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Full text of "Renaissance und Barock bei Ariost und Tasso : Versuch einer Anwendung Wölfflin'scher Kunstbetrachtung"

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Renaissance  und  Barock 

bei  Ariost  und  Tasso. 


V^ersuch  einer  Anwendung 
Wölfflin'scher  Kunstbetrachtung 


von 


Dr.  Th.  Spoerri. 


Paul  Haupt 

Akademische  Buchhandlung  vorm.  Max  Drechsel 

BERN  1922. 


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In  Goethes  Torquato  Tasso  bricht  der  tragische  Konflikt  in 
dem  AugenbUck  aus,  wo  der  kühle  Hofmann  Antonio  Monte- 
catino  dem  begeisterten  Dichter,  den  eben  zarte  Frauenhände 
mit  Virgils  Kranz  gekrönt  'haben,  gegenübertritt  und  ihm  in  krän- 
kender Absicht  das   Bild  Ariosts   entgegenhält. 

Ariost  contra  Tasso !    das  ist  auch  die  Losung  Galileo  Galilei's, 
und  wir  bekommen  von  vornherein  einen  Eindruck  von  der  Ge- 
sinnung,   die   seine    Considerazioni    al    Tasso    belebt,    wenn   wir 
hören   wie   er  Tasso   und   Ariost   einander  gegenüberstellt:    „Es 
hat    mir    immer   geschienen    und    scheint    mir    noch    jetzt,    dass 
dieser    Dichter    (Tasso)    über   alle    Massen    schäbig,    dürftig   und 
armselig  ist  (gretto,  povero  e  miserabile),  Ariost  dagegen  gross- 
artig, reich  und  wunderbar.    Und  wenn  ich  mich  in  Tassos  Hel- 
den,   Abenteuer    und    sonstige    Begebenheiten    versenke,    so    ist 
es  mir,  als  träte  iich  in  die  Behausung  eines  Sonderlings,  der  sich 
damit  vergnügt  hätte,   seine   Bude   mit  allerlei   Altertümern   und 
Kuriositäten  zu  schmücken,  mit  Sachen  ohne  Wert,  als  da  sind: 
eine   versteinerte   Krabbe,    ein    ausgetrocknetes    Chamäleon,    eine 
Mücke  oder  Spinne  in   einem  Stück  Bernstein  eingefasst,   einige 
jener   irdenen    Puppen,    die    man    in    alten   ägyptischen    Gräbern 
finden  soll  und  als  Malerei  irgend  eine  Skizze  von  Baccio  Ban- 
dinelli   oder  Parmigiano  oder  ähnlichen  Plunder.    Dagegen,  wenn 
ich   in   den  „Rasenden   Roland''   eintrete,   so   sehe   ich   eine  Vor- 
halle    sich    öffnen,    eine    Tribuna,    eine    königliche    Galerie,    ge- 
schmückt mit  hundert  antiken  Statuen  von  den  berühmten  Bild- 
hauern und  versehen  mit  unendlichen  Folgen  von  Gemälden  aus 
der  Hand  der  besten   Maler,   samt  einer  grossen  Zahl  von  Ge-i 
fassen   aus  Krystall,   aus   Achat  und  anderm   Edelstein,   angefüllt 
endlich  mit  allerlei  seltenen  kostbaren  und  prächtigen  Dingen.'' 
(Mestica   p.   57.)    Man   höre,   mit  welchen  Ausdrücken   der  arme 
Tasso   noch   sonst  bedacht  wird:    stile  sempre  languido,   e  sfor- 
zato,  e  male  spressivo  (53) ;  freddo,  secco,  stiracchiato,  stentato, 
insipido,    saltabellante,    bischizzante,    pedantesco    (81) ;    non    pur 


snervato,  ma  scarnato  e  disossato  (145).  Queste,  Signor  Tasso, 
soiK)  porcheriole  da  bambini  (86);  scempagg-ini  pcdantesche 
(70).  Qual  durczza  di  destino  e  questa  vostra,  Signor  Tasso, 
che  non  possiate  mai  condurre  a  segno  cosa  che  con  grazia  e 
leggiadria  aviate  incomniciata!  (p.  150.)  Vi  ho  compassione, 
ma  non  vi  posso  ajutare  (p.  151).  E  viva  la  pedanteria!  che 
gusto  che  orecchio  e  quel  di  quest'  uomo!  anzi  pure  gusti  da 
giudicar  di  poesia  son  quelli  di  coloro  che  con  saldo  stomaco 
assaporano  di  queste  minestre  (166).  Signor  Tasso,  io  ve  Fho 
detto  ormai  dieci  volte:  questo  non  e  mestier  da  voi ;  a  quante 
azioni  porrete  mano  tante  impertinenze  farete  (94).  Secchissimo, 
infelicissimo  e  miserabilissimo  scrittore!   (133.) 

Den  Eindruck,  den  die  kritische  Arbeit  Galileis  auf  den  Leser 
macht,  fasst  ein  Herausgeber  des  Orlando  furioso  (Campari,  Aus- 
gabe Hoepli  p.  XXI)   in  die  Worte  zusammen  : 

Odioso   come   tutti   i  confronti ! 

Odioso,  allerdings!  Galilei  zertrümmert  die  ganze  Schönheit 
Tassos,  um  seinem  Götzen  Ariost  einen  möglichst  hohen  Sockel 
zu  bauen.  Schönheitzertrümmernde  Kritik  ist  aber  in  der  Tat 
widerwärtig  und  überflüssig.  Nur  eine  Kritik,  die  das  Auge 
schärft  für  die  Schönheit,  hat  Daseinsberechtigung.  Das  Un- 
schöne stirbt  von  selber. 

Ist  es  aber  richtig,  wenn  man  fortfährt:  come  tutti  i  con- 
fronti? Im  Gegenteil!  Ein  richtig  durchgeführter  Vergleich  ist 
die  kostbarste  Quelle  ästhetischer  Einsichten.  Galileis  Vergleich 
ist  aber  missraten,  weil  er  von  dem  AUerweltsprinzip  ausgeht: 
Es  gibt  nur  eine  Art  Schönheit.  Ganz  anders  offenbaren  die 
Dinge  ihre  innerste  Natur,  wenn  man  von  dem  Grundsatz 
ausgeht,  den  Herder  und  seine  Geistesgenossen  gepredigt  haben : 
Es  gibt  zweierlei  Schönheit,  und  es  mögen  sich  zwei  Kunstwerke 
in  allen  Teilen  widersprechen,  ein  jedes  kann  doch  in  seiner  Art 
eine   vollkommen    schöne  Schöpfung   menschlichen    Geistes   sein. 

Diese  Erkenntnis  ist  in  neuester  Zeit  wieder  als  ein  helles 
Licht  aufgetaucht  unter  dem  Einfluss  einer  grossen  geistigen 
Strömung,  deren  philosophische  Hauptvertreter  Henri  Bergson 
und   Karl  Joel  sind,  an  deren  Seite  der  bescheidene  Genfer  Philo- 


soph  Jean-Jacques  Gourd  zu  nennen  wäre,  der  in  seiner  Philo- 
sophie de  la  Religion  das  ästhetische  Problem,  das  uns  beschäf- 
tigt, mit  Schärfe  und  Feinheit  behandelt  hat.  Ganz  besondere 
Förderung  bei  der  praktischen  Anwendung  dieser  Lehren  geben : 
Rodin,  L'Art,  K.  Scheffler,  Vom  Geiste  der  Gotik,  Worringer, 
Formprobleme  der  Gotik.  Das  Werk  aber,  das  am  besten  die 
Augen  öffnet  für  die  zweifache  Schönheit  der  Kunst,  ist 
Wölfflins  Darstellung  der  „Kunstgeschichtlichen  Grundbegriffe".. 
Bei  der  Betrachtung  poetischer  Kunstwerke  dürfte  aber  noch 
nutzbringender  sein  Wölfflins  Erstlingsarbeit:  Renaissance  und 
Barock  (II.  Aufl.  München,  Bruckmann  1907).  Die  Haupt- 
ergebnisse dieses  grundlegenden  Werkes,  das  die  Architektur  des 
Renaissance-  und  Barockzeitalters  im  Zusammenhang  mit  dem 
ganzen  Geistesleben  jener  Epochen  betrachtet,  möchten  wir  zi- 
tieren, um  eine  solide  Basis  für  die  folgenden  Ausführungen  zu 
gewinnen. 

,,Die  Renaissance  ist  die  Kunst  des  schönen  ruhigen  Seins.  Sie  bietet 
uns  jene  befreiende  Schönheit,  die  wir  als  ein  allgemeines  Wohlgefüh'l 
und  gleichmässige  Steigerung  unserer  Lebenskraft  empfinden.  An  ihren 
vollkommenen  Schöpfungen  findet  man  nichts,  was  gedrückt  oder  ge- 
hemmt, unruhig  und  aufgeregt  wäre;  jede  Form  ist  frei  und  ganz  und 
leicht  zur  Erscheinung  gekommen;  der  Bogen  wölbt  sich  im  reinsten  Rund, 
die  Verhältnisse  weit  und  wohlig,  alles  atmet  Befriedigung  und  wir 
glauben  nicht  zu  irren,  wenn  wir  eben  in  dieser  himmlischen  Ruhe  und, 
Bedürfnislosigkeit  den  höchsten  Ausdruck  des  Kunstgeistes  jener  Zeit 
erkennen. 

Der  Barock  beabsichtigt  eine  andere  Wirkung.  Er  will  packen  mit  der 
Gewalt  des  Effekts,  unmittelbar,  überwältigend.  Was  er  gibt  ist  nicht 
gleichmässige  Belebung,  sondern  Aufregung,  Ekstase,  Berauschung  .  .  . 
Er  gibt  kein  glückliches  Sein,  sondern  ein  Werden,  ein  Geschehen;  nicht 
das  Befriedigte,  sondern  das  Unbefriedigte  und  Ruhelose.  Man  fühlt  sich 
nicht  erlöst,  sondern  in  die  Spannung  eines  leidenschaftlichen  Zustandes 
hineingezogen  ...  In  seiner  höchsten  Leistung,  in  den  Innenräumen  der 
Kirchen  tritt  ein  ganz  neues  auf  das  Unendhche  gerichtetes  Raum- 
gefühl in  die  Kunst  ein:  die  Form  löst  sich  auf,  um  das  Malerische  im 
höchsten  Sinne,  den  Zauber  des  Lichtes,  einzulassen.  Der  Raum,  den 
die  Renaissance  gleichmässig  hell  und  nicht  anders  denn  als  einen  tek- 
tonisch  geschlossenen  sich  vorstellen  konnte,  scheint  hier  im  Unbegrenzten 
sich  zu  verlaufen.  Man  denkt  gar  nicht  an  die  äussere.  Gestalt:  nach 
allen  Seiten  wird  der  Blick  ins  Unendliche  geleitet.  Der  Chorabschluss 
verschwindet    in    dem    Goldgeflimmer    des    aufgetürmten    Hochaltars,    im 


Glanz  der  „spicndori  oelesti"  —  wie  der  Ausdruck  lautet  —  seitlich  lassen 
die  dunklen  Kapellen  nichts  Bestimmtes  erkennen,  zu  Häupten  aber,  wo 
einst  eine  flache  Docfke  ruhig  den  Raum  geschlossen  hatte,  wölbt  sich 
eine  ungeheure  Tonne,  oder  nein!  sie  ist  ja  offen:  Wolken  fluten  her- 
nieder, Engelscharen,  Himmcisglanz  —  in  unermcsslichen  Räumen  verliert 
sich    Blick    und    Gedanke." 

Die  Ursache  des  Stilwandels  erkennt  Wölfflin  in  der  Wandlung  des 
Körpergefühls,  das  seinerseits  wieder  ein  Ausdruck  der  Seele  ist.  Das  wird 
im  Einzelnen  belegt  durch  die  Betrachtung  der  bildenden  Kunst,  die  in 
einer  Würdigung    Michelangelos   gipfelt. 

„Man  nennt  Michelangelo  den  Vater  des  Barocks,  mit  Recht  .  .  . 
wegen  seiner  gewaltigen  Art,  die  Körper  zu  behandeln,  wegen  des  fürch- 
terlichen Ernstes,  der  nur  im  Formlosen  seinen  Ausdruck  finden  konnte. 
Die  Zeitgenossen  nannten  dies   das   „terribile''  .  .  . 

Michelangelos  Gestalten  setzen  eine  viel  stärkere  Kraft  ein,  als  dieses 
in  der  Natur  geschieht  und  während  in  der  Antike  alle  Aktionen  als 
Aeusserungen  freier  Persönlichkeiten  auftreten  und  in  jedem  Augenblick 
in  den  Schoss  der  letzteren  zurückgenommen  werden  können,  erscheinen 
die  Männer  und  Frauen  Michelangelos  als  die  widerstandslosen  Geschöpfe 
einer  inneren  Empfindung,  welche  die  einzelnen  Glieder  nicht  harmonisch 
und  gleichmässig  belebt,  die  einen  vielmehr  mit  der  ganzen  Fülle  des 
Ausdrucks  ausstattet,  die  andern  dagegen  beinahe  nur  schwer  und  leblos 
bildet,  (A.  Springer.)  .  .  .  Der  Eindruck  der  Unruhe  wird  verstärkt 
durch  die  rücksichtslose  Entgegensetzung  der  sich  entsprechenden  Körper- 
teile   (Kontraposto)." 

Und  nun  leiiet  Wölfflin  über  zur  Betrachtung  der  Literatur: 
„Michelangelo  hat  nie  ein  glückliches  Dasein  verkörpert;  schon  darum 
greift  er  über  die  Renaissance  hinaus.  Die  Zeit  der  Nachrenaissance  ist 
ernst  von  Grund  aus.  In  allen  Sphären  macht  sich  dieser  Ernst  geltend: 
religiöse  Lebensbesinnung,  das  Weltliche  tritt  wieder  in  Gegensatz  zum 
Kirchlichen  und  Heiligen,  der  unbefangene  Lebensgenuss  hört  auf,  Tasse 
wählt  für  sein  christliches  Epos  einen  Helden,  der  der  Welt  müde  ist; 
in  der  Gesellschaft,  in  den  geselligen  Umgangsformen  ein  schwerer  ge- 
haltener Ton;  nicht  mehr  die  leichte,  ungebundene  Grazie  der  Renaissance, 
sondern  Ernst  und  Würde;  statt  des  leicht  und  heiter  Spielenden  eine 
pomphafte  rauschende  Pracht;  überall  verlangt  man  nur  noch  nach  dem 
Grossen   und   Bedeutendem. 

Es  ist  interessant,  den  neuen  Stil  auch  in  der  Poesie  zu  beachten. 
Die  Verschiedenheit  der  Sprache  bei  Ariost  und  Tasso  drückt  die  ver- 
änderte Stimmung  vollständig  aus. 

Es  genügt,  die  Anfänge  des  Orlando  furioso  (1516)  und  der  Gerusa- 
lemme  liberata  (1584)  zu  vergleichen. 


Wie   fängt   Ariost   einfach    und    munterbeweglich   an: 
Le  donne,  i  cavalier,  l'arme,  gli  amori, 
Le    cortesie,    l'audaci    imprese    io    canto, 
Che  furo  al  tempo,  che  passaro  i  Mori 
D'    Africa    il   mare,    e    in   Francia   nocquer  tanto;   etc. 

Wie  anders  dagegen  Tasso: 

Canto  l'arme  pietose,  e   il  Capitano 

Che  il  gran  sepolcro  liberö  di  Cristo: 

Molto   egli   oprö   col  senno  e  con   la   mano; 

Molto  soffri  nel  glorioso  acquisto: 

E  invan   l'Inferno  vi  s'oppose,   e  invano 

S'    armö    d'    Asia    e    di    Libia    il    popol    misto; 

II  Ciel  gli  die  favore  e  sotto  ai  santi 

Segni    ridusse    i  suoi    compagni    erranti. 
Man   beachte   überall  die   hebenden   Beiworte,  die  hallenden   Endungen, 
die  schweren  Wiederholungen   (molto  — ,  molto  — ';  e  invan  —  e  invano), 
den  gewichtigen  Satzbau,  den  verlangsamten   Rhythmus  des  Ganzen. 

Aber  nicht  nur  der  Ausdruck,  auch  die  Anschauungen,  die  Bilder 
werden  grösser.  Wie  vielsagend  ist  z.  B.  die  Umgestaltung,  die  Tasso 
mit  clem  Typus  seiner  Muse  vornimmt.  Er  erhebt  sie  in  unbestimmte 
Himmelsräume  und  statt  dem  Lorbeerkranz  gibt  er  ihr  „eine  goldene 
Krone  von  ewigen  Sternen".  Mit  der  Bezeichnung  „gran"  wird  nicht 
gespart,  überall  soll  die  Phantasie  zu  bedeutenden  Vorstellungen  veran- 
lasst werden  ....  Allgemein  kann  man  sagen:  während  die  Renais- 
sance mit  Liebe  in  jedes  Detail  sich  versenkte,  und  für  sein  Sonderdasein 
sich  interessierte,  also  dass  die  Kunst  weder  in  der  Mannigfaltigkeit  noch 
in  der  intimen  Durchgestaltung  des  Einzelnen  sich  genug  tun  konnte,  tritt 
man  jetzt  überall  weiter  zurück,  man  will  nicht  nur  das  Grosse  im  Einzel- 
nen, sondern  überhaupt  nur  noch  einen  Gesamteindruck:  weniger  Anschau- 
ung, mehr  Stimmung. 

Mit  den  Begriffen  „Anschauung  —  Stimmung''  hat  uns  Wölff- 
lin  ein  kostbares  Instrument  für  die  Herausarbeitung  der  ästheti- 
schen Gegensätze  in  die  Hand  gegeben,  und  ehe  wir  uns  endgültig 
unsern  Dichtern  zuwenden,  müssen  wir  noch  kurz  auf  ihre  Be- 
deutung hinweisen.  Ihr  wechselseitiges  Verhältnis  lässt  sich  in 
einem    Bild   am   besten   veranschaulichen. 

Auf  einer  Stromfahrt  können  wir  auf  zwei  Dinge  achten,  die 
einander  eigentümlich  bedingen :  auf  die  Spiegelbilder  im  Strom 
und  auf  die  Strömung  selber.  Je  ruhiger  die  Strömung  ist,  desto 
deutlicher  und  klarer  zeichnen  sich  die  Spiegelbilder  heraus;  sie 
verzerren    und    trüben    sich,    sobald    der   Strom    schneller   fliesst. 


Dafür  wird  die  Strömung  auffälliger:  es  bilden  sich  Wellen  und 
Wirbel,  man  fühlt  statt  einer  unmerklichen  Bewegung  ein  stür- 
misches Hingerissensein. 

So  finden  wir  in  jedem  Kunstwerk  Stimmung  und  Anschau- 
ung, Strömung  und  Spiegelbild.  In  der  bildenden  Kunst  wiegt 
die  Anschauung  vor,  in  der  Musik  die  Stimmung.  Die  Poesie 
steht  mitten  zwischen  beiden,  auf  der  Grenze  zwischen  Aussen- 
w'elt  und  Innenwelt.  Sie  kann  sich  aber  bald  mehr  der  Musik, 
bald  mehr  der  Plastik  nähern,  und  indem  wir  die  Poesie  ein- 
teilen in  vorwiegende  Stimmungspoesie  und  vorwiegende  Anschau- 
ungspoesie, haben  wir  die  Hauptkategorie  aufgestellt,  die  wir 
nur  in  Einzelkategorien  aufzulösen  brauchen,  um  nun  völlig  aus- 
gerüstet zu  sein  für  den  eingehenderen  Vergleich  zwischen  Tasso 
und  Ariost. 

Die  fünf  Kategorien  der  „Kunstgeschichtlichen  Grundbegriffe" 
lassen  sich  auf  drei  philosophische  Grundbegriffe  zusammen- 
raffen : 

I.  Strömung  —  Starrheit  (Bestimmtheit), 
II.  Einheit  —  Mannigfaltigkeit  (Vielheit). 
ill.  Freiheit  —  Gesetzmässigkeit  (Mass). 

"Wenn  man  mehr  den  dichterischen  Prozess  im  Auge  hat,  mag 
man  sie  folgendermassen  formulieren : 

/.  Auflösung  —  Begrenzung. 
II.   Verschmelzung  —  Gliederung. 
III.  Steigerung  —  Mässigung. 
Wir  werden   in   unserer   Betrachtung   diesen   Einzelkategori'en 
als  IV.  die  ästhetische  Gesamtkategorie 

Musikalisch  —  Plastisch 
und   als   V.   die   psychologische  Gesamtkategorie 

Sentimental  —  Sachlich 
folgen  lassen. 


.  I.  Auflösung  —  Begrenzung. 

Wir  gehen   von   der   1.  Strophe  aus.    Wölfflin   hat  schon  auf 
den  Unterschied  im  Ton  aufmerksam  gemacht.    Ariosts  Strophe 
ist  mehr  melodisch,  die  andere  mehr  harmonisch.    Die  Linie  der 
Melodie  zeichnet  gleichsam  die  Umrisse  des  Inhalts  nach. 
Le  donne,  i  cavalier,  l'arme,  gli  amori  .... 
Man  höre  dagegen  Tassos  Strophe: 

Canto  l'arme  pietose  e  'l  Capitano  .... 
Der  Ton  ist  viel  tiefer  und  dunkler,  als  Träger  der  Stim- 
mung beherrscht  er  alles,  die  Dinge  schwimmen  gleichsam  in 
einem  Strom  von  Empfindung.  Das  erste  Wort  ist  canto :  das 
Singen  ist  wichtiger  als  das  Besungene,  die  Stimmung  wichtiger 
als  die  Anschauung. 

Bemerkenswert  ist  der  zweitletzte  Vers :  anstatt  am  Ende  ab- 
zuklingen, strömt  die  Sprachwelle  über  das  „santi"  hinaus  in  die 
folgende  Zeile.  Diese  Verknüpfung  des  Beiwortes  mit  seinem 
Hauptwort  über  den  Verseinschnitt  weg  —  eine  besonders  typi- 
sche Form  des  enjambement  —  findet  sich  auch  bei  Ariost. 
Bedeutsam  ist  aber  die  Häufigkeit  des  Vorkommens:  bei 
Ariost  6,5  auf  100  Stanzen,  bei  Tasso  17,7.  Das  zeigt,  dass  beim 
letztern  das  Gefühl  der  Strömung  sich  fast  dreimal  stärker  im 
Strophenbau   äussert. 

Wie  Begrenzung  —  Auflösung  auf  die  Beschreibung  wirken, 
möge  das  Bild  Alcinas  einerseits,  das  Bild  Armidas  andrerseits 
zeigen.    Orlando  7,  11  ff.: 

Di  persona  era  tanto  ben  formata 
Quanto   me'   finger  san   pittori   industri. 
(Der  erste  Eindruck  kommt  von  der  form,   sofort  weist  auch 
der  Dichter  auf  die  Kunst  des  Malers  hin.) 

Con  bionda  chioma  lunga  ed  annodata : 
Oro    non    e    che    piü   risplenda    e    lustri. 
(Die    Haare    flattern    nicht   frei,    das    Zusammengebundensein 
gibt  ihnen  sofort  einen  festen  Umriss.) 

Spargeasi    per   la   guancia    deHcata 
Misto   color   di   rose   e  di  ligustri'; 

9 


Di  terso  avorio  era  la  fronte  lieta, 
Che  lo  spazio  finia  con  giusta  meta. 
(Das   Elfenbein  gibt  dem   Bild  sofort  wieder  das  Starre,   Be- 
grenzte,  das   verstärkt   wird   durch   das   Raumabschliessende   des 
lo  spazio  finia  con  giusta  meta.) 

Sotto   due   negri    e   sottilissimi   archi 
(wie  deutlich   linear  gezeichnet!) 

Son  duo  negri  occhi  .... 
(Man    beachte    die   bestimmten    Farbenunterschiede.) 
Quindi  il  naso  per  mezzo  il  viso  scende, 
Che  non   trova  Pinvidia  ove  l'emende. 
(Das   per  mezzo   il   viso  gibt   die   Richtung  des  Striches,   das 
Uebrige  —  der  Neid  findet  daran  nichts  zu  verbessern  —  zeigt 
seine  Reinheit  an.) 

Sotto  quel  sta  quasi  fra  due  vallette, 

La  bocca  sparsa  di  natio  cinabro  .  .  . 

Bianca  neve   e  il   bei  collo   e  '1   petto  latte: 

II  collo  e  tondo,  il  petto  colmo  e  largo. 
(Farbe   und    Umriss!) 

Due  pome  acerbe,  e  pur  d'avorio  fatte, 

Vengono  e  van,  com'  onda  al  primo  margo, 

Quando   piacevol   aura  il   mar  combatte: 

Non  potria  l'altre  parti  veder  Argo : 

Ben  si  puö  giudicar  che  corrisponde 

A  quel  ch'appar  di  fuor  quel  che  s'asconde. 
(Die   verdeckten    Teile    werden    nicht    mit    Lüsternheit   aufge- 
spürt; man  stellt  einfach  fest,  dass  sie  dem  übrigen  entsprechen 
—   die   Linien   werden   gleichsam    der   Vollständigkeit  halber   im 
Geist  weiter  gezogen.) 

Mostran  le  braccia  sua  misura  giusta; 

E  la  Candida  man  spesso  si  vede 

Lunghetta  alquanto  e  di  larghezza  angusia 

Dove  ne  nodo  appar,  ne  vena  cccede, 

Si  vede  alfin  della  persona  augusta 

11  brevc,  asciulto  e  ritondetto  piede. 
(Fast  mit  jedem  Wort  wird  hier  wieder  eine  Linie  gezogen.) 

10 


Lessing  sagt  zu  dieser  Beschreibung  im  Laokoon:  „Was  für  ein  Bild 
geben  diese  allgemeinen  Formeln?  In  dem  Munde  eines  Zeichenmeisters, 
der  seine  Schüler  auf  die  Schönheiten  des  akademischen  Modells  aufmerk- 
sam machen  will,  möchten  sie  noch  etwas  sagen;  denn  ein  Bück  auf  dieses 
Modell,  und  sie  sehen  die  gehörigen  Schranken  der  fröhlichen  Stirne,  sie 
sehen  den  schönsten  Schnitt  der  Nase,  die  schmale  Breite  der  niedlichen 
Hand.  Aber  bei  dem  Dichter  sehe  ich  nichts,  und  empfinde  mit  Verdruss 
die   Vergeblichkeit   meiner   besten    Anstrengung,    etwas   sehen   zu   wollen." 

Und  nun  Armida     (Qerusalemme   4,   29 ff.): 

Schon  bevor  sie  erscheint  wird  die  Neugierde  gereizt,  durch 
die  Beschreibung  des  Eindrucks,  den  die  bella  peregrina  auf  die 
Anwesenden  macht : 

A  l'apparir  de  la  beltä  novella 

Nasce  un  bisbigho  e  '1  güardo  ognun  v'intende; 

Si  come  lä  dove  cometa  o  Stella, 

Non  piii  vista  di  giorno,  in  ciel  risplende : 

E  traggon  tutti  per  veder  chi  sia 

Si  bella  peregrina,  e  chi  Finvia. 

Argo  non  mai,  non  vide  Cipre  o  Delo 
D'abito  o  di  beltä  forme  si  care. 
(Der  Eindruck  der  Schönheit  wird  gesteigert  durch  den  Hin- 
weis auf  Argos,  Kypern  und  Delos.) 

D'aura  ha  la  chioma,  ed  or  dal  bianco  velo 
Traluce  involta,  or  discoperta   appare: 
Cosi,  qualor  si  rasserena  il  cielo, 
Or  da   Candida  nube  il  sol  traspare, 
Or  da  la  nube  uscendq  i  raggi  intorno 
Piü  chiari  spiega,  e  ne  raddoppia  il  giorno. 
(Man  achte  darauf  wie  die  Bewegung,  das  Leben  des  Lichtes 
die  Hauptrolle  spielt.    Wir  sehen  keine  Linien,  keine  bestimmten 
Farben.    Schleier,  Wolken  verdecken  die  Umrisse,  alles  löst  sich 
in  ein  Flimmern  und  Leuchten  auf.) 

Fa   nove   crespe   Taura   al   crin   disciolto, 
Che  natura  per  se  rincrespa  in  onde; 
(Das   Haar  ist  aufgelöst,   der  Wind  spielt  damit,   die  Locken 
bilden   sich    wellenartig  gleichsam    unter   unsern   Augen.) 

11 


Stassi  l'avarf)  sguardo  in  sc  raccolto, 
E  i  tesori  d'  Amorc  e  i  suoi  nasconde. 
(Die    Augen    sind    nicht    sichtbar,     umsomehr    wünscht    man, 
sie  zu   erblicken.) 

Dolcc  color  di  rose  in  quel  bei  völto 
Fra    Pavorio    si    sparge    e    si    confonde : 
Ma  ne  la  bocca,  ond'esce  aura  amorosa^ 
Sola   rosseggia  e  semplice  la   rosa. 
(Das  unbestimmte,  aber  gefühlsbetonte  dolce  color  di  rose  be- 
herrscht alles  und  nachdem   es  nur  zerstreut  und  vermischt  auf- 
trat,  blüht  es  im   Munde   auf,   den   es   lieblich   rötet.    Die  „aura 
amorosa"  ist  ein  unklarer  Bewegungsausdruck,  der  eben  darum 
vom  anschauungsdurstigen  Galilei  sehr  übel  vermerkt  wird.  Me- 
stica  p.  Q5.) 

Mostra  il   bei  petto  le  sue  nevi  ignude, 
Onde  il  foco    d'Amor  si  nutre   e  desta ; 
Parte  appar  de  le  mamme  acerbe  e  crude. 
Parte  altrui  ne  ricopre  invida  vesta : 
Invida,   ma  s'a  gli  occhi  il  varco  chiude, 
L'amoroso    pensier  giä   non   arresta. 
Che  non  ben  pago  di  bellezza  esterna, 
Ne  gli  occulti   secreti   anco  s'interna. 

In  dieser  Stanze  arbeitet  Tasso  mit  concetti :  Gegensatz  von 
Schnee  und  Feuer,  esterna-intema,  Wiederholung  von  parte  und 
invida.    (Siehe  Abschnitt  II.) 

Bemerkenswert  ist  wie  der  Nachdruck  auf  den  occulti  secreti 
liegt.  Hier  löst  sich  das  Bild  in  Lüsternheit  auf.  Die  ganze  fol- 
gende Stanze  gibt  sich  mit  der  vietata  parte  ab.) 

Die  gleichen  Bcobachtunircn  können  wir  an  sämtlichen  Beschreibungen 
machen.  Als  Beispiel  möge  noch  ein  Gleichnis  dienen:  das,  was  de  Sanctis 
il  romanzo  della  rosa  nennt   (p.  25): 

La   verginella   e   simile   alla   rosa, 

Ch'in   bei  giardin  su  la  nativa  spina 

Mentre   sola    e   sicura   si   riposa, 

Ne  gregge  ne  pastor  se  le  avvicina; 

L'aura   soave   e   I'alba   rugiadosa, 

L'acqua,    la   terra   al  suo   favor  s'inchina: 

12 


d 


Gioveni   vaghi   e  doiine   innamorate 
Amano  aveme   e  seni   c  tempie   ornate. 
Ma   non  si  tosto  dal   materao  stelo 
Rimossa   viene,    e   dal   suo   ceppo   verde, 
Che    quanto   avea  dagli   ttomini   e   dal    cielo 
Favor,  grazia  e  bellezza   tutto  perde. 

De  Sanctis  sagt  zu  diesem  Bild:  II  poeta  ti  pone  innanzi  la  cosa  nella 
sua  veritä  naturale,  si  che  niente  paia  oltrepassato,  esagerato  o  trasfor- 
mato.  L'  «alba  rugiadosa»,  il  «ceppo  verde»,  la  «nativa  spina»,  i  «gioveni 
vaghi»,  le  «donne  innamorate»,  i  «seni  e  le  tempie»,  il  «gregge  e  il 
pastore»  sono  tutte  immagini  natural!,  distinte,  plastiche,  obbiettive,  pro- 
dotte  da  una  immaginazione  Impersonale,  assorbita  dallo  spettacolo.  E 
guarda  alla  movenza  delT  ottava,  con  tanta  semplicitä  che  1'  ultimo  verso 
par  ti  caschi  per  terra,  come  vil  prosa,  a  quel  modo  che  e  cascata  la  rosa 
da  quella  sua  altezza  verginale.  Qli  e  che  qui  eleganza,  armonia,  colorito 
non  vengono  da  alcun  preconcetto  della  spirito,  ma  sono  la  forma  stessa 
delle  cose,  non  il  loro  omamento  o  la  loro  veste,  ma  la  loro  chiarezza." 

Siehe   hingegen   bei   Tasso    (Ger.    16,   14  f.): 

«Deh    mira,    egli    cantö,    spuntar    la    rosa 
Dal   verde   suo   modesta    e   verginella, 
Che  mezzo  aperta  ancora,  e  mezzo  ascosa, 
Quanto   si   mostra   men,   tanto   e   piii   bella. 
Ecco  poi  nudo  il  sen  giä  baldanzosa 
Dispiega:  ecco  poi  langue,   e  non  par  quella; 
Quella   non   par;    che  desiata   avanti 
Fu    da    mille    donzelle    e    mille    amanti.» 

Man  sieht  die  Rose  knospen,  aufblühen  und  vergehen.  Der  Nachdruck 
liegt  auf  der  Vergänglichkeit  alles  Schönen  auf  Erden,  und  so  löst  sich  das 
Bild  wieder  in  Stimmung  auf: 

«Cosi  trapassa   al  trapassar  d'un  giorno 
De  la  vita  mortale  il  fiore  e  1'  verde; 
Ne  perche  faccia  indietro  april  ritorno, 
Si   rinfiore  .ella   mai,   ne  si   rinverde. 
Cogliam   la   rosa   in   su  '1  mattino  adomo 
Di   questo   di,   che   tosto   il  se,ren   perde; 
Cogliam    d'amor    la     rosa:     amiamo    or    quando 
Esser   si   puote    riamato    amando.» 

De  Sanctis  sagt  dazu  (1.  c.  p.  163):  l'impressione  non  e  la  bellezza 
della  rosa,  ma  la  sua  breve  vita,  e  ne  nasce  un  canto  im  mortale,  penetpato 
di  piacere  e  di  dolore. 

13 


Die  meisten  Vergleiche  und  Bilder  bei  Tasso  sind  heftige  Be- 
wegungen:  Blitz,  Sturm,  Wind,  Lawine,  Fluss,  Feuer,  Stern- 
schnuppe usw.  Und  dass  Tasso  vor  allem  die  Bewegung  und 
nicht  das  Anschauliche  seiner  Bilder  empfunden  hat,  zeigen  ver- 
fehlte Vergleiche  wie  z.  B. : 

Ali  ha  ciascuno  al  core  ed  ali  al  piede  (3,3;  cfr.  8,1,  9,74). 

Bei  Ariost  stauen  die  Bilder  den  Fluss  der  Empfindung  und 
sammeln  ihn  zur  ruhigen  Betrachtung. 

Besonders  deutlich  zeigt  sich  das  in  der  Beschreibung  von  Affekten: 
In  si   dolci  atti,    in   si   dolci   lamenti, 
Che  parea  ad  ascoltar  fermare  i  venti. 

Kaum  ist  das  Gefühl  angedeutet,  so  verwandelt  es  sich  schon  in  ein 
Bild:  die  Winde  bleiben  stehen,  um  ihr  zuzuhören. 

Tasso: 

In    queste   voci  languide   risuona 
Wn  non  so  che  di  flebile  e  soave 
Ch'al    cor  gli   scende    ed    ogni   sdegno   ammorza, 
E  gh   occhi  a    lagrimar  gl'invogliia   e   Sforza. 
Nella   forma   del  Tasso,   sagt   de,  Sanctis   zu  dieser  Stelle   (1.  c.  p.   163) 
ci  e  rimpressionabilitä,  che  turba  l'equilibrio  e  la  serenitä  della  mente  e  la 
trattiene   intorno  alla  sua   emozione:    1'   immagine  si  liquefä  e  diviene  un 
«non  so   che»;    annunzio   dell'   immagine   che   cessa   e  dell'   emozione   che 
soverchia. 

Dieses  „non  so  che",  über  dessen  Schicksale  in  den  verschiedenen 
Literaturen  sich  eine  ganze  Monographie  schreiben  Hesse,  kommt  in  der 
Gerusalemme   mehr  als   zehnmal   vor. 

Am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  können  wir  als  I.  Hauptvor- 
wurf Galileis  alle  Vorwürfe  anführen,  die  sich  auf  den  Mangel 
an  klarer  Anschaulichkeit  beziehen  : 

Allerlei  unfassbare  Bezeichnungen  werden  gerügt,  vor  allem 
wird  der  häufige  Gebrauch  des  Wortes  „cose''  getadelt.  Con 
questa  voce  „cosa''  tanta  cara  a  questa  poeta,  e  tante  volte  usata 
in  questo  significato  generale,  sotto  il  quäle  possiamo  intendere 
non  piü  battaglie,  assedj,  armate,  eserciti,  che  cavalli,  carrozze, 
argani,  stivali,  casse  e  barili.    (Mestica  51,  cfr.  54.) 

Andre  Bemerkung: 

11  resto  della  stanza  e  snervato  al  solito,  non  significante,  con 
quei  suoi  solili  generali,  che  non  dipinoono  niente. 

14 


\ 


Superbi,   formidabili,   feroci 

Gli  Ultimi  moii  für,  rultime  voci. 

Bisognava  dirlo  in  particolare  quali  fossero  questi  moii  e 
queste  voci,    se  volevi   rappresentare  al  vivo   (p.   172). 

Die  Beschreibung  der  Hitze  im  13.  Gesang  gleiche  eher  einer  metereolo- 
gischen  Aufzählung  aller  Ursachen  und  Wirkungen  der  Hitze  als  einer  kon- 
kreten Beschreibung.  Unser  Dichter  sündige  in  der  gleichen  Weise,  wie 
ein  Maler  sich  verfehlen  würde,  wenn  er,  um  ein  Jagdstück  zu  malen,  auf 
dem  gleichen  Gemälde  Kaninchen,  Hasen,  Füchse,  Ziegen,  Hirsche,  Wölfe, 
Bären,  Löwen,  Tiger,  Wildschweine,  Jagd-  und  Windhunde  usw.  zu- 
sammenbrächte .  .  .,  was  mehr  den  Einzug  in  Noahs  Ardhe  als  eine  natür- 
liche Jagd  vorstellen  könnte.  Gerade  so  flicke  Tasso  seine  Tuchfetzen 
zusammen  und  zu  hören,  dass  die  Sonne  im  Zeichen  des  Krebses  ist, 
dass  alle  günst'gen  Lichter  ausgelöscht  sind,  dass  grausame  Sterne  herr- 
schen, dass  die  Sonne  heraufkommt  von  blutigen  Dämpfen  umgeben  und 
untergeht  mit  roten  Flecken  gefärbt,  dass  alles  austrocknet,  die  Blumen, 
die  Blätter,  die  durstigen  Gräser,  dass  die  Erde  sich  spaltet  und  das 
Wasser  schwindet,  dass  der  Himmel  einem  Ofen  gleicht  usw.,  das  alles 
zu  hören,  belästige  den  Hörer  tausendmal  me'hr,  als  wenn  er  selber  in 
Palästina  von  diesen  Plagen  bedrängt  würde.  .  .  .  Man  solle  aber  lesen, 
mit  weich  unnachahmlicher  Anmut,  mit  welchen  genialen  und  natürlichen 
Pinselstrichen  die  Hitze  beschrieben  wird,  die  den  armen  Ruggiero  be- 
drückt : 

Tra  duri  sassi  e  folte  spine  gia 
Ruggiero   intanto   inver  la   Fata  saggia, 
Di  balzo   in   balzo,  e   d'   una   in  altra  via 
"    Aspra,    solinga,    inospita   e    selvaggia, 
Tanto    ch'a   gran    fatica    riuscia 
Su  la  fervida  nona   in   una  spiaggia 
Tra   '1   mare   e   '1   monte,   al  mezzodi  scoperta, 
Arsiccia,   nuda,   sterile   e   deserta. 

Percote   il   Sole   ardente   il  vicin   colle, 

E  del  calor,  che  si  riflette  a  dietro. 

In   modo  l'aria  e   l'arena  ne  bolle. 

Che    saria    troppo    a    far    liquido    il   vetro. 

Stassi  cheto  ogni  augello  all'   ombra  molle; 

Sol   la   cicala   col  noioso   metro 

Fra   i  densi  rami  del  fronzuto  stelo 

Le  valli  e  i  monti  assorda  e  'l  mare  e  'I  cielo. 

(Orlando  8,  19—20). 

15 


Wir  sehen  in  allen  Aussetzungen  Galileis,  wie  fein  er  die 
Schönheit  der  klaren  Anschauung,  des  bestimmten  Umrisses  emp- 
findet, wie  wenig  ihm  aber  bewusst  ist,  dass  es  auch  eine  Schön- 
heit der  auflösenden  Strömung,  der  verschwommenen  Gefühls- 
wirkung gibt. 

II.  Verschmelzung  —  Gliederung. 

Wir  gehen  wieder  von  der  ersten  Strophe  aus  und  müssen 
zunächst  feststellen,  dass  Ariost's  Stanze  grammatikalisch  viel  ge- 
Sjchlossener  ist.  Wir  ihaben  es  zu  tun  mit  einem  Hauptsatz  und 
einem  angehängten  Relativsatz.  Sachlich  gibt  uns  aber  Ariost 
eine  Aufzählung  von  verschiedenen  Dingen,  die  einfach  neben- 
einander stehen.  Sie  werden  nicht  einmal  in  einen  festen  Zu- 
Siammenhang  gebracht  mit  der  Haupthandlung.  Es  heisst  ein- 
fach: all  diese  Dinge  waren  zur  Zeit,  als  der  afrikanische  König 
herüberkam. 

Bei  Tasso  haben  wir  sprachlich  nicht  weniger  als  sieben 
nebengeordnete  Glieder: 

1.  Canto  l'arme  pietose  e  '1  capitano 
Che  '1  gran  sepolero  liberö  di  Cristo: 

2.  Molto  egli  oprö  col  senno  e  con  la  mano : 

3.  Molto   soffri   nel  glorioso   acquisto : 

4.  E  in  van  PInfemo  vi  s'oppose 

5.  e  invano 
S'arm.ö  d'Asia   e  di    Libia   il   popol    misto; 

6.  II  ciel  gli  die  favore, 

7.  e  sotto  a  i  santi, 

Segni  ridusse  i  suoi  compagni  erranti. 
Tasso  war  sich  dieser  Eigenheit  bewusst.  In  einem  Brief  an 
Skipio  Gonzaga  vom  1.  Oktober  1575  schreibt  er  darüber  Folgen- 
des: Non  so  se  Vostra  Signoria  abbia  notato  im'  imperfezione 
del  mio  stile.  L'imperfezione  e  questa:  ch'io  troppo  spesso  uso 
il  parlar  disgiunto,  cioe  quello  che  si  lega  piuttosto  per  l'unione 
e  dependenza  dei  sensi,  che  per  copula  o  altra  congiunzione  di 
parole.  L'imperfezione  v'e  senza  dubbio ;  pur  ha  molte  volte  sem- 
bianza   di    virtii   apportatrice   di  grandezza :   ma   l'errorc   consiste 

16 


ne  la  frequenza.  Questo  difetto  ho  io  appreso  da  la  continua 
lezione  di  Virgilio,  nel  quäle  (parlo  de  l'Eneide)  e  piü  che  in  alciin 
altro ;  onde  fu  chiamato  da  Cahgula  arena  senza  calce.  (Mestica 
p.  48.    Anm.) 

In  dieser  Aeusserung  scheint  mir  vor  allem  wichtig  die  Stelle: 
quello  (il  parlare)  si  lega  piuttosto  per  l'unione  e  dependenza  der 
sensi,  che  per  copula  o  altra  congiunzione  di  parole.  In  der  Tat: 
in  dieser  ersten  Strophe  finden  wir,  abgesehen  von  der  gram- 
matikalisch-logischen Zusammenhangslosigkeit,  eine  innere 
Einheit  von  unübertrefflicher  Wirkung.  Die  ganze  Handlung  des 
Befreiten  Jerusalems  ist  zusammengeballt  in  dieser  einzigen 
Stanze.  Und  zwar  wird  schon  durch  die  Anordnung  und  Form  der 
einzelnen  Glieder  der  Eindruck  eines  dramatischen  Fortgangs 
vermittelt:  1.  Entwicklung  (Zeile  1  und  2):  der  Held  =  das 
christliche  Heer  verkörpert  im  Anführer;  Ziel  der  Handlung  und 
Andeutung  des  Konflikts :  Befreiung  des  Heiligen  Grabes.  2. 
Verwicklung:  Je  ein  Zeilenpaar  kämpft  gegen  das  andere,  das 
eine  gekennzeichnet  durch  molto-molto,  das  andere  durch  invan- 
invano.  Die  Heiden  scheinen  durch  die  Hilfe  der  Hölle  die  Ueber- 
macht  zu  bekommen.  3.  Auflösung  (Zeile  7  und  8) :  Der  Himmel 
greift  ein  und  die  zerstreuten  Kämpfer  (Symbol  für  die  verschiede- 
nen menschlichen  Triebe)  sammeln  sich  unter  dem  Zeichen  des 
Kreuzes,  um  das  heilige  Grab  nun  zu  befreien  (symbolisch :  die 
menschliche  Seele,  die  von  gottfeindlichen  Mächten  geknechtet 
wird).  Zu  der  Einheit  des  Geschehens  kommt  aber  noch  die  Ein- 
heit des  Standpunkts,  die  durch  das  durchgehende  Subjekt  herge- 
stellt wird  (il  capitano  —  egli  —  gli  —  suoi).  Dazu  kommt  noch 
die  kosmische  Umfassung:  Himmel  und  Hölle  nehmen  teil  am 
Kampf  der  Menschen.  Dadurch  wird  der  dramatische  Konflikt 
zur  denkbar  grössten  Wucht  gesteigert  und  dem  Einzelgeschehen 
wird  eine  allumfassende  Bedeutung  verliehen.  (Goethes  Faust: 
Prolog  im  Himmel.) 

Und  wir  haben  auch  die  wesentlichen  Punkte  gefunden,  in 
denen  sich  das  Einheitsgefühl  äussert:  in  der  Sprache,  durch 
Gegenüberstellung  von  zwei  gleichen  oder  gegensätzlichen  Glie- 
dern ;  im  Ton,  durch  Gleichklang  (molto-molto)  und  im  Aufbau, 
durch   Einheit  der  Handlung. 

S  p  0  e  r  r  1 .  Renaissance  u.  Barock     2  17 


Die  sprachlichen  Eigentümlichkeiten,  in  denen  sich  die  Ver- 
schmelzungstendenz äussert,  finden  sich  bei  allen  Romantikern 
und  Mystikern  wieder.  Die  psychologische  Wurzel  der  Antithese 
wird  von  de  Sanctis  fein  aufgedeckt:  II  fondo  di  questo  paralel- 
lismo  e  Pantitesi,  presa  in  un  senso  molto  largo,  cioe  una  certa 
armonia  che  nasce  da  oggetti  simili  o  dissimili  posti  dirimpetto. 
(p.  172).  Es  ist  nicht  nötig,  noch  mehr  Beispiele  von  diesem  unter 
der  Marke  „concetti"  kursierenden  Stilmittel  zu  geben,  ich 
möchte  nur  auf  einige  andere  Fälle  von  sprachlicher  Verschmel- 
zung hinweisen:  1.  Das  Zusammenstellen  eines  Hauptwortes  mit 
einem  gegensätzlichen  Beiwort:  dura  quiete,  ferreo  sonno  (11145), 
un  lieto  pianto  (XII 10),  i  molli  avDri  (XV  61),  idolo  mio  crudele 
(XVI 47),  torbida  luce  e  bruna  (XVIII 13),  tenebrosi  giorni,  li- 
bertate  amara  (XIX  83),  oh  fortunati  miei  dolci  martiri  (II 35), 
dolci  tormenti  (II  36),  venen  dolce  (II  83),  dolcemente  feroce  (I  58). 

Die  letzten  Beispiele  lenken  uns  auf  eine  weitere  Eigentümlich- 
keit: das  häufige  Vorkommen  von  dolce  =  dolce  morso,  dolci 
sospiri,  dolci  inganni,  dolci  fiumi  d'eloquenza,  dolci  letti,  dolce 
Vendetta,  dolce  color,  dolce  giogo,  dolce  oblio,  dolce  errore,  dolce 
peso,  dolci  rugiade,  dolci  stille  di  pianto,  dolce  ghirlando,  dolce 
prigion,  dolce  mondo.  Mehr  als  100  dolce  (samt  Komposita)  sind 
im  ganzen  zu  finden.  Noch  igrösser  wäre  die  Zahl,  w'enn  man  alle 
vago  und  soave  und  amico  dazunähme.  Häufig  sind  auch  Ver- 
kleinerungsformen, die  dem  gleichen  Zärtlichkeitsgefühl  ent- 
springen: vergognosetta  (IV38),giovanetta  sposa  (X  39),  parolette 
(X60),  erbetta  (X  64),  vita  giovenetta  (X  74),  venticelli  (XIV 1), 
isoletta  (XIV  57),  la  tenerella  mente  (XIV  62),  donzellette  (XV  58), 
collinette  (XVI  9),  acerbetta  (XVII  33),  timidetta  (XIX  93),  famig- 
luola  (XX  25),  languidetta  (XX  130). 

Die  Einheit  der  Handlung  war  zur  Zeit  Tassos  das  Lieblings- 
thema aller  ästhetischen  Erörterungen.  Doch  bei  Tasso  ist  sie 
nicht  nur  literarische  Tradition.  Von  ihr  geht  eine  ganz  eigen- 
artige Wirkung  aus,  die  noch  dadurch  verstärkt  wird,  dass  der 
Leser  deutlich  das  Gefühl  vom.  Fliessen-der  Zeit  bekommt:  fast 
in  jedem  Gesang  wird  es  einmal  Tag  und  einmal  Nacht.  Wie  sehr 
sich  Tasso  Rechenschaft  gibt  von  der  Dauer  der  Handlung,  zeigt 
sich  in  dem  Brief  an  Skipio  Gonzaga  vom  14.  März  1575  (Mestica 

18 


! 


92),  worin  Tasso  die  Länge  der  Armidaepisode  rechtfertigt  durch 
den  Hinweis  auf  die  lange  Zeit,  die  der  Bau  der  Belagerungs- 
maschinen in  Anspruch  nimmt. 

Wie  bei  Tasso  sich  alles  um  die  Befreiung  Jerusalems  dreht, 
vom  ersten  Freudenschrei  beim  Anblick  der  ersehnten  Stadt  bis 
zur  feierlichen  Lösung  des  Kreuzfahrergelübdes  im  eroberten 
Tempel,  wie  man  trotz  aller  Episoden  das  Hauptziel  nie  aus  den 
Augen  verliert,  das  wird  dem  Leser  erst  recht  eindrücklich,  wenn 
er  vom  Rasenden  Roland  kommt,  wo  die  Raserei  Rolands  nur 
eine  Episode  unter  vielen  ist,  und  weder  der  Kampf  gegen  diq 
Heiden,  noch  die  Liebesgeschichte  Ruggieros  besondere  Span- 
nung erweckt,  wo  im  Gegenteil  der  Dichter  darauf  ausgeht,  die 
verschiedenen  Handlungen  so  zu  verflechten,  dass  nie  die  Auf- 
merksamkeit eine  Hauptrichtung  einschlagen  kann.  „II  carattere 
precipuo  del  poema  ariostesco  e  il  medesmo  dell'  Innamorato: 
la  varietä'',  sagt  Flamini.  (Storia  della  letteratura  italiana.  Livomo 
Giusti  p.  52.) 

Es  wird  kaum  nötig  sein,  noch  ausführlicher  von  der  Wirkung 
der  Einheitstendenz  auf  die  Beschreibung  zu  sprechen,  da  wir 
bei  der  ersten  Kategorie  sahen,  wie  gleichzeitig  die  Auflösung 
des  Umrisses  die  Verschmelzung  in  eine  Gesamtströmung  be- 
wirkte. Andrerseits  konnten  wir  beobachten,  w^ie  in  den  Beschrei- 
bungen Ariosts  mit  der  klaren  Begrenzung  der  Formen  auch  die 
deutliche  Scheidung  der  einzelnen  Teile  Hand  in  Hand  ging. 
Man  kann  noch  darauf  hinweisen,  dass  im  Befreiten  Jerusalem 
das  Verschwinden  der  Einzelformen  öfters  durch  äussere  Mittel 
—  Staubwolken,  Nebel,  Nacht  und  Dämmerung  —  herbeigeführt 
wird. 

Nuova  nube  di  polve  ecco  vicina, 

Che  folgori  di  guerra  in  grembo  tiene; 

Ecco   d'arme  improvvise  uscirne  un  lampo 

Che  sbigotti  de  glTnfedeli  il  campo.   (1X91.) 

Qui  fuggon  essi,  e  si  rivolge  oscura 

Caligine  di  polve  in  ver'  le  mura.  (IX  95.) 

Ma  fuor  usci  la  notte  e'l  mondo  ascose 

Sotto  il  caliginoso  orror  de  l'ali, 

E  l'ombre  sue  pacifiche  interpose 

2*  19 


Fra   tante   ire   de'   miseri   mortali  .  .  .  (XI  82.) 
Poi,   quando   l'ombra   oscura    al    mondo   toglie 
I  vari  aspetti,  e  i  color  tinge  in  negro  ...  (X  5.) 

Ueberhaupt  ist  bemerkenswert,  wie  häufig  im  Dunkel  ge- 
arbeitet und  gekämpft  wird.  Und  die  Beschreibung  der  Nacht  mit 
ihrer  allauflösenden,  allumfassenden  Ruhe  gehört  zu  den  grössten 
Schönheiten  des  Befreiten  Jerusalems,  im  Gegensatz  zum  Ra- 
senden Roland,  wo  vor  allem  das  Erwachen  des  Tages  mit  immer 
neuen  Wendungen  besungen  wird.  (Siehe  Gerusalemme  II 96, 
V  60,  79,  VI  103,  VII  28,  VIII  57,  IX  15,  X  5,  78,  XI  18—19,  82, 
XII  1,  XIII  5,  XIV  1,  XVII  56,  XVIII  63,  XIX  131  ;  Orlando  8, 
86;    11,  32;    12,  68;    13,  43;  usw.) 

Im  oben  angeführten  Beispiel  sind  die  Worte  e  i  color  tinge 
in  negro  zu  beachten.  Um  einen  lebhaften  Farbeneindruck  hervor- 
zurufen, stellt  der  Dichter  des  Orlando  jeweilen  vier  oder  fünf 
auffällige  Farben  nebeneinander:  un  cavalier  ch'all'ombra  d'un 
boschetto  —  nel  margin  verde  e  bianco  e  rosso  e  giallo  (2,  35) ; 
quell'era  arma  del  piü  fin  metallo  —  ch'avean  dl  piü  color  gemme 
distinto ;  rubin  vermiglio,  crisolitD  giallo,  verde  smeraldo,  con 
flavo  jacinto  (7,3) ;  dove  toccö  sempre  in  vermiglio  tinse  — 
l'azurro,  il  verde,  il  bianco,  il  nero,  il  giallo  (9,  70) ;  fan  rosso, 
bianco,  verde,  azzurro  e  giallo  —  SDtto  i  bei  palchi  un  relucente 
fregio,  divisi  tra  proporzionati  spazj,  rubin,  smeraldi,  zaffiri  e 
topazj  (33,  102);  cantan  fra  i  rami  gli  augelletti  vaghi  —  azzurri  e 
bianchi  e  verdi  e  rossi  e  gialli  (34,  50;  siehe  noch  42,  68,  96; 
43,  133). 

Eine  grössere  Rolle  als  die  Farben  spielt  in  der  Gerusalemme 
das  Spiel  von  Licht  und  Schatten,  das  Funkeln,  Flimmern  und 
Leuchten  (siehe  vor  allem  VIII  32).  Wo  Farben  genannt  werden, 
sind  es  gewöhnlich  deren  eine  oder  zwei:  e  smarrisce  il  bei  volto 
in  un  colore  —  che  non  e  pallidezza,  ma  candore  (II  26) ;  ei  ve- 
stissi  allotta  —  la  purpurea  de  Farme  aurata  cotta  (VI  16);  con 
barbare  pompa  in  un  lavoro  di  parpora  risplende  intesta  e  d'oro 
(IX  82) ;  blanche  via  piü  che  neve  in  giogo  alpino  avea  le  sopra- 
veste  (VI  26) ;  ma  tosto  pianse  di  nere  spoglie  avvolta  (VI  59) ; 
i  purpurci  tiranni  (VII  52) ;    e  senza  piume  e  fregio  altre  ne  veste 

20 


—  (infausto  annunzio !)  lugginose  c  nere  (XII  18);  d'un  bei  pal- 
lorc  ha  il  bianco  volto  asperso,  —  come  a  gigU  sarian  miste 
viole  (XII  69) ;  quivi  scintilla  con  ceruleo  lume  —  il  Celeste 
zaffiro  ed  il  giacinto;  —  vi  fiammegg-ia  il  carbonchio,  e  luce  il 
saldo  —  diamante,  e  lieto  ride  il  bei  smeraldo  (XIV  39).  Man  be- 
achte im  letzten  Beispiel;  das  von  allen  am  farbenreichsten  ist, 
wie  doch  der  Nachdruck  auf  dem  verschiedenen  Glanz  liegt 
(scintilla  —  fiammeggia  —  luce  —  lieto  ride).  Im  übrigen  sind 
bei  Tasso  die  Farben  meistens  symbolisch,  sie  zeigen  eine  Eigen- 
schaft des  Trägers  an  (Purpur  und  Gold  =  Reichtum;  weiss  = 
Unschuld;  schwarz  =  Leid;  rot  =  Grausamkeit  usw.).  Oft 
werden  die  Farben  nur  allgemein  bezeichnet  als  vari  colori,  oder 
der  Dichter  verweist  auf  die  Farben  des  Regenbogens  oder  des 
Pfaues  (IX  62,  XVI  24).  Besonders  interessant  ist  die  Verschmel- 
zung der  Farben  in  dem  Vergleich  mit  dem  Hals  einer  Taube:; 

Cosi  piuma  talor,  che   di  gentile 

Amorosa  colomba  il  collo  cinge, 

Mai  non  si  scorge  a  se  stessa  simile, 

Ma  in  diversi  colori  al  sol  si  tinge : 

Or  d'accesi  rubin  sembra  un  monile, 

Or  di  verdi  smeraldi  il  lume  finge, 

Or  insiem  li  mesce,   e  varia  e  vaga 

In  cento  modi  i  riguardanti  appaga  (XV  5). 

Galilei  findet  diesen  Vergleich  ganz  hübsch,  im  übrigen  kann 
der  Mathematiker  das  Vermischen  und  Vermengen  nicht  aus- 
stehen.   Die  Stelle: 

E  un  eco,  un  sogno,  anzi  del  sog.no  un'ombra, 
Ch'ad  ogni  vento  si  dilegua  e  sgombra  (XIV  43) 

wird  dem  Dichter  übel  vermerkt:  Non  ho  piü  saputo  che  il  ventq 
abbia  proprietä  di  sgombrare  e  dileguare  l'eco,  il  sognoi  e  Pombra, 
ma  si  bene  il  fumo,  la  nebbia,  le  nugole  e'cose  tali.  (Mestica  148.) 
Doch  seinen  besonderen  Hass  hat  Galilei  auf  das  schmelzende 
Geklingel  der  concetti,  antitesi  und  contrasti  geworfen,  die  er 
nicht  müde  wird,  auf  alle  Arten  lächerlich  zu  machen.  Wenn  Tasso 
sagt : 

21 


Che  'n  guisa  lor  feri  la  nuca  e  '1  tergo 

Che  nc  passö  la  piaga  al  viso  e  al  petto  (III  44); 

so  meint  QaHlei  dazu:  Ecco  delle  piü  notabili  bellezze  di  questo 
poema:  uno  scherzetto  di  quattro  parole  intrecciate  da  piacere 
all'inesperta  gioventii.  II  che  non  vogHo  del  tutto  biasimare,  ma 
dirö  solo,  che  quei  poemi  che  da  simili  ornamenti  hanno  a  ricevere 
la  loro  bellczza,  sano  simili  alla  condizione  di  quelle  gran  pitture, 
nelle  quali  essendo  il  componimento,  le  attitudini  delle  figure,  il 
colorito,  in  somma  tutte  le  parti  principali  disgraziatissime, 
attendono  a  esser  riguardevoli,  o  per  qualche  ricamo  posto  nel 
lembo  d'un  abito,  o  per  mascherine  miniate  intorno  alla  groppiera 
d'un  cavallo  o  per  altre  simile  bagattelle.    (Mestica  84  f.) 

Galilei  verfügt  über  eine  ganze  Klaviatur  von  Ausdrücken, 
welche  die  concetti  brandmarken:  lavori  di  tarsia  (47),  paroluzze 
senza  costrutto  (56),  scambietti,  attillature,  arzigogoli  (60),  ca- 
priole  intrecciate  (62),  concetti  da  piacere  a'  principianti  (63), 
scherzetti,  madrigaletti  (99  f.)  etc.  Er  vergleicht  das  Epos,  das 
solche  Scherze  anwendet,  einem  würdigen  Magistraten,  der  auf 
dem  Weg  zur  Kirche  alle  hundert  Schritte  plötzlich  ein  paar 
Purzelbäume  schlägt,  um  dann  feierlich  wieder  weiter  zu  mar- 
schieren (62).  Wir  bewundern  wiederum  den  scharfen  Blick  Ga- 
lileis, der  hier  meistens  mit  Recht  tadelt,  was  man  den  orpello 
del  Tasso  nennt  und  was  später  unter  dem  Namen  ,, Marinismus'' 
eine  traurige  Berühmtheit  erlangte.  Er  hat  ein  feines  Gefühl  für 
die  Schönheit  der  klaren  Darstellung,  der  deutlichen  Gliederung 
und  Scheidung,  er  ist  aber  völlig  verschlossen  für  die  Schönheit 
der   verschmelzenden   Stimmung,    der   dunklen    Harmonie. 

III.  Steigerung  —  Mässigung. 

Ein  Hauptmerkmal  des  Barock,  das  Wölfflin  auch  im  Befreiten 
Jerusalem  wiederfindet,  ist  der  Hang  zur  Vergrösserimg.  In  der 
zitierten  Stelle  wird  unter  anderem  auf  die  häufige  Verwendung 
von  gran  hingewiesen;  ebensohäufig  kommen  aber  auch  eccelso, 
smisurato,  inusitato,  strano  vor.  Auch  nach  der  Schrecklichkeit 
hin  wird  der  Ausdruck  gesteigert.   Häufig  sind  die  Bezeichnungen: 

22 


orrido,  orribile,  orrende  usw.  Auch  Superlative  finden  sich  zahl- 
reich vor.  Dass  überhaupt  die  Beiwörter  mehr  steigernde  als 
charakterisierende  Bedeutung  haben,  zeigen  Ausdrücke  wieenfiate 
labbia  (II  88)  und  tumido  Gernando  (V59),  wo  „geschwollen''  den 
Sinn  von  „übermütig,  frech"  hat.  Das  Ueberschreiten  des  Wirk- 
lichkeitsmasses  äussert  sich  auch  in  der  Rolle,  die  das  Wunder- 
bare in  der  Gerusalemme  spielt.  Himmel  und  Hölle  greifen  in 
das  Tun  der  Menschen  ein.  Auf  Schritt  und  Tritt  begegnet  man 
Zauberschlössern,  Gespenstern,  Zauberern  usw.  Im  Orlando 
spielt  das  alles  eine  ebenso  grosse  Rolle,  aber  die  üebereinstim-, 
mung  ist  nur  scheinbar;  denn  Ariost  setzt  das  Uebermenschliche 
auf  menschliches  Allgemeinmass  herab,  indem  er  durch  den  glän- 
zenden Mantel  des  Wunderbaren  die  Nacktheit  des  wirklichen 
Menschen  durchschimmern  lässt,  während  Tasso  das  Mensch- 
liche ins  Uebermenschliche  steigert,  dadurch,  dass  er  hinter  dem 
alltäglichen  Treiben  der  Kreatur  das  Walten  übernatürlicher 
Mächte  zeigt. 

Während  Tasso  in  den  Beschreibungen  mehr  das  Besondere 
und  Eigenartige  unterstreicht,  so  betont  Ariost  mehr  das  Allge- 
meine, Typische. 

Puö  sembrare,  sagt  z.  B.  Croce  (p.  96),  che  la  flgura  di  san 
Giovanni  sia   rittratta,  al  modo  iti  cui  e  ritratta,  per  celia: 
che  '1  manto  ha  rosso  e  bianca  la  gonella, 
che  Tun   puö  al   latte,   Taltro  al  minio  opporre; 
i  crini  ha  bianchi  e  bianca  la  mascella 
di  folta   barba  ch'al  petto  discorre  .... 
Ma,  in  fondo,  con  lo  stesso  metodo  viene  ritratta  la  bellezza 
di   Olimpia,   obliando   la    castitä   della   donna   che   sarebbe   parsa 
richiedere  altra   sorta  di  fugurazioni  o  piuttosto  di  velamenti : 
Le   bellezze   d'Olimpia    eran    di    quelle 
che  son  piü  rare ;  e  non  la  fronte  sola ; 
gli  occhi,  e  le  guancie,  e  le  chiome  avea  belle, 
la  bocca,  il  naso,  gli  omeri  e  la  gola  .... 
„Nel    Furioso,     non     essendovi    libera    energia    di    sentimenti, 
passionali,   non   vi   sono    caratteri   ma   figure,   disegnate   bensi   e 
dipinte,     ma    senza    rilievo    e    rotonditä,     e    con    tratti    piuttosto 
generici  e  tipici  che  individuali''. 

23 


Und  schon  Jakob  Burckhardt  hat  darauf  hingewiesen  (Kultur 
der  Renaissance  in  Italien,  I.  Aufl.  p.  324  und  327):  „So  kann 
man  denn  auch  an  Ariosto  keinen  falschern  Maßstab  legen,  als 
wenn  man  in  seinem  Orlando  Furioso  nach  Charakteren  suchen 
geht  ....  Dass  endlich  in  der  Gerusalemme  liberata  des  Tor- 
quato Tasso  die  Charakteristik  eine  der  höchsten  Angelegen- 
heiten des  Dichters  ist,  beweist  allein  schon,  wie  weit  seine 
Denkweise  von  der  um  ein  halbes  Jahrhundert  früher  herrschen- 
den abweicht." 

Gerade  das  Betonen  und  gelegentliche  Uebertreiben  des  Cha- 
rakteristischen ist  aber  dem  Kritiker  Galilei  zuwider.  Ampulloso, 
pedantesco!  heisst  es  fast  auf  jeder  Seite.  Der  Superlativ  wird 
sofort  ins  Lächerliche  gezogen : 

Mille  son  di  gravissima  armatura  (I  38).  D.  h.  mit  Maschinen 
und  Ambossen  bewaffnet,  fügt  Galilei  hämisch  hinzu. 

Seinen  Hass  hat  aber  der  Kritiker  vor  allem  auf  das  Wort 
„grande"  geworfen:  Avvertisco  che  si  comincia  a  metter  mano 
alla  scattola  del  grande  per  condire,  come  si  vedrä  nel  progresso, 
molte  e  molte  minestre  di  gran  capi  C.  III,  St.  52,  gran  Tauri 
C.  III,  St.  32,  gran  corpi  C.  VI,  St.  23.  Per  gran  cor,  per  gran 
corpo,  e  per  gran  posse,  gran  cavalli,  e  di  molte  altre  gran  cose; 
il  quäl  condimento  al  gusto  di  questo  Poeta,  se  io  non  m'inganno, 
e  molto  a  proposito  per  far  lo  stil  grande.  (p.  67;  cfr.  68,  83,; 
84,  86). 

Wir  bewundern  auch  hier  den  Scharfblick  des  Kritikers,  der 
aber  nur  ein  Gefühl  für  die  Schönheit  der  ebenmässigen  Darstel- 
lung, des  natürlichen  Masses  hat;  es  fehlt  ihm  jedoch  der  ent- 
gegengesetzte Sinn  für  die  Schönheit  der  ungebundenen  Stim- 
mung, des  gesteigerten  Gefühls. 

IV.  Musik  —  Plastik. 

Der  Grund  der  einseitigen  Kritik  Galileis  wird  uns  klar,  wenn 
wir  sehen,  was  für  ihn  das  Haupterfordernis  eines  guten  Stils 
ist:  „Wir  haben  es  in  der  Malerei  mit  Zeichnung  und  Kolorit  zu 
tun,   denen   in   der  Poesie   Bedeutung  und  Stil   (la  sentenza  e  la 

24 


locuzione)  entsprechen.  Beide  Teile  erzeugen  zusammen  mit 
der  Angemessenheit  (il  decoro)  die  NaturähnHchi<eit  (la  imita- 
zione),  welche  die  Seele  und  der  Körper  (I'anima  e  la  essenzial 
forma)  dieser  zwei  Künste  ist,  und  denjenigen  werden  wir  als 
den  besten  Dichter  oder  Maler  bezeichnen,  der  mit  diesen  zwei 
Mitteln  am  eindrücklichsten  seine  Gestalten  darstellen  wird/' 
(Mestica  p.  63  f.)  Es  kommt  also  Galilei  besonders  auf  die  male- 
rische Anschauung  an,  und  wo  diese  fehlt,  da  gibt  es  für  ihn 
keine  Poesie.  Dass  er  die  Malerei  ganz  besonders  liebt,  sieht 
man  an  den  zahlreichen  Vergleichen,  die  er  aus  dieser  Kunst 
herübernimmt. 

Und  so  können  wir  die  drei  bisherigen  Einwände  unter  dem 
IV.  Hauptvorwurf  zusammenfassen,  der  immer  wiederkehrt:  Sete 
un  cattivo  pittore,  Sig.  Tasso  (p.  170)  —  Pittor  gretto  e  meschino 
(p.  165)  —  veramente,  caro  mio  Sig.  Tasso,  non  si  puö  negare, 
che  voi  sete  un  pittorino  poverino  (164).  Voi  non  sapete  dipinger, 
sig.  Tasso,  non  sapete  adoperare  i  colori,  non  i  pennelli,  non  sa- 
pete disegnare,  non  sapete  far  questo  mestiere.  (p.  162  cf.  142), 
Im  Rasenden  Roland  findet  Galilei  eine  glänzende  Bestätigung 
der  Ansicht,  dass  die  Schönheit  einer  Dichtung  in  der  maleri- 
schen Anschaulichkeit  besteht.  Der  plastische  Sinn  Ariosts  zeigt 
sich  in  allen  seinen  Beschreibungen,  die  oft  wie  Skulpturen  oder 
Gemälde  wirken. 

Wie  Statuen  erscheinen  uns  Angeiica  und  Olimpia  im  Augen- 
blick, wo  sie  nackt  auf  dem  Felsen  ausgesetzt  sind.  Der  Dichter 
hat  so  Freude  an  dieser  Beschreibung,  dass  er  die  gleiche  Situa- 
tion zweimal  wieder  auftauchen  lässt.  Und  aus  der  Fülle  der 
Gemälde  sei  das  kleine  Bild  erwähnt,  (das  Fradeletto  I  zitiert, 
p.  874),  in  welchem  jedes  Reimwort  gleichsam  ein  Pinselstrich 
ist: 

Vide  venir  per  mezzo  un  prato  erboso 
Che  d'un   piccol  sentiero   era   segnato, 
Una  donzella  di  viso  amoroso 
In   compagnia   d'un   monaco   barbato 
E  si   traeano  dietro  un  gran   destriero 
Sotto  una  soma  bardato  di  nero. 

25 


Das  vorwiegend  plastische  Interesse  äussert  sich  auch  in  den 
vielen  Wendungen  und  Vergleichen,  die  dem  Bereich  der  bilden- 
den Kunst  entnommen  sind: 

Creduto  avria  che  fosse  statua  finta 

O  d'  alabastro  o  d'  altri  marmi  illustri.    (10,95). 

Ed  in  un  gran  pensier  tanto  penetra. 

Che  par  cangiato  in  insensibil  pietra.    (1,39.) 

Fermossi  in  atto  ch'  avria  fatto  incerto 

Chiunque   avesse  vista  sua   figura, 

S'ella  era  donna  sensitiva  e  vera, 

O  sasso  colorito  in  tal  maniera.    (8,38.) 

Restär  per  alcun  di  si  sbigottite, 

Che  statue  immote  in  lito  al  mar  pareano.  (10,12.) 
(cfr.  1,  49,  52;  3,3—4;  76;  7,  18;  14,  35;  43,  34;  44,  65;  45,  46.) 

Von  dem  allem  findet  man  in  der  Tat  wenig  bei  Tasso;  man 
findet  aber  hier  etwas,  das  bei  Ariost  fehlt*):  musikalische  Fülle. 
Dass  Galilei  das  nicht  als  einen  Vorzug  erwähnt,  zeigt  nur,  dass 
er  nicht  musikalisch  ist,  und  das  wird  dadurch  bestätigt,  dass 
er  sich  darüber  aufhält,  dass  im  Garten  Armidas  die  Blätter  und 
Bächlein  singen  (garrir).  Dass  das  Rauschen  der  Blätter  zu- 
sammen mit  dem  Gesang  der  Vögel  einen  zweistimmigen  Gesang 
ergebe,  sei  eine  dumme  Erfindung,  man  könne  sich  dabei  gar 
nichts  vorstellen. 

Bei  der  Stelle: 

Ed   adombrato    il    ciel   par   che   s'anneri 
Sotto  un  immenso  nuvolo  dl  strali, 
steht  die  Bemerkung: 

Con  quanta  maggior  leggiadria  disse  l'Ariosto : 

Grand'  ombra  d'ogni  intorno  il  cielo  involve 
Nata  dal  saettar  deUi  due  campi.    (p.  169.) 

Wo  doch  unzweifelhaft  die  Pracht  des  Ausdrucks  und  die 
musikalische  Schönheit  auf  Seiten  Tassos  liegt. 


*)  Abgesehen  von  vereinzelten  Stellen,  die  im  allgemeinen  von  wirk- 
licher Musik  sprechen,  findet  man  bei  Ariost  nur  Bezeichnungen  für  Lärm 
(rumoi-,   ribombar  etc.) 

26 


Vergeblich  würde  man  im  Orlando  furioso  nach  einer  Stelle  wie 
die  folgende  suchen: 

Sommessi  accenti   e  tacite  parole, 
Rotti  singulti  e  flebili  sospiri 
De  la  gente  ch'in  un  s'allegra  e  duole, 
Fan    che    per   l'aria   un    mormorio   s'aggiri 
Qual  ne  le  folte  selve  udir  si  suole, 
S'avvien  che  tra  le  frondi  il  vento  spiri; 
O  quäle  infra  gli  scogli,  o  presso  ai  üdi 
Sibila  il  mar  percosso  in  rauchi  stridi.    (JII6.) 
Bewundernswert  sind  nicht  nur  die  Menge  und  Feinheit  der 
Klangbezeichnungen  und  die  Verschmelzung  der  verschiedenarti- 
gen Klänge  in  einem  Gesamtakkord,  sondern  auch  die  gehäuften 
Vergleiche,  die  hier  den  Gehörseindruck  verstärken.    Solche  laut- 
liche Vergleiche  sind  ebenso  häufig  im  Befreiten  Jerusalem  wie 
die  malerisch-plastischen   im  Rasenden  Roland. 

Besonders  eindrückliche  Vergleiche  sind  folgende:  die  Stimme 
Tankreds  wird  der  Klage  einer  Nachtigall  verglichen,  der  die 
Jungen  geraubt  wurden;  bei  der  Wegfahrt  Rinaldos  beginnt  Ar- 
mida ihre  Ueberredung  mi,t  leis-verschleierter  Stimme,  wie  der 
Sänger,  der  die  Seelen  der  Zuhörer  auf  den  hellen  Gesang  vor- 
bereitet durch  ein  halblautes  einschmeichelndes  Präludieren  — 
quäl  musioo  gentil,  prima  che  chiara  —  altamente  la  voce  al  canto 
snodi,  —  a  Tarmonia  gli  animi  altrui  prepara  ^  con  dolci  ri- 
cercate  in  bassi  modi.  (V  28,  VI  38,  VII  55  XII  90,  XVI  43,  XX  2.) 
Das  Vorherrschen  der  akustischen  Empfindung  zeigt  sich  schon 
in  ganz  kleinen  aber  um  so  bedeutsameren  Eigenheiten :  wenn^ 
z,  B.  verschiedene  Sinneseindrücke  nebeneinander  erwähnt  w'er- 
den,  so  kommt  meistens  der  akustische  voran,  auch  wenn  wie 
beim    Blitz   die  natürliche  Reihenfolge  umgekehrt  ist: 

(Tuono  e  lampo  V27,  suoni  e  risplenda  136,  intesi  o  visti 
IV  5,  sonanti  e  torbide  procelle  IV  18,  il  suono  e  '1  moto  de  l'onde 
XII  63;  cfr.  IV  13,  VII  3,  Vlü  14,  IX  23,  XI  86,  XIV  64,  XVI  28, 
XVII 21,  XIX  47) ;  die  Leute  werden  auch  eher  am  Klang  der 
Stimme  als  an  der  äusseren  Gestalt  erkannt.    (VII  99  etc.) 

Doch  die  hervorragend  musikalische  Begabung  Tassos  zeigt 
sich,  abgesehen  vom  Wohlklang  der  Stanzen,  die  oft  mehr  aufs 

27 


Ohr  als  auf  die  Vorstellungskraft  wirken,  vor  allem  darin,  dass 
eine  ununterbrochene  Orchesterbegleitung  der  ganzen  Handlung 
folgt.  (Siehe  Fradeletto  II  p.  198.)  Auf  dem  Marsch  gegen  Jeru- 
salem hört  man  das  Klirren  der  Waffen,  das  Zusammenschlagen 
des  Bogens  mit  dem  Köcher  auf  dem  Rücken  (I  50),  das  Aechzen 
des  Meeres  unter  der  Last  der  hohen  Schiffe  (I  79),  beim  ersten 
Erscheinen  Jerusalems  erhebt  sich  ein  einziger  Freudenschrei, 
der  sich  in  Seufzen  und  Klagen  auflöst  beim  Andenken  an  den 
Tod  des  Erlösers.  Am  frühen  Morgen  hört  man  das  Erwachen 
des   Lagers : 

Ancor  dubbia  Taurora,  ed  immaturo 

Ne  Toriente  il  parto  era  del  giorno  .... 

Stava  tra  i  rami  ogni  augellin  securo ; 

E  in  selva  non  s'udia  latrato  o  corno; 

Quando   a   cantar  la   mattutina   tromba 

Comincia  A  Tarme;   A  Farme,  il  ciel  rimbomba. 

A  l'arme,  a  Farme,  subito  ripiglia 
II  grido  universal  di  cento  schiere  .... 
Man  rüstet  sich  zum  Kampf.  Die  Anführer  feuern  die  Truppen 
an.  Ein  schmetternder  Schlachtengesang  erhebt  sich,  dem  der 
heidnischen  Hörner  barbarisches  Heulen  antwortet.  (XX  29 — 31.) 
Der  Bogen  wird  gespannt,  schon  klirrt  die  Sehne,  schon  zischt 
der  Pfeil.  Das  Kampfgetümmel  beginnt.  Wie  Sturmesläuten 
klingen  die  Schläge  der  Schwerter.  Entsetzliches  Heulen  steigt 
auf  zum  Himmel  und  dem  Wiehern  der  Pferde,  dem  Donnern 
der  Hufe,  dem  Krachen  der  fallenden  Balken  antwortet  das 
Brüllen  der  Abgründe.  (1X23,  21.)  Ein  rasender  Sturm  erhebt 
sich.    Zelte   werden  zerrissen,   Pfähle  zerschmettert: 

La  pioggia  a  i  gridi,  a  i  venti,  a  i  tuon  s'accorda 
D'orribile  armonia  che  '1  mondo  assorda.  (VII 122.) 
So  tönt  die  fürchterliche  Schlachtensymphonie,  bis  die  Nacht 
heraufsteigt  und  die  Welt  mit  dem  dunkeln  Schrecken  ihrer 
Flügel  bedeckt.  (XI 82.)  Auf  dem  Felde  liegen  die  Opfer  des 
Kampfes :  das  Pferd  bei  seinem  Herrn,  Freund  bei  Freund, 
Freund  bei  Feind,  Sieger  beim  Besiegten.  Non  v'e  silenzio,  e  non 
v'e  grido  cspresso ;  —  ma  odi  un  non  so  che  roco  e  indistinto ; 

28 


—  frcmiti  di  furor,  mörmori  d'ira,  gemiti  di  chi  langue  e  di  cht 
spira.    (XX  51.) 

So  beherrscht  der  Dichter  das  Reich  der  Töne  von  der  heim- 
lichen Musik  des  Schweigens  (Pamico  silenzio  de  le  stelle  II  95, 
IV  65)  bis  zur  mächtigsten  Klangentfaltung  im  Sturm,  vom  Toben 
der  Höllengeister  bis  zum  seligen  Chorgesang  der  himmlischen 
Heerscharen.  (AI  gran  concerto  de'  beati  carmi  —  lieta  risuona 
la  Celeste  reggia  (IX  58),  vom  wilden  Geschrei  des  Aufruhrs 
(VIII  75)   bis  zur  feierlichen   Litanei  der  Prozession: 

Segue  il  coro  a  passo  grave  e  lento, 

In  duo  lunghissimi  ordini  diviso. 

Alternando   facean   doppio    concento 

In  supplichevol  canto  e  in  umil  viso.  (XI  5.) 

Und  wunderbar  lässt  Tasso  die  mächtige  Orgel  der  Natur 
in  das  Leben  der  Menschen  hineinspielen, 

als  heilige  Kirchenmusik: 

Cola   s'    invia    l'esercito    canoro, 

E   ne    suonan    le    valli    ime    e    profonde 

E  gli  alti   colli   e   le  spelonche   loro, 

E   da    ben    mille    parti    Eco   risponde; 

E   quasi   par  che    boscareccio   coro 

Fra    quegli    antri   si    celi   e    in    quelle    fronde; 

Si   chiaramente    replicar   s'    udia 

Or  di  Crlsto  il  gran  nome,  or  di  Maria  (Xt  11); 

als   heulende   Begleitung  der  Schlacht: 

Van  gridi   orrendi  al   cielo,   e  de'   cavalli 

Co   '1   suon   del    calpestio   misti   i  nitriti. 

Gli    alti    monti    muggir,    muggir    le   valli, 

E   risposer  gli   abissi   a  i    lor  muggiti    (IX   21); 

als   Seufzen  der  Kreatur: 

Passa    piü    oltre,    ed    ode    un   suono   in    tanto 

Che   dolcissimamente   si   diffonde: 

Vi  sente  d'un  ruscello   il   roco  pianto, 

E  '1  sospirar  de  l'aura  infra  le  fronde, 

E  di  musico  cigno  il   flebil  canto, 

E  l'usignol  che  plora  e  gli  risponde: 

Organi   e    cetre,    e    voci    umane   in    rime; 

Tanti   e  si  fatti  suoni  un  suono  esprime   (XVIII   18). 

29 


als  unheimliche  Drohung: 

Esce   allor  de   la   selva   un   suon   repcnte, 

Che    par    rimbombo    di    terrcn    che    treme; 

E    '1    mormorar,   de   gli    austri   in    lui   si   sente 

E    '1    pianto    d'onda    che    fra    gli    scogli    gerne. 

Come   ruggia   il   leon,   fischia   il  serpente, 

Come  urla   il  lupo,   e   come  I'orso  freme, 

V  odi,  e  v'  odi  le  trom'be,  e  v'  odi  il  tuono 

Tanti    e    si   fatti    suoni    esprime    un    suono    (XHI    21); 

als   tröstlichen   Gesang: 

Non  si  desto  sin   che  garrir  gli  augelli 

Non    senti    lieti    e    salutar   gli    albori, 

E   mormorar  il  fiume   e  gli  arboscelli, 

E  con   l'onda  schcrzar  l'aura  o  coi  fiori   (VII  5); 

als  einschmeichelnde  Harmonie: 

Vezzosi  augelli  infra  le  verdi   fronde 
Temprano  a  prova  lascivette  note. 
Mormora   l'aura,  e  fa  le  foglie  e  l'onde 
Garrir,   che   variamente   ella   percote. 
Quando    taccion    gli    augelli    alto    risponde; 
Quando   cantan  gli  augei,  piii  lieve  scote; 
Sia    caso   od   arte,    or  acca^mpagna,   ed   ora 
Alterna  i  versi  lor  la  music'  ora. 

Tacque;     e   concorde   de   gli   augelli   il   coro, 

Quasi   approvando,    il   canto   indi  ripiglia. 

Raddoppian   le   colombe   i  baci  loro; 

Ogni  animal  d'amar  si  riconsiglia: 

Par  che   la  dura   quercia,   e  '1   casto  alloro, 

E   tutta    la    frondosa    ampia    famiglia, 

Par  che   la  terra   e   l'acqua   e   formli  e  spiri, 

Dolcissimi   d'anior  sensi  e  sospiri.     (XVI   12,   16). 

Und  wir  sehen :  immer  steht  die  Musik  der  Natur  im  Einklang 
mit  der  Seele  des  Menschen.  Feierlich  erhaben  tönt  sie  wäh- 
rend der  Prozession,  schauerlich  und  wild  während  der  Schlacht. 
Um   Erminia   herum   tönt's  sehnsüchtig  und  rein  —  lockend  und  v 

sinnlich  dagegen  in  der  Nähe  Armidas.    So  wird  alles  in  Tassos  -' 

Werk  von   musikalischer  Empfindung  durchdrungen.    ,,Die  Seele 
des  Dichters,  sagt  deSanctis  p.  167,  liegt  nicht  in  den  Dingen,  son- 
dern in  ihrem  Klang,  und  den  Gehörswirkungen  zu  lieb  wird  gar  ^ 
oft  die  Klarheit  der  Anschauung  beeinträchtigt,  doch  die  zauber-                 | 
hafte    Schönheit    der   musikalischen    Strömung    reisst   den    Hörer                 | 


30 


i 


mit  und  trägt  ihn  über  alle  Unebenheiten  hinweg.  Das  Musikali- 
sche bei  Tasso  ist  kein  äusserliches  Effektmittel,  sondern  ein 
Unnennbares,  das  aus  der  Seele  quillt  und  auch  unmittelbar  auf 
die  Seele  wirkt/' 

V.  Der  sentimentale  und  der  sachliche  Mensch. 

Wir  haben  bis  jetzt  unser  Augenmerk  vor  allem  auf  die  for- 
malen Werte  unserer  Dichtungen  gerichtet,  worunter  wir  alles 
verstehen,  was  zur  äusseren  Erscheinung  des  Kunstwerks  gehört. 
Wenn  wir  uns  nun  den  inhaltlichen  Werten  zuwenden,  zu  denen 
vor  allem  die  Grundstimmung  des  Kunstwerks  gehört,  deren 
Basis  das  Lebensgefühl,  der  Charakter,  die  Weltanschauung  des 
Dichters  bildet,  und  in  die  alle  Einzelstimmungen  und  Einzelge- 
danken einmünden,  die  sich  in  den  Helden  und  Naturbildern  ver- 
körpern, so  fällt  uns  bei  Ariost  von  vornherein  auf,  wie  stark  das 
Seelenleben  seiner  Helden  auf  die  Aussenwelt  eingestellt  ist. 
L'arme,  gli  amori  werden  am  Eingang  als  die  Hauptgegenstände 
der  Dichtung  genannt.  Beide  sind  möglichst  konkret,  möglichst 
„aussenweltlich"  aufzufassen:  auf  der  einen  Seite  die  Freude  am 
Klirren  der  Waffen,  das  Streben  nach  äusserer  Macht,  auf  delt^ 
andern  die  Oier  nach  einem  schönen  Frauenleib.  Beide  Gegen- 
stände sind  aber  gleich  wichtig.  Es  geht  nicht  an,  die  ganze 
materia  di  guerra  zugunsten  der  materia  d'amore  zurückzusetzen 
mit  der  Bemerkung,  Ariost  habe  die  Ritterschaft  nur  des  Spottes 
wegen  in  seine  Dichtung  hineingezogen.  Spott  finden  wir  aller- 
dings übergenug  in  Ariosts  Dichtung,  aber  er  ist  vor  allem  gegen 
das  Uebernatürliche  gerichtet,  und  gerade  in  ihm  sehen  wir  eine 
sublimierte  Form  von  Ariosts  persönlicher  Streitlust.  Wie  stark 
ritterlicher  Geist  und  Kampfeslust  zur  Zeit  Ariosts  die  Gemüter 
erfüllte,  zeigt  uns  Cardiicci  in  seinen  Studj  su  Lud.  Ariosto  e  Tor- 
quato Tasso  (p.  291  ff.).  Er  weist  auf  die  Schlacht  von  Marignano 
hin,  die  ganz  an  den  Orlando  erinnere. 

Ariosto  sei  so  weit  von  Verspottung  des  ritterlichen  Ideals  entfernt 
gewesen,  dass  er  voll  Ingrimm  die  Feuerwaffen  und  Kanonen  verfluchte, 
die  doch  der  Stolz  seines  Herzogs  waren.  Und  wie  kann  man  von  ironi- 
schen Absichten  sprechen  bei  einem  Dichter,  der  Karl  den  Grossen,  den 
die   Krämer  von   Florenz   zum   Gespött  des  Gassenvolkes   machten,  wieder 

31 


zum  majestätischen  Herrscher  und  würdigen  Helden  erhebt,  der  aus 
dem  närrischen  Astolfo  Boiardos  einen  abenteuer-  und  reiselustigen  Ritter 
macht,  der  als  kaltblütiger  Engländer  den  Pforten  der  Hölle  und  des 
Himmels  trotzt  und  der  als  würdig  genug  erfunden  wird,  bei  der  Heilung 
Rolands  das  Werkzeug  der  Vorsehung  zu  spielen.  Und  wie  kann  man 
Ironie  suchen  bei  der  meisterhaften  Beschreibung  des  schrecklichen  Wahn- 
sinns, der  die  Strafe  ist  für  die  Liebessünde  des  christlichen  Ritters. 
Wer  spürt  nicht  den  Schauer  der  Grösse  bei  dem  letzten  Kampf  der  drei 
Sarazenenkönige  mit  den  drei  Paladinen  und  den  Schauer  des  Mitleids 
bei  dem  Tod  Brandimartes: 

Padre  del  ciel,  da  fra  gli  eletti  tuoi 

AI   martir  tue   fedel   omai   ricetto? 

So  wird  man  die  Schönheit  des  Orlando  furioso  nur  ganz 
geniessen,  wenn  man  mit  knabenhafter  Freude  den  Kampfszenen 
beiwohnen  kann,  die  mit  unnachahmlicher  Meisterschaft  abge- 
wandelt werden.  Wir  erleben  Einzelkämpfe,  Massenkämpfe, 
Kämpfe  zu  Pferd,  zu  Fuss,  mit  Waffen,  ohne  Waffen,  am  hellen 
Tag,  in  der  Nacht,  auf  ebenem  Boden,  auf  engem  Brücklein  mit 
nachfolgendem  Sturz  ins  Wasser  usw.  Mit  welchem  Interesse 
werden  die  einzelnen  Hiebe  verfolgt!  Um  nur  auf  einen  Kampf 
hinzuweisen,  wie  realistisch  wird  der  Kampf  zwischen  Rug- 
giero,  Marfisa  und  Bradamante  im  Wäldchen  geschildert!  Man 
wird  unwillkürlich  an  den  Kampf  der  zwei  Dienstmägde  um  den 
Meisterknecht  in  Uli  der  Knecht  (Kap.  9)  erinnert.  Bradamante 
winkt  ihrem  treulosen  Geliebten,  abseits  in  ein  Wäldchen  zu 
kommen  zwecks  intimer  Aussprache.  Uersi  will  auch  eines 
Abends  eingehend  mit  Ueli  im  Stalle  sprechen.  Draussen  hört 
inan  Schritte,  es  ist  Stini,  die  Rivalin,  die  das  Stelldichein  stören 
will.  So  kommt  unerwartet  und  unerwünscht  Marfisa  ins  Wäld- 
chen, bevor  eine  Aussprache  stattfinden   konnte. 

Quanto  sua  giunta  ad  ambi  sia  molesta, 
Chi  vive  amando  il  sa  senza  ch'io  '1  scriva. 

Bradamante  stürzt  sich  wie  eine  Wildkatze  auf  Marfisa,  in 
der  sie  eine  Rivalin  wittert;  mit  der  Zauberlanze  Astolfos  wirft 
sie  die  Gegnerin  auf  den  Sand.  Marfisa  steht  voller  Wut  wieder 
auf  und  zwischen  den  beiden  Kriegerinnen  entbrennt  ein  erbit- 
terter Kampf.  Bei  Gotthelf  fällt  die  herbeischlcichende  Stini  in 
die    Jauchegrube,    die    wahrscheinlich    durch    Uersi    in    Ermange- 

32 


lung  einer  Zauberlanze  offengelassen  wurde;  sie  wird  in  schauer- 
licher Fassung  hervorgefischt,  stürzt  wie  eine  Hyäne  auf  Uersi 
los,  und  ein  unförmlicher  Knäuel  wälzt  sich  am  Boden  herum. 
Ruggiero  und  Uli  wollen  die  Kämpfenden,  die  sich  mit  Fuss- 
tritten  und  Faustschlägen  traktieren,  -a  pugni  c  a  calci  -trennen, 
aber  sie  kommen  schön  an,  fast  wären  sie  von  den  wütenden. 
NX^cibern  zerrissen  worden,  da  legt  sich  bei  Gotthelf  der  Meister 
ins  Mittel,  und  bei  Ariost  ertönt  aus  dem  Grab  die  Stimme  eines 
Ahnen,    die    die    Kämpfenden    auseinandertreibt    (36,    42  ff.). 

Das  zweite  Hauptthema  neben  den  cavalier,  arme  und  au- 
daci  imprese  sind  le  donne,  gli  amori,  le  cortesie.  Nach  B.  Croce 
ist  die  materia  d'amore  im  Orlando  viel  wichtiger  als  alles  andere. 
Aber  auch  Croce  betont,  dass  die  Liebe  bei  Ariost  keine  meta- 
physische Sehnsucht  nach  Verschmelzung,  sondern  das  anima- 
lisch-natürliche Begehren  nach  einem  schönen  Frauenleib  ist. 
Nicht  die  Seele  der  Geliebten  ist  der  Anziehungspunkt,  sondern 
le  leggiadre  e  belle  membra  sue.    (34,  21.) 

Das  Weib  ist  nichts  als  ein  schönes,  grausames  und  fal- 
sches Tier.  Und  weil  es  nur  Genussobjekt  nicht  Seelengefährte 
ist,  so  legt  der  Mann  seine  Ehre  darein,  dieses  sein  Eigentum 
nicht  von  andern  antasten  zu  lassen.  Daher  die  grosse  Rolle 
die  im  Orlando  die  Eifersucht  spielt.  Man  könnte  das  Epos 
geradezu  den  Roman  der  Eifersucht  nennen.  Aus  Eifer- 
sucht wird  Roland  wahnsinnig.  Aus  Eifersucht  verlässt  Rinaldo 
das  Heer  Karls,  und  die  Eifersucht  verkörpert  sich  in  dem  Un- 
geheuer mit  den  tausend  Augen,  die  sich  nie  schliessen  können, 
mit  den  tausend  Ohren,  die  immer  lauschen  müssen,  mit  den 
Haaren,  die  v.ie  Schlangen  immer  Gift  sprühen,  mit  dem  lind- 
wurmähnlichen Schwanz,  der  sein  Opfer  umschlingt  und  lähmt; 
sogar  der  Held  Rinaldo  kann  sich  nicht  dagegen  wehren  (42, 
41  fi.).  Wie  bitter  Ariost  selber  unter  der  Eifersucht  gelitten, 
wird  aus  seinem  Leben  bezeugt,  und  wir  hören's  am  schrillen 
Klang  der  Worte : 

Credete   a   chi   n'ha   fatto   esperimento, 

Che  questo  e  M  duol  che  tutti  gli  altri  passa.     (23,   112.) 

Bei  Männern,  denen  die  Fraueniiebe  nur  als  animalischer 
Trieb  gilt,   spielt   die   Freundschaft   eine   umso  grössere   Rolle. 

Spoerri,  Renaissance  u.  Barock    :;  '  33 


Dafür  haben  wir  ergreifende  Beispiele  im  Orlando.  Zerbino  hat  Ge- 
legenheit sich  am  Verräter  Odorico  zu  rächen,  der  ihm  und  seiner  ge- 
liebten Isabella  so  viel  Leids  angetan  hat,  aber 

il   ricordarsi  Famicizia  stretta 

ch'era  stata  tra  lor  per  sl  lungo  uso, 

con  1'  acqua  di  pietä  l'accesa  rabbia 

nel    cor   gli   spegne,    e    vuol    che    merce   n'abbia. 

(24,  34) 
Erschütternd  ist  auch  das   Leid,  das  Roland  um  den  gefallenen  Freund 
Brandimarte  trägt 

Neben  Kriegslust  und  Liebe  spielt  aber  noch  ein  anderes  Ele- 
ment eine  grosse  Rolle,  das  im  allgemeinen  nicht  genügend 
beachtet  wird :  es  ist  die  knabenhafte  Freude  am  Auspacken 
von  allerlei  Sachkenntnis. 

Dieses  intellektuelle  Interesse  äussert  sich  auch  in  einem 
Stilmittel,  das  einen  Gesamteindruck  vermittelt,  indem  es  eine 
Menge  von  Dingen  nebeneinander  aufzählt: 

Onde  l'orrenda  furia  si  contempli 

ch'a  pugni,  ad  urti,  a  morsi,  a  graffi,  a  calci 

cavalli   e  buoi   rompe,  fracassa  e  strugge.    (24,  7.) 

Mirti  e  cedri  e  naranci  e  lauri  il  loco, 

e  mille  altri  soavi  arbori  han  pleno. 

Serpillo  e  persa  e  rose  e  gigli  e  croco 

Spargon  .  .  .  tanta  suavitä.    (18,   138;  cfr.  XII  3  etc.) 

Ein  Auskramen  von  Wissen  ist  oft  auch  das  ausführliche  Her- 
anziehen gewisser  Bilder  aus  der  Natur  und  dem  täglichen  Leben, 
die  übermässige  Verwendung  klassischer  Vergleiche  und  An- 
spielungen, die  geographische  Genauigkeit  der  Reisebeschrei- 
bungen, die  technisch  vollkommenen  Schilderungen  aus  allerlei 
Lebensgebieten.  (Schiffahrt  etc.) 

All  dieses  äusserlichc  Geschehen:  die  Serien  von  Abenteuern, 
die  Kampfszenen  und  Verfolgungen,  die  Liebesdramen  und  Reise- 
bilder, die  Verwandlungen  und  Sehenswürdigkeiten,  könnten  uns 
fast  an  einen  Kinematographen  erinnern,  wenn  nicht  die  Leiden- 
schaft des  Dichters  alles  durchdränge  und  mit  künstlerischer 
Schönheit  überstrahlte.  Es  ist  hier  der  Ort,  einem  Schlagwort 
entgegenzutreten,  das  fast  allgemein  auf  Ariost  angewandt  wird, 

34 


das  Wort  von  der  Leidenschaftslosigkeit  des  wahren  Dichters. 
B.  Croce  wird  nicht  müde  zu  wiederholen,  dass  ohne  innere  An- 
teilnahme kein  Kunstwerk  zustandekommt,  am  allerwenigsten  ein 
Orlando  furioso.  Was  aber  jenem  Schlagwort  Nahrung  gegeben 
hat,  ist,  dass  Ariost  alle  Sondergefühle  zu  einer  grossen  und 
stillen  Harmonie  abgedämpft  hat.  Diese  Verschmelzung  der 
Einzelgefühle  in  eine  Orundstimmung  ist  zugleich  das  Ali- 
gemeinste und  Persönlichste  einer  künstlerischen  Schöpfimg.  Hier 
liegt  die  eigenartigste  Schönheit  Ariosts,  in  die  alle  Einzelschön- 
heiten einmünden,  jenes  Unaussprechliche,  das  man  die  divinitä 
Ariosts  nennt,  oder  wie  B.  Croce  sagt:  il  cuore  del  suo  cuore. 
Es  ist  die  apollinische  Kühle,  die  wie  das  Auge  Gottes  dem 
Treiben  der  Kreatur  zuschaut,  alles  mjit  gleicher  Liebe  überstrah- 
lend, ob  gut  oder  schlecht,  ob  gross  oder  klein,  ob  Mensch  oder 
Sandkorn,  dieser  festlich-heitere  Glanz,  diese  himmlische  Ruhe, 
die  sich  in  den  ,, klaren  und  stillen  Gewässern  der  Stanzen 
spiegelt'S  die  sich  zeigt  in  der  Ebenmässigkeit  der  Beschrei- 
bungen, in  der  unverzerrten  und  leidenschaftslosen  Darstellung 
der  ruhig  beobachteten  Dinge  und  in  all  den  bisher  genannten 
Stilni(itteln.  Und  um  so  wirkungsvoller  ist  diese  Ruhe,  als  sie 
ein  bewusstes  Zurückhalten  starker  Gefühle  ist. 

Nicht,  dass  wir  bei  Ariost  ein  Naturgefühl  wie  bei  Tasso  und  den  Ro- 
mantikern fänden,  wir  spüren  aber  doch  in  seiner  Darstellung  eine  Er*- 
griffenheit  durchklingen,  die  ihn  erfasst  vor  der  Pracht  und  Majestät  der 
Naturordnung.  Dieses  kosmische  Gefühl  äussert  sich  in  all  den  wunder- 
baren Beschreibungen  des  Sonnenaufganges.  Und  auch  sonst  spricht  aus 
den  Naturbildern  ein  tieferes  Gefühl.  Ich  erinnere  nur  an  die  Beschrei- 
bung der  brütende^  Hitze  und  an  die  zwei  Zeilen  über  die  Nacht: 

Quando   la  Notte   fra   distanzie   pari 

Mirava  il  ciel  con  gli   occhi  sonnolenti.   (18,   167.) 

(Als  die  Nacht,  die  in  gleichem  Abstand  zwischen  Abend  und  Morgen 
ruhte,   den   Himmel   anschaute    mit   den   schlaftrunkenen   Augen.) 

Werden    wir   nicht   an    Möricke's   „Um   Mitternacht"   gemahnt: 

Gelassen   stieg  die  Nacht   ans   Land, 
Lehnt   träumend    an    der    Berge    Wand, 
Ihr  Aui^e  sieht  die  »oläne  Wage  nun 
Der  Zeil  in  gleichen  Schalen  stille  ruhn  .  .  . 

35 


Und  spricht  nicht  ein  inniges  Gefühl  aus  der  Licbesklage  Bradamantes, 
deren  Kehrreim:  Deh,  torna  a  me  Ruggier  .  .  .  zuletzt  symbolisch  ge- 
steigert im   (jeliebtcn   selber  Sonne   und  Frühhng  anruft: 

Deh  torna  a  me,   mio  Sol,  torna  e   rimena 
La    dcsiata    dolcc   prima\'era!     (45,    39.) 

In  wie  viel  Steilen  stossen  wir  nicht  auf  tragische  Konflikte, 
deren  Gefühlskraft  jeden  andern  Dichter  überwältigt  hätte!  Liegt 
nicht  der  ganze  Stoff  von  Corneilles  Horace  in  dem  Entschei- 
dungskampf zwischen  Ruggiero  und  dem  Bruder  seiner  Geliebten. 
Und  werden  wir  nicht  an  Siegfrieds  Kampf  mit  Brünhilde  er- 
innert, wenn  wir  Ruggiero  in  der  Rüstung  des  Brautwerbers  Leo 
gegen  seine  eigene  Geliebte  kämpfen  sehen.  Wie  ergreifend  ist 
die  Geschichte  Fiordiligis,  die  für  ihren  Mann  zittert  und  den 
heimkehrenden  Helden  am  Gesicht  abliest,  dass  Brandimarte 
nicht  mehr  lebt.  De  Sanctis  pflegte  bei  solchen  Stellen,  wie  Croce 
berichtet,  seinen  Schülern  zu  sagen  :  ,,Vedete  quanto  cuore  aveva 
TAriosto!"  Doch  er  fügte  gleich  hinzu:  Er  lässt  es  aber  nie 
zur  tragischen  Erschütterung  kommen,  die  mit  dem  Ton  seines 
Gesangs  unvereinbar  gewesen  wäre.  Und  dieses  beständige  Sich- 
wiederfinden trotz  den  grössten  Erschütterungen  erklärt  manche 
sonst  unverständliche  Züge.  Man  folge  nur  irgend  einem  Bruch- 
stück der  Handlung  z.  B.  dem  Zug  Fiordiligis  mit  Brandimarte 
im  31.  Gesang,  oder  dem  Sterben  Isabellas,  oder  der  nächtlichen 
Expedition  Medoros,  und  achte  darauf,  wie  sehr  man  immer  in 
die  Handlung  hineingerissen  wird  und  im  Augenblick,  wo  die 
Rührung  überhand  nehmen  will,  durch  einen  Rippenstoss  er- 
nüchtert wird,  sei  es  in  Form  einer  schalkhaften  Anspielung,  einer 
komisch  gezeichneten  Situation,  eines  kühl  ausgeführten  Bildes, 
einer  allgemeinen  feierlich-spöttischen  Betrachtung.  Trotz  aller 
Leidenschaftlichkeit  findet  Ariost  immer  wieder  das  (jleich- 
gewicht  der  Seele,  und  nichts  ist  erquickender,  als  das  Lächeln, 
mit  dem  der  Künstler  Ariost  auf  des  Menschen  Ariosis  vergeb- 
liches Jagen  und  Treiben  herabschaut;  es  zeigt  sich  vor  allem 
in  jener  Stelle,  die  berichtet,  wie  Astolfo  auf  dem  Monde  findet, 
was  auf  Erden  verloren  ging.  Dort  findet  er  in  einem  engen 
Tal  die  Tränen  und  Seufzer  der  Liebenden,  die  Zeit,  die  man 
beim  Spiel  \crliert,  die  Träiune,  die  keine  Erfüllung  fanden    und 

36 


die  vergeblichen  Wünsche,  deren  es,  ach!  so  \iele  gibt.  Als 
goldene  Angeln  findet  Astolf  die  Geschenke,  die  man  hohen 
Gönnern  machte  und  denen  keine  Gegenleistung  folgte.  Als 
grosser  Haufen  ausgegossener  Suppen,  die  früher  angenehm  duf- 
teten und  jetzt  übel  stinken,  liegen  dort  die  Almosen,  die  man 
machte,  um  ewige  Seligkeit  zu  erlangen,  auch  die  Schenkung  Kon- 
stantins an  den  guten  Papst  Sylvester  ist  dabei.  Leimruten  liegen 
in  Menge  da,  das  sind,  oh  Frauen!,  eure  Schönheiten.  Noch  vieles 
wäre  zu  erwähnen,  nur  Verrücktheit  ist  gar  wenig  zu  finden,  die 
bleibt  gewöhnlich  unten  auf  der  Erde.  In  Flaschen  wohlverschlos- 
sen findet  Astolfo  den  Geist,  den  die  einen  im  nutzlosen  Lieben 
verloren,  die  anderen  im  Streben  nach  Ehre,  im  Jagen  nach 
Reichtum,  im  Buhlen  um  die  Gunst  hoher  Herren.  Der  Geist  der 
Astrologen  und  Sophisten,  vor  allem  aber  der  Poeten  ist  reichlich 
dort  oben  vertreten.  (34,  73  ff.)  Astolfo  nimmt  mit  dem  Verstände 
Rolands  zugleich  den  eigenen  Geist  mit,  den  er  auf  abenteuer- 
lichen Fahrten  verloren,  und  auch  dem  Leser  ist,  er  hätte  bei* 
dieser  Gelegenheit  seine  Vernunft  wiedergefunden,  und  er  hat 
nun  die  feste  Absicht,  sie  nicht  mehr  in  vergeblichem  Sehnen  und 
in  nutzlosem  Streben  zu  verlieren,  sondern  fröhlich  im  ruhigen 
Genuss  der  allgegenwärtigen  Schönheit  des  Diesseits  sie  anzu- 
wenden. Die  Worte,  die  Rodin  über  Phidias  sagt,  geben  genau 
den  Eindruck  der  Dichtung  Ariosts  wieder: 

L'ari  anlique  signifie  bonheur  de  vivre,  quieiude,  gräce,  equilibre, 
raison.     (Rodin  p.  244.) 

All  diese  Eigenschaften  vermisst  Galilei  an  Tasso.  Das  ist 
sein  5.  Hauptvorwurf.  Es  ist  auch  der  letzte,  den  man  erwähnen 
kann;  denn,  was  Galilei  sonst  noch  an  Tasso  herumnörgelt,  ist 
nichts  als  ein  Ausfluss  seiner  persönlichen  Gereiztheit,  die  an 
Dingen  Anstoss  nimmt,  über  die  ein  unvoreingenommener  Leser 
hinweggeht.  Wenn  wir  aber  bei  den  formellen  Aussetzimgen  Ga- 
lilei's  die  Schärfe  und  halbe  Richtigkeit  bewunderten,  so  müssen 
wir  hier  bei  der  inhaltlichen  Kritik  feststellen,  dass  Galilei  völlig 
auf  Irrwegen  geht.  Er  hat  das  dunkle  Gefühl,  einem  fremden 
Wesen  gegenüberzustehen,  und  anstatt  sich  zu  sagen,  seine  Kom- 
petenz reiche  nicht  aus  zum  Verständnis,  schlägt  er  sinnlos  mit 
seinen    hölzernen    Wahrscheinlichkeits-    und    Anstandsmaßstäben 

37 


um  sich.  Seine  Angriffe  sind  hier  durchwegs  lächerHch  und  ver- 
kehrt. Oder  ist  es  nicht  lächerHch,  wenn  der  Mathematiker  aus- 
rechnet, dass  auf  acht  Meilen  Entfernung  man  kein  Gesicht  genau 
erkennen  kann?  Manca  di  verisimile!  Aber  seit  w^ann  kümmern 
sich  Dichter  von  der  Richtung  Tassos  um  Wahrscheinlichkeit? 
Ist  es  nicht  verkehrt,  wenn  der  Kritiker  sich  entrüstet,  dass 
fünfzig  christliche  Ritter  bei  Nacht  und  Nebel  das  Lager  ver- 
lassen, um  wie  geile  Hunde  der  Armida  nachzustreichen,  oder 
wenn  er  den  armen  Tankred,  wo  immer  er  auftritt,  mit  einer 
Flut  von  Schimpfwörtern  überschüttet,  das  eine  Mal,  weil  er 
sich  sterblich  verliebt  in  ein  Frauengesicht,  das  er  nur  flüchtig 
gesehen,  das  andere  Mal,  weil  er  das  Kämpfen  vergisst  ob  dem 
Anblick  der  Geliebten  usf.  Manca  di  decoro!  Seit  wann  haben 
die  Dichter  den  Vorschriften  des  Anstands  und  des  Heldenkom- 
ments zu  gehorchen?  Nein,  mit  verisimile  und  decoro  fabri- 
ziert man  eine  Gerusalemme  conquistata,  aber  nimmermehr  eine 
Gerusalemme  liberata!  Hier  braucht  sich  Tasso  nichts  dreinreden 
zu  lassen,  hier  steht  er  auf  eigenem  Boden.  Schon  die  rein  musi- 
kalische Form  bedeutet  eine  Ablösung  von  der  hellen  Alltagswelt 
Galileis,  ein  Hinausfahren  aufs  dunkle  Meer  der  Leidenschaft,  ein 
Suchen  nach  fremden,  dämmerschönen  Sehnsuchtswelten.  Und 
wenn  wir  von  hier  aus  auf  die  äusserliche  Welt-Wirklichkeit  zu- 
rückschauen, so  erscheint  sie  in  einem  ganz  anderen  Lichte. 
Bei  Ariost  bekam  alles  Innerliche  eine  körperliche  Festigkeit, 
bei  Tasso  nehmen  sogar  die  Aussendinge  seelischen  Charakter 
an.  Das  zeigt  sich  vor  allem  in  Tasso's  Naturgefühl.  Die  Natur 
ist  so  reich,  dass  sie  jedem  Menschen  bieten  kann,  was  seine 
Seele  sucht.  Und  wenn  Ariost,  der  sie  mehr  von  aussen  anschaut, 
in  ihr  schöne,  ruhige  Formen  fand,  so  sieht  Tasso,  der  sie  mehr 
innerlich  durchfühlt,  ihr  Werden  und  Vergehen,  ihr  Blühen, 
Schwellen  und  Verwelken.  Im  Garten  Armidas  ist  ein  solcher 
Drang  zu  leben  und  zu  geniessen,  dass  auf  den  Bäumen,  am 
gleichen  Ast  die  neuen  Früchte  wachsen,  während  noch  die  alten 
absterben,  was  Galilei  eine  debolezza  di  cervello  nennt.  (Mestica 
161.)  Während  der  Garten  Alcinas  mit  seinen  culte  pianure  e 
delicati  colli,  chiare  acque,  ombrose  ripe  e  prati  molli  an  den 
Park  von  Versailles  erinnert,  so  müssen  wir  beim  wild  wachsen- 

38 


den  Naturgarten  Armidas  (naturali  gli  ornamenti  e  i  siti)  unwill- 
kürlich an  den  englischen  Garten,  der  zu  Rousseaus  Zeiten  als 
ein  Vorläufer  der  Freiheit  den  französischen  Garten  des  ancien 
regime  verdrängte,  denken.  Vollends  mahnen  an  Rousseau  die 
Worte  und  das  Gebaren  des  alten  Hirten,  der  sich  flüchtete  vor 
der  äusserlichen  Kultur  der  Höfe  ans  Herz  der  alliebenden  Mutter 
Natur.  Rückkehr  zur  Natur!  predigen  Tasso  und  die  Romantiker, 
sie  meinen  Rückkehr  zur  Seele,  zu  sich  selbst,  aus  der  lärmenden 
Zerstreuung  der  Welt,  und  die  Natur  ist  nur  der  grosse  Reso- 
nanzboden, der  dem  Gesang  der  Seele  unendliche  Tiefe  und 
Weite  verleiht.  Die  Naturerscheinungen  sind  nur  ein  äusseres 
Bild  für  innere  Vorgänge. 

Um  nur  ein  Beispiel  anzuführen:  Man  lese  im  13.  Gesang  die  Beschrei- 
bung der  Hitze,  die  wie  ein  lähmender  Druck  auf  allem  Tun  der  Menschen 
liegt.  Und  teuflische  Mächte  hindern  vollends  das  Vorhaben  des  Heeres. 
Alle  Tätigkeit  steht  still,  die  ganze  Welt  scheint  unter  dem  glühenden 
Himmel  zu  verdorren.  Da  steigt  das  Gebet  Gottfrieds  zum  Trone  Gottes. 
Es  findet  Erhörung.  Wolken  bedecken  den  Himmel,  ein  frischer  Wind  be- 
ginnt zu  wehen  und  nun  rauscht  herunter  die  erfrischende  Flut  des 
Regens.  Wie  köstlich  ist  das  Bild  der  Enten,  die  freudig  in  den  kühlen 
Tümpeln  herumschnattern,  wie  fühlt  man  doppelt  wohltuend  die  Er- 
quickung nach  schwüler  Hitze  und  voll  freudiger  Hoffnung  nach  mutloser 
Ermattung  beginnt  man  die  neue  Arbeit.  Ist  das  nicht  ganz  Goethes 
Meeresstille  und  Glückliche  Fahrt? 

Nicht  nur  die  Natur  wird  in  seelische  Vorgänge  aufgelöst, 
auch  die  andern  Geschehnisse  des  äusseren  Lebens  bekommen 
geistige  Färbung. 

Bei  Ariost  ist  der  Kampf  ein  Aufeinanderplatzen  zweier  Rü- 
stungen, wobei  die  Sprödigfkeit  der  Lanze,  die  Härte  des  Schildes, 
die  Stärke  des  Armes  und  die  Widerstandskraft  des  Pferdes  die 
Hauptrolle  spielen,  wo  das  Hauptinteresse  den  herumfliegenden 
Splittern  und  abgehauenen  Köpfen  und  GUedern  gilt.  Bei  Tasso 
ist  der  Kampf  ein  Ringen  zweier  Geister,  Die  Geschicklichkeit 
gibt  den  Ausschlag.  Wir  wohnen  nicht  einem  Lanzenbrechen, 
sondern  einem  Fechtturnier  bei,  wo  Finten  und  andere  Kunst- 
griffe angewandt  werden.  Molto  egli  opro  col  senno  e  con  la 
mano.  „Senno''  kommt  zuerst.  Der  Geist  wird  siegen,  ruft  Gott- 
fried  seinen    Kämpfern   zu   vor   der   Entscheidungsschlacht.    Und 

39 


erstaunlich  iiäufi^  kommen  Beratungen,  Diskussionen,  Ueber- 
redungsversuche  vor,  als  seien  die  materiellen  Waffen  eines  wah- 
ren Kämpfers  unwürdig.  Mit  Wehmut  denkt  man  in  unsem 
Tagen  daran,  dass  sich  hier  eine  Entwicklung  zeigt,  die  schon 
im  Parzival  angebahnt  wird,  wo  das  weltliche  Rittertum  durch 
ein  geistiges  ersetzt  wird,  eine  Entwicklung,  die  unabweisbar 
dazu  führen  muss,  dass  alle  Kämpfe  nur  noch  auf  geistigem  Boden 
sich  abspielen,  ohne  Bauchaufschlitzen  und  Schädelzertrümmern. 
Tassos  Diskussionslust  erinnert  wieder  an  Rousseaus  Schriften, 
die  wie  gewaltige  Positionsgeschütze  noch  heutzutage  die  Grund- 
lagen unserer  Kultur  erschüttern. 

Auch  das  Reisen  bei  Tasso  ist  nicht  ein  neugieriges  Umher- 
schweifen in  der  Welt,  sondern  ein  Wandern  nach  fernen  Selig- 
keitsinseln. Die  Reise  Karls  und  übaldos  nach  dem  Innern  der 
Erde  ist  ein  typisches  Symbol  für  die  Versenkung  ins  eigne  Innere. 
Und  so  wenden  wir  uns  ganz  ab  von  der  Aussenwelt  und  wan- 
dern mit  dem  Dichter  in  das  Innere  der  Seele.  Die  Häufigkeit 
von  Ausdrücken  wie  internarsi,  immergersi,  raccolto  in  se, 
ristretto  in  se,  rivolto  in  se,  wird  jedem  Beobachter  auffallen  als 
Symptom  von  pathologisch  gesteigerter  Introversion.  Es  ist  be- 
kannt, wie  sich  die  geistige  Krankheit  im  Leben  Tassos  geäussert 
hat.  An  Rousseaus  Verfolgungswahn  sei  nur  im  Vorbeigehen  er- 
innert. 

Ich  sehe  etwas  Krankhaftes  auch  in  dem  Trieb  zur  Verstellung,  der  im 
Befreiten  Jerusalem  öfters  zutage  tritt  (Erminia  in  der  Rüstung  Clo- 
rindas,  Vafrino  als  Morgenlander),  und  der  sich  zu  theatralischer  Tragik 
gesteigert  hat  in  jener  erschütternden  Komödie,  die  Tasso  spielte,  als 
er  im  Kleid  eines  Bettlers  durch  Italien  zog  und  bei  der  Schwester  in 
Sorrent  um  Almosen  bat.     (Rousseau  im  Armenicrkleid!) 

Auch  der  Hang  zur  Grösse  ist  ein  mehr  oder  weniger  krank- 
hafter Auswuchs  des  gesteigerten  Innenlebens. 

Doch  die  Wanderung  durch  die  inneren  Räume  der  Seele 
führt  nicht  nur  an  gefährlichen  Abgründen  vorbei,  sie  deckt  uns 
Schätze  auf,  die  wir  nimmermehr  an  der  Oberfläche  gefunden 
hätten.  Die  Welt  der  Gefühle  ist  das  Königreich  Tassos,  sagt 
de  Sanctis,  durch  die  Oberflächenschönheit  Ariost's  dringt  der 
Dichter  hinein  in  das  Reich  der  Seele,  aus  der  ungeahnte  Klänge 

40 


heraufsteigen  (p.  Iö6).  Das  macht  den  Dichter  des  Befreiten  Je- 
rusalems zum  unnachahmHchen  Schilderer  der  Frauenseele.  Man 
braucht  nur  auf  die  Entwicklung  Armidas  hinweisen. 

Als  Werkzeug  der  Hölle  kommt  sie,  Rinaldo  zu  verderben,  und  un- 
versehens wird  sie  von  unwiderstehlicher  Liebe  zu  ihm  ergriffen.  So  ist  sie 
ein  unvergängliches  Bild  vom  Weibe,  das  aus  einer  Verführerin  zur  Ge- 
liebten wird.  Wie  Rinaldo  sich  von  ihr  trennen  will,  bricht  ihre  Leiden- 
schaft in  Drohungen  aus,  die  sich  bald  wieder  in  flehende  Klage  auflösen. 
Und  wie  der  Ritter  sich  dennoch  entfernt,  ruft  sie  ihm  das  Wort  nach,  in 
dem   noch   alle   Glut   ihrer   Liebe  zittert: 

Tanto    t'agiterö    quanto    t'amai. 

Auf  dem  Schlachtfeld  wird  sie  hin  und  her  gerissen  zwischen  Liebe  und 
Hass,  sie  lässt  den  Pfeil  auf  den  Geliebten  los,  und  im  gleichen  Augenblick 
wünscht  ihr  armes  verliebtes  Herz,  der  Schuss  möge  fehlgehen.  Und  wie 
sie  an  ihr  eigenes  Leben  Hand  anlegen  will  und  von  Rinaldo  zurück- 
gehalten wird,  kann  sie  dem  Zauber  seiner  Stimme  nicht  widerstehen,  die 
Liebe  ist  mächtiger  als  die  Scham  und  Zurückhaltung  des  verletzten 
Weibes,  sie  ergibt  sich  mit  den  Worten:  Ecco  l'ancilla  tua.  (Fradeletto  If, 
p.  296.)  De  Sanctis  sagt  in  Anlehnung  an  ein  Bibelwort:  Ihr  sind  viele 
Sünden  vergeben  worden,  denn  sie  hat  viel  geliebet. 

Der  eigentliche  Held  der  Dichtung  ist  Tankred.  In  ihm  finden 
wir  alle  wesentlichen  Charakterzüge  des  Dichters  wieder:  Die 
weibliche  Zartheit  und  Unberechenbarkeit  der  Gefühle,  die  ver- 
messenen Träume  von  Grösse,  den  Trieb  zur  Versenkung  in  sich 
selber,  der  vielleicht  unbewusst  dargestellt  wird  in  jener  Episode, 
wo  er  sich  in  Armidas  Schloss  verirrt  und,  ohne  es  zu  wollen, 
selber  einschliesst. 

Der  tiefste  Zug  seines  Wesens,  der  ihn  wiederum  an  die  Seite 
Rousseaus  stellt,  ist  der  innere  Zwiespalt,  der  sich  vor  allem  in 
jener  Strophe  äussert,  die  der  romantische  Philosoph  als  eine 
direkte  Prophezeiung  auf  sich  selbst  aufgefasst  hat : 

Vivrö  fra  i  miei  tormenti  e  le  mie  eure, 

Mie  giuste  furie,  forsennato,  errante; 

Paventerö  l'ombre  solinghe  e  scure, 

Che  '1  primo  error  mi  recheranno  inante ; 

E  del  sol  che  scopri  le  mie  sventure, 

A  schivo  ed  in  orrore  avrö  il  sembiante : 

Temerö  me  medesmo,  e  da  me  stesso 

Sempre  fuggendo,  avrö  me  sempre  a  presso.  (XII  77.) 

41 


(So  leb'  ich  denn  in  Marter  und  in  Qualen, 
Die  als  gerechte  Furien  mich  bedräun. 
Die  Nacht,  wann  sie  heraufsteigt  zu  den  Talen, 
Wird  ewig  mir  den  ersten  Wahn  erneun; 
Der  Sonne  Licht,  das  mit  verhassten  Strahlen 
Die  Tat  enthüllte,  werd'  ich  bebend  scheun. 
Mir  selbst  ein  ew'ger  Schrecken,  werd'  ich  immer 
Mich  selber  fliehn,  doch  mir  entfliehen  nimmer. 
Uebersetzung  J.  D.  Gries.    Reclam  445 — 448.) 

Vinet  fasst  diese  Strophe  auf  als  den  Ausdruck  des  Schuld- 
gefühls. Es  ist  das  Schuldgefühl  des  Menschen,  der  mit  Goethe 
ausruft:  Zwei  Seelen  wohnen,  ach,  in  meiner  Brust  .  .  .,  der  mit 
gieriger  Lust  den  köstlichen  Augenblick  geniesst  und  im  gleichen 
Augenblick  von  dessen  Vergänglichkeit  und  Wertlosigkeit  über- 
zeugt ist. 

Tasso  ist  wie  ein  Kind,  das  heimlich  Honig  nascht  und  um  so 
lüsterner  die  wonnige  Süssigkeit  einschlürft,  als  es  fürchtet,  jeden 
Augenblick  die  Mutter  eintreten  zu  sehen.  Und  in  der  Hast  ver- 
schmiert es  sich  erst  recht  alle  Finger  und  verdirbt  sich  den 
Magen,  w^ährend  Ariost,  der  sich  nicht  vor  der  Mutter  fürchtet, 
in  aller  Seelenruhe  und  Natürlichkeit  den  wonnigen  Augenblick 
auskosten  kann. 

Diese  gierige  Weltlust  lockte  Tasso  immer  wieder  an  den 
Hof  von  Ferrara,  wo  er  sich  doch  immer  wie  ein  armer  Nacht- 
falter die  Flügel  verbrannte.  Und  sein  heimliches  Schuldgefühl 
w^arf  ihn  zu  Füssen  des  Inquisitors  und  lieferte  ihn  wehrlos  den 
Kritikern  aus. 

Und  dieses  Schuldgefühl  hetzte  ihn  sein  Leben  lang  ruhelos 
von  einem  Ort  zum  andern : 

Temerö  me  medesmo,  e  da  me  stesso 

Sempre   fuggendo,    avrö    me    sempre   a    presse. 

Das  Gefühl  für  die  Köstlichkeit  und  zugleich  VergängHchkeit 
des  schönen  Augenblicks  ist  aber  der  Quell  der  eigensten  Schön- 
heit Tassos.  Hier  ist  il  cuore  del  suo  cuore.  Von  hier  aus  müssen 
wir  sein  Werk  betrachten,  wenn  wir  es  ganz  erfassen  wollen. 
Von  hier  aus   verstehen   wir   erst  die  stilistischen   Eigentümlich- 

42 


keiten :  jene  seltsam  zerfliessende  Art  zu  beschreiben,  jenen  anti- 
thetischen Stil,  jene  unruhig  steigernde  Darstellung.  Jetzt  werden 
wir  an  Stellen  erinnert,  die  uns  besonders  erschüttert  haben : 
wir  sehen  den  wildtrotzigen  Argante  wieder,  der  vor  dem  Ent- 
scheidungskampf mit  Tankred  sich  innerlich  sammelt  und  seuf- 
zend an  den  bevorstehenden  Untergang  seiner  Genossen  denkt; 
wir  hören,  wie  Aladin,  der  verschlossene  und  harte  Tyrann,  den 
Zusammenbruch  seines  ganzen  Geschlechts  in  feierlich-düstern 
Worten  verkündigt;  wir  stehen  erschüttert  vor  den  Trümmern 
Karthagos,  die  vom  Sand  überweht  und  von  wilden  Pflanzen  über- 
wuchert sind,  und  die  Klage  über  die  Vergänglichkeit  der  Welt 
findet   ihren    ergreifenden   Ausdruck    im   Schlusschor  des   Torris- 

mondo : 

Ahi  lagrime!   ahi   dolore! 

Passa  la  vita  e  si  dilegua  e  fugge 

Come  gel  che  si  strugge. 

Ogni  altezza  s'inchina  e  sparge  a  terra 

Ogni   fermo   sostegno. 

Ogni  possente  regno 

In  pace  cade  alfin,  se  crebbe  in  guerra. 

E,  come  raggio  il  verno,  imbruna  e  muore 

Gloria  d'altrui  splendore; 

E  come   alpestre   e   rapido   torrente, 

Come  acceso  baleno 

In  notturno  sereno, 

Come  aura  o  fumo  o  come  stral,  repente 

Volan  le  nostre  fame;    ed  ogni  onore 

Sembra  languido  fiore. 

Che   piü  si  spera  o   che  s'attende  omai? 

Dopo  trionfo  e  palma 

Sol  qui  restano  all'alma 

Lutto,  lamenti  e  Tai. 

Che  piü  giova  amicizia  o  giova  amore? 

Ahi  lagrime!    ahi  dolore! 

Und  das  Gefühl  für  die  Vergänglichkeit  alles  Irdischen  gibt 
dem  Werk  Tassos  die  Grundstimmung.  Wie  bei  Ariost  alles  von 
der  hellen  Sonne  der  Weltfreude  bestrahlt  wird,  so  klingt  durch 

43 


die  ganze  Dichtung  Tassos  die  Traurigkeit  seines  Wesens.  Bei 
Ariost  bewunderten  wir  die  Einheit  der  Anschauung,  bei  Tasso 
fühlen  wir  uns  ergriffen  von  der  Einheit  der  Beseelung.  Wenn 
wir  die  Schönheit  Ariost's  geniessen  wollen,  dürfen  wir  uns  den 
Gleichmut  des  Anschauenden  nie  rauben  lassen,  wer  aber  sich 
nicht  hinreissen  lässt  von  der  Strömung  des  Gefühls,  wird,  wie 
Galilei,  achtlos  an  den  tiefsten  Schönheiten  Tassos  vorbeigehen. 

Demjenigen,  der  sich  auf  beide  Arten  einstellen  kann,  sind 
beide  Dichter  gleich  teuer:  Ariost  als  der  überlegen-heitere  Geist, 
der  auch  den  Traum  mit  der  überzeugenden  Bestimmtheit  der 
Wirklichkeit  darstellt,  Tasso,  das  unruhig  gequälte  Dichterherz, 
das  auch  in  die  Vision  der  Wirklichkeit  die  steigernde  Erregung 
des  Traumes  hineinträgt  (Fradeletto  II  p.  300).  Und  wenn  wir 
einen  Blick  über  die  Schranken  der  Poesie  hinauswerfen,  so 
sehen  wir  an  der  Seite  Ariost's  den  überlegensten  Geist  der  ita- 
lienischen Renaissance,  Leonardo  da  Vinci,  während  Tasso  — 
nicht  in  der  Kraft  —  wohl  aber  in  der  Grundstimmung,  an  den 
grossen  Leonardogegner  Michelangelo  erinnert.  Le  plus  puissant 
ge'nie  des  temps  modernes,  sagt  Rodin,  a  cclcbre  Fepopee  de  tombre, 
tandis  quc  les  Anciens  chanterent  celle  de  la  lumiere.  Et  si  nous 
cherchons  la  signification  spirituelle  de  Michel-Ange,  nous  constatons 
que  sa  statuaire  exprime  le  reploiement  douloureu.v  de  l'etre  sur 
lui-meme,  fenergie  incjuiete,  la  volonte  d'agir  sans  espoir  de  succes, 
enfin  le  martfre  de  la  creature  que  tourmcntent  des  aspirations 
irrealisables  (p.  249). 

Zum  Schluss  muss  ich  mich  noch  rechtfertigen,  warum  ich 
von  der  kritischen  Arbeit  Galileis,  die  doch  heute  niemand  mehr 
beeinflusst,  so  viel  Aufhebens  gemacht  habe.  Nicht. die  Arbeit 
selber  scheint  mir  wichtig  zu  sein,  sondern  der  Geist,  der  in  ihr 
herrscht.  Wir  sind  noch  heute  von  der  Klarheit  Galileis  umstrahlt. 
Und  wenn  wir  jenem  Sinn  für  die  Bestimmtheit,  Mannigfaltigkeit 
und  Gesetzmässigkeit  der  Dinge  den  herrlichen  Aufschwung  ver- 
danken, den  die  Wissenschaft  seit  den  Tagen  Galileis  nahm,  so 
müssen  wir  uns  doch  bewusst  bleiben,  dass  dieser  Vorzug  eine 
bedenkliche  Kehrseite  hat.  Nicht  nur  weil  er  uns  blind  machen 
kann  für  die  Tatsache,  dass  es  eine  andere  Schönheit  gibt  als  die 
allgemein    anerkannte    Weltschönheit,    sondern,    was    viel    schwer- 

44 


wiegender  ist,  weil  er  blind  macht  für  die  Tatsache,  dass  es 
eine  andere  Wirklichkeit  gibt  als  die  aligemein  anerkannte  Welt- 
wirklichkeit. Und  der  Sinn  für  diese  andere  Wirklichkeit  ist  der 
Menschheit  eben  seit  den  Tagen  Galileis  immer  mehr  abhanden 
gekommen.  Wie  sollte  es  auch  anders  sein?  Die  Menschen  haben 
die  Kategorien  Bestimmtheit,  Vielheit  und  Gesetzmässigkeit  so 
viel  gehandhabt,  dass  ihnen  alles,  was  nicht  bestimmt,  teilbar  und 
gesetzmässig  ist,  kurzerhand  als  Unwirklichkeit  vorkommt.  Das 
Organ  für  die  andere  Wirklichkeit,  das  Gefühl  für  das  Unfassbare, 
Unteilbare,  über  alles  Gesetzmässige  hinaus  Ragende,  das  der 
Fromme  Glaube,  Liebe,  Hoffnung  nennt,  ist  abgestorben.  Und 
darum  hat  die  kalte  Notwendigkeit  der  Körperwelt  derart  Herr- 
schaft gewonnen  über  uns,  dass  die  Menschheit  heute  lang- 
sam unter  den  Rädern  der  selbstgebauten  Maschine  zerstampft 
wird.  Sollte  aber  jener  Sinn  nicht  wieder  belebt  werden  können? 
Warum  nicht?  Und  wenn  uns  der  direkte  Weg  zu  schwer  fällt, 
denn  jahrhundertalte  Denkgewohnheiten  sind  nicht  leicht  abzu- 
streifen, so  mag  der  Weg  über  die  andere  Schönheit  den  Zugang 
zur  andern  Wirklichkeit  erleichtern.  Man  mag  vielleicht  darüber 
lächeln,  dass  man  hier  von  Wirklichkeit  spricht,  es  hat  aber  je 
und  je  grosse  Männer  gegeben,  die  diese  andere  Wirklichkeit 
so  überwältigend  empfanden,*  dass  sie  ihr  zuliebe  eher  die  Welt- 
wirklichkeit samt   ihrer  Schönheit  geopfert   haben. 

Ich  denke  vor  allem  an  einen  Menschen,  der  die  Kunst  heisser 
geliebt,  mit  der  Wirklichkeit  männlicher  gerungen  hat  als  irgend 
ein  anderer.  Und  er,  der  Vollender  und  Ueberwinder  der  Renais- 
sance und  des  Barocks,  er,  der  riesengrosse  Zeitgenosse  Ariosts 
und  Tassos,  Michelangelo,  hat  im  Angesicht  des  zweifachen  Todes 
des  Leibes  und  der  Seele  die  beiden  Wirklichkeiten  auf  die  Wage 
gelegt  und  welche  Wirklichkeit  schwerer  gewogen  hat,  zeigt 
uns  jenes  erschütternde  Sonett,  das  ich  als  gewaltigen  Schluss- 
stein in  das  schwache  Gewölbe  meiner  Betrachtung  einführen 
möchte : 

Giunto   e  giä   '1   corso   della  vita  mia 

Con  tempestoso  mar  per  fragil  barca 

AI  comun   porto  ov'a   render  si  varca 

Conto  e  ragion  d'  ogni  opra  trista  e  pia : 

45 


Onde  r  affettuosa  fantasia, 
Che  l'Arte  si  fece  idol'  e  monarca, 
Conosco  or  bcn  quant'  era  d'error  carca ; 
E  quel  ch'a  mal  suo  grado  ogn'  uom  desia^ 

Gli  amorosi  pensier,  giä  vani  e  lieti, 
Che  fian  or  s'a  duo  mortt'-m'avvicino? 
D'una  so  '1  certo  e  I'altra  mi  minaccia. 

Ne   pinger   ne  scolpir  fia   piü  che  quieti 
L'anima  völta  a  quell'   Amor  divino, 
Ch'aperse  a  prender  noi  in  croce  le  braccia. 


Nachwort. 

Vorliegende  Ausführungen  geben  in  der  Hauptsache  den  Vortrag  wieder, 
der  gehalten  wurde  an  der  12.  Versammlung  des  Schweizerischen  Neu- 
philologenverbandes in  Baden. 

Wenn  ich  diese  bescheidene  Skizze  im  wesentlichen  unverändert  her- 
ausgebe, so  geschieht  es  nicht  in  der  Meinung,  dass  damit  etwas  Defini- 
tives geboten  würde.  Es  soll  dadurch  nur  hingewiesen  werden  auf  ei n an 
Weg  unter  vielen  (siehe  O.  Walzel,  Wechselseitige  Erhellung  der  Künste, 
Berlin,  Reuther  und  Reichard  1917),  der  es  ermöglicht,  die  ästhetischen 
Einsichten,  die  auf  andern  Kunstgebieten  gewonnen  wurden,  auch  auf  dem 
Boden  der  Poesie  zu  verwerten. 

Noch  weniger  ist  die  Meinung,  dass  durch  die  psychologisch-ästhetische 
Methode  die  philologisch-historische  irgendwie  in  den  Hintergrund  ge- 
drängt werden  sollte.  Beide  Methoden  sind  gleichberechtigt.  Sowohl  das 
leere  Geschwätz  der  ästhetischen  Dilettanten,  als  die  nutzlose  Kärrner- 
arbeit des  einseitigen  Fachgelehrten  würden  vermieden,  wenn  beide  Be- 
trachtungsweisen mit  vereinten  Kräften  hinarbeiteten  auf  das  Hauptziel  der 
Literaturforschung   —   das   Verständnis   des   poetischen   Kunstwerks. 


46 


Oefters  zitierte  Werke: 

B.  Croce,    Ludovico  Ariosto.    „La  Critica".    Anno  XVI,  fasc  II.   1918.    Zi- 
tiert: B.  Croce. 

F.  de  Sanctis,    Storia  della   Letteratura  Italiana.    „Scrittori  d'Italia",   Bari, 
Laterza  1912  Vol.  II.    Zitiert:  De  Sanctis. 

A,  Fradeletto,    Rileggendo  I'Orlando   Furioso.    „La   Lettura",    Anno  XIV, 
N.  10.    Ottobre  1914.    Zitiert:  Fradeletto  I. 
—    Rileggendo  la  Gerusalemme.    „La  Lettura".    Anno  XV.  N.  4.    Aprile 
1915.    Zitiert:  Fradelt^tto  II. 

Galileo    Galilei,     Considerazioni    al    Tasso.      Edizione     Mestica.     Torino. 
Loescher  1906.    Zitiert:  Mestica. 


47 


Aus  dem  Verlage  von 

Paul  HauptvorMfx"r;ts"eiBern 


Fr. 

Dr.  H.  Barth:  Descartes    Begründung    der    Erkenntnis       4.60 
Prof.  Dr.  A.  Debrunner:  Die  Sprache  der  Hethiter  1.20 

Dr.J.  Fränkel:  Wandlungen  des  Prometheus  2. — 

Prof.  Dr.  P.  Häberlin:  Symbol  in  der  Psychologie  und 

Symbol  der  Kunst  1,60 

Prof.  Dr.  K.Jaberg:  Kultur  und  Sprache  in  Romanisch- 

Bünden  —.90 

Prof.  Dr.  E.  Kurih:  Die  Voraussetzungen  der  theoreti- 
schen Harmonik  und  der  tonalen  Darsteliungs- 
systeme  7.40 

Prof,  Dr.  M  Lauterburg:  Recht  und  Sittlichkeit  1.20 

Prof.  Dr.  K.  Marti:  Stand  und  Aufgabe  der  alttestament- 

lichen  Wissenschaft  in  der  Gegenwart  1 .40 

Prof.  Dr.  Müller-Hess:   Die   Entstehung   des   indischen 

Dramas  1 .20 

Prof.  Dr.  0.  Schulthess:  Das  attische  Volksgericht  1.80 

Prof.  Dr.  A.  Schweitzer :  Zwischen  Wasser  und  Urwald. 
Erlebnisse  und  Beobachtungen  eines  Arztes  im  Ur- 
walde  Aequatorialafrikas  4.50 

Dr.  C.  Sganzini :  Neuere  Einsichten  in  das  Wesen  der 
sogenannten  Ideenassoziationen  und  derGedächtnis- 
erscheinungen  1 .50 

Dr.  A.  Stein:  Der  Begriff  des  Geistes  bei  Dilthey  4.40 

—  Nietzsche  und  die  Wissenschaft  1.20 

Dr.  Ch.  Tschernowitz:  Die  Entstehung  des  Schulchan- 

Aruch  3.50 

Prof.  Dr.  A.  Tumarkin:  Die  romantische  Weltanschauung       5.60 
Prof.  Dr.  F.  Vetter:  Ueber  Personennamen  und  Namen- 
gebung  in  Bern  und  anderswo  2.75 


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