Oldenberg aaO. 353. Vgl. auch K. Marti, Gesch. der israel.
Eelig., Straßb. 1903, 104.
Die Milch im Kultus der üriechen und Römer 7
2. Kapitel
Die Milch als Opfergabe bei den Römern
Die Kömer blieben Jahrhunderte laug ein Bauernvolk.
Unfreiwillig wuchsen sie zu einer weltbeherrschenden Macht
empört In Politik, Handel und Geldwirtschaft mußten sie
den neuen Verhältnissen Rechnung tragen, geschmeidiger,
weitsichtiger und vielseitiger werden. In ihrem religiösen
Leben blieben sie die echten Bauern, w^ohl auch darum, weil
nur die Religion der Väter, wie z. B. Cato Maior meinte, dem
Staate Bestand verhieß. Religion hatte eigentlich auch Cato
nicht, wenigstens keine tiefinnere, die Seele erfüllende
Frömmigkeit, deren bester Teil vielleicht der immerbesiegte,
immer wieder aufsteigende Zweifel ist. Catos Frömmigkeit
bestand in dem abergläubisch gedankenlosen P'esthalten an
alten Formen: der Brauch war seine Religion. An den
alten Gebräuchen klebten die Römer überhaupt, und die Ver-
suchung, davon zu lassen, kannte ihre nüchterne Gleichgültig-
keit gegenüber metaphysischen Problemen nicht. Darum wird
man nicht fehlgehen, wenn man in ihren Bräuchen viel mehr
noch als in denen der Griechen alte Elemente nicht zu sehr
entstellt zu finden hofft. Die ganze kulturelle Entwicklung
Roms war überhaupt viel einheitlicher als die des beweg-
licheren, vielstämmigen Griechenvolks, das schon so früh die
hohe Blüte des hellenischen Mittelalters aufwies. Auch darum
werden Reste des altrömischen Kults den Stempel der Ur-
sprünglichkeit deutlicher bewahrt haben, als die meisten
griechischen, und darum wird es nicht unrichtig sein, hier
einmal von Rom nach Hellas zu gehen.
Eines der ehrwürdigsten Feste Roms waren dieFeriae
L a t i n a e', gleichsam die Gründungsfeier des römischen Staates.
Gerade hier werden die konservativen Römer, die der einmal
'■ »^1. Mommsen, K. G. I« 781.
' Ich verweise für die folgenden Kulte und Gottheiten, die nicht alle
zu den bekannteren gehören, auf G. Wissowa, Religion und Kultus der
Bomer^, München 1912, mit bequemem Register, sowie auf die betreffenden
Artikel bei W. H. Röscher, Lexikon der gr. und röm. Mythologie und
Pauly-Wissowas Realenzyklopädie.
8 Kari Wyß
festgesetzten Form und Norm einen so großen Wert beilegten,
sich vor der geringsten Änderung gehütet haben. Besonders
bezeichnend ist die Stelle des Dionysios von Halikarnassos über
das Fest des lupiter L atiaris , das Latiar, Arch. IV 49, 3:
Tavxag rag eoQtdg je y.(xl tag d^voiag ueyiQL rwv ymS^ ^J^üg XQÖrojv
krtiteXovOL 'Fcü/^ialoi yJarivag A.a.Xovvttg, xat rpegovoiv eig aviag
al f.UT€XOvoai xCbv ieqCbv noKug al fxev ägvag, al ök tvqovc,
al de yd'/.a'Kzög xi /^lexQOV , al ök ojlWiöv xl xovxoig. Die
Ausschließlichkeit, mit der hier nur Erzeugnisse der Vieh-
zucht genannt sind — das eigentliche Bundesopfer war
der große Stier — , ist ein Zeugnis dafür, daß in jenen
fernen Zeiten die Viehzucht den Ackerbau noch bedeutend
überragte; unter bfioiöv xl lassen sich aber ganz wohl Feld-
früchte verstehen. Daß die Milch bei diesem Opfer nicht der
unwichtigste Teil war, und daß sie den Spätem als das
eigentlich charakteristische Merkmal galt, beweist Cic. de div.
I 18: laeto mactasti lade Latinas. In früheren Jahrhunderten
war die Milch wohl nur ein vielleicht nebensächlicher Teil
des Opfers ; aber zur Zeit Ciceros, als bei den meisten anderen
Opfern in der Stadt nur Wein gespendet wurde, empfanden
die Römer, die im allgemeinen doch wohl höchst selten Milch
zu Gesicht, geschweige denn zu schmecken bekamen, sie als
das charakteristische Merkmal dieses altertümlichen Opfers.
Auch der Epitomator Festus gibt aus Verrius Flaccus ein
Zeugnis für diesen Brauch samt einer gelehrt sein sollenden
ätiologischen Erklärung, p. 212 Lindsaj': Atque ideo memoriam
quoque redintegrari initio acceptae vitae per motus cunarum
lactisque alimentiim, qida per eos dies feriariim et oscillis
moveaniur, et lactata potione titanttir.
Ebenso unverständlich wie das Opfer am Latiar war den
Römern der späteren Jahrhunderte der Kult uralter Lokal-
gottheiten, der durch das Überhandnehmen der griechischea
Kultgebräuche in Vergessenheit geraten oder auf die länd-
liche Bevölkerung und den engbegrenzten Kultort beschränkt
war. Nur gelehrte Leute, wie Varro, wußten, daß Rom einmal
eine R u m i n a und C u n i n a verehrte und ihnen Milch spendete.
Da über den Charakter der Gottheit nichts mehr bekannt
war, hatte es Varro leicht, hier das unverständliche Milch-
Die Milch im Kultus der Griechen und Eümer 9
Opfer nach seiner Weise zu erklären, ß. r. II 11, 4: Äptd
divae Ruminae sacellum . . . (pastores) . . . solent sacrificari Jade
pro vino. Bei Nonius I 246 Lindsay gibt er die Erklärung:
Rumam veteres mammam dixerunt. Varro Cato vel de liberis
educandis: 'lus Semonibus lade fit, non vino; Cuninae propier
cunas, Ruminae propter rumam, id est prisco vocahido mammam ;
a quo subrumi etiam nunc dicuniiir agni\ In Varros Fuß-
stapfen wandelt Plutarch Romul. 4: Triv &r^li]v ^ovfiav ojvö-
l^ia'Cov oi TtaXaioi, vmI d^eöv riva rf^g iYJiqo(pT^ii tCov vr^Tticov eni-
fxiXelad^ai öoxovoav dvoud'^OLOiv '^Povf.iiXiav, y.al S-vovoiv avrfj
vr^fpaXta, xal ydXa rolg uQolg irciojtivdovoiv. Aber als Mo-
derner findet er auch noch eine viel modernere Erklärung für
das Müchopfer als Varro. Quaest. Rom. 57 : /^ 'Pov^äva O-r^ldj
jig oioa y.al riO-r^vr^ y.al '/.ovQOTQdcpog, ov TiqooisTUL rbv ay.qarov,
u)g ßJ.aßsQov bvxa rolg vr^nioig. Sch wegler (ßöra. Gesch. I
421, 5) hat diese Erklärungsversuche mit dem Hinweis auf
die vielen anderen Milchopfer, die bei den Römern üblich
waren, zurückgewiesen. Die meisten dieser Kulte weisen,
wie die schon erwähnten, denn auch in alte Zeiten hinauf,
so daß Pliuius (n. h. XIV 88) mit richtigem Gefühl den
Schluß zieht: Romul um lade, non vino libasse indicio
sunt Sacra ab eo institufa, quae hodie custodiunt morem. Numae
regis Postumia lex est: Vino rogum ne respargifo. quod sanxisse
illum propter inopiam rei nemo dubitet.
Der alte Brauch setzte sich natürlich da am längsten
fort, wo an seinen Voraussetzungen am wenigsten geändert
wurde, das heißt bei der ländlichen Bevölkerung, den Klein-
bauern, denen die Milch nach wie vor die nächstliegende und
billigste Spende war, da ja der Wein nur auf den größeren
Gütern geplianzt und von den Städtern genossen wurde. Als
der wohlhabende Bauer neben dem Großgrundbesitzer noch
Platz hatte, mochte auch das altertümliche Milchopfer mit
der modernen Weinlibation verbunden werden. Das setzt
Horaz voraus in der anmutigen Schilderung des Erntefestes
eines altrömischen, auf seinen kleinen, freien Besitz stolzen
Bauern, Epi.st. II 1, 139:
Agricolae prisci, fortes parvoque beati,
condita post frumenta levantes tempore festo
10 Karl Wyß
corpus et ipsum animiim spe fiuis dura ferentem
cum sociis operum pueris et coniuge fida
Tellurem porco, Silvanum lacte piabant,
floribus et vino Genium memorem brevis aevi.
Nicht fehlen konnte die Milch im Kult der rein land-
wirtschaftlichen Göttin Pal es. An den Palilien, dem
Gründungsfest der Stadt Rom, kam auch sonst ein eigenartiger
Ritus zur Anwendung, der alle Zeichen der Altertümlichkeit
an der Stirn trägt: so durften keine blutigen Opfer gebracht
-werden \ Probus (zu Verg. Georg. III 1) gibt über das Fest
folgende Angaben: [Parilia) qui dies tiatalis est urhis Romae,
quae a yaüorihus est condita. huius autem, cuiiis deae esset, eiiam
ritus declarat natura, nam et ignem transüiimt accensis stra-
mentis more agresti ihi hunc dieni colentes, et lacte libant,
qui friictus ex pecore toUitur.
Besonders nahe lag hier die Verwendung des Milchopfers,
weil Pales vor allem das Wachstum, die Mehrung und Ge-
sundheit der Herden fördern sollte -. So lehrt Ovid (Fast.
IV 745), dieser rustica dea seien Hirsekuchen zu opfern und
adde dapes mulctramque suas dapibusque resectis
silvicolam tepido lacte precare Pale m.
Dann erst darf man sie um den Schutz der Herden und
Hirten bitten, und
763 pelle procul morbos, valeant hominesque gregesque.
771 sitque salax aries, conceptaque semina couiunx
reddat, et in stabulo multa sit agna meo.
sowie :
769 ubera plena premam, referat mihi caseus aera
dentque viam liquido viraina rara sero.
1 Solin I 19 (Mommsen 9).
2 H. Peter (Ov. Fast, erklärt, Teubner 1889, zu IV 721) woUte diese
Bedeutung schon im Namen finden: „Das Wort kommt von dem Stamme
pa her, vgl. pasco, pabulum, panis". Diese Etymologie ist von A. Walde,
Lat. etym. W. B.^ Heidelberg 1910 , 555 abgewiesen , weil ein substanti-
visches Suffix -li- sonst (außer in fnligo) nicht nachweisbar ist.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 11
Ein kluger und frommer Grundbesitzer vergißt auch nicht,
wenn er seinen Pächter oder Hirten besucht, der Schutzgöttin
seines Reichtums zu danken. Tib. I 1, 35:
Hie ego pastoremciue meum lustrare quotannis
et placidam soleo spar g er e lacte Palem.
Sehr nahe verwandt ist der Göttin gerade durch die
Macht über das Gedeihen der Herde Pan; so sind beider
einfache holzgeschnitzte Bilder zu finden unter einer heiligen
Eiche des Gutes, triefend von Milch. Tib. II 5, 27:
Lacte madens illic suberat Pan^ ilicis umbrae
et facta agresti lignea falce Pales.
Umgekehrt läßt Nemesianus (I 64 ff.) dem toten Hirten
Meliboeus von dem ruralis Apollo Zweige, von den Faunen
Trauben und Feldfrüchte geben und
d a t grandaeva Palesspumantiacymbia lacte,
mella ferunt Nymphae, pictas dat Flora Coronas
.... dant carmina Musae.
Nicht nur den Göttern der animalischen, sondern auch
denen der vegetabilischen Fruchtbarkeit kommt das Milch-
opfer zu. Um die Felder und Früchte vor Ungewitter zu
schützen, ist ein Flursegen, ein Gebet an Ceres nötig. Verg.
Georg. I 338 ff.:
In primis venerare deos atque annua magnae
Sacra refer Cereri . . . .
cuncta tibi Cererem pubes agrestis adoret;
• 343 cui tu lacte favos et miti dilue Baccho,
terque novas arcum felix eat hostia fruges.
Cato (de agr. cult. 141) gibt allerdings eine wesentlich
einfachere Anleitung zum richtigen Vollzug dieser Zeremonie,
indem er trotz einer ausführlichen Angabe der Gebetsformeln
nur von einem Siiovitaurilienopfer ohne Spende spricht. Warum
1 Der griechische Name ist hier für den einheimischen Faunus gesetzt,
den die Schilderung römischer Vorzeit voraussetzt.
12 Karl Wyß
Cato suovitaurilia lactenfia, Ferkel, Lamm und Kalb, die
noch saugen, vorschreibt, ist mir nicht klar; vielleicht, um
das für einen Privatmann recht kostspielige Opfer möglichst
erträglich zu machen.
Die Verbindung von Milch, Wein und Honig, wie sie uns
in dem Opfer an Ceres entgegentritt, ist in rein römischem
Kult kaum nachzuweisen und wohl von den Griechen über-
nommen worden.
Auch der Gartengott Priapus, der vom Hellespont aus
spät nach Rom gekommen ist, muß zufrieden sein mit einem
Opfer von Kuchen und Milch, wenn er nicht den großen Park
eines Reichen zu bewachen hat. Verg. Ecl. VII 33:
Sinum lactis et haec te liba, Priape, quotaunis
exspectare sat est: custos es pauperis horti.
Endlich schreibt Ovid (Fast. IV 151—4) den Römerinnen
vor, der Liebesgöttin der Menschen, der Venus Verti-
cordia, Milch mit Mohn und Honig zu spenden:
Nee pigeat tritum niveo cum lacte papaver
sumere et expressis mella liquata favis.
Ätiologisch fügt er bei:
cum primum cupido Venus est deducta marito,
hoc bibit: ex illo tempore nupta fuit.
Auch dieses Gemisch wurde kaum im altrömischen Kult ge-
spendet; papaver (Mohn) ist das Symbol der Fruchtbarkeit,
das Honiggemisch hat im griechischen Kult oft ähnliche Be-
deutung ; von dorther ist wohl seine Verwendung in den römischen
Venusdienst eingedrungen.
Von einer eigentümlichen Substitution im Kulte der
Bona Dea berichtet Macrobius (sat. I 12, 25): Quod vinum
m teniflum eins non suo nomine soleat inferri, sed vas, in qioo
vinum inditum est, mellariiim nominetur et vinum lac
nuncupetur. Doch auch hier scheinen sich griechische
Einflüsse geltend zu machen; die Stelle soll daher unten be-
handelt werden.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 13
Aus den angeführten Quellen scheint mir hervorzugehen,
daß die Milch seit den ältesten Zeiten des römischen Gottes-
dienstes ihre Verwendung als Spende fand; die Verwendung
beim Latiar und bei den uralten Kulten der Rumina und Cunina
lassen vermuten, daß sie zuerst bei jedem beliebigen Opfer als
eine Gabe unter anderen häufig verwendeten Gaben gespendet
wurde. Im Verlaufe der kulturellen Umwälzungen, als das poli-
tische und religiöse Leben des Volkes sich in der Hauptstadt
konzentrierte und der Wein das Hauptgetränk der Römer
wurde, verschwand die Milch zumeist von den öffentlichen Altären
sowohl wie von den privaten der oberen Stände. Den kleinen
Leuten auf dem Lande aber diente sie nach wie vor als das ihnen
zunächstliegende Opfer, besonders für die Herden- und Feld-
götter. Von einer gesetzlichen Beschränkung auf bestimmte
Kulte weiß das römische Sakralwesen nichts, und einen be-
sonderen Charakter, eine erhöhte, eigenartige Wirkung vor
anderen hatte das Milchopfer in all diesen angeführten Kulten
ebenfalls nicht.
3. Kapitel
Die ursprüngliche Bedeutung des Milchopfers
bei den Griechen
Das religiöse Empfinden der phantasievolleren Griechen
wird sich früh von dem nüchternen Glauben der Römer unter-
schieden haben. Aber mag, um Mommsens Worte zu ge-
brauchen ^, des einen Gebet Anschauung, des andern Gedanke
sein, ursprünglich ist es doch dasselbe und grundsätzlich bleibt
es dasselbe: der intimste Verkehr mit der Gottheit. Und das
ist ja auch der Zweck und Sinn des Opfers '■ : ein gegen-
seitiges Nehmen und Geben. Bald dankt der Mensch mit
» Rom. Gesch. I« 27.
^ Vgl. von Fritze De lib. 14 ff. ; Kircher aaO. 5 und 45 ; K. Bernhardi, Das
Trankopfer bei Homer, Progr. d. kgl. Gymu. Leipzig 1885, 1.
14 Karl Wyß
dem Opfer für Gottesg-aben, die er empfangen hat, bald gibt
er Gott, um nachher den Lohn einzuheimsen. So verbindet
Kircher, wie mir scheint mit Eecht, die beiden Auffassungen
über die Bedeutung, den Sinn des Opfers in der griechischen
und römischen Eeligion : es sei einesteils eine Gabe, die Ver-
geltung fordert [clo ut des), andernteils ein Mittel, um mit der
Gottheit in Verbindung zu sein. Der ursprüngliche Stand-
punkt des Opfernden ist gewiß der, durch das Opfer eine
Einwirkung auf die Gottheit zu seinen Gunsten ausüben zu
wollen \ Das bloße Verlangen, in eine rein ideale Verbindung
mit der Gottheit zu treten, gehört einer höheren Entwicklungs-
stufe an und wird sehr oft verwechselt mit der inhaltlosen
Formalität, wozu die Libation oft wurde, z, B. bei Homer.
Man könnte über das christliche Tischgebet ganz ähnliche
Betrachtungen anstellen ^.
Da die natürlichen Voraussetzungen, die Kulturstufe, die
Natur und Ertragfähigkeit des Bodens bei Griechen und
Römern einander ursprünglich sehr nahe kamen, wenn nicht
geradezu dieselben waren, so darf man wohl auch im einzelnen
in diesen formalen Äußerungen der Religion für die frühsten
Zeiten annähernde Übereinstimmung voraussetzen.
Daß in vorgeschichtlicher Zeit das Milchopfer bei den
Griechen ebenso allgemein gebräuchlich war wie bei den
Römern, kann aus den griechischen Zeugnissen selbst, die
zahlreicher und älter sind, als die römischen, geschlossen
werden. Nur die Behauptung, auch bei den Griechen sei ur-
sprünglich dem Milchopfer keine Wirkung, die es vor anderen
Gaben hätte auszeichnen können, beigemessen worden, auch
bei ihnen habe es im Opfer an alle Götter nur neben, nicht
über den anderen Gaben der Natur, Wasser, Honig, Feld-
früchten, Tieren, seinen Platz gefunden, soll durch einen Hin-
weis auf die behandelten römischen Verhältnisse wahrschein-
licher gemacht werden. Denn in geschichtlicher Zeit hatte
sich der Kultgebrauch der Griechen stark geändert. Aus dem
Kult der panhellenischen Olympier ist das Milchopfer völlig
^ Schrader, Reallexikon unter Opfer 598.
2 Die Vertreter und Quellen der verschiedenen Auffassungen bei
Kircher aaO. — Vgl. auch Ed. Meyer, G. d. Ä. I» § 47. § 48 A. § 52.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 15
verdrängt. Es hat sich aber behauptet im Dienste lokaler
Gottheiten und in der Totenverehrung-, die meist privaten
Charakter trug-. Aber nicht so klar zeigt es sich hier, daß
diese Veränderungen lediglich Folgen der neuen wirtschaft-
lichen Verhältnisse sind. Die nimmermüde Phantasie der Grie-
chen hat zu den neuen Formen sich Begründung und Er-
klärung hinzugedichtet, und wahrlich weniger prosaisch, als
es Varro und Plutarch in bezug auf das Milchopfer der Ru-
mina taten. Hier soll versucht werden, die verschiedenen
Wege, die diese Entwicklung einschlug, etwas zu erhellen und,
wenn möglich, aus der Lage der Verhältnisse sie zu erklären.
Zuvor soll noch eine Stelle angeführt werden, die wohl
als ein spätes Zeugnis des ältesten Opfergebrauchs, allerdings
in dem ursprünglich phrygischen Kult der Magna Mater, an-
gesehen werden darf; Athen. XI 478 cd ^: ITole^uov ö' ev t^
71£qI xov J'lov Kcodiov cprjoi' f.i€ra dh xauta rijv reXeTijv noiel
■Kai algel ict «x tf^g &a?-d(.irjg y.al ve/iiei ogol ävco rb xcQvog
7t£Qievi]voxoT€g. TOÖTO ö* loxlv ayyelov -/iegafisoüv e^ov ev avi^t
TtoXXovg xoTvXloxovg y.e-KoXXrjiiivovg' eveioi d^ iv ccvroig bQf.iivoi,
(.n]yi(jüv€g XsvKoi, tzvqoi, /.qi&ai, rtiooi, Id&vgoi, (hxQOi, cpay.oi,
'Ava/iioi, ^eial, ßo6f.iog, naXad-iov. (.leXi, elaiov, oivog, yäXa biov,
eqiov anXvTov. Das ysQvocpoQsiv war ein Teil der Speise-
zeremonien der Demetermysterien-. Als solche ist es natür-
lich mit dem gewöhnlichen Opfer nicht zu vergleichen; aber
die Verwendung, die Art und Zahl der Gaben hat gewiß
ihren Ursprung im gewöhnlichen Opfer an die Gottheit. Die
Milch, das tierische Produkt, wird also hier in ganz gleicher
Weise verwendet, wie die vielen Feldfrüchte: es sind eben
beides Gaben der Natur. So finden sich auch neben den
ältesten Feldfrüchten, Gerste und Spelt, viel später von an-
deren Völkern übernommene Produkte, Wein und Öl. Gab
die Natur etwas Neues, so wurde es zum Danke auch in die
Reihe der Opfergaben aufgenommen. Natürlich konnte ebenso,
wie Neues aufgenommen wurde, auch Altes wegfallen, wenn
es nicht mehr zur Hand war, oder durch etwas anderes er-
1 Ä. Lobeck, Aj^laophamus I Re,f^imontii 1829, 26 f.; v. Fritze aaO. 7 f.
^ A. Dieterich, Mithrasliturgie i03ff.
16 Karl Wyß
setzt wurde. Aber zu einem solchen Schritthalten in den
religiösen Gebräuchen mit den Veränderungen des profanen
Lebens brauchte es eine große Unbefangenheit. Welcher
strenggläubige Abstinent ließe es sich heutzutage, trotz allem
Haß gegen den Alkohol, nehmen, beim heiligen Abendmahl
doch eine Ausnahme zu machen und selbst von dem Gift zu
trinken? Meines Wissens hat auch noch niemand den Vor-
schlag gemacht, den Abendmahlswein durch Milch zu ersetzen,
obschon das gar nichts so Absonderliches wäre ; sind doch
die ältesten Kirchen damit vorangegangen ^ Aber das heutige
Dogma will es nun einmal nicht.
Vor eine ganz ähnliche, nur umgekehrte Entscheidung
sah sich das griechische Volk gestellt, als es mit dem Wein
bekannt wurde. Sollte es vom alten Brauche abgehen und die
Wasser-, Milch- und Honigspenden ersetzen durch das neue
Getränk, das immer mehr die anderen vom Tische verdrängte ?
Hier schlugen die verschiedenen Stämme, ja sogar die ver-
schiedenen Volksklassen ein und desselben Stammes ver-
scliiedene Wege ein. Die adelige Gesellschaft des griechischen
Mittelalters, wie sie das Epos schildert, war unbefangen genug,
den bequemeren zu gehen. Sie vermag „den geistigen Druck
des Zaubererstandes" (des Glaubens an Zauberei überhaupt)
„nicht zu ertragen. So wahren sich vor allem die Häuptlinge,
die Ältesten und Geschlechtshäupter die Selbständigkeit und
Freiheit der Entschließung" 2. Die reichen, mächtigen Fürsten
kümmern sich wenig mehr um all die dunkeln Mächte, von
denen alles Tun und alles Glück nach dem Altväterglauben
abhangen sollte, sie fühlen sich vielmehr als ihre eigenen
Herren, die das schöne Leben genießen und nach ihrem Willen
einrichten wollen. Sie übertragen auch ihre Lebensbedingungen
ohne weiteres auf die Götter; es fällt ihnen nicht ein, sich
in deren Verehrung Zwang anzutun. Darum machten sie sich
keine Skrupel, von der Milch- zur Weinlibation überzugehen,
sobald sie selbst immer mehr zu dem neuen Getränk sich be-
kehrten. Daß sie selbst sich vom Milchgenuß ab- und dem
* H. Usener aaO. J92; G. Anrieh, Das antike Mysterienwesen in seinem
Einfluß anf das Christentum, Göttingen 1894, 316.
2 Ed. Meyer, G. d. Ä. I * § 49.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 17
Wein zuwandteu, mag seinen Grund darin haben, daß der
flüssigere Wein in dem warmen Klima als durststillendes
Getränk dem Gaumen überhaupt besser behagte, als die Milch,
die mehr als Nahrungsmittel dienen konnte; vgl. Plutarch, de
San. praec. 19: rwv öh vyqCov ydlaxTi i-dv ov% cbg tiotGj xQV'
<n€ov, älX^ ojg oltUo dvva^iiv k(.ißQid^^ '/.ul 7tolvTQO(pov e^ovri.
Zudem hatte der Wein vor der Milch den großen Vorzug,
lange aufbewahrt und besser transportiert werden zu können,
was um so angenehmer war, je weiter sich die höfische Ge-
sellschaft von einer stets an die Scholle oder besser gesagt
an die Herde gebundenen Lebensweise entfernte. Aus diesem
Grunde blieb wohl auch das haltbarste Milchprodukt, der
Käse, stets ein häufiges Nahrungsmittel, während die Butter
und die süße Milch nach und nach immer mehr zurücktraten.
Es liegt nahe, anzunehmen, diese Wandlung habe sich auf
dem Speisetisch der Menschen und im Kult der Götter gleich-
zeitig vollzogen, weil ja für jene Zeit im allgemeinen die
Regel gilt: „keine Mahlzeit ohne Opfer, wie kein Opfer ohne
Mahlzeit" ^ oder auch : kein Trunk ohne Spende, keine Spende
ohne Trunk.
Anders gestaltete sich die Entwicklung bei den Stämmen,
die an dieser hochentwickelten Kultur keinen Teil hatten, und
bei den unteren Klassen überhaupt, denen wohl der heitere
Himmel des Südens lachte, aber nicht die warme Sonne der
Freiheit und der Macht schien. Seit Urzeiten hatte sich ihre
Gottesverehrung in gleichen Formen bewegt. Inzwischen war
ihr Gottesglaube nicht zu der freien, aufgeklärten, ratio-
nalistischen homerischen Religion geworden, sondern er war
auf dem Standpunkt des mythischen Denkens stehen geblieben,
hatte sich vielleicht eher noch zu einem verstärkten Ab-
hängigkeitsgefühl von den Schicksalsmächten ausgebildete
Ed. Meyer *^ schreibt über mythische Vorstellungen und Er-
zählungen: „Immer haftet ihnen zugleich etwas Unheimliches
an, da sie eben von der Wirksamkeit der geheimnisvoll in
den Objekten hausenden Seelen und der überall in der Welt
' Bernhard! aaO. 3. « ßohde, Psyche I« 21 f.; 204 ff.
^ G. d. A. I'^ § 47.
ReligionBRCschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XY, 2. 2
18 Karl Wyß
umgehenden Geister berichten". Dem entsprechend glich der
Gottesdienst der niederen Klassen mehr einer Sklaverei als
dem freien Verkehr, den die homerischen Edlen mit den
Göttern pflegten. Darum wurde den überkommenen Formen
ein übertriebener AVert beigemessen: man klammerte sich an
sie und wagte nicht, irgend etwas daran zu ändern, aus Furcht,
die Gunst der Gottheit dadurch zu verscherzen. So behielt
man auch dieselben Gaben und Spenden bei, mochten sie auch
im gewöhnlichen Leben durch anderes verdrängt werden.
Dem Eindringen des Weines wurde der größte Widerstand
entgegengesetzt. Darum haben sich in so vielen Lokalkulten
die nüchternen Spenden, vr^cpdha, bis in die historische Zeit
hinübergerettet und stets behauptet ^
Sicher beweisen läßt sich diese Annahme, wie gesagt,
nicht, da sich der Wandel in vorhistorischer Zeit vollzogen
hat; sie scheint mir aber die wahrscheinlichste zu sein. Viele
unbekannte Einzelfaktoren mögen mitgewirkt haben; aber die
skizzierten Entwicklungslinien scheinen mir die Gesamtrichtung
bestimmt zu haben. Zuerst scheint also die Milch samt den
übrigen nüchternen Spenden stark zurückgetreten zu sein,
woraus sich dann nach und nach eine sakralgesetzliche
Regelung ergeben haben dürfte.
^ Vgl. V. Fritze aaO. 32 ; P. Stengel, Fleck. Jb. CXXXV 1887, 649 (Opfer-
bräuche der Griechen, Tenbner 1910, 178 ff.). Ders., Griech. Kultusalt. 93. —
Zur Illustration des aUbekanuten Konservatismus des Volkes in religiösen
Gebräuchen mögen noch zwei Stellen dienen, die sehr ähnliche Entwick-
lungen zeichnen. 0. Beundorf, Eranos Vindobonensis 1893, 375: „Die
Juden lernten in Ägypten den Sauerteig kennen; aber am Passahfest hielten
sie an ihrem alten ungesäuerten Brot fest." J. Heckenbach De nuditate
Sacra, RGW IX 3, Gießen 1911, 1 : Sed veteres cum deos ea ratione venera'
rentur , %it rituiim praescriptorunt seriem accuratissime exsequereyitur,
quorum vel minimo neglecto actiones saeras inrifas fieri putabant, nuditatis
etiam religionem ex antiquissimis temporibus velut sacram tanta tenacitate
retinebant, ut ne tum quidem ab ea superstitione desisterent, cum plane
fere erudiii eins moris vetustissimi primordiorum obliti essent. Qua ratione
facile fieri potest, ut sub nuditatis in rebus sac^-is reUgione, ut saepe accidit^
nihil aliud intelligamus, nisi temporum incultorum memoriam.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 19
4. Kapitel
Die Milch als weinlose Spende
Die Milch wird an und für sich als weinlose Spende im
Götterkult nicht oft angeführt, da sie niclit rein, sondern mit
Honig- vermischt verwendet wurde. Dieses fxeXiyiQaTov ist
wohl, wie Stengel annimmt \ „auch im Leben häufig genossen
worden". Noch zu Aelians oder seines Gewährsmannes Zeiten
kannte man dieses Gemisch, hist. an. XV 7: &(.iüyovoi yccQ
(ol 'Ivdol) TC£QiyXv/.iaTOv ydXa xai ov diovrai avaul^ai avxG)
fieXi, ÖTitQ oh ÖQüjöL "Ekltjveg. Fast scheint es, als ob in
dieser Zeit des verfeinerten Lebensgenusses unter gewissen
Ständen die Milch nur noch mit Honig, dem Zucker der Alten,
getrunken worden sei. In alter Zeit war das gewiß nicht so.
Das /.leXUgaTov mag als Leckerei gegolten haben und als
etwas ganz besonders Gutes den Göttern gespendet worden
sein. Sehr wahrscheinlich ist es die eigentliche Hauptspende
der indogermanischen Völkerfamilie überhaupt. Vgl. 0. Schrader,
Reallexikou 602: „Der Trank, mit dem die Unsterblichen
gelabt wurden, war ohne Zweifel der Met, an dem sich die
Götter berauschten wie die armen Sterblichen, die dadurch
für Augenblicke göttlicher Unsterblichkeit teilhaftig wurden. . . .
Auch altitalische Kultussatzungen schließen noch vielfach den
Gebrauch des Weines aus. An seiner Statt wird Milch ge-
nannt. Vielleicht ist der Argwohn gestattet, daß diese Milch
einen Zusatz von Honigmet enthielt, ganz wie in Indien der
Soma als Beimischung zu Milch häufig vorkommt." S. 85:
„Der idg. Rauschtrank war der aus Honig hergestellte Met
(jt/^^i» Wein, iii€^r] Trunkenheit). Gegorene und berauschende
Stutenmilch trinken Iranier und Skythen." S. 542: „So hatten
sich im Osten Europas die beiden ältesten Rauschtränke der
Idg., Met und Stutenmilch, am zähesten erhalten".
Ein Sophoklesscholiast zu Oid. Kol. 159 nennt statt Milch
Wasser als Bestandteil des Melikraton : ovyxiQvätai yäg Taitaig
' Fleck. Jb. CXXXV 1887, 65; Opferbräuche der Griechen 185.
2*
20 Karl Wyß
Talg ^ealg (den Erinyen) vduTog xal fxeliTog y.gä/^a, und Pollux
VI 17 nennt es sogar zo vvv oivöiieXi. Auch das sind Zeug-
nisse dafür, wie man in späterer Zeit dem Druck der Ver-
hältnisse, d. h. dem Mangel und der Ungebränchlichkeit der
Milch nachgab, und das Überkommene änderte. Nach Eu-
stathios zu Od. X 519 vollzog sich diese Wandlung schon
früh; für die homerische Zeit bezeugt er ausdrücklich, daß
das i.ieUy.q(xtov ein Milchgemisch war: (itUy.QctTov öe ol Ttahxiol
^üyi^d (paoL i^ii'Utog y.al ydkanrog Iviavx^a. Damit stimmt
überein das Scholion zu Eur. Or. 115, wo f.iEUy.QaTov ein
y.Qai.ia h i-uknog ytal ydXaxTog genannt wird. Wenn aber
Eustathios aaO. dann fortfährt : ol ^evroi /.led^' "OfitjQov ^lixqi
x«t lg agti yqäfAa ^leXitog v.a.1 vdaxog xo f^ekUoaTOv oXöaoi, so
„spricht er", wie schon Nitzsch (zur Od. III 162) ihm vor-
wirft, „zu allgemein". Denn besonders im Totenkult ist die
Verw^endung von Milchgemisch in späterer Zeit noch öfter
nachzuweisen.
Abgesehen von diesem später zu behandelnden Totenkult
ist das Opfer von f^ielUgarov am besten bezeugt für die
Erinyen. Im Kult der panhellenischen Olympier, der durch
die homerischen Gedichte bestimmt war, hatte es keinen Platz,
wohl aber bei diesen Rachegöttinnen, die zumeist an einen
bestimmten Ort gebunden waren und dort als Lokalgottheiten
verehrt wurden \ Hier tritt denn auch zuerst die ausdrück-
liche Bezeichnung des Opfers als „nüchterne Spende, in-cpdhov"
auf. Vgl. auch Schol. Aeschin. in Timarch. 88: talg l€i.ivaig]
?jV öe ra 7ten7t6f.iEva avtalg uga Ttonava y.a.1 ydXa ev äyysGL
xtgaf-isioig. Vielleicht ist hier nach einer Vermutung von
Nitzsch - yd)M als ungenaue Bezeichnung von (.islUgarov auf-
zufassen. In den Eumeniden des Aischylos macht Klytai-
mestra den schlafenden Erinyen Vorwürfe und erinnert sie
an die reichen Spenden, die sie von ihr genossen hätten.
Eum. 106:
fj TtolXcc uhv öl] t&v eucbv Ikei^aze,
%odg t' äoLvovg, vr](pdlia ^eilly ^laia.
Rohde, Psyche V 268 ff. ^ Zur Od. UI 162.
Die Milch im Kultus der Griechen uud Römer 21
'/lal WKTiaEf.ivct öslnv' sn' eoxccQCf rtvqog
ed-vov, wqav ovöevbg AOivijv ^eCbv.
Ähnlich umschreibt dieselbe Spende an die Eumeniden Apol-
lonios Rhodios (Arg. IV 712) rait „Besänftignngsmittel {j^la-
camenta) zu nüchternem Flehen":
r] d' eioio jisXavovg fuiXi'KTQd xe vrjcpaUrjOiv
y.aUv kit* evx<^ülfjOiv Ttaqeaiiog, ocpqa y^öloLO
OfXEQÖaXmg Ttavoeiev egirvag.
Auch die Sikyonier spenden den Eumeniden sowie den
Moiren ^akU^arov. Paus. II 11,4: eariv äkoog tiqIviov -Aal
vabg d^iwv äg i^&Vjvaloi Isf-ivag, Iiy.vcjvlol de Eöfievlöag
dvoi-id^ovoiv' xarcc öh hog exaoTOv koqrijv fjfiega /.uä acpiaiv
ayovOL d^tovreg Ttgößata ey-Av^iova, ^leXfHQcitqt öe GTtovöj]
xai avd^eaiv avrl OT€(pdviüv XQfiad^ai vof.U^ovoiv. eomÖTa de xai
€ni t(p ßio[.uo Tü)v MotQCüv ÖQwGtv. Dieser Tempel liegt
zwischen Sikyon und Phleius am Asopos \
Vgl. auch die orphischen Lithica 725 ff. von Meymqa und
den Molgai:
OTtTtoTE ö' lipojuevoiaiv inl /.qedeGOLv 'Uiovxai
daivvoO-aL tot' STtena, TtoQevvvo^ai /ns^iaöjTeg,
avTÖd^Ev tx TQiTtoöog (ra öe Xeiipava yuia ■AalvTtTot)
•/.ai ocfiv IjiLaTteloai Xevxbv ydla aoI /.le&v f]öv-,
•/Ml XiTta T r:S' IgaTOV tb fiilioorjg äv^iuov eiöag.
Über den Kult der Hemithea berichtet Diodor V 62: eoTi
ö' ev KaoidßM Tf^g Xtqoovvr^oov ieqov äyiov "Hf-iii^iag . . . h
öe Talg d^uoiaig avTf^g öia to ov(.ißav neql tov olvov ndd^og Tag
fih 07t ovöag f.ie?.iycQdTtp tvolovoi.
Den Nymphen und Pan läßt Theokritos Milchopfer
bringen. Id. V 53:
OTaaCü öe -/.gaTf^Qa [.leyav Xev^olo ydXa-ATog
Talg Nv ^(faig, aTaoco öe xai aö^og UXXov kXauo.
OTUoCo ö' OÄTü) {.lev yavXiog t G) IIa vi ydXa'KTog 58
OTiTw ÖS GAacpiöag /neXiTog nXia Y.r^qP b/olGag '^.
' Pausanias ed. Hitzig-Blümner I 2 409 f. und 539.
2 Hier wird eigentümlicher Weise, wohl aus Unkenntnis und Flüchtig-
keit des Verfassers, den chthonischen Gottheiten auch Wein gespendet.
^ Vgl. Verg. Ecl. V 67: pocula bina novo spumanüa lade (zitiert
Ton Fritzsche).
22 ' Karl Wyß
Läßt sich darüber auch nicht viel anderes sagen, als über
das Milchopfer der römischen Hirten an ihre Götter, Pales,
Pan usw. ^ so zeigt doch der Umstand, daß ihnen vi](pdhtt
geopfert wurden und, wie dies ausdrücklich hervorgehoben
wird, daß bei den Griechen auch in diesem Kult die wein-
losen Spenden ihre besondere Bedeutung hatten. Tansanias
gibt nämlich folgende Nachricht, V 15, 6: i^Hlsloi) fiövaig öh
Talg NvfjKpaig ov vofii^ovaiv oivov ovds ralg Je-
arco ivaig aTtevdeLvovöeinlrö^ ß lofxq) rG) y.o lvöj itdv-
Tiav -d-eibv.
Ein inschriftliches Zeugnis, wohl aus dem Ende des 4. Jahr-
hunderts, nennt ixelUqaxov als Spende im Kult des Zeus Fo-
lie u s auf Kos ^ :
. . . sniortEvdeTO) ^€A/x[^aTOV, '/.dqv^ ö\e Y.(xqvGoiTO) kogiaCleiv
Zr]vbg n]o[kifj]og eviavria u)Qala.
Die römische Göttin Bona Dea wurde in einer Art
Mysterienkult von den Frauen verehrt. In ihrem orgiastischen
Dienst spielte der Wein eine große Rolle; aber er durfte nicht
beim rechten Namen genannt werden, sondern hieß in der
Kultsprache lac und das Gefäß, worin er war, mellarium.
Macr. sat. I 12, 25 (oben S. 12 zitiert); Plut. qu. Rom. 20:
olvov de avrfi OTtevdovOL ydXa 7tQooayoQEv6f.iEvov. Das ist doch
wohl nichts anderes als ein Rest der griechischen Sitte, dieser
chthonischen Gottheit vr]rpdha zu spenden; denn Bona Dea
ist eine aus der griechischen Mythologie, nach Wissowa wahr-
scheinlich im Jahr 272 v. Chr. ^ übernommene Gottheit.
Gleichsam {.uUy^QccTov in verdicktem Zustand erhielt ein
Heros der Eleer nach Pausanias VI 20, 2*: fj de tcqeo-
ßvrig Tj d-eqanevovoa zbv Zwo LtioXiv vöfxtp re ayiorevei Tri)
» Vgl. E. Cartius, Hermes XXI 1886, 200: „Die Quellen sind die
ältesten und die spätesten Gegenstände des Gottesdienstes gewesen. Es
hat eine Zeit gegeben, wo nur Zeus und die Nymphen verehrt wurden . . .
die mit weinlosen Spenden gefeiert wurden als die wirksamsten Wohl-
täterinnen der Pflanzen, Tiere und Menschenkinder".
2 Paton and Hicks The inscr. of Cos, Oxf. 1891, no 37 = CoUitz
DI III 1 n. 3636, 36.
* Vgl. Wissowa P W III Sp. 686 ; R. Peter in Keschers Lexikon I Sp. 790.
* Vgl. Hermes XXIX 1894, 281 u. 625; P. Stengel, nelaiSs (Opfer-
bräuche 66 ff.).
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 23
^Hkelcov xft« avTT], Xovtqo. te lo(f€QU %ö) d-eöj -Kai (.id^ag xaza-
tid-r]aiv avT(t) (.isfiayf^evag (.lelixi . . , €7ti07t€vöeiv ov vo^iCovaiv
ohov. Znr Bereitung der ^<S^a scheint nämlich außer Mehl
von jeher unter anderem auch ungefähr das, was man jeweilen
unter f.uUy.Qarov verstand, verwendet worden zu sein nach
Erotianos 248 : (.läta ' q)VQa(.ia kB, alcpirojv ycvöfisvov, ttotb ftkv
juez^ ö^vueXiTog, Ttozh de fiez' d^vyiQccTOV r; vd^oi-ielnog f] jue&^
i'darog, und den Angaben des Aristophanesscholiasten zu Pax 1
und Suidas, welche die Maza tt^v TQO(pi]v tijv ano yäXay.-
Tog yial gltov nennen. Ein ganz ähnliches Opfer brachten
auch die Athener am Fest der Göttermutter^: FaXd^ia:
ioQTt] l^d^t]vr]Oi f.iriTQi d^eCov dyofievi], h> f] eipovoi ttjv yala^iav.
h'oTcdeTTokTogxQiO'ivogey. yccXaxTog.
Gerade hier läßt sich die Identität des Opfers mit der
ursprünglichen Volksnahrung wieder klar erkennen: denn
dieser Gerstenbrei war seit Urzeiten ein Brotersatz der Grie-
chen und Römer, wofür schon die etymologische Gleichung
puls Ttölxog zeugt ^ 0. Benndorf, Eranos Vindobonensis 375,
bezeichnet als das zweite Stadium der Brotbereitung „das
Anrühren eines mehr oder weniger dicken Breies aus Mehl,
der durch Salz, Fett, Milch, Käse (z. B. Polei im Demeter-
hymnus) ^ usw. wohlschmeckender gemacht und gekocht oder
ungekocht als Speise wie als Trank genossen wird". Das
dritte Stadium ist „das Rösten oder Backen eines gekneteten
- . . Mehlteiges . . ., wobei die zur Anfeuchtung verwendeten
Substanzen: Wasser, Milch, Öl, Wein usw. und allerhand
würzende Zusätze wechseln".
Leider ist über die Bestandteile der weinlosen Opfer an
Götter sonst nirgends Genaueres überliefert. Aber nach dem
Gesagten wird anzunehmen sein, daß überall, wo vricpdlia ge-
spendet wurden, das i^iekUgarov die Hauptrolle spielte. Eine
vollständige Zusammenstellung der zerstreuten Nachrichten
über diesen Gegenstand gibt Th. Wächter, Reinheitsvorschriften
^ Im. Bekker, Anecdota I 229, 25; Hes. s. v. yaXa^ia. Danach durch
V. Wilamowitz Fnla^ta hergestellt bei Theophrast Char. XXI 11, s. Lese-
buch II (Textband) 305.
^ Vgl. Schrader, Reall. unter 'Brei' 111; Mommsen, Rom. Gesch. I «19.
* Hymn. hom. in Cer. 209.
24 Karl Wyß
im griech. Kult, RGW IX 1, Gießen 1910, 109. Außer den
chthonischen Gottheiten, wie Demeter, Eumeniden, Amphiaraos
u. a., denen überhaupt nie Wein gespendet wurde, erhielten
auch von den übrigen Göttern einige, meist an engbegi-enzten
Kultorten, vrifpdha; so Aphrodite, Eos, Helios, Selene, die
Musen und Nymphen, Zeus Hypatos in Athen u. a. Von den
Erklärungen, die Wächter gibt, ist die einleuchtendste die,
welche „die weinlose Spende als festgehaltenen Rest primi-
tiver Sitte" auffaßt. Wie oben gezeigt, ist das ^ulUqccxov ja
wahrscheinlich der in seiner Zusammensetzung allerdings etwas
der Veränderung unterworfene Mettrank. Der aber war ur-
sprünglich berauschend und ist es wohl geblieben, bis der
leichter zu beschaffende Traubenwein die Bereitung des Honig-
likörs überflüssig machte. Die Griechen kannten also die
Trunkenheit schon vor der Verwendung des Weins gerade
von diesem später als vr^cpdliov verwendeten Opfertrank her;
es ist daher widersinnig, sie als Grund des Ausschlusses des
Weines von gewissen Opfern anzunehmen. Leider ist die
Etymologie des Wortes vri(p€iv nicht mit Sicherheit festgestellt \
Wenn Ficks- Vermutung richtig ist, so wäre das Wort mit
einem keltischen „nagro-s, bescheiden" in Verbindung zu setzen,
woraus geschlossen werden könnte, daß ursprünglich nicht
der Begriff des „nicht trunken seins", sondern bloß der des
„sich Enthaltens von dem (teuern, kostbaren, ungewöhnlichen,
oder nicht durch den Gebrauch geheiligten?) Wein und des
sich Bescheiden s mit dem alten Met" darin enthalten gewesen
sei. Man vergleiche damit die Ausführungen von E. Curtius^:
„Opfergebräuche sind die dauerhaften Zeugnisse alter Sitte.
Die Götter lebten nicht anders und besser als die Menschen ;
solange diese, von der Außenwelt abgeschlossen, auf die Er-
zeugnisse ihres Bodens angewiesen waren, nahm man zu den
Spenden Honig und Milch. ... Es war das 'indoeuropäische
Ureigentum' wie es Hahn nennt, und auch nachdem die
Hellenen Öl und Wein angebaut hatten und sich den wein-
» L. Meyer, Gr. Etymol., Leipzig 1902, IV 262.
2 A. Fick, Vgl. Wörterb. der idg. Spr. II * Göttingeu 1890, 189.
" Sitz.-Ber. Ak. Berl. 1890 S. 1142 und 1143.
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 25
losen Barbaren des Binnenlandes gegenüber ihrer reich-
entwickelten Kultur freuten, blieben die vr^cpdha ieqd, vr^(pdXiot
^iof.iol in alten Ehren".
Als sich dann das Bedürfnis geltend machte, den Gottes-
dienst in feste Formen zu fassen und die religiösen Anschau-
ungen in Dogmen festzulegen, wurde zum Gebot mit irgend-
welcher rationalistischen oder explikatorisch erdichteten Be-
gründung, was sich aus den Verhältnissen in natürlicher Ent-
wicklung ergeben hatte. Wie sich die Römer das Milchopfer
durch erfundene Begründungen verständlich machten, so die
Griechen die vrjcpdXia überhaupt. Apollon soll die Eumeniden
einst mit Wein betört und ihnen so den Genuß des gefähr-
lichen Getränkes verleidet liaben ^ Helios durfte auf seiner
Bahn um die Erde nicht durch Alkoholgenuß schwankend ge-
macht werden. Athenaeus XX 693e: öelv Uyovteg rbv ra öXa
Gvvi%ovTa /.al öiay.Qaxovvia d^eov y.al diX TttQiTio'kevoviu xov y.oojuov
äXXoTQiov eivai f.ie&rjg.
5. Kapitel
Die Milch bei der Totenbeschwörung und im
Totenkult
Alle Getränke, die die Lebenden liebten, kamen auch
den Abgeschiedenen zu, ohne daß hier ein Unterschied zwischen
weinhaltigen und nüchternen gemacht worden wäre. Oft
werden Wein, Wasser, Milch zusammen gespendet und zwar
die Milch auch hier meist mit Honig versüßt, also in der
Form des (.leXUqaTov. Das älteste Zeugnis ist eine der wenigen
Stellen des homerischen Epos, die einen Blick tun lassen in
den nichtolympischen Kult des griechischen Mittelalters.
Odysseus trifft, den Eat der Kirke befolgend, die Vorbereitungen
» Aisch. Enui. 727 f. — Vgl. P. Stengel, Fleck. Jb. CXXXV 1887,
649 ff. (Opferbräuche 182).
26 Karl Wyß
zur Toten beschwörung, indem er den abgeschiedenen Seelen
ein Mahl bereitet. Od. XI 25 (vgl. X 517):
ßö&QOv 0Qv'^\ booov T€ TivyovGiov €vd^a xai tv&a
a^icp' avT(p ök xo^]V ys6{.iriv Ttäaiv vev.veoo iv ,
TTQÖJTa {^i £liy.Qi]TO) , f.ut€7tsiTa Ök rjösc olVw,
TO TQLtOV aviF vÖttTl.
Dazu das Scholion bei Eustathios zu Od. X 519: fisXi^aTov
ds ol TtaXaiol ^ilyi^d cpaoiv ^idhrog ytai ydXa-ATog kvravda.
Denselben Zweck, die Seele eines Toten kirre zu machen,
um sie dann zu zitieren, verfolgt Atossa mit ihren reichen
Gaben in den Persern des Aischylos. Diese Verse sind so
recht dazu angetan, zu zeigen, wie es auch hier darauf an-
kommt, „alle guten und reinen Dinge", von denen diesmal
nicht ein Gott, sondern der Verstorbene lebt, zu weihen,
ohne daß auf eine bestimmte Auswahl geachtet oder einzelne
Gaben für wirkungsvoller als die übrigen gehalten würden.
Aisch. Pers. 609 ff.:
Tiaiöo g TtaTQi 7tQ€vfi€V€lg xoag
rp€QOvo\ aTTSQ vey.QOiGi tusLlixTrjQia,
ßoög r acp" äyvrig Ievy.ov evTtovov ydla,
Tjjg t' dvd-e 1.10V Qyov aray^ia, naf^ifpaeg {.liXi,
lißdaiv vÖQrjlalg Ttaqd-svov 7triyi~]g f.i€ta,
ayirjQUTÖv ts /it)]tQbg dygiag ano
TtoTov Ttakaiäg d^iirekov ydvog röds'
Trjg d' aisv h rpvXloiGi d-aXXovorig ßiov
'§av37jg eXdag -/.aqrcbg svwdrjg Ttdqa,
ävd-rj re TtXf.yt.Td, itaurpoQOv yaiag re-Ava.
Hier scheint besonders auf die Reinheit der Spenden und
Gaben Gewicht gelegt zu sein: Tta^upaig, durch und durch
leuchtend muß der Honig sein, von jungfräulicher Quelle das
Wasser und von wilder Rebe der Wein. Dazu paßt die Milch,
deren hervorstechendste Eigenschaft, die weiße Farbe, das
eigentliche Bild der Reinheit ist.
Auch Aeneas gießt bei seiner Ankunft in Italien den
Manen seines Vaters Anchises außer Wein und Blut Milch
auf die Erde. Verg. Aen. V 77 :
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 27
hic duo rite raero libans carchesia Bacclio
fundit humi, duolacte novo, duo sanguine sacro
purpureosque iacit flores ac talia fatur:
'salve, sancte parens'.
Vergil hat hier seine Kenntnisse vom griechischen Opfer-
gebrauch verwendet, aber seine römische Reflexion, die hinter
jedem einzelnen Teil der Spende einen bestimmten Sinn und
Zweck suchte, hat geholfen, das Bild recht zauberhaft zu ge-
stalten. Zu dem Wein und der Milch tritt hier gleich das
„heilige Blut", das Odj^sseus erst nach der Spende in die
Grube fließen läßt als das eigentliche Beschwörungsmittel, und
die avd-rj Ttkeycrä Ttaf-icpögov yaiag texva der Atossa werden hier
zu den purpurei flores'-, die natürlich eine chthonische Be-
deutung haben sollen. Eine Schlange, von der Aeneas nicht
weiß, ob sie ein Diener des Vaters oder der Genius loci ist,
macht sich dann auch heran und genießt die Spende.
Lehrreich ist die Anmerkung des Servius zum Vers 78:
Lade novo] auf sfafim nmldro, auf post fetum, quod Co-
lostrum dicitur neufro genere. umbraß autem sanguine et lade
satiantur: unde feminae, quae mortuos prosequuntur , uhera
tundunt, ut lac exprimant, cundi autem se lacerant, ut san-
guinem effimdant. Die Erklärung des novum lac als Bries-
milch ist kaum die zutrefi'ende; wenigstens kenne ich keine
Stelle, die auf ein Opfer von Colostrum schließen ließe. „Frisch
vom Euter weg" aber spendet auch ein Hirte bei Theokrit.
Id. I 143 f.:
xat %v öiöov Tccv aiya x6 rs ov.vcpog, äg x€v äf.ieX^ag
OTtsiöu) ralg MoLoaig^.
Während von Aeneas eine Beschwörung nicht beabsichtigt
war=*, wohl aber das Opfer dem des Odysseus in der Nekyia
ähnlich ist, läßt Silius Italiens den Scipio mit vollem Bewußtsein
einen großen Beschwörungsapparat in Szene setzen. Autonoe
gibt ihm Anweisung. Fun. XIII 429:
' Servius zu Verg. Aen. V 79 : Purpureosque iacit flores] ad sanguinis
imitationem, in quo est sedes animae. ^ Vgl. oben 21 Anm. 3.
' Er erschrickt ob dem Anblick der Schlange : ohstipuit visu Aeneas, V 91.
28 Karl Wyß
ordine raactari pecudes iubet. ater operto
ante omnes taurus Regi, tum proxima Divae
caeditur Hennaeae casta cervice iuvenca,
inde tibi, Allecto, tibi, numquam laeta Megaera,
Corpora lanigerum proeumbunt lecta bidentum.
fundunt mella super Bacchique et lactis honorem.
Man sieht, wie diese Szenen immer zauberhafter ausge-
schmückt, die maßgebenden Elemente aber von Homer bis in
die spätesten Zeiten beibehalten werden \ — Überraschend
klingt diese Stelle an die Schilderung einer Beschwörung
durch Ovid (met. VII 240 ff.) an, vor allem darin, daß, wie Usener
in einem Nachtrag zu Milch und Honig, Kl. Schrift. IV 414,
bemerkt, die Spende vom Totenkult auf die Götter der Unter-
welt übertragen wird. V. 246:
tum superinvergens liqnidi carchesia mellis
aereaque invergens tepidi carchesia lactis
verba simul fudit terrenaque numina civit
nmbrarumque rogat rapta cum coniuge regem.
Noch im Heroikos des Philostratos wird eine Art Be-
schwörung durch diese Seelenspeise beschrieben, allerdings
auch hier, wie in der Vergilstelle mehr nur als Opfer gedacht ;
aber hier wie dort erscheint der Empfänger der Spende körper-
lich ; der Winzer, dem der troische Held Protesilaos bei seiner
schweren Arbeit hilft, erstattet ihm zum Dank eine Spende,
deren Darbringung er folgendermaßen beschreibt. Her. p. 291 K. :
■/.aiTOL GTievöu) ye avxCo xara loireQav Öltco roviiovi tCjv daaiiov
ai^iTteXiov, äg (pvxevEt avrög, xat rqwAra öh wQata TtQorid-e^aL
xöTct ^s07]/i(ßQlav, eTteiöav ^iqog re fjxTj xal luerÖTttoQOv iGTfjratf
oslT^vrjg TS iovGr]g Ig -/.v-aXov iv tfj tov rjQog wqa ydXa kyxiag
kg TOV \pvy.Tt]Qa toDxov Höov ool Xiyio 'ro %f^g loqag väf.ia, av
de Ttive', yidyu) fihv eitviov ravia ujtaXXätwixcti, %a öe ßeßQWtai
t€ xat TieTtOTai d^ÜTzov j] ytara^ivaai.
In der Zeit des blühendsten Aberglaubens waren es natür-
lich nicht mehr nur die Helden der Epen, die Tote beschworen
* S. L. Fahz De poetanim Uomanorum doctrina magica, EGVV II
3, 1804, 111 ff., der S. 114 noch mehr Material gibt.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 29
oder beschwören ließen, sondern nach dem Glauben der Menge in
Griechenland wie in Rom war die Macht über die Unteren auch
Menschen, die mitten unter dem abergläubischen Volke lebten,
gegeben. Das Handwerkszeug entnahm aber dieser Berut
teils altem Volksglauben teils den dichterischen Phantasie-
bildern der Vergangenheit.
Die Künste einer Zauberin beschreibt TibuU I 2, 45:
haec cantu finditque solum Manesque sepulcris
elicit et tepido devocat ossa rogo:
iam tenet infernas magico Stridore catervas
iam iubet adspersas lacte referre pedem.
Lukian führt die sonst immer den Toten gebrachten
Spenden als Nahrung eines Hadesfahrers au; Mithrobarzanes
läßt ihn durch bestimmte Auswahl der Getränke und Speisen auf
die abenteuerliche Reise sich vorbereiten. Luc. Ney.. 7: y.at
aiTia ^ihv fif.iiv ra a-KQoÖQva, Ttorov de yccla -/.al (xekl^Qarov
xal To Tov XodoTtov vdujQ. Dieterich ^ hat dies mit der Ver-
wendung der Milch im Mysterienkult zusammengebracht. Mir
scheint aber diese Stelle eher auf die Totenspenden und Be-
schwörungsopfer zu weisen; der Hadesfahrer muß sich durch
den Genuß derselben Speisen, die die Toten nähren, in einen
ihnen ähnlichen körperlichen Zustand versetzen, um nicht
zu sehr aufzufallen und Widerstand zu begegnen ; doch mögen
auch hier literarische Kenntnis und Beobachtung der Ge-
bräuche der Zeit zusammengeflossen sein. Ähnlich steht es
mit der Vorschrift des Berliner Zauberpapyrus I 20 (Abh.
Berl. Akad. 1865 S. 120): laßtov t6 yäla aiv tw ineXiri a/törtie.
Sonst dient im Zauber die Milch meist als Spende für Toten-
geister oder chthonische Dämonen, um sie zu versöhnen oder
zu beschwören; Pap. Par. 2192 (C. Wessely, Denkschriften
Wien. Akad. 36). Der Zauber zeigt also dasselbe Bild wie
der Kult.
Die Totenspende ohne Beschwörung wird in der
attischen Tragödie mehrfach gestreift. Chrysothemis sieht
am Grabe ihres Vaters ycohov-qg i^ äxoag veo qqvtovq Ttr^yag
Mithraslit. 172.
30 Karl Wyß
ydkayirog und Blumenkränze ^ Fein hat hier der Dichter
nur den Teil der Spende genannt, der eine sichtbare Spur
hinterläßt. Antigene weiht den Leichnam ihres Bruders
xoalai TQiOTtövöoioi^. Das Scholion erklärt: fiehn, ydXaxrty
ohip. Auch der Scholiast zu Euripides Hek. 527, wo Neo-
ptolemos seinem Vater Achilleus vor der Opferung der Polyxena
spendet, erklärt die x^«^ mit oivov örfkovön, i-if/u, yaXa xai
äXsvQov.
Im Orestes des Euripides schickt Helena Hermione zum
Grabe der Klytaimestra mit dem Befehl (Vers 114):
lld-ovoa ö' ccf-Kfl Tov KKvTaif.iriGiQCig xärpov
[.isXlxQaz^ ärpeg ydka'KTog oIviottÖv r' äxvrjv.
Der Scholiast erklärt /.ulingaTa ydla/.Tog wieder fjioi za ocTtb
(.liXiTog AOL ydla/.Tog y.£v.Qaf.i€va. Die oivoinbg äxvrj wird wohl
eine Umschreibung für Wein sein: brav yao eTayiTqxai olvog
Tip i'K ixiXitog '/.al ydla-/.tog yi^dfiari ETiiTiolaiiog /.üTai. Dem-
nach wären hier alle drei Spenden gemischt verwendet worden.
In dichterischer Umschreibung erscheinen die Toten-
spenden in Eur. Iph. Taur. 158:
"j-höa Tteuipag, &) rdaös yoag
(.if/J.O) -AQUir^Qd T£ TÖV ff^^lflSVOJV
vÖQUivsiv yaiag ev vibxoig,
Tnqydg t' ovQeiojv £z (.idoyiov
Bd/.yov t' oivTjQctg koißag
§ovd^äv t€ Ttovr^i-ia (.leXiöOäv,
a vsxQoig d-EkATr^oia xürai.
Den Manen der gefallenen Helden werden alljährlich
bei Platää Massenspenden dargebracht, wobei zum Gewöhn-
lichen noch Öl und Salbe tritt. Plut. Aristid. 21^: ercovrai
d' afta^ai (.ivqqivr^g ueoral /.al OTefpavioi.idT(ov -/.al fieXag raüQog
■/.al xo«S ohoo xal ydXa-/Tog ev d(.i(poQ£voiv kXaiov ze
■/.al (xvQov -/QCDoaovg veuvia/.oi '/ofii^ovzeg iXevd-eQOi.
^ Soph. El. 894 und dazu Kaibel 209 f. ^ Soph. Ant. 431.
» Vgl. Aisch. Pers. 609, oben S. 26.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 31
Ein dem Alkaios zugeschriebenes Epigramm besingt die
Weihe des Leichnams Hesiods durch Nj^mphen und
Hirten. Anth. Pal. VII 55:
yJojtQiöog iv ve(.iü o-auqix) vinvv 'Hoioöoco
aal rdcpov vipcooavTO' yäXaxti de noiuiveg aiywv
tQQcivav ^avd-ij) f.u^6^ievoi (.liliti.
In Pisae in Etrurien wurde einem Verstorbenen ein all-
jährlich wiederkehrendes Opfer mit Milch, Honig und Olspenden
inschriftlich zugesichert. CIL XI 1420, 19: Inferiae mittantur
hosque et- ovis atri infulis caenilis infulati dns Manibus mactentur
eaeque hosiiae eo loco adolentur superqiie eas singulae urnae
h actis, mellis, olei fundantur.
Daß Dichter, wie Statins, solche Besonderheiten des alten
Kults aufgriffen und mit solcher Gelehrsamkeit prahlten, ist
nicht verwunderlich. Über die Leichenfeier der Griechen für
Opheltes, den Sohn des Königs von Nemea, sagt Statins
Theb. VI 209:
pallentique croco strident ardentia mella
spumantesque mero paterae verguntur, et atri
sanguinis et rapti gratissiraa cymbia lactis.
Die Seele desKyzikos, des von den Argonauten wider
den Willen des lason getöteten Dolionenkönigs , besänftigt
Orpheus mit einem Totenopfer. Orph. Arg. 572:
avTOQ eyioye
ipvxrjv UaGdi.irjV, artevöcov fieikcy^iata xütAwv,
vöari t^ rjöe ydXaxjL /.uXioooQvroig af.ia vaoi^oig
Xoißag kxTtQOXiOJV >t«f ifiotg v^voiol yeQaiQiov.
Es scheint, daß man tatsächlich noch zu den Zeiten Lu-
kians an dem alten frommen Brauche festhielt, den der Spötter
natürlich mit aufklärerischem Hohne persifliert im Charon 22 :
XoQ. oi de Kai TtVQCtv vi]oavTeg ttqo xCbv X"'|Karwy ymI ßö&QOv
riva OQv^avreg xaiovai te zavrl rot nokvreh'j delnva v-oi ig %a
oQvyiiata olvov xai fisXlxQUTOv, u)g yovv eixdoai, Ixx^ovoiv: —
32 Karl Wyß
'Eqy.. ovvt. olda, öj 7T0Qd^(.itv, ri ravra Ttgbg rovg kv 'Aidov Tte-
Ttiaievyiaoc yoüv rag ipi'xag ävuTtmTioiihag xccTiod-ev öemvelv
ftev wg olöv TB 7reQi7r€rof.i6vag ttjv xvlaav y.al tov y.aTtvöv, Ttiveiv
Öe &7tO TOV ßÖd'QOV TÖ fielUQCCtOV.
Im Gegensatz zu diesem Rationalisten gibt der Neu-
platoniker Porphyrios eine komplizierte mystische Erklärung
der Milchspende de antro nymph. 28: df^ixog de dveiQcov xara
Uv&ayÖQav al ipvxai, ag Gvmyeai>(xL rpr^oi eig tov ya).a^iav tov
ovTO) 7CQOoayoQ€v6/j,evov utio töjv yccla-ATL TQsrpo/iisviov, brav eig
yeveoLV Treowaiv. dib ytal airevöeiv avTalg TOvg ipvxccyojyovg fielt
y.eY.Qaf.iivov ydlav-Ti <og &v öi fjdovf^g elg yeveoiv /.lefieXeTr^-
yiiiaig eq^eod^ai, alg avy/cvelod-ai rb yä'/M 7ticpv/.EV.
Die pythagoreische Weisheit schlägt aber schon in das
Gebiet der Mysterien ein, die später zu behandeln sein werden ^
6. Kapitel
Die sühnende Wirkung der Milch
Oft werden die Spenden an chthonische Gottheiten oder
Tote^ als /.lediyfiara , i.iediy.Ti]Qia , /neihxTQa, d^elycrr^gia be-
zeichnet. Daraus ist von einigen Gelehrten geschlossen worden,
daß Honig, Milch, Melikraton, Öl an sich, um ihrer natür-
lichen Eigenschaften willen als Linderungsmittel, die den Zorn
der Unterirdischen besänftigen, aufgefaßt worden seien. So
sagt Stengel, Gr. Kultusaltertümer 93: „Denn die Götter
der Unterwelt hassen den Wein; Honig und lindes Öl be-
sänftigt sie wie die Toten". Ähnlich H. Di eis, Sibyll.
Blätter 69: „Diese nüchternen Spenden (vrjrpdXia) haben zu-
nächst nur den Zweck, das vergossene Blut abzuwaschen, wie
der Luperkalienritus noch deutlich zeigt, sodann aber lindernd
1 Vgl. noch Lact. Plac. zn Stat. Theb. IV 607 : Nee alius liquor, qui
sacrifidis (d. h. für Tote) consuevit offerri. niitigat, i. e. vini mit meUis aut
lactis. Das Scholion Dresdense hat nur ladis et mellis. Nachtrag Useners,
Milch und Honig, Kl. Schriften IV 403. ^ g. oben Kap. 4 und 5.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 33
auf den Zorn der rnterirdischen einzuwirken. Daher werden
neben reinem Quellwasser, welches das Blut abwaschen soll,
gern Milch, Honig, Öl als fieiUyi-iaTa hinzugefügt." Und
von Fritze aaO. 34: Illae deae, quae crudeles apud inferos
versabantur, non erant 'particifes laetitiae, qua dei sirperi saejm
deledahantur. Quo fiebat, ut non vinum, qiiod excitat annnos,
furiis offerretiir, sed täles liquores, qui leniunt animos, ut mel,
lac, oleum. Quod iam Jimc apparet quod In potus vocantur fxei-
Äiyf^iaTa.
Was heißt u€iUyi.iaTa, (.isihY.Tr^Qia? Diese "Worte gehören
zu ndhyog mild, angenehm ^ /Aeihyfia ist Nomen actionis
zu dem Verbum usiUaaoj -, usdiy.Ti]Qic( ist das, was zu dem
„Mildmacher" /^ledixTr'iQ gehört. Später hat sich von hier aus
eine allgemeinere Bedeutung, „das Milde" entwickelt.
Diese abgeblaßte Anwendung erläutern folgende Beispiele.
Hom. Od. X 217: Wenn der Herr vom Mahle kommt,
umwedeln ihn die Hunde,
aisl yccQ ts (piget ueiXlyfiara d-vf.iov.
Aisch. Ag. 1438 wird Agamemnon XQvorfidiov (xdhyua genannt.
Theokrit (Id. XXII 221) rühmt sich : ymI eyw liyeCjv fieiUyi^ara
MOVGWV . . . cp€Qto (v. Wil. MovGeojv).
Die ^ELUy^iara sind also hier „etwas Mildes" im Sinne
von „etwas Angenehmes, Süßes, Erfreuendes" ; der Gegensatz
wäre „etwas Scharfes, etwas Unangenehmes". Ich kann den
Sinn nicht besser umschreiben als mit dem biblischen Aus-
spruch über den Wein nach Luthers Übersetzung: Wie „der
Wein des Menschen Herz erfreut", so tut das auch alles, was
mit tj.siliyf.ia bezeichnet wird. Fleischbissen erfreuen das Herz
der Hunde, Agamemnon das der Briseis, und wessen Herz
erfreuen nicht die Lieder des gottbegnadeten Sängers? In
erster Linie werden diese Wirkung eben alle „guten und
reinen Gaben", mögen sie nun bestehen aus was sie wollen,
haben. Darum erklärt Hesych nicht ganz mit Unrecht (.uüUy-
fiara mit dLTtäqyiiaxa (Erstlingsopfer)" düyqa.^ y.al i) nqol^, und
^ E. Boisacq Dict. etym. de la langue greque 620.
* Brugmann-Thumb, Griech. Gram. 222.
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XV, 2.
34 Karl Wyß
ebenso das Scholion zu dem angeführten Homervers -/.Qia tiva
■Aal TiQog fjöovTjV öioQi]iAaza.
In den angeführten Stellen wäre eine Übersetzung von
IxELlty^iaxa mit: „etwas Milderndes, Linderndes" direkt sinn-
widrig. Nun aber ist nicht zu leugnen, daß besonders spätere
Schriftsteller ^leihyi-ia in der ausgesprochenen Bedeutung von
„Linderungsmittel, Besänftigung" brauchen und somit zur ur-
sprünglichen Bedeutung zurückkehren. So Plutarch Pomp. 47 :
iKLTticovi ooyfjg (.leLltyna Trjv aavTOv d-vyarcQCc y.azaivsoag. So
geben auch die Lexikogi'aphen und Scholiasten vor allem diese
Bedeutung wieder: orii.iaivei rh TrgavvTiy.d ^. In derselben Be-
deutung wird das Wort sogar übertragen für Arzneimittel
gebraucht. Nikandros Ther. 896 f.ieihyiiOL vovocov.
In welcher Bedeutung wird nun das Wort /.alhyua in
den Stellen der Tragiker angewendet? Offenbar soll es nach
der Meinung der angeführten Interpreten die Wirkung physi-
kalischer Eigenschaften der einzelnen Spenden bezeichnen:
die Süßigkeit des Honigs, der Milch, das Kühlende, Lindernde
des Öls. Schon hier müßte man aber einen recht weiten
Begriff suchen, um alle diese Eigenschaften zusammenzufassen :
„lindernd, besänftigend" stimmt wohl für Öl, weniger für Milch,
kaum für Honig und Melikraton, besonders wenn wir es als
das ursprünglich berauschende Getränk, den Honigmet auf-
fassen. Endlich wird von Aischylos auch der Wein unter all
die fisdi-ATriQia vey.QolOL^ gezählt, die Atossa spendet. Diese
Tatsache, daß die nuUy^iaTa nicht immer vr^cfäha sind, wie
Eumen. 95, widerlegt die Annahme von Stengel, Diels und
von Fritze am besten. Wenn also irgendeine besänftigende,
lindernde Wirkung erzeugt werden soll, so geschieht das offen-
bar nicht durch eine besondere Eigenschaft der einzelnen
Teile der Spende, sondern höchstens durch die Spende als
solche, bestehe sie nun aus was sie wolle. Wo es sich um
Totenspenden handelt, sind Besänftigungsmittel überhaupt
gar nicht am Platz. Die Toten im Hades haben nach da-
1 Eustath. zu Od. X 217 (1655, 44); Et. M. 582, 28. Vgl. Herodian.
II 549, 23 Lentz; Schol. za Soph. Oid. Kol. 159 und zu Eom. Od. X 217
(ed. Dindorf Oxonii 1855, 462).
* S. oben 26.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 35
nialiger Anschauung keine Macht über die Lebenden, ihr Zorn
braucht nicht gemildert zu werden, da er ohnmächtig ist;
aber sie lechzen nach der Nahrung der Menschen, nach den
süßen Spenden, olme die ihr Dasein unerträglich wäre\
Dieser Auffassung widerspricht auch, wie ich glaube, die
Bezeichnung ^el/.Ti'iQiu nicht; gerade die schönen Verse Eur.
Iph. Taur. 156 zeigen, daß die Schwester Iphigenie sich aus lauter
Mitleid bewogen fühlt, dem Bruder diese d^sh/.Tt]Qiu zu spenden :
kein Gedanke an eine verzaubernde Einwirkung auf den Ab-
geschiedenen zu ihren Gunsten. Auch hier ist wieder von
der Grundbedeutung des Wortes it^elytiv „streicheln" auszugehen :
Iphigenie will dem Bruder gleichsam eine „Liebkosung", wir
können nur sagen „etwas Liebes" zukommen lassen; das AVort
ist hier nur in honam partem angewendet, so wie auch wir
„bezaubern" von einer sehr angenehmen Wirkung sagen können,
Aischylos verbindet die beiden W^örter (.ailiyua und ^ely.-
tiIqiov miteinander. „Der herzberückende Zauber der Worte"
soll den Erinyen heilig sein. Eum. 886:
uXV ei f^iev ayvbv eaii ooi Ilti^ovg aeßac,
y'/.cüoarjg liifjg /.isO.iyua y.al O-s/.xti'^qioi',
ab S" ovv fievoig äv.
Aus der allerdings geringen Zahl von Zeugnissen scheint
mir hervorzugehen, daß neiliyf.ia im Epos und im klassischen
Drama meistens in der erweiterten Bedeutung „etwas Ange-
nehmes, Erfreuendes" angewendet worden sei. Gerade auf
Grund der angeführten und ähnlicher Stellen wird sich die
Bedeutung dann wieder verengert haben zu: „eine erfreuende,
angenehme Gabe". Daß gerade dieses Wort auch ohne den
ihm von den Spätem wieder gegebenen Sinn gern für die
Umschreibung der Spenden an chthonische Götter und Tote
verwendet wurde, ist nicht verwunderlich. Infolgedessen mag
wohl schon im Altertum die Meinung aufgekommen sein, daß
diese Anwendung des Wortes mit den physikalischen p]igen-
schaften der Spenden in einem ursächlichen Zusammenhang
stehe. Zu solcher Auffassung mochte das religiöse Empfinden
' Diese Auffassung ist besonders von Ed. Meyer vielfach vertreten
worden, z. B. G. d. A. I» § 58 ff.; z. T, im Gegensatz zu Rohde II 256 ff.
3*
36 Karl Wyß
dadurch verleitet werden, daß die natürlichen Gründe der im
chthonischen Kult ausschließlichen, im Totenkult überwiegenden
Verwendung dieser nüchternen Spenden, die ja unter sich
eine gewisse stoffliche Ähnlichkeit besitzen, nicht mehr er-
sichtlich waren. Daß die Eechnung nicht ganz stimmte, der
Wein im Grund nicht mit {.aihyi-ia bezeichnet werden konnte,
wenn doch dies Wort ein charakteristisches Merkmal der
vr;cpdha bezeichnen sollte, schadete nichts. Der Glaube kümmert
sich bekanntlich auch um viel schärferen Widerspruch der
Lehre nicht. Daß aber diese Anschauungen in der klassischen
Zeit erst im Werden waren, das scheint mir die Art der Ver-
wendung des Wortes im Drama zum mindesten wahrscheinlich
zu macheu; der Geist der großen Tragiker fühlte wohl den
ursprünglichen Sinn der Spenden, und nur die Befangenheit
der Späteren konnte aus ihrer dichterischen Umschreibung
Dogmen herauslesen.
H. Di eis hat mit dem Hinweis auf die griechischen
liEiUyi-iarcc die eigentümliche Verwendung der Milch in dem
von Plutarch (Rom. 21) beschriebenen Luperkalienritus erklärt:
xa öe ÖQwf.ieva xi]v aixiav tzoleI övoTÖTtaorov. oq)ärTOvoL yäg
aiyag, sha f.uiQcr/.io)v övolv ciTto yivovg jtQOOayßivzMV ahoig,
Ol ^iv fj^iayuevfj fiaxaiQq xov (.lercüTtov -dr/yüvovOLV , eregoi
ö' ano^iccTTOvOLV tvd-vg, eq tov ßeßqey j-ievov ydlaY-xi ttqoo-
g)eQ0VT£g. yeläv öh öel tö /jeiQcxxia [.ura xtjv ä7r6fia'§iv. Die
Erklärung dieser Zeremonien, die Plutarch beifügt, ist ganz
im Stil der des Milchopfers an Rumina ^ gehalten : ti]v öe öiä
Tov yälu-ATog arto/.d&aQOiv imöf-ivri^ia Ti]g TQOcpfjg avrCJv (nämlich
des Romulus und Remus) iivai.
Diels erklärt die Handlung als symbolisches Sühnopfer, an
Stelle des durch den Fortschritt der Kultur überwundenen
Menschenopfers. Gegen diese Auffassung wendet sich W. F.
Otto 2; „Wenn man darin (in der genannten Zeremonie) jetzt
fast allgemein die Ablösung älterer Menschenopfer sieht, so be-
ruht dies lediglich auf einem Vorurteil, das überhaupt der sehr
korrektionsbedürftigen Theorie vom Substitutionsopfer vielfach
zugrunde liegt." Es wäre allerdings eine etwas weitgehende
1 S. oben 9. ^ p^ VI Sp. 2065 unter 'Faunas\
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 37
Symbolik, wenn das Besprengen mit dem Blute des Opfertieres
das Opfer des Besprengten selbst bedeutete und das Ab-
wischen die Sühne. Diels äußert sich dann weiter: „Ein
zweiter, eng mit dem Blutopfer zusammenhängender Ritus ist
das Trankopfer, das bei chthonischem Kult in der Regel den
Wein ausschließt. Diese nüchternen Spenden (v^pccha) haben
zunächst nur den Zweck, das vergossene Blut abzuwaschen,
wie der Luperkalienritus noch deutlich zeigt, sodann aber
lindernd auf den Zorn der Unterirdischen einzuwirken. Daher
werden neben reinem Quellwasser, welches das Blut abwaschen
soll, gern Milch, Honig, Öl als fudlyi.iaTa hinzugefügt. Diese
xoal werden auf das Feuer geschüttet, welches das Opfertier
(afpdyiov) vollständig verzehrt hat. Blut- und Trankopfer ge-
hören also nach dem ursprünglichen Sinne dieser Zeremonien
eng zusammen, wie Sünde und Sühne."
Ich glaube, der Luperkalienritus läßt sich nicht mit dem
Eumenidenopfer vergleichen, wie Diels es tut, wenigstens nicht
die Verwendung der Milch, die beiderorts doch eine ganz
verschiedene ist. Selbst wenn die Deutung der inedlyficaa
als Linderungsmittel richtig wäre, ist es doch ganz etwas
anderes, wenn solche als chthonische Spenden verwendet
werden, als wenn mit Milch das Blut abgewaschen wird. Die
Spende soll den chthonischen Gottheiten zum Genuß dienen,
wie die aus fast denselben Flüssigkeiten bestehenden Toten-
spenden den Verstorbenen; beim Abwaschen des Blutes aber
wird doch die Milch verunreinigt, dient als bloßes Symbol der
Sühnung. In keiner der von Diels angeführten Belegstellen
wird ein mpäyiov verbrannt, was für die Behauptung, daß
Sünde und Sühne bei diesem Opfer eng zusammengehörten,
doch notwendig wäre.
Von Fritze hat die Ansicht von Diels modifiziert, S. 38:
Hoc statuere velim, iUam vim sanguinis alluendi non primam
infuisse Ubationihus sobriis, sed secundam accessisse alieri noiioni
irae leniendac. Ist der Ritus der Luperkalien, wie ihn Plut-
arch schildert, wirklich uralt, wie das Fest selbst, so ist
auch diese Ansicht nicht annehmbar, da ja doch in diesem
Fall die Zeremonien aus der Zeit vor dem entscheidenden
Einfluß der griechischen Religion stammen müßten. Da im
38 Karl Wyß
altrömischeii Kult von einer sakralgesetzlichen Eegelung der
Verwendung von Milch und vr^cpdlia überhaupt nicht die Eede
ist, und auch später gerade diese Eigentümlichkeit des grie-
chischen Kultes von den Römern nicht übernommen worden
zu sein scheint, so wäre in diesem Falle der Luperkalienritus
rein römisch, um seines Alters willen aber von Plutarch nicht
mehr verstanden worden und auch heute kaum mehr in allen
Einzelheiten zu erklären.
Anderer Meinung ist nach L. Deubner^J. Pley, nämlich
daß dieser Ritus der Luperkalien erst spät nach Rom gekommen
sei^ Auch in diesem Falle, wenn z. B. Augustus bei der
Erneuerung des Festes die kathartischen Riten hinzugefügt
hätte, wäre die Herkunft wohl schwer mit Sicherheit zu er-
forschen.
Eine Symbolik des Sühnens wird jedenfalls im Luper-
kalienritus enthalten gewesen sein; aber warum die Milch
hier diese eigentümliche Rolle spielte, ob vielleicht deshalb,
weil sie in alter Zeit als häufiges Opfer besonders dazu ge-
eignet schien, oder weil Anschauungen und Gebräuche der
Mysterienreligionen in diesen Kult hineinspielten, das wird
kaum auszumachen sein.
Für nicht richtig halte ich die Auffassung von Otto ^, der
den Luperkalienritus dem altrömischen Kult zuweist und
doch in der Sühnezeremonie eine genaue Parallele zu den
Mysteriengebräuchen sieht. Ich zweifle daran, daß der Er-
lösungsgedanke irgendwo im römischen Kult lebendig zum
Ausdruck kommen konnte, wenn er nicht aus den Mysterien-
religionen übernommen war.
Auch die ebenso einzigartige Sitte, die Servius zur
Aeneis V 78 anführt*, ist kaum so durchsichtig, wie Diels
sie darstellt. Ob hier wirklich die ausgepreßte Milch ein
1 Lnpercalia, Arcii. f. Eel.-Wiss. XIII 1910, 502 f., der gerade für
diesen Zug Einfluß hellenistischer Kathartik annimmt.
2 De lanae in antiquorum ritibus usu, RGW XI 2, 14. Vgl. Perdel-
witz aaO. 84.
' W. F. Otto, Die Luperci und die Feier der Luperealien, Philologus
LXXII 1913, 161 ff., besonders S. 187 f., in der Polemik gegen Deubners
oben angeführte Ansicht. * Oben S. 27.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 39
Ersatz der vr^tpaXia, das Blut der hro^a sein sollte, ist doch
fraglich. Die ui]vig der Toten wird ja zunächst dadurch be-
sänftigt, daß die Lebenden den Schmerz und das Leid, die
ihnen die Toten zufügen könnten, gleichsam im voraus sich
selber zufügen, wenn man nicht, wie Ed. Meyer, diese Angst
vor den Toten von vornherein ausschalten wilP. Daß auch
die Symbolik dieser Zeremonie später im Anschluß an neuere
Anschauungen sich geändert hätte, ist ja möglich, aber läßt
sich nicht beweisen.
7. Kapitel
Die Milch als Götterspeise und Attribut des
seligen Jenseits
„Wir haben feststellen können, daß zu den Vorstellungen,
womit das Götterland und, was damit wesensgleich ist, der
Aufenthalt der Seligen, das Paradies oder der Ort des goldenen
Zeitalters, ausgestattet wurde, seit alters auch gehörte, daß
es ein Land sei, wo Milch und Honig fließt." „Den Toten
wird Gemisch aus Milch und Honig gespendet, weil den im
glücklichen Jenseits wohnenden Geistern die Speise der Götter
zukommt." Das sind Resultate der Untersuchung H. Useners
'Milch und Honig' ^.
Über die „mancherlei nicht immer verständliche Be-
deutung" ^ des Honigs, der „seiner Süßigkeit wegen als
Nahrungsmittel schon im ältesten Indien sehr geschätzt war
und im ßitual eine wichtige Rolle als Speise der Götter
spielte" *, und über die Bedeutung der Biene ^ im Kult kann
» S. S. 35 Anm. 1.
2 Khein. Mus. LVII 192 (Kl. Sehr. IV 413).
" 0. Gruppe, Gr. Mythologie (I. v. MüUers Handbuch V 2) 910.
* J. V. Negelein, Der Traumschlüssel des Jagaddeva II 107, RGW XI 4.
* S. W. Robert-Tornow De apiutn tnellisque apud veteres sigtiificatione,
Berlin 1893; W. H. Röscher, Nektar und Ambrosia, Leipzig 1883.
40 Karl Wyß
hier nicht näher gehandelt werden, obschon der Zusammenhang'
der beiden Stolfe ein recht enger ist. Nur wie die Milch
zu dieser Bedeutung kam, und ob die Behauptungen üseners
auf sie zutreffen, soll untersucht werden.
Der Hauptzeuge Useners ist der Gott Dionysos: wenn
er kommt, sehen die Bakchautinnen Milch, Wein und Honig-
ströme fließen. Eur. Bacch. 135:
rjov y SV oigeoLV, og av
ly. ■d-idacov dqouaiiov
Ttiori TteööoE, reßglöog e^cov
teobv h'övTov, äyoeviov
alaa rgayoy.rövov, d)(.iO(pdyov y^dqtv,
lif-ievog eig ögea (pQvyia, Avdia.
0 ö^l'Baoyog Bgöfiiog, dol.
qeI de yä'/.ay.TL Tciöov, gel ö' oivo), gel de /.le'/.iGoäv
viyxaQL.
„Dionysos bringt den Himmel auf die Erde hernieder.
Himmlische Gaben müssen es sein, womit er seine Gegenwart
bezeugt." Unter Himmel versteht Usener S. 178 ohne Zweifel
das „selige Götterland". Dionysosdienst ^ ist allerdings ohne
Unsterblichkeitsglaube nicht denkbar; aber dadurch ist nicht
der bewußte Glaube an ein von dieser Welt örtlich getrenntes
Land der Unsterblichen bedingt. Im orgiastischen Kult der
gottbegeisterten Dionysosdiener ist die fiavla, die e/.aTaoig,
das "evd'eog sein' das Endziel: das ist ein Versetztwerden in
einen anderen Zustand, nicht an einen anderen Ort. Erst
in der weiteren Entwicklung, durch die Verbindung mit pytha-
goreisch-orphischen Anschauungen ist zu dem Unsterblichkeits-
ahnen eine bewußte Jenseitshoffnung getreten. Die Formen
der Dionysosverehrung, wie sie uns aus den Bakchen entgegen-
treten, gehören der früheren Stufe, dem thrakischen Dionysos-
dienst an. Eine überirdische, eine göttliche Kraft offenbart
sich in den dionysischen Wundern, aber „himmlisch" darf man
sie darum gleichwohl nicht nennen.
^ Vgl. zum Folgenden Rohde, Psyche II Iff.; Ä. Dieterich, Der Uiiter-
gang der antiken Religion, Kl. Schriften, Leipz. 1911, 464 und Euripides
Bakchen als Ganzes.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer 41
„Die wundertätige Kraft des Gottes gelit auf seine
schwärmerischen Verehrerinnen über." Bacch. 704:
&VQO0V de Tig laßovo^ 67TC(iotv eig nsrqav
oO-tv dQOod)ör]g vöarog h.Ttrjöä votig '
aAXrj de vdg&rjyi' elg Tteöov -/.aO-ryAe yr^g,
'Aol rfj öh y.Qr^vr^v e^avf^A' ohov ^eög'
oacc ig de Xevv.o v Tcwi-iaxog rtöS-og Tiagf^v,
äycQOiGi öaxTvXoiai öiu{.iCoGaL Xi9-ova
yaXa'/.rog eof-iohg el%ov' t/. de -AioGiriov
d-voöiov y'/.vxelai [.leXirog eora^ov Qoal.
In diesen Wundern sah der Bote die übernatürliche Macht
der gottbegeisterten Weiber sich offenbaren; die Erde ist
ihnen Untertan, und Fels und trockene Ackerschollen spenden,
was ihr Mund begehrt. Aber das Wunder offenbart sich nicht
in erster Linie durch eine besondere „himmlische-' Gabe,
sondern durch das Aufbrechen des starren Erdbodens, das
Strömen und Überfließen; nicht nur die Menschen werden
evd-eoL, sondern selbst die Erde ist voll dionysischer Lust : das
Tote wird lebendig unter dem Wirken des göttlichen Geistes.
Der Dichter hätte auch kaum Wasser und Wein mit-
fließen lassen, wenn es ihm daran gelegen hätte, die Milch-
und Honigquellen als die besondere Gabe des Gottes hervor-
zuheben. In der zweiten Schilderung (704 ff.) sehen wir alle
vier Flüssigkeiten, in der ersten neben Honig und Milch auch
Wein ohne irgendeinen Unterschied aufgeführt (142). Wenn
also die Stofi"e, die unter dem Einfluß dionysischen Geistes
der Erde entströmen, eine besondere Eigenschaft besitzen
sollen, so muß diese auch dem Wasser und dem Wein zu-
kommen. Und gewiß haben sie eine solche: jeder Trunk,
Wein, Wasser, Milch oder Melikraton, ist im warmen Süden
ein süßes, erquickendes Labsal der lechzenden Lippen. Zu
Beginn der klassischen Zeit sind wohl auch noch alle vier
häufig genossen worden. Nach und nach erlangte der Wein
aber so sehr das Übergewicht über alle anderen Getränke,
daß er bald als das vorzüglichste, ja einzige Geschenk des
Gottes angesehen wurde. Wenigstens im Bewußtsein des un-
gelehrten Volkes wird das so gewesen sein ; das Wasser trat
42 Karl Wyß
auch in der späteren gelehrten Ausgestaltung des Mythos
völlig zurück, Honig und Milch aber vermochten sich hier
neben dem Wein zu halten ; hatten sie doch auch aus anderen
Kulten sich nicht ganz verdrängen lassen. Wenn auch keine
Erinnerung geblieben war an die Zeit, da der berauschende
Met dem Wein vorausging, so sorgte das konservative Element,
das aller Religion anhaftet, wenn sie sich einmal durchgesetzt
hat, dafür, daß wenigstens die Elemente dieses Urweines,
Honig und Milch, nie ganz aus dem Gedankenkreise der
dionysischen Religion verbannt wurden.
Mit der Zeit aber machte sich auch hier wieder das Be-
dürfnis nach einer neuen Erklärung der Elemente des Mythos
geltend, da die Verhältnisse sich so sehr geändert hatten, daß
sie einen Blick auf die tatsächlichen Gründe nicht mehr er-
laubten. Wenn Euripides zwischen Honig und Milch einer-,
Wein und Wasser andererseits noch keinen Unterschied macht,
so tut dies doch schon Piaton, indem er nur die beiden ersteren
in diesem Zusammenhang anführt. Er spricht über den Enthu-
siasmus der Dichter^ und zieht zum Vergleich die Ekstase
der Korybanten und Bakchantinnen herbei. Ion p. 534 a:
woitBQ al ßdy.xai ccQVTOvrai ey. tcjv TtOTafiwv f.i€).i
Tial ydXa y.aTexö^evai, e^KfQoveg de ovoai ov, xai tcov f.isko7toiü)v
fj ipvxi] TovTo Igyaterai. Diese kurze Bemerkung zeigt eine
wesentliche Verschiebung gegenüber den beiden Stellen der
Bakchen. Dort fließt der Boden über von Wein, Wasser,
Honig und Milch, hier schöpfen die Bakchantinnen aus Flüssen
Honig und Milch. Das Wunder ist also stark herabgestimmt,
ohne daß der Grund dazu ersichtlich wäre. Aber Piaton
streift es hier nur ganz kurz und wird sich kaum näher
Rechenschaft gegeben haben über die mythologische Richtig-
keit seines Beispiels ; es kommt ihm nur auf das Wunder als
solches an. Aber gerade in ihrer Unmittelbarkeit scheint
mir die Bemerkung bezeichnend zu sein; denn sie zeigt, wie
sich die Auffassung solcher nebensächlicher Züge im Mythos
rasch änderte, wie an die Stelle der wunderbaren Tat in den
Versen des Dramas bei Piaton nur ein Teil davon mit wesent-
' Vgl. Philostr. V. soph. I 19: ras kwoias iSias re y.al napaSö^ovs
exSiScoatj (uarceg ol /Say/^eToi O'voaoi rb fxkXi, xal rovg eauovs xov yäXaKXOS.
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 43
lieber Verschiebung- des spriDgenden Punktes verwendet wird.
Daß diese Änderung ibren Grund in einer prinzipiell anderen
Auffassung- des Mj-tbos bei Piaton habe, in dem Glauben, Milch
und Honig seien himmlischer denn Wein und Wasser, ist
kaum anzunehmen.
Gleichsam den Mittelweg zwischen Euripides und Piaton
schlägt der Sokratiker Aischines ein. Aristeides Rhetor 45
t. II 23 Dind. : /.al yag al ßdy^yai, iTteidav evd^eoi yeviorcai,
b&ev ol äkXoL l/. iwv cpQsdTiov ^ ovde vdiOQ övvavrai vögeveod-ai,
ezelvuL fielt, y.al yäla ägvorrai. In dieser nichts
w^eniger als poetischen Verschlimmbesserung wird das Wasser-
schöpfen, das bei Euripides dem Hervorzaubern von Milch
und Honig gleichgestellt wird, als geringeres Wunder dar-
gestellt, um dann eine gewisse Steigerung hervorzubringen.
Aber auch hier brauchen Milch und Honig nicht als himm-
lische Getränke angesehen zu werden, der Unterschied vom
bloßen Wasser ist ohnehin für den beabsichtigten Eindruck
groß genug.
Dion von Prusa will das Bild der bakchischen Ekstase
und Macht möglichst farbenprächtig gestalten, nimmt daher
alle Elemente, Wein, Milch und Honig, aber auch die Gegen-
überstellung dieser wertvolleren Flüssigkeiten zum bloßen
Wasser in seine Schilderung auf; er vergleicht seine Zuhörer,
die Alexandriner, mit den Bakchanten, den Nymphen und Satyrn
im Thiasos. Dio Prus. XXXII (Reiske) 682 § 58 (I 284
V. Arnim) : ra de älXa -kuI ndw hol öonetre eor/Jvai Nvfxcfaig y.al
larvQOig. ÜMQoi z€ yag dei xal (fdoyslcoTeg -/.al cpdoQxr^otai'
Ttlrjv ovy. avTÖuaTog vf-ilv dvaßlvei önpr]aaoiv 6 oivog Ix Tthqctg
Ttod-iv rivog rj rdjtr^g, ovöe ydla xat fielt övvaod^e ev-
XiQiög Ott lüg exe IV, ä/.QOioi Öcr/.rvlotg ötaftwvreg x^öva-'
all" ovöe tb vÖioq v(.dv diptKvenat öevQO ttiröfiaTOV ovde zi]v
fiäZav e^exe Iv l^ovoia dii']7iovd^ev.
Der Vollständigkeit halber sei noch ein Lykophronscholion
des Tzetzes erwähnt, wo Wein und Milch genannt sind. Zu
» ey. TÜv f^eäzcDv mit Unrecht von Jacobs zu Philostr. imag. p. 316
getilgt. Siehe C. F. Hermann Disputatio de Aeschinis Socraüci reliquiis,
Göttingen 1850, 23. Vgl. Piaton Ion p. 534 a: «x twv Ttoraitoj,'. Anders
Usener aaO. 178 Anm. 5 (Kl. Sehr. IV 399 Anm. 6). * Eur. Bakch. 709.
44 Karl Wyß
143 : ymI vagdr^^i ttjv yf^v xat rag nerqag Ttaiovoai (sc. al Bdy.-
Xai), OTtoze öiipcpev, yäXa ymI oivov eTtoiovv avaßXvKstv.
Noch bei Himerios findet sich das Wunder, wohl wörtlich
irgendwoher abgeschrieben. Hirn. Soph. XIII 7^: ore Aal tyjv
yfjv löyog, olov aioi>avo(.ievr^v tf^g £Ttidi]i.uc(g aiiou, qeIv fiev ^ueh
Tial ydla Y.al Ttora^iovg rivag amoD zoö vey.raQog lazvQoig ze
■/.al Bä/.yaig aQveo&ai.
Die Verse der Bakchen des Euripides hat Seneca nach-
geahmt. Oed. 491:
pumice ex sicco
fluxit Nyctelius latex;
garruli gramen secuere rivi,
conbibit dulces humus alta siicos
niveique lactis candidos fontes
et mixta odoro Lesbia cum thymo.
Daß sich aus diesen verschiedenen Beschreibungen des
Dionysoswunders — wie manche Stelle, die noch eine neue
Pointe zu geben suchte, mag verloren sein ! — in der weiteren
Entwicklung besondere hyperpoetische Anschauungen bilden
konnten,ist leichtmöglich. Aber noch aus einer Stelle des jüngeren
Philostratos blickt ganz das euripideische Bild ; hier ist auch
ausdrücklich der Sinn des Wunders ausgesprochen: „Die Erde
selbst schwärmt mit". Philostr. im. I 14: fj yr;, 'ij ye /.al gv^i-
ßanxetoet avTco /.al oivov dcpvöOEiv 1/ nr^yCov öwotL yä'ka xe
olov UTto f.iaKG)V ekyiSLV rb fiev Ix ßiokov, ro de t/
itirqag.
Usener führt auch ein Fragment Alkmans an, das aber
trotz Aristeides 2 sich nicht auf Dionysos bezieht, sondern auf
A r t e m i s % die auf dem Taygetos als wilde Jägerin von den
Lakonern verehrt wurde, dort die Löwinnen molk und den
Göttern aus der Milch weißen Käse bereitete. Alkman Frg. 34,
Anth. Lyr. Hiller-Crusiiis p. 172 n. 18:
TioHd/i ö' h ■/.oovfpalg ögicov, d/.u
d^EolGLV liör] TCoAvfpauog Loqxd,
^ ed. Wernsdorff, Göttingen 1790.
2 XLI 7 Keil. ^ So S. Wide, Lakon. Kulte, Leipz. 1893, 131.
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 45
yrgvaiov äyyog eyoLoa (.liyav O'Kvcpov,
old re TtOLuevBg ävögsg s'xoi'Oiv,
Xsgal XeövreLov ydla ^i]ac(0,
ivQov hvgr^aag (.leyuv argvcpov agyicpovrav.
Wieso kommen aber römische Dichter dazu, „das Para-
diesesleben oder das goldene Zeitalter" ^ mit den Vorstellungen
von Milch- und Honigströmen auszustatten?
Allbekannt ist die Schilderung des ersehnten friedevollen
Segenslandes in der 16. Epode des Horaz; zu den paradie-
sischen Vorzügen dieser 'Insel der Seligen' gehört, daß:
raella cava manant ex ilice, montibus altis 47
levis crepante lympha desilit pede.
illic iniussae veniunt ad mulctra capellae
refertque tenta grex amicus ubera.
Vergil wiederholt dieselben Verse, um dem jungen
Freund ein Kompliment zu machen und ihm zu sagen, das
goldene Zeitalter sei schon angebrochen ^ Ecl. 4, 21 f.:
ipsae lacte domum referent distenta capellae
ubera nee magnos metuent armenta leones.
T i b u 1 1 sehnt das saturnische Zeitalter zurück mit seiner
ruhigen Sicherheit, dem ungestörten Glück, wo (I 3, 45):
ipsae mella dabant quercus, ultroque ferebant
obvia securis ubera lactis oves.
Ovid schließt die Schilderung der aurea aetas mit ganz
ähnlichen Worten. Met. I Ulf.:
flumina iam lactis, iam flumina nectaris ibant
flavaque de viridi stillabant ilice mella.
Claudian nimmt, wie Vergil, das himmlische Vorrecht,
das Glück paradiesischer Zeiten für einen irdischen Festtag
seiner Zeit in Anspruch. De cons. Stilich. 1, 85:
ferunt raellisque lacus et flumina lactis
erupisse solo.
1 Usener aaO. 181 (402).
' Kießling-Heinze, Einl. zu Horaz Epod. IG.
46 Karl Wyß
Silius Italicus erzählt, wie Bacchus einst in der
guten alten Zeit — er denkt wohl auch an das saturnische
Zeitalter mit den schuldlosen Menschen — einem Bauern den
Wein schenkte, als er den Gott freundlich aufgenommen und
mit den Gaben, die ihm zur Verfügung standen, bewirtete.
Fun. VII 179:
donec opes festas puris nunc poma canistris
composuit, nunc irriguis citus extulit hortis
rorantes humore dapes, tum lacte favisque
distinxit dulces epulas, nulloque cruore
polluta castus mensa cerealia dona
attulit, ac primum Vestae decerpit honorem
undique, et in mediam iecit libamina flammam.
Besteht überhaupt ein Zusammenhang zwischen diesen
Schilderungen und den Wundern des dionysischen Enthusiasmus?
War sich Horaz bewußt, daß er ein ähnliches Bild in der
16. Epode und in der Ode II 19, 9—12 verwandte:
fas pervicacis est mihi Thyiadas
vinique fontem lactis et übe res
cantare rivos atque truncis
lapsa cavis iterare mella?
Ich denke, er wird beidemale das Bild unbedenklich aus der
betreffenden Vorlage übernommen haben. Daß aber ursprüng-
lich beide Vorstellungen sich berührten, die zweite vielleicht
direkt aus der ersten herauswuchs, ist nicht unwahrscheinlich.
Die dichterische Vorlage des Antoninus Liberalis läßt
den Wein oder Honig, den Dionysos aus den Bäumen der
Minyastöchter fließen macht, zu „Nektar" werden. Anton.
Lib. 10^: TtQog di] xavta xaXsTirivag ö Jiövvoog ävii y.OQr^g
eyevero ravQog xa« Xicov y.al nagöcchg /.aX Ix %ü)v ksIsöv-
Tiov k^Qvrj vi-/.Taq avTw xal ydka. Damit ist der Weg
der Entwicklung gezeigt. Euripides hat nicht an Nektar,
Göttertrank, gedacht; warum sollte er sonst das Wort nicht
gebraucht haben? ^ Nirgends ersetzen die älteren Dichter
1 Vgl. Usener aaO. 177 (399) A. 3.
2 Bakchen 142 braucht er das Wort metaphorisch, aber durch das
Attribut genau bestitamt für Honig.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 47
in der Schilderung des Wunders f^ieh, olvog oder ydla durch
vHtaQ. Erst den Späteren, den Alexandrinern, die über ihre
Vorbilder hinausgehen, neue Motive bringen oder die alten
verfeinern wollten, blieb es vorbehalten, den süßen Trank der
Menschen durch den der Götter zu ersetzen. Dabei gehen
Vermenschlichung des Göttlichen und Vergöttlichung des
Menschlichen Hand in Hand. „Wie die Götter der Hellenen
ganz nach menschlicher Art gestaltet erschienen, so stellte
man sich auch den Göttertrank später als eine Art Wein vor.
Daher kommt es denn auch, daß spätere Dichter, wie Nik-
andros, umgekehrt ve/.TaQ ohne weiteres statt olvog ge-
brauchen" ^ Das machte dann Schule bei Poeten, die es ver-
lernt hatten, auf die sinnliche Anschauung in ihren Bildern
Rücksicht zu nehmen. Man wird sich nach und nach unter
Nektar so wenig etwas Bestimmtes vorgestellt haben, als wir
heutzutage; aber „Göttertrank" klang gut in die Ohren und
wo es anging, setzte man ihn her.
Lehrreich für diese Art ist, wie Philostratos mit
den Versen 135 ff. und 704 If. der ßakchen des Euripides um-
springt. Im. I 17 (II 320 Kayser) : yeyQccrcxai . . . /.al xa. h
TU) Ki&aiQüjVL' Ba'A.'i{hv '/oqoI zai vtiolvol TtSTgai /.al
vi'A.taq £x ßoTQviov /.al log yäXa/.TL Tr]v ßwXov fj yfj
XiTtaLvei. '/.al idov -/.iTTog eQTtei '/al orpeig oqS^oI '/al d-vqaov
öhöqa olj-iaL f-iili axa'QovTa. Hier setzt er unbedenklich zu
Wein, Milch und Honig den Nektar; kaum wird er sich Wasser
darunter vorgestellt haben, wahrscheinlich gar nichts. In der
oben angeführten Stelle begnügt er sich mit Wein und Milch ;
ebenso in der Vita Apoll, VI 11 p. 248: . . . ov/ änioielg, wg
ydXa'/Tog avxolg /al oivov Ttr^yccg öcooti, und Im. VI 10
p. 110 (II 213 K.): oiöh ydla loOTteq ßd'/xaLg fj olvov
öiöiüoiv. Aber gleich nachher setzt er den Nektar wieder
hinzu, p. 111 (215 K.): -/al utg ttoxuI ydla'/xi -/al ojg
■/rjQlotg &QiipsL /al Cog ve/xaQ aoi . . . e'axai. Anderswo
spricht er nur von Milch und Honig, Vit. soph. p. 217: {höi-
ööaoi) ßa/'j^eloc 0-voool xb (.iHl -/al xovg eo^iohg xoü yd-
Xa'Kxog.
» Th. Bergk, Fleck. Jb. LXXXI 1860, 381 und seine A. 65.
48 Karl Wyß
Das lateinische Wort nectar bedeutet wohl noch Götter-
trank, z. B. bei Cicero Tiisc. I 26: non enim amhrosia deos
mit nedare . . . laetari arbitror. Aber die Übertragung auf
Wein, Honig, Milch ^ läßt darauf schließen, daß die Römer
das V¥ort von den Griechen schon in dieser erweiterten,
farblosen Bedeutung eines beliebigen „süßen Getränkes"
übernahmen; wir können ja auch von jedem guten Tropfen,
sei es nun Wein oder etwas anderes, sagen: das ist ein
Göttertrank! Andererseits konnte sich in einer breiteren
Schilderung oder im Bestreben des Dichters, sinnlich deut-
lich zu sein, das Bedürfnis geltend machen, das nichts-
sagende vh-raQ durch ein reales Bild zu ersetzen; dazu ver-
wandte man seit den frühesten Zeiten gerade das, was den
jeweiligen Menschen als das vorzüglichste oder ein vorzüg-
liches Getränk erschien, den Honigmet, den Wein, das Meli-
kraton usw. Erst als sich unter der Ausbreitung fremder
Religion, dem Einfluß des MysterienAvesens, der Orphik das
Bedürfnis geltend machte, die frommen Bräuche mit einem
Zanbernimbus zu umgeben, da mögen sich Honig und Milcli,
dank ihrer Verwendung im chthonischen und Totenkult, in
diesen Anschauungen einen besonderen Platz erobert haben.
Auch gewisse Göttermythen mußten dieser Entwicklung
günstig sein; vor allem die Erzählung von der Jugend des
Zeus. Auf dem kretischen Ida wurde er von Nymphen oder
der Ziege Amaltheia mit Honig und Milch aufgezogen. Diod.
V 70: avxai de (sc. al Nvf.icpaL) i-iHl v.al yüla f.iLGyovoai
10 Ttaidiov e&QCtpav ycal rf^g aiyog Tf]g ovo i-iatojuh'tjg l4i.iaX-
S^elag tov {.laorbv eig öiaTQOcprjV TtctgeixovTO. — Apollod. Bibl.
I 1, 6: avxai /.lev ovv i^JögaoTÜa vxd "lärj) rov Ttalöa ergetpov
%q) Tfjg "A^iald^Eiag yccXami. — Callim. hymn. in lovem 48:
. . . oh ö' id-i\oao TcLova f.iat.6v
aiybg i4{.ialS^eirjg, eul de ylvyiv ■ktiqLov eßQOJ^.
• Stat. Silv. II 2, 99: et dulci distendunt nectare cellas (sc. apes).
Verg. Ecl. 5, 71 : quid meruistis oves . . . j^l^^no quae fertis in ubere nectar.
Vgl. Georg. IV 164. — Mart. XIII 47: Picentina Ceres (Brot) 7tiveo nectare
crescit.
2 Zum Zeuskult auf dem Ida siehe auch die Abbildung des in der
Idahöhle gefundenen „Opfertisches" mit drei Höhlungen für Weihegüsse;
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 49
Ich finde in diesen Gestaltungen der Sage aber vielmehr eine
Vermenschlichung derer, die die Milch genießen, als eine Ver-
göttlichung des Getränkes. Es ist doch nicht verwunderlich,
wenn der Sage nach auch göttliche und halbgöttliche Kinder
mit Milch und auch Honig, der zum Versüßen diente, auf-
gezogen wurden, wie Triptolemos. Ov. fast. IV 546:
mox epulas ponunt liquefacta coagula lacte
pomaque et in teneris aurea mella favis;
oder die Kinder der Amazonen. Philostr. Her. c. XIX
19: TQecpovoi . . . rä ßge^r^ yd'/.ay.rl ze cpogßdöwv
'iTtTctov xai ÖQÖGov y.r^Qioig. Oder Achilleus: Philostr. Im.
112 (S. 342 K.): Ttalöa k'ri ydlay.zi, VTCod-qeipag xai ^v-
ü.ü) y.al ^uliTi ... 0 XeiQiov. Oder Beroe: Nonnus Dionys.
XLI 216:
^ylGTqau] . . .
7taQ^evi(o öe ydlayiTi Qoag ßXv^ovaa d^e}.dotiov
XEilea Ttaiöbg söevoe ycd eßlvev eig ozöf-ia KOVQr]g
"Jxd-idog fßvTÖyoio ntgid-Xiipaoa ^lEXiaarjg
öcaöaXiriv wötra ttoJ.vtqtitoio '/.oxeir^g,
xriQLa, ffiovi]tvTCt aocföj yeqdoaaa yvTTillo).
Ob eine Stelle bei Theokrit, wo der verliebte Ziegenhirt,
den seine Spröde nicht erhört, die Natur des Eros erkannt
hat, auf eine ähnliche Sage zurückgeht oder freie Erfindung
ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Id. III 15:
f^Qo. Xeaivccg
fxatov Id^la^ev, ÖQvi.cq) li viv erQacps fiijrrjQ ^.
Robert-Tornow^ sagt im Anschluß an den Zeus-
mythus richtig : Lac ergo et mel alimenta lovis esse putata sunt,
qiiia omnes infantes eodem modo pascebantur. Postqnam vero dii
mel ederunt, sucus ille divinus, nectari ambrosiaeque par, sym-
bolum immortalitatis factiis erat. Dasselbe gilt von der Milch.
G. Karo, Altkret. Kultstätten, Ärch. f. Rel.-Wiss. VI! (1904) 121 erinnert
dabei an die Totenspenden des Odysseus in der Nekyia.
^ Die Nachahmungen römischer Dichter verzeichnen Fritzsche-Hiller
in der erklärenden Ausgabe^ 8U. « AaO. 121.
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XV, 2. 4
50 Karl Wyß
Das Gleichsetzen der Lebensbedingungen des göttlichen Kindes
mit denen der menschlichen ist das Primäre, die mythologische
Verkleidung das Sekundäre ^
Für falsch halte ich die Annahme Useners, die wichtigste
und gebräuchlichste Anwendung von Milch und Honig im
Kultus, das Opfer an Tote nämlich, sei von den Vorstellungen
abhängig, die beides als Göttertrank und Attribute des Himmels
ansehen. Ich versuchte oben zu zeigen, daß vor allem die
Milch, aber auch der Honig, im Totenkultus in älterer Zeit
häufiger angewendet wurden als später^, daß aber offenbar
noch Euripides Milch und Honig nicht als etwas Himmlischeres
empfindet denn Wasser und Wein. Vor allem aber geht es
nicht an, den Hades der Griechen dem christlichen Himmel
gleichzusetzen, um dann die Übereinstimmung der griechischen
mit den frühchristlichen Anschauungen um so einleuchtender
erscheinen zu lassen. „Die Geister der Entschlafenen wurden
im seligen Jenseits gedacht, es kam ihnen die Nahrung zu,
welche die Sage dorthin versetzt." ^ Dieser Begriff des „seligen
Jenseits" war den Griechen entschieden fremd, als sich die
Eiten der Totenverehrung bildeten. Und erst recht fehlte
ihnen eine klare Vorstellung* vom Totenreich, die doch durch
solche Einzelheiten wie Milch- und Honigströme vorausgesetzt
ist. Erst im Verlaufe der Entwicklung der Dionysos-, der
Mysterien- und der orphischen Religion wurde eine Hoff-
nung auf die ewige Seligkeit lebendig, mit der dann die christ-
lichen Jenseitsvorstellungen eine wirkliche Wesensverwandt-
schaft besitzen ^.
Die beschränkte Zahl menschlicher Genußmittel, die zum
Totenopfer ausgewählt wurden, mag aus ökonomisch praktischen
Gründen nicht erhöht worden sein; dazu war Wasser, Meli-
* Über ein ähnliches Sagenmotiv äußert sich H. Hepding, Attis, RGW
I 88: „Die Aussetzung und wunderbare Rettung des göttlichen Kindes
kennen wir aus vielen Sagen und Märchen. Gerade das Motiv, daß das
Kind von wilden Tieren gesäugt wird, kehrt in zahllosen Varianten wieder."
Mit der Milch als solcher hat dieses Wunder nichts zu tun. Die Literatur
gibt Hepding an.
2 Vgl. dazu auch Rohde, Psyche II 216 ff.
' Usener aaO. 182 (403). * Rohde, Psyche I 301.
5 Vgl. A. Dieterich, Untergang 469; Rohde, Psyche II Iff.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 51
kraton und Wein das Bequemste und zugleich als süßer,
labender Trank das Willkommenste, drängte sich auch auf,
da es als Opfer im Götterkult, der dem Totendienst parallel
geht, gebräuchlich war.
Das Melikraton ist zur Zeit der Enstehung dieser Ge-
bräuche gewiß von allen Menschen gern genossen worden,
nicht nur von Kindern und Greisen, wie Stengel vermutet ^ ;
wenn es wirklich ursprünglich der berauschende Mettrank
war, vielleicht von diesen gerade nicht. Auch Pindar hat es
wohl als herrliche Gabe für jedermann empfunden, wenn er
seine Poesie damit vergleicht, Nem. III 77:
XcüQS, cpilog' lyu) töös toi
7t€^7tio {.le^.iei'y (.livov f.LsXt Atixö)
avv yälaytri, /.iqva^ieva 6^ eeqa^ ä/^KpeTtei
Ttoix' äoiöif.wv Aiolfj-
aiv Iv 7tvocilöiv avXöjv ^.
Daß Pindar an einer anderen Stelle^ die ödaig Moioäv
Nektar nennt, ist kein Grund, damit das Gemenge von Milch
und Honig zu identifizieren. Der Dichter darf mit seinen
Bildern v/echseln, und, wenn er von den Gaben der göttlichen
Musen spricht, nennt er sie mit gleichem Recht himmlischen
Nektar, wie er die Poesie eines Menschen dem süßesten mensch-
lichen Getränk gleich setzt, dem Melikraton.
Von dieser poetischen Gleichsetzung ist auch das schöne
Bild vom Absterben der Bäume, dem Verdorren der Blumen
und dem Versiegen der Milch und des Honigs beim Tode des
Dichters abhängig, Moschos III 31 :
uä/.wv ouy, i-^^evae yta?.bv ylüyog , ov i-ieXi oqtßÄojy,
■/.ard-ave ö^ iv y.rjQüJL kvTtsvfievov ov/Jti yccQ ötl
rCü (.liXiJüg tu oCo re^vayMTog avTO Tqvyüod-ai.
1 Gr. Kultusalt.« 132.
"" Mehr bei üsener aaO. 179 (400) A. 10. " ül. VII 7.
52 Karl Wjß
8. Kapitel
Die Milch im Mysterienkult ^
Über den Einfluß der vielen Glaiibenssysterae und Kulte,
die im römischen Reich miteinander kämpften, auf den end-
lichen Sieger, das Christentum, ist besonders in den letzten
zwei Jahrzehnten viel geschrieben worden. Im Gebiet der
dionj'sischen , orphisch - pythagoreischen , der verschiedenen
Mysterienreligionen wird gegenwärtig besonders eifrig geforscht,
wozu die großen Arbeiten Rohdes, Cumonts, Dieterichs, Reitzen-
steins und anderer Veranlassung und festen Grund geben.
Unmöglich kann über all die schwierigen Fragen, die zum
Teil noch ungelöst sind, erst recht nicht über das Gesamt-
problem in kurzer Zeit ein eigenes, begründetes Urteil ge-
wonnen werden. Darum muß ich mich darauf beschränken,
aus größeren Darstellungen und Einzeluntersuchungen das
"Wenige, das mein engbegrenztes Thema angeht, herauszuheben
und die Erklärung wiederzugeben, die mir die begründetste
und meinen bisherigen Resultaten am wenigsten wider-
sprechende zu sein scheint.
Usener geht von der Behandlung der Rolle, die die Milch
in dem Kult des Dionysos und anderer griechischer Götter,
dann auch im Totenkult spielte, gleich zu deren Verwendung
im altchristlichen Abendmahl und der Taufe über. „Alle
drei, (Wein, Milch und) auch der sprudelnde Quell lebendigen
"Wassers, waren gegeben in alter tief gewurzelter Vorstellung,
es sind die wunderbaren Erzeugnisse, durch welche sich die
Gegenwart Gottes wie einst des Dionysos offenbart^."
Ich habe im vorhergehenden Kapitel Useners Vermutung,
die Verwendung der Milch im Kult der clithonischen Götter,
der Toten, die Rolle, die sie im Dionysosmythos spielt, ent-
1 Die Speisezeremouien in den Demetermysterien, wohin die S. 15
augeführte Athenaiosstelle gehört, übergehe ich, s. Dieterich, Mithraslit.
103 f.: „Freilich wissen wir von der eigentlichen sakramentalen Bedeutung
dieses Essens noch weniger als von der des Trinkens des y.vK£oh'." Über
das sakramentale Essen überhaupt s. Dieterich aaO. 101 ff.
2 Usener aaO. 183 (404).
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 53
springe einem alten, tiefgewurzelten Glauben an ihre himm-
lische Natur, abgelehnt. Wenn ich damit recht habe, kann
natürlich eine Übernahme der Milch aus den behandelten an-
tiken Kulten in den christlichen nicht ohne weiteres statt-
gefunden haben. Dazu sind die religiösen Anschauungen des
Urchristentums und des altgriechischen Glaubens, auch des
dionysischen, grundsätzlich viel zu verschieden. Zwischen
beide muß ein Mittelglied getreten sein, das der Milch eine
bisher nicht gekannte Rolle im Kult zuwies.
Dieses Mittelglied sind die verschiedenen Religionen,
deren Wesen in der Verheißung eines ewigen Lebens, eines
seligen Daseins im Jenseits gipfelte. Eine der ältesten unter
ihnen ist nun allerdings die dionj'sische, in Griechenland
mindestens seit dem 6. Jahrhundert in dieser Richtung v/irk-
sam \ Vielleicht hat der Mythos auch äußerlich den Weg
zur Umgestaltung des altthrakischen Gottesdienstes in ein
Mysterium dadurch gewiesen, daß er Milch und Honig als
Symbole der Weihe darbot. Aber nicht als „Attribut des
seligen Jenseits" wurde die Milch dabei aufgefaßt, sondern
als die Nahrung des Neugeborenen, Und daran konnte auch
die Mystik des Urchristentums anknüpfen. In allen Mysterien,
heidnischen und christlichen, ist das tiefste Geheimnis, die
höchste Weihe ein Geboren werden zu neuem Sein, eine Wieder-
geburt zum ewigen, wahren Leben der Seele. „Milch" aber
„ist die Nahrung der leiblich Neugeborenen und so auch der
Wiedergeborenen" ^. Besonders auch im Isiskult ^ waren solche
Anschauungen lebendig, und damit stimmt ja gut, daß nach
Usener'* gerade die ägyptische Kirche Milch und Honig als
Bestandteil des den Täuflingen gespendeten Abendmahls zu-
erst aufbrachte und am längsten festhielt.
Die Milch, die vom Mysten bei der Weihe, das heißt bei
dem Absterben des alten und dem Geborenwerden des neuen
Menschen getrunken wird, gilt dann begreiflicherweise als
1 Dieterich, Untergang 464 fl'.; Rohde, Psyclie 11 38 ff.
* Dieterich, Mithraslit. 173.
3 R. Reitzenstein, Arch. f. Rel.-Wisa. VIT 1904, 403.
* AaO. 185 und 190 (40G und 411).
54 Karl Wyß
das eigentliche rpaQ/^ia-Mv äd-avaoiag ^ So erklärt Dieterich '
auch den Spruch der dionysisch Gläubigen Unteritaliens von
Thurioi und Petelia, der auf Goldplättchen des 3. oder 4. vor-
christlichen Jahrhunderts eingraviert gefunden wurde, IG XIV
341 A 12 und 342, 4:
€Qirpog ig yd).^ ercexov ^.
Das „Zicklein", der neugeborene, zu Gott gewordene {■d-ehg
ö'lyevov kB ävd-Qwrtov, wie es auf denselben Tafeln heißt)
Myste erhält die Milch als Symbol der Unsterblichkeit,
ob er nun in ihr gebadet (Rein ach), mit ihr getauft oder ge-
tränkt wird.
Noch deutlicher bezeichnet Sallustios die Milch als
Symbol der Wiedergeburt in den Zeremonien des Kybele-
dienstes , der Attismysterien , Ttegl d-eüv IV * : Inl tovtoig
ydlay.Tog TQog)i], wOTteg a.vayevvio(.ieviov, icp^ olg Ika-
getai y.al oricpavoi '/.al TTQog rovg -d-eovg olov l/tdvoöog.
Auch die späteren Pythagoreer haben diese Vorstellungen
in ihre kosmische Religion verwoben. Porph. de antronymph,28:
öfifiog öe ovetQWV v.a%h Ilvd^ayÖQav al ipvyai, ag avvdyeo&al
(pr^oiv eig rbv ya)M^iav rov ovxco 7rQOGayoQevö/.i€vov cctio rCbv
yd)My.Ti TQE(poi.uv(ov, orav eig yevtoiv TieoojoiV dio v.al OTtevöeiv
avxalg xovg xpvyaycoyohg ^leli y.ey.gaiuevov ydlay.Ti ojg av di'
Tjdovfig £ig yiveaiv ^i€(.ieX€Tr]y.viag egyao^ai' alg ovy/.vela&ai t6
yd).a Tficpvy.Ev.
Damit stimmt Macrobius überein, Somn. Scip. I 12: hinc
et Pyihagoras imtat, a lacteo circiüo deorsum incipere Diüs im-
permnij quia animae inde lapsae videntur iam a superis reces-
sisse. ideo primam nascentibus offerri ait lactis alimoniani, quia
primus eis motus a lacteo incipit in corpora terrena lahentihus.
Reitzenstein, Dieter ich und Perdelwitz^ kehren
^ Reitzeustein aaO. 402. Vgl. auch das Zitat aus Kobert-Tornow
oben S. 49.
2 MithrasUt. 171 und 214; Nekyia 84 ff.; El. Schriften 95 ff. Vgl.
S. Eeinach Rev. arcli. XXXIX 1901, 202 {Cidtes Mijthes et Religions II 123 ff.) ;
P. Foucart Becherches sur Vorigine et la 7iature des Mystcres d' Eleusis,
Paris 1895 {Mim. de VAcad. des Inscr. et Belles-Letires XXXV 2, 1905, 69 ff.).
' Dialektisch gleich Ijieaov. * Dieterich, MithrasUt. 163.
» Mysterienreligion, EGVV XI 3, 57.
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 55
mit dieser Erklärung der Verwendung der Milch im früh-
christlichen Kult als Symbol der Wiedergeburt zu einer von
Usener ausdrücklich bekämpften Ansicht zurück. Vor allem
führe Usener als dieser Erklärung widerstreitend die Tatsache
an, daß nicht nur Milch, sondern Milch und Honig verwendet
w^urden. Das ist aber nicht durchgehend der Fall. Perdel-
witz behandelt eine Stelle des ersten Petrusbriefes, die zwar
nicht auf die Tauf- und Abendmahlszeremonien ausdrücklich
Bezug nimmt, wohl aber genau denselben Vorstellungen ihre
Symbolik entlehnt. Sie klingt selbst im Ausdruck (dcQriyev-
vr^za ßgtcpT^ — avayEvvLoi.ieviov) überraschend an die angeführte
Stelle des Sallustios an. I Petr. 2, 2: wg äQTiyivvrjTa
ßgerpr^ ro Xoyiy.bv ädoXov ydka iTtiTtod^riOaie, %va Iv
avTö) av^ri^T]Te elg oartriQiav, e'i7t€Q eyevaaaihe ort xQr^orbg {XQiarbg
Perdelwitz) 6 Kvgiog.
Auch folgende zwei Stellen aus einem heidnischen und
einem christlichen Schriftsteller sind zu vergleichen : Sallustios
Tiegi d-sCov IV: ymI ttqCütov ^uv xat avrol Tceoovxeg eE, ovquvov
y.al zfj NviKpjj avvövreg iv Y.axT^(f>ü<x lofisv oiioi re y.al ir^g
äXXr^g nayücLg xat qvrcaqäg xqo<:pT]g artexöfJttd^a ' i/Mzega evavzia
ipvyf], und I Kor. 3, 2^: y(i).c( vuäg enözioa ov ßocbfia. ovnoj
yaq iövvuod-e.
Zweifellos gehört in eine Mysterienreligion auch die ya-
?.a-/.zr](p6Qog auf einer Weiheinschrift eines Altars in Thessa-
lonike aus der Kaiserzeit ^. Einem bestimmten Kult läßt sich
diese Priesterin mangels sicherer Beweise nicht zuweisen;
der Herausgeber der Inschrift erinnert in erster Linie an
Hermes, Mithras, Attis.
NachPlutarch spielte auch bei den Persern symbolisches
Essen und Trinken in mj'sterienähnlichen Begehungen eine
Rolle; ob die Symbolik hier dieselbe war, läßt sich auf Grund
eines einzigen Zeugnisses nicht entscheiden. Artax. 3=': t|»;-
'/Moev sig Ilaoagyadag 6 ßaoü.evg, ontog zeleod^eii] t»/V ßaodiy.rjV
TskezTjV V71Ö zGjv ev Ileqoaig ughov . . . eig zoixo öü zov ze-
1 Vgl. R. Reitzeustein, Hell. Myst. Rel. 53.
2 S. Ch. Avezou und Ch. Picard Inscrijjfmis de Maccdoine et de
Thrace, Bull, de corr. hell. XXXVII 1913. 97.
» S. G. Anrieh, Das antike Mysterienwesen S. 107 Anm. und S. 106.
I
56 Karl Wyß
Xovfievov TtctQsld^övza rr^v Idiav ajtod-eo&ca OTolr.v, avaJ.aßelv S',
fiv KüQog 6 TiaXaLog icpoqei, tiqIv rj ßaailevg yEvio&ciL ymI gvxov
jtaXdd^r^g hicpayövra, t£qiiiv&ov -/Mracpayelv , y.al Ttorr^oLov
STiTt islv 0 ^vya).a-/.Tog^.
Ganz deutlich aber leuchtet die Wiedergeburtslehre und
die damit zusammenhängende symbolische Verwendung der
Milch aus der Vorschrift eines Zauberpapyrus, geschrieben
um 300 n. Chr. hervor-: ■/«/ )Mßcüv %o yd).a ot-v tG) [i.ieli]TL
aTiOTCLE ttqIv dj'ßTO/^g f]?Jov, y.cd eorai xi evd-eov Iv rf] oj] y.aodia.
Ähnlichen Vorstellungen werden auch zwei andere, weniger
deutliche Vorschriften der Zauberpapyri entsprungen sein,
auf die Dieterich Usener ^ hingewiesen hat und die bereits
oben S. 29 zitiert sind. In der einen tritt wieder die alt-
bekannte Dreizahl auf: Wein, Melikraton, Wasser. In einer
Anrufung an Apollo heißt es'*: -/.cd OTrovdtjv Tele[(Jo]v äjto
oivov '/Ml ^leliTog xal ydXa'^rog y.al öi-ißQiov vdaxog \ß7i\i
7tXay.oüvrag t,' y.al TCÖTtava C'.
Warum in dem anderen Papyrus ausdrücklich Eselsmilch
zur Reinigung des Lagers verlangt wird, ist rätselhaft. Die
Stelle lautet^: ioniqag ^liXXbiv y.oiuäoO^aL dvsLii) yd'/.ay.ti
■/lU&äQÖV O0[v] T7)V GTQCO/LtVr.V.
Auch in einem von Leemans^ herausgegebenen Papyrus
finden wir dieselbe Anweisung Milch, (Melikraton?), Wein und
Wasser zu spenden, hier in Verbindung mit einer Eäucherung.
Im großen Pariser Papyrus ' treten dazu noch Kuchen {TtÖTiava)
1 Vgl. Strabon XV 733 vom Opfer der Perser an Wasser und Feuer:
aTtoaTtEvSotres oi f^täyoi eXniov o/uov yd?.ny.ri y.al fieltTi y.ey.gauevov ovy. tis
71VQ ovS' vScog «AÄ' eis TovSufos. Zitiert von Usener, Kl. Sehr. IV 404.
* Berl. Zauber-Pap. I 20; Parthey, Abhandl. Akad. Berl. 1865, 109;
Usener aaO. 192 (414) Anm. 59. Über den engen Zusammenhang zwischen
dem Mysterienknlt und der Magie, deren Mittelpunkt Ägypten war, s. An-
rieh aaO. 46. Über die Zauberpapyri s. auch oben S. 29, Milch im Zauber:
Dieterich, Abraxas S. 58 Anm. » AaO. 192 (414).
* Berl. Pap. I Z. 286.
* Berl. Pap. II Z. 20, nach der neuen Kollation von Ad. Abt, die mir
R. Wünsch mitteilte. Hier ist vielleicht weniger an einen Zusammenhang
mit den Mysterien, als an den Einfluß von volkstümlichen Vorstellungen
zu denken, wie sie S. 5 erwähnt w-urden.
® A. Dieterich, Papyrus Magica VII 4; Fleckeis. Jahrb. Suppl. XVI 806.
Zitiert auch von Anrieh 102 A. 1. ' Z. 2188 ff.
Die Milch im Kultus der üriechen und Römer 57
und Öl, während das Wasser hier fehlt; an einer anderen
Stelle 1 desselben Papyrus wird zwischen Wein, Bier, Honig,
Milch die Wahl gelassen, was wohl auf eine Vermischung
von verschiedenen Zauber Vorschriften hinweist.
Die Verwendung der Milch im frühchristlichen Kult
weiter zu verfolgen, liegt nicht mehr in meiner Aufgabe. Ich
glaube aber mit einiger Wahrscheinlichkeit aus den ange-
führten Stellen schließen zu dürfen, daß in der genannten
Gemeinsamkeit der Wiedergeburtshoffnungen der erste Anstoß
zur Übernahme liegt. Diese ging aber in einer Zeit der weit-
gehendsten Religionsmischung vor sich: darum sind natürlich
nicht alle anderen Anklänge an heidnische und alttestament-
liche Anschauungen als unmöglich abgelehnt. Daß das Land
der Verheißung der Juden, das goldene Zeitalter, der Toten-
uud chthonische Kult, die Dionysoswunder, die Heiligkeit, die
den Bienen und dem Honig überall angedichtet wurde, nicht
hätten mithelfen können, beides, Milch und Honig, in die
christlichen Sakramente einzuführen, wird niemand als absolut
ausgeschlossen betrachten. Aber über diese Beziehungen
können wohl nur sehr unsichere Vermutungen aufgestellt werden.
Die Ähnlichkeit der Symbolik in den zwar nicht zahlreichen
angeführten Stellen aber ist so auffallend, daß der Schluß
wohl erlaubt ist, von hier aus sei der erste Schritt zu einer
Angleichung der Kultübungen der neuen Kirche an die älteren
Kultvorstellungen getan worden.
So wahrscheinlich mir ein Zusammenwirken verschiedener
Anschauungen, die sich im Laufe der Zeiten entwickelt hatten,
zu sein scheint, so gewagt scheint mir von vornherein Useners
Hypothese, sie seien, wie die Äste eines Baumes, alle aus
demselben Stamme, alle aus einer Idee erwachsen, nämlich
aus dem allen in Frage kommenden Völkern eigenen Glauben,
Milch und Honig seien besonders heilige, den Göttern liebe
Gaben der Natur. Vielmehr scheint mir ein Strom die vielen
Bäche gesammelt zu haben; die Quellen können wir unmöglich
alle finden; beim einen fällt auf die Mündung, beim anderen
auf den Oberlauf ein schwaches Licht; konstatieren können
Ebenda 9Ü7.
58 Karl Wyß
wir, daß sie durch ihr Zusammenwirken stark waren: denn
trotzdem das Christentum viele neue, revolutionäre Ideen
brachte, nahm es hier Symbole, die bei Griechen und Römern
von jeher in verschiedener Weise gewirkt hatten, auf; ganz
assimiliert hat es sie nicht ; denn im Verlauf der ersten Jahr-
hunderte wurde „der alte Brauch der Kirche" abgestoßen'.
9. Kapitel
Käseopfer
Ich stelle hier anhangsweise einige Angaben zusammen,
die über die Verwendung des einzigen von den Alten häufiger
zubereiteten und stets geschätzten Milchproduktes in den
Opfergebräuchen einigen Aufschluß geben.
Die Zubereitung von Käse ist eine allen Indogermanen
geraeinsame Kunst. Besonders häufig wurde sie ausgeübt auf
der Balkan- und Apenninhalbinsel, deren Klima weder ein
längeres Aufbewahren frischer Milch noch die Bereitung einer
guten, haltbaren Butter erlaubte. "Wie wir heute eine Menge
Käsearten unterscheiden, so zeichnete sich auch bei den
Griechen und Römern dieses Nahrungsmittel durch seine
mannigfache Zubereitungsweise aus^. Zum bloßen Haus-
gebrauch wird, wohl nicht nur in homerischer, sondern auch
in viel späterer Zeit, ein Käse von möglichst einfacher und
kurzer Zubereitungsart gewonnen worden sein. Wie uns die
Kyklopie die Käserei des Polyphem schildert, so werden die
der gewöhnlichen Kuh-, Ziegen- oder Schafhirten auch ge-
wesen sein. Außer dem Scheiden der Milch, dem Entfernen
der Molke und einer einfachen Würze wird an dem Produkt
wenig gemacht worden sein. Gerade um dieser leichten Ge-
winnuugsmöglichkeit willen gehörte der Käse in älterer Zeit
1 Usener 185 (406).
2 S. E. Cougny bei Daremberg-Saglio, Dictionnaire unter caseus.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 59
wolil ZU den häufigsten Nahrungsmitteln der ländlichen Be-
völkerung und so natürlich auch zu den gewöhnlichsten Opfer-
gaben, z. B. beim Latiar der latinischen Gemeinden. Dion.
Hai. Antiqu. IV 49, 3 : /mI cpsQovoL eig avrag ai fteiexovoai
xCjv leqCüv Ttöleig al fxev agvag, al de zvgovg, al de ydlamög
XI ueiQOV, al de b/iioiöv ti xovxoig.
Bei Homer zeugt nur eine einzige Stelle für die Verwen-
dung des Käses beim Opfer. Die aristokratische Gesellschaft
verwendete ihn nicht ; nur da, wo einer dieser Edeln in Ver-
hältnisse gerät, die es ihm unmöglich machen, der Sitte seines
Standes zu folgen, paßt er sich den Umständen an. Der Not
gehorchend befriedigt Odysseus mit seinen Gefährten in der
Höhle des Kyklopen die Götter und den eigenen Hunger durch
den Käse, der dort aufgespeichert war. Od. IX 231:
evd-a de tivq y.r^avxeg ed-voaiiev i)de y.al avxol
xvqCüv aivvf.ievoi (fdyoaev.
Eine besondere Sorte von platten, dünnen Käschen opfer-
ten die Kreter, Athen. XIV 658 d: rovg de lenxovg xCöv xv-
Qü)V y.al TtXaxelg Kqfixeg d-r^Xeiag y,a).ovoLX\ lög cpr^oi ZeXev/.og'
ovg ev ^vGiaig x laiv ivayitovoiv.
Inschriftlich bezeugt ist das Käseopfer für Thera in einer
sakralen Stiftungsurkunde aus der Zeit um 200 v. Gh., dem
sogen. Testament der Epikteta^ : ^vexw de [i.ie\v ö xav TTgäiav
eTiLixriVLeviov äuegav xalg Movoaig legelov y.al iegd, ikXvTag ex
nvQÖJV xoi'Viy.(x)v Ttevxe y.al xvoov yarcv qo v oxaxf^qog . . . 18-4
o de xav devxegav xolg rJQcooi (ßoiviy.i xal ^E7trKxi]xcc (dasselbe
Opfer). 191 : o de xav xgixuv d^vatl xolg i[owaL KQaxr^oi\/.6\xfif
'/.al 'AvdQayÖQct y.aia xa avxä y.ad-^ a yiyQauxai <Polvl'/.\i\ /.al
^Eni'/.xr^xq.
Dem Herakles wurde auf Kos ein sehr reichhaltiges
Opfer von Nahrungsmitteln gespendet, darunter auch ein nicht
geringes Quantum Schafkäse^: xovxov O^vei 6 lagevg, xüt de
' von Prott-Zieheu, Leges sacrae II 319, 177 ff.
' von Prott, Inschr. v. Ko3 S. 27 Nr. 7 Z. 10; Paton aud Hicks Nr. 39
DI. 3638 Collitz. Die Inschrift stammt nach Hicks S. XXXI vermutlich
aus dem Ende des 4. Jh. v. Chr.
60 Karl Wyß
\d-eä)i r\€Qa öLöoxai '/.gid-äv rgia fji.uoii.iva y.al a7iv[Q]CüV tqüq
T€.raQTf^g '/.cd /.ulLzog rixogeg xoTt'A(£)at '/.al t vq ol oLeo l övw-
dexa /.al iTtvbg '/aivbg '/al (pQ\vya\vu)v äx^og /al ^v/Jwv äxd^og
■/al oivov rqia r^uioya.
In einer anderen kölschen Inschrift ^ des 4. oder 3. Jh. v. Ch.
wird von einem aqxog xvQihör^g. der am Herd geopfert werden
solle, gesprochen. Wie dieses „käsig" zu verstehen ist, ob
Käse mitgebacken oder sonst beigegeben wurde oder nur eine
bestimmte Beschaffenheit des Brotes gemeint ist, kann ich
nicht entscheiden.
In eigenartiger Verbindung mit Wein, Aalen, Honig führt
den Käse eine Menanderstelle an, Athen. VIII 364 d, vgl. IV
146 de:
£ir' ov% of.ioia nQücTTOf-iev '/al d-vojusv.
0710V ye rolg S^eolg idv 7joQaoi.i€vov
dgay^iöjv ayio TigoßäTOJV ayaTtr^ibv öe/.a,
avh]TQLdag de '/al {.lvqov '/al ipalzgiag,
Mtvdalov, 6doiov, eyyjleig, tvqöv, fielt-
(.u'/gov xa'/.dvTOc.
Daß der Käse in bestimmten Kulten und bei gewissen
Religionsgenossenschaften eine besondere Bedeutung gehabt
hat, muß aus der Angabe, daß er den Pythagoreern als Opfer
vorgeschrieben war, und einem eigentümlichen Verbot, das
der Priesterin der Athene nicht erlaubte, Käse zu essen, ge-
schlossen werden.
Die Sitte der Pythagoreer, Käse, getrocknete Feigen und
ausgepreßte Oliven zu opfern und dann auch zu essen, wird
mit der asketischen Seite ihrer Lehre zusammenhängen, ohne
auf tief erliegende Gründe zurückzugehen. Athen. IV 161 d:
fj ö' eGxiaoLg ioyuöeg /al OTef.i(pv)M /al rigog eaxaf xavxa
'/UQ ^veiv vöuog xolg Uv&ayoQeloig.
Kaum zu erklären ist dagegen die Angabe über die
Priesterin der Athene. Athen. IX 375 c; FHG I 375: xat
vvv öe xijV xf^g 143-r^väg iegeiav ov d-vetv ufivrjv ovdh ivqov
yeveod^ai. xiveg ö' ano xov xrjv legeiav xfjg JloXiädog ^.J^r^väg
yXcjQov TVQOv xov (U£v e/iiywQtoc /.lij äTtzeod^ai, §evi'/bv de
' V. Prott-Ziehen II 20 Z. 49.
Die Milch im Kultus der Griechen und Römer 61
Ti]g "Arrmf^g ri]v Icdaulva ovy. ei. Besonders rätselhaft ist
dieser Unterschied zwischen einheimischem und fremdem Käse.
In Verbindung mit Eiern wurde der Käse auch als Hekate-
mahl verwendet. Aristoph. Plut. 594 (PW. VII 2780):
Ttagcc tf^g ^Exdrr^g e^eoriv tovto -/tvd-eo&ai,
eixE To Ttlovrslv, tire ro Tteivfjv ßiXxiov cpr^ol yccQ amr]
TOt'S f.ikv exoviag xaf TtXovrovvtag öuitvov y.axcc f.ifjv' artO'
[7t€f.l7teiV.
Dazu bemerkt das Scholion: delTtvov] l^ ihibv y.al tvqöv
TSTr^yaviOfiivov.
Eine wichtige Rolle hat allem Anschein nach der Käse
im Kult der Alten nie und nirgends gespielte
Zusammenfassung
Die Zähmung der Haustiere durch die Indogermanen fällt
in das Dunkel vorhistorischer Zeiten; keine der bisher auf-
gestellten Hypothesen über die Art dieses Vorganges befriedigt.
Ebensowenig kann gesagt werden, wie die Milch in indo-
germanischer Zeit unter die Nahrungsmittel des Menschen
aufgenommen wurde.
Auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse bei verschie-
denen nördlichen indogermanischen Stämmen ist zu schließen,,
daß auch die Griechen und Römer vor ihrer Einwanderung
in die Mittelmeerländer mehr Wert auf die Milchproduktion
legten, als, wie später, auf die Viehmästung. In diese frühe
Epoche fällt jedenfalls der Ursprung der sakralen Verwendung
der Milch. Sie ist darum wohl ganz wie andere häufige
Nahrungsmittel in die Reihe der Opfergaben aufgenommen
worden, ohne darin eine bevorzugte Stellung einzunehmen.
Infolge des zähen Festhaltens der Römer am religiösen
Brauch können wir bei ihnen reiner erhaltene Reste uralten
' Zu der aus Löwenmilch Käse bereitenden Artemis Alkmans s. o. S. 44 f.
62 Karl Wyß
Kults ZU finden hoifen als bei den Griechen. Beim Latiar,
im Kult der früh vergessenen Lokalgottheiten Kumina und
Cunina, in dem der ländlichen Götter Silvanus, Pales, Faunus,
Ceres, Priapus wird Milch gespendet, ohne daß sich dieses
Opfer von anderen durch eine besondere Wirkung unterschiede.
Von einer gesetzlichen Beschränkung der Milchspende auf
bestimmte Kulte im Gegensatz zum Weinopfer weiß das rö-
mische Sakralwesen nichts; nur mußte die Milch auch im
Kult zurücktreten, als sich das politische und religiöse Leben
in der Hauptstadt konzentrierte; auf dem Lande blieb das
Milchopfer in voller Geltung.
Da die natürlichen Voraussetzungen bei den Griechen ur-
sprünglich sehr ähnlich gewesen sein müssen wie bei den
Römern, dürfen wir annehmen, daß auch in den formalen
Äußerungen der Religion eine gewisse Übereinstimmung
herrschte. Das Opfer war ein Dank für empfangene Gaben
oder ein Geschenk, wofür der Opfernde wieder belohnt zu
werden wünschte. Wenn das Milchopfer der Römer keinen
anderen Zweck verfolgte, so haben wir auch für das der
Griechen ohne zwingende Gründe keinen anderen voraus-
zusetzen. In älterer geschichtlicher Zeit wurde bei den Grie-
chen die Milch nur noch von einzelnen Volksklassen be-
stimmten, meist nichtolympischen Gottheiten gespendet. Die
homerischen Helden und Götter kennen das Milchopfer nicht,
weil bei der herrschenden Klasse der Wein die Milch auch
im profanen Gebrauch verdrängt hatte. Infolge geringereu
Zwanges der äußeren Umstände, vor allem aber infolge innerer
Hemmungen, der Angst vor rituellen Verfehlungen, hielten
die unteren Klassen an dem althergebrachten Milchopfer fest.
Als die Milch einmal aus dem Kult der panhellenischen Olym-
pier verdrängt war und nur noch im Dienst anderer Götter
oder Verstorbener Verwendung fand, wurde diese Sachlage
durch ätiologische Erfindungen erklärt und durch sakrale Ge-
setze zum Teil auch festgelegt.
Die Milch war ein Hauptbestandteil der nüchternen
Spenden, die vor allem im Kult der chthonischen Götter ver-
wendet wurden, hauptsächlich in dem der Erinyen. Als der
Gegensatz der Spenden an die Olympier und der an die
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 63
chthonischen Götter dem Volke auffiel, erklärte es sich den
„festgehaltenen Rest primitiver Sitte" durch die Annahme,
der Wein werde infolge seiner berauschenden Wirkung von
den chthonischen Gottheiten verschmäht. Und doch ist wahr-
scheinlich gerade das Melikraton aus dem indogermanischen
Rauschtrank, dem Honigmet, entstanden.
Von Totenopfern waren die berauschenden Getränke sa-
kralgesetzlich nicht völlig ausgeschlossen, obschon gerade
hier das Milch-Honiggemisch einen wichtigen Bestandteil der
Spende ausmachte. Diese Mischung tritt uns in mehreren
Stellen, meist abhängig von der Nekyia der Odyssee, entgegen,
wo sie zur Beschwörung der Toten dient. Dann aber war sie
die gewöhnliche Gabe der Überlebenden an verstorbene An-
gehörige.
Die Überzeugung, daß die Milch, wie Honig und Öl, in-
folge ihrer natürlichen Eigenschaften besänftigend und lindernd
auf den Zorn der chthonischen Götter und der Verstorbenen
wirke, kann nicht die Veranlassung zu ihrer Verwendung ge-
wesen sein. Unter die Bezeichnung (.isiUyuara, f.uihyciriQLa
fällt auch der Wein, trotzdem die vr^cpäXia nach der Ansicht
der Vertreter dieser Auffassung gerade, weil sie nüchtern
sind, lindern. Auch brauchen die Überlebenden den Zorn der
Toten nicht zu beschwichtigen, weil er ohnmächtig ist. Es
handelt sich in beiden Kulten nur um Gaben, die als solche
eine erfreuende Wirkung auf den Empfänger ausüben; der
Dank für die Gabe und den dadurch erzeugten Genuß äußert
sich natürlich bei den chthonischen Göttern im Ablassen vom
Zorn, bei den Toten in einer Beruhigung. Das mag dann
wieder die Veranlassung zur Erfindung von Begründungen
des Opferbrauches gewesen sein; die sind aber sekundär; die
wahren Gründe liegen in der natürlichen Entwicklung mensch-
licher Verhältnisse.
Da die Dionysosgläubigen sich nach einem seligen Zu-
stand, nicht nach einem in seinen Einzelheiten durch die Ver-
heißung beschriebenen Paradies sehnen, da ferner das Dionysos-
wunder nicht in Strömen von Milch und Honig allein, sondern
auch von Wein und Wasser besteht, kann daraus nicht auf
eine besondere, himmlische Eigenschaft der Milch geschlossen
64 Karl Wyß
werden. Infolge einer späteren Begriffserweiterung, dem
häufigen Gleichsetzen von Wein, Honig, Milch, Melikraton
mit Nektar, einem Wort, das früh nicht ausschließlich „Götter-
trank", sondern ein beliebiges sehr gutes Getränk bezeichnen
konnte, galt den alexandrinischen und römischen Dichtern
Milch umgekehrt wieder als Göttertrank, und so gehörte das
Bild vom Milchüberfluß zur Ausmalung des goldenen Zeitalters,
der Insel der Seligen.
Einzelne, falschverstandene Göttermythen, wie die Sage
von der Ernährung des Zeuskindes auf dem Ida und die Rolle,
die die Milch in dem chthonischen, dem Toten- und dann be-
sonders auch im Mysterienkult spielte, mögen im Verlauf der
Entwicklung dazu beigetragen haben, daß man in ihr eine
besondere religiöse Kraft zu ahnen begann.
Auch in den Mysterienkult wurde die Milch nicht als
eine Gabe aus dem erhofften Jenseits, nicht auf Grund alter,
tiefgewurzelter Glaubensvorstellungen aufgenommen, sondern
als das Symbol der Wiedergeburt, dann, mit einer gewissen
Steigerung, als ein cpccQf.iay.ov a^avaolag.
In der Zauberei vermischen sich alte Kultgebräuche mit
dem Mysterienritus, indem bald deutlich an die Wieder-
geburtslehre angeknüpft, bald kiltiklos das Opfer aus den
verschiedenen Spenden des chthonischen. Toten- und Mysterien-
kults zusammengestellt wird.
Auf absolute Sicherheit können meine Folgerungen nicht
Anspruch erheben, besonders weil die zeitgenössischen Quellen
vielfach versagen, spätere Berichterstatter aber oft alten
Brauch und Glauben falsch darstellen. Vor unbegründeten
rationalistischen Deutungsversuchen aber glaube ich mich ge-
hütet zu haben.
Die Milch im Kultus der Griechen und Eömer
65
Register
Abendmahl 52
Ätiologische Erklärungen 8 f. 15. 25.
36. 42. 62 f.
Alkman 44 f.
Artemis 44 f.
Attismysterien 54
ßd-A-/ju 40 ff. 47
Bona Dea 12. 22
Ceres 11. 62
chthonische Götter 19 ff. 28 f. 35. 37.
57. 62 f.
Cunina 8 f. 13. 62
Demetermj'sterien 15
Dionysos 40 ff. 46. 52 f. 63
Erinyen (Eumeniden, Semnai) 20 ff.
25. 37. 62
Ipicfos si yäV tTZSTov 54
Euripides Bakchen 40 ff. •
Feriae Latinae 7 f.
yaXa',cTi]f6oog 55
yi(kd^ia 23
Gebet 13
Gütterkinder mit Milch und Honig
ernährt 48 ff. 64
Goldenes Zeitalter 45 f.
Hemithea 21
Homer 3 f. 14 20. 25 f. 33. 59
Inder 2. 6. 19
Isiskult 53
Religionssjeschichtlicbe Versuche u. V
Käseopfer 58
y.EQt 0(fOQelv 15. 52 A.
I. Korintherbrief 3, 2. 55
Latiar 8. 13. 59. 62
Luperkalien 36 ff.
fiEi).fxrQa
Magna Mater 15
uä^a 23
Meyaipa 21
fiEiXiyfiarn , HSiliy.rrioia ,
32 ff . 63
fiEliyQaTOV 19 ff. 25 f. 50 f. 63
MrjTTJO ■d'Ecöv 23
Met 19. 24. 34. 48. 51. 63
Milch als Attribut des seligen Jen-
seits 39 ff. 50
— als Nahrungsmittel 1.4. 17. 61
— als Symbol der Unsterblichkeit
54 ff.
— als weinlose Spende 19 ff.
— , die sühnende Wirkung der-
selben 82 ff.
— im Mysterienkult 52 ff.
— im Zauber 5. 56. 64
Milchopfer bei anderen Völkern 6
— bei den Kömern 7 ff. 61
— in der Urzeit 2. 5
— , ursprüngliche Bedeutung
desselben bei den Griechen
13 ff.
Milchproduktion , Verhältnis zur
Viehmästung 4. 61
Milchtiere der Indogermanen 1
orarbeiten XV, 2. 5
66
Karl Wyß
Moiren 21
Mythisches Denken 5. 17 f.
Mysterienknlt (und Christentum) 38.
52 ff. 57. 64
rky.xaQ 46 ff. 64
rrifäXia 18 ff. bes. 24. 32. 36 f. 39. 62f.
novum lac 27
Nymphen 21 f. 48
Olympische Götter 14 f. 20. 62
Opfer, seine Bedeutung 6. 13 f. 15. 62
Orphische Eeligion 40. 48
Pales 10 f. 62
Pan 11. 21. 62
Persische Mysterien 55 f.
I. Petrusbrief 2, 2 55
cpdofiny.ot' d&avaaias 49. 54. 64
nökros, puls 5. 23
Priapus 12. 62
Pythagoreer 32. 40. 54. 60
Kind im Kult 2
Rumina 8 f. 13. 62
Sallustios ^£^1 &ecöv IV 54 f.
Silvaniis 10. 62
Standesunterschiede und Kultübung
9. 13. 15 ff. 36. 62
Suovitaurilia ladentia 12
Iwainohs, Heros der Eleer 22
Taufe 52
d'tk'ATrifiui, ü'elysiv 32. 35
Totenbeschwörung 25 ff. 63
Totenkult 20. 29 ff. 34. 50. 63 •
Usener, Milch und Honig 2. 39 ff. 52 f.
Yenus Verticordia 12
Verg. Aen. V 77 26 f. 38 f.
Viehzucht 3 f. 8
Wein gleich Nektar 47. 64
Wein im Gegensatz zu anderen
Spenden 15 ff. 19 ff. 33 f. 42.
46. 63
— in Verbindung mit Milch 25 ff.
39 ff. 52. 56
— verdrängt Milch 13. 15 ff. 62
— vom altröm. Opfer ausge-
schlossen 9
Wiedergeburt 53 ff.
Zähmung der Milchtiere 1 f. 61
Zauber 5. 28 f. 64
Zauberpapyri 56
Zeus Jugend 48. 64
Zeis IIoXisvs 22
Die Milch im Kultus der Griechen und Kömer 67
Verzeichnis der wichtigeren Literatnr
RGW, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarheiten. Herausgegeben
von Wünsch und Deubner bei Alfred Töpelmann, Gießen.
PW, Pauly-Wissowa, Real-Eneyclopädie, Stuttgart 1894 ff.
Roschers Lexikon, Ausführliches Lexikon der griechischen und römi-
schen Mythologie. Hrsgg. von W. H. Röscher, Leipzig 1884 ff.
G. Anrieh, Das antike Mysterienwesen in seinem Einfluß auf das Christen-
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A. Dieterich, Eine Mithrasliturgie -, Leipzig 1910.
Der Untergang der antiken Religion. Kleine Schriften,
Leipzig 1911, S. 464.
J. von Fritze De Ubntlone veterum Graecorum. Diss. Berlin 1893.
K. Kircher, Die sakrale Bedeutung des Weins. RGW IX 2, Gießen 1910.
Ed. Meyer, Geschichte des Altertums II'. Anthropologie.
W. Robert-Tornow De apium melUsque apuä veteres significatione ,
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P. Stengel, Griechische Kultusaltertümer-, München 1898.
Opferbräuche der Griechen, Leipzig 1910.
H. Usener, Milch und Honig, Rheinisches Museum LVII 1902, 177 ff. Kleine
Schriften IV, 398 ff. Leipzig 1913.
G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer ^, München 1912,
5*
\
Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten
B^"^ De antiquissimis veterum, quae ad lesum
^^" Nazarenum spectant, testimoDÜs
scripsit Kurt Linck
1913 118 S. M. 4.—
Die Arbeit hat den Zweck, von neuem die nichtchristliclien Zeugnisse über Jesus von
Nazareth (Joseph, ant. Jud. XVIII 63 sq. Niese, Plin. ep. ad Tr. 95. 96, Tac. ann. XV 44,
Suet. Claud. 25) auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu untersuchen. Bestimmend hierfür waren
folgende Gründe : Zunächst ist die besonders seitdem Erscheinen von A. Drews' 'Christus-
mythe' (Teil I Jena 1910, II 1911) vielfach entstandene Ansicht zurückzuweisen, daß aus
jenen Zeugnissen unbeschadet dessen, ob sie echt oder interpoliert seien, kein Argument
gezogen werden dürfe für die Frage nach der Geschichtlichkeit Jesu und nach seiner
Sekte. Sodann erschien es zweckmäßig, das im Laufe der Zeit sehr angewachsene und
an den verschiedensten Stellen verstreute Material in den Hauptzügeu zusammenzufassen
und die Echtheit aller vier Testimonia in ein und derselben Abhandlung zu prüfen.
Endlich glaubte der Verfasser, auf das Sprachliche der Zeugnisse noch mehr Sorgfalt
verwenden zu müssen, als es bisher geschehen ist. Jedem Autor ist ein Kapitel zuge-
wiesen. Die Resultate sind folgende: 1. Die Josephusstelle ist ganz als interpoliert
zu betrachten. 2. Des Plinius Brief und Traians Antwort sind echt. Aus jenem er-
fahren wir einiges über die ersten christlichen Gemeinden von Pontus und Bithynien.
.3. Des Tacitus Zeugnis muß in allen Teilen als echt anerka.nnt werden und ist am
wertvollsten. Ihm liegen zuverlässige Quellen zugrunde; wir erfahren daraus: a) Zur
Zeit Neros waren Christen in Rom; b) als Stifter ihrer Religion galt dem Tac Jesus von
Nazareth; c) dieser war unter Pontius Pilatus gekreuzigt; d) Jesus ist nach Tac. unter
die historischen Persönlichkeiten zu rechnen. 4. Die Worte in Suet. Claud. 25 sind
echt und beziehen sich auf einen jüdischen Aufwiegler namens Chrestus, der uns weiter
nicht bekannt ist.
and De coronarum apud antiquos vi atque usu
* * scripsit Josef Köchliug
1914 100 S. M. 3.40
Im ersten Kapitel wird die Bedeutung des Kranzes untersucht, die sich einerseits aus
seiner Form, andererseits aus seinem Material ergibt. Das zweite Kapitel bringt die
Verwendung des Kranzes als prophylaktisches und apotropäisches Mittel bei der Kon-
sekration von Tempeln, Altären, Bildwerken und anderen Gott geweihten Gegenständen, bei
Geburt, Hochzeit und Tod, bei allen privaten und öffentlichen Feiern und bei jeder
magischen Handlung. Zu den Sitten der Alten werden bisweilen die Bräuche moderner
Völker in Vergleich gesetzt. Im dritten Kapitel gibt der Verfasser einen kurzen Über-
blick über die geschichtliche Entwicklung der Bedeutung des Kranzes.
Das stellvertretende Huhnopfer
Mit besonderer Berücksichtigung des jüdischen Volksglaubens
von Isidor Scheftelowitz
1914 70 S. M. 2.40
Zunächst werden die Fälle behandelt, in denen das Huhn als Substitut für den Menschen
den Göttern dargebracht wird, z. B. bei Krankheiten, beim Todesfall, bei der Grundstein-
legung eines Hauses. Das Huhn im Hochzeitsritual dient entweder zur Besänftigung der
Dämonen oder als magisches Symbol des Kindersegens. Das Huhnopfer ist oft verbunden
mit den apotropäischen Zeremonien des Umkreisens, Schwingens. Blutbesprengens. Ferner
werden dargelegt die Apoponipe mittels des Huhnes und die Gründe, warum das Huhn
als ein Dämonen verscheuchendes Tier aufgefaßt und so als Opfer für die Dämonen be-
vorzugt worden ist und selbst ein dämonisches Tier geworden ist. Schließlich wird die
Entstehung des jüdischen Volksbrauches des Kapporo-Huhnes untersucht und auch der
Ritualmordaberglaube behandelt.
H^ De veterum macarismis
' scripsit Gustav Lejeune Dirichlet
1914 73 S. M. 2.50
Die aus dem Neuen Testament bekannte Formel der Seligpreisung findet sich auch in der
antiken Literatur häutig verwendet. Das erste Kapitel der Arbeit gibt eine Geschichte
der in dieser Redewendung gebräuchlichen Synonyma, besonders der Worte /uäxao,
öXßioi, iv^aiuiov, und analysiert die einzelnen Formen des Makarismus. Im zweiten
Kapitel werden die verschiedenen Typen nach sachlichen Gesichtspunkten zusammen-
gestellt, wodurch die Seligpreisung als kürze.ste Fassung antiker Anschauungen über das
Ideal und als Gemeinplatz einzelner literarischer Gattungen erwiesen wird.
Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten
xiv.Band Babylonian-Assyrian Birth-Omens
^' ® And Their Cultural Significance
by Morris Jastrow, jr.
1914 92 S. M. 3.20
Die Schrift ist ein Nebenergebnis der langjährigen Studien des Verfassers über die baby-
lonisch-assyrische Religion. Auf Grund von zahlreichen Auszügen aus den betreffenden
Keilschrifttexten wird die babylonisch-assyrische Deutungslehre aus Geburtsvorzeichen
dargestellt, und zwar erstreckt sich diese Lehre sowohl auf Tiergeburten wie auf Er-
scheinungen bei Menschengeburten. Sodann geht der Verfasser liber zu einer Unter-
suchung der kulturhistorischen Bedeutung dieser Geburtsvorzeichenlehre und weist nach,
daß Nachklänge in den weitverbreiteten Anschauungen über Monstrositäten als Monstra,
d. h. also Zeichen von den Göttern gesandt, sowie in der Annahme von Misch- und Fabel-
wesen bei Babyloniern, Ägyptern, Etruskern, Griechen, Römern, ja selbst im fernen Osten
zu erkennen sind. Die Schrift wendet sich also an weite Kreise und hofft das Interesse
der klassischen Archäologen, der Orientalisten und der Religionsforscher für das behan-
delte Problem zu erregen.
XV. Band Die Fragmente der griechischeü Kultschriftsteller
z. Heft , , , ,
herausgegeben und erläutert
von Alois Tresp
1914 Im Druck
Gesammelt sind in dieser Arbeit die Fragmente aus den Schriften, deren Titel mit
griechischem Kult im Zusammenhang steht. In zweifelhaften Fällen, wie bei den Schriften
über das griechische Orakelweseu, war der Inhalt der Fragmente maßgebend. (Jedem Frag-
ment folgen die wichtigsten textkritischen Bemerkungen ; angeschlossen ist die Literatur,
die auf das Fragment sich bezieht, und Bemerkungen des Verfassers, sofern etwas Neues hin-
zuzufügen war.) Die Ergebnisse der Sammlung sind in einer Einleitung zusammengefaßt.
Im Quellenregister sind sämtliche Stellen aus den Quellenschriftstellern zusammengestellt,
mögen diese direkt ihi-e Gewährsmänner zitieren oder sachlich mit ihnen übereinstimmen.
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Archiv für Religionswissenschaft
Nach Albrecht Dieterich unter Mitwirkung von H. Oldenberg,
C. Bezold, K. Th. Preuß in Verbindung mit L. Deubner
herausgegeben von Richard WünSCh.
XVII. Jahrgang. 1914. Jährlich 4 Hefte zu je etwa 10 Druckbogen. Preis M 18. —
Das «Archiv für Religionswissenschaft" will zur Lösung der nächsten und wichtigsten auf
diesem Gebiete bestehenden Aufgaben, der Erforschung des allgemein ethnischen Untergrundes
aller Religionen, wie der Genesis unserer Religion, des Unterganges der antiken Religion und des
Werdens des Christentums beitragen und insbesondere die verschiedenen Philologien, Völkerkunde
und Volkskunde und die wissenschaftliche Theologie vereinigen. Neben der I. Abteilung, die
wissenschaftliche Abhandlungen enthält, stehen als II. Abteilung Berichte, in denen von
Vertretern der einzelnen Gebiete kurz, ohne irgendwie Vollständigkeit anzustreben, die hauptsäch-B
liebsten Forschungen und Fortschritte religionsgeschichtlicher Art in ihrem besonderen Arbeits-
bereiche hervorgehoben und beurteilt werden. Regelmäßig kehren in fester Verteilung auf vier
Jahrgänge zusammenfassende Berichte über wichtige Erscheinungen auf den verschiedenen Gebieten
der Religionswissenschaft wieder. Die III. Abteilung bringt Mitteilungen und Hinweise.
U. Fätz'sdie Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S.
BL fißlxgioniigesciiichtiiche Versuche
25 und VorLrbeiten
Bd. 15
Heft 2
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