Skip to main content

Full text of "Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten"

See other formats


iELIGIONSGESCHICHTLICHE  VERSUCHE  UND  VORARBEITEN 

f  BEGRÜNDET  VON  ALBRECHT  DIETERICH  UND  RICHARD  WÜNSCH 

IN  VERBINDUNG  MIT   LUDWIG   DEÜBNER  HERAUSGEGEBEN  VON 

lUDOLF   MALTEN-KÖNIGSBERG  UND  OTTO  WEINREICH-TÜBINGEN 
-  —   XVII.  BAND  2.  HEFT  -^ 


I 


FREIWILLIGER  OPFERTOD 
BEI  EURIPIDES 


EIN  BEITRAG 
ZU  SEINER  DRAMATISCHEN  TECHNIK 

VON 

JOHANNA  SCHMITT 


VERLAG  VON  ALFRED  TÖPELMANN  IN  GIESSEN 

1921 


Das  Titelblatt  für  Baud  XVII  ist  hier  beigefügt 


RELIGIONSGESCHICHTLICHE  VERSUCHE  U.  VORARBEITEN 

H.  Hepding:  Attis.    Seine  Mythen  und  sein  Kult.    '03 (I)  12.— 

H.  Greßmann:  Musik  und  Musikinstrumente  im  Alten  Testament.  '03    .     (III)    1.70 

L.  Ruhl:  De  mortuorum  iudicio.    '03 (112)    4.10 

L.  Fahz:  De  poetarum  Romanorum  doctrina  magica.     '04 (113)    3.60 

G.  Blecher:   De   extispicio    capita  tria.    Accedit   de   Babyloniorum   ex- 

tispicio  Caroli  Eezold  supplementum.    '05 (114)    6.30 

C.Thulin:  DieGötterdesMartianusCapellau.  der  Bronzeleber  v.Piacenza. '06  (IUI)  6.30 
W.  Gundel:  De  stellarum  appellatione  et  religione  Romana.  '07  .  .  .  (III 2)  9.90 
F.  Pradel:  Griech.  u.  südital.  Gebete,  Beschwörungen  u.  Rezepte  d.M.-A.  '07  (III 3)  9. — 
H.Schmidt:  Veteres  philosophi  quomodo  iudicaverint  de  precibus.  '07  (IV 1)  4.50 
A.  Abt:  Die  Apologie  des  Apuleius  von  Madaura  u.  die  antike  Zauberei.  '08  (IV2)  17. — 
Ph.  Ehrmann:  De  iuris  sacri  interpretibus  Atticis.    '08 (IV 3)    4.10 

F.  Pf  ister:  Der  Reliquienkult  im  Altertum.    '09/12 (Vl/2)  54.— 

E.  Fehrle:  Die  kultische  Keuschheit  im  Altertum.    '10 (VI)  22. — 

W.  Schmidt:  Geburtstag  im  Altertum.    '08 (VIII)  10.80 

G.  Appel:  De  Romanorum  precationibus.     '09 (VII 2)  15.80 

J,  Tambornino:  De  antiquorum  daemonismo.    '09 (VII 3)    7.70 

O.  Weinreich:  Antike  Heilungswunder.  Unters.  z.Wundergl.  d.  Gr.u.Rö.  '09  (Villi)  15.80 
E.  Schmidt:  Kultübertragungen.    '10 (VIII2)    9.90 

E.  Müller:  De  Graecorum  deorum  partibus  tragicis.    '10 (Vin3)  11.70 

Th.  Wächter:  Reinheitsvorschriften  im  griechischen  Kult.  '10  ...  .  (IX 1;  11.30 
K.  Kircher:  Die  sakrale  Bedeutung  des  Weines  im  Altertum.    '10      ,    .    (1X2)    7.80 

J.  Heckenbach:  De  nuditate  sacra  sacrisque  vinculis.    '11 (1X3)    8.60 

A.  Bonhöffer:  Epiktet  und  das  Neue  Testament.    '11 (X)  40.— 

0.  Berthold :  Die  ünverwundbarkeit  in  Sage  u.  Aberglauben  der  Griech.,  mit  e. 

Anhang  über  den  Unverwundbarkeitsglauben  bei  andern  Völkern.  '11  (XII)    5.90 

J.  Pley:  De  lanae  in  antiquorum  ritibus  usu.    '11 (XI2)    8.10 

R.  Perdelwitz:  Die  Mysterienreligion  und  das  Problem  des  I.  Petrusbriefes. 

Ein  literarischer  und  religionsgeschichtlicher  Versuch.  '11  .  .  .  (XI 3)  8.10 
J.  V.  Negelein:    Der  Traumschlüssel   des  Jagaddeva.    Ein  Beitrag  zur 

indischen  Mantik.     '12 (XI4)  37.50 

R.  Staehlin:  Das  Motiv  der  Mantik  im  antiken  Drama.    '12     ...    ,  (XIII)  16.20 

I.Scheftelowitz:  D.  Schlingen- u.  Netzmotiv  i.  Glaub,  u.  Brauch  d. Völker.  '12  (XII 2)    5.40 

F.  Kutsch:  Attische  Heilgötter  und  Heilheroen.    '13 (XII 3)  10.80 

C.Clemen:  Der  Einfluß  d.  Mysterienreligionen  auf  d.  älteste  Christentum.  '13  (XIHl)  10. — 

E.  Küster:  Die  Schlange  in  der  griech.  Kunst  und  Religion.    '13   .     .    .  (XIII2)  14.60 

K.  Latte:  De  saltationibus  Graecorum  capita  quinque.    '13 (XIII 3)    9. — 

K.  Linck:  De  antiquissimis  veterum,  quae  ad  lesum  Nazarenum  spectant, 

testimoniis.    '13 (XIVl)    9.— 

J.  Köchling:  De  coronarum  apud  antiquos  vi  atque  usu,    '13    ...    ,  (XIV2)    7.70 

1.  Scheftelowitz:  Das  stellvertretende  Huhnopfer.    Mit   besonderer  Be- 

rücksichtigung des  jüdischen  Volksglaubens.    '14 (XIVS)    5,40 

G.  Lej.  Dirichlet:  De  veterum  macarismis.    '14 (XIV  4)    5.60 

M.  Jastrow   jr.:    Babylonian-Assyrian    birth-omens   and   their   cultural 

significance.    '14 (XIV5)  7.20 

A.  Tresp:  Die  Fragmente  der  griechischen  Kultschriftsteller.    '14,    .    .  (XVI)  22.50 

K.  Wyß:  Die  Milch  im  Kultus  der  Griechen  und  Römer.    '14    ...    ,   (XV  2)  5.60 

F.  Schwenn:  Die  Menschenopfer  bei  den  Griechen  und  Römern.  '15  .  (XV  3)  15.80 
O.Weinreich:  Triskaidekadische  Studien.  Beiträge  z.  Gesch.  d  Zahlen.  '16  (XVII)  18.50 
O.  Casel:  De  philosophorum  Graecorum  silentio  mystico.  '19  .  .  .  .  (XVI 2)  22. — 
C.  Giemen:  Die  griech.  u.  lat.  Nachrichten  über  die  persische  Religion.  '20  (XVII 1)  45. — 

Manuskripte  u.  Anfragen  sind  zu  richten  an:  Pr.  Dr.  L.  Malten  in  Königsberg  i.  Pr., 
Albrechtstr.  3,  oder  Prof.  Dr.  O.  Weinreich  in  Tübingen. 


V 


■^ 


IM  4A  ^Xl^         -.-^cA^  c-^^ 


i^  ew  rf^^  fc-Orf-       Ui6A^£^ 


1 

FREIWILLIGER  OPFERTOD 
BEI  EURIPIDES 


EIN  BEITRAG 
ZU  SEINER  DRAMATISCHEN  TECHNIK 


VON 


JOHANNA  SCHMITT 


VERLAG  VON  ALFRED  TÖPELMANN  IN  GIESSEN 

1921 


EELIGIONSGESCHICHTLICHE  VERSUCHE 
UND  VORARBEITEN 

BEGRÜNDET  VON  ALBRECHT  DIETERICH   UND  RICHARD  WÜNSCH 
IN  VERBINDUNG  MIT  LUDWIG  DEÜBNER   HERAUSGEGEBEN  VON 
LÜDOLF  MALTEN  UND  OTTO  WEINREICH 
IN  KÖNIGSBERG/PR.  IN  HEIDELBERG 

XVII.  BAND  2.  HEFT 


n    t 


§97553  3^ .  /7 


Vorwort 


Diese  Arbeit  ist  entstanden  auf  Anregung  des  Herrn  Geh. 
Hofrat  Professor  Boll.  Ihm  sage  ich  für  sein  immer  bereites 
freundliches  Eingehen,  sowie  für  seine  stets  anregenden  und 
fördernden  Ratschläge  meinen  herzlichsten  Dank.  Herr  Pro- 
fessor Weinreich  hat  mich  mit  vielen  wertvollen  Hinweisen 
während  der  Arbeit  und  mit  seiner  freundhchen  Hufe  bei  der 
Korrektur  unterstützt.  Herrn  Professor  Malten,  der  mir  eben- 
falls bei  der  Drucklegung  geholfen  hat,  verdanke  ich  manchen 
guten  Rat.  Beiden  Herren  bin  ich  für  ihre  Uebenswürdige 
Unterstützung  sehr  dankbar. 

Heidelberg,  im  Juli  1921.  Johanna  Schmitt. 


III 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Einleitung       1 

I.   Eingliederung  und  Einführung  der  Devotionsszenen  2 

IL   Das  Entschlußfassen .  15 

III.  Die  entscheidenden  Reden 28 

IV.  Das  retardierende  Moment .  41 

V.  Die  Abschiedsszenen   . 44 

VI.   Der  Ausklang  der  Devotionsszenen 52 

VII.   Das  Motiv  des  freiwilligen  patriotischen  Opfertods 

in  den  Fragmenten 63 

VIII.   Das  Motiv  des  persönlichen  freiwilligen  Opfertods  72 

IX.   Der  rituelle  Sprachgebrauch  in  den  Devotionsszenen  78 
X.   Sagengeschichthche  Grundlage  und  Nachwirkungen 

der  euripideischen  Devotionsszenen 84 

Register 105 


Schmitt,  Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  1 


Einleitung. 

Der  starken  Produktionskraft  des  griechischen  Dramatikers, 
die  durch  den  Wettbewerb  an  den  dionysischen  Spielen  immer 
neu  angeregt  wurde,  legte  der  immerhin  enge  Stoffkreis  des 
Mythus  eine  gewisse  Beschränkung  auf.  Einigen  Ausgleich, 
der  zudem  die  MögHchkeit  zu  künstlerischer  Vertiefung  bot, 
fand  er  darin,  daß  er  sich  bei  einzelnen  Motiven  nicht  mit 
einer  einmaligen  Behandlung  begnügte,  sondern  immer  wieder 
auf  sie  zurückgriff,  sei  es  nur,  um  die  schon  erprobte  drama- 
tische Wirkung  wieder  auszunützen,  sei  es,  um  dem  Problem 
neue  Seiten  und  neue  künstlerische  Darstellungsmöglichkeiten 
abzugewinnen.  Mitbedingt  werden  diese  Wiederholungen,  die 
wir  am  eingehendsten  bei  Euripides  beobachten  können,  auch 
durch  die  Sagenbildung,  in  der  ebenfalls  dieselben  Motive  in 
den  mannigfaltigsten  Spielarten  und  Kombinationen  wieder- 
kehren. 

Eines  dieser  Motive,  das  des  freiwilligen  Opfertods,  soll 
uns  hier  beschäftigen.  Es  ist  ein  Problem,  das  nicht  mehr  der 
naiven  Sage  angehört,  sondern  das  —  aus  uralten  religiösen 
Anschauungen  entsprungen  —  in  den  Zeiten  des  erwachenden 
Staatsbewußtseins,  zumal  in  den  harten  Kämpfen  um  die  Exi- 
stenz der  neugegründeten  Staatswesen,  besonders  in  den  Vorder- 
grund trat.  Die  alte,  noch  völlig  unethische  Vorstellung  von 
den  überirdischen  Mächten,  die  in  Zeiten  der  Not,  vor  Schlachten, 
großen  Unternehmungen  usf.  ein  Menschenopfer  fordern,  bevor 
sie  ihre  Gnade  zeigen,  war  der  neuen,  sittlich  freien  Anschau- 
ung gewichen,  der  freiwilligen  Hingabe  des  Lebens  für  ein 
höheres  Gut. 

Durch  den  Lebenskampf  der  kleinen  griechischen  Staaten 
mit  dem  Perserreich,  und  besonders  durch  den  Heldentod  des 
Leonidas,  wurden  diese  Sagen,  wenn  auch  nicht  hervorgerufen,  so 
doch  besonders  behebt  und  vermehrt ').  Den  glühenden  Patrioten 

>)  Busolt,  Gr.  Gesch.  I  220,  2,  II 128,  2  hält  die  Sage  von  Kodros"  Opfertod 
für  eine  Erfindung  des  5.  Jh.  unter  dem  Eindruck  der  Tat  des  Leonidas. 
Religionsgeschichtliche  Versuche  u.  Vorarbeiten.    XVII,  2.  1 


2  Johanna  Schmitt 

Euripides  haben  sie  in  der  schweren  Zeit  des  peloponnesischen 
Krieges,  in  der  wiederum  diese  unbedingte  Hingabe  die  einzige 
Rettung  hätte  sein  können,  zu  kühnen  Neuschöpfungen  und 
Umbildungen  der  alten  Sage  begeistert.  Neben  dem  patrioti- 
schen Opfertod  hat  ihn  der  persönliche  einer  Alkestis  und  das 
verwandte  Motiv  des  erotischen  eTraTroö-avelv  einer  Euadne  und 
Laodamia  gelockt:  in  allen  Fällen  also  eine  Verherrlichung  der 
freiwilligen  Hingabe  des  Lebens  *).  In  6  erhaltenen  Tragoedien 
(Alk.  Herakl.  Hek.  Hik.  Phoen.  Iph.  Aul.)  und,  soviel  wir 
sehen  können,  in  3  verlorenen  (Protes.  Erechth.  Phrixos)  hat 
Euripides  das  Problem  behandelt,  bald  als  Hauptmotiv  des 
Dramas,  bald  als  wirksame  Einzelszene. 

I.  Eingliederung  und  Einführung  der  Devotionsszenen, 

a.  Herakliden.  Wenn  wir  von  Alkestis  und  Protesilaos 
zunächst  absehen,  hat  Eur.  das  Motiv  des  freiwilligen  Opfer- 
todes zum  erstenmal  in  den  Herakliden  eingeführt.  Die  „Ma- 
karia"-Episode  ist  diesem  Drama,  wohl  seinem  schwächsten, 
als  Glanzstück  aufgesetzt,  zur  Erregung  des  eXeos  und  zur 
patriotischen  Erhebung.  Sie  soll  dem  Stück  zu  der  tragischen 
Wirkung  verhelfen,  an  der  es  ihm  sonst  völhg  fehlt.  Zu  der 
freien  Erfindung  der  heldenhaften  Heraklestochter  ^  empfing 
Eur.  die  Anregung  wohl  durch  den  Gegensatz  zu  Aischylos' 
Hiketiden.  Auf  die  offenbare  Polemik  gegen  Aischylos  (Herakl. 
43):  veas  y^^P  Trapö^evous  aJ5oüiie&a  öxXw  TreXd^eiv  Kd7nßw|uo(iTaTe7v 
hat  schon  Firnhaber  ^)  hingewiesen.  Im  Gegensatz  zu  den 
wilden  Danaiden,  die  von  ihrem  Vater  zu  Bescheidenheit  und 
Sittsamkeit  (197.  996)  ermahnt  werden  müssen,  erfand  Eur. 
seine  betont  züchtige  „Makaria".  Während  die  Hiketiden 
drohen,  sich  an  den  Altären  aufzuhängen  (160,  789)  und  da- 
durch das  Heiligste  zu  beflecken,  wenn  ihnen  kein  Schutz 
gewährt  wird,  verhilft  die  heldenmütige  Heraklestochter  durch 
ihren  freiwilligen  Tod  den  Gastfreunden  zu  einem  ruhmvollen 
Sieg  und  obendrein  zu  der  Reliquie  des  Eurystheusgrabs. 

^)  Zur  Geschichte  der  damit  zusammenhängenden  Erscheinung  des  Selbst- 
mords im  Altertum  s.  Hirzel,  Arch.  f.  Rel.-Wiss.  XI  75  S. 
^)  S.  unten  84  ff.  *)  Philol.  I  448. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  3 

Die  HeraM.  machen  den  Eindruck,  als  seien  sie  sehr  rasch 
gearbeitet,  als  richtiges  Gelegenheitsstück.  Hierauf  werden 
wohl  die  vielen  Mängel  der  Komposition  zurückzuführen  sein. 
Diese  Schwächen  machen  sich  besonders  in  der  Makariaepisode, 
zumal  ihrer  Eingliederung  in  die  ganze  Tragoedie,  fühlbar.  Es 
sieht  fast  aus,  als  habe  Eur.  diese  Szene  erst  nachträglich  ein- 
gesetzt, und  als  sei  ihm  dann  die  Einrenkung  nicht  mehr  recht 
gelungen.  Die  Handlung  an  sich  könnte  ohne  diese  Episode 
genau  so  gut  bestehen  wie  mit  ilu*.  Die  erste  Vorbereitung 
zum  Auftreten  der  Heraklestochter  gibt  41  ff.,  wo  erzählt  wird, 
daß  Alkmene  mit  den  Mädchen  drinnen  im  Tempel  weile,  vor 
dem  lolaos  mit  den  Knaben  als  Schutzflehender  sitzt.  Das 
Orakel,  welches  das  Jungfrauenopfer  befiehlt,  wird  vorbereitet 
durch  den  Hinweis  Demophons,  daß  er  die  Seher  zum  Opfer 
versammeln  werde:  iidvieis  6'  d^poiaas  ö'öaoiiai  (340). 

Die  Opfer  werden  dargebracht,  die  Götterzeichen  einge- 
holt; sie  lauten  alle  glückverheißend,  aber  eine  schwere  Be- 
dingung ist  an  den  Sieg  geknüpft.  Eindeutig  lautet  der  Be- 
scheid aller  xPI^^Hoi  (408) :  aclxi^^ai  KeXeuouoiv  |ie  Trap^evov  KÖpri  A^- 
lintpos,  r\r\s  efffi  Traipös  eÖYevoös.  Eine  nähere  Motivierung  dieses 
Verlangens  wird  nicht  gegeben.  Als  Grund  genügt,  daß  die 
Unterirdischen  ihr  Opfer  haben  wollen.  Nachdem  das  Aner- 
bieten des  lolaos,  selbst  als  Opfer  einzutreten '),  von  Demophon 
zurückgewiesen  ist,  hat  die  Ratlosigkeit  und  verzweifelte  Lage 
der  Herakliden  ihren  Gipfel  erreicht.  Da  erscheint  wie  ein 
deus  ex  machina  die  Heraklestochter  vor  dem  Tempel.  Ihr 
Auftreten  ist  höchst  mangelhaft  motiviert:  sie  habe  lolaos 
stöhnen  hören  und  übertrete  aus  Sorge  um  ihn  und  die  Brüder 
das  Gebot  der  weibHchen  Sittsamkeit,  des  Schweigens  und  der 
Zurückhaltung  (474ff,)").  In  Wirkhchkeit  hat  aber  lolaos  gar- 
nicht  so  laut  geschrieen;  in  der  ersten  Szene,  als  der  Herold 
den  Versuch  machte,  lolaos  vom  Altar  fortzureißen  (69 ff.), 
wäre  weit  mehr  Grund  zum  Heraustreten  gewesen.  Jedoch 
Eur.  braucht  eben  die  neue  Person  in  diesem  Augenblick,  und 

*)  Über  diesen  Zug  s.  unten  41  ff.  "-)  Diese  Sittsamkeit,  die  hier 

ganz  passend  dazu  gebraucht  wird,  die  captatio  benevolentiae  anzubringen, 
ist  fast  der  einzige  Charakterzug  der  Makaria;  auch  dieser  ist  recht  kon- 
ventionell und  bis  zur  Langeweile  wiederholt. 

1* 


4  Johanna  Schmitt 

SO  erscheint  sie.  Ein  ganz  singulärer  Fall  in  der  dramatisclien 
Technik  des  Eur.  ist  aber  an  dieser  Stelle,  daß  die  auftretende 
Person  nicht  angekündigt  wird  oder  selbst  in  ihren  ersten 
Worten  sich  vorstellt.  Usener')  hat  daher  vor  „Makarias" 
Auftreten  den  Ausfall  einiger  Verse  angenommen.  Aber  mit 
dieser  Hypothese  ist  nicht  viel  gewonnen.  Der  Name  Makaria 
kommt  im  ganzen  Stück  nicht  vor,  und  die  einmalige  Namens- 
nennung einer  so  bedeutenden  Figur  wäre  nicht  viel  weniger 
anstößig  als  das  gänzliche  Fehlen  des  Namens.  Ferner  kann 
auch  der  Chor,  dem  gewöhnlich  das  Amt  des  Vorstellens  zu- 
fällt, ihren  Namen  nicht  nennen,  da  er  sie  garnicht  kennt. 
Aber  Eur.  konnte  der  Heraklestochter  auch  gar  keinen  Namen 
geben'),  da  sie  seine  eigene  Erfindung,  keine  Sagenfigur  ist. 
Exponiert  wird  übrigens  Makaria  genügend  durch  die  oben 
erwähnten  Prologverse  41  ff.  und  ihre  eigenen  Worte  (480): 
peXei  5e  iioi  \Lakm  ä5eX(f)üv  TÜv5e.  Daß  eine  Person  im  Stück 
mit  Namen  nicht  genannt  ist,  sondern  nur  in  Personenver- 
zeichnis und  Hypothesis,  daß  also  erst  die  spätere  mythographi- 
sche  Gelehrsamkeit  den  Namen  in  das  Stück  hineinkonjizierte, 
ist  nicht  ganz  singulär.  In  denselben  Herakl.  ist  der  Herold 
wie  der  der  beiden  Hiketidendramen  ohne  Namen  und  ver- 
dankt ihn  erst  der  Iliasstelle  0  639*).  Ebenso  ist  der  Name 
Molossos  für  den  kleinen  Sohn  der  Andromache  und  Atossa 
in  den  Persern  Konjektur*). 

Ungeschickt  ist  im  Bau  der  Makariaszene  femer  die  Mit- 
teilung des  Orakels  an  die  Jungfrau.  Fast  mit  denselben 
Worten,  mit  welchen  Demophon  es  dem  Jolaos  verkündet 
hatte,  gibt  dieser  es  an  Makaria  weiter  (488) :  xPl^^^wv  yap  ü)5ous 
<j)n(Ti  an^cfiveiv  ö8e,  ou  raüpov  ou5e  iiöaxov,  dXXä  Trap^evov  a^ä\a\  KÖpri 
AniifiTpos  HTis  euyevris.  Wir  werden  sehen,  daß  Eur.  solche 
Wiederholungen  künftighin  gemieden  hat. 

b.  Hekabe.  Einen  großen,  technischen  und  künstlerischen 
Fortschritt  zeigt  die  Polyxenaszene  der  Hekabe^).     Eine  Ver- 

1)  Kl.  Sehr.  I  143.  ^)  S.  unten  84  ff.         »)  Elmsley  zu  Herakl.  49. 

*)  Hiller,  Herrn.  8,  442 S.  H.  nimmt  aber  in  den  Herakliden  nach 
üseners  Vorgang  Ausfall  des  Namens  yor  474  an.  Natürlich  sind  solche 
Fälle  in  der  Komoedie  noch  viel  häufiger,  z,  B.  „Aiakos"  in  den  Fröschen, 
,Demosthenes'',  „Nikias"  und  jKleon"  in  den  Rittern. 

5)  Fest  bestimmbar  ist  für  die  Hek.  nur  der  terminus  ante  quem  durch 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  5 

schiedenheit  von  den  sonstigen  Behandlungen  unseres  Motivs 
liegt  allerdings  darin,  daß  es  sich  hier  nicht  um  einen  heroi- 
schen Opfertod  handelt,  der  um  einer  großen  Sache  willen  er- 
litten wird,  sondern  Eur.  hat  aus  innerstem  Bedürfnis  hier  das 
Moment  der  Freiwilligkeit  in  die  alte  Sage  von  Polyxenas 
Opferung  eingeführt,  weil  ihm  eine  jammernde  und  willenlos 
leidende  Polyxena  unerträglich  gewesen  wäre.  Ob  er  mit 
diesem  neuen  Zug  gegen  seinen  Vorgänger  Sophokles  polemi- 
sierte, der  nach  Schol.  Hec.  1  (rä  Trepi  rnv  floXu^evnv  tau  Kai 
Trapä  Io(|)OKXeT  eöpeTv)  denselben  Stoff  behandelt  hatte,  ist  uns 
nicht  mehr  erkennbar,  scheint  aber  nicht  unmöglich.  —  Die 
Technik  der  Polyxenaszene  ist  der  der  übrigen  Devotions- 
szenen so  ähnlich,  daß  wir  sie  mit  diesen  in  eine  Reihe  stellen 
können.  Eine  Verbesserung  den  Herakl.  gegenüber  ist  vor 
allem  die  Eingliederung  des  Opfertods  in  den  Gang  der  ganzen 
Tragoedie,  mit  der  sie  nicht  willkürlich  wie  die  Makariaepisode, 
sondern  mit  innerer  Notwendigkeit  verbunden  erscheint.  Die 
Opferung  der  Polyxena  hat  wie  die  folgende  Polydorosszene 
den  Zweck,  die  Wandlung  der  schmerzgebeugten  Mutter  zur 
rasenden  Megäre  begreiflich  zu  machen*);  denn  die  Gestalt  der 
Hekabe  bildet  (wie  die  des  Herakles  im  gleichnamigen  Drama) 
die  Einheit  des  Stücks,  um  die  sich  alle  Personen  und  Ereig- 
nisse gruppieren.  So  ist  einerseits  die  Polyxenaszene  eng  mit 
dem  Gang  des  ganzen  Dramas  verkettet;  andrerseits  sind  aber 
auch  die  beiden  meistbeteiligten  Personen,  Hekabe  und  Poly- 
xena, weit  enger  miteinander  verbunden  als  Makaria  mit  dem 
alten  lolaos,  der  bei  seinen  überhaupt  sehr  schwachen  Affekten 
über  eine  doch  etwas  kühle  Hochachtung  für  die  heldenhafte 
Jungfrau  nicht  hinausgeht.  Polyxena  dagegen  ist  das  einzige 
Band,  das  Hekabe  noch  am  Leben  hält,  ihre  Stütze  und  ihr 
Trost  in  der  Knechtschaft,  das  letzte  ihrer  Kinder,  das  ihr 
geblieben  ist^).    Mit  größter  Kunst,  ganz  im  Gegensatz  zu  den 

die  zweimalige  Parodie  in  den  Wolken  vgl.  Zirndorfer  de  chronol.  fab.  Eur. 
p.  39.  —  Wilamowitz  deutet  Herrn.  44,  450  die  Möglichkeit  an,  die  Herakl. 
seien  eine  schwache  Kopie  der  Hek.  Doch  scheint  sehr  unwahrscheinlich, 
daß  Eur.,  wenn  er  einmal  die  bessern  technischen  Mittel  gefunden  hatte,  sie 
später  wieder  aufgegeben  hat. 

1)  Maaß,  Herrn.  24.  519. 

^)  280:  fjS'  dvTt  KoAÄüv  fiaii  ^o\  vtapai|/ux>i,  tioAis  n^^vq  ßäKipov  fiye^üv  65oü, 


Q  Johanna  Schmitt 

Herakl. ,  ist  hier  die  Opferung  vorbereitet.  Schon  Polydoros 
verkündet  sie  im  Prolog  (40ff.):  airel  6'  d8eX(j)fiv  rfiv  i\ir\v  PloXo- 
^€vr|v  Tuiißu  (j)iXov  7rpöö(j)aY|ia  Kai  y^P^S  XaßeTv.  kqi  Teu^erai  toö8*  ou8* 
ctScüpHTOS  (j)iXuv  earai  Trpös  dv6püv.  f\  TreTrpcütievn  5'  äyei  ^aveTv  d5eX- 
^r\v  Tü5'  eiifiv  ev  tijiaTi.  Während  so  wir  selbst  vom  Kommenden 
schon  unterrichtet  sind,  sehen  wir  Hekabe  dann  nochmals  von 
der  ersten  bangen  Ahnung  bis  zur  Gewißheit  ihr  schreckliches 
Schicksal  durchleben.  Durch  den  vorahnenden  Traum,  der 
Hekabe  beunruhigt,  schafft  Eur.  die  unheildrohende  Stimmung. 
Außerordentlich  wirksam  wird  die  Traumerzählung  in  Hexa- 
metern, dem  Orakelvers,  gegeben  (72) :  dTTOTreinropiai  evvuxov  öi|iiv, 
r\v  Trepi  7rai5ös  ejioö  toö  aco^oiievou  Kard  ©pi^Kriv  djicj)!  rioXu^eivriS  t€ 
<j)iXns  ^uyaTpös  5i'  öveipwv  (|)oßepdv  eßdriv')  und  (90):  eT5ov  ydp  ßa- 
Xidv  eXa(})ov  Xükou  aY^ovi  xaXä  a<t)a^oiievav,  dir'  ejiwv  yovdTüJV  aTratr^eT- 
aav  dvdYKCt.  Dem  folgt,  gleichsam  als  der  rationelle  Grund  ihrer 
Furcht,  dei'  den  Traum  hervorgerufen  hat  —  und  zugleich  als 
eine  Steigerung  —  die  Mitteilung,  daß  Achill  über  seinem 
Grabmal  erschienen  sei  und  eine  der  Troerinnen  als  yipas 
gefordert  habe  (92  ff.). 

Wilamowitz  ^) ,  zurückgreifend  auf  Rassows*)  Hypothese 
von  einer  wei^ehenden  Überarbeitung  des  ersten  Akts  der 
Hek.,  die  durch  Maaß*)  widerlegt  wurde,  athetiert  V.  73—78 
und  90 — 97:  „Geradezu  absurd  ist  es,  daß  Hekabe  im  Traum 
sowohl  den  Geist  des  Polydoros  wie  eine  vom  Wolf  zerfleischte 
Hinde  gesehen  haben  soll:  die  mußte  Traumerscheinung  sein, 
der  Geist  aber  Realität."  Jedoch  ist  die  Geistererscheinung 
für  Hekabe  eben  keine  ReaHtät.  Der  Schatten  des  Polydoros 
geht  nicht  zu  ihr  ins  Zelt;  er  kommt  bei  seinem  Auftreten 
dkekt  aus  dem  Keuö'jiuv  vcKpüv  (1)  und  verschwindet  wie  Hekabe 
sich  naht  (52  ff.).  Nur  durch  seine  Nähe  wirkt  das  ^avraa\ia 
den  Traum.  Was  es  uns  von  der  bevorstehenden  Opferung 
Polyxenas  erzählt,  setzt  sich  bei  Hekabe  in  das  Traumgesicht 
von  der  zerrissenen  Hindin  um.    Daß  Hekabe  den  Inhalt  ihres 


vgl.  Mader,  Über  die  hauptsächlichsten  Mittel,  mit  denen  Eur.  eAeos  zu  er- 
reichen sucht.  Diss.  Erlangen  1907,  43  über  diese  Stelle  als  TÖnos  des  lAeos 
und  Verwandtes  in  Alk.  646 S.  und  II.  Z  429. 

^)  So  Weil  und  Murray  nach  Härtung.  ^)  Herrn.  44,  446  ff. 

»)  Herrn.  22,  517 ff.  *)  Herrn.  24,  509 ff. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  7 

Traums  von  Polydoros  nicht  angibt,  ist  nicht  anstößig:  alle 
Aufmerksamkeit  soll  auf  Polyxena  gerichtet  werden.  Die  Verse 
■93 ff.  streicht  Wilam.  mit  der  Begründung:  „Eur.  kann  nicht 
geschrieben  haben,  daß  Achill  eine  Troerin  fordert,  die  Griechen 
zu  entscheiden  haben.'  Es  ist  ja  aber  gerade  so  wirkungsvoll 
und  charakteristisch,  daß  die  Mutter,  die  nächste  Beteiligte, 
^das  Nächstliegende  nicht  glaubt,  weil  es  ihr  zu  schmerzlich 
sein  würde" '). 

Die  Gewißheit  folgt  endlich  in  der  Parodos,  in  der  die 
Frauen  Hekabe  mitteilen,  die  Achaeerversammlung  habe  be- 
schlossen, Polyxena  dem  Achill  als  die  geforderte  Ehrengabe 
zu  opfern.  Zu  der  Erzählung,  daß  in  der  Griechenversamm- 
lung gerade  die  beiden  Theseussöhne  für  das  Opfer  der  Poly- 
xena gesprochen  hätten  (123ff.),  bietet  die  lliupersis  des  Vasen- 
malers Brygos  eine  lehrreiche  Parallele:  hier  fühi't  Akamas  die 
Polyxena  aus  der  eroberten  Stadt  ^. 

In  dem  Kommos,  der  auf  die  Parodos  folgt,  ruft  Hekabe 
■die  Tochter  heraus  und  teilt  ihr  das  bevorstehende  Schicksal 
mit  (188):  a^aim  a  'Apveiuv  KOivä  (Tuvreivei  irpös  Ti3|ißov  Y^w^a 
rinXeiSa  Yevvg.  Wie  in  der  Makariaszene  wird  also  die  Mitteilung 
wiederholt,  doch  ist  darin  eine  Variation  erreicht,  daß  die  Worte 
nicht  im  selben  eibos  SpctiiaTos  wiederkehren:  das  erstemal  stehen 
sie  in  der  Parodos,  das  zweitemal  im  Kommos.  Auch  ist  der 
Anklang  nicht  so  wörtlich  wie  in  den  Herakl. 

c.  Phoenissen.  In  der  Menoikeusepisode  der  Phoenissen 
hat  Eur.  die  Makariaszene  imitiert,  jedoch  dadurch  gesteigert, 
daß  das  Opfer  sich  selbst  den  Tod  gibt.  Wie  in  den  Herakl. 
beansprucht  das  Opfermotiv  nur  eine  Szene,  die  für  den  Gang 
der  Hauptereignisse  nicht  wesentlich  ist,  sondern  nur  um  des 
Rühreffekts  willen  hier  ihren  Platz  gefunden  hat').     Wie  die 

*)  Maaß  a.  a.  0.  512. 

-)  Robert,  Bild  und  Lied  61.  Heydemanns  Deutung  der  Frauengestalt 
auf  Aithia  (lliupersis  des  Brygos  17)  erscheint  daher  unannehmbar.  —  Mader 
a.  a.  0.  65 fi.  nimmt  eine  gemeinsame  epische  Quelle  für  Brygos  und  Eur.  an. 
Ob  allerdings  das  zitierte  Hec.-Schol.  123  den  Inhalt  dieses  Epos  bewahrt 
hat  und  nicht  vielmehr  die  Eur.-Verse  falsch  erklärt,  scheint  mir  fraglich. 

*)  Scholl,  Sitz.-Ber.  Akad.  Heidelberg  1910,  26  nimmt  an,  Menoikeus 
und  Antigene  seien  mit  dem  Grundgedanken  der  Trilogie,  den  Scholl  in 
•Oinomaos  frg.  571  N.  erblickt,    dadurch  verbunden,   daß  sie  zu  den  Kindern 


8  Johanna  Schmitt 

Makariaepisode  hat  auch  diese  Szene,  wenn  nicht  die  direkte 
Anregung,  so  doch  den  vielleicht  unbewußten  Einfluß  des 
Aischylos  erfahren.  Darüber  hat  Robert,  Oedipus  I  416ff.  ge- 
handelt. Da  ich  ihm  nicht  in  allem  zustimmen  kann,  muß  ich 
näher  auf  diesen  Punkt  eingehen.  Robert  spricht  a.  a.  0.  die 
Vermutung  aus,  daß  Eur.  das  Leitmotiv  der  aischyleischen 
Sieben,  den  „Konflikt  zwischen  Staat  und  Geschlecht"-  in  der 
Menoikeusepisode  wieder  aufgenommen,  ihn  „aus  dem  Zentrum 
in  die  Peripherie  verlegt"  habe  (S.  423).  Er  muß  aber  gleich 
selbst  zugeben,  daß  es  sich  in  dieser  Szene  der  Phoen.  eigent- 
lich garnicht  mehr  um  die  Wahl  „Staat  oder  Geschlecht" 
handle  —  denn  wenn  auch  Menoikeus  geopfert  wird,  stirbt 
darum  das  Geschlecht  nicht  aus,  da  ja  Haimon  noch  lebt  — 
sondern  nur  um  die  Frage  „Vaterland  oder  Kind".  Nun  ist 
aber  die  ganze  Robertsche  Hypothese,  daß  Eteokles  durch  Ver- 
nichtung seines  Geschlechts  den  Staat  zu  retten  versuche,  nur 
aus  Sieben  695 ff.  heraus  interpretiert:  <j)IXoü  yccp  ^x^P«  poi  Trarpös^ 
jieXaiv'  'Apcc  \r\p6is  dKXauTOis  öjinaaiv  TrposiCavei,  Xeyouaa  Kep8os  TrpÖTCpov 
uarepou  jiöpou,  indem  er  recht  willkürlich  Kep5os  als  „Kep5os  des 
Staats"  erklärt  (S.  266),  ohne  zu  sagen,  warum  es  „natürlich 
nicht  von  seinem  eigenen  Kep5os"  gelten  soU  wie  683:  enrep 
KQKÖv  <|>epoi  TIS  aiaxuvqs  «lep,  eaiw  pövov  y^p  KepSos  ev  re^vriKÖaiv. 
Vielmehr  stützt  eher  die  erste  Stelle  die  zweite*),  und  m.  E. 
berechtigt  nichts,  in  den  Worten  695  ff.  eine  andere  Beziehung 
anzunehmen.  Eteokles  sieht  das  furchtbare  Rachegespenst, 
dem  er  nicht  entfliehen  kann,  ständig  vor  sich  und  spricht  aus, 
daß  die  Vernichtung  für  ihn  die  einzige  Rettung  aus  dieser 
Qual  sei.  Aber,  wie  Wilamowitz  schon  vor  Robert  scharf 
formuliert  hat*^:  „Kein  Gedanke  daran,  daß  Aischylos  oder 
irgendwer  vor  oder  nach  ihm  die  Sache  so  gewandt  hätte,  daß 
der  Tod  der  Brüder  die  Bedingung  für  den  Sieg  über  die 
Sieben  gewesen  wäre."  —  Der  einzige  Vers,  der  an  derartiges 


gehören,  die  köv  y^vmvtoi  aco^poves  den  Vätern  ji^yo  koköv  bereiten.  Jedoch 
ist  sehr  zweifelhaft,  ob  dieses  Pragm.  wirklich  den  „Grundgedanken"  aus- 
sprechen sollte. 

^)  Die  grausame  Ironie,  die  in  der  Antithese  (|)(Äou  irarpös  —  Sx^pä  'Apd 
liegt,  isf  aufgenommen  im  folgenden  Vers:  x^pSos  npötepov  vaiipov  iiöpou. 

*)  Aischylos  Interpretationen  67. 


.  Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  ^^ 

denken  lassen  könnte,  ist  der  von  Robert  zitierte  703.  Aber 
wenn  man  ihn  in  seinem  Zusammenhang  liest,  ö-eoTs  (lev  r[br] 
TTUS  TTaprjiieXtiiie^a,  XQ^piS  8'  ä^'  ni^wv  öXoiievuv  ö^aüiid^eTai.  ri  oöv  It" 
av  ffalvoiiiev  öXe^piov  iiöpov;  so  sieht  man,  daß  mit  keinem  Wort 
angedeutet  ist,  durch  den  Tod  der  Brüder  werde  die  Stadt 
gerettet  werden.  Die  x^pi?  leistet  er  den  Göttern  gegenüber,, 
denen  es  doch  Bewunderung  abnötigen  muß,  wenn  er  sich 
freiwillig  dem  Tod  stellt.  Robert  selbst  spricht  aus,  daß  die 
Hoffnung  des  Eteokles,  durch  seinen  Tod  die  Vaterstadt  zu. 
retten,  vergebens  sei.  Mit  diesem  Zugeständnis  hebt  er  seine 
eigne  Hypothese,  d.  h.  die  von  ihm  konstruierte  Hoffnung  des 
Eteokles,  wieder  auf,  denn  der  Fluch  wird  ja  auch  durch 
den  Doppelselbstmord  der  Brüder  nicht  von  der  Stadt  ge- 
nommen, und  es  bleibt  bis  zuletzt  der  dumpfe  Druck,  die 
Furcht  vor  dem  drohenden  Untergang  (843):  pepijiva  8'  a\i^V 
TTTÖAiv  ö-efftljaT'  oÖK  d|ißXüveTai.  (902):  jieveT  KTeavd  t'  emyövois,  b\ 
c&v  alvojiöpois,  Sr  wv  velKos  eßa  Kai  ö^avarou  reXos.  Sahen  wir  also, 
daß  von  der  Aufnahme  eines  Grundgedankens  der  Sieben,  der 
in  Wirklichkeit  garnicht  existiert,  nicht  die  Rede  sein  kann, 
so  scheint  doch  dem  Eur.  —  bewußt  oder  unbewußt  —  die 
Szene  zwischen  Eteokles  und  dem  Chor  bei  der  Bildung  seiner- 
Devotionsszene  als  „Situation"  vorgeschwebt  zu  haben.  Hier 
wie  dort  der  todesbereite  Held,  den  der  ängstliche  Gegenspieler 
zwückzuhalten  versucht,  nur  daß  bei  Aisch.  noch  der  Chor 
uie  Rolle  des  Gegenspielers  hat,  bei  Edr.  dafür  ein  Schauspieler 
eingetreten  ist  und  daß  in  den  Phoen.  der  Kampf  des  Für 
und  Wider  sich  zwischen  Kreon  und  Teiresias  abspielt,  während 
Menoikeus  selbst  in  dieser  Szene  ausgeschaltet  ist.  Es  liegt 
aber  schon  im  Stoff,  daß  gerade  die  Menoikeusepisode  den  be- 
sondern Einfluß  der  Sieben  erfahren  hat.  Und  in  der  Tat  hat 
Menoikeus  Charakterzüge  des  Eteokles  geerbt  (Robert  418).. 
Mit  derselben  raschen  und  unbeugsamen  Entschlossenheit  gehen 
beide  in  den  Tod.  Sogar  ein  wörtlicher  Anklang  fehlt  nicht 
Sept.  672:  toütois  TreTTOi&us  eT|ii  Kai  ^uaTnao^iai  auTÖs.  ti's  jiäXXov 
ev8iKU)T€pos;  ~  Phoen.  997:  üs  oöv  av  e'\b\]r,  €T|ii  Kai  adiata  ttöXiv. 
Das  „€T[ii  Kai"  an  derselben  Versstelle  bei  beiden  Dichtern ,^ 
wodurch  so  treffend  die  rasche  Umsetzung  des  Entschlusses, 
in  die  Tat  charakterisiert  wird,  ist  kaum  reiner  Zufall. 


10  Johanna  Schmitt 

Ein  ähnlicher  Gharakterzug  ist  auch  der  unbedingte  Abscheu 
beider  vor  der  Schande.  Sept.  685:  kqküv  Se  Kgaxpüv  oötiv' 
euKXeiav  epels  -^  Phoen.  999:  aiaxpöv  yäp-  oi  |iev  ^e(r(j)dTuv  eXeö- 
&epoi  ....  Wir  haben  hier  also  eine  der  mannigfachen  An- 
lehnungen des  Eur,  an  seinen  Vorgänger,  den  er  ebenso  eifrig 
bekämpft  hat,  wie  er  von  ihm  abhängig  ist. 

Daß  es  in  den  Phoen.  ein  Knabe  ist,  der  den  Opfertod 
stirbt,  darf  man  wohl  auch  damit  in  Verbindung  bringen,  daß 
Eur.  in  dieser  Epoche  seines  Schaffens  mit  besondrer  Vorhebe 
heranwachsende  Knaben  zu  Helden  seiner  Dramen  gemacht 
hat.  Mit  den  Phoen.  wurde,  wie  die  Hypothesis  berichtet,  der 
Chrysippos  aufgeführt,  der  wie  Menoikeus  den  Tod  der  Schande 
vorzieht  ^).  Den  Phrixos,  in  dem  wie  in  den  Phoen.  das  Motiv 
des  freiwilligen  Opfertods  vorkam  ^) ,  hat  v.  Arnim  ^)  ungefähr  in 
dieselbe  Zeit  datiert,  und  endlich  kann  auch  der  Ion  zeitlich 
nicht  weit  von  dieser  Gruppe  entfernt  sein. 

Sehr  lehrreich  ist  es,  die  Vervollkommnung  der  Technik, 
die  hier  fast  zur  Virtuosität  wird,  gegenüber  den  Herald,  zu 
betrachten.  Wie  dort  wird  schon  lange  vor  der  Devotions- 
szene selbst  die  Vorbereitung  für  sie  geschaffen:  Die  Erwäh- 
nung der  Drachentötung  und  der  Spartensaat  im  1.  Stasimon 
657 ff.  gibt  den  Untergrund  für  das  Teiresiasorakel  und  die 
darauf  folgende  Menoikeusszene*). 

Mit  feiner  Berechnung  hat  sodann  Eur.  die  Situation,  ^[0 
Kreon  selbst  das  Orakel  aus  Teiresias'  Mund  empfängt,  da- 
durch herbeigeführt,  daß  Eteokles  es  ablehnt,  den  Seher  selbst 
zu  befragen  —  Eur.  benützt  also  den  aischyleischen  Zug  von 
der  Feindschaft  des  Eteokles  gegen  die  Seher  —  und  den 
Menoikeus  ihn  herbeiholen  heißt.  So  wird  das  Zusammen- 
treffen Kreon  —  Teiresias  —  Menoikeus  sorgfältig  vorbereitet  ^). 
Der  Makariaepisode  gegenüber  erhält  die  Menoikeusszene  schon 
dadurch  mehr  Gewicht,  daß  nicht  beliebige  xpno^^^v  doi5oi'  (Herald. 

1)  Schol.  Phoen.  1760.    Robert  a.  a.  0.  401.     Welcker,    Griech.   Trag. 

11  533  ff.  2)  s    unten  69  ff. 

')  De  prologis  Eur.  Diss.  Greifswald  1882,  83.  Howald,  Unters,  z. 
Technik  d.  Eur.  Trag.     Tübingen  1914,  23  A.  2. 

*)  Hofmann,  Über  den  Zusammenhang  zw.  Chorliedern  u.  Handlung  in 
d.  erhalt.  Dramen  d.  Eur.     Diss.  Leipzig  1916,  83. 

»)  Radermacher  Rh.M.  53,  498. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  11 

403)  das  Opfer  fordern,  sondern  der  altberühmte  Teiresias  selbst. 
Wie  in  der  Hek.  hat  Eur.  auch  hier  verstanden,  das  Kommende 
durch  eine  unheildrohende  Stimmung  vorzubereiten.  Er  spielt 
hier  in  den  ersten  Worten  des  Teiresias  (852  ff.)  auf  seine  eigene 
Behandlung  des  freiwiüigen  Opfertodes  im  Erechtheus  an^), 
wenn  er  den  Seher  erzählen  läßt,  daß  er  von  Athen  komme  und 
durch  seinen  Spruch  diese  Stadt  gerettet  habe.  Dadurch  wird 
zwar  die  Siegeszuversicht  gestärkt,  aber  zugleich  die  Erinne- 
rung an  das  Opfer  erweckt,  durch  das  jener  Sieg  erkauft  wurde. 

Eine  leichte  Diskrepanz  mit  dem  Erechtheus  liegt  zwar 
darin,  daß  dort  Apollon  das  Opfer  forderte '^),  doch  hat  sich 
Eur.  vor  derartigen  kleinen  Änderungen  nicht  gescheut:  vgl. 
z.  B.  die  Darstellung  vom  Opfertod  der  Erechthiden  im  Erech- 
theus und  seine  davon  abweichende  Erwähnung  im  Ion  277ff. '). 

In  der  ganzen  Szene  zwischen  Kreon  und  Teiresias  lehnt 
sich  Eur.  offenbar  an  die  entsprechende  Szene  in  der  Antigone 
und  noch  mehr  an  die  im  König  Oedipus  an.  Hier  wie  dort 
wird  Teiresias  herbeigeholt,  Phoen.  766 ff.  Oed.  tyr.  288ff.,  wäh- 
rend er  in  der  Antigone  von  selbst  kommt.  Das  Auftreten 
des  Teiresias  hat  dagegen  mehr  Ähnlichkeit  mit  der  Antigone- 
szene.  Beide  Male  wird  die  Blindheit  stark  als  töttos  des  eXeos 
ausgenutzt,  noch  mehr  jedoch  beim  Nachahmer.  Der  blinde, 
hinfällige  Greis  bedarf  einer  Stütze:  in  der  Antigone  führt  ihn 
ein  Knabe  (988ff.  1087),  in  den  Phoen.  seine  Tochter  Manto*) 
(834 ff.),  also  dasselbe  Bild  wie  am  Schluß:  der  blinde  Greis 
geführt  von  der  jungen  Tochter.  Während  man  im  Oed.  daran 
Anstoß  nehmen  konnte,  daß  Teiresias  sein  Wissen  so  lange 
geheim  hielt  ^),  ist  bei  Eur.  dies  Verschweigen  durch  die  Feind- 
schaft zwischen  dem  Seher  und  Eteokles  sorgfältig  motiviert. 
Im  Oed.  wie  in  den  Phoen.  weigert  sich  Teiresias  zuerst,  das 

1)  S.  unten  63  ff.  *)  Lykurg,  c.  Leocrat.  24. 

»)  Staehlin,  Motiv  d.  Mantik  im  griech.  Drama  (R.G.V.V.  XII)  1912, 126 
will  den  Widerspruch  dadurch  lösen,  daß  er  annimmt,  Teiresias  habe  im 
Erechtheus  vielleicht  das  Delphische  Orakel  ausgelegt.  Das  ist  aber  nach  dem 
Bericht  des  Lykurg  a.  a.  0.  unmöglich.  —  Staehlin  vermutet,  die  Erwähnung 
des  Athenersiegs  in  den  Phoen.  sei  eine  Anspielung  auf  den  Sieg  bei  Kyzikos. 

*)  Im  Oed.  werden  seine  Führer  nur  allgemein  erwähnt:  297  ot5e. 

^)  S.  T.  V.  Wilamowitz,  Die  dramat.  Technik  d.  Sophokles  (Philol.  Unters. 
22)  1917,  75. 


12  Johanna  Schmitt 

unheilvolle  Orakel  gerade  dem  zu  verkünden,  den  es  betrifft,  und 
will  gehen,  ohne  es  offenbart  zu  haben  (Oed.  tyr.  320,  Phoen. 
894).  Hier  wie  dort  gibt  er  es  erst  kund,  nachdem  er  dazu 
gezwungen  ist.  Doch  ist  im  Oed.  die  ganze  Stimmung  von 
vornherein  viel  gereizter  durch  das  leidenschaftliche  Aufbrausen 
der  beiden  und  besonders  durch  das  Mißtrauen  des  Oedipus 
und  seine  ungerechten  Beschuldigungen,  während  dem  Kreon 
nicht  der  leiseste  Zweifel  an  der  Richtigkeit  des  Orakels 
kommt  ^).  Im  Oed.  kann  und  will  Teiresias  seine  Sprüche  gar- 
nicht  rechtfertigen  und  erklären,  da  er  immer  wieder  vom 
König  unterbrochen  wird.  So  genießt  er  die  Freude,  den 
stolzen  Oedipus  durch  seine  dunkeln  Anspielungen  zu  quälen'^. 
In  den  Phoen.  nimmt  dagegen  diese  Erklärung  des  Orakels 
den  größten  Raum  ein;  schon  deshalb  mußte  hier  die  ruhigere 
Stimmung  herrschen. 

Die  Ausführlichkeit  dieser  Begründung  entspricht  der 
Tendenz  der  ganzen  Phoen.,  immer  wieder  auf  den  Erbfluch 
und  die  Verkettung  von  Schuld  und  Sühne  hinzuweisen,  unter 
der  Theben  leidet.  Zugleich  wird  durch  die  genaue  Recht- 
fertigung des  Orakels  wiederum  die  ganze  Menoikeusepisode 
eng  mit  der  Vorgeschichte  Thebens  verknüpft.  Denn  als  Sühne 
für  die  Erschlagung  des  erdgeborenen  Drachen  fordert  Ares 
dieses  Menschenopfer.  Von  einem  zwiespältigen  Charakter 
dieses  Opfers,  den  Robert*)  hier  erkennen  wollte  (zugleich 
Sühn-  und  Dankopfer),  kann,  wie  Prof.  Boll  mich  belehrt, 
nicht  die  Rede  sein :  Das  Opfer  ist  nur  Sühnopfer  und  kommt 
als  a^dyiov*)  natürlich  zunächst  der  Erde  zugute,  die  nach  der 
alten  Anschauung  des  „do  ut  des"  dafür  ihre  Gnade  bezeugen 
wird  (937  ff.).  Den  Gedanken  eines  Dankes  für  die  Drachen- 
saat hat  erst  Robert  in  die  Verse  hineingelegt.  Daß  gerade 
ein  Sparte  zum  Opfer  fallen  muß,  ist  nur  der  alte,  in  diesen 
Sagen  immer  wiederkehrende  Zug:  der  Gott  fordert  das  W^ert- 
vollste  für  sich. 

Der  Schluß  aller  3  Teiresiasszenen  ist  wiederum  darin 
gleich,  daß  der  Seher  nach  längerer  Rede   im  Zorn   abgeht. 

Im  ganzen  hat  Eur.  das  grandiose  Trafos  der  Oedipusszene 

1)  Robert  a.  a.  0.  423.  ^)  Bruhn,  Einl.  zur  Antigene  28. 

=)  A.  a.  0.  421.  *)  S.  unten  78 ff. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  13 

bei  weitem  nicht  erreicht,  das  er  durch  den  stärkeren  Rühr- 
effekt und  die  sorgfältigere  Motivierung  des  einzelnen  über- 
treffen wollte.  Wie  in  Hek.,  Erechth.,  Phrixos  und  Iphig.^) 
ist  hier  das  Opfer  gleich  eindeutig  bestimmt.  Auf  den  etwas 
zu  groben  Effekt  der  Herakl,,  wo  Makaria  sich  zum  Tod  bereit 
erklärt,  ohne  persönlich  gefordert  zu  sein,  hat  Eur.  in  den 
späteren  Behandlungen  des  Opfermotivs  also  verzichtet. 

d.  Iphigenie.  Zweimal  hat  Eur.  die  Selbstopferung  zum 
Hauptmotiv  ganzer  Tragoedien  gemacht,  zufällig  gerade  in  der 
frühesten  uns  erhaltenen  und  in  der  spätesten,  in  Alkestis  und 
Iph.  Aul.  Man  sieht,  wie  sehr  den  Dichter  dieses  Problem  zeit- 
lebens beschäftigt  hat.  —  Wie  bei  Polyxena  war  Eur.  auch  in 
der  Iphig.  der  Opfertod  durch  die  Sage  gegeben,  und  wie  dort 
hat  erst  er  das  Moment  der  Freiwilligkeit  hineingetragen^). 
Nach  Aischylos'  Agam.  228 — 246*)  wird  Iphigenie  als  wehr- 
loses Opfertier  zum  Altar  geschleppt;  ihr  Jammern  und  Klagen 
um  das  junge  Leben  hat  den  ehrgeizigen  Vater  nicht  gerührt. 
Dieser  Auffassung  hat  sich  Eur.  in  der  Iph.  Taur=  noch  voll- 
kommen angeschlossen:  24 ff.  359 ff.  Wie  Aisch.,  doch  mit 
noch  stärkeren  Worten,  polemisiert  er  gegen  die  blutdürstigen 
Götter;  das  Menschenopfer  ist  ihm  ein  Verbrechen*).  Doch 
eine  klagende,  als  hilfloses  Opfer  in  den  Tod  gehende  Iphigenie 
auf  der  Bühne  darzustellen,  war  ihm  so  unerträglich  wie  eine 
solche  Polyxena.  Umgekehrt  aber  sie  als  zweite  Makaria  so- 
fort sich  zum  Tod  bereit  erklären  zu  lassen,  hätte  die  ganze 
Handlung  von  vornherein  unmöglich  gemacht.  Zudem  war  der 
Zwang  der  Tradition,  die  eine  jammernde  Iphigenie  forderte, 
doch  wohl  zu  stark  und  auch  diese  zur  Erregung  des  'iXeos  so 
geeignete  Situation  zu  verlockend,  als  daß  Eur.  sie  ganz  hätte 
beseitigen  können.  So  fand  er  in  der  Vereinigung  von  Tradition 
und  eigner  Erfindung  eine  ganz  neue  Gestaltung  des  Iphigenien- 
charakters:  Er  läßt  die  iKereuouaa  sich  zur  Heldenjungfrau,  die 


1)  S.  unten  65;  69;  14.  «i  Vgl.  Weil,  Sept  tragedies  p.  306. 

*)  Ob  wir  Aisch.  allerdings  dieselbe  Gestaltung  auch  für  seine  Iph. 
vindizieren  dürfen  (vgl.  Krausse,  De  Euripide,  Aeschyli  instauratore,  Diss. 
Jena  1905,  63),  von  der  wir  nichts  kennen  als  den  Titel  und  einen  an- 
gezweifelten Vers  aus  Schol.  Ran.  1270,  ist  sehr  fraglich. 

*)  Wilamowitz,  Aischylos  Interpretationen  166. 


14  Johanna  Schmitt 

freiwillig  ihr  Leben  dem  Vaterland  darbringt,  umwandeln. 
Einen  entscheidenden  Einfluß  hatten  auf  diese  Umformung  der 
alten  Sage  zweifellos  auch  die  panhellenischen  Tendenzen,  die 
Eur.  hier  zum  Ausdruck  bringen  wollte^).  Inwieweit  er  mit 
dieser  Gestaltung  auf  die  sophokleische  Iph.  Bezug  nahm  oder 
gegen  sie  polemisierte,  ist  uns  sowenig  mehr  erkennbar  als 
bei  Polyxena.  Doch  ist  ein  Gegensatz  zu  Sophokles  nach 
allem,  was  wir  über  das  Verhältnis  der  beiden  Dichter  zu- 
einander wissen,  auch  hier  sehr  wahrscheinlich*). 

Eingeführt  wird  das  Opfermotiv  in  der  Iph,  wie  in  der 
Hek.  schon  im  Prolog.  Windstille  hält  das  Heer  in  Aulis  fest, 
und  Kalchas  fordert  als  Sühnopfer  für  Artemis  die  älteste 
Königstochter  89ff.  Eine  Begründung  für  Artemis'  Zorn,  wie 
sie  die  K3^prien  bringen,  denen  sich  Sophokles  Elektra  566  ff. 
anschließt,  wird  nicht  gegeben,  auch  nicht  der  alte  Zug  aus 
der  Iph.  Taur.  wieder  aufgenommen,  wonach  Agamemnon  der 
Göttin  das  Opfer  der  Erstgeburt  versprochen  hatte,  das  sie  nun 
einfordert  (20  ff.). 

Wilamowitz  ^),  dem  sich  auch  Staehlin*)  anschließt,  ver- 
mutet, es  fehle  deshalb  in  der  Iph.  Aul.  jede  Motivierung  des 
Götterzorns,  weil  sich  hier  die  ganze  Opferung  auf  Sehertrug 
gründe.  Doch  ist  die  Polemik  gegen  die  Seher  ganz  allgemein 
(520 ff.  956 ff.).  Von  einem  Betrug  in  diesem  speziellen  Falle, 
dessen  Veranlassung  man  auch  garnicht  einsähe,  ist  kein  Wort 
gesagt.  Im  Gegenteil,  als  Agamemnon  seinen  Plan,  Klytaemestra 
fernzuhalten,  mißglückt  sieht,  sucht  er  Zuflucht  und  Rat  bei 
Kalchas.  Daß  die  Göttin  das  Opfer  wirklich  verlangt  (tö  Tfjs 
ö-eoö  (j)iXov  747),  daran  zweifelt  er  nicht.  Iphigenie  ist  hier  nur 
ff(J)dYiov,  durch  das  die  Gnade  der  Göttin  für  den  Kriegszug  er- 
reicht werden  soU.  Eine  besondre  Motivierung  des  Opfers  ist 
daher  hier  ebensowenig  wie  in  den  Herakl.  notwendig.  Die 
Mitteilung  des  Orakels  an  den  Vater  des  Opfers,  wie  wir  sie 
in  Herakl.,  Hek.  und  Phoen.  sahen,  gehört  hier  schon  der  Vor- 

»)  S.  unten  22 ff.;  39 ff. 

*)  Wie  Kiefer,  Körperlicher  Schmerz  und  Tod  auf  der  att.  Bühne,  Diss. 
Heidelberg  1909,  62,  die  Behauptung  rechtfertigen  will:  „Die  Sage  verlangt, 
daß  sie  (sc.  Iph.)  schließlich  doch  heldenhaft  in  den  Tod  geht",  ist  mir  unklar. 

»)  Herm.  18,  253.  *)  A.  a.  0.  131. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  15 

fabel  an.  Die  Handlung  beginnt  erst  mit  der  Gegenaktion  des 
Agamemnon.  Die  Mitteilung  an  Iphigenie  geht  hinter  der 
Szene  vor  sich^). 

II.  Das  Entschlußfassen. 

a.  Herakliden.  Ein  wichtiger  Bestandteil  aller  Devotions- 
szenen ist  das  Fassen  des  entscheidenden  Entschlusses.  Be- 
sonders hier  kann  man  gut  beobachten,  wie  Eur.  sich  bei  diesem 
Motiv  bald  eine  feste  Technik  bildet,  aber  trotz  dieser  streng 
beibehaltenen  Form  sich  nie  abschreibt  und  noch  in  seinem 
letzten  Stück  einen  —  wenigstens  für  uns  —  ganz  neuen  Weg 
der  psychologischen  Darstellung  gefunden  hat. 

Am  schwächsten  sind  auch  hier  wieder  die  Herakl.  Sowie 
Makaria  von  lolaos  über  die  Situation  aufgeklärt  ist,  hat  sie 
auch  schon  den  Entschluß  zum  freiwilligen  Tod  gefaßt  und 
verkündet  ihn  in  der  langen  Rede  500  ff.  Etwas  entschuldigt 
wird  diese  unwahrscheinhche  Schnelligkeit  höchstens  durch 
ihre  Selbstcharakterisierung  beim  Auftreten  (480) :  dXX'  eifii  yäp 
TTus  TTpöa(j)opos,  ^leXei  5e  poi  jidAiar*  d5eX(j)wv  Tüv5e,  Kd^auTfjs  Trepi  H\ui 
TTU^^aö-ai,  |ifi  Vi  toTs  TrdXai  kqkoTs  TrposKei'iievöv  ti  TrfJiJia  af|v  5dKvei 
(J)peva.  Zeit  zum  Entschlußfassen  hat  ihr  Eur.  nicht  gelassen. 
Schon  die  eine  Zwischenfrage  auf  die  Erzählung  des  lolaos 
(498):  €v  Tü56  Kdxöjiea&a  acüö-Pivai  Xöyw;  zeigt  etwas  wie  Ungeduld, 
nun  ihrerseits  mit  dem  erlösenden  heroischen  Entschluß  her- 
vortreten zu  können.  Eur.  wollte  hier  gerade  durch  den  mit 
grellen  Farben  gemalten  Heroismus  Eindruck  machen,  wenn 
dies  auch  auf  Kosten  der  psychologischen  Wahrscheinlichkeit 
geschehen  mußte. 

h,  Hekabe.  Ganz  anders  ist  das  Entschlußfassen  dagegen 
schon  in  der  Polyxenaszene  dargestellt.  Die  erste  Äußerung 
der  Polyxena  auf  die  Eröffnung,  daß  der  Tod  ihr  bevorstehe, 
sind  Klageanapäste,  entsprechend  dem  Kommos- Charakter 
der  ganzen  Szene.  Doch  wird  ihre  Todesbereitschaft  schon 
dadurch  vorbereitet,  daß  die  Klagen  nur  der  Mutter  gelten, 
über  die  durch  ihren  Tod  neues  unsägliches  Leid  kommt,  und 
ausdrücklich  heißt  es  am  Ende  ihres  Lieds  (213):  töv  epöv  8e 

»)  S.  unten  20. 


16  Johanna  Schmitt 

;Piov,  Xwßav  Xufiav  t*,  ou  iieiaKXaiojiai,  dXXä  D^aveTv  jioi  ^uvTuxia  Kpeiaawv 
>€Kuprioev. 

Wilamowitz  1)  athetiert  auch  diese  Verse,  mit  der  Be- 
gründung, daß  sonst  das  Trapä  TrposSoKiav  der  Todesbereitschaft 
-342  ff.  verdorben  werde.  Doch  scheint  diese  Streichung  aus 
dem  Grund  unmöglich,  weil  Polyxena  in  dieser  ganzen 
Monodie  nur  über  die  Xwßn  klagt,  die  durch  ihren  Tod  der 
Mutter  widerfährt.  Die  zitierten  Schlußverse  sind  daher  kein 
Gegensatz,  sondern  nur  das  Korrelat  zu  den  vorhergehenden. 

Mit  dem  heroischen  Entschluß  selbst  tritt  Polyxena  erst 
nach  der  Szene  zwischen  Hekabe  und  Odysseus  hervor.  Die 
immerhin  bedeutsame  Wandlung  von  dem  Klagelied  zu  dem 
in  langer  Rede  (342 ff.)  vorgetragenen,  gefestigten  Entschluß 
zum  freiwilligen  Sterben  geht  in  einer  Szene  vor  sich,  an  der 
Polyxena  nur  schweigend  teilnimmt.  So  ist  hier  der  Heldin 
-Zeit  gegeben,  sich  von  der  anfänglichen  Verzweiflung  wieder  zu 
Stolz  und  Selbstbewußtsein  zurückzufinden.  Sehr  wirksam  hat 
Eur.  hier  die  Aktion  der  Hekabe  mit  der  der  Polyxena  kontra- 
stiert: Die  Aufforderung  der  Mutter,  Polyxena  solle  nun  auch 
wie  sie  die  Gnade  des  Odysseus  anflehen,  löst  in  dieser  nur 
umso  entschiedener  die  Ablehnung  dieses  demütigenden  An- 
sinnens und  die  Todesbereitschaft  aus,  zumal  sie  die  Gebärde 
der  schnöden  Abweisung  bei  Odysseus  bemerkt. 

Diese  Technik,  daß  der  Entschluß  vom  Helden  in  einer 
Szene  gefaßt  wird,  während  deren  sich  die  beiden  Parteien 
—  für  und  gegen  das  Opfer  —  streiten,  und  in  der  er  selbst 
schweigt,  hat  Eur.  von  da  ab  in  allen  Devotionsszenen  bei- 
behalten. 

c.  Phoenissen.  Wie  in  der  Hek.  die  Szene  zwischen 
Hekabe  und  Odysseus,  so  geht  in  den  Phoen.  die  zwischen 
Kreon  und  Teiresias  der  entscheidenden  Rede  des  Menoikeus 
voraus,  der  wie  Polyxena  schweigend  diesem  Streit  beiwohnt. 
'Gesteigert  ist  die  Wirkung  hier  noch  durch  den  virtuosen 
Kunstgriff,  daß  der  Hörer  selbst  mitgetäuscht  wird  durch  die 
anfängliche  Erklärung  des  Menoikeus,  er  sei  bereit,  auf  den 
Wunsch  des  Vaters  zu  fliehen').  —  Eine  merkwürdige  Über- 

1)  Herrn.  44,  448. 

*)  Howald  a.  a.  0.  16.    An  die  Schwierigkeit,  aus  der  belagerten  Stadt 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  17 

einstimmung  mit  dieser  Anlage  der  Menoikeusepisode,  aber 
auch  mit  einigen  Motiven  der  andern  Devotionsszenen  finden 
wir  im  Aias  des  Sophokles.  Da  in  dieser  Tragoedie  der  Selbst- 
mord im  Mittelpunkt  der  Handlung  steht,  ist  es  nicht  er- 
staunlich, wenn  Eur.  in  den  Szenen,  die  auch  einen  selbst- 
gewählten Tod  verherrlichen,  von  dem  Vorgänger  manches 
entlehnt  hat.  Die  Situation  ist  im  Aias  und  in  der  Menoikeus- 
szene  insofern  dieselbe,  als  der  zum  freiwilligen  Tod  bereite 
Held  seine  Umgebung  über  diesen  Entschluß  täuscht,  um  von 
ihr  nicht  an  der  Ausführung  gehindert  zu  werden.  Der  drama- 
tische Ausbau  des  Motivs  ist  allerdings  sehr  verschieden.  Bei 
Aias  wissen  wir  von  seiner  ersten  Rede  an,  daß  er  den  Tod 
sucht.  Dann  kommt  als  retardierendes  Moment  —  auch  dies 
finden  wir  in  der  Technik  der  Devotionsszenen  wieder^)  — 
die  Rede  der  treuen  Tekmessa,  die  den  Aias  zum  Mitleid  mit 
ihr  zu  bewegen  und  dem  Leben  zurückzugewinnen  versucht. 
Die  lange  Verstellungsrede  ^)  des  Aias  endlich  646  ff.  wird  in 
der  Menoikeusszene  zum  kurzen  Dialog  zwischen  Kreon  und 
Menoikeus  zusammengezogen  und  dadurch  noch  übertrumpft, 
daß,  wie  gesagt,  der  Zuschauer  der  Täuschung  mit  unterliegt 
und  so  aus  der  „subjektiven"  Ironie  in  den  Worten  des  Aias 
eine  „objektive"  in  denen  Kreons  wird.  Wir  haben  innerhalb 
dieser  kurzen  Szene  also  neben  dem  Anklang  an  Aisch.  Sieben ') 
hier  die  zweite  Anlehnung  an  einen  Vorgänger. 

An  die  Technik  der  Makariaepisode  erinnert  die  dem  Ent- 
schluß vorausgehende  kurze  Charakteristik  des  Helden,  die  hier 
aber  durch  den  Vater  gegeben  wird,  der  „so  stolz  auf  den  wohl- 
erzogenen und  patriotischen  Jungen  ist"*)  (908):  ejiös  TTe(j)UKus 
iraTs  a  5e7  aiyndeTai.  So  kennen  wir  die  Sammlung  und  Selbst- 
disziplin des  Knaben  schon,  bevor  er  zu  reden  beginnt.  Viel- 
leicht ist  mit  diesen  Worten  auch  schon  eine  bittere  Ironie 
beabsichtigt:    Menoikeus   verschweigt  ja  allerdings  ä  5e7,   aber 

unbemerkt  hinauszukommen,  hat  Eur.  hier  nicht  gedacht,  aber  bei  der  Eile, 
mit  der  sich  hier  alles  abspielt,  wird  ihm  auch  kein  Zuschauer  diese  ünwahr- 
scheinlichkeit  nachgerechnet  haben.  i)  S.  unten  41  ff. 

^)  Daß  Aias  wirklich  die  Täuschung  beabsichtigt,  bedarf  wohl  heute 
keines  Beweises  mehr,  vgl.  Trautner,  Die  Araphibolie  bei  den  3  griech.  Tragi- 
kern, Diss.  Erlangen  1907,  69ff. 

»)  S.  oben  9  f.  ■«)  Robert  a.  a.  0.  423. 

Religionsgeschichtliche  Versuche  u.  Vorarbeiten.    XYU,  2.  2 


18  Johanna  Schmitt 

dieses  Notwendige  ist  der  selbstgewählte  Tod,  und  der  Ge- 
täuschte ist  der  Vater.  Noch  offener  ist  die  tragische  Ironie 
im  folgenden  Vers  des  Kreon  (910):  kXuüjv  yap  «v  repTTOiTO  Tfjs 
ffcoTiipias.  Das  bewahrheitet  sich,  aber  anders,  als  der  Vater 
denkt ').  Nach  kurzem  Wechselgespräch  weiß  es  Menoikeus 
geschickt  einzurichten,  daß  der  Vater  fortgeht,  um  ihm  das 
nötige  Reisegeld  zu  beschaffen.  Um  den  Vater  ganz  in  Sicher- 
heit zu  wiegen,  gibt  er  vor,  er  selbst  wolle  sich  noch  rasch 
von  Tokaste,  seiner  Pflegemutter,  verabschieden.  Die  Erfindung 
des  kleinen  Zugs,  daß  lokaste  ihn  nach  dem  frühen  Tod  der 
eigenen  Mutter  gesäugt  habe,  dient  wieder  dazu,  das  Bild  des 
Menoikeus  lebendiger  zu  machen.  Die  Frühreife  und  Selb- 
ständigkeit des  mutterlos  aufgewachsenen  Knaben  wird  uns 
so  begreiflicher  und  zugleich  die  zärtliche  Liebe,  mit  der  Kreon 
an  dem  frühverwaisten  Jüngsten  hängt.  —  Sehr  wirkungsvoll 
ist  es,  wie  nach  dem  eTjii  kq)  atäatü'^  ßiov  (989)  eine  Pause  eintritt 
und  dann  der  Jubel  losbricht,  daß  die  Täuschung  gelungen  ist 
und  der  Ausführung  des  Plans  kein  Hindernis  mehr  im  Wege 
steht. 

d.  Iphigenie.  Nur  in  der  Iph.  hängt  die  Handlung  des 
ganzen  Dramas  an  dem  Entschluß  der  Heldin.  Daher  haben 
wir  nur  hier  eine  wirkliche  psychologische  Entwicklung.  Ein 
schwacher  Ansatz  hierzu  war  schon,  wie  wir  sahen,  in  der 
Hek.  versucht;  auch  hier  beginnt  Polyxena  mit  Klagen  und 
rafft  sich  erst  allmählich  zum  Heroismus  auf,  doch  wird  der 
Gegensatz  fast  mehr  durch  das  verschiedene  Metrum  —  die 
Klage  in  Anapästen,  der  Entschluß  in  Trimetern  —  ausgedrückt 
als  durch  den  Inhalt.  Doch  ist  von  hier  noch  ein  weiter  Schritt 
zu  dem  schroffen  Gegensatz  der  flehenden  Iphigenie  und  der 
späteren,  der  dem  Aristoteles  (poet.  c.  15)  von  seinem  logisch 
rationalistischen  Standpunkt  aus  allerdings  Anlaß  zum  Tadel 
geben  mochte.  Jedoch  ist  dieser  jähe  Übergang  von  dem 
Grauen  vor  der  Vernichtung  zur  opferwilligen  Todesbereitschaft 
mit  großer  psychologischer  Feinheit  motiviert.  Der  Charakter 
der  Heldin  wird,  wie  mir  scheint,  oft  ganz  falsch  aufgefaßt, 
indem  man  Züge  der  Iph.  Taur.  in  ihn  hineininterpretiert.    Und 


1)  Trautner  a.  a.  0.  47,  der  nur  die  2.  Stelle  als  trag.  Ironie  anführt. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  19 

doch  ist  es  eine  ganz  andre  Iphigenie  als  die,  welche  Eur.  dort 
364ff.  gezeichnet  hat.  In  der  Iph.  Taur.  ist  es  eine  Jungfrau, 
hier  ein  unbefangenes  Kind,  das  an  seinem  schweren  Schicksal 
erst  erwacht.  Um  Iphigenie  so  naiv  und  kindlich  zeichnen  zu 
können,  hat  Eur.  den  Kunstgriff  angewandt,  sie  über  die  be- 
vorstehende angebliche  Ehe  mit  Achill  völlig  unwissend  zu 
halten,  so  daß  sie  in  der  Begrüßungsszene  mit  Agamemnon 
das  harmlose  Kind  bleibt,  ganz  anders  als  die  verschämte  Braut 
in  der  Iph.  Taur.  372 ff.  Diese  ganze  Szene  ist  mit  dem  Kunst- 
mittel der  AmphiboHe  gebaut,  doch  in  andrem  Sinn  als 
Trautner  angibt,  der  meint,  „daß  Iphigeniens  Worten  stets  die 
Vorstellung  der  in  Aussicht  stehenden  Verbindung  mit  Achill 
zugrunde  liege*)".  Im  Gegenteil,  das  Reizvolle  ist  gerade,  daß 
Iphigenie  durchaus  ahnungslos  und  kindlich  bleibt^). 

Die  dunkeln  Worte,  in  denen  Agamemnon  vom  Hochzeits- 
opfer spricht,  während  er  das  Menschenopfer  der  Tochter  meint, 
gelten  nur  Klytaemestra,  nicht  Iphigenie').  Der  Agamemnon 
dieses  Dramas  ist  also  weit  zartfühlender  als  der  in  der  Iph. 
Taur.  Er  will  der  Tochter  die  grausame  Täuschung  ersparen: 
sie  soU  bis  zum  Ende  über  Hochzeit  wie  Tod  im  unklaren 
bleiben.  Die  ganze  Erfindung  der  Ehe  mit  Achill  ist  nur  aus- 
gesonnen, um  Klytaemestra  mit  Iph.  herbeizulocken.  Eine 
Schwierigkeit  Hegt  nur  in  der  Annahme,  daß  auch  Klytaemestra 
der  Tochter  den  Zweck  der  Reise  verschwiegen  hat;  denn  auf 
andre  Weise  kann  man  sich  die  unbefangene  Art  Iphigeniens 
(vgl.  bes.  670)  nicht  erklären.  Dem  widersprechen  nur  die 
Worte  Klytaemestras  bei  ihrer  Ankunft  (624) :  eyeip'  d5eX(l)fis  i^' 

1)  S.  Trautner  a.  a.  0.  51,  ähnlich  auch  Mader  a.  a.  0.  36. 

2)  Diese  Verheimlichung  auch  Jioch  1106 ff.  ev  KaAü  a  e:^»  Sö^tov  eupqx' tv' 
etn«  nap&^vou  xtopis  Aöyou:  oös  oök  ÖKoüetv  tös  yQHo^IJ^^^o'S  npenei.  Eur.  lehnt 
sich  hier  an  den  griech.  Brauch  an,  daß  dem  Mädchen,  ohne  daß  es  selbst 
befragt  wurde,  der  Bräutigam  bestimmt  wird.  Daß  aber  wie  hier  die  Braut 
bis  zu  ihrem  Hochzeitstag  nicht  Aveiß,  daß  sie  überhaupt  vermählt  werden 
soll,  finden  wir  ähnlich  nur  im  Roman  des  Chariton  Aphrod.  1 1, 13,  dasselbe 
beim  Jüngling  in  Terenz'  Andria,  vgl.  Hermann-Blümner,  Griech.  Privatalter- 
tümer 261. 

'')  England  in  s.  Ausg.  zu  665  ff.  gibt  zwar  zu,  daß  Iph.  bei  670  nicht 
an  die  Ehe  denke,  fügt  jedoch  hinzu,  Agam.'s  Antwort  setze  einen  solchen 
Gedanken  bei  der  Tochter  voraus.  Man  muß  aber  betonen,  daß  diese  Worte 
über  Iph.  weg  vielmehr  der  Klytaemestra  gelten. 

2* 


20  Johanna  Schmitt 

öiievaiov  eÖTuxws,  doch  stehen  diese  in  einer  längst  als  unecht 
erkannten  Partie.  —  Nach  ihrem  Abgang  am  Ende  der  Be- 
grüßungsszene tritt  Iphigenie  erst  wieder  zu  ihrer  Bittrede  an 
Agamemnon  auf.  Dazwischen  liegt  also  die  ganze  Enthüllung, 
durch  die  Iphigenie  auch  über  den  erlogenen  Zweck  ihres  Hier- 
seins aufgeklärt  worden  sein  muß,  vgl.  1339:  töv  ye  Tfjs  Häs  7raT8a, 
TCKvov,  u  ab  SeDp'  eXtiXuö-as.  Doch  auch  in  dieser  pfjcris  steht  nicht 
die  Klage  um  die  verlorene  Ehe  im  Mittelpunkt,  sondern  die 
Bitte  ums  Leben  mit  der  rührend  einfachen  Begründung  f\bb 
yäp  TÖ  (})üs  Xeuaaeiv  (1218).  Eine  leise  Hindeutung  darauf  sind 
höchstens  die  Worte  1221  ff.,  in  welchen  sie  Agamemnon  an 
seine  früheren  Zukunftspläne  über  ihre  einstige  glückliche  Ehe 
erinnert.  Ganz  anders  ist  dies  in  der  Iph.  Taur.,  bei  welcher 
der  Vergleich  zwischen  der  Ehe  mit  Achill  und  der  mit  dem 
Hades  im  Mittelpunkt  der  Rede  an  den  Vater  steht  (369) :  "Aibr]s 
'AxiXXeus  qv  äp',  oux  ö  rinXeus.  An  die  Iph.  Taur.  schheßt  sich 
auch  die  Schilderung  des  Iphigenienopfers  bei  Lucrez  I  84ff.  an, 
weit  weniger  an  die  Aulische,  wie  Munro  zu  101  nachzuweisen 
sucht.  Die  dort  angeführte  Parallele  Lucr.  98/99  '-'  Iph.  Aul. 
1178.  1315  findet  sich  auch  in  Iph.  Taur.  360.  —  In  Lucr.  101  — 
Iph.  Aul.  1334  vermag  ich  keine  Parallele  zu  entdecken:  an  Stehe 
der  Helena  soll  nach  Munro  bei  Lucrez  die  religio  getreten  sein. 

Auch  der  Anklang  Lucj*.  94  -^  Iph.  Aul.  1220  ist  äußerst 
schwach.  Dagegen  schwebt  bei  Lucrez  genau  wie  in  der  Iph. 
Taur.  immer  der  Vergleich  zwischen  Braut-  und  Menschen- 
opfer vor,  daher  die  Amphibolien:  87  infula  der  Braut  und 
des  Opfertiers;  96  deiuci  vom  Geleiten  der  Braut  und  dem 
Führen  des  Opfers;  95  sublata  vom  Brautraub  und  dem  Herbei- 
schleppen des  Opfertiers*).  Wie  die  Taurische  Iphigenie  er- 
wartet die  Lucrezische  das  Hochzeitsfest;  nur  darin  ist  die 
Situation  geändert,  daß  Iphigenie  erst  angesichts  des  Altars 
inne  wird,  daß  sie  nicht  zum  Brautopfer  gehe,  sondern  in  den 
Tod:  alles  ist  also  bei  dem  Epiker  in  das  eine  anschauHche 
Bild  zusammengedrängt.  — 

Auch  die  auf  die  Flehszene  folgende  Monodie  der  Aulischen 
Iphigenie  erwähnt  nichts  von  der  Hochzeit.    Es  ist  wieder  nur 


1)  Munro  zu  95—100. 


Freiwilliger  Opfertffd  bei  Euripides  21 

die  Klage  um  das  junge  Leben,  das  sie  verlieren  soll,  und  über 
die  Grausamkeit  des  Vaters",  der  das  eigene  Kind  schlachten 
wül  (131 7  f.). 

Sonst  enthält  das  Lied  nur  die  in  derartigen  Situationen 
übliche  Klage  über  die  ersten  Gründe  des  Unheils^):  das 
Parisurteil,  und  in  der  Gegenstrophe  die  Sammlung  der  Flotte 
in  Aulis. 

Erst  in  der  folgenden  Szene  kommt  die  erste  Erwähnung 
Achills  im  Mund  Iphigeniens.  Als  sie  ihn  herbeieilen  sieht,  ist 
ihre  erste  Empfindung  ein  Gefühl  der  Scham,  ein  scheues 
Zurückweichen   (ISi'S):   tö   5uaTuxes   iioi  tüv  y^Iiuv   atSw  (|)epei*). 

Klytaemestra  heißt  sie  bleiben,  und  nun  erfolgt  während 
der  Szene  zwischen  Achilleus  und  Klytaemestra  die  Umwand- 
lung in  ihr.  Auch  hier  ist  wieder  die  Technik  beibehalten, 
daß  der  entscheidende  Entschluß  in  einer  Szene  gefaßt  wird, 
während  deren  die  Heldin  schweigt  und  die  beiden  feindlichen 
Parteien  reden.  Allerdings  stehen  diesmal  die  beiden  Unter- 
redner auf  derselben  Seite,  aber  in  der  Erzählung  Achills  kommt 
doch  die  feindhche  Partei  zu  Wort.  Erst  in  diesem  Gespräch 
erfährt  Iphigenie  überhaupt  von  Achills  Absicht,  sich  für  ihre 
Rettung  einzusetzen.  Eur.  mußte  Klytaemestra  die  unwahr- 
scheinliche Grausamkeit  begehen  lassen,  mit  voller  Berechnung 
ihrem  Kind  nur  den  drohenden  Tod  mitzuteilen,  aber  nichts 
von  der  Hoffnung  auf  Achills  Eingreifen.  Nur  wenn  Iphigenie 
jeder  Hoffnungsschimmer  fehlte,  konnte  in  der  Bittrede,  die 
1011  ff.  sorgfältig  vorbereitet  wird,  das  eXeeivöv  so  voll  zum 
Ausdruck  kommen.  Um  diese  Wirkung  zu  erzielen,  mußte 
Eur.  die  psychologische  Wahrheit  außer  acht  lassen. 

Aus  diesem  Grunde  scheinen  mir  auch  die  Worte  der 
Klytaemestra  (11 00  ff.):  ev  5aKpt3oiai  b' f\  rdXaiva  TvaTs  e|ifi  iroXAäs 
ieTaa    iieraßoXäs    öSupjidTuv   ^dvarov    dKouaaa',  öv    Trarfip    ßouXeueTai 

')  S.  z.B.  Orest  960 ff.:  Monodie  der  Elektra  auf  den  Botenbericht  hin, 
in  der  sie  den  Verrat  des  Pelops  an  Myrtilos  beklagt.    Wenn  Huemer,  Genesis 

d.  Entschlusses  in  d.  Trag.  d.  Eurip.  u.  Soph 45,  dies  als  unpsychologisch 

tadelt,  geht  er  von  modernen  Gesichtspunkten  aus  und  verkennt  den  Stil  der 
antiken  Tragoedie. 

^j  Man  begreift,  daß  diese  Iphigenie  auch  vorher  nicht  als  töttos  lÄeeivös 
die  vereitelte  Hoffnung  auf  ihre  Ehe  mit  Achill  im  Munde  führen  konnte,  wie 
es  die  Taurische  tut. 


22  Johanna  Schmitt 

eine  Interpolation  zu  sein.  Eur.  tat  gut  daran,  nicht  an  die 
oben  erwähnte  Unwahrscheinlichkeit  zu  erinnern,  vielmehr  die 
Mitteilung  von  der  bevorstehenden  Opferung  an  Iphigenie 
ganz  zu  verschweigen*). 

Die  Situation  ist  in  der  Iph.  Aul.  in  dem  Augenblick,  als 
die  Heldin  mit  ihrem  Entschluß  hervortritt,  so  gespannt  wie 
in  keiner  andern  Devotionsszene.  Auf  der  einen  Seite  steht 
das  gesamte  Heer,  das  die  Opferung  fordert,  auf  der  andern 
Achilleus,  der  bereit  ist,  sich  als  einer  gegen  alle  zu  stellen. 
Die  Lösung,  daß  Iphigenie  freiwillig  sich  darbietet,  ersetzt,  wie 
O.Müller  bemerkt'),  das  Zerhauen  des  Knotens  durch  einen 
deus  ex  machina.  Trotz  dieses  Zwangs  der  Lage  wird  aber 
Iphigeniens  Entschluß  als  ein  durchaus  freiwilliger  dargestellt: 
mit  großer  psychologischer  Feinheit  wird  die  Umwandlung  in 
ihr  durch  das  nur  eben  angedeutete  erotische  Motiv  herbei- 
geführt ").  Um  Achill  nicht  in  Gefahr  kommen  zu  lassen,  findet 
sie  die  Kraft  zu  dem  Entschluß,  freiwillig  in  den  Tod  zu  gehen. 
Doch  kann  dieser  ihr  selbst  fast  unbewußte  Grund  in  ihrer 
großen  pfjais  natürlich  nicht  ausführlich  dargelegt  werden,  und 
es  ist  ein  feiner  Zug,  daß  Iphigenie  ihr  individuelles  Gefühl 
hinter  der  etwas  trivialen  Sentenz  versteckt  (1394):  eis  y  «vfip 
Kpeiffcrcüv  y^vaiKÜv  pupiuv  öpwv  ^dos.  Motiviert  ist  also  der  Um- 
schwung in  Iphigenie  ganz  aus  den  persönlichsten  Gründen. 
Damit  kreuzt  sich  nun  aber  bei  Eur.  eine  zweite  Tendenz,  die 
eigentlich  außerhalb  des  Charakters  der  Heldin  liegt:  der  Ent- 
Schluß  sollte  als  eine  heroische,  von  Vaterlandsliebe  eingeflößte 
Tat  erscheinen,  die  Rede  ein  patriotischer  TTpoTpeiTTiKÖs  sein. 
Es  ist  Eur.  nicht  völHg  gelungen,  den  Zwiespalt  zwischen 
seiner  alten  Auffassung  des  Menschenopfers  als  eines  Frevels 

^)  Daß  die  Verse  auch  noch  aus  andern  Gründen  zu  athetieren  sind, 
zeigt  England.  —  Eine  Interpolation  ganz  ähnlicher  Art,  ebenfalls  mit  dem 
Zweck,  das  Kommende  vorzubereiten,  sind  die  Worte  Agamemnons  460ff.: 
Wie  kann  er  vorausahnen,  daß  Iphigenie  den  kleinen  Orest  bei  ihrer  Fleh- 
rede mit  sich  haben  wird?  vgl.  England. 

2)  Gesch.  d.  griech.  Lit.  II  178.  —  Huemer  a.  a.  0.  25  legt  wiederum 
modernen  Maßstab  an,  wenn  er  sagt:  „ein  solcher  Entschluß  setzt  eine  völlig 
rätselhafte  Umwandlung  im  Charakter  der  Heldin  voraus",  und  wenn  er  ver- 
langt, in  Iphigeniens  Rede  hätten  ihre  persönlichen  Motive  mehr  zum  Aus- 
druck kommen  müssen.  =*)  Vgl.  Kjellberg,  Real.-Enc.  IX  2,  2613. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  23 

und  der  neuen  als  eines  dem  Vaterland  dargebrachten  Opfers 
ganz  auszugleichen.  Das  patriotische  Motiv  wird  zuerst  in 
den  Worten  des  Menelaos  (370ff.)  angeschlagen:  'EXXdSos  |jdXicrr' 
€YWY€  Tfjs  TaXaiTTwpou  arevw,  fj  H\ovaa  6päv  ti  keSvöv,  ßapßdpous  toüs 
ou5evas  KaTayeXwvTas  e^avnaei  8iä  ak  Km  rnv  aqv  KÖpnv.  Dann  aber 
wird  es  wieder  ganz  fallen  gelassen,  besonders  1089ff.,  1189ff., 
wo  der  Situation  entsprechend  das  Opfer  als  Verbrechen  be- 
zeichnet wird.  Erst  Agamemnon  nimmt  die  patriotischen 
Gründe,  die  für  das  Opfer  sprechen,  wieder  auf,  um  sie  mit 
rhetorischem  Schwung  der  verzweifelten,  um  ihr  Leben 
flehenden  Iphigenie  vorzuhalten,  1259ff.  1269 ff. 

Es  ist  charakteristisch  für  den  unaufrichtigen,  haltlosen 
Agamemnon,  daß  er  bei  dieser  Tirade ')  es  ausdrücklich  ab- 
lehnt, von  Menelaos  beeinflußt  zu  sein. 

Zwischen  diesen  Äußerungen  des  Patriotismus  stehen  nun 
seine  eigenthchen  Beweggründe,  die  Furcht  vor  der  Rache  des 
Heers,  im  Falle  er  die  Opferung  verhindert,   I264ff. 

England  hat  diese  Verse  nach  Hennings  Vorgang  athetiert, 
weil  sie  inhaltlich  mit  dem  folgenden  patriotischen  Aufruf  in 
Widerspruch  stehen.  Doch  charakterisiert  gerade  dieses  Hin- 
und  Herschwanken  die  ganze  Haltlosigkeit  des  Agamemnon 
vortreffhch;  und  außerdem  haben  die  Verse  eine  Parallele 
in  531  ff.,   wo   Agamemnon  dieselbe  Befürchtung  ausspricht). 

Schließen  mußte  er  natürlich  seine  Rede  mit  der  schwung- 
vollen adhortatio.  Hier  also  wird  der  Grund  zu  Iphigeniens 
vaterländischem  Heroismus  gelegt,  und  es  ist  ein  schöner  Zug, 
daß  in  ihrem  Mund  echte  Begeisterung  und  Überzeugung  ist, 
was  bei  Agamemnon  Phrase  war.  Der  Aufruf  wirkt  allerdings 
nicht  sofort,  sondern  erst  in  ihrer  großen  Rede  1368ff.,  während 
in  der  Klagemonodie,  mit  der  sie  auf  Agamemnons  Worte  ant- 

1)  Darin  ein  Zeugnis  ernsthafter  sittlicher  Läuterung  des  Agamemnon 
zu  sehen,  wie  es  Oeri  (Eur.  unter  d.  Drucke  d  Sicil.  und  Dekel.  Krieges, 
Progr.  Basel  1905,  26)  tut,  scheint  mir  unmöglich. 

2)  Englands  Begründung,  mit  der  er  auch  diese  Worte  athetiert,  beruht 
doch  auf  zu  rationalistischen  Erwägungen:  Agam.  spricht  die  Worte  hier  wie 
dort  im  höchsten  Affekt  und  natürlich  nicht  mit  kühler  Berechnung  der 
Wahrscheinlichkeit,  ob  die  Griechen  sich  wirklich  an  Mykenes  Schätzen 
schadlos  halten  und  ihn  und  seine  Familie  töten  werden,  wenn  er  den  Zug 
nach  Troia  verhindert. 


24  Johanna  Schmitt 

wortet,    ihr   das   Opfer  noch   ein   Frevel  ist  (1318):    a(j)aYaTaiv 

dvoaioiaiv  dvodou  irarpös. 

Der  Chor  dagegen  hält  noch  1402  f.  und  Klytaemestra  bis 
zum  Ende  die  Opferung  für  ein  Verbrechen^).  Ihre  Beurteilung 
bleibt  also  in  dem  erhaltenen  Teil  bis  zum  Schluß  zwiespältig. 

Den  Zug,  daß  der  heldenhafte  Entschluß  durch  einen 
vorausgehenden  Hinweis  auf  den  Ruhm  der  Selbstopferung 
bestärkt  wird,  finden  wir  schon  in  der  Menoikeusepisode  vor- 
gebildet. Hier  wird  der  Opfermut  des  Knaben  wohl  besonders 
durch  die  Worte  des  Teiresias  angefeuert  (Phoen.  947):  götos  5e 
TrüXos  TfjS'  dveijievos  TröXei  ö^avuv  Trarpuav  ya^av  CKauoeiev  äv  *  iriKpöv  5' 
'ASpdoTt«)  vöffTOV  'Apveioidi  re  ö'iiaei,  jieXaivav  Kfjp'  eir'  ö|ijia(Jiv  ßaXwv, 

KXeivds  re  ©nßas. 

Einen  ebenso  plötzhchen  Stimmungswechsel,  verbunden 
mit  einem  Entschlußfassen,  wie  bei  Iphigenie  selbst,  hat  Eur. 
in  den  uns  erhaltenen  Tragoedien  nur  noch  einmal  dargestellt, 
und  zwar  in  demselben  Drama,  in  der  Szene  zwischen  Aga- 
memnon und  Menelaos.  Eben  ist  Menelaos  im  Begriff,  den 
Bruder  erbittert  zu  verlassen,  um  ihn  durch  andere  zur  Opfe- 
rung der  Tochter  zu  zwingen  (41 2 ff.),  da  kommt  der  Bote  und 
meldet  Klytaemestras  Ankunft,  worauf  Agamemnon  mit  seinem 
verzweifelten  Monolog  (440ff.)  antwortet.  Während  dieses 
Vorgangs  hat  Menelaos  geschwiegen:  nun  bietet  er  plötzHch 
dem  Bruder  die  Hand  zur  Versöhnung  und  ist  bereit,  groß- 
mütig auf  die  Opferung  zu  verzichten.  Eur.  hat  also  hier  eine 
ganz  ähnliche  Technik  angewandt  wie  in  den  Devotionsszenen: 
das  Fassen  des  großmütigen  Entschlusses  in  einer  Schweige- 
szene. Doch  nun  kommt  bei  Agamemnon  der  Umschlag:  er 
wird  die  Tochter  doch  hingeben.  Der  psychologische  Vorgang 
bei  ihm  entspricht  genau  dem  späteren  bei  Iphigenie  selbst: 
sowie  es  ihm  freigestellt  ist,  die  Tochter  zu  retten,  sieht  er 
selbst  die  dvdyKti  ein,  die  ihn  zur  Opferung  zwingt.  Allerdings 
sind  Agamemnons  Motive  nicht  so  edel  wie  die  der  Iphigenie: 

1)  Erst  im  unechten  Teil  1511  preist  er  Iphigenie  als  <t>püYtöv  lAenroAiv. 
So  kann  ich  Schöne  (Rh.  M.  5,  231  s.  auch  Hofmann  a.  a.  0.  93ff.)  nicht  zu- 
stimmen, wenn  er  behauptet,  daß  in  dem  Zyklus  der  Chorlieder  von  ob- 
jektiver Seite  die  Notwendigkeit  des  Opfers  dargetan  werde  und  daß  sie  die 
historische  Begründung  für  die  psychologischen  Motive  gäben,  die  sich  in  der 
Handlung  der  Hauptpersonen  entfalteten. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  25 

er  kehrt  bloß  auf  seinen  anfänglichen  Standpunkt  zurück,  und 
nur  die  Furcht  vor  dem  Heer  und  besonders  vor  Kalchas  und 
Odysseus  veranlaßt  ihn,  in  das  Opfer  einzuwilligen.  Eur. 
scheint  also  ganz  bewußt  eine  Steigerung  beabsichtigt  zu 
haben,  wenn  er  dieses  Motiv  im  selben  Drama  verdoppelte. 
Eine  ähnliche  Steigerung  beobachteten  wir  oben  in  der  Wieder- 
aufnahme des  patriotischen  Aufrufs  durch  Iphigenie. 

Dieselbe  oder  doch  eine  sehr  ähnliche  Technik  des  Ent- 
schlußfassens finden  wir  bei  Sophokles  im  Philoktet,  der 
Tragoedie,  die  am  meisten  den  euripideischen  Einfluß  erfahren 
hat.  Dieses  ganze  Drama  dreht  sich  ja  um  die  Sinnesänderung 
und  das  Entschlußfassen  einerseits  des  Helden  selbst '),  andrer- 
seits des  Neoptolemos.  Auf  dessen  Haltung  beruht  der  Gang 
des  ganzen  Stücks,  auf  seiner  anfänglichen  Umstimmung  durch 
Odysseus,  dem  ersten  Zweifel  839ff.  (der  durch  die  Hexameter 
stark  unterstrichen  ist)  und  dem  endgültigen  Entschluß  zur 
Wahrhaftigkeit^).  Der  eigentliche  Entschluß  kommt  auch  hier 
in  einem  Auftritt  zwischen  Odysseus  und  Philoktet,  den  beiden 
feindlichen  Parteien,  zustande,  während  dessen  Neoptolemos 
schweigt.  Sein  Schweigen  wird  sogar  ausdrücklich  von 
Philoktet  erwähnt  (1066f.).  Daß  er  trotzdem  am  Ende  dieser 
Szene  dem  Philoktet  noch  ausweichend  antwortet  und  erst  am 
Anfang  des  übernächsten  Auftritts  offen  sc'ne  Sinnesänderung 
kwndgibt,  ist  wohl  nur  ein  technischer  Kunstgriff,  um  die 
große  lyrische  Szene  zwischen  Chor  und  Philoktet  zu  ermög- 
lichen, in  der  die  ganze  Verzweiflung  des  Verlassenen  noch- 
mals voll  zum  Ausdruck  kommt.  Der  Grund  zum  endgültigen 
Entschluß  des  Neoptolemos  wurde  jedenfalls  in  jener  Schweige- 
szene gelegt  *). 

1)  Bei  Philoktet  allerdings  kommt  es  zu  keiner  Sinnesänderung.  Er 
bleibt  hartnäckig  bis  zum  Ende,  und  das  eigentlich  Tragische  liegt  darin, 
daß  er  gerade  in  dem  Augenblick,  wo  er  die  günstigen  Seiten  des  Orakels 
erfährt  —  Heilung  und  Ruhm  — ,  so  in  seine  Verbitterung  hineingeraten  ist, 
daß  er  trotz  ehrlichem  Kampf  mit  sich  seine  Einwilligung  zum  Aufbruch 
nach  Troia  weniger  denn  je  geben  kann.  Die  Einrenkung  erfolgt  dann  nur 
ganz  äußerlich  durch  den  deus  ex  machina 

^)  T.  V.  Wilamowitz,  Dramat.  Technik  d.  Sophokles  294,  geht  zu  sehr 
vom  Dogma  der  mangelhaften  psychologischen  Motivierung  bei  Sophokles  aus,, 
wenn  er  die  Haltung  des  Neoptolemos  unverständlich  findet. 

^)  Anders  ist   die  Voraussetzung   bei  der  Umstimmung  und  Entschluß- 


26  Johanna  Schmitt 

Vielleicht  war  Soph.  im  Philoktet  in  dieser  Technik  sogar 
von  dem  gleichnamigen  Stück  des  Eur.  abhängig.  Aus  der 
Paraphrase  Dions  von  Prusa  or.  59  wissen  wir,  daß  von  Troia 
wie  von  den  Griechen  Gesandtschaften  an  Philoktet  geschickt 
wurden,  die  beide  versuchten,  ihn  auf  ihre  Seite  zu  ziehen. 
Es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  es  zwischen  den  Führern  dieser 
Gesandtschaften  einen  dywv  vor  Philoktet  gab;  der  Troianer 
sucht  ihn  durch  Schätze  zu  gewinnen  (frg.  794),  Odysseus 
durch  den  Aufruf  zur  Vaterlandsliebe  (798).  Das  Eingreifen 
des  Odysseus  bezeichnen  die  Worte  (796):  uTrep  ye.  iievTOi  Trav- 
TÖs  'EXXnvcov  (jTpaTOÖ  aicjxpöv  oiwTräv,  ßapßdpGus  6'  eäv  Xeyeiv  ^).  Der 
Held  war  also  vor  einen  Kampf  mit  seinem  Gewissen  gestellt, 
in  dem  er  sich  unter  Zurücksetzung  der  persönlichen  Kränkung 
für  das  Vaterland  entschied.  Auch  dieser  heroische  Entschluß 
wird  wohl  unter  Schweigen  beim  Anhören  der  beiden  Parteien 
gefaßt  worden  sein.  Daß  auch  hier,  ähnlich  wie  in  den 
Devotionsszenen,  stark  die  patriotische  Paraenese  beabsichtigt 
war,  können  wir  noch  aus  dem  dargelegten  Aufbau  des  Stücks 
und  auch  aus  der  Aufführungszeit  431,  also  gerade  bei  Kriegs- 
ausbruch, mit  ziemlicher  Sicherheit  erschließen"). 

Aus  alledem  dürfen  wir  den  Schluß  ziehen,  daß  Eur.  der 
Erfinder  dieser  Technik  des  Entschlußfassens  war,  die  sein 
Rivale  dann  nachahmte.  Sie  gab  ihm  die  Möglichkeit,  den 
Entschluß  jedesmal  erst  völlig  ausgereift  hervortreten  zu  lasse  a 
und  dadurch  ein  wirkungsvolles  Trapä  7rpos5oKiav  zu  erreichen. 
Ein  stummes  Spiel  der  Personen  während  dieser  Schweige- 
szenen, in  dem  das  Ringen  um  den  Entschluß  ausgedrückt 
würde,  ist  daher  kaum  anzunehmen,  da  hierdurch  der  Effekt 
der  Überraschung  an  Wirksamkeit  verlöre*). 

Der  Umschwung  in  Iphigenie  von  Todesfurcht  zur 
heroischen  Todesbereitschaft  fordert  von  selbst  zum  Vergleich 

änderung  des  Kreon  in  der  Antigene.  Hier  sind  die  Gründe  des  Umschwungs 
ganz  von  außen  herangebracht  (durch  Teiresias'  Weissagung).  Der  Entschluß 
ist  hier  keine  freie  Tat  mehr,  sondern  ein  erzwungener  Akt  der  Verzweiflung, 

1)  Welcker,  Griech.  Trag   II  518S.     Härtung,  Eurip.  rest.  I  354 

2)  S.  auch  Dion  or.  52,  §  14:  IniSeiKvuvrai koi  tö  ji^q  oö  jiövov  r|5oviiv, 

cAXä  Kai  noAAfjv  npös  dpeiriv  nopÖKAnaiv. 

')  Über  andre  Arten  des  Entschlußfassens  bei  Eur.  (im  Monolog  und 
Dialog)  s.  Leo,  Monolog  im  Drama,  Abh.  Ges,  d.  Wiss.  Gott.  1908,  33  S. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  27 

mit  dem  umgekehrten  Vorgang  in  der  Antigene  heraus.  Die 
Festigkeit  Antigenes  im  ersten  Teil  der  Tragoedie,  die  Bereit- 
willigkeit, mit  der  sie  das  leidige  Leben  gegen  den  Tod  ein- 
tauschen möchte,  erinnert  in  der  Stimmung  ganz  an  die 
Devotionsszenen  (46):  ob  yap  8fi  Trpo5oöff'  dXwaojiai,  (96):  iTelao|iai 
yäp  ou  ToaoÖTOv  ou6ev  ücrre  nn  ou  kqXüs  S'aveTv,  und,  ganz  ähnlich 
wie  Polyxena  in  der  Hek.  375ff.,  Antig.  461:  ei  8e  toö  xpövou 
Trpöa&ev  &avoö|iai,  Kep5os  aör'  eyw  Aeyco.  öjtis  yäp  ev  TroXXoTdiv  us  eyu 
KttKoTs  ^fj,  TTÜs  85'  ouxi  KQTÖ'avwv  K€p5os  <j)epei;  Den  schneidenden 
Gegensatz  zwischen  der  selbstsichern  Todesverachtung  und  der 
Verzweiflung  der  letzten  Szene  hat  Soph.  durch  ein  ähnliches 
Mittel  unterstrichen  wie  Eur.  den  umgekehrten  Vorgang  in 
der  Polyxenaszene.  Bei  beiden  stehen  die  letzten  Worte  vor 
dem  Umschlag  im  schroffen  Gegensatz  zu  den  ersten  nach  ihm, 
und  dazwischen  schweigt  die  Heldin '). 

Antigone  spricht  nach  den  Versen  in  der  Szene  mit  Kreon 
und  Ismen  e  (559):  ^dpaer  ab  pev  ^fjs  •  n  S'  ^W  ^v^h  TrdXai  re^vriKev, 
oöore  ToTs  ^avoöaiv  ü)(i)eXeTv  nichts  mehr  bis  zu  dem  Q-piivos  auf 
ihrem  Todesgang.  In  der  Tph.  tritt  zwar  der  kurze  Dialog  mit 
Klytaemestra  1338 ff.  zwischen  die  beiden  Teile,  doch  ist  hier 
der  Kontrast  durch  den  streng  stilisierten  parallelen  Szenenbau 
vor  und  nach  dem  Umschlag  hervorgehoben:  auf  die  Bittrede 
folgt  die  lyrische  Klagemonodie,  auf  die  Opferrede  der  feier- 
liche Paian  an  Artemis. 

Aber  diese  Berührungspunkte  sind  eigentlich  schon  durch 
den  Stoff  gegeben,  und  an  eine  Abhängigkeit  des  Eur.  von 
Soph.  ist  hier  kaum  zu  denken.  Vollends  läßt  sich  eine  pole- 
mische Bezugnahme  auf  die  Antig.  nicht  feststellen. 

Die  Charaktere  der  Heldinnen  sind  so  verschieden,  daß 
sich  die  Entwicklung  in  beiden  ganz  folgerichtig  ergibt.  Die 
starke  Willens-  und  Lebenskraft  der  Antigone,  die  sich  in 
ihrem  Handeln  äußert,  tritt  auch  da  zutage,  wo  sie  sich  gegen 
die  Vernichtung  auflehnt.  Doch  ist  das  q^os  hier  ganz  ver- 
schieden von  dem  Flehen  der  Iphigenie.  So  weit  geht  bei 
Antigone  das  Grauen  vor  der  Vernichtung  nicht,  daß  eine 
Äußerung  wie  Iph.  Aul.  1252:  kqküs  ^f\v  KpeTaaov  i\  KaXws  ^aveTv 


1)  S.  oben  16. 


28  Johanna  Schmitt 

ihr  in  den  Mund  käme.  Von  ihrer  Überzeugung  opfert  sie 
nicht  das  Geringste,  und  zwischen  ihren  Klagen  gibt  ihr  immer 
wieder  das  Bewußtsein  ihrer  Tat  starken  Halt.  Nur  das  Ge- 
fühl der  unsäglichen  Verlassenheit  und  der  Verkennung  ihres 
Handelns  macht  ihr  den  Todesgang  so  bitter.  Dagegen  er- 
möglicht der  noch  ungefestigte  Charakter  der  zarten  Iphigenie 
ein  viel  stärkeres  Schwanken  nach  beiden  Seiten  hin  und  zu- 
gleich auch  die  größere  theatralische  Wirkung:  in  der  Ver- 
zweiflung und  Todesangst  ist  sie  ganz  gebrochen,  im  Opfermut 
fast  in  Ekstase.  Doch  ist  dieser  Umschwung,  wie  wir  sahen, 
durchaus  motiviert,  und  keine  Anspielung  weist  auf  die  Antig.  ^). 
Letzten  Endes  liegt  die  verschiedene  Gestaltung  tief  im 
Wesen  der  beiden  Dichter  begründet.  Dem  trüben  Pessimisten 
scheint  die  Loslösung  vom  Leben  leicht;  der  Tod  wird  mit 
einer  Gloriole  umgeben  und  als  die  Erlösung  verherrlicht. 
Darum  ertrug  Eur.  es  nicht,  als  letzten  Abscliluß  eine  Ab- 
schiedsszene zu  gestalten  wie  Soph.,  der  sich  mit  vielleicht 
doch  größerer  Wahrhaftigkeit  nicht  gescheut  hat,  seine  Antigone 
mit  dieser  Dissonanz  scheiden  zu  lassen. 


IIL  Die  entscheidenden  Reden. 

a.  Herakliden.  Den  Höhepunkt  bildet  in  jeder  Devotions- 
szene die  große  Rede  der  Todesbereiten,  in  welcher  sie  die 
Gründe  zu  ihrem  heroischen  Entschluß  darlegen.  Th.  Miller  ^) 
hat  gezeigt,  wie  Eur.  in  der  Komposition  fast  aller  seiner  piiaeis 
dem  Muster  eines  rhetorischen  Schemas  folgt.  Diesen  rhetori- 
schen und  daher  in  vielem  sehr  gleichartigen  Aufbau  kann 
man  besonders  gut  bei  den,  auch  inhaltlich  so  ähnlichen,  ent- 
scheidenden Reden  beobachten.  Sie  alle  gehören  zum  y^vos 
irporpeTTTiKÖv,  und  es  spricht  hier  aus  den  Personen  heraus  der 
rhetorisch  geschulte  Dichter,  manchmal  bis  zur  Vernachlässi- 
gung des  ^9-os  der  Redenden  (bes.  in  der  Iph.  Aul.). 

So  ist  gleich  in  der  Makaria-pfjais  der  Herakl.  der  rhetori- 
sche Bau  sehr  durchsichtig ;  er  ist  einfach  und  ziemlich  schema- 


^)  Über  die  Möglichkeit  einer  Polemik  gegen  die  sophokleische  Iphigenie 
s.  oben  14.  ^)  Euripides  rhetoricus  Diss.  Göttingen  1887. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  29 

tisch  wie  die  Anlage  dieser  ganzen  Episode.  Das  ganz  unver- 
mittelt einsetzende  prooemium  enthält  nur  die  kurze  prothesis 
500 — 502,  die  Kundgabe  des  Entschlusses  zum  Tod.  Die  pro- 
batio  503—524'  ist  ganz  in  negativer  Form  gebaut,  als  refu- 
tatio.  Das  Einteilungsprinzip  der  refutatio  ergibt  sich  aus  den 
beiden  Gesichtspunkten  1)  Betrachtung  ihrer  gegenwärtigen 
Lage,  2)  ihrer  Zukunft,  wenn  sie  sich  nicht  opfert.  Als  Leit- 
motiv vorangestellt  ist  der  Gedanke:  wir  als  Schutzflehende 
haben  die  Pflicht,  auch  selbst  zu  unsrer  Rettung  zu  helfen, 
nicht  die  andern  für  uns  sterben  zu  lassen,  während  es  in 
unsrer  Hand  liegt,  ob  sie  den  Sieg  erringen.  Diese  Verpflich- 
tung zur  heroischen  Tat  begründet  Makaria  damit,  daß  sie  sich 
ihres  Vaters  Herakles  nicht  unwert  zeigen  dürfe.  Ganz  ähn- 
lich beruft  sich  Megara  im  Herakles  auf  den  Ruhm  ihres  Gatten, 
dem  sie  eine  freie  und  würdige  Haltung  in  ihrem  grausamen 
Schicksal  schuldig  sei  (294).  —  Dieser  auch  sonst  konsequent 
durchgeführte  Charakterzug  Makarias,  der  Stolz  auf  die  Vor- 
fahren und  die  Forderung  an  sich,  es  ihnen  gleich  zu  tun,  ist 
die  dichterische  Verwertung  eines  in  der  rhetorischen  Literatur 
häufigen  töttos.  Wir  finden  ihn  z.  B.  in  der  Rede  des  Archi- 
damos  bei  Thukydides  II,  11,  die  als  erste  der  vielen  Trapa- 
KÄriTiKoi  XÖYOi  einen  stark  programmatischen  Charakter  trägt: 
SiKaiov  ouv  npäs  PHTe  tüv  Trareptüv  xeipous  (j>aivea&ai,  \ir\re  f\\im  aurwv 
Tpjs  Sö^ns  evSeearepous.  Im  zweiten  Teil  der  refutatio  malt  Ma- 
karia mit  den  schwärzesten  Fai'ben  ihr  Los  aus,  wenn  sie  sich 
nicht  opfre,  sondern  feig  den  Tod  fliehe:  überall  wird  man  sie 
mit  Schimpf  ausweisen,  da  die  Schande  des  Verrats  auf  ihr 
lastet*).  Auch  hier  finden  wir  wieder  einen  Anklang  an  Me- 
garas  Rede.  Auch  sie  denkt  einen  Augenblick  daran,  Ver- 
bannung für  ihre  Kinder  auszuwirken,  um  sie  vor  dem  Tod 
zu  retten,  aber  gleich  verwirft  sie  diesen  Gedanken  wieder 
(303):    dXXä  kqi  tö5'  a^Xiov,  Trevia  obv  oiKipä  TrepißaXeTv  auinpiav '^). 


')  522:  noAAoi  ydp  fjSn  TtjSe  itpoüSooav  (j)(Aou9  steht  etwas  zusammenhangslos 
in  der  Rede  und  wurde  deshalb  von  Elmsley  athetiert.  Möglich  scheint  mir,  daß 
Eur.  hiermit  eine  Anspielung  auf  die  in  der  Not  abgefallenen  Bundesgenossen  be- 
zweckte, vielleicht  auf  die  428  abgefallenen  Lesbier.  —  Eine  Ähnlichkeit  des 
Verses  mit  Aisch.  Hik.  499  (Firnhaber  a.  a.  0.  455)  kann  ich  nicht  entdecken. 

2)  S.  auch  Medea  798 ff. 


30  Johanna  Schmitt 

Ganz  ähnlich  schildert  dann  auch  Herakles  selbst  1285 ff.  das 
Los  des  Verbannten.  Wie  in  Makarias  Rede  werden  hier  die 
Hohnworte  der  Feinde  wörtlich  angeführt,  und  wie  für  Makaria 
ergibt  sich  ihm  der  Schluß,  daß  der  Tod  einem  solchen  Leben 
vorzuziehen  sei.  Dieser  töttos  Heß  sich  also  zur  Erregung  des 
eXeos  immer  wirksam  verwenden.  Zu  den  Leiden  der  Ver- 
bannung kommt,  daß  keiner  das  verlassene  und  mit  dem  Makel 
der  Ehrlosigkeit  behaftete  Mädchen  wird  zum  Weib  nehmen 
wollen,  ein  Schicksal,  das  der  griechischen  Frau  als  Verfehlung 
des  Lebens-TeXos  immer  als  das  bitterste  erscheint.  Diese  Stelle 
klingt  etwas  an  die  Klage  des  Oedipus  um  das  Schicksal  seiner 
beiden  verwaisten  Töchter  an,  die  keine  Gatten  finden  werden 
(Oed.  tyr.  1486 ff.).  Das  letzte  Vorbild  für  derartiges  ist  immer 
die  Klage  Andromaches  um  den  verwaisten  Sohn  (IL  X  484 ff.). 
Aus  diesem  letzten  und  für  sie  am  schwersten  wiegenden  Argu- 
ment heraus  findet  Makaria  die  Kraft  des  Aufschwungs  mit 
neuer  Stäi'ke:  oukoöv  ^aveTv  äiieivov  (525  ff.)  und  damit  die  Über- 
leitung zum  €TriXoYos,  in  dem  ihr  ganzer,  von  Eur.  etwas  forcier- 
ter Heroismus  noch  einmal  in  gedrängter  Form  seinen  Aus- 
druck findet,  besonders  in  der  adhortatio  528ff. ,  die  den 
Athenern  den  Sieg  verheißt. 

b.  Hekabe.  Eine  Vervollkommnung  in  jeder  Hinsicht  zeigt 
die  Rede  der  Polyxena  (Hek.  342ff.).  Der  dichterische  Gehalt 
ist  gesteigert  zugleich  mit  einer  noch  kunstgemäßeren  Anwen- 
dung der  rhetorischen  Mittel,  doch  so,  daß  die  Rhetorik  als 
solche  gegenüber  der  Makariarede  bedeutend  weniger  aufdring- 
lich ist.  Schon  das  prooemium  342—48  wirkt,  da  es  unmittel- 
bar aus  der  Handlung  heraus  erwächst,  weit  lebendiger  als  das 
der  Makaria.  Es  schließt  wieder  mit  der  kurzen  prothesis,  der 
Kundgabe  der  heroischen  Todesbereitschaft  (346 ff.). 

Der  folgende  Teil  der  Rede  wird  besonders  durch  die  Er- 
regung des  eXeos,  die  Gegenüberstellung  des  Einst  und  Jetzt  in 
Polyxenas  Schicksal,  wirksam  und  lebendig.  Höchst  kunstvoll 
ist  auch  der  Aufbau  dieses  Teils,  schon  äußerlich  streng  logisch 
disponiert  durch  die  Partikeln  jiev  —  eTreira  349  51  und  TrpwTa  — 
€7reiTa  357/59.  Eine  deutliche  Gliederung  erhält  die  Rede  durch 
die  Darlegung  der  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft, 
während  Anaximenes,   der  Autor  der  altertümlichsten  uns  er- 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  3i 

haltenen  Rhetorik  (c.  30  S.  59  Spengel),  der  überhaupt  die 
narratio  kürzer  abtut  als  die  späteren  Rhetoren^),  jeweils  nur 
einen  dieser  drei  Teile  in  Betracht  zieht.  Zweimal  wird  in 
diesem  Abschnitt  eine  Tatsache  an  den  Anfang  gesetzt,  dann 
daraus  die  Folgerung  gezogen  (349):  li  yap  jie  bei  ^fjv;  f[  Trarfip 
jiev  nv  äva^  fppvyüiw  dTrdvTuv.  toütö  [loi  irpÜTOv  ßiou  ^ ,  worauf  die 
Beschreibung  ihres  früheren  glücklichen  Lebens  als  Königs- 
tochter folgt.  Hierauf  die  schärfste  antithesis  (357):  vöv  5' 
e\\n  6ouXn  •  irpüra  iiev  pe  TOuvo|ja  9-aveTv  epäv  liö'qaiv  ouk  eico&ös  öv  ^). 
Aus  ihrem  jetzigen  Los  ergibt  sich  ihr  also  unmittelbar  der 
Entschluß  zum  Tod.  Allein  mit  diesen  beiden  Versen,  die 
aber  durch  ihre  zentrale  Stellung  das  größte  Gewicht  erhalten, 
wird  die  Gegenwart  abgetan.  Darauf  malt  sie  sich  alle  Schrecken 
des  Sklavendaseins  aus,  das  ihr,  wenn  sie  nicht  stirbt,  für  die 
Zukunft  droht*).  Dieser  Teil  entspricht  also  ganz  der  Makaria- 
rede  515ff.  Wie  dort  folgt  die  Erklärung,  daß  ein  Weiterleben 
unerträglich  sei,  nach  dem  stärksten  Argument,  aber  auch  hier 
ist  die  Situation  gegenüber  der  in  den  Herakl.  gesteigert: 
Makaria  war  die  Verlassenheit  und  Ehelosigkeit  als  schlimmstes 
Los   erschienen.     Polyxena  befürchtet   viel  Schlimmeres:    die 


1)  Volkmann,  Rhetorik  150 ff. 

^)  Vgl.  Her.  1301:  li  SfjTd  pe  ^qv  Set;  Die  Worte  stehen  hier  am  Ende 
der  Rede,  als  Folgerung  aus  ganz  ähnlichen  Argumenten  wie  bei  Polyxena: 
auch  hier  wird  der  frühere  Ruhm  der  jetzigen  Schande  entgegengesetzt. 
Ganz  ähnlich  ist  auch  die  Argumentation  der  mit  dem  Tod  bedrohten  An- 
dromache,  vgl.  bes.  404:  ti  5fjT'  eixoi  ?nv  qSü;  deren  Situation  überhaupt  manche 
Berührungspunkte  mit  den  Devotionsszenen  zeigt:  auch  hier  der  freiwillige  Tod 
für  einen  andern  (hier  das  Kind).  Wie  Polyxena  will  auch  Androm.  nicht 
die  Gnade  ihres  Mörders  anflehen  (459),  aber  wie  Hekabe  fordert  sie  doch 
in  der  höchsten  Not  ihr  Kind  auf,  Menelaos'  Knie  bittend  zu  umfassen  (529). 

*)  Dieselben  Worte:  vöv  5'  eiiJii  SoüAn  finden  wir  im  Aias  489  in  der  Rede 
der  Tekmessa,  die  wie  Polyxena  ihr  Los  als  das  einer  Freien  schildert,  die 
in  Knechtschaft  geraten  ist.  Bei  den  mannigfachen  Berührungspunkten  der 
Devotionsszenen  mit  Motiven  aus  dem  Aias  ist  das  wohl  kein  Zufall. 

*)  Etwas  klingen  an  diese  pnois  die  Worte  der  sophokleischen  Elektra 
an,  nach  der  falschen  Nachricht  von  Orests  Tod  (804 ff.).  Sie  malt  sich  ihr 
künftiges  furchtbares  Schicksal,  das  Weiterleben  in  Aigisths  Hause,  aus  und 
kommt  zu  dem  Schluß,  daß  der  Tod  für  sie  die  Erlösung  wäre.  Aber  diese 
Ähnlichkeit  liegt  doch  zu  sehr  in  der  jeweiligen  Situation,  als  daß  man  hier 
eine  Abhängigkeit  annehmen  müßte. 


32  Johanna  Schmitt 

Schändung  durch  einen  Sklaven  (365 ff.).  Wiederum  finden 
wir  in  diesem  Teil  der  Polyxenarede  einen  starken  Anklang 
an  den  Aias.  Der  löiros  des  „Einst  und  Jetzt"  ')  hat  in  der 
Rede  des  sophokleischen  Helden  (437 ff.;  auch  schon  im  vorher- 
gehenden lyrischen  Teil  421  ff.)  genau  denselben  Inhalt:  hier 
wie  dort  ist  der  tiefe  Sturz  vom  Glück  in  Elend  und  Schande 
der  Grund,  den  Tod  herbeizusehnen.  Auch  hierin  bedeutet 
die  Polyxenarede  eine  Steigerung  der  Todesbereitschaft  dadurch, 
daß  die  Schande  ihr  erst  droht,  noch  nicht  zur  Wirklichkeit 
geworden  ist  wie  bei  Aias,  und  sie  ihr  durch  den  Tod  zuvor- 
kommen wiU. 

Der  eTvIXoYos  der  Polyxenarede  betont  nochmals,  daß  es 
für  sie  keinen  andern  Weg  gebe  als  den  Tod.  Hier  weicht 
natürlich  die  Stimmung  von  dem  heroisch  gehobenen  Sieges- 
bewußtsein der  Makaria  bedeutend  ab.  Die  adhortatio  am 
Schluß  ist  diesmal  nur  negativ:  die  Mutter  möge  sie  nicht  in 
der  Ausführung  ihres  Entschlusses  hindern.  Die  kühle  Sentenz 
am  Ende,  die  ein  ungeschickter  Interpolator  verdoppelt  hat  (378), 
gibt  dieser  streng  gebauten  Rede  den  würdigen  Abschluß*). 

Sehr  ähnlich  ist  mit  der  ganzen  Situation  der  Polyxena 
die  der  Megara:  wie  Polyxena  ist  Megara  zum  Tod  gezwungen, 
wie  diese  lehnt  sie  es  ab,  die  Gnade  ihres  Peinigers  anzuflehen 
und  ist  bereit,  freiwillig  sich  ihrem  Los  zu  fügen  und  mit 
Würde  in  den  Tod  zu  gehen.  Vielleicht  dürfen  wir  diese 
Übereinstimmung  der  beiden  Tragoedien,  die  nicht  die  einzige 
ist"),  als  einen  Beweis  für  die  zeithche  Nähe  der  Entstehung 
betrachten. 

c.  Erechtheus.  Es  sei  gestattet,  die  Betrachtung  der 
Praxithearede  aus  dem  Erechtheus  (frg.  360  N.)  vorwegzu- 
nehmen, da  sie  ihrer  ganzen  Anlage  nach  unter  die  Devotions- 
reden eingereiht  werden  muß*). 

^)  Hierüber  im  allgemeinen  Mader  a.  a.  0.  60 ff. 

-)  Vielleicht  verdankt  der  nachhinkende  interpolierte  Vers:  tö  yöp  Cfjv 
jif|  KaAüs  fieyas  növos  seine  Entstehung  dem  Gegensatz  zu  der  umgekehrten 
Sentenz  der  Iph.  Aul.  1252 :  KaKÜs  ^qv  Kpelcaov  f\  koAms  8-aveiv. 

")  Vgl.  den  zweiteiligen  Aufbau  beider  Stücke,  dessen  Einheit  in  der 
Gestalt  der  Hauptfigur  liegt  (Wilamowitz,  Herakles  I  121,  17).  Auch  die 
pessimistische  Grundstimmung  der  beiden  Tragoedien  ist  dieselbe. 

*)  Über  die  Anlage  des  Opfermotivs  in  dieser  Tragoedie  s.  unten  63  ff. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  33 

Hatten  die  beiden  Opferreden  in  Herakl.  und  Hek.  durch- 
gehend eine  negative  Argumentation,   so  ist   dies  gerade  um- 
gekehrt in  der  p^ais  der  Praxithea,  die,   obwohl  sie  durch  die 
Verbindung   zweier  rhetorischer   y^vH    wichtig   ist,    von  Miller 
unberücksichtigt  Wieb.     Die  Rede,  die  eigentlich  ein  7rapd5o^ov 
zum  Vorwurf  hat  —  die  Mutter  gibt  das  eigne  Kind  freiwillig 
zum  Opfertod  hin  —  muß  mit  besonders  starken  Argumenten 
zu  wirken  suchen.     Eur.  hat  der  Tendenz  des  ganzen  Stückes 
gemäß   diese  Rede   zu   einem   eyKuiiiov   'A^r\\im  einerseits,    zu 
einem  patriotischen  irporpeTTTiKÖs  andrerseits  gestaltet.    Dieselbe 
Verbindung  dieser  beiden  yevn   finden  wir  in  den  Epitaphien, 
wo  das  Lob  der  Autochthonie,  der  Einrichtungen  des  Landes, 
der  Gefallenen,  und  zum  Scliluß  der  irpoTpeTTTiKÖs  stehende  töttoi 
sind.     So  könnte  man  unsre  Rede   einen  vorweggenommenen 
e7nTQ:(j)ios   nennen.     Solche   Grabreden   waren  ja  häufig   genug 
nur  der  Anlaß  zum  Lob  des  Vaterlands,   vgl.  Schol.  Aristides 
Panathenaikos  6,  27:  0ouKu5i8ns  Km  Armocr^evriS  Kai  erepoi  Tives  ob 
7rpo(j)avüs  eis  tö  tPjs  iröXeus  Kai  x^pas  eyKuiiiov  kx^pr\aav,    aXK  em- 
Ta(}>lous  n  ctXXo  Ti  Xeyeiv  wpjinKÖres  XeXnö^ÖTus  eis  eyKwiiiov  KaieaTncav. 
Wie  die  ganzen  Hiketiden  des  Eur.   in  der  uTTÖö'eais   ein  eyKu- 
jiiov  'Aö'Hvüv  genannt  werden  und   wie  sie,   nach  Wilamowitz' 
Nachweis  ^),  die  poetische  Nachbildung  eines  e7riTd(j)ios  enthalten, 
so  sind   diese  Elemente   auch  in  der  Praxithearede   vereinigt. 
Die  Beziehungen  zwischen  e-nna^\oi  und  Dichtung  gehen  hin 
und  her.     Dieselben  Ruhm.estaten  der  Athener,    die  unter  der 
Rubrik:    „Lob  der  Vorfahren"    ständig  in  den  Grabreden  auf- 
gezählt   werden,    hat   Eur.    in    Dramen   verherrlicht:    in    den 
Herakl.,   Hik.,   Erechth.     An   solche   dichterische  Behandlung, 
vielleicht  an  Eur.  selbst,    denkt  Piaton   in  seinem  Menexenos, 
wenn  er  sagt  (238e):  EöiiöXTrou  \ikv  ouv  Kai  'A|ia^övuv  eTviOTpaTeu- 
odvTuv  im  ir\v  x'^pav  Kai  eri  irporepcüv,   us  n^'^vavTO   koi   us  fjjjiuvav 
'Apyeiois  Trpös  Ka5|ieious  koi  'HpaKXelSais  Trpös  'Apyeious  ö  re  xpövos 
ßpaxus  ä^iws  6iriYn<Ja(J^ai  7roir|Tai  re  auTwv   fj5ri   koXüs  riiv   dperfiv  ev 
[lOuaiKri  üjivriCTavTes  es  irdvTas  jiejinvuKaaiv,  und  fast  noch  deutlicher 
der  von  Piaton  abhängige  Pseudo-Demosthenes  in  seinem  etti- 
Td(j)ios  (9):  TÜv  iiev  ouv  eis  |Jiu^ous  dvevrivey^ievcov  epywv  ttoXXöc  Tvapa- 


»)  Gr.  Trag.  I  206  ff. 
Religionsgeschiclitliche  Versuche  u.  Vorarbeiten.    XVII,  2. 


34  Johanna  Schmitt 

AiTTUv  TOUTUv  i\ivr\a^t\v^  uv  oütus  e'Kaaros  eöaxH^ovas  Kai  ttoXXous  e'xei 
AÖYOüs  wäre  Kai  toüs  emierpous  Kai  toüs  twv  a5oiievc»)v  iroiriTäs  Kai 
TToXXoüs  TÜv  auYYPCt<j>ewv  U7ro9'eaeis  TocKeivuv  epya  Tfjs  auTÜv  jiouaiKris 
TreTTOifja&ai.  Man  sieht,  wieviel  Literatur  über  diesen  einen 
Gegenstand  allein  uns  verloren  ist.  Daß  ferner  der  Redner 
Aristides,  der  im  Panathenaikos  dieselben  Sagen  aufzählt  — 
nur  noch  um  einige  vermehrt  — ,  beim  Zitat  des  Erechtheus 
vom  euripideischen  Drama  abhängig  ist,  werden  wir  unten 
67  sehen. 

Um  diesen  Zweck  des  eyKuiiiov  zu  erfüllen,  muß  die  Praxi- 
thearede  im  Gegensatz  zu  den  oben  behandelten  fast  durchweg 
mit  positiven  Argumenten  arbeiten.  Der  dogmatische,  oft  sehr 
unpersönliche  Charakter  dieser  prjais  gibt  sich  schon  im  pro- 
oemium  kund,  das  mit  einer  lehrhaften  Sentenz  beginnt. 

Nach  ganz  kurzer  prothesis  (4) :  eyw  5e  Sciau  7raT5a  rfiv  k\ii]w 
KTOveTv  wird,  noch  schärfer  als  in  der  Rede  der  Polyxena,  die 
nun  folgende  probatio  disponiert:   AcYi^oiiai  5e  TToXXd'  Trpüra  jiev 

(5) €7r€iTa  (l^).     Und  nun  folgt  an  erster  Stelle  wie  in  den 

Epitaphien  das  Lob  der  Autochthonie ,  um  den  Satz  zu  be- 
gründen: diese  Stadt  verdient  das  Opfer.  Fast  wörtlich  sind 
die  Übereinstimmungen.  Sogar  Piaton,  der  diesem  töttos  durch 
das  Aufgreifen  der  altehrwürdigen  Religion  der  „Mutter  Erde" 
einen  individuellen  Ton  gegeben  hat^),  verschmäht  nicht,  sich 
am  Anfang  noch  in  den  gegebenen  Gemeinplätzen  zu  bewegen 
(238  e):  ai  jiev  äXXai  TröXeis  ck  7ravTo5aTTÜv  KaTeorKeuaaiievai  dv9-pcoTruv 
eicriv  Kai  dvwjidXwv  und  ihm  folgt  Ps.-Demosthenes  (Ittit.  4) :  pövoi 
ydp  TTdvTiüv  dv^pwTTuv,  e\  fjoTrep  'i^üaaw,  ravrt\v  wKi^oav  Kai  toTs  i\ 
auTwv  TTape5ü3Kav  wäre  6iKaicüS  dv  Tis  UTroXdßoi  tous  pev  eirtiXuSas 
eX^övTos  eis  tds  iröXeis  Kai  toutuv  TToXiras  7rposayopeuo|ievous  öiioious 
eTvai  ToTs  eisTTOinToTs  twv  7ral5wv,  toutous  Se  yvriaious  yövu  Tfjs  vra- 
Tpi5os  TToXiTas  elvai  .  .  .  Fast  mit  denselben  Ausdrücken  preist 
Isokrates  im  Panegyrikos  die  Autochthonie  der  Athener  (4,  24) : 
TauTriv  ydp  oiKoijpev  ....  ou5'  €k  ttoXXüv  eö-vcöv  piydSes  auXXeyevTcs, 
dXX'  oÜTü)  KaXüs  Kai  yvnaius  yeyövajiev,  w(tt'  e\  ^(TTrep  e<J)U|iev,  TauTtiv 
exovTes  ctTravTa  töv  xpövov  5iaTeXoüiiev,  auTÖxö'Oves  övTes  Kai  twv  övo- 
(idTuv  toTs  auToTs  oTffTrep  tous  oiKeioTdTOus  t^v  ttöXiv  exovTCS  Trpos- 


1)  Wilamowitz,  Piaton  I  265. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  35 

eiTTcTv  [lövois  yäp  t\\i\\  tüv  'EXXrivuv  rfiv  aurnv  Tpo<|)öv  Kai  TrarpiSa 
Kai  iiHTepcc  KaXeaai  TrposHKei  (vgl.  auch  Isokr.,  Panath.  12,  125  und 
Cicero,  pro  Flacco  26). 

Damit  vergleiche  man  aus  Praxitheas  Rede  (7 ff.):  fj  TrpwTa 
liev  Xews  oÖK  eTraKTÖs  äXXo^ev  aL)TÖx9"0ves  5'  e<|)uiiev.  al  6*  äXXai  iröXeis 

äXXai  Trap'  äXXwv  eiaiv  eiCTaywY'MO'-  öaris  5'  octt'  äXXqs  TröXews 

oiKnar]  TTÖXiv Xöyw  TToXirris  eariv,  toTs  6'  epyoiaiv  ou.     Dieselbe 

Verachtung  der  eTraKToi  spricht  Eur.  im  Ion  aus,  der  selbst  eine 
Verherrlichung  der  attischen  auT0x9"0via  ist  (290) :  oök  dorös  dXX' 
ETraKTÖs  e^  äXXns  x^'ovös  und  (598) :  eTvai  (j)aai  ras  auiöx^ovas  KXeiväs 
'A^qvas  oÜK  iKeidaKTOv  y^^os,  und  das  wie  bei  Ps.  Demosthenes 
gebrauchte  eirriXus  (607) :  eX&üv  es  oTkov  dXXörpiov  e'TrnXus  wv '). 
Entsprechend  der  ganzen  Tendenz  dieser  Rede  felilt  auch 
nicht  der  demokratische  Lieblingsgedanke:  der  eine  ist  immer 
nur  ein  kleines  Stück  der  Allgemeinheit,  nie  ihr  gleichwertig 
(19 ff.).  Die  Töne  der  patriotischen  adhortatio  werden  zuerst 
negativ  angeschlagen,  indem  Praxithea  —  im  Gegensatz  zu 
ihrer  eignen  Opferwilligkeit  —  die  Mütter  tadelt,  die  ihre  Söhne 
durch  Tränen  beim  Abschied  zum  Kampf  untüchtig  machen. 
Von  da  springt  der  Gedanke  über  auf  das  Schlachtenlos  dieser 
Söhne.  Das  Höchste,  was  sie  erreichen  können,  ist  der  gemein- 
same Heldentod  und  die  gemeinsame  Heldenehre,  und  gerade 
dies  erschien  ja  der  Zeit  als  das  Schönste,  s.  Thukyd.  II  11: 
KdXXicTTOv  ydp  Tö6e  Kai  d0(|)aXe(JTaTov  ttoXXoüs  ovras  evi  KÖaiiu  XP'«'- 
}ievous  (})aivea&ai.  Aber  hier  bricht  Praxithea  mit  allen  demo- 
kratischen Grundsätzen  der  Gleichheit,  und  das  ihr  viel  natür- 
lichere Streben  nach  der  ausnehmenden  Leistung,  das  dem 
griechischen  Wesen  so  tief  eingewurzelte  agonale  Element, 
tritt  mit  aller  Schärfe  hervor  (34) :  rrmri  ße  iraiSi  aTe(j)avos  eis  piä 


*)  S.  Her.  257,  wo  derselbe  Tadel  über  Lykos  ausgesprochen  wird: 
öoTis  ou  KaSjielos  ü3v  äpxei  KdKiaros  tmv  v^uv  InnAuScüv.  Mit  14/15  haben  Ribbeck 
Rom.  Trg.  185  und  Vahlen  Frg.  1  aus  dem  Erechtheus  des  Ennius  verglichen : 
ut  nos  nostri  liberi  dcfenäant,  pro  nostra  vita  morti  occiimbant  obvlam. 
Sprach  diese  Worte  wirklich  Praxithea,  so  war  die  Auffassung  sehr  ver- 
gröbert: Eur.  spricht  von  der  Erhaltung  des  Vaterlands,  Ennius  von  der 
Rettung  der  Eltern  durch  die  Kinder.  —  Doch  kann  es  auch  eine  Replik 
des  Erechtheus  selbst  gegen  Praxithea  sein.  Vorausgehen  müßte  dann  etwa: 
„Wir  haben  unsere  Kinder  doch  nicht  dazu  (daß  sie  für  uns  sterben).'^  Vgl. 
unten  65  f.  ' 

3* 


36  Johanna  Schmitt 

jjiövri  TTÖXews  ^avouari  rt\ab'  ÜTrep  So^ncreTai  ^).  Es  ist  bezeichnend, 
daß  sich  Praxithea  mit  ihrem  nächsten  Argument,  dem  aü\i- 
(fiepov,  wie  es  die  rhetorische  Kunstsprache  nennt,  an  den 
zögernden  Erechtheus  wendet^)  (36):  kqi  rfiv  reKOüaav  kqi 
ae  6uo  &'  öiiooTTÖpu  athaei  ti  toutuv  ovy)  8e^aa8-ai  kqXöv;  Für  ihre 
eigene  heroische  Gesinnung  käme  dieser  Grund  nicht  in  Be- 
tracht, doch  den  schwankenden  Gatten  hofft  sie  mit  diesem 
Appell  an  den  primitiven  Selbsterhaltungstrieb  zu  überzeugen. 
Dann  aber  kommt  sie  gleich  wieder  auf  das  ihr  Nahehegende 
zurück,  den  schon  oben  (18)  gestreiften  Gedanken,  daß  das 
Vaterland  den  größeren  Anspruch  auf  das  Leben  der  Tochter 
habe  als  sie  (38). 

Nach  dieser  langen  probatio  folgt  eine  ganz  kurze  refu- 
tatio  (39/40),  die  wieder  auf  Erechtheus  berechnet  ist:  wenn 
die  Stadt  genommen  wird,  sind  mir  meine  Kinder  doch  ver- 
loren. Nur  einen  kurzen  wehmütigen  Blick  wirft  sie  auf  die 
Zukunft,  in  der  nicht  ihr  Geschlecht  in  der  Stadt  herrschen 
wird  —  sie  selbst  hat  ja  keine  Söhne  (25  ff.)  —  um  sich  aber 
sofort  wieder  an  den  Leitgedanken  zu  klammern:  Tnv5'  eyu 
(jtiaü)  TTÖXiv  (42).  Also  hat  sie  ihren  eigenen  Ruhm  schon  mit 
dem  der  Tochter  identifiziert.  Wie  in  den  andern  Reden  steht 
auch  hier  wieder  das  stärkste  Argument  am  Schluß,  diesmal 
sogar  wörtHch  als  solches  hervorgehoben  (43):  ekeTvo  5*  oö  tö 
TrXeTarov  ev  koivü  pepos,  ich  hasse  den,  der  die  altheiligen  reh- 
giösen  Satzungen,  die  TtaXaiä  ^effjiia  Trpovövuv,  umstürzen  will; 
und  dann,  als  ob  das  Opfer  schon  vollzogen  wäre,  spricht  sie 
es  mit  unerschütterlicher  Gewißheit  aus:  kein  Thraker  wird 
die  Tpiaiva,  das  Attribut  des  Poseidon,  auf  der  Burg  aufpflanzen 
und  die  Stadtgöttin  Athena  vertreiben  (46 ff.).  Diese  Worte 
sind  darum  so  ergreifend,  weil  gerade  diese  Gewißheit  zu 
Schanden  werden  soll.  Etwas  klingt  diese  Stelle  an  den  rhe- 
torischen TÖTTOS  an,  der  bei  Anaximenes  2  p.  1 1  Sp.  so  definiert 
wird:  brav  jiev  ouv  Xeywiiev  ws  8eT  rä  Ka^eaTÜra  5ia(t)uXdTTeiv,  eupn- 
aopev  d(|)opiiä$  Ik  |jev  toü  6iKaiou  XeyovTes  tö  TTdrpia  e^q  Trapä  Trätri 
irapaßaiveiv  äSiKÖv  eariv. 

Der  Epilog  mit  der  persönlichen  Wendung  an  die  TroXTrai 

^)  S.  Her.  1334  KaXös  yäp  gotoTs  aTe(}»avo9  'EAXrjvcüv  iino  ävSp'  ea&Aöv  w^e.- 
AoüvTQS  €tiKA£ia9  Tuxelv.  ")  S.  unten  66. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  37 

(50)  enthält  die  übliche  adhortatio  mit  der  nochmaligen  Auf- 
nahme des  Gedankens  von  18,  der  Antitliese  der  jiia  und  der 
ganzen  ttöXis.  Und  im  vollen  Bewußtsein  der  Schwere  ihres 
Opfers  schHeßt  sie  (53):  u  Trdrpis,  ei'^e  TravTes  oT  vaiouai  ae  oütu 
({)iXoTev  US  eyw'  kqi  paSius  oiKoTiiev  äv  ae  K0u6ev  av  Trdaxois  kqköv'). 
In  einer  ähnlichen  Rede  der  Praxithea,  vielleicht  auch  am  Ab- 
schluß, scheint  das  Fragment  aus  dem  ennianischen  Erechtheus 
gestanden  zu  haben:  cid  nunc  aerumna  mea  libertatem  paro 
quibus  servitutem  mea  miseria  deprecor  (frg.  2  V.).  Der  Charakter 
der  eur.  Praxithea  ist  aber  von  dem  römischen  Nachdichter 
nicht  verstanden.  Für  die  griechische  Heroine  ist  es  das  Be- 
zeichnende, das  sie  mit  keinem  Wort  von  dem  Leid  spricht, 
das  das  Opfer  ihr  persönlich  bringt. 

d.  Phoenisseii.  In  der  Menoikeusepisode  der  Phoen.  ist 
alles  auf  die  eine  Rede  des  Helden  angelegt:  in  ihr  lernen 
wir  ihn  kennen  und  nehmen  wir  zugleich  Abschied  von  ihm. 
Infolge  dieser  Gedrängtheit  stehen  vor  der  eigentlichen  Opfe- 
rungsrede —  ohne  Personenwechsel  —  nur  die  paar  Verse, 
in  denen  die  Täuschung  Kreons  durchgeführt  wird.  Die  Rede 
knüpft  wie  die  der  Polyxena  unmittelbar  an  die  Situation  an, 
den  Versuch  des  Vaters,  ihn  zur  Flucht  zu  bewegen.  Schon 
im  prooemium  (990 ff.),  vor  der  eigentlichen  prothesis  (997), 
wird  der  Entschluß  des  Menoikeus  klar  durch  das  Urteil,  das 
er  über  die  Handlungsweise  des  Vaters  fällt  ^). 

In  dieser  Rede  verbindet  sich  der  Einfluß  der  Makaria- 
mit  dem  der  Praxithea- pfjms.  Durch  das  Opfermotiv  im  Erechth. 
ist  das  patriotische  Moment  so  stark  geworden;  hier  ist  aber 
die  Färbung  weit  persönlicher  als  in  den  dogmatischen  Aus- 
führungen der  Praxithea.  Sehr  charakteristisch  ist  die  Wen- 
dung (996):  7raTpi5os  n  \y  eyeivaTO,  dem  verwaisten  Knaben  ist 
das  Vaterland  wirkUch  die  Mutter  geworden,  auf  die  er  alle 
Kindesgefühle  übertragen  hat.     Aus  den  Herakl.  dagegen,  dem 

^)  Über  die  Wiederholung  dieses  rönos  in  den  Phoen.  s.  unten  39. 

2)  Nauck,  Eurip.  Studien,  Petersburg.  Akad.  Abh.  1859,  85,  streicht  990/91 
und  997/98  ([af]— e5),  weil  dieser  Betrug  gegen  den  Vater  das  Prädikat  cS 
nicht  verdiene.  Doch  wird  ja  gerade  die  Täuschung  als  das  Heroische  dar- 
gestellt; und  wann  scheuen  sich  griechische  Helden  je,  ihr  Selbstlob  unver- 
hohlen auszusprechen? 


38  Johanna  Schmitt 

„technischen"  Vorbild,  ist  ein  großer  Teil  der  Argumentation 
übernommen,  vor  allem  die  durchgehend  negative  Form  der 
Beweisführung  (999  —  1012).  Gleich  das  erste  Argument  war 
—  nur  nicht  so  scharf  formuliert  —  schon  in  der  Makariarede 
verwendet,  der  Gegensatz:  wie  kann  ich  feig  die  Stadt  ver- 
lassen, während  andre  für  sie  ihr  Leben  einsetzen  (vgl.  Herakl. 
503 ff.),  hier  noch  mit  dem  Zusatz:  „ohne  durchs  Los  dazu  be- 
stimmt zu  sein  wie  ich".  Mit  diesem  letzten  Zug  nimmt  Eur. 
ein  Motiv  der  Praxithearede  auf  (22 ff.):  hier  wie  dort  wird 
auf  die  hingewiesen,  welche  ohne  besondern  Anlaß  fallen,  beide 
Male  mit  der  gleichen  Nutzanwendung.  Wie  Makaria  geht 
darnach  Menoikeus  zur  Zukunft  über:  Wenn  ich  fliehe,  werde 
ich  überall  als  Feigling  gelten  kqkos  ^a\Y\ao\ia\  (1005),  vgl.  Herakl. 
515ff.,  auch  Hek.  (348):  KOKr]  ())avoüpai  Kai  <j)iXöijJuxos  y'Jvn  ')•  Dies 
ist  zugleich  für  den  ehrliebenden  Jüngling  das  stärkste  Argu- 
ment, und  mit  einem  feierlichen  Schwur  gibt  er  seinen  Ent- 
schluß zum  Tode  nochmals  kund.  Auch  über  die  Art  der  Aus- 
führung ist  er  sich  schon  ganz  klar:  fest  sieht  er  dem  Tod 
ins  Auge  im  Bewußtsein  seiner  Heldentat  (1013):  crreixw  8e, 
ö'avdTOU  ßüpov  oÜK  aiaxpöv  vröXei  5uauv.  Leise  erinnert  das  an 
die  Worte  der  Periklesrede  bei  Thukyd.  U  43:  KdAAiffTov  epavov 
aÖTrj  (sc.  Tfj  TTÖXei)  TTpoiepevoi.  —  Ein  großer  Teil  der  Wirkung 
dieser  Rede  beruht  auf  der  gedrängten  Kürze,  mit  der  sich 
die  ganze  Episode  abspielt.  Sehr  geschickt  wird  dieser  Ein- 
druck hervorgerufen  durch  die  dreimal  wiederkehrende  Ver- 
sicherung des  Menoikeus,  daß  er  eben  im  Begriff  sei  zu  gehen, 
und  zwar  die  beiden  ersten  Male  in  wirkungsvoller  Antithese, 
(989) :  .  .  .  eJ\u  Kai  aticiü^  ßiov  ^)  —  (997) :  .  .  .  eTjn  ko)  ffwau  ttöXiv  ^), 
was  dann  nochmals  im  Eingang  des  Epilogs  aufgenommen 
wird,  in  dem  oben  zitierten  Vers  1013.  Auch  das  schroffe 
eVpriTai  ^öyos  am  Ende  der  refutatio  trägt  zur  Charakterisierung 
dieser  Gedrängtheit  in  der  ganzen  Rede  bei*). 

1)  Über  den  hier  immer  tadelnden  Sinn  von  (i)tAöiljuxos  s.  Bürzel,  Arch.  f. 
Eel.  Wiss.  XI  98,  2.  ^)  Daher  scheint  mir  auch  die  Äthetese  dieses 

Verses  bei  Murray  nach  Verralls  Vorgang  unerlaubt. 

^)  Diese  Stelle,  die  unter  die  Rubrik  der  iterata  fällt,  wo  eine  Person 
auf  ihre  eigenen  Worte  zurückkommt,  fehlt  bei  Schröder  De  iteratis  a;pud 
tragicos.    Diss.  Argentorat.  VI  122  ff. 

*)  Derselbe  Ausdruck  Orest  1203  und  Aisch.,  Eum.  710. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  39 

Die  adhortatio  am  Schluß  (1015 ff.),  die  auf  das  Vorbildliche 
der  Tat  hinweist,  nimmt,  wenn  auch  nicht  wörtlich,  so  doch 
inhaltlich  durchaus  die  Schlußworte  der  Praxithea  (53 ff.)  auf; 
doch  verrät  sich  hier  die  Nachahmung.  Diese  Betonung  des 
Vorbildlichen  paßt  viel  besser  zu  den  dogmatischen  Ausführungen 
der  Praxithea  als  hierher.  Auch  hat  der  Dichter  diesmal  einen 
Vers  mehr  zur  Ausführung  gebraucht,  ohne  doch  damit  eine 
stärkere  Wirkung  zu  erzielen.  Denselben  rhetorischen  töttos 
finden  wir  bei  Lysias  25,  15:  eyu  Y^tp  toioötov  ejiauTÖv  ev  rals 
Tfjs  TTÖXews  (Tup(})opaTs  vrapea/ov,  üar',  ei  TrdvTCs  Tfjv  aurriv  yvcifinv  'e'axov 
€poi,  \ir{be\/'  äv  ü|iüv  iinS^lJ^'?  xPHCfOfo^^cii  auji<j)opä. 

e.  Iphigeuie.  Wie  wir  oben  (S.22ff.)  sahen,  ist  der  Haupt- 
zw^eck  des  Eur.  in  der  Rede  der  Iphigenie,  einen  patriotischen 
TTpoTpcTTTiKÖs  ZU  geben,  wobei  das  Persönliche  naturgemäß  zurück- 
treten muß.  Eine  Sonderstellung  nimmt  die  Rede  dadurch  ein, 
daß  sie  das  trochaeische  Versmaß ')  der  erregten  vorangehenden 
Szene  beibehält,  das  ja  auch  zu  der  gehobenen,  fast  ekstatischen 
Stimmung  der  Iphigenie  gut  paßt.  In  Stimmung  und  Bau  ist 
daher  diese  Rede  der  der  Praxithea  am  ähnlichsten:  in  beiden 
derselbe,  feierlich  gehobene  Opfermut  und  deshalb  die  vor- 
wiegend positive  Argumentation;  in  beiden  herrscht  das  parae- 
netische  Moment,  wenn  auch  hier  nicht  in  ganz  so  dogma- 
tischer Ausführung  wie  im  Erechth.  Wie  in  Hek.  und  Phoen. 
ist  die  unmittelbare  Verknüpfung  der  Rede  mit  der  Situation 
beibehalten,  doch  nirgends  ist  sie  so  lebendig  wie  hier:  Iphi- 
genie fällt  Achilleus  ins  Wort;  mitten  im  Vers  beginnt  ihre 
Rede.  Die  Situation  hat  darin  mit  der  der  Menoikeusszene 
Ähnlichkeit,  daß  auch  Iphigenie  zweierlei  zurückweisen  muß: 
1.  soll  nicht  das  ganze  Heer  ihretwegen  von  großen  Helden- 
taten abgehalten  werden,  2.  hat  auch  sie  das  persönliche  Opfer 
eines  andern  abzulehnen.  Daß  das  Zurückweisen  Achills  in 
der  Rede  nicht  genügt,  sondern  das  Motiv  im  folgenden  Dialog 
nochmals  aufgenommen  wird,  entspricht  seiner  großen  dra- 
matischen Bedeutung  in  dieser  Tragoedie.  Etwas  erinnert  dies 
wieder  an  die  Rede  der  Megara  im  Her. ;  auch  sie  beginnt  da- 
mit, dem  Chor  für  seine  gute  Gesinnung  zu  danken,  aber  seine 

*)  Über  den  häufigen  Gebrauch  der  Trochaeen  in  den  späteren  Stücken 
des  Eur.  Wilamowitz  Her.  I  145. 


40  Johanna  Schmitt 

Hilfsbereitschaft  lehnt  sie  mit  demselben  Argument  ab  wie 
Iphigenie  (Iph.  1370):  rä  5*  d5üvay  njiTv  KaprepeTv  ou  pa5iov,  vgl. 
Her.  (282) :  tu  5'  dvayKaicü  TpÖTTu  os  avTireivei,  am\bw  nyoüiiai  ßpOTÜv 
(vgl.  auch  Iph.  1395ff.;  Her.  309ff.).  Das  ähnliche  Motiv  hat 
hier  also  wiederum  zu  —  vielleicht  unbewußter  —  ÄhnHchkeit 
der  Ausgestaltung  geführt. 

Die  kurze  prothesis  ist  1375  gegeben').  Daran  schheßt 
sich  die  probatio,  die  zunächst  rein  positive  Argumente  bringt. 
Zuerst  das  agonale  Motiv:  ganz  Hellas  blickt  auf  mich  (1377). 
Es  ist  charakteristisch,  daß  dieser  töttos  auch  wieder  in  der 
Archidamosrede  vorkommt:  f\  yap  'EXKäs  Träaa  TrjSeTfi  öpiirj  eTrrjpKTai 
Km  TTposexei  thv  yvuiinv  (Thuk.  II,  11),  in  beiden  Fällen  also  das 
Bild  des  Wettkämpfers,  auf  den  sich  aller  Augen  richten.  Das 
nächste  Argument  eröffnet  den  Ausblick  auf  die  Zukunft,  in 
der  ihre  Heldentat  Früchte  tragen  wird:  kein  Barbar  wird  es 
mehr  wagen,  eine  griechische  Frau  zu  rauben.  Mit  einem  ähn- 
hchen  Ausblick  schloß,  wie  wir  sahen,  die  probatio  der  Praxi- 
thearede  (46 ff.).  Auch  der  folgende  Punkt:  mein  Leben  ge- 
hört als  Koivöv  ganz  Hellas;  ich  selbst  habe  keinen  Anspruch 
darauf  (1385 ff.),  klingt  stark  an  38  dieser  Rede  an:  rfiv  ouk  ejinv 
oöv  TvXnv  <f)üaei  Sucru  KÖpqv.  Andrerseits  besteht  auch  etwas 
Ähnlichkeit  mit  996  der  Menoikeusrede,  wo  aber  die  Prägung 
individueller  ist  (s.  oben  37). 

Der  erste  Punkt  der  nun  folgenden  refutatio,  die  Antithese 
der  TToXXoi,  deren  Schicksal  von  der  einen  abhängt  (1387—97), 
ist  auch  schon  in  der  Praxithearede  vorgebildet.  Doch  während 
dort  vom  „Tod"  der  vielen  die  Rede  war,  der  durch  das  Opfer 
der  einen  Jungfrau  abgewendet  werden  kann  (18),  wird  hier 
das  Motiv  positiv  gewendet  und  dadurch  gesteigert,  daß  von 
den  „Heldentaten"  des  Heeres  gesprochen  wird,  die  erst  durch 
Iphigeniens  Opfertod  ermöglicht  werden.  Von  diesen  vielen, 
deren  Los  in  ihrer  Hand  Hegt,  kehrt  sie  wieder  zu  dem  einen, 
zu  Achill,  zurück,  dessen  Leben  nicht  um  eines  Weibes  willen 
aufs  Spiel  gesetzt  werden  dürfe').     Das   letzte  Argument   ist 

M  Wie  im  Erechth.  hat  sich  Ennius  auch  in  seiner  Iph.  im  Motiv  des 
freiwilligen  Opfertods  an  Eur.  angeschlossen.  Frg.  13  V.  entspricht  etwa  Iph. 
Aul.  1375  und  1503.  Zu  verbinden  ist  wohl  damit  das  Cicerozitat  Tusc.  I  48, 
116,  s.  Ribbeck,  Rom.  Trag.  103.  ^)  Zu  1394  s.  Aisch.,  Hik.  476  f. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  .        41 

wie  immer  das  stärkste,  auch  hierin  eng  mit  der  Praxithearede 
verwandt,  daß  es  wie  dort  ein  reHgiöses  ist:  ich  darf  mich 
nicht  dem  Willen  der  Göttin,  die  mein  Leben  fordert,  wider- 
setzen (1395).  Der  em'XoYOS  enthält  wieder  die  feierliche  ad- 
hortatio  zum  Sieg  wie  in  der  Makaria-  und  der  Praxithearede 
(1398 — 1401).  Am  Schluß  der  Rede  kommt  die  auch  schon 
vorher  (s.  oben  22 f.)  angeschlagene  panhellenische  Tendenz 
des  Eur.  mit  aller  Stärke  zum  Ausdruck:  es  wird  gefordert, 
daß  die  Barbaren  den  Hellenen  immer  unterworfen  sein  müssen 
(1400):  ßapßdpcüv  "EXXr|vas  äpxeiv  eiKÖs,  dXX'  oü  ßapßdpous,  PHTep, 
'EXXnvtüv  TÖ  [lev  Y«P  ßoöXov,  oV  5'  eXeuö'epoi.  Dieser  töttos  hat  starke 
Berührungspunkte  mit  der  Rhetorik  und  zwar  wieder  mit  einem 
eTnTd(j)ios.  Gorgias  soll  in  seinem  'ÜXuiittikös  wie  in  seinem  eTri- 
Td(|)ios  die  Hellenen  zum  Krieg  gegen  die  Perser  aufgerufen 
haben  (Philostrat.,  vit.  Soph.  I,  9).  Goßmann ')  vermutet,  daß 
Eur.  bei  seinem  e7nTd(j>ios  auf  die  gefallenen  Sieben  in  den  Hik. 
vom  Gorgianischen  eTriTd<|)ios  beeinflußt  sei.  Wir  haben  hier 
tatsächlich  den  Beweis,  daß  Eur.  Gedanken  aus  Gorgias  — 
die  natürlich  in  der  Zeit  lagen,  hier  aber  ihre  scharfe  Prägung 
erhielten  —  übernommen  hat.  In  breiter  Ausführung  kehren 
dann  diese  Ideen  im  Panegyrikus  des  Isokrates  wieder. 

Die  Worte,  mit  denen  der  Chor  jedesmal  auf  die  großen 
Entscheidungsreden  antwortet,  sind  wieder  ganz  stereotyp;  sie 
enthalten  immer  einen  Ausdruck  der  Bewunderung^),  Herakl. 
537 :  TOüTwv  ti's  äv  Xe^eie  Yevvaious  Xöyous  jiäXXov,  Hek.  379 :  5eivös 
XapaKTfjp  KdTriariiios  ev  ßpoToTs  ecjö^Xüv  yevea^ai,  KaTti  jiel^ov  epxerai 
Tfjs  eöyevelas  övoiia  ToTaiv  d^^iois,  Iph.  Aul.  1402:  tö  |jev  aöv,  w 
veävi,  Yevvaiws  ex^i. 

IV.  Das  retardierende  Moment. 

In  allen  Devotionsszenen  macht  die  Person,  welche  dem 
geforderten  Opfer  am  nächsten  steht,  den  Versuch,  die  Opfe- 
rung zu  hintertreiben,  und  sehr  oft  kehrt  dabei  das  Motiv 
wieder,  daß  sie  sich  stellvertretend  zum  Tod  anbietet.     Dieses 

')  Quaest.  ad  Graec.  orationum  funehr.  fomiant  pertinentes.  Diss. 
Jena  1908,  46. 

*)  Dieselben  Verse  stellt  Firnhaber,  Verdächtigungen  eurip.  Verse  25, 
zusammen,  um  die  Echtheit  inhaltlich  gleicher  Verse  zu  beweisen. 


42  Johanna  Schmitt 

„retardierende  Moment"  bringt  die  eigentliche  dramatische 
Bewegung  in  diese  Szenen:  durch  den  Hemmungsversuch  wird 
der  Opfermut  erst  recht  bestärkt. 

In  den  Herakl.  fällt  diese  Rolle  dem  lolaos  zu.  Die  Re- 
tardation  ist  hier  sogar  —  entsprechend  den  etwas  aufdring- 
lichen Effektmitteln  dieser  Szene  —  verdoppelt.  Gleich  nach 
Verkündigung  des  Orakels,  also  schon  vor  Makarias  Auftreten, 
bietet  sich  lolaos  zur  Auslieferung  an  Eurystheus  an,  um  da- 
durch die  Sicherheit  der  Herakleskinder  zu  erkaufen  (451  ff.). 
An  ihm,  dem  alten  Freund  des  Herakles,  werde  Eurystheus 
sicher  gern  seine  Rache  auslassen.  In  ganz  ähnlicher  Weise 
begründet  Hekabe  ihr  Anerbieten  an  Odysseus,  die  Griechen 
möchten  sie  an  Stelle  ihrer  unschuldigen  Tochter  als  Toten- 
opfer schlachten  (382 ff.).  Als  Mutter  des  Paris  sei  sie  die  Ur- 
sache des  ganzen  Krieges  und  verdiene  den  Tod  daher  weit 
eher  als  Polyxena^).  In  der  Hek.  erhält  das  Motiv  dadurch 
weit  größere  Wirksamkeit  als  in  den  Herakl.,  daß  Hekabe  in 
Anwesenheit  der  Tochter  und  erst  nach  deren  großer  Opferrede 
mit  ihrem  Rettungsversuch  hervortritt  (382  ff.),  so  daß  hier 
Mutter  und  Tochter  in  Todesbereitschaft  wetteifern. 

An  derselben  Stelle  wie  in  der  Hek.  —  nach  der  ent- 
scheidenden Rede  —  ist  in  den  Herakl.  das  zweite  retardierende 
Moment  eingefügt  (543  ff.).  lolaos  kann  und  will  das  Opfer 
nicht  mehr  hindern,  aber  er  schlägt  vor,  um  der  Gerechtigkeit 
willen  das  Los  unter  allen  Heraklestöchtern  entscheiden  zu 
lassen.  Um  so  mehr  wirkt  dann  die  erneute  Erklärung  Ma- 
karias, sie  sterbe  nur  freiwillig,  nicht  gezwungen.  Denn  wenn 
das  Los  sie  treffe,  sei  keine  xop'S  mehr  bei  ihrem  Sterben^) 
(547 f.).  Denselben  Vorschlag  des  Losens  macht  Klytaemestra 
in  ihrer  Verteidigungsrede  für  Iphigenie  (Iph.  Aul.  1197ff.). 
Das  ganze  Gegenspiel  der  Klytaemestra  hat  natürlich  eine  weit 
größere  dramatische  Bedeutung  als  die  Hinderungsversuche  in 
den  kurzen  Opfer- „Szenen".  In  der  Iph.  stehen  von  Anfang 
an  die  zwei  feindlichen  Parteien  einander   gegenüber.     Dabei 

*)  Eur.  läßt  Hekabe  also  hier  genau  dasselbe  Argument  für  ihre  Schuld 
gebrauchen,  das  ihr  in  den  Troad.  von  Helena  in  dem  berühmten  dycöv  (919ff.) 
entgegengehalten  wird.  2)  In  ganz  ähnlichem  Zusammenhang  gebraucht 

Praxithea  das  Wort  xöpis  im  prooemium  ihrer  Rede  Iff. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  43 

ist  mit  großer  Kunst  vermieden,  daß  die  Partei,  welche  das 
Opfer  fordert  (das  ganze  Heer,  an  seiner  Spitze  Kalchas  und 
Odysseus),  überhaupt  auf  die  Bühne  kommt'),  doch  greift  sie 
deshalb  nicht  weniger  wirksam  in  die  Handlung  ein.  Ein  neuer, 
vielleicht  aber  durch  Erechth.  und  Phrixos  ^  vorgebildeter  Zug 
ist  die  Gestalt  des  schwankenden  Agamemnon.  Ein  stellver- 
tretendes Opfer  wird  hier  von  niemand  angeboten;  an  Stelle 
dessen  treten  die  Rettungsversuche  Achills. 

Nirgends  wu-ken  retardierendes  Moment  und  Gegenaktion 
des  Helden  so  schroff  gegeneinander  wie  in  den  Phoen.  Das 
Anerbieten  des  stellvertretenden  Opfers  ist  hier  nur  ein  kleiner 
Zug  in  dem  energischen  Gegenspiel  des  Kreon,  der  das  Orakel 
ganz  zu  unterdrücken  und  den  Sohn  zu  retten  versucht.  In 
seiner  Vaterliebe  verzichtet  er  auf  den  Ruhm,  sein  Kind  fürs 
Vaterland  hingegeben  zu  haben,  dagegen  ist  er  selbst  zum  Tod 
bereit  (968):  auTÖs  S*,  ev  upaiu  yctp  ecrra^ev  ßi'ou,  9-vtiaKeiv  eroiiios 
irarpiSos  EKAurripiov.  Doch  verweilt  er  nicht  hierbei  und  trifft 
alle  Vorbereitungen  zur  Flucht.  Wieder  ist  die  Kürze,  mit 
der  das  Motiv  abgetan  wird,  bezeichnend  für  den  ganzen  Cha- 
rakter der  Menoikeusepisode.  Es  ist  hier  wirklich  nur  eine 
unpassende  Wiederholung  aus  den  Herakl.  Denn  da  Kreon  kein 
rjö-eos  (945)*)  mehr  ist,  kann  sein  Opfer  nichts  nützen.  Doch 
wird  dieser  Widerspruch  durch  die  Aufregung  etwas  ent- 
schuldigt, in  der  er  vorgebracht  wird,  so  daß  Kreon  selbst  und 
auch  der  Zuschauer  gar  keine  Zeit  haben,  sich  die  Unmöglichkeit 
des  Angebots  klar  zu  machen.  Wie  in  den  Herakl.  wird  auch 
hier  das  stellvertretende  Opfer  vor  der  Entscheidungsrede  an- 
geboten. 

In  ganz  ähnlicher  Weise  hat  Eur.  dieses  Motiv  in  der  Iph. 
Taur.  verwendet.  Auch  hier  erbietet  sich  der  treueste  Freund 
—  Pylades  dem  Orest  —  den  Tod  mit  zu  erleiden  (674ff.)  und 
wird  wie  in  den  Devotionsszenen  von  Orest  zurückgewiesen, 
der  dem  Ende  trotzig  ins  Auge  sieht. 


^)  Mit  Ausnahme  des  Menelaos,  der  aber  auch  seine  Stellung  ändert. 
^)  Über   das   retardierende   Moment   in   diesen   Tragoedien    vgl.   unten 
65f.;  69.  3)  3    Robert  a.  a.  0.  418. 


44  Johanna  Schmitt 

V.  Die  Abschiedsszenen. 

Älmliche  Motivwiederholungen  wie  bisher  lassen  sich  auch  * 
in  den  drei  Abschiedsszenen  beobachten,  in  welche  in  Herakl., 
Hek.  und  Iph.  Aul.  die  Devotionsszenen  ausgehen.  Aber  trotz- 
dem gerade  hier  naturgemäß  die  konventionellen  und  auch 
schon  vor  Eur.  angewandten  Züge  häufiger  sind  ^),  zeigt  doch 
wieder  jede  ihr  eigenes  Ethos. 

Eine  Sonderstellung  nimmt  der  Abschied  Makarias  ein. 
Nur  hier  hält  die  Heldin  vor  ihrem  Abgang  eine  längere  Rede^), 
in  den  beiden  andern  Abschiedsszenen  tritt,  was  auch  natür- 
licher ist,  die  Stichomythie  ein,  wenn  es  an  das  letzte  Abschied- 
nehmen geht^).  Eur.,  der  die  Sittsamkeit  der  Makaria  stark 
betont,  läßt  sie  diese  Haltung  auch  noch  im  Tod  bewahren. 
Sie  bittet  lolaos,  ihr  beizustehen  und  sie  in  seinen  Armen 
sterben  zu  lassen,  und  als  der  ganz  gebrochene  Greis  ihr  dies 
abschlagen  muß,  will  sie  wenigstens  unter  Frauenhänden  ihr 
Leben  aushauchen*)  (565 f.).  Ebenso  dient  zur  Hervorhebung 
dieses  Gharakterzugs  die  Bitte  an  lolaos,  ihre  Leiche  zu  ver- 
hüllen (561).  Gesteigert  ist  das  in  der  Hek.,  wo  Polyxena  sich 
beim  Fallen  selbst  bedeckt^)  (569 f.).  Der  Dichter  hat  an  diesen 
beiden  Stellen  also  die  allgemein  griechische  Anschauung,  daß 
die  Sonne  den  Tod  nicht  sehen  soll,  zu  einer  individuellen 
Gharakterzeichnung  benutzt^).    Die  Bitte  der  Makaria  an  lolaos, 

1)  Howald  a.  a.  0.  42  ff.     Mader  a.  a.  0.  27. 

^)  Die  Menoikeusszene  scheidet  hier  aus,  da  Eur.,  um  jede  weichmütige 
Stimmung  zu  vermeiden,  den  Menoikeus  nicht  eigentlich  Abschied  nehmen 
läßt:  Es  ist  hier  alles  auf  die  Tat,  nicht  auf  die  Stimmung,  angelegt. 

^)  Groß,  die  Stichomythie,  Diss.  Berlin  1905,  74.  Auch  die  Sterbeszene 
des  Hippolytos  geht  in  eine  Stichom.  aus.  tJber  die  Abschiedsszene  der  Al- 
kestis,  die  viel  Verwandtschaft  mit  den  oben  besprochenen  hat,  vgl.  unten  73  f , 

*)  Genau  denselben  Zug  mit  derselben  Wirkung  finden  wir  in  Schillers 
Maria  Stuart  V  9,  wo  Maria  darum  bittet,  in  den  Armen  ihrer  treuen  Amme 
verscheiden  zu  dürfen.  Vgl.  bes.:  , Nimmermehr  Kann  es  der  Wille  meiner 
Schwester  sein,  Daß  mein  Geschlecht  in  mir  beleidigt  werde,  Der  Männer 
rohe  Hände  mich  berühren." 

^)  Kiefer,  Körperlicher  Schmerz  u.  Tod  auf  d.  att.  Bühne,  Diss.  Heidel- 
berg 1909,  58.  —  Eine  Parallele  zu  Polyxena  ist  der  sterbende  Krieger  bei 
Tyrtaios  10,  23ff.,  s.  Blümner,  N.  Jahrb.  1917,  509. 

®)  Auch  Hippolytos'  letzte  Worte  sind  die  Bitte,  sein  Antlitz   zu  ver- 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  45 

die  Brüder  zu  erziehen  (575):  eis  tö  ttöv  oo(j)ous  üairep  oü,  \Lr\bk\ 
^läXXov  ist  in  dieser  Form  wohl  sicher  von  Aias  550  abhängig: 
u  TraT,  Y^voio  Trarpös  euTüxearepos,  xä  6'  oKX  öjioios,  Kai  y^voi*  äv  ou 
KttKÖs.  (vgl.  öpoios  ~  üoTrep  oü).  Dann  ermahnt  sie  ihn,  seiner 
Verzweiflung  jetzt  nicht  nachzugeben,  sondern  tatkräftig  die 
Herakleskinder  zu  retten  (577) :  ireipw  8e  awffai  \ii]  ^aveTv  Trpö^uiios 
UV  aoi  TtaTSes  eapev,  aaTv  x^poTv  Te^päppe^a.  öpäs  5e  Kotpe  Tfjv  epqv 
üpav  y&^ov  5i5oöcTav.  Es  ist  an  diesen  Versen  viel  herumkonji- 
ziert  worden.  Kirchhoff,  dem  Nauck  folgt,  hat  577  pn  in  Kai 
(=  Kamep)  geändert.  Zuletzt  hat  Neubauer')  das  überheferte 
pn  beibehalten,  für  Kdpe  aber  5r|pe  gesetzt  (579):  du  siehst,  daß 
„bereits"  ich  ...  Er  begründet  diese  Konjektur  mit  der  Behaup- 
tung, Kctpe  sei  unpassend,  weil  lolaos  ja  garnicht  sich  „auch" 
opfern  wolle.  Doch  kann  m.  E.  die  Überlieferung  gehalten 
werden,  wenn  wir  den  —  allerdings  etwas  verkürzt  ausge- 
drückten —  Gedankengang  folgendermaßen  verstehen:  Versuche 
sie  zu  retten  und  wolle  jetzt  nicht  sterben.  (Dein  Opfer  muß 
sein,  trotz  deines  Alters  und  deiner  Verzweiflung  weiterzuleben.) 
„Auch"  ich  bringe  ja,  wie  du  siehst,  ein  Opfer:  ich  sterbe  frei- 
willig trotz  meiner  Jugend. 

Dann  wendet  sie  sich  an  die  Brüder  und  macht  ihnen 
die  Größe  des  Opfers  klar,  das  sie  für  sie  bringt  '^).  Die  fol- 
gende Mahnung,  lolaos  und  Alkmene  immer  zu  ehren,  ist  eine 
poetische  Anwendung  jenes  bekannten  griechischen  Gesetzes, 
das  es  den  Kindern  zur  höchsten  Pflicht  macht,  für  die  Eltern 
zu  sorgen '').  Für  die  Schwestern  drinnen  im  Tempel  hat  Ma- 
karia  kein  Wort  des  Abschieds.  Offenbar  hat  Eur.  diese  He- 
raklestöchter nur  aus  der  Tradition  übernommen  —  vielleicht 
aus  Aischylos'  Herakliden  —  und  sie  im  Verlauf  des  Dramas 
vergessen  wie  Sophokles  die  homerische  Iphianassa  in  der 
Elektra.    Makarias  letzter  Wunsch  ist  ein  ehrenvolles  Begräbnis 


hüllen  (1458).  —  Troad.  627  ist  eine  Wiederaufnahme  des  Polyxena-Motivs 
aus  der  Hek.,  doch  verhüllt  hier  Andromache  die  tote  Polyxena,  s.  auch  Aias 
915.     Über  die  religiöse  Seite  des  Motivs  Kiefer  a.  a.  0.  lOö. 

*)  De  interpolatione  Heraclid.  fab.  Euripid.  Progr.  Nordhausen 
1902,  11  ff.  -)  Ganz  ähnlich  mahnt  Andromache  den  kleinen  Sohn  (414): 

fjv  5'  ün€K5pd|ii;is  [löpov,  jx^iJivnoo  jinipös,  ola  lAäo'  änajÄö^tiv. 

3)  Lipsius,  Att.  Recht  II  343  ff. 


46  Johanna  Schmitt 

(588ff.),  das  zum  Heldentod  gehört').  Besonders  deutlich  mochte 
das  Eur.  in  den  Kriegsjahren  geworden  sein  durch  die  großen 
staathchen  Epitaphien.  Auch  dieser  Zug,  die  Sorge  um  eine 
regelrechte  Bestattung,  wurzelt  ja  tief  im  griechischen  Emp- 
finden; er  hat  Stoff  zu  ganzen  Dramen  (Antig.,  Hik.)  geliefert, 
und  auch  sonst  wird  nie  versäumt,  die  Bestattung  ausführlich 
zu  behandeln ''). 

Daß  Makaria  trotz  allem  Heroismus  die  verlorene  Ehe  er- 
wähnt, ist  ein  Zug,  der  in  Todesszenen  sehr  häufig,  in  den 
Abschiedsreden  der  Jungfrauen  in  allen  Devotionsszenen 
stehend  ist,  Herakl.  579:  öpäs  8e  Kdjie  Trjv  ejifiv  üpav  yocpou  6i5oö- 
(rav  ävii  Tüv5e  KaT&avoupevnv.  59 1 :  Td5'  dvTi  7rai5ü)v  eaii  jioi  KeijinXia 
Km  TTapö'eveias  ^).  Hek.  416:  avüii(j)os  ävuiievaios,  uv  |i' expnv  TuxeTv 
Iph.  Aul.  1398:  taÜTa  yap  jivimeTd  \ioü  8iä  iiaKpoü,  Kai  iraTSes  outoi 
KQi  yä\io\  Kai  5öV  epH-  Besonders  lyrisch  ausgestaltet  ist  die 
Klage  um  die  verlorene  Ehe  in  der  Antigone  (810ff.  876.  917ff.). 
Verwandt  mit  diesem  töttos  ist  die  Klage  der  sterbenden 
Alkestis  um  die  verlorene  fjßti  (288) :  ou5'  e<|)eiffdiiriv,  nßns  exouaa 
6üp'  ev  oTs  eiepTröjinv.  Die  pessimistische  Schlußsentenz  der 
Makaria,  die  sich  auch  keinen  Jenseitshoffnungen  hingibt  *)  und 
im  Tod  allein  das  KaKÜv  (leyiaTov  (j)dp|iaKov  (595 f.)  sieht,  finden 
wir  ähnUch  wieder  in  Aischylos'  Hik.  (802):  tö  yap  ^aveTv  eXeu- 
^epoürai  (j)iAaidKTcov  koküv^).  Es  ist  wohl  möglich,  daß  Eur.  den 
TÖTTOS  von  hier  übernommen  hat,  zumal  wir  schon  manche 
Beziehungen  zu  diesem  Drama  des  Aischylos  feststellen  konnten. 
Den  Schluß  der  Abschiedsszene  bildet  eine  Rede  des  lolaos,  in 

^)  Schon  die  Ausführlichkeit,  mit  der  die  Bestattung  hier  behandelt  ist, 
konnte  die  Paroemiographen  zu  ihrer  Erklärung  des  Sprichworts  ßdAA'  Is 
MaKapiav  veranlassen,  s.  unten  84  ff. 

^)  Die  Frage  des  Begräbnisses  hat  auch  im  &pfivos  eine  große  Rolle  ge- 
spielt, Kiefer  a.  a.  0.  47. 

^)  Eine  fast  ganze  gleiche  Fassung  hat  der  tötios  im  Orest,  in  der  Ab- 
schiedsszene der  Geschwister  (1049):  5i  aiepv'  ä5eA({)fjs,  öi  (()iAov  npöcTTTuyii*  tjiöv 
Td5'  dvTi  itaiScov  Kai  YOtlinAiou  Ädxous. 

*)  Pirnhaber  a.  a.  0.  sieht  in  dem  Vers  eV  ti  5t)  Kaiä  xö'ovös  eine  Polemik 
gegen  Aisch.  Hik.  230  u.  416,  wo  vom  Totengericht  im  Hades  die  Rede  ist. 
Aber  das  ist  doch  wohl  zu  gesucht. 

^)  Firnhaber  a.  a.  0.  455,  s.  auch  das  ähnliche  Frg.  des  aischyleischen 
Philoktet  255N. :  S  frävaie  naidv,  pf]  ji' ÖTtiidaris  [aoAeiv  jiövos  yäp  el  ab  tmv  dvi]- 
Kearcov  KaKÜv  iaipög,  dAyos  5'  oü5ev  ÖTiTeTai  veKpoö. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  47 

der  erMakaria  versichert,  daß  sie  stets  TinitüTäin  sein  werde  (598 ff.). 
Hierin  eine  Anspielung  auf  den  „Kult  der  Makaria"  zu  sehen, 
die  Pfister')  in  598ff.  und  588ff.  finden  will,  ist  mir  unmöglich. 
Hätte  Eur.  wirklich  hier  das  aVtiov  eines  Makariakultes  —  den 
es  in  Wirklichkeit  nie  gab  (s.  unten  85)  —  darstellen  wollen,  so 
hätten  die  Bestimmungen  viel  konkreter  sein  müssen.  Das 
können  wir  aus  der  Ausführlichkeit,  mit  der  solche  aiTia  immer 
behandelt  werden,  mit  Sicherheit  schließen.  Nie  fehlt  hier 
Angabe  des  Lokals  des  Kultes  und  der  Art  der  Verehrung"). 

Die  Abschiedsszenen  der  Polyxena  und  Iphigenie  sind  so 
ähnlich,  daß  sie  sich  in  der  Behandlung  nicht  trennen  lassen. 
In  beiden  bildet  eine  Stichomythie  zwischen  Mutter  und  Tochter 
den  eigenthchen  Abschied.  In  der  Hekabe  geht  voraus  eine 
längere  Rede  der  Polyxena  (402 ff.),  dann  folgt  die  Stichomythie, 
die  wiederum  mit  einigen  zusammenhängenden  Versen  Polyxenas 
endet.  Den  Schluß  der  ganzen  Szene  bildet  eine  Rede  der 
Hekabe  (438ff.)  entsprechend  der  des  lolaos  in  den  Herakl. 
(597  ff.).  Das  Motiv,  welches  die  Abschiedsrede  der  Polyxena 
einleitet,  finden  wir  in  der  Iph.  am  Schluß  der  Abschieds- 
stichomythie:  die  Heldin  sucht  die  verzweifelte  Mutter  zu  be- 
ruhigen (Hek.  402 :  iinrep,  m^oü  poi,  Iph.  1461:  e|ioi,  pHTep,  tti^oü). 
Die  Situation  ist  in  der  Iph.  Aul.  umgekehrt  wie  in  den 
Herakl.:  dort  bittet  Makaria  den  lolaos,  sie  zum  Altar  zu  ge- 
leiten, und  er  findet  nicht  die  Kraft  dazu.  Hier  wiU  die  ver- 
zweifelte Klytaemestra  ihr  Kind  selbst  zum  Altar  begleiten  und 
muß  mit  Gewalt  zurückgehalten  werden.  Auf  jeden  Fall  muß 
also  dafür  gesorgt  werden,  daß  das  feierliche  Opfer  selbst  nicht 
gestört  wird. 

Die  Abschiedsstichomythie  der  Hek.  hat  durchaus  lyrischen 
Charakter;  die  todestraurige  Stimmung  ist  von  Anfang  bis  zu 
Ende  festgehalten.  In  der  Stichomythie  der  Iph.  Aul.  wird 
diese  Einheitlichkeit  nicht  mehr  erreicht,  doch  ist  der  äußere 
Bau  in  seiner  strengen  archaistischen  Stilisierung  kunstvoller''). 


^)  ReliquieDkultI(R.G.V.V.  V)  116.  Ebenßowenig  kann  in  den  Mahnungen 
Makarias  an  die  Brüder,  lolaos  u.  Alkmene  immer  zu  ehren  (5848.),  eine  An- 
spielung auf  deren  Kult  liegen.     Sie  wäre  viel  zu  unbestimmt. 

"-)  Z.  B.  Medea  1379ff.  Hippol.  1423ff.  Her.  1325ff.  Herakl.  1030 ff.  usw. 

»)  Groß  a.  a.  0.  57. 


48  Johanna  Schmitt 

Der  eigentliche  Abschied  der  Polyxena  beginnt  mit  dem  Ge- 
danken an  das  Tageslicht,  das  sie  nun  so  bald  verlassen  soll 
(411):  WS  ouTTOT*  au^is,  dXXä  vöv  TravoaraTov  ccKtTva  kukXov  &' nXiou 
TTposöilJopai.  Und  mit  einem  letzten  Gruß  ans  Licht  schheßt 
die  Stichomythie  (435) :  w  <j)ws '  TrposeiTreTv  yap  oöv  övoji'  e.\eafi  iioi, 
lieTcaTi  6'  ou5ev  TrXfiv  oaov  xpövov  ^i(j)ous  ßaivw  \iiTa\v  kqi  Trupäs 
'AxiXXeüJS.  Ein  Abschiedsgruß  ans  Licht  sind  auch  die  letzten 
Worte  Iphigeniens,  doch  mit  bewußter  Amphibolie  heißt  es 
hier  (1506):  XapTvaSoöxos  diiepa  Aiös  re  ^eyyos,  erepov  erepov  aiüva 
KQI  iioTpav  oiKtiaoiiev.  xa^pe  lioi,  (j>iXov  <J)äos ').  Unter  der  erepa  jioTpa 
versteht  Iphigenie  natürlich  das  Totenreich,  der  Hörer  ihr  Los 
nach  der  Errettung  durch  Artemis. 

Die  Anrufung  des  Lichts   beim  Abschied  vom  Leben  ist 
durchaus  konventioneller  Stil  der  Tragoedie:   so  die  sterbende 
Alkestis  (244):  "AXie  Kai  (j)dos  äjiepas.    Besonders  ausgeprägt  ist 
dieser  töttos  bei  Sophokles,   am   weitesten   ausgestaltet   wieder 
in    der  Antig.  (806):    öpär'    €|i*  .  .  .  vearov    5e   (l)eYYOS    XeOaaouoav 
deXiou  und  (878):   ouKeTi  \io\  TÖ5e  Xa|i7rd5os  iepöv  öiijia  ^e|iis  öpdv 
TaXaiva.     Im  Aias  ist  es  ein  wirkliches  Gebet  an  Hehos  (856): 
ae  8',  u  (j)aevvns  niiepas  tö  vüv  aeXas,  Km  töv  5i(|>peuTfiv  "HXiov  TVpos- 
cvveircü,  TravuffTaTOv  ßf)  koüttgt'  aö^is  uarepov.   u  ^eyYOS,  w-  yns  iepöv 
oiKcias  ireSov  k.  t.  X.     Im  Oed.  Colon,  ist  der  Anruf  des  Blinden 
an  das  Licht  besonders  wirksam  (1549):  w  <})üs  a<|>eYY€S,  irpöa^e 
TTOu  TTOT  rja^  €|iöv,  vöv  6'  eaxaröv  aov  toüiiöv  äTTTerai  ßejias.  Ebenso 
ruft   Oedipus   im   Oed.  tyr.  mit   besondrem  Nachdruck  gerade 
das  Licht  an,  bevor  er  sich  der  Augen  beraubt  (1183):  u  (|)ü)S, 
TeXeüTaTöv  ae  TrposßXeiliaiiii  vüv.    Dieser  töttos  ist  die  lyrische  Aus- 
gestaltung der  so  oft  bei  Homer  vorkommenden  Wendung  vom 
Schwinden  der  Sehkraft  z.  B.  E  310:   dii(|)i   8e   baae   KeXaivf]   vb\ 
eKdXui|>ev  ^).     Aufgenommen  hat  Eur.  die   homerische  Wendung 
dort,   wo  er  realistisch   den  Todeskampf   schildert,   Alk.  (385): 
KOI  iifiv  aKoreivöv  öjijia  poi  ßapOverai,   ähnhch  in   der  Sterbeszene 
des  Hippolytos,  zu  der  die  der  Alkestis  überhaupt  die  Vorstufe 

1)  Über  das  typische  xaipe  der  Sterbenden  Kiefer  a.  a.  0.  102.  —  Ganz 
ähnlich  kehrt  der  Abschied  vom  Licht  in  Ricarda  Huchs  so  ganz  antik  emp- 
fundener Iphigenie  wieder.  —  „Sanft  wiederkehrende  Anhänglichkeit  an  Leben 
und  Sonne"  nennt  es  Schiller  in  den  Anmerkungen  zu  seiner  Übersetzung 
der  euripideischen  Iph.  Aul.  ^)  Blümner  a.  a.  0.  505. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  49 

bildet  (1444)'):  aiaT,  kot' öaauv  Kiyxavei  ii' n5n  aKÖTOS.  Ferner  in 
der  Sterbeszene  des  Polyneikes  im  zweiten  Botenbericht  der 
Phoen.  (1453):  Kai  xotipet' •  fjSn  yäp  |je  TrepipdXXei  aKÖTOS.  In  ähn- 
licher Wendung  bringt  diesen  töttos  Sophokles  Trach.  (1143): 
ioü  ioi)  öucrinvos,  o'i'xoiiai  raXas,  oXuX'  öXcoXa,  (j)€YYOS  ouket'  'dem  iioi. 
Einmal  finden  wir  den  letzten  Gruß  ans  Licht  auch  bei  Aischylos, 
beim  Abgang  der  Kassandra,  wo  Helios  zum  Rächer  aufgerufen 
wird.  Ag.  (1323):  'HXiou  6*  eireOxoiiai  Kpös  uaraTov  (j)üs,  toTs  eiioTs 
Tijiaöpois  XP^os  <j)OveD(Ti  toTs  epoTs  rfveiv  öpoö  SoüXrjs  ^avoütriis.  Die 
Abschiedsstichomythie  der  Hek.  behält  bis  zum  Schluß  die 
todestraurige  Stimmung;  aller  Heroismus  ist  hier  aufgegeben; 
umso  heller  strahlt  dann  im  ßotenbericht  wieder  Polyxenas 
Heldenmut  hervor.  Hier  kommt  wieder  mit  aller  Schärfe  die 
gegensätzhche  Stimmung  der  verschiedenen  Dramen  zum  Aus- 
druck. Während  Hekabe  der  Tochter  an  den  Gatten  und  Sohn 
im  Hades  die  verzweifelte  Klage  mitgibt  (423):  ayve^^e  rraaüv 
a^XiuTdTnv  Ejie,  sucht  Iphigenie  der  Mutter  ihre  freudige  Be- 
geisterung dadurch  mitzuteilen,  daß  sie  als  letzten  Gruß  den 
Schwestern  sagen  läßt,  sie  sollten  um  sie  keine  Trauerkleider 
anlegen.  Auch  Polyxena  gedenkt  der  Schwester  beim  Ab- 
schied mit  einem  kurzen  x^Tpe  KaadvSpa  t'  enol  (426)  '^).  Sehr 
wirksam  ist  endlich  die  Erwähnung  des  Polydoros.  Auf  ihn 
verweist  Polyxena  die  verzweifelnde  Mutter  als  den  Trost,  der 
ihr  noch  bleibe,  während  der  Zuschauer  weiß,  daß  auch  er 
schon  verloren  ist''').  Den  Abschluß  der  Stichomythie  in  der 
Hek.  bildet  je  eine  6-zeilige  Rede  der  Polyxena  und  der 
Hekabe*).  Polyxena  wie  Iphigenie  rufen  endlich  selbst  nach 
dem,  der  sie  zur  Opferstätte  geleiten  soll,  Polyxena  nach 
Odysseus  (432),  Iphigenie  nach  den  öiraSol  des  Vaters  (1459); 
ähnlich  auch  Makaria  (528),  aber  schon  am  Schluß  der  Ent- 
scheidungsrede. Wie  lolaos  bricht  auch  Hekabe  nach  dem 
Abgang    der    Jungfrau    im    übergroßen    Schmerz    zusammen. 


»)  Kiefer  a.  a.  0.  102. 

")  Sehr  wirkungsvoll  sind  die  letzten  Grüße  in  der  Abschiedsrede  des 
Aias:  er  bittet  Helios,  seinen  Wagen  über  Salamis  anzuhalten  und  den 
greisen  Eltern  die  traurige  Botschaft  vom  Ende  ihres  Sohnes  zu  melden  846 fi. 

^)  S.  Trautner  a.  a.  0.  40.  *)  Diese  Gleichzahl  ist  sicher  beab- 

sichtigt.    Daher  kann  ich  Naucks  Athetese  von  441  ff.  nicht  billigen. 
Religionsgüsctiichtliche  Versuche  u.  Vorarbeiten  XVil,  2.  4 


50  Johanna  Schmitt 

Aber  während  lolaos'  letzte  Worte  seine  Ergebung  in  den 
Götterwillen  bekunden,  faßt  Hekabe  ihre  letzte  Kraft  zu  einem 
Fluch  auf  Helena,  die  Urheberin  ihres  Unheils,  zusammen. 
Wenn  noch  ein  so  elementarer  Haßausbruch  möglich  ist,  so 
ist  trotz  allen  Unglücks  die  Lebenskraft  noch  nicht  gebrochen. 
Auch  dieser  Zug  wie  der  Hinweis  auf  Polydoros  leitet  zu  der 
furchtbaren  Rache  im  zweiten  Teil  der  Tragoedie  über. 

Die  Abschiedsszene  der  Iphigenie  ist  in  der  Form  am 
nächsten  mit  der  der  Polyxena  verwandt,  in  der  Stimmung 
mit  der  letzten  Rede  Makarias.  An  ihrer  feierlich  verklärten 
Stimmung  möchte  Iphigenie  auch  die  verzweifelte  Mutter  teil- 
nehmen lassen:  Sie  soll  nicht  um  sie  weinen,  auch  keine 
Trauerkleider  anlegen  (1439),  ebensowenig  die  Schwestern 
(1449)*).  An  dieser  Wiederholung  haben  Wecklein,  Weil  und 
England  Anstoß  genommen  und  den  vermeintlichen  Schaden 
durch  Tilgung  von  1439,  Wecklein  durch  Streichen  von  1449—52 
zu  heilen  versucht.  Aber  einerseits  sind  die  Verse  1438/39 
durch  die  Partikeln  jijit'— |ir|T',  andrerseits  1439/49  durch  |iiiT*— iinS* 
so  eng  verzahnt,  daß  jeder  Vers  für  sich  allein  unverständlich 
würde  und  in  der  Luft  schwebte^).  Auch  in  1450:  ei'TTu  8e 
Trapöc  aoö  <j)IXov  eTros  ti  irapö-evois;  haben  Wecklein  und  England 
eine  fälschliche  Wiederholung  von  1448:  tI  6fi  KaaiyviiTaioriv  dy- 
VeXw  ae^ev;  zu  sehen  geglaubt  und  daher  1449ff.  (bezw.  1450 — 53 
nach  Naucks  Zählung)  gestrichen.  Aber  die  Weisung,  keine 
Trauerkleider  anzulegen,  ist  noch  kein  (J)iXov  eiros,  um  das  es 
Klytaemestra  zu  tun  ist.  Also  braucht  man  hi^r  durchaus  keine 
Interpolation  zu  sehen.  Zur  Athetese  von  1450  hat  aber 
hauptsächlich  seine  enge  Verbindung  mit  den  folgenden  Versen 
geführt,  in  denen  Iphigenie  vom  kleinen  Orest  Abschied  nimmt. 
Diese  Kinderrolle  haben  Wecklein  und  England  (vgl.  Anm.  zu 
465)  ganz  getilgt.  Jedoch  ist  die  Einführung  von  Kindern 
gerade  bei  Abschiedsszenen  ein  —  soweit  wir  sehen  können, 
seit   Sophokles*)  —  mit  Vorliebe   gebrauchtes  Mittel  zur  Er- 

VÜber  1440—47  s.  unten. 

2)  Die  Anknüpfung  des  jin8'  1449  an  1437,  die  England  annimmt,  ist 
unmöglich,  weil  die  Verse  inhaltlich  zu  verschieden  sind,  als  daß  der  letzte 
mit  einem  ,auch  nicht"  auf  den  früheren  Bezug  nehmen  könnte. 

')  Abschied  des  Aias  von  Eurysakes,  des  Oedipus  von  den  kleinen 
Töchtern  s.  unten  73,2. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  51 

regung  des  eXeos').  Der  Abschied  von  Orest  an  unsrer  Stelle 
hat  zudem  eine  genaue  Parallele  im  Abschied  Makarias  von  den 
kleinen  Brüdern.  Hier  wie  dort  (Herakl.  574ff.  Iph.  Aul.  1451) 
mahnt  die  Heldin,  die  Knaben  gut  zu  erziehen.  Doch  ist  in 
der  Iph.  das  Motiv  viel  individueller  gestaltet.  Die  Liebe  der 
ältesten  Tochter  zu  dem  kleinen  nachgeborenen  Bruder  hat 
schon  einen  etwas  genrehaften  Zug,  der  —  wie  ja  manches 
in  diesem  Drama  —  stark  auf  die  neue  Komoedie  hinweist''). 
Der  hauptsächlichste  sprachhche  Anstoß  der  Abschiedsszene 
mit  Orest  schien  England  die  fast  wörtliche  Wiederholung  von 
1241  in  der  Bittrede:  d8eA<j)e,  jiiKpös  jiev  cru  y'  emKOupos  (|)iAois,  öiius 
be  auvödKpuffOv,  in  1453:  w  (|)iXTaT',  eTreKoupnffas,  öorov  eTxes  (|»iXois. 
Daß  eine  solche  ausdrückliche  Wiederholung  seiner  eigenen 
Worte  Eur.  nicht  fremd  ist**),  sahen  wir  oben  S.  38. 

Die  Stichomythie  geht  in  eine  Monodie  der  Iphigenie  über, 
die  teils  eine  Art  Siegesgesang  (1475):  äyeTe  (le  TÖtv  'IXi'ou  kqi 
tppuyüv  eXeTTToXiv,  teils  Hymnus  auf  Artemis  ist.  Die  Anrufung 
des  Vaterlands  am  Ende  des  Gesangs  ist  ein  Zug,  den  wir 
häufig  in  den  Abschiedsreden  finden  (1498):  iu  yä  jiärep  w 
rieXaaY'a,  MuKnvaTai  t'  eiiai  ö'epdirvai.  In  einer  lyrischen  Partie 
wie  hier  nimmt  auch  Alkestis  von  der  Heimat  Abschied  (248) : 
yaTd  re  kqi  [leXd^pwv  ariyai  vu|i(j)i5ioi  re  KoTrai  Trarpias  'IuXkoö. 
Häufig  hat  Sophokles  das  Motiv  in  seinen  Abschiedsreden, 
lyrisch  wieder  in  der  Antig.  (937) :  u  yn?  ©nßns  daru  TTarpüov  kqi 
&eoi  TrpoyeveTs,  auch  im  Abschiedsmonolog  des  Aias  (859):  w  yns 
iepöv  oiKeias  7re5ov  ZaXa|jTvos.  Verwandt  damit  ist  auch  der 
Segenswunsch  des  Oedipus  für  Athen,  den  er  vor  seinem  Tod 
ausspricht  (Oed.  Col.  1552):  dXXd,  <j)iXTaTe  ^evuv,  auTÖs  re  x^pa  ^ 


^)  Haym,  De  puerorum  partibus,  Diss.  phil.  Hai.  XIII,  235  ff.  289  ff., 
der  ohne  Eingehen  auf  die  Echtheitsfrage  die  Rolle  Orests  in  seine  Behand- 
lung einbezieht.  —  Vgl.  auch  Oeri  a.  a.  0.  30,  1  gegen  Wecklein,  Zeitschr.  f. 
österr.  Gymn.  1878,  731  (mir  nicht  zugänglich). 

2)  Die  Einführung  des  kleinen  Orest  in  der  Flehszene  ist  natürlich  der 
Gerichtspraxis  entnommen.  Doch  paßt  dieser  Zug  zu  Eur.,  der  ja  in  so 
vielem  „rhetorum  discipulus"  ist,  vortrefflich.  Kiefer  a.  a.  0.  61  vergleicht 
Plat.  Apol.  p.  34eff.  u.  Äristoph.  Vesp.  975ff.  —  Vgl.  auch  Lipsius,  Att. 
Recht  II,  933. 

")  Schröder  a.  a.  0.  71  führt  die  Verse  nicht  an,  hält  sie  also  offenbar 

für  Interpolation.  —  Die  Verbindung  mKpös  ^niKoupos  ist  belegt  in  Bakch.  1367 . 

4* 


52  Johanna  Schmitt 

fjSe  TTpöaTToXoi  re  oroi  eu5al|Joves  yivo\a^e ').  Und  ebenso  klingt  der 
pathetische  Abschied  des  Polyneikes  von  Vaterland  und  Göttern 
hier  an  (Phoen.  626  ff.):  Tf|v  8e  S-peil/acrdv  |ie  yoTav  Kai  ö'eoüs  pap- 
Tupopai  US  äTi|ios  oiKTpä  Trdorxwv  e^eXauvojiai  x^ovös  k.t.X.  Da  wir  die 
TÖTTOi  des  Abschieds:  letzten  Gruß  an  das  Licht  und  Anrufen 
der  Heimat  gerade  in  den  früheren  Tragoedien  des  Sophokles 
besonders  ausgeprägt  finden,  wird  man  wohl  schließen  dürfen, 
daß  er  in  der  Ausbildung  des  Abschieds-Ethos  für  Eur.  Vor- 
bild war. 

VI.  Der  Ausklang  der  Devotionsszenen. 

a.  Heraklideu.  Am  Erhaltungszustand  der  Herakl.  sind 
seit  G.  Hermann  Zweifel  laut  geworden.  Die  Annahme  eines 
größeren  Ausfalls  schienen  in  erster  Linie  folgende  Gründe  zu 
rechtfertigen:  1)  Im  Verlauf  des  ganzen  Stücks  ist  nach  dem 
Chorlied  608 ff.  vom  Opfertod  der  Makaria  nicht  mehr  die  Rede 
bis  auf  eine  unklare  Andeutung;  insbesondre  erfährt  Alkmene 
nichts  vom  Tod  der  Enkehn.  2)  Glaubte  man  aus  der  Angabe 
der  Hypothesis  lauTiiv  |iev  oöv  euyevws  OTro^avoöaav  €Ti|j»iöav  einen 
ausgefallenen  Botenbericht  mit  ähnlichem  Inhalt  wie  beim  ent- 
sprechenden der  Hek.  erschließen  zu  dürfen.  3)  Haben  wir 
mehrere  Fragmente,  die  teils  mein'  teils  weniger  sicher  als  zu 
den  euripideischen  Herakl.  gehörig  bezeichnet  werden,  und  die 
im  erhaltenen  Drama  nicht  vorkommen.  4)  Schien  auch  die 
singulare  Form  der  Parodos  auf  Überarbeitung  des  Stückes 
hinzuweisen^).  Unter  Benutzung  dieser  Argumente  versuchte 
Wilamowitz  *)  die  Rekonstruktion  eines  nach  629  ausgefallenen 
Epeisodions.  Jedoch  soll  dieser  Teil  nicht  mechanisch  durch 
Blattausfall  verloren  gegangen  sein,  sondern  durch  eine  „Schau- 
spielerüberarbeitung" des  4.  Jh.s,  der  dann  auch  die  notdürftige 
Einrenkung  des  nächsten  Akts  630 ff.  zuzuschreiben  sei*).    Ab- 


^)  Vgl.  Verg.  Aen.  X,  781:  et  dulcis  moriens  reminiscitur  Argos, 
wozu  Servius  bemerkt:  inter  physica  signa  moriturorum  etiam  hoc 
legitur patriae  aspectum  desiderare perituros,  vgl.  Blümner,  N.  Jb.  1919,  249. 

2)  Auf  3)  und  4)  kann  ich  in  diesem  Zusammenhang  nicht  eingehen. 

3)  Herrn.  17,  337  ff. 

*)  G.  Hermann  nahm  Verstümmelung  am  Schluß  des  Dramas  an,  Kirch- 
hoff zu  629    und   ihm   folgend   Bergk,   Gr.  Lit.-Gesch.  IH,  526,  184   Ausfall 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  53 

gelehnt  wurde  diese  Hypothese  von  Wecklein')  und  Macurdy*), 
doch  haben  diese  beiden  kleinen  Aufsätze  kaum  Beachtung 
gefunden ,  und  die  meisten  neueren  Arbeiten  ^)  operieren  mit 
der  Wilamowitzschen  Rekonstruktion  fast,  als  ob  sie  Über- 
lieferung wäre.  Da  die  Frage  für  den  Bau  der  Devotions- 
szenen überhaupt  wichtig  ist  und  die  genannten  Aufsätze  nicht 
alle  Punkte  der  Wilamowitzschen  Hypothese  berücksichtigen, 
sei  gestattet,  genauer  darauf  einzugehen. 

Schon  das  Ghorlied,  das  auf  Makarias  Abgang  folgt  608 ff., 
hält  Wilamowitz  für  verstümmelt,  da  es  nur  aus  Strophe  und 
Gegenstrophe  besteht,  eine  Epode  oder  ein  zweites  Strophen- 
paar fehlt.  Genau  denselben  Fall  haben  wir  aber  —  und  das 
ist  gerade  für  unsere  Stelle  nicht  unwichtig  —  in  dem  Ghorlied 
der  Phoen.  101 9  ff.  nach  dem  Scheiden  des  Menoikeus.  Ähn- 
lich, sind  die  beiden  Lieder  auch  darin,  daß  hier  wie  dort  erst 
die  zweite  Strophe  zum  Lob  des  Helden  übergeht,  der  Ghor 
der  Phoen.  sogar  erst  in  der  zweiten  Hälfte  der  Antistrophe. 
Daß  man  ein  ausführlicheres  eyKwiiiov  der  Makaria  erwarte,  wie 
Wilamowitz  annimmt,  scheint  daher  unbegründet*).  Das  Ghor- 
lied Alkestis  435ff.,  das  Wilamowitz  heranzieht,  kann  nicht 
verglichen  werden,  weil  hier  Admet  ausdrücklich  den  Ghor  zu 
einem  Preislied  auf  die  Verstorbene  auffordert,  423/24,  das  Lob 
daher  notwendig  das  ganze  Lied  ausfüllen  muß.  —  Die  größten 
und  nicht  wegzuleugnenden  Anstöße  bietet  der  Anfang  des 
Epeisodions  630ff.,  besonders  die  Einführung  der  Alkmene.  Ihr 
Auftreten  ist  genau  so  sclilecht  motiviert  wie  das  der  Makaria. 
Im  Folgenden  sieht  Wilamowitz  im  Vers  des  Trevearris  (673) :  Kai 
8r]  TrapfJKTai  a^&y\a  id^eojv  eKds  eine  Anspielung  auf  Makarias 
Opferung,   die  von  dem  ungeschickten  Interpolator  herrühre, 


eines  Epeisodions  nach  629.  Bergk  vermutete  als  Inhalt  des  Botenberichts 
die  Einsetzung  eines  Quellenfests  nach  Pausan.  I  32,  7.  Ähnlich  wie  Wila- 
mowitz auch  Vonhoff,  De  lacunis  quae  exstant  in  Eurip.  Heraclidls. 
Progr.  Cottbus  1872. 

1)  Bursians  Jahresbericht  1882,  169ff.  und  Blätter  f.  d.  bayr.  Gymnasial- 
schulwesen 1886,  19  ff. 

2)  Classical  philol.  I  1907,  299  ff. 

*)  Z.  B.  Howald  a.  a.  0.  43,  Hof  mann  a.  a.  0.  44  ff.,  Fischl  De  nuntiis 
tragicis.     Diss.  Vindob.  X  17  ff.     Leo,  Monolog  29,  2. 
*)  Wecklein  a.  a.  0.  20. 


54  Johanna  Schmitt 

der  das  gewöhnliche  KaXXiepnaai  mit  dem  Opfer  für  Persephone 
verwechselt  habe.  Doch  ist  hier  wohl  kaum  an  die  Herakles- 
tochter gedacht.  Der  Vers  gibt  einfach  eine  Zeitbestimmung 
genau  wie  399:  ttöXis  t'  ev  ottXois,  o^äyiä  ö-'  iiTOi|iaa[ieva.  Die  ein- 
zige Erwähnung  des  Opfertods  geschieht  im  Botenbericht  (819): 
lidvTeis  8'  e7rei5fi  iiovoiidxoü  5i'  damSos  SiaXXayds  eyvuaav  ov  reXou- 
jievas,  ea(j)a^ov,  ouk  ejieXXov,  dXX'  d(J)iecTav  Xaiiiüv  ßporeicov  eu^üs  oupiov 
<|)övov^).  Der  Ausdruck  ist  mit  Absicht  so  unbestimmt  gehalten, 
um  einerseits  keine  Frage  der  Alkmene  hervorzurufen,  andrer- 
seits aber  den  Opfertod  doch  auch  nicht  ganz  zu  verschweigen. 
Es  fragt  sich  nur,  stammt  diese  Verwischung  von  Eur.  selbst  oder 
vom  (angenommenen)  Interpolator?  Wilamowitz  mußte  seiner 
ganzen  Hypothese  gemäß  das  letztere  annehmen.  Die  Grund- 
lage für  seine  Rekonstruktion  findet  Wilamowitz  im  Vergleich 
der  Alkmene  mit  der  Hekabe:  Die  Herakl.  wie  die  Hek.  enden  mit 
dem  furienhaften  Triumph  einer  Greisin  über  den  unterlegenen 
Feind.  Unzweifelhaft  waren  hierin  die  Herakl.  Keimzelle  für 
die  Hek.  Ob  man  darum  aber  die  bessere  psychologische  Moti- 
vierung und  die  größere  Sorgfalt  in  der  dramatischen  Technik 
einfach  auch  für  das  frühere  Stück  voraussetzen  darf,  wie 
Wilamowitz  es  tut,  ist  doch  fraghch.  Der  Haß  der  Alkmene, 
meint  er,  mußte  im  ersten  Teil  seine  Motivierung  haben  durch 
den  Tod  der  Enkelin,  genau  wie  in  der  Hek.  der  der  Heldin 
im  Tod  der  Tochter.  Dabei  läßt  Wilamowitz  aber  außer  acht, 
daß  Alkmenes  Haß  gegen  Eurystheus  ausführhch  durch  dessen 
Ränke  gegen  ihren  Sohn  Herakles  begründet  wird  (946 ff.), 
so  daß  man  eine  weitere  Motivierung  nicht  vermißt.  Wila- 
mowitz fordert  also,  daß  Alkmene  vom  Tod  der  Enkelin  in 
einem  Botenbericht  Nachricht  erhielt^).  Doch  sind  zwei  Boten- 
reden in  einem  so  dürftigen  und  besonders  einem  so  frühen*) 
Stück   nicht  wahrscheinüch ;    denn    in   Dramen,    die    vor   das 


^)  Gegen  die  von  Wilamowitz  behauptete  Überarbeitung  dieser  Verse  s. 
Macurdy  a.  a.  0.  301. 

2)  Daß  der  Sprecher  des  Berichts  nicht  Demophon  sein  kann,  legt  Fischl, 
der  übrigens  an  der  Annahme  der  Botenrede  festhält,  a.  a.  0.  19  dar. 

»)  Vor  427;  vgl.  Dieterich,  Kl.  Sehr.  380;  Bergk,  Gr.  Lit.-Gesch.  in, 
519;  Macurdy  a.  a.  0. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  55 

Jahr  415  fallen,  hat  Eur.,  wie  Rassow  gezeigt  hat'),  nie  zwei 
Botenberichte  eingeführt. 

Der  Hauptgrund  für  das  Fehlen  der  Botenrede  Hegt  aber 
im  Stoff  selbst.     Eur.  wollte  allerdings  den  Opfertod  verherr- 
Hchen,    aber  er  hätte  iveinen  reinen  Eindruck  hervorgerufen, 
wenn  er  die  Abschlachtung  selbst,  die  doch  immer  etwas  Bar- 
barisches behält,   vor  Augen  geführt  hätte.     In  der  Hek.,   wo 
der  Heldenmut  der  Polyxena  mit  der  Rohheit  des  ganzen  Ge- 
schehens kontrastieren   und  der  Gesamteindruck  des  Berichts 
ein  niederdrückender  sein  soll,  konnte  er  das  wagen  und  ebenso 
wahrscheinlich  in  der  Iph.  Aul,  wo  das  Wunder  dazwischentrat. 
In   den  Phoen. ,   für   welche   die   Herakl.   das   formale  Vorbild 
sind,   wird  der  Bericht  über  den  Opfertod  genau  so  kurz  ab- 
getan 1090ff.^).    Wilamowitz  postuhert  ferner  einen  dywv  Xöyuv 
zwischen  Alkmene  und  lolaos,  der  auf  den  angeblichen  Boten- 
bericht folge,   und  in  dem  Alkmene  die  Stimme  der  Mensch- 
Hchkeit  vertrete,  lolaos  das  Interesse  der  Herakliden,  also  die 
Berechtigung  des  Opfers.     Doch  hat  Wecklein   mit  Recht  be- 
tont,   wie  unwahrscheinlich   das   bewußte  Streichen    einer   so 
hochdramatischen   Szene   wäre.      Wenn   man   ferner   die   Be- 
dingungen dieser  angenommenen  Szene  überlegt,  so  wird  ihre 
UnmögHchkeit   immer   klarer:    1)   Die   Verhälthisse    Hegen    in 
der  Hek.,  von  der  Wilamowitz  ausgeht,  anders  als  hier.     Dort 
ist  der  Opfertod  ein  verbrecherischer  Mord,  hier  eine  Helden- 
tat.    Es    wäre   daher  unpassend,   wenn  Alkmene   gegen   ihn 
polemisierte,   zumal   er   doch   aUein   die  Rettung   der   übrigen 
Herakleskinder  ermöglicht.    2)  Ein  dywv  Adycov  hat  nur  vor  der 
Entscheidung  Sinn,   hier  käme  er  post  festum;   Makarias  Tod 
ist  unabänderlich.    3)  Der  altersschwache  lolaos  als  Verteidiger 
des  Opfertods   in   einem  hitzigen  Wortgefecht   ist  undenkbar. 
4')  Der  Inhalt  des  dytiv  müßte  auf  eine  Wiederholung  des  schon 
von   Makaria   500  ff.   Gesagten   hinauslaufen.     5)  Endlich   sind 
zwei  Agone  in  diesem  sonst  so  dürftigen  Stück  kaum  anzu- 


^)  Quaest.  seleciae  de  Eurip.  nunt.  narrat.   Diss.  Greifswald  1883, 18 ff. 

2)  Wecklein  a.  a.  0.  20.  Warum  die  Stelle  aus  den  Phoen.  hier  nicht 
•verglichen  werden  kann,  und  warum  der  Opfertod  des  MenoLkeus  weniger 
wichtig  sein  soll  als  der  Makarias,  wie  Fischl  a.  a.  0.  18  behauptet,  ist  nicht 
einzusehen. 


56  Johanna  Schmitt 

nehmen.  Es  bliebe  also  nur  die  Möglichkeit,  daß  ein  Kommos 
zwischen  Alkraene  und  Chor  ausgefallen  ist,  in  dem  Makarias 
Tod  beklagt  wird.  Aber  ein  solcher  Kommos  —  FischP)  ver- 
gleicht den  aus  der  Androm.  1166ff.;  auch  Hik.  778 ff.  heße 
sich  heranziehen  —  pflegt  immer  einen  Botenbericht  als  Basis 
zu  haben,  und  ein  solcher  ist,  wie  wir  sahen,  hier  ausge- 
schlossen. Zudem  müßte  die  Orientierung  der  Alkmene  durch 
den  Chor  oder  lolaos,  die  vor  dem  Kommos  notwendig  wäre, 
unerträgHche  Wiederholungen  bringen.  Es  bleibt  uns  also 
nichts  übrig  als  die  Schwierigkeiten  und  Schäden  der  Kom- 
position hinzunehmen,  ohne  sie  durch  weitläufige  Hypothesen 
noch  zu  vermehren.  Das  Drama  war  eben,  wie  Wilamowitz  selbst 
sagt,  „Gelegenheitsstück"  und  als  solches  nur  für  den  Augen- 
blick und  ohne  Sorgfalt  gearbeitet').  Eur.  woUte  nach  Ma- 
karias Abgang  die  iierdßaais  zum  Guten  radikal  durchführen 
und  keine  Trauer  mehr  aufkommen  lassen.  Das  hat  schon 
Härtung")  ganz  richtig  formuliert:  ,,Et  Macariae  quidem,  posf- 
quam  de  scaena  abiü,  nulla  anipUus  inicitur  menüo  (neqiie  quo- 
modo  immolata  vel  quomodo  sepulta  vel  quinam  defunctae  honores 
instituti  sunt)  exponitur:  et  rede  quidem.  Neque  enhn  luctibiis 
locus  dahatur  in  summa  eventus  felicitate." 

b.  Hekabe.  Im  Gegensatz  zu  den  Herakl.  ist  die  Polyxena- 
szene  auch  mit  dem  folgenden  Teil  des  Dramas  fest  verzahnt. 
Nach  Pol}Tcenas  Abgang  stimmt  der  Chor  ein  Lied  an,  das 
sich  mit  der  Frage  beschäftigt,  wohin  das  Schicksal  ihn  in  die 
Sklaverei  führen  werde.  Eur.  hat  hier  das  im  ganzen  Alter- 
tum so  beliebte  Motiv  der  geographischen  Aufzählung  einer 
langen  Reihe  von  Gegenden  und  Orten  verwendet,  das  in  den 
Troades  202ff.  und  1091  ff.  wiederkelirt.  Schon  G.  Hermann*) 
hat  den  Dichter  getadelt,  weil  mit  keinem  Wort  in  diesem 
Lied  der  Polyxena,  ihres  traurigen  Schicksals  und  ihres  Helden- 
muts gedacht  ist,  während  bei  keiner  der  andern  Opferszenen 
ein  solches  Lob  des  Helden  nach  seinem  Abgang  zum  Tode 
fehlt.     Von   der   Erinnerung   an   derartige    eyKwiiia   ging   wohl 

1)  A.  a.  0.  18.  ')  Auch  aus  diesem  Grund  ist  es  unwahrscheinlich, 

daß  es  nochmals  im  4.  Jh.  einer  Neubearbeitung  unterzogen  wurde,  vgl.  Ma- 
curdy  a.  a.  0.  300.  '')  Euripides  restitutus  I  308. 

*)  Praefatio  zur  Hek.  XVI. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  57 

auch  der  Scholiast  aus,  wenn  er  zu  444  schrieb:  toö  'OSuaaecüs 
XaßövTOS  Tfiv  rioXu^evnv  kqi  otTrepxoiievou  dvaKXalerai  auTf|v  6  xopös 
6iä  TÖ  ä5nXov  Kai  tö  jifi  ei5evai,  ri  jieXXei  aürn  Tra&eTv.  Das  Scholion 
mag  ursprünglich  gelautet  haben:  dvaKAaierai  aÖTqv  5iä  tö  abr\kov 
Kai  TÖ  [ifi  eiSevai,  Ti  peXXei  ami\  ira^eTv,  wozu  als  Subjekt  ein  kol- 
lektives Femininum  Singularis  gedacht  wurde.  Diese  Annahme 
erleichtern  die  ein  paar  Zeilen  weiter  unten  folgenden  Worte 
des  Scholions:  ottö  cvikoü  Sc  6nXoT  Ttdaas  tos  y^vaTKas  ö  TroiriTiis. 
Der  Scholiast  übernahm  also  selbst  diesen  Singular.  Dazu 
fügte  dann  wohl  ein  späterer  xopös  als  Subjekt,  aber  ohne 
Änderung  der  Femininpronomina').  Hieraus  entstand  endhch 
durch  falsche  Beziehung  auf  Pol3^xena  die  jetzige  Form  des 
Scholions.  Ganz  fehlt  übrigens  die  Bezugnahme  auf  Polyxena 
im  Ghorhed  nicht,  wie  Hof  mann')  gezeigt  hat:  erst  durch  Poly- 
xenas  Opferung  ist  die  TrovTiäs  aüpa  entfesselt,  vgl.  1 1 1  ff.,  und 
am  Schluß  sagt  der  Chor  mit  deutlicher  Bezugnahme  auf  Poly- 
xenas  Schicksal:  ich  tausche  für  Tod  (in  Freiheit)  die  Knecht- 
schaft ein  (481  ff.).  Ein  Preislied  auf  Polyxenas  Heldenmut 
hat  aber  Eur.  hier  vermieden,  weil  an  dessen  Stelle  der  Boten- 
bericht des  Talthybios  tritt. 

Lehrreich  ist  es  zu  beobachten,  wie  Eur.  in  dieser  Er- 
zählung des  „humanen"  Herolds  sich  an  die  Schilderung  des 
Iphigenienopfers  im  ersten  Ghorlied  des  Agamemnon  angelehnt 
hat.  Einig  ist  er  mit  Aischylos  in  der  unbedingten  Ver- 
dammung der  unmenschlichen  Handlung.  Eine  Steigerung 
über  Aisch.  hinaus  ist,  daß  er  nicht  nur  die  Schönheit  der 
Jungfrau  dem  grausamen  Geschehen  entgegensetzt,  sondern 
ihren  erhabenen  Heldenmut  über  Todesfurcht  und  Schicksal 
triumphieren  läßt.  Wie  bei  Aisch.  die  äoCoi  (231)  Iphigenie  zur 
Opferstätte  schleppen,  so  wollen  bei  Eur.  die  e'KKpiTOi  veaviai 
(525,  545)  Polyxena  ergreifen,  als  sie  in  fast  fieberhaft  eksta- 
tischer Erregung  sich  losreißt  und  an  den  einen  Gedanken 
klammert,  frei  zu  sterben,  548  und  besonders  550:  eXeo^epav 
8e  \l\  US  eXeu^epa  ^dvu,  Trpös  ^eüv  pe^evTes  KTeivaT'*  ev  veKpoTai  y«P 
6ouXn  KCKXfja&ai  paaiXis  ova  aiaxüvopai.  Einen  sehr  starken  An- 
klang an  diese  Verse  zeigen  die  Worte  des  zum  Tod  bereiten. 


1)  Schol.  Hek.  629  lautet:  ö  xopös  4auTÖv  ävaKÄaierai.         ^)  A.  a.  0.  71  ff. 


58  Johanna  Schmitt 

Orest  (Or.  1167):  'Ayaiiejivovös  toi  TvaTs  7re(j)üx'  . . .  öv  ou  KQTaiaxuvü 
ßoüXov  TrapacTxwv  ^ävarov,  aXX  eXeu^epcos  ^vy^i\v  ä^r\a(ji. 

Die  Mittel,  die  Eur.  anwendet,  um  die  Schönheit  der 
Jungfrau  in  wirksamen  Kontrast  zu  der  rohen  Opferhandlung 
zu  setzen,  hat  er  ganz  von  seinem  Vorgänger  entlehnt.  Wie 
dort  das  Gewand  der  Iphigenie  unter  den  Händen  ihrer  Schlächter 
herabgleitet  und  so  ihre  Schönheit  sichtbar  wird  (239 ff.):  Kpö- 
Kou  ßa(})äs  eis  iribov  x^oucra,  so  zerreißt  bei  Eur.  die  todesmutige 
Polyxena  selbst  ihr  Kleid,  um  die  Brust  zum  Todesstreich  frei 
zu  machen  (558):  Xaßoüaa  TreTrXous  e^  ÖKpas  el^uiiiöos  eppri^e  Xa- 
yövos  €19  jieaov  irap'  6|j<t)aXöv,  {laarous  5'  'ibe\\e  arepva  ^'  ws  dyäX- 
jiaTOS  KdXXiorra.  Auch  dieser  letzte  Vergleich  der  Schönheit  der 
Jungfrau  mit  einem  Bild  stammt  aus  Aisch.^).  Dort  ist  er  aber 
weit  treffender,  da  Iphigenie  der  Mund  mit  einem  Knebel  ver- 
schlossen ist  und  sie  nur  wie  ein  stummes  Bild  mit  den  Augen 
flehen  kann  (241):  TrpeTrouad  &'  ws  ev  YPCKt*^^??  TrpoaevveTreiv  &€Xouff*. 
Das  Wort  ayaXjia  (560)  stammt  wohl  auch  aus  diesem  Ghor- 
lied  des  Aisch.  (207) :  ei  tckvov  SaT^w,  6ö|iuv  äyaXiia.  —  Die  letzten 
Worte  der  Polyxena  (563):  ißou,  tö6'  ei  jiev  aiepvov,  w  veavia, 
Traleiv  Trpoö'uiieT,  TraTaov,  ei  6'  utt'  auxeva  xpil^eiS,  Träpeari  Xaijiös  euTpeTrfis 
66e  enthalten  wieder  einen  starken  Anklang  an  die  Stelle  des 
Herakles,  wo  Amphitryon  sich  dem  Lykos  zum  freiwilligen  Tod 
darbietet  (319):  i5ou  irdpeaTiv  fjöe  ^aayavta  Sepr]  KevieTv  <t)Ovei)eiv, 
ievai  Trerpas  otto  und  ebenso  an  Andromache,  die,  um  das  Leben 
des  Kindes  zu  retten,  freiwillig  den  Tod  wählt  (411):  i5oü  Trpo- 
XeiTTti)  pwjiöv  fj8e  x^'pia  a(|)d^eiv,  (J)oveüeiv,  8eTv,  dTrapTfioai  5epriv.  Die 
ähnliche  Situation  führte  Eur.  also  wiederum  zu  ähnlicher  Ge- 
staltung. 

Beim  Höhepunkt  des  Botenberichts,  wie  selbst  den  un- 
barmherzigen Neoptolemos  in  dem  Augenblick,  wo  er  zustoßen 
will,  Mitleid  mit  der  heldenhaften  Jungfrau  erfaßt  (566):  ö  S' 
ou  ^eXüJv  re  Kai  &eXwv  o'i'ktcü  KÖpiiS  reiivei  oi5r|ptü  TTveuiiaros  6iappods 
erinnert  man  sich  unwillkürlich  an  die  schöne  rotfigurige  Schale^, 
die  Penthesileas  Tötung  durch  Achill  darstellt,  und  auf  der 
dieses  oü  &eXeiv  re  Kai  ^eXeiv  einen  ergreifenden  Ausdruck  findet. 
Die  Darstellungsmittel   sind  in  diesem  Bild  wie  in  der  Euri- 


^)  "Wecklein  zu  Agam.  251.  ")  Furtwängler-Reichhold  T.  VI. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  59 

pidesstelle  karg  und  fast  altertümlich  gebunden,  darum  aber 
umso  stärker  wirkend. 

Alle  Erwähnung,  die  nach  dem  Botenbericht  noch  der 
Polyxena  geschieht,  dreht  sich  um  ihre  Bestattung.  Schon  am 
Schluß  seiner  Rede  berichtet  Talthybios  das  dTri^avov,  daß  die 
Griechen  selbst  voll  Mitleid  wetteifernd  das  Leichenbegängnis 
der  heldenkühnen  Jungfrau  vorbereiteten.  Hekabe,  durch  den 
Bericht  von  der  edeln  Haltung  der  Tochter  etwas  in  ihrem 
wilden  Schmerz  besänftigt  (591):  tö  5'  au  Xi'av  TrapeTAes  äyye'kH'iaa 
poi  Y^vvaTos  rafft  sich  soweit  auf,  daß  sie  ihr  eine  Art  e7nTd<j)ios 
halten  kann*),  der  aber  hier  gleich  zu  echt  euripideischen  Ge- 
meinplätzen abbiegt.  —  Im  weiteren  Verlauf  des  Dramas  wird 
Polyxena  nur  noch  kurz  erwähnt  726  ff.  und  894 ff.  Beide  Male 
handelt  es  sich  um  ihre  Bestattung. 

In  einem  frostigen  Wortspiel  ist  das  ganze  Motiv  der 
Polyxenaopferung  in  den  Troades  verwendet  260  und  624^). 
Von  einem  freiwilligen  Tod  ist  hier  keine  Rede  mehr.  Nur 
ein  Motiv  aus  der  Polyxenaszene  der  Hek.  hat  Eur.  hier  auf- 
genommen: das  Bedecken  der  Leiche').  Polyxenas  Tod  wird 
in  den  Troades  hierauf  die  d(j)op|Jiri  für  die  lange  p^ais  der  An- 
dromache,  deren  Quintessenz  ist  (637):  toü  ^fjv  5e  XuTrpws  KpeTaaöv 
eoTi  KaTÖ'aveTv,  also  wieder  ein  Motiv,  das  wir  aus  den  Reden 
einer  Makaria  und  Polyxena  zur  Genüge  kennen.  Auf  den 
weiteren  Verlauf  der  Troades  bleibt  Polyxenas  Tod  ganz  ohne 
Einfluß. 

c.  Phoenissen.  Beim  Ausklingen  der  Menoikeusepisode 
begegnen  wir  wieder  manchen,  teils  aus  den  Herakl.  teils  aus 
der  Hek.  schon  bekannten  Zügen. 

Nach  Menoikeus'  Abgang  singt  der  Chor  ein  Lied,  das 
zunächst  auf  die  vergangenen  Geschicke  Thebens  eingeht,  erst 
im  zweiten  Teil  der  Antistrophe  ein  eyKtüiiiov  des  Menoikeus 
bringt,  der  als  zweiter  Retter  der  Stadt  in  whksamen  (wenn 
auch  nicht  ausdrücklich  erwähnten)  Kontrast  zu  Oedipus  ge- 
stellt wird*).     Im  allgemeinen  haben  wir  hier  also  dieselbe  An- 


*)  Ähnlich  wie  in  den  Troades  1156  ff.  nach  dem  Tod  des  kleinen  Astyanax. 
2)  Vgl.  Trautner  a.  a.  0.  31.  «)  Vgl.  oben  44. 

*)  Härtung  a.  a.  0.  II  458.    Über  den  Tadel  des  Schol.  1019  und  neuerer 
Erklärer  s.  die  treffende  Zurückweisung  Hofmanns  a.  a.  0.  85 ff. 


60  Johanna  Schmitt 

läge  wie  in  den  Herakl.  Wie  dort  wird  darauf  Monoikeus' 
Tod  im  Botenbericht  kurz  mit  einem  Nebensatz  abgetan 
(1090 — 92).  Es  ist  charakteristisch  für  den  Stil  des  Berichts, 
wie  Menoikeus  hier  in  ge v/issermaßen  epischer  Weise  schon 
unter  die  historischen  Heroen  Thebens  aufgenommen  ist:  .  . 
KpeovTOs  7ra7s,  ö  yr\s  uTrepS-avcov.  Aber  auch  die  ganze  Situation 
ermöglicht  kein  näheres  Eingehen  auf  Menoikeus'  Tod:  der 
Bote  kann  der  ängstlich  gespannten  lokaste,  die  nur  das  Schick- 
sal ihrer  Söhne  wissen  will,  nicht  erst  ausführlich  vom  Orakel 
des  Teiresias,  dem  Entschluß  des  Menoikeus  und  seiner  Aus- 
führung erzählen,  bevor  er  zur  Schlacht  und  den  Oedipus- 
söhnen  übergeht.  Ebensowenig  nehmen  wir  daran  Anstoß, 
wenn  lokaste  auf  Menoikeus'  Tod  kaum  eingeht,  sondern  nur 
in  wenigen  Worten  ihr  Mitleid  mit  dem  Bruder  ausspricht 
(1204 ff.),  um  dann  sofort  wieder  auf  die  eigenen  Kinder  zurück- 
zukommen. Der  Tod  des  Menoikeus  leitet  die  große  Kata- 
strophe des  thebanischen  Königshauses  ein,  die  vier  Opfer 
fordert,  die  Verbannung  des  unglücklichen  Oedipus  nach  sich 
zieht  und  endlich  noch  das  Schicksal  der  Antigene  in  der 
Ferne  zeigt. 

Die  Totenklage  um  Menoikeus  fällt  dem  Vater  zu,  der 
lokaste  bittet,  seinem  toten  Sohn  die  letzten  Dienste  zu  er- 
weisen (131 7 ff.).  Dieses  Motiv  hat  Eur.  aus  der  Hek.  über- 
nommen: wie  dort  Talthybios  die  Hekabe,  so  will  hier  Kreon 
die  lokaste  zur  Bestattung  des  Geopferten  holen.  Doch  kommt 
der  Schmerz  des  Kreon  garnicht  zum  vollen  Ausklingen.  Nur 
ein  eindrucksvolles  Bild  sehen  wir  vor  uns:  den  Vater  mit  dem 
toten  Sohn  im  Arm  (1315ff.).  Das  erste  Wort,  das  Kreon  nach 
der  Klage  um  Menoikeus  spricht,  ist  das  grausame  Verban- 
nungsurteil über  den  blinden  Oedipus  (1585 ff.)  und  dann  das 
Bestattungsverbot  an  Antigone:  Kreon  ist  also  plötzlich  zu  dem 
aus  Sophokles'  Antig.  bekannten  Tyrannen  geworden.  Menoi- 
keus ist  in  diesem  Schlußteil  völlig  vergessen.  Den  Klagen 
um  seinen  Tod  ist  daher  wohl  auch  deshalb  nur  so  wenig 
Raum  gegeben,  damit  die  plötzhche  Umwandlung  des  Kreon 
vom  leidgebeugten  Vater  zum  finstern  Tyrannen  nicht  zu 
grell  beleuchtet  wird*). 

^)  Lindskog,  Studien  zum  antiken  Drama  1492. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  61 

d.  Ipliigenie.  Von  den  Verteidigern  der  alten  Hypothese, 
daß  uns  in  dem  Frg.  bei  Aelian  n.  h.  VII  39:  eXa<j)Ov  8'  'Axaiwv 
Xepaiv  ev^rjaw  ^iXais  Kepovaaav  fjv  (i(j)ä^ovT£s  auxrjaouai  ai\y  a^ayei\ 
^uyaTepa  ein  Stück  aus  der  Rede  eines  deus  ex  machina  er- 
halten sei,  die  an  der  Stehe  des  jetzigen  Botenberichts  ge- 
standen habe,  ist,  wie  mir  scheint,  die  Schwierigkeit  nicht 
genügend  berücksichtigt  worden,  daß  wir  bei  dieser  Annahme 
den  ganz  singulären  Fall  einer  Tragoedie  mit  nur  ganz  kleinem, 
unbedeutenden  Botenbericht  hätten  (414ff.)').  Girard '')  hat 
nun  den  Versuch  gemacht,  das  Aelianfragment  vor  dem  er- 
haltenen Botenbericht  einzureihen.  Die  Botenrede  gäbe  dann 
gewissermaßen  die  Erklärung  der  von  Artemis  gemachten  An- 
deutungen, denn  die  Göttin  „ne  precisait  rien"^).  Jedoch  gerade 
nach  dem  Bericht  in  seiner  erhaltenen  Gestalt  bleibt  uns  das 
Schicksal  der  Heldin  vöUig  unklar,  ein  Eindruck,  mit  dem  Eur. 
sonst  nie  seine  Zuschauer  entlassen  hat.  Ferner  macht  sich 
Girard  selbst  den  schwerwiegenden  Einwand,  daß  die  Menschen 
sich  auf  die  Worte  eines  deus  ex  machina  hin  immer  zufrieden 
äußern,  Klytaemestra  hier  aber  bis  zum  Ende  untröstlich  bleibt. 
Betrachten  wir  dagegen  den  erhaltenen  Schluß  der  Tragoedie, 
den  neuerdings  Oeri*).  nach  Weils  Vorgang  verteidigt  hat,  so 
kommen  wir  wiederum  nicht  über  die  größten  Schwierigkeiten 
hinweg.  Die  Anldänge  dieser  Botenrede  an  den  Opferungs- 
bericht aus  der  Hek.,  die  England  zusammengesteUt  hat  und 
die  sich  leicht  noch  vermehren  ließen^),  sind  —  wenn  man 
auch  Eur.  die  weitestgehende  Motivwiederholung  in  den  Opfer- 
ungsszenen zugesteht  —  doch  zu  sklavisch,  als  daß  sie  von 
ihm  selbst  stammen  könnten.  So  wörtlich  hat  er  sich  doch 
nicht  ausgeschrieben^).  Besonders  die  ungeschickte  Aufnahme 
der  Rolle  des  Opferers  Neoptolemos  in  der  Hek.  durch  Achill 
in  der  Iph.  Aul.  ist  trotz  Oeris  Verteidigung  unerträglich^). 

*)  Wenn  er  auch  in  der  echten  Fassung  besser  war,  so  ist  auf  jeden 
Fall  sein  Inhalt  zu  unwichtig,  um  den  alleinigen  Botenbericht  zu  bilden. 

^)  Revue  des  etudes  grecques  XVII  (1904),  149  ff. 

8)  A.  a.  0.  175.  ■»)  A.  a.  0.  19 ff. 

^)  Einleitung  zur  Ausgabe  der  Iph.  Aul.  27  ff.  und  vor  ihm  Hennig  De 
Iph.  Aul.  forma  Diss.  Berl.  1870,  185 ff.;  Paley  Eurip.  III,  547.  Kjellberg 
Real.-Enc.  IX  2,  2614.  «)  Vgl.  besonders  Hek.  549  ~  Iph.  Aul.  1560. 

')  Hennig  und  England  a.  a.  0. 


62  Johanna  Schmitt 

Ferner  hat  der  verhüllte  Agamemnon  (1550)  doch  wohl 
das  berühmte  Timanthesbild  zur  Vorlage,  denn  die  Darstellung 
des  Schmerzes  durch  Verhüllen  ist  ein  zunächst  für  das  Auge, 
nicht  für  das  Ohr  berechnetes  Motiv.  Endlich  hat  E.  Müller ') 
mit  Recht  geltend  gemacht,  daß  keine  Tragoedie  des  Eur.  mit 
einem  Botenbericht  ende.  Aber  Müller  nimmt  die  alte  Hypo- 
these des  deus  ex  machina  nach  dem  Aehanzitat  wieder  auf 
und  fordert  als  Inhalt  dieser  Artemisrede  die  Verkündigung 
der  Taurischen  Priesterschaft  der  Iphigenie.  Damit  verfällt  er 
in  den  alten  Feliler,  die  Iph.  Aul.  der  Taur.  anzupassen.  Daß 
die  traurige  Verbannung  der  Iphigenie  nach  Tauris  nach  Versen 
wie  1441,  1443,  1445,  1508  ein  höchst  unwahrscheinlicher 
Schluß  wäre,  hat  Oeri^  richtig  hervorgehoben. 

Wir  können  aber  sogar  aus  dem  echten  erhaltenen  Teil 
noch  erkennen,  wie  Eur.  in  der  Iph.  Aul.  das  Schicksal  seiner 
Heldin  sich  gedacht  hat.  In  der  Abschiedsstichomythie  be- 
trachtet Iphigenie  selbst  ihr  Sterben  nicht  als  gewöhnlichen 
Tod;  kein  Tuiißos  wird  ihr  errichtet  werden,  sondern:  ßuiiös 
&eäs  iioi  iivrjjia  Tfjs  Aiös  KÖpns  (1445).  In  diesem  amphibohschen 
Vers  scheint  mir  der  Beweis  zu  Hegen,  daß  Iphigenie  für  ihre 
Heldentat  vergöttlicht  wurde*),  sei  es  nun  als  Hekate  oder  als 
"ApTejiis  'l(|)iYeveia*).  Da  Iphigenie  im  Grund  wesensgleich  mit 
Artemis  ist,  so  kann  der  Altar  der  Göttin  auch  ihr  eigenes 
pvniia  genannt  werden^).  Ein  Schluß  der  Iph.  Aul.,  der  der 
euripideischen  Technik  entspräche,  wäre  daher  etwa  folgender^) : 
nach  Iphigeniens  Abgang  sinkt  Klytaemestra  im  Schmerz  zu- 

^)  De  deorum  partibus  tragicis  RG.V.V.  VIII  74. 

2)  A.  a.  0.  25.  Doch  kann  ich  ihm  keineswegs  in  der  völlig  subjek- 
tiven Behauptung  beistimmen,  daß  die  Iph.  Aul.  nicht  nach  der  Iph.  Taur. 
verfaßt  sein  könne. 

^)  Vgl.  die  ganz  ähnlichen  Verbindungen  von  „Altar"  und  , Grabmal" 
bei  Simonides  frg.  4,  3  Bergk:  ßtoiiös  5'  6  Tä(t>os,  npö  yöuv  5e  iiväoTis,  6  5'  oIktos 
fe'naivos  und  Aristophanes  Thesmoph.  887:  KaKf]  KaKcös  räp'  e^^öAoio  KÖ^foXeT,  ootis 
Y€  ToA^ös  cfiiia  TÖv  ßü)|JÖv  KaAelv. 

*)  Vgl.  Hesiod  frg.  100  Rzach  =  (Stesichoros  frg.  38  Bergk)  und  Hesych 
s.  V.  ■|(t>iY^veia. 

^)  Eine  Parallele  dazu  ist  der  KaraoTepioiiös  und  Kult  der  Erechthiden 
am  Schluß  des  Erechth.  vgl.  unten  68 f. 

6)  Ob  Eur.  selbst  allerdings  noch  zur  Ausführung  eines  solchen  Schlusses 
kam,  können  wir  nicht  beweisen. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  63 

sammen  wielolaos  undHekabe  an  den  entsprechenden  Stellen'). 
In  dem  jetzt  Erhaltenen  ist  ihr  Abgang  überhaupt  nicht  kennt- 
Hch  gemacht.  Der  Bote  ruft  sie  1532  aus  dem  Zelt,  ohne  daß 
wir  hörten,  wann  sie  hineingegangen  ist.  Darauf  setzt  ein 
Chorhed  ein,  das  Iphigeniens  Entschluß  preist,  entsprechend 
dem  in  Herakl.  und  Phoen.  Das  erhaltene  Lied  (lölOff.)  ist 
in  dieser  Form  kaum  echt.  Dann  folgt  ein  Botenbericht  über 
die  Opferung,  bei  dem  aber  Ipliigeniens  Verschwinden  noch 
im  unklaren  bleibt.  Dem  Nachdichter  mögen  Notizen  des 
Eur.  vorgelegen  haben,  an  die  er  sich  wenigstens  im  großen 
und  ganzen  hielt.  Um  das  Rätselhafte  dieses  Verschwindens 
und  die  daraus  entstehende  Verwirrung  aufzuklären,  müßte 
am  Ende  Artemis  als  deus  ex  machina  erscheinen,  die  Ent- 
rückung der  Iphigenie  erklären  und  ihre  VergöttHchung  mit- 
teilen. Technisch  entspräche  dieser  Schluß  genau  dem  in 
Iph.  Taur.  und  Helena"). 

VII.  Das  Motiv  des  freiwilligen  patriotischen 
Opfertods  in  den  Fragmenten, 

a.  Erechtlieus.  Nicht  sehr  lange  nach  der  Hek.  hat  Eur. 
das  Motiv  des  freiwilligen  Opfertods  wieder  auf  die  Bühne  ge- 
bracht: im  Erechtheus.  Diesmal  wird  er  als  patriotische  Tat 
verherrlicht;  die  Opferidee  ist  also  den  Herakl.  gegenüber,  wo 
durch  den  Tod  der  Makaria  nur  die  Rettung  des  Geschlechts 
erreicht  wurde,  erweitert  und  gehoben'').  Eur.  konnte  mit 
diesem  Motiv  im  Erechth.  auf  eine  attische  Sage  zurückgreifen, 
hat  aber  durch  eine  durchaus  freie  Gestaltung  der  alten  Sa2:e 

1)  Vgl.  Girard  a.  a.  0.  174. 

2)  Das  Aelianfragment,  welches  zudem  in  seinem  Sprachgebrauch  un- 
euripideisch  ist  (vgl.  Oeri  a  a.  0.  20),  muß  hier  aus  dem  Spiel  bleiben.  Von 
wem  es  stammt,  ob  von  dem  jüngeren  Eur.,  wie  Oeri  31  will,  oder  über- 
haupt einem  andern  Tragiker  —  so  daß  Aelian  in  der  Namensangabe  irrte 
—  wissen  wir  nicht.  Daß  es  relativ  früh  ist,  beweist  die  Anspielung  des 
Aristoteles  poet.  c.  25  eAanov  yäp  (sc.  tö  4|iäpTn(ia)  ei  \ii]  fjSei,  öti  eAa<|)os  ^nAeia 
Kepata  oük  ?x«i. 

")  Der  Opfertod  für  die  engere  Heimat  wie  hier  ist  in  der  Menoikeus- 
episode  beibehalten.  Die  Iph.  Aul.  mit  ihren  panhellenischen  Tendenzen  —  hier 
wird  das  Opfer  für  ganz  Hellas  dargebracht  —  steigert  das  Motiv  abermals. 


64  Johanna  Schmitt 

eine  ganz  neue  Seite  abzugewinnen  verstanden.  Die  heroische 
Rolle  fällt  hier  nicht  dem  Opfer  selbst  zu,  sondern  der  Mutter 
des  geforderten  Mädchens,  die  aus  freien  Stücken  ihr  Kind 
fürs  Vaterland  hingibt').  Wir  müssen  uns  die  Tendenz  des 
Erechth.  aus  der  Zeit  seiner  Aufführung  klar  machen.  Durch 
Plutarchs  Nik.  9  ist  er  vor  den  Nikiasfrieden  datiert.  In  dem 
dort  zitierten  Friedenslied,  dessen  ganze  erste  Strophe  uns  bei 
Stobaeus^)  erhalten  ist,  spricht  deutlich  die  Friedenssehnsucht 
des  ausgehenden  Archidamischen  Krieges,  die  wir  so  gut  aus 
der  aristophanischen  Eipjivri  kennen  lernen.  Daß  aber  Eur. 
keinen  Frieden  um  jeden  Preis  wollte,  daß  er  ihn  nur  wünschte 
nach  einem,  wenn  auch  mit  schweren  Opfern  errungenen  Sieg, 
das  zeigt  die  Behandlung  des  Opfermotivs  in  diesem  Stück. 
Der  ganze  Erechth.  war  gedacht  als  patriotischer  TTpoTpeirTiKÖs  *). 
Wilamowitz  wollte  ihn  mit  den  Hiketiden  in  dieselbe  Trilogie 
setzen*).  Doch  scheint  mir  dies  gerade  aus  den  von  Wilamowitz 
vorgebrachten  Gründen  unwahrscheinlich.  Die  weitgehenden 
Motivübereinstimmungen '^^  sprechen  eher  dagegen  als  dafür, 
daß  sie  Eur.  seinem  Publikum  am  selben  Tage  vorsetzte  — 
sowenig  wie  Iph.  Taur.  und  Helena  zur  selben  Trilogie  ge- 
hören. In  zwei  aufeinanderfolgenden  Jahren  dagegen  (422  und 
421)  lassen  sich  die  Stücke  sehr  gut  denken:  Eur.  nahm  noch 
einmal  das  Motiv  auf,  mit  dem  er  im  vorhergehenden  Jahr 
Erfolg  gehabt  hatte.  —  Wir  wollen  versuchen,  festzustellen, 
was  sich  über  das  Opfertod-Motiv  in  diesem  Drama  ermitteln 
läßt,  und  welche  uns  schon  bekannten  Züge  wir  auch  hier 
wiederfinden.  Ob  der  Opferung  der  Erechtheus-Tochter  nur 
eine  Szene  gewidmet  war  wie  in  den  Herakl.  und  Phoen.  oder 
ob  das  Motiv  die  ganze  erste  Hälfte  des  Dramas  füllte,  wir 
also  eine  Zweiteilung  ähnlich  wie  in  Hek.  und  Her.  haben, 
läßt  sich  mit  Bestimmtheit  nicht  mehr  feststellen.    Doch  spricht 


1)  Vgl.  oben  S.  33.  ^)  Stob.  55,  4  =  frg.  369  N. 

3)  Wilamowitz,  Herakl.  I  134  und  Gr.  Trag.  I  208. 

*)  Analecta  Euripidea  73  ff.  und  a.  a.  0. 

^)  1.  Beide  Stücke  ein  lYKtojaiov  'A&qvcüv,  2.  beide  Athens  Sieg  verherr- 
lichend, 3.  in  beiden  ein  napaxopiiYniia,  4.  in  beiden  ein  äytbv  Aöycöv  mit  dem 
feindlichen  Herold,  5.  beide  sich  mit  Zeitereignissen  beschäftigend,  6.  in 
beiden  das  Motiv  des  Snano&avelv. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  65 

für  die  Annahme  eines  größeren  Umfangs  schon  die  Verdop- 
pelung des  Opfermotivs  in  dieser  Tragoedie  (s.  unten). 

Die  Einleitung  der  Opferungsszene  können  wir  uns  aus 
Lykurg*),  der  dem  Zitat  der  Praxithearede  eine  kurze  Hypo- 
thesis  vorausschickt,'  aus  dem  Panathenaikos  des  Aristides^), 
dem  ebenfalls  die  euripideische  Tragoedie  noch  vorlag,  ferner 
aus  Stobaeus  39,  33  und  seinen  zwei  Brechungen  in  Clemens 
Alex,  protrept.  3  und  Ps.-Plutarch  parall.  min.  p.  310D^)  und 
endlich  aus  Apollodor  bibl.  III  15,  4  noch  ziemlich  genau  er- 
gänzen. 

Nach  Lykurg  begibt  sich  Erechtheus  selbst,  als  der  Einfall 
des  Eumolpos  droht,  nach  Delphi  und  fragt:  ti  ttoiüv  äv  viKiqv 
Xdßoi  Trapä  tüv  7roAe|jitüv.  Das  Orakel  verkündet  ihm,  die  Opfe- 
rung der  Tochter  werde  den  Sieg  herbeiführen:  ei  ö'üaeie  rr\v 
ö'UYaTepa.  Aus  Stobaeus  a.  a.  0.  dürfen  wir  wohl  dazusetzen 
THV  TrpeaßuTdTriv  *).  Das  Opfer  war  also  genau  bestimmt.  Die 
Gottheit,  der  es  dargebracht  wei'den  soU,  ist  Persephone,  wie 
in  den  Herakl.  (Stobaeus  a.  a.  0.,  vgl.  Clemens  a.  a.  0.).  Ob 
ein  Grund  für  das  Verlangen  der  Opferung  angegeben  war, 
erfahren  wir  nicht;  nötig  war  es  so  wenig  wie  in  Herakl.  und 
Iph.  Aul.  Aus  der  Szene,  in  welcher  Erechtheus,  nach  Athen 
zurückgekehrt,  seinem  Weib  den  Orakelspruch  mitteilt,  —  wohl 
der  ersten  nach  dem  von  Poseidon  gesprochenen  Prolog  — 
läßt  sich  noch  soviel  erkennen,  daß  zwar  Praxithea  zum  Opfer 
der  Tochter  bereit  war,  Erechtheus  aber  sich  mit  natürlichem 
Gefühl  gegen  die  Tötung  des  eigenen  Kindes  sträubte.  Darin 
haben  wir  also  wieder  das  bekannte  „retardierende  Moment" 
der  Devotionsszenen.  Die  Haltung  des  Königs  wird  deutlich 
aus  den  Worten  der  großen  Praxithearede  (Iff.):  ras  xaP'Tas 
öaris  euyevüs  xap'CeTai  fjSiov  ev  ßporoTaiv.  oT  6e  5püai  }iev,  -\-  xpövw  8e 
fipwai,  5üaY€veaTepov  .  .  .  und  dann   besonders   aus  36ff. :   Kai  Tfjv 


^)  c.  Leoer.  24. 

2)  I  p.  191  Dindorf.  —  Vgl.  Wilamowitz.  Kydathen  228. 

')  Über  das  Abhängigkeitsverhältnis  dieser  drei  Quellen  vgl.  unten  93  f. 

*)  Dies  ist  wohl  der  Angabe  bei  Apollodor  a.  a.  0.  rfiv  vecoTdiriv  gegen- 
über die  richtige,  auf  Eur.  zurückgehende  Version,  s.  Robert,  Heldensage  I 
142,  7.  Eine  Parallele  gibt  die  Iphigeniensage,  wo  auch  die  Erstgeburt  ge- 
fordert wird,  s.  Ermatinger,  Die  att.  Autochthonensage,  Diss.  Zürich  1897,  88. 
Religionsgcschiclitliche  Vorsuche  u.  Vorarbeiton  XVU,2.  Ö 


66  Johanna  Schmitt 

TCKOÖaav  Kai  ok  8uo  9-'  öjioffTröpw  owoei  •  li  toutwv  oöxi  Se^aaD-ai  kqXöv  *) ; 
Diese  Verse  haben  zur  Voraussetzung,  daß  jemand  sich  gegen 
das  Opfer  sträubt,  den  sie  zu  überreden  sucht  ^).  Zum  Dialog 
mit  Erechtheus,  der  wohl  der  großen  Rede  vorausging,  ge- 
hören sicher  folgende  Fragmente,  die  nur  in  Praxitheas  Mund 
passen,  frg.  361:  eyw  8e  toüs  KaXüs  leö'vnKÖTas  ^nv  (j)rmi  ^läXXov  toü 
ßXcTreiv  Toi)S  pfi  kqXüs  und  ebenso  frg.  adesp.  41 :  ^\\(b  tekv'  dXXä 
iraTpiT  €|jriv  iiäXXov  (|)iXü,  das  durch  die  Paraphrase  des  Lykurg 
a.  a.  0.:  (j)üffei  y^P  ouaüv  (|)iXoT€Kva)v  Traaüv  tüv  y^vaiKÜv  TauTr]v  eTrolet 
Tiiv  TrarpiSa  päXXov  twv  7rai5uv  (JjiXoüaav  für  den  Erechtheus  ge- 
sichert ist'). 

Dgiß  der  Praxithea  Erechtheus  gegenüber  die  aktive  Rolle 
gegeben  ist,  entspricht  ganz  der  euripideischen  Gepflogenheit: 
überall,  wo  ein  schwieriges  Unternehmen  auszuführen,  ein  Plan 
auszusinnen  ist,  hat  die  Frau  die  führende  und  handelnde  Rolle 
(vgl.  Iph.  Taur.,  Helena,  Elektra,  Orest). 

Die  technische  Behandlung  des  Entschlusses  bei  Praxithea 
können  wir  hier  nicht  mehr  feststehen;  doch  scheint  die  Sicher- 
heit, mit  der  sie  ihre  Grundsätze  entwickelt*),  darauf  hinzu- 
weisen, daß  sie  wie  Makaria  sofort  zum  Opfer  bereit  war"),  als 
sie  von  dem  Orakelspruch  hörte.  Fast  ganz  auf  Vermutungen 
sind  wir  bei  der  Frage  angewiesen,  wie  Eur.  die  RoUe  der 
geopferten  Tochter  gestaltet  hat.  Abzulehnen  ist  sicher  Prellers 
Behauptung,  sie  habe  mit  der  Mutter  an  Opferwilligkeit  und 
Vaterlandsliebe  ge wetteifert*).  Denn  das  hätten  Lykurg  und 
unsre  andern  Quellen  sicher  nicht  zu  berichten  vergessen. 
Außerdem  hätte  neben  Praxitheas  Rede  eine  zweite  desselben 
Inhalts  nur  abschwächend  wirken  können. 


^)  Vgl.  oben  36. 

2)  Wecklein,  Sitz.-Ber.  bayr.  Akad.  1890  I  8ff.  —  Vgl.  auch  das  en- 
nianische  Erechtheus- Frg.  (Vahlen  3):  lapicleo  sunt  corde  multi,  quos  non 
fniseret  neminis.  Diese  Worte  sprach  dort  wohl  auch  Erechtheus  gegen 
Praxithea. 

^)  Als  Anspielung  auf  diese  Erechtheusstelle  mit  komischer  Verdrehung 
ist  vielleicht  Aristophanes,  Thesmoph.  752  aufzufassen :  ({iiAÖTeKvös  Tis  el  ({lüaei  . 
GÄA*  oüSev  ^TTov  f|5*  ä7Toa(t>aYnceTai,  besonders  da  das  Abschlachten  des  Schlauchs 
als  „Opfer"  dargestellt  ist,  vgl.  bes.  758.  *)  Leo,  Monolog  34,  1. 

5)  Anders  Howald  a.  a.  0.  51,  der  dem  Entschluß  einen  langen  Kampf 
der  Heldin  mit  sich  selbst  voraufgehen  läßt.  «)  Griech.  Myth.  II  =*  153. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  67 

Welcker  ^)  und  Härtung  ^)  nehmen  an,  daß  Erechtheus  die 
Tochter  ähnhch  wie  Agamemnon  Iphigenie  über  die  bevor- 
stehende Opferung  getäuscht  und  das  nichtsahnende  Mädchen 
unter  der  Vorspiegelung  eines  Opfers  zum  Altar  gelockt  habe '). 
Wir  müßten  also  eine  Szene  annehmen,  die  ähnlich  wie  die 
Begrüßungsszene  in  der  Iph.  Aul.  durch  amphibohsche  Wen- 
dungen wirksam  ist.  Gut  stimmt  zu  dieser  Vermutung  die 
Aristidesstelle:  TrpoffayaYeTv  5'  aörriv  KO(T|inaa(ja  f\  \ir\Tt\p  üffirep  eis 
i^ewpi'av  TteiiTTOuffa.  Das  beruht  auf  unmittelbarer  Kenntnis  der 
Tragoedie,  und  die  Worte  üaTrep  eis  ö-eupiav  fügen  sich  sogar 
noch  zwanglos  zu  einem  Trimeterschluß.  Die  Annahme  Welckers, 
Erechtheus  habe  dann  die  Tochter  plötzlich  am  Altar  selbst 
niedergeschlagen,  stützt  sich  auf  die  Worte  bei  Stobaeus:  ei^' 
ouTCüS  Tfiv  KÖpnv  irpoaaYaYwv  toTs  PwjioTs  dveTXev,  wobei  aber  das 
Trpoaayaycov  doch  wohl  falsche  Übertragung  von  der  Aktion  der 
Praxithea  ist*j.  Daß  ein  besonderer  Botenbericht  von  der 
Opferung  erzählte,  scheint  mir  aus  den  oben  dargelegten 
Gründen  auch  für  dieses  Stück  unwahrscheinlich^).  Mehr  als 
einen  Botenbericht  hat  auch  der  Erechtheus  kaum  besessen,  und 
dieser  gab  notwendig  die  Schilderung  des  Kampfes  mit  Eumolpos, 
der  wohl  eine  kurze  Erwähnung  des  Opfers  vorausging  (wie 
in  den  Herakl.  und  der  Menoikeusepisode)  und  die  darauf  er- 
folgende Vernichtung  des  Erechtheus  durch  Poseidon  bezw. 
seine  Verwandlung  in  die  Burgschlange "). 

Wenn  Eur.  auch  im  Erechth.  den  Heroismus  der  Praxithea 
verherrlicht,  so  läßt  er  dieses  im  Grunde  widernatürliche  Ge- 
fühl doch  nicht  ungestraft.  Die  Tragik  der  Praxithea  hegt 
darin,  daß  gerade  das  Beste  in  ihr,  der  glühende  Patriotismus, 
ihr  das  tiefste  Leid  bringt.    Nicht  nur  die  eine,  freiwihig  hin- 

1)  Gr.  Trag.  II,  720,  dem  Nagel,  De  Erechtheo,  Diss.  Berl.  1842,  69  ff., 
folgt.  2)  A  a.  0.  I  469. 

'^)  Vgl.  Frg.  350:  Frage  der  Tochter  bei  den  Opfervorbereitungen  und 
Frg.  365:  Mahnung  des  Erechtheus  an  die  Tochter,  trotz  ihrer  Scheu  unter 
die  Volksmenge  zu  treten. 

*)  Welckers  Deutung  der  Skulptur  des  Marmorsessels  aus  dem  Dionysos- 
theater auf  die  Opferung  der  Erechtheustochter  hat  Michaelis,  JHS  V  1884, 
147 ff.  zurückgewiesen;  dargestellt  ist  Theseus  und  Antiope,  s.  Robert,  Helden- 
sage I  341,  6.  5)  Vgl.  oben  54. 

")  S.  Wilamowitz,  Kydathen  141  Anm. 

5* 


68  Johanna  Schmitt 

gegebene  Tochter  verliert  sie,  sondern  auch  die  beiden  andern, 
die  einem  früheren  Gelöbnis  zufolge  der  Schwester  nacli- 
sterben  ^).  Daß  auch  diese  Schwestern  auftraten,  läßt  Frg.  358 
erkennen:  oük  cctti  unrpös  ou8ev  n5iov  tckvois'  epäre  pnrpös  7raT5es 
US  ouK  ear'  epcos  toioötos  aXXos  öctis  f\bmv  epäv.  Möglich  scheint, 
daß  Erechtheus  diese  Worte  zu  den  zwei  übrig  gebliebenen 
Töchtern  sprach:  sie  müßten  durch  ihre  Liebe  der  Mutter  den 
Verlust  der  Schwester  ersetzen;  vielleicht  gaben  sie  sich  nach 
anfänglicher  Verstellung  —  wie  Menoikeus  —  dann  doch  den 
Tod  und  ließen  die  Eltern  verwaist  zurück^).  Garnichts  wissen 
wir  von  Praxitheas  Haltung  nach  diesen  Schicksalsschlägen. 

Eur.  hat  das  Motiv  des  freiwilligen  Opfertods  in  dieser 
Tragoedie  also  verdoppelt,  doch  ohne  sich  zu  wiederholen: 
neben  dem  patriotischen  Opfertod  steht  das  persönliche  CTrairo- 
&aveTv.  —  Daß  im  Erechth.  die  Verstirnung  der  Erechthiden 
vorkam,  wissen  wir  aus  Schol.  Arat.  172:  Eupnn'Sns  pev  oöv  ev 
'Epex&eT  tos  'Epex9"eus  ö-uyaTepas  vabas  ^r]ai  y^vea^ai  rpeTs  ouffas^). 
Von  diesem  KaraaTepiaiiös  konnte  nur  ein  deus  ex  machina,  wohl 
Athene,  berichten*).  Der  Opfertod  war  also  am  Schluß  ver- 
herrlicht und  durch  die  Vergöttlichung  gerechtfertigt,  eine  Vor- 
stufe der  Gestaltung  also,  die  wir  für  den  Schluß  der  Iph.  Aul. 
annehmen  mußten.  In  der  Rede  der  Athena  war  das  amov 
zum  Kult  der  irapO'evoi  gegeben,  denn  unter  diesem  Kultnamen 
wurden   die  Erechtheustöchter  neben   dem  Erechtheus   selbst, 


1)  Apollodor  III,  15,  4.     Vgl.  auch  Hygin  fab.  46.     Robert  a.  a.  0.  143. 

^)  Welckers  Deutung  dieses  Frg. 's  als  Worte  des  sterbenden  Erechtheus 
a.  a.  0.  723,  gehen  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  Erechtheus  sterbend  auf 
die  Bühne  gebracht  wurde,  was  nicht  beweisbar  ist,  s.  Wecklein  a.  a.  0. 
Hartungs  Vermutung  a.  a.  0.  472,  es  seien  die  Abschiedsworte  der  Erechtheus- 
töchter an  die  kleinen  Brüder,  ist  irrig.  Erechtheus  hatte  bei  Eur.  keine 
Söhne.  Nagel  a.  a.  0.  52  versacht ,  die  Erechtheussöhne  durch  gewaltsame 
Konjektur  von  Frg.  360,  22  hineinzubringen:  övaTeS-riÄnKCüs  für  dvii  &tiAeiäv. 

")  KaiaoTepiciJoi  finden  wir  auch  sonst  bei  Eur.  Nagel  a.  a.  0.  83  weist 
auf  die  Verstirnung  der  Helena  Orest.  1636 ff.  hin.  Vgl.  auch  Robert,  Era- 
tosth.  Cat.  XIV  Taöpos,  wo  der  Phrixos  des  Eur.  als  Quelle  für  die  Verstirnung 
des  Stiers  angegeben  wird.  Vielleicht  spielt  auch  schon  Hipp.  1121  ff.  tnei 
Töv  'EAÄavias  (jjavepcüTaiov  doiep'  'A&qvas  eiSoiiev  .  .  .  auf  den  bei  Paus.  II  32,  4 
berichteten  KaTaoiepioiJtös  des  Hippolytos  an. 

*)  Robert  a.  a.  0.  143. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  69 

der  zum  Trdpe5pos  der  Athena   erhoben  wurde,  verehrt'),   vgl. 
Hesych  ^cöyos  rpiTrdp&evov  ■  EupiTriSns  'Epex9"eT. 

Aristides  a.  a.  0.  umschreibt  dies  mit  den  Worten:  tüv 
KOpwv  lepä  i5pu(Taiievn  (sc.  r\  iröXis)  Kai  ^ei'as  jjoipas  avii  ^vnTäs 
d^jwoacra  ims  TijiaTs,  'Epex^ea  5e  toTs  ev  dKpOTTÖAei  ^eoTs  TvdpeSpov 
diroSei^affa ").  Zur  Bestimmung  des  Wesens  dieser  Ttap^evoi  ge- 
hört wohl  auch  das  neue  Erechtheusfragment  aus  dem  Lexikon 
des  Photios:  dvew^oi  ydiiof  oi  iif]  y^^V  nvwiievor  EüpnrlSns  'Epex9"eT 
(Reitzenstein  128,22  S.  117).  Vielleicht  war  es  in  der  Ver- 
bindung gesagt,  daß  die  göttlichen  Ehren  ihnen  Ersatz  für  das 
unerreichte  reXos  der  Ehe  sein  müßten,  ähnlich  also,  wie  wir 
diesen  töttos  öfters  in  den  Devotionsszenen  verwendet  fanden. 

b.  Phrixos.  Viel  Ähnhchkeit  mit  der  Behandlung  im 
Erechth.  hat,  soviel  wir  sehen  können,  die  Einleitung  der 
Devotionsszene  im  Phrixos.  Das  argumentum  der  Tragoedie 
ist  uns  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bei  Hygin  fab.  II  erhalten: 
Ino,  die  zweite  Frau  des  Atharaas,  sucht  ihre  Stiefkinder  aus 
dem  Weo;  zu  räumen.  Zu  diesem  Zweck  verursacht  sie  zuerst 
eine  Hungersnot,  indem  sie  die  Frauen  des  Landes  das  Ge- 
treide rösten  heißt.  Und  als  der  König  in  dieser  Not  Gesandte 
zum  delphischen  Orakel  sendet,  um  die  Mittel  zur  Abwendung 
der  Landplage  zu  erfahren,  besticht  sie  die  Gesandten,  damit 
sie  die  Antwort  bringen:  der  Königssohn  muß  geopfert  werden. 
In  einer  ganz  ähnlichen  Szene,  wie  wir  sie  für  den  Erechth. 
voraussetzen  mußten,  sucht  Ino  den  Athamas  zu  diesem  schweren 
Opfer  zu  überreden,  spielt  also  die  Rohe  der  opferfreudigen 
Praxithea,  Athamas,  der  sich  gegen  die  Opferung  des  Kindes 
sträubt,  die  des  zögernden  Erechtheus.  Der  Gang  dieses  dywv 
läßt  sich  noch  ziemlich  deutlich  erkennen  aus  Erg.  822/3,  828, 
826,  829,  832 N.,  s.  Welcker,  Gr.  Trag.  II  612ff.  Diesem  Streit 
macht  der  Königssohn  selbst  ein  Ende,  der,  wie  wir  nach 
Analogie  der  übrigen  Devotionsszenen  wohl  annehmen  dürfen, 
schweigend  dabei  gestanden  hat.  Wie  Menoikeus  entschließt 
er  sich  zum  freiwilligen  Tod  fürs  Vaterland,  vgl.  Hygin  a.  a.  0. : 
Quod  cicm  Athamas  se  fadurum  abnuisset  (sc.  den  Sohn  zu 
opfern),    Phrixus   ultro    ac    lihens  poUicetur    se    unum   civitateni 

>)  Müller,  De  deor.  pari.  98,  113;  Robert  a.  a.  0.  143. 

«)  Wilamowitz,  Kydathen  229. 


70  Johanna  Schmitt 

aeriimna  liheraturum.  —  Phrixos  wird  in  einer  großen  Rede 
seine  Bereitwilligkeit  zum  Tod  kundgegeben  haben.  Es  scheint, 
daß  ein  Grundzug  in  seinem  Charakter  müde  Resignation  und 
ein  gänzliches  Abwenden  von  dieser  Welt  gewesen  ist. 

Während  Makaria  noch  sehr  unbestimmte  Jenseitshoffnungen 
ausspricht,  ja  an  einem  Dasein  nach  dem  Tod  überhaupt 
zweifelt  und  schon  im  Tod  selbst  das  kqküv  ^eyioTOv  (})dppaKOv  er- 
blickt (Herald.  596),  erwartet  Phrixos  das  wahre  Leben  erst  nach 
dem  Tode  Frg.833:  ti's  6'  oT5ev  ei  ^qv  toöD'  ö  KeKÄiirai  ^avelv,  tö  ^fjv  8e 
^viiaKciv  eari;  5fjXov  us  ßpoTÜv  voaoöoiv  oi  ßXeTrovres,  oi  5'  öXujXÖTes 
ou5ev  voaoöoiv  ou5e  KEKTrivrai  Kaxd ').  Nach  Analogie  der  Makariarede 
müssen  diese  Worte  die  Schlußsentenz  einer  längeren  pfjoris  ge- 
wesen sein.  Daß  sie  Phrixos  bestimmt  zugesprochen  werden 
dürfen,  geht  aus  Schol.  Arist.  Ran.  1082  hervor:  dXX'  6  XeYwv  eori 
^JpT^os^).  Zu  der  Resignation,  die  sich  in  diesen  Schlußversen 
äußert,  paßt  inhalthch  gutFrg.  821,  das  Tzetzes  fälschlich  für 
einen  Prologanfang  gehalten  hat  ^) :  ei  jjiev  tö5'  niiap  irpürov  qv  kqkou- 
|iev(ü  KOI  pfj  [laKpäv  5f]  8iä  ttövüjv  evauaröXouv,  eiKÖs  a(j)a5a^€iv  qv  äv 
US  veö^uya  ttwXov  y^ahsos  äpriws  5e5eYiievov  ■  vüv  6'  djißXus  eijii  Kai 
KainpruKus  KQKwv.  Phrixos  ist,  wie  es  scheint,  durch  die 
dauernden  Ränke  der  Stiefmutter  so  abgehetzt  und  verbittert, 
daß  er  diesem  letzten  KaKoüa9-ai,  dem  Tod  als  Opfertier,  keinen 
Widerstand  mehr  entgegensetzt.  Ganz  ähnhch  ist  die  Stim- 
mung ja  auch  in  Makarias  und  Polyxenas  Reden :  auch  da  er- 
scheint der  Tod  als  Retter  vor  der  trüben  Zukunft*).  —  Daß 

^)  Überl.  TrAf]v  o^us.    SfiAov  ms:  corr.  Hense. 

2)  Der  Schoüast  verwechselt  zwar  hier  die  ganz  ähnliche  Sentenz  aus 
dem  Polyidos  (vgl.  Schol.  Hipp.  192):  Tis  5'  olSev  ei  tö  ^fjv  jjiev  Ioti  KaT&aveiv,  t6 
KaT&avelv  Se  ^fjv  kötco  voiai^eToi;  mit  der  des  Phrixos,  weiß  aber  in  der  Sache 
selbst  doch  Bescheid.  Dieselbe  Verwechslung  liegt  in  Schol.  Ean.  1478  vor, 
wo  aber  neben  dem  ersten  Schol.:  Ttapä  Tä  ?k  <t>pi^ou  EupmiSou  das  zweite  be- 
sagt: ToÖTo  l\  'InnoÄÜTou  5päfiaTos,  wofür  wohl  floAuiSou  zu  schreiben  ist,  vgl. 
Nauck  zu  Frg.  638.  Daß  Eur.  Sentenzen  gleichen  Inhalts  in  doppelten  Fas- 
sungen verwendet,  haben  wir  an  den  Schlußworten  der  Praxithea  und  des 
Menoikeus  gesehen. 

3)  Vgl.  Nauck  a.  a.  0.  Änm.  zu  Frg.  819  u.  821. 

*)  Härtung  a.  a.  0.  146  reiht  das  frg.  ine.  854  N.,  das  Wilamowitz  für 
die  „ausgefallene"  Szene  der  Herakl.  beansprucht  hat,  hier  ein:  tö  pev  cifa.^r\- 
vai  5eivöv,  ei3KAeiav  5'  Ixei,  tö  ^r\  S^avelv  5e  SeiÄöv,  nSovr]  5'  Ivi.  Doch  paßt  diese 
Betonung  der  ti5ovr|  wenig  für  einen  Phrixos. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  71 

Eur.  als  verstärkendes  und  die  Opferung  beschleunigendes 
Motiv  die  Bedrängung  des  Athamas  durch  das  Volk  angewandt 
hat,  welches  das  Opfer  des  Königssohns  entschieden  fordert '), 
läßt  sich  aus  den  Fragmenten  nicht  erkennen,  ist  aber  sehr 
wahrscheinlich.  Es  wäre  eine  Vorstufe  zur  Iph.  Aul.,  wo  das 
ungeduldige  Heer  die  Opferung  der  Jungfrau  verlangt.  —  Hygin 
erzählt  weiter,  daß  ein  Diener  aus  Mitleid  mit  Phrixos  die 
ganzen  Ränke  der  Ino  enthüllt  habe  in  dem  Augenblick,  als  er 
zum  Altar  geführt  werden  sollte.  Das  klingt  ganz  nach  einer 
Tragoedie,  und  in  der  Tat  ist  in  zwei  Fragmenten  des  Phrixos 
(830  und  831)  von  einem  Sklaven  die  Rede.  Mit  der  Errettung 
des  Phrixos  ist  das  Opfermotiv  abgeschlossen.  Wir  haben  hier 
also  wiederum  eine  neue  Wendung  dieses  beliebten  Vorwurfs, 
einen  „glücklichen  Ausgang" "). 

Mit  dieser  dramatischen  Erfindung,  der  Rettung  des  Phrixos 
durch  die  Enthüllungen  des  Sklaven,  läßt  sich  die  alte  Sage  von 
der  Flucht  nach  Kolchis  kaum  vereinen.  Aber  Eur.  scheint 
am  Ende  doch  wieder  in  das  alte  Sagengeleise  eingelenkt  zu 
haben.  Der  Ausgang  der  Tragoedie  läßt  sich  aus  Kombination 
von  Hygin  und  Frg.  838 N  (vgl.  Welcker  a.  a.  0.  615)  erschließen. 
Dem  Phrixos  wird  von  Dion5'sos,  der  als  deus  ex  machina  auf- 
trat, die  Fahrt  nach  Kolchis  befohlen,  wohl  gewissermaßen  als 
Strafe,  daß  er  sich  an  der  geheiligten  Person  der  Dionysos- 
pflegerin Ino  hatte  vergreifen  wollen,  die  ihm  von  Athamas 
zur  Bestrafung  übergeben  worden  war*). 

Das  Motiv  der  im  letzten  AugenbHck  hintertriebenen 
Opferung  hat  die  Sagendichtung  in  diesem  Mythenkreis  doppelt 
ausgestaltet:  Nephele,  die  verstoßene  göttliche  Gemahlin  des 
Athamas,  veranlaßt  seine  Opferung  als  Sühne  für  den  ver- 
meintlichen Tod  des  Phrixos  (der  also  für  wahr  gehalten  wurde 

^)  Vgl.  ApoUodor  I  9,  4:  ouvavavKa^öiievos  (sc.  'A&diias)  ujtö  tüv  Tfiv  yr\\/ 
oiKOÜvTuv  Tö)  ptüliü  napearqoe  <t>pI^ov. 

")  Einen  ähnlichen  Umschlag  der  Handlung  von  Todesbereitschaft  zu 
höchstem  Glück  gibt  z.  B.  der  erste  Teil  des  Herakles. 

^)  Anders  Müller,  Z>e  deor.part.  trag.  113,  der  mit  Welcker  u.  Härtung 
Nephele  als  deus  ex  machina  annimmt.  Doch  scheint  mir  seine  Motivierung 
der  Flucht  unhaltbar:  ne  diutius  in  illa  domo  morarentur  (sc.  Phrixos 
u.  Helle),  in  qua  tanta  pericula  eis  impendissetii:  diese  pericula  sind 
doch  vorbei. 


72  Johanna  Schmitt 

wie  der  der  Iphigenie  in  Iph.  Taur.,  Elektra  des  Soph.  u.  Eur., 
Agamemnon  des  Aiseh.).  Gerade  als  Athamas  wie  ein  Opfer- 
tier geschmückt  zum  Altar  geführt  werden  soll,  rettet  ihn 
Herakles  (nach  Herodot  VII  197  sein  Enkel  Kytissoros)  durch 
seine  Dazwischenkunft  und  die  Meldung,  daß  Phrixos  noch  am 
Leben  sei.  Diese  Sage  hat  Sophokles  in  seinem  ersten  Athamas 
behandelt  ^). 

Eur.  hat  also  nach  seiner  Gewohnheit  das  Motiv  so  um- 
gebogen, daß  ein  freiwilliger  heroischer  Opfertod  daraus  wurde. 
Daß  Athamas  zum  Tode  bereit  war,  also  auch  hier  schon  das 
Opfer  als  ein  gewissermaßen  „freiwilliges"  aufgefaßt  war,  läßt 
sich  für  Sophokles  selbst  nicht  mehr  feststellen.  Die  Fragmente 
aus  dem  Athamas  des  Accius  jedoch,  der  offenbar  eine  Nach- 
ahmung der  sophokleischen  Tragoedie  war,  lassen  erkennen, 
daß  Athamas  hier  seine  Tat  bereute  und  zum  Sterben  bereit 
war,  frg.  VII  Ribbeck:  Ätque  ita  de  Ulis  inerui,  iit  iure  haec 
nunquam  miserarent  mala,  und  frg.  V:  CiUus  sit  vita  indecoris, 
mortetn  fngere  turpem  haut  convenit^). 

VIII.  Das  Motiv  des  persönlichen  freiwilligen 

Opfertods. 

a.  Alkestis.  Alle  bisher  behandelten  Devotionsszenen  hat 
Eur.  im  Laufe  des  Peloponnesischen  Krieges  geschrieben.  Die 
Heldenjünglinge  und  -Jungfrauen,  die  er  hier  schildert,  opfern 
sich  alle  in  einer  großen  Not  für  Geschlecht,  Vaterstadt,  ganz 
Hellas.  Ganz  frei  von  der  paraenetischen  Tendenz  dieser  Dar- 
stellungen ist  der  freiwillige  Opfertod  einer  Alkestis,  das  eir- 
ttTTO^aveTv  einer  Euadne  und  Laodamia").  Hier  hat  Eur.  den 
märchenhaften  Schleier,  der  über  diesen  Sagen  liegt,  nicht 
durch  das  Hereinziehen  von  Zeitstimmungen  zerstört*). 

Verschieden  ist  die  Alk.  von  den  andern  Devotionsszenen 
vor  allem  darin,  daß  der  Entschluß  zum  stellvertretenden  Tod 

1)  Nauck  S.  131,  vgl.  Schol.  Arist.  Nub.  257. 

2)  Vgl.  Weicker,  Gr.  Trag.  I  323;  anders  Ribbeck,  Rom.  Trag.  527.  Über 
den  Athamas  des  Aischylos  und  Phrixos  des  Sophokles  wissen  wir  nichts. 

*)  Zum  Begriff  des  pnano&aveiv  Hirzel  a.  a.  0.  79, 1. 
*)  Howald  a.  a.  0.  14  und  16,  der  den  Opfertod  der  Alkestis  besonders 
der  Behandlung  des  Motivs  in  den  Phoen.  gegenüberstellt. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  73 

zur  Vorfabel  gehört,  die  Tragoedie  nur  die  Einlösung  des  Ge- 
lübdes darstellt.  Trotzdem  finden  wir  auch  schon  hier  manche 
Züge,  in  welchen  die  Technik  der  späteren  Devotionsszenen 
vorgebildet  ist.  Wie  sonst  immer  den  Todesbereiten  ist  auch 
der  Alkestis  eine  große  Rede  gegeben,  in  der  sie  den  Grund  zu 
ilu-em  Entschluß  darlegt  und  Admet  ihre  letzten  Wünsche  aus- 
spricht (280  ff.).  Von  dem  rhetorischen,  scharf  disponierten  Aufbau 
der  Devotionsreden  ist  aber  diese  pqais  weit  entfernt.  Immer- 
hin finden  sich  auch  hier  einige  Berührungspunkte.  ]\Iit  ganz 
schlichten  Worten  und  ohne  weitere  Rechtfertigung  gibt  Alkestis 
ihren  Entschluß  an  (287):  ouk  rj^eXrio'«  ^Hv  dTroaTraaS'eTad  aou  aöv 
Traidiv  öp({)avoT(jiv  ■  ou5'  i^e\aa\ir[\/,  fjßns  exouaa  öüp'  ev  oTs  erepiröiiriv. 
Etwas  näher  an  die  Art  der  andern  Devotionsszenen  klingen 
die  von  der  S-epdTraiva  berichteten  Abschiedsworte  der  Alkestis 
von  ö'dXaiios  und  Aexos  an  (180):  7rpo5oüvai  ydp  c^'  ÖKvoöaa  Km 
TTÖaiv  ö'vriaKu.  Den  Ausdruck  TrpoSoövai  finden  wir  auch  an  den 
entsprechenden  Stellen  der  Herakl.  522,  Phoen.  1003  und  Hik. 
1024').    In  der  Praxithearede  steht  dafür  8ia<{)^eTpai  (Frg.  360, 17). 

Mit  der  Abschiedsrede  der  Makaria,  also  der  zeitlich  am 
nächsten  stehenden  Gestaltung  des  Opfermotivs,  berührt  sich 
die  Rede  der  Alkestis  darin,  daß  sie  Admet  —  wie  Makaria 
den  Brüdern  —  die  Größe  ihres  Opfers  klarmacht  (Alk.  299  ff. 
~  Herakl.  579 ff.  583).  Den  Abschied  von  den  Kindern,  der 
hier  im  Mittelpunkt  der  ganzen  Szene  steht,  fanden  wir  als 
Nebenmotiv  schon  in  den  Herakl.  und  der  Iph.  Aul. ").  Der 
Schluß  der  Alkestisrede  mit  dem  Hinweis  auf  den  Ruhm  ihrer 
Tat  (323f.)  hat  seine  Parallelen  in  allen  übrigen  Devotions- 
szenen: Herakl.  533f.,  Erechth.  Frg.  360,42;  52 ff.  Phoen.  10i3ff. 
Iph.  Aul.  i383ff.,  1398ff.;  endlich  auch  Hik.  1015. 

Dieser  Rede  geht  voraus  ein  Kommos  zwischen  Alkestis 
und  Admet  mit  den  Todesphantasien  der  Alkestis,  und  es  folgt 

1)  S.  unten  75  f. 

-)  Die  Klage  der  Alkestis  una  das  Los  ihrer  Kinder,  besonders  die  Sorge, 
ob  das  mutterlose  Mädchen  einen  Gatten  finden  wird  (3 12 ff.),  hat  viel  Ähn- 
lichkeit mit  Oed.  Tyr.  1468 ff.  Da  wir  andrerseits  in  der  Abschiedsszene  der 
Makaria  von  den  Brüdern  einen  Anklang  an  den  Abschied  des  Aias  vom 
kleinen  Eurysakes  fanden  (oben  45),  dürfen  wir  wohl  schließen,  daß  Sophokles, 
wie  für  das  ganze  Abschieds-Ethos,  so  auch  für  die  Kinderrollen  beim  Ab- 
schied Vorbild  war. 


74  Johanna  Schmitt 

ihr  die  Abschiedsszene,  die  in  eine  Stichomythie  ausläuft.  Eben 
diese  drei  Teile,  in  derselben  Reihenfolge,  kehren  wieder  in 
der  Polyxenaszene  und  in  der  Iph.  Aul.  (nur  steht  hier  an 
Stelle  des  Komraos  die  Monodie  der  Iphigenie  1279 ff.,  immer- 
hin also  auch  ein  lyrisches  Stück)*).  Direkt  aufeinander  wie 
in  der  Alk.  folgen  sich  in  den  späteren  Stücken  diese  Teile 
nicht,  sondern  es  schieben  sich  andere  Partien  dazwischen. 
Die  Abschiedsstichomythie,  in  der  wieder  die  Hauptsorge  den 
Kindern  gilt,  hat  einen  wörtlichen  Anklang  an  die  in  der  Hek. 
Alk.  379:  tu  tekv',  öre  ^Fjv  XPHV  \i,  äirepxoiiai  Kdru.  Hek.  414:  w  |iiiT€p', 
w  TeKOÖa'  ■  aireipi  hr\  Kdrw.  Admets  Versprechen,  ihren  Wünschen 
zu  willfahren,  erinnert  sehr  an  die  ähnlichen  Worte  des  Demophon 
an  Makaria:  Alk.  328:  earai  Td5*  earm,  pq  rpearis.  Herakl.  567: 
earai  Td5',  w  TdXaiva  Trap^evuv. 

Im  Gegensatz  zu  den  andern  sich  freiwillig  Opfernden  aber 
fällt  Alkestis  der  Tod  nicht  leicht.  Aus  Liebe  zu  Admet  hat 
sie  das  Gelübde  getan;  aber  zwischen  Entschluß  und  Ausfüh- 
rung liegt  lange  Zeit.  Jetzt  erst,  wie  sie  sich  von  den  Kindern 
trennen  soll,  auf  die  nun  ihre  ganze  Liebe  übergegangen  ist, 
weiß  sie  das  Leben  zu  schätzen.  Fast  wie  Iphigenie  (1252): 
KQKWS  (,Y\\  KpeTaaov  r\  kqXüs  ö^aveTv  sagt  sie  (301):  il»üxns  Y^P  oi'Sev 
€(JTi  Tipiwrepov,  und  gegenüber  den  andern,  die  ihr  „freiwilliges" 
Sterben  nicht  genug  betonen  können^,  stirbt  sie  (389)  oü  Sfjy 
€KOÖad  ye. 

Die  Rolle  dessen,  der  das  Opfer  verhindern  will,  fällt  hier 
Admet  zu,  also  gerade  dem,  für  den  es  gebracht  wird').  Der 
Mythus  hat  den  Opfertod  der  Alkestis  überliefert.  Aber  Eur. 
hat  doch  nicht   unterlassen  können,   zu   fragen,    warum  denn 

1)  Lyrische  Partie:  Alk.  244ff.,  Hek.  177S.,  Iph.  Aul.  1279ff.  —  Große 
Eede:  Alk.  280 ff.,  Hek.  342 ff.,  Iph.  Aul.  1368 ff.  —  Abschiedsstichomythie: 
Alk.  374ff.,  Hek.  415ff.,  Iph.  Aul.  1434ff. 

"■)  Vgl.  Herakl.  501  ff.,  530 f.,  550 ff.;  Hek.  346 ff.  548 ff.;  ähnUch  Erechth. 
Frg.  360,  1. 

^)  Aus  der  Übereinstimmung  der  Worte  der  Admetosrede  (357):  ei  5' 
'Op(t)ecös  lioi  yXmaa  Kai  [ieAos  napriv  mit  denen  der  Flehrede  Iphigeniens  (1211) : 
€1  jiev  TÖv  'Op(j)ecos  eixov,  5i  ndiep,  Aöyov  vermutet  Boeckh,  Graecae  trag,  prin- 
cip.  257,  die  Stelle  der  Iphigenie  sei  Interpolation  in  Anlehnung  an  die 
Alkestisverse.  Doch  wird  man  angesichts  der  vielen  Anklänge,  die  gerade 
in  den  Devotionsszenen  so  häufig  sind,  nicht  an  der  Echtheit  beider  Stellen 
zweifeln. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  75 

Admet  nicht  selbst  gestorben  ist,  sondern  feig  das  Opfer  seiner 
Frau  angenommen  hat.  Das  ist  der  Sinn  der  Pheresszene '), 
Eur.  geht  noch  weiter:  er  läßt  in  Admet  eine  völlige  Um- 
wandlung eintreten.  Als  er  vom  Grab  heimkehrt,  hören  wir, 
daß  nun  erst  das  ganze  Bewußtsein  seiner  Kläghchkeit  über 
ihn  gekommen  ist.  Jetzt  erst  will  auch  er  selbst  sterben  und 
macht  den  Versuch,  sich  in  das  offene  Grab  zu  stürzen.  Und 
ganz  ähnlich  wie  Hekabe  (391):  ujieTs  8e  |i'  äXKa  D-UYctTpi  auii(j)0- 
veuaare,  Kai  ßis  TÖcrov  ttüjji'  aY|iaTOS  ye\f\ae7ai  sagt  nun  auch  Admet 
(900):  5uo  8*  dvTi  \uäs  "Ai5iiS  ^vxäs  ras  TTKTTOTdTas  abv  äv  eaxev, 
öiioö  x^ovlav  \\\ivt]v  SiaßdvTe.  Doch  hat  dieser  Stimmungswechsel 
auf  die  dramatische  Entwicklung  keinen  Einfluß.  Eur.  kehrt 
zum  Mythus  und  seinem  glücklichen  Ausgang  zurück^). 

Besonders  ausführlich  sind  in  der  Alk.  die  Preislieder,  die 
der  Verstorbenen  gewidmet  sind  (435 ff.  991  ff.).  Auch  hier 
finden  wir  wieder  Berührungen  mit  den  entsprechenden  Liedern 
der  späteren  Devotionsszenen.  Wie  in  der  Alk.  den  Admet 
(985 ff.)  mahnt  der  Chor  in  den  Herald,  den  lolaos  (618ff.),  sich 
nicht  allzu  großem  Schmerz  hinzugeben. 

Die  etwas  triviale  Stfelle  des  Chorlieds  auf  Alkestis  (473  ff.) 
hat  Eur.  in  dem  entsprechenden  Lied  auf  Menoikeus  wieder 
aufgenommen  (1060 ff.).  Der  Chor  der  Alk.  wünscht  sich  solche 
Gattinnen,  der  der  Phoen.  solche  Söhne  zu  haben  wie  die 
eben  Gepriesenen. 

b.  Euadue.  Nur  eine  ganz  kurze  Szene  nimmt  das  eir- 
QTTOÖ'aveTv  der  Euadne  in  den  Hiketiden  ein.  Von  einem  eigent- 
lichen Opfertod  kann  hier  natürlich  sowenig  wie  im  Protesilaos 
die  Rede  sein.  Nur  unter  dem  Gesichtspunkt  der  verwandten 
Technik  können  wir  diese  Stücke  in  unsre  Behandlung  ein- 
beziehen. —  Die  Euadneszene  kommt  völlig  unerwartet.  So- 
zusagen szenisch  vorbereitet  ist  sie  durch  die  Erwähnung,  daß 
der  Scheiterhaufen  des  blitzgetroffenen  Kapaneus  direkt  neben 
dem  Tempel  liege  (938):  auToü  irap'  oVkous  T0Uff5e  au|i7rn^as  id^ov. 
Da  erscheint  plötzlich  Euadne,  vom  Chor  angekündigt,  hoch 
auf  dem  Felsen  über  dem  Scheiterhaufen.  Auch  hier  ist  der 
Entschluß  zum  Tod  bereits  gefaßt.  In  der  langen  Monodie 
(990  ff.)  wird  der  Tod  unter  dem  Bild  eines  zweiten  Hochzeits- 

^)  Wilamowitz,  Gr.  Trag.  III  92.  «)  Vgl.  Lindskog  a.  a.  0.  48  ff. 


76  Johanna  Schmitt 

festes    verherrlicht*).     Nichts   hält   Euadne    mehr    am    Leben, 
sondern  euKXeias  X«piv  wird  sie  dem  Gatten  folgen. 

Doch  auch  in  dieser  kurzen  Szene  fehlt  nicht  das  „retar- 
dierende Moment".  Wieder  ist  es  der  Vater  der  Todesbereiten, 
der  ihre  Tat  hindern  will.  Die  bekannte  Technik  ist  auch  hier 
angewandt:  auf  die  Monodie  der  Euadne,  die  hier  anstelle  der 
großen  Rede  steht,  folgt  eine  Stichomythie  mit  ihrem  Vater  Iphis, 
die  zugleich  ihren  Abschied  bildet^).  Etwas  künstlich  wird 
dadurch  eine  Steigerung  versucht,  daß  Euadne  ihren  Entschluß 
dem  Vater  erst  unter  andeutenden  Worten  verbirgt  —  also  ein 
leiser  Ansatz  zu  der  Verstellung  des  Menoikeus  — ,  um  dann 
erst  mit  dem  alten  agonistischen  Motiv  zu  enden  (1059):  ev- 
TQÜö-a  yap  br\  KaXXiviKos  epxojiai.  Dem  Entscliluß  folgt  die  Aus- 
führung, der  Sprung  auf  den  Scheiterhaufen,  auf  dem  Fuß.  — 
Der  Epilog,  den  Iphis  der  Tochter  hält,  zeigt  in  seinen  Ge- 
meinplätzen Verwandtschaft  mit  dem  der  Hekabe  nach  Po- 
lyxenas  Tod.  Gegen  Schluß  belebt  er  sich  etwas,  an  der  Stelle, 
wo  Iphis  von  seinen  Besuchen  im  Hause  der  Tochter  und  ihrer 
Zärthchkeit  und  Sorge  für  den  alten  Vater  erzählt  (1098 ff.). 
Diesen  genrehaften  Zug  hat  Eur.  ähnlich  in  der  Bittrede  der 
Iphigenie  wieder  aufgenommen  (1228ff.).  Das  Zusammen- 
brechen von  lolaos  und  Hekabe  am  Schluß  der  Szene  ist  hier 
dadurch  gesteigert,  daß  Iphis  bei  seinem  Abgehen  den  Ent- 
schluß ausspricht,  seinem  Leben  durch  Hunger  ein  Ende  zu 
machen.  —  Irgend  welche  Nachwirkung  im  weitern  Verlauf 
des  Stücks  hat  die  Euadneszene  nicht.  Das  sonst  abschließende 
Chorlied  ist  hier  durch  den  Gesang  der  Euadne  gleichsam  schon 
abgelöst. 

c.  Laodamia.  Manches  Verwandte  mit  der  Euadneszene 
hat   das  Motiv   des   CTraTTO^aveTv   im   Protesilaos,   der  Tragoedie, 

^)  Der  Vergleich  des  Hochzeits-  mit  dem  Sterbetag  kommt  auch  in 
Admets  Klage  vor  915  ff.  Auch  sonst  ist  dieser  TÖnos,  der  wohl  aus  dem 
&pfjvos  stammt,  sehr  gebräuchlich,  s.  Wilamowitz  zu  Herakles  11.  481. 

^)  Der  Zug,  daß  bei  Iphis  der  Tod  der  Tochter  unmittelbar  auf  den  des 
Sohnes  Eteoklos  folgt  (1 035  ff.),  hat  eine  Parallele  in  der  Hek.,  die  eben  noch 
Polyxena  beweint,  als  ihr  schon  der  tote  Polydoros  gebracht  wird.  Ähnlich 
ist  auch  die  Phoenissenszene,  in  der  Kreon  kaum  mit  der  Klage  um  den  Sohn 
aufgetreten  ist,  als  ihm  der  Bote  die  Nachricht  vom  Tod  der  Schwester  und 
ihrer  Söhne  bringt. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  77 

die  das  „Pathos  der  Todessehnsuclit"  darstellte').  Laodamia 
ist  die  Totenbraut  der  griechischen  Sage,  die  durch  ihre  Sehn- 
sucht den  gestorbenen  Gatten  herbeizieht  und  ihm,  als  er 
wieder  scheiden  muß,  in  den  Tod  folgt. 

Eine  große  Rolle  muß  im  euripideischen  Drama  Akastos, 
der  Vater  Laodamias,  gespielt  haben.     Er  ist  hier  der  Träger 
des  „retardierenden  Moments".    Es  sind  Anzeichen  vorhanden, 
daß  er  in  einem  Streitgespräch  mit  dem  aus  dem  Totenreich 
zurückkehrenden  Protesilaos  —  einem  Disput  zwischen  Leben 
und  Tod  —  das  Recht  der  Laodamia  aufs  Leben  verteidigte  ^). 
Über  die  Ausführung  des  ETraTro^aveTv  im  Protes.  berichtet  Hygin 
fab.  104,  der  im  ganzen  ein  treues  argumentum  der  Tragoedie 
gibt,    abweichend   von   den  übrigen  Traditionen,    daß  Akastos 
das  Wachsbild  des  Protesilaos  verbrennen  ließ  und  Laodamia 
dolorem   non   sustinens    sich   in    die    flammen    stürzte.     Durch 
dieses  Motiv   des  Bildes,   dem   nach   Protesilaos'  Abschied  bei 
Eur.  Laodamias  Liebe  gilt,  und  durch  dessen  Verlust  sie  erst 
eigentlich    zum    Todesentschluß    gebracht    wird,    kommt    ein 
pathologischer   und   fast   perverser  Zug   in  Laodamias  Wesen. 
Mayer')  sieht  in  dieser  Hyginerzälilung  nur  eine  Übertragung 
von  der  Euadnefabel   und   nimmt  nach  den  andern  Überliefe- 
rungen') Laodamias  Tod  durchs  Schwert  für  Eur.  an.     Doch 
haben   wir   bei  Eur.  oft   genug   ähnHche  Motivwiederholungen 
getroffen,  um  dem  Hyginbericht  auch  hierin  zu  trauen^).    Daß 
Laodamia  mit  dem   bakchischen  Schmucke   starb,   in   dem   sie 
die  Orgien  mit  dem  unter  Dionysos'  Gestalt  verehrten  Protesi- 
laosbild    beging"),    erzählt   Philostrat    (eiKÖves  ^  p.  415).     Wir 
werden  also  wohl  eine  Todesszene  annehmen  dürfen,  die  genau 
der  der  Euadne  entspricht,    die   sich  im  Brautschmuck  in  die 
Flammen  stürzt'). 

1)  Rühde,  Griech.  Roman'  35. 

2)  Vgl.  Mayer,  Herrn.  20,  115;  Zielinski,  Südd.  Monatshefte  1906,  601  ff. 

3)  A.  a.  0.  111. 

*)  Apollodor  Ep.  3,  30.  Tzetzes,  Chil.  II,  52.  Eustath.  ad  II.  Z  27— 41, 
Version  a.     S.  auch  Robert,  Heldensage  I  63.  '')  Zielinski  a.  a.  0. 

8)  Aus  der  Aufnahme  des  Bildmotivs  in  der  Alk.  348  S.  erschließt  Wilamo- 
witz,  Gr.  Trag.  III  91,  1,  die  Priorität  des  Protes.  vor  der  Alk. 

■>)  Die  Verbrennung  des  Wachsbildes  bedeutet  wohl  die  endgültige  Be- 
stattung des  Protesilaos,  s.  Türk  bei  Röscher  III  2,  3160. 


7g  Johanna  Schmitt 

IX.   Der  rituelle  Sprachgebrauch  in  den  Devotions- 
szenen. 

Eur.  hat  sich  in  seinen  Darstellungen  des  Opfertodes,  auch 
in  den  frei  erfundenen,  in  allen  Einzelheiten  eng  an  das  grie- 
chische Opferritual  angeschlossen.  Aus  der  Beobachtung  des 
rituellen  Sprachgebrauchs  läßt  sich  daher  am  besten  die  Art 
und  Herkunft  dieser  Opfersagen  erkennen.  Wie  bei  der  Be- 
handlung der  dramatischen  Technik  kann  man  auch  hier  wieder 
den  parallelen  Bau  und  die  Motivwiederholungen  dieser  Szenen 
feststellen.  Hierbei  müssen  wir  natürUch  von  Alk.,  Hik.  und 
Protes.  absehen,  die  das  rein  poetische  Motiv  des  irpo-  und 
eirairo^aveTv  darstellen  und  mit  Rituellem  nichts  oder  sehr  wenig 
zu  tun  haben. 

Makaria,  Polyxena,  die  Erechtheustochter,  Menoikeus,  in 
gewisser  Hinsicht  auch  Phrixos  und  Iphigenie  (s.  unten)  fallen 
als  a^aym,  d.  h.  Blutopfer,  wie  sie  den  unterirdischen  Mächten 
dargebracht  werden  vor  großen  Unternehmungen,  Schlachten, 
beim  Eid-  und  Totenopfer').  Als  Menschenopfer')  haben  sie 
natürlich  weit  größeren  Wert  und  größere  Wirksamkeit  als 
Tieropfer  und  sind  an  und  für  sich  schon  Gewähr  für  den  Sieg. 
Die  Makariaopferung  wirkt  sogar  noch  darüber  hinaus  dadurch, 
daß  sie  indirekt  den  Athenern  die  Reliquie  des  Eurystheus- 
grabes  verschafft.  Der  Opfertod  Iphigeniens,  der  in  erster 
Linie  nur  die  glückhche  Fahrt  sichern  soll,  ermöghcht  erst  den 
Griechen  den  Sieg  und  die  Einnahme  Troias. 

In  enger  Anlehnung  an  den  rituellen  Sprachgebrauch  hat 
denn  auch  Eur.  in  Herakl.,  Hek.  und  Phoen.  das  Opfer  durch- 
gängig als  a(j)dYiov,  die  Darbringung  als  a(t>dTTeiv,  o^ay/r\  bezeichnet: 

Herakl.:  408,  490,  493,  502,  562,  583,  821. 

Hek.:  41,  109,  119,  135,  188,  221,  260,  265,  305,  522,  571. 

Phoen.:  913,  933,  964,  1010,   1316. 

Bezeichnend  für  die  a(j)dYia  ist,  daß  gewöhnlich  nicht  die 
Namen  der  Gottheiten  genannt  werden,  denen  sie  gelten:  es 
sind  die  unterirdischen  Mächte,  deren  Namen  man  sich  scheut 


1)  Über  das  Ritual  der  a^äyia  s.  Stengel,  Opferbräuche  der  Griechen  92 ff. 

2)  F.  Schwenn,  Menschenopfer  b.  d.  Griech.  u.  Römern,  RG.V.V.  XV  3. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  79 

auszusprechen.  Eur.  hat  diese  unbestimmten  Dämonen  in  den 
Herakl.  und  im  Erechth.  in  poetischer  Gestaltung  zur  Persephone 
verdichtet,  der  in  Wirklichkeit  nie  Menschenopfer  dargebracht 
wurden.  Polyxena  dagegen  ist  einerseits  Totenopfer,  das  der 
zürnenden  Seele  Achills  geschlachtet  wird,  andrerseits  wind- 
stiUendes  Opfer  ^). 

Dem  sorgfältigen  Bau  der  Menoikeusepisode  entspricht  die 
genaue  Motivierung  dieses  erfundenen  Opfers*).  Ein  Sühn- 
opfer ist  es  auch  hier,  das  Ares  verlangt,  und  wieder  kommt 
es  zunächst  unterirdischen  Mächten,  der  Erde,  zugute  (973).  — 
Die  wirklichen  a^dy\a  werden  möglichst  nahe  am  Feind  vor 
der  Schlachtreihe  von  pdvreis  geschlachtet,  da  aus  diesem  Opfer 
zugleich  ermittelt  werden  soll,  ob  die  Götter  dem  Unternehmen 
günstig  sind.  Diesen  Brauch  konnte  Eur.  unberücksichtigt 
lassen,  da  die  Menschenopfer  von  vornherein  als  Bedingung 
für  den  glückhchen  Ausgang  gefordert  werden.  Nur  in  den 
Herakl.  hat  er  die  iidvreis  beibehalten  (819).  Der  geringen 
Sorgfalt,  die  Eur.  diesem  Stück  widmete,  ist  auch  der  logische 
Fehler  entsprungen,  daß  neben  der  Makaria,  die  doch  das 
eigentiiche  (j<j)dYiov  ist,  noch  andre  a^a\\a  genannt  werden  (673). 

Eine  Abweichung  vom  Ritus  der  a(j)dYia  ist  es,  daß  in  der 
Hek.  Neoptolemos  als  iepeüs  das  Opfer  schlachtet').  Aber  die 
Gestalt  des  Kalchas  (der  übrigens  auf  bildhchen  Darstellungen 
des  Polyxenaopfers  vorkommt:  Tabula  IHaca)  hätte  hier  den 
Kontrast:  Neoptolemos  —  Polyxena  nur  verwirrt. 

Bei  den  a^äy\a  wird  nicht  der  ganze  Körper  als  Opfer 
dargebracht,  sondern  nur  das  Blut.  Daher  schneidet  man  ihnen 
nur  die  Kehle  durch,  damit  das  Blut  rascher  zur  Erde  fließen 
und  zu  den  Unterirdischen  gelangen  kann*).  Diesen  Ritus  er- 
wähnt Eur.  ausdrückhch  bei  allen  Opferungen.     Herakl.  (819): 

1)  Vgl.  unten  100.  Menschenopfer  an  fjpwes  finden  wir  auch  sonst  be- 
zeugt z.  B.  Partheuios  35  in  der  Opferungsgeschichte  von  Eulimene  und 
Lykastos.  Die  Hyakinthiden  werden  auf  dem  Grab  des  Heros  Geraistos  ge- 
schlachtet Apollodor  III  15,  8,  3.  —  Weitere  Beispiele  bei  Stengel  a.  a.  0. 
128.  Die  Winde  als  Adressaten  von  a^ä^(ia  werden  einmal  bei  Xenophon 
Anabasis  4,  5.  4  genannt:  auch  die  äveiioi  sind  chthonische  Gottheiten. 
Menschenopfer  zur  Sturmstillung:  Schwenn  a.  a.  0.  12:3. 

2)  Vgl.  unten  88  f.  •')  Vgl.  Stengel  a.  a.  0.  96. 
*)  gvreiJiveiv  Stengel  a.  a.  0.  103. 


gO  Johanna  Schmitt 

jidvieis e(j<j)aCov  oöi<  cjieXXov,  dXX'  d^ieorav  Xaijiöv  ßpoTeiwv  eb^bs 

oupiov  4)övov.  Hek.  (150):  f]  5eT  a  e7ri8eTv  TUjißou  TTpoTrerii  <|)0!vict(JO- 
\ii\i\v  aYjiari  7rap8-evov  ek  xpu(TO(t>öpou  Seipfis  vaaiiü  iieXavauyeT.  (208) : 
XaiiJÖTO^öv  7  'Ai5a  yäs  ÖTroTrejnTOiievav  (tkötov.  (567):  Tejivei  ai5npu 
TTveüfiaros  Siappods"  Kpouvai  5'  exwpouv.  In  den  Phoen.  vollzieht 
Menoikeus  an  sich  selbst  dieses  Ritual  (1090):  eirei  KpeovTos  iraTs 

[ieXdv6eT0v  ^i'^os  Xaijiüv  5ifiKe.     Auch  in  der  Iph.  Aul.,  deren 

Opfer  nicht  eindeutig  als  o^ayiov  dargestellt  ist,  wird  immer 
das  Durchschneiden  des  Halses  betont  (875) :  (jjaavavcü  XeuKfiv 
4)0veuuv  Tpjs  TaXaiTTWpou  Sepnv.  An  diese  Wendung  lehnt  sich 
wohl  der  unechte  Vers  1516  an:  ev^vt]  re  crwuaios  8epnv  ff^ayelaav, 
ferner  heißt  es  in  dem  Ghorlied  (1083):  jiöaxov  dKJiparov,  ßpöieiov 
aiiida0OVTes  Xaifiöv  und  (1429):  XP^^^^  Sc  Kai  crü  toTs  ejioTs  Xöyois  tdxa, 
OTQv  ireXas  ofjs  <j>dGYavov  5epr|s  'i'ßris,  im  unechten  Teil  (1574): 
dxpavTov  aT|ja  KaXXiTrap^evou  öepns  und  (1578):  iepeus  8e  ^aayavov 
Xaßüjv  CTtritj^aTO  Xaiiiöv  t'  eTrecrKOTveTy,  Vva  TrXn^eiev  äv. 

Besonders  nachdrücklich  wird  in  der  Hek.  der  Opferritus 
betont,  damit  die  ganze  altertümliche  SchauerHchkeit  dieser 
Zeremonie  grell  hervortrete.  Stark  ausgenutzt  ist  hier  das 
Wortspiel  mit  Tier-  und  Menschenopfer  (142):  ttwXov  d(j)eX^uv 
aüv  dirö  padTÜv  und  (205):  aKUfivov  yocp  V-'  ^^t'  oupi9-pe7TTav,  jiöaxov 
ßeiXaia  5ejXa(av  eiaöi|jei,  besonders  (260):  Trörepa  tö  xph^  o^'  iT:r\yay' 
dv9'pü)7ro{T(})aYeTv  Ttpös  rOjißov,  evS-a  ßou^üTcTv  {läXXov  TrpeTrei; 

Anspielung  auf  rituellen  Sprachgebrauch  khngt  wolil  auch 
mit,  wenn  Polyxena  und  Menoikeus  ttüjXos  genannt  werden. 
Hek.   142.     Phoen.  947:  oötos  6e  ttüXos  TfjS'  dveifievos  ttöXci^). 

Eur.  hat  bei  dem  Opfer  der  Polyxena  deuthch  die  alte 
rohe  Vorstellung  ausgesprochen,  daß  die  Seele  das  Blut  des 
Opfers  trinkt^)   (392):    Kai   8is  löaov  itw|i'  aT^aTOs  Y^^naerai  yaig 

^)  Vgl.  Eur.  Phaethon  21  (p.  76  v.  Arnim  Suppl.  Trag.)  tu  veöC;uYi  ow 
TttüÄcü  und  Aristoph.  Lysistr.  1.308:  xöre  n»Aoi  Kai  KÖpai  Ttäp  töv  Eöpcüiav  äjirräA- 
AovTi  TtuKvä  noSoTv  ccyKovitüai.  Vgl.  auch  Wilamowitz  bei  Wiegand  Ath.  Mitt. 
29,  297:  Auf  einer  mysischen  Grabschrift  wird  ein  Mädchen  als  ttcäAos  'A(})po- 
5iTr|s  bezeichnet.  Vgl.  auch  die  iepoi  ttcüAoi  "laiSos  und  die  ncaAoi  AeuKinniSuv 
(Wilam.  a.  a.  C),  Gerhard  Arch.  Rel.-Wiss.  VII  520 ff.  Pfister  RelicLuienkult 
I  311,  1015,  Malten  Arch.  Jahrb.  1914,  214  ff.  251. 

2)  Stengel  192  bemerkt  zu  der  Stelle:  „Er  (Eur.)  folgt  der  Sage  kaum 
in  der  Meinung,  die  graue  Vorzeit  sei  so  roh  gewesen,  daß  ihr  auch  solche 
Vorstellungen  zuzutrauen  gewesen  seien,  daß  Achill  das  Blut  des  Opfers 
trinkt."     Warum  Eur.   das  nicht   geglaubt   haben   soll,   ist  unklar:   ist  der 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  81 

v€Kpw  re  Tü  Td5'  el^aiTOUjievw.  Der  Körper  dieser  Opfer  aber  wird 
nicht  als  Spende  mit  dargebracht,  er  wird  in  Herakl, ,  Hek. 
und  Phoen.  von  den  Angehörigen  bestattet. 

Stark  betont  wird  in  der  Hek.  die  rituelle  Reinheit  des 
Jungfrauenopfers  (dKpai(|)ves  aT|ia  537),  das  zusammen  mit  den 
zauberkräftigen  Spenden  (xoäs  KriXriTnP'Oi'S  535)  besonders  magisch 
wirksam  ist.  Diese  Reinheit  ist  es  ja  überhaupt,  die  gerade 
das  Jungfrauenopfer  zur  Versöhnung  der  göttlichen  Mächte  so 
geeignet  macht'). 

Auch  in  den  Phoen.  wird  die  Reinheit  des  Opfers  hervor- 
gehoben und  Haimon,  der  durch  die  Ehe  befleckt  ist  —  6iä 
TÖ  iieiioXuvö-ai  Schol.  944  —  ausdrücklich   als   Opfer   abgelehnt. 

Ebenso  wird  Iphigenie  ein  [löcrxos  dKrjpaTOs  genannt  (1083) 
und  im  unechten  Teil  das  äxpavTOv  aT|ia  der  Jungfrau  erwähnt 
(1574). 

Wichtig  ist  auch  immer  die  edle  Abkunft  des  Opfers,  was 
besonders  in  den  Herakl.  stark  betont  wird  (409,  490).  Auch 
sonst  sind  es  stets  Fürstenkinder,  die  gefordert  werden. 

Auch  darin  schließt  sich  Eur,  an  die  Ritualvorschrift  an, 
daß  das  Opfer  von  hervorragender  Schönheit  sein  soll.  Be- 
sonders hervorgehoben  wird  das  wieder  in  der  Hek,  durch  den 
Vergleich  mit  Helena  (265) :  'EXevnv  viv  aireTv  XPHV  Td(J)ü)  7rpoa<j)dY- 
liara-  ...  ei  5'  aixiiaXwTuv  XPH  tiv'  eKKpiiov  ö'aveTv  KdAAei  ^'  virep^i- 
pouaav,  oux  niiwv  Tö8e.  So  heißt  auch  Iphigenie  1199/1200 
el^aipeTOv  a<|)dYiov  und  im  Botenbericht  1574  KaXAiTrapö^evou  Upr\s^)- 

Am  ausführlichsten  wird  das  ganze  Ritual  in  der  Iph.  Aul.  ge- 
schildert. Hier  liegen  der  Sage  wirkliche  rituelle  Menschenopfer 
—  ^üdai,  keine  a^&ym  —  zugrunde,  die  die  TaupoiröXos  erhielt"*). 
Der  Mythus  erst  hat  aus  diesen  rituellen  Opfern  ein  einmahges 
0(j)dYiov  gemacht,  insofern  Iphigenie  zur  Beschwichtigung  der 
widrigen  Winde  oder  umgekehrt,   um  die  ÖTrAoia   zu  beenden, 

Mensch  an  Stelle  des  Tiers  getreten,  so  tritt  sein  Blut  natürlich  an  Stelle 
des  Tierbluts. 

»)  Fehrle,  Kultische  Keuschheit  R.G.V.V.  VI  54 ff.  167  ff.  Berl.  phil. 
Wüch.  1919,  163. 

^)  Vgl.  Iph.  Taur.  22:  KäAAiorov  &ö|ia.  So  heißt  es  auch  bei  Pausanias 
7,  19  in  der  Erzählung  von  einem  Menschenopfer:  fjXeyxev  n  Uvdia  .  .  .  dvä 
TTöv  €'to9  nap&evov  Kai  KalSa,  oY  tö  elSos  elev  KäAÄicToi,  irj  ^ew  (sc.  Artemis)  ^üciv. 

•')  Kjt'llberg  Real.-Enc.  IX,  2  2592  ff.     Schwenn  a.  a.  0.  78.  102. 
Religiüusgescliichtliche  Versuche  u.  Vorarbeiten  XVU,  2.  6 


82  Johanna  Schmitt 

geopfert  wird.  Ein  Widerspruch  bleibt  dabei,  daß  hier  Artemis 
die  Adressatin  des  (j(|>dYiov  bleibt  und  nicht  die  Unterwelts- 
dämonen. Interessant  ist,  wie  dies  Verhältnis  sich  im  rituellen 
Sprachgebrauch  bei  Eur.  widerspiegelt :  1 1  mal  wird  das  Opfer 
im  echten,  5 mal  im  unechten  Teil  als  ö-uaia,  ö'öiia,  ^öeiv  be- 
zeichnet; im  echten  Teil:  91,  93,  358,  360,  530,  531,  673,  721, 
883,  1185,  1272;  im  unechten  Teil:  1524,  1555,  1572,  1592, 
1602.  Dagegen  wird  es  nur  zweimal  im  ganzen  Stück  a^dyiov 
genannt  135,  1200. 

Hier  allein  wird  also  das  Iphigenienopfer  den  oben  be- 
sprochenen ff<j)dYia  gleichgestellt.  Daneben  wird  die  Darbrin- 
gung dieses  Opfers  allerdings  auch  oft  mit  a^arreiv  und  (j(j)aYai 
bezeichnet  (533,  906,  1186,  1318,  1348,  1360  [1517,  1548]), 
doch  ist  dieser  Ausdruck  mehr  neutral  und  gilt  allgemein  vom 
Töten  des  Opfertiers '). 

Ganz  ähnlich  steht  es  mit  der  Phrixossage.  Auch  hier 
liegt  das  rituelle  Menschenopfer  zugrunde^),  das  dem  Zeus 
Aa(j)uaTios  dargebracht  wurde;  die  Sage  aber  führt  den  Phrixos 
als  a^ä^iov  ein,  das  der  Dürre  abhelfen  soll. 

Gegenüber  dem  Sprachgebrauch  in  der  Iph.  Aul.  kommt 
in  allen  andern  Opferszenen  nur  1  mal  das  Wort  &üna  vor,  in  der 
Hek.  223:  S-uiiaTOs  6*  eTTicndTris  tepeus  t*  eTreffrai  Touße  ttqTs  'AxiA- 
X^ws,  also  in  dem  Augenblick,  wo  die  feierliche  Zeremonie  ge- 
schildert wird,  auf  die  hier  besondrer  Nachdruck  gelegt  ist. 
Daher  tritt  hier  auch  ein  iepeus  ein,  der  beim  eigentlichen 
c<|>dYiov  fehlen  müßte. 

Wie  in  der  Hek.  das  Wortspiel  mit  Menschen-  und  Tier- 
opfer, so  hat  Eur.  in  der  Iph.  Aul.  die  Amphibolie  Braut-  und 
Menschenopfer  häufig  angewandt  (432):  'ApT€|ii5i  irpoTeXi^ouffi 
rfiv  veavi5a*).  Dann  in  der  ganz  auf  diese  AmphiboHe  aufge- 
bauten Begrüßungsszene  (673):  ^vaai  iie  ö'uaiav  rrpüra  5eT  tiv' 
ev^dSe,  ähnhch  auch  (721):  ^vaas  Y^  ^ujiay  djie  XPH  ^öaai  &eoTs*). 


1)  Stengel  a.  a.  0.  110.  ^)  S.  unten  98  f. 

'*)  Der  Vers  steht  im  unechten  ersten  Botenbericht,  der  aber  seinem 
Inhalt  nach  doch  wohl  auf  Eur.  zurückgeht,  s.  Mader  a.  a.  0.  46;  vgl.  auch 
718:  TipoTeÄeia  5'  fjSn  naiSös  ea(j)a|as  ö^eä; 

*)  Auch  diese  Amphibolien  bringen  natürlich  den  Gebrauch  der  Aus- 
drücke dva'ia,  &v[ia,  &üeiv  für  das  Iphigenienopfer  mit  sich. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  83 

Auch  da,  wo  Agamemnon  die  Vorbereitungen  zum  Opfer 
treffen  läßt,  gelten  diese  angeblich  für  das  Braut-,  in  Wirk- 
lichkeit für  das  Menschenopfer  (Uli):  üs  xepvißes  Trdpeiaiv  nuTpe- 
Triajievai,  TrpoxuTai  re  ßdXXeiv  irüp  KaD'dpmov  x^poTv,  jiöaxoi  re,  Trpö 
ydiicov  äs  &eä  irecreTv  xpewv  'ApieiiiSi,  peXavos  aYiiaros  ^üar\\).ara. 

Dieselben  Zeremonien  zur  Vorbereitung  ihrer  eignen 
Opferung  erwähnt  dann  Iph.  Aul.  (1471):  Kavä  &'  evapxed^u  Tis, 
ai&ea^oj  5e  iröp  irpoxuTais  Kaö'apaioimv,  kqi  Traifip  ejiös  ev5e^ioi3a9-u 
ßwjiöv.  Ebenso  kehren  hier  die  xepvißes  wieder  (1479);  und  den 
aV|iaTOS  <j)U(Tii|iaTa  (1114)  entspricht  (1485):  a'i'iiaai  &ü|iaaiv  re  ^ea<|)aT' 
e^aXelipu . 

Wie  in  den  Herakl.  (528):  f\ym^'  ottou  6eT  aüjia  Kar^aveTv 
TÖ5e  Kai  orreiJiiaTOÜTe  Kai  Kardpxea^'  ei  8oKeT  wird  in  der  Iph.  Aul. 
die  feierliche  Bekränzung  des  Opfers  erwähnt  (1477)'):  ari^ea 
TrepißoXa  5i6oTe,  ^ipae.  TrXÖKajios  o5e  KaTaffTe(|)€iv  x^pvißwv  ye  TrayaTs. 
Aufgenommen  wird  das  in  der  respondierenden,  wohl  un- 
echten Ghorstrophe  (1512):  aTei'xouaav  eiri  Kdpa  öTe(|)ea  ...  ßaXopevav 
Xepvißwv  re  irayds.  Genau  geschildert  werden  die  Opferzeremo- 
nien dann  nochmals  im  Botenbericht.  Man  muß  dem  Nach- 
dichter zugeben,  daß  er  in  nichts  das  griechische  Opferritual 
verletzt  hat,  auch  nicht  da,  wo  er  über  die  schon  vorher  er- 
wähnten Zeremonien  hinaus  Einzelheiten  gibt.  Kalchas  legt 
zuerst  das  Messer  in  den  heiligen  Opferkorb  (1565)*):  KdXxas 
6'  6  jidvTis  eis  Kavoöv  xpuffiiXaTov  e^nKcv  oib  x^ipi  ^äayavov  airdcas 
KoXeüv  effw^ev.  Das  Kavd  evdpxeoö'ai  war  auch  435,  95^  und  1471 
erwähnt").     Dann  bekränzt  er  Iphigenie  1567  (vgl.  oben). 

Altes  Ritual  ist  auch  das  dreimalige*)  Umlaufen  des  Altars 
mit  dem  Opfergerät  (1568):  6  TraTs  5'  6  fltiXecüS  ev  kukXcü  ßwjiöv 
&eäs  Xaßwv  Kavoöv  e^pe^e  xepvißas  ^'  öiioö^).  Als  „rechts  herum 
laufen"  deutet  Eitrem  wohl  auch  richtig  das  ÖTra^  eipniJievov 
»evSe^ioua^u«  (1473) «). 

In  der  Alk.   fehlt  natürlich   das  Opferritual.     Anklang  an 


')  Köchling,  De  coronarum  vi  atqiie  iistc  R.G.V.V.  XIV  43;  Eitrem, 
Opferritus  und  Voropfer  65.  '^)  Eitrem  a.  a.  0.  8.  ")  Eitrem  a.  a.  0. 

295  gegen  Stengel  a.  a.  0.  403.  •*)  Dazu  Eitrem  passim. 

**)  Vgl.   die  ganz  ähnliche  Stelle  Herakles  926.     Echt  kann  die  Stelle 
natürlich  wegen  der  Aktion  des  Neoptolemos  nicht  sein.    Vgl.  oben  61. 

«)  A.a.  0.  6. 

6* 


84  Johanna  Schmitt 

Rituelles  ist  hier  nur  das  Voropfer,  das  Abschneiden  der  Locke 
durch  Thanatos  (74):  arelxw  8'  e;:'  aurnv,  us  KaTdp^u}iai  Xi^ei. 
Dieselbe  Zeremonie  kommt  öfters  auf  bildlichen  Darstellungen 
des  Polyxena-  und  Iphigenienopfers  vor^).  An  rituellen  Brauch 
hält  sich  Eur.  in  der  Alk.  auch,  wenn  er  die  Dienerin  er- 
zählen läßt,  wie  Alkestis  sich  vor  ihrem  Tode  wäscht,  schmückt, 
betet  und  opfert  (159  ff.). 

Alles  Rituelle  fehlt  in  den  Hik.  Hier  ist  das  Opfer,  oder 
vielmehr  der  Selbstmord,  rein  persönlich  erotisch. 

X.  Sagengeschichtliche  Grundlage  und  Nachwirkungen 
der  euripideischen  Devotionsszenen. 

a.  Makaria.  Die  Frage,  ob  Eur.  seine  Devotionsszenen  als 
altes  Sagengut  übernommen  oder  als  freie  Analogiebildungen 
selbst  erfunden  habe,  ist  zuerst  von  Wilamowitz  aufgeworfen 
worden  ^).  Die  Untersuchung  wird  für  die  Gestalt  der  Makaria 
durchgeführt  und  bewiesen,  daß  sie  eine  Erfindung  des  Eur. 
ist;  auf  Menoikeus  und  die  Erechthiden  wird  dasselbe  Resultat 
in  einer  kurzen  Anmerkung  übertragen  *').  Da  diesem  Ergebnis 
in  neuerer  Zeit  mehrfach  widersprochen  wurde,  sei  hier  die 
für  die  Arbeitsweise  des  Eur.  in  den  Devotionsszenen  wichtige 
Frage  nochmals  kurz  behandelt*). 

Wilamowitz  geht  davon  aus,  daß  im  Drama  des  Eur. 
nirgends  ein  Name  der  Heraklestochter  genannt  ist^).  Den  Namen 
Makaria  kennen  wir  nur  aus  späten  Quellen,  die  Wilamowitz 
ausführlich  behandelt  1)  einem  Katalog  der  (J>iXd56X(})Oi  (cod.  56,  1 
Westermann  Mythogr.  345),  2)  Plutarch  Pelop.  21,  3)  dem  ar- 
gumentum der  Herakl.,  4)  den  Paroemiographen  zum  Sprich- 
wort pdAV  es  MaKQpiav  (Wil.  a.  a.  0.  p.  IV  und  VI),  die  es  als  das 
Bestreuen  der  toten  Makaria  mit  Blumen   erklären,   vielleicht 

^)  Für  Iphigenie  vgl.  bes.  das  Relief  der  sog.  Kleomeues-Ara,  Michaelis, 
Röm.Mitt.  1883,201;  Herkul.  Wandbild  Wiener  Vorl,-Bl.  V8;  Apul.  Vaseubild 
Wien.  Vorl.-Bl.  V  9,  3.  —  Für  Polyxena  die  Berliner  Gemme  Overbeck  Her.- 
Gal.  27, 14.  Zu  andern  Polyxenadarstellungen  vgl.  auch  Arch.  Jahrb.  1913,  58 ff. 
(Brants),  272f.  (v.  Duhu),  274ff.  (Hauser).  "-)  Ind.  Lect.  Gryph.  1882. 

3)  A.  a.  0.  p.  X.  *)  Im  Folgenden  schließe  ich  mich  wesentlich  an 

Wilamowitz  an,  von  dem  ich  nur  in  einigen  Einzelheiten  der  Beweisführung 
abweiche.  ^)  Vgl.  oben  4. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  85 

in  Anlehnung   an   den  Botenbericht  Hek.  572,    wo   dies   von 
Polyxena  erzählt  wird. 

Woher  aber  der  Name  Makaria  stammt,  sehen  wir  aus 
Strabo  IX  377:  Makaria  heißt  eine  Quelle  bei  Trikorythos,  wo 
das  Eurystheushaupt  begraben  liegen  soll.  Von  einer  Ver- 
bindung der  Quelle  mit  der  Heraklestochter  ist  bei  Strabo,  der 
hier  von  Apollodor  abhängt'),  keine  Rede.  Diese  bringt  erst 
Pausanias  I  32,  6,  der  die  Quelle  nach  Marathon  verlegt  und 
sie  nach  der  heldenhaften  Heraklestochter  benannt  sein  läßt'). 
Wir  werden  uns  demnach  den  Weg,  auf  dem  die  Herakles- 
tochter zu  ihrem  Namen  kam,  folgendermaßen  zu  denken  haben. 
Die  hellenistische  Sagenforschung,  die  nach  einem  Namen  für 
die  aus  den  Herakl.  bekannte  Heroine  suchte,  fand  diesen  in 
der  schicksalslosen  Quellnymphe  Makaria,  die  sich  gut  in  das 
Lokal  der  Heraklidensage  einfügte.  Von  diesem  Mythographen 
—  Wilam.  denkt  an  Istros")  —  sind  Pausanias  einerseits,  die 
Pai^oemiographen  und  der  Verfasser  des  argumentum  andrer- 
seits, abhängig. 

Der  Hauptbeweis  dafür  aber,  daß  Makaria  keine  mythische 
Figur  ist,  scheint  mir  darin  zu  liegen,  daß  in  keiner  der  Über- 
lieferungen, die  von  Makaria  berichten,  kultische  Ehren  für 
sie  erwähnt  sind,  während  diese  in  echten  Devotionssagen  bei 
keiner  von  diesen  Ttap^evoi,  die  zu  „Nothelferinnen"  werden, 
fehlen.  Die  Unhaltbarkeit  von  Pf  isters  Versuchen,  einen  solchen 
Kult  aus  dem  Drama  zu  konstruieren,  sahen  wir  oben  47. 
Mit  dem  Hinweis  auf  IG.  II  1,  581  und  Pausanias  I  19,  3*) 
widerlegt  sich  Pfister  eigentlich  selbst;  denn  hier  werden  aller- 
dings Kulte  der  Alkmene,  des  lolaos  und  der  Herakliden  auf- 
gezählt, aber  gerade  eine  Erwähnung  der  Makaria  fehlt.  Daß 
Eur.  mit  seiner  Erfindung  der  Heraklestochter  an  diese  Kulte 
anknüpfte,  bemerkt  schon  Wilamowitz''). 

Es  fehlt  ferner  der  Name  Makaria  für  die  Heraklestochter 


»)  Vgl.  Wilamowitz  a.  a.  0.  p.  VIII  und  Schwartz,  Real-Enc.  I  2870. 

^)  Pausanias  zeigt  übrigens  mancherlei  Abweichungen  von  Eur.;  vor 
allem  tötet  sich  bei  ihm  Makaria  selbst.  Dies  ist  eine  Steigerung  des  Motivs 
nach  Analogie  andrer  Devotionssagen,  die  dieser  späten  Zeit  nur  ange- 
messen ist.  ')  A.  a.  0.  p.  IX.  *)  Reliquienkult  115  Anm.  410. 

«*)  Herm.  17,  345. 


86  Johanna  Schmitt 

in  einer  relativ  frühen  Quelle,  dem  Schol.  Ar.  Plut.  385:  ypa^i\ 
lievTOi  eafiv  oi  'HpaKXeT6ai  Kai  'AXKjinvr]  Kai  'HpaKXeous  ^vy/art\p  'A^t\- 
vai'oüs  iKeTeuovTCs  Eupud^ea  8e5iÖTes  rJTis  naii(j)iXou  ouk  eaiiv,  üs 
<})aaiv,  äXX'  'ATVoXXoßupou.  k.  t.  X.  Wir  haben  hier,  wie  Wüamowitz 
ansprechend  vermutet,  das  älteste  von  der  euripideischen  Tra- 
goedie  beeinflußte  Gemälde^),  aber  in  durchaus  selbständiger 
Gestaltung.  Die  Heraklestochter  gehört  hier  —  abweichend 
von  Eur.  —  mit  zur  Gruppe  der  Schutzflehenden. 

Nicht  so  unzweideutig  klar,  wie  Wüamowitz  meint,  scheint 
mir  dagegen  die  Tatsache,  daß  Duris  den  Namen  der  Herakles- 
tochter noch  nicht  kenne:  Das  Scholion  Plat.  Hipp.  I  233  fährt 
nach  der  ersten  Erklärung  des  Sprichworts  ßäXX'  es  MaKopiav 
fort:  Aoüpis  6e  (j)riaiv,  öti  aüiri  rfiv  Trupäv  toö  Trarpös  KaTeaßecrev  Kai  e^ 
CKeivou  Trapä  MaKeSöai  vevöiiiaTai  ras  ö^üyaTepas  tüv  Kn5euojievuv,  oTs  äv 
uai  7raT5es,  tö  oütö  TrpdTTeiv  em  toTs  TraTpdffiv.  Wüamowitz  be- 
hauptet, Duris  habe  als  erster  das  Sprichwort  mit  der  Herakles- 
tochter in  Verbindung  gebracht,  ohne  ihr  aber  den  Namen 
Makaria  zu  geben  ^).  Dieser  sei  erst  von  späteren  Paroemio- 
graphen  zugefügt  worden,  welche  die  Verbindung  mit  der 
Heraklestochter  von  Duris  übernahmen.  Viel  einfacher  scheint 
mir  aber  der  umgekehrte  Vorgang  zu  sein.  Die  Vorbedingung 
nämlich  zur  Erklärung  des  Sprichworts  ist,  daß  man  poKapia 
als  Name  deutete  und  unter  diesem  Namen  in  Anlehnung  an 
die  Kombination  der  gelehrten  mythographischen  QueUe  des 
Pausanias  die  Heraklestochter  verstand.  Die  Überleitung  zu 
dieser  Erklärung  muß  der  Begriff  paKapi^eiv  gebüdet  haben. 
Dieses  bestand  nach  den  Paroemiographen  in  dem  Bewerfen 
des  Grabes  mit  Blumen.  Erklärte  also  Duris  das  Sprichwort 
im  Zusammenhang  mit  der  Heraklestochter,  so  kannte  er  auch 
ihren  Namen,  der  ja  erst  die  Möglichkeit  zu  der  ganzen  Er- 
klärung gibt.  Er  gab  eine  Deutung,  die  von  der  gewöhnlichen 
Paroemiogi^aphenerklärung  (s.  oben)  abwich,  indem  er  das  arnov 
der  makedonischen  Sitte  zugleich  als  aiViov  des  Sprichworts 
benützte,  also  so  kombinierte:  MoKapla  eis  iioKapiav  eßaXev.  Er 
glaubte  wohl,  für  das  tapfere  Verhalten  der  Heraklestochter, 
wie  es  Eur.  schildert,  sei  es  eine  sinngemäße  Parallelerfindung, 


1)  Ind.  lect.  Gryph.  p.  X.  ^)  A.  a.  0.  p.  Vm. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  87 

sie   durch   diesen  Liebesdienst   in   ein   besonders   nahes   Ver- 
hältnis zu  ihrem  Vater  Herakles  zu  setzen. 

Ebensowenig  darf  man  die  Aristotelesstelle  bist.  an.  VII 
6,  45 '),  die  Wilamowitz  anführt,  als  Beweis  benützen,  daß  für 
ihn  die  Heraklestochter,  noch  namenlos  gewesen  sei.  Aristoteles 
brauchte  in  seinem  Zusammenhang  durchaus  keinen  Namen 
zu  nennen:  ihm  kam  es  nur  darauf  an,  die  Tatsache  festzu- 
stellen, daß  Herakles  unter  72  Söhnen  nur  1  Tochter  hatte. 
Wie  diese  hieß,  war  dabei  völlig  nebensächlich.  Die  ganze 
Stelle  allerdings  mit  ihrer  Betonung  der  Herakles-„Tochter" 
ist  wohl  vom  euripideischen  Drama  beeinflußt.  Daß  Aristoteles 
nur  eine  Tochter  nennt,  während  es  bei  Eur.  viele  sind  (544), 
ist  daraus  zu  erklären,  daß  diese  Mädchen,  die  überhaupt  die 
Bühne  nicht  betreten,  leicht  übersehen  werden  konnten,  da 
die  eine  mit  ihrer  Heldentat  alle  andern  überstrahlte. 

Einen  starken  Beweis  für  die  Erfindung  der  Makariagestalt 
sieht  Wilamowitz  endKch  darin,  daß  weder  die  Historiker 
(Herodot,  Thukydides,  Diodor)  noch  die  Redner  (Isokrates, 
Ps.-Lysias  und  Ps.-Demosthenes  in  ihren  Epitaphien,  Aristides) 
noch  endHch  Apollodor  die  Tat  der  Makaria  anläßlich  der 
Heraklidensage  erzählen.  Doch  ist  dieser  Grund  kaum  stich- 
haltig. Denn  alle  diese  Autoren  wollen  Athen  und  seine  Gut- 
taten an  Unterdrückten  verherrlichen.  Es  mag  also  ganz 
naiver  Lokalpatriotismus  gewesen  sein,  daß  sie  die  Heldentat 
der  Heraklestochter,  die  nicht  zu  den  Ihren  gehörte,  verschwie- 
gen, während  der  Dichter  in  diesen  Dingen  souverän  schaltete^). 

Doch  obgleich  diese  letzten  Beweise  fallen  müssen,  scheint 
doch  die  freie  Erfindung  der  Heraklestochter  durch  Eur.  und 
ihre  Namenlosigkeit  in  seinem  Drama  genügend  gesichert^). 

*)  eioiv  5e  Koi  ävSpes  &r|^"Yovoi  kgI  yvvaiKe<i  öppevoYÖvot,  olov  kqi  kotö  'Hpa- 
xÄ^Oüs  liu&oAoYelTtti,  5s  ev  5üo  koi  ip5oiir|KOVTa  tckvois  ^uyaTepa  \iiav  lyi\>vr]aev. 

^)  So  nimmt  er  z.  B.  auch  eine  Ehrenrettung  der  Helena  während  des 
Krieges  mit  Sparta  vor. 

3)  Ich  weiß  nicht,  ob  die  flüchtige  Bemerkung  von  Wilamowitz  (Philol. 
Unters.  XXII  1917,  317)  das  Resultat  seiner  ganzen  früheren  Beweisführung 
umstoßen  soll.  Er  sagt  hier  bei  der  Erwähnung,  daß  Eur.  häufig  den  Stoff 
seiner  Tragoedien  aus  Dorfsagen  entnommen  habe:  „so  hat  er  ....  in  den 
Herakliden  ein  Grab  bei  Gargettos  und  eine  Quelle  bei  Marathon  heran- 
gezogen." 


88  Johanna  Schmitt 

Eine  offenkundige  Nachbildung  der  euripideischen  Makaria- 
geschichte  ist  die  bei  Plutarch  Theseus  32  aus  Dikaiarch^)  er- 
wähnte Erzählung  von  der  Aufopferung  eines  gewissen  Mara- 
thos:  ä^'  o5  (sc.  Mapd&ou)  5e  Mapa^üva  töv  5fi|iov,  emSövros  eau- 
TÖv  eKOum'cos  Kard  ti  Abyiov  a^ay\aaaa^a\  irpö  Tfjs  Trapard^ews.  Für 
den  fjpws  €7rojvu|ios  von  Marathon  bot  sich  kein  besseres  amov 
als  die  schon  vorgebildete  und  eben  dort  lokalisierte  Geschichte 
vom  Opfertod  der  Makaria  in  Kriegsnot.  Auch  darin  liegt 
eine  Nachahmung,  daß  Marathos  Avie  Makaria  aus  der  Fremde 
kommen  (Marathos  begleitet  die  Tj^ndariden). 

Widerspruch  hat  das  Resultat  von  Wilamowitz  auch  bei  Weil 
gefunden^,  der,  ausgehend  von  Iphigeniens  Opferung  beiEur., 
annimmt,  die  Devotionsszenen  seien  keine  reinen  Erfindungen, 
sondern  alle  Umbildungen  vom  gezwungenen  zum  freiwilligen 
Opfertod.  So  will  er  die  ursprüngliche  Form  der  Makariasage 
im  Loswerfen  erkennen,  das  lolaos  o44ff.  vorschlägt.  Dieser 
Vorschlag  des  Losens  ist  aber  ein  rein  dramatisches  Kunst- 
mittel, das  Eur.  zudem  noch  in  der  Iph.  Aul.  1197 ff.  anwendet'), 
wo  trotz  der  reichen  Überlieferung  dieses  Stoffes  sich  nirgends 
diese  von  Weil  angenommene  „ältere  Sagenform"  findet. 

Die  Hypothese  Gruppes*),  Makaria  sei  eine  Hypostase  des 
Dionysos  Makareus*),  für  den  auf  Lesbos  Menschenopfer  be- 
zeugt sind,  scheitert  schon  daran,  daß  Makaria  ja  nicht  dem 
Dionysos,  sondern  der  Persephone  geopfert  wird.  Auch  diese 
Erfindung  eines  Menschenopfers  für  Köre  spricht  für  den  rein 
poetischen  Ursprung  der  Opferungsgeschichte. 

b.  Menoikeus.  Der  Andeutung  von  Wüamowitz  ®) ,  daß 
der  Menoikeus  der  Phoen.  wie  Makaria  eine  Erfindung  des 
Eur.  sei,  und  daß  seine  häufige  Erwähnung  in  der  späteren 
Literatur  nur  für  die  Behebtheit  der  euripideischen  Tragoedie 


')  Dikaiarch  schrieb  nepi  tüv  EupiniSou  kci  Io(J)OKAiou9  iiü&töv. 

*)  Sept.  trag.  166.  »)  Vgl.  oben  42. 

*)  Griech.  Mythol.  u.  Rel. -Gesch.  44;  abgelehnt  auch  von  Schwenn  a.  a.  0. 
133,   der  aber  die  Makariaerzählung  als  echten  Mythos  aufzufassen  scheint. 

')  Die  Verbindung  mit  Marathon  stellt  sich  für  Gruppe  dadurch  her, 
daß  bei  Demosth.  18,  260  der  Fenchel  =  liäpa&os  als  dem  Dionysos  heilig 
bezeugt  ist.  *)  A.  a.  0.  p.  X  Anm. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  89 

zeuge,  schließt  sich  Robert')  völlig  an,  während  Schwenn^) 
auch  liier  wieder  zu  der  Auffassung  zurückkehrt,  die  Menoikeus- 
geschichte  sei  echter  Mythos.  Doch  gegen  diese  Annahme 
spricht  vor  allem  der  Name,  den  er  nach  griechischer  Sitte 
vom  Großvater  erhalten  hat.  Wir  treffen  genau  denselben 
Fall  bei  Eur.  noch  einmal:  Der  Tyrann  Lykos  im  Herakies  ist 
wie  Menoikeus  nach  seinem  Großvater  benannt  und  ebenfalls 
eine  erfundene  Figur').  In  beiden  Fällen  wird  auch  die  Be- 
nennung nach  dem  Ahnen  ausdrücklich  hervorgehoben  (Phoen. 

768,  Her.  31). 

Ganz  von  Eur.  abhängig  ist  Apollodor  HI  6,  7,  der  sogar 
ein  paar  Zeilen  weiter  unten  den  Namen  Eurip.  zitiert,  ebenso 
ein  andrer  Mythograph  (Append.  narr.  ed.  Westermann  377,  28 
=  Nonnos  narrat.  ad  Greg,  invect.  1,9  p.  131),  dann  die  Ge- 
mäldebeschreibung des  Philostrat  (ed.  Kayser  II  300,  3),  Lukian 
de  Salt.  43,  Plutarch.  Pelop.  21,  Pausan.  IX,  25*). 

Wörtliche  Euripideszitate  gibt  Libanius  (IV  1045  R.)  in 
seiner  ri^oiroiia  des  Menoikeus:  z.  B.  iydi  5e  oök  äv  TTpoSörns  Y^" 
voiiinv  Tfjs  eiiauTOÜ  (sc.  iTÖXeü3s)  ou5e  (J)iXöi1jüxos   (vgl.  Phoen.  996). 

Bei  Nonnos  Dion.  23,  71  tötet  sich  ein  Inder,  um  nicht 
Dionysos  in  die  Hände  zu  fallen,  mit  Berufung  auf  einen  Me- 
noikeus: Kai  ^dvev  auTo5aiKTOS  ev  dvTißloiai  MevoiKeus  aiSöiievos  iierä 
Sfjpiv  i5eTv  eri  AnpiaSfja  öpiiaGi  5'  otKXauToiai  ^eXrniovi  Kdr^ave  7rÖT|ic») 
Kai  iiavi'ns  dTrdveu^ev  e<|)aiv€TO  xdXKeos  Ai'as.  Auch  hier  sollte  doch 
wohl  der  Name,  besonders  in  der  Nachbarschaft  des  andern 
griechischen  Helden,  Aias,  an  den  thebanischen  Heldenjüngling 
erinnern'*). 

Nur  in  dem  Scholion  zu  Aristides  Panath.  (Dind.  III  p.  113 
zu  119,4)  wollte  Robert')  eine  selbständige  Weiterbildung  der 
Menoikeussage  erbhcken.  Hier  heißt  es  nämhch:  dXXd  Kpecjv 
ev  Onßa  MevoiKea  töv  uiöv  eTTi5e6coKev  eis  a(|)aYnv  ÖTrep  Tfjs  TTöXeus. 

')  Oedipus  I  416.         -)  A.  a.  0.  134.         »)  Wilamowitz,  Herakles  I  112. 

*)  Abweichend  von  Eur.  ist  hier  nur,  daß  das  Orakel  aus  Delphi  kommt. 
Für  Pausan.  ist  eben  Delphi  „die"  Orakelstätte  und  er  hat  übersehen,  daß 
dies  für  die  thebanische  Sage  nicht  paßt. 

^)  Nichts  Neues  bringt  lustin.  mart.  quaest.  et  resp.  ad  orth.  146.  — 
Über  Menoikeus  bei  Hygin  68  s.  Robert  a.  a.  0.  I  318,  über  die  Menoikeus 
betreffenden  Phoenissenscholien  1010  Robert  a.  a.  0.  I  494  und  II  65. 

6)  A.  a  0.  II  155  A.  98. 


90  Johanna  Schmitt 

Aber  abgesehen  davon,  daß  es  unwahrscheinlich  ist,  daß  der 
SchoHast,  der  an  andrer  Stelle  mit  der  euripideischen  Sagen- 
form noch  ziemlich  gut  Bescheid  weiß,  hier  etwas  ganz  Neues 
und  Singuläres  brächte,  können  wir  sogar  die  Entstehung  dieser 
Abweichung  von  Eur.  noch  erkennen.  Ein  paar  Zeilen  vorher 
nämhch  (119,  1)  erzählte  er  von  der  Opferung  der  Leokoren: 

Aeus  TIS ^üyarepas  ....  Trpoö^üiiws  emSeSuKev:  dieses  €7ri5e6uK€v 

hat  er  bei  der  nächsten  „Sage",  dem  Opfertod  des  Menoikeus, 
einfach  gedankenlos  wiederholt. 

Daß  die  Erfindung  des  Eur.  fast  noch  zu  seinen  Lebzeiten 
von  den  Rhetoren  ganz  naiv  als  Sagenbeispiel  zitiert  wurde, 
bezeugt  Cicero  Tusc.  148,  116.  Der  Sophist  Alkidamas')  fühiie 
in  seiner  laudatio  mortis  unter  den  clarae  tnortes  jjro  patria 
repetitae  auch  den  Sohn  des  Kreon  an:  Menoeceus  non  praeter- 
mittitur,  qui  item  oraculo  edito  largitus  est  i^atriae  suum  sanguinem. 

Daß  gerade  Menoikeus  bei  den  Römern  besonders  bekannt 
geworden  ist,  kommt  daher,  daß  diese  Sage  sich  am  nächsten 
mit  dem  altrömischen  Brauch  der  devotio  berührte.  Ja,  eine 
der  römischen  Devotionssagen,  die  von  Gurtius,  scheint  sogar 
schon  von  entsprechenden  griechischen  Sagen  abgeleitet  zu 
sein^).  So  war  auch  Statins  sicher,  den  Beifall  seines  Publi- 
kums zu  finden,  wenn  er  die  Menoikeusepisode  aus  den  Phoen. 
in  seine  Thebais  (X  610ff.)  aufnahm.  Alle  Grundzüge  aus  Eur. 
sind  beibehalten:  Befehl  des  Teiresias,  Menoikeus  zu  opfern, 
Verstellung  des  Menoikeus  und  letzte  Rede.  Die  Überein- 
stimmungen gehen  oft  bis  zum  wörtlichen  Anklang.  Die 
Änderungen  ergeben  sich  aus  der  Verschiedenheit  der  epi- 
schen von  der  dramatischen  Technik*).  Aber  alles  ist  rhe- 
torisch aufgebauscht;  ein  ganzer  allegorischer  Götterapparat 
wird  bemüht,  Virtus,  die  in  Mantos  Gestalt  Menoikeus  die 
Selbstopferung  befiehlt,    und  dann  zusammen   mit  Pietas  den 

^)  Ob  das  Beispiel  auf  Alkid.  selbst  zurückgeht,  ist  zwar  nicht  ganz 
eindeutig  gesagt,  es  ist  aber  sehr  wahrscheinlich,  daß  sich  hier  der  noch 
frische  Eindruck  des  euripideischen  Dramas  kundgibt.  Ähnlich  zitiert  auch 
der  ca.  70  Jahre  spätere  Redner  Lykurg  den  eurip.  Erechtheus.  Doch  weist 
dieser  ausdrücklich  auf  die  Gestaltung  durch  den  Dichter  hin. 

-)  Schwenn  a.  a.  0.  178  S. 

^)  Genauere  Vergleichung  des  Eur.  mit  Statins  bei  Eissfeldt,  Quellen 
n.  Vorbilder  d.  Statins,  Progr.  Helmstedt  1900,  13  ff. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  91 

Menoikeus,    der  nach  einer  schwungvollen  Rede  sich  von  der 
Mauer  stürzt,  auffängt  und  sanft  zur  Erde  legt^). 

Statius  bezeichnet  den  Opfertod  natürlich  als  devotio  (720): 
dis  votmn  iuvenem,  wozu  das  Scholium  vetus  (ed.  Barth  p.  1238) 
bemerkt:  iam  enim  se  devoverat  inferis  pro  patria. 

Vielleicht  unter  dem  Eindruck  dieser  effektvollen  Partie, 
vielleicht  aber  auch  direkt  als  ein  der  Rhetorenschule  ent- 
stammendes beliebtes  exemplum  zitiert  dann  auch  luvenal 
(XIV  240)  den  Menoikeus  zusammen  mit  den  Deciern:  quan- 
tus  erat  patriae  Deciorum  in  pectore  quantum  dilexit  Thebas,  si 
Graecia  vera,  Menoeceus. 

SchHeßlich  scheint  das  Rhetorenthema  in  Ps.-Quintilians 
Declamationen  (no.  326  Ritter)  letzten  Endes  auf  Eur.  zurück- 
zugehen. Wie  Kreon  sucht  hier  der  legatus  das  Orakel  zu 
verheimlichen;  wie  Menoikeus  tötet  sich  sein  Sohn  freiwillig 
als  Sühnopfer  für  die  Pest. 

Erkannten  wir  aus  allen  diesen  Zeugnissen  nur  den  un- 
geheuren Einfluß  der  eurip.  Tragoedie,  so  führt  uns  ein  andrer 
Weg  zum  Ausgangspunkt  der  eurip.  Erfindung  selbst.  Immer 
wieder  haben  die  Erklärer  dem  Schohasten  zu  Antigone  (1303): 
KWKuaaaa  pev  toö  Trpiv  ^avövTOS  Meväpeus  kXeivöv  Xdxos,  aö9-is  8e 
T0ü5e  nachgesprochen,  daß  der  hier  zitierte  Megareus  mit  dem 
euripideischen  Menoikeus  identisch  sei.  Zuletzt  hat  Bruhn^) 
diese  Annahme  verteidigt  und  zu  beweisen  gesucht.  Erst 
Robert^)  hat,  wie  mir  scheint,  mit  schlagenden  Gründen,  diesen 
alten  Irrtum  beseitigt.  Seine  Erklärung  der  Stelle  ist  folgende : 
Von  Megareus,  dem  Sohne  Kreons,   hören  wir  in  den  Sieben 


•)  Zugrunde  liegt  dieser  Erfindung  natürlich  die  homerische  Episode  von 
Sarpedons  Tod,  den  ödvaios  und  Tnvos  tragen.  Legras  JEtudes  sur  la 
Thebaide  121  sieht  wohl  richtig  auf  einem  etruskischen  Sarkophag  eine 
Illustration  zu  Statius  (Overbeck  Gall.  133,  Inghirami,  Mon.  Etr.  I  t.  II,  86). 
Unmöglich  scheint  mir  dagegen  Engelmanns  Deutung  eines  unteritalischen 
Vasenbilds  auf  den  Tod  des  Menoikeus  t^Arch.  Jahrb.  XX  179  ff.).  Darge- 
stellt ist  hier  ein  nackter  Jüngling,  der  in  einem  kleinen  Tempel  liegt.  Von 
rechts  und  links  schreitet  je  ein  bewaffneter  Krieger  in  Angriffsstellung 
heran.  Dieser  Kampf  hat  doch  offenbar  den  Toten  zum  Gegenstand,  der 
daher  nicht  Menoikeus  sein  kann.  Auch  daß  der  angebliche  tote  Menoikeus 
hier  proleptisch  in  seinem  eignen  Heiligtum  dargestellt  sein  soll,  ist  unmöglich. 

2)  Einl.  zur  Antig.  14.  «)  A.  a.  0.  247,  355  ff. 


92  Johanna  Schmitt 

des  Aischylos.  Er  wird  hier  von  Eteokles  dem  Eteoklos  ent- 
gegen ans  Nei'stische  Tor  gesandt,  und  bei  ihm  allein  von  allen 
Kämpfern  wird  die  Möglichkeit  erwähnt,  daß  er  fallen  könnte 
(477):  dXV  fj  ^avuv  rpo^ela  irXnpwaei  x^'ovi,  f)  Kai  8u'  äv5pe  Kai  ttö- 
ha\i  Itt'  ctaTTiSos  eXuv  Xa{j)üpois  Swiia  Koa\ir\ae\  iraTpös.  Es  muß 
also,  folgert  Robert,  eine  Sage  gegeben  haben,  nach  der  Me- 
gareus  im  Kampf  fürs  Vaterland  fiel,  und  auf  diesen  —  jeden- 
falls der  Thebais  entnommenen  —  Zug  spielt  Aischylos  hier  an. 
Diesen  Tod  fürs  Vaterland  bezeichnet  dann  auch  Sophokles 
Antig.  1303  als  kXeivöv  Xdxos-  Eur.  hat  zu  diesem  Megareus 
als  Parallele  einen  dritten  Sohn  Kreons  erfunden,  und  das 
Schicksal  des  Megareus  dadurch  überboten,  daß  er  an  Stelle 
des  Schlachtentods  den  freiwilligen  Opfertod  setzte.  Diese 
Hypothese  Roberts  läßt  sich  einerseits  durch  einen  direkten 
Beleg,  andrerseits  durch  eine  Parallele  stützen.  Pausanias  er- 
zählt nämlich  bei  seiner  Beschreibung  Thebens  (IX  25,  1): 
Orißaiois  5e  twv  ttüXüv  eariv  iyyvTa-ra  twv  NriTatüv  MevoiKeus  \ivr\\ia 
Toü  KpeovTos.  dTreKTCive  8e  eKOuaius  eauTÖv  k.  t.  X.  In  den  Sieben 
wird  aber  gerade  am  Ne'istischen  Tor  Megareus  aufgestellt,  ist 
also  dort,  nach  der  Thebais  jedenfalls,  gefallen.  In  späterer 
Zeit  nun,  nachdem  Megareus  mit  Menoikeus  identifiziert  worden 
war  —  wofür  das  oben  erwähnte  Scholion  zur  Antig.  Zeuge 
ist  — ,  wurde  das  Grab  des  alten  vergessenen  thebanischen 
Heros  Megareus  *)  unter  dem  Einfluß  der  eurip.  Sagengestaltung 
auf  seinen  erfundenen  Bruder  übertragen.  Wir  sehen  nun 
also,  warum  das  Menoikeusgrab ,  abweichend  von  der  Fabel 
des  Eur.,  der  ihn  an  der  Drachenquelle  sterben  läßt,  bei 
Pausanias  ans  Neistische  Tor  verlegt  ist,  und  haben  hier  die 
Lösung  für  diesen  Widerspruch,  der  Anstoß  erregen  konnte  ^. 

Wenn  Schwenn^)  behauptet:  „Natürlich  war  diese  Grab- 
stätte der  Ausgangspunkt  der  Sage",  so  ist  dies  nur  in  sehr 
bedingtem  Sinne  richtig.  Daß  für  Eur.  das  Grab  der  Aus- 
gangspunkt war,  ist  durchaus  nicht  notwendig. 

Die  oben  erwähnte  Parallele  zur  Megareus-Menoikeus-Sage 
ist  die  Erzählung  von  Kodros.    Hier  lassen  sich  nämhch  neben 

')  Daß  der  Name  nach  Theben  gehört,  zeigt  auch  die  Gestalt  der 
thebanischen  Königstochter  Megara,  der  Schwester  des  Megareus. 

-)  Wilamowitz,  Aischylos  Interpretationen  92,  3.  ^)  A.  a.  0.  134. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  93 

der  bekannten  Sage,  nach  welcher  der  König  in  Bauernkleidung 
freiwillig  den  Tod  von  Feindeshand  sucht,  noch  die  Reste 
einer  Überlieferung  erkennen,  in  der  die  Peloponnesier  in  einer 
Schlacht  besiegt  werden  (Strabo  IX  393)  und  Kodros  im 
Kampf  für  die  Freiheit  des  Vaterlands  fällt').  Damit  stimmt 
überein  das  Bild  der  Kodrosschale ') ,  auf  dem  der  König  in 
voller  Rüstung  von  einem  gewissen  Ainetos  Abschied  nimmt, 
also  in  den  Kampf  zieht.  Wie  bei  Megareus  wäre  daher  — 
sicher  auch  von  einem  bestimmten  Dichter,  den  wir  leider 
nicht  mehr  nennen  können '')  —  das  Heldentum  des  Königs 
durch  die  Erzählung  von  seinem  freiwilligen  Opfertod  ge- 
steigert worden*). 

c.  Erechthiden.  Daß  der  freiwillige  Opfertod  der  Erech- 
thiden  nicht  eine  reine  Erfindung  des  Eur.  ist,  wie  Wilamo- 
witz*^)  auch  für  ihn  annimmt,  hat  besonders  Ermatinger')  be- 
tont, dem  sich  auch  Schwenn')  anschließt.  Es  läßt  sich  bei 
dieser  Sage  in  der  Tat  aus  der  dürftigen  Überlieferung  die 
ursprüngliche  Sagenform,  die  in  der  Atthis  niedergelegt  war, 
noch  ziemlich  genau  von  der  euripideischen  Umformung 
scheiden.  Auf  das  Drama  geht  natürhch  direkt  zurück  Lykurg 
c.  Leoer.  24,  sodann  Aristides  Panath.  I  p.  191,  ferner  die  Be- 
richte bei  Stobaeus  39,33,  Ps.-Plutarch  p*ar.  min,  310D  und 
Clemens  AI.  protr.  3*).  Von  diesen  drei  letzten  Überlieferungen 
gibt  nur  Ps.-Plut.  als  Quelle  EupnTiSns  ev  'EpexM  an,  die  beiden 
andern  haben  dafür  AntiapctTOS  ev  a'  (bzw.  y)  TpayuSouiievuv.  Der 
Name  Demaratos  ist  ein  Schwindelzitat,  durch  weiches  der 
Verfasser   seinem  Werk   einen   gelehrten   Anstrich   zu   geben 

1)  Cic.  de  nat.  deor.  III  19,  49.  —  Auch  bei  Aristot.  Pol.  V  10  fehlt 
eine  Erwähnung  des  Opfertods.  -)  Baumeister,  Denkmäler  1999,  Nr.  2148. 

■■')  Pherekydes  frg.  100  (Müller)  ist  unsere  älteste  Quelle  für  diese  Fassung. 

■*)  Über  die  2  Formen  der  Kodrossage  s.  Töpffer,  Att.  Geneal.  230; 
Wilamowitz,  Kydathen  99 ;  Busolt  gr.  Gesch.  I  220,  2 ;  II  128.  —  Eine  will- 
kürliche Vermischung  der  Kodros-  mit  der  Erechtheussage  bringt  Ps.-Plut. 
par.  min.  18  (Stob.  V  66),  wonach  Kodros  sich  auf  einem  Feldzug  gegen 
die  Thraker  opfert. 

ß)  Ind.  lect.  Gryph.  1882,  p.  X  Anm.  und  Kydathen  126. 

^)  Die  att.  Autochthonensagc,  Diss.  Zürich  1897,  102. 

')  A.  a.  0.  132,  2. 

**)  Vgl.  oben  65  ff.  —  Ebenso  geht  Porphyrius  de  abst.  II  bG  mit  der 
Wendung:  "A&tivaioi  ifiv  'Epex&eus  kqI  [Ipa^i&^as  ^uyai^pa  ctveiAov  auf  Eur.  zurück. 


94  Johanna  Schmitt 

versuchte.  Quelle  aller  drei  Zitate  ist  die  ursprüngliche  —  nicht 
erhaltene  —  Fassung  des  Ps.-Plut.  ^).  Trotz  des  gefälschten 
Zitats  gibt  Stobaeus  inhaltlich  am  ausführhchsten  den  ursprüng- 
lichen Ps.-Plutarch  wieder. 

Diese  dreigeteüte  Quelle,  ebenso  Lykurg  und  Aristides 
nennen  keinen  Namen  der  Erechtheustochter.  Auch  in  den 
Fragmenten  kommt  kein  Name  vor.  Ist  das  auch  nicht  be- 
weisend für  die  ganze  Tragoedie,  so  hätten  wir  doch  in  der 
Praxithearede  mindestens  eine  Namensnennung  erwartet.  Schon 
hieraus  läge  der  Schluß  nahe,  daß  Eur.  überhaupt  den  Erech- 
theustöchtern  keine  Namen  gab.  Noch  klarer  wird  dies,  wenn 
wir  prüfen,  welche  Namen  sie  in  der  mj'thographischen  Tradition 
tragen.  Hier  haben  wir  eine  doppelte  Namenreihe:  1.  die  be- 
rühmten Heroinen  Oreithyia,  Prokris  und  Kreusa.  Von  diesen 
konnte  Eur.  kaum  erzählen,  sie  seien  den  Opfertod  gestorben. 
Ihr  Schicksal  war  durch  Sage  und  dramatische  Gestaltung  schon 
zu  fest  geprägt  *).  2.  Als  drei  weitere  Erechtheustochter  nennt 
das  Atthidenfragment  des  Phanodemos  (s.  Photius-Suidas  s.  v. 
Tvapö'evoi)  zu  den  erwähnten  die  Gruppe  der  chthonischen 
Nymphen  Protogeneia,  Pandora  und  Chthonia,  das  „mythische 
Gefolge  der  Athena" ').  Auch  diese  so  eng  an  den  Kult  ge- 
bundenen Namen  wü'd  Eur.  kaum  verwendet  haben.  Da  zu- 
dem in  den  Quellen,  die  direkt  von  Eur.  abhängen,  jeder  Name 
fehlt,  so  zeigt  sich  hier  ein  geschickter  Kunstgriff  des  Dichters, 
der  durch  Vermeidung  bestimmter  Namen  sich  der  Schwierigkeit 
entzog,  zwischen  den  Sagen-  und  Kultnamen  zu  wählen.  Zu- 
gleich erhält  Wilamowitz'  Hypothese  von  der  Namenlosigkeit  der 
Heraklestochter  hierdurch  eine  Stütze*).     Die  drei  bei  Suid.- 


1)  Vgl.  Hiller,  Herrn.  21,  126ff.;  Real.-Enc.  IV  2706.  Hercher,  praefatio 
seiner  Ausgabe  von  nepi  noTajiwv  p.  18  hält  noch  Stob,  für  die  ursprüngliche  Form. 

^)  Im  Ion  277  ff.  wird  Kreusa  ausdrücklich  von  den  Geopferten  geschieden. 
Hier  folgt  Eur.  der  Vulgata  der  Opferungssage,  vgl.  unten.  Vgl.  auch  Ais- 
chylos'  Tragoedie  Oreithyia,  Sophokles'  Prokris  u.  Kreusa. 

8)  Schwenn  a.  a.  0.  132. 

*)  Wenn  im  Katalog  der  <j)iÄd5€A(j)oi  (Westermann  a.  a.  0.  345)  die  ge- 
opferte Tochter  Prokris  heißt,  so  hat  hier  wohl  allein  die  Tatsache  zu  diesem 
Namen  geführt,  daß  auch  Prokris  der  Sage  nach  den  Tod  erlitt.  Vgl.  Töpffer 
Att.  Gen.  i58.  —  Bei  Apollodor  III  15,  4,  der  übrigens  in  seiner  Erzählung 
der  Sage  von  Eur.  abhängt,  tritt  zu  den  drei  Sagengestalten  als  vierte  die 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  95 

Phot.  genannten  Nymphen  wurden  natürlich  erst  zu  Erechtheus- 
töchtern,  als  der  chthonische  Daemon  Erechtheus  zum  attischen 
König  geworden  war.  Sie  sind  eine  vollkommene  Dublette  zu 
den  später  mit  Kekrops  verbundenen  Nymphen  Agraulos, 
Pandrosos  und  Herse,  die  dann  von  den  Atthidographen  in  die 
Generation  vor  Erechtheus  eingereiht  wurden.  Vielleicht  hat 
sich  erst  unter  dem  Einfluß  dieser  göttlichen  „Dreiheit"  die 
Dreizahl  der  irdischen  Erechtheustöchter  herausgebildet  *).  An 
diese  schicksalslosen  Nymphen  hat  sich  nun,  wie  das  oft  ge- 
schehen ist*),  die  Selbstopferungssage  angesetzt,  um  ein  a'mov 
für  ihren  Kult  herzustellen'^).  Dieses  amov,  die  Vulgata  sozu- 
sagen der  Opferungssage,  gibt  Suid.-Phot.  7rap9-evoi.  Hier  wird 
erzählt,  es  hätten  sich  in  Kriegsnot  zwei  von  den  sechs  er- 
wähnten Erechtheustöchtern  für  das  Land  geopfert  und  seien 
nach  der  Opferstätte  im  Trayos  'YdKiv9-os  'YaKiv^iSes  benannt  worden. 
Dies  also  war  die  Grundlage  des  euripideischen  Dramas.  Die 
Änderungen  des  Dichters  sind  folglich:  1.  Übertragung  des 
Motivs  der  Freiwilligkeit  auf  die  Mutter;  2.  Opferung  nur  einer 
Tochter;  3.  eTTaTro^aveTv  der  beiden  andern. 

Diese  Vulgata  der  Opferungssage  finden  wir  noch  bei 
Diodor  (17,15,2)  und  bei  Cicero  an  verschiedenen  Stellen*), 
dem  diese  Sage  als  exemplum  des  ruhmvollen  patriotischen 
Opfertods  immer  willkommen  war.  Angeregt  war  er  wohl  im 
allgemeinen  durch  den  Erechth.  des  Ennius,  der  aber,  soviel 
wir   erkennen   können,    sich   ganz   an  die   euripideische   Form 

Nymphe  Chthonia.  Diese  nennt  der  verworrene  Bericht  des  Hygin  fab.  46 
als  die  geopferte.  Das  ist  natürlich  späte  Spekulation:  Chthonia  =  Erd- 
kind =  Todeskind,  die  man  aber  nicht  mit  Welcker,  Gr.  Trag.  II  722  schon 
für  die  Zeit  der  Sagenbildung  selbst  annehmen  darf. 

^)  Notwendig  ist  jedoch  diese  Annahme  nicht,  da  die  Sage  nicht  weniger 
als  der  Mythos  die  Dreizahl  der  Kinder  liebt.  Wenn  als  Opfer  bald  die 
älteste,  bald  die  jüngste  Tochter  bezeichnet  wird  (Robert  a.  a.  0.  I  142  A.  7), 
so  haben  wir  damit  zwei  Formen  eines  der  von  Olrik  u.  a.  aufgestellten 
„epischen  Gesetze  der  Volksdichtung",  nämlich  das  „Gesetz  der  Dreizahl "  mit 
„Toppgewicht"  bzw.  , Achtergewicht ",  s.  A.  Lehmann,  Dreiheit  u.  dreifache 
Wiederholung  i.  deutsch.  Volksmärchen,  Diss.  Leipz.  1914,  lOf.  (diesen  Hin- 
weis verdanke  ich  Prof.  Weinreich).  2)  Schwenn  a.  a.  0.  127. 

'')  Der  Kult  ist  bezeugt  durch  Philochoros  im  Schol.  Oed.  Col.  100. 

*)  Pro  Sest.  21,  48;  de  fin.  V  22,  26;  Tusc.  I  48,  116;  de  deor.  nat.  III 
19,  50. 


96  Johanna  Schmitt 

anschloß  ^).  Endlich  liegt  sie  vor  bei  Serv.  Dan,  zu  Aen.  I  744. 
Die  hiervon  nur  wenig  abweichende  Version,  daß  Erech- 
theus  die  Töchter  zur  Opferung  hingibt,  der  opferwillige  Patriotis- 
mus also  auf  ihn  übertragen  ist,  zeigt  schon  die  oben  zitierte 
Stelle  des  Ion  (277):  "luv:  Traifip  'Epexö'eüs  aas  'i^\}ae  auwövous; 
Kp:  €TXn  irpö  yaiöS  acjxiYia  Trap^evous  KiaveTv.  Daß  Eur.  sich  nie 
auf  eine  Sagenform  festlegte,  wissen  wir  zur  Genüge.  Hier  im 
Ion,  wo  immer  wieder  die  ruhmvolle  Autochthonenherkunft  der 
Kreusa  betont  wird,  paßte  es  besser,  ihren  königlichen  Vater 
selbst  als  den  heldenhaften  Retter  der  Stadt  erscheinen  zu 
lassen.  Dieselbe  Sagenform  finden  wir  bei  Ps.-Demosthenes 
epitaph.  27  '^).  Durch  die  Wesensverwandtschaft  der  Erechthiden 
mit  den  Kekropiden  kam  es,  daß  im  späteren  Altertum  die 
beiden  Gruppen  häufig  verwechselt  wurden,  so  in  den  Schollen 
zu  Aristides  Panathenaikos  (vol.  III  p.  118,  10  ed.  Dindorf).  Hier 
hat  der  eine  Schohast  (A.  G.)  die  Sage  vom  Opfertod  der  Erech- 
thiden trotz  des  friedhchen  Ausgangs  des  Kriegs  zwischen 
Erechtheus  und  Eumolpos  hinein  interpoliert  und  zwar  in  der 
euripideischen  Fassung  von  eTrairo^aveTv  der  beiden  andern  nach 
dem  Opfertod  der  einen.  Nur  haben  hier  die  Erechthiden  die 
Namen  der  Kekropiden  erhalten.  Auch  dies  ist  ein  indirekter 
Beweis  für  die  Namenlosigkeit  der  Jungfrauen  im  Drama. 
V^T'ären  die  Namen  dort  fest  geprägt  gewesen,  so  hätte  eine 
solche  Vertauschung  nicht  so  leicht  stattfinden  können. 

1)  Vgl.  oben  35, 1.  37. 

•^)  Welckers  Versuch,  entgegen  G.  Hermann,  der  diese  Verschiedenheit 
anerkannte,  eine  Konkordanz  zwischen  Ion  u.  Erechth.  zu  konstruieren,  ist 
daher  unnötig  (Gr.  Trag.  II  720).  —  Bei  den  Erzählungen  von  den  Leokoren 
wiegt  diese  Form,  bei  der  die  Freiwilligkeit  auf  Seiten  des  Vaters  liegt,  bei 
weitem  vor.  fast  überall  heißt  es  !ni5e5(öKev  auTÖs.  (Schwenn  a.  a.  0.  129,  4  gibt 
ein  Verzeichnis  aller  Zeugnisse  für  die  Leokoren.)  Die  Stellen,  wo  es  heißt, 
daß  sie  sich  selbst  freiwillig  hingegeben  hätten,  scheinen  diese  Änderung  nur 
aus  rhetorischen  Gründen  vorgenommen  zu  haben.  Cicero,  de  deor.  nat.  a.  a.  0. 
und  Diodor  a.  a.  0.  nennen  die  Erechthiden  in  einem  Atem  mit  den  Leokoren, 
erzählen  daher  summarisch  von  beiden  dasselbe.  Der  gekünstelte  Ps.-Demosth. 
epitaph.  29  läßt  nur  der  variatio  wegen  die  Leokoren  im  Gegensatz  zu  den 
Erechthiden  sich  freiwillig  hingeben.  —  Man  kann  daher  nicht  mit  Hirzel 
a.  a.  0.  96,  2  bei  den  Erechthiden  im  Opfermotiv  eine  Entwicklung  zur  größeren 
Freiwilligkeit  annehmen  und  in  der  Leokorensage  die  umgekehrte  Wandlung. 
Nur  für  die  Makariasage  ist  die  Behauptung  Hirzels  zutreffend,  daß  hier 
eine  Steigerung  vorliege. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  97 

Ganz  denselben  Vorgang  sehen  wir  in  Schol.  D.  p.  118,20, 
wo  als  Quelle  für  Aglauros  Demosthenes  de  falsa  legat.  zitiert 
wird.  Eine  ähnliche  Konfusion  liegt  vor  im  Schol.  Demosth. 
(or.  XIX  438,  17  Tom.  I.  II  ed.  Dindorf),  welches  das  amov  für 
den  Kult  der  Aglauros  gibt:  hier  opfert  sich  Aglauros  im  Krieg 
durch  Sturz  von  der  Mauer.  Diese  Todesart  scheint  eine 
Kombination  der  gewöhnlichen  Kekropidensage  (Sturz  von  der 
Burgmauer  im  Wahnsinn  ^))  mit  dem  freiwilhgen  Opfertod  des 
Menoikeus  zu  sein,  der  sich  ja  auch  von  der  Mauer  in  die 
Drachenhöhle  stürzt. 

Die  Gleichsetzung  der  Hyakinthiden  mit  den  Erechthiden, 
die  bei  Ps. -Demosth.  epitaph.  27,  Diodor  XVII  15,2  und  Suidas- 
Photius  vorliegt,  ist  wohl  durch  den  Gleichklang  von  'YdScs*), 
wozu  Eur.  in  seiner  Tragoedie  die  Erechthiden  werden  heß, 
(vgl.  oben  68)  und  'YaKiv&iSes  entstanden,  ist  also  eine  weitere 
Nachwirkung  des  Dramas.  Besonders  nahe  lag  sie,  wenn  die 
Sage  von  der  Opferung  der  Hyakinthiden')  schon  vor  deren 
Gleichsetzung  mit  den  Erechthiden  bestand*). 


*)  Sogar  diese  für  ^ie  Kekropiden  typische  Sage  wurde  auch  umgekehrt 
von  den  Erechtheustöchtern  erzählt:  Hygin  astr.  II  13.  Ein  altes  rituelles 
Menschenopfer  für  Aglauros  aus  diesem  Pelsensturz  zu  erschließen,  wie  es 
Töpffer  (Real.-Enc.  I  886,  vgl.  Rh.  M.  43,144)  versucht  hat,  geht  nicht  an. 
Von  einem  Menschenopfer  für  Aglauros  auf  Cypern  berichtet  allerdings  Por- 
phyrius  (de  abst.  11  54,  vgl.  Schwenn  a.  a.  0.  70),  und  Cypern  ist  attische 
Kolonie.  Aglauros  ist  ein  Beiname  der  Athena  selbst  (vgl.  Harpokration 
s.  v.  Aglauros).  In  ihrem  Mythus  und  Kultus  treten  die  furchterweckenden 
Züge  der  Göttin  zutage  (0.  Müller,  Kl.  Sehr.  II  147).  Aber  im  Mutterland 
wußte  man  schon  längst  nichts  mehr  von  diesem  grausamen  alten  Brauch, 
als  das  im  Scholium  Demosth.  erzählte  atttov  erfunden  wurde. 

-)  Nach  Schol.  Serv.  Dan.  zu  Aen.  I  744  wurden  die  Erechthiden  zu 
Pleiaden.  Diese  Verwechslung  konnte  bei  der  stehenden  Verbindung  von 
Hyaden  u.  Pleiaden  leicht  eintreten. 

»^  Sie  liegt  bei  ApoUodor  III 15,  8,  3  und  Hygin  fab.  238  vor.  ffier  (bei 
Hygin)  ist  übrigens  nur  von  einer  Tochter  die  Rede:  das  geht  wohl  wieder 
auf  Eur.  zurück. 

*)  Maaß,  Herm.  25,  405  sieht  in  'Yä5es  eine  Kurzform  von  'YaKtv&iSes.  Eur. 
jedenfalls  folgt  der  alten  Etymologie  "YdSes  von  öeiv  (vgl.  Hellanikos  frg.  45) 
mit  langem  u  (Ion  1156,  El.  468).  —  Robert  (Arch.  Märchen  187)  versucht,  die 
weiblichen  Gestalten  eines  Kertscher  Vasenbilds,  die  bei  der  Dionysosgeburt 
anwesend  sind,  als  'YäSes  =  Erechthiden  zu  deuten.  Doch  steht  die  Kult- 
gemeinschaft der  Erechthiden  mit  Dionysos  keineswegs  fest.  Das  Schol.  Oed. 
Religionsgoschichtliche  Versuche  u.  Vorarbeiten.    XVII,  2.  7 


98  Johanna  Schmitt 

Dieselbe  Verbindung  von  KaTacrrepiapös  und  freiwilligem 
Opfertod  wie  im  Erechth.  finden  wir  auch  in  der  Fabel  von 
den  Oriontöchtern  (bei  Antoninus  Liberahs  25),  die  nach  ihrem 
freiwilligen  Opfertod,  durch  den  sie  ihre  Heimatstadt  von  der 
Pest  erlösten,  in  KOjifJTai  verwandelt  wurden^).  Das  Scholion 
gibt  hier  als  Quelle  Korinna  und  Nikander  an  ^).  Wenn  Wilamo- 
witz  hierzu  bemerkt^):  „Die  Erzählung  gipfelt  in  der  Verwand- 
lung der  Mädchen  in  Kometen,  womit  eine  alte  Dichterin  nicht 
behelligt  werden  kann",  so  scheint  er  nur  am  Wort  KOjinrai 
Anstoß  zu  nehmen.  Der  KaTaaTepi0iiös  gerade  bei  den  Orion- 
töchtern, die  von  vornherein  in  den  Kreis  der  wenigen  alt- 
griechischen Sternsagen  gehören,  ist  durchaus  denkbar.  Merk- 
würdig bleibt  diese  Übereinstimmung  der  euripideischen  Tra- 
goedie  mit  der  boeotischen  Sage  jedenfalls,  wenn  man  auch 
schwerlich  eine  direkte  Abhängigkeit  des  Eur.  von  diesem  doch 
etwas  abliegenden  Lokalmythus  annehmen  darf. 

d.  Phrixos.  Noch  enger  als  beim  Erechthidenmythus  hat 
Eur.  sich  in  der  Darstellung  der  freiwilligen  Opferung  des 
Phrixos  an  die  Sage  angesclilossen.  Außer  Hygin  berichtet 
von  ihr  noch  Pherekydes  (Schol.  Pind.  Pyth.  IV  288)  ös  (sc. 
Pherek.)  Kai  ^r[ai  twv  KapiTÜv  (})9'eipoiievuv  ek  rauToiidTou  eD-eXoömov 
öoövai  eauTÖv  eis  a(j)aYnv*).  Pherekydes'  dKjiri  wird  auf  454/53 
gesetzt^).  Er  könnte  also  allenfalls  schon  von  der  euripideischen 
Tragoedie  abhängig  sein.  Jedoch  ist  das  höchst  unwahrschein- 
lich, da  der  Phrixos  ein  spätes  Stück  ist  ®)  und  außerdem  schon 
in  den  Kulttatsachen  selbst,  die  uns  hier  einmal  glücklicher- 
weise neben  dem  amov,  d.  h.  der  Sage  von  der  Phrixos-  oder 
Athamasopferung,  erhalten  sind,  ein  Moment  der  Freiwilligkeit 


Col.  100  sagt  nur,  daß  beiden  (aber  nicht  zusammen!)  vti(|)(iAia  dargebracht 
wurden. 

^)  Auch  diese  Fabel  gibt  nur  das  oYtiov  für  den  Kult  der  KopcaviSes.  Der 
Kult  war  sicher  das  prius,  die  Verbindung  mit  Orion  das  Sekundäre.  So 
erklärt  sich  wohl  die  „Doppeliassung",  die  Kuentzle,  Sternsagen,  Diss.  Heidel- 
berg 1897,  15,  1,  annimmt. 

2)  Aus  Nikander  hat  wohl  Ovid,  Met.  XIH  691  fi.,  geschöpft. 

")  Berl.  Klass.-Texte  V  2  S.  53,  3. 

*)  iavii]M  bei  Müller  F.H.G.  I  p.  86  ist  Druckfehler,  vgl.  Drachmanns 
Ausgabe  der  Pindar-Scholien. 

5)  Christ-Schmid  I  455.  ^)  Vgl.  oben  10. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  99 

liegt.  Herodot  (VII  197)  erzählt,  daß  der  älteste  Sproß  des 
Athamantidenhauses  in  Halos  immer  Tabu  sei :  er  darf  das  Rat- 
haus nicht  betreten,  ist  also  von  den  bürgerlichen  Ehrenrechten 
ausgeschlossen.  Tut  er  es  doch,  so  wird  er  so  lange  darin 
zurückgehalten,  bis  er  zur  Opferung  vor  die  Stadt  hinaus  ge- 
führt wird').  Das  Betreten  des  Rathauses  war  also  ein  frei- 
wilhger  Akt;  der  Athamantide  wußte,  daß  er  damit  dem  Tod 
verfallen  sei*^).  Die  Freiwilligkeit  des  Opfers  geht  auch  aus 
der  verderbten  Stelle  des-  SchoHon  Apollon.  Rhod.  II  653  her- 
vor: vV  'AO^diiavTOS  "  töv  ^pT^ov  uiroSeSeKTai  6  AiijjaKÖs  eis  KoXxous 
TTopeuöjievov.  ^aa\  5e  eKel  a(J)aYiacr&rivai  tw  Aa^vaim  Au  Kai  pexpi 
vüv  eva  TÜv  0pi^ou  ClTTOyövwv  eicrievai  eis  tö  TTpuraveTov  eTveXö^övia  rivä 
eKoumcüS  tö  irpoeipnjievcü  Ali.  Die  andre  Lesart  kqi  ö'ueiv  tw  Trp.  A. 
statt  der  letzten  sechs  Worte  ist  wohl  falsch,  denn  es  kommt 
doch  darauf  an,  daß  das  Menschenopfer  noch  besteht^).  Als 
aiTiov  für  diesen  Ritus  erzählt  Herodot  die  Geschichte  von  der 
Athamasopferung*),  das  Opfer  sollte  also  Sühne  für  die  doppelt 
hintertriebene  Opferung  der  sagenhaften  Ahnherrn  sein  (erst 
des  Königssohns,  dann  des  Königs  selbst). 

An  dies  Moment  der  Freiwilligkeit  im  Kult  knüpfte  also 
wohl  die  Erzählung  vom  freiwilligen  Sich-Darbieten  des  Phrixos 
an,  wie  wir  sie  bei  Pherekydes  lesen  ^). 

Nur  ein  Zufall  wird  es  sein,  daß  Pherekydes  auch  unsere 
älteste  Quelle  für  den  freiwilligen  Opfertod  des  Kodros  ist. 
Diese  Sagen  lagen  eben  im  5.  Jhd.  in  der  Luft  und  fanden 
bei  Pherekydes  ihre  erste  Kodifizierung.  Möglich  ist,  daß  Eur. 
die  fi-eiwillige  Opferung  des  Phrixos  von  hier  übernahm. 

e.  Poiyxena.  Ganz  andrer  Art  als  die  bisher  besprochenen 
Devotionssagen  ist  die  von  Polyxenas  Opferung.  Dieser  Mythus 
ist  eine  Weiterbildung  des  homerischen  Menschenopfers  für 
Patroklos,  dadurch  gesteigert,  daß  hier  die  ij/uxn  das  Menschen- 

1)  Stein  in  seiner  Ausgabe  behauptet,  der  Athamantide  hätte  durch  un- 
bemerktes Eindringen  ins  Rathaus  gerettet  werden  können.  Davon  steht 
aber  nichts  bei  Herodot.  -)  Schwenn  a.  a.  0.  45  S. 

")  Anders  0.  Müller,  Orchomenos  158,  und  Frazer,  The  d?/lng  God 
(Golden  Bough  III)  165,  die  die  zweite  Lesart  aufnehmen.  Müller  will 
darin  eine  Milderung  des  alten  Brauches  sehen.  *)  Vgl.  oben  71  f. 

^)  Auch  Frazer  a.  a.  0.  163  nimmt,  wie  es  scheint,  Pherekydes  als  selb- 
ständige Quelle  an. 


100  Johanna  Schmitt 

Opfer  selbst  verlangt,  während  Patroklos  nur  um  Bestattung 
bittet.  Der  Homer  gegenüber  mehr  romantischen  Neigung  des 
Kyklos  entspricht  es,  daß  hier  gerade  eine  Jungfrau  gefordert 
und  geopfert  wird:  die  Totenbraut*). 

Neben  diesem  ursprünglichen  Sinn  der  Sage  hat  sich  eine 
zweite  Ausdeutung  entwickelt,  die  in  Analogie  zum  Iphigenien- 
opfer  in  Polyxena  ein  windstillendes  Opfer  sah,  so  daß  also 
Polyxena  im  gleichen  Sinn  wie  Iphigenie  a^äyioM  ist.  Die 
Dichtung  verband  die  beiden  Motive,  indem  sie  den  über 
seine  Vernachlässigung  zürnenden  Achill  die  Schiffe  zurück- 
halten ließ'). 

Die  ursprünghche  Auffassung  der  Opferung  als  Toten- 
hochzeit') finden  wir  scharf  ausgeprägt  in  Senecas  Troades. 
Da  nun  die  Beschreibung  der  Achilleuserscheinung  (168ff.) 
einen  Anklang  an  Accius  Troad.  Frg.  II  zeigt  und  andrerseits 
Accius  Frg.  ine.  XXXVIII  auffallend  mit  dem  sophokleischen 
Polyxenafragment  (480 N.)  übereinstimmt,  so  ist  der  Schluß 
vielleicht  nicht  zu  gewagt,  daß  Seneca  auch  im  Motiv  der 
Totenhochzeit  von  Accius,  indirekt  also  von  Sophokles,  ab- 
hängig ist.  Für  diese  Annahme  spricht  auch,  daß  bei  Sophokles 
(nach  Trepi  öijjous  15,  7)  Achill  selbst  über  seinem  Grab  erschien. 
Der  Hauptzweck  dieses  Erscheinens  war  doch  wohl  die  Forde- 
rung der  Polyxena*).    Ihr  Verhältnis  zu  Achill  war  hier  sicher 

^)  Man  hat  neuerdings  daran  gezweifelt,  ob  die  Opferung  die  ursprüng- 
liche Gestalt  der  Polyxenasage  sei.  Aus  Schol.  Hek.  41 :  ö  5e  tö  Künpia  Ttoir|oas 
^t\a\>f  VTc'  'OSucaews  Kai  AiofinSous  ?v  ifj  Tfjs  nöAecos  otAüaei  TpaupaTto&eloav  ÖTroA^a&ai, 
Ta(j)fivai  5e  ujtö  NeoTTTOÄejiou  009  TAaÜKÖs  ({»noiv  will  Förster,  Herrn.  18,  476,  schließen, 
daß  erst  die  Lyrik  aus  der  Bestattung  die  Opferung  gemacht  habe.  Auch 
Schwenn  a.  a.  0.  63  ist  geneigt,  sich  dieser  Auffassung  anzuschließen.  Doch 
hat  schon  Wilamowitz,  Homer.  Unters.  181,  27,  darauf  hingewiesen,  daß  wir 
es  hier  nur  mit  einer  rationalistischen  Abschwächung  des  Opfermotivs  zu  tun 
haben.  —  Vgl.  auch  den  Versuch  Hausers  (Arch.  Jahrb.  1913,  274),  der  die 
Darstellung  eines  klazomen.  Sarkophags  mit  dieser  Sagenversion  in  Ver- 
bindung bringt. 

^)  Daß  dies  eigentlich  mit  dem  Opfer  für  Achill  unvereinbar  und  daher 
als  sekundäres  Motiv  erkennbar  ist,  hat  Noack,  Iliupersis,  Diss.  Gießen  1890, 
39,  gegen  Stengel,  Jahrb.  f,  Philol.  1883,  307,  A.  28,  nachgewiesen.  —  Bei  Eur. 
ist  dies  Motiv  mit  dem  ersten  verschmolzen,  vgl.  35  ff.  536.  Dagegen  weht 
900ff.  immer  noch  kein  Fahrwind,  wahrscheinlich,  um  Raum  für  die  folgende 
Polymestorszene  zu  schaffen.  *)  Schrader,  Totenhochzeit  33 ff. 

*)  Daß  auch  Agamemnons  Schicksal  prophezeit  wurde,  wohl  auch  durch 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  101 

eingehender  dargelegt  als  in  der  kurzen  Erwähnung  bei 
Eur.,  und  der  Hochzeitsritus  bei  der  Opferung  war  wohl  durch 
Achill  selbst  gefordert  ^).  Bei  Eur.  ist  dieser  ursprüngliche  Sinn 
der  Opferung  als  Totenhochzeit  ganz  zurückgetreten.  Der 
einzige  Vers,  der  auf  ein  derartiges  Verhältnis  der  Polyxena 
zu  Achill  anspielt,  ist  612:  vuii(j)nv  t'  ävu|i(f)Ov  Tvap^evov  r  dirdp&evov 
Xoi3aü).  Doch  warum  gerade  Polyxena  gefordert  wird,  ist  mit 
keinem  Wort  angedeutet.  Eur.  wollte  eben  alles  zurück- 
schieben, was  das  Menschenopfer,  dem  hier  wie  öfters  seine 
Polemik  gilt,  hätte  rechtfertigen  oder  entschuldigen  können. 
Seine  Neuerfindung  ist  das  „freiwillige"  Sterben  der  Polyxena, 
deren  Würde  und  Todesverachtung  er  über  die  Brutalität  der 
Griechen  triumphieren  läßt.  Ob  bei  Sophokles  das  erotische 
Verhältnis  zwischen  Achill  und  Polyxena,  wie  es  der  Hellenismus 
ausgestaltet  hat,  eingehender  behandelt  war,  läßt  sich  zwar 
nicht  mehr  erkennen;  doch  hat  Noack^)  darauf  hingewiesen, 
daß  es  auch  für  die  alte  Sage  nicht  so  ganz  unmöglich  ist, 
wie  Welcker')  meinte*). 

Eine  vollkommene  Nachbildung  der  euripideischen  Polyxena- 
szene  gibt  Ovid  in  den  Metamorphosen  XEI  428ff.     Nur  hat 


Achill,  geht  aus  Soph.  Frg.  483/4  hervor.  Doch  war  in  einem  Polyxena  be- 
titelten Stück  diese  Prophezeiung  kaum  der  Hauptgrund  für  die  Erscheinung 
der  il'uxn  'AxiAÄicüs. 

')  Liedloff,  Benützung  griech.  u.  röm.  Muster  in  Senecas  Troad.  u.  Ag., 
Progr.  Grimma  1902,  6fi.,  versucht  eine  Rekonstruktion  der  sophokl.  Polyxena, 
in  der  Neoptolemos  die  Rolle  des  Liebhabers  zufiel,  ähnlich  wie  dem  Achill 
der  Iph.  Aul.  Der  Autor,  den  L.  für  diese  Version  heranzieht  —  Christodoros' 
fK<tipaGis  A.  P.  I  46  — ,  scheint  nicht  eben  geeignet  zur  Rekonstruktion  einer 
sophokl.  Tragoedie.  Der  Ausgangspunkt  für  L/s  Hypothese  ist,  daß  im  Schol. 
Hek.  41  Neoptol.  als  Mörder  der  Polyxena  nur  für  Ibykos  u.  Eur.  genannt 
ist,  nicht  für  Soph.  Doch  beweist  das  nichts:  auch  Stesichoros  ist  nicht  ge- 
nannt, in  dessen  Hiupersis  nach  der  tabula  Iliaca  (Jahn,  Bilderchronik  37) 
Polyxena  offenbar  von  Neopt.  getötet  wurde. 

-)  A.  a.  0.  12.  »)  Gr.  Trag.  III  1145. 

*)  Für  eine  andre  Tragoedie  des  Soph.  wenigstens,  die  <l>pÜYe9,  hat  Blaß, 
Rh.-M.  1907,  272  ansprechend  vermutet,  daß  sie  die  Hochzeit  Achills  mit 
Polyxena  und  den  verräterischen  Mord  A.'s  zum  Inhalt  hatte.  Er  schließt 
das  aus  dem  neuen  Fragm.  im  Anfang  des  Photios-Lexikons  (Reitzenstein 
151,  7)  oü  Aq^er'  oü  naüaao&e  toOoS«  tous  y'^Rous  avuijevaioüvres  in  Verbindung  mit 
Frg.  657  N. 


102  Johanna  Schmitt 

er   nach   seiner   Art   Eur.   rhetorisch   gesteigert   und   dadurch 
vielfach  vergröbert^). 

Unverkennbar  ist  auch  der  eurip.  Einfluß  in  Senecas 
Troades.  Die  Klagen  der  Hekabe,  daß  sie  ihrer  letzten  Stütze 
beraubt  wird  (Hek.  280)  stehen  fast  wörtlich  bei  Seneca  (960): 
sola  nunc  haec  est  steper  votum,  comes^  levamen,  afflictae  quies. 
Abweichend  von  Eur.  läßt  er  Polyxena  nicht  selbst  auftreten; 

jedoch  die  Schilderung  ihrer  unerschrockenen  Haltung  bei  der  ; 

Opferung  zeigt    wieder  ganz    eurip.   Farben,   wohl   vermittelt  i 

durch  Ovid.  j 

Die  Freiwilligkeit  des  Sterbens  hat  Seneca  sogar  auf  den  j 

kleinen  Astyanax  ausgedehnt,  der  —  vielleicht  eine  Reminiszenz  | 

an   Menoikeus'   Mauersturz    —    nicht    von    der    Zinne    herab-  i 

geschleudert  wird,   sondern   freiwillig  hinunterspringt   und   so  | 

den  Feinden  noch  zuvorkommt  (1090ff.).  ] 

Wie  bei  Eur.  erzählt  ein  Botenbericht  von  Polyxenas  ße-  ; 

nehmen  bei  ihrem  Tod.    Sie  redet  kein  Wort,  aber  ihre  ganze  \ 

Haltung  zeigt  wie  im  griech.  Drama  keine  Todesfurcht  (1151):  ' 

audax  virago  non  tulit  retro  gradum.  conversa  ad  ictmn  stat  truci  i 

vultu  ferox.   tarn  fortis   animus   omnium  mentes  ferit.     Wie  bei  ■ 
Eur.  (558ff.)   rührt   ihre   Schönheit   die  Zuschauer  (1144):    hos 

movet  formae   decus,   hos  mollis   aetas.     Noch  übertriebener  als  \ 

bei  Ovici  ist  hier  das  Zaudern  des  Neoptolemos  (1154):  novum-  i 

que  monstrum  est  Pyrrhus   ad  caedem  piger^).     An   Stelle   der  ; 

Betonung  der  jungfräulichen  Zartheit  bei  Eur.  und  Ovid  tritt  I 

hier  ihr  Trotz  und  Groll  gegen  den  Mörder  Achill  (1157):  nee  \ 

tarnen   moriens   adhuc  deponit   animos  :  cecidit  ut  Achilli  gravem  \ 

1 

1)  Die  Parallelstellen  bei  Korn-Ehwald.  —  Zu  Hek.  563 ff.  ~  Ovid  458 ff. 
Tgl.  auch  die  Nachbildung  Senecas  Agam.  972 ff.,  doch  erinnert  hier  die  ganze 
Situation  mehr  an  Herakles  319ff.  u.  Androm.  411  ff.,  Stellen,  die  ihrerseits  i 
stark  an  die  Worte  Polyxenas  anklingen,  s.  oben  58.  —  Der  Zug,  daß  Pol.  ; 
noch  im  Fallen  um  edle  Haltung  bemüht  ist  (Hek.  569  ff.  ~  Ov.  479 ff.)  tritt 
auch  stark  in  Libanios'  eK(j)paois  floAul^^vtis  FV  1088  (R.)  hervor.  Die  ganze  Dar- 
stellung der  „gefaßten"  Pol.  verrät  deutlich  den  Einfluß  des  Eur.,  vgl.  auch 
Galen,  Trepl  GtipioK.  IX  236  (K.)  mit  seinem  Eurip.-Zitat. 

^)  Liedloff  a.  a.  0,  4  erinnert  daran,  daß  Seneca  hier  den  Gegensatz  zur  : 
Tötung  des  Priamus  in  rhetorischer  Weise  herausarbeiten  wollte:  dort  tötet  ' 
Neopt.  libens,  hier  piger.  Dort  zieht  er  das  Schwert  trocken  aus  der  Wunde,  ; 
hier  entsteht  ein  vulnus  ingens. 


Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides  103 

factiira  terram  prona  ac  irato  impetu ').  Endlich  sind  die  Klagen 
der  Griechen  um  den  Tod  der  Jungfrau  wie  bei  Ovid  in  einer 
rhetorischen  Zuspitzung  gegeben  (1160):  uterque  flevit  coetus, 
at  timidum  Phryges  misere  gemitiim;  clar'ms  victor  gemit. 

Aus  diesem  freiwilligen  Erleiden  des  Todes  hat  die  helleni- 
stische Dichtung  endlich  ein  e7ra7ro9-aveTv  der  liebenden  Polyxena 
nach  dem  verräterischen  Mord  ihres  Bräutigams  Achill  gemacht. 
Diese  Gestaltung  der  Sage  finden  wir  bei  Philostrat  vit.  Ap.  IV  16 
p.  138  und  Heroikos  19,  11  p.  205  K.,  auch  bei  Tzetzes'^),  der 
auf  ihn.  verweist. 

Zwischen  dieser  und  der  älteren  Auffassung  steht  die 
Version  der  Opferungssage  bei  Serv.  Aen.  III 321 :  Achills  Stimme 
aus  dem  Grabmal  wird  vernommen,  die  sich  beklagt  quod  sibi 
soll  de  praeda  nihil  impertwissent.  Kalchas  erst  bestimmt  Polyxena 
als  Opfer  qumn  vivus  Achilles  dilexerat.  Und  wie  in  der  eurip. 
Fassung  erleidet  sie  aequanimiler  durch  Neoptolemos'  Hand 
den  Tod"). 

Für  die  Gestaltung  der  Iphigenienopferung  in  Sage  und 
Dichtung  verweise  ich  auf  Kjellbergs  ausführliche  Behandlung 
in  der  Real-Enc. 


1)  Eine  Parallele  zu  Hek.  558  wie  Leo,  praefat.  171,  will,  vermag  ich 
hier  nicht  zu  sehen.  ^)  Posthorn.  385—503,  Hom.  315—400. 

^)  Eine  Illustration  der  Polyxena -Opferung  nach  Eur.  gibt  ein  sog. 
homerischer  Becher,  s.  Robert,  Hom.  Becher,  Berl.  Winckelmann-Progr.  1890, 73. 


Schmitt,  Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides 


105 


Register 


Abschied  vom  Leben,  tökoi  46  ff. 

Accius  72.  100. 

Aischylos,  Agamemnon  13.  57  f. 

—  Hiketiden  2.  46. 

—  Septem  8  ff.  91  ff. 
Alkidamas  90. 
Amphibolie  17.  19.  67.  82 f. 
Anaximenes  31.  36. 

Apollodor  65  ff.  68,1.  71,1.  77,4.  89. 

94,4.  97,3. 
Apollonius  Rhod.  (Schol.)  99. 
Aristides  Aelius  33.  65  ff.  89.  93.  96. 
Aristophanes  66,3. 
Aristoteles  poet.  18.  63,2.  87. 

Cicero  95. 

Clemens  Alexandrinus  65  ff.  93. 

Demaratos  93. 
Demosthenes-Ps.  33 f.  96f. 
devotio  90. 
Diodor  95.  97. 
Duris  86. 

Ennius,   Erechtheus  35,1.   37.   66,2. 
95. 

—  Iphigenie  40, 1. 
fnano&aveiv  2.  68.  75 f.  95f.  103. 
Epitaphien  33  ff.  41.  45  f.  59. 
Euripides,  Alkestis  72  ff. 

—  Andromache  31,2.  58. 

—  Erechtheus  11.  32  ff.  63  ff.  93  ff. 

—  Hekabe    4ff.   15ff.  30ff.   42.   47 ff. 
56ff.  99ff. 

—  Herakles    29  f.     31,2.     32.     35,1. 
36,1.  39.  58.  89. 

—  Herakliden  2 ff.  15.  28 ff.  42.  44ff. 
52  ff.  84  ff. 

—  Hiketiden  33.  64.  75f. 

—  Iphig.  Aul.    13  ff.    18  ff.    39  ff.   42. 
44  ff.  47  ff.  61  ff. 


Euripides,  Iphig.  Taur.  13 f.  18ff.  43. 

—  Ion  10.  11.  35.  94,2.  96. 

—  Philoktet  26. 

—  Phoenissen     7  ff.    16 ff.     37  ff.    43. 
59  f.  88  ff. 

—  Phrixos  10.  69 ff.  98f. 

—  Protesilaos  76f. 

—  Troades  59. 

&ucia  81  f. 

Herodot  99. 

Hyakinthiden  95.  97. 

Hygin  68, 1.  69.  77.  89, 5.  97,  l,  3. 

Isokrates  34  f. 
luvenal  91. 

Katasterismos  68.  98. 

Kekropiden  95  ff. 

Kinderrollen  in  Abschiedsszenen  50  f. 

73  f. 
Kodros  1,1.  92  f. 

Leokoren  90.  96,2. 
Libanius  89.  102,1. 
Lukrez  20. 

Lykurg  c.  Leoer.  65  ff.  93 f. 
Lysias  39. 

Namenlose   Personen    im   Drama    4. 

84 ff.  94f. 
Nonnos  89. 

Oriontöchter  98. 
Ovid  98,2.  101  f. 

Paroemiogr.  84. 
Pausanias  85.  89.  92. 
Pherekydes  93,3.  98  f. 
Philostrat  89.  103. 
Piaton,  Menexenos  33 f. 


106 


Schmitt,  Freiwilliger  Opfertod  bei  Euripides 


Plntarch  84.  88.  89.  —  Ps.  65ff.  93f. 
Preislieder    auf    die    Geopferten    53. 

56f.  59f.  63.  75. 
Protreptikos,   patriotischer    22.   28  ff. 

33  ff.  39  ff.  64. 

Seneca  100.  102  f. 
Sophokles,  Aias  17.  31,3.  32. 

—  Athamas  72. 

—  Antigone  11  ff.  27  f.  46.  91  f. 

—  Oedipus  tyr.  11  ff.  30. 

—  Philoktet  25  f. 


Sophokles,  Polyxena  5.  100  f, 
Statins  90. 

Stichomythie  47  ff.  74. 
Stobaeus  65  ff.  93. 
Suidas-Photios  94  f. 
0(j)dYia  78  ff.  100. 

Thukydides  29.  35.  38.  40 
Totenbraut  77.  100. 

Vergöttlichung  62.  68. 


Gedrückt  bei  Enbert  &  Co.,  G.  m.  b.  H.,  üöttingeB, 


ö 


Verlag  von  Alfred  Töpelmann  in  Gießen 

Der  junge  Piaton 

von 

Dr.  Ernst  HornefFer 

Professor  der  Philosophie  a.  d.  Universität  Gießen 

I.  Teil:  Sokrates  und  die  Apologie 

Mit  e.  Beitrag  von  Prof.  Rud.  Herzog  in  Gießen: 
Das  delphisdie  Orakel 

Erscheint  Herbst  1921  —  Preis  etwa  20  Mk.  —  Weitere  Bände  folgen 

Man  kann  die  gesamte  Platon-Literatur  durchblättern  und  man  wird  ein  tief- 
unbefriedigendes  Gefühl  bei  der  Darstellung  der  geistigen  Jugend-  und  Entwicklungs- 
geschichte Piatons  nicht  abwehren  können.  Hier  liegt  ein  philologisch  wie  philosophisch, 
formal  wie  sachlich  äußerst  verwickeltes  und  schwieriges  Problem,  das  der  Verfasser 
zu  lösen  versucht. 


Platos  Logik  des  Seins 

von 

Dr.  Nicolai  Harimann 

0.  Professor  der  Philosophie  a.  d.  Universität  Marburg 

1909  X  und  512  Seiten  gr.  8<*  Mk.  25.— 

Die  Korrelation  von  Sein  und  Nichtsein  wird  von  ihren  vorsokratischen  Ur- 
sprüngen an  bis  in  die  ausgereifte  Ideenlehre  hinein  verfolgt  und  als  die  methodische 
Grundform  im  Denken  Platos  nachgewiesen,  die  alle  Teilprobleme  beherrscht. 

Das  Motiv  der  Mantik 
im  antiken  Drama 

von 

Dr.  Rudolf  Staehlin 

1912  203  Seiten  gr.  8"  Mk.  16.20 

,,.  .  .  Solid  gearbeitetes  Buch,  das  geeignet  ist,  das  Verständnis  vieler  Einzelheiten 
im  Aufbau  der  antiken  Dramen  wesentlich  zu  fördern  "      w.Nestle  inWochenschr.  I.  kl.  Phil. 


Verlag  von  Alfred  Töpelmann  in  Giemen 


Aus  der  Geschichte  des  Bänkwesens 

im  Altertum 

Tesserae  nummulariae 

von 

Dr.  Rudolf  Herzog 

o.  Professor  an  der  Universitäl  Gießen 

1919  Mit  einer  Tafel  Mk.  4.— 

Verlag  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 

Ardiiv  für  Religionswissenschaft 

Nach  Albrecht  Dieterich  und  Richard  Wünsch 

unter  Mitwirkung  von 
G.  Bezold,    F.  Boll,    0.  Kern,    M.  P.  Nilsson,    E.  Norden, 
H.  Oldenberg,  K.  Th.  Preuß,  R.  Reitzenstein,  G.  Wissowa 

herausgegeben  von 

Otto  Weinreidi 

XX.  Jahrg.   1921.  4  Hefte  je  etwa  10  Bg.    40  M.   Einzelheft  20  M. 

Das .,  Archiv  für  Eeligionswissenschaft"  will  zur  Lösung  der  nächsten  und  wichtigsten 
auf  diesem  Gebiete  bestehenden  Aufgaben,  der  Erforschung  des  allgemein  ethnischen 
Untergrundes  aller  Religionen,  wie  der  Genesis  unserer  Religion,  des  Unterganges  der 
antiken  Religion  und  des  Werdens  des  Christentums  beitragen  und  insbesondere  die 
verschiedenen  Philologien,  Völkerkunde  und  Volkskunde  und  die  wissenschaftliche  Theologie 
vereinigen.  Neben  der  I.  Abteilung,  die  wissenschaftliche  Abhandlungen  enthält, 
stehen  als  11.  Abteilung  Berichte,  in  denen  von  Vertretern  der  einzelnen  Gebiete 
kurz,  ohne  irgendwie  Vollständigkeit  anzustreben,  die  hauptsächlichsten  Forschungen 
und  Fortschritte  religionsgeschichtlicher  Art  in  ihrem  besonderen  Arbeitsbereiche  her- 
vorgehoben und  beurteilt  werden.  Regelmäßig  kehren  in  fester  Verteilung  auf  vier 
Jahrgänge  zusammenfassende  Berichte  über  wichtige  Erscheinungen  auf  den  verschiedenen 
Gebieten  der  Religionswissenschaft  wieder.  Die  III.  Abteilung  bringt  Mitteilungen 
und  Hinweise. 

Im  Anschluß  an  das  Archiv  für  Religionswissenschaft  erschien: 

RELIGIONSGES(HIfffTLI(HE 
BIBLIOGRAPHIE 

Herausgegeben  unter  Mitarbeit  zahlreicher  Fachgenossen  von 

Prof.  Dr.  C.  Giemen 

Jahrgang  I  und  II,  die  Literatur  der  Jahre  1914  und  1915  enthaltend  M.    7.50 

Jahrgang  III  und  IV,  die  Literatur  der  Jahre  1916  und  1917  enthaltend         M.  10.— 
Jahrgang  V  und  VI,  die  Literatur  der  Jahre  1918  und  1919  enthaltend  M.    9. — 

Bietet  eine  Ergänzung  zum  Archiv  für  Religionswissenschaft  und  durch  die  Zu- 
sammenarbeit des  Herausgebers  mit  7  Mitarbeitern  in  Deutschland,  Holland,  Schweden, 
der  Ukraine  und  Schweiz  jede  Gewähr  für  Vollständigkeit  und  Zuverlässigkeit. 


Hubert  £  Co.  G.  m.  b.  H.  GöHlnficn 


I; 


i 


M 


t-jL]^'^'Ax.—tf  it  i^tt^^     liui';»^«'     iii  ü      iür\  i     3b         at^jx. 


BL       fteiigionsgeschichtiiche  Versuche 
25       und  VorLrbeiten 

^d .  17 
Heft  2 


I 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY