iELIGIONSGESCHICHTLICHE VERSUCHE UND VORARBEITEN
f BEGRÜNDET VON ALBRECHT DIETERICH UND RICHARD WÜNSCH
IN VERBINDUNG MIT LUDWIG DEÜBNER HERAUSGEGEBEN VON
lUDOLF MALTEN-KÖNIGSBERG UND OTTO WEINREICH-TÜBINGEN
- — XVII. BAND 2. HEFT -^
I
FREIWILLIGER OPFERTOD
BEI EURIPIDES
EIN BEITRAG
ZU SEINER DRAMATISCHEN TECHNIK
VON
JOHANNA SCHMITT
VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN IN GIESSEN
1921
Das Titelblatt für Baud XVII ist hier beigefügt
RELIGIONSGESCHICHTLICHE VERSUCHE U. VORARBEITEN
H. Hepding: Attis. Seine Mythen und sein Kult. '03 (I) 12.—
H. Greßmann: Musik und Musikinstrumente im Alten Testament. '03 . (III) 1.70
L. Ruhl: De mortuorum iudicio. '03 (112) 4.10
L. Fahz: De poetarum Romanorum doctrina magica. '04 (113) 3.60
G. Blecher: De extispicio capita tria. Accedit de Babyloniorum ex-
tispicio Caroli Eezold supplementum. '05 (114) 6.30
C.Thulin: DieGötterdesMartianusCapellau. der Bronzeleber v.Piacenza. '06 (IUI) 6.30
W. Gundel: De stellarum appellatione et religione Romana. '07 . . . (III 2) 9.90
F. Pradel: Griech. u. südital. Gebete, Beschwörungen u. Rezepte d.M.-A. '07 (III 3) 9. —
H.Schmidt: Veteres philosophi quomodo iudicaverint de precibus. '07 (IV 1) 4.50
A. Abt: Die Apologie des Apuleius von Madaura u. die antike Zauberei. '08 (IV2) 17. —
Ph. Ehrmann: De iuris sacri interpretibus Atticis. '08 (IV 3) 4.10
F. Pf ister: Der Reliquienkult im Altertum. '09/12 (Vl/2) 54.—
E. Fehrle: Die kultische Keuschheit im Altertum. '10 (VI) 22. —
W. Schmidt: Geburtstag im Altertum. '08 (VIII) 10.80
G. Appel: De Romanorum precationibus. '09 (VII 2) 15.80
J, Tambornino: De antiquorum daemonismo. '09 (VII 3) 7.70
O. Weinreich: Antike Heilungswunder. Unters. z.Wundergl. d. Gr.u.Rö. '09 (Villi) 15.80
E. Schmidt: Kultübertragungen. '10 (VIII2) 9.90
E. Müller: De Graecorum deorum partibus tragicis. '10 (Vin3) 11.70
Th. Wächter: Reinheitsvorschriften im griechischen Kult. '10 ... . (IX 1; 11.30
K. Kircher: Die sakrale Bedeutung des Weines im Altertum. '10 , . (1X2) 7.80
J. Heckenbach: De nuditate sacra sacrisque vinculis. '11 (1X3) 8.60
A. Bonhöffer: Epiktet und das Neue Testament. '11 (X) 40.—
0. Berthold : Die ünverwundbarkeit in Sage u. Aberglauben der Griech., mit e.
Anhang über den Unverwundbarkeitsglauben bei andern Völkern. '11 (XII) 5.90
J. Pley: De lanae in antiquorum ritibus usu. '11 (XI2) 8.10
R. Perdelwitz: Die Mysterienreligion und das Problem des I. Petrusbriefes.
Ein literarischer und religionsgeschichtlicher Versuch. '11 . . . (XI 3) 8.10
J. V. Negelein: Der Traumschlüssel des Jagaddeva. Ein Beitrag zur
indischen Mantik. '12 (XI4) 37.50
R. Staehlin: Das Motiv der Mantik im antiken Drama. '12 ... , (XIII) 16.20
I.Scheftelowitz: D. Schlingen- u. Netzmotiv i. Glaub, u. Brauch d. Völker. '12 (XII 2) 5.40
F. Kutsch: Attische Heilgötter und Heilheroen. '13 (XII 3) 10.80
C.Clemen: Der Einfluß d. Mysterienreligionen auf d. älteste Christentum. '13 (XIHl) 10. —
E. Küster: Die Schlange in der griech. Kunst und Religion. '13 . . . (XIII2) 14.60
K. Latte: De saltationibus Graecorum capita quinque. '13 (XIII 3) 9. —
K. Linck: De antiquissimis veterum, quae ad lesum Nazarenum spectant,
testimoniis. '13 (XIVl) 9.—
J. Köchling: De coronarum apud antiquos vi atque usu, '13 ... , (XIV2) 7.70
1. Scheftelowitz: Das stellvertretende Huhnopfer. Mit besonderer Be-
rücksichtigung des jüdischen Volksglaubens. '14 (XIVS) 5,40
G. Lej. Dirichlet: De veterum macarismis. '14 (XIV 4) 5.60
M. Jastrow jr.: Babylonian-Assyrian birth-omens and their cultural
significance. '14 (XIV5) 7.20
A. Tresp: Die Fragmente der griechischen Kultschriftsteller. '14, . . (XVI) 22.50
K. Wyß: Die Milch im Kultus der Griechen und Römer. '14 ... , (XV 2) 5.60
F. Schwenn: Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern. '15 . (XV 3) 15.80
O.Weinreich: Triskaidekadische Studien. Beiträge z. Gesch. d Zahlen. '16 (XVII) 18.50
O. Casel: De philosophorum Graecorum silentio mystico. '19 . . . . (XVI 2) 22. —
C. Giemen: Die griech. u. lat. Nachrichten über die persische Religion. '20 (XVII 1) 45. —
Manuskripte u. Anfragen sind zu richten an: Pr. Dr. L. Malten in Königsberg i. Pr.,
Albrechtstr. 3, oder Prof. Dr. O. Weinreich in Tübingen.
V
■^
IM 4A ^Xl^ -.-^cA^ c-^^
i^ ew rf^^ fc-Orf- Ui6A^£^
1
FREIWILLIGER OPFERTOD
BEI EURIPIDES
EIN BEITRAG
ZU SEINER DRAMATISCHEN TECHNIK
VON
JOHANNA SCHMITT
VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN IN GIESSEN
1921
EELIGIONSGESCHICHTLICHE VERSUCHE
UND VORARBEITEN
BEGRÜNDET VON ALBRECHT DIETERICH UND RICHARD WÜNSCH
IN VERBINDUNG MIT LUDWIG DEÜBNER HERAUSGEGEBEN VON
LÜDOLF MALTEN UND OTTO WEINREICH
IN KÖNIGSBERG/PR. IN HEIDELBERG
XVII. BAND 2. HEFT
n t
§97553 3^ . /7
Vorwort
Diese Arbeit ist entstanden auf Anregung des Herrn Geh.
Hofrat Professor Boll. Ihm sage ich für sein immer bereites
freundliches Eingehen, sowie für seine stets anregenden und
fördernden Ratschläge meinen herzlichsten Dank. Herr Pro-
fessor Weinreich hat mich mit vielen wertvollen Hinweisen
während der Arbeit und mit seiner freundhchen Hufe bei der
Korrektur unterstützt. Herrn Professor Malten, der mir eben-
falls bei der Drucklegung geholfen hat, verdanke ich manchen
guten Rat. Beiden Herren bin ich für ihre Uebenswürdige
Unterstützung sehr dankbar.
Heidelberg, im Juli 1921. Johanna Schmitt.
III
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung 1
I. Eingliederung und Einführung der Devotionsszenen 2
IL Das Entschlußfassen . 15
III. Die entscheidenden Reden 28
IV. Das retardierende Moment . 41
V. Die Abschiedsszenen . 44
VI. Der Ausklang der Devotionsszenen 52
VII. Das Motiv des freiwilligen patriotischen Opfertods
in den Fragmenten 63
VIII. Das Motiv des persönlichen freiwilligen Opfertods 72
IX. Der rituelle Sprachgebrauch in den Devotionsszenen 78
X. Sagengeschichthche Grundlage und Nachwirkungen
der euripideischen Devotionsszenen 84
Register 105
Schmitt, Freiwilliger Opfertod bei Euripides 1
Einleitung.
Der starken Produktionskraft des griechischen Dramatikers,
die durch den Wettbewerb an den dionysischen Spielen immer
neu angeregt wurde, legte der immerhin enge Stoffkreis des
Mythus eine gewisse Beschränkung auf. Einigen Ausgleich,
der zudem die MögHchkeit zu künstlerischer Vertiefung bot,
fand er darin, daß er sich bei einzelnen Motiven nicht mit
einer einmaligen Behandlung begnügte, sondern immer wieder
auf sie zurückgriff, sei es nur, um die schon erprobte drama-
tische Wirkung wieder auszunützen, sei es, um dem Problem
neue Seiten und neue künstlerische Darstellungsmöglichkeiten
abzugewinnen. Mitbedingt werden diese Wiederholungen, die
wir am eingehendsten bei Euripides beobachten können, auch
durch die Sagenbildung, in der ebenfalls dieselben Motive in
den mannigfaltigsten Spielarten und Kombinationen wieder-
kehren.
Eines dieser Motive, das des freiwilligen Opfertods, soll
uns hier beschäftigen. Es ist ein Problem, das nicht mehr der
naiven Sage angehört, sondern das — aus uralten religiösen
Anschauungen entsprungen — in den Zeiten des erwachenden
Staatsbewußtseins, zumal in den harten Kämpfen um die Exi-
stenz der neugegründeten Staatswesen, besonders in den Vorder-
grund trat. Die alte, noch völlig unethische Vorstellung von
den überirdischen Mächten, die in Zeiten der Not, vor Schlachten,
großen Unternehmungen usf. ein Menschenopfer fordern, bevor
sie ihre Gnade zeigen, war der neuen, sittlich freien Anschau-
ung gewichen, der freiwilligen Hingabe des Lebens für ein
höheres Gut.
Durch den Lebenskampf der kleinen griechischen Staaten
mit dem Perserreich, und besonders durch den Heldentod des
Leonidas, wurden diese Sagen, wenn auch nicht hervorgerufen, so
doch besonders behebt und vermehrt '). Den glühenden Patrioten
>) Busolt, Gr. Gesch. I 220, 2, II 128, 2 hält die Sage von Kodros" Opfertod
für eine Erfindung des 5. Jh. unter dem Eindruck der Tat des Leonidas.
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten. XVII, 2. 1
2 Johanna Schmitt
Euripides haben sie in der schweren Zeit des peloponnesischen
Krieges, in der wiederum diese unbedingte Hingabe die einzige
Rettung hätte sein können, zu kühnen Neuschöpfungen und
Umbildungen der alten Sage begeistert. Neben dem patrioti-
schen Opfertod hat ihn der persönliche einer Alkestis und das
verwandte Motiv des erotischen eTraTroö-avelv einer Euadne und
Laodamia gelockt: in allen Fällen also eine Verherrlichung der
freiwilligen Hingabe des Lebens *). In 6 erhaltenen Tragoedien
(Alk. Herakl. Hek. Hik. Phoen. Iph. Aul.) und, soviel wir
sehen können, in 3 verlorenen (Protes. Erechth. Phrixos) hat
Euripides das Problem behandelt, bald als Hauptmotiv des
Dramas, bald als wirksame Einzelszene.
I. Eingliederung und Einführung der Devotionsszenen,
a. Herakliden. Wenn wir von Alkestis und Protesilaos
zunächst absehen, hat Eur. das Motiv des freiwilligen Opfer-
todes zum erstenmal in den Herakliden eingeführt. Die „Ma-
karia"-Episode ist diesem Drama, wohl seinem schwächsten,
als Glanzstück aufgesetzt, zur Erregung des eXeos und zur
patriotischen Erhebung. Sie soll dem Stück zu der tragischen
Wirkung verhelfen, an der es ihm sonst völhg fehlt. Zu der
freien Erfindung der heldenhaften Heraklestochter ^ empfing
Eur. die Anregung wohl durch den Gegensatz zu Aischylos'
Hiketiden. Auf die offenbare Polemik gegen Aischylos (Herakl.
43): veas y^^P Trapö^evous aJ5oüiie&a öxXw TreXd^eiv Kd7nßw|uo(iTaTe7v
hat schon Firnhaber ^) hingewiesen. Im Gegensatz zu den
wilden Danaiden, die von ihrem Vater zu Bescheidenheit und
Sittsamkeit (197. 996) ermahnt werden müssen, erfand Eur.
seine betont züchtige „Makaria". Während die Hiketiden
drohen, sich an den Altären aufzuhängen (160, 789) und da-
durch das Heiligste zu beflecken, wenn ihnen kein Schutz
gewährt wird, verhilft die heldenmütige Heraklestochter durch
ihren freiwilligen Tod den Gastfreunden zu einem ruhmvollen
Sieg und obendrein zu der Reliquie des Eurystheusgrabs.
^) Zur Geschichte der damit zusammenhängenden Erscheinung des Selbst-
mords im Altertum s. Hirzel, Arch. f. Rel.-Wiss. XI 75 S.
^) S. unten 84 ff. *) Philol. I 448.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 3
Die HeraM. machen den Eindruck, als seien sie sehr rasch
gearbeitet, als richtiges Gelegenheitsstück. Hierauf werden
wohl die vielen Mängel der Komposition zurückzuführen sein.
Diese Schwächen machen sich besonders in der Makariaepisode,
zumal ihrer Eingliederung in die ganze Tragoedie, fühlbar. Es
sieht fast aus, als habe Eur. diese Szene erst nachträglich ein-
gesetzt, und als sei ihm dann die Einrenkung nicht mehr recht
gelungen. Die Handlung an sich könnte ohne diese Episode
genau so gut bestehen wie mit ilu*. Die erste Vorbereitung
zum Auftreten der Heraklestochter gibt 41 ff., wo erzählt wird,
daß Alkmene mit den Mädchen drinnen im Tempel weile, vor
dem lolaos mit den Knaben als Schutzflehender sitzt. Das
Orakel, welches das Jungfrauenopfer befiehlt, wird vorbereitet
durch den Hinweis Demophons, daß er die Seher zum Opfer
versammeln werde: iidvieis 6' d^poiaas ö'öaoiiai (340).
Die Opfer werden dargebracht, die Götterzeichen einge-
holt; sie lauten alle glückverheißend, aber eine schwere Be-
dingung ist an den Sieg geknüpft. Eindeutig lautet der Be-
scheid aller xPI^^Hoi (408) : aclxi^^ai KeXeuouoiv |ie Trap^evov KÖpri A^-
lintpos, r\r\s efffi Traipös eÖYevoös. Eine nähere Motivierung dieses
Verlangens wird nicht gegeben. Als Grund genügt, daß die
Unterirdischen ihr Opfer haben wollen. Nachdem das Aner-
bieten des lolaos, selbst als Opfer einzutreten '), von Demophon
zurückgewiesen ist, hat die Ratlosigkeit und verzweifelte Lage
der Herakliden ihren Gipfel erreicht. Da erscheint wie ein
deus ex machina die Heraklestochter vor dem Tempel. Ihr
Auftreten ist höchst mangelhaft motiviert: sie habe lolaos
stöhnen hören und übertrete aus Sorge um ihn und die Brüder
das Gebot der weibHchen Sittsamkeit, des Schweigens und der
Zurückhaltung (474ff,)"). In Wirkhchkeit hat aber lolaos gar-
nicht so laut geschrieen; in der ersten Szene, als der Herold
den Versuch machte, lolaos vom Altar fortzureißen (69 ff.),
wäre weit mehr Grund zum Heraustreten gewesen. Jedoch
Eur. braucht eben die neue Person in diesem Augenblick, und
*) Über diesen Zug s. unten 41 ff. "-) Diese Sittsamkeit, die hier
ganz passend dazu gebraucht wird, die captatio benevolentiae anzubringen,
ist fast der einzige Charakterzug der Makaria; auch dieser ist recht kon-
ventionell und bis zur Langeweile wiederholt.
1*
4 Johanna Schmitt
SO erscheint sie. Ein ganz singulärer Fall in der dramatisclien
Technik des Eur. ist aber an dieser Stelle, daß die auftretende
Person nicht angekündigt wird oder selbst in ihren ersten
Worten sich vorstellt. Usener') hat daher vor „Makarias"
Auftreten den Ausfall einiger Verse angenommen. Aber mit
dieser Hypothese ist nicht viel gewonnen. Der Name Makaria
kommt im ganzen Stück nicht vor, und die einmalige Namens-
nennung einer so bedeutenden Figur wäre nicht viel weniger
anstößig als das gänzliche Fehlen des Namens. Ferner kann
auch der Chor, dem gewöhnlich das Amt des Vorstellens zu-
fällt, ihren Namen nicht nennen, da er sie garnicht kennt.
Aber Eur. konnte der Heraklestochter auch gar keinen Namen
geben'), da sie seine eigene Erfindung, keine Sagenfigur ist.
Exponiert wird übrigens Makaria genügend durch die oben
erwähnten Prologverse 41 ff. und ihre eigenen Worte (480):
peXei 5e iioi \Lakm ä5eX(f)üv TÜv5e. Daß eine Person im Stück
mit Namen nicht genannt ist, sondern nur in Personenver-
zeichnis und Hypothesis, daß also erst die spätere mythographi-
sche Gelehrsamkeit den Namen in das Stück hineinkonjizierte,
ist nicht ganz singulär. In denselben Herakl. ist der Herold
wie der der beiden Hiketidendramen ohne Namen und ver-
dankt ihn erst der Iliasstelle 0 639*). Ebenso ist der Name
Molossos für den kleinen Sohn der Andromache und Atossa
in den Persern Konjektur*).
Ungeschickt ist im Bau der Makariaszene femer die Mit-
teilung des Orakels an die Jungfrau. Fast mit denselben
Worten, mit welchen Demophon es dem Jolaos verkündet
hatte, gibt dieser es an Makaria weiter (488) : xPl^^^wv yap ü)5ous
<j)n(Ti an^cfiveiv ö8e, ou raüpov ou5e iiöaxov, dXXä Trap^evov a^ä\a\ KÖpri
AniifiTpos HTis euyevris. Wir werden sehen, daß Eur. solche
Wiederholungen künftighin gemieden hat.
b. Hekabe. Einen großen, technischen und künstlerischen
Fortschritt zeigt die Polyxenaszene der Hekabe^). Eine Ver-
1) Kl. Sehr. I 143. ^) S. unten 84 ff. ») Elmsley zu Herakl. 49.
*) Hiller, Herrn. 8, 442 S. H. nimmt aber in den Herakliden nach
üseners Vorgang Ausfall des Namens yor 474 an. Natürlich sind solche
Fälle in der Komoedie noch viel häufiger, z, B. „Aiakos" in den Fröschen,
,Demosthenes'', „Nikias" und jKleon" in den Rittern.
5) Fest bestimmbar ist für die Hek. nur der terminus ante quem durch
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 5
schiedenheit von den sonstigen Behandlungen unseres Motivs
liegt allerdings darin, daß es sich hier nicht um einen heroi-
schen Opfertod handelt, der um einer großen Sache willen er-
litten wird, sondern Eur. hat aus innerstem Bedürfnis hier das
Moment der Freiwilligkeit in die alte Sage von Polyxenas
Opferung eingeführt, weil ihm eine jammernde und willenlos
leidende Polyxena unerträglich gewesen wäre. Ob er mit
diesem neuen Zug gegen seinen Vorgänger Sophokles polemi-
sierte, der nach Schol. Hec. 1 (rä Trepi rnv floXu^evnv tau Kai
Trapä Io(|)OKXeT eöpeTv) denselben Stoff behandelt hatte, ist uns
nicht mehr erkennbar, scheint aber nicht unmöglich. — Die
Technik der Polyxenaszene ist der der übrigen Devotions-
szenen so ähnlich, daß wir sie mit diesen in eine Reihe stellen
können. Eine Verbesserung den Herakl. gegenüber ist vor
allem die Eingliederung des Opfertods in den Gang der ganzen
Tragoedie, mit der sie nicht willkürlich wie die Makariaepisode,
sondern mit innerer Notwendigkeit verbunden erscheint. Die
Opferung der Polyxena hat wie die folgende Polydorosszene
den Zweck, die Wandlung der schmerzgebeugten Mutter zur
rasenden Megäre begreiflich zu machen*); denn die Gestalt der
Hekabe bildet (wie die des Herakles im gleichnamigen Drama)
die Einheit des Stücks, um die sich alle Personen und Ereig-
nisse gruppieren. So ist einerseits die Polyxenaszene eng mit
dem Gang des ganzen Dramas verkettet; andrerseits sind aber
auch die beiden meistbeteiligten Personen, Hekabe und Poly-
xena, weit enger miteinander verbunden als Makaria mit dem
alten lolaos, der bei seinen überhaupt sehr schwachen Affekten
über eine doch etwas kühle Hochachtung für die heldenhafte
Jungfrau nicht hinausgeht. Polyxena dagegen ist das einzige
Band, das Hekabe noch am Leben hält, ihre Stütze und ihr
Trost in der Knechtschaft, das letzte ihrer Kinder, das ihr
geblieben ist^). Mit größter Kunst, ganz im Gegensatz zu den
die zweimalige Parodie in den Wolken vgl. Zirndorfer de chronol. fab. Eur.
p. 39. — Wilamowitz deutet Herrn. 44, 450 die Möglichkeit an, die Herakl.
seien eine schwache Kopie der Hek. Doch scheint sehr unwahrscheinlich,
daß Eur., wenn er einmal die bessern technischen Mittel gefunden hatte, sie
später wieder aufgegeben hat.
1) Maaß, Herrn. 24. 519.
^) 280: fjS' dvTt KoAÄüv fiaii ^o\ vtapai|/ux>i, tioAis n^^vq ßäKipov fiye^üv 65oü,
Q Johanna Schmitt
Herakl. , ist hier die Opferung vorbereitet. Schon Polydoros
verkündet sie im Prolog (40ff.): airel 6' d8eX(j)fiv rfiv i\ir\v PloXo-
^€vr|v Tuiißu (j)iXov 7rpöö(j)aY|ia Kai y^P^S XaßeTv. kqi Teu^erai toö8* ou8*
ctScüpHTOS (j)iXuv earai Trpös dv6püv. f\ TreTrpcütievn 5' äyei ^aveTv d5eX-
^r\v Tü5' eiifiv ev tijiaTi. Während so wir selbst vom Kommenden
schon unterrichtet sind, sehen wir Hekabe dann nochmals von
der ersten bangen Ahnung bis zur Gewißheit ihr schreckliches
Schicksal durchleben. Durch den vorahnenden Traum, der
Hekabe beunruhigt, schafft Eur. die unheildrohende Stimmung.
Außerordentlich wirksam wird die Traumerzählung in Hexa-
metern, dem Orakelvers, gegeben (72) : dTTOTreinropiai evvuxov öi|iiv,
r\v Trepi 7rai5ös ejioö toö aco^oiievou Kard ©pi^Kriv djicj)! rioXu^eivriS t€
<j)iXns ^uyaTpös 5i' öveipwv (|)oßepdv eßdriv') und (90): eT5ov ydp ßa-
Xidv eXa(})ov Xükou aY^ovi xaXä a<t)a^oiievav, dir' ejiwv yovdTüJV aTratr^eT-
aav dvdYKCt. Dem folgt, gleichsam als der rationelle Grund ihrer
Furcht, dei' den Traum hervorgerufen hat — und zugleich als
eine Steigerung — die Mitteilung, daß Achill über seinem
Grabmal erschienen sei und eine der Troerinnen als yipas
gefordert habe (92 ff.).
Wilamowitz ^) , zurückgreifend auf Rassows*) Hypothese
von einer wei^ehenden Überarbeitung des ersten Akts der
Hek., die durch Maaß*) widerlegt wurde, athetiert V. 73—78
und 90 — 97: „Geradezu absurd ist es, daß Hekabe im Traum
sowohl den Geist des Polydoros wie eine vom Wolf zerfleischte
Hinde gesehen haben soll: die mußte Traumerscheinung sein,
der Geist aber Realität." Jedoch ist die Geistererscheinung
für Hekabe eben keine ReaHtät. Der Schatten des Polydoros
geht nicht zu ihr ins Zelt; er kommt bei seinem Auftreten
dkekt aus dem Keuö'jiuv vcKpüv (1) und verschwindet wie Hekabe
sich naht (52 ff.). Nur durch seine Nähe wirkt das ^avraa\ia
den Traum. Was es uns von der bevorstehenden Opferung
Polyxenas erzählt, setzt sich bei Hekabe in das Traumgesicht
von der zerrissenen Hindin um. Daß Hekabe den Inhalt ihres
vgl. Mader, Über die hauptsächlichsten Mittel, mit denen Eur. eAeos zu er-
reichen sucht. Diss. Erlangen 1907, 43 über diese Stelle als TÖnos des lAeos
und Verwandtes in Alk. 646 S. und II. Z 429.
^) So Weil und Murray nach Härtung. ^) Herrn. 44, 446 ff.
») Herrn. 22, 517 ff. *) Herrn. 24, 509 ff.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 7
Traums von Polydoros nicht angibt, ist nicht anstößig: alle
Aufmerksamkeit soll auf Polyxena gerichtet werden. Die Verse
■93 ff. streicht Wilam. mit der Begründung: „Eur. kann nicht
geschrieben haben, daß Achill eine Troerin fordert, die Griechen
zu entscheiden haben.' Es ist ja aber gerade so wirkungsvoll
und charakteristisch, daß die Mutter, die nächste Beteiligte,
^das Nächstliegende nicht glaubt, weil es ihr zu schmerzlich
sein würde" ').
Die Gewißheit folgt endlich in der Parodos, in der die
Frauen Hekabe mitteilen, die Achaeerversammlung habe be-
schlossen, Polyxena dem Achill als die geforderte Ehrengabe
zu opfern. Zu der Erzählung, daß in der Griechenversamm-
lung gerade die beiden Theseussöhne für das Opfer der Poly-
xena gesprochen hätten (123ff.), bietet die lliupersis des Vasen-
malers Brygos eine lehrreiche Parallele: hier fühi't Akamas die
Polyxena aus der eroberten Stadt ^.
In dem Kommos, der auf die Parodos folgt, ruft Hekabe
■die Tochter heraus und teilt ihr das bevorstehende Schicksal
mit (188): a^aim a 'Apveiuv KOivä (Tuvreivei irpös Ti3|ißov Y^w^a
rinXeiSa Yevvg. Wie in der Makariaszene wird also die Mitteilung
wiederholt, doch ist darin eine Variation erreicht, daß die Worte
nicht im selben eibos SpctiiaTos wiederkehren: das erstemal stehen
sie in der Parodos, das zweitemal im Kommos. Auch ist der
Anklang nicht so wörtlich wie in den Herakl.
c. Phoenissen. In der Menoikeusepisode der Phoenissen
hat Eur. die Makariaszene imitiert, jedoch dadurch gesteigert,
daß das Opfer sich selbst den Tod gibt. Wie in den Herakl.
beansprucht das Opfermotiv nur eine Szene, die für den Gang
der Hauptereignisse nicht wesentlich ist, sondern nur um des
Rühreffekts willen hier ihren Platz gefunden hat'). Wie die
*) Maaß a. a. 0. 512.
-) Robert, Bild und Lied 61. Heydemanns Deutung der Frauengestalt
auf Aithia (lliupersis des Brygos 17) erscheint daher unannehmbar. — Mader
a. a. 0. 65 fi. nimmt eine gemeinsame epische Quelle für Brygos und Eur. an.
Ob allerdings das zitierte Hec.-Schol. 123 den Inhalt dieses Epos bewahrt
hat und nicht vielmehr die Eur.-Verse falsch erklärt, scheint mir fraglich.
*) Scholl, Sitz.-Ber. Akad. Heidelberg 1910, 26 nimmt an, Menoikeus
und Antigene seien mit dem Grundgedanken der Trilogie, den Scholl in
•Oinomaos frg. 571 N. erblickt, dadurch verbunden, daß sie zu den Kindern
8 Johanna Schmitt
Makariaepisode hat auch diese Szene, wenn nicht die direkte
Anregung, so doch den vielleicht unbewußten Einfluß des
Aischylos erfahren. Darüber hat Robert, Oedipus I 416ff. ge-
handelt. Da ich ihm nicht in allem zustimmen kann, muß ich
näher auf diesen Punkt eingehen. Robert spricht a. a. 0. die
Vermutung aus, daß Eur. das Leitmotiv der aischyleischen
Sieben, den „Konflikt zwischen Staat und Geschlecht"- in der
Menoikeusepisode wieder aufgenommen, ihn „aus dem Zentrum
in die Peripherie verlegt" habe (S. 423). Er muß aber gleich
selbst zugeben, daß es sich in dieser Szene der Phoen. eigent-
lich garnicht mehr um die Wahl „Staat oder Geschlecht"
handle — denn wenn auch Menoikeus geopfert wird, stirbt
darum das Geschlecht nicht aus, da ja Haimon noch lebt —
sondern nur um die Frage „Vaterland oder Kind". Nun ist
aber die ganze Robertsche Hypothese, daß Eteokles durch Ver-
nichtung seines Geschlechts den Staat zu retten versuche, nur
aus Sieben 695 ff. heraus interpretiert: <j)IXoü yccp ^x^P« poi Trarpös^
jieXaiv' 'Apcc \r\p6is dKXauTOis öjinaaiv TrposiCavei, Xeyouaa Kep8os TrpÖTCpov
uarepou jiöpou, indem er recht willkürlich Kep5os als „Kep5os des
Staats" erklärt (S. 266), ohne zu sagen, warum es „natürlich
nicht von seinem eigenen Kep5os" gelten soU wie 683: enrep
KQKÖv <|>epoi TIS aiaxuvqs «lep, eaiw pövov y^p KepSos ev re^vriKÖaiv.
Vielmehr stützt eher die erste Stelle die zweite*), und m. E.
berechtigt nichts, in den Worten 695 ff. eine andere Beziehung
anzunehmen. Eteokles sieht das furchtbare Rachegespenst,
dem er nicht entfliehen kann, ständig vor sich und spricht aus,
daß die Vernichtung für ihn die einzige Rettung aus dieser
Qual sei. Aber, wie Wilamowitz schon vor Robert scharf
formuliert hat*^: „Kein Gedanke daran, daß Aischylos oder
irgendwer vor oder nach ihm die Sache so gewandt hätte, daß
der Tod der Brüder die Bedingung für den Sieg über die
Sieben gewesen wäre." — Der einzige Vers, der an derartiges
gehören, die köv y^vmvtoi aco^poves den Vätern ji^yo koköv bereiten. Jedoch
ist sehr zweifelhaft, ob dieses Pragm. wirklich den „Grundgedanken" aus-
sprechen sollte.
^) Die grausame Ironie, die in der Antithese (|)(Äou irarpös — Sx^pä 'Apd
liegt, isf aufgenommen im folgenden Vers: x^pSos npötepov vaiipov iiöpou.
*) Aischylos Interpretationen 67.
. Freiwilliger Opfertod bei Euripides ^^
denken lassen könnte, ist der von Robert zitierte 703. Aber
wenn man ihn in seinem Zusammenhang liest, ö-eoTs (lev r[br]
TTUS TTaprjiieXtiiie^a, XQ^piS 8' ä^' ni^wv öXoiievuv ö^aüiid^eTai. ri oöv It"
av ffalvoiiiev öXe^piov iiöpov; so sieht man, daß mit keinem Wort
angedeutet ist, durch den Tod der Brüder werde die Stadt
gerettet werden. Die x^pi? leistet er den Göttern gegenüber,,
denen es doch Bewunderung abnötigen muß, wenn er sich
freiwillig dem Tod stellt. Robert selbst spricht aus, daß die
Hoffnung des Eteokles, durch seinen Tod die Vaterstadt zu.
retten, vergebens sei. Mit diesem Zugeständnis hebt er seine
eigne Hypothese, d. h. die von ihm konstruierte Hoffnung des
Eteokles, wieder auf, denn der Fluch wird ja auch durch
den Doppelselbstmord der Brüder nicht von der Stadt ge-
nommen, und es bleibt bis zuletzt der dumpfe Druck, die
Furcht vor dem drohenden Untergang (843): pepijiva 8' a\i^V
TTTÖAiv ö-efftljaT' oÖK d|ißXüveTai. (902): jieveT KTeavd t' emyövois, b\
c&v alvojiöpois, Sr wv velKos eßa Kai ö^avarou reXos. Sahen wir also,
daß von der Aufnahme eines Grundgedankens der Sieben, der
in Wirklichkeit garnicht existiert, nicht die Rede sein kann,
so scheint doch dem Eur. — bewußt oder unbewußt — die
Szene zwischen Eteokles und dem Chor bei der Bildung seiner-
Devotionsszene als „Situation" vorgeschwebt zu haben. Hier
wie dort der todesbereite Held, den der ängstliche Gegenspieler
zwückzuhalten versucht, nur daß bei Aisch. noch der Chor
uie Rolle des Gegenspielers hat, bei Edr. dafür ein Schauspieler
eingetreten ist und daß in den Phoen. der Kampf des Für
und Wider sich zwischen Kreon und Teiresias abspielt, während
Menoikeus selbst in dieser Szene ausgeschaltet ist. Es liegt
aber schon im Stoff, daß gerade die Menoikeusepisode den be-
sondern Einfluß der Sieben erfahren hat. Und in der Tat hat
Menoikeus Charakterzüge des Eteokles geerbt (Robert 418)..
Mit derselben raschen und unbeugsamen Entschlossenheit gehen
beide in den Tod. Sogar ein wörtlicher Anklang fehlt nicht
Sept. 672: toütois TreTTOi&us eT|ii Kai ^uaTnao^iai auTÖs. ti's jiäXXov
ev8iKU)T€pos; ~ Phoen. 997: üs oöv av e'\b\]r, €T|ii Kai adiata ttöXiv.
Das „€T[ii Kai" an derselben Versstelle bei beiden Dichtern ,^
wodurch so treffend die rasche Umsetzung des Entschlusses,
in die Tat charakterisiert wird, ist kaum reiner Zufall.
10 Johanna Schmitt
Ein ähnlicher Gharakterzug ist auch der unbedingte Abscheu
beider vor der Schande. Sept. 685: kqküv Se Kgaxpüv oötiv'
euKXeiav epels -^ Phoen. 999: aiaxpöv yäp- oi |iev ^e(r(j)dTuv eXeö-
&epoi .... Wir haben hier also eine der mannigfachen An-
lehnungen des Eur, an seinen Vorgänger, den er ebenso eifrig
bekämpft hat, wie er von ihm abhängig ist.
Daß es in den Phoen. ein Knabe ist, der den Opfertod
stirbt, darf man wohl auch damit in Verbindung bringen, daß
Eur. in dieser Epoche seines Schaffens mit besondrer Vorhebe
heranwachsende Knaben zu Helden seiner Dramen gemacht
hat. Mit den Phoen. wurde, wie die Hypothesis berichtet, der
Chrysippos aufgeführt, der wie Menoikeus den Tod der Schande
vorzieht ^). Den Phrixos, in dem wie in den Phoen. das Motiv
des freiwilligen Opfertods vorkam ^) , hat v. Arnim ^) ungefähr in
dieselbe Zeit datiert, und endlich kann auch der Ion zeitlich
nicht weit von dieser Gruppe entfernt sein.
Sehr lehrreich ist es, die Vervollkommnung der Technik,
die hier fast zur Virtuosität wird, gegenüber den Herald, zu
betrachten. Wie dort wird schon lange vor der Devotions-
szene selbst die Vorbereitung für sie geschaffen: Die Erwäh-
nung der Drachentötung und der Spartensaat im 1. Stasimon
657 ff. gibt den Untergrund für das Teiresiasorakel und die
darauf folgende Menoikeusszene*).
Mit feiner Berechnung hat sodann Eur. die Situation, ^[0
Kreon selbst das Orakel aus Teiresias' Mund empfängt, da-
durch herbeigeführt, daß Eteokles es ablehnt, den Seher selbst
zu befragen — Eur. benützt also den aischyleischen Zug von
der Feindschaft des Eteokles gegen die Seher — und den
Menoikeus ihn herbeiholen heißt. So wird das Zusammen-
treffen Kreon — Teiresias — Menoikeus sorgfältig vorbereitet ^).
Der Makariaepisode gegenüber erhält die Menoikeusszene schon
dadurch mehr Gewicht, daß nicht beliebige xpno^^^v doi5oi' (Herald.
1) Schol. Phoen. 1760. Robert a. a. 0. 401. Welcker, Griech. Trag.
11 533 ff. 2) s unten 69 ff.
') De prologis Eur. Diss. Greifswald 1882, 83. Howald, Unters, z.
Technik d. Eur. Trag. Tübingen 1914, 23 A. 2.
*) Hofmann, Über den Zusammenhang zw. Chorliedern u. Handlung in
d. erhalt. Dramen d. Eur. Diss. Leipzig 1916, 83.
») Radermacher Rh.M. 53, 498.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 11
403) das Opfer fordern, sondern der altberühmte Teiresias selbst.
Wie in der Hek. hat Eur. auch hier verstanden, das Kommende
durch eine unheildrohende Stimmung vorzubereiten. Er spielt
hier in den ersten Worten des Teiresias (852 ff.) auf seine eigene
Behandlung des freiwiüigen Opfertodes im Erechtheus an^),
wenn er den Seher erzählen läßt, daß er von Athen komme und
durch seinen Spruch diese Stadt gerettet habe. Dadurch wird
zwar die Siegeszuversicht gestärkt, aber zugleich die Erinne-
rung an das Opfer erweckt, durch das jener Sieg erkauft wurde.
Eine leichte Diskrepanz mit dem Erechtheus liegt zwar
darin, daß dort Apollon das Opfer forderte '^), doch hat sich
Eur. vor derartigen kleinen Änderungen nicht gescheut: vgl.
z. B. die Darstellung vom Opfertod der Erechthiden im Erech-
theus und seine davon abweichende Erwähnung im Ion 277ff. ').
In der ganzen Szene zwischen Kreon und Teiresias lehnt
sich Eur. offenbar an die entsprechende Szene in der Antigone
und noch mehr an die im König Oedipus an. Hier wie dort
wird Teiresias herbeigeholt, Phoen. 766 ff. Oed. tyr. 288ff., wäh-
rend er in der Antigone von selbst kommt. Das Auftreten
des Teiresias hat dagegen mehr Ähnlichkeit mit der Antigone-
szene. Beide Male wird die Blindheit stark als töttos des eXeos
ausgenutzt, noch mehr jedoch beim Nachahmer. Der blinde,
hinfällige Greis bedarf einer Stütze: in der Antigone führt ihn
ein Knabe (988ff. 1087), in den Phoen. seine Tochter Manto*)
(834 ff.), also dasselbe Bild wie am Schluß: der blinde Greis
geführt von der jungen Tochter. Während man im Oed. daran
Anstoß nehmen konnte, daß Teiresias sein Wissen so lange
geheim hielt ^), ist bei Eur. dies Verschweigen durch die Feind-
schaft zwischen dem Seher und Eteokles sorgfältig motiviert.
Im Oed. wie in den Phoen. weigert sich Teiresias zuerst, das
1) S. unten 63 ff. *) Lykurg, c. Leocrat. 24.
») Staehlin, Motiv d. Mantik im griech. Drama (R.G.V.V. XII) 1912, 126
will den Widerspruch dadurch lösen, daß er annimmt, Teiresias habe im
Erechtheus vielleicht das Delphische Orakel ausgelegt. Das ist aber nach dem
Bericht des Lykurg a. a. 0. unmöglich. — Staehlin vermutet, die Erwähnung
des Athenersiegs in den Phoen. sei eine Anspielung auf den Sieg bei Kyzikos.
*) Im Oed. werden seine Führer nur allgemein erwähnt: 297 ot5e.
^) S. T. V. Wilamowitz, Die dramat. Technik d. Sophokles (Philol. Unters.
22) 1917, 75.
12 Johanna Schmitt
unheilvolle Orakel gerade dem zu verkünden, den es betrifft, und
will gehen, ohne es offenbart zu haben (Oed. tyr. 320, Phoen.
894). Hier wie dort gibt er es erst kund, nachdem er dazu
gezwungen ist. Doch ist im Oed. die ganze Stimmung von
vornherein viel gereizter durch das leidenschaftliche Aufbrausen
der beiden und besonders durch das Mißtrauen des Oedipus
und seine ungerechten Beschuldigungen, während dem Kreon
nicht der leiseste Zweifel an der Richtigkeit des Orakels
kommt ^). Im Oed. kann und will Teiresias seine Sprüche gar-
nicht rechtfertigen und erklären, da er immer wieder vom
König unterbrochen wird. So genießt er die Freude, den
stolzen Oedipus durch seine dunkeln Anspielungen zu quälen'^.
In den Phoen. nimmt dagegen diese Erklärung des Orakels
den größten Raum ein; schon deshalb mußte hier die ruhigere
Stimmung herrschen.
Die Ausführlichkeit dieser Begründung entspricht der
Tendenz der ganzen Phoen., immer wieder auf den Erbfluch
und die Verkettung von Schuld und Sühne hinzuweisen, unter
der Theben leidet. Zugleich wird durch die genaue Recht-
fertigung des Orakels wiederum die ganze Menoikeusepisode
eng mit der Vorgeschichte Thebens verknüpft. Denn als Sühne
für die Erschlagung des erdgeborenen Drachen fordert Ares
dieses Menschenopfer. Von einem zwiespältigen Charakter
dieses Opfers, den Robert*) hier erkennen wollte (zugleich
Sühn- und Dankopfer), kann, wie Prof. Boll mich belehrt,
nicht die Rede sein : Das Opfer ist nur Sühnopfer und kommt
als a^dyiov*) natürlich zunächst der Erde zugute, die nach der
alten Anschauung des „do ut des" dafür ihre Gnade bezeugen
wird (937 ff.). Den Gedanken eines Dankes für die Drachen-
saat hat erst Robert in die Verse hineingelegt. Daß gerade
ein Sparte zum Opfer fallen muß, ist nur der alte, in diesen
Sagen immer wiederkehrende Zug: der Gott fordert das W^ert-
vollste für sich.
Der Schluß aller 3 Teiresiasszenen ist wiederum darin
gleich, daß der Seher nach längerer Rede im Zorn abgeht.
Im ganzen hat Eur. das grandiose Trafos der Oedipusszene
1) Robert a. a. 0. 423. ^) Bruhn, Einl. zur Antigene 28.
=) A. a. 0. 421. *) S. unten 78 ff.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 13
bei weitem nicht erreicht, das er durch den stärkeren Rühr-
effekt und die sorgfältigere Motivierung des einzelnen über-
treffen wollte. Wie in Hek., Erechth., Phrixos und Iphig.^)
ist hier das Opfer gleich eindeutig bestimmt. Auf den etwas
zu groben Effekt der Herakl,, wo Makaria sich zum Tod bereit
erklärt, ohne persönlich gefordert zu sein, hat Eur. in den
späteren Behandlungen des Opfermotivs also verzichtet.
d. Iphigenie. Zweimal hat Eur. die Selbstopferung zum
Hauptmotiv ganzer Tragoedien gemacht, zufällig gerade in der
frühesten uns erhaltenen und in der spätesten, in Alkestis und
Iph. Aul. Man sieht, wie sehr den Dichter dieses Problem zeit-
lebens beschäftigt hat. — Wie bei Polyxena war Eur. auch in
der Iphig. der Opfertod durch die Sage gegeben, und wie dort
hat erst er das Moment der Freiwilligkeit hineingetragen^).
Nach Aischylos' Agam. 228 — 246*) wird Iphigenie als wehr-
loses Opfertier zum Altar geschleppt; ihr Jammern und Klagen
um das junge Leben hat den ehrgeizigen Vater nicht gerührt.
Dieser Auffassung hat sich Eur. in der Iph. Taur= noch voll-
kommen angeschlossen: 24 ff. 359 ff. Wie Aisch., doch mit
noch stärkeren Worten, polemisiert er gegen die blutdürstigen
Götter; das Menschenopfer ist ihm ein Verbrechen*). Doch
eine klagende, als hilfloses Opfer in den Tod gehende Iphigenie
auf der Bühne darzustellen, war ihm so unerträglich wie eine
solche Polyxena. Umgekehrt aber sie als zweite Makaria so-
fort sich zum Tod bereit erklären zu lassen, hätte die ganze
Handlung von vornherein unmöglich gemacht. Zudem war der
Zwang der Tradition, die eine jammernde Iphigenie forderte,
doch wohl zu stark und auch diese zur Erregung des 'iXeos so
geeignete Situation zu verlockend, als daß Eur. sie ganz hätte
beseitigen können. So fand er in der Vereinigung von Tradition
und eigner Erfindung eine ganz neue Gestaltung des Iphigenien-
charakters: Er läßt die iKereuouaa sich zur Heldenjungfrau, die
1) S. unten 65; 69; 14. «i Vgl. Weil, Sept tragedies p. 306.
*) Ob wir Aisch. allerdings dieselbe Gestaltung auch für seine Iph.
vindizieren dürfen (vgl. Krausse, De Euripide, Aeschyli instauratore, Diss.
Jena 1905, 63), von der wir nichts kennen als den Titel und einen an-
gezweifelten Vers aus Schol. Ran. 1270, ist sehr fraglich.
*) Wilamowitz, Aischylos Interpretationen 166.
14 Johanna Schmitt
freiwillig ihr Leben dem Vaterland darbringt, umwandeln.
Einen entscheidenden Einfluß hatten auf diese Umformung der
alten Sage zweifellos auch die panhellenischen Tendenzen, die
Eur. hier zum Ausdruck bringen wollte^). Inwieweit er mit
dieser Gestaltung auf die sophokleische Iph. Bezug nahm oder
gegen sie polemisierte, ist uns sowenig mehr erkennbar als
bei Polyxena. Doch ist ein Gegensatz zu Sophokles nach
allem, was wir über das Verhältnis der beiden Dichter zu-
einander wissen, auch hier sehr wahrscheinlich*).
Eingeführt wird das Opfermotiv in der Iph, wie in der
Hek. schon im Prolog. Windstille hält das Heer in Aulis fest,
und Kalchas fordert als Sühnopfer für Artemis die älteste
Königstochter 89ff. Eine Begründung für Artemis' Zorn, wie
sie die K3^prien bringen, denen sich Sophokles Elektra 566 ff.
anschließt, wird nicht gegeben, auch nicht der alte Zug aus
der Iph. Taur. wieder aufgenommen, wonach Agamemnon der
Göttin das Opfer der Erstgeburt versprochen hatte, das sie nun
einfordert (20 ff.).
Wilamowitz ^), dem sich auch Staehlin*) anschließt, ver-
mutet, es fehle deshalb in der Iph. Aul. jede Motivierung des
Götterzorns, weil sich hier die ganze Opferung auf Sehertrug
gründe. Doch ist die Polemik gegen die Seher ganz allgemein
(520 ff. 956 ff.). Von einem Betrug in diesem speziellen Falle,
dessen Veranlassung man auch garnicht einsähe, ist kein Wort
gesagt. Im Gegenteil, als Agamemnon seinen Plan, Klytaemestra
fernzuhalten, mißglückt sieht, sucht er Zuflucht und Rat bei
Kalchas. Daß die Göttin das Opfer wirklich verlangt (tö Tfjs
ö-eoö (j)iXov 747), daran zweifelt er nicht. Iphigenie ist hier nur
ff(J)dYiov, durch das die Gnade der Göttin für den Kriegszug er-
reicht werden soU. Eine besondre Motivierung des Opfers ist
daher hier ebensowenig wie in den Herakl. notwendig. Die
Mitteilung des Orakels an den Vater des Opfers, wie wir sie
in Herakl., Hek. und Phoen. sahen, gehört hier schon der Vor-
») S. unten 22 ff.; 39 ff.
*) Wie Kiefer, Körperlicher Schmerz und Tod auf der att. Bühne, Diss.
Heidelberg 1909, 62, die Behauptung rechtfertigen will: „Die Sage verlangt,
daß sie (sc. Iph.) schließlich doch heldenhaft in den Tod geht", ist mir unklar.
») Herm. 18, 253. *) A. a. 0. 131.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 15
fabel an. Die Handlung beginnt erst mit der Gegenaktion des
Agamemnon. Die Mitteilung an Iphigenie geht hinter der
Szene vor sich^).
II. Das Entschlußfassen.
a. Herakliden. Ein wichtiger Bestandteil aller Devotions-
szenen ist das Fassen des entscheidenden Entschlusses. Be-
sonders hier kann man gut beobachten, wie Eur. sich bei diesem
Motiv bald eine feste Technik bildet, aber trotz dieser streng
beibehaltenen Form sich nie abschreibt und noch in seinem
letzten Stück einen — wenigstens für uns — ganz neuen Weg
der psychologischen Darstellung gefunden hat.
Am schwächsten sind auch hier wieder die Herakl. Sowie
Makaria von lolaos über die Situation aufgeklärt ist, hat sie
auch schon den Entschluß zum freiwilligen Tod gefaßt und
verkündet ihn in der langen Rede 500 ff. Etwas entschuldigt
wird diese unwahrscheinhche Schnelligkeit höchstens durch
ihre Selbstcharakterisierung beim Auftreten (480) : dXX' eifii yäp
TTus TTpöa(j)opos, ^leXei 5e poi jidAiar* d5eX(j)wv Tüv5e, Kd^auTfjs Trepi H\ui
TTU^^aö-ai, |ifi Vi toTs TrdXai kqkoTs TrposKei'iievöv ti TrfJiJia af|v 5dKvei
(J)peva. Zeit zum Entschlußfassen hat ihr Eur. nicht gelassen.
Schon die eine Zwischenfrage auf die Erzählung des lolaos
(498): €v Tü56 Kdxöjiea&a acüö-Pivai Xöyw; zeigt etwas wie Ungeduld,
nun ihrerseits mit dem erlösenden heroischen Entschluß her-
vortreten zu können. Eur. wollte hier gerade durch den mit
grellen Farben gemalten Heroismus Eindruck machen, wenn
dies auch auf Kosten der psychologischen Wahrscheinlichkeit
geschehen mußte.
h, Hekabe. Ganz anders ist das Entschlußfassen dagegen
schon in der Polyxenaszene dargestellt. Die erste Äußerung
der Polyxena auf die Eröffnung, daß der Tod ihr bevorstehe,
sind Klageanapäste, entsprechend dem Kommos- Charakter
der ganzen Szene. Doch wird ihre Todesbereitschaft schon
dadurch vorbereitet, daß die Klagen nur der Mutter gelten,
über die durch ihren Tod neues unsägliches Leid kommt, und
ausdrücklich heißt es am Ende ihres Lieds (213): töv epöv 8e
») S. unten 20.
16 Johanna Schmitt
;Piov, Xwßav Xufiav t*, ou iieiaKXaiojiai, dXXä D^aveTv jioi ^uvTuxia Kpeiaawv
>€Kuprioev.
Wilamowitz 1) athetiert auch diese Verse, mit der Be-
gründung, daß sonst das Trapä TrposSoKiav der Todesbereitschaft
-342 ff. verdorben werde. Doch scheint diese Streichung aus
dem Grund unmöglich, weil Polyxena in dieser ganzen
Monodie nur über die Xwßn klagt, die durch ihren Tod der
Mutter widerfährt. Die zitierten Schlußverse sind daher kein
Gegensatz, sondern nur das Korrelat zu den vorhergehenden.
Mit dem heroischen Entschluß selbst tritt Polyxena erst
nach der Szene zwischen Hekabe und Odysseus hervor. Die
immerhin bedeutsame Wandlung von dem Klagelied zu dem
in langer Rede (342 ff.) vorgetragenen, gefestigten Entschluß
zum freiwilligen Sterben geht in einer Szene vor sich, an der
Polyxena nur schweigend teilnimmt. So ist hier der Heldin
-Zeit gegeben, sich von der anfänglichen Verzweiflung wieder zu
Stolz und Selbstbewußtsein zurückzufinden. Sehr wirksam hat
Eur. hier die Aktion der Hekabe mit der der Polyxena kontra-
stiert: Die Aufforderung der Mutter, Polyxena solle nun auch
wie sie die Gnade des Odysseus anflehen, löst in dieser nur
umso entschiedener die Ablehnung dieses demütigenden An-
sinnens und die Todesbereitschaft aus, zumal sie die Gebärde
der schnöden Abweisung bei Odysseus bemerkt.
Diese Technik, daß der Entschluß vom Helden in einer
Szene gefaßt wird, während deren sich die beiden Parteien
— für und gegen das Opfer — streiten, und in der er selbst
schweigt, hat Eur. von da ab in allen Devotionsszenen bei-
behalten.
c. Phoenissen. Wie in der Hek. die Szene zwischen
Hekabe und Odysseus, so geht in den Phoen. die zwischen
Kreon und Teiresias der entscheidenden Rede des Menoikeus
voraus, der wie Polyxena schweigend diesem Streit beiwohnt.
'Gesteigert ist die Wirkung hier noch durch den virtuosen
Kunstgriff, daß der Hörer selbst mitgetäuscht wird durch die
anfängliche Erklärung des Menoikeus, er sei bereit, auf den
Wunsch des Vaters zu fliehen'). — Eine merkwürdige Über-
1) Herrn. 44, 448.
*) Howald a. a. 0. 16. An die Schwierigkeit, aus der belagerten Stadt
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 17
einstimmung mit dieser Anlage der Menoikeusepisode, aber
auch mit einigen Motiven der andern Devotionsszenen finden
wir im Aias des Sophokles. Da in dieser Tragoedie der Selbst-
mord im Mittelpunkt der Handlung steht, ist es nicht er-
staunlich, wenn Eur. in den Szenen, die auch einen selbst-
gewählten Tod verherrlichen, von dem Vorgänger manches
entlehnt hat. Die Situation ist im Aias und in der Menoikeus-
szene insofern dieselbe, als der zum freiwilligen Tod bereite
Held seine Umgebung über diesen Entschluß täuscht, um von
ihr nicht an der Ausführung gehindert zu werden. Der drama-
tische Ausbau des Motivs ist allerdings sehr verschieden. Bei
Aias wissen wir von seiner ersten Rede an, daß er den Tod
sucht. Dann kommt als retardierendes Moment — auch dies
finden wir in der Technik der Devotionsszenen wieder^) —
die Rede der treuen Tekmessa, die den Aias zum Mitleid mit
ihr zu bewegen und dem Leben zurückzugewinnen versucht.
Die lange Verstellungsrede ^) des Aias endlich 646 ff. wird in
der Menoikeusszene zum kurzen Dialog zwischen Kreon und
Menoikeus zusammengezogen und dadurch noch übertrumpft,
daß, wie gesagt, der Zuschauer der Täuschung mit unterliegt
und so aus der „subjektiven" Ironie in den Worten des Aias
eine „objektive" in denen Kreons wird. Wir haben innerhalb
dieser kurzen Szene also neben dem Anklang an Aisch. Sieben ')
hier die zweite Anlehnung an einen Vorgänger.
An die Technik der Makariaepisode erinnert die dem Ent-
schluß vorausgehende kurze Charakteristik des Helden, die hier
aber durch den Vater gegeben wird, der „so stolz auf den wohl-
erzogenen und patriotischen Jungen ist"*) (908): ejiös TTe(j)UKus
iraTs a 5e7 aiyndeTai. So kennen wir die Sammlung und Selbst-
disziplin des Knaben schon, bevor er zu reden beginnt. Viel-
leicht ist mit diesen Worten auch schon eine bittere Ironie
beabsichtigt: Menoikeus verschweigt ja allerdings ä 5e7, aber
unbemerkt hinauszukommen, hat Eur. hier nicht gedacht, aber bei der Eile,
mit der sich hier alles abspielt, wird ihm auch kein Zuschauer diese ünwahr-
scheinlichkeit nachgerechnet haben. i) S. unten 41 ff.
^) Daß Aias wirklich die Täuschung beabsichtigt, bedarf wohl heute
keines Beweises mehr, vgl. Trautner, Die Araphibolie bei den 3 griech. Tragi-
kern, Diss. Erlangen 1907, 69ff.
») S. oben 9 f. ■«) Robert a. a. 0. 423.
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten. XYU, 2. 2
18 Johanna Schmitt
dieses Notwendige ist der selbstgewählte Tod, und der Ge-
täuschte ist der Vater. Noch offener ist die tragische Ironie
im folgenden Vers des Kreon (910): kXuüjv yap «v repTTOiTO Tfjs
ffcoTiipias. Das bewahrheitet sich, aber anders, als der Vater
denkt '). Nach kurzem Wechselgespräch weiß es Menoikeus
geschickt einzurichten, daß der Vater fortgeht, um ihm das
nötige Reisegeld zu beschaffen. Um den Vater ganz in Sicher-
heit zu wiegen, gibt er vor, er selbst wolle sich noch rasch
von Tokaste, seiner Pflegemutter, verabschieden. Die Erfindung
des kleinen Zugs, daß lokaste ihn nach dem frühen Tod der
eigenen Mutter gesäugt habe, dient wieder dazu, das Bild des
Menoikeus lebendiger zu machen. Die Frühreife und Selb-
ständigkeit des mutterlos aufgewachsenen Knaben wird uns
so begreiflicher und zugleich die zärtliche Liebe, mit der Kreon
an dem frühverwaisten Jüngsten hängt. — Sehr wirkungsvoll
ist es, wie nach dem eTjii kq) atäatü'^ ßiov (989) eine Pause eintritt
und dann der Jubel losbricht, daß die Täuschung gelungen ist
und der Ausführung des Plans kein Hindernis mehr im Wege
steht.
d. Iphigenie. Nur in der Iph. hängt die Handlung des
ganzen Dramas an dem Entschluß der Heldin. Daher haben
wir nur hier eine wirkliche psychologische Entwicklung. Ein
schwacher Ansatz hierzu war schon, wie wir sahen, in der
Hek. versucht; auch hier beginnt Polyxena mit Klagen und
rafft sich erst allmählich zum Heroismus auf, doch wird der
Gegensatz fast mehr durch das verschiedene Metrum — die
Klage in Anapästen, der Entschluß in Trimetern — ausgedrückt
als durch den Inhalt. Doch ist von hier noch ein weiter Schritt
zu dem schroffen Gegensatz der flehenden Iphigenie und der
späteren, der dem Aristoteles (poet. c. 15) von seinem logisch
rationalistischen Standpunkt aus allerdings Anlaß zum Tadel
geben mochte. Jedoch ist dieser jähe Übergang von dem
Grauen vor der Vernichtung zur opferwilligen Todesbereitschaft
mit großer psychologischer Feinheit motiviert. Der Charakter
der Heldin wird, wie mir scheint, oft ganz falsch aufgefaßt,
indem man Züge der Iph. Taur. in ihn hineininterpretiert. Und
1) Trautner a. a. 0. 47, der nur die 2. Stelle als trag. Ironie anführt.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 19
doch ist es eine ganz andre Iphigenie als die, welche Eur. dort
364ff. gezeichnet hat. In der Iph. Taur. ist es eine Jungfrau,
hier ein unbefangenes Kind, das an seinem schweren Schicksal
erst erwacht. Um Iphigenie so naiv und kindlich zeichnen zu
können, hat Eur. den Kunstgriff angewandt, sie über die be-
vorstehende angebliche Ehe mit Achill völlig unwissend zu
halten, so daß sie in der Begrüßungsszene mit Agamemnon
das harmlose Kind bleibt, ganz anders als die verschämte Braut
in der Iph. Taur. 372 ff. Diese ganze Szene ist mit dem Kunst-
mittel der AmphiboHe gebaut, doch in andrem Sinn als
Trautner angibt, der meint, „daß Iphigeniens Worten stets die
Vorstellung der in Aussicht stehenden Verbindung mit Achill
zugrunde liege*)". Im Gegenteil, das Reizvolle ist gerade, daß
Iphigenie durchaus ahnungslos und kindlich bleibt^).
Die dunkeln Worte, in denen Agamemnon vom Hochzeits-
opfer spricht, während er das Menschenopfer der Tochter meint,
gelten nur Klytaemestra, nicht Iphigenie'). Der Agamemnon
dieses Dramas ist also weit zartfühlender als der in der Iph.
Taur. Er will der Tochter die grausame Täuschung ersparen:
sie soU bis zum Ende über Hochzeit wie Tod im unklaren
bleiben. Die ganze Erfindung der Ehe mit Achill ist nur aus-
gesonnen, um Klytaemestra mit Iph. herbeizulocken. Eine
Schwierigkeit Hegt nur in der Annahme, daß auch Klytaemestra
der Tochter den Zweck der Reise verschwiegen hat; denn auf
andre Weise kann man sich die unbefangene Art Iphigeniens
(vgl. bes. 670) nicht erklären. Dem widersprechen nur die
Worte Klytaemestras bei ihrer Ankunft (624) : eyeip' d5eX(l)fis i^'
1) S. Trautner a. a. 0. 51, ähnlich auch Mader a. a. 0. 36.
2) Diese Verheimlichung auch Jioch 1106 ff. ev KaAü a e:^» Sö^tov eupqx' tv'
etn« nap&^vou xtopis Aöyou: oös oök ÖKoüetv tös yQHo^IJ^^^o'S npenei. Eur. lehnt
sich hier an den griech. Brauch an, daß dem Mädchen, ohne daß es selbst
befragt wurde, der Bräutigam bestimmt wird. Daß aber wie hier die Braut
bis zu ihrem Hochzeitstag nicht Aveiß, daß sie überhaupt vermählt werden
soll, finden wir ähnlich nur im Roman des Chariton Aphrod. 1 1, 13, dasselbe
beim Jüngling in Terenz' Andria, vgl. Hermann-Blümner, Griech. Privatalter-
tümer 261.
'') England in s. Ausg. zu 665 ff. gibt zwar zu, daß Iph. bei 670 nicht
an die Ehe denke, fügt jedoch hinzu, Agam.'s Antwort setze einen solchen
Gedanken bei der Tochter voraus. Man muß aber betonen, daß diese Worte
über Iph. weg vielmehr der Klytaemestra gelten.
2*
20 Johanna Schmitt
öiievaiov eÖTuxws, doch stehen diese in einer längst als unecht
erkannten Partie. — Nach ihrem Abgang am Ende der Be-
grüßungsszene tritt Iphigenie erst wieder zu ihrer Bittrede an
Agamemnon auf. Dazwischen liegt also die ganze Enthüllung,
durch die Iphigenie auch über den erlogenen Zweck ihres Hier-
seins aufgeklärt worden sein muß, vgl. 1339: töv ye Tfjs Häs 7raT8a,
TCKvov, u ab SeDp' eXtiXuö-as. Doch auch in dieser pfjcris steht nicht
die Klage um die verlorene Ehe im Mittelpunkt, sondern die
Bitte ums Leben mit der rührend einfachen Begründung f\bb
yäp TÖ (})üs Xeuaaeiv (1218). Eine leise Hindeutung darauf sind
höchstens die Worte 1221 ff., in welchen sie Agamemnon an
seine früheren Zukunftspläne über ihre einstige glückliche Ehe
erinnert. Ganz anders ist dies in der Iph. Taur., bei welcher
der Vergleich zwischen der Ehe mit Achill und der mit dem
Hades im Mittelpunkt der Rede an den Vater steht (369) : "Aibr]s
'AxiXXeus qv äp', oux ö rinXeus. An die Iph. Taur. schheßt sich
auch die Schilderung des Iphigenienopfers bei Lucrez I 84ff. an,
weit weniger an die Aulische, wie Munro zu 101 nachzuweisen
sucht. Die dort angeführte Parallele Lucr. 98/99 '-' Iph. Aul.
1178. 1315 findet sich auch in Iph. Taur. 360. — In Lucr. 101 —
Iph. Aul. 1334 vermag ich keine Parallele zu entdecken: an Stehe
der Helena soll nach Munro bei Lucrez die religio getreten sein.
Auch der Anklang Lucj*. 94 -^ Iph. Aul. 1220 ist äußerst
schwach. Dagegen schwebt bei Lucrez genau wie in der Iph.
Taur. immer der Vergleich zwischen Braut- und Menschen-
opfer vor, daher die Amphibolien: 87 infula der Braut und
des Opfertiers; 96 deiuci vom Geleiten der Braut und dem
Führen des Opfers; 95 sublata vom Brautraub und dem Herbei-
schleppen des Opfertiers*). Wie die Taurische Iphigenie er-
wartet die Lucrezische das Hochzeitsfest; nur darin ist die
Situation geändert, daß Iphigenie erst angesichts des Altars
inne wird, daß sie nicht zum Brautopfer gehe, sondern in den
Tod: alles ist also bei dem Epiker in das eine anschauHche
Bild zusammengedrängt. —
Auch die auf die Flehszene folgende Monodie der Aulischen
Iphigenie erwähnt nichts von der Hochzeit. Es ist wieder nur
1) Munro zu 95—100.
Freiwilliger Opfertffd bei Euripides 21
die Klage um das junge Leben, das sie verlieren soll, und über
die Grausamkeit des Vaters", der das eigene Kind schlachten
wül (131 7 f.).
Sonst enthält das Lied nur die in derartigen Situationen
übliche Klage über die ersten Gründe des Unheils^): das
Parisurteil, und in der Gegenstrophe die Sammlung der Flotte
in Aulis.
Erst in der folgenden Szene kommt die erste Erwähnung
Achills im Mund Iphigeniens. Als sie ihn herbeieilen sieht, ist
ihre erste Empfindung ein Gefühl der Scham, ein scheues
Zurückweichen (ISi'S): tö 5uaTuxes iioi tüv y^Iiuv atSw (|)epei*).
Klytaemestra heißt sie bleiben, und nun erfolgt während
der Szene zwischen Achilleus und Klytaemestra die Umwand-
lung in ihr. Auch hier ist wieder die Technik beibehalten,
daß der entscheidende Entschluß in einer Szene gefaßt wird,
während deren die Heldin schweigt und die beiden feindlichen
Parteien reden. Allerdings stehen diesmal die beiden Unter-
redner auf derselben Seite, aber in der Erzählung Achills kommt
doch die feindhche Partei zu Wort. Erst in diesem Gespräch
erfährt Iphigenie überhaupt von Achills Absicht, sich für ihre
Rettung einzusetzen. Eur. mußte Klytaemestra die unwahr-
scheinliche Grausamkeit begehen lassen, mit voller Berechnung
ihrem Kind nur den drohenden Tod mitzuteilen, aber nichts
von der Hoffnung auf Achills Eingreifen. Nur wenn Iphigenie
jeder Hoffnungsschimmer fehlte, konnte in der Bittrede, die
1011 ff. sorgfältig vorbereitet wird, das eXeeivöv so voll zum
Ausdruck kommen. Um diese Wirkung zu erzielen, mußte
Eur. die psychologische Wahrheit außer acht lassen.
Aus diesem Grunde scheinen mir auch die Worte der
Klytaemestra (11 00 ff.): ev 5aKpt3oiai b' f\ rdXaiva TvaTs e|ifi iroXAäs
ieTaa iieraßoXäs öSupjidTuv ^dvarov dKouaaa', öv Trarfip ßouXeueTai
') S. z.B. Orest 960 ff.: Monodie der Elektra auf den Botenbericht hin,
in der sie den Verrat des Pelops an Myrtilos beklagt. Wenn Huemer, Genesis
d. Entschlusses in d. Trag. d. Eurip. u. Soph 45, dies als unpsychologisch
tadelt, geht er von modernen Gesichtspunkten aus und verkennt den Stil der
antiken Tragoedie.
^j Man begreift, daß diese Iphigenie auch vorher nicht als töttos lÄeeivös
die vereitelte Hoffnung auf ihre Ehe mit Achill im Munde führen konnte, wie
es die Taurische tut.
22 Johanna Schmitt
eine Interpolation zu sein. Eur. tat gut daran, nicht an die
oben erwähnte Unwahrscheinlichkeit zu erinnern, vielmehr die
Mitteilung von der bevorstehenden Opferung an Iphigenie
ganz zu verschweigen*).
Die Situation ist in der Iph. Aul. in dem Augenblick, als
die Heldin mit ihrem Entschluß hervortritt, so gespannt wie
in keiner andern Devotionsszene. Auf der einen Seite steht
das gesamte Heer, das die Opferung fordert, auf der andern
Achilleus, der bereit ist, sich als einer gegen alle zu stellen.
Die Lösung, daß Iphigenie freiwillig sich darbietet, ersetzt, wie
O.Müller bemerkt'), das Zerhauen des Knotens durch einen
deus ex machina. Trotz dieses Zwangs der Lage wird aber
Iphigeniens Entschluß als ein durchaus freiwilliger dargestellt:
mit großer psychologischer Feinheit wird die Umwandlung in
ihr durch das nur eben angedeutete erotische Motiv herbei-
geführt "). Um Achill nicht in Gefahr kommen zu lassen, findet
sie die Kraft zu dem Entschluß, freiwillig in den Tod zu gehen.
Doch kann dieser ihr selbst fast unbewußte Grund in ihrer
großen pfjais natürlich nicht ausführlich dargelegt werden, und
es ist ein feiner Zug, daß Iphigenie ihr individuelles Gefühl
hinter der etwas trivialen Sentenz versteckt (1394): eis y «vfip
Kpeiffcrcüv y^vaiKÜv pupiuv öpwv ^dos. Motiviert ist also der Um-
schwung in Iphigenie ganz aus den persönlichsten Gründen.
Damit kreuzt sich nun aber bei Eur. eine zweite Tendenz, die
eigentlich außerhalb des Charakters der Heldin liegt: der Ent-
Schluß sollte als eine heroische, von Vaterlandsliebe eingeflößte
Tat erscheinen, die Rede ein patriotischer TTpoTpeiTTiKÖs sein.
Es ist Eur. nicht völHg gelungen, den Zwiespalt zwischen
seiner alten Auffassung des Menschenopfers als eines Frevels
^) Daß die Verse auch noch aus andern Gründen zu athetieren sind,
zeigt England. — Eine Interpolation ganz ähnlicher Art, ebenfalls mit dem
Zweck, das Kommende vorzubereiten, sind die Worte Agamemnons 460ff.:
Wie kann er vorausahnen, daß Iphigenie den kleinen Orest bei ihrer Fleh-
rede mit sich haben wird? vgl. England.
2) Gesch. d. griech. Lit. II 178. — Huemer a. a. 0. 25 legt wiederum
modernen Maßstab an, wenn er sagt: „ein solcher Entschluß setzt eine völlig
rätselhafte Umwandlung im Charakter der Heldin voraus", und wenn er ver-
langt, in Iphigeniens Rede hätten ihre persönlichen Motive mehr zum Aus-
druck kommen müssen. =*) Vgl. Kjellberg, Real.-Enc. IX 2, 2613.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 23
und der neuen als eines dem Vaterland dargebrachten Opfers
ganz auszugleichen. Das patriotische Motiv wird zuerst in
den Worten des Menelaos (370ff.) angeschlagen: 'EXXdSos |jdXicrr'
€YWY€ Tfjs TaXaiTTwpou arevw, fj H\ovaa 6päv ti keSvöv, ßapßdpous toüs
ou5evas KaTayeXwvTas e^avnaei 8iä ak Km rnv aqv KÖpnv. Dann aber
wird es wieder ganz fallen gelassen, besonders 1089ff., 1189ff.,
wo der Situation entsprechend das Opfer als Verbrechen be-
zeichnet wird. Erst Agamemnon nimmt die patriotischen
Gründe, die für das Opfer sprechen, wieder auf, um sie mit
rhetorischem Schwung der verzweifelten, um ihr Leben
flehenden Iphigenie vorzuhalten, 1259ff. 1269 ff.
Es ist charakteristisch für den unaufrichtigen, haltlosen
Agamemnon, daß er bei dieser Tirade ') es ausdrücklich ab-
lehnt, von Menelaos beeinflußt zu sein.
Zwischen diesen Äußerungen des Patriotismus stehen nun
seine eigenthchen Beweggründe, die Furcht vor der Rache des
Heers, im Falle er die Opferung verhindert, I264ff.
England hat diese Verse nach Hennings Vorgang athetiert,
weil sie inhaltlich mit dem folgenden patriotischen Aufruf in
Widerspruch stehen. Doch charakterisiert gerade dieses Hin-
und Herschwanken die ganze Haltlosigkeit des Agamemnon
vortreffhch; und außerdem haben die Verse eine Parallele
in 531 ff., wo Agamemnon dieselbe Befürchtung ausspricht).
Schließen mußte er natürlich seine Rede mit der schwung-
vollen adhortatio. Hier also wird der Grund zu Iphigeniens
vaterländischem Heroismus gelegt, und es ist ein schöner Zug,
daß in ihrem Mund echte Begeisterung und Überzeugung ist,
was bei Agamemnon Phrase war. Der Aufruf wirkt allerdings
nicht sofort, sondern erst in ihrer großen Rede 1368ff., während
in der Klagemonodie, mit der sie auf Agamemnons Worte ant-
1) Darin ein Zeugnis ernsthafter sittlicher Läuterung des Agamemnon
zu sehen, wie es Oeri (Eur. unter d. Drucke d Sicil. und Dekel. Krieges,
Progr. Basel 1905, 26) tut, scheint mir unmöglich.
2) Englands Begründung, mit der er auch diese Worte athetiert, beruht
doch auf zu rationalistischen Erwägungen: Agam. spricht die Worte hier wie
dort im höchsten Affekt und natürlich nicht mit kühler Berechnung der
Wahrscheinlichkeit, ob die Griechen sich wirklich an Mykenes Schätzen
schadlos halten und ihn und seine Familie töten werden, wenn er den Zug
nach Troia verhindert.
24 Johanna Schmitt
wortet, ihr das Opfer noch ein Frevel ist (1318): a(j)aYaTaiv
dvoaioiaiv dvodou irarpös.
Der Chor dagegen hält noch 1402 f. und Klytaemestra bis
zum Ende die Opferung für ein Verbrechen^). Ihre Beurteilung
bleibt also in dem erhaltenen Teil bis zum Schluß zwiespältig.
Den Zug, daß der heldenhafte Entschluß durch einen
vorausgehenden Hinweis auf den Ruhm der Selbstopferung
bestärkt wird, finden wir schon in der Menoikeusepisode vor-
gebildet. Hier wird der Opfermut des Knaben wohl besonders
durch die Worte des Teiresias angefeuert (Phoen. 947): götos 5e
TrüXos TfjS' dveijievos TröXei ö^avuv Trarpuav ya^av CKauoeiev äv * iriKpöv 5'
'ASpdoTt«) vöffTOV 'Apveioidi re ö'iiaei, jieXaivav Kfjp' eir' ö|ijia(Jiv ßaXwv,
KXeivds re ©nßas.
Einen ebenso plötzhchen Stimmungswechsel, verbunden
mit einem Entschlußfassen, wie bei Iphigenie selbst, hat Eur.
in den uns erhaltenen Tragoedien nur noch einmal dargestellt,
und zwar in demselben Drama, in der Szene zwischen Aga-
memnon und Menelaos. Eben ist Menelaos im Begriff, den
Bruder erbittert zu verlassen, um ihn durch andere zur Opfe-
rung der Tochter zu zwingen (41 2 ff.), da kommt der Bote und
meldet Klytaemestras Ankunft, worauf Agamemnon mit seinem
verzweifelten Monolog (440ff.) antwortet. Während dieses
Vorgangs hat Menelaos geschwiegen: nun bietet er plötzHch
dem Bruder die Hand zur Versöhnung und ist bereit, groß-
mütig auf die Opferung zu verzichten. Eur. hat also hier eine
ganz ähnliche Technik angewandt wie in den Devotionsszenen:
das Fassen des großmütigen Entschlusses in einer Schweige-
szene. Doch nun kommt bei Agamemnon der Umschlag: er
wird die Tochter doch hingeben. Der psychologische Vorgang
bei ihm entspricht genau dem späteren bei Iphigenie selbst:
sowie es ihm freigestellt ist, die Tochter zu retten, sieht er
selbst die dvdyKti ein, die ihn zur Opferung zwingt. Allerdings
sind Agamemnons Motive nicht so edel wie die der Iphigenie:
1) Erst im unechten Teil 1511 preist er Iphigenie als <t>püYtöv lAenroAiv.
So kann ich Schöne (Rh. M. 5, 231 s. auch Hofmann a. a. 0. 93ff.) nicht zu-
stimmen, wenn er behauptet, daß in dem Zyklus der Chorlieder von ob-
jektiver Seite die Notwendigkeit des Opfers dargetan werde und daß sie die
historische Begründung für die psychologischen Motive gäben, die sich in der
Handlung der Hauptpersonen entfalteten.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 25
er kehrt bloß auf seinen anfänglichen Standpunkt zurück, und
nur die Furcht vor dem Heer und besonders vor Kalchas und
Odysseus veranlaßt ihn, in das Opfer einzuwilligen. Eur.
scheint also ganz bewußt eine Steigerung beabsichtigt zu
haben, wenn er dieses Motiv im selben Drama verdoppelte.
Eine ähnliche Steigerung beobachteten wir oben in der Wieder-
aufnahme des patriotischen Aufrufs durch Iphigenie.
Dieselbe oder doch eine sehr ähnliche Technik des Ent-
schlußfassens finden wir bei Sophokles im Philoktet, der
Tragoedie, die am meisten den euripideischen Einfluß erfahren
hat. Dieses ganze Drama dreht sich ja um die Sinnesänderung
und das Entschlußfassen einerseits des Helden selbst '), andrer-
seits des Neoptolemos. Auf dessen Haltung beruht der Gang
des ganzen Stücks, auf seiner anfänglichen Umstimmung durch
Odysseus, dem ersten Zweifel 839ff. (der durch die Hexameter
stark unterstrichen ist) und dem endgültigen Entschluß zur
Wahrhaftigkeit^). Der eigentliche Entschluß kommt auch hier
in einem Auftritt zwischen Odysseus und Philoktet, den beiden
feindlichen Parteien, zustande, während dessen Neoptolemos
schweigt. Sein Schweigen wird sogar ausdrücklich von
Philoktet erwähnt (1066f.). Daß er trotzdem am Ende dieser
Szene dem Philoktet noch ausweichend antwortet und erst am
Anfang des übernächsten Auftritts offen sc'ne Sinnesänderung
kwndgibt, ist wohl nur ein technischer Kunstgriff, um die
große lyrische Szene zwischen Chor und Philoktet zu ermög-
lichen, in der die ganze Verzweiflung des Verlassenen noch-
mals voll zum Ausdruck kommt. Der Grund zum endgültigen
Entschluß des Neoptolemos wurde jedenfalls in jener Schweige-
szene gelegt *).
1) Bei Philoktet allerdings kommt es zu keiner Sinnesänderung. Er
bleibt hartnäckig bis zum Ende, und das eigentlich Tragische liegt darin,
daß er gerade in dem Augenblick, wo er die günstigen Seiten des Orakels
erfährt — Heilung und Ruhm — , so in seine Verbitterung hineingeraten ist,
daß er trotz ehrlichem Kampf mit sich seine Einwilligung zum Aufbruch
nach Troia weniger denn je geben kann. Die Einrenkung erfolgt dann nur
ganz äußerlich durch den deus ex machina
^) T. V. Wilamowitz, Dramat. Technik d. Sophokles 294, geht zu sehr
vom Dogma der mangelhaften psychologischen Motivierung bei Sophokles aus,,
wenn er die Haltung des Neoptolemos unverständlich findet.
^) Anders ist die Voraussetzung bei der Umstimmung und Entschluß-
26 Johanna Schmitt
Vielleicht war Soph. im Philoktet in dieser Technik sogar
von dem gleichnamigen Stück des Eur. abhängig. Aus der
Paraphrase Dions von Prusa or. 59 wissen wir, daß von Troia
wie von den Griechen Gesandtschaften an Philoktet geschickt
wurden, die beide versuchten, ihn auf ihre Seite zu ziehen.
Es ist wohl anzunehmen, daß es zwischen den Führern dieser
Gesandtschaften einen dywv vor Philoktet gab; der Troianer
sucht ihn durch Schätze zu gewinnen (frg. 794), Odysseus
durch den Aufruf zur Vaterlandsliebe (798). Das Eingreifen
des Odysseus bezeichnen die Worte (796): uTrep ye. iievTOi Trav-
TÖs 'EXXnvcov (jTpaTOÖ aicjxpöv oiwTräv, ßapßdpGus 6' eäv Xeyeiv ^). Der
Held war also vor einen Kampf mit seinem Gewissen gestellt,
in dem er sich unter Zurücksetzung der persönlichen Kränkung
für das Vaterland entschied. Auch dieser heroische Entschluß
wird wohl unter Schweigen beim Anhören der beiden Parteien
gefaßt worden sein. Daß auch hier, ähnlich wie in den
Devotionsszenen, stark die patriotische Paraenese beabsichtigt
war, können wir noch aus dem dargelegten Aufbau des Stücks
und auch aus der Aufführungszeit 431, also gerade bei Kriegs-
ausbruch, mit ziemlicher Sicherheit erschließen").
Aus alledem dürfen wir den Schluß ziehen, daß Eur. der
Erfinder dieser Technik des Entschlußfassens war, die sein
Rivale dann nachahmte. Sie gab ihm die Möglichkeit, den
Entschluß jedesmal erst völlig ausgereift hervortreten zu lasse a
und dadurch ein wirkungsvolles Trapä 7rpos5oKiav zu erreichen.
Ein stummes Spiel der Personen während dieser Schweige-
szenen, in dem das Ringen um den Entschluß ausgedrückt
würde, ist daher kaum anzunehmen, da hierdurch der Effekt
der Überraschung an Wirksamkeit verlöre*).
Der Umschwung in Iphigenie von Todesfurcht zur
heroischen Todesbereitschaft fordert von selbst zum Vergleich
änderung des Kreon in der Antigene. Hier sind die Gründe des Umschwungs
ganz von außen herangebracht (durch Teiresias' Weissagung). Der Entschluß
ist hier keine freie Tat mehr, sondern ein erzwungener Akt der Verzweiflung,
1) Welcker, Griech. Trag II 518S. Härtung, Eurip. rest. I 354
2) S. auch Dion or. 52, § 14: IniSeiKvuvrai koi tö ji^q oö jiövov r|5oviiv,
cAXä Kai noAAfjv npös dpeiriv nopÖKAnaiv.
') Über andre Arten des Entschlußfassens bei Eur. (im Monolog und
Dialog) s. Leo, Monolog im Drama, Abh. Ges, d. Wiss. Gott. 1908, 33 S.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 27
mit dem umgekehrten Vorgang in der Antigene heraus. Die
Festigkeit Antigenes im ersten Teil der Tragoedie, die Bereit-
willigkeit, mit der sie das leidige Leben gegen den Tod ein-
tauschen möchte, erinnert in der Stimmung ganz an die
Devotionsszenen (46): ob yap 8fi Trpo5oöff' dXwaojiai, (96): iTelao|iai
yäp ou ToaoÖTOv ou6ev ücrre nn ou kqXüs S'aveTv, und, ganz ähnlich
wie Polyxena in der Hek. 375ff., Antig. 461: ei 8e toö xpövou
Trpöa&ev &avoö|iai, Kep5os aör' eyw Aeyco. öjtis yäp ev TroXXoTdiv us eyu
KttKoTs ^fj, TTÜs 85' ouxi KQTÖ'avwv K€p5os <j)epei; Den schneidenden
Gegensatz zwischen der selbstsichern Todesverachtung und der
Verzweiflung der letzten Szene hat Soph. durch ein ähnliches
Mittel unterstrichen wie Eur. den umgekehrten Vorgang in
der Polyxenaszene. Bei beiden stehen die letzten Worte vor
dem Umschlag im schroffen Gegensatz zu den ersten nach ihm,
und dazwischen schweigt die Heldin ').
Antigone spricht nach den Versen in der Szene mit Kreon
und Ismen e (559): ^dpaer ab pev ^fjs • n S' ^W ^v^h TrdXai re^vriKev,
oöore ToTs ^avoöaiv ü)(i)eXeTv nichts mehr bis zu dem Q-piivos auf
ihrem Todesgang. In der Tph. tritt zwar der kurze Dialog mit
Klytaemestra 1338 ff. zwischen die beiden Teile, doch ist hier
der Kontrast durch den streng stilisierten parallelen Szenenbau
vor und nach dem Umschlag hervorgehoben: auf die Bittrede
folgt die lyrische Klagemonodie, auf die Opferrede der feier-
liche Paian an Artemis.
Aber diese Berührungspunkte sind eigentlich schon durch
den Stoff gegeben, und an eine Abhängigkeit des Eur. von
Soph. ist hier kaum zu denken. Vollends läßt sich eine pole-
mische Bezugnahme auf die Antig. nicht feststellen.
Die Charaktere der Heldinnen sind so verschieden, daß
sich die Entwicklung in beiden ganz folgerichtig ergibt. Die
starke Willens- und Lebenskraft der Antigone, die sich in
ihrem Handeln äußert, tritt auch da zutage, wo sie sich gegen
die Vernichtung auflehnt. Doch ist das q^os hier ganz ver-
schieden von dem Flehen der Iphigenie. So weit geht bei
Antigone das Grauen vor der Vernichtung nicht, daß eine
Äußerung wie Iph. Aul. 1252: kqküs ^f\v KpeTaaov i\ KaXws ^aveTv
1) S. oben 16.
28 Johanna Schmitt
ihr in den Mund käme. Von ihrer Überzeugung opfert sie
nicht das Geringste, und zwischen ihren Klagen gibt ihr immer
wieder das Bewußtsein ihrer Tat starken Halt. Nur das Ge-
fühl der unsäglichen Verlassenheit und der Verkennung ihres
Handelns macht ihr den Todesgang so bitter. Dagegen er-
möglicht der noch ungefestigte Charakter der zarten Iphigenie
ein viel stärkeres Schwanken nach beiden Seiten hin und zu-
gleich auch die größere theatralische Wirkung: in der Ver-
zweiflung und Todesangst ist sie ganz gebrochen, im Opfermut
fast in Ekstase. Doch ist dieser Umschwung, wie wir sahen,
durchaus motiviert, und keine Anspielung weist auf die Antig. ^).
Letzten Endes liegt die verschiedene Gestaltung tief im
Wesen der beiden Dichter begründet. Dem trüben Pessimisten
scheint die Loslösung vom Leben leicht; der Tod wird mit
einer Gloriole umgeben und als die Erlösung verherrlicht.
Darum ertrug Eur. es nicht, als letzten Abscliluß eine Ab-
schiedsszene zu gestalten wie Soph., der sich mit vielleicht
doch größerer Wahrhaftigkeit nicht gescheut hat, seine Antigone
mit dieser Dissonanz scheiden zu lassen.
IIL Die entscheidenden Reden.
a. Herakliden. Den Höhepunkt bildet in jeder Devotions-
szene die große Rede der Todesbereiten, in welcher sie die
Gründe zu ihrem heroischen Entschluß darlegen. Th. Miller ^)
hat gezeigt, wie Eur. in der Komposition fast aller seiner piiaeis
dem Muster eines rhetorischen Schemas folgt. Diesen rhetori-
schen und daher in vielem sehr gleichartigen Aufbau kann
man besonders gut bei den, auch inhaltlich so ähnlichen, ent-
scheidenden Reden beobachten. Sie alle gehören zum y^vos
irporpeTTTiKÖv, und es spricht hier aus den Personen heraus der
rhetorisch geschulte Dichter, manchmal bis zur Vernachlässi-
gung des ^9-os der Redenden (bes. in der Iph. Aul.).
So ist gleich in der Makaria-pfjais der Herakl. der rhetori-
sche Bau sehr durchsichtig ; er ist einfach und ziemlich schema-
^) Über die Möglichkeit einer Polemik gegen die sophokleische Iphigenie
s. oben 14. ^) Euripides rhetoricus Diss. Göttingen 1887.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 29
tisch wie die Anlage dieser ganzen Episode. Das ganz unver-
mittelt einsetzende prooemium enthält nur die kurze prothesis
500 — 502, die Kundgabe des Entschlusses zum Tod. Die pro-
batio 503—524' ist ganz in negativer Form gebaut, als refu-
tatio. Das Einteilungsprinzip der refutatio ergibt sich aus den
beiden Gesichtspunkten 1) Betrachtung ihrer gegenwärtigen
Lage, 2) ihrer Zukunft, wenn sie sich nicht opfert. Als Leit-
motiv vorangestellt ist der Gedanke: wir als Schutzflehende
haben die Pflicht, auch selbst zu unsrer Rettung zu helfen,
nicht die andern für uns sterben zu lassen, während es in
unsrer Hand liegt, ob sie den Sieg erringen. Diese Verpflich-
tung zur heroischen Tat begründet Makaria damit, daß sie sich
ihres Vaters Herakles nicht unwert zeigen dürfe. Ganz ähn-
lich beruft sich Megara im Herakles auf den Ruhm ihres Gatten,
dem sie eine freie und würdige Haltung in ihrem grausamen
Schicksal schuldig sei (294). — Dieser auch sonst konsequent
durchgeführte Charakterzug Makarias, der Stolz auf die Vor-
fahren und die Forderung an sich, es ihnen gleich zu tun, ist
die dichterische Verwertung eines in der rhetorischen Literatur
häufigen töttos. Wir finden ihn z. B. in der Rede des Archi-
damos bei Thukydides II, 11, die als erste der vielen Trapa-
KÄriTiKoi XÖYOi einen stark programmatischen Charakter trägt:
SiKaiov ouv npäs PHTe tüv Trareptüv xeipous (j>aivea&ai, \ir\re f\\im aurwv
Tpjs Sö^ns evSeearepous. Im zweiten Teil der refutatio malt Ma-
karia mit den schwärzesten Fai'ben ihr Los aus, wenn sie sich
nicht opfre, sondern feig den Tod fliehe: überall wird man sie
mit Schimpf ausweisen, da die Schande des Verrats auf ihr
lastet*). Auch hier finden wir wieder einen Anklang an Me-
garas Rede. Auch sie denkt einen Augenblick daran, Ver-
bannung für ihre Kinder auszuwirken, um sie vor dem Tod
zu retten, aber gleich verwirft sie diesen Gedanken wieder
(303): dXXä kqi tö5' a^Xiov, Trevia obv oiKipä TrepißaXeTv auinpiav '^).
') 522: noAAoi ydp fjSn TtjSe itpoüSooav (j)(Aou9 steht etwas zusammenhangslos
in der Rede und wurde deshalb von Elmsley athetiert. Möglich scheint mir, daß
Eur. hiermit eine Anspielung auf die in der Not abgefallenen Bundesgenossen be-
zweckte, vielleicht auf die 428 abgefallenen Lesbier. — Eine Ähnlichkeit des
Verses mit Aisch. Hik. 499 (Firnhaber a. a. 0. 455) kann ich nicht entdecken.
2) S. auch Medea 798 ff.
30 Johanna Schmitt
Ganz ähnlich schildert dann auch Herakles selbst 1285 ff. das
Los des Verbannten. Wie in Makarias Rede werden hier die
Hohnworte der Feinde wörtlich angeführt, und wie für Makaria
ergibt sich ihm der Schluß, daß der Tod einem solchen Leben
vorzuziehen sei. Dieser töttos Heß sich also zur Erregung des
eXeos immer wirksam verwenden. Zu den Leiden der Ver-
bannung kommt, daß keiner das verlassene und mit dem Makel
der Ehrlosigkeit behaftete Mädchen wird zum Weib nehmen
wollen, ein Schicksal, das der griechischen Frau als Verfehlung
des Lebens-TeXos immer als das bitterste erscheint. Diese Stelle
klingt etwas an die Klage des Oedipus um das Schicksal seiner
beiden verwaisten Töchter an, die keine Gatten finden werden
(Oed. tyr. 1486 ff.). Das letzte Vorbild für derartiges ist immer
die Klage Andromaches um den verwaisten Sohn (IL X 484 ff.).
Aus diesem letzten und für sie am schwersten wiegenden Argu-
ment heraus findet Makaria die Kraft des Aufschwungs mit
neuer Stäi'ke: oukoöv ^aveTv äiieivov (525 ff.) und damit die Über-
leitung zum €TriXoYos, in dem ihr ganzer, von Eur. etwas forcier-
ter Heroismus noch einmal in gedrängter Form seinen Aus-
druck findet, besonders in der adhortatio 528ff. , die den
Athenern den Sieg verheißt.
b. Hekabe. Eine Vervollkommnung in jeder Hinsicht zeigt
die Rede der Polyxena (Hek. 342ff.). Der dichterische Gehalt
ist gesteigert zugleich mit einer noch kunstgemäßeren Anwen-
dung der rhetorischen Mittel, doch so, daß die Rhetorik als
solche gegenüber der Makariarede bedeutend weniger aufdring-
lich ist. Schon das prooemium 342—48 wirkt, da es unmittel-
bar aus der Handlung heraus erwächst, weit lebendiger als das
der Makaria. Es schließt wieder mit der kurzen prothesis, der
Kundgabe der heroischen Todesbereitschaft (346 ff.).
Der folgende Teil der Rede wird besonders durch die Er-
regung des eXeos, die Gegenüberstellung des Einst und Jetzt in
Polyxenas Schicksal, wirksam und lebendig. Höchst kunstvoll
ist auch der Aufbau dieses Teils, schon äußerlich streng logisch
disponiert durch die Partikeln jiev — eTreira 349 51 und TrpwTa —
€7reiTa 357/59. Eine deutliche Gliederung erhält die Rede durch
die Darlegung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
während Anaximenes, der Autor der altertümlichsten uns er-
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 3i
haltenen Rhetorik (c. 30 S. 59 Spengel), der überhaupt die
narratio kürzer abtut als die späteren Rhetoren^), jeweils nur
einen dieser drei Teile in Betracht zieht. Zweimal wird in
diesem Abschnitt eine Tatsache an den Anfang gesetzt, dann
daraus die Folgerung gezogen (349): li yap jie bei ^fjv; f[ Trarfip
jiev nv äva^ fppvyüiw dTrdvTuv. toütö [loi irpÜTOv ßiou ^ , worauf die
Beschreibung ihres früheren glücklichen Lebens als Königs-
tochter folgt. Hierauf die schärfste antithesis (357): vöv 5'
e\\n 6ouXn • irpüra iiev pe TOuvo|ja 9-aveTv epäv liö'qaiv ouk eico&ös öv ^).
Aus ihrem jetzigen Los ergibt sich ihr also unmittelbar der
Entschluß zum Tod. Allein mit diesen beiden Versen, die
aber durch ihre zentrale Stellung das größte Gewicht erhalten,
wird die Gegenwart abgetan. Darauf malt sie sich alle Schrecken
des Sklavendaseins aus, das ihr, wenn sie nicht stirbt, für die
Zukunft droht*). Dieser Teil entspricht also ganz der Makaria-
rede 515ff. Wie dort folgt die Erklärung, daß ein Weiterleben
unerträglich sei, nach dem stärksten Argument, aber auch hier
ist die Situation gegenüber der in den Herakl. gesteigert:
Makaria war die Verlassenheit und Ehelosigkeit als schlimmstes
Los erschienen. Polyxena befürchtet viel Schlimmeres: die
1) Volkmann, Rhetorik 150 ff.
^) Vgl. Her. 1301: li SfjTd pe ^qv Set; Die Worte stehen hier am Ende
der Rede, als Folgerung aus ganz ähnlichen Argumenten wie bei Polyxena:
auch hier wird der frühere Ruhm der jetzigen Schande entgegengesetzt.
Ganz ähnlich ist auch die Argumentation der mit dem Tod bedrohten An-
dromache, vgl. bes. 404: ti 5fjT' eixoi ?nv qSü; deren Situation überhaupt manche
Berührungspunkte mit den Devotionsszenen zeigt: auch hier der freiwillige Tod
für einen andern (hier das Kind). Wie Polyxena will auch Androm. nicht
die Gnade ihres Mörders anflehen (459), aber wie Hekabe fordert sie doch
in der höchsten Not ihr Kind auf, Menelaos' Knie bittend zu umfassen (529).
*) Dieselben Worte: vöv 5' eiiJii SoüAn finden wir im Aias 489 in der Rede
der Tekmessa, die wie Polyxena ihr Los als das einer Freien schildert, die
in Knechtschaft geraten ist. Bei den mannigfachen Berührungspunkten der
Devotionsszenen mit Motiven aus dem Aias ist das wohl kein Zufall.
*) Etwas klingen an diese pnois die Worte der sophokleischen Elektra
an, nach der falschen Nachricht von Orests Tod (804 ff.). Sie malt sich ihr
künftiges furchtbares Schicksal, das Weiterleben in Aigisths Hause, aus und
kommt zu dem Schluß, daß der Tod für sie die Erlösung wäre. Aber diese
Ähnlichkeit liegt doch zu sehr in der jeweiligen Situation, als daß man hier
eine Abhängigkeit annehmen müßte.
32 Johanna Schmitt
Schändung durch einen Sklaven (365 ff.). Wiederum finden
wir in diesem Teil der Polyxenarede einen starken Anklang
an den Aias. Der löiros des „Einst und Jetzt" ') hat in der
Rede des sophokleischen Helden (437 ff.; auch schon im vorher-
gehenden lyrischen Teil 421 ff.) genau denselben Inhalt: hier
wie dort ist der tiefe Sturz vom Glück in Elend und Schande
der Grund, den Tod herbeizusehnen. Auch hierin bedeutet
die Polyxenarede eine Steigerung der Todesbereitschaft dadurch,
daß die Schande ihr erst droht, noch nicht zur Wirklichkeit
geworden ist wie bei Aias, und sie ihr durch den Tod zuvor-
kommen wiU.
Der eTvIXoYos der Polyxenarede betont nochmals, daß es
für sie keinen andern Weg gebe als den Tod. Hier weicht
natürlich die Stimmung von dem heroisch gehobenen Sieges-
bewußtsein der Makaria bedeutend ab. Die adhortatio am
Schluß ist diesmal nur negativ: die Mutter möge sie nicht in
der Ausführung ihres Entschlusses hindern. Die kühle Sentenz
am Ende, die ein ungeschickter Interpolator verdoppelt hat (378),
gibt dieser streng gebauten Rede den würdigen Abschluß*).
Sehr ähnlich ist mit der ganzen Situation der Polyxena
die der Megara: wie Polyxena ist Megara zum Tod gezwungen,
wie diese lehnt sie es ab, die Gnade ihres Peinigers anzuflehen
und ist bereit, freiwillig sich ihrem Los zu fügen und mit
Würde in den Tod zu gehen. Vielleicht dürfen wir diese
Übereinstimmung der beiden Tragoedien, die nicht die einzige
ist"), als einen Beweis für die zeithche Nähe der Entstehung
betrachten.
c. Erechtheus. Es sei gestattet, die Betrachtung der
Praxithearede aus dem Erechtheus (frg. 360 N.) vorwegzu-
nehmen, da sie ihrer ganzen Anlage nach unter die Devotions-
reden eingereiht werden muß*).
^) Hierüber im allgemeinen Mader a. a. 0. 60 ff.
-) Vielleicht verdankt der nachhinkende interpolierte Vers: tö yöp Cfjv
jif| KaAüs fieyas növos seine Entstehung dem Gegensatz zu der umgekehrten
Sentenz der Iph. Aul. 1252 : KaKÜs ^qv Kpelcaov f\ koAms 8-aveiv.
") Vgl. den zweiteiligen Aufbau beider Stücke, dessen Einheit in der
Gestalt der Hauptfigur liegt (Wilamowitz, Herakles I 121, 17). Auch die
pessimistische Grundstimmung der beiden Tragoedien ist dieselbe.
*) Über die Anlage des Opfermotivs in dieser Tragoedie s. unten 63 ff.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 33
Hatten die beiden Opferreden in Herakl. und Hek. durch-
gehend eine negative Argumentation, so ist dies gerade um-
gekehrt in der p^ais der Praxithea, die, obwohl sie durch die
Verbindung zweier rhetorischer y^vH wichtig ist, von Miller
unberücksichtigt Wieb. Die Rede, die eigentlich ein 7rapd5o^ov
zum Vorwurf hat — die Mutter gibt das eigne Kind freiwillig
zum Opfertod hin — muß mit besonders starken Argumenten
zu wirken suchen. Eur. hat der Tendenz des ganzen Stückes
gemäß diese Rede zu einem eyKuiiiov 'A^r\\im einerseits, zu
einem patriotischen irporpeTTTiKÖs andrerseits gestaltet. Dieselbe
Verbindung dieser beiden yevn finden wir in den Epitaphien,
wo das Lob der Autochthonie, der Einrichtungen des Landes,
der Gefallenen, und zum Scliluß der irpoTpeTTTiKÖs stehende töttoi
sind. So könnte man unsre Rede einen vorweggenommenen
e7nTQ:(j)ios nennen. Solche Grabreden waren ja häufig genug
nur der Anlaß zum Lob des Vaterlands, vgl. Schol. Aristides
Panathenaikos 6, 27: 0ouKu5i8ns Km Armocr^evriS Kai erepoi Tives ob
7rpo(j)avüs eis tö tPjs iröXeus Kai x^pas eyKuiiiov kx^pr\aav, aXK em-
Ta(}>lous n ctXXo Ti Xeyeiv wpjinKÖres XeXnö^ÖTus eis eyKwiiiov KaieaTncav.
Wie die ganzen Hiketiden des Eur. in der uTTÖö'eais ein eyKu-
jiiov 'Aö'Hvüv genannt werden und wie sie, nach Wilamowitz'
Nachweis ^), die poetische Nachbildung eines e7riTd(j)ios enthalten,
so sind diese Elemente auch in der Praxithearede vereinigt.
Die Beziehungen zwischen e-nna^\oi und Dichtung gehen hin
und her. Dieselben Ruhm.estaten der Athener, die unter der
Rubrik: „Lob der Vorfahren" ständig in den Grabreden auf-
gezählt werden, hat Eur. in Dramen verherrlicht: in den
Herakl., Hik., Erechth. An solche dichterische Behandlung,
vielleicht an Eur. selbst, denkt Piaton in seinem Menexenos,
wenn er sagt (238e): EöiiöXTrou \ikv ouv Kai 'A|ia^övuv eTviOTpaTeu-
odvTuv im ir\v x'^pav Kai eri irporepcüv, us n^'^vavTO koi us fjjjiuvav
'Apyeiois Trpös Ka5|ieious koi 'HpaKXelSais Trpös 'Apyeious ö re xpövos
ßpaxus ä^iws 6iriYn<Ja(J^ai 7roir|Tai re auTwv fj5ri koXüs riiv dperfiv ev
[lOuaiKri üjivriCTavTes es irdvTas jiejinvuKaaiv, und fast noch deutlicher
der von Piaton abhängige Pseudo-Demosthenes in seinem etti-
Td(j)ios (9): TÜv iiev ouv eis |Jiu^ous dvevrivey^ievcov epywv ttoXXöc Tvapa-
») Gr. Trag. I 206 ff.
Religionsgeschiclitliche Versuche u. Vorarbeiten. XVII, 2.
34 Johanna Schmitt
AiTTUv TOUTUv i\ivr\a^t\v^ uv oütus e'Kaaros eöaxH^ovas Kai ttoXXous e'xei
AÖYOüs wäre Kai toüs emierpous Kai toüs twv a5oiievc»)v iroiriTäs Kai
TToXXoüs TÜv auYYPCt<j>ewv U7ro9'eaeis TocKeivuv epya Tfjs auTÜv jiouaiKris
TreTTOifja&ai. Man sieht, wieviel Literatur über diesen einen
Gegenstand allein uns verloren ist. Daß ferner der Redner
Aristides, der im Panathenaikos dieselben Sagen aufzählt —
nur noch um einige vermehrt — , beim Zitat des Erechtheus
vom euripideischen Drama abhängig ist, werden wir unten
67 sehen.
Um diesen Zweck des eyKuiiiov zu erfüllen, muß die Praxi-
thearede im Gegensatz zu den oben behandelten fast durchweg
mit positiven Argumenten arbeiten. Der dogmatische, oft sehr
unpersönliche Charakter dieser prjais gibt sich schon im pro-
oemium kund, das mit einer lehrhaften Sentenz beginnt.
Nach ganz kurzer prothesis (4) : eyw 5e Sciau 7raT5a rfiv k\ii]w
KTOveTv wird, noch schärfer als in der Rede der Polyxena, die
nun folgende probatio disponiert: AcYi^oiiai 5e TToXXd' Trpüra jiev
(5) €7r€iTa (l^). Und nun folgt an erster Stelle wie in den
Epitaphien das Lob der Autochthonie , um den Satz zu be-
gründen: diese Stadt verdient das Opfer. Fast wörtlich sind
die Übereinstimmungen. Sogar Piaton, der diesem töttos durch
das Aufgreifen der altehrwürdigen Religion der „Mutter Erde"
einen individuellen Ton gegeben hat^), verschmäht nicht, sich
am Anfang noch in den gegebenen Gemeinplätzen zu bewegen
(238 e): ai jiev äXXai TröXeis ck 7ravTo5aTTÜv KaTeorKeuaaiievai dv9-pcoTruv
eicriv Kai dvwjidXwv und ihm folgt Ps.-Demosthenes (Ittit. 4) : pövoi
ydp TTdvTiüv dv^pwTTuv, e\ fjoTrep 'i^üaaw, ravrt\v wKi^oav Kai toTs i\
auTwv TTape5ü3Kav wäre 6iKaicüS dv Tis UTroXdßoi tous pev eirtiXuSas
eX^övTos eis tds iröXeis Kai toutuv TToXiras 7rposayopeuo|ievous öiioious
eTvai ToTs eisTTOinToTs twv 7ral5wv, toutous Se yvriaious yövu Tfjs vra-
Tpi5os TToXiTas elvai . . . Fast mit denselben Ausdrücken preist
Isokrates im Panegyrikos die Autochthonie der Athener (4, 24) :
TauTriv ydp oiKoijpev .... ou5' €k ttoXXüv eö-vcöv piydSes auXXeyevTcs,
dXX' oÜTü) KaXüs Kai yvnaius yeyövajiev, w(tt' e\ ^(TTrep e<J)U|iev, TauTtiv
exovTes ctTravTa töv xpövov 5iaTeXoüiiev, auTÖxö'Oves övTes Kai twv övo-
(idTuv toTs auToTs oTffTrep tous oiKeioTdTOus t^v ttöXiv exovTCS Trpos-
1) Wilamowitz, Piaton I 265.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 35
eiTTcTv [lövois yäp t\\i\\ tüv 'EXXrivuv rfiv aurnv Tpo<|)öv Kai TrarpiSa
Kai iiHTepcc KaXeaai TrposHKei (vgl. auch Isokr., Panath. 12, 125 und
Cicero, pro Flacco 26).
Damit vergleiche man aus Praxitheas Rede (7 ff.): fj TrpwTa
liev Xews oÖK eTraKTÖs äXXo^ev aL)TÖx9"0ves 5' e<|)uiiev. al 6* äXXai iröXeis
äXXai Trap' äXXwv eiaiv eiCTaywY'MO'- öaris 5' octt' äXXqs TröXews
oiKnar] TTÖXiv Xöyw TToXirris eariv, toTs 6' epyoiaiv ou. Dieselbe
Verachtung der eTraKToi spricht Eur. im Ion aus, der selbst eine
Verherrlichung der attischen auT0x9"0via ist (290) : oök dorös dXX'
ETraKTÖs e^ äXXns x^'ovös und (598) : eTvai (j)aai ras auiöx^ovas KXeiväs
'A^qvas oÜK iKeidaKTOv y^^os, und das wie bei Ps. Demosthenes
gebrauchte eirriXus (607) : eX&üv es oTkov dXXörpiov e'TrnXus wv ').
Entsprechend der ganzen Tendenz dieser Rede felilt auch
nicht der demokratische Lieblingsgedanke: der eine ist immer
nur ein kleines Stück der Allgemeinheit, nie ihr gleichwertig
(19 ff.). Die Töne der patriotischen adhortatio werden zuerst
negativ angeschlagen, indem Praxithea — im Gegensatz zu
ihrer eignen Opferwilligkeit — die Mütter tadelt, die ihre Söhne
durch Tränen beim Abschied zum Kampf untüchtig machen.
Von da springt der Gedanke über auf das Schlachtenlos dieser
Söhne. Das Höchste, was sie erreichen können, ist der gemein-
same Heldentod und die gemeinsame Heldenehre, und gerade
dies erschien ja der Zeit als das Schönste, s. Thukyd. II 11:
KdXXicTTOv ydp Tö6e Kai d0(|)aXe(JTaTov ttoXXoüs ovras evi KÖaiiu XP'«'-
}ievous (})aivea&ai. Aber hier bricht Praxithea mit allen demo-
kratischen Grundsätzen der Gleichheit, und das ihr viel natür-
lichere Streben nach der ausnehmenden Leistung, das dem
griechischen Wesen so tief eingewurzelte agonale Element,
tritt mit aller Schärfe hervor (34) : rrmri ße iraiSi aTe(j)avos eis piä
*) S. Her. 257, wo derselbe Tadel über Lykos ausgesprochen wird:
öoTis ou KaSjielos ü3v äpxei KdKiaros tmv v^uv InnAuScüv. Mit 14/15 haben Ribbeck
Rom. Trg. 185 und Vahlen Frg. 1 aus dem Erechtheus des Ennius verglichen :
ut nos nostri liberi dcfenäant, pro nostra vita morti occiimbant obvlam.
Sprach diese Worte wirklich Praxithea, so war die Auffassung sehr ver-
gröbert: Eur. spricht von der Erhaltung des Vaterlands, Ennius von der
Rettung der Eltern durch die Kinder. — Doch kann es auch eine Replik
des Erechtheus selbst gegen Praxithea sein. Vorausgehen müßte dann etwa:
„Wir haben unsere Kinder doch nicht dazu (daß sie für uns sterben).'^ Vgl.
unten 65 f. '
3*
36 Johanna Schmitt
jjiövri TTÖXews ^avouari rt\ab' ÜTrep So^ncreTai ^). Es ist bezeichnend,
daß sich Praxithea mit ihrem nächsten Argument, dem aü\i-
(fiepov, wie es die rhetorische Kunstsprache nennt, an den
zögernden Erechtheus wendet^) (36): kqi rfiv reKOüaav kqi
ae 6uo &' öiiooTTÖpu athaei ti toutuv ovy) 8e^aa8-ai kqXöv; Für ihre
eigene heroische Gesinnung käme dieser Grund nicht in Be-
tracht, doch den schwankenden Gatten hofft sie mit diesem
Appell an den primitiven Selbsterhaltungstrieb zu überzeugen.
Dann aber kommt sie gleich wieder auf das ihr Nahehegende
zurück, den schon oben (18) gestreiften Gedanken, daß das
Vaterland den größeren Anspruch auf das Leben der Tochter
habe als sie (38).
Nach dieser langen probatio folgt eine ganz kurze refu-
tatio (39/40), die wieder auf Erechtheus berechnet ist: wenn
die Stadt genommen wird, sind mir meine Kinder doch ver-
loren. Nur einen kurzen wehmütigen Blick wirft sie auf die
Zukunft, in der nicht ihr Geschlecht in der Stadt herrschen
wird — sie selbst hat ja keine Söhne (25 ff.) — um sich aber
sofort wieder an den Leitgedanken zu klammern: Tnv5' eyu
(jtiaü) TTÖXiv (42). Also hat sie ihren eigenen Ruhm schon mit
dem der Tochter identifiziert. Wie in den andern Reden steht
auch hier wieder das stärkste Argument am Schluß, diesmal
sogar wörtHch als solches hervorgehoben (43): ekeTvo 5* oö tö
TrXeTarov ev koivü pepos, ich hasse den, der die altheiligen reh-
giösen Satzungen, die TtaXaiä ^effjiia Trpovövuv, umstürzen will;
und dann, als ob das Opfer schon vollzogen wäre, spricht sie
es mit unerschütterlicher Gewißheit aus: kein Thraker wird
die Tpiaiva, das Attribut des Poseidon, auf der Burg aufpflanzen
und die Stadtgöttin Athena vertreiben (46 ff.). Diese Worte
sind darum so ergreifend, weil gerade diese Gewißheit zu
Schanden werden soll. Etwas klingt diese Stelle an den rhe-
torischen TÖTTOS an, der bei Anaximenes 2 p. 1 1 Sp. so definiert
wird: brav jiev ouv Xeywiiev ws 8eT rä Ka^eaTÜra 5ia(t)uXdTTeiv, eupn-
aopev d(|)opiiä$ Ik |jev toü 6iKaiou XeyovTes tö TTdrpia e^q Trapä Trätri
irapaßaiveiv äSiKÖv eariv.
Der Epilog mit der persönlichen Wendung an die TroXTrai
^) S. Her. 1334 KaXös yäp gotoTs aTe(}»avo9 'EAXrjvcüv iino ävSp' ea&Aöv w^e.-
AoüvTQS €tiKA£ia9 Tuxelv. ") S. unten 66.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 37
(50) enthält die übliche adhortatio mit der nochmaligen Auf-
nahme des Gedankens von 18, der Antitliese der jiia und der
ganzen ttöXis. Und im vollen Bewußtsein der Schwere ihres
Opfers schHeßt sie (53): u Trdrpis, ei'^e TravTes oT vaiouai ae oütu
({)iXoTev US eyw' kqi paSius oiKoTiiev äv ae K0u6ev av Trdaxois kqköv').
In einer ähnlichen Rede der Praxithea, vielleicht auch am Ab-
schluß, scheint das Fragment aus dem ennianischen Erechtheus
gestanden zu haben: cid nunc aerumna mea libertatem paro
quibus servitutem mea miseria deprecor (frg. 2 V.). Der Charakter
der eur. Praxithea ist aber von dem römischen Nachdichter
nicht verstanden. Für die griechische Heroine ist es das Be-
zeichnende, das sie mit keinem Wort von dem Leid spricht,
das das Opfer ihr persönlich bringt.
d. Phoenisseii. In der Menoikeusepisode der Phoen. ist
alles auf die eine Rede des Helden angelegt: in ihr lernen
wir ihn kennen und nehmen wir zugleich Abschied von ihm.
Infolge dieser Gedrängtheit stehen vor der eigentlichen Opfe-
rungsrede — ohne Personenwechsel — nur die paar Verse,
in denen die Täuschung Kreons durchgeführt wird. Die Rede
knüpft wie die der Polyxena unmittelbar an die Situation an,
den Versuch des Vaters, ihn zur Flucht zu bewegen. Schon
im prooemium (990 ff.), vor der eigentlichen prothesis (997),
wird der Entschluß des Menoikeus klar durch das Urteil, das
er über die Handlungsweise des Vaters fällt ^).
In dieser Rede verbindet sich der Einfluß der Makaria-
mit dem der Praxithea- pfjms. Durch das Opfermotiv im Erechth.
ist das patriotische Moment so stark geworden; hier ist aber
die Färbung weit persönlicher als in den dogmatischen Aus-
führungen der Praxithea. Sehr charakteristisch ist die Wen-
dung (996): 7raTpi5os n \y eyeivaTO, dem verwaisten Knaben ist
das Vaterland wirkUch die Mutter geworden, auf die er alle
Kindesgefühle übertragen hat. Aus den Herakl. dagegen, dem
^) Über die Wiederholung dieses rönos in den Phoen. s. unten 39.
2) Nauck, Eurip. Studien, Petersburg. Akad. Abh. 1859, 85, streicht 990/91
und 997/98 ([af]— e5), weil dieser Betrug gegen den Vater das Prädikat cS
nicht verdiene. Doch wird ja gerade die Täuschung als das Heroische dar-
gestellt; und wann scheuen sich griechische Helden je, ihr Selbstlob unver-
hohlen auszusprechen?
38 Johanna Schmitt
„technischen" Vorbild, ist ein großer Teil der Argumentation
übernommen, vor allem die durchgehend negative Form der
Beweisführung (999 — 1012). Gleich das erste Argument war
— nur nicht so scharf formuliert — schon in der Makariarede
verwendet, der Gegensatz: wie kann ich feig die Stadt ver-
lassen, während andre für sie ihr Leben einsetzen (vgl. Herakl.
503 ff.), hier noch mit dem Zusatz: „ohne durchs Los dazu be-
stimmt zu sein wie ich". Mit diesem letzten Zug nimmt Eur.
ein Motiv der Praxithearede auf (22 ff.): hier wie dort wird
auf die hingewiesen, welche ohne besondern Anlaß fallen, beide
Male mit der gleichen Nutzanwendung. Wie Makaria geht
darnach Menoikeus zur Zukunft über: Wenn ich fliehe, werde
ich überall als Feigling gelten kqkos ^a\Y\ao\ia\ (1005), vgl. Herakl.
515ff., auch Hek. (348): KOKr] ())avoüpai Kai <j)iXöijJuxos y'Jvn ')• Dies
ist zugleich für den ehrliebenden Jüngling das stärkste Argu-
ment, und mit einem feierlichen Schwur gibt er seinen Ent-
schluß zum Tode nochmals kund. Auch über die Art der Aus-
führung ist er sich schon ganz klar: fest sieht er dem Tod
ins Auge im Bewußtsein seiner Heldentat (1013): crreixw 8e,
ö'avdTOU ßüpov oÜK aiaxpöv vröXei 5uauv. Leise erinnert das an
die Worte der Periklesrede bei Thukyd. U 43: KdAAiffTov epavov
aÖTrj (sc. Tfj TTÖXei) TTpoiepevoi. — Ein großer Teil der Wirkung
dieser Rede beruht auf der gedrängten Kürze, mit der sich
die ganze Episode abspielt. Sehr geschickt wird dieser Ein-
druck hervorgerufen durch die dreimal wiederkehrende Ver-
sicherung des Menoikeus, daß er eben im Begriff sei zu gehen,
und zwar die beiden ersten Male in wirkungsvoller Antithese,
(989) : . . . eJ\u Kai aticiü^ ßiov ^) — (997) : . . . eTjn ko) ffwau ttöXiv ^),
was dann nochmals im Eingang des Epilogs aufgenommen
wird, in dem oben zitierten Vers 1013. Auch das schroffe
eVpriTai ^öyos am Ende der refutatio trägt zur Charakterisierung
dieser Gedrängtheit in der ganzen Rede bei*).
1) Über den hier immer tadelnden Sinn von (i)tAöiljuxos s. Bürzel, Arch. f.
Eel. Wiss. XI 98, 2. ^) Daher scheint mir auch die Äthetese dieses
Verses bei Murray nach Verralls Vorgang unerlaubt.
^) Diese Stelle, die unter die Rubrik der iterata fällt, wo eine Person
auf ihre eigenen Worte zurückkommt, fehlt bei Schröder De iteratis a;pud
tragicos. Diss. Argentorat. VI 122 ff.
*) Derselbe Ausdruck Orest 1203 und Aisch., Eum. 710.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 39
Die adhortatio am Schluß (1015 ff.), die auf das Vorbildliche
der Tat hinweist, nimmt, wenn auch nicht wörtlich, so doch
inhaltlich durchaus die Schlußworte der Praxithea (53 ff.) auf;
doch verrät sich hier die Nachahmung. Diese Betonung des
Vorbildlichen paßt viel besser zu den dogmatischen Ausführungen
der Praxithea als hierher. Auch hat der Dichter diesmal einen
Vers mehr zur Ausführung gebraucht, ohne doch damit eine
stärkere Wirkung zu erzielen. Denselben rhetorischen töttos
finden wir bei Lysias 25, 15: eyu Y^tp toioötov ejiauTÖv ev rals
Tfjs TTÖXews (Tup(})opaTs vrapea/ov, üar', ei TrdvTCs Tfjv aurriv yvcifinv 'e'axov
€poi, \ir{be\/' äv ü|iüv iinS^lJ^'? xPHCfOfo^^cii auji<j)opä.
e. Iphigeuie. Wie wir oben (S.22ff.) sahen, ist der Haupt-
zw^eck des Eur. in der Rede der Iphigenie, einen patriotischen
TTpoTpcTTTiKÖs ZU geben, wobei das Persönliche naturgemäß zurück-
treten muß. Eine Sonderstellung nimmt die Rede dadurch ein,
daß sie das trochaeische Versmaß ') der erregten vorangehenden
Szene beibehält, das ja auch zu der gehobenen, fast ekstatischen
Stimmung der Iphigenie gut paßt. In Stimmung und Bau ist
daher diese Rede der der Praxithea am ähnlichsten: in beiden
derselbe, feierlich gehobene Opfermut und deshalb die vor-
wiegend positive Argumentation; in beiden herrscht das parae-
netische Moment, wenn auch hier nicht in ganz so dogma-
tischer Ausführung wie im Erechth. Wie in Hek. und Phoen.
ist die unmittelbare Verknüpfung der Rede mit der Situation
beibehalten, doch nirgends ist sie so lebendig wie hier: Iphi-
genie fällt Achilleus ins Wort; mitten im Vers beginnt ihre
Rede. Die Situation hat darin mit der der Menoikeusszene
Ähnlichkeit, daß auch Iphigenie zweierlei zurückweisen muß:
1. soll nicht das ganze Heer ihretwegen von großen Helden-
taten abgehalten werden, 2. hat auch sie das persönliche Opfer
eines andern abzulehnen. Daß das Zurückweisen Achills in
der Rede nicht genügt, sondern das Motiv im folgenden Dialog
nochmals aufgenommen wird, entspricht seiner großen dra-
matischen Bedeutung in dieser Tragoedie. Etwas erinnert dies
wieder an die Rede der Megara im Her. ; auch sie beginnt da-
mit, dem Chor für seine gute Gesinnung zu danken, aber seine
*) Über den häufigen Gebrauch der Trochaeen in den späteren Stücken
des Eur. Wilamowitz Her. I 145.
40 Johanna Schmitt
Hilfsbereitschaft lehnt sie mit demselben Argument ab wie
Iphigenie (Iph. 1370): rä 5* d5üvay njiTv KaprepeTv ou pa5iov, vgl.
Her. (282) : tu 5' dvayKaicü TpÖTTu os avTireivei, am\bw nyoüiiai ßpOTÜv
(vgl. auch Iph. 1395ff.; Her. 309ff.). Das ähnliche Motiv hat
hier also wiederum zu — vielleicht unbewußter — ÄhnHchkeit
der Ausgestaltung geführt.
Die kurze prothesis ist 1375 gegeben'). Daran schheßt
sich die probatio, die zunächst rein positive Argumente bringt.
Zuerst das agonale Motiv: ganz Hellas blickt auf mich (1377).
Es ist charakteristisch, daß dieser töttos auch wieder in der
Archidamosrede vorkommt: f\ yap 'EXKäs Träaa TrjSeTfi öpiirj eTrrjpKTai
Km TTposexei thv yvuiinv (Thuk. II, 11), in beiden Fällen also das
Bild des Wettkämpfers, auf den sich aller Augen richten. Das
nächste Argument eröffnet den Ausblick auf die Zukunft, in
der ihre Heldentat Früchte tragen wird: kein Barbar wird es
mehr wagen, eine griechische Frau zu rauben. Mit einem ähn-
hchen Ausblick schloß, wie wir sahen, die probatio der Praxi-
thearede (46 ff.). Auch der folgende Punkt: mein Leben ge-
hört als Koivöv ganz Hellas; ich selbst habe keinen Anspruch
darauf (1385 ff.), klingt stark an 38 dieser Rede an: rfiv ouk ejinv
oöv TvXnv <f)üaei Sucru KÖpqv. Andrerseits besteht auch etwas
Ähnlichkeit mit 996 der Menoikeusrede, wo aber die Prägung
individueller ist (s. oben 37).
Der erste Punkt der nun folgenden refutatio, die Antithese
der TToXXoi, deren Schicksal von der einen abhängt (1387—97),
ist auch schon in der Praxithearede vorgebildet. Doch während
dort vom „Tod" der vielen die Rede war, der durch das Opfer
der einen Jungfrau abgewendet werden kann (18), wird hier
das Motiv positiv gewendet und dadurch gesteigert, daß von
den „Heldentaten" des Heeres gesprochen wird, die erst durch
Iphigeniens Opfertod ermöglicht werden. Von diesen vielen,
deren Los in ihrer Hand Hegt, kehrt sie wieder zu dem einen,
zu Achill, zurück, dessen Leben nicht um eines Weibes willen
aufs Spiel gesetzt werden dürfe'). Das letzte Argument ist
M Wie im Erechth. hat sich Ennius auch in seiner Iph. im Motiv des
freiwilligen Opfertods an Eur. angeschlossen. Frg. 13 V. entspricht etwa Iph.
Aul. 1375 und 1503. Zu verbinden ist wohl damit das Cicerozitat Tusc. I 48,
116, s. Ribbeck, Rom. Trag. 103. ^) Zu 1394 s. Aisch., Hik. 476 f.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides . 41
wie immer das stärkste, auch hierin eng mit der Praxithearede
verwandt, daß es wie dort ein reHgiöses ist: ich darf mich
nicht dem Willen der Göttin, die mein Leben fordert, wider-
setzen (1395). Der em'XoYOS enthält wieder die feierliche ad-
hortatio zum Sieg wie in der Makaria- und der Praxithearede
(1398 — 1401). Am Schluß der Rede kommt die auch schon
vorher (s. oben 22 f.) angeschlagene panhellenische Tendenz
des Eur. mit aller Stärke zum Ausdruck: es wird gefordert,
daß die Barbaren den Hellenen immer unterworfen sein müssen
(1400): ßapßdpcüv "EXXr|vas äpxeiv eiKÖs, dXX' oü ßapßdpous, PHTep,
'EXXnvtüv TÖ [lev Y«P ßoöXov, oV 5' eXeuö'epoi. Dieser töttos hat starke
Berührungspunkte mit der Rhetorik und zwar wieder mit einem
eTnTd(j)ios. Gorgias soll in seinem 'ÜXuiittikös wie in seinem eTri-
Td(|)ios die Hellenen zum Krieg gegen die Perser aufgerufen
haben (Philostrat., vit. Soph. I, 9). Goßmann ') vermutet, daß
Eur. bei seinem e7nTd(j>ios auf die gefallenen Sieben in den Hik.
vom Gorgianischen eTriTd<|)ios beeinflußt sei. Wir haben hier
tatsächlich den Beweis, daß Eur. Gedanken aus Gorgias —
die natürlich in der Zeit lagen, hier aber ihre scharfe Prägung
erhielten — übernommen hat. In breiter Ausführung kehren
dann diese Ideen im Panegyrikus des Isokrates wieder.
Die Worte, mit denen der Chor jedesmal auf die großen
Entscheidungsreden antwortet, sind wieder ganz stereotyp; sie
enthalten immer einen Ausdruck der Bewunderung^), Herakl.
537 : TOüTwv ti's äv Xe^eie Yevvaious Xöyous jiäXXov, Hek. 379 : 5eivös
XapaKTfjp KdTriariiios ev ßpoToTs ecjö^Xüv yevea^ai, KaTti jiel^ov epxerai
Tfjs eöyevelas övoiia ToTaiv d^^iois, Iph. Aul. 1402: tö |jev aöv, w
veävi, Yevvaiws ex^i.
IV. Das retardierende Moment.
In allen Devotionsszenen macht die Person, welche dem
geforderten Opfer am nächsten steht, den Versuch, die Opfe-
rung zu hintertreiben, und sehr oft kehrt dabei das Motiv
wieder, daß sie sich stellvertretend zum Tod anbietet. Dieses
') Quaest. ad Graec. orationum funehr. fomiant pertinentes. Diss.
Jena 1908, 46.
*) Dieselben Verse stellt Firnhaber, Verdächtigungen eurip. Verse 25,
zusammen, um die Echtheit inhaltlich gleicher Verse zu beweisen.
42 Johanna Schmitt
„retardierende Moment" bringt die eigentliche dramatische
Bewegung in diese Szenen: durch den Hemmungsversuch wird
der Opfermut erst recht bestärkt.
In den Herakl. fällt diese Rolle dem lolaos zu. Die Re-
tardation ist hier sogar — entsprechend den etwas aufdring-
lichen Effektmitteln dieser Szene — verdoppelt. Gleich nach
Verkündigung des Orakels, also schon vor Makarias Auftreten,
bietet sich lolaos zur Auslieferung an Eurystheus an, um da-
durch die Sicherheit der Herakleskinder zu erkaufen (451 ff.).
An ihm, dem alten Freund des Herakles, werde Eurystheus
sicher gern seine Rache auslassen. In ganz ähnlicher Weise
begründet Hekabe ihr Anerbieten an Odysseus, die Griechen
möchten sie an Stelle ihrer unschuldigen Tochter als Toten-
opfer schlachten (382 ff.). Als Mutter des Paris sei sie die Ur-
sache des ganzen Krieges und verdiene den Tod daher weit
eher als Polyxena^). In der Hek. erhält das Motiv dadurch
weit größere Wirksamkeit als in den Herakl., daß Hekabe in
Anwesenheit der Tochter und erst nach deren großer Opferrede
mit ihrem Rettungsversuch hervortritt (382 ff.), so daß hier
Mutter und Tochter in Todesbereitschaft wetteifern.
An derselben Stelle wie in der Hek. — nach der ent-
scheidenden Rede — ist in den Herakl. das zweite retardierende
Moment eingefügt (543 ff.). lolaos kann und will das Opfer
nicht mehr hindern, aber er schlägt vor, um der Gerechtigkeit
willen das Los unter allen Heraklestöchtern entscheiden zu
lassen. Um so mehr wirkt dann die erneute Erklärung Ma-
karias, sie sterbe nur freiwillig, nicht gezwungen. Denn wenn
das Los sie treffe, sei keine xop'S mehr bei ihrem Sterben^)
(547 f.). Denselben Vorschlag des Losens macht Klytaemestra
in ihrer Verteidigungsrede für Iphigenie (Iph. Aul. 1197ff.).
Das ganze Gegenspiel der Klytaemestra hat natürlich eine weit
größere dramatische Bedeutung als die Hinderungsversuche in
den kurzen Opfer- „Szenen". In der Iph. stehen von Anfang
an die zwei feindlichen Parteien einander gegenüber. Dabei
*) Eur. läßt Hekabe also hier genau dasselbe Argument für ihre Schuld
gebrauchen, das ihr in den Troad. von Helena in dem berühmten dycöv (919ff.)
entgegengehalten wird. 2) In ganz ähnlichem Zusammenhang gebraucht
Praxithea das Wort xöpis im prooemium ihrer Rede Iff.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 43
ist mit großer Kunst vermieden, daß die Partei, welche das
Opfer fordert (das ganze Heer, an seiner Spitze Kalchas und
Odysseus), überhaupt auf die Bühne kommt'), doch greift sie
deshalb nicht weniger wirksam in die Handlung ein. Ein neuer,
vielleicht aber durch Erechth. und Phrixos ^ vorgebildeter Zug
ist die Gestalt des schwankenden Agamemnon. Ein stellver-
tretendes Opfer wird hier von niemand angeboten; an Stelle
dessen treten die Rettungsversuche Achills.
Nirgends wu-ken retardierendes Moment und Gegenaktion
des Helden so schroff gegeneinander wie in den Phoen. Das
Anerbieten des stellvertretenden Opfers ist hier nur ein kleiner
Zug in dem energischen Gegenspiel des Kreon, der das Orakel
ganz zu unterdrücken und den Sohn zu retten versucht. In
seiner Vaterliebe verzichtet er auf den Ruhm, sein Kind fürs
Vaterland hingegeben zu haben, dagegen ist er selbst zum Tod
bereit (968): auTÖs S*, ev upaiu yctp ecrra^ev ßi'ou, 9-vtiaKeiv eroiiios
irarpiSos EKAurripiov. Doch verweilt er nicht hierbei und trifft
alle Vorbereitungen zur Flucht. Wieder ist die Kürze, mit
der das Motiv abgetan wird, bezeichnend für den ganzen Cha-
rakter der Menoikeusepisode. Es ist hier wirklich nur eine
unpassende Wiederholung aus den Herakl. Denn da Kreon kein
rjö-eos (945)*) mehr ist, kann sein Opfer nichts nützen. Doch
wird dieser Widerspruch durch die Aufregung etwas ent-
schuldigt, in der er vorgebracht wird, so daß Kreon selbst und
auch der Zuschauer gar keine Zeit haben, sich die Unmöglichkeit
des Angebots klar zu machen. Wie in den Herakl. wird auch
hier das stellvertretende Opfer vor der Entscheidungsrede an-
geboten.
In ganz ähnlicher Weise hat Eur. dieses Motiv in der Iph.
Taur. verwendet. Auch hier erbietet sich der treueste Freund
— Pylades dem Orest — den Tod mit zu erleiden (674ff.) und
wird wie in den Devotionsszenen von Orest zurückgewiesen,
der dem Ende trotzig ins Auge sieht.
^) Mit Ausnahme des Menelaos, der aber auch seine Stellung ändert.
^) Über das retardierende Moment in diesen Tragoedien vgl. unten
65f.; 69. 3) 3 Robert a. a. 0. 418.
44 Johanna Schmitt
V. Die Abschiedsszenen.
Älmliche Motivwiederholungen wie bisher lassen sich auch *
in den drei Abschiedsszenen beobachten, in welche in Herakl.,
Hek. und Iph. Aul. die Devotionsszenen ausgehen. Aber trotz-
dem gerade hier naturgemäß die konventionellen und auch
schon vor Eur. angewandten Züge häufiger sind ^), zeigt doch
wieder jede ihr eigenes Ethos.
Eine Sonderstellung nimmt der Abschied Makarias ein.
Nur hier hält die Heldin vor ihrem Abgang eine längere Rede^),
in den beiden andern Abschiedsszenen tritt, was auch natür-
licher ist, die Stichomythie ein, wenn es an das letzte Abschied-
nehmen geht^). Eur., der die Sittsamkeit der Makaria stark
betont, läßt sie diese Haltung auch noch im Tod bewahren.
Sie bittet lolaos, ihr beizustehen und sie in seinen Armen
sterben zu lassen, und als der ganz gebrochene Greis ihr dies
abschlagen muß, will sie wenigstens unter Frauenhänden ihr
Leben aushauchen*) (565 f.). Ebenso dient zur Hervorhebung
dieses Gharakterzugs die Bitte an lolaos, ihre Leiche zu ver-
hüllen (561). Gesteigert ist das in der Hek., wo Polyxena sich
beim Fallen selbst bedeckt^) (569 f.). Der Dichter hat an diesen
beiden Stellen also die allgemein griechische Anschauung, daß
die Sonne den Tod nicht sehen soll, zu einer individuellen
Gharakterzeichnung benutzt^). Die Bitte der Makaria an lolaos,
1) Howald a. a. 0. 42 ff. Mader a. a. 0. 27.
^) Die Menoikeusszene scheidet hier aus, da Eur., um jede weichmütige
Stimmung zu vermeiden, den Menoikeus nicht eigentlich Abschied nehmen
läßt: Es ist hier alles auf die Tat, nicht auf die Stimmung, angelegt.
^) Groß, die Stichomythie, Diss. Berlin 1905, 74. Auch die Sterbeszene
des Hippolytos geht in eine Stichom. aus. tJber die Abschiedsszene der Al-
kestis, die viel Verwandtschaft mit den oben besprochenen hat, vgl. unten 73 f ,
*) Genau denselben Zug mit derselben Wirkung finden wir in Schillers
Maria Stuart V 9, wo Maria darum bittet, in den Armen ihrer treuen Amme
verscheiden zu dürfen. Vgl. bes.: , Nimmermehr Kann es der Wille meiner
Schwester sein, Daß mein Geschlecht in mir beleidigt werde, Der Männer
rohe Hände mich berühren."
^) Kiefer, Körperlicher Schmerz u. Tod auf d. att. Bühne, Diss. Heidel-
berg 1909, 58. — Eine Parallele zu Polyxena ist der sterbende Krieger bei
Tyrtaios 10, 23ff., s. Blümner, N. Jahrb. 1917, 509.
®) Auch Hippolytos' letzte Worte sind die Bitte, sein Antlitz zu ver-
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 45
die Brüder zu erziehen (575): eis tö ttöv oo(j)ous üairep oü, \Lr\bk\
^läXXov ist in dieser Form wohl sicher von Aias 550 abhängig:
u TraT, Y^voio Trarpös euTüxearepos, xä 6' oKX öjioios, Kai y^voi* äv ou
KttKÖs. (vgl. öpoios ~ üoTrep oü). Dann ermahnt sie ihn, seiner
Verzweiflung jetzt nicht nachzugeben, sondern tatkräftig die
Herakleskinder zu retten (577) : ireipw 8e awffai \ii] ^aveTv Trpö^uiios
UV aoi TtaTSes eapev, aaTv x^poTv Te^päppe^a. öpäs 5e Kotpe Tfjv epqv
üpav y&^ov 5i5oöcTav. Es ist an diesen Versen viel herumkonji-
ziert worden. Kirchhoff, dem Nauck folgt, hat 577 pn in Kai
(= Kamep) geändert. Zuletzt hat Neubauer') das überheferte
pn beibehalten, für Kdpe aber 5r|pe gesetzt (579): du siehst, daß
„bereits" ich ... Er begründet diese Konjektur mit der Behaup-
tung, Kctpe sei unpassend, weil lolaos ja garnicht sich „auch"
opfern wolle. Doch kann m. E. die Überlieferung gehalten
werden, wenn wir den — allerdings etwas verkürzt ausge-
drückten — Gedankengang folgendermaßen verstehen: Versuche
sie zu retten und wolle jetzt nicht sterben. (Dein Opfer muß
sein, trotz deines Alters und deiner Verzweiflung weiterzuleben.)
„Auch" ich bringe ja, wie du siehst, ein Opfer: ich sterbe frei-
willig trotz meiner Jugend.
Dann wendet sie sich an die Brüder und macht ihnen
die Größe des Opfers klar, das sie für sie bringt '^). Die fol-
gende Mahnung, lolaos und Alkmene immer zu ehren, ist eine
poetische Anwendung jenes bekannten griechischen Gesetzes,
das es den Kindern zur höchsten Pflicht macht, für die Eltern
zu sorgen ''). Für die Schwestern drinnen im Tempel hat Ma-
karia kein Wort des Abschieds. Offenbar hat Eur. diese He-
raklestöchter nur aus der Tradition übernommen — vielleicht
aus Aischylos' Herakliden — und sie im Verlauf des Dramas
vergessen wie Sophokles die homerische Iphianassa in der
Elektra. Makarias letzter Wunsch ist ein ehrenvolles Begräbnis
hüllen (1458). — Troad. 627 ist eine Wiederaufnahme des Polyxena-Motivs
aus der Hek., doch verhüllt hier Andromache die tote Polyxena, s. auch Aias
915. Über die religiöse Seite des Motivs Kiefer a. a. 0. lOö.
*) De interpolatione Heraclid. fab. Euripid. Progr. Nordhausen
1902, 11 ff. -) Ganz ähnlich mahnt Andromache den kleinen Sohn (414):
fjv 5' ün€K5pd|ii;is [löpov, jx^iJivnoo jinipös, ola lAäo' änajÄö^tiv.
3) Lipsius, Att. Recht II 343 ff.
46 Johanna Schmitt
(588ff.), das zum Heldentod gehört'). Besonders deutlich mochte
das Eur. in den Kriegsjahren geworden sein durch die großen
staathchen Epitaphien. Auch dieser Zug, die Sorge um eine
regelrechte Bestattung, wurzelt ja tief im griechischen Emp-
finden; er hat Stoff zu ganzen Dramen (Antig., Hik.) geliefert,
und auch sonst wird nie versäumt, die Bestattung ausführlich
zu behandeln '').
Daß Makaria trotz allem Heroismus die verlorene Ehe er-
wähnt, ist ein Zug, der in Todesszenen sehr häufig, in den
Abschiedsreden der Jungfrauen in allen Devotionsszenen
stehend ist, Herakl. 579: öpäs 8e Kdjie Trjv ejifiv üpav yocpou 6i5oö-
(rav ävii Tüv5e KaT&avoupevnv. 59 1 : Td5' dvTi 7rai5ü)v eaii jioi KeijinXia
Km TTapö'eveias ^). Hek. 416: avüii(j)os ävuiievaios, uv |i' expnv TuxeTv
Iph. Aul. 1398: taÜTa yap jivimeTd \ioü 8iä iiaKpoü, Kai iraTSes outoi
KQi yä\io\ Kai 5öV epH- Besonders lyrisch ausgestaltet ist die
Klage um die verlorene Ehe in der Antigone (810ff. 876. 917ff.).
Verwandt mit diesem töttos ist die Klage der sterbenden
Alkestis um die verlorene fjßti (288) : ou5' e<|)eiffdiiriv, nßns exouaa
6üp' ev oTs eiepTröjinv. Die pessimistische Schlußsentenz der
Makaria, die sich auch keinen Jenseitshoffnungen hingibt *) und
im Tod allein das KaKÜv (leyiaTov (j)dp|iaKov (595 f.) sieht, finden
wir ähnUch wieder in Aischylos' Hik. (802): tö yap ^aveTv eXeu-
^epoürai (j)iAaidKTcov koküv^). Es ist wohl möglich, daß Eur. den
TÖTTOS von hier übernommen hat, zumal wir schon manche
Beziehungen zu diesem Drama des Aischylos feststellen konnten.
Den Schluß der Abschiedsszene bildet eine Rede des lolaos, in
^) Schon die Ausführlichkeit, mit der die Bestattung hier behandelt ist,
konnte die Paroemiographen zu ihrer Erklärung des Sprichworts ßdAA' Is
MaKapiav veranlassen, s. unten 84 ff.
^) Die Frage des Begräbnisses hat auch im &pfivos eine große Rolle ge-
spielt, Kiefer a. a. 0. 47.
^) Eine fast ganze gleiche Fassung hat der tötios im Orest, in der Ab-
schiedsszene der Geschwister (1049): 5i aiepv' ä5eA({)fjs, öi (()iAov npöcTTTuyii* tjiöv
Td5' dvTi itaiScov Kai YOtlinAiou Ädxous.
*) Pirnhaber a. a. 0. sieht in dem Vers eV ti 5t) Kaiä xö'ovös eine Polemik
gegen Aisch. Hik. 230 u. 416, wo vom Totengericht im Hades die Rede ist.
Aber das ist doch wohl zu gesucht.
^) Firnhaber a. a. 0. 455, s. auch das ähnliche Frg. des aischyleischen
Philoktet 255N. : S frävaie naidv, pf] ji' ÖTtiidaris [aoAeiv jiövos yäp el ab tmv dvi]-
Kearcov KaKÜv iaipög, dAyos 5' oü5ev ÖTiTeTai veKpoö.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 47
der erMakaria versichert, daß sie stets TinitüTäin sein werde (598 ff.).
Hierin eine Anspielung auf den „Kult der Makaria" zu sehen,
die Pfister') in 598ff. und 588ff. finden will, ist mir unmöglich.
Hätte Eur. wirklich hier das aVtiov eines Makariakultes — den
es in Wirklichkeit nie gab (s. unten 85) — darstellen wollen, so
hätten die Bestimmungen viel konkreter sein müssen. Das
können wir aus der Ausführlichkeit, mit der solche aiTia immer
behandelt werden, mit Sicherheit schließen. Nie fehlt hier
Angabe des Lokals des Kultes und der Art der Verehrung").
Die Abschiedsszenen der Polyxena und Iphigenie sind so
ähnlich, daß sie sich in der Behandlung nicht trennen lassen.
In beiden bildet eine Stichomythie zwischen Mutter und Tochter
den eigenthchen Abschied. In der Hekabe geht voraus eine
längere Rede der Polyxena (402 ff.), dann folgt die Stichomythie,
die wiederum mit einigen zusammenhängenden Versen Polyxenas
endet. Den Schluß der ganzen Szene bildet eine Rede der
Hekabe (438ff.) entsprechend der des lolaos in den Herakl.
(597 ff.). Das Motiv, welches die Abschiedsrede der Polyxena
einleitet, finden wir in der Iph. am Schluß der Abschieds-
stichomythie: die Heldin sucht die verzweifelte Mutter zu be-
ruhigen (Hek. 402 : iinrep, m^oü poi, Iph. 1461: e|ioi, pHTep, tti^oü).
Die Situation ist in der Iph. Aul. umgekehrt wie in den
Herakl.: dort bittet Makaria den lolaos, sie zum Altar zu ge-
leiten, und er findet nicht die Kraft dazu. Hier wiU die ver-
zweifelte Klytaemestra ihr Kind selbst zum Altar begleiten und
muß mit Gewalt zurückgehalten werden. Auf jeden Fall muß
also dafür gesorgt werden, daß das feierliche Opfer selbst nicht
gestört wird.
Die Abschiedsstichomythie der Hek. hat durchaus lyrischen
Charakter; die todestraurige Stimmung ist von Anfang bis zu
Ende festgehalten. In der Stichomythie der Iph. Aul. wird
diese Einheitlichkeit nicht mehr erreicht, doch ist der äußere
Bau in seiner strengen archaistischen Stilisierung kunstvoller'').
^) ReliquieDkultI(R.G.V.V. V) 116. Ebenßowenig kann in den Mahnungen
Makarias an die Brüder, lolaos u. Alkmene immer zu ehren (5848.), eine An-
spielung auf deren Kult liegen. Sie wäre viel zu unbestimmt.
"-) Z. B. Medea 1379ff. Hippol. 1423ff. Her. 1325ff. Herakl. 1030 ff. usw.
») Groß a. a. 0. 57.
48 Johanna Schmitt
Der eigentliche Abschied der Polyxena beginnt mit dem Ge-
danken an das Tageslicht, das sie nun so bald verlassen soll
(411): WS ouTTOT* au^is, dXXä vöv TravoaraTov ccKtTva kukXov &' nXiou
TTposöilJopai. Und mit einem letzten Gruß ans Licht schheßt
die Stichomythie (435) : w <j)ws ' TrposeiTreTv yap oöv övoji' e.\eafi iioi,
lieTcaTi 6' ou5ev TrXfiv oaov xpövov ^i(j)ous ßaivw \iiTa\v kqi Trupäs
'AxiXXeüJS. Ein Abschiedsgruß ans Licht sind auch die letzten
Worte Iphigeniens, doch mit bewußter Amphibolie heißt es
hier (1506): XapTvaSoöxos diiepa Aiös re ^eyyos, erepov erepov aiüva
KQI iioTpav oiKtiaoiiev. xa^pe lioi, (j>iXov <J)äos '). Unter der erepa jioTpa
versteht Iphigenie natürlich das Totenreich, der Hörer ihr Los
nach der Errettung durch Artemis.
Die Anrufung des Lichts beim Abschied vom Leben ist
durchaus konventioneller Stil der Tragoedie: so die sterbende
Alkestis (244): "AXie Kai (j)dos äjiepas. Besonders ausgeprägt ist
dieser töttos bei Sophokles, am weitesten ausgestaltet wieder
in der Antig. (806): öpär' €|i* . . . vearov 5e (l)eYYOS XeOaaouoav
deXiou und (878): ouKeTi \io\ TÖ5e Xa|i7rd5os iepöv öiijia ^e|iis öpdv
TaXaiva. Im Aias ist es ein wirkliches Gebet an Hehos (856):
ae 8', u (j)aevvns niiepas tö vüv aeXas, Km töv 5i(|>peuTfiv "HXiov TVpos-
cvveircü, TravuffTaTOv ßf) koüttgt' aö^is uarepov. u ^eyYOS, w- yns iepöv
oiKcias ireSov k. t. X. Im Oed. Colon, ist der Anruf des Blinden
an das Licht besonders wirksam (1549): w <})üs a<|>eYY€S, irpöa^e
TTOu TTOT rja^ €|iöv, vöv 6' eaxaröv aov toüiiöv äTTTerai ßejias. Ebenso
ruft Oedipus im Oed. tyr. mit besondrem Nachdruck gerade
das Licht an, bevor er sich der Augen beraubt (1183): u (|)ü)S,
TeXeüTaTöv ae TrposßXeiliaiiii vüv. Dieser töttos ist die lyrische Aus-
gestaltung der so oft bei Homer vorkommenden Wendung vom
Schwinden der Sehkraft z. B. E 310: dii(|)i 8e baae KeXaivf] vb\
eKdXui|>ev ^). Aufgenommen hat Eur. die homerische Wendung
dort, wo er realistisch den Todeskampf schildert, Alk. (385):
KOI iifiv aKoreivöv öjijia poi ßapOverai, ähnhch in der Sterbeszene
des Hippolytos, zu der die der Alkestis überhaupt die Vorstufe
1) Über das typische xaipe der Sterbenden Kiefer a. a. 0. 102. — Ganz
ähnlich kehrt der Abschied vom Licht in Ricarda Huchs so ganz antik emp-
fundener Iphigenie wieder. — „Sanft wiederkehrende Anhänglichkeit an Leben
und Sonne" nennt es Schiller in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung
der euripideischen Iph. Aul. ^) Blümner a. a. 0. 505.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 49
bildet (1444)'): aiaT, kot' öaauv Kiyxavei ii' n5n aKÖTOS. Ferner in
der Sterbeszene des Polyneikes im zweiten Botenbericht der
Phoen. (1453): Kai xotipet' • fjSn yäp |je TrepipdXXei aKÖTOS. In ähn-
licher Wendung bringt diesen töttos Sophokles Trach. (1143):
ioü ioi) öucrinvos, o'i'xoiiai raXas, oXuX' öXcoXa, (j)€YYOS ouket' 'dem iioi.
Einmal finden wir den letzten Gruß ans Licht auch bei Aischylos,
beim Abgang der Kassandra, wo Helios zum Rächer aufgerufen
wird. Ag. (1323): 'HXiou 6* eireOxoiiai Kpös uaraTov (j)üs, toTs eiioTs
Tijiaöpois XP^os <j)OveD(Ti toTs epoTs rfveiv öpoö SoüXrjs ^avoütriis. Die
Abschiedsstichomythie der Hek. behält bis zum Schluß die
todestraurige Stimmung; aller Heroismus ist hier aufgegeben;
umso heller strahlt dann im ßotenbericht wieder Polyxenas
Heldenmut hervor. Hier kommt wieder mit aller Schärfe die
gegensätzhche Stimmung der verschiedenen Dramen zum Aus-
druck. Während Hekabe der Tochter an den Gatten und Sohn
im Hades die verzweifelte Klage mitgibt (423): ayve^^e rraaüv
a^XiuTdTnv Ejie, sucht Iphigenie der Mutter ihre freudige Be-
geisterung dadurch mitzuteilen, daß sie als letzten Gruß den
Schwestern sagen läßt, sie sollten um sie keine Trauerkleider
anlegen. Auch Polyxena gedenkt der Schwester beim Ab-
schied mit einem kurzen x^Tpe KaadvSpa t' enol (426) '^). Sehr
wirksam ist endlich die Erwähnung des Polydoros. Auf ihn
verweist Polyxena die verzweifelnde Mutter als den Trost, der
ihr noch bleibe, während der Zuschauer weiß, daß auch er
schon verloren ist'''). Den Abschluß der Stichomythie in der
Hek. bildet je eine 6-zeilige Rede der Polyxena und der
Hekabe*). Polyxena wie Iphigenie rufen endlich selbst nach
dem, der sie zur Opferstätte geleiten soll, Polyxena nach
Odysseus (432), Iphigenie nach den öiraSol des Vaters (1459);
ähnlich auch Makaria (528), aber schon am Schluß der Ent-
scheidungsrede. Wie lolaos bricht auch Hekabe nach dem
Abgang der Jungfrau im übergroßen Schmerz zusammen.
») Kiefer a. a. 0. 102.
") Sehr wirkungsvoll sind die letzten Grüße in der Abschiedsrede des
Aias: er bittet Helios, seinen Wagen über Salamis anzuhalten und den
greisen Eltern die traurige Botschaft vom Ende ihres Sohnes zu melden 846 fi.
^) S. Trautner a. a. 0. 40. *) Diese Gleichzahl ist sicher beab-
sichtigt. Daher kann ich Naucks Athetese von 441 ff. nicht billigen.
Religionsgüsctiichtliche Versuche u. Vorarbeiten XVil, 2. 4
50 Johanna Schmitt
Aber während lolaos' letzte Worte seine Ergebung in den
Götterwillen bekunden, faßt Hekabe ihre letzte Kraft zu einem
Fluch auf Helena, die Urheberin ihres Unheils, zusammen.
Wenn noch ein so elementarer Haßausbruch möglich ist, so
ist trotz allen Unglücks die Lebenskraft noch nicht gebrochen.
Auch dieser Zug wie der Hinweis auf Polydoros leitet zu der
furchtbaren Rache im zweiten Teil der Tragoedie über.
Die Abschiedsszene der Iphigenie ist in der Form am
nächsten mit der der Polyxena verwandt, in der Stimmung
mit der letzten Rede Makarias. An ihrer feierlich verklärten
Stimmung möchte Iphigenie auch die verzweifelte Mutter teil-
nehmen lassen: Sie soll nicht um sie weinen, auch keine
Trauerkleider anlegen (1439), ebensowenig die Schwestern
(1449)*). An dieser Wiederholung haben Wecklein, Weil und
England Anstoß genommen und den vermeintlichen Schaden
durch Tilgung von 1439, Wecklein durch Streichen von 1449—52
zu heilen versucht. Aber einerseits sind die Verse 1438/39
durch die Partikeln jijit'— |ir|T', andrerseits 1439/49 durch |iiiT*— iinS*
so eng verzahnt, daß jeder Vers für sich allein unverständlich
würde und in der Luft schwebte^). Auch in 1450: ei'TTu 8e
Trapöc aoö <j)IXov eTros ti irapö-evois; haben Wecklein und England
eine fälschliche Wiederholung von 1448: tI 6fi KaaiyviiTaioriv dy-
VeXw ae^ev; zu sehen geglaubt und daher 1449ff. (bezw. 1450 — 53
nach Naucks Zählung) gestrichen. Aber die Weisung, keine
Trauerkleider anzulegen, ist noch kein (J)iXov eiros, um das es
Klytaemestra zu tun ist. Also braucht man hi^r durchaus keine
Interpolation zu sehen. Zur Athetese von 1450 hat aber
hauptsächlich seine enge Verbindung mit den folgenden Versen
geführt, in denen Iphigenie vom kleinen Orest Abschied nimmt.
Diese Kinderrolle haben Wecklein und England (vgl. Anm. zu
465) ganz getilgt. Jedoch ist die Einführung von Kindern
gerade bei Abschiedsszenen ein — soweit wir sehen können,
seit Sophokles*) — mit Vorliebe gebrauchtes Mittel zur Er-
VÜber 1440—47 s. unten.
2) Die Anknüpfung des jin8' 1449 an 1437, die England annimmt, ist
unmöglich, weil die Verse inhaltlich zu verschieden sind, als daß der letzte
mit einem ,auch nicht" auf den früheren Bezug nehmen könnte.
') Abschied des Aias von Eurysakes, des Oedipus von den kleinen
Töchtern s. unten 73,2.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 51
regung des eXeos'). Der Abschied von Orest an unsrer Stelle
hat zudem eine genaue Parallele im Abschied Makarias von den
kleinen Brüdern. Hier wie dort (Herakl. 574ff. Iph. Aul. 1451)
mahnt die Heldin, die Knaben gut zu erziehen. Doch ist in
der Iph. das Motiv viel individueller gestaltet. Die Liebe der
ältesten Tochter zu dem kleinen nachgeborenen Bruder hat
schon einen etwas genrehaften Zug, der — wie ja manches
in diesem Drama — stark auf die neue Komoedie hinweist'').
Der hauptsächlichste sprachhche Anstoß der Abschiedsszene
mit Orest schien England die fast wörtliche Wiederholung von
1241 in der Bittrede: d8eA<j)e, jiiKpös jiev cru y' emKOupos (|)iAois, öiius
be auvödKpuffOv, in 1453: w (|)iXTaT', eTreKoupnffas, öorov eTxes (|»iXois.
Daß eine solche ausdrückliche Wiederholung seiner eigenen
Worte Eur. nicht fremd ist**), sahen wir oben S. 38.
Die Stichomythie geht in eine Monodie der Iphigenie über,
die teils eine Art Siegesgesang (1475): äyeTe (le TÖtv 'IXi'ou kqi
tppuyüv eXeTTToXiv, teils Hymnus auf Artemis ist. Die Anrufung
des Vaterlands am Ende des Gesangs ist ein Zug, den wir
häufig in den Abschiedsreden finden (1498): iu yä jiärep w
rieXaaY'a, MuKnvaTai t' eiiai ö'epdirvai. In einer lyrischen Partie
wie hier nimmt auch Alkestis von der Heimat Abschied (248) :
yaTd re kqi [leXd^pwv ariyai vu|i(j)i5ioi re KoTrai Trarpias 'IuXkoö.
Häufig hat Sophokles das Motiv in seinen Abschiedsreden,
lyrisch wieder in der Antig. (937) : u yn? ©nßns daru TTarpüov kqi
&eoi TrpoyeveTs, auch im Abschiedsmonolog des Aias (859): w yns
iepöv oiKeias 7re5ov ZaXa|jTvos. Verwandt damit ist auch der
Segenswunsch des Oedipus für Athen, den er vor seinem Tod
ausspricht (Oed. Col. 1552): dXXd, <j)iXTaTe ^evuv, auTÖs re x^pa ^
^) Haym, De puerorum partibus, Diss. phil. Hai. XIII, 235 ff. 289 ff.,
der ohne Eingehen auf die Echtheitsfrage die Rolle Orests in seine Behand-
lung einbezieht. — Vgl. auch Oeri a. a. 0. 30, 1 gegen Wecklein, Zeitschr. f.
österr. Gymn. 1878, 731 (mir nicht zugänglich).
2) Die Einführung des kleinen Orest in der Flehszene ist natürlich der
Gerichtspraxis entnommen. Doch paßt dieser Zug zu Eur., der ja in so
vielem „rhetorum discipulus" ist, vortrefflich. Kiefer a. a. 0. 61 vergleicht
Plat. Apol. p. 34eff. u. Äristoph. Vesp. 975ff. — Vgl. auch Lipsius, Att.
Recht II, 933.
") Schröder a. a. 0. 71 führt die Verse nicht an, hält sie also offenbar
für Interpolation. — Die Verbindung mKpös ^niKoupos ist belegt in Bakch. 1367 .
4*
52 Johanna Schmitt
fjSe TTpöaTToXoi re oroi eu5al|Joves yivo\a^e '). Und ebenso klingt der
pathetische Abschied des Polyneikes von Vaterland und Göttern
hier an (Phoen. 626 ff.): Tf|v 8e S-peil/acrdv |ie yoTav Kai ö'eoüs pap-
Tupopai US äTi|ios oiKTpä Trdorxwv e^eXauvojiai x^ovös k.t.X. Da wir die
TÖTTOi des Abschieds: letzten Gruß an das Licht und Anrufen
der Heimat gerade in den früheren Tragoedien des Sophokles
besonders ausgeprägt finden, wird man wohl schließen dürfen,
daß er in der Ausbildung des Abschieds-Ethos für Eur. Vor-
bild war.
VI. Der Ausklang der Devotionsszenen.
a. Heraklideu. Am Erhaltungszustand der Herakl. sind
seit G. Hermann Zweifel laut geworden. Die Annahme eines
größeren Ausfalls schienen in erster Linie folgende Gründe zu
rechtfertigen: 1) Im Verlauf des ganzen Stücks ist nach dem
Chorlied 608 ff. vom Opfertod der Makaria nicht mehr die Rede
bis auf eine unklare Andeutung; insbesondre erfährt Alkmene
nichts vom Tod der Enkehn. 2) Glaubte man aus der Angabe
der Hypothesis lauTiiv |iev oöv euyevws OTro^avoöaav €Ti|j»iöav einen
ausgefallenen Botenbericht mit ähnlichem Inhalt wie beim ent-
sprechenden der Hek. erschließen zu dürfen. 3) Haben wir
mehrere Fragmente, die teils mein' teils weniger sicher als zu
den euripideischen Herakl. gehörig bezeichnet werden, und die
im erhaltenen Drama nicht vorkommen. 4) Schien auch die
singulare Form der Parodos auf Überarbeitung des Stückes
hinzuweisen^). Unter Benutzung dieser Argumente versuchte
Wilamowitz *) die Rekonstruktion eines nach 629 ausgefallenen
Epeisodions. Jedoch soll dieser Teil nicht mechanisch durch
Blattausfall verloren gegangen sein, sondern durch eine „Schau-
spielerüberarbeitung" des 4. Jh.s, der dann auch die notdürftige
Einrenkung des nächsten Akts 630 ff. zuzuschreiben sei*). Ab-
^) Vgl. Verg. Aen. X, 781: et dulcis moriens reminiscitur Argos,
wozu Servius bemerkt: inter physica signa moriturorum etiam hoc
legitur patriae aspectum desiderare perituros, vgl. Blümner, N. Jb. 1919, 249.
2) Auf 3) und 4) kann ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen.
3) Herrn. 17, 337 ff.
*) G. Hermann nahm Verstümmelung am Schluß des Dramas an, Kirch-
hoff zu 629 und ihm folgend Bergk, Gr. Lit.-Gesch. IH, 526, 184 Ausfall
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 53
gelehnt wurde diese Hypothese von Wecklein') und Macurdy*),
doch haben diese beiden kleinen Aufsätze kaum Beachtung
gefunden , und die meisten neueren Arbeiten ^) operieren mit
der Wilamowitzschen Rekonstruktion fast, als ob sie Über-
lieferung wäre. Da die Frage für den Bau der Devotions-
szenen überhaupt wichtig ist und die genannten Aufsätze nicht
alle Punkte der Wilamowitzschen Hypothese berücksichtigen,
sei gestattet, genauer darauf einzugehen.
Schon das Ghorlied, das auf Makarias Abgang folgt 608 ff.,
hält Wilamowitz für verstümmelt, da es nur aus Strophe und
Gegenstrophe besteht, eine Epode oder ein zweites Strophen-
paar fehlt. Genau denselben Fall haben wir aber — und das
ist gerade für unsere Stelle nicht unwichtig — in dem Ghorlied
der Phoen. 101 9 ff. nach dem Scheiden des Menoikeus. Ähn-
lich, sind die beiden Lieder auch darin, daß hier wie dort erst
die zweite Strophe zum Lob des Helden übergeht, der Ghor
der Phoen. sogar erst in der zweiten Hälfte der Antistrophe.
Daß man ein ausführlicheres eyKwiiiov der Makaria erwarte, wie
Wilamowitz annimmt, scheint daher unbegründet*). Das Ghor-
lied Alkestis 435ff., das Wilamowitz heranzieht, kann nicht
verglichen werden, weil hier Admet ausdrücklich den Ghor zu
einem Preislied auf die Verstorbene auffordert, 423/24, das Lob
daher notwendig das ganze Lied ausfüllen muß. — Die größten
und nicht wegzuleugnenden Anstöße bietet der Anfang des
Epeisodions 630ff., besonders die Einführung der Alkmene. Ihr
Auftreten ist genau so sclilecht motiviert wie das der Makaria.
Im Folgenden sieht Wilamowitz im Vers des Trevearris (673) : Kai
8r] TrapfJKTai a^&y\a id^eojv eKds eine Anspielung auf Makarias
Opferung, die von dem ungeschickten Interpolator herrühre,
eines Epeisodions nach 629. Bergk vermutete als Inhalt des Botenberichts
die Einsetzung eines Quellenfests nach Pausan. I 32, 7. Ähnlich wie Wila-
mowitz auch Vonhoff, De lacunis quae exstant in Eurip. Heraclidls.
Progr. Cottbus 1872.
1) Bursians Jahresbericht 1882, 169ff. und Blätter f. d. bayr. Gymnasial-
schulwesen 1886, 19 ff.
2) Classical philol. I 1907, 299 ff.
*) Z. B. Howald a. a. 0. 43, Hof mann a. a. 0. 44 ff., Fischl De nuntiis
tragicis. Diss. Vindob. X 17 ff. Leo, Monolog 29, 2.
*) Wecklein a. a. 0. 20.
54 Johanna Schmitt
der das gewöhnliche KaXXiepnaai mit dem Opfer für Persephone
verwechselt habe. Doch ist hier wohl kaum an die Herakles-
tochter gedacht. Der Vers gibt einfach eine Zeitbestimmung
genau wie 399: ttöXis t' ev ottXois, o^äyiä ö-' iiTOi|iaa[ieva. Die ein-
zige Erwähnung des Opfertods geschieht im Botenbericht (819):
lidvTeis 8' e7rei5fi iiovoiidxoü 5i' damSos SiaXXayds eyvuaav ov reXou-
jievas, ea(j)a^ov, ouk ejieXXov, dXX' d(J)iecTav Xaiiiüv ßporeicov eu^üs oupiov
<|)övov^). Der Ausdruck ist mit Absicht so unbestimmt gehalten,
um einerseits keine Frage der Alkmene hervorzurufen, andrer-
seits aber den Opfertod doch auch nicht ganz zu verschweigen.
Es fragt sich nur, stammt diese Verwischung von Eur. selbst oder
vom (angenommenen) Interpolator? Wilamowitz mußte seiner
ganzen Hypothese gemäß das letztere annehmen. Die Grund-
lage für seine Rekonstruktion findet Wilamowitz im Vergleich
der Alkmene mit der Hekabe: Die Herakl. wie die Hek. enden mit
dem furienhaften Triumph einer Greisin über den unterlegenen
Feind. Unzweifelhaft waren hierin die Herakl. Keimzelle für
die Hek. Ob man darum aber die bessere psychologische Moti-
vierung und die größere Sorgfalt in der dramatischen Technik
einfach auch für das frühere Stück voraussetzen darf, wie
Wilamowitz es tut, ist doch fraghch. Der Haß der Alkmene,
meint er, mußte im ersten Teil seine Motivierung haben durch
den Tod der Enkelin, genau wie in der Hek. der der Heldin
im Tod der Tochter. Dabei läßt Wilamowitz aber außer acht,
daß Alkmenes Haß gegen Eurystheus ausführhch durch dessen
Ränke gegen ihren Sohn Herakles begründet wird (946 ff.),
so daß man eine weitere Motivierung nicht vermißt. Wila-
mowitz fordert also, daß Alkmene vom Tod der Enkelin in
einem Botenbericht Nachricht erhielt^). Doch sind zwei Boten-
reden in einem so dürftigen und besonders einem so frühen*)
Stück nicht wahrscheinüch ; denn in Dramen, die vor das
^) Gegen die von Wilamowitz behauptete Überarbeitung dieser Verse s.
Macurdy a. a. 0. 301.
2) Daß der Sprecher des Berichts nicht Demophon sein kann, legt Fischl,
der übrigens an der Annahme der Botenrede festhält, a. a. 0. 19 dar.
») Vor 427; vgl. Dieterich, Kl. Sehr. 380; Bergk, Gr. Lit.-Gesch. in,
519; Macurdy a. a. 0.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 55
Jahr 415 fallen, hat Eur., wie Rassow gezeigt hat'), nie zwei
Botenberichte eingeführt.
Der Hauptgrund für das Fehlen der Botenrede Hegt aber
im Stoff selbst. Eur. wollte allerdings den Opfertod verherr-
Hchen, aber er hätte iveinen reinen Eindruck hervorgerufen,
wenn er die Abschlachtung selbst, die doch immer etwas Bar-
barisches behält, vor Augen geführt hätte. In der Hek., wo
der Heldenmut der Polyxena mit der Rohheit des ganzen Ge-
schehens kontrastieren und der Gesamteindruck des Berichts
ein niederdrückender sein soll, konnte er das wagen und ebenso
wahrscheinlich in der Iph. Aul, wo das Wunder dazwischentrat.
In den Phoen. , für welche die Herakl. das formale Vorbild
sind, wird der Bericht über den Opfertod genau so kurz ab-
getan 1090ff.^). Wilamowitz postuhert ferner einen dywv Xöyuv
zwischen Alkmene und lolaos, der auf den angeblichen Boten-
bericht folge, und in dem Alkmene die Stimme der Mensch-
Hchkeit vertrete, lolaos das Interesse der Herakliden, also die
Berechtigung des Opfers. Doch hat Wecklein mit Recht be-
tont, wie unwahrscheinlich das bewußte Streichen einer so
hochdramatischen Szene wäre. Wenn man ferner die Be-
dingungen dieser angenommenen Szene überlegt, so wird ihre
UnmögHchkeit immer klarer: 1) Die Verhälthisse Hegen in
der Hek., von der Wilamowitz ausgeht, anders als hier. Dort
ist der Opfertod ein verbrecherischer Mord, hier eine Helden-
tat. Es wäre daher unpassend, wenn Alkmene gegen ihn
polemisierte, zumal er doch aUein die Rettung der übrigen
Herakleskinder ermöglicht. 2) Ein dywv Adycov hat nur vor der
Entscheidung Sinn, hier käme er post festum; Makarias Tod
ist unabänderlich. 3) Der altersschwache lolaos als Verteidiger
des Opfertods in einem hitzigen Wortgefecht ist undenkbar.
4') Der Inhalt des dytiv müßte auf eine Wiederholung des schon
von Makaria 500 ff. Gesagten hinauslaufen. 5) Endlich sind
zwei Agone in diesem sonst so dürftigen Stück kaum anzu-
^) Quaest. seleciae de Eurip. nunt. narrat. Diss. Greifswald 1883, 18 ff.
2) Wecklein a. a. 0. 20. Warum die Stelle aus den Phoen. hier nicht
•verglichen werden kann, und warum der Opfertod des MenoLkeus weniger
wichtig sein soll als der Makarias, wie Fischl a. a. 0. 18 behauptet, ist nicht
einzusehen.
56 Johanna Schmitt
nehmen. Es bliebe also nur die Möglichkeit, daß ein Kommos
zwischen Alkraene und Chor ausgefallen ist, in dem Makarias
Tod beklagt wird. Aber ein solcher Kommos — FischP) ver-
gleicht den aus der Androm. 1166ff.; auch Hik. 778 ff. heße
sich heranziehen — pflegt immer einen Botenbericht als Basis
zu haben, und ein solcher ist, wie wir sahen, hier ausge-
schlossen. Zudem müßte die Orientierung der Alkmene durch
den Chor oder lolaos, die vor dem Kommos notwendig wäre,
unerträgHche Wiederholungen bringen. Es bleibt uns also
nichts übrig als die Schwierigkeiten und Schäden der Kom-
position hinzunehmen, ohne sie durch weitläufige Hypothesen
noch zu vermehren. Das Drama war eben, wie Wilamowitz selbst
sagt, „Gelegenheitsstück" und als solches nur für den Augen-
blick und ohne Sorgfalt gearbeitet'). Eur. woUte nach Ma-
karias Abgang die iierdßaais zum Guten radikal durchführen
und keine Trauer mehr aufkommen lassen. Das hat schon
Härtung") ganz richtig formuliert: ,,Et Macariae quidem, posf-
quam de scaena abiü, nulla anipUus inicitur menüo (neqiie quo-
modo immolata vel quomodo sepulta vel quinam defunctae honores
instituti sunt) exponitur: et rede quidem. Neque enhn luctibiis
locus dahatur in summa eventus felicitate."
b. Hekabe. Im Gegensatz zu den Herakl. ist die Polyxena-
szene auch mit dem folgenden Teil des Dramas fest verzahnt.
Nach Pol}Tcenas Abgang stimmt der Chor ein Lied an, das
sich mit der Frage beschäftigt, wohin das Schicksal ihn in die
Sklaverei führen werde. Eur. hat hier das im ganzen Alter-
tum so beliebte Motiv der geographischen Aufzählung einer
langen Reihe von Gegenden und Orten verwendet, das in den
Troades 202ff. und 1091 ff. wiederkelirt. Schon G. Hermann*)
hat den Dichter getadelt, weil mit keinem Wort in diesem
Lied der Polyxena, ihres traurigen Schicksals und ihres Helden-
muts gedacht ist, während bei keiner der andern Opferszenen
ein solches Lob des Helden nach seinem Abgang zum Tode
fehlt. Von der Erinnerung an derartige eyKwiiia ging wohl
1) A. a. 0. 18. ') Auch aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich,
daß es nochmals im 4. Jh. einer Neubearbeitung unterzogen wurde, vgl. Ma-
curdy a. a. 0. 300. '') Euripides restitutus I 308.
*) Praefatio zur Hek. XVI.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 57
auch der Scholiast aus, wenn er zu 444 schrieb: toö 'OSuaaecüs
XaßövTOS Tfiv rioXu^evnv kqi otTrepxoiievou dvaKXalerai auTf|v 6 xopös
6iä TÖ ä5nXov Kai tö jifi ei5evai, ri jieXXei aürn Tra&eTv. Das Scholion
mag ursprünglich gelautet haben: dvaKAaierai aÖTqv 5iä tö abr\kov
Kai TÖ [ifi eiSevai, Ti peXXei ami\ ira^eTv, wozu als Subjekt ein kol-
lektives Femininum Singularis gedacht wurde. Diese Annahme
erleichtern die ein paar Zeilen weiter unten folgenden Worte
des Scholions: ottö cvikoü Sc 6nXoT Ttdaas tos y^vaTKas ö TroiriTiis.
Der Scholiast übernahm also selbst diesen Singular. Dazu
fügte dann wohl ein späterer xopös als Subjekt, aber ohne
Änderung der Femininpronomina'). Hieraus entstand endhch
durch falsche Beziehung auf Pol3^xena die jetzige Form des
Scholions. Ganz fehlt übrigens die Bezugnahme auf Polyxena
im Ghorhed nicht, wie Hof mann') gezeigt hat: erst durch Poly-
xenas Opferung ist die TrovTiäs aüpa entfesselt, vgl. 1 1 1 ff., und
am Schluß sagt der Chor mit deutlicher Bezugnahme auf Poly-
xenas Schicksal: ich tausche für Tod (in Freiheit) die Knecht-
schaft ein (481 ff.). Ein Preislied auf Polyxenas Heldenmut
hat aber Eur. hier vermieden, weil an dessen Stelle der Boten-
bericht des Talthybios tritt.
Lehrreich ist es zu beobachten, wie Eur. in dieser Er-
zählung des „humanen" Herolds sich an die Schilderung des
Iphigenienopfers im ersten Ghorlied des Agamemnon angelehnt
hat. Einig ist er mit Aischylos in der unbedingten Ver-
dammung der unmenschlichen Handlung. Eine Steigerung
über Aisch. hinaus ist, daß er nicht nur die Schönheit der
Jungfrau dem grausamen Geschehen entgegensetzt, sondern
ihren erhabenen Heldenmut über Todesfurcht und Schicksal
triumphieren läßt. Wie bei Aisch. die äoCoi (231) Iphigenie zur
Opferstätte schleppen, so wollen bei Eur. die e'KKpiTOi veaviai
(525, 545) Polyxena ergreifen, als sie in fast fieberhaft eksta-
tischer Erregung sich losreißt und an den einen Gedanken
klammert, frei zu sterben, 548 und besonders 550: eXeo^epav
8e \l\ US eXeu^epa ^dvu, Trpös ^eüv pe^evTes KTeivaT'* ev veKpoTai y«P
6ouXn KCKXfja&ai paaiXis ova aiaxüvopai. Einen sehr starken An-
klang an diese Verse zeigen die Worte des zum Tod bereiten.
1) Schol. Hek. 629 lautet: ö xopös 4auTÖv ävaKÄaierai. ^) A. a. 0. 71 ff.
58 Johanna Schmitt
Orest (Or. 1167): 'Ayaiiejivovös toi TvaTs 7re(j)üx' . . . öv ou KQTaiaxuvü
ßoüXov TrapacTxwv ^ävarov, aXX eXeu^epcos ^vy^i\v ä^r\a(ji.
Die Mittel, die Eur. anwendet, um die Schönheit der
Jungfrau in wirksamen Kontrast zu der rohen Opferhandlung
zu setzen, hat er ganz von seinem Vorgänger entlehnt. Wie
dort das Gewand der Iphigenie unter den Händen ihrer Schlächter
herabgleitet und so ihre Schönheit sichtbar wird (239 ff.): Kpö-
Kou ßa(})äs eis iribov x^oucra, so zerreißt bei Eur. die todesmutige
Polyxena selbst ihr Kleid, um die Brust zum Todesstreich frei
zu machen (558): Xaßoüaa TreTrXous e^ ÖKpas el^uiiiöos eppri^e Xa-
yövos €19 jieaov irap' 6|j<t)aXöv, {laarous 5' 'ibe\\e arepva ^' ws dyäX-
jiaTOS KdXXiorra. Auch dieser letzte Vergleich der Schönheit der
Jungfrau mit einem Bild stammt aus Aisch.^). Dort ist er aber
weit treffender, da Iphigenie der Mund mit einem Knebel ver-
schlossen ist und sie nur wie ein stummes Bild mit den Augen
flehen kann (241): TrpeTrouad &' ws ev YPCKt*^^?? TrpoaevveTreiv &€Xouff*.
Das Wort ayaXjia (560) stammt wohl auch aus diesem Ghor-
lied des Aisch. (207) : ei tckvov SaT^w, 6ö|iuv äyaXiia. — Die letzten
Worte der Polyxena (563): ißou, tö6' ei jiev aiepvov, w veavia,
Traleiv Trpoö'uiieT, TraTaov, ei 6' utt' auxeva xpil^eiS, Träpeari Xaijiös euTpeTrfis
66e enthalten wieder einen starken Anklang an die Stelle des
Herakles, wo Amphitryon sich dem Lykos zum freiwilligen Tod
darbietet (319): i5ou irdpeaTiv fjöe ^aayavta Sepr] KevieTv <t)Ovei)eiv,
ievai Trerpas otto und ebenso an Andromache, die, um das Leben
des Kindes zu retten, freiwillig den Tod wählt (411): i5oü Trpo-
XeiTTti) pwjiöv fj8e x^'pia a(|)d^eiv, (J)oveüeiv, 8eTv, dTrapTfioai 5epriv. Die
ähnliche Situation führte Eur. also wiederum zu ähnlicher Ge-
staltung.
Beim Höhepunkt des Botenberichts, wie selbst den un-
barmherzigen Neoptolemos in dem Augenblick, wo er zustoßen
will, Mitleid mit der heldenhaften Jungfrau erfaßt (566): ö S'
ou ^eXüJv re Kai &eXwv o'i'ktcü KÖpiiS reiivei oi5r|ptü TTveuiiaros 6iappods
erinnert man sich unwillkürlich an die schöne rotfigurige Schale^,
die Penthesileas Tötung durch Achill darstellt, und auf der
dieses oü &eXeiv re Kai ^eXeiv einen ergreifenden Ausdruck findet.
Die Darstellungsmittel sind in diesem Bild wie in der Euri-
^) "Wecklein zu Agam. 251. ") Furtwängler-Reichhold T. VI.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 59
pidesstelle karg und fast altertümlich gebunden, darum aber
umso stärker wirkend.
Alle Erwähnung, die nach dem Botenbericht noch der
Polyxena geschieht, dreht sich um ihre Bestattung. Schon am
Schluß seiner Rede berichtet Talthybios das dTri^avov, daß die
Griechen selbst voll Mitleid wetteifernd das Leichenbegängnis
der heldenkühnen Jungfrau vorbereiteten. Hekabe, durch den
Bericht von der edeln Haltung der Tochter etwas in ihrem
wilden Schmerz besänftigt (591): tö 5' au Xi'av TrapeTAes äyye'kH'iaa
poi Y^vvaTos rafft sich soweit auf, daß sie ihr eine Art e7nTd<j)ios
halten kann*), der aber hier gleich zu echt euripideischen Ge-
meinplätzen abbiegt. — Im weiteren Verlauf des Dramas wird
Polyxena nur noch kurz erwähnt 726 ff. und 894 ff. Beide Male
handelt es sich um ihre Bestattung.
In einem frostigen Wortspiel ist das ganze Motiv der
Polyxenaopferung in den Troades verwendet 260 und 624^).
Von einem freiwilligen Tod ist hier keine Rede mehr. Nur
ein Motiv aus der Polyxenaszene der Hek. hat Eur. hier auf-
genommen: das Bedecken der Leiche'). Polyxenas Tod wird
in den Troades hierauf die d(j)op|Jiri für die lange p^ais der An-
dromache, deren Quintessenz ist (637): toü ^fjv 5e XuTrpws KpeTaaöv
eoTi KaTÖ'aveTv, also wieder ein Motiv, das wir aus den Reden
einer Makaria und Polyxena zur Genüge kennen. Auf den
weiteren Verlauf der Troades bleibt Polyxenas Tod ganz ohne
Einfluß.
c. Phoenissen. Beim Ausklingen der Menoikeusepisode
begegnen wir wieder manchen, teils aus den Herakl. teils aus
der Hek. schon bekannten Zügen.
Nach Menoikeus' Abgang singt der Chor ein Lied, das
zunächst auf die vergangenen Geschicke Thebens eingeht, erst
im zweiten Teil der Antistrophe ein eyKtüiiiov des Menoikeus
bringt, der als zweiter Retter der Stadt in whksamen (wenn
auch nicht ausdrücklich erwähnten) Kontrast zu Oedipus ge-
stellt wird*). Im allgemeinen haben wir hier also dieselbe An-
*) Ähnlich wie in den Troades 1156 ff. nach dem Tod des kleinen Astyanax.
2) Vgl. Trautner a. a. 0. 31. «) Vgl. oben 44.
*) Härtung a. a. 0. II 458. Über den Tadel des Schol. 1019 und neuerer
Erklärer s. die treffende Zurückweisung Hofmanns a. a. 0. 85 ff.
60 Johanna Schmitt
läge wie in den Herakl. Wie dort wird darauf Monoikeus'
Tod im Botenbericht kurz mit einem Nebensatz abgetan
(1090 — 92). Es ist charakteristisch für den Stil des Berichts,
wie Menoikeus hier in ge v/issermaßen epischer Weise schon
unter die historischen Heroen Thebens aufgenommen ist: . .
KpeovTOs 7ra7s, ö yr\s uTrepS-avcov. Aber auch die ganze Situation
ermöglicht kein näheres Eingehen auf Menoikeus' Tod: der
Bote kann der ängstlich gespannten lokaste, die nur das Schick-
sal ihrer Söhne wissen will, nicht erst ausführlich vom Orakel
des Teiresias, dem Entschluß des Menoikeus und seiner Aus-
führung erzählen, bevor er zur Schlacht und den Oedipus-
söhnen übergeht. Ebensowenig nehmen wir daran Anstoß,
wenn lokaste auf Menoikeus' Tod kaum eingeht, sondern nur
in wenigen Worten ihr Mitleid mit dem Bruder ausspricht
(1204 ff.), um dann sofort wieder auf die eigenen Kinder zurück-
zukommen. Der Tod des Menoikeus leitet die große Kata-
strophe des thebanischen Königshauses ein, die vier Opfer
fordert, die Verbannung des unglücklichen Oedipus nach sich
zieht und endlich noch das Schicksal der Antigene in der
Ferne zeigt.
Die Totenklage um Menoikeus fällt dem Vater zu, der
lokaste bittet, seinem toten Sohn die letzten Dienste zu er-
weisen (131 7 ff.). Dieses Motiv hat Eur. aus der Hek. über-
nommen: wie dort Talthybios die Hekabe, so will hier Kreon
die lokaste zur Bestattung des Geopferten holen. Doch kommt
der Schmerz des Kreon garnicht zum vollen Ausklingen. Nur
ein eindrucksvolles Bild sehen wir vor uns: den Vater mit dem
toten Sohn im Arm (1315ff.). Das erste Wort, das Kreon nach
der Klage um Menoikeus spricht, ist das grausame Verban-
nungsurteil über den blinden Oedipus (1585 ff.) und dann das
Bestattungsverbot an Antigone: Kreon ist also plötzlich zu dem
aus Sophokles' Antig. bekannten Tyrannen geworden. Menoi-
keus ist in diesem Schlußteil völlig vergessen. Den Klagen
um seinen Tod ist daher wohl auch deshalb nur so wenig
Raum gegeben, damit die plötzhche Umwandlung des Kreon
vom leidgebeugten Vater zum finstern Tyrannen nicht zu
grell beleuchtet wird*).
^) Lindskog, Studien zum antiken Drama 1492.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 61
d. Ipliigenie. Von den Verteidigern der alten Hypothese,
daß uns in dem Frg. bei Aelian n. h. VII 39: eXa<j)Ov 8' 'Axaiwv
Xepaiv ev^rjaw ^iXais Kepovaaav fjv (i(j)ä^ovT£s auxrjaouai ai\y a^ayei\
^uyaTepa ein Stück aus der Rede eines deus ex machina er-
halten sei, die an der Stehe des jetzigen Botenberichts ge-
standen habe, ist, wie mir scheint, die Schwierigkeit nicht
genügend berücksichtigt worden, daß wir bei dieser Annahme
den ganz singulären Fall einer Tragoedie mit nur ganz kleinem,
unbedeutenden Botenbericht hätten (414ff.)'). Girard '') hat
nun den Versuch gemacht, das Aelianfragment vor dem er-
haltenen Botenbericht einzureihen. Die Botenrede gäbe dann
gewissermaßen die Erklärung der von Artemis gemachten An-
deutungen, denn die Göttin „ne precisait rien"^). Jedoch gerade
nach dem Bericht in seiner erhaltenen Gestalt bleibt uns das
Schicksal der Heldin vöUig unklar, ein Eindruck, mit dem Eur.
sonst nie seine Zuschauer entlassen hat. Ferner macht sich
Girard selbst den schwerwiegenden Einwand, daß die Menschen
sich auf die Worte eines deus ex machina hin immer zufrieden
äußern, Klytaemestra hier aber bis zum Ende untröstlich bleibt.
Betrachten wir dagegen den erhaltenen Schluß der Tragoedie,
den neuerdings Oeri*). nach Weils Vorgang verteidigt hat, so
kommen wir wiederum nicht über die größten Schwierigkeiten
hinweg. Die Anldänge dieser Botenrede an den Opferungs-
bericht aus der Hek., die England zusammengesteUt hat und
die sich leicht noch vermehren ließen^), sind — wenn man
auch Eur. die weitestgehende Motivwiederholung in den Opfer-
ungsszenen zugesteht — doch zu sklavisch, als daß sie von
ihm selbst stammen könnten. So wörtlich hat er sich doch
nicht ausgeschrieben^). Besonders die ungeschickte Aufnahme
der Rolle des Opferers Neoptolemos in der Hek. durch Achill
in der Iph. Aul. ist trotz Oeris Verteidigung unerträglich^).
*) Wenn er auch in der echten Fassung besser war, so ist auf jeden
Fall sein Inhalt zu unwichtig, um den alleinigen Botenbericht zu bilden.
^) Revue des etudes grecques XVII (1904), 149 ff.
8) A. a. 0. 175. ■») A. a. 0. 19 ff.
^) Einleitung zur Ausgabe der Iph. Aul. 27 ff. und vor ihm Hennig De
Iph. Aul. forma Diss. Berl. 1870, 185 ff.; Paley Eurip. III, 547. Kjellberg
Real.-Enc. IX 2, 2614. «) Vgl. besonders Hek. 549 ~ Iph. Aul. 1560.
') Hennig und England a. a. 0.
62 Johanna Schmitt
Ferner hat der verhüllte Agamemnon (1550) doch wohl
das berühmte Timanthesbild zur Vorlage, denn die Darstellung
des Schmerzes durch Verhüllen ist ein zunächst für das Auge,
nicht für das Ohr berechnetes Motiv. Endlich hat E. Müller ')
mit Recht geltend gemacht, daß keine Tragoedie des Eur. mit
einem Botenbericht ende. Aber Müller nimmt die alte Hypo-
these des deus ex machina nach dem Aehanzitat wieder auf
und fordert als Inhalt dieser Artemisrede die Verkündigung
der Taurischen Priesterschaft der Iphigenie. Damit verfällt er
in den alten Feliler, die Iph. Aul. der Taur. anzupassen. Daß
die traurige Verbannung der Iphigenie nach Tauris nach Versen
wie 1441, 1443, 1445, 1508 ein höchst unwahrscheinlicher
Schluß wäre, hat Oeri^ richtig hervorgehoben.
Wir können aber sogar aus dem echten erhaltenen Teil
noch erkennen, wie Eur. in der Iph. Aul. das Schicksal seiner
Heldin sich gedacht hat. In der Abschiedsstichomythie be-
trachtet Iphigenie selbst ihr Sterben nicht als gewöhnlichen
Tod; kein Tuiißos wird ihr errichtet werden, sondern: ßuiiös
&eäs iioi iivrjjia Tfjs Aiös KÖpns (1445). In diesem amphibohschen
Vers scheint mir der Beweis zu Hegen, daß Iphigenie für ihre
Heldentat vergöttlicht wurde*), sei es nun als Hekate oder als
"ApTejiis 'l(|)iYeveia*). Da Iphigenie im Grund wesensgleich mit
Artemis ist, so kann der Altar der Göttin auch ihr eigenes
pvniia genannt werden^). Ein Schluß der Iph. Aul., der der
euripideischen Technik entspräche, wäre daher etwa folgender^) :
nach Iphigeniens Abgang sinkt Klytaemestra im Schmerz zu-
^) De deorum partibus tragicis RG.V.V. VIII 74.
2) A. a. 0. 25. Doch kann ich ihm keineswegs in der völlig subjek-
tiven Behauptung beistimmen, daß die Iph. Aul. nicht nach der Iph. Taur.
verfaßt sein könne.
^) Vgl. die ganz ähnlichen Verbindungen von „Altar" und , Grabmal"
bei Simonides frg. 4, 3 Bergk: ßtoiiös 5' 6 Tä(t>os, npö yöuv 5e iiväoTis, 6 5' oIktos
fe'naivos und Aristophanes Thesmoph. 887: KaKf] KaKcös räp' e^^öAoio KÖ^foXeT, ootis
Y€ ToA^ös cfiiia TÖv ßü)|JÖv KaAelv.
*) Vgl. Hesiod frg. 100 Rzach = (Stesichoros frg. 38 Bergk) und Hesych
s. V. ■|(t>iY^veia.
^) Eine Parallele dazu ist der KaraoTepioiiös und Kult der Erechthiden
am Schluß des Erechth. vgl. unten 68 f.
6) Ob Eur. selbst allerdings noch zur Ausführung eines solchen Schlusses
kam, können wir nicht beweisen.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 63
sammen wielolaos undHekabe an den entsprechenden Stellen').
In dem jetzt Erhaltenen ist ihr Abgang überhaupt nicht kennt-
Hch gemacht. Der Bote ruft sie 1532 aus dem Zelt, ohne daß
wir hörten, wann sie hineingegangen ist. Darauf setzt ein
Chorhed ein, das Iphigeniens Entschluß preist, entsprechend
dem in Herakl. und Phoen. Das erhaltene Lied (lölOff.) ist
in dieser Form kaum echt. Dann folgt ein Botenbericht über
die Opferung, bei dem aber Ipliigeniens Verschwinden noch
im unklaren bleibt. Dem Nachdichter mögen Notizen des
Eur. vorgelegen haben, an die er sich wenigstens im großen
und ganzen hielt. Um das Rätselhafte dieses Verschwindens
und die daraus entstehende Verwirrung aufzuklären, müßte
am Ende Artemis als deus ex machina erscheinen, die Ent-
rückung der Iphigenie erklären und ihre VergöttHchung mit-
teilen. Technisch entspräche dieser Schluß genau dem in
Iph. Taur. und Helena").
VII. Das Motiv des freiwilligen patriotischen
Opfertods in den Fragmenten,
a. Erechtlieus. Nicht sehr lange nach der Hek. hat Eur.
das Motiv des freiwilligen Opfertods wieder auf die Bühne ge-
bracht: im Erechtheus. Diesmal wird er als patriotische Tat
verherrlicht; die Opferidee ist also den Herakl. gegenüber, wo
durch den Tod der Makaria nur die Rettung des Geschlechts
erreicht wurde, erweitert und gehoben''). Eur. konnte mit
diesem Motiv im Erechth. auf eine attische Sage zurückgreifen,
hat aber durch eine durchaus freie Gestaltung der alten Sa2:e
1) Vgl. Girard a. a. 0. 174.
2) Das Aelianfragment, welches zudem in seinem Sprachgebrauch un-
euripideisch ist (vgl. Oeri a a. 0. 20), muß hier aus dem Spiel bleiben. Von
wem es stammt, ob von dem jüngeren Eur., wie Oeri 31 will, oder über-
haupt einem andern Tragiker — so daß Aelian in der Namensangabe irrte
— wissen wir nicht. Daß es relativ früh ist, beweist die Anspielung des
Aristoteles poet. c. 25 eAanov yäp (sc. tö 4|iäpTn(ia) ei \ii] fjSei, öti eAa<|)os ^nAeia
Kepata oük ?x«i.
") Der Opfertod für die engere Heimat wie hier ist in der Menoikeus-
episode beibehalten. Die Iph. Aul. mit ihren panhellenischen Tendenzen — hier
wird das Opfer für ganz Hellas dargebracht — steigert das Motiv abermals.
64 Johanna Schmitt
eine ganz neue Seite abzugewinnen verstanden. Die heroische
Rolle fällt hier nicht dem Opfer selbst zu, sondern der Mutter
des geforderten Mädchens, die aus freien Stücken ihr Kind
fürs Vaterland hingibt'). Wir müssen uns die Tendenz des
Erechth. aus der Zeit seiner Aufführung klar machen. Durch
Plutarchs Nik. 9 ist er vor den Nikiasfrieden datiert. In dem
dort zitierten Friedenslied, dessen ganze erste Strophe uns bei
Stobaeus^) erhalten ist, spricht deutlich die Friedenssehnsucht
des ausgehenden Archidamischen Krieges, die wir so gut aus
der aristophanischen Eipjivri kennen lernen. Daß aber Eur.
keinen Frieden um jeden Preis wollte, daß er ihn nur wünschte
nach einem, wenn auch mit schweren Opfern errungenen Sieg,
das zeigt die Behandlung des Opfermotivs in diesem Stück.
Der ganze Erechth. war gedacht als patriotischer TTpoTpeirTiKÖs *).
Wilamowitz wollte ihn mit den Hiketiden in dieselbe Trilogie
setzen*). Doch scheint mir dies gerade aus den von Wilamowitz
vorgebrachten Gründen unwahrscheinlich. Die weitgehenden
Motivübereinstimmungen '^^ sprechen eher dagegen als dafür,
daß sie Eur. seinem Publikum am selben Tage vorsetzte —
sowenig wie Iph. Taur. und Helena zur selben Trilogie ge-
hören. In zwei aufeinanderfolgenden Jahren dagegen (422 und
421) lassen sich die Stücke sehr gut denken: Eur. nahm noch
einmal das Motiv auf, mit dem er im vorhergehenden Jahr
Erfolg gehabt hatte. — Wir wollen versuchen, festzustellen,
was sich über das Opfertod-Motiv in diesem Drama ermitteln
läßt, und welche uns schon bekannten Züge wir auch hier
wiederfinden. Ob der Opferung der Erechtheus-Tochter nur
eine Szene gewidmet war wie in den Herakl. und Phoen. oder
ob das Motiv die ganze erste Hälfte des Dramas füllte, wir
also eine Zweiteilung ähnlich wie in Hek. und Her. haben,
läßt sich mit Bestimmtheit nicht mehr feststellen. Doch spricht
1) Vgl. oben S. 33. ^) Stob. 55, 4 = frg. 369 N.
3) Wilamowitz, Herakl. I 134 und Gr. Trag. I 208.
*) Analecta Euripidea 73 ff. und a. a. 0.
^) 1. Beide Stücke ein lYKtojaiov 'A&qvcüv, 2. beide Athens Sieg verherr-
lichend, 3. in beiden ein napaxopiiYniia, 4. in beiden ein äytbv Aöycöv mit dem
feindlichen Herold, 5. beide sich mit Zeitereignissen beschäftigend, 6. in
beiden das Motiv des Snano&avelv.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 65
für die Annahme eines größeren Umfangs schon die Verdop-
pelung des Opfermotivs in dieser Tragoedie (s. unten).
Die Einleitung der Opferungsszene können wir uns aus
Lykurg*), der dem Zitat der Praxithearede eine kurze Hypo-
thesis vorausschickt,' aus dem Panathenaikos des Aristides^),
dem ebenfalls die euripideische Tragoedie noch vorlag, ferner
aus Stobaeus 39, 33 und seinen zwei Brechungen in Clemens
Alex, protrept. 3 und Ps.-Plutarch parall. min. p. 310D^) und
endlich aus Apollodor bibl. III 15, 4 noch ziemlich genau er-
gänzen.
Nach Lykurg begibt sich Erechtheus selbst, als der Einfall
des Eumolpos droht, nach Delphi und fragt: ti ttoiüv äv viKiqv
Xdßoi Trapä tüv 7roAe|jitüv. Das Orakel verkündet ihm, die Opfe-
rung der Tochter werde den Sieg herbeiführen: ei ö'üaeie rr\v
ö'UYaTepa. Aus Stobaeus a. a. 0. dürfen wir wohl dazusetzen
THV TrpeaßuTdTriv *). Das Opfer war also genau bestimmt. Die
Gottheit, der es dargebracht wei'den soU, ist Persephone, wie
in den Herakl. (Stobaeus a. a. 0., vgl. Clemens a. a. 0.). Ob
ein Grund für das Verlangen der Opferung angegeben war,
erfahren wir nicht; nötig war es so wenig wie in Herakl. und
Iph. Aul. Aus der Szene, in welcher Erechtheus, nach Athen
zurückgekehrt, seinem Weib den Orakelspruch mitteilt, — wohl
der ersten nach dem von Poseidon gesprochenen Prolog —
läßt sich noch soviel erkennen, daß zwar Praxithea zum Opfer
der Tochter bereit war, Erechtheus aber sich mit natürlichem
Gefühl gegen die Tötung des eigenen Kindes sträubte. Darin
haben wir also wieder das bekannte „retardierende Moment"
der Devotionsszenen. Die Haltung des Königs wird deutlich
aus den Worten der großen Praxithearede (Iff.): ras xaP'Tas
öaris euyevüs xap'CeTai fjSiov ev ßporoTaiv. oT 6e 5püai }iev, -\- xpövw 8e
fipwai, 5üaY€veaTepov . . . und dann besonders aus 36ff. : Kai Tfjv
^) c. Leoer. 24.
2) I p. 191 Dindorf. — Vgl. Wilamowitz. Kydathen 228.
') Über das Abhängigkeitsverhältnis dieser drei Quellen vgl. unten 93 f.
*) Dies ist wohl der Angabe bei Apollodor a. a. 0. rfiv vecoTdiriv gegen-
über die richtige, auf Eur. zurückgehende Version, s. Robert, Heldensage I
142, 7. Eine Parallele gibt die Iphigeniensage, wo auch die Erstgeburt ge-
fordert wird, s. Ermatinger, Die att. Autochthonensage, Diss. Zürich 1897, 88.
Religionsgcschiclitliche Vorsuche u. Vorarbeiton XVU,2. Ö
66 Johanna Schmitt
TCKOÖaav Kai ok 8uo 9-' öjioffTröpw owoei • li toutwv oöxi Se^aaD-ai kqXöv *) ;
Diese Verse haben zur Voraussetzung, daß jemand sich gegen
das Opfer sträubt, den sie zu überreden sucht ^). Zum Dialog
mit Erechtheus, der wohl der großen Rede vorausging, ge-
hören sicher folgende Fragmente, die nur in Praxitheas Mund
passen, frg. 361: eyw 8e toüs KaXüs leö'vnKÖTas ^nv (j)rmi ^läXXov toü
ßXcTreiv Toi)S pfi kqXüs und ebenso frg. adesp. 41 : ^\\(b tekv' dXXä
iraTpiT €|jriv iiäXXov (|)iXü, das durch die Paraphrase des Lykurg
a. a. 0.: (j)üffei y^P ouaüv (|)iXoT€Kva)v Traaüv tüv y^vaiKÜv TauTr]v eTrolet
Tiiv TrarpiSa päXXov twv 7rai5uv (JjiXoüaav für den Erechtheus ge-
sichert ist').
Dgiß der Praxithea Erechtheus gegenüber die aktive Rolle
gegeben ist, entspricht ganz der euripideischen Gepflogenheit:
überall, wo ein schwieriges Unternehmen auszuführen, ein Plan
auszusinnen ist, hat die Frau die führende und handelnde Rolle
(vgl. Iph. Taur., Helena, Elektra, Orest).
Die technische Behandlung des Entschlusses bei Praxithea
können wir hier nicht mehr feststehen; doch scheint die Sicher-
heit, mit der sie ihre Grundsätze entwickelt*), darauf hinzu-
weisen, daß sie wie Makaria sofort zum Opfer bereit war"), als
sie von dem Orakelspruch hörte. Fast ganz auf Vermutungen
sind wir bei der Frage angewiesen, wie Eur. die RoUe der
geopferten Tochter gestaltet hat. Abzulehnen ist sicher Prellers
Behauptung, sie habe mit der Mutter an Opferwilligkeit und
Vaterlandsliebe ge wetteifert*). Denn das hätten Lykurg und
unsre andern Quellen sicher nicht zu berichten vergessen.
Außerdem hätte neben Praxitheas Rede eine zweite desselben
Inhalts nur abschwächend wirken können.
^) Vgl. oben 36.
2) Wecklein, Sitz.-Ber. bayr. Akad. 1890 I 8ff. — Vgl. auch das en-
nianische Erechtheus- Frg. (Vahlen 3): lapicleo sunt corde multi, quos non
fniseret neminis. Diese Worte sprach dort wohl auch Erechtheus gegen
Praxithea.
^) Als Anspielung auf diese Erechtheusstelle mit komischer Verdrehung
ist vielleicht Aristophanes, Thesmoph. 752 aufzufassen : ({iiAÖTeKvös Tis el ({lüaei .
GÄA* oüSev ^TTov f|5* ä7Toa(t>aYnceTai, besonders da das Abschlachten des Schlauchs
als „Opfer" dargestellt ist, vgl. bes. 758. *) Leo, Monolog 34, 1.
5) Anders Howald a. a. 0. 51, der dem Entschluß einen langen Kampf
der Heldin mit sich selbst voraufgehen läßt. «) Griech. Myth. II =* 153.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 67
Welcker ^) und Härtung ^) nehmen an, daß Erechtheus die
Tochter ähnhch wie Agamemnon Iphigenie über die bevor-
stehende Opferung getäuscht und das nichtsahnende Mädchen
unter der Vorspiegelung eines Opfers zum Altar gelockt habe ').
Wir müßten also eine Szene annehmen, die ähnlich wie die
Begrüßungsszene in der Iph. Aul. durch amphibohsche Wen-
dungen wirksam ist. Gut stimmt zu dieser Vermutung die
Aristidesstelle: TrpoffayaYeTv 5' aörriv KO(T|inaa(ja f\ \ir\Tt\p üffirep eis
i^ewpi'av TteiiTTOuffa. Das beruht auf unmittelbarer Kenntnis der
Tragoedie, und die Worte üaTrep eis ö-eupiav fügen sich sogar
noch zwanglos zu einem Trimeterschluß. Die Annahme Welckers,
Erechtheus habe dann die Tochter plötzlich am Altar selbst
niedergeschlagen, stützt sich auf die Worte bei Stobaeus: ei^'
ouTCüS Tfiv KÖpnv irpoaaYaYwv toTs PwjioTs dveTXev, wobei aber das
Trpoaayaycov doch wohl falsche Übertragung von der Aktion der
Praxithea ist*j. Daß ein besonderer Botenbericht von der
Opferung erzählte, scheint mir aus den oben dargelegten
Gründen auch für dieses Stück unwahrscheinlich^). Mehr als
einen Botenbericht hat auch der Erechtheus kaum besessen, und
dieser gab notwendig die Schilderung des Kampfes mit Eumolpos,
der wohl eine kurze Erwähnung des Opfers vorausging (wie
in den Herakl. und der Menoikeusepisode) und die darauf er-
folgende Vernichtung des Erechtheus durch Poseidon bezw.
seine Verwandlung in die Burgschlange ").
Wenn Eur. auch im Erechth. den Heroismus der Praxithea
verherrlicht, so läßt er dieses im Grunde widernatürliche Ge-
fühl doch nicht ungestraft. Die Tragik der Praxithea hegt
darin, daß gerade das Beste in ihr, der glühende Patriotismus,
ihr das tiefste Leid bringt. Nicht nur die eine, freiwihig hin-
1) Gr. Trag. II, 720, dem Nagel, De Erechtheo, Diss. Berl. 1842, 69 ff.,
folgt. 2) A a. 0. I 469.
'^) Vgl. Frg. 350: Frage der Tochter bei den Opfervorbereitungen und
Frg. 365: Mahnung des Erechtheus an die Tochter, trotz ihrer Scheu unter
die Volksmenge zu treten.
*) Welckers Deutung der Skulptur des Marmorsessels aus dem Dionysos-
theater auf die Opferung der Erechtheustochter hat Michaelis, JHS V 1884,
147 ff. zurückgewiesen; dargestellt ist Theseus und Antiope, s. Robert, Helden-
sage I 341, 6. 5) Vgl. oben 54.
") S. Wilamowitz, Kydathen 141 Anm.
5*
68 Johanna Schmitt
gegebene Tochter verliert sie, sondern auch die beiden andern,
die einem früheren Gelöbnis zufolge der Schwester nacli-
sterben ^). Daß auch diese Schwestern auftraten, läßt Frg. 358
erkennen: oük cctti unrpös ou8ev n5iov tckvois' epäre pnrpös 7raT5es
US ouK ear' epcos toioötos aXXos öctis f\bmv epäv. Möglich scheint,
daß Erechtheus diese Worte zu den zwei übrig gebliebenen
Töchtern sprach: sie müßten durch ihre Liebe der Mutter den
Verlust der Schwester ersetzen; vielleicht gaben sie sich nach
anfänglicher Verstellung — wie Menoikeus — dann doch den
Tod und ließen die Eltern verwaist zurück^). Garnichts wissen
wir von Praxitheas Haltung nach diesen Schicksalsschlägen.
Eur. hat das Motiv des freiwilligen Opfertods in dieser
Tragoedie also verdoppelt, doch ohne sich zu wiederholen:
neben dem patriotischen Opfertod steht das persönliche CTrairo-
&aveTv. — Daß im Erechth. die Verstirnung der Erechthiden
vorkam, wissen wir aus Schol. Arat. 172: Eupnn'Sns pev oöv ev
'Epex&eT tos 'Epex9"eus ö-uyaTepas vabas ^r]ai y^vea^ai rpeTs ouffas^).
Von diesem KaraaTepiaiiös konnte nur ein deus ex machina, wohl
Athene, berichten*). Der Opfertod war also am Schluß ver-
herrlicht und durch die Vergöttlichung gerechtfertigt, eine Vor-
stufe der Gestaltung also, die wir für den Schluß der Iph. Aul.
annehmen mußten. In der Rede der Athena war das amov
zum Kult der irapO'evoi gegeben, denn unter diesem Kultnamen
wurden die Erechtheustöchter neben dem Erechtheus selbst,
1) Apollodor III, 15, 4. Vgl. auch Hygin fab. 46. Robert a. a. 0. 143.
^) Welckers Deutung dieses Frg. 's als Worte des sterbenden Erechtheus
a. a. 0. 723, gehen von der Voraussetzung aus, daß Erechtheus sterbend auf
die Bühne gebracht wurde, was nicht beweisbar ist, s. Wecklein a. a. 0.
Hartungs Vermutung a. a. 0. 472, es seien die Abschiedsworte der Erechtheus-
töchter an die kleinen Brüder, ist irrig. Erechtheus hatte bei Eur. keine
Söhne. Nagel a. a. 0. 52 versacht , die Erechtheussöhne durch gewaltsame
Konjektur von Frg. 360, 22 hineinzubringen: övaTeS-riÄnKCüs für dvii &tiAeiäv.
") KaiaoTepiciJoi finden wir auch sonst bei Eur. Nagel a. a. 0. 83 weist
auf die Verstirnung der Helena Orest. 1636 ff. hin. Vgl. auch Robert, Era-
tosth. Cat. XIV Taöpos, wo der Phrixos des Eur. als Quelle für die Verstirnung
des Stiers angegeben wird. Vielleicht spielt auch schon Hipp. 1121 ff. tnei
Töv 'EAÄavias (jjavepcüTaiov doiep' 'A&qvas eiSoiiev . . . auf den bei Paus. II 32, 4
berichteten KaTaoiepioiJtös des Hippolytos an.
*) Robert a. a. 0. 143.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 69
der zum Trdpe5pos der Athena erhoben wurde, verehrt'), vgl.
Hesych ^cöyos rpiTrdp&evov ■ EupiTriSns 'Epex9"eT.
Aristides a. a. 0. umschreibt dies mit den Worten: tüv
KOpwv lepä i5pu(Taiievn (sc. r\ iröXis) Kai ^ei'as jjoipas avii ^vnTäs
d^jwoacra ims TijiaTs, 'Epex^ea 5e toTs ev dKpOTTÖAei ^eoTs TvdpeSpov
diroSei^affa "). Zur Bestimmung des Wesens dieser Ttap^evoi ge-
hört wohl auch das neue Erechtheusfragment aus dem Lexikon
des Photios: dvew^oi ydiiof oi iif] y^^V nvwiievor EüpnrlSns 'Epex9"eT
(Reitzenstein 128,22 S. 117). Vielleicht war es in der Ver-
bindung gesagt, daß die göttlichen Ehren ihnen Ersatz für das
unerreichte reXos der Ehe sein müßten, ähnlich also, wie wir
diesen töttos öfters in den Devotionsszenen verwendet fanden.
b. Phrixos. Viel Ähnhchkeit mit der Behandlung im
Erechth. hat, soviel wir sehen können, die Einleitung der
Devotionsszene im Phrixos. Das argumentum der Tragoedie
ist uns aller Wahrscheinlichkeit nach bei Hygin fab. II erhalten:
Ino, die zweite Frau des Atharaas, sucht ihre Stiefkinder aus
dem Weo; zu räumen. Zu diesem Zweck verursacht sie zuerst
eine Hungersnot, indem sie die Frauen des Landes das Ge-
treide rösten heißt. Und als der König in dieser Not Gesandte
zum delphischen Orakel sendet, um die Mittel zur Abwendung
der Landplage zu erfahren, besticht sie die Gesandten, damit
sie die Antwort bringen: der Königssohn muß geopfert werden.
In einer ganz ähnlichen Szene, wie wir sie für den Erechth.
voraussetzen mußten, sucht Ino den Athamas zu diesem schweren
Opfer zu überreden, spielt also die Rohe der opferfreudigen
Praxithea, Athamas, der sich gegen die Opferung des Kindes
sträubt, die des zögernden Erechtheus. Der Gang dieses dywv
läßt sich noch ziemlich deutlich erkennen aus Erg. 822/3, 828,
826, 829, 832 N., s. Welcker, Gr. Trag. II 612ff. Diesem Streit
macht der Königssohn selbst ein Ende, der, wie wir nach
Analogie der übrigen Devotionsszenen wohl annehmen dürfen,
schweigend dabei gestanden hat. Wie Menoikeus entschließt
er sich zum freiwilligen Tod fürs Vaterland, vgl. Hygin a. a. 0. :
Quod cicm Athamas se fadurum abnuisset (sc. den Sohn zu
opfern), Phrixus ultro ac lihens poUicetur se unum civitateni
>) Müller, De deor. pari. 98, 113; Robert a. a. 0. 143.
«) Wilamowitz, Kydathen 229.
70 Johanna Schmitt
aeriimna liheraturum. — Phrixos wird in einer großen Rede
seine Bereitwilligkeit zum Tod kundgegeben haben. Es scheint,
daß ein Grundzug in seinem Charakter müde Resignation und
ein gänzliches Abwenden von dieser Welt gewesen ist.
Während Makaria noch sehr unbestimmte Jenseitshoffnungen
ausspricht, ja an einem Dasein nach dem Tod überhaupt
zweifelt und schon im Tod selbst das kqküv ^eyioTOv (})dppaKOv er-
blickt (Herald. 596), erwartet Phrixos das wahre Leben erst nach
dem Tode Frg.833: ti's 6' oT5ev ei ^qv toöD' ö KeKÄiirai ^avelv, tö ^fjv 8e
^viiaKciv eari; 5fjXov us ßpoTÜv voaoöoiv oi ßXeTrovres, oi 5' öXujXÖTes
ou5ev voaoöoiv ou5e KEKTrivrai Kaxd '). Nach Analogie der Makariarede
müssen diese Worte die Schlußsentenz einer längeren pfjoris ge-
wesen sein. Daß sie Phrixos bestimmt zugesprochen werden
dürfen, geht aus Schol. Arist. Ran. 1082 hervor: dXX' 6 XeYwv eori
^JpT^os^). Zu der Resignation, die sich in diesen Schlußversen
äußert, paßt inhalthch gutFrg. 821, das Tzetzes fälschlich für
einen Prologanfang gehalten hat ^) : ei jjiev tö5' niiap irpürov qv kqkou-
|iev(ü KOI pfj [laKpäv 5f] 8iä ttövüjv evauaröXouv, eiKÖs a(j)a5a^€iv qv äv
US veö^uya ttwXov y^ahsos äpriws 5e5eYiievov ■ vüv 6' djißXus eijii Kai
KainpruKus KQKwv. Phrixos ist, wie es scheint, durch die
dauernden Ränke der Stiefmutter so abgehetzt und verbittert,
daß er diesem letzten KaKoüa9-ai, dem Tod als Opfertier, keinen
Widerstand mehr entgegensetzt. Ganz ähnhch ist die Stim-
mung ja auch in Makarias und Polyxenas Reden : auch da er-
scheint der Tod als Retter vor der trüben Zukunft*). — Daß
^) Überl. TrAf]v o^us. SfiAov ms: corr. Hense.
2) Der Schoüast verwechselt zwar hier die ganz ähnliche Sentenz aus
dem Polyidos (vgl. Schol. Hipp. 192): Tis 5' olSev ei tö ^fjv jjiev Ioti KaT&aveiv, t6
KaT&avelv Se ^fjv kötco voiai^eToi; mit der des Phrixos, weiß aber in der Sache
selbst doch Bescheid. Dieselbe Verwechslung liegt in Schol. Ean. 1478 vor,
wo aber neben dem ersten Schol.: Ttapä Tä ?k <t>pi^ou EupmiSou das zweite be-
sagt: ToÖTo l\ 'InnoÄÜTou 5päfiaTos, wofür wohl floAuiSou zu schreiben ist, vgl.
Nauck zu Frg. 638. Daß Eur. Sentenzen gleichen Inhalts in doppelten Fas-
sungen verwendet, haben wir an den Schlußworten der Praxithea und des
Menoikeus gesehen.
3) Vgl. Nauck a. a. 0. Änm. zu Frg. 819 u. 821.
*) Härtung a. a. 0. 146 reiht das frg. ine. 854 N., das Wilamowitz für
die „ausgefallene" Szene der Herakl. beansprucht hat, hier ein: tö pev cifa.^r\-
vai 5eivöv, ei3KAeiav 5' Ixei, tö ^r\ S^avelv 5e SeiÄöv, nSovr] 5' Ivi. Doch paßt diese
Betonung der ti5ovr| wenig für einen Phrixos.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 71
Eur. als verstärkendes und die Opferung beschleunigendes
Motiv die Bedrängung des Athamas durch das Volk angewandt
hat, welches das Opfer des Königssohns entschieden fordert '),
läßt sich aus den Fragmenten nicht erkennen, ist aber sehr
wahrscheinlich. Es wäre eine Vorstufe zur Iph. Aul., wo das
ungeduldige Heer die Opferung der Jungfrau verlangt. — Hygin
erzählt weiter, daß ein Diener aus Mitleid mit Phrixos die
ganzen Ränke der Ino enthüllt habe in dem Augenblick, als er
zum Altar geführt werden sollte. Das klingt ganz nach einer
Tragoedie, und in der Tat ist in zwei Fragmenten des Phrixos
(830 und 831) von einem Sklaven die Rede. Mit der Errettung
des Phrixos ist das Opfermotiv abgeschlossen. Wir haben hier
also wiederum eine neue Wendung dieses beliebten Vorwurfs,
einen „glücklichen Ausgang" ").
Mit dieser dramatischen Erfindung, der Rettung des Phrixos
durch die Enthüllungen des Sklaven, läßt sich die alte Sage von
der Flucht nach Kolchis kaum vereinen. Aber Eur. scheint
am Ende doch wieder in das alte Sagengeleise eingelenkt zu
haben. Der Ausgang der Tragoedie läßt sich aus Kombination
von Hygin und Frg. 838 N (vgl. Welcker a. a. 0. 615) erschließen.
Dem Phrixos wird von Dion5'sos, der als deus ex machina auf-
trat, die Fahrt nach Kolchis befohlen, wohl gewissermaßen als
Strafe, daß er sich an der geheiligten Person der Dionysos-
pflegerin Ino hatte vergreifen wollen, die ihm von Athamas
zur Bestrafung übergeben worden war*).
Das Motiv der im letzten AugenbHck hintertriebenen
Opferung hat die Sagendichtung in diesem Mythenkreis doppelt
ausgestaltet: Nephele, die verstoßene göttliche Gemahlin des
Athamas, veranlaßt seine Opferung als Sühne für den ver-
meintlichen Tod des Phrixos (der also für wahr gehalten wurde
^) Vgl. ApoUodor I 9, 4: ouvavavKa^öiievos (sc. 'A&diias) ujtö tüv Tfiv yr\\/
oiKOÜvTuv Tö) ptüliü napearqoe <t>pI^ov.
") Einen ähnlichen Umschlag der Handlung von Todesbereitschaft zu
höchstem Glück gibt z. B. der erste Teil des Herakles.
^) Anders Müller, Z>e deor.part. trag. 113, der mit Welcker u. Härtung
Nephele als deus ex machina annimmt. Doch scheint mir seine Motivierung
der Flucht unhaltbar: ne diutius in illa domo morarentur (sc. Phrixos
u. Helle), in qua tanta pericula eis impendissetii: diese pericula sind
doch vorbei.
72 Johanna Schmitt
wie der der Iphigenie in Iph. Taur., Elektra des Soph. u. Eur.,
Agamemnon des Aiseh.). Gerade als Athamas wie ein Opfer-
tier geschmückt zum Altar geführt werden soll, rettet ihn
Herakles (nach Herodot VII 197 sein Enkel Kytissoros) durch
seine Dazwischenkunft und die Meldung, daß Phrixos noch am
Leben sei. Diese Sage hat Sophokles in seinem ersten Athamas
behandelt ^).
Eur. hat also nach seiner Gewohnheit das Motiv so um-
gebogen, daß ein freiwilliger heroischer Opfertod daraus wurde.
Daß Athamas zum Tode bereit war, also auch hier schon das
Opfer als ein gewissermaßen „freiwilliges" aufgefaßt war, läßt
sich für Sophokles selbst nicht mehr feststellen. Die Fragmente
aus dem Athamas des Accius jedoch, der offenbar eine Nach-
ahmung der sophokleischen Tragoedie war, lassen erkennen,
daß Athamas hier seine Tat bereute und zum Sterben bereit
war, frg. VII Ribbeck: Ätque ita de Ulis inerui, iit iure haec
nunquam miserarent mala, und frg. V: CiUus sit vita indecoris,
mortetn fngere turpem haut convenit^).
VIII. Das Motiv des persönlichen freiwilligen
Opfertods.
a. Alkestis. Alle bisher behandelten Devotionsszenen hat
Eur. im Laufe des Peloponnesischen Krieges geschrieben. Die
Heldenjünglinge und -Jungfrauen, die er hier schildert, opfern
sich alle in einer großen Not für Geschlecht, Vaterstadt, ganz
Hellas. Ganz frei von der paraenetischen Tendenz dieser Dar-
stellungen ist der freiwillige Opfertod einer Alkestis, das eir-
ttTTO^aveTv einer Euadne und Laodamia"). Hier hat Eur. den
märchenhaften Schleier, der über diesen Sagen liegt, nicht
durch das Hereinziehen von Zeitstimmungen zerstört*).
Verschieden ist die Alk. von den andern Devotionsszenen
vor allem darin, daß der Entschluß zum stellvertretenden Tod
1) Nauck S. 131, vgl. Schol. Arist. Nub. 257.
2) Vgl. Weicker, Gr. Trag. I 323; anders Ribbeck, Rom. Trag. 527. Über
den Athamas des Aischylos und Phrixos des Sophokles wissen wir nichts.
*) Zum Begriff des pnano&aveiv Hirzel a. a. 0. 79, 1.
*) Howald a. a. 0. 14 und 16, der den Opfertod der Alkestis besonders
der Behandlung des Motivs in den Phoen. gegenüberstellt.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 73
zur Vorfabel gehört, die Tragoedie nur die Einlösung des Ge-
lübdes darstellt. Trotzdem finden wir auch schon hier manche
Züge, in welchen die Technik der späteren Devotionsszenen
vorgebildet ist. Wie sonst immer den Todesbereiten ist auch
der Alkestis eine große Rede gegeben, in der sie den Grund zu
ilu-em Entschluß darlegt und Admet ihre letzten Wünsche aus-
spricht (280 ff.). Von dem rhetorischen, scharf disponierten Aufbau
der Devotionsreden ist aber diese pqais weit entfernt. Immer-
hin finden sich auch hier einige Berührungspunkte. ]\Iit ganz
schlichten Worten und ohne weitere Rechtfertigung gibt Alkestis
ihren Entschluß an (287): ouk rj^eXrio'« ^Hv dTroaTraaS'eTad aou aöv
Traidiv öp({)avoT(jiv ■ ou5' i^e\aa\ir[\/, fjßns exouaa öüp' ev oTs erepiröiiriv.
Etwas näher an die Art der andern Devotionsszenen klingen
die von der S-epdTraiva berichteten Abschiedsworte der Alkestis
von ö'dXaiios und Aexos an (180): 7rpo5oüvai ydp c^' ÖKvoöaa Km
TTÖaiv ö'vriaKu. Den Ausdruck TrpoSoövai finden wir auch an den
entsprechenden Stellen der Herakl. 522, Phoen. 1003 und Hik.
1024'). In der Praxithearede steht dafür 8ia<{)^eTpai (Frg. 360, 17).
Mit der Abschiedsrede der Makaria, also der zeitlich am
nächsten stehenden Gestaltung des Opfermotivs, berührt sich
die Rede der Alkestis darin, daß sie Admet — wie Makaria
den Brüdern — die Größe ihres Opfers klarmacht (Alk. 299 ff.
~ Herakl. 579 ff. 583). Den Abschied von den Kindern, der
hier im Mittelpunkt der ganzen Szene steht, fanden wir als
Nebenmotiv schon in den Herakl. und der Iph. Aul. "). Der
Schluß der Alkestisrede mit dem Hinweis auf den Ruhm ihrer
Tat (323f.) hat seine Parallelen in allen übrigen Devotions-
szenen: Herakl. 533f., Erechth. Frg. 360,42; 52 ff. Phoen. 10i3ff.
Iph. Aul. i383ff., 1398ff.; endlich auch Hik. 1015.
Dieser Rede geht voraus ein Kommos zwischen Alkestis
und Admet mit den Todesphantasien der Alkestis, und es folgt
1) S. unten 75 f.
-) Die Klage der Alkestis una das Los ihrer Kinder, besonders die Sorge,
ob das mutterlose Mädchen einen Gatten finden wird (3 12 ff.), hat viel Ähn-
lichkeit mit Oed. Tyr. 1468 ff. Da wir andrerseits in der Abschiedsszene der
Makaria von den Brüdern einen Anklang an den Abschied des Aias vom
kleinen Eurysakes fanden (oben 45), dürfen wir wohl schließen, daß Sophokles,
wie für das ganze Abschieds-Ethos, so auch für die Kinderrollen beim Ab-
schied Vorbild war.
74 Johanna Schmitt
ihr die Abschiedsszene, die in eine Stichomythie ausläuft. Eben
diese drei Teile, in derselben Reihenfolge, kehren wieder in
der Polyxenaszene und in der Iph. Aul. (nur steht hier an
Stelle des Komraos die Monodie der Iphigenie 1279 ff., immer-
hin also auch ein lyrisches Stück)*). Direkt aufeinander wie
in der Alk. folgen sich in den späteren Stücken diese Teile
nicht, sondern es schieben sich andere Partien dazwischen.
Die Abschiedsstichomythie, in der wieder die Hauptsorge den
Kindern gilt, hat einen wörtlichen Anklang an die in der Hek.
Alk. 379: tu tekv', öre ^Fjv XPHV \i, äirepxoiiai Kdru. Hek. 414: w |iiiT€p',
w TeKOÖa' ■ aireipi hr\ Kdrw. Admets Versprechen, ihren Wünschen
zu willfahren, erinnert sehr an die ähnlichen Worte des Demophon
an Makaria: Alk. 328: earai Td5* earm, pq rpearis. Herakl. 567:
earai Td5', w TdXaiva Trap^evuv.
Im Gegensatz zu den andern sich freiwillig Opfernden aber
fällt Alkestis der Tod nicht leicht. Aus Liebe zu Admet hat
sie das Gelübde getan; aber zwischen Entschluß und Ausfüh-
rung liegt lange Zeit. Jetzt erst, wie sie sich von den Kindern
trennen soll, auf die nun ihre ganze Liebe übergegangen ist,
weiß sie das Leben zu schätzen. Fast wie Iphigenie (1252):
KQKWS (,Y\\ KpeTaaov r\ kqXüs ö^aveTv sagt sie (301): il»üxns Y^P oi'Sev
€(JTi Tipiwrepov, und gegenüber den andern, die ihr „freiwilliges"
Sterben nicht genug betonen können^, stirbt sie (389) oü Sfjy
€KOÖad ye.
Die Rolle dessen, der das Opfer verhindern will, fällt hier
Admet zu, also gerade dem, für den es gebracht wird'). Der
Mythus hat den Opfertod der Alkestis überliefert. Aber Eur.
hat doch nicht unterlassen können, zu fragen, warum denn
1) Lyrische Partie: Alk. 244ff., Hek. 177S., Iph. Aul. 1279ff. — Große
Eede: Alk. 280 ff., Hek. 342 ff., Iph. Aul. 1368 ff. — Abschiedsstichomythie:
Alk. 374ff., Hek. 415ff., Iph. Aul. 1434ff.
"■) Vgl. Herakl. 501 ff., 530 f., 550 ff.; Hek. 346 ff. 548 ff.; ähnUch Erechth.
Frg. 360, 1.
^) Aus der Übereinstimmung der Worte der Admetosrede (357): ei 5'
'Op(t)ecös lioi yXmaa Kai [ieAos napriv mit denen der Flehrede Iphigeniens (1211) :
€1 jiev TÖv 'Op(j)ecos eixov, 5i ndiep, Aöyov vermutet Boeckh, Graecae trag, prin-
cip. 257, die Stelle der Iphigenie sei Interpolation in Anlehnung an die
Alkestisverse. Doch wird man angesichts der vielen Anklänge, die gerade
in den Devotionsszenen so häufig sind, nicht an der Echtheit beider Stellen
zweifeln.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 75
Admet nicht selbst gestorben ist, sondern feig das Opfer seiner
Frau angenommen hat. Das ist der Sinn der Pheresszene '),
Eur. geht noch weiter: er läßt in Admet eine völlige Um-
wandlung eintreten. Als er vom Grab heimkehrt, hören wir,
daß nun erst das ganze Bewußtsein seiner Kläghchkeit über
ihn gekommen ist. Jetzt erst will auch er selbst sterben und
macht den Versuch, sich in das offene Grab zu stürzen. Und
ganz ähnlich wie Hekabe (391): ujieTs 8e |i' äXKa D-UYctTpi auii(j)0-
veuaare, Kai ßis TÖcrov ttüjji' aY|iaTOS ye\f\ae7ai sagt nun auch Admet
(900): 5uo 8* dvTi \uäs "Ai5iiS ^vxäs ras TTKTTOTdTas abv äv eaxev,
öiioö x^ovlav \\\ivt]v SiaßdvTe. Doch hat dieser Stimmungswechsel
auf die dramatische Entwicklung keinen Einfluß. Eur. kehrt
zum Mythus und seinem glücklichen Ausgang zurück^).
Besonders ausführlich sind in der Alk. die Preislieder, die
der Verstorbenen gewidmet sind (435 ff. 991 ff.). Auch hier
finden wir wieder Berührungen mit den entsprechenden Liedern
der späteren Devotionsszenen. Wie in der Alk. den Admet
(985 ff.) mahnt der Chor in den Herald, den lolaos (618ff.), sich
nicht allzu großem Schmerz hinzugeben.
Die etwas triviale Stfelle des Chorlieds auf Alkestis (473 ff.)
hat Eur. in dem entsprechenden Lied auf Menoikeus wieder
aufgenommen (1060 ff.). Der Chor der Alk. wünscht sich solche
Gattinnen, der der Phoen. solche Söhne zu haben wie die
eben Gepriesenen.
b. Euadue. Nur eine ganz kurze Szene nimmt das eir-
QTTOÖ'aveTv der Euadne in den Hiketiden ein. Von einem eigent-
lichen Opfertod kann hier natürlich sowenig wie im Protesilaos
die Rede sein. Nur unter dem Gesichtspunkt der verwandten
Technik können wir diese Stücke in unsre Behandlung ein-
beziehen. — Die Euadneszene kommt völlig unerwartet. So-
zusagen szenisch vorbereitet ist sie durch die Erwähnung, daß
der Scheiterhaufen des blitzgetroffenen Kapaneus direkt neben
dem Tempel liege (938): auToü irap' oVkous T0Uff5e au|i7rn^as id^ov.
Da erscheint plötzlich Euadne, vom Chor angekündigt, hoch
auf dem Felsen über dem Scheiterhaufen. Auch hier ist der
Entschluß zum Tod bereits gefaßt. In der langen Monodie
(990 ff.) wird der Tod unter dem Bild eines zweiten Hochzeits-
^) Wilamowitz, Gr. Trag. III 92. «) Vgl. Lindskog a. a. 0. 48 ff.
76 Johanna Schmitt
festes verherrlicht*). Nichts hält Euadne mehr am Leben,
sondern euKXeias X«piv wird sie dem Gatten folgen.
Doch auch in dieser kurzen Szene fehlt nicht das „retar-
dierende Moment". Wieder ist es der Vater der Todesbereiten,
der ihre Tat hindern will. Die bekannte Technik ist auch hier
angewandt: auf die Monodie der Euadne, die hier anstelle der
großen Rede steht, folgt eine Stichomythie mit ihrem Vater Iphis,
die zugleich ihren Abschied bildet^). Etwas künstlich wird
dadurch eine Steigerung versucht, daß Euadne ihren Entschluß
dem Vater erst unter andeutenden Worten verbirgt — also ein
leiser Ansatz zu der Verstellung des Menoikeus — , um dann
erst mit dem alten agonistischen Motiv zu enden (1059): ev-
TQÜö-a yap br\ KaXXiviKos epxojiai. Dem Entscliluß folgt die Aus-
führung, der Sprung auf den Scheiterhaufen, auf dem Fuß. —
Der Epilog, den Iphis der Tochter hält, zeigt in seinen Ge-
meinplätzen Verwandtschaft mit dem der Hekabe nach Po-
lyxenas Tod. Gegen Schluß belebt er sich etwas, an der Stelle,
wo Iphis von seinen Besuchen im Hause der Tochter und ihrer
Zärthchkeit und Sorge für den alten Vater erzählt (1098 ff.).
Diesen genrehaften Zug hat Eur. ähnlich in der Bittrede der
Iphigenie wieder aufgenommen (1228ff.). Das Zusammen-
brechen von lolaos und Hekabe am Schluß der Szene ist hier
dadurch gesteigert, daß Iphis bei seinem Abgehen den Ent-
schluß ausspricht, seinem Leben durch Hunger ein Ende zu
machen. — Irgend welche Nachwirkung im weitern Verlauf
des Stücks hat die Euadneszene nicht. Das sonst abschließende
Chorlied ist hier durch den Gesang der Euadne gleichsam schon
abgelöst.
c. Laodamia. Manches Verwandte mit der Euadneszene
hat das Motiv des CTraTTO^aveTv im Protesilaos, der Tragoedie,
^) Der Vergleich des Hochzeits- mit dem Sterbetag kommt auch in
Admets Klage vor 915 ff. Auch sonst ist dieser TÖnos, der wohl aus dem
&pfjvos stammt, sehr gebräuchlich, s. Wilamowitz zu Herakles 11. 481.
^) Der Zug, daß bei Iphis der Tod der Tochter unmittelbar auf den des
Sohnes Eteoklos folgt (1 035 ff.), hat eine Parallele in der Hek., die eben noch
Polyxena beweint, als ihr schon der tote Polydoros gebracht wird. Ähnlich
ist auch die Phoenissenszene, in der Kreon kaum mit der Klage um den Sohn
aufgetreten ist, als ihm der Bote die Nachricht vom Tod der Schwester und
ihrer Söhne bringt.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 77
die das „Pathos der Todessehnsuclit" darstellte'). Laodamia
ist die Totenbraut der griechischen Sage, die durch ihre Sehn-
sucht den gestorbenen Gatten herbeizieht und ihm, als er
wieder scheiden muß, in den Tod folgt.
Eine große Rolle muß im euripideischen Drama Akastos,
der Vater Laodamias, gespielt haben. Er ist hier der Träger
des „retardierenden Moments". Es sind Anzeichen vorhanden,
daß er in einem Streitgespräch mit dem aus dem Totenreich
zurückkehrenden Protesilaos — einem Disput zwischen Leben
und Tod — das Recht der Laodamia aufs Leben verteidigte ^).
Über die Ausführung des ETraTro^aveTv im Protes. berichtet Hygin
fab. 104, der im ganzen ein treues argumentum der Tragoedie
gibt, abweichend von den übrigen Traditionen, daß Akastos
das Wachsbild des Protesilaos verbrennen ließ und Laodamia
dolorem non sustinens sich in die flammen stürzte. Durch
dieses Motiv des Bildes, dem nach Protesilaos' Abschied bei
Eur. Laodamias Liebe gilt, und durch dessen Verlust sie erst
eigentlich zum Todesentschluß gebracht wird, kommt ein
pathologischer und fast perverser Zug in Laodamias Wesen.
Mayer') sieht in dieser Hyginerzälilung nur eine Übertragung
von der Euadnefabel und nimmt nach den andern Überliefe-
rungen') Laodamias Tod durchs Schwert für Eur. an. Doch
haben wir bei Eur. oft genug ähnHche Motivwiederholungen
getroffen, um dem Hyginbericht auch hierin zu trauen^). Daß
Laodamia mit dem bakchischen Schmucke starb, in dem sie
die Orgien mit dem unter Dionysos' Gestalt verehrten Protesi-
laosbild beging"), erzählt Philostrat (eiKÖves ^ p. 415). Wir
werden also wohl eine Todesszene annehmen dürfen, die genau
der der Euadne entspricht, die sich im Brautschmuck in die
Flammen stürzt').
1) Rühde, Griech. Roman' 35.
2) Vgl. Mayer, Herrn. 20, 115; Zielinski, Südd. Monatshefte 1906, 601 ff.
3) A. a. 0. 111.
*) Apollodor Ep. 3, 30. Tzetzes, Chil. II, 52. Eustath. ad II. Z 27— 41,
Version a. S. auch Robert, Heldensage I 63. '') Zielinski a. a. 0.
8) Aus der Aufnahme des Bildmotivs in der Alk. 348 S. erschließt Wilamo-
witz, Gr. Trag. III 91, 1, die Priorität des Protes. vor der Alk.
■>) Die Verbrennung des Wachsbildes bedeutet wohl die endgültige Be-
stattung des Protesilaos, s. Türk bei Röscher III 2, 3160.
7g Johanna Schmitt
IX. Der rituelle Sprachgebrauch in den Devotions-
szenen.
Eur. hat sich in seinen Darstellungen des Opfertodes, auch
in den frei erfundenen, in allen Einzelheiten eng an das grie-
chische Opferritual angeschlossen. Aus der Beobachtung des
rituellen Sprachgebrauchs läßt sich daher am besten die Art
und Herkunft dieser Opfersagen erkennen. Wie bei der Be-
handlung der dramatischen Technik kann man auch hier wieder
den parallelen Bau und die Motivwiederholungen dieser Szenen
feststellen. Hierbei müssen wir natürUch von Alk., Hik. und
Protes. absehen, die das rein poetische Motiv des irpo- und
eirairo^aveTv darstellen und mit Rituellem nichts oder sehr wenig
zu tun haben.
Makaria, Polyxena, die Erechtheustochter, Menoikeus, in
gewisser Hinsicht auch Phrixos und Iphigenie (s. unten) fallen
als a^aym, d. h. Blutopfer, wie sie den unterirdischen Mächten
dargebracht werden vor großen Unternehmungen, Schlachten,
beim Eid- und Totenopfer'). Als Menschenopfer') haben sie
natürlich weit größeren Wert und größere Wirksamkeit als
Tieropfer und sind an und für sich schon Gewähr für den Sieg.
Die Makariaopferung wirkt sogar noch darüber hinaus dadurch,
daß sie indirekt den Athenern die Reliquie des Eurystheus-
grabes verschafft. Der Opfertod Iphigeniens, der in erster
Linie nur die glückhche Fahrt sichern soll, ermöghcht erst den
Griechen den Sieg und die Einnahme Troias.
In enger Anlehnung an den rituellen Sprachgebrauch hat
denn auch Eur. in Herakl., Hek. und Phoen. das Opfer durch-
gängig als a(j)dYiov, die Darbringung als a(t>dTTeiv, o^ay/r\ bezeichnet:
Herakl.: 408, 490, 493, 502, 562, 583, 821.
Hek.: 41, 109, 119, 135, 188, 221, 260, 265, 305, 522, 571.
Phoen.: 913, 933, 964, 1010, 1316.
Bezeichnend für die a(j)dYia ist, daß gewöhnlich nicht die
Namen der Gottheiten genannt werden, denen sie gelten: es
sind die unterirdischen Mächte, deren Namen man sich scheut
1) Über das Ritual der a^äyia s. Stengel, Opferbräuche der Griechen 92 ff.
2) F. Schwenn, Menschenopfer b. d. Griech. u. Römern, RG.V.V. XV 3.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 79
auszusprechen. Eur. hat diese unbestimmten Dämonen in den
Herakl. und im Erechth. in poetischer Gestaltung zur Persephone
verdichtet, der in Wirklichkeit nie Menschenopfer dargebracht
wurden. Polyxena dagegen ist einerseits Totenopfer, das der
zürnenden Seele Achills geschlachtet wird, andrerseits wind-
stiUendes Opfer ^).
Dem sorgfältigen Bau der Menoikeusepisode entspricht die
genaue Motivierung dieses erfundenen Opfers*). Ein Sühn-
opfer ist es auch hier, das Ares verlangt, und wieder kommt
es zunächst unterirdischen Mächten, der Erde, zugute (973). —
Die wirklichen a^dy\a werden möglichst nahe am Feind vor
der Schlachtreihe von pdvreis geschlachtet, da aus diesem Opfer
zugleich ermittelt werden soll, ob die Götter dem Unternehmen
günstig sind. Diesen Brauch konnte Eur. unberücksichtigt
lassen, da die Menschenopfer von vornherein als Bedingung
für den glückhchen Ausgang gefordert werden. Nur in den
Herakl. hat er die iidvreis beibehalten (819). Der geringen
Sorgfalt, die Eur. diesem Stück widmete, ist auch der logische
Fehler entsprungen, daß neben der Makaria, die doch das
eigentiiche (j<j)dYiov ist, noch andre a^a\\a genannt werden (673).
Eine Abweichung vom Ritus der a(j)dYia ist es, daß in der
Hek. Neoptolemos als iepeüs das Opfer schlachtet'). Aber die
Gestalt des Kalchas (der übrigens auf bildhchen Darstellungen
des Polyxenaopfers vorkommt: Tabula IHaca) hätte hier den
Kontrast: Neoptolemos — Polyxena nur verwirrt.
Bei den a^äy\a wird nicht der ganze Körper als Opfer
dargebracht, sondern nur das Blut. Daher schneidet man ihnen
nur die Kehle durch, damit das Blut rascher zur Erde fließen
und zu den Unterirdischen gelangen kann*). Diesen Ritus er-
wähnt Eur. ausdrückhch bei allen Opferungen. Herakl. (819):
1) Vgl. unten 100. Menschenopfer an fjpwes finden wir auch sonst be-
zeugt z. B. Partheuios 35 in der Opferungsgeschichte von Eulimene und
Lykastos. Die Hyakinthiden werden auf dem Grab des Heros Geraistos ge-
schlachtet Apollodor III 15, 8, 3. — Weitere Beispiele bei Stengel a. a. 0.
128. Die Winde als Adressaten von a^ä^(ia werden einmal bei Xenophon
Anabasis 4, 5. 4 genannt: auch die äveiioi sind chthonische Gottheiten.
Menschenopfer zur Sturmstillung: Schwenn a. a. 0. 12:3.
2) Vgl. unten 88 f. •') Vgl. Stengel a. a. 0. 96.
*) gvreiJiveiv Stengel a. a. 0. 103.
gO Johanna Schmitt
jidvieis e(j<j)aCov oöi< cjieXXov, dXX' d^ieorav Xaijiöv ßpoTeiwv eb^bs
oupiov 4)övov. Hek. (150): f] 5eT a e7ri8eTv TUjißou TTpoTrerii <|)0!vict(JO-
\ii\i\v aYjiari 7rap8-evov ek xpu(TO(t>öpou Seipfis vaaiiü iieXavauyeT. (208) :
XaiiJÖTO^öv 7 'Ai5a yäs ÖTroTrejnTOiievav (tkötov. (567): Tejivei ai5npu
TTveüfiaros Siappods" Kpouvai 5' exwpouv. In den Phoen. vollzieht
Menoikeus an sich selbst dieses Ritual (1090): eirei KpeovTos iraTs
[ieXdv6eT0v ^i'^os Xaijiüv 5ifiKe. Auch in der Iph. Aul., deren
Opfer nicht eindeutig als o^ayiov dargestellt ist, wird immer
das Durchschneiden des Halses betont (875) : (jjaavavcü XeuKfiv
4)0veuuv Tpjs TaXaiTTWpou Sepnv. An diese Wendung lehnt sich
wohl der unechte Vers 1516 an: ev^vt] re crwuaios 8epnv ff^ayelaav,
ferner heißt es in dem Ghorlied (1083): jiöaxov dKJiparov, ßpöieiov
aiiida0OVTes Xaifiöv und (1429): XP^^^^ Sc Kai crü toTs ejioTs Xöyois tdxa,
OTQv ireXas ofjs <j>dGYavov 5epr|s 'i'ßris, im unechten Teil (1574):
dxpavTov aT|ja KaXXiTrap^evou öepns und (1578): iepeus 8e ^aayavov
Xaßüjv CTtritj^aTO Xaiiiöv t' eTrecrKOTveTy, Vva TrXn^eiev äv.
Besonders nachdrücklich wird in der Hek. der Opferritus
betont, damit die ganze altertümliche SchauerHchkeit dieser
Zeremonie grell hervortrete. Stark ausgenutzt ist hier das
Wortspiel mit Tier- und Menschenopfer (142): ttwXov d(j)eX^uv
aüv dirö padTÜv und (205): aKUfivov yocp V-' ^^t' oupi9-pe7TTav, jiöaxov
ßeiXaia 5ejXa(av eiaöi|jei, besonders (260): Trörepa tö xph^ o^' iT:r\yay'
dv9'pü)7ro{T(})aYeTv Ttpös rOjißov, evS-a ßou^üTcTv {läXXov TrpeTrei;
Anspielung auf rituellen Sprachgebrauch khngt wolil auch
mit, wenn Polyxena und Menoikeus ttüjXos genannt werden.
Hek. 142. Phoen. 947: oötos 6e ttüXos TfjS' dveifievos ttöXci^).
Eur. hat bei dem Opfer der Polyxena deuthch die alte
rohe Vorstellung ausgesprochen, daß die Seele das Blut des
Opfers trinkt^) (392): Kai 8is löaov itw|i' aT^aTOs Y^^naerai yaig
^) Vgl. Eur. Phaethon 21 (p. 76 v. Arnim Suppl. Trag.) tu veöC;uYi ow
TttüÄcü und Aristoph. Lysistr. 1.308: xöre n»Aoi Kai KÖpai Ttäp töv Eöpcüiav äjirräA-
AovTi TtuKvä noSoTv ccyKovitüai. Vgl. auch Wilamowitz bei Wiegand Ath. Mitt.
29, 297: Auf einer mysischen Grabschrift wird ein Mädchen als ttcäAos 'A(})po-
5iTr|s bezeichnet. Vgl. auch die iepoi ttcüAoi "laiSos und die ncaAoi AeuKinniSuv
(Wilam. a. a. C), Gerhard Arch. Rel.-Wiss. VII 520 ff. Pfister RelicLuienkult
I 311, 1015, Malten Arch. Jahrb. 1914, 214 ff. 251.
2) Stengel 192 bemerkt zu der Stelle: „Er (Eur.) folgt der Sage kaum
in der Meinung, die graue Vorzeit sei so roh gewesen, daß ihr auch solche
Vorstellungen zuzutrauen gewesen seien, daß Achill das Blut des Opfers
trinkt." Warum Eur. das nicht geglaubt haben soll, ist unklar: ist der
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 81
v€Kpw re Tü Td5' el^aiTOUjievw. Der Körper dieser Opfer aber wird
nicht als Spende mit dargebracht, er wird in Herakl, , Hek.
und Phoen. von den Angehörigen bestattet.
Stark betont wird in der Hek. die rituelle Reinheit des
Jungfrauenopfers (dKpai(|)ves aT|ia 537), das zusammen mit den
zauberkräftigen Spenden (xoäs KriXriTnP'Oi'S 535) besonders magisch
wirksam ist. Diese Reinheit ist es ja überhaupt, die gerade
das Jungfrauenopfer zur Versöhnung der göttlichen Mächte so
geeignet macht').
Auch in den Phoen. wird die Reinheit des Opfers hervor-
gehoben und Haimon, der durch die Ehe befleckt ist — 6iä
TÖ iieiioXuvö-ai Schol. 944 — ausdrücklich als Opfer abgelehnt.
Ebenso wird Iphigenie ein [löcrxos dKrjpaTOs genannt (1083)
und im unechten Teil das äxpavTOv aT|ia der Jungfrau erwähnt
(1574).
Wichtig ist auch immer die edle Abkunft des Opfers, was
besonders in den Herakl. stark betont wird (409, 490). Auch
sonst sind es stets Fürstenkinder, die gefordert werden.
Auch darin schließt sich Eur, an die Ritualvorschrift an,
daß das Opfer von hervorragender Schönheit sein soll. Be-
sonders hervorgehoben wird das wieder in der Hek, durch den
Vergleich mit Helena (265) : 'EXevnv viv aireTv XPHV Td(J)ü) 7rpoa<j)dY-
liara- ... ei 5' aixiiaXwTuv XPH tiv' eKKpiiov ö'aveTv KdAAei ^' virep^i-
pouaav, oux niiwv Tö8e. So heißt auch Iphigenie 1199/1200
el^aipeTOv a<|)dYiov und im Botenbericht 1574 KaXAiTrapö^evou Upr\s^)-
Am ausführlichsten wird das ganze Ritual in der Iph. Aul. ge-
schildert. Hier liegen der Sage wirkliche rituelle Menschenopfer
— ^üdai, keine a^&ym — zugrunde, die die TaupoiröXos erhielt"*).
Der Mythus erst hat aus diesen rituellen Opfern ein einmahges
0(j)dYiov gemacht, insofern Iphigenie zur Beschwichtigung der
widrigen Winde oder umgekehrt, um die ÖTrAoia zu beenden,
Mensch an Stelle des Tiers getreten, so tritt sein Blut natürlich an Stelle
des Tierbluts.
») Fehrle, Kultische Keuschheit R.G.V.V. VI 54 ff. 167 ff. Berl. phil.
Wüch. 1919, 163.
^) Vgl. Iph. Taur. 22: KäAAiorov &ö|ia. So heißt es auch bei Pausanias
7, 19 in der Erzählung von einem Menschenopfer: fjXeyxev n Uvdia . . . dvä
TTöv €'to9 nap&evov Kai KalSa, oY tö elSos elev KäAÄicToi, irj ^ew (sc. Artemis) ^üciv.
•') Kjt'llberg Real.-Enc. IX, 2 2592 ff. Schwenn a. a. 0. 78. 102.
Religiüusgescliichtliche Versuche u. Vorarbeiten XVU, 2. 6
82 Johanna Schmitt
geopfert wird. Ein Widerspruch bleibt dabei, daß hier Artemis
die Adressatin des (j(|>dYiov bleibt und nicht die Unterwelts-
dämonen. Interessant ist, wie dies Verhältnis sich im rituellen
Sprachgebrauch bei Eur. widerspiegelt : 1 1 mal wird das Opfer
im echten, 5 mal im unechten Teil als ö-uaia, ö'öiia, ^öeiv be-
zeichnet; im echten Teil: 91, 93, 358, 360, 530, 531, 673, 721,
883, 1185, 1272; im unechten Teil: 1524, 1555, 1572, 1592,
1602. Dagegen wird es nur zweimal im ganzen Stück a^dyiov
genannt 135, 1200.
Hier allein wird also das Iphigenienopfer den oben be-
sprochenen ff<j)dYia gleichgestellt. Daneben wird die Darbrin-
gung dieses Opfers allerdings auch oft mit a^arreiv und (j(j)aYai
bezeichnet (533, 906, 1186, 1318, 1348, 1360 [1517, 1548]),
doch ist dieser Ausdruck mehr neutral und gilt allgemein vom
Töten des Opfertiers ').
Ganz ähnlich steht es mit der Phrixossage. Auch hier
liegt das rituelle Menschenopfer zugrunde^), das dem Zeus
Aa(j)uaTios dargebracht wurde; die Sage aber führt den Phrixos
als a^ä^iov ein, das der Dürre abhelfen soll.
Gegenüber dem Sprachgebrauch in der Iph. Aul. kommt
in allen andern Opferszenen nur 1 mal das Wort &üna vor, in der
Hek. 223: S-uiiaTOs 6* eTTicndTris tepeus t* eTreffrai Touße ttqTs 'AxiA-
X^ws, also in dem Augenblick, wo die feierliche Zeremonie ge-
schildert wird, auf die hier besondrer Nachdruck gelegt ist.
Daher tritt hier auch ein iepeus ein, der beim eigentlichen
c<|>dYiov fehlen müßte.
Wie in der Hek. das Wortspiel mit Menschen- und Tier-
opfer, so hat Eur. in der Iph. Aul. die Amphibolie Braut- und
Menschenopfer häufig angewandt (432): 'ApT€|ii5i irpoTeXi^ouffi
rfiv veavi5a*). Dann in der ganz auf diese AmphiboHe aufge-
bauten Begrüßungsszene (673): ^vaai iie ö'uaiav rrpüra 5eT tiv'
ev^dSe, ähnhch auch (721): ^vaas Y^ ^ujiay djie XPH ^öaai &eoTs*).
1) Stengel a. a. 0. 110. ^) S. unten 98 f.
'*) Der Vers steht im unechten ersten Botenbericht, der aber seinem
Inhalt nach doch wohl auf Eur. zurückgeht, s. Mader a. a. 0. 46; vgl. auch
718: TipoTeÄeia 5' fjSn naiSös ea(j)a|as ö^eä;
*) Auch diese Amphibolien bringen natürlich den Gebrauch der Aus-
drücke dva'ia, &v[ia, &üeiv für das Iphigenienopfer mit sich.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 83
Auch da, wo Agamemnon die Vorbereitungen zum Opfer
treffen läßt, gelten diese angeblich für das Braut-, in Wirk-
lichkeit für das Menschenopfer (Uli): üs xepvißes Trdpeiaiv nuTpe-
Triajievai, TrpoxuTai re ßdXXeiv irüp KaD'dpmov x^poTv, jiöaxoi re, Trpö
ydiicov äs &eä irecreTv xpewv 'ApieiiiSi, peXavos aYiiaros ^üar\\).ara.
Dieselben Zeremonien zur Vorbereitung ihrer eignen
Opferung erwähnt dann Iph. Aul. (1471): Kavä &' evapxed^u Tis,
ai&ea^oj 5e iröp irpoxuTais Kaö'apaioimv, kqi Traifip ejiös ev5e^ioi3a9-u
ßwjiöv. Ebenso kehren hier die xepvißes wieder (1479); und den
aV|iaTOS <j)U(Tii|iaTa (1114) entspricht (1485): a'i'iiaai &ü|iaaiv re ^ea<|)aT'
e^aXelipu .
Wie in den Herakl. (528): f\ym^' ottou 6eT aüjia Kar^aveTv
TÖ5e Kai orreiJiiaTOÜTe Kai Kardpxea^' ei 8oKeT wird in der Iph. Aul.
die feierliche Bekränzung des Opfers erwähnt (1477)'): ari^ea
TrepißoXa 5i6oTe, ^ipae. TrXÖKajios o5e KaTaffTe(|)€iv x^pvißwv ye TrayaTs.
Aufgenommen wird das in der respondierenden, wohl un-
echten Ghorstrophe (1512): aTei'xouaav eiri Kdpa öTe(|)ea ... ßaXopevav
Xepvißwv re irayds. Genau geschildert werden die Opferzeremo-
nien dann nochmals im Botenbericht. Man muß dem Nach-
dichter zugeben, daß er in nichts das griechische Opferritual
verletzt hat, auch nicht da, wo er über die schon vorher er-
wähnten Zeremonien hinaus Einzelheiten gibt. Kalchas legt
zuerst das Messer in den heiligen Opferkorb (1565)*): KdXxas
6' 6 jidvTis eis Kavoöv xpuffiiXaTov e^nKcv oib x^ipi ^äayavov airdcas
KoXeüv effw^ev. Das Kavd evdpxeoö'ai war auch 435, 95^ und 1471
erwähnt"). Dann bekränzt er Iphigenie 1567 (vgl. oben).
Altes Ritual ist auch das dreimalige*) Umlaufen des Altars
mit dem Opfergerät (1568): 6 TraTs 5' 6 fltiXecüS ev kukXcü ßwjiöv
&eäs Xaßwv Kavoöv e^pe^e xepvißas ^' öiioö^). Als „rechts herum
laufen" deutet Eitrem wohl auch richtig das ÖTra^ eipniJievov
»evSe^ioua^u« (1473) «).
In der Alk. fehlt natürlich das Opferritual. Anklang an
') Köchling, De coronarum vi atqiie iistc R.G.V.V. XIV 43; Eitrem,
Opferritus und Voropfer 65. '^) Eitrem a. a. 0. 8. ") Eitrem a. a. 0.
295 gegen Stengel a. a. 0. 403. •*) Dazu Eitrem passim.
**) Vgl. die ganz ähnliche Stelle Herakles 926. Echt kann die Stelle
natürlich wegen der Aktion des Neoptolemos nicht sein. Vgl. oben 61.
«) A.a. 0. 6.
6*
84 Johanna Schmitt
Rituelles ist hier nur das Voropfer, das Abschneiden der Locke
durch Thanatos (74): arelxw 8' e;:' aurnv, us KaTdp^u}iai Xi^ei.
Dieselbe Zeremonie kommt öfters auf bildlichen Darstellungen
des Polyxena- und Iphigenienopfers vor^). An rituellen Brauch
hält sich Eur. in der Alk. auch, wenn er die Dienerin er-
zählen läßt, wie Alkestis sich vor ihrem Tode wäscht, schmückt,
betet und opfert (159 ff.).
Alles Rituelle fehlt in den Hik. Hier ist das Opfer, oder
vielmehr der Selbstmord, rein persönlich erotisch.
X. Sagengeschichtliche Grundlage und Nachwirkungen
der euripideischen Devotionsszenen.
a. Makaria. Die Frage, ob Eur. seine Devotionsszenen als
altes Sagengut übernommen oder als freie Analogiebildungen
selbst erfunden habe, ist zuerst von Wilamowitz aufgeworfen
worden ^). Die Untersuchung wird für die Gestalt der Makaria
durchgeführt und bewiesen, daß sie eine Erfindung des Eur.
ist; auf Menoikeus und die Erechthiden wird dasselbe Resultat
in einer kurzen Anmerkung übertragen *'). Da diesem Ergebnis
in neuerer Zeit mehrfach widersprochen wurde, sei hier die
für die Arbeitsweise des Eur. in den Devotionsszenen wichtige
Frage nochmals kurz behandelt*).
Wilamowitz geht davon aus, daß im Drama des Eur.
nirgends ein Name der Heraklestochter genannt ist^). Den Namen
Makaria kennen wir nur aus späten Quellen, die Wilamowitz
ausführlich behandelt 1) einem Katalog der (J>iXd56X(})Oi (cod. 56, 1
Westermann Mythogr. 345), 2) Plutarch Pelop. 21, 3) dem ar-
gumentum der Herakl., 4) den Paroemiographen zum Sprich-
wort pdAV es MaKQpiav (Wil. a. a. 0. p. IV und VI), die es als das
Bestreuen der toten Makaria mit Blumen erklären, vielleicht
^) Für Iphigenie vgl. bes. das Relief der sog. Kleomeues-Ara, Michaelis,
Röm.Mitt. 1883,201; Herkul. Wandbild Wiener Vorl,-Bl. V8; Apul. Vaseubild
Wien. Vorl.-Bl. V 9, 3. — Für Polyxena die Berliner Gemme Overbeck Her.-
Gal. 27, 14. Zu andern Polyxenadarstellungen vgl. auch Arch. Jahrb. 1913, 58 ff.
(Brants), 272f. (v. Duhu), 274ff. (Hauser). "-) Ind. Lect. Gryph. 1882.
3) A. a. 0. p. X. *) Im Folgenden schließe ich mich wesentlich an
Wilamowitz an, von dem ich nur in einigen Einzelheiten der Beweisführung
abweiche. ^) Vgl. oben 4.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 85
in Anlehnung an den Botenbericht Hek. 572, wo dies von
Polyxena erzählt wird.
Woher aber der Name Makaria stammt, sehen wir aus
Strabo IX 377: Makaria heißt eine Quelle bei Trikorythos, wo
das Eurystheushaupt begraben liegen soll. Von einer Ver-
bindung der Quelle mit der Heraklestochter ist bei Strabo, der
hier von Apollodor abhängt'), keine Rede. Diese bringt erst
Pausanias I 32, 6, der die Quelle nach Marathon verlegt und
sie nach der heldenhaften Heraklestochter benannt sein läßt').
Wir werden uns demnach den Weg, auf dem die Herakles-
tochter zu ihrem Namen kam, folgendermaßen zu denken haben.
Die hellenistische Sagenforschung, die nach einem Namen für
die aus den Herakl. bekannte Heroine suchte, fand diesen in
der schicksalslosen Quellnymphe Makaria, die sich gut in das
Lokal der Heraklidensage einfügte. Von diesem Mythographen
— Wilam. denkt an Istros") — sind Pausanias einerseits, die
Pai^oemiographen und der Verfasser des argumentum andrer-
seits, abhängig.
Der Hauptbeweis dafür aber, daß Makaria keine mythische
Figur ist, scheint mir darin zu liegen, daß in keiner der Über-
lieferungen, die von Makaria berichten, kultische Ehren für
sie erwähnt sind, während diese in echten Devotionssagen bei
keiner von diesen Ttap^evoi, die zu „Nothelferinnen" werden,
fehlen. Die Unhaltbarkeit von Pf isters Versuchen, einen solchen
Kult aus dem Drama zu konstruieren, sahen wir oben 47.
Mit dem Hinweis auf IG. II 1, 581 und Pausanias I 19, 3*)
widerlegt sich Pfister eigentlich selbst; denn hier werden aller-
dings Kulte der Alkmene, des lolaos und der Herakliden auf-
gezählt, aber gerade eine Erwähnung der Makaria fehlt. Daß
Eur. mit seiner Erfindung der Heraklestochter an diese Kulte
anknüpfte, bemerkt schon Wilamowitz'').
Es fehlt ferner der Name Makaria für die Heraklestochter
») Vgl. Wilamowitz a. a. 0. p. VIII und Schwartz, Real-Enc. I 2870.
^) Pausanias zeigt übrigens mancherlei Abweichungen von Eur.; vor
allem tötet sich bei ihm Makaria selbst. Dies ist eine Steigerung des Motivs
nach Analogie andrer Devotionssagen, die dieser späten Zeit nur ange-
messen ist. ') A. a. 0. p. IX. *) Reliquienkult 115 Anm. 410.
«*) Herm. 17, 345.
86 Johanna Schmitt
in einer relativ frühen Quelle, dem Schol. Ar. Plut. 385: ypa^i\
lievTOi eafiv oi 'HpaKXeT6ai Kai 'AXKjinvr] Kai 'HpaKXeous ^vy/art\p 'A^t\-
vai'oüs iKeTeuovTCs Eupud^ea 8e5iÖTes rJTis naii(j)iXou ouk eaiiv, üs
<})aaiv, äXX' 'ATVoXXoßupou. k. t. X. Wir haben hier, wie Wüamowitz
ansprechend vermutet, das älteste von der euripideischen Tra-
goedie beeinflußte Gemälde^), aber in durchaus selbständiger
Gestaltung. Die Heraklestochter gehört hier — abweichend
von Eur. — mit zur Gruppe der Schutzflehenden.
Nicht so unzweideutig klar, wie Wüamowitz meint, scheint
mir dagegen die Tatsache, daß Duris den Namen der Herakles-
tochter noch nicht kenne: Das Scholion Plat. Hipp. I 233 fährt
nach der ersten Erklärung des Sprichworts ßäXX' es MaKopiav
fort: Aoüpis 6e (j)riaiv, öti aüiri rfiv Trupäv toö Trarpös KaTeaßecrev Kai e^
CKeivou Trapä MaKeSöai vevöiiiaTai ras ö^üyaTepas tüv Kn5euojievuv, oTs äv
uai 7raT5es, tö oütö TrpdTTeiv em toTs TraTpdffiv. Wüamowitz be-
hauptet, Duris habe als erster das Sprichwort mit der Herakles-
tochter in Verbindung gebracht, ohne ihr aber den Namen
Makaria zu geben ^). Dieser sei erst von späteren Paroemio-
graphen zugefügt worden, welche die Verbindung mit der
Heraklestochter von Duris übernahmen. Viel einfacher scheint
mir aber der umgekehrte Vorgang zu sein. Die Vorbedingung
nämlich zur Erklärung des Sprichworts ist, daß man poKapia
als Name deutete und unter diesem Namen in Anlehnung an
die Kombination der gelehrten mythographischen QueUe des
Pausanias die Heraklestochter verstand. Die Überleitung zu
dieser Erklärung muß der Begriff paKapi^eiv gebüdet haben.
Dieses bestand nach den Paroemiographen in dem Bewerfen
des Grabes mit Blumen. Erklärte also Duris das Sprichwort
im Zusammenhang mit der Heraklestochter, so kannte er auch
ihren Namen, der ja erst die Möglichkeit zu der ganzen Er-
klärung gibt. Er gab eine Deutung, die von der gewöhnlichen
Paroemiogi^aphenerklärung (s. oben) abwich, indem er das arnov
der makedonischen Sitte zugleich als aiViov des Sprichworts
benützte, also so kombinierte: MoKapla eis iioKapiav eßaXev. Er
glaubte wohl, für das tapfere Verhalten der Heraklestochter,
wie es Eur. schildert, sei es eine sinngemäße Parallelerfindung,
1) Ind. lect. Gryph. p. X. ^) A. a. 0. p. Vm.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 87
sie durch diesen Liebesdienst in ein besonders nahes Ver-
hältnis zu ihrem Vater Herakles zu setzen.
Ebensowenig darf man die Aristotelesstelle bist. an. VII
6, 45 '), die Wilamowitz anführt, als Beweis benützen, daß für
ihn die Heraklestochter, noch namenlos gewesen sei. Aristoteles
brauchte in seinem Zusammenhang durchaus keinen Namen
zu nennen: ihm kam es nur darauf an, die Tatsache festzu-
stellen, daß Herakles unter 72 Söhnen nur 1 Tochter hatte.
Wie diese hieß, war dabei völlig nebensächlich. Die ganze
Stelle allerdings mit ihrer Betonung der Herakles-„Tochter"
ist wohl vom euripideischen Drama beeinflußt. Daß Aristoteles
nur eine Tochter nennt, während es bei Eur. viele sind (544),
ist daraus zu erklären, daß diese Mädchen, die überhaupt die
Bühne nicht betreten, leicht übersehen werden konnten, da
die eine mit ihrer Heldentat alle andern überstrahlte.
Einen starken Beweis für die Erfindung der Makariagestalt
sieht Wilamowitz endKch darin, daß weder die Historiker
(Herodot, Thukydides, Diodor) noch die Redner (Isokrates,
Ps.-Lysias und Ps.-Demosthenes in ihren Epitaphien, Aristides)
noch endHch Apollodor die Tat der Makaria anläßlich der
Heraklidensage erzählen. Doch ist dieser Grund kaum stich-
haltig. Denn alle diese Autoren wollen Athen und seine Gut-
taten an Unterdrückten verherrlichen. Es mag also ganz
naiver Lokalpatriotismus gewesen sein, daß sie die Heldentat
der Heraklestochter, die nicht zu den Ihren gehörte, verschwie-
gen, während der Dichter in diesen Dingen souverän schaltete^).
Doch obgleich diese letzten Beweise fallen müssen, scheint
doch die freie Erfindung der Heraklestochter durch Eur. und
ihre Namenlosigkeit in seinem Drama genügend gesichert^).
*) eioiv 5e Koi ävSpes &r|^"Yovoi kgI yvvaiKe<i öppevoYÖvot, olov kqi kotö 'Hpa-
xÄ^Oüs liu&oAoYelTtti, 5s ev 5üo koi ip5oiir|KOVTa tckvois ^uyaTepa \iiav lyi\>vr]aev.
^) So nimmt er z. B. auch eine Ehrenrettung der Helena während des
Krieges mit Sparta vor.
3) Ich weiß nicht, ob die flüchtige Bemerkung von Wilamowitz (Philol.
Unters. XXII 1917, 317) das Resultat seiner ganzen früheren Beweisführung
umstoßen soll. Er sagt hier bei der Erwähnung, daß Eur. häufig den Stoff
seiner Tragoedien aus Dorfsagen entnommen habe: „so hat er .... in den
Herakliden ein Grab bei Gargettos und eine Quelle bei Marathon heran-
gezogen."
88 Johanna Schmitt
Eine offenkundige Nachbildung der euripideischen Makaria-
geschichte ist die bei Plutarch Theseus 32 aus Dikaiarch^) er-
wähnte Erzählung von der Aufopferung eines gewissen Mara-
thos: ä^' o5 (sc. Mapd&ou) 5e Mapa^üva töv 5fi|iov, emSövros eau-
TÖv eKOum'cos Kard ti Abyiov a^ay\aaaa^a\ irpö Tfjs Trapard^ews. Für
den fjpws €7rojvu|ios von Marathon bot sich kein besseres amov
als die schon vorgebildete und eben dort lokalisierte Geschichte
vom Opfertod der Makaria in Kriegsnot. Auch darin liegt
eine Nachahmung, daß Marathos Avie Makaria aus der Fremde
kommen (Marathos begleitet die Tj^ndariden).
Widerspruch hat das Resultat von Wilamowitz auch bei Weil
gefunden^, der, ausgehend von Iphigeniens Opferung beiEur.,
annimmt, die Devotionsszenen seien keine reinen Erfindungen,
sondern alle Umbildungen vom gezwungenen zum freiwilligen
Opfertod. So will er die ursprüngliche Form der Makariasage
im Loswerfen erkennen, das lolaos o44ff. vorschlägt. Dieser
Vorschlag des Losens ist aber ein rein dramatisches Kunst-
mittel, das Eur. zudem noch in der Iph. Aul. 1197 ff. anwendet'),
wo trotz der reichen Überlieferung dieses Stoffes sich nirgends
diese von Weil angenommene „ältere Sagenform" findet.
Die Hypothese Gruppes*), Makaria sei eine Hypostase des
Dionysos Makareus*), für den auf Lesbos Menschenopfer be-
zeugt sind, scheitert schon daran, daß Makaria ja nicht dem
Dionysos, sondern der Persephone geopfert wird. Auch diese
Erfindung eines Menschenopfers für Köre spricht für den rein
poetischen Ursprung der Opferungsgeschichte.
b. Menoikeus. Der Andeutung von Wüamowitz ®) , daß
der Menoikeus der Phoen. wie Makaria eine Erfindung des
Eur. sei, und daß seine häufige Erwähnung in der späteren
Literatur nur für die Behebtheit der euripideischen Tragoedie
') Dikaiarch schrieb nepi tüv EupiniSou kci Io(J)OKAiou9 iiü&töv.
*) Sept. trag. 166. ») Vgl. oben 42.
*) Griech. Mythol. u. Rel. -Gesch. 44; abgelehnt auch von Schwenn a. a. 0.
133, der aber die Makariaerzählung als echten Mythos aufzufassen scheint.
') Die Verbindung mit Marathon stellt sich für Gruppe dadurch her,
daß bei Demosth. 18, 260 der Fenchel = liäpa&os als dem Dionysos heilig
bezeugt ist. *) A. a. 0. p. X Anm.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 89
zeuge, schließt sich Robert') völlig an, während Schwenn^)
auch liier wieder zu der Auffassung zurückkehrt, die Menoikeus-
geschichte sei echter Mythos. Doch gegen diese Annahme
spricht vor allem der Name, den er nach griechischer Sitte
vom Großvater erhalten hat. Wir treffen genau denselben
Fall bei Eur. noch einmal: Der Tyrann Lykos im Herakies ist
wie Menoikeus nach seinem Großvater benannt und ebenfalls
eine erfundene Figur'). In beiden Fällen wird auch die Be-
nennung nach dem Ahnen ausdrücklich hervorgehoben (Phoen.
768, Her. 31).
Ganz von Eur. abhängig ist Apollodor HI 6, 7, der sogar
ein paar Zeilen weiter unten den Namen Eurip. zitiert, ebenso
ein andrer Mythograph (Append. narr. ed. Westermann 377, 28
= Nonnos narrat. ad Greg, invect. 1,9 p. 131), dann die Ge-
mäldebeschreibung des Philostrat (ed. Kayser II 300, 3), Lukian
de Salt. 43, Plutarch. Pelop. 21, Pausan. IX, 25*).
Wörtliche Euripideszitate gibt Libanius (IV 1045 R.) in
seiner ri^oiroiia des Menoikeus: z. B. iydi 5e oök äv TTpoSörns Y^"
voiiinv Tfjs eiiauTOÜ (sc. iTÖXeü3s) ou5e (J)iXöi1jüxos (vgl. Phoen. 996).
Bei Nonnos Dion. 23, 71 tötet sich ein Inder, um nicht
Dionysos in die Hände zu fallen, mit Berufung auf einen Me-
noikeus: Kai ^dvev auTo5aiKTOS ev dvTißloiai MevoiKeus aiSöiievos iierä
Sfjpiv i5eTv eri AnpiaSfja öpiiaGi 5' otKXauToiai ^eXrniovi Kdr^ave 7rÖT|ic»)
Kai iiavi'ns dTrdveu^ev e<|)aiv€TO xdXKeos Ai'as. Auch hier sollte doch
wohl der Name, besonders in der Nachbarschaft des andern
griechischen Helden, Aias, an den thebanischen Heldenjüngling
erinnern'*).
Nur in dem Scholion zu Aristides Panath. (Dind. III p. 113
zu 119,4) wollte Robert') eine selbständige Weiterbildung der
Menoikeussage erbhcken. Hier heißt es nämhch: dXXd Kpecjv
ev Onßa MevoiKea töv uiöv eTTi5e6coKev eis a(|)aYnv ÖTrep Tfjs TTöXeus.
') Oedipus I 416. -) A. a. 0. 134. ») Wilamowitz, Herakles I 112.
*) Abweichend von Eur. ist hier nur, daß das Orakel aus Delphi kommt.
Für Pausan. ist eben Delphi „die" Orakelstätte und er hat übersehen, daß
dies für die thebanische Sage nicht paßt.
^) Nichts Neues bringt lustin. mart. quaest. et resp. ad orth. 146. —
Über Menoikeus bei Hygin 68 s. Robert a. a. 0. I 318, über die Menoikeus
betreffenden Phoenissenscholien 1010 Robert a. a. 0. I 494 und II 65.
6) A. a 0. II 155 A. 98.
90 Johanna Schmitt
Aber abgesehen davon, daß es unwahrscheinlich ist, daß der
SchoHast, der an andrer Stelle mit der euripideischen Sagen-
form noch ziemlich gut Bescheid weiß, hier etwas ganz Neues
und Singuläres brächte, können wir sogar die Entstehung dieser
Abweichung von Eur. noch erkennen. Ein paar Zeilen vorher
nämhch (119, 1) erzählte er von der Opferung der Leokoren:
Aeus TIS ^üyarepas .... Trpoö^üiiws emSeSuKev: dieses €7ri5e6uK€v
hat er bei der nächsten „Sage", dem Opfertod des Menoikeus,
einfach gedankenlos wiederholt.
Daß die Erfindung des Eur. fast noch zu seinen Lebzeiten
von den Rhetoren ganz naiv als Sagenbeispiel zitiert wurde,
bezeugt Cicero Tusc. 148, 116. Der Sophist Alkidamas') fühiie
in seiner laudatio mortis unter den clarae tnortes jjro patria
repetitae auch den Sohn des Kreon an: Menoeceus non praeter-
mittitur, qui item oraculo edito largitus est i^atriae suum sanguinem.
Daß gerade Menoikeus bei den Römern besonders bekannt
geworden ist, kommt daher, daß diese Sage sich am nächsten
mit dem altrömischen Brauch der devotio berührte. Ja, eine
der römischen Devotionssagen, die von Gurtius, scheint sogar
schon von entsprechenden griechischen Sagen abgeleitet zu
sein^). So war auch Statins sicher, den Beifall seines Publi-
kums zu finden, wenn er die Menoikeusepisode aus den Phoen.
in seine Thebais (X 610ff.) aufnahm. Alle Grundzüge aus Eur.
sind beibehalten: Befehl des Teiresias, Menoikeus zu opfern,
Verstellung des Menoikeus und letzte Rede. Die Überein-
stimmungen gehen oft bis zum wörtlichen Anklang. Die
Änderungen ergeben sich aus der Verschiedenheit der epi-
schen von der dramatischen Technik*). Aber alles ist rhe-
torisch aufgebauscht; ein ganzer allegorischer Götterapparat
wird bemüht, Virtus, die in Mantos Gestalt Menoikeus die
Selbstopferung befiehlt, und dann zusammen mit Pietas den
^) Ob das Beispiel auf Alkid. selbst zurückgeht, ist zwar nicht ganz
eindeutig gesagt, es ist aber sehr wahrscheinlich, daß sich hier der noch
frische Eindruck des euripideischen Dramas kundgibt. Ähnlich zitiert auch
der ca. 70 Jahre spätere Redner Lykurg den eurip. Erechtheus. Doch weist
dieser ausdrücklich auf die Gestaltung durch den Dichter hin.
-) Schwenn a. a. 0. 178 S.
^) Genauere Vergleichung des Eur. mit Statins bei Eissfeldt, Quellen
n. Vorbilder d. Statins, Progr. Helmstedt 1900, 13 ff.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 91
Menoikeus, der nach einer schwungvollen Rede sich von der
Mauer stürzt, auffängt und sanft zur Erde legt^).
Statius bezeichnet den Opfertod natürlich als devotio (720):
dis votmn iuvenem, wozu das Scholium vetus (ed. Barth p. 1238)
bemerkt: iam enim se devoverat inferis pro patria.
Vielleicht unter dem Eindruck dieser effektvollen Partie,
vielleicht aber auch direkt als ein der Rhetorenschule ent-
stammendes beliebtes exemplum zitiert dann auch luvenal
(XIV 240) den Menoikeus zusammen mit den Deciern: quan-
tus erat patriae Deciorum in pectore quantum dilexit Thebas, si
Graecia vera, Menoeceus.
SchHeßlich scheint das Rhetorenthema in Ps.-Quintilians
Declamationen (no. 326 Ritter) letzten Endes auf Eur. zurück-
zugehen. Wie Kreon sucht hier der legatus das Orakel zu
verheimlichen; wie Menoikeus tötet sich sein Sohn freiwillig
als Sühnopfer für die Pest.
Erkannten wir aus allen diesen Zeugnissen nur den un-
geheuren Einfluß der eurip. Tragoedie, so führt uns ein andrer
Weg zum Ausgangspunkt der eurip. Erfindung selbst. Immer
wieder haben die Erklärer dem Schohasten zu Antigone (1303):
KWKuaaaa pev toö Trpiv ^avövTOS Meväpeus kXeivöv Xdxos, aö9-is 8e
T0ü5e nachgesprochen, daß der hier zitierte Megareus mit dem
euripideischen Menoikeus identisch sei. Zuletzt hat Bruhn^)
diese Annahme verteidigt und zu beweisen gesucht. Erst
Robert^) hat, wie mir scheint, mit schlagenden Gründen, diesen
alten Irrtum beseitigt. Seine Erklärung der Stelle ist folgende :
Von Megareus, dem Sohne Kreons, hören wir in den Sieben
•) Zugrunde liegt dieser Erfindung natürlich die homerische Episode von
Sarpedons Tod, den ödvaios und Tnvos tragen. Legras JEtudes sur la
Thebaide 121 sieht wohl richtig auf einem etruskischen Sarkophag eine
Illustration zu Statius (Overbeck Gall. 133, Inghirami, Mon. Etr. I t. II, 86).
Unmöglich scheint mir dagegen Engelmanns Deutung eines unteritalischen
Vasenbilds auf den Tod des Menoikeus t^Arch. Jahrb. XX 179 ff.). Darge-
stellt ist hier ein nackter Jüngling, der in einem kleinen Tempel liegt. Von
rechts und links schreitet je ein bewaffneter Krieger in Angriffsstellung
heran. Dieser Kampf hat doch offenbar den Toten zum Gegenstand, der
daher nicht Menoikeus sein kann. Auch daß der angebliche tote Menoikeus
hier proleptisch in seinem eignen Heiligtum dargestellt sein soll, ist unmöglich.
2) Einl. zur Antig. 14. «) A. a. 0. 247, 355 ff.
92 Johanna Schmitt
des Aischylos. Er wird hier von Eteokles dem Eteoklos ent-
gegen ans Nei'stische Tor gesandt, und bei ihm allein von allen
Kämpfern wird die Möglichkeit erwähnt, daß er fallen könnte
(477): dXV fj ^avuv rpo^ela irXnpwaei x^'ovi, f) Kai 8u' äv5pe Kai ttö-
ha\i Itt' ctaTTiSos eXuv Xa{j)üpois Swiia Koa\ir\ae\ iraTpös. Es muß
also, folgert Robert, eine Sage gegeben haben, nach der Me-
gareus im Kampf fürs Vaterland fiel, und auf diesen — jeden-
falls der Thebais entnommenen — Zug spielt Aischylos hier an.
Diesen Tod fürs Vaterland bezeichnet dann auch Sophokles
Antig. 1303 als kXeivöv Xdxos- Eur. hat zu diesem Megareus
als Parallele einen dritten Sohn Kreons erfunden, und das
Schicksal des Megareus dadurch überboten, daß er an Stelle
des Schlachtentods den freiwilligen Opfertod setzte. Diese
Hypothese Roberts läßt sich einerseits durch einen direkten
Beleg, andrerseits durch eine Parallele stützen. Pausanias er-
zählt nämlich bei seiner Beschreibung Thebens (IX 25, 1):
Orißaiois 5e twv ttüXüv eariv iyyvTa-ra twv NriTatüv MevoiKeus \ivr\\ia
Toü KpeovTos. dTreKTCive 8e eKOuaius eauTÖv k. t. X. In den Sieben
wird aber gerade am Ne'istischen Tor Megareus aufgestellt, ist
also dort, nach der Thebais jedenfalls, gefallen. In späterer
Zeit nun, nachdem Megareus mit Menoikeus identifiziert worden
war — wofür das oben erwähnte Scholion zur Antig. Zeuge
ist — , wurde das Grab des alten vergessenen thebanischen
Heros Megareus *) unter dem Einfluß der eurip. Sagengestaltung
auf seinen erfundenen Bruder übertragen. Wir sehen nun
also, warum das Menoikeusgrab , abweichend von der Fabel
des Eur., der ihn an der Drachenquelle sterben läßt, bei
Pausanias ans Neistische Tor verlegt ist, und haben hier die
Lösung für diesen Widerspruch, der Anstoß erregen konnte ^.
Wenn Schwenn^) behauptet: „Natürlich war diese Grab-
stätte der Ausgangspunkt der Sage", so ist dies nur in sehr
bedingtem Sinne richtig. Daß für Eur. das Grab der Aus-
gangspunkt war, ist durchaus nicht notwendig.
Die oben erwähnte Parallele zur Megareus-Menoikeus-Sage
ist die Erzählung von Kodros. Hier lassen sich nämhch neben
') Daß der Name nach Theben gehört, zeigt auch die Gestalt der
thebanischen Königstochter Megara, der Schwester des Megareus.
-) Wilamowitz, Aischylos Interpretationen 92, 3. ^) A. a. 0. 134.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 93
der bekannten Sage, nach welcher der König in Bauernkleidung
freiwillig den Tod von Feindeshand sucht, noch die Reste
einer Überlieferung erkennen, in der die Peloponnesier in einer
Schlacht besiegt werden (Strabo IX 393) und Kodros im
Kampf für die Freiheit des Vaterlands fällt'). Damit stimmt
überein das Bild der Kodrosschale ') , auf dem der König in
voller Rüstung von einem gewissen Ainetos Abschied nimmt,
also in den Kampf zieht. Wie bei Megareus wäre daher —
sicher auch von einem bestimmten Dichter, den wir leider
nicht mehr nennen können '') — das Heldentum des Königs
durch die Erzählung von seinem freiwilligen Opfertod ge-
steigert worden*).
c. Erechthiden. Daß der freiwillige Opfertod der Erech-
thiden nicht eine reine Erfindung des Eur. ist, wie Wilamo-
witz*^) auch für ihn annimmt, hat besonders Ermatinger') be-
tont, dem sich auch Schwenn') anschließt. Es läßt sich bei
dieser Sage in der Tat aus der dürftigen Überlieferung die
ursprüngliche Sagenform, die in der Atthis niedergelegt war,
noch ziemlich genau von der euripideischen Umformung
scheiden. Auf das Drama geht natürhch direkt zurück Lykurg
c. Leoer. 24, sodann Aristides Panath. I p. 191, ferner die Be-
richte bei Stobaeus 39,33, Ps.-Plutarch p*ar. min, 310D und
Clemens AI. protr. 3*). Von diesen drei letzten Überlieferungen
gibt nur Ps.-Plut. als Quelle EupnTiSns ev 'EpexM an, die beiden
andern haben dafür AntiapctTOS ev a' (bzw. y) TpayuSouiievuv. Der
Name Demaratos ist ein Schwindelzitat, durch weiches der
Verfasser seinem Werk einen gelehrten Anstrich zu geben
1) Cic. de nat. deor. III 19, 49. — Auch bei Aristot. Pol. V 10 fehlt
eine Erwähnung des Opfertods. -) Baumeister, Denkmäler 1999, Nr. 2148.
■■') Pherekydes frg. 100 (Müller) ist unsere älteste Quelle für diese Fassung.
■*) Über die 2 Formen der Kodrossage s. Töpffer, Att. Geneal. 230;
Wilamowitz, Kydathen 99 ; Busolt gr. Gesch. I 220, 2 ; II 128. — Eine will-
kürliche Vermischung der Kodros- mit der Erechtheussage bringt Ps.-Plut.
par. min. 18 (Stob. V 66), wonach Kodros sich auf einem Feldzug gegen
die Thraker opfert.
ß) Ind. lect. Gryph. 1882, p. X Anm. und Kydathen 126.
^) Die att. Autochthonensagc, Diss. Zürich 1897, 102.
') A. a. 0. 132, 2.
**) Vgl. oben 65 ff. — Ebenso geht Porphyrius de abst. II bG mit der
Wendung: "A&tivaioi ifiv 'Epex&eus kqI [Ipa^i&^as ^uyai^pa ctveiAov auf Eur. zurück.
94 Johanna Schmitt
versuchte. Quelle aller drei Zitate ist die ursprüngliche — nicht
erhaltene — Fassung des Ps.-Plut. ^). Trotz des gefälschten
Zitats gibt Stobaeus inhaltlich am ausführhchsten den ursprüng-
lichen Ps.-Plutarch wieder.
Diese dreigeteüte Quelle, ebenso Lykurg und Aristides
nennen keinen Namen der Erechtheustochter. Auch in den
Fragmenten kommt kein Name vor. Ist das auch nicht be-
weisend für die ganze Tragoedie, so hätten wir doch in der
Praxithearede mindestens eine Namensnennung erwartet. Schon
hieraus läge der Schluß nahe, daß Eur. überhaupt den Erech-
theustöchtern keine Namen gab. Noch klarer wird dies, wenn
wir prüfen, welche Namen sie in der mj'thographischen Tradition
tragen. Hier haben wir eine doppelte Namenreihe: 1. die be-
rühmten Heroinen Oreithyia, Prokris und Kreusa. Von diesen
konnte Eur. kaum erzählen, sie seien den Opfertod gestorben.
Ihr Schicksal war durch Sage und dramatische Gestaltung schon
zu fest geprägt *). 2. Als drei weitere Erechtheustochter nennt
das Atthidenfragment des Phanodemos (s. Photius-Suidas s. v.
Tvapö'evoi) zu den erwähnten die Gruppe der chthonischen
Nymphen Protogeneia, Pandora und Chthonia, das „mythische
Gefolge der Athena" '). Auch diese so eng an den Kult ge-
bundenen Namen wü'd Eur. kaum verwendet haben. Da zu-
dem in den Quellen, die direkt von Eur. abhängen, jeder Name
fehlt, so zeigt sich hier ein geschickter Kunstgriff des Dichters,
der durch Vermeidung bestimmter Namen sich der Schwierigkeit
entzog, zwischen den Sagen- und Kultnamen zu wählen. Zu-
gleich erhält Wilamowitz' Hypothese von der Namenlosigkeit der
Heraklestochter hierdurch eine Stütze*). Die drei bei Suid.-
1) Vgl. Hiller, Herrn. 21, 126ff.; Real.-Enc. IV 2706. Hercher, praefatio
seiner Ausgabe von nepi noTajiwv p. 18 hält noch Stob, für die ursprüngliche Form.
^) Im Ion 277 ff. wird Kreusa ausdrücklich von den Geopferten geschieden.
Hier folgt Eur. der Vulgata der Opferungssage, vgl. unten. Vgl. auch Ais-
chylos' Tragoedie Oreithyia, Sophokles' Prokris u. Kreusa.
8) Schwenn a. a. 0. 132.
*) Wenn im Katalog der <j)iÄd5€A(j)oi (Westermann a. a. 0. 345) die ge-
opferte Tochter Prokris heißt, so hat hier wohl allein die Tatsache zu diesem
Namen geführt, daß auch Prokris der Sage nach den Tod erlitt. Vgl. Töpffer
Att. Gen. i58. — Bei Apollodor III 15, 4, der übrigens in seiner Erzählung
der Sage von Eur. abhängt, tritt zu den drei Sagengestalten als vierte die
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 95
Phot. genannten Nymphen wurden natürlich erst zu Erechtheus-
töchtern, als der chthonische Daemon Erechtheus zum attischen
König geworden war. Sie sind eine vollkommene Dublette zu
den später mit Kekrops verbundenen Nymphen Agraulos,
Pandrosos und Herse, die dann von den Atthidographen in die
Generation vor Erechtheus eingereiht wurden. Vielleicht hat
sich erst unter dem Einfluß dieser göttlichen „Dreiheit" die
Dreizahl der irdischen Erechtheustöchter herausgebildet *). An
diese schicksalslosen Nymphen hat sich nun, wie das oft ge-
schehen ist*), die Selbstopferungssage angesetzt, um ein a'mov
für ihren Kult herzustellen'^). Dieses amov, die Vulgata sozu-
sagen der Opferungssage, gibt Suid.-Phot. 7rap9-evoi. Hier wird
erzählt, es hätten sich in Kriegsnot zwei von den sechs er-
wähnten Erechtheustöchtern für das Land geopfert und seien
nach der Opferstätte im Trayos 'YdKiv9-os 'YaKiv^iSes benannt worden.
Dies also war die Grundlage des euripideischen Dramas. Die
Änderungen des Dichters sind folglich: 1. Übertragung des
Motivs der Freiwilligkeit auf die Mutter; 2. Opferung nur einer
Tochter; 3. eTTaTro^aveTv der beiden andern.
Diese Vulgata der Opferungssage finden wir noch bei
Diodor (17,15,2) und bei Cicero an verschiedenen Stellen*),
dem diese Sage als exemplum des ruhmvollen patriotischen
Opfertods immer willkommen war. Angeregt war er wohl im
allgemeinen durch den Erechth. des Ennius, der aber, soviel
wir erkennen können, sich ganz an die euripideische Form
Nymphe Chthonia. Diese nennt der verworrene Bericht des Hygin fab. 46
als die geopferte. Das ist natürlich späte Spekulation: Chthonia = Erd-
kind = Todeskind, die man aber nicht mit Welcker, Gr. Trag. II 722 schon
für die Zeit der Sagenbildung selbst annehmen darf.
^) Notwendig ist jedoch diese Annahme nicht, da die Sage nicht weniger
als der Mythos die Dreizahl der Kinder liebt. Wenn als Opfer bald die
älteste, bald die jüngste Tochter bezeichnet wird (Robert a. a. 0. I 142 A. 7),
so haben wir damit zwei Formen eines der von Olrik u. a. aufgestellten
„epischen Gesetze der Volksdichtung", nämlich das „Gesetz der Dreizahl " mit
„Toppgewicht" bzw. , Achtergewicht ", s. A. Lehmann, Dreiheit u. dreifache
Wiederholung i. deutsch. Volksmärchen, Diss. Leipz. 1914, lOf. (diesen Hin-
weis verdanke ich Prof. Weinreich). 2) Schwenn a. a. 0. 127.
'') Der Kult ist bezeugt durch Philochoros im Schol. Oed. Col. 100.
*) Pro Sest. 21, 48; de fin. V 22, 26; Tusc. I 48, 116; de deor. nat. III
19, 50.
96 Johanna Schmitt
anschloß ^). Endlich liegt sie vor bei Serv. Dan, zu Aen. I 744.
Die hiervon nur wenig abweichende Version, daß Erech-
theus die Töchter zur Opferung hingibt, der opferwillige Patriotis-
mus also auf ihn übertragen ist, zeigt schon die oben zitierte
Stelle des Ion (277): "luv: Traifip 'Epexö'eüs aas 'i^\}ae auwövous;
Kp: €TXn irpö yaiöS acjxiYia Trap^evous KiaveTv. Daß Eur. sich nie
auf eine Sagenform festlegte, wissen wir zur Genüge. Hier im
Ion, wo immer wieder die ruhmvolle Autochthonenherkunft der
Kreusa betont wird, paßte es besser, ihren königlichen Vater
selbst als den heldenhaften Retter der Stadt erscheinen zu
lassen. Dieselbe Sagenform finden wir bei Ps.-Demosthenes
epitaph. 27 '^). Durch die Wesensverwandtschaft der Erechthiden
mit den Kekropiden kam es, daß im späteren Altertum die
beiden Gruppen häufig verwechselt wurden, so in den Schollen
zu Aristides Panathenaikos (vol. III p. 118, 10 ed. Dindorf). Hier
hat der eine Schohast (A. G.) die Sage vom Opfertod der Erech-
thiden trotz des friedhchen Ausgangs des Kriegs zwischen
Erechtheus und Eumolpos hinein interpoliert und zwar in der
euripideischen Fassung von eTrairo^aveTv der beiden andern nach
dem Opfertod der einen. Nur haben hier die Erechthiden die
Namen der Kekropiden erhalten. Auch dies ist ein indirekter
Beweis für die Namenlosigkeit der Jungfrauen im Drama.
V^T'ären die Namen dort fest geprägt gewesen, so hätte eine
solche Vertauschung nicht so leicht stattfinden können.
1) Vgl. oben 35, 1. 37.
•^) Welckers Versuch, entgegen G. Hermann, der diese Verschiedenheit
anerkannte, eine Konkordanz zwischen Ion u. Erechth. zu konstruieren, ist
daher unnötig (Gr. Trag. II 720). — Bei den Erzählungen von den Leokoren
wiegt diese Form, bei der die Freiwilligkeit auf Seiten des Vaters liegt, bei
weitem vor. fast überall heißt es !ni5e5(öKev auTÖs. (Schwenn a. a. 0. 129, 4 gibt
ein Verzeichnis aller Zeugnisse für die Leokoren.) Die Stellen, wo es heißt,
daß sie sich selbst freiwillig hingegeben hätten, scheinen diese Änderung nur
aus rhetorischen Gründen vorgenommen zu haben. Cicero, de deor. nat. a. a. 0.
und Diodor a. a. 0. nennen die Erechthiden in einem Atem mit den Leokoren,
erzählen daher summarisch von beiden dasselbe. Der gekünstelte Ps.-Demosth.
epitaph. 29 läßt nur der variatio wegen die Leokoren im Gegensatz zu den
Erechthiden sich freiwillig hingeben. — Man kann daher nicht mit Hirzel
a. a. 0. 96, 2 bei den Erechthiden im Opfermotiv eine Entwicklung zur größeren
Freiwilligkeit annehmen und in der Leokorensage die umgekehrte Wandlung.
Nur für die Makariasage ist die Behauptung Hirzels zutreffend, daß hier
eine Steigerung vorliege.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 97
Ganz denselben Vorgang sehen wir in Schol. D. p. 118,20,
wo als Quelle für Aglauros Demosthenes de falsa legat. zitiert
wird. Eine ähnliche Konfusion liegt vor im Schol. Demosth.
(or. XIX 438, 17 Tom. I. II ed. Dindorf), welches das amov für
den Kult der Aglauros gibt: hier opfert sich Aglauros im Krieg
durch Sturz von der Mauer. Diese Todesart scheint eine
Kombination der gewöhnlichen Kekropidensage (Sturz von der
Burgmauer im Wahnsinn ^)) mit dem freiwilhgen Opfertod des
Menoikeus zu sein, der sich ja auch von der Mauer in die
Drachenhöhle stürzt.
Die Gleichsetzung der Hyakinthiden mit den Erechthiden,
die bei Ps. -Demosth. epitaph. 27, Diodor XVII 15,2 und Suidas-
Photius vorliegt, ist wohl durch den Gleichklang von 'YdScs*),
wozu Eur. in seiner Tragoedie die Erechthiden werden heß,
(vgl. oben 68) und 'YaKiv&iSes entstanden, ist also eine weitere
Nachwirkung des Dramas. Besonders nahe lag sie, wenn die
Sage von der Opferung der Hyakinthiden') schon vor deren
Gleichsetzung mit den Erechthiden bestand*).
*) Sogar diese für ^ie Kekropiden typische Sage wurde auch umgekehrt
von den Erechtheustöchtern erzählt: Hygin astr. II 13. Ein altes rituelles
Menschenopfer für Aglauros aus diesem Pelsensturz zu erschließen, wie es
Töpffer (Real.-Enc. I 886, vgl. Rh. M. 43,144) versucht hat, geht nicht an.
Von einem Menschenopfer für Aglauros auf Cypern berichtet allerdings Por-
phyrius (de abst. 11 54, vgl. Schwenn a. a. 0. 70), und Cypern ist attische
Kolonie. Aglauros ist ein Beiname der Athena selbst (vgl. Harpokration
s. v. Aglauros). In ihrem Mythus und Kultus treten die furchterweckenden
Züge der Göttin zutage (0. Müller, Kl. Sehr. II 147). Aber im Mutterland
wußte man schon längst nichts mehr von diesem grausamen alten Brauch,
als das im Scholium Demosth. erzählte atttov erfunden wurde.
-) Nach Schol. Serv. Dan. zu Aen. I 744 wurden die Erechthiden zu
Pleiaden. Diese Verwechslung konnte bei der stehenden Verbindung von
Hyaden u. Pleiaden leicht eintreten.
»^ Sie liegt bei ApoUodor III 15, 8, 3 und Hygin fab. 238 vor. ffier (bei
Hygin) ist übrigens nur von einer Tochter die Rede: das geht wohl wieder
auf Eur. zurück.
*) Maaß, Herm. 25, 405 sieht in 'Yä5es eine Kurzform von 'YaKtv&iSes. Eur.
jedenfalls folgt der alten Etymologie "YdSes von öeiv (vgl. Hellanikos frg. 45)
mit langem u (Ion 1156, El. 468). — Robert (Arch. Märchen 187) versucht, die
weiblichen Gestalten eines Kertscher Vasenbilds, die bei der Dionysosgeburt
anwesend sind, als 'YäSes = Erechthiden zu deuten. Doch steht die Kult-
gemeinschaft der Erechthiden mit Dionysos keineswegs fest. Das Schol. Oed.
Religionsgoschichtliche Versuche u. Vorarbeiten. XVII, 2. 7
98 Johanna Schmitt
Dieselbe Verbindung von KaTacrrepiapös und freiwilligem
Opfertod wie im Erechth. finden wir auch in der Fabel von
den Oriontöchtern (bei Antoninus Liberahs 25), die nach ihrem
freiwilligen Opfertod, durch den sie ihre Heimatstadt von der
Pest erlösten, in KOjifJTai verwandelt wurden^). Das Scholion
gibt hier als Quelle Korinna und Nikander an ^). Wenn Wilamo-
witz hierzu bemerkt^): „Die Erzählung gipfelt in der Verwand-
lung der Mädchen in Kometen, womit eine alte Dichterin nicht
behelligt werden kann", so scheint er nur am Wort KOjinrai
Anstoß zu nehmen. Der KaTaaTepi0iiös gerade bei den Orion-
töchtern, die von vornherein in den Kreis der wenigen alt-
griechischen Sternsagen gehören, ist durchaus denkbar. Merk-
würdig bleibt diese Übereinstimmung der euripideischen Tra-
goedie mit der boeotischen Sage jedenfalls, wenn man auch
schwerlich eine direkte Abhängigkeit des Eur. von diesem doch
etwas abliegenden Lokalmythus annehmen darf.
d. Phrixos. Noch enger als beim Erechthidenmythus hat
Eur. sich in der Darstellung der freiwilligen Opferung des
Phrixos an die Sage angesclilossen. Außer Hygin berichtet
von ihr noch Pherekydes (Schol. Pind. Pyth. IV 288) ös (sc.
Pherek.) Kai ^r[ai twv KapiTÜv (})9'eipoiievuv ek rauToiidTou eD-eXoömov
öoövai eauTÖv eis a(j)aYnv*). Pherekydes' dKjiri wird auf 454/53
gesetzt^). Er könnte also allenfalls schon von der euripideischen
Tragoedie abhängig sein. Jedoch ist das höchst unwahrschein-
lich, da der Phrixos ein spätes Stück ist ®) und außerdem schon
in den Kulttatsachen selbst, die uns hier einmal glücklicher-
weise neben dem amov, d. h. der Sage von der Phrixos- oder
Athamasopferung, erhalten sind, ein Moment der Freiwilligkeit
Col. 100 sagt nur, daß beiden (aber nicht zusammen!) vti(|)(iAia dargebracht
wurden.
^) Auch diese Fabel gibt nur das oYtiov für den Kult der KopcaviSes. Der
Kult war sicher das prius, die Verbindung mit Orion das Sekundäre. So
erklärt sich wohl die „Doppeliassung", die Kuentzle, Sternsagen, Diss. Heidel-
berg 1897, 15, 1, annimmt.
2) Aus Nikander hat wohl Ovid, Met. XIH 691 fi., geschöpft.
") Berl. Klass.-Texte V 2 S. 53, 3.
*) iavii]M bei Müller F.H.G. I p. 86 ist Druckfehler, vgl. Drachmanns
Ausgabe der Pindar-Scholien.
5) Christ-Schmid I 455. ^) Vgl. oben 10.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 99
liegt. Herodot (VII 197) erzählt, daß der älteste Sproß des
Athamantidenhauses in Halos immer Tabu sei : er darf das Rat-
haus nicht betreten, ist also von den bürgerlichen Ehrenrechten
ausgeschlossen. Tut er es doch, so wird er so lange darin
zurückgehalten, bis er zur Opferung vor die Stadt hinaus ge-
führt wird'). Das Betreten des Rathauses war also ein frei-
wilhger Akt; der Athamantide wußte, daß er damit dem Tod
verfallen sei*^). Die Freiwilligkeit des Opfers geht auch aus
der verderbten Stelle des- SchoHon Apollon. Rhod. II 653 her-
vor: vV 'AO^diiavTOS " töv ^pT^ov uiroSeSeKTai 6 AiijjaKÖs eis KoXxous
TTopeuöjievov. ^aa\ 5e eKel a(J)aYiacr&rivai tw Aa^vaim Au Kai pexpi
vüv eva TÜv 0pi^ou ClTTOyövwv eicrievai eis tö TTpuraveTov eTveXö^övia rivä
eKoumcüS tö irpoeipnjievcü Ali. Die andre Lesart kqi ö'ueiv tw Trp. A.
statt der letzten sechs Worte ist wohl falsch, denn es kommt
doch darauf an, daß das Menschenopfer noch besteht^). Als
aiTiov für diesen Ritus erzählt Herodot die Geschichte von der
Athamasopferung*), das Opfer sollte also Sühne für die doppelt
hintertriebene Opferung der sagenhaften Ahnherrn sein (erst
des Königssohns, dann des Königs selbst).
An dies Moment der Freiwilligkeit im Kult knüpfte also
wohl die Erzählung vom freiwilligen Sich-Darbieten des Phrixos
an, wie wir sie bei Pherekydes lesen ^).
Nur ein Zufall wird es sein, daß Pherekydes auch unsere
älteste Quelle für den freiwilligen Opfertod des Kodros ist.
Diese Sagen lagen eben im 5. Jhd. in der Luft und fanden
bei Pherekydes ihre erste Kodifizierung. Möglich ist, daß Eur.
die fi-eiwillige Opferung des Phrixos von hier übernahm.
e. Poiyxena. Ganz andrer Art als die bisher besprochenen
Devotionssagen ist die von Polyxenas Opferung. Dieser Mythus
ist eine Weiterbildung des homerischen Menschenopfers für
Patroklos, dadurch gesteigert, daß hier die ij/uxn das Menschen-
1) Stein in seiner Ausgabe behauptet, der Athamantide hätte durch un-
bemerktes Eindringen ins Rathaus gerettet werden können. Davon steht
aber nichts bei Herodot. -) Schwenn a. a. 0. 45 S.
") Anders 0. Müller, Orchomenos 158, und Frazer, The d?/lng God
(Golden Bough III) 165, die die zweite Lesart aufnehmen. Müller will
darin eine Milderung des alten Brauches sehen. *) Vgl. oben 71 f.
^) Auch Frazer a. a. 0. 163 nimmt, wie es scheint, Pherekydes als selb-
ständige Quelle an.
100 Johanna Schmitt
Opfer selbst verlangt, während Patroklos nur um Bestattung
bittet. Der Homer gegenüber mehr romantischen Neigung des
Kyklos entspricht es, daß hier gerade eine Jungfrau gefordert
und geopfert wird: die Totenbraut*).
Neben diesem ursprünglichen Sinn der Sage hat sich eine
zweite Ausdeutung entwickelt, die in Analogie zum Iphigenien-
opfer in Polyxena ein windstillendes Opfer sah, so daß also
Polyxena im gleichen Sinn wie Iphigenie a^äyioM ist. Die
Dichtung verband die beiden Motive, indem sie den über
seine Vernachlässigung zürnenden Achill die Schiffe zurück-
halten ließ').
Die ursprünghche Auffassung der Opferung als Toten-
hochzeit') finden wir scharf ausgeprägt in Senecas Troades.
Da nun die Beschreibung der Achilleuserscheinung (168ff.)
einen Anklang an Accius Troad. Frg. II zeigt und andrerseits
Accius Frg. ine. XXXVIII auffallend mit dem sophokleischen
Polyxenafragment (480 N.) übereinstimmt, so ist der Schluß
vielleicht nicht zu gewagt, daß Seneca auch im Motiv der
Totenhochzeit von Accius, indirekt also von Sophokles, ab-
hängig ist. Für diese Annahme spricht auch, daß bei Sophokles
(nach Trepi öijjous 15, 7) Achill selbst über seinem Grab erschien.
Der Hauptzweck dieses Erscheinens war doch wohl die Forde-
rung der Polyxena*). Ihr Verhältnis zu Achill war hier sicher
^) Man hat neuerdings daran gezweifelt, ob die Opferung die ursprüng-
liche Gestalt der Polyxenasage sei. Aus Schol. Hek. 41 : ö 5e tö Künpia Ttoir|oas
^t\a\>f VTc' 'OSucaews Kai AiofinSous ?v ifj Tfjs nöAecos otAüaei TpaupaTto&eloav ÖTroA^a&ai,
Ta(j)fivai 5e ujtö NeoTTTOÄejiou 009 TAaÜKÖs ({»noiv will Förster, Herrn. 18, 476, schließen,
daß erst die Lyrik aus der Bestattung die Opferung gemacht habe. Auch
Schwenn a. a. 0. 63 ist geneigt, sich dieser Auffassung anzuschließen. Doch
hat schon Wilamowitz, Homer. Unters. 181, 27, darauf hingewiesen, daß wir
es hier nur mit einer rationalistischen Abschwächung des Opfermotivs zu tun
haben. — Vgl. auch den Versuch Hausers (Arch. Jahrb. 1913, 274), der die
Darstellung eines klazomen. Sarkophags mit dieser Sagenversion in Ver-
bindung bringt.
^) Daß dies eigentlich mit dem Opfer für Achill unvereinbar und daher
als sekundäres Motiv erkennbar ist, hat Noack, Iliupersis, Diss. Gießen 1890,
39, gegen Stengel, Jahrb. f, Philol. 1883, 307, A. 28, nachgewiesen. — Bei Eur.
ist dies Motiv mit dem ersten verschmolzen, vgl. 35 ff. 536. Dagegen weht
900ff. immer noch kein Fahrwind, wahrscheinlich, um Raum für die folgende
Polymestorszene zu schaffen. *) Schrader, Totenhochzeit 33 ff.
*) Daß auch Agamemnons Schicksal prophezeit wurde, wohl auch durch
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 101
eingehender dargelegt als in der kurzen Erwähnung bei
Eur., und der Hochzeitsritus bei der Opferung war wohl durch
Achill selbst gefordert ^). Bei Eur. ist dieser ursprüngliche Sinn
der Opferung als Totenhochzeit ganz zurückgetreten. Der
einzige Vers, der auf ein derartiges Verhältnis der Polyxena
zu Achill anspielt, ist 612: vuii(j)nv t' ävu|i(f)Ov Tvap^evov r dirdp&evov
Xoi3aü). Doch warum gerade Polyxena gefordert wird, ist mit
keinem Wort angedeutet. Eur. wollte eben alles zurück-
schieben, was das Menschenopfer, dem hier wie öfters seine
Polemik gilt, hätte rechtfertigen oder entschuldigen können.
Seine Neuerfindung ist das „freiwillige" Sterben der Polyxena,
deren Würde und Todesverachtung er über die Brutalität der
Griechen triumphieren läßt. Ob bei Sophokles das erotische
Verhältnis zwischen Achill und Polyxena, wie es der Hellenismus
ausgestaltet hat, eingehender behandelt war, läßt sich zwar
nicht mehr erkennen; doch hat Noack^) darauf hingewiesen,
daß es auch für die alte Sage nicht so ganz unmöglich ist,
wie Welcker') meinte*).
Eine vollkommene Nachbildung der euripideischen Polyxena-
szene gibt Ovid in den Metamorphosen XEI 428ff. Nur hat
Achill, geht aus Soph. Frg. 483/4 hervor. Doch war in einem Polyxena be-
titelten Stück diese Prophezeiung kaum der Hauptgrund für die Erscheinung
der il'uxn 'AxiAÄicüs.
') Liedloff, Benützung griech. u. röm. Muster in Senecas Troad. u. Ag.,
Progr. Grimma 1902, 6fi., versucht eine Rekonstruktion der sophokl. Polyxena,
in der Neoptolemos die Rolle des Liebhabers zufiel, ähnlich wie dem Achill
der Iph. Aul. Der Autor, den L. für diese Version heranzieht — Christodoros'
fK<tipaGis A. P. I 46 — , scheint nicht eben geeignet zur Rekonstruktion einer
sophokl. Tragoedie. Der Ausgangspunkt für L/s Hypothese ist, daß im Schol.
Hek. 41 Neoptol. als Mörder der Polyxena nur für Ibykos u. Eur. genannt
ist, nicht für Soph. Doch beweist das nichts: auch Stesichoros ist nicht ge-
nannt, in dessen Hiupersis nach der tabula Iliaca (Jahn, Bilderchronik 37)
Polyxena offenbar von Neopt. getötet wurde.
-) A. a. 0. 12. ») Gr. Trag. III 1145.
*) Für eine andre Tragoedie des Soph. wenigstens, die <l>pÜYe9, hat Blaß,
Rh.-M. 1907, 272 ansprechend vermutet, daß sie die Hochzeit Achills mit
Polyxena und den verräterischen Mord A.'s zum Inhalt hatte. Er schließt
das aus dem neuen Fragm. im Anfang des Photios-Lexikons (Reitzenstein
151, 7) oü Aq^er' oü naüaao&e toOoS« tous y'^Rous avuijevaioüvres in Verbindung mit
Frg. 657 N.
102 Johanna Schmitt
er nach seiner Art Eur. rhetorisch gesteigert und dadurch
vielfach vergröbert^).
Unverkennbar ist auch der eurip. Einfluß in Senecas
Troades. Die Klagen der Hekabe, daß sie ihrer letzten Stütze
beraubt wird (Hek. 280) stehen fast wörtlich bei Seneca (960):
sola nunc haec est steper votum, comes^ levamen, afflictae quies.
Abweichend von Eur. läßt er Polyxena nicht selbst auftreten;
jedoch die Schilderung ihrer unerschrockenen Haltung bei der ;
Opferung zeigt wieder ganz eurip. Farben, wohl vermittelt i
durch Ovid. j
Die Freiwilligkeit des Sterbens hat Seneca sogar auf den j
kleinen Astyanax ausgedehnt, der — vielleicht eine Reminiszenz |
an Menoikeus' Mauersturz — nicht von der Zinne herab- i
geschleudert wird, sondern freiwillig hinunterspringt und so |
den Feinden noch zuvorkommt (1090ff.). ]
Wie bei Eur. erzählt ein Botenbericht von Polyxenas ße- ;
nehmen bei ihrem Tod. Sie redet kein Wort, aber ihre ganze \
Haltung zeigt wie im griech. Drama keine Todesfurcht (1151): '
audax virago non tulit retro gradum. conversa ad ictmn stat truci i
vultu ferox. tarn fortis animus omnium mentes ferit. Wie bei ■
Eur. (558ff.) rührt ihre Schönheit die Zuschauer (1144): hos
movet formae decus, hos mollis aetas. Noch übertriebener als \
bei Ovici ist hier das Zaudern des Neoptolemos (1154): novum- i
que monstrum est Pyrrhus ad caedem piger^). An Stelle der ;
Betonung der jungfräulichen Zartheit bei Eur. und Ovid tritt I
hier ihr Trotz und Groll gegen den Mörder Achill (1157): nee \
tarnen moriens adhuc deponit animos : cecidit ut Achilli gravem \
1
1) Die Parallelstellen bei Korn-Ehwald. — Zu Hek. 563 ff. ~ Ovid 458 ff.
Tgl. auch die Nachbildung Senecas Agam. 972 ff., doch erinnert hier die ganze
Situation mehr an Herakles 319ff. u. Androm. 411 ff., Stellen, die ihrerseits i
stark an die Worte Polyxenas anklingen, s. oben 58. — Der Zug, daß Pol. ;
noch im Fallen um edle Haltung bemüht ist (Hek. 569 ff. ~ Ov. 479 ff.) tritt
auch stark in Libanios' eK(j)paois floAul^^vtis FV 1088 (R.) hervor. Die ganze Dar-
stellung der „gefaßten" Pol. verrät deutlich den Einfluß des Eur., vgl. auch
Galen, Trepl GtipioK. IX 236 (K.) mit seinem Eurip.-Zitat.
^) Liedloff a. a. 0, 4 erinnert daran, daß Seneca hier den Gegensatz zur :
Tötung des Priamus in rhetorischer Weise herausarbeiten wollte: dort tötet '
Neopt. libens, hier piger. Dort zieht er das Schwert trocken aus der Wunde, ;
hier entsteht ein vulnus ingens.
Freiwilliger Opfertod bei Euripides 103
factiira terram prona ac irato impetu '). Endlich sind die Klagen
der Griechen um den Tod der Jungfrau wie bei Ovid in einer
rhetorischen Zuspitzung gegeben (1160): uterque flevit coetus,
at timidum Phryges misere gemitiim; clar'ms victor gemit.
Aus diesem freiwilligen Erleiden des Todes hat die helleni-
stische Dichtung endlich ein e7ra7ro9-aveTv der liebenden Polyxena
nach dem verräterischen Mord ihres Bräutigams Achill gemacht.
Diese Gestaltung der Sage finden wir bei Philostrat vit. Ap. IV 16
p. 138 und Heroikos 19, 11 p. 205 K., auch bei Tzetzes'^), der
auf ihn. verweist.
Zwischen dieser und der älteren Auffassung steht die
Version der Opferungssage bei Serv. Aen. III 321 : Achills Stimme
aus dem Grabmal wird vernommen, die sich beklagt quod sibi
soll de praeda nihil impertwissent. Kalchas erst bestimmt Polyxena
als Opfer qumn vivus Achilles dilexerat. Und wie in der eurip.
Fassung erleidet sie aequanimiler durch Neoptolemos' Hand
den Tod").
Für die Gestaltung der Iphigenienopferung in Sage und
Dichtung verweise ich auf Kjellbergs ausführliche Behandlung
in der Real-Enc.
1) Eine Parallele zu Hek. 558 wie Leo, praefat. 171, will, vermag ich
hier nicht zu sehen. ^) Posthorn. 385—503, Hom. 315—400.
^) Eine Illustration der Polyxena -Opferung nach Eur. gibt ein sog.
homerischer Becher, s. Robert, Hom. Becher, Berl. Winckelmann-Progr. 1890, 73.
Schmitt, Freiwilliger Opfertod bei Euripides
105
Register
Abschied vom Leben, tökoi 46 ff.
Accius 72. 100.
Aischylos, Agamemnon 13. 57 f.
— Hiketiden 2. 46.
— Septem 8 ff. 91 ff.
Alkidamas 90.
Amphibolie 17. 19. 67. 82 f.
Anaximenes 31. 36.
Apollodor 65 ff. 68,1. 71,1. 77,4. 89.
94,4. 97,3.
Apollonius Rhod. (Schol.) 99.
Aristides Aelius 33. 65 ff. 89. 93. 96.
Aristophanes 66,3.
Aristoteles poet. 18. 63,2. 87.
Cicero 95.
Clemens Alexandrinus 65 ff. 93.
Demaratos 93.
Demosthenes-Ps. 33 f. 96f.
devotio 90.
Diodor 95. 97.
Duris 86.
Ennius, Erechtheus 35,1. 37. 66,2.
95.
— Iphigenie 40, 1.
fnano&aveiv 2. 68. 75 f. 95f. 103.
Epitaphien 33 ff. 41. 45 f. 59.
Euripides, Alkestis 72 ff.
— Andromache 31,2. 58.
— Erechtheus 11. 32 ff. 63 ff. 93 ff.
— Hekabe 4ff. 15ff. 30ff. 42. 47 ff.
56ff. 99ff.
— Herakles 29 f. 31,2. 32. 35,1.
36,1. 39. 58. 89.
— Herakliden 2 ff. 15. 28 ff. 42. 44ff.
52 ff. 84 ff.
— Hiketiden 33. 64. 75f.
— Iphig. Aul. 13 ff. 18 ff. 39 ff. 42.
44 ff. 47 ff. 61 ff.
Euripides, Iphig. Taur. 13 f. 18ff. 43.
— Ion 10. 11. 35. 94,2. 96.
— Philoktet 26.
— Phoenissen 7 ff. 16 ff. 37 ff. 43.
59 f. 88 ff.
— Phrixos 10. 69 ff. 98f.
— Protesilaos 76f.
— Troades 59.
&ucia 81 f.
Herodot 99.
Hyakinthiden 95. 97.
Hygin 68, 1. 69. 77. 89, 5. 97, l, 3.
Isokrates 34 f.
luvenal 91.
Katasterismos 68. 98.
Kekropiden 95 ff.
Kinderrollen in Abschiedsszenen 50 f.
73 f.
Kodros 1,1. 92 f.
Leokoren 90. 96,2.
Libanius 89. 102,1.
Lukrez 20.
Lykurg c. Leoer. 65 ff. 93 f.
Lysias 39.
Namenlose Personen im Drama 4.
84 ff. 94f.
Nonnos 89.
Oriontöchter 98.
Ovid 98,2. 101 f.
Paroemiogr. 84.
Pausanias 85. 89. 92.
Pherekydes 93,3. 98 f.
Philostrat 89. 103.
Piaton, Menexenos 33 f.
106
Schmitt, Freiwilliger Opfertod bei Euripides
Plntarch 84. 88. 89. — Ps. 65ff. 93f.
Preislieder auf die Geopferten 53.
56f. 59f. 63. 75.
Protreptikos, patriotischer 22. 28 ff.
33 ff. 39 ff. 64.
Seneca 100. 102 f.
Sophokles, Aias 17. 31,3. 32.
— Athamas 72.
— Antigone 11 ff. 27 f. 46. 91 f.
— Oedipus tyr. 11 ff. 30.
— Philoktet 25 f.
Sophokles, Polyxena 5. 100 f,
Statins 90.
Stichomythie 47 ff. 74.
Stobaeus 65 ff. 93.
Suidas-Photios 94 f.
0(j)dYia 78 ff. 100.
Thukydides 29. 35. 38. 40
Totenbraut 77. 100.
Vergöttlichung 62. 68.
Gedrückt bei Enbert & Co., G. m. b. H., üöttingeB,
ö
Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen
Der junge Piaton
von
Dr. Ernst HornefFer
Professor der Philosophie a. d. Universität Gießen
I. Teil: Sokrates und die Apologie
Mit e. Beitrag von Prof. Rud. Herzog in Gießen:
Das delphisdie Orakel
Erscheint Herbst 1921 — Preis etwa 20 Mk. — Weitere Bände folgen
Man kann die gesamte Platon-Literatur durchblättern und man wird ein tief-
unbefriedigendes Gefühl bei der Darstellung der geistigen Jugend- und Entwicklungs-
geschichte Piatons nicht abwehren können. Hier liegt ein philologisch wie philosophisch,
formal wie sachlich äußerst verwickeltes und schwieriges Problem, das der Verfasser
zu lösen versucht.
Platos Logik des Seins
von
Dr. Nicolai Harimann
0. Professor der Philosophie a. d. Universität Marburg
1909 X und 512 Seiten gr. 8<* Mk. 25.—
Die Korrelation von Sein und Nichtsein wird von ihren vorsokratischen Ur-
sprüngen an bis in die ausgereifte Ideenlehre hinein verfolgt und als die methodische
Grundform im Denken Platos nachgewiesen, die alle Teilprobleme beherrscht.
Das Motiv der Mantik
im antiken Drama
von
Dr. Rudolf Staehlin
1912 203 Seiten gr. 8" Mk. 16.20
,,. . . Solid gearbeitetes Buch, das geeignet ist, das Verständnis vieler Einzelheiten
im Aufbau der antiken Dramen wesentlich zu fördern " w.Nestle inWochenschr. I. kl. Phil.
Verlag von Alfred Töpelmann in Giemen
Aus der Geschichte des Bänkwesens
im Altertum
Tesserae nummulariae
von
Dr. Rudolf Herzog
o. Professor an der Universitäl Gießen
1919 Mit einer Tafel Mk. 4.—
Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin
Ardiiv für Religionswissenschaft
Nach Albrecht Dieterich und Richard Wünsch
unter Mitwirkung von
G. Bezold, F. Boll, 0. Kern, M. P. Nilsson, E. Norden,
H. Oldenberg, K. Th. Preuß, R. Reitzenstein, G. Wissowa
herausgegeben von
Otto Weinreidi
XX. Jahrg. 1921. 4 Hefte je etwa 10 Bg. 40 M. Einzelheft 20 M.
Das ., Archiv für Eeligionswissenschaft" will zur Lösung der nächsten und wichtigsten
auf diesem Gebiete bestehenden Aufgaben, der Erforschung des allgemein ethnischen
Untergrundes aller Religionen, wie der Genesis unserer Religion, des Unterganges der
antiken Religion und des Werdens des Christentums beitragen und insbesondere die
verschiedenen Philologien, Völkerkunde und Volkskunde und die wissenschaftliche Theologie
vereinigen. Neben der I. Abteilung, die wissenschaftliche Abhandlungen enthält,
stehen als 11. Abteilung Berichte, in denen von Vertretern der einzelnen Gebiete
kurz, ohne irgendwie Vollständigkeit anzustreben, die hauptsächlichsten Forschungen
und Fortschritte religionsgeschichtlicher Art in ihrem besonderen Arbeitsbereiche her-
vorgehoben und beurteilt werden. Regelmäßig kehren in fester Verteilung auf vier
Jahrgänge zusammenfassende Berichte über wichtige Erscheinungen auf den verschiedenen
Gebieten der Religionswissenschaft wieder. Die III. Abteilung bringt Mitteilungen
und Hinweise.
Im Anschluß an das Archiv für Religionswissenschaft erschien:
RELIGIONSGES(HIfffTLI(HE
BIBLIOGRAPHIE
Herausgegeben unter Mitarbeit zahlreicher Fachgenossen von
Prof. Dr. C. Giemen
Jahrgang I und II, die Literatur der Jahre 1914 und 1915 enthaltend M. 7.50
Jahrgang III und IV, die Literatur der Jahre 1916 und 1917 enthaltend M. 10.—
Jahrgang V und VI, die Literatur der Jahre 1918 und 1919 enthaltend M. 9. —
Bietet eine Ergänzung zum Archiv für Religionswissenschaft und durch die Zu-
sammenarbeit des Herausgebers mit 7 Mitarbeitern in Deutschland, Holland, Schweden,
der Ukraine und Schweiz jede Gewähr für Vollständigkeit und Zuverlässigkeit.
Hubert £ Co. G. m. b. H. GöHlnficn
I;
i
M
t-jL]^'^'Ax.—tf it i^tt^^ liui';»^«' iii ü iür\ i 3b at^jx.
BL fteiigionsgeschichtiiche Versuche
25 und VorLrbeiten
^d . 17
Heft 2
I
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY