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Renaissance und Barock
bei Ariost und Tasso.
V^ersuch einer Anwendung
Wölfflin'scher Kunstbetrachtung
von
Dr. Th. Spoerri.
Paul Haupt
Akademische Buchhandlung vorm. Max Drechsel
BERN 1922.
d
In Goethes Torquato Tasso bricht der tragische Konflikt in
dem AugenbUck aus, wo der kühle Hofmann Antonio Monte-
catino dem begeisterten Dichter, den eben zarte Frauenhände
mit Virgils Kranz gekrönt 'haben, gegenübertritt und ihm in krän-
kender Absicht das Bild Ariosts entgegenhält.
Ariost contra Tasso ! das ist auch die Losung Galileo Galilei's,
und wir bekommen von vornherein einen Eindruck von der Ge-
sinnung, die seine Considerazioni al Tasso belebt, wenn wir
hören wie er Tasso und Ariost einander gegenüberstellt: „Es
hat mir immer geschienen und scheint mir noch jetzt, dass
dieser Dichter (Tasso) über alle Massen schäbig, dürftig und
armselig ist (gretto, povero e miserabile), Ariost dagegen gross-
artig, reich und wunderbar. Und wenn ich mich in Tassos Hel-
den, Abenteuer und sonstige Begebenheiten versenke, so ist
es mir, als träte iich in die Behausung eines Sonderlings, der sich
damit vergnügt hätte, seine Bude mit allerlei Altertümern und
Kuriositäten zu schmücken, mit Sachen ohne Wert, als da sind:
eine versteinerte Krabbe, ein ausgetrocknetes Chamäleon, eine
Mücke oder Spinne in einem Stück Bernstein eingefasst, einige
jener irdenen Puppen, die man in alten ägyptischen Gräbern
finden soll und als Malerei irgend eine Skizze von Baccio Ban-
dinelli oder Parmigiano oder ähnlichen Plunder. Dagegen, wenn
ich in den „Rasenden Roland'' eintrete, so sehe ich eine Vor-
halle sich öffnen, eine Tribuna, eine königliche Galerie, ge-
schmückt mit hundert antiken Statuen von den berühmten Bild-
hauern und versehen mit unendlichen Folgen von Gemälden aus
der Hand der besten Maler, samt einer grossen Zahl von Ge-i
fassen aus Krystall, aus Achat und anderm Edelstein, angefüllt
endlich mit allerlei seltenen kostbaren und prächtigen Dingen.''
(Mestica p. 57.) Man höre, mit welchen Ausdrücken der arme
Tasso noch sonst bedacht wird: stile sempre languido, e sfor-
zato, e male spressivo (53) ; freddo, secco, stiracchiato, stentato,
insipido, saltabellante, bischizzante, pedantesco (81) ; non pur
snervato, ma scarnato e disossato (145). Queste, Signor Tasso,
soiK) porcheriole da bambini (86); scempagg-ini pcdantesche
(70). Qual durczza di destino e questa vostra, Signor Tasso,
che non possiate mai condurre a segno cosa che con grazia e
leggiadria aviate incomniciata! (p. 150.) Vi ho compassione,
ma non vi posso ajutare (p. 151). E viva la pedanteria! che
gusto che orecchio e quel di quest' uomo! anzi pure gusti da
giudicar di poesia son quelli di coloro che con saldo stomaco
assaporano di queste minestre (166). Signor Tasso, io ve Fho
detto ormai dieci volte: questo non e mestier da voi ; a quante
azioni porrete mano tante impertinenze farete (94). Secchissimo,
infelicissimo e miserabilissimo scrittore! (133.)
Den Eindruck, den die kritische Arbeit Galileis auf den Leser
macht, fasst ein Herausgeber des Orlando furioso (Campari, Aus-
gabe Hoepli p. XXI) in die Worte zusammen :
Odioso come tutti i confronti !
Odioso, allerdings! Galilei zertrümmert die ganze Schönheit
Tassos, um seinem Götzen Ariost einen möglichst hohen Sockel
zu bauen. Schönheitzertrümmernde Kritik ist aber in der Tat
widerwärtig und überflüssig. Nur eine Kritik, die das Auge
schärft für die Schönheit, hat Daseinsberechtigung. Das Un-
schöne stirbt von selber.
Ist es aber richtig, wenn man fortfährt: come tutti i con-
fronti? Im Gegenteil! Ein richtig durchgeführter Vergleich ist
die kostbarste Quelle ästhetischer Einsichten. Galileis Vergleich
ist aber missraten, weil er von dem AUerweltsprinzip ausgeht:
Es gibt nur eine Art Schönheit. Ganz anders offenbaren die
Dinge ihre innerste Natur, wenn man von dem Grundsatz
ausgeht, den Herder und seine Geistesgenossen gepredigt haben :
Es gibt zweierlei Schönheit, und es mögen sich zwei Kunstwerke
in allen Teilen widersprechen, ein jedes kann doch in seiner Art
eine vollkommen schöne Schöpfung menschlichen Geistes sein.
Diese Erkenntnis ist in neuester Zeit wieder als ein helles
Licht aufgetaucht unter dem Einfluss einer grossen geistigen
Strömung, deren philosophische Hauptvertreter Henri Bergson
und Karl Joel sind, an deren Seite der bescheidene Genfer Philo-
soph Jean-Jacques Gourd zu nennen wäre, der in seiner Philo-
sophie de la Religion das ästhetische Problem, das uns beschäf-
tigt, mit Schärfe und Feinheit behandelt hat. Ganz besondere
Förderung bei der praktischen Anwendung dieser Lehren geben :
Rodin, L'Art, K. Scheffler, Vom Geiste der Gotik, Worringer,
Formprobleme der Gotik. Das Werk aber, das am besten die
Augen öffnet für die zweifache Schönheit der Kunst, ist
Wölfflins Darstellung der „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe"..
Bei der Betrachtung poetischer Kunstwerke dürfte aber noch
nutzbringender sein Wölfflins Erstlingsarbeit: Renaissance und
Barock (II. Aufl. München, Bruckmann 1907). Die Haupt-
ergebnisse dieses grundlegenden Werkes, das die Architektur des
Renaissance- und Barockzeitalters im Zusammenhang mit dem
ganzen Geistesleben jener Epochen betrachtet, möchten wir zi-
tieren, um eine solide Basis für die folgenden Ausführungen zu
gewinnen.
,,Die Renaissance ist die Kunst des schönen ruhigen Seins. Sie bietet
uns jene befreiende Schönheit, die wir als ein allgemeines Wohlgefüh'l
und gleichmässige Steigerung unserer Lebenskraft empfinden. An ihren
vollkommenen Schöpfungen findet man nichts, was gedrückt oder ge-
hemmt, unruhig und aufgeregt wäre; jede Form ist frei und ganz und
leicht zur Erscheinung gekommen; der Bogen wölbt sich im reinsten Rund,
die Verhältnisse weit und wohlig, alles atmet Befriedigung und wir
glauben nicht zu irren, wenn wir eben in dieser himmlischen Ruhe und,
Bedürfnislosigkeit den höchsten Ausdruck des Kunstgeistes jener Zeit
erkennen.
Der Barock beabsichtigt eine andere Wirkung. Er will packen mit der
Gewalt des Effekts, unmittelbar, überwältigend. Was er gibt ist nicht
gleichmässige Belebung, sondern Aufregung, Ekstase, Berauschung . . .
Er gibt kein glückliches Sein, sondern ein Werden, ein Geschehen; nicht
das Befriedigte, sondern das Unbefriedigte und Ruhelose. Man fühlt sich
nicht erlöst, sondern in die Spannung eines leidenschaftlichen Zustandes
hineingezogen ... In seiner höchsten Leistung, in den Innenräumen der
Kirchen tritt ein ganz neues auf das Unendhche gerichtetes Raum-
gefühl in die Kunst ein: die Form löst sich auf, um das Malerische im
höchsten Sinne, den Zauber des Lichtes, einzulassen. Der Raum, den
die Renaissance gleichmässig hell und nicht anders denn als einen tek-
tonisch geschlossenen sich vorstellen konnte, scheint hier im Unbegrenzten
sich zu verlaufen. Man denkt gar nicht an die äussere. Gestalt: nach
allen Seiten wird der Blick ins Unendliche geleitet. Der Chorabschluss
verschwindet in dem Goldgeflimmer des aufgetürmten Hochaltars, im
Glanz der „spicndori oelesti" — wie der Ausdruck lautet — seitlich lassen
die dunklen Kapellen nichts Bestimmtes erkennen, zu Häupten aber, wo
einst eine flache Docfke ruhig den Raum geschlossen hatte, wölbt sich
eine ungeheure Tonne, oder nein! sie ist ja offen: Wolken fluten her-
nieder, Engelscharen, Himmcisglanz — in unermcsslichen Räumen verliert
sich Blick und Gedanke."
Die Ursache des Stilwandels erkennt Wölfflin in der Wandlung des
Körpergefühls, das seinerseits wieder ein Ausdruck der Seele ist. Das wird
im Einzelnen belegt durch die Betrachtung der bildenden Kunst, die in
einer Würdigung Michelangelos gipfelt.
„Man nennt Michelangelo den Vater des Barocks, mit Recht . . .
wegen seiner gewaltigen Art, die Körper zu behandeln, wegen des fürch-
terlichen Ernstes, der nur im Formlosen seinen Ausdruck finden konnte.
Die Zeitgenossen nannten dies das „terribile'' . . .
Michelangelos Gestalten setzen eine viel stärkere Kraft ein, als dieses
in der Natur geschieht und während in der Antike alle Aktionen als
Aeusserungen freier Persönlichkeiten auftreten und in jedem Augenblick
in den Schoss der letzteren zurückgenommen werden können, erscheinen
die Männer und Frauen Michelangelos als die widerstandslosen Geschöpfe
einer inneren Empfindung, welche die einzelnen Glieder nicht harmonisch
und gleichmässig belebt, die einen vielmehr mit der ganzen Fülle des
Ausdrucks ausstattet, die andern dagegen beinahe nur schwer und leblos
bildet, (A. Springer.) . . . Der Eindruck der Unruhe wird verstärkt
durch die rücksichtslose Entgegensetzung der sich entsprechenden Körper-
teile (Kontraposto)."
Und nun leiiet Wölfflin über zur Betrachtung der Literatur:
„Michelangelo hat nie ein glückliches Dasein verkörpert; schon darum
greift er über die Renaissance hinaus. Die Zeit der Nachrenaissance ist
ernst von Grund aus. In allen Sphären macht sich dieser Ernst geltend:
religiöse Lebensbesinnung, das Weltliche tritt wieder in Gegensatz zum
Kirchlichen und Heiligen, der unbefangene Lebensgenuss hört auf, Tasse
wählt für sein christliches Epos einen Helden, der der Welt müde ist;
in der Gesellschaft, in den geselligen Umgangsformen ein schwerer ge-
haltener Ton; nicht mehr die leichte, ungebundene Grazie der Renaissance,
sondern Ernst und Würde; statt des leicht und heiter Spielenden eine
pomphafte rauschende Pracht; überall verlangt man nur noch nach dem
Grossen und Bedeutendem.
Es ist interessant, den neuen Stil auch in der Poesie zu beachten.
Die Verschiedenheit der Sprache bei Ariost und Tasso drückt die ver-
änderte Stimmung vollständig aus.
Es genügt, die Anfänge des Orlando furioso (1516) und der Gerusa-
lemme liberata (1584) zu vergleichen.
Wie fängt Ariost einfach und munterbeweglich an:
Le donne, i cavalier, l'arme, gli amori,
Le cortesie, l'audaci imprese io canto,
Che furo al tempo, che passaro i Mori
D' Africa il mare, e in Francia nocquer tanto; etc.
Wie anders dagegen Tasso:
Canto l'arme pietose, e il Capitano
Che il gran sepolcro liberö di Cristo:
Molto egli oprö col senno e con la mano;
Molto soffri nel glorioso acquisto:
E invan l'Inferno vi s'oppose, e invano
S' armö d' Asia e di Libia il popol misto;
II Ciel gli die favore e sotto ai santi
Segni ridusse i suoi compagni erranti.
Man beachte überall die hebenden Beiworte, die hallenden Endungen,
die schweren Wiederholungen (molto — , molto — '; e invan — e invano),
den gewichtigen Satzbau, den verlangsamten Rhythmus des Ganzen.
Aber nicht nur der Ausdruck, auch die Anschauungen, die Bilder
werden grösser. Wie vielsagend ist z. B. die Umgestaltung, die Tasso
mit clem Typus seiner Muse vornimmt. Er erhebt sie in unbestimmte
Himmelsräume und statt dem Lorbeerkranz gibt er ihr „eine goldene
Krone von ewigen Sternen". Mit der Bezeichnung „gran" wird nicht
gespart, überall soll die Phantasie zu bedeutenden Vorstellungen veran-
lasst werden .... Allgemein kann man sagen: während die Renais-
sance mit Liebe in jedes Detail sich versenkte, und für sein Sonderdasein
sich interessierte, also dass die Kunst weder in der Mannigfaltigkeit noch
in der intimen Durchgestaltung des Einzelnen sich genug tun konnte, tritt
man jetzt überall weiter zurück, man will nicht nur das Grosse im Einzel-
nen, sondern überhaupt nur noch einen Gesamteindruck: weniger Anschau-
ung, mehr Stimmung.
Mit den Begriffen „Anschauung — Stimmung'' hat uns Wölff-
lin ein kostbares Instrument für die Herausarbeitung der ästheti-
schen Gegensätze in die Hand gegeben, und ehe wir uns endgültig
unsern Dichtern zuwenden, müssen wir noch kurz auf ihre Be-
deutung hinweisen. Ihr wechselseitiges Verhältnis lässt sich in
einem Bild am besten veranschaulichen.
Auf einer Stromfahrt können wir auf zwei Dinge achten, die
einander eigentümlich bedingen : auf die Spiegelbilder im Strom
und auf die Strömung selber. Je ruhiger die Strömung ist, desto
deutlicher und klarer zeichnen sich die Spiegelbilder heraus; sie
verzerren und trüben sich, sobald der Strom schneller fliesst.
Dafür wird die Strömung auffälliger: es bilden sich Wellen und
Wirbel, man fühlt statt einer unmerklichen Bewegung ein stür-
misches Hingerissensein.
So finden wir in jedem Kunstwerk Stimmung und Anschau-
ung, Strömung und Spiegelbild. In der bildenden Kunst wiegt
die Anschauung vor, in der Musik die Stimmung. Die Poesie
steht mitten zwischen beiden, auf der Grenze zwischen Aussen-
w'elt und Innenwelt. Sie kann sich aber bald mehr der Musik,
bald mehr der Plastik nähern, und indem wir die Poesie ein-
teilen in vorwiegende Stimmungspoesie und vorwiegende Anschau-
ungspoesie, haben wir die Hauptkategorie aufgestellt, die wir
nur in Einzelkategorien aufzulösen brauchen, um nun völlig aus-
gerüstet zu sein für den eingehenderen Vergleich zwischen Tasso
und Ariost.
Die fünf Kategorien der „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe"
lassen sich auf drei philosophische Grundbegriffe zusammen-
raffen :
I. Strömung — Starrheit (Bestimmtheit),
II. Einheit — Mannigfaltigkeit (Vielheit).
ill. Freiheit — Gesetzmässigkeit (Mass).
"Wenn man mehr den dichterischen Prozess im Auge hat, mag
man sie folgendermassen formulieren :
/. Auflösung — Begrenzung.
II. Verschmelzung — Gliederung.
III. Steigerung — Mässigung.
Wir werden in unserer Betrachtung diesen Einzelkategori'en
als IV. die ästhetische Gesamtkategorie
Musikalisch — Plastisch
und als V. die psychologische Gesamtkategorie
Sentimental — Sachlich
folgen lassen.
. I. Auflösung — Begrenzung.
Wir gehen von der 1. Strophe aus. Wölfflin hat schon auf
den Unterschied im Ton aufmerksam gemacht. Ariosts Strophe
ist mehr melodisch, die andere mehr harmonisch. Die Linie der
Melodie zeichnet gleichsam die Umrisse des Inhalts nach.
Le donne, i cavalier, l'arme, gli amori ....
Man höre dagegen Tassos Strophe:
Canto l'arme pietose e 'l Capitano ....
Der Ton ist viel tiefer und dunkler, als Träger der Stim-
mung beherrscht er alles, die Dinge schwimmen gleichsam in
einem Strom von Empfindung. Das erste Wort ist canto : das
Singen ist wichtiger als das Besungene, die Stimmung wichtiger
als die Anschauung.
Bemerkenswert ist der zweitletzte Vers : anstatt am Ende ab-
zuklingen, strömt die Sprachwelle über das „santi" hinaus in die
folgende Zeile. Diese Verknüpfung des Beiwortes mit seinem
Hauptwort über den Verseinschnitt weg — eine besonders typi-
sche Form des enjambement — findet sich auch bei Ariost.
Bedeutsam ist aber die Häufigkeit des Vorkommens: bei
Ariost 6,5 auf 100 Stanzen, bei Tasso 17,7. Das zeigt, dass beim
letztern das Gefühl der Strömung sich fast dreimal stärker im
Strophenbau äussert.
Wie Begrenzung — Auflösung auf die Beschreibung wirken,
möge das Bild Alcinas einerseits, das Bild Armidas andrerseits
zeigen. Orlando 7, 11 ff.:
Di persona era tanto ben formata
Quanto me' finger san pittori industri.
(Der erste Eindruck kommt von der form, sofort weist auch
der Dichter auf die Kunst des Malers hin.)
Con bionda chioma lunga ed annodata :
Oro non e che piü risplenda e lustri.
(Die Haare flattern nicht frei, das Zusammengebundensein
gibt ihnen sofort einen festen Umriss.)
Spargeasi per la guancia deHcata
Misto color di rose e di ligustri';
9
Di terso avorio era la fronte lieta,
Che lo spazio finia con giusta meta.
(Das Elfenbein gibt dem Bild sofort wieder das Starre, Be-
grenzte, das verstärkt wird durch das Raumabschliessende des
lo spazio finia con giusta meta.)
Sotto due negri e sottilissimi archi
(wie deutlich linear gezeichnet!)
Son duo negri occhi ....
(Man beachte die bestimmten Farbenunterschiede.)
Quindi il naso per mezzo il viso scende,
Che non trova Pinvidia ove l'emende.
(Das per mezzo il viso gibt die Richtung des Striches, das
Uebrige — der Neid findet daran nichts zu verbessern — zeigt
seine Reinheit an.)
Sotto quel sta quasi fra due vallette,
La bocca sparsa di natio cinabro . . .
Bianca neve e il bei collo e '1 petto latte:
II collo e tondo, il petto colmo e largo.
(Farbe und Umriss!)
Due pome acerbe, e pur d'avorio fatte,
Vengono e van, com' onda al primo margo,
Quando piacevol aura il mar combatte:
Non potria l'altre parti veder Argo :
Ben si puö giudicar che corrisponde
A quel ch'appar di fuor quel che s'asconde.
(Die verdeckten Teile werden nicht mit Lüsternheit aufge-
spürt; man stellt einfach fest, dass sie dem übrigen entsprechen
— die Linien werden gleichsam der Vollständigkeit halber im
Geist weiter gezogen.)
Mostran le braccia sua misura giusta;
E la Candida man spesso si vede
Lunghetta alquanto e di larghezza angusia
Dove ne nodo appar, ne vena cccede,
Si vede alfin della persona augusta
11 brevc, asciulto e ritondetto piede.
(Fast mit jedem Wort wird hier wieder eine Linie gezogen.)
10
Lessing sagt zu dieser Beschreibung im Laokoon: „Was für ein Bild
geben diese allgemeinen Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters,
der seine Schüler auf die Schönheiten des akademischen Modells aufmerk-
sam machen will, möchten sie noch etwas sagen; denn ein Bück auf dieses
Modell, und sie sehen die gehörigen Schranken der fröhlichen Stirne, sie
sehen den schönsten Schnitt der Nase, die schmale Breite der niedlichen
Hand. Aber bei dem Dichter sehe ich nichts, und empfinde mit Verdruss
die Vergeblichkeit meiner besten Anstrengung, etwas sehen zu wollen."
Und nun Armida (Qerusalemme 4, 29 ff.):
Schon bevor sie erscheint wird die Neugierde gereizt, durch
die Beschreibung des Eindrucks, den die bella peregrina auf die
Anwesenden macht :
A l'apparir de la beltä novella
Nasce un bisbigho e '1 güardo ognun v'intende;
Si come lä dove cometa o Stella,
Non piii vista di giorno, in ciel risplende :
E traggon tutti per veder chi sia
Si bella peregrina, e chi Finvia.
Argo non mai, non vide Cipre o Delo
D'abito o di beltä forme si care.
(Der Eindruck der Schönheit wird gesteigert durch den Hin-
weis auf Argos, Kypern und Delos.)
D'aura ha la chioma, ed or dal bianco velo
Traluce involta, or discoperta appare:
Cosi, qualor si rasserena il cielo,
Or da Candida nube il sol traspare,
Or da la nube uscendq i raggi intorno
Piü chiari spiega, e ne raddoppia il giorno.
(Man achte darauf wie die Bewegung, das Leben des Lichtes
die Hauptrolle spielt. Wir sehen keine Linien, keine bestimmten
Farben. Schleier, Wolken verdecken die Umrisse, alles löst sich
in ein Flimmern und Leuchten auf.)
Fa nove crespe Taura al crin disciolto,
Che natura per se rincrespa in onde;
(Das Haar ist aufgelöst, der Wind spielt damit, die Locken
bilden sich wellenartig gleichsam unter unsern Augen.)
11
Stassi l'avarf) sguardo in sc raccolto,
E i tesori d' Amorc e i suoi nasconde.
(Die Augen sind nicht sichtbar, umsomehr wünscht man,
sie zu erblicken.)
Dolcc color di rose in quel bei völto
Fra Pavorio si sparge e si confonde :
Ma ne la bocca, ond'esce aura amorosa^
Sola rosseggia e semplice la rosa.
(Das unbestimmte, aber gefühlsbetonte dolce color di rose be-
herrscht alles und nachdem es nur zerstreut und vermischt auf-
trat, blüht es im Munde auf, den es lieblich rötet. Die „aura
amorosa" ist ein unklarer Bewegungsausdruck, der eben darum
vom anschauungsdurstigen Galilei sehr übel vermerkt wird. Me-
stica p. Q5.)
Mostra il bei petto le sue nevi ignude,
Onde il foco d'Amor si nutre e desta ;
Parte appar de le mamme acerbe e crude.
Parte altrui ne ricopre invida vesta :
Invida, ma s'a gli occhi il varco chiude,
L'amoroso pensier giä non arresta.
Che non ben pago di bellezza esterna,
Ne gli occulti secreti anco s'interna.
In dieser Stanze arbeitet Tasso mit concetti : Gegensatz von
Schnee und Feuer, esterna-intema, Wiederholung von parte und
invida. (Siehe Abschnitt II.)
Bemerkenswert ist wie der Nachdruck auf den occulti secreti
liegt. Hier löst sich das Bild in Lüsternheit auf. Die ganze fol-
gende Stanze gibt sich mit der vietata parte ab.)
Die gleichen Bcobachtunircn können wir an sämtlichen Beschreibungen
machen. Als Beispiel möge noch ein Gleichnis dienen: das, was de Sanctis
il romanzo della rosa nennt (p. 25):
La verginella e simile alla rosa,
Ch'in bei giardin su la nativa spina
Mentre sola e sicura si riposa,
Ne gregge ne pastor se le avvicina;
L'aura soave e I'alba rugiadosa,
L'acqua, la terra al suo favor s'inchina:
12
d
Gioveni vaghi e doiine innamorate
Amano aveme e seni c tempie ornate.
Ma non si tosto dal materao stelo
Rimossa viene, e dal suo ceppo verde,
Che quanto avea dagli ttomini e dal cielo
Favor, grazia e bellezza tutto perde.
De Sanctis sagt zu diesem Bild: II poeta ti pone innanzi la cosa nella
sua veritä naturale, si che niente paia oltrepassato, esagerato o trasfor-
mato. L' «alba rugiadosa», il «ceppo verde», la «nativa spina», i «gioveni
vaghi», le «donne innamorate», i «seni e le tempie», il «gregge e il
pastore» sono tutte immagini natural!, distinte, plastiche, obbiettive, pro-
dotte da una immaginazione Impersonale, assorbita dallo spettacolo. E
guarda alla movenza delT ottava, con tanta semplicitä che 1' ultimo verso
par ti caschi per terra, come vil prosa, a quel modo che e cascata la rosa
da quella sua altezza verginale. Qli e che qui eleganza, armonia, colorito
non vengono da alcun preconcetto della spirito, ma sono la forma stessa
delle cose, non il loro omamento o la loro veste, ma la loro chiarezza."
Siehe hingegen bei Tasso (Ger. 16, 14 f.):
«Deh mira, egli cantö, spuntar la rosa
Dal verde suo modesta e verginella,
Che mezzo aperta ancora, e mezzo ascosa,
Quanto si mostra men, tanto e piii bella.
Ecco poi nudo il sen giä baldanzosa
Dispiega: ecco poi langue, e non par quella;
Quella non par; che desiata avanti
Fu da mille donzelle e mille amanti.»
Man sieht die Rose knospen, aufblühen und vergehen. Der Nachdruck
liegt auf der Vergänglichkeit alles Schönen auf Erden, und so löst sich das
Bild wieder in Stimmung auf:
«Cosi trapassa al trapassar d'un giorno
De la vita mortale il fiore e 1' verde;
Ne perche faccia indietro april ritorno,
Si rinfiore .ella mai, ne si rinverde.
Cogliam la rosa in su '1 mattino adomo
Di questo di, che tosto il se,ren perde;
Cogliam d'amor la rosa: amiamo or quando
Esser si puote riamato amando.»
De Sanctis sagt dazu (1. c. p. 163): l'impressione non e la bellezza
della rosa, ma la sua breve vita, e ne nasce un canto im mortale, penetpato
di piacere e di dolore.
13
Die meisten Vergleiche und Bilder bei Tasso sind heftige Be-
wegungen: Blitz, Sturm, Wind, Lawine, Fluss, Feuer, Stern-
schnuppe usw. Und dass Tasso vor allem die Bewegung und
nicht das Anschauliche seiner Bilder empfunden hat, zeigen ver-
fehlte Vergleiche wie z. B. :
Ali ha ciascuno al core ed ali al piede (3,3; cfr. 8,1, 9,74).
Bei Ariost stauen die Bilder den Fluss der Empfindung und
sammeln ihn zur ruhigen Betrachtung.
Besonders deutlich zeigt sich das in der Beschreibung von Affekten:
In si dolci atti, in si dolci lamenti,
Che parea ad ascoltar fermare i venti.
Kaum ist das Gefühl angedeutet, so verwandelt es sich schon in ein
Bild: die Winde bleiben stehen, um ihr zuzuhören.
Tasso:
In queste voci languide risuona
Wn non so che di flebile e soave
Ch'al cor gli scende ed ogni sdegno ammorza,
E gh occhi a lagrimar gl'invogliia e Sforza.
Nella forma del Tasso, sagt de, Sanctis zu dieser Stelle (1. c. p. 163)
ci e rimpressionabilitä, che turba l'equilibrio e la serenitä della mente e la
trattiene intorno alla sua emozione: 1' immagine si liquefä e diviene un
«non so che»; annunzio dell' immagine che cessa e dell' emozione che
soverchia.
Dieses „non so che", über dessen Schicksale in den verschiedenen
Literaturen sich eine ganze Monographie schreiben Hesse, kommt in der
Gerusalemme mehr als zehnmal vor.
Am Schlüsse dieses Abschnittes können wir als I. Hauptvor-
wurf Galileis alle Vorwürfe anführen, die sich auf den Mangel
an klarer Anschaulichkeit beziehen :
Allerlei unfassbare Bezeichnungen werden gerügt, vor allem
wird der häufige Gebrauch des Wortes „cose'' getadelt. Con
questa voce „cosa'' tanta cara a questa poeta, e tante volte usata
in questo significato generale, sotto il quäle possiamo intendere
non piü battaglie, assedj, armate, eserciti, che cavalli, carrozze,
argani, stivali, casse e barili. (Mestica 51, cfr. 54.)
Andre Bemerkung:
11 resto della stanza e snervato al solito, non significante, con
quei suoi solili generali, che non dipinoono niente.
14
\
Superbi, formidabili, feroci
Gli Ultimi moii für, rultime voci.
Bisognava dirlo in particolare quali fossero questi moii e
queste voci, se volevi rappresentare al vivo (p. 172).
Die Beschreibung der Hitze im 13. Gesang gleiche eher einer metereolo-
gischen Aufzählung aller Ursachen und Wirkungen der Hitze als einer kon-
kreten Beschreibung. Unser Dichter sündige in der gleichen Weise, wie
ein Maler sich verfehlen würde, wenn er, um ein Jagdstück zu malen, auf
dem gleichen Gemälde Kaninchen, Hasen, Füchse, Ziegen, Hirsche, Wölfe,
Bären, Löwen, Tiger, Wildschweine, Jagd- und Windhunde usw. zu-
sammenbrächte . . ., was mehr den Einzug in Noahs Ardhe als eine natür-
liche Jagd vorstellen könnte. Gerade so flicke Tasso seine Tuchfetzen
zusammen und zu hören, dass die Sonne im Zeichen des Krebses ist,
dass alle günst'gen Lichter ausgelöscht sind, dass grausame Sterne herr-
schen, dass die Sonne heraufkommt von blutigen Dämpfen umgeben und
untergeht mit roten Flecken gefärbt, dass alles austrocknet, die Blumen,
die Blätter, die durstigen Gräser, dass die Erde sich spaltet und das
Wasser schwindet, dass der Himmel einem Ofen gleicht usw., das alles
zu hören, belästige den Hörer tausendmal me'hr, als wenn er selber in
Palästina von diesen Plagen bedrängt würde. . . . Man solle aber lesen,
mit weich unnachahmlicher Anmut, mit welchen genialen und natürlichen
Pinselstrichen die Hitze beschrieben wird, die den armen Ruggiero be-
drückt :
Tra duri sassi e folte spine gia
Ruggiero intanto inver la Fata saggia,
Di balzo in balzo, e d' una in altra via
" Aspra, solinga, inospita e selvaggia,
Tanto ch'a gran fatica riuscia
Su la fervida nona in una spiaggia
Tra '1 mare e '1 monte, al mezzodi scoperta,
Arsiccia, nuda, sterile e deserta.
Percote il Sole ardente il vicin colle,
E del calor, che si riflette a dietro.
In modo l'aria e l'arena ne bolle.
Che saria troppo a far liquido il vetro.
Stassi cheto ogni augello all' ombra molle;
Sol la cicala col noioso metro
Fra i densi rami del fronzuto stelo
Le valli e i monti assorda e 'l mare e 'I cielo.
(Orlando 8, 19—20).
15
Wir sehen in allen Aussetzungen Galileis, wie fein er die
Schönheit der klaren Anschauung, des bestimmten Umrisses emp-
findet, wie wenig ihm aber bewusst ist, dass es auch eine Schön-
heit der auflösenden Strömung, der verschwommenen Gefühls-
wirkung gibt.
II. Verschmelzung — Gliederung.
Wir gehen wieder von der ersten Strophe aus und müssen
zunächst feststellen, dass Ariost's Stanze grammatikalisch viel ge-
Sjchlossener ist. Wir ihaben es zu tun mit einem Hauptsatz und
einem angehängten Relativsatz. Sachlich gibt uns aber Ariost
eine Aufzählung von verschiedenen Dingen, die einfach neben-
einander stehen. Sie werden nicht einmal in einen festen Zu-
Siammenhang gebracht mit der Haupthandlung. Es heisst ein-
fach: all diese Dinge waren zur Zeit, als der afrikanische König
herüberkam.
Bei Tasso haben wir sprachlich nicht weniger als sieben
nebengeordnete Glieder:
1. Canto l'arme pietose e '1 capitano
Che '1 gran sepolero liberö di Cristo:
2. Molto egli oprö col senno e con la mano :
3. Molto soffri nel glorioso acquisto :
4. E in van PInfemo vi s'oppose
5. e invano
S'arm.ö d'Asia e di Libia il popol misto;
6. II ciel gli die favore,
7. e sotto a i santi,
Segni ridusse i suoi compagni erranti.
Tasso war sich dieser Eigenheit bewusst. In einem Brief an
Skipio Gonzaga vom 1. Oktober 1575 schreibt er darüber Folgen-
des: Non so se Vostra Signoria abbia notato im' imperfezione
del mio stile. L'imperfezione e questa: ch'io troppo spesso uso
il parlar disgiunto, cioe quello che si lega piuttosto per l'unione
e dependenza dei sensi, che per copula o altra congiunzione di
parole. L'imperfezione v'e senza dubbio ; pur ha molte volte sem-
bianza di virtii apportatrice di grandezza : ma l'errorc consiste
16
ne la frequenza. Questo difetto ho io appreso da la continua
lezione di Virgilio, nel quäle (parlo de l'Eneide) e piü che in alciin
altro ; onde fu chiamato da Cahgula arena senza calce. (Mestica
p. 48. Anm.)
In dieser Aeusserung scheint mir vor allem wichtig die Stelle:
quello (il parlare) si lega piuttosto per l'unione e dependenza der
sensi, che per copula o altra congiunzione di parole. In der Tat:
in dieser ersten Strophe finden wir, abgesehen von der gram-
matikalisch-logischen Zusammenhangslosigkeit, eine innere
Einheit von unübertrefflicher Wirkung. Die ganze Handlung des
Befreiten Jerusalems ist zusammengeballt in dieser einzigen
Stanze. Und zwar wird schon durch die Anordnung und Form der
einzelnen Glieder der Eindruck eines dramatischen Fortgangs
vermittelt: 1. Entwicklung (Zeile 1 und 2): der Held = das
christliche Heer verkörpert im Anführer; Ziel der Handlung und
Andeutung des Konflikts : Befreiung des Heiligen Grabes. 2.
Verwicklung: Je ein Zeilenpaar kämpft gegen das andere, das
eine gekennzeichnet durch molto-molto, das andere durch invan-
invano. Die Heiden scheinen durch die Hilfe der Hölle die Ueber-
macht zu bekommen. 3. Auflösung (Zeile 7 und 8) : Der Himmel
greift ein und die zerstreuten Kämpfer (Symbol für die verschiede-
nen menschlichen Triebe) sammeln sich unter dem Zeichen des
Kreuzes, um das heilige Grab nun zu befreien (symbolisch : die
menschliche Seele, die von gottfeindlichen Mächten geknechtet
wird). Zu der Einheit des Geschehens kommt aber noch die Ein-
heit des Standpunkts, die durch das durchgehende Subjekt herge-
stellt wird (il capitano — egli — gli — suoi). Dazu kommt noch
die kosmische Umfassung: Himmel und Hölle nehmen teil am
Kampf der Menschen. Dadurch wird der dramatische Konflikt
zur denkbar grössten Wucht gesteigert und dem Einzelgeschehen
wird eine allumfassende Bedeutung verliehen. (Goethes Faust:
Prolog im Himmel.)
Und wir haben auch die wesentlichen Punkte gefunden, in
denen sich das Einheitsgefühl äussert: in der Sprache, durch
Gegenüberstellung von zwei gleichen oder gegensätzlichen Glie-
dern ; im Ton, durch Gleichklang (molto-molto) und im Aufbau,
durch Einheit der Handlung.
S p 0 e r r 1 . Renaissance u. Barock 2 17
Die sprachlichen Eigentümlichkeiten, in denen sich die Ver-
schmelzungstendenz äussert, finden sich bei allen Romantikern
und Mystikern wieder. Die psychologische Wurzel der Antithese
wird von de Sanctis fein aufgedeckt: II fondo di questo paralel-
lismo e Pantitesi, presa in un senso molto largo, cioe una certa
armonia che nasce da oggetti simili o dissimili posti dirimpetto.
(p. 172). Es ist nicht nötig, noch mehr Beispiele von diesem unter
der Marke „concetti" kursierenden Stilmittel zu geben, ich
möchte nur auf einige andere Fälle von sprachlicher Verschmel-
zung hinweisen: 1. Das Zusammenstellen eines Hauptwortes mit
einem gegensätzlichen Beiwort: dura quiete, ferreo sonno (11145),
un lieto pianto (XII 10), i molli avDri (XV 61), idolo mio crudele
(XVI 47), torbida luce e bruna (XVIII 13), tenebrosi giorni, li-
bertate amara (XIX 83), oh fortunati miei dolci martiri (II 35),
dolci tormenti (II 36), venen dolce (II 83), dolcemente feroce (I 58).
Die letzten Beispiele lenken uns auf eine weitere Eigentümlich-
keit: das häufige Vorkommen von dolce = dolce morso, dolci
sospiri, dolci inganni, dolci fiumi d'eloquenza, dolci letti, dolce
Vendetta, dolce color, dolce giogo, dolce oblio, dolce errore, dolce
peso, dolci rugiade, dolci stille di pianto, dolce ghirlando, dolce
prigion, dolce mondo. Mehr als 100 dolce (samt Komposita) sind
im ganzen zu finden. Noch igrösser wäre die Zahl, w'enn man alle
vago und soave und amico dazunähme. Häufig sind auch Ver-
kleinerungsformen, die dem gleichen Zärtlichkeitsgefühl ent-
springen: vergognosetta (IV38),giovanetta sposa (X 39), parolette
(X60), erbetta (X 64), vita giovenetta (X 74), venticelli (XIV 1),
isoletta (XIV 57), la tenerella mente (XIV 62), donzellette (XV 58),
collinette (XVI 9), acerbetta (XVII 33), timidetta (XIX 93), famig-
luola (XX 25), languidetta (XX 130).
Die Einheit der Handlung war zur Zeit Tassos das Lieblings-
thema aller ästhetischen Erörterungen. Doch bei Tasso ist sie
nicht nur literarische Tradition. Von ihr geht eine ganz eigen-
artige Wirkung aus, die noch dadurch verstärkt wird, dass der
Leser deutlich das Gefühl vom. Fliessen-der Zeit bekommt: fast
in jedem Gesang wird es einmal Tag und einmal Nacht. Wie sehr
sich Tasso Rechenschaft gibt von der Dauer der Handlung, zeigt
sich in dem Brief an Skipio Gonzaga vom 14. März 1575 (Mestica
18
!
92), worin Tasso die Länge der Armidaepisode rechtfertigt durch
den Hinweis auf die lange Zeit, die der Bau der Belagerungs-
maschinen in Anspruch nimmt.
Wie bei Tasso sich alles um die Befreiung Jerusalems dreht,
vom ersten Freudenschrei beim Anblick der ersehnten Stadt bis
zur feierlichen Lösung des Kreuzfahrergelübdes im eroberten
Tempel, wie man trotz aller Episoden das Hauptziel nie aus den
Augen verliert, das wird dem Leser erst recht eindrücklich, wenn
er vom Rasenden Roland kommt, wo die Raserei Rolands nur
eine Episode unter vielen ist, und weder der Kampf gegen diq
Heiden, noch die Liebesgeschichte Ruggieros besondere Span-
nung erweckt, wo im Gegenteil der Dichter darauf ausgeht, die
verschiedenen Handlungen so zu verflechten, dass nie die Auf-
merksamkeit eine Hauptrichtung einschlagen kann. „II carattere
precipuo del poema ariostesco e il medesmo dell' Innamorato:
la varietä'', sagt Flamini. (Storia della letteratura italiana. Livomo
Giusti p. 52.)
Es wird kaum nötig sein, noch ausführlicher von der Wirkung
der Einheitstendenz auf die Beschreibung zu sprechen, da wir
bei der ersten Kategorie sahen, wie gleichzeitig die Auflösung
des Umrisses die Verschmelzung in eine Gesamtströmung be-
wirkte. Andrerseits konnten wir beobachten, w^ie in den Beschrei-
bungen Ariosts mit der klaren Begrenzung der Formen auch die
deutliche Scheidung der einzelnen Teile Hand in Hand ging.
Man kann noch darauf hinweisen, dass im Befreiten Jerusalem
das Verschwinden der Einzelformen öfters durch äussere Mittel
— Staubwolken, Nebel, Nacht und Dämmerung — herbeigeführt
wird.
Nuova nube di polve ecco vicina,
Che folgori di guerra in grembo tiene;
Ecco d'arme improvvise uscirne un lampo
Che sbigotti de glTnfedeli il campo. (1X91.)
Qui fuggon essi, e si rivolge oscura
Caligine di polve in ver' le mura. (IX 95.)
Ma fuor usci la notte e'l mondo ascose
Sotto il caliginoso orror de l'ali,
E l'ombre sue pacifiche interpose
2* 19
Fra tante ire de' miseri mortali . . . (XI 82.)
Poi, quando l'ombra oscura al mondo toglie
I vari aspetti, e i color tinge in negro ... (X 5.)
Ueberhaupt ist bemerkenswert, wie häufig im Dunkel ge-
arbeitet und gekämpft wird. Und die Beschreibung der Nacht mit
ihrer allauflösenden, allumfassenden Ruhe gehört zu den grössten
Schönheiten des Befreiten Jerusalems, im Gegensatz zum Ra-
senden Roland, wo vor allem das Erwachen des Tages mit immer
neuen Wendungen besungen wird. (Siehe Gerusalemme II 96,
V 60, 79, VI 103, VII 28, VIII 57, IX 15, X 5, 78, XI 18—19, 82,
XII 1, XIII 5, XIV 1, XVII 56, XVIII 63, XIX 131 ; Orlando 8,
86; 11, 32; 12, 68; 13, 43; usw.)
Im oben angeführten Beispiel sind die Worte e i color tinge
in negro zu beachten. Um einen lebhaften Farbeneindruck hervor-
zurufen, stellt der Dichter des Orlando jeweilen vier oder fünf
auffällige Farben nebeneinander: un cavalier ch'all'ombra d'un
boschetto — nel margin verde e bianco e rosso e giallo (2, 35) ;
quell'era arma del piü fin metallo — ch'avean dl piü color gemme
distinto ; rubin vermiglio, crisolitD giallo, verde smeraldo, con
flavo jacinto (7,3) ; dove toccö sempre in vermiglio tinse —
l'azurro, il verde, il bianco, il nero, il giallo (9, 70) ; fan rosso,
bianco, verde, azzurro e giallo — SDtto i bei palchi un relucente
fregio, divisi tra proporzionati spazj, rubin, smeraldi, zaffiri e
topazj (33, 102); cantan fra i rami gli augelletti vaghi — azzurri e
bianchi e verdi e rossi e gialli (34, 50; siehe noch 42, 68, 96;
43, 133).
Eine grössere Rolle als die Farben spielt in der Gerusalemme
das Spiel von Licht und Schatten, das Funkeln, Flimmern und
Leuchten (siehe vor allem VIII 32). Wo Farben genannt werden,
sind es gewöhnlich deren eine oder zwei: e smarrisce il bei volto
in un colore — che non e pallidezza, ma candore (II 26) ; ei ve-
stissi allotta — la purpurea de Farme aurata cotta (VI 16); con
barbare pompa in un lavoro di parpora risplende intesta e d'oro
(IX 82) ; blanche via piü che neve in giogo alpino avea le sopra-
veste (VI 26) ; ma tosto pianse di nere spoglie avvolta (VI 59) ;
i purpurci tiranni (VII 52) ; e senza piume e fregio altre ne veste
20
— (infausto annunzio !) lugginose c nere (XII 18); d'un bei pal-
lorc ha il bianco volto asperso, — come a gigU sarian miste
viole (XII 69) ; quivi scintilla con ceruleo lume — il Celeste
zaffiro ed il giacinto; — vi fiammegg-ia il carbonchio, e luce il
saldo — diamante, e lieto ride il bei smeraldo (XIV 39). Man be-
achte im letzten Beispiel; das von allen am farbenreichsten ist,
wie doch der Nachdruck auf dem verschiedenen Glanz liegt
(scintilla — fiammeggia — luce — lieto ride). Im übrigen sind
bei Tasso die Farben meistens symbolisch, sie zeigen eine Eigen-
schaft des Trägers an (Purpur und Gold = Reichtum; weiss =
Unschuld; schwarz = Leid; rot = Grausamkeit usw.). Oft
werden die Farben nur allgemein bezeichnet als vari colori, oder
der Dichter verweist auf die Farben des Regenbogens oder des
Pfaues (IX 62, XVI 24). Besonders interessant ist die Verschmel-
zung der Farben in dem Vergleich mit dem Hals einer Taube:;
Cosi piuma talor, che di gentile
Amorosa colomba il collo cinge,
Mai non si scorge a se stessa simile,
Ma in diversi colori al sol si tinge :
Or d'accesi rubin sembra un monile,
Or di verdi smeraldi il lume finge,
Or insiem li mesce, e varia e vaga
In cento modi i riguardanti appaga (XV 5).
Galilei findet diesen Vergleich ganz hübsch, im übrigen kann
der Mathematiker das Vermischen und Vermengen nicht aus-
stehen. Die Stelle:
E un eco, un sogno, anzi del sog.no un'ombra,
Ch'ad ogni vento si dilegua e sgombra (XIV 43)
wird dem Dichter übel vermerkt: Non ho piü saputo che il ventq
abbia proprietä di sgombrare e dileguare l'eco, il sognoi e Pombra,
ma si bene il fumo, la nebbia, le nugole e'cose tali. (Mestica 148.)
Doch seinen besonderen Hass hat Galilei auf das schmelzende
Geklingel der concetti, antitesi und contrasti geworfen, die er
nicht müde wird, auf alle Arten lächerlich zu machen. Wenn Tasso
sagt :
21
Che 'n guisa lor feri la nuca e '1 tergo
Che nc passö la piaga al viso e al petto (III 44);
so meint QaHlei dazu: Ecco delle piü notabili bellezze di questo
poema: uno scherzetto di quattro parole intrecciate da piacere
all'inesperta gioventii. II che non vogHo del tutto biasimare, ma
dirö solo, che quei poemi che da simili ornamenti hanno a ricevere
la loro bellczza, sano simili alla condizione di quelle gran pitture,
nelle quali essendo il componimento, le attitudini delle figure, il
colorito, in somma tutte le parti principali disgraziatissime,
attendono a esser riguardevoli, o per qualche ricamo posto nel
lembo d'un abito, o per mascherine miniate intorno alla groppiera
d'un cavallo o per altre simile bagattelle. (Mestica 84 f.)
Galilei verfügt über eine ganze Klaviatur von Ausdrücken,
welche die concetti brandmarken: lavori di tarsia (47), paroluzze
senza costrutto (56), scambietti, attillature, arzigogoli (60), ca-
priole intrecciate (62), concetti da piacere a' principianti (63),
scherzetti, madrigaletti (99 f.) etc. Er vergleicht das Epos, das
solche Scherze anwendet, einem würdigen Magistraten, der auf
dem Weg zur Kirche alle hundert Schritte plötzlich ein paar
Purzelbäume schlägt, um dann feierlich wieder weiter zu mar-
schieren (62). Wir bewundern wiederum den scharfen Blick Ga-
lileis, der hier meistens mit Recht tadelt, was man den orpello
del Tasso nennt und was später unter dem Namen ,, Marinismus''
eine traurige Berühmtheit erlangte. Er hat ein feines Gefühl für
die Schönheit der klaren Darstellung, der deutlichen Gliederung
und Scheidung, er ist aber völlig verschlossen für die Schönheit
der verschmelzenden Stimmung, der dunklen Harmonie.
III. Steigerung — Mässigung.
Ein Hauptmerkmal des Barock, das Wölfflin auch im Befreiten
Jerusalem wiederfindet, ist der Hang zur Vergrösserimg. In der
zitierten Stelle wird unter anderem auf die häufige Verwendung
von gran hingewiesen; ebensohäufig kommen aber auch eccelso,
smisurato, inusitato, strano vor. Auch nach der Schrecklichkeit
hin wird der Ausdruck gesteigert. Häufig sind die Bezeichnungen:
22
orrido, orribile, orrende usw. Auch Superlative finden sich zahl-
reich vor. Dass überhaupt die Beiwörter mehr steigernde als
charakterisierende Bedeutung haben, zeigen Ausdrücke wieenfiate
labbia (II 88) und tumido Gernando (V59), wo „geschwollen'' den
Sinn von „übermütig, frech" hat. Das Ueberschreiten des Wirk-
lichkeitsmasses äussert sich auch in der Rolle, die das Wunder-
bare in der Gerusalemme spielt. Himmel und Hölle greifen in
das Tun der Menschen ein. Auf Schritt und Tritt begegnet man
Zauberschlössern, Gespenstern, Zauberern usw. Im Orlando
spielt das alles eine ebenso grosse Rolle, aber die üebereinstim-,
mung ist nur scheinbar; denn Ariost setzt das Uebermenschliche
auf menschliches Allgemeinmass herab, indem er durch den glän-
zenden Mantel des Wunderbaren die Nacktheit des wirklichen
Menschen durchschimmern lässt, während Tasso das Mensch-
liche ins Uebermenschliche steigert, dadurch, dass er hinter dem
alltäglichen Treiben der Kreatur das Walten übernatürlicher
Mächte zeigt.
Während Tasso in den Beschreibungen mehr das Besondere
und Eigenartige unterstreicht, so betont Ariost mehr das Allge-
meine, Typische.
Puö sembrare, sagt z. B. Croce (p. 96), che la flgura di san
Giovanni sia rittratta, al modo iti cui e ritratta, per celia:
che '1 manto ha rosso e bianca la gonella,
che Tun puö al latte, Taltro al minio opporre;
i crini ha bianchi e bianca la mascella
di folta barba ch'al petto discorre ....
Ma, in fondo, con lo stesso metodo viene ritratta la bellezza
di Olimpia, obliando la castitä della donna che sarebbe parsa
richiedere altra sorta di fugurazioni o piuttosto di velamenti :
Le bellezze d'Olimpia eran di quelle
che son piü rare ; e non la fronte sola ;
gli occhi, e le guancie, e le chiome avea belle,
la bocca, il naso, gli omeri e la gola ....
„Nel Furioso, non essendovi libera energia di sentimenti,
passionali, non vi sono caratteri ma figure, disegnate bensi e
dipinte, ma senza rilievo e rotonditä, e con tratti piuttosto
generici e tipici che individuali''.
23
Und schon Jakob Burckhardt hat darauf hingewiesen (Kultur
der Renaissance in Italien, I. Aufl. p. 324 und 327): „So kann
man denn auch an Ariosto keinen falschern Maßstab legen, als
wenn man in seinem Orlando Furioso nach Charakteren suchen
geht .... Dass endlich in der Gerusalemme liberata des Tor-
quato Tasso die Charakteristik eine der höchsten Angelegen-
heiten des Dichters ist, beweist allein schon, wie weit seine
Denkweise von der um ein halbes Jahrhundert früher herrschen-
den abweicht."
Gerade das Betonen und gelegentliche Uebertreiben des Cha-
rakteristischen ist aber dem Kritiker Galilei zuwider. Ampulloso,
pedantesco! heisst es fast auf jeder Seite. Der Superlativ wird
sofort ins Lächerliche gezogen :
Mille son di gravissima armatura (I 38). D. h. mit Maschinen
und Ambossen bewaffnet, fügt Galilei hämisch hinzu.
Seinen Hass hat aber der Kritiker vor allem auf das Wort
„grande" geworfen: Avvertisco che si comincia a metter mano
alla scattola del grande per condire, come si vedrä nel progresso,
molte e molte minestre di gran capi C. III, St. 52, gran Tauri
C. III, St. 32, gran corpi C. VI, St. 23. Per gran cor, per gran
corpo, e per gran posse, gran cavalli, e di molte altre gran cose;
il quäl condimento al gusto di questo Poeta, se io non m'inganno,
e molto a proposito per far lo stil grande. (p. 67; cfr. 68, 83,;
84, 86).
Wir bewundern auch hier den Scharfblick des Kritikers, der
aber nur ein Gefühl für die Schönheit der ebenmässigen Darstel-
lung, des natürlichen Masses hat; es fehlt ihm jedoch der ent-
gegengesetzte Sinn für die Schönheit der ungebundenen Stim-
mung, des gesteigerten Gefühls.
IV. Musik — Plastik.
Der Grund der einseitigen Kritik Galileis wird uns klar, wenn
wir sehen, was für ihn das Haupterfordernis eines guten Stils
ist: „Wir haben es in der Malerei mit Zeichnung und Kolorit zu
tun, denen in der Poesie Bedeutung und Stil (la sentenza e la
24
locuzione) entsprechen. Beide Teile erzeugen zusammen mit
der Angemessenheit (il decoro) die NaturähnHchi<eit (la imita-
zione), welche die Seele und der Körper (I'anima e la essenzial
forma) dieser zwei Künste ist, und denjenigen werden wir als
den besten Dichter oder Maler bezeichnen, der mit diesen zwei
Mitteln am eindrücklichsten seine Gestalten darstellen wird/'
(Mestica p. 63 f.) Es kommt also Galilei besonders auf die male-
rische Anschauung an, und wo diese fehlt, da gibt es für ihn
keine Poesie. Dass er die Malerei ganz besonders liebt, sieht
man an den zahlreichen Vergleichen, die er aus dieser Kunst
herübernimmt.
Und so können wir die drei bisherigen Einwände unter dem
IV. Hauptvorwurf zusammenfassen, der immer wiederkehrt: Sete
un cattivo pittore, Sig. Tasso (p. 170) — Pittor gretto e meschino
(p. 165) — veramente, caro mio Sig. Tasso, non si puö negare,
che voi sete un pittorino poverino (164). Voi non sapete dipinger,
sig. Tasso, non sapete adoperare i colori, non i pennelli, non sa-
pete disegnare, non sapete far questo mestiere. (p. 162 cf. 142),
Im Rasenden Roland findet Galilei eine glänzende Bestätigung
der Ansicht, dass die Schönheit einer Dichtung in der maleri-
schen Anschaulichkeit besteht. Der plastische Sinn Ariosts zeigt
sich in allen seinen Beschreibungen, die oft wie Skulpturen oder
Gemälde wirken.
Wie Statuen erscheinen uns Angeiica und Olimpia im Augen-
blick, wo sie nackt auf dem Felsen ausgesetzt sind. Der Dichter
hat so Freude an dieser Beschreibung, dass er die gleiche Situa-
tion zweimal wieder auftauchen lässt. Und aus der Fülle der
Gemälde sei das kleine Bild erwähnt, (das Fradeletto I zitiert,
p. 874), in welchem jedes Reimwort gleichsam ein Pinselstrich
ist:
Vide venir per mezzo un prato erboso
Che d'un piccol sentiero era segnato,
Una donzella di viso amoroso
In compagnia d'un monaco barbato
E si traeano dietro un gran destriero
Sotto una soma bardato di nero.
25
Das vorwiegend plastische Interesse äussert sich auch in den
vielen Wendungen und Vergleichen, die dem Bereich der bilden-
den Kunst entnommen sind:
Creduto avria che fosse statua finta
O d' alabastro o d' altri marmi illustri. (10,95).
Ed in un gran pensier tanto penetra.
Che par cangiato in insensibil pietra. (1,39.)
Fermossi in atto ch' avria fatto incerto
Chiunque avesse vista sua figura,
S'ella era donna sensitiva e vera,
O sasso colorito in tal maniera. (8,38.)
Restär per alcun di si sbigottite,
Che statue immote in lito al mar pareano. (10,12.)
(cfr. 1, 49, 52; 3,3—4; 76; 7, 18; 14, 35; 43, 34; 44, 65; 45, 46.)
Von dem allem findet man in der Tat wenig bei Tasso; man
findet aber hier etwas, das bei Ariost fehlt*): musikalische Fülle.
Dass Galilei das nicht als einen Vorzug erwähnt, zeigt nur, dass
er nicht musikalisch ist, und das wird dadurch bestätigt, dass
er sich darüber aufhält, dass im Garten Armidas die Blätter und
Bächlein singen (garrir). Dass das Rauschen der Blätter zu-
sammen mit dem Gesang der Vögel einen zweistimmigen Gesang
ergebe, sei eine dumme Erfindung, man könne sich dabei gar
nichts vorstellen.
Bei der Stelle:
Ed adombrato il ciel par che s'anneri
Sotto un immenso nuvolo dl strali,
steht die Bemerkung:
Con quanta maggior leggiadria disse l'Ariosto :
Grand' ombra d'ogni intorno il cielo involve
Nata dal saettar deUi due campi. (p. 169.)
Wo doch unzweifelhaft die Pracht des Ausdrucks und die
musikalische Schönheit auf Seiten Tassos liegt.
*) Abgesehen von vereinzelten Stellen, die im allgemeinen von wirk-
licher Musik sprechen, findet man bei Ariost nur Bezeichnungen für Lärm
(rumoi-, ribombar etc.)
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Vergeblich würde man im Orlando furioso nach einer Stelle wie
die folgende suchen:
Sommessi accenti e tacite parole,
Rotti singulti e flebili sospiri
De la gente ch'in un s'allegra e duole,
Fan che per l'aria un mormorio s'aggiri
Qual ne le folte selve udir si suole,
S'avvien che tra le frondi il vento spiri;
O quäle infra gli scogli, o presso ai üdi
Sibila il mar percosso in rauchi stridi. (JII6.)
Bewundernswert sind nicht nur die Menge und Feinheit der
Klangbezeichnungen und die Verschmelzung der verschiedenarti-
gen Klänge in einem Gesamtakkord, sondern auch die gehäuften
Vergleiche, die hier den Gehörseindruck verstärken. Solche laut-
liche Vergleiche sind ebenso häufig im Befreiten Jerusalem wie
die malerisch-plastischen im Rasenden Roland.
Besonders eindrückliche Vergleiche sind folgende: die Stimme
Tankreds wird der Klage einer Nachtigall verglichen, der die
Jungen geraubt wurden; bei der Wegfahrt Rinaldos beginnt Ar-
mida ihre Ueberredung mi,t leis-verschleierter Stimme, wie der
Sänger, der die Seelen der Zuhörer auf den hellen Gesang vor-
bereitet durch ein halblautes einschmeichelndes Präludieren —
quäl musioo gentil, prima che chiara — altamente la voce al canto
snodi, — a Tarmonia gli animi altrui prepara ^ con dolci ri-
cercate in bassi modi. (V 28, VI 38, VII 55 XII 90, XVI 43, XX 2.)
Das Vorherrschen der akustischen Empfindung zeigt sich schon
in ganz kleinen aber um so bedeutsameren Eigenheiten : wenn^
z, B. verschiedene Sinneseindrücke nebeneinander erwähnt w'er-
den, so kommt meistens der akustische voran, auch wenn wie
beim Blitz die natürliche Reihenfolge umgekehrt ist:
(Tuono e lampo V27, suoni e risplenda 136, intesi o visti
IV 5, sonanti e torbide procelle IV 18, il suono e '1 moto de l'onde
XII 63; cfr. IV 13, VII 3, Vlü 14, IX 23, XI 86, XIV 64, XVI 28,
XVII 21, XIX 47) ; die Leute werden auch eher am Klang der
Stimme als an der äusseren Gestalt erkannt. (VII 99 etc.)
Doch die hervorragend musikalische Begabung Tassos zeigt
sich, abgesehen vom Wohlklang der Stanzen, die oft mehr aufs
27
Ohr als auf die Vorstellungskraft wirken, vor allem darin, dass
eine ununterbrochene Orchesterbegleitung der ganzen Handlung
folgt. (Siehe Fradeletto II p. 198.) Auf dem Marsch gegen Jeru-
salem hört man das Klirren der Waffen, das Zusammenschlagen
des Bogens mit dem Köcher auf dem Rücken (I 50), das Aechzen
des Meeres unter der Last der hohen Schiffe (I 79), beim ersten
Erscheinen Jerusalems erhebt sich ein einziger Freudenschrei,
der sich in Seufzen und Klagen auflöst beim Andenken an den
Tod des Erlösers. Am frühen Morgen hört man das Erwachen
des Lagers :
Ancor dubbia Taurora, ed immaturo
Ne Toriente il parto era del giorno ....
Stava tra i rami ogni augellin securo ;
E in selva non s'udia latrato o corno;
Quando a cantar la mattutina tromba
Comincia A Tarme; A Farme, il ciel rimbomba.
A l'arme, a Farme, subito ripiglia
II grido universal di cento schiere ....
Man rüstet sich zum Kampf. Die Anführer feuern die Truppen
an. Ein schmetternder Schlachtengesang erhebt sich, dem der
heidnischen Hörner barbarisches Heulen antwortet. (XX 29 — 31.)
Der Bogen wird gespannt, schon klirrt die Sehne, schon zischt
der Pfeil. Das Kampfgetümmel beginnt. Wie Sturmesläuten
klingen die Schläge der Schwerter. Entsetzliches Heulen steigt
auf zum Himmel und dem Wiehern der Pferde, dem Donnern
der Hufe, dem Krachen der fallenden Balken antwortet das
Brüllen der Abgründe. (1X23, 21.) Ein rasender Sturm erhebt
sich. Zelte werden zerrissen, Pfähle zerschmettert:
La pioggia a i gridi, a i venti, a i tuon s'accorda
D'orribile armonia che '1 mondo assorda. (VII 122.)
So tönt die fürchterliche Schlachtensymphonie, bis die Nacht
heraufsteigt und die Welt mit dem dunkeln Schrecken ihrer
Flügel bedeckt. (XI 82.) Auf dem Felde liegen die Opfer des
Kampfes : das Pferd bei seinem Herrn, Freund bei Freund,
Freund bei Feind, Sieger beim Besiegten. Non v'e silenzio, e non
v'e grido cspresso ; — ma odi un non so che roco e indistinto ;
28
— frcmiti di furor, mörmori d'ira, gemiti di chi langue e di cht
spira. (XX 51.)
So beherrscht der Dichter das Reich der Töne von der heim-
lichen Musik des Schweigens (Pamico silenzio de le stelle II 95,
IV 65) bis zur mächtigsten Klangentfaltung im Sturm, vom Toben
der Höllengeister bis zum seligen Chorgesang der himmlischen
Heerscharen. (AI gran concerto de' beati carmi — lieta risuona
la Celeste reggia (IX 58), vom wilden Geschrei des Aufruhrs
(VIII 75) bis zur feierlichen Litanei der Prozession:
Segue il coro a passo grave e lento,
In duo lunghissimi ordini diviso.
Alternando facean doppio concento
In supplichevol canto e in umil viso. (XI 5.)
Und wunderbar lässt Tasso die mächtige Orgel der Natur
in das Leben der Menschen hineinspielen,
als heilige Kirchenmusik:
Cola s' invia l'esercito canoro,
E ne suonan le valli ime e profonde
E gli alti colli e le spelonche loro,
E da ben mille parti Eco risponde;
E quasi par che boscareccio coro
Fra quegli antri si celi e in quelle fronde;
Si chiaramente replicar s' udia
Or di Crlsto il gran nome, or di Maria (Xt 11);
als heulende Begleitung der Schlacht:
Van gridi orrendi al cielo, e de' cavalli
Co '1 suon del calpestio misti i nitriti.
Gli alti monti muggir, muggir le valli,
E risposer gli abissi a i lor muggiti (IX 21);
als Seufzen der Kreatur:
Passa piü oltre, ed ode un suono in tanto
Che dolcissimamente si diffonde:
Vi sente d'un ruscello il roco pianto,
E '1 sospirar de l'aura infra le fronde,
E di musico cigno il flebil canto,
E l'usignol che plora e gli risponde:
Organi e cetre, e voci umane in rime;
Tanti e si fatti suoni un suono esprime (XVIII 18).
29
als unheimliche Drohung:
Esce allor de la selva un suon repcnte,
Che par rimbombo di terrcn che treme;
E '1 mormorar, de gli austri in lui si sente
E '1 pianto d'onda che fra gli scogli gerne.
Come ruggia il leon, fischia il serpente,
Come urla il lupo, e come I'orso freme,
V odi, e v' odi le trom'be, e v' odi il tuono
Tanti e si fatti suoni esprime un suono (XHI 21);
als tröstlichen Gesang:
Non si desto sin che garrir gli augelli
Non senti lieti e salutar gli albori,
E mormorar il fiume e gli arboscelli,
E con l'onda schcrzar l'aura o coi fiori (VII 5);
als einschmeichelnde Harmonie:
Vezzosi augelli infra le verdi fronde
Temprano a prova lascivette note.
Mormora l'aura, e fa le foglie e l'onde
Garrir, che variamente ella percote.
Quando taccion gli augelli alto risponde;
Quando cantan gli augei, piii lieve scote;
Sia caso od arte, or acca^mpagna, ed ora
Alterna i versi lor la music' ora.
Tacque; e concorde de gli augelli il coro,
Quasi approvando, il canto indi ripiglia.
Raddoppian le colombe i baci loro;
Ogni animal d'amar si riconsiglia:
Par che la dura quercia, e '1 casto alloro,
E tutta la frondosa ampia famiglia,
Par che la terra e l'acqua e formli e spiri,
Dolcissimi d'anior sensi e sospiri. (XVI 12, 16).
Und wir sehen : immer steht die Musik der Natur im Einklang
mit der Seele des Menschen. Feierlich erhaben tönt sie wäh-
rend der Prozession, schauerlich und wild während der Schlacht.
Um Erminia herum tönt's sehnsüchtig und rein — lockend und v
sinnlich dagegen in der Nähe Armidas. So wird alles in Tassos -'
Werk von musikalischer Empfindung durchdrungen. ,,Die Seele
des Dichters, sagt deSanctis p. 167, liegt nicht in den Dingen, son-
dern in ihrem Klang, und den Gehörswirkungen zu lieb wird gar ^
oft die Klarheit der Anschauung beeinträchtigt, doch die zauber- |
hafte Schönheit der musikalischen Strömung reisst den Hörer |
30
i
mit und trägt ihn über alle Unebenheiten hinweg. Das Musikali-
sche bei Tasso ist kein äusserliches Effektmittel, sondern ein
Unnennbares, das aus der Seele quillt und auch unmittelbar auf
die Seele wirkt/'
V. Der sentimentale und der sachliche Mensch.
Wir haben bis jetzt unser Augenmerk vor allem auf die for-
malen Werte unserer Dichtungen gerichtet, worunter wir alles
verstehen, was zur äusseren Erscheinung des Kunstwerks gehört.
Wenn wir uns nun den inhaltlichen Werten zuwenden, zu denen
vor allem die Grundstimmung des Kunstwerks gehört, deren
Basis das Lebensgefühl, der Charakter, die Weltanschauung des
Dichters bildet, und in die alle Einzelstimmungen und Einzelge-
danken einmünden, die sich in den Helden und Naturbildern ver-
körpern, so fällt uns bei Ariost von vornherein auf, wie stark das
Seelenleben seiner Helden auf die Aussenwelt eingestellt ist.
L'arme, gli amori werden am Eingang als die Hauptgegenstände
der Dichtung genannt. Beide sind möglichst konkret, möglichst
„aussenweltlich" aufzufassen: auf der einen Seite die Freude am
Klirren der Waffen, das Streben nach äusserer Macht, auf delt^
andern die Oier nach einem schönen Frauenleib. Beide Gegen-
stände sind aber gleich wichtig. Es geht nicht an, die ganze
materia di guerra zugunsten der materia d'amore zurückzusetzen
mit der Bemerkung, Ariost habe die Ritterschaft nur des Spottes
wegen in seine Dichtung hineingezogen. Spott finden wir aller-
dings übergenug in Ariosts Dichtung, aber er ist vor allem gegen
das Uebernatürliche gerichtet, und gerade in ihm sehen wir eine
sublimierte Form von Ariosts persönlicher Streitlust. Wie stark
ritterlicher Geist und Kampfeslust zur Zeit Ariosts die Gemüter
erfüllte, zeigt uns Cardiicci in seinen Studj su Lud. Ariosto e Tor-
quato Tasso (p. 291 ff.). Er weist auf die Schlacht von Marignano
hin, die ganz an den Orlando erinnere.
Ariosto sei so weit von Verspottung des ritterlichen Ideals entfernt
gewesen, dass er voll Ingrimm die Feuerwaffen und Kanonen verfluchte,
die doch der Stolz seines Herzogs waren. Und wie kann man von ironi-
schen Absichten sprechen bei einem Dichter, der Karl den Grossen, den
die Krämer von Florenz zum Gespött des Gassenvolkes machten, wieder
31
zum majestätischen Herrscher und würdigen Helden erhebt, der aus
dem närrischen Astolfo Boiardos einen abenteuer- und reiselustigen Ritter
macht, der als kaltblütiger Engländer den Pforten der Hölle und des
Himmels trotzt und der als würdig genug erfunden wird, bei der Heilung
Rolands das Werkzeug der Vorsehung zu spielen. Und wie kann man
Ironie suchen bei der meisterhaften Beschreibung des schrecklichen Wahn-
sinns, der die Strafe ist für die Liebessünde des christlichen Ritters.
Wer spürt nicht den Schauer der Grösse bei dem letzten Kampf der drei
Sarazenenkönige mit den drei Paladinen und den Schauer des Mitleids
bei dem Tod Brandimartes:
Padre del ciel, da fra gli eletti tuoi
AI martir tue fedel omai ricetto?
So wird man die Schönheit des Orlando furioso nur ganz
geniessen, wenn man mit knabenhafter Freude den Kampfszenen
beiwohnen kann, die mit unnachahmlicher Meisterschaft abge-
wandelt werden. Wir erleben Einzelkämpfe, Massenkämpfe,
Kämpfe zu Pferd, zu Fuss, mit Waffen, ohne Waffen, am hellen
Tag, in der Nacht, auf ebenem Boden, auf engem Brücklein mit
nachfolgendem Sturz ins Wasser usw. Mit welchem Interesse
werden die einzelnen Hiebe verfolgt! Um nur auf einen Kampf
hinzuweisen, wie realistisch wird der Kampf zwischen Rug-
giero, Marfisa und Bradamante im Wäldchen geschildert! Man
wird unwillkürlich an den Kampf der zwei Dienstmägde um den
Meisterknecht in Uli der Knecht (Kap. 9) erinnert. Bradamante
winkt ihrem treulosen Geliebten, abseits in ein Wäldchen zu
kommen zwecks intimer Aussprache. Uersi will auch eines
Abends eingehend mit Ueli im Stalle sprechen. Draussen hört
inan Schritte, es ist Stini, die Rivalin, die das Stelldichein stören
will. So kommt unerwartet und unerwünscht Marfisa ins Wäld-
chen, bevor eine Aussprache stattfinden konnte.
Quanto sua giunta ad ambi sia molesta,
Chi vive amando il sa senza ch'io '1 scriva.
Bradamante stürzt sich wie eine Wildkatze auf Marfisa, in
der sie eine Rivalin wittert; mit der Zauberlanze Astolfos wirft
sie die Gegnerin auf den Sand. Marfisa steht voller Wut wieder
auf und zwischen den beiden Kriegerinnen entbrennt ein erbit-
terter Kampf. Bei Gotthelf fällt die herbeischlcichende Stini in
die Jauchegrube, die wahrscheinlich durch Uersi in Ermange-
32
lung einer Zauberlanze offengelassen wurde; sie wird in schauer-
licher Fassung hervorgefischt, stürzt wie eine Hyäne auf Uersi
los, und ein unförmlicher Knäuel wälzt sich am Boden herum.
Ruggiero und Uli wollen die Kämpfenden, die sich mit Fuss-
tritten und Faustschlägen traktieren, -a pugni c a calci -trennen,
aber sie kommen schön an, fast wären sie von den wütenden.
NX^cibern zerrissen worden, da legt sich bei Gotthelf der Meister
ins Mittel, und bei Ariost ertönt aus dem Grab die Stimme eines
Ahnen, die die Kämpfenden auseinandertreibt (36, 42 ff.).
Das zweite Hauptthema neben den cavalier, arme und au-
daci imprese sind le donne, gli amori, le cortesie. Nach B. Croce
ist die materia d'amore im Orlando viel wichtiger als alles andere.
Aber auch Croce betont, dass die Liebe bei Ariost keine meta-
physische Sehnsucht nach Verschmelzung, sondern das anima-
lisch-natürliche Begehren nach einem schönen Frauenleib ist.
Nicht die Seele der Geliebten ist der Anziehungspunkt, sondern
le leggiadre e belle membra sue. (34, 21.)
Das Weib ist nichts als ein schönes, grausames und fal-
sches Tier. Und weil es nur Genussobjekt nicht Seelengefährte
ist, so legt der Mann seine Ehre darein, dieses sein Eigentum
nicht von andern antasten zu lassen. Daher die grosse Rolle
die im Orlando die Eifersucht spielt. Man könnte das Epos
geradezu den Roman der Eifersucht nennen. Aus Eifer-
sucht wird Roland wahnsinnig. Aus Eifersucht verlässt Rinaldo
das Heer Karls, und die Eifersucht verkörpert sich in dem Un-
geheuer mit den tausend Augen, die sich nie schliessen können,
mit den tausend Ohren, die immer lauschen müssen, mit den
Haaren, die v.ie Schlangen immer Gift sprühen, mit dem lind-
wurmähnlichen Schwanz, der sein Opfer umschlingt und lähmt;
sogar der Held Rinaldo kann sich nicht dagegen wehren (42,
41 fi.). Wie bitter Ariost selber unter der Eifersucht gelitten,
wird aus seinem Leben bezeugt, und wir hören's am schrillen
Klang der Worte :
Credete a chi n'ha fatto esperimento,
Che questo e M duol che tutti gli altri passa. (23, 112.)
Bei Männern, denen die Fraueniiebe nur als animalischer
Trieb gilt, spielt die Freundschaft eine umso grössere Rolle.
Spoerri, Renaissance u. Barock :; ' 33
Dafür haben wir ergreifende Beispiele im Orlando. Zerbino hat Ge-
legenheit sich am Verräter Odorico zu rächen, der ihm und seiner ge-
liebten Isabella so viel Leids angetan hat, aber
il ricordarsi Famicizia stretta
ch'era stata tra lor per sl lungo uso,
con 1' acqua di pietä l'accesa rabbia
nel cor gli spegne, e vuol che merce n'abbia.
(24, 34)
Erschütternd ist auch das Leid, das Roland um den gefallenen Freund
Brandimarte trägt
Neben Kriegslust und Liebe spielt aber noch ein anderes Ele-
ment eine grosse Rolle, das im allgemeinen nicht genügend
beachtet wird : es ist die knabenhafte Freude am Auspacken
von allerlei Sachkenntnis.
Dieses intellektuelle Interesse äussert sich auch in einem
Stilmittel, das einen Gesamteindruck vermittelt, indem es eine
Menge von Dingen nebeneinander aufzählt:
Onde l'orrenda furia si contempli
ch'a pugni, ad urti, a morsi, a graffi, a calci
cavalli e buoi rompe, fracassa e strugge. (24, 7.)
Mirti e cedri e naranci e lauri il loco,
e mille altri soavi arbori han pleno.
Serpillo e persa e rose e gigli e croco
Spargon . . . tanta suavitä. (18, 138; cfr. XII 3 etc.)
Ein Auskramen von Wissen ist oft auch das ausführliche Her-
anziehen gewisser Bilder aus der Natur und dem täglichen Leben,
die übermässige Verwendung klassischer Vergleiche und An-
spielungen, die geographische Genauigkeit der Reisebeschrei-
bungen, die technisch vollkommenen Schilderungen aus allerlei
Lebensgebieten. (Schiffahrt etc.)
All dieses äusserlichc Geschehen: die Serien von Abenteuern,
die Kampfszenen und Verfolgungen, die Liebesdramen und Reise-
bilder, die Verwandlungen und Sehenswürdigkeiten, könnten uns
fast an einen Kinematographen erinnern, wenn nicht die Leiden-
schaft des Dichters alles durchdränge und mit künstlerischer
Schönheit überstrahlte. Es ist hier der Ort, einem Schlagwort
entgegenzutreten, das fast allgemein auf Ariost angewandt wird,
34
das Wort von der Leidenschaftslosigkeit des wahren Dichters.
B. Croce wird nicht müde zu wiederholen, dass ohne innere An-
teilnahme kein Kunstwerk zustandekommt, am allerwenigsten ein
Orlando furioso. Was aber jenem Schlagwort Nahrung gegeben
hat, ist, dass Ariost alle Sondergefühle zu einer grossen und
stillen Harmonie abgedämpft hat. Diese Verschmelzung der
Einzelgefühle in eine Orundstimmung ist zugleich das Ali-
gemeinste und Persönlichste einer künstlerischen Schöpfimg. Hier
liegt die eigenartigste Schönheit Ariosts, in die alle Einzelschön-
heiten einmünden, jenes Unaussprechliche, das man die divinitä
Ariosts nennt, oder wie B. Croce sagt: il cuore del suo cuore.
Es ist die apollinische Kühle, die wie das Auge Gottes dem
Treiben der Kreatur zuschaut, alles mjit gleicher Liebe überstrah-
lend, ob gut oder schlecht, ob gross oder klein, ob Mensch oder
Sandkorn, dieser festlich-heitere Glanz, diese himmlische Ruhe,
die sich in den ,, klaren und stillen Gewässern der Stanzen
spiegelt'S die sich zeigt in der Ebenmässigkeit der Beschrei-
bungen, in der unverzerrten und leidenschaftslosen Darstellung
der ruhig beobachteten Dinge und in all den bisher genannten
Stilni(itteln. Und um so wirkungsvoller ist diese Ruhe, als sie
ein bewusstes Zurückhalten starker Gefühle ist.
Nicht, dass wir bei Ariost ein Naturgefühl wie bei Tasso und den Ro-
mantikern fänden, wir spüren aber doch in seiner Darstellung eine Er*-
griffenheit durchklingen, die ihn erfasst vor der Pracht und Majestät der
Naturordnung. Dieses kosmische Gefühl äussert sich in all den wunder-
baren Beschreibungen des Sonnenaufganges. Und auch sonst spricht aus
den Naturbildern ein tieferes Gefühl. Ich erinnere nur an die Beschrei-
bung der brütende^ Hitze und an die zwei Zeilen über die Nacht:
Quando la Notte fra distanzie pari
Mirava il ciel con gli occhi sonnolenti. (18, 167.)
(Als die Nacht, die in gleichem Abstand zwischen Abend und Morgen
ruhte, den Himmel anschaute mit den schlaftrunkenen Augen.)
Werden wir nicht an Möricke's „Um Mitternacht" gemahnt:
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Aui^e sieht die »oläne Wage nun
Der Zeil in gleichen Schalen stille ruhn . . .
35
Und spricht nicht ein inniges Gefühl aus der Licbesklage Bradamantes,
deren Kehrreim: Deh, torna a me Ruggier . . . zuletzt symbolisch ge-
steigert im (jeliebtcn selber Sonne und Frühhng anruft:
Deh torna a me, mio Sol, torna e rimena
La dcsiata dolcc prima\'era! (45, 39.)
In wie viel Steilen stossen wir nicht auf tragische Konflikte,
deren Gefühlskraft jeden andern Dichter überwältigt hätte! Liegt
nicht der ganze Stoff von Corneilles Horace in dem Entschei-
dungskampf zwischen Ruggiero und dem Bruder seiner Geliebten.
Und werden wir nicht an Siegfrieds Kampf mit Brünhilde er-
innert, wenn wir Ruggiero in der Rüstung des Brautwerbers Leo
gegen seine eigene Geliebte kämpfen sehen. Wie ergreifend ist
die Geschichte Fiordiligis, die für ihren Mann zittert und den
heimkehrenden Helden am Gesicht abliest, dass Brandimarte
nicht mehr lebt. De Sanctis pflegte bei solchen Stellen, wie Croce
berichtet, seinen Schülern zu sagen : ,,Vedete quanto cuore aveva
TAriosto!" Doch er fügte gleich hinzu: Er lässt es aber nie
zur tragischen Erschütterung kommen, die mit dem Ton seines
Gesangs unvereinbar gewesen wäre. Und dieses beständige Sich-
wiederfinden trotz den grössten Erschütterungen erklärt manche
sonst unverständliche Züge. Man folge nur irgend einem Bruch-
stück der Handlung z. B. dem Zug Fiordiligis mit Brandimarte
im 31. Gesang, oder dem Sterben Isabellas, oder der nächtlichen
Expedition Medoros, und achte darauf, wie sehr man immer in
die Handlung hineingerissen wird und im Augenblick, wo die
Rührung überhand nehmen will, durch einen Rippenstoss er-
nüchtert wird, sei es in Form einer schalkhaften Anspielung, einer
komisch gezeichneten Situation, eines kühl ausgeführten Bildes,
einer allgemeinen feierlich-spöttischen Betrachtung. Trotz aller
Leidenschaftlichkeit findet Ariost immer wieder das (jleich-
gewicht der Seele, und nichts ist erquickender, als das Lächeln,
mit dem der Künstler Ariost auf des Menschen Ariosis vergeb-
liches Jagen und Treiben herabschaut; es zeigt sich vor allem
in jener Stelle, die berichtet, wie Astolfo auf dem Monde findet,
was auf Erden verloren ging. Dort findet er in einem engen
Tal die Tränen und Seufzer der Liebenden, die Zeit, die man
beim Spiel \crliert, die Träiune, die keine Erfüllung fanden und
36
die vergeblichen Wünsche, deren es, ach! so \iele gibt. Als
goldene Angeln findet Astolf die Geschenke, die man hohen
Gönnern machte und denen keine Gegenleistung folgte. Als
grosser Haufen ausgegossener Suppen, die früher angenehm duf-
teten und jetzt übel stinken, liegen dort die Almosen, die man
machte, um ewige Seligkeit zu erlangen, auch die Schenkung Kon-
stantins an den guten Papst Sylvester ist dabei. Leimruten liegen
in Menge da, das sind, oh Frauen!, eure Schönheiten. Noch vieles
wäre zu erwähnen, nur Verrücktheit ist gar wenig zu finden, die
bleibt gewöhnlich unten auf der Erde. In Flaschen wohlverschlos-
sen findet Astolfo den Geist, den die einen im nutzlosen Lieben
verloren, die anderen im Streben nach Ehre, im Jagen nach
Reichtum, im Buhlen um die Gunst hoher Herren. Der Geist der
Astrologen und Sophisten, vor allem aber der Poeten ist reichlich
dort oben vertreten. (34, 73 ff.) Astolfo nimmt mit dem Verstände
Rolands zugleich den eigenen Geist mit, den er auf abenteuer-
lichen Fahrten verloren, und auch dem Leser ist, er hätte bei*
dieser Gelegenheit seine Vernunft wiedergefunden, und er hat
nun die feste Absicht, sie nicht mehr in vergeblichem Sehnen und
in nutzlosem Streben zu verlieren, sondern fröhlich im ruhigen
Genuss der allgegenwärtigen Schönheit des Diesseits sie anzu-
wenden. Die Worte, die Rodin über Phidias sagt, geben genau
den Eindruck der Dichtung Ariosts wieder:
L'ari anlique signifie bonheur de vivre, quieiude, gräce, equilibre,
raison. (Rodin p. 244.)
All diese Eigenschaften vermisst Galilei an Tasso. Das ist
sein 5. Hauptvorwurf. Es ist auch der letzte, den man erwähnen
kann; denn, was Galilei sonst noch an Tasso herumnörgelt, ist
nichts als ein Ausfluss seiner persönlichen Gereiztheit, die an
Dingen Anstoss nimmt, über die ein unvoreingenommener Leser
hinweggeht. Wenn wir aber bei den formellen Aussetzimgen Ga-
lilei's die Schärfe und halbe Richtigkeit bewunderten, so müssen
wir hier bei der inhaltlichen Kritik feststellen, dass Galilei völlig
auf Irrwegen geht. Er hat das dunkle Gefühl, einem fremden
Wesen gegenüberzustehen, und anstatt sich zu sagen, seine Kom-
petenz reiche nicht aus zum Verständnis, schlägt er sinnlos mit
seinen hölzernen Wahrscheinlichkeits- und Anstandsmaßstäben
37
um sich. Seine Angriffe sind hier durchwegs lächerHch und ver-
kehrt. Oder ist es nicht lächerHch, wenn der Mathematiker aus-
rechnet, dass auf acht Meilen Entfernung man kein Gesicht genau
erkennen kann? Manca di verisimile! Aber seit w^ann kümmern
sich Dichter von der Richtung Tassos um Wahrscheinlichkeit?
Ist es nicht verkehrt, wenn der Kritiker sich entrüstet, dass
fünfzig christliche Ritter bei Nacht und Nebel das Lager ver-
lassen, um wie geile Hunde der Armida nachzustreichen, oder
wenn er den armen Tankred, wo immer er auftritt, mit einer
Flut von Schimpfwörtern überschüttet, das eine Mal, weil er
sich sterblich verliebt in ein Frauengesicht, das er nur flüchtig
gesehen, das andere Mal, weil er das Kämpfen vergisst ob dem
Anblick der Geliebten usf. Manca di decoro! Seit wann haben
die Dichter den Vorschriften des Anstands und des Heldenkom-
ments zu gehorchen? Nein, mit verisimile und decoro fabri-
ziert man eine Gerusalemme conquistata, aber nimmermehr eine
Gerusalemme liberata! Hier braucht sich Tasso nichts dreinreden
zu lassen, hier steht er auf eigenem Boden. Schon die rein musi-
kalische Form bedeutet eine Ablösung von der hellen Alltagswelt
Galileis, ein Hinausfahren aufs dunkle Meer der Leidenschaft, ein
Suchen nach fremden, dämmerschönen Sehnsuchtswelten. Und
wenn wir von hier aus auf die äusserliche Welt-Wirklichkeit zu-
rückschauen, so erscheint sie in einem ganz anderen Lichte.
Bei Ariost bekam alles Innerliche eine körperliche Festigkeit,
bei Tasso nehmen sogar die Aussendinge seelischen Charakter
an. Das zeigt sich vor allem in Tasso's Naturgefühl. Die Natur
ist so reich, dass sie jedem Menschen bieten kann, was seine
Seele sucht. Und wenn Ariost, der sie mehr von aussen anschaut,
in ihr schöne, ruhige Formen fand, so sieht Tasso, der sie mehr
innerlich durchfühlt, ihr Werden und Vergehen, ihr Blühen,
Schwellen und Verwelken. Im Garten Armidas ist ein solcher
Drang zu leben und zu geniessen, dass auf den Bäumen, am
gleichen Ast die neuen Früchte wachsen, während noch die alten
absterben, was Galilei eine debolezza di cervello nennt. (Mestica
161.) Während der Garten Alcinas mit seinen culte pianure e
delicati colli, chiare acque, ombrose ripe e prati molli an den
Park von Versailles erinnert, so müssen wir beim wild wachsen-
38
den Naturgarten Armidas (naturali gli ornamenti e i siti) unwill-
kürlich an den englischen Garten, der zu Rousseaus Zeiten als
ein Vorläufer der Freiheit den französischen Garten des ancien
regime verdrängte, denken. Vollends mahnen an Rousseau die
Worte und das Gebaren des alten Hirten, der sich flüchtete vor
der äusserlichen Kultur der Höfe ans Herz der alliebenden Mutter
Natur. Rückkehr zur Natur! predigen Tasso und die Romantiker,
sie meinen Rückkehr zur Seele, zu sich selbst, aus der lärmenden
Zerstreuung der Welt, und die Natur ist nur der grosse Reso-
nanzboden, der dem Gesang der Seele unendliche Tiefe und
Weite verleiht. Die Naturerscheinungen sind nur ein äusseres
Bild für innere Vorgänge.
Um nur ein Beispiel anzuführen: Man lese im 13. Gesang die Beschrei-
bung der Hitze, die wie ein lähmender Druck auf allem Tun der Menschen
liegt. Und teuflische Mächte hindern vollends das Vorhaben des Heeres.
Alle Tätigkeit steht still, die ganze Welt scheint unter dem glühenden
Himmel zu verdorren. Da steigt das Gebet Gottfrieds zum Trone Gottes.
Es findet Erhörung. Wolken bedecken den Himmel, ein frischer Wind be-
ginnt zu wehen und nun rauscht herunter die erfrischende Flut des
Regens. Wie köstlich ist das Bild der Enten, die freudig in den kühlen
Tümpeln herumschnattern, wie fühlt man doppelt wohltuend die Er-
quickung nach schwüler Hitze und voll freudiger Hoffnung nach mutloser
Ermattung beginnt man die neue Arbeit. Ist das nicht ganz Goethes
Meeresstille und Glückliche Fahrt?
Nicht nur die Natur wird in seelische Vorgänge aufgelöst,
auch die andern Geschehnisse des äusseren Lebens bekommen
geistige Färbung.
Bei Ariost ist der Kampf ein Aufeinanderplatzen zweier Rü-
stungen, wobei die Sprödigfkeit der Lanze, die Härte des Schildes,
die Stärke des Armes und die Widerstandskraft des Pferdes die
Hauptrolle spielen, wo das Hauptinteresse den herumfliegenden
Splittern und abgehauenen Köpfen und GUedern gilt. Bei Tasso
ist der Kampf ein Ringen zweier Geister, Die Geschicklichkeit
gibt den Ausschlag. Wir wohnen nicht einem Lanzenbrechen,
sondern einem Fechtturnier bei, wo Finten und andere Kunst-
griffe angewandt werden. Molto egli opro col senno e con la
mano. „Senno'' kommt zuerst. Der Geist wird siegen, ruft Gott-
fried seinen Kämpfern zu vor der Entscheidungsschlacht. Und
39
erstaunlich iiäufi^ kommen Beratungen, Diskussionen, Ueber-
redungsversuche vor, als seien die materiellen Waffen eines wah-
ren Kämpfers unwürdig. Mit Wehmut denkt man in unsem
Tagen daran, dass sich hier eine Entwicklung zeigt, die schon
im Parzival angebahnt wird, wo das weltliche Rittertum durch
ein geistiges ersetzt wird, eine Entwicklung, die unabweisbar
dazu führen muss, dass alle Kämpfe nur noch auf geistigem Boden
sich abspielen, ohne Bauchaufschlitzen und Schädelzertrümmern.
Tassos Diskussionslust erinnert wieder an Rousseaus Schriften,
die wie gewaltige Positionsgeschütze noch heutzutage die Grund-
lagen unserer Kultur erschüttern.
Auch das Reisen bei Tasso ist nicht ein neugieriges Umher-
schweifen in der Welt, sondern ein Wandern nach fernen Selig-
keitsinseln. Die Reise Karls und übaldos nach dem Innern der
Erde ist ein typisches Symbol für die Versenkung ins eigne Innere.
Und so wenden wir uns ganz ab von der Aussenwelt und wan-
dern mit dem Dichter in das Innere der Seele. Die Häufigkeit
von Ausdrücken wie internarsi, immergersi, raccolto in se,
ristretto in se, rivolto in se, wird jedem Beobachter auffallen als
Symptom von pathologisch gesteigerter Introversion. Es ist be-
kannt, wie sich die geistige Krankheit im Leben Tassos geäussert
hat. An Rousseaus Verfolgungswahn sei nur im Vorbeigehen er-
innert.
Ich sehe etwas Krankhaftes auch in dem Trieb zur Verstellung, der im
Befreiten Jerusalem öfters zutage tritt (Erminia in der Rüstung Clo-
rindas, Vafrino als Morgenlander), und der sich zu theatralischer Tragik
gesteigert hat in jener erschütternden Komödie, die Tasso spielte, als
er im Kleid eines Bettlers durch Italien zog und bei der Schwester in
Sorrent um Almosen bat. (Rousseau im Armenicrkleid!)
Auch der Hang zur Grösse ist ein mehr oder weniger krank-
hafter Auswuchs des gesteigerten Innenlebens.
Doch die Wanderung durch die inneren Räume der Seele
führt nicht nur an gefährlichen Abgründen vorbei, sie deckt uns
Schätze auf, die wir nimmermehr an der Oberfläche gefunden
hätten. Die Welt der Gefühle ist das Königreich Tassos, sagt
de Sanctis, durch die Oberflächenschönheit Ariost's dringt der
Dichter hinein in das Reich der Seele, aus der ungeahnte Klänge
40
heraufsteigen (p. Iö6). Das macht den Dichter des Befreiten Je-
rusalems zum unnachahmHchen Schilderer der Frauenseele. Man
braucht nur auf die Entwicklung Armidas hinweisen.
Als Werkzeug der Hölle kommt sie, Rinaldo zu verderben, und un-
versehens wird sie von unwiderstehlicher Liebe zu ihm ergriffen. So ist sie
ein unvergängliches Bild vom Weibe, das aus einer Verführerin zur Ge-
liebten wird. Wie Rinaldo sich von ihr trennen will, bricht ihre Leiden-
schaft in Drohungen aus, die sich bald wieder in flehende Klage auflösen.
Und wie der Ritter sich dennoch entfernt, ruft sie ihm das Wort nach, in
dem noch alle Glut ihrer Liebe zittert:
Tanto t'agiterö quanto t'amai.
Auf dem Schlachtfeld wird sie hin und her gerissen zwischen Liebe und
Hass, sie lässt den Pfeil auf den Geliebten los, und im gleichen Augenblick
wünscht ihr armes verliebtes Herz, der Schuss möge fehlgehen. Und wie
sie an ihr eigenes Leben Hand anlegen will und von Rinaldo zurück-
gehalten wird, kann sie dem Zauber seiner Stimme nicht widerstehen, die
Liebe ist mächtiger als die Scham und Zurückhaltung des verletzten
Weibes, sie ergibt sich mit den Worten: Ecco l'ancilla tua. (Fradeletto If,
p. 296.) De Sanctis sagt in Anlehnung an ein Bibelwort: Ihr sind viele
Sünden vergeben worden, denn sie hat viel geliebet.
Der eigentliche Held der Dichtung ist Tankred. In ihm finden
wir alle wesentlichen Charakterzüge des Dichters wieder: Die
weibliche Zartheit und Unberechenbarkeit der Gefühle, die ver-
messenen Träume von Grösse, den Trieb zur Versenkung in sich
selber, der vielleicht unbewusst dargestellt wird in jener Episode,
wo er sich in Armidas Schloss verirrt und, ohne es zu wollen,
selber einschliesst.
Der tiefste Zug seines Wesens, der ihn wiederum an die Seite
Rousseaus stellt, ist der innere Zwiespalt, der sich vor allem in
jener Strophe äussert, die der romantische Philosoph als eine
direkte Prophezeiung auf sich selbst aufgefasst hat :
Vivrö fra i miei tormenti e le mie eure,
Mie giuste furie, forsennato, errante;
Paventerö l'ombre solinghe e scure,
Che '1 primo error mi recheranno inante ;
E del sol che scopri le mie sventure,
A schivo ed in orrore avrö il sembiante :
Temerö me medesmo, e da me stesso
Sempre fuggendo, avrö me sempre a presso. (XII 77.)
41
(So leb' ich denn in Marter und in Qualen,
Die als gerechte Furien mich bedräun.
Die Nacht, wann sie heraufsteigt zu den Talen,
Wird ewig mir den ersten Wahn erneun;
Der Sonne Licht, das mit verhassten Strahlen
Die Tat enthüllte, werd' ich bebend scheun.
Mir selbst ein ew'ger Schrecken, werd' ich immer
Mich selber fliehn, doch mir entfliehen nimmer.
Uebersetzung J. D. Gries. Reclam 445 — 448.)
Vinet fasst diese Strophe auf als den Ausdruck des Schuld-
gefühls. Es ist das Schuldgefühl des Menschen, der mit Goethe
ausruft: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust . . ., der mit
gieriger Lust den köstlichen Augenblick geniesst und im gleichen
Augenblick von dessen Vergänglichkeit und Wertlosigkeit über-
zeugt ist.
Tasso ist wie ein Kind, das heimlich Honig nascht und um so
lüsterner die wonnige Süssigkeit einschlürft, als es fürchtet, jeden
Augenblick die Mutter eintreten zu sehen. Und in der Hast ver-
schmiert es sich erst recht alle Finger und verdirbt sich den
Magen, w^ährend Ariost, der sich nicht vor der Mutter fürchtet,
in aller Seelenruhe und Natürlichkeit den wonnigen Augenblick
auskosten kann.
Diese gierige Weltlust lockte Tasso immer wieder an den
Hof von Ferrara, wo er sich doch immer wie ein armer Nacht-
falter die Flügel verbrannte. Und sein heimliches Schuldgefühl
w^arf ihn zu Füssen des Inquisitors und lieferte ihn wehrlos den
Kritikern aus.
Und dieses Schuldgefühl hetzte ihn sein Leben lang ruhelos
von einem Ort zum andern :
Temerö me medesmo, e da me stesso
Sempre fuggendo, avrö me sempre a presse.
Das Gefühl für die Köstlichkeit und zugleich VergängHchkeit
des schönen Augenblicks ist aber der Quell der eigensten Schön-
heit Tassos. Hier ist il cuore del suo cuore. Von hier aus müssen
wir sein Werk betrachten, wenn wir es ganz erfassen wollen.
Von hier aus verstehen wir erst die stilistischen Eigentümlich-
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keiten : jene seltsam zerfliessende Art zu beschreiben, jenen anti-
thetischen Stil, jene unruhig steigernde Darstellung. Jetzt werden
wir an Stellen erinnert, die uns besonders erschüttert haben :
wir sehen den wildtrotzigen Argante wieder, der vor dem Ent-
scheidungskampf mit Tankred sich innerlich sammelt und seuf-
zend an den bevorstehenden Untergang seiner Genossen denkt;
wir hören, wie Aladin, der verschlossene und harte Tyrann, den
Zusammenbruch seines ganzen Geschlechts in feierlich-düstern
Worten verkündigt; wir stehen erschüttert vor den Trümmern
Karthagos, die vom Sand überweht und von wilden Pflanzen über-
wuchert sind, und die Klage über die Vergänglichkeit der Welt
findet ihren ergreifenden Ausdruck im Schlusschor des Torris-
mondo :
Ahi lagrime! ahi dolore!
Passa la vita e si dilegua e fugge
Come gel che si strugge.
Ogni altezza s'inchina e sparge a terra
Ogni fermo sostegno.
Ogni possente regno
In pace cade alfin, se crebbe in guerra.
E, come raggio il verno, imbruna e muore
Gloria d'altrui splendore;
E come alpestre e rapido torrente,
Come acceso baleno
In notturno sereno,
Come aura o fumo o come stral, repente
Volan le nostre fame; ed ogni onore
Sembra languido fiore.
Che piü si spera o che s'attende omai?
Dopo trionfo e palma
Sol qui restano all'alma
Lutto, lamenti e Tai.
Che piü giova amicizia o giova amore?
Ahi lagrime! ahi dolore!
Und das Gefühl für die Vergänglichkeit alles Irdischen gibt
dem Werk Tassos die Grundstimmung. Wie bei Ariost alles von
der hellen Sonne der Weltfreude bestrahlt wird, so klingt durch
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die ganze Dichtung Tassos die Traurigkeit seines Wesens. Bei
Ariost bewunderten wir die Einheit der Anschauung, bei Tasso
fühlen wir uns ergriffen von der Einheit der Beseelung. Wenn
wir die Schönheit Ariost's geniessen wollen, dürfen wir uns den
Gleichmut des Anschauenden nie rauben lassen, wer aber sich
nicht hinreissen lässt von der Strömung des Gefühls, wird, wie
Galilei, achtlos an den tiefsten Schönheiten Tassos vorbeigehen.
Demjenigen, der sich auf beide Arten einstellen kann, sind
beide Dichter gleich teuer: Ariost als der überlegen-heitere Geist,
der auch den Traum mit der überzeugenden Bestimmtheit der
Wirklichkeit darstellt, Tasso, das unruhig gequälte Dichterherz,
das auch in die Vision der Wirklichkeit die steigernde Erregung
des Traumes hineinträgt (Fradeletto II p. 300). Und wenn wir
einen Blick über die Schranken der Poesie hinauswerfen, so
sehen wir an der Seite Ariost's den überlegensten Geist der ita-
lienischen Renaissance, Leonardo da Vinci, während Tasso —
nicht in der Kraft — wohl aber in der Grundstimmung, an den
grossen Leonardogegner Michelangelo erinnert. Le plus puissant
ge'nie des temps modernes, sagt Rodin, a cclcbre Fepopee de tombre,
tandis quc les Anciens chanterent celle de la lumiere. Et si nous
cherchons la signification spirituelle de Michel-Ange, nous constatons
que sa statuaire exprime le reploiement douloureu.v de l'etre sur
lui-meme, fenergie incjuiete, la volonte d'agir sans espoir de succes,
enfin le martfre de la creature que tourmcntent des aspirations
irrealisables (p. 249).
Zum Schluss muss ich mich noch rechtfertigen, warum ich
von der kritischen Arbeit Galileis, die doch heute niemand mehr
beeinflusst, so viel Aufhebens gemacht habe. Nicht. die Arbeit
selber scheint mir wichtig zu sein, sondern der Geist, der in ihr
herrscht. Wir sind noch heute von der Klarheit Galileis umstrahlt.
Und wenn wir jenem Sinn für die Bestimmtheit, Mannigfaltigkeit
und Gesetzmässigkeit der Dinge den herrlichen Aufschwung ver-
danken, den die Wissenschaft seit den Tagen Galileis nahm, so
müssen wir uns doch bewusst bleiben, dass dieser Vorzug eine
bedenkliche Kehrseite hat. Nicht nur weil er uns blind machen
kann für die Tatsache, dass es eine andere Schönheit gibt als die
allgemein anerkannte Weltschönheit, sondern, was viel schwer-
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wiegender ist, weil er blind macht für die Tatsache, dass es
eine andere Wirklichkeit gibt als die aligemein anerkannte Welt-
wirklichkeit. Und der Sinn für diese andere Wirklichkeit ist der
Menschheit eben seit den Tagen Galileis immer mehr abhanden
gekommen. Wie sollte es auch anders sein? Die Menschen haben
die Kategorien Bestimmtheit, Vielheit und Gesetzmässigkeit so
viel gehandhabt, dass ihnen alles, was nicht bestimmt, teilbar und
gesetzmässig ist, kurzerhand als Unwirklichkeit vorkommt. Das
Organ für die andere Wirklichkeit, das Gefühl für das Unfassbare,
Unteilbare, über alles Gesetzmässige hinaus Ragende, das der
Fromme Glaube, Liebe, Hoffnung nennt, ist abgestorben. Und
darum hat die kalte Notwendigkeit der Körperwelt derart Herr-
schaft gewonnen über uns, dass die Menschheit heute lang-
sam unter den Rädern der selbstgebauten Maschine zerstampft
wird. Sollte aber jener Sinn nicht wieder belebt werden können?
Warum nicht? Und wenn uns der direkte Weg zu schwer fällt,
denn jahrhundertalte Denkgewohnheiten sind nicht leicht abzu-
streifen, so mag der Weg über die andere Schönheit den Zugang
zur andern Wirklichkeit erleichtern. Man mag vielleicht darüber
lächeln, dass man hier von Wirklichkeit spricht, es hat aber je
und je grosse Männer gegeben, die diese andere Wirklichkeit
so überwältigend empfanden,* dass sie ihr zuliebe eher die Welt-
wirklichkeit samt ihrer Schönheit geopfert haben.
Ich denke vor allem an einen Menschen, der die Kunst heisser
geliebt, mit der Wirklichkeit männlicher gerungen hat als irgend
ein anderer. Und er, der Vollender und Ueberwinder der Renais-
sance und des Barocks, er, der riesengrosse Zeitgenosse Ariosts
und Tassos, Michelangelo, hat im Angesicht des zweifachen Todes
des Leibes und der Seele die beiden Wirklichkeiten auf die Wage
gelegt und welche Wirklichkeit schwerer gewogen hat, zeigt
uns jenes erschütternde Sonett, das ich als gewaltigen Schluss-
stein in das schwache Gewölbe meiner Betrachtung einführen
möchte :
Giunto e giä '1 corso della vita mia
Con tempestoso mar per fragil barca
AI comun porto ov'a render si varca
Conto e ragion d' ogni opra trista e pia :
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Onde r affettuosa fantasia,
Che l'Arte si fece idol' e monarca,
Conosco or bcn quant' era d'error carca ;
E quel ch'a mal suo grado ogn' uom desia^
Gli amorosi pensier, giä vani e lieti,
Che fian or s'a duo mortt'-m'avvicino?
D'una so '1 certo e I'altra mi minaccia.
Ne pinger ne scolpir fia piü che quieti
L'anima völta a quell' Amor divino,
Ch'aperse a prender noi in croce le braccia.
Nachwort.
Vorliegende Ausführungen geben in der Hauptsache den Vortrag wieder,
der gehalten wurde an der 12. Versammlung des Schweizerischen Neu-
philologenverbandes in Baden.
Wenn ich diese bescheidene Skizze im wesentlichen unverändert her-
ausgebe, so geschieht es nicht in der Meinung, dass damit etwas Defini-
tives geboten würde. Es soll dadurch nur hingewiesen werden auf ei n an
Weg unter vielen (siehe O. Walzel, Wechselseitige Erhellung der Künste,
Berlin, Reuther und Reichard 1917), der es ermöglicht, die ästhetischen
Einsichten, die auf andern Kunstgebieten gewonnen wurden, auch auf dem
Boden der Poesie zu verwerten.
Noch weniger ist die Meinung, dass durch die psychologisch-ästhetische
Methode die philologisch-historische irgendwie in den Hintergrund ge-
drängt werden sollte. Beide Methoden sind gleichberechtigt. Sowohl das
leere Geschwätz der ästhetischen Dilettanten, als die nutzlose Kärrner-
arbeit des einseitigen Fachgelehrten würden vermieden, wenn beide Be-
trachtungsweisen mit vereinten Kräften hinarbeiteten auf das Hauptziel der
Literaturforschung — das Verständnis des poetischen Kunstwerks.
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Oefters zitierte Werke:
B. Croce, Ludovico Ariosto. „La Critica". Anno XVI, fasc II. 1918. Zi-
tiert: B. Croce.
F. de Sanctis, Storia della Letteratura Italiana. „Scrittori d'Italia", Bari,
Laterza 1912 Vol. II. Zitiert: De Sanctis.
A, Fradeletto, Rileggendo I'Orlando Furioso. „La Lettura", Anno XIV,
N. 10. Ottobre 1914. Zitiert: Fradeletto I.
— Rileggendo la Gerusalemme. „La Lettura". Anno XV. N. 4. Aprile
1915. Zitiert: Fradelt^tto II.
Galileo Galilei, Considerazioni al Tasso. Edizione Mestica. Torino.
Loescher 1906. Zitiert: Mestica.
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Aus dem Verlage von
Paul HauptvorMfx"r;ts"eiBern
Fr.
Dr. H. Barth: Descartes Begründung der Erkenntnis 4.60
Prof. Dr. A. Debrunner: Die Sprache der Hethiter 1.20
Dr.J. Fränkel: Wandlungen des Prometheus 2. —
Prof. Dr. P. Häberlin: Symbol in der Psychologie und
Symbol der Kunst 1,60
Prof. Dr. K.Jaberg: Kultur und Sprache in Romanisch-
Bünden —.90
Prof. Dr. E. Kurih: Die Voraussetzungen der theoreti-
schen Harmonik und der tonalen Darsteliungs-
systeme 7.40
Prof, Dr. M Lauterburg: Recht und Sittlichkeit 1.20
Prof. Dr. K. Marti: Stand und Aufgabe der alttestament-
lichen Wissenschaft in der Gegenwart 1 .40
Prof. Dr. Müller-Hess: Die Entstehung des indischen
Dramas 1 .20
Prof. Dr. 0. Schulthess: Das attische Volksgericht 1.80
Prof. Dr. A. Schweitzer : Zwischen Wasser und Urwald.
Erlebnisse und Beobachtungen eines Arztes im Ur-
walde Aequatorialafrikas 4.50
Dr. C. Sganzini : Neuere Einsichten in das Wesen der
sogenannten Ideenassoziationen und derGedächtnis-
erscheinungen 1 .50
Dr. A. Stein: Der Begriff des Geistes bei Dilthey 4.40
— Nietzsche und die Wissenschaft 1.20
Dr. Ch. Tschernowitz: Die Entstehung des Schulchan-
Aruch 3.50
Prof. Dr. A. Tumarkin: Die romantische Weltanschauung 5.60
Prof. Dr. F. Vetter: Ueber Personennamen und Namen-
gebung in Bern und anderswo 2.75
üniversity of Toronto
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Uader Pat. "Ref. Index FU»"
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