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1873
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1903
Frommanns Klassiker der Philosophie
herausgegeben
von
Richard Falckenberg
Dr. u. o. Professor der Philosophie an der Universität Erlangen.
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XVIII.
ren£ descartes
VON
ABRAHAM HOFFMANN.
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RENE DESCARTES
VON
ABRAHAM HOFFMANN.
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STUTTGART
FR. FROMMANNS VERLAG (E. HAUFF)
1905.
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***
Alle Rechte vorbehalten.
Louis Boslieuyers Buchdruckerei (W. Drück) Cannstat«.
Vorwort.
Frühere Arbeiten über Einzelprobleme der Carte-
sischen Philosophie haben mich zur Herstellung dieser
Monographie angeregt.^) Eingehendes Quellenstudium
liegt ihr zugrunde. Im ersten Teile kam es mir
darauf an, die geistige und philosophische Entwicklungs-
geschichte Descartes' möglichst scharf herauszuarbeiten,
im zweiten Teile legte ich Wert auf eine vorurteilslose,
ich möchte sagen tolerante Auffassung seines philoso-
phischen Systems.
Das ausführliche Inhaltsverzeichnis soll nur eine
Art Notbehelf darstellen, jedenfalls keineswegs den
Leser zu einer aphoristischen Lektüre verleiten. Ich
eitlere Descartes' Briefe nach der neuen Akademie-
ausgabe (A), seine übrigen Schriften nach Cousin (C).
Berlin, Oktober 1905.
Der Verfasser.
*) Die Lehre von der Bildung des Universums bei Descartes in
ihrer geschichthchen Bedeutung. Archiv f. Geschichte der Philo-
sophie B. XVII, I. Descartes' Vorgänger und seine naturphiloso-
phischen Anschauungen (S. 237 — 271). II. Descartes' kosmogonische
Anschauungen und seine Einwirkung auf die Folgezeit (S. 371 — 412).
Zur geschichtlichen Bedeutung der Naturphilosophie Spinozas.
Zeitschr. f. Philosophie und philosoph. Kritik. B. 125 (S. 163-186).
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/rendescartesOOhoff
Inhalt.
Erster Teil.
Descartes' Leben und philosophische Entwicklung.
Seite
ErstesKapitel: Kind heitund Schale 3
1. Einleitendes. 2. Erste Kinderjahre. 3. Machtstellung der
Jesuiten in Frankreich. 4. Näheres über den Ort La Fleche,
5. Erziehungsmethode der Jesuiten. 6. Über den Charakter
des Jesuiten-College La Fleche, 7. Humanistische Studien.
8. Scholastisch-philosophische Studien. 9. Über Descartes'
Bildungsdrang.
Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus ... 16
1. Skeptische dem Weltleben zugewandte Gesinnung.
2. Paiiser Gesellschaftsleben und sein Einfluss. 3. Freund-
schaft mit Mersenne. 4. Mydorges wissenschaftlicher Ein-
fluss. 5. Wissenschaftliche Studien und ernste Vorsätze für
die Zukunft. 6. Die Kriegsjahre und ihre Bedeutung.
7. Dienstzeit in Holland. 8. Anregungen Beeckmanns.
Physikalische Entdeckungen. Mangel an System in Descartes'
damaliger Forschungsweise 9. Musiktheoretische Studien
und ihr Einfluss auf seine philosophische Denkungsart.
10. Vorübergehende mystische Naturstimmung und ihre
Ursache.
Drittes Kapitel: Periode der systematischen
Wissenschaftsforschung 41
1. Der Skepticismus befriedigt Descartes nicht mehr. 2. Kriegs-
dienste in Deutschland. 3. Verzweifelte Stimmung im Winter-
lager an der Donau. 4. Wiederkehr des wissenschaftlichen
Selbstvertrauens. 5. Rosenkreuzer. 6. Notwendigkeit und
Nutzen einer allgemeinen Wissenschaftslehre. 7. Ihre Ab-
leitung aus der Mathematik. 8. Über die einfachsten Elemente
der Wissenschaftslehre. 9. Schwierigkeiten, welche die ge-
VIII Inhalt.
Seile
wohnliche Methode der Geometer ihrer weiteten Entwick-
lung in den Weg legt. 10. Auffindung der wahren mathema-
tischen Methode. (Analytische Geometrie.) 11. Über ihre An-
wendung auf die anderen Wissenschaften. 12. Charakter
der Wissenschaftstheorie, Gegensatz zu Baco. 13. Not-
wendigkeit einer provisorischen Ethik. 14. Bekanntschaft
mit dem Mathematiker Faulhaber. Aufenthalt in Prag.
Weitere Kriegsdienste. 15. Aufgabe des Soldatenlebens.
Beisen in Nordeuropa. Kurzer Aufenthalt in Frankreich.
Abneigung gegen einen festen Beruf. 16. Italienische Reise.
17. Längerer Aufenthalt in Paris. Bekanntschaft mit
Gibieuf, de Beaune und Morin. 18. Über Descartes' Freund-
schaft mit dem Schriftsteller Balzac. 19. Optische Studien.
Entdeckung des Lichtbrechungsgesetzes. 20. Descartes in
der Pariser Gesellschaft. 21. Belagerung von La Rochelle.
22. Die Wissenschaftslehre genügt den Anforderungen
Descartes' nicht mehr.
Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik . . 80
1. Descartes zieht sich in die Niederlande zurück. Näheres
über die dortigen Zustände. 2. Verwerfung aller dog-
matischen Voraussetzungen. Allgemeine metaphysische
Grundlegung. 3. Es fehlt ihr noch die systematische Durch-
bildung. 4. Beschäftigung mit den mannigfachsten natur-
wissenschaftlichen Problemen. Heitere Stimmung des Philo-
sophen. 5. Ausarbeitung einer Weltbildungstheorie. Die
Gründe, weswegen das Werk nicht veröffentlicht wird.
6. Über Descartes" Beurteilung der wissenschaftlichen Ver-
dienste Galileis 7. Liebesverhältnis zwischen Descartes und
einer Holländerin. 8. Herausgabe einer Reihe wissenschaft-
licher Werke. Charakteristik der Abhandlung über die
Methode. 9 Die Dioptrik. Technische Begabung des Philo-
sophen. 10. Über die Meteore. 11. Geometrie. Über die
Ausdehnung und Grenzen der mathematischen Wissenschaft.
Höhere Analysis. Descartes' Verhältnis zu den abstrakten
Problemen der Mathematik. Unvollkommenheit der Natur-
philosophie.
Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung der
Metaphysik 106
1. Allgemeiner Eindruck der veröffentlichten Schriften.
2. Descartes' Bemühungen um die Gunst der Jesuiten.
Anregende Wirkung der wissenschaftlichen Einwürfe.
3. Fermat, Roberval, Pascal, und ihre Angriffe. 4 Günstige
Inhalt. IX
Seite
Aufnahme in holländischen Kreisen: Huygens, Reneri,
Regius 5. Über den Charakter der Meditationen 6. Über
das Interesse, das die Objektionen darbieten: Gassendi ,
Hobbes, Arnauld. 7. Über di-n Aufenthalt in Endegeest.
8. Die Prinzipien der Philosophie und ihre Bedeutung.
9. Über den Fanatiker Voetius. Der Abfall des Schülers
Regius. 10. Die Prinzessin Elisabeth und ihr Verhältnis
zu Descartes. Ihr Einfluss auf die Ausgestaltung seiner
Psychologie und Ethik. 11. Reisen nach Frankreich. Auf-
nahme in Paris. 12. Übersiedlung nach Schweden. Königin
Christine und ihr Verhältnis zu Descartes. 18. Unbehagen,
durch den Aufenthalt am schwedischen Hofe verursacht.
Krankheit und Tod.
Zweiter Teil.
Das metaphysische System.
Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische
Grundlagen 129
1. Radikaler Zweifel. 2. Gewissheit des Selbstbewusstseins.
3. Kriterium der Gewissheit. Gemeinbegriffe. 4. Gottes-
beweise. 5. Über den Wert dieser Beweise. Über den
Rationalismus der Kritik Kants. Begriff der philophischen
Wahrheit. 6. Descartes' Urteil über andere Arten von
Gottesbeweisen. 7. Über das Urteilsvermögen und die Ur-
sachen, warum es uns zuweilen täuscht. 8. Selbständigkeit
des Geistes Realität der Aussenwelt. 9. Der menschliche
Leib. Objektivität der geometrischen Eigenschaften, Sub-
jektivität der Sinneswahrnehmungen. 10. Über den Dualis-
mus im Systeme Descartes'. Über Monismus und Dualismus
in der Philosophie. 11. Über die verschiedenen angeborenen
Vorstellungen. 12. Über das Verstandeselement in aller
sinnlichen Wahrnehmung. Vergleich mit den Anschauungen
Kants. 13. In welchem Sinne sind gewisse Vorstellungen
dem menschlichen Geiste angeboren.
Siebentes Kapitel: Naturphilosophie 152
1. Ihr radikaler mechanischer Charakter. Kritik der Sub-
jektivität der Sinneswahrnehmungen. 2. Identität zwischen
Körper und physischer Ausdehnung. Unmöglichkeit eines
leeren Raumes und letzter unteilbarer Teile (Atome).
3. Über die unendliche Ausdehnung der Welt. 4. Die Be-
wegung, das belebende Moment im Weltall. Die Konstanz
X Inhalt.
Seite
ihrer Gesamtsumme. 5. Trägheit der Materie Allgemeine
Bewegungsgesetze, Stossgesetze. Über die Bedeutung der
apriorischen Naturgesetze. 6. Natur der festen und flüssigen
Körper. Mängel der Theorie. 7. Entstehung des Weltalls
(Wirbeltheorie). 8. Fehler und Vorzüge der Cartesischen
Physiii. 9. Mechanische Erklärung des Organismus. Die
Tiere haben keine Seelen. 10. Erklärung dieser seltsamen
Paradoxie. 11. Kritik der biologischen Anschauungen.
Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik 177
1. Über die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele.
2. Näheres über den menschlichen Körper. 3. Über die
speciellen Einwii'kungen der Seele auf den Körper von der
Zirbeldrüse aus. 4. Das Wesen der Seele und ihrer ver-
schiedenen Funktionen. Aktive und passive Funktionen.
5. Die Gefühle und Affekte, ihre Bedeutung. 6. Die sechs
Grundaffekte. 7. Die körperlichen Begleiterscheinungen der
Affekte. 8. Über die Mittel, die Affekte im Zaum zu halten,
ihre Wichtigkeit für das menschliche Leben. 9. Über das
Wesen der Ethik. 10. Religion. 11. Schlussbetrachtung.
Erster Teil.
Descartes' Leben und philosophische
Entwicklung.
Hoffmann, Descartes.
Erstes Kapitel.
Kindheit und Schule.
1. Sieht man sich um nach einem charakteristischen
Merkmal, das im stände ist, die neuere Philosophie zu
kennzeichnen, und das gleichzeitig den allerschärfsten
Gegensatz allen früheren philosophischen Gedanken-
bildungen gegenüber verrät, so ist der Ausgangspunkt
von der Selbstgewissheit des menschlichen Bewusstseins
entschieden an allererster Stelle zu nennen.
Rene Descartes, Frankreichs grösster Philosoph, ist
es gewesen, der dieses neue Prinzip in die Philosophie
eingeführt, der es zum Grundstein seines philosophischen
Systems gemacht und damit der Welt die allererste
wahrhaft moderne Weltanschauung dargeboten hat,
2. Descartes entstammt einer alten begüterten
Adelsfamilie aus der Landschaft Touraine — dem heuti-
gen Departement Indre-et-Loire — , die zu den edelsten
und angesehensten der Landschaft gehörte. So ist er
glücklicher Weise nicht zu jenen Genies zu rechnen, die
die Natur, gleichsam als hätte sie genug getan mit der
ihnen verliehenen reichen geistigen Aussteuer, in dürftige
und ärmliche Verhältnisse hineinversetzt, aus der nur
die mit der grössten Willensenergie Begabten sich empor-
ringen können.
Es ist die kleine, schön gelegene Stadt La Haye,
in der unser Philosoph am 31. März 159G das Licht
4 Erstes Kapitel: Kindheit und Schule.
der Welt erblickte. Er war ein Kind von überaus
zarter und scbwäclilicber Konstitution und vielleicht
hat nur das milde Klima, in dem er seine ersten Jahre
zugebracht, daran schuld, dass die Arzte, die dem Neu-
geborenen einen baldigen Tod prophezeit hatten, nicht
recht behielten. Der kleine Rene war das dritte Kind,
das seinem Vater Joachim Descartes von seiner ersten
Frau geschenkt wurde. Die Mutter starb ein Jahr nach
der Geburt des Kindes an einer Lungenentzündung. So
ging jetzt die Sorge um die Pflege und die Auferziehung
des Knaben ganz und gar auf den Vater über. Wie
getreulich er dieser nachkam trotz seiner baldigen
zweiten Heirat, das beweist auf das überzeugendste die
dauernde Liebe und Anhänglichkeit, die unser Philo-
soph ihm gegenüber stets gezeigt hat. Solch innige
Beziehungen wie mit seinem Vater unterhielt Descartes
in seinen späteren Lebensjahren keineswegs mit den
übrigen Mitgliedern seiner Familie, und namentlich war
es sein ältester Bruder, der ihm seinen Verzicht auf
einen standesgemässen Beruf nicht verzeihen konnte.
Klein und schwächlich, wie der Knabe war, musste
er längere Zeit, als es sonst üblich ist, der Obhut von
Frauen anvertraut und aufs sorgfältigste geschont
werden. Wie überraschte und belohnte er aber seine
Pfleger, als er trotz seiner zarten Gesundheit die glück-
lichsten geistigen Anlagen entwickelte und eine heitere
Gemütsart zeigte, die etwas wirklich Rührendes hat.
wenn man bedenkt, wie sehr er infolge seiner schwäch-
lichen Konstitution mehr als andere Kinder körperlichen
Schmerzen ausgesetzt war, wie er beständig unter einem
Husten zu leiden hatte, den er bis über das zwanzigste
Lebensjahr hinaus nicht beseitigen konnte. Dieser
glücklichen Gemütsart hat er es, seinen eigenen Aus-
sagen zufolge (A. IV, 220 — 221)^), zu danken, dass seine
') Ich zitiere Descartes' Briefe nach der neuen Akademie-Aus-
gabe (A.), seine übrigen Schriften nach Cousin (C).
Erste Kinderjahre. 5
bleiche Gesichtsfarbe und der Husten allmählich ge-
schwunden sind, die er beide von seiner früh verstor-
benen Mutter geerbt hatte.
Rene war nicht nur ein begabtes, sondern auch ein
ernstes und nachdenkliches Kind. Sein Vater soll ihn,
wie ßaillet, Descartes' erster ausführlicher Biograph,
uns berichtet (Baillet 1, 16), „seinen kleinen Philosophen'-
genannt haben wegen seiner unermüdlichen Wissbegier,
mit der er ihn nach den Ursachen und Wirkungen alles
dessen befragte, was seine kindliche Aufmerksamkeit
erregte.
Bei der heiteren und zugänglichen Gemütsart des
Knaben wird es uns nicht wundernehmen, wenn wir
von seiner Zuneigung zu einem kleinen gleichaltrigen
Mädchen hören. Es ist der Philosoph selbst, der uns
mehr als vierzig Jahre später von dieser Episode aus
seiner Kindheit erzählt (A. V, 57). Es ist eine bekannte
Tatsache, die wohl jeder schon mal erlebt haben dürfte,
dass, wenn wir einem Menschen im Leben begegnen,
der in seinen Gesichtszügen irgendwelche Ähnlichkeit
mit einer uns sympathischen Persönlichkeit hat, dieser
Umstand uns angenelim auffällt, uns im günstigen Sinne
für diese neue Bekanntschaft einnimmt, ja oft der zu-
fällige Anlass zu dauernden Freundschaften wird. Die
Ähnlichkeit braucht uns dabei durchaus nicht zum Be-
wusstsein zu kommen. Sehr oft kommt es vor, dass
wir uns erst später über den Grund unserer Zuneigung
Rechenschaft geben können. So erging es auch unserm
Descartes. Das kleine Mädchen, das er liebgewonnen
hatte, schielte ein wenig, und diesem Umstände war es
zuzuschreiben, dass er später an Menschen, die an dem
gleichen Gebrechen litten, von vornherein ein gewisses
Gefallen fand. Erst viele Jahre nach jenem Ereignis,
als er sich des Grundes dieser seltsamen Erscheinung
bewusst wurde, gewannen Personen mit dieser körper-
lichen Anomalie keine Anziehuno-kraft mehr in seinen
Q Erstes Kapitel: Kindheit und Schule.
Augen. Ich liätte über diesen Vorfall nicht so aus-
fülirlicli berichtet, wenn er nicht zeigte, einen wie tiefen
Eindruck jenes kleine Mädchen auf das Kindergemüt
des Knaben gemacht hat, einen Eindruck, der sich noch
Jahre lang durch seine Folgen bemerkbar gemacht, und
der dem einundfünfzigj ährigen Manne noch klar genug
vor Augen steht, um als Beispiel in einer ausführlichen
Auseinandersetzung über die Natur der Liebe zu dienen.
An diesem Orte hat uns Descartes einmal, was sonst
recht selten von seiner Seite aus geschieht, einen kleinen
Blick in sein Gefühlsleben tun lassen, handelt es sich
dagegen um rein intellektuelle Kämpfe und Entwick-
lungen, dann gibt er, wie wir später sehen werden, mit einer
ausserordentlichen Zwanglosigkeit und Freimütigkeit von
seinen inneren Wandlungen der Welt Rechenschaft.
Bei der so früh hervortretenden geistigen Begabung
des jungen Descartes wurde von seinem Vater viel Ge-
wicht auf die Fürsorge für seine intellektuelle Er
Ziehung gelegt. Bis zu seinem achten Jahre konnte ein
leichter Elementarunterricht hinreichen, um die Wiss-
begierde des regsamen Kindes zu stillen. Peinlich
wurde dabei beachtet, dass die Gesundheit des ohnehin
schwachen Knaben dabei keinen Schaden litt.
3. Als indes der kleine Rene das achte Jahr er-
reichte, da dachte man ernstlich daran, ihm eine höhere
Ausbildung zukommen zu lassen. Gerade zu dieser Zeit
war in La Fleche von den Jesuiten ein neues College
eröifnet worden. Da es vom König Heinrich IV. be-
sonders begünstigt wurde und eines seiner vornehmsten
Zwecke die geistige Ausbildung des französischen Adels
sein sollte, wird man sich nicht wundern, wenn Des-
cartes' Vater hier die beste Unterkunftsstätte für seinen
Sohn gefunden zu haben glaubte.
Tatsächlich gehörte auch der höhere Unterricht,
wie er in damalio;er Zeit von dem so überaus unter-
Machtstellung der Jesuiten. Über den Ort La Fleche. 7
neliinungslustigen Orden erteilt wurde, zu dem besten,
der iiberliaupt zu haben war. Es hat nichts Auffallendes
an sich, wenn die Väter Jesu auf diesen Zweig ihrer
Tätigkeit besonderes Gewicht legten, war es doch viel-
leicht ihre schärfste WaiFe in dem Kampfe mit dem
immer mehr erstarkenden Protestantismus und dem
immer lebendiger werdenden nationalen Bewusstsein der
europäischen Völker, zwei Faktoren, die das inter-
nationale Reich der katholischen Kirche vollständig zu
zertrümmern und ihr Oberhaupt zu einem blossen
Schattenkönig zu machen drohten.
In Frankreich hatten die Jesuiten damals gute
Zeiten. Das Verbannungsedikt, das sie nach dem miss-
glückten Mordanschlag Jean Chateis auf den König
getroffen hatte, war aufgehoben worden. Ja noch mehr,
der König hoffte in ihnen dauernde Verbündete zu ge-
winnen und machte ihnen deshalb weitgehende Zuge-
ständnisse. In allen Städten, in denen sich die Bürger-
schaft nicht widersetzen würde, durften sie Klöster
und Schulen gründen. Selbst am königlichen Hofe
wussten sich die klugen Väter eine nicht zu unter-
schätzende Machtstellung zu sichern. Pater Cotton
wurde zum königlichen Beichtvater ernannt und er-
langte damit einen grossen Einfluss auf den Clang der
Regierung.
Alles dies hatte der König seinem durch die inneren
Wirren so schwer heimgesuchten Lande zuliebe getan.
Dieser Tendenz hatte nun auch das College zu La Fleche
seine Entstehung zu verdanken.
4. Es dürfte wohl von Interesse sein, den Ort, in
dem unser Philosoph achtundeinhalb Jahre seines Lebens
zugebracht hat, Jahre, in denen gerade die Umgebung
wohl mit den tiefsten Eindruck auf das für äussere
Einflüsse noch so empfängliche Gemüt hinterlässt, etwas
näher zu betrachten.
8 Erstes Kapitel: Kindheit und Schule.
Weltstäcltisches Leben herrschte in dem kleinen, am
rechten Ufer der Loire gelegenen Städtchen keineswegs,
ja es wäre wohl damals ohne alle Bedeutung gewesen,
wenn es nicht einen höchst eigenartigen Charakter in-
folge der vielen Ordensgemeinschaften besessen hätte,
die dort dicht nebeneinander wohnten. Ausser den
Jesuiten, die jetzt das Ansehen der Stadt beträchtlich
erhöhen sollten, sah man dort die Franziskaner und
einen ihnen nahestehenden Orden, ferner Barfüsser,
Karmeliten, Augustiner und dergleichen.
Übrigens besass der Ort eine angenehme Lage.
Versteckt wie er lag in einem anmutigen Tale, war er
durch sein reines Klima, durch die ausserordentliche
Ruhe, die in ihm herrschte, wie geschaffen zum Studieren.
Freilich sonst konnte er nichts bieten, und so wird es
uns nicht wundern, wenn hundert Jahre später ein
französischer Dichter seinem Herzen über den hiesigen
Aufenthalt in folgenden Versen Luft macht :
La Fleche pourrait etre aimable,
S'il etait de belies prisons,
Un climat assez agreable,
De petits bois assez mignons,
Un petit vin assez potable,
De petits concerts assez bons,
Un petit monde assez passable ;
La Fleche pourrait etre airnable,
S'il etait de heiles prisons.
5. Betrachten wir nun etwas näher die Gestaltung
des jesuitischen Unterrichts in dem neugegründeten
College. Die sechs unteren Klassen hatten sich etwa
das Ziel des alten humanistischen Gymnasiums gesteckt.
Auf die alten Sprachen mussten ja die Jesuiten ihr
Hauptaugenmerk richten. Xicht etwa nur, weil das
Lateinische, auf das besonderes Gewicht gelegt wurde,
die Sprache der Kirche war, man glaubte auch dadurch
den Humanismus am besten bekämpfen zu können; es
Erziehungsmethode der Jesuiten. Das College in La Fleche. 9
sollte dem Scliüler nicht verwehrt werden, durch die
Kenntnis der alten Sprachen sich eine Vorstellung von
dem geistigen Leben der Griechen und Römer zu ver-
schaffen, die klugen Väter sorgten aber dafür, dass alle
Schriften vom Standpunkt der katholischen Kirche an-
gesehen wurden. So wurde z. B. eindringlich auf die
haltlose, weil von der Religion unabhängig begründete
Moral der Alten hingewiesen. Charakteristisch hierfür
ist eine Äusserung Descartes', die er im Discours aus-
spricht, als er die Schulwissenschaften noch einmal im
Geiste an sich vorüberziehen lässt. „Die ethischen
Schriften der Alten erscheinen mir wie äusserst stolze
und prächtige Paläste, die nur auf Sand und Schlamm
gebaut sind : sie erheben die Tugenden himmelhoch und
lassen sie über alle Dinge in der Welt erhaben er-
scheinen, aber sie lehren sie nicht genügend erkennen,
und oft redet aus dem, was sie mit einem so schönen
Namen nennen, nichts als Gefühllosigkeit, Stolz, Ver-
zweiflung oder Mord" (C. I, 129). Wir werden sehen,
wie Descartes später in seiner ethischen Theorie soviel
Rücksicht auf die Alten nimmt. Es ist sicherlich nur
die ihm in mancher Hinsicht direkt in Fleisch und Blut
übergegangene Erziehung der Jesuiten gewesen, die ihm
diese harten Worte eingegeben hat.
6. Bevor wir uns nun über den eigentlichen Stu-
dienplan unterrichten, soll noch einiges über die Orga-
nisation der Schule vorausgeschickt werden. Die Anstalt,
welche ausser diesen sechs den humanistischen Studien
gewidmeten Klassen einen dreijährigen philosophischen
Kursus unterhielt und, was uns allerdings weniger
interessiert, noch ausserdem zukünftige Theologen vor-
bereitete, wurde von zirka 1200 Schülern besucht. Ein
erheblich kleinerer Teil von ihnen, zu dem auch Descartes
gehörte, wohnte im Internat. Hier wurden die Pensio-
näre unter strens^er Aufsicht gehalten. Um 5 Uhr
10 Erstes Kapitel : Kindheit und Schule.
morgens mussten sie aufstehen und dann wurde der Tag
in relativ einförmiger Weise mit Unterrichtsstunden,
häuslichen Arbeiten und Gebeten ausgefüllt, unterbrochen
nur durch die Mahlzeiten und Erholungsstunden, bis
dann um 9 Uhr alle sich zur Ruhe begaben.
Indessen schon durch die Eigenart des Schüler-
materials musste das Leben in La Fleche äusserst an-
regend auf seine Bewohner wirken. Aus ganz Frank-
reich strömte die junge Welt zusammen, um im hiesigen
College ihre Ausbildung zu erhalten. So kam zu der
Mannigfaltigkeit von Charakteren und Anlagen, die an
und für sich schon durch die grosse Schülerzahl be-
dingt war, auch noch die Eigenart der verschiedenen
Volksstämme hinzu, um das Leben und Treiben in der
Schule interessant zu gestalten. Und bei alledem ist
noch garnicht berücksichtigt die Fülle der sozialen
Gegensätze, die hier zum Vorschein trat. Neben Söhnen
von Grafen und Fürsten sass der Bürgerliche, ja oft
der arme Bauernsohn auf derselben Schulbank. Und es
muss den Jesuiten nachgerühmt werden, sie hielten
streng darauf, dass keinerlei Standesunterschiede ge-
macht wurden, dass nur Begabung und Fleiss den Ein-
zelnen zur Geltung bringen konnten. Wir wissen es
aus Descartes' eigenem Munde, welchen Eindruck alle
diese Umstände auf das Gemüt des Knaben machen
mussten (A. II, 378).
Um den Fleiss und das Interesse der Schüler wach-
zurufen, wurde mit allen möglichen Mitteln der jugend-
liche Ehrgeiz angestachelt. Die Tüchtigsten durften
sich mit dem Lehrer in der Klassenaufsicht teilen, eine
Einführung, die übrigens auch überaus zweckmässig
war, da bei der grossen Menge der Schüler — oft
waren 2 — 300 in einer Klasse — der Lehrer jede Über-
sicht über sie verloren hätte. Ferner wurden ihnen
Auszeichnungen aller Art zuteil, Öffentliche Schau-
stellungen von guten Arbeiten und Gedichten, Disputa-
Humanistische Studien. 11
tionen der Philosophen und Theologen sorgten dafür.
dass ih:
wurden.
dass ihre Leistungen auch weiteren Kreisen hekannt
7. Sobald die Schüler die nötige Übung erlangt
hatten, wurde in den Unterrichtsstunden nur noch la-
teinisch geredet, das Französische dagegen ganz und
gar vernachlässigt, ja es durfte sogar nur in den Er-
holungsstunden gesprochen werden. Vielleicht hat ge-
rade dieser Zwang die Vorliebe Descartes' für seine
Muttersprache begünstigt. Ist er doch der Mitbegründer
der klassischen französischen Prosa geworden, der im
Gegensatz zu vielen andern sich auch hinsichtlich des
Inhalts seiner Schriften von dem Gredankenkreise der
Alten emanzipiert hat, wie sticht er hierin gegen den
geistreichen Plauderer Montaigne ab, dessen Essais
förmlich überladen sind mit Citaten aus der alten Ge-
schichte, oder gegen seinen Freund Balzac, der sich
auch nicht enthalten konnte, in seinen formvollendeten
Briefen die Griechen und Römer als Muster zu be-
iiutzen. Und doch war für Descartes die Verführung
so gross, auch seinerseits gleiche Tendenzen zu ver-
folgen. Fast unübersehbar ist die Fülle von alten
Schriftstellern, mit denen er durch den Schulunterricht
mehr oder weniger vertraut werden musste. Da sind
zu nennen unter den Dichtern: Horaz, Ovid, Phädrus,
Auszüge aus Tibull, (Jatull, Martial, Properz, Persius
und Juvenal, ferner Seneca, Homer, Pindar, Hesiod,
Euripides und Sophokles, unter den Geschichtsschreibern
Cäsar, Sallust, Titus Livius, Tacitus, Thucydides und
Plutarch, unter den Rednern Cicero, Demosthenes und
Isokrates, und endlich unter den Philosophen Plato, Ari-
stoteles und die philosophischen Werke Ciceros. Und
mochte auch der Zweck der Gesellschaft Jesu bei dem
klassischen Unterricht, um ihre eigenen Worte zu ge-
brauchen, nur der sein, „dadurch zur besseren Kenntnis
]^2 Erstes Kapitel: Kindheit und Schule.
Gottes, unseres Schöpfers und Herrn anzuleiten'^, den
klugen Schüler konnte auch die strenge Zensur, die bei
der Auswahl des Stoffes geübt wurde, nicht daran hin-
dern, einen, wenn auch teilweise getrübten und unvoll-
ständigen Einblick in die antiken Greistesschätze zu ge-
winnen.
Wohl finden wir bei Descartes während seiner
Schulzeit Zeichen von geistiger Regsamkeit und Be-
ffabuns: vor. sicherlich hat er sich unter seinen Mit-
Schülern durch seine Tüchtigkeit ausgezeichnet (C. I,
125 — 126), doch seine eigentliche geniale Natur kam
hier noch nicht zu ihrer sichtbaren Entwicklung, er
war eben kein ^\^underkind wie Mozart und Leibniz,
die schon so frühzeitig ihre grosse Veranlagung der
AVeit offenbarten.
8. Indes, als der Vierzehnjährige im Oktober 1609
den philosophischen Kursus begann, einem Zeitpunkt, in
dem er gewissermassen die eigentlichen Gymnasialklassen
absolviert hatte und sich nun dem höheren Studium zu-
wenden konnte, da bot sich schon mehr Gelegenheit
für ihn, seine eigentümlichen spekulativen Fähigkeiten
zu entfalten. Auch konnte wohl die bedeutend kleinere
Hörerzahl, die an diesen Kursen teilnahm, es schon weit
eher dem Lehrer ermöglichen, auf die individuelle
Eio-enart der Studenten sein Augenmerk zu richten
und so ihre geistige Entwicklung erfolgreicher zu
fördern. Der Unterricht war ganz nach dem üblichen
scholastisch-mittelalterlichen Zuschnitt. Im Mittelpunkt
stand ausser dem heiligen Thomas von Aquino durchaus
Aristoteles und seine üblichen Kommentatoren. Die
Anschauungen dieses grossen Griechen, eingezwängt in
das Prokrustes - Bett der mittelalterlich katholischen
Weltanschauung, bekamen die Schüler zu hören in allen
Zweigen der Philosophie, mochte es sich nun um Logik,
Metaphysik oder Physik handeln, kein aufklärendes
Scholastisch-philosophische Studien. 13
Wort eines modernen Naturphilosophen, nichts von den
epochemachenden Entdeckungen eines Kopernikus, eines
Kepler drang in die sorgsam abgeschlossenen Studier-
räume des Ordens, es sei denn, um sie gleichzeitig aufs
schärfste mit dem ganzen aufgebotenen Rüstzeug der
Dialektik zu bekämpfen. Und wenn sie wirklich in
keiner feindlichen Absicht erwähnt wurden, so musste
es sich um etwas ganz Harmloses, dem Kirchenglauben
nicht im geringsten Gefahrbringendes handeln. So be-
kam Descartes im Sommer des Jahres 1610 bei einer
Totenfeier für den durch Mörderhand gefallenen König
Heinrich IV. vielleicht zum erstenmale in seinem Leben
den Namen Galilei zu hören, dessen Aufsehen erregende
Entdeckung der Jupitertrabanten in einem dem Ver-
storbenen gewidmeten Sonett erwähnt wurde. ^) Sicherlich
wäre dies nicht geschehen, wenn die Jesuiten in La
Fleche eine Ahnung davon gehabt hätten, welche Kämpfe
jener berühmte Physiker später mit der Kirche aus-
zufechten hatte.
, Indes bei alledem ist zu bedenken, dass zur da-
maligen Zeit auf fast allen Universitäten, eine ver-
schwindende Anzahl von aufgeklärten Köpfen unter den
Lehrern ausgenommen, der philosophische Unterricht
nicht im geringsten höher stand. Und weiter ist es
entschieden anzuerkennen, dass die intensive dialektische
Schulung, die den Studenten übermittelt wurde, ausser-
ordentlich bildend und anregend auf den Geist ein-
wirkte, ja noch mehr, für den aufgeweckten und unab-
hängigen Kopf konnte sie '-^u einem für die Lehrer sehr
zweischneidigen Schwerte werden und als vorzügliches
Rüstzeug zur Bekämpfung der mittelalterlichen Philo-
sophie dienen. Und so sind es die Jesuiten, denen es
Descartes nicht zum wenigsten zu verdanken hat, wenn
^) Vergleiche über dieses Sonett: Camille de Rochemonteix,
Le College Henri IV. de la Fleche. I, 148. Diesem Werk habe ich
mancherlei Angaben über das College entnommen.
14 Erstes Kapitel: Kindheit und Schule.
er später mit so bewunderungswürdiger logischer Kon-
sequenz sein philosopliisclies Weltbild entwickelt, unter
ihrer Leitung hat er sich die dialektische Schärfe an-
geeignet, die ihm dereinst zur Bekämpfung seiner
Gegner so erfolgreich zu statten kam. Und dankbar
hat unser Philosoph auch später anerkannt, wie nütz-
lich ihm der philosophische Unterricht gewesen ist.
.,Bin ich auch nicht der Meinung, dass alles, was in
der Philosophie gelehrt wird, so wahr ist wie das
Evangelium, so halte ich es doch für sehr vorteilhaft,
da die Philosophie der Schlüssel zu allen anderen
Wissenschaften ist, wenn man den ganzen üblichen
Kursus durchgemacht hat, wie er auf den Jesuiten-
schulen gelehrt wird, bevor man sich von der Pedan-
terie der Schulbildung befreit, um ein wahrhafter Weiser
zu werden. Und ich muss meinen Lehrern diese ehrende
Anerkenmmg zollen, dass ich keinen besseren Ort hier-
für weiss als La Fleche" (A. II, 378).
Wie hoch man indes auch diese Wertschätzung
Descartes' aufnehmen mag, einen tieferen Eindruck in
materialer Beziehung hat die scholastische Philosophie
nicht einmal zu der Zeit, als sie ihm gelehrt wurde,
in ihm erwecken können. Hatte er doch schon auf der
Schule gehört, dass man sich nichts so Wunderliches
und Unglaubliches vorstellen könne, was nicht von
irgend einem Philosophen schon mal ernstlich als wahr
anerkannt worden ist (C. I, 138).
Einen besonderen Reiz für ihn hatte das Studium
der Mathematik. War dieses doch die einzige Disziplin,
die auf sich selbst gegründet war, die unabhängig von
Aristoteles vorgetragen werden musste. Indes auch sie
konnte ihn auf die Dauer nicht fesseln. Vollkommen
getrennt wie sie war von den physikalischen Disziplinen,
hatte sie schliesslich auch nur rein formales Interesse.
Und wie hätte auch ein innerer Zusammenhang ermög-
licht werden können, wo die Physik nach echt mittel-
über Descartes' Bildungsdrang. 15
alterliclier Weise in der Lektüre und Ausdeutung der
Aristotelischen naturwissenschaftliclien Schriften bestand.
9. Der immer mehr erwachende Wissensdrang des
Jünglings begnügte sich keineswegs mit dem, was auf
der Schule geboten wurde. Es war ihm ausserordent-
licher Ernst mit seiner geistigen Bildung. Die Erlaub-
nis, länger als die andern im Bette liegen zu bleiben,
die ihm wegen seiner schwachen Gesundheit gewährt
wurde, benutzte er zum einsamen Nachdenken und zur
inneren Selbstbeschau. Es darf uns nicht wunder-
nehmen, wenn der Philosoph, der später mit solchem
Nachdruck auf das Selbstbewusstsein als den sichersten
Grund unseres Wesens hinwies, schon frühzeitig die
Neigung zeigte, sich in sich selbst zurückzuziehen,
schon jetzt zu diesem Mittel griif, das ihm später so
viele Erfolge brachte.
Dabei war er keineswegs ein einsamer Grübler, der
nur in sich selbst die Wahrheit suchte. Er versuchte
mit allen Mitteln seinen geistigen Horizont zu erweitern,
und da ihm nichts anderes zu Gebote stand als die
Lektüre, so wendete er ihr seinen ganzen jugendlichen
Eifer zu. ,.Ich hatte alle Bücher gelesen, die von den
seltensten und merkwürdigsten Wissenschaften handelten,
deren ich nur immer habhaft werden konnte" (C. I, 125).
So konnten die Lehrer im August des Jahres 1(51!^^
beruhigten Herzens ihren Zögling entlassen. Was ihnen
als das wahre Bildungsideal erschien, die Versenkung
in den mittelalterlich-scholastischen Ideenkreis, hatten
sie dem siebzehnjährigen Jüngling übermittelt, er durfte
sich nun zu den „Gelehrten" rechnen.
Zweites Kapitel.
Periode des Skeptizismus.
1. Nachdem Descartes das College verlassen hatte,
finden wir ihn zunächst in Rennes hei seinen Ver-
wandten wieder, sich mit Reiten und Fechten, sowie
überhaupt seinem Stande angemessenen körperlichen
Übungen beschäftigend. Zu Anfang des Jahres 1613
wird er nach Paris geschickt. Hier soll er das gross-
städtische Leben kennen lernen und seine Gresundheit
noch weiter kräftigen, bevor er sich einem bestimmten
Berufe widmete.
Auf den ersten Blick scheint eine grosse Verände-
rung mit dem jungen Menschen vorgegangen zu sein.
Er, dessen Ideal vorher nur geistige Studien gewesen
sind, gibt sich jetzt ganz und gar den Vergnügungen
hin, wie sie sich ihm in dem leichtlebigen Paris dar-
boten. Und er mag es zuweilen toll genug getrieben
haben, wenn wir sehen, wie später seine leichtsinnigen
Genossen, als er endlich der Zerstreuungen müde sich vor
ihnen zurückzog, sich alle nur erdenkliche Mühe gaben,
um ihn wieder aufzufinden. Worin ist nun der Grund dieser
veränderten Sinnesweise zu suchen? Sollte Descartes
wirklich nur deswegen die Studien aufgegeben haben,
weil er jetzt, der Schulfesseln ledig und sein eigener
freier Herr, nur noch danach trachtete, das Leben von
(irund aus zu gemessen. Dem widerspricht sein zu
ernsthaft angelegter Charakter, widerspricht die Tat-
sache, dass er nach anderthalb Jahren sich von seinen
Skeptische, dem Weltleben zugewandte Gesinnung. 17
vergnügungssüchtigen Freunden vollkommen zurückzog,
um sich ernsten wissenschaftlichen Studien zu widmen.
Es war etwas ganz anderes, was ihn dazu ver-
anlasst hatte, die Beschäftigungen, die er auf der
Schule getrieben hatte, vollkommen aufzugeben. Es
war die Unproduktivität der scholastischen Denkungs-
weise, die dem Jüngling zum klaren Bewusstsein ge-
kommen war. Er wollte selbst denken, selbst forschen,
ein Wissen erwerben, das ihn zum Verständnis der
Natur und Welt führte, ihn nicht vom realen Leben
abschloss. Er sah mit nur allzu grosser Deutlichkeit
die erschreckende Leere und Hohlheit des damaligen
Grelehrten, der gar kein wirkliches Existenzrecht hatte,
was für eine Rolle er auch im Leben spielte, gestützt
durch die reichen Pfründen, mit denen er vom Staate
und der Kirche ausgestattet war. Nur die Erfahrungen,
die ihm das Leben darbot, nur das Wissen, das er sich
durch selbständiges Forschen aneignete, hielt er fortan
der Beachtung für wert. Mochte er auch auf diese Art
und Weise zu keiner Gewissheit kommen, wie sie ihm
die Stubengelehrten vorgetäuscht hatten, mochten auch
die Erfahrungen des bunten vielgestaltigen Lebens keine
eindeutige Erklärungen zulassen, das selbständige Stu-
dium ohne feste Forschungsprinzipien zu keinen festen
Ergebnissen führen, ihn verlangte es vorläufig nicht
danach. Hatte er ja auf der Schule zur Genüge kennen
gelernt, was es mit der vielgerühmten Gewissheit der
scholastischen Wissenschaft für eine Bewandtnis hatte.
Der Philosoph, der tritt herein,
Und beweist euch, es müsst' so sein :
Das Erst' war' so, das Zweite so.
Und drum das Dritt' und Vierte so;
Und wenn das Erst' und Zweit' nicht war',
Das Dritt' und Viert' war' nimmermehr.
Hunger nach Wirklichkeit, nach Realität war es,
was ihn ganz und gar erfüllte, was ihn zum Aufsuchen
Hoffmann, Descartes. 2
]^8 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
„einer unendliclien Empirie", wie Groethe es nennt
(Geschichte der Farbenlehre), veranlasste. „Ich beschloss
keine andere Wissenschaft mehr zu suchen, als die ich
in mir selbst oder in dem grossen Buche der Natur
finden könnte. ■ — Denn es schien mir, als könnte ich in
den Schlussfolgerungen, die ein jeder in seinen eigenen
Angelegenheiten macht und durch deren Ausgang er
alsbald bestraft wird, wenn er sie falsch beurteilt hat,
viel mehr Wahrheit finden, als in den unnützen Speku-
lationen, die der Grelehrte in seinem Studierzimmer an-
stellt, und die weiter keinen Erfolg für ihn haben, als
dass sie ihn vielleicht um so eitler machen, je weniger
sie mit dem gesunden Menschenverstand übereinstimmen,
weil er dann um so mehr Geist und Geschicklichkeit
aufbieten muss, um ihnen den Anschein von Wahrheit
zu geben" (C. 1, 131).
Nicht bezeichnender hätte Descartes seine damalige
skeptische, dem realen Leben zugewandte Stimmung
ausdrücken können.
2. Descartes ist nichts weniger als ein Pedant ge-
wesen, und so braucht es uns nicht zu wundern, wenn
er fürs erste noch nicht an die Ausführung seiner Pläne
dachte, sondern zunächst in vollen Zügen die Freiheit
und die Vergnügungen genoss, wie sie ihm die Haupt-
stadt darbot. Mochte auch das damalige Paris noch
nicht so raffinierte Genüsse wie in unserer Zeit der
zerstreuungsbedürftigen vornehmen Gesellschaft bieten,
es gab dort doch Gelegenheit genug, sich die Zeit in
angenehmer Weise zu vertreiben. Ein beliebtes Unter-
haltungsmittel bildeten die Promenaden. Die Herren
ritten gewöhnlich, wobei sie einander zu überbieten
suchten in der Eleganz und Vornehmheit ihrer Aus-
rüstung, die Damen schlössen sich ihnen an in ofi'enen
Wagen, wodurch es ihnen ermöglicht wurde, ohne die
geringste Anstrengung ihre reich ausgestatteten und
Pariser Gesellschaftsleben und sein Einfluss. 19
geschmackvoll gewählten Toiletten spazieren zu führen.
Man erfreute sich an den prächtigen Gebäuden, an der
schönen Natur und vertrieb sich die Stunden mit mehr
oder weniger geistreichen Gesprächen. Nach dem
Spaziergang blieb man häufig noch beisammen in einem
Privatgarten promenierend. In einer versteckten Laube
wurde dann den nichts ahnenden Gästen ein geschmack-
voll hergerichtetes Mahl geboten, oder die Gesellschaft
befand sich des Abends im Salon in angeregter Unter-
haltung begrijffen, als A^on der Strasse her Musikweisen
in die geöffneten Saalfenster hineinklangen. Überrascht
schauten sich dann die Gäste um, wem von den An-
wesenden das Ständchen dargebracht wurde.
Grosse Anziehungskraft übten auch die ebenfalls
in Begleitung der Damen unternommenen Jagdpartien
in eigens dazu hergerichteten Tiergärten aus. Getanzt
wurde damals schon wie heute in allen Gesellschafts-
klassen. Am Hofe wurde besonders das Ballett gepflegt,
Damen und Herren der vornehmsten Kreise nahmen
daran teil, man bot dabei alles auf, durch die ausge-
wählte Musik, die graziösen Tanzfiguren und die ausser-
ordentlich kostbare Ausstattung den Gästen ein aus-
erlesenes Vergnügen zu bieten.^)
Überhaupt muss gerade zu dieser Zeit das gesellige
Leben in Paris ausserordentlich rege gewesen sein,
stand doch die leichtsinnige Mediceerin Maria an der
Spitze des Staates, die Regentschaft für ihren unmün-
digen Sohn, den späteren Ludwig XIII., führend, und
man weiss, wie sie Glanz und Pracht liebte, wie die
Pflege ihrer Schönheit eine ihrer Hauptsorgen war.
Mochten sich die von Heinrich IV. kaum beschwichtigten
Unabhängigkeitsgelüste des Adels wieder regen, mochten
die durch das Edikt von Nantes mit so reichen Privi-
legien ausgestatteten Hugenotten das Gemeinwesen be-
^) Eingehend hat sich mit diesen Verhältnissen Cousin be-
schäftigt.
20 Zweites Kapitel : Periode des Skeptizismus.
drohen, was schadefs, wenn nur Paris sicli liinreicliend
amüsieren kann.
Es ist leicht zu verstehen, wie der Glanz des
hauptstädtischen Lebens nicht verfehlte, einen be-
strickenden Reiz auf den des Studierzimmers kaum
entwöhnten Jüngling auszuüben. Aber wie verführerisch
lockend auch Genüsse aller Art ihn umgaben, sie ver-
mochten es doch nicht, ihn vollkommen zu betäuben.
Scheinbar ganz und gar den Vergnügungen hingegeben,
konnte er doch nicht seine gewissenhafte, nachdenkliche
und auf den Grund der Dinge gehende Natur verleugnen.
Alles, was er betrieb, ob Vergnügen oder Arbeit, voll-
brachte er mit einem gewissen Ernst. Schon in Rennes,
als er sich im Eechten übte, hatte er über die blosse
instinktive Aneignung dieser Kunst hinauszukommen
gesucht und in einer Abhandlung dargelegt, wie man
einen vollkommen ebenbürtigen Gegner besiegen kann.^)
Dem Spiele, dem er sich mit einer gewissen Leiden-
schaft widmete, suchte er ebenfalls die theoretischen
Grundlagen abzulauschen, und es interessierte ihn um
so mehr, je unabhängiger es vom Zufall war und je
mehr es die geistige Aufmerksamkeit herausforderte.
Ein lebhaftes Literesse zeigte Descartes für die
musikalischen Genüsse in Paris. Bedenken wir, wie er
bald nach seinem ersten Pariser Aufenthalt eine Schrift
über die Musik verfasste, die einen ehrenvollen Platz
in der Geschichte der Musiktheorie einnimmt und eine
Fülle von feinsinnigen und teilweise recht wichtigen
Beobachtungen enthält, so können wir uns eine Vor-
stellung davon machen^ mit wie grossem Verständnis er
den musikalischen Unterhaltungen beigewohnt hat und
wie er sich nicht mit dem blossen Genüsse begnügt,
sondern auch die geheimnisvolle Technik zu ergründen
versucht hat. Während bei den Balletts der Genuss-
^) Die Abhandlung ist verloren gegangen.
Freundschaft mit Mersenne. 21
mensch damals genau so wie heute sich hauptsächlich
von den Keizen der körperlichen Schönheit und der
Anmut der Bewegungen gefangen nehmen lässt, hatte
Descartes noch Sinn genug, die wunderbaren Wirkungen
der Musik zu beachten, wie sie den Tanzenden gleich-
sam in einem magischen Zauberbann hält und ihn
zwingt, ein willenloser Ausdruck ihres eigentümlichen
Rhythmus zu werden (C. V, 451).
3. Von dem ganzen Schwärm vergnügungssüchtiger
junger Leute, der sich damals um Descartes geschart
hatte, ist uns kein einziger Name erhalten geblieben,
und wie wir wohl ruhig behaupten dürfen, es entsteht
hierdurch keine Lücke in dem Verständnis der inneren
Entwicklung unseres Philosophen. Anders steht es um
zwei Freundschaften, welche der Jüngling damals in
Paris geschlossen hatte, die für ihn bedeutungsvoll bis
in seine letzten Lebensjahre hinein werden sollten, und
die wohl nicht zum wenigsten dazu beigetragen haben,
ihn dem leichtsinnigen Treiben seiner Genossen zu ent-
ziehen.
Den einen von ihnen. Marin Mersenne, hatte er
schon auf dem College kennen lernen können, doch
mochte wohl der grosse Altersunterschied zwischen
beiden — Mersenne war fast acht Jahre älter — eine
Annäherung damals verhindert haben. Beide strebten
ganz entgegengesetzten Zielen zu, Descartes wollte Welt
und Menschen kennen lernen, Mersenne hinter friedlichen
Klostermauern sein Leben verbringen. Letzterer besass
eine selten gute Gemütsart und eine Liebenswürdigkeit
und Verträglichkeit im persönlichen Verkehr, die es
ihm ermöglichte, die widerstrebendsten Elemente an sich
zu fesseln, und indem er, veranlasst durch sein all-
seitiges wissenschaftliches Interesse, dies benutzte, um
mit zahlreichen Gelehrten und hervorragenden Forschern
seiner Zeit in rege Verbindung zu treten, hat er sich
22 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
ein ausserordentliches Verdienst um die Verbreitung und
Erweckung der damaligen wissenschaftlichen Ideen-
massen erworben. Seine eigenen wissenschaftlichen Ver-
dienste sind freilich, abgesehen von der Musiktheorie,
ausserordentlich gering, und blättert man in seinem
dickleibigen Kommentar zur Genesis etwas herum, so
erstaunt man, wieviel des Kleinlichen und geradezu
Lächerlichen darin behandelt wird. Nicht weniger
muss einem in Verwunderung setzen die merkwürdige
Naivität und Gutmütigkeit des jungen Geistlichen, der in
seinem heiligen Eifer in den heftigsten Ausdrücken sich
über die gottlosen Skeptiker und Freigeister ergeht und
dabei keinen Anstand nimmt, mit Leuten wie Hobbes
und Gassendi in den regsten persönlichen und wissen-
schaftlichen Verkehr zu treten, Männern von der alier-
entschiedensten positivistischen und sensualistischen
Richtung, die" aus ihrer Überzeugung kein Hehl
machten. Durch alle diese Eigenschaften sollte Mersenne
später seinem Freunde Descartes ausserordentlich nütz-
lich werden. Wir werden sehen, wie viele Jahre nach
diesem ersten Pariser Aufenthalt der Philosoph sich in
das ferne Holland zur Ausreifung seiner Gedanken
zurückzieht, und wie er doch dank seinem Freunde einen
reg-en Ideenaustausch mit der wissenschaftlichen Welt
dabei imterhalten kann. „Ich hatte den grossen Vorteil
zu Lebzeiten des guten Pater Mersenne, dass ich ohne
eigenes Zutun auf das Genaueste von allem, was sich
unter den Gelehrten zutrug, unterrichtet wurde. Durch
ihn erhielt ich Bericht über alle Experimente, die von
ihm oder andern angestellt waren, über alle seltenen
Erfindungen, die man gemacht oder denen man auf der
Spur war, über alle neuen Bücher, die in irgend welchem
Ansehen standen, und endlich über alle bedeutsamen
wissenschaftlichen Diskussionen" (A.V, 365). Bei alledem
muss aber betont werden, ein selbständiger Einfluss auf
Descartes' philosophische Gedankenbildung darf Mer-
Mydorges wissenschaftlicher Einfluss. 23
senne wolil kaum zugeschrieben werden. Von Descartes
erfahren wir es selbst, wie ungeordnet das Wissen
seines Freundes war, wie es ihm an eigentlicher Tiefe
fehlte, Eigenschaften, die es ihm zwar ermöglichten, an
die Probleme heranzutreten, ein wirkliches Eindringen
in dieselben aber vollkommen ausschlössen (A. II, 586).
Trotz dieser so grossen geistigen Verschiedenheit hat
nie ein Missklang die Freundschaft der beiden Männer
gestört. War Descartes viel zu edel und feinfühlig,
als dass er jemals dem Gefährten seine geistige Über-
legenheit gezeigt hätte, so besass wiederum Mersenne
ein überaus bescheidenes, jeder Selbstüberhebung fremdes
Wesen, wodurch ein Konflikt ganz und gar unmöglich
gemacht wurde.
4. Einen anderen Charakter hat das zweite Freund-
schaftsbündnis, das Descartes zur damaligen Zeit in
Paris schloss. Es war eine durchaus auf Produktivität
angelegte Persönlichkeit, deren anregenden Einfluss
Descartes in dem neuen Bekannten, dem Mathematiker
und Physiker Mydorge, erfahren sollte. Aus einer reich
begüterten Beamtenfamilie stammend, hatte dieser nach
Vollendung seiner gerichtlichen Laufbahn den keinerlei
Verpflichtungen mit sich bringenden Titel eines „Schatz-
meisters" (Tresorier de France) angenommen, um sich
ungehindert wissenschaftlichen Studien hingeben zu
können.
In jener Zeit, in der die Wissenschaft an den Uni-
versitäten noch lange nicht von dem tiefen Schlaf er-
wacht war, in den sie der dämonische Einfluss des Aristo-
teles versetzt hatte, in der sie noch ruhig weiter ihr
phantastisches Traumleben fortsetzte, hatten sich ganz
im stillen und abseits von der gelehrten Zunft Männer
gefunden, die im kühnen Selbstvertrauen auf eigene
Hand die Wissenschaften wieder zu beleben suchten.
Mochte auch Mydorge nicht heranreichen an die Be-
24 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
deutung eines Kopernikus, eines Kepler, eines Galilei,
so hatte er doch ihren ganzen Enthusiasmus in sich
aufgenommen, hatte Talent genug, um in der Geschichte
der Mathematik und Optik auch heute noch einen ehren-
vollen Platz einzunehmen. Als Descartes die Schale
verliess, hatte er geglaubt, dass das wissenschaftliche
Leben seiner Zeit ihm nichts mehr bieten könne. Jetzt
musste er wahrnehmen, wie beschränkt im Grunde ge-
nommen sein damaliges Urteil gewesen war, wie er voll-
ständig die geheimen wissenschaftlichen Unterströmungen
übersehen hatte, die dereinst die ganze Welt umge-
stalten sollten. Wir dürfen wohl mit ziemlicher Sicher-
heit annehmen, dass gerade jetzt durch den Verkehr
mit jenem wissensdurstigen Mathematiker, der in seinem
selbstlosen Forschungsdrange ein ganzes Vermögen zur
Bestreitung von Experimenten in seinem Leben ausge-
geben hat, unserem Philosophen zum erstenmale jene
Erkenntnis gekommen ist, und ob früher oder später,
kommen musste sie ihm einmal in diesen Jahren seiner
Entwicklung. Denn das ist ja der Unterschied des
Genies vom gewöhnlichen Kopf, jener kann sich, dem
Parvenü vergleichbar, nur das Wissen aneignen, was
schon alle innere Fruchtbarkeit verloren hat, was ab-
gestanden und geistlos genug ist, um unter der grossen
Masse der Gelehrten zirkulieren zu können; der Mann
von Talent dagegen, unbefriedigt von der schmalen
Kost dieser „breiten Bettelsuppen", gräbt tiefer in dem
Schacht der zeitgenössischen Wissenschaften, bis er auf
die in geheimer Tiefe verborgenen Goldadern stösst, die
wirklich fruchtbaren Keime neuer geistiger Ideen, die
das profane Auge nie entdeckt.
5. Seit dem Herbste des Jahres 1614 erscheint
Descartes wie umgewandelt. Der ernste Verkehr mit
Mersenne und Mydorge muss offenbar jetzt seine Wir-
kuno;en auso:eübt haben. Aus dem geräuschvollen Treiben
Wissenschaftliche Studien. Zukunftspläne. 25
seiner G-enossen hat er sich entfernt und hält sich vor
ihnen verborgen in der stillen Vorstadt Saint-Germain
auf,^) die Einsamkeit ganz und gar ernsthaften wissen-
schaftlichen Studien weihend. Baillet berichtet uns,
dass er sich vornehmlich mit Mathematik beschäftigte
(Baillet I, 38) ; betrachten wir aber, mit welchem leb-
haften und selbständigen Interesse er einige Jahre
darauf auf physikalische Erörterungen einging, so gehen
wir wohl nicht fehl, wenn wir, wie ja schon vorher
nahegelegt wurde, in diese Zeit auch seine erste Be-
kanntschaft mit der neu erwachenden Naturforschung
setzen. Vielleicht hat er schon jetzt mit dem Studium
Keplers begonnen, den er später als seinen Lehrer in
der Optik anerkennt (A. I, 86). Mit Hochachtung hat
hat er indessen auch immer Mydorge genannt, von dem
er augenblicklich so viele persönliche wissenschaftliche
Anregungen bekommt-) (A. I, 501 ; II, 15. 466).
Geraume Zeit verbrachte Descartes in dem stillen
Saint-Germain, als er durch einen Zufall von einem
seiner früheren lebenslustigen Bekannten entdeckt wurde.
Nun war's vorbei mit seiner wissenschaftlichen Müsse.
G-anz so wie früher wurde er wieder in den Strudel
der Vergnügungen hineingezogen. Allein er konnte
nicht mehr mit ganzem Herzen dabei sein. Dieses
Leben, wie es die damaligen vornehmen Kreise führten,
erschien ihm doch zu leer, zu inhaltlos. Es bot keinen
ßaum für wirklich andauerndes selbständiges Studium,
und die Zukunft, die ihm in Paris winkte, es zu einem
blasierten Lebemann zu brino-en, stach denn doch etwas
^) Für längere oder kürzere Zeit muss er damals auch seinen
Pariser Wohnort mit Poitiers vertauscht haben.
-) Auch juristische Studien muss Descartes damals getrieben
haben. Am 10. November 1616 promoviert er zum Baccalaureus
und Lizentiaten an der Rechtsfakultät zu Poitiers. Deswegen brauchen
aber nicht so erhebliche Korrekturen an Baillets Darstellung vorge-
nommen zu werden, wie Thouverez meint. (Archiv f. Gesch. d. Philos.
B. XIII.)
26 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
zu grell ab von den ernsten Vorsätzen, die er sich nach
Verlassen der Schulzeit gemacht hatte, das Leben mit
dem Auge des Philosophen zu betrachten und seinen
Geist von den Vorurteilen und Irrtümern des Durch-
schnittsmenschen zu befreien. Hier gab es nur einen
Ausweg. Er musste fort aus dem leichtsinnigen Paris,
das, wie er fühlte, der Tod für seinen inneren Menschen
zu werden drohte. Wir können uns eine Vorstellung
davon machen, wie sehr sich Descartes in der Haupt-
stadt in seiner geistigen Entfaltung gehemmt fühlte,
wenn wir sehen, wie er selbst Jahrzehnte danach in
seinen letzten Lebensjahren, wo er sich stets nur kurze
Zeit in Paris aufhielt, eine gewisse geistige Beunruhigung
nicht unterdrücken konnte trotz der vielen Freunde, die
er hier hatte. „Sie werden glauben, dass ich zu ein-
gebildet bin. Aber ich glaube, an diesem Fehler hat
mehr die Pariser Luft als ich selbst schuld. Ich habe
es Ihnen wohl schon früher einmal gesagt, diese Luft
erfüllt mich mit Chimären anstatt mit philosophischen
Gedanken. Und ich sehe hier so viele andere Menschen
mit irrigen Meinungen und Berechnungen, dass ich zu
dem Glauben komme, diese Krankheit ist hier allge-
mein." (A. V, 183.)
6. Um seine Pläne, die Welt ernstlich kennen zu
lernen und dabei auch gleichzeitig seinen Charakter zu
stählen, zur Ausführung bringen zu können, entschloss
sich Descartes, fern von der Heimat in fremde Kriegs-
dienste zu treten. Es war das damals, so seltsam es
auch unsern Verhältnissen gegenüber erscheinen mag,
die zweckmässigste Art und Weise, das Leben an seiner
Quelle zu studieren. Wenn später Descartes ein idea-
listisches System entwickelt hat, das die Theorien der
Eintagsphilosophen überdauernd in der fruchtbarsten
Weise auf die moderne philosophische Gedankenbewegung
eingewirkt hat, so ist es nicht zum wenigsten dem zu
Kriegsjahre. Dienstzeit in Holland. 27
verdanken, dass der ideale Grnndzug seines Wesens so
ausserordentlicli gekräftigt und vertieft worden ist
durck die Berührung und die Auseinandersetzung mit
den Verhältnissen des realen Lebens. In den Gefahren
und Anstrengungen, wie sie nun einmal das Soldaten-
leben mit sich bringt, muss ja die Energie des Menschen
sich am stärksten entfalten, muss sein moralisches Ich,
wenn es kräftig genug ist, um nicht durch die vielen
Greuel des Krieges zu verrohen, nur um so mächtiger
hervordringen. Wenn Descartes in seinem System mit
so ehernem Nachdruck die Souveränität des Geistes, die
so gewaltige Kraft des menschlichen Willens hervor-
hebt, in diesen Jahren hat sich seine Überzeugung ent-
wickelt und ihre Feuerprobe bestanden.
Als sich unser Philosoph zur Kriegerlaufbahn ent-
schloss, war er 21 Jahre alt. Vergegenwärtigen wir
uns einmal sein damaliges Äussere, er machte einen
durchaus frischen und angenehmen Eindruck. Seine
Figur war etwas unter Mittelgrösse, aber wohl pro-
portioniert, der Kopf allerdings ein bisschen gross im
Verhältnis zum Rumpf, Haar und Augenbrauen ziemlich
schwarz, die Stirn breit und ein wenig vorgerückt.
Seinem Stande entsprechend trug er Federhut, Schärpe
und Degen, wer hätte in dem jungen Freiwilligen mit
der frischen und gesunden Gesichtsfarbe den bleichen
schwächlichen Knaben von ehedem wiedererkannt?
Descartes hat es vermieden, an den inneren Kriegen,
die damals in seinem Vaterlande tobten, teilzunehmen.
Wie hätte wohl auch einer, der ein Herz für sein Ge-
burtsland hatte, diesen inneren Wirren gerne beiwohnen
mögen, in die das damalige Frankreich durch die Huge-
notten und den unruhigen hohen Adel verwickelt war,
Zustände, die das schwer geprüfte Land noch zur voll-
kommenen Anarchie hätten führen können, die herr-
schende Dynastie jedenfalls wohl sicher gestürzt hätten,
wenn nicht einige Jahre darauf der energische Richelieu
28 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
in den Staatsrat berufen worden wäre, der mit rück-
sichtsloser und grausamer Härte die widerstrebenden
Elemente unterdrückte.
7. Es waren die aufstrebenden, freiheitlich gesinnten
Niederlande, in deren Dienst unser junger Philosoph
trat. Im Jahre 1617, in dem wir uns jetzt befinden,
war der Waffenstillstand, den die vereinigten Staaten
mit Spanien geschlossen hatten, noch nicht abgelaufen.
Trotzdem war von eigentlicher Ruhe bei den Soldaten
nichts zu merken. Fürst Moritz von Nassau hielt die
Truppen durch militärische Übungen fortwährend in
Atem. Der Statthalter hatte sich bereits durch seine
tapfere und geschickte Kriegsführung einen Namen in
ganz Europa gemacht. Ausserdem besass er eine vor-
zügliche theoretische Ausbildung. Unter Leitung des
berühmten Physikers Simon Stevin hatte er mit grossem
Erfolg Mathematik imd die andern zum Kriegswesen
gehörigen Wissenschaften studiert. Sein Hauptquartier
lag in Breda. Hierher kam nun Descartes inmitten
einer Schar junger französischer Edelleute, um dem
befreundeten Lande seine Dienste anzubieten. Sah es
doch Frankreich durchaus nicht ungern, wenn seine
Landeskinder sich an der Bekämpfung der spanisch-
österreichischen Dynastie beteiligten. Wiewohl Des-
cartes hier in Holland den eigentlichen Krieg noch
nicht kennen lernte, hat er seinen dortigen Aufenthalt
nicht zu bereuen gehabt. Befand er sich doch hier
zum erstenmale in einem ganz fremden Lande. Die
andersartigen Sitten, die freiheitliche, aufopferungs-
freudige Gesinnung der Bewohner hätten selbst einer
weniger nachdenklichen Natur, als sie unser Philosoph
besass, eine reiche Fülle von dauernden Anregungen
gegeben. Wenn später Descartes hier für zwei Jahr-
zehnte seinen Wohnsitz aufschlug, so ist es nicht zum
wenigsten der günstige Eindruck, den er jetzt empfing,
Anregungen Beeckmanns. 29
gewesen, der ilin dereinst in seinem Entschlüsse be-
stärken sollte.
8. Aber nicht nur der Menscbenbeobacbter, auch
der wissenschaftliche Forscher konnte hier auf seine
Kosten kommen. Die Geschichtsschreiber der Natur-
wissenschaften haben es mehr oder weniger ganz über-
sehen, welchen bedeutenden Einfluss die Anforderungen
der Technik auf die Entwicklungen der exakten Dis-
ziplinen gehabt haben. Und doch welch eine Fülle von
Beziehungen liegt hier vor. AVas für eine klägliche
Rolle musste der spintisierende Aristotelische Physiker
spielen, sobald es sich um die Umsetzung seiner Ideen
in die Praxis handelte! Das Kriegslager in Breda kann
uns als Beispiel dienen für die auf die theoretische
Forschung so belebend einwirkende Technik. Mathe-
matiker und Ingenieure waren hier um die Fülle von
technischen und rein theoretischen Problemen bemüht,
wie sie dank dem lebhaften Interesse des Oraniers
immer von neuem aufgeworfen wurden. Ja man ging
soweit, Plakate an den Strassenecken anzuschlagen, um
die angeregten Aufgaben für jedermann bekannt zu
machen. Es war vor solch einem Plakat, wo Descartes
die Bekanntschaft des Dordrechter Mathematikers Isaak
Beeckmann machte. Beeckmann war Rektor am Dord-
rechter College. Durch sein Interesse für experimen-
telle physikalische Probleme ragte er sicherlich imter
seinen scholastischen Kollegen hervor. Er wunderte
sich sehr, als er an dem jungen Krieger ein lebhaftes
naturwissenschaftliches und mathematisches Interesse
bemerkte. Ja sein Erstaunen wäre vielleicht noch
grösser gewesen, wenn er genügend Selbsterkenntnis
besessen hätte, um einzusehen, dass sein junger
Freund ihn sogar an wissenschaftlichem Verständnis
übertraf. Gleichwohl hat der wissenschaftliche Verkehr
mit Beeckmann dem jungen Philosophen vielfache An-
30 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
regung gebracht. Durch ihn wird er ermuntert, nach-
zudenken über die Beziehungen zwischen den Schwingungs-
zahlen der einzelnen Töne, über die eigentümlichen
Kurven, die von den einzelnen Punkten bewegter Seile
beschrieben werden, über den plötzlichen Übergang
eines geschleuderten Körpers aus der kreisförmigen
Bewegung in die geradlinige, sobald er aus der Hand
entlassen wird, über die wunderbare Eigenschaft des
Wassers, beim Gefrieren sich auszudehnen, die doch
ganz im Gegensatz steht zu dem normalen Verhalten
der Flüssigkeiten und dergleichen (Oeuvres Inedites.
I, 20 u. f.). Mochten auch manche dieser Fragen von
Descartes vorläufig beiseite gelegt oder recht unzu-
länglich beantwortet werden. Genug, dass er, wie schon
'wahrscheinlich vorher in Paris, hier wiederum auf den
wahren Geist der Naturwissenschaft, auf die Beschäfti-
gung mit dem Experiment und seine mathematische
Deutung aufmerksam gemacht wurde.
Die Beantwortung zweier wichtiger physikalischer
Schwierigkeiten zeigen uns, welch hervorragendes und
tiefes physikalisches Verständnis Descartes in diesen
Jahren schon besessen haben muss. Beeckmann hatte
Beziehungen zu dem Physiker Stevin und so geschah
es, dass Descartes mit dem Phänomen des hydrostatischen
Paradoxon bekannt wurde, einer Erscheinung, durch
die ja Stevins Name so berühmt geworden ist. Warum
lastet das Wasser in Gefässen von der verschiedensten
Gestalt gleich schwer auf dem Boden der Gefässe, wo-
fern die Gefässe gleichen Boden und gleiche Höhe
haben. Descartes erkannte mit richtigem Blick, dass
die Breite der Wasserschicht nichts zu dem Boden-
drucke hinzufügen könne, dass der Druck einzig und
allein von der Höhe bedingt ist und dass also von einem
wirklichen Paradoxon hier nicht die Rede sein kann
(Oeuvr. Ined. I, 26). Mag seinen Darlegungen über diese
Erscheinung, wie sie sich in seinen Tagebüchern findet.
Physikalische Entdeckungen. Mangel an System. 31
auch die völlige Bestimmtheit und Präzision fehlen,
schon die sicher herauszulesende Andeutung der eben
genannten Erklärung genügt, um alle Hochachtung vor
der Einsicht des jugendlichen Forschers zu bekommen.
Wenden wir uns nun zu dem zweiten wichtigen
Problem, um dessen Lösung sich Descartes in diesen
Jahren bemüht hat. Es handelt sich um die Feststellung
der gesetzmässigen Bewegung eines frei fallenden Kör-
pers. Es war der grosse Galilei; der bereits eine Reihe
von Jahren vorher dieses Gesetz ausgesprochen und mit
genialem Scharfblick erkannt hat, wie auch bei den
verwickeiteren Erscheinungen des Falles auf einer
schiefen Ebene und den Schwingungen eines Pendels
dieses Gesetz in Kraft tritt. Wiewohl Galilei seine
Entdeckung erst Jahrzehnte später veröifentlicht hat,
ist nicht daran zu zweifeln, dass die Kenntnis derselben
sich schon vorher verbreitete. Hat der Forscher doch
sicherlich keinen Anstand genommen , seinen grossen
Zuhörerkreis, den er als Professor in Padua hatte, über die
gefundenen Resultate zu unterrichten. Wenn wir nun aus
den Aufzeichnungen Descartes' ersehen, dass dieses
Problem ihm in vollkommen scharfer Formulierung von
einem „sehr talentvollen Kopf" aufgegeben worden ist,
so scheint es fast, als ob dieser Unbekannte auch zu
denen gehörte , welche von dem Gesetze Kenntnis ge-
nommen hatten, und nun das Entdeckertalent Descartes'
auf die Probe stellen wollte. Letzterer erkannte richtig,
dass die erste Hälfte des Weges dreimal so langsam
durchlaufen wird wie die zweite. Gewiss ist damit
noch nicht das Fallgesetz in seiner vollen Allgemeinheit
ausgesprochen. Und sicherlich macht Descartes' Be-
merkung einen etwas dürftigen Eindruck, wenn man
bedenkt, in wie umfassender Weise Galilei die Er-
scheinung erklärt hat, dennoch muss uns auch hier der
helle Blick des jungen Forschers in Staunen setzen, wie
er sich durch die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Er-
32 Zweites Kapitel : Periode des Skeptizismus.
scheinungen niclit verwirren lässt, und wie er, ohne
noch eine feste Naturauffassung zu haben, doch schon
im einzelnen sich bewusst ist, dass es darauf ankommt,
die Erscheinungen auf leicht zu überschauende Bewegungs-
vorgänge und einfache mathematische Relationen zurück-
zuführen. Aber eben nur im einzelnen können wir diese
Gesichtspunkte und ihre fruchtbare Betätigung wahr-
nehmen. Feste Anschauungen hatte damals unser Phi-
losoph noch keineswegs. So macht er in seinen Er-
klärungen Gebrauch von der Annahme eines leeren
Raumes, einer Voraussetzung, die seiner späteren Natur-
philosophie vollkommen widerspricht, ja noch mehr, er
hält es für der Mühe wert, die echt scholastische Weise,
in der sich Beeckmann die Ausdehnung des gefrorenen
Wassers erklärt, nämlich mit Hilfe der Feuergeister,
(Spiritus ignei) in seine damaligen Aufzeichnungen mit-
aufzunehmen. Er ist eben durch und durch skeptisch
gesinnt, den Theorien der Scholastik sowohl wie denen
der neu entstehenden Naturwissenschaft gegenüber, und
macht nur im konkreten Falle, wo sie ihm gerade vor-
teilhaft und fruchtbar erscheinen, von ihnen Gebrauch.
9. Indes mag nun auch Descartes sich zu dieser
Zeit in der Naturwissenschaft zwar noch nicht der um-
fassenden Bedeutung einer mathematischen Grundlage
bewusst sein. Ganz entschieden hat er ihre Wichtigkeit
erkannt für die wissenschaftliche Fundamentierung der
Musiktheorie, ja noch mehr im letzten Grunde für die
Kunst überhaupt. Es ist der Grundgedanke, in dem
er sich mit einem Kepler, Galilei und Leibniz begegnet,
und der für uns heute zu einer selbstverständlichen
Wahrheit geworden ist, dass den elementarsten Wir-
kungen des Schönen einfache mathematische Relationen
zu Grunde liegen. Es ist für die Entwicklungsgeschichte
unseres Denkers vom höchsten Interesse, dass er aus
der Kunst heraus den Begriff der mathematischen Ge-
Mathematische Gesetzmässigkeit der Musik. 33
setzmässigkeit geschöpft und in seiner ganzen Tiefe erkannt
bat. War es doch fortan für ihn nur noch ein Schritt,
diese Einsicht auch auf die Natur zu übertragen, auch
sie als eine allgemeine Harmonie, als ein Spiel einfacher
gesetzmässig in einander greifender Bewegungen auf-
zufassen.
Es war im Jahre 1618, — Descartes weilte bereits
über ein Jahr in Holland — , als er in einer kleinen
Schrift über die Musik sich mit den eben angedeuteten
Gedanken beschäftigte. „Ich hatte an dem "Werk ge-
arbeitet zu einer Zeit, in der ich an nichts weniger
dachte, als über diesen Gegenstand zu schreiben, und
wo ich ein müssiges und wenig zurückgezogenes Leben
führte, verlockt durch die Unwissenheit und den Umgang
mit den Kriegsgefährten" (C. V, 503). Die vorher be-
handelten physikalischen Probleme haben schon gezeigt,
welchen regen Wissensdrang Descartes in dieser seiner
Soldatenzeit hatte, das Eingehen auf den Inhalt seiner
musikalischen Abhandlung wird uns einen neuen Beweis
dafür liefern, wird die höchste Bewunderung für unsern
Philosophen erwecken, wenn wir sehen, was es denn
mit seinem scheinbar so müssigen Leben für eine Be-
wandtnis hatte.
Bevor sich Descartes auf die Musik selbst näher
einlässt, streift er das Wesen der Kunst im allgemeinen.
Worin ist die eigentliche Ursache zu suchen, dass Dinge
ausser uns angenehm auf unsere Sinne einwirken. Ihre
Wirkung, antwortet der Philosoph, muss sich in be-
stimmten Grenzen halten, der Reiz darf einen bestimmten
Grad nicht überschreiten. So ist das Geräusch, das
der Donner verursacht, viel zu heftig, als dass
der Musiker damit etwas anfangen kann, ein allzu-
greller Lichtstrahl überreizt das Auge und kann keine
angenehme Empfindung hervorrufen. Sodann ist zu be-
achten, dass das auf uns einwirkende Objekt den Sinn
nicht verwirrt , es muss eine bestimmte Proportion,
Hoffmann, Descartes. 3
34 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
eine für den Verstand erkennbare Regelmässigkeit
zwischen seinen einzelnen Teilen bestehen, nur dann
kann es in uns das Gefühl des Schönen hervorrufen,
doch andererseits darf diese Regelmässigkeit nicht zu
einfach sein, sonst wird der Eindruck abgeschwächt
und schwindet schliesslich ganz und gar. Wird der-
selbe Ton zweimal gespielt, so lässt uns dies gleich-
gültig, erst bei der Oktave, deren Töne zu einander
im Verhältnis eins zu zwei stehen, haben wir die erste
Empfindung des Wohlklanges, sie wird noch weit stärker,
wenn wir die Quinte anschlagen, sie kennzeichnet Des-
cartes als die angenehmste Konsonanz. Freilich ist dies
auch gleichzeitig der Grund, warum sie nicht so häufig
angewendet werden darf wie die Oktave, „wie wir uns
ja auch weit schneller den Appetit verlegen, wenn wir
nur Zucker oder ähnliche Näschereien essen, als wenn
wir unsern Hunger an Brot stillen, trotzdem doch
jedermann zugestehen wird, dass letzteres nicht so gut
schmeckt." (C. V, 364.)
Descartes ist indessen durchaus noch nicht zufrieden
damit, das Wesen der Konsonanz in den einfachen
Zahlenverhältnissen der beiden sie verursachenden Töne
zu begründen. Soweit waren ja schon die Pythagoreer
gekommen. Noch viel tiefer sehen wir ihn auf die
Erklärung dieser Erscheinung eingehen. Er hat, viel-
leicht neben Galilei der einzige in der damaligen Zeit,
die wunderbare Entdeckung gemacht, dass der scheinbar
einfache Ton auch noch eine gewisse Anzahl höherer
Töne enthält, und dass diese Töne indentisch sind mit
denjenigen, welche fähig sind mit ihm Konsonanzen zu
bilden, die Saite einer Geige schwingt nicht nur als
Ganzes, sie schwingt auch in einzelnen Teilen mit. und
zwar in solchen Teilen, die in einfachen Verhältnissen
zur Länge der ganzen Saite stehen. So ist das eigent-
liche Wesen der Konsonanz vollkommen klar. Der
Grundton trägt ja schon den gleichzeitig mit ihm er-
Mathematische Gesetzmässigkeit der Musik. 35
klingenden Ton in sich, kein Wunder, dass er infolge
dessen von ihm nicht gestört wird, sondern im Gegen-
teil in uns das Gefühl einer Konsonanz wachgerufen
wird. Das Verdienst, das sich Descartes durch diese
Erklärung erworben hat, die der damaligen Zeit noch
ganz unbekannt w^ar, ist nicht hoch genug anzuschlagen.^)
Noch viel drastischer als in der Harmonie der Töne
zeigt sich im Takt die Abhängigkeit der Musik von
mathematischen Relationen. Ist es doch der Takt, der
dem Tonstück Einheit und Zusammenhang verleiht, „er
unterstützt unsere Einbildungskraft und erleichtert es
uns, alle die Glieder einer Melodie zu erfassen und sich
zu ergötzen an der Fülle der Proportionen, die in ihr
enthalten sind." (C. V, 449-50.) Er ist es ferner,
der dem Musikstück die eigentliche Grundstimmung
gibt, ist er langsam, so entsprechen ihm auch die zum
Ausdruck gebrachten Leidenschaften, Trauer, Furcht,
Niedergeschlagenheit und dergleichen lesen wir dann
aus der Musik heraus, wird dagegen das Temj)0 lebhaft,
gleich tritt auch ein Wechsel im Ausdruck ein, Heiter-
keit, Freude, Ausgelassenheit, kurz die entgegengesetzten
Stimmungen werden in unserm Innern ausgelöst. Man
bedenke schliesslich, dass der Takt an und für sich
allein schon genügt, um dem Ohre Vergnügen zu be-
reiten, „wie die Erfahrung lehrt, wenn die Trommel
gerührt wird, um den Marsch zu regeln oder die Kriegs-
leute zusammenzurufen." (C. V, 452.) Es ist hier nicht
der Ort, auf die einzelnen Punkte dieser kleinen Schrift
einzugehen. Interessant ist es zu sehen, wie weit unser
Philosoph ein gesetzmässiges Eindringen in die geheim-
^) Soweit ich mich darüber orientiert habe, scheint man sowohl
in der Musikgeschichte als auch in der Geschichle der physikalischen
Akustik diese Tatsache nicht gewürdigt zu haben. — Wie die zu-
sammengesetzte Bewegung einer Saite gestaltet ist, die neben dem
Grundton auch noch die Obertöne angibt, dies festzustellen, ist erst
unserer Zeit gelungen.
36 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
nisvolle Werkstatt des Künstlers für möglich hält. „Ich
müsste fernerhin auch noch im einzelnen eine jede
Leidenschaft behandeln, wie sie die Musik fähig ist, in
der Seele zu erregen, und ich müsste zeigen, welche
Tonabstufungen, Konsonanzen, Zeiten, Figuren und der-
gleichen erforderlich sind, um sie in ims zu erwecken,
doch das würde über das hinausgehen, was ich mir in
dieser kleinen Abhandlung vorgenommen habe." (C. V,
501 — 2.) Ich glaube das obenstehende genügt, um zu
zeigen, wie Descartes voll und ganz erfüllt ist von dem
Gedanken der grandiosen Gesetzmässigkeit in der Musik,
wie er förmlich schwelgt in der Fülle der mathema-
tischen Proportionen und Beziehungen, die ihr zu Grunde
liegen. Wenn, wie wir bald sehen werden, in kurzer
Zeit ein plötzlicher Umschwung in seiner skeptischen
Gesinnung erfolgt, wenn es ihn treiben und drängen
wird, sich von dem Zweifel in wissenschaftlichen Dingen
zu befreien und zu festen methodischen Prinzipien zu
gelangen, was liegt näher, als dass die festen und un-
wandelbaren Grundlagen der Musik , die er in seiner
musikalischen Abhandlung so deutlich für jedermann
aufgewiesen hatte, ihn ausserordentlich ermutigt haben
werden, das grosse AVerk einer neuen Wissenschafts-
lehre in Angriff zu nehmen.')
10. Wie weit Descartes zur damaligen Zeit noch
entfernt war, in der Naturwissenschaft nach festen
Prinzipien vorzugehen, wie er in echt positivistischem
*) Man glaube nicht, dass Descartes, in dessen niusiktheoretischer
Schrift die Gesetzmässigkeit in der Musik so in den Vordergrund
gestellt ist, für die neuzeitlichen Regungen kein Verständnis gehabt
hätte, die dem Kontrapunkt mit seinem rein elementaren und unper-
sönlichen Charakter die individuelle Eigenart, die Macht des mensch-
lichen Empfindens entgegensetzten. Das hätte dem Philosophen,
der der natürlichen Vernunft wieder zu ihrem Recht verhelfen wollte,
recht schlecht gestanden.
Vergleiche darüber namentlich Descartes' Äusserung (A. I, 101.).
Mystische Naturstimmung. 37
Geiste ein jedes Erklärungsmittel, wofern es ihm nur
Nutzen brachte, gebrauchte, das ist alles oben genügend
klar gelegt worden.
xA-llein mag auch unser Philosoph keine eigentlichen
festgeschlossenen wissenschaftlichen Anschauungen haben,
wir würden durchaus fehlgehen, wenn wir auch seine
damalige Grundstimmung noch als skeptisch bezeichneten,
seit dem Abgang von der Schule hat er sich denn darin
doch etwas geändert, mochte diese Wandlung sich auch
nur auf das Reich der Stimmungen und Gefühle be-
ziehen, noch nicht bis zur Region des klaren und me-
thodischen Denkens sich erstreckt haben. Es ist das
Gefühl einer allgemeinen Harmonie zwischen der Sinnen-
welt und der Welt des Geistes, das ihn ganz und gar
durchdringt. „Der Verstand gebraucht bestimmte sinn-
liche Mittel um das Geistige auszudrücken, wie z. B.
die Luft und das Licht. Eine tiefere Philosophie
kann die Erkenntnis des Geistes dadurch auf das höchste
steigern. — Es gibt nur eine lebendige Kraft in den
Dingen, das ist die Liebe, das Mitgefühl und die Har-
monie. Vortrefflich eignen sich die sinnlichen Dinge
zur Erkenntnis der übersinnlichen : die Luft kenn-
zeichnet den Geist, die dauernde Bewegung das Leben,
das Licht die Erkenntnis, die Wärme die Liebe, die
sichtbare Tätigkeit die Schöpfung. Alle körperlichen
Formen stehen in harmonischer Wechselwirkung mit
einander. Es gibt mehr Kaltes als Trockenes, mehr
Feuchtes als Warmes. Wäre es anders, so hätten die
aktiven Elemente zu schnell die Oberhand gewonnen
und die Welt würde keinen langen Bestand gehabt
haben." (Oeuvr. Ined. I. 10 u. f.)
Fast möchte sie unbegreiflich erscheinen diese
Gefühlsstimmung, diese eigentümliche Umwandlung der
Aristotelischen Naturphilosophie in Mystizismus und
Pantheismus. Ist das wirklich derselbe Philosoph, der
ein Jahrzehnt später so scharf Körper und Geist von
38 Zweites Kapitel : Periode des Skeptizismus.
einander geschieden hat. „VortrefFlicli eignen sich die
sinnlichen Dinge zur Erkenntnis der übersinnlichen,"
kann dieser Ausspruch von Descartes herrühren, der
in seinem reifen System immer wieder und wieder be-
tont, wie der Geist nur aus seiner eigenen Xatur, und
ebenso der Körper nur aus der seinen erklärt werden
könne, wie jede Vermischung dieser beiden Substanzen
zu der grössten Unklarheit führen müsse. So unglaub-
lich es klingen mag, der Historiker der Philosophie
weiss es, dass gerade die schärfsten und am tiefsten aus-
geprägten Systeme der Philosophie oft aus vollkommen
entgegengesetzten Anschauungen heraus sich entwickelt
haben. Pantheistische Gedanken, wie sie uns hier vor-
liegen, fassen gerade in der Seele der Jugend so leicht
Wurzel, sie lässt sich so gerne von der Phantasie, von
Analogieschlüssen leiten, vmd gleich wie sie den Idea-
lismus der sie beseelt, auch auf die sie umgebende
Welt überträgt, wie sie dort ihre hohen Ideen zu ver-
wirklichen hofft, so scheint ihr auch die Natur der
Welt des Geistes wesensgleich und verwandt zu sein,
gleichsam ein Abbild ihrer eigenen Persönlichkeit, in
der noch ungetrübt die sittlichen und physischen Kräfte
harmonisch ineinanderwirken. Und gerade ein Skep-
tiker wie Descartes, dessen innere Gemütsbedürfnisse
in der grossen Welt nicht ihre Befriedigung finden
konnten, wieviel er auch an Reife und Erfahrung zu-
nehmen mochte, er musste von solchen Stimmungen
am allerehesten ergriffen werden. Und irren wir nicht,
so musste gerade seine damalige vornehmste geistige
Beschäftigung, die Vertiefung in das Wesen der
Kunst, in die Gesetze der Musik ihm solche Ge-
danken näherbringen. Ist es doch gerade die Kunst,
die das Sinnliche zum Symbol, zur Ausdrucksform des
Geistigen macht und dadurch den Gedanken so ver-
führerisch erscheinen lässt, dass es sich auch in der
wirklichen Welt so verhält, dass es auch hier keinen
Mystische Naturstimmung. 39
toten unbeseelten Stoff gibt. Hören wir, wie Descartes
sicli in seinen damaligen Aufzeichnungen über den
Dichter auslässt. „Man könnte es erstaunlich finden,
dass die grossen Gedanken sich eher in den Werken
der Dichter als der Philosophen finden. Der Grund ist,
weil die Dichter schreiben erregt durch das Feuer der
Begeisterung und der Einbildungskraft. In unserm
Innern sind die Keime der Wissenschaft enthalten,
gleichsam wie die Funken im Feuerstein. Die Philo-
sophen ziehen sie heraus durch ihr Räsonnement, da-
gegen die Dichter bringen sie zum Leuchten durch ihre
Phantasie, und da erstrahlen sie in einem weit helleren
Glänze." (I, 10 u. f.) Dieser Ausspruch darf uns wohl
in der Überzeugung bestärken, dass damals Poesie und
Kunst einen innigen Einfluss auf die philosophischen
Stimmungen Descartes' ausübten.
Indes Descartes' ganze Veranlagung deutet schon
darauf hin, dass dieser metaphysischen Stimmung keine
längere Dauer beschieden war. Sein scharfer, zerglie-
dernder Verstand konnte keine ernsthafte Freundschaft
schliessen mit einer derartig ästhetisch gefärbten Welt-
anschauung, die wohl allenfalls einer beschreibenden,
aber keinesfalls einer exakten die Natur gleichsam
sezierenden und in ihre rationalen Komponenten auf-
lösenden Wissenschaft als Grundlage dienen konnte, und
das war es doch gerade, was damals das grosse Problem
der Forscher bildete, auf das auch unser Philosoph
immer mehr seine Aufmerksamkeit richtete. Mochte
auch jetzt noch die Natur in jungfräulicher farben-
prächtiger Schönheit vor ihm liegen. Indem er bemüht
war, in fortwährender ernster Arbeit und eindringender
Analyse in ihr inneres Wesen einzudringen, schwanden
ihm seine jugendlichen Illusionen, der feine Blütenstaub
verflüchtigte sich, alles Leben erstarb und schliesslich
waren nur noch tote Massen übrig geblieben, die von
aussen in Bewegung gesetzt wurden und unter dem
40 Zweites Kapitel: Periode des Skeptizismus.
einförmigen Sklavenjoch von liarten und unerbittlichen
matliematischen Gesetzen standen.^)
^) Descartes' erste Tagebuchaufzeichnungen (Pensees) erstrecke«
sich etwa über die Jahre 1618 — 21. So ist es nicht ausgeschlossen,
dass die eben geschilderte metaphysische Stimmung noch in die Zeit
hineindauert, in der er mit der Ausarbeitung einer einheitlichen wissen-
schaftlichen Forschungsmethode beschäftigt war. Doch liegt hierin nicht
etwa etwas Unwahrscheinliches, denn diese seine „Methode" erstreckte
sich ja nur auf die Wissenschaften, brauchte also namentlich in
ihrer anfänglichen Entwicklung sein Gefühlsleben nicht ernstlich
zu beeinflussen. Hat er doch an der Grundlegung einer wissen-
schaftlichen Metaphysik erst zehn Jahre später gearbeitet.
Drittes Kapitel.
Periode der systematischen Wissenschafts-
forschung.
1. Wie reich auch die wissenschaftlichen Anre-
gungen waren, die Descartes in Holland empfing, den
Krieg konnte er augenblicklich hier nicht kennen lernen.
Wir befinden uns im Jahre 1619 und es sollte noch
geraume Zeit dauern, bis der Waffenstillstand mit
Spanien abgelaufen war. Das war wohl einer der
Hauptgründe, warum sich Descartes entschloss, die
Niederlande zu verlassen. Im Vollgefühle seiner jugend-
lichen Kräfte sehnte er sich danach, das Leben in
seiner ganzen Ernsthaftigkeit kennen zu lernen. Er
berichtet selbst darüber, wie er damals das Wafi'en-
handwerk geliebt hatte. (A. II, 480.) Vielleicht mochte
auch viel zu seinem Entschlüsse die geistige Unruhe
beigetragen haben, die ihn damals erfüllte. Noch war
er Skeptiker wie damals, als er die Schule verlassen
hatte, aber der Skeptizismus, der ihm zu jener Zeit
gleichsam Gemütsbedürfnis gewesen war, der ihn mit
frischem Lebensmut erfüllt und Geist und Sinn em-
pfänglich gemacht hatte für alles, was die Welt an
Wissens- und Erlebenswertem in sich barg, er wurde
ihm jetzt zur Qual. Zu viel des Positiven in dem
Reiche der Wissenschaft und der Kunst hatte er schon
kennen gelernt, als dass sein ehrlicher nach Wahrheit
42 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
ringender Geist in jener skeptisclien Stimmung noch
wirklich ernste Befriedigung hätte finden können. Drum
galt es, sich voll und ganz in das Getümmel der Welt
hineinzustürzen, vielleicht konnte sie die innere Unruhe
bannen oder wenigstens betäuben.
2. Drohende Gewitterwolken zogen sich damals am
politischen Horizont zusammen, der Feldzug gegen die
aufständischen Böhmen stand bevor, jenen grauenvollen
Krieg einleitend, der Deutschland in seiner kulturellen
Entwicklung um Jahrhunderte herunterbringen sollte.
Hier glaubte Descartes seine Kriegslust befriedigen zu
können. Er trat in das Heer Maximilians von Bayern
ein, der die kaiserlichen Truppen gegen die Aufrührer
und ihren neugewählten König, den Kurfürsten Fried-
rich V. von der Pfalz, führte. Einige AVochen vorher
hatte Descartes in Frankfurt am Main der mit dem
üblichen Pomp vollzogenen Kaiserkrönung Ferdinand IL
beigewohnt. Es ist merkwürdig, wie unser Philosoph
nicht nur jetzt, wo ihm ja infolge seines geschilderten
Seelenzustandes eine derartige Zerstreuung nur ange-
nehm sein musste, sondern auch späterhin sich derartige
festliche Gelegenheiten nicht entgehen liess, es scheint
doch, dass er die Vorteile seiner adligen Abstammung,
auf die er im übrigen nie einen hohen "Wert gelegt hat,
nicht unausgenutzt lassen wollte. „Seine Avantagen
als Edelmann nutzt er in Jüngern und mittlem Jahren;
er besucht alle Hof-, Staats-, Kirchen- und Kriegs-
feste; eine Vermählung, eine Krönung, ein Jubiläum,
eine Belagerung kann ihn zu einer weiten Reise be-
wegen; er scheut weder Mühe noch Aufwand noch
Gefahr, um alles mit Augen zu sehen, um mit seines-
gleichen, die sich jedoch in ganz anderm Sinne in
der Welt herumtummeln, an den merkwürdigsten Er-
eignissen seiner Zeit ehrenvoll teilzunehmen." (Goethe
Farbenlehre.)
Verzweifelte Stimmung im Winterlager. 43
3. Hatte Descartes nach diesenZerstreuungen weitere
Ablenkung für diesen Winter in dem böhmischen Kriege
zu finden gehoiFt, so wurde ihm eine arge Enttäuschung
zuteil. Das Schicksal, mehr für seine philosophische
Entwicklung, als für die Befriedigung seines augen-
blicklichen unruhigen Gemütszustandes besorgt, hat es
anders gefügt. Die kriegerischen Unternehmungen ge-
rieten nämlich jetzt ins Stocken, weil es zu diploma-
tischen Verhandlungen kam. Das Heer bezog Winter-
quartiere an der Donau und gleich seinen Kameraden
musste nun auch Descartes seine Kriegslust einstweilen
bezähmen. Aber er war weit schlimmer daran als sie.
Die Einsamkeit und Einförmigkeit im Winterlager
lastete wie ein schwerer Alp auf ihm. Einem Kranken
vergleichbar, der nach dem Morphium greifen will, um
seine Schmerzen zu betäuben, und dem nun dieses
Linderungsmittel von einer grausamen Hand entzogen
wird. Das einzige, was ihm zu Gebote stand, Spazier-
gänge und der Umgang mit den Kriegsgefährten, sie
konnten die grosse Aufregung nicht bannen, die sein
Gemüt erfüllte (Baillet I, 81) , sie wirkten wie der
Tropfen, den man auf einen heissen Stein giesst. Nie
war ihm vorher die ganze Haltlosigkeit seiner skeptischen
Denkungsweise so vor Augen getreten wie jetzt in dieser
Einsamkeit. Der grelle Kontrast, wie er bestand zwischen
seinen wissenschaftlichen Einzeluntersuchungen einerseits
und dem Mangel einer festen wissenschaftlichen Methode
andererseits , er machte sich ihm offenbar mit einer
nur allzugrausamen Deutlichkeit, er liess ihm keine
Ruhe, er verfolgte ihn bei Tag und Nacht. Seine hef-
tigen Gewissensqualen verliessen ihn selbst im Traume
nicht, sie wandelten sich in Schreckgespenster um, die
drohend auf ihn einzudringen versuchten.
Im folgenden schildern wir einen solchen Traum,
über den uns Baillet berichtet (I, 81 u. f.). Von gräss-
lichen Phantomen verfolgt, eilte Descartes entsetzt durch
44 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
die Strassen dahin, um ihnen zu entfliehen. Eine grosse
Schwäche an der rechten Seite zwang ihn, nach links
vornübergebeugt zu gehen. Beschämt über seine un-
glückliche Haltung, machte er Versuche, sich empor-
zurichten. Allein in demselben Augenblick ergriff ihn
ein heftiger Wirbelwind, der ihn jählings im Kreise
mehreremale herumdrehte. Nur mit grosser Mühe
schleppte er sich weiter, jeden Augenblick dem Falle
nahe. Da schien sich ihm eine Zufluchtsstätte zu bieten.
Am Wege lag eine College. Er trat in den Hof hinein
und wollte sich in die Kirche der College begeben, um
ein Grebet zu verrichten. Da bemerkte er einen Be-
kannten, an dem er ohne zu grüssen vorbeigegangen
war. Als er nun eilends umkehren wollte, um dies
nachzuholen, wurde er mit Gewalt durch einen heftigen
Wind nach der Kirche zurückgestossen. Unmittelbar
darauf rief ihn im Hofe eine Person in höflichen Worten
beim Namen, ihn um eine Gefälligkeit ersuchend. Er
war erstaunt wahrzunehmen, wie dieser Mensch und
eine Schar von Leuten, die sich auch um ihn versammelt
hatten, fest und aufrecht auf ihren Füssen standen,
während er immer noch eine gekrümmte und schwankende
Haltung einnahm, obwohl der Wind inzwischen schon
sehr nachgelassen hatte. Unmittelbar darauf erwachte
er. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, den
Bericht unseres Gewährsmannes anzuzweifeln. Die Be-
mühungen des träumenden Descartes, selbst in der
grössten Gefahr den äusseren Anstand und die Höf-
lichkeit andern Personen gegenüber zu bewahren, ent-
sprechen vollkommen dem Charakter unseres Philosophen,
der echt gentlemanlike im Leben stets seine Ruhe zu
bewahren gewusst hat. Was aber die Hauptsache für
uns ist, das Traumbild ist so recht charakteristisch
für seinen damaligen Seelenzustand. Er fühlte, wie
der Boden unter seinen Füssen schwankte. Gab es
denn keine Erlösung aus diesem trostlosen Zustand,
Rückkehr des Selbstvertrauens. 45
kein Bescliwörungsmittel, um die Geister des Zweifels,
die er einst so gerne gesehen, wieder zu ver-
scheuclien.
4. In dieser kritischen Zeit, in der er sich so un-
glücklich fühlte, fand er ganz wider sein Erwarten in
einer wissenschaftlichen Idee, die sich ihm auf-
drängte, ein Beruhigungsmittel, es war der Plan einer
neuen mathematischen Wissenschaft, der plötzlich vor
seinem geistigen Auge greifbare Gestalt annahm. Seine
intensiven langjährigen mathematischen Einzelstudien,
sie brachten ihm jetzt eine herrliche Frucht, für seinen
augenblicklichen Gemütszustand das beste Heilmittel.
Jetzt musste es ihm aufgehen, dass seine früheren Be-
mühungen doch nicht fruchtlos gewesen sein konnten,
trotzdem ihnen eine feste Methode gefehlt hatte. Und
andererseits musste jene fruchtbare mathematische Ent-
deckung sein erschüttertes Selbstvertrauen wiederher-
stellen, ihm die Kraft geben, eine wissenschaftliche
Methode, die sein intellektuelles Gewissen auf das ge-
bieterischste forderte, an deren Möglichkeit er aber
bisher gezweifelt, mit aller Energie zu begründen. „Am
zehnten November eröffnete sich mir die Einsicht in die
Grundlagen einer wunderbaren Wissenschaft". Mit
diesen Worten hat er in seinen damaligen Aufzeichnungen
seine Entdeckung gekennzeichnet. Ob er bei diesem
Ausspruch an seine neue mathematische Wissenschaft
(analytische Geometrie) gedacht hat, oder schon an die
neuzugründende Wissenschaftsmethode, ist relativ be-
langlos. Wir werden bald sehen, wie innig beide Ent-
deckungen sich gegenseitig bedingen. Die Wissenschafts-
methode bedarf jedenfalls zu ihrer Festlegung schon
die Kenntnis des neuen mathematischen Gedankenbaues.
Andererseits ist Descartes zur vollen Klarlegung beider
Entdeckungen erst durch seine später angestellten me-
thodischen Gedankenentwicklungen gekommen.
46 Drittes Kapitel: Periode d. systeraat. Wissenschaftsforschung.
Das seelische Grleicligewiclit unseres Philosophen
ist wiederhergestellt. Der pessimistische Gesichtspunkt,
unter dem er kurz vorher sein bisheriges Leben seit
dem Abgange von der Schule betrachtet hat, wird auf-
gegeben. Er schaut es fortan in seinem wahren Werte
an als eine Zeit der wissenschaftlichen Läuterung und
Vorbereitung zu einem höheren Ziel. „Ich hatte immer
den sehnlichsten Wunsch, das Wahre vom Falschen
scheiden zri lernen, klar in meinen Handlungen zu sehen
und mit Sicherheit in diesem Leben aufzutreten. Ich
muss es allerdings zugeben, solange ich nur die Hand-
lungen meiner Mitmenschen betrachtete, fand ich kaum
etwas Sicheres, und ich nahm beinahe soviel Unter-
schiede wahr, wie vorher unter den Meinungen der
Philosophen. So dass der grösste Vorteil, den ich daraus
zog, darin bestand, dass mit der Einsicht, wie viele
Dinge, die uns überspannt und lächerlich erscheinen,
dennoch bei anderen grossen Völkern allgemeine Auf-
nahme und Billigung finden, sich in mir die Überzeugung
bestärkte, nichts zu fest zu glauben, was ich nur durch
Beispiel und Gewohnheit als wahr angenommen hatte.
So befreite ich mich allmählich von vielen Irrtümern,
die unsere natürliche Einsicht verdunkeln, und uns
weniger empfänglich für die Stimme der Vernunft
machen. Nachdem ich nun einige Jahre damit zuge-
bracht hatte , in dem Buche der Welt zu studieren und
einige Erfahrung zu erlangen, da fasste ich eines Tages
den Entschluss, auch in mir selbst zu forschen, und alle
Kräfte meines Geistes anzuspannen, um die Wege zu
finden, die ich aufzusuchen hätte. Und das ist mir nun,
davon Ijin ich überzeugt, weit besser geglückt, als wenn
ich niemals mein Heimatland und meine Bücher ver-
lassenhätte". (C.1. 131 — 32.) Wir sehen hieraus, wie Des-
cartes diese Vorbereitungszeit zu schätzen gewusst hat.
In der Nacht jenes denkwürdigen Tages, an dem
Descartes seine innere Ruhe wiedergefunden hatte,
Rosenkreuzer. Wissenschaftslehre. 47
spiegelte sich in drei Träumen noch einmal seine so
rasch umgewandelte Gemütsstimmung wieder, in den
beiden ersten seine innere Haltlosigkeit und Zerrissen-
heit, im dritten die freudige Überzeugung, dass es ihm
gelingen würde, seine Zweifel zu überwinden und zu
festen Prinzipien zu gelangen.^)
5. Nach dieser aufregenden Nacht flehte Descartes
zu Gott und zur heiligen Jungfrau, ihm Kraft und Er-
leuchtung zu geben, damit er den richtigen Weg zur
Wahrheit finde. Schon die Gedanken von einer neuen
Wissenschaft, die ihn am Tage vorher so plötzlich er-
griffen hatten, mussten ihm als eine Art höhere Ein-
gebung erscheinen. Nun kamen noch diese drei Träume
hinzu. Was Wunder, dass unser Philosoph in eine Art
von geistigem Rausch und Verzückung geriet und alles
dieses einer direkten göttlichen Einwirkung zuschrieb.
Man weiss es ja, wie sehr der geistige Reformator durch
das Bewusstsein einer direkten höheren Erleuchtung
von Seiten Gottes oder eines Heiligen in seinem Eifer
bestärkt wird.
Als Descartes nun ganz von diesem seinem En-
thusiasmus erfüllt war, drang zu ihm der Ruf von einer
geheimnisvollen Gesellschaft von Weisen, den sogenannten
Rosenkreuzern. Man erzählte von ihnen allerlei Uber-
schwänglichkeiten , sie sollten alles wissen, im Besitze
einer neuen Weisheit, der wahren und unverfälschten
Wissenschaft sein. Sollte dieser Versuch, so musste sich
Descartes fragen, der wahren Methode mühelos ohne
geistige Anstrengung habhaft zu werden, wirklich mög-
lich sein. Zu einer anderen Zeit hätte unser Philosoph
sicherlich diese Frage verneint. Bei seinem augenblick-
lichen Hang zum Wunderbaren und Übernatürlichen
machte er wirklich Versuche, eine Bekanntschaft mit
*) Den ersten Traum habe ich schon vorher geschildert, weil
er mir so typisch für den Seelenzustand des Philosophen erschien.
48 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
diesen Leuten anzuknüpfen und kam infolgedessen bald
zur Einsickt, welcker argen Täusckung er sick kin-
gegeben katte.^)
6. Dieser Hang zum Wunderbaren, der unsern
Pkilosopken einige Zeit lang ganz für sick eingenommen
katte, sckwand indessen bald und wurde von dem ernsten
Entscklusse abgelöst, selbständig und vermöge der eige-
nen Geisteskraft den Weg zur Wakrkeit aufzufinden.
Hält man zusammen, was in dem Discours und in den
Tagebückern darüber bemerkt ist, mit den Aufzeick-
nungen „der Regeln", einer Sckrift, in der diese geistige
Entwicklungsstufe Descartes' am sckärfsten zum Aus-
druck kommt, so lässt sick ein ziemlick klares Bild von
den damaligen metkodiscken Ansckauungen unseres
Pkilosopken gewinnen. Es mag manckes von dem, was
wir berickten werden, damals Descartes nocli nickt zu
vollem Bewusstsein gekommen sein, sondern erst später
auf seinen weiteren Reisen, gleickwokl bringen wir es
mit in unsere jetzige Darstellung kinein, weil dieselbe
die ganze jetzige Entwicklungsperiode ckarakterisieren
soll, über die Descartes erst nack zekn Jakren kinaus-
wäckst.
Es ist eine eckt universalwissensckaftlicke Tendenz,
die unsern Pkilosopken bekerrsckt. Man glaubt, die
Wissensckaften gedeiken am besten, wenn man sie
einzeln studiert wie die Handwerke und Künste. Dies
ist ein grosser Irrtum. Verkörpern dock alle Wissen-
sckaften nickts weiter als die allgemeine Menscken-
vernunft, die ein und dieselbe und unteilbar ist. Ist es
') Die damalige Existenz der Rosenkreuzer sowie etwaige Be-
ziehungen Descartes' zu ihnen sind in Dunkel gehüllt. Baillet glaubt,
dass Descartes sie nicht hat auffinden können, Kuno Fischer, dass
sie damals überhaupt nicht existiert haben. In Descartes' Tagebüchern
findet sich die Anzeige eines Buches, das offenbar den Rosenkreuzern
gewidmet ist. (Oeuvres Ined. I, 4.)
Ihre Ableitung aus der Mathematik. 49
niclit erstaunlich, was für ein spezialistisclier Charakter
der heutigen wissenschaftlichen Forschung eigentümlich
ist. Wir sehen, wie die Gelehrten die Pflanzen und
ihre Eigenschaften studieren, dem Laufe der Gestirne
nachgehen, die Verwandlungen der Metalle und tausend
dergleichen Dinge beobachten, allein wie gering ist da-
gegen gehalten die Anzahl derjenigen, welche sich
mit der menschlichen Vernunft, mit der allgemeinen
Universalwissenschaft beschäftigen, die doch weit wich-
tiger ist als jede Einzeldisziplin. Wohlan, lasst uns
auf dieselbe unser Augenmerk richten, haben wir sie
erforscht, dann werden wir weit rascher und sicherer
das Gebiet der Einzelwissenschaften durchmessen können.
7. Die wahre wissenschaftliche Methode lässt sich
nicht aus dem Nichts zaubern, nicht durch magische
Künste heraufbeschwören, nur durch Betrachtung und
Zergliederung der vorhandenen Wissenschaften kann
sie gefunden werden. Macht euch zu eigen den reichen
Schatz an Wissen, der uns überliefert ist, nur aus der
wirklichen konkreten Forschung kann eine Methode ge-
schöpft werden, die ihrerseits wiederum zum lebendigen
Forschen und Erfinden anleitet, wie Licht sich nur am
Licht entzündet. Doch seien wir in unserem Verfahren
nicht voreilig, wahr und ungetrübt müssen die zu be-
trachtenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sein, wenn
anders sich aus ihnen die echte, unverfälschte Methode
soll ableiten lassen. Welche Erkenntnisse sind aber
wirklich echt und unanfechtbar. „Hier stock' ich schon !
AVer hilft mir weiter fort." Existiert doch in fast allen
Wissenschaften kaum ein Satz, über den nicht die Ge-
lehrten verschiedener Meinung sind. Aber jedesmal,
wenn zwei über dieselbe Sache ein verschiedenes Urteil
fällen, ist es sicher, dass einer von beiden sich täuscht.
Ja noch mehr, keiner von ihnen kennt die wirkliche
Wahrheit. Denn sonst hätte er ja eine klare und un-
Hoffmarn, Descartes, 4
50 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
getrübte Vorstellung von ihr, müsste er fähig sein,
seinem Gegner dieselbe so auseinanderzusetzen, dass er
ihn von seiner Ansicht überzeugte. Descartes will die
bisherigen wissenschaftlichen Forschungen nicht etwa
verdammen, er selbst schätzt sich glücklich, die Schul-
wissenschaften einmal ganz und gar durchgemacht zu
haben (C. XI, 207). Töricht ist der, welcher glaubt,
ohne die übliche wissenschaftliche Schulung seinen
eigenen Weg gehen zu können, er wird Grefahr laufen,
auf vollkommene Abwege zu geraten, während der.
welcher nur der Überlieferung folgt, wofern er sich an
gute Muster hält, nicht ganz und gar von der Wahr-
heit abweichen kann. Will man sich aber nicht mit
Halbheiten begnügen, will man der Wahrheit ofPen und
furchtlos ins Auge schauen, dann muss man sich frei-
lich mit der traurigen Tatsache abfinden, dass der
grösste Teil des vorhandenen Wissensstoffes für unsere
Zwecke unbrauchbar ist. Trotzdem brauchen wir nicht
zu verzweifeln. Eine Wissenschaft gibt es, deren
Wahrheiten auch der grösste Skeptiker nicht be-
zweifeln kann, es ist die Mathematik. Sie werden wir
deshalb als Unterlage für unsere Untersuchung be-
nutzen. Wieso kommt es, dass gerade die Mathematik
den Vorzug der unbestreitbaren Gewissheit hat?
Auf zwei Wegen gelangen wir zur Erkenntnis der
Objekte der wissenschaftlichen Forschung, einerseits
durch die Erfahrung, andererseits durch die Schluss-
folgerungen unseres Verstandes. Der Verstand geht
in der Regel nicht fehl, wofern er auf gerader Bahn
bleibt, nicht hineingerät in den labyrinthischen Irr-
garten der Dialektik. Anders die Erfahrung, sie ist
oft so trügerisch, wird zumeist so kritiklos aufge-
nommen, dass von vornherein jede Sicherheit im
wissenschaftlichen Betriebe durch sie ausgeschlossen
wird. In dieser Hinsicht nimmt nun gerade die Mathe-
matik eine bevorzugte Stellung ein. Ihre Voraus-
Ihre einfachsten Elemente. 51
Setzungen bleiben vollkommen unangefochten, keine Er-
fahrung ist im stände sie zu widerlegen. Liegt es
unter diesen Umständen nicht auf der Hand, dass sie
die wahre Methode am reinsten wird widerspiegeln
können. Freilich, bemerkt Descartes mit scharfer Ironie,
die Herren Gelehrten verschmähen es, sich mit so ein-
fachen Dingen abzugeben. „In der Tat, ein jeder nimmt
sich eher das Recht, einen dunklen Gegenstand zu er-
gründen, als in einen klaren sich zu vertiefen. Ist es
doch viel leichter, von irgend einem Objekt sich einen
nebelhaften und verschwommenen Begriff zu machen,
als die Wahrheit selbst in ihrer einfachsten Gestalt zu
erfassen" (C. XI, 208 — 9). Doch es sei ausdrücklich be-
tont, wir wollen etwa nicht die Wissenschaften auf das
enge Gebiet der mathematischen Disziplinen einschränken
— bedienen wir uns doch letzterer nur als Mittel zum
Zweck, um unsere Methode zu linden — , nein, die
andern Wissenschaften sollen vielmehr auf das Niveau
der Mathematik erhoben werden. Der Wahrheitsforscher
der Zukunft soll sich mit keinem Gegenstande beschäf-
tigen, dem er nicht eine solche Sicherheit verleihen
kann, wie sie die mathematischen Disziplinen, die Geo-
metrie und Algebra besitzen. Nicht beschränkt werden
soll also unser wissenschaftlicher Horizont, nur die Nebel
und Wolken, die sich über ihm ausgebreitet haben,
sollen verscheucht werden.
8. Untersuchen wir nun jetzt die Mathematik zu-
nächst hinsichtlich der einfachsten Strukturelemente,
aus denen sie sich aufbaut. Sie geht aus von einfachen,
jedermann einleuchtenden Tatsachen, um dann durch
Schlussfolgerungen immer tiefer einzudringen in das
Wesen der Raum- und Zahlbeziehungen. Analog muss
nun auch die Methode verfahren, die sich auf die
Wissenschaften in ihrer Gesamtheit bezieht. Unmittel-
bare Einsicht, die sogenannte Intuition, und daran an-
52 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
scMiessend die Deduktion, das sind die emfachsten Elemente,
mit denen sie operiert. Unter Intuition wird nicht ver-
standen die roll und ungeklärt aufgenommene Sinnes-
walirnehmung, nicht das trügerische Zeugnis der Ein-
bildungskraft, sie begreift vielmehr in sich die un-
mittelbare Auffassung eines ungetrübten und aufmerk-
samen Geistes, die so deutlich und klar ist, dass auch
nicht der geringste Zweifel auftauchen kann, was mit
ihr gemeint ist. So kann ein jeder intuitiv erkennen,
dass er existiert, dass er denkt, dass ein Dreieck von
drei Linien begrenzt wird und dergleichen. Letztere
(mathematische) Tatsachen können wir gleichsam als
Musterbeispiele für die Intuition betrachten. Von solcher
Grewissheit wie sie müssen die Voraussetzungen aller
Wissenschaften sein. Wie dies möglich ist, wie man
den Objekten der Naturwissenschaft eine gleiche Ein-
deutigkeit und exakte Bestimmtheit wie den mathe-
matischen verleihen kann, das werden wir später sehen.
Handelt es sich doch zunächst nur darum, das allge-
meine Verfahren der Wissenschaftsmethode festzustellen,
erst dann sind wir befähigt, auf ihre konkrete An-
wendung zu kommen.
Die Intuition allein würde nicht genügen für die
wissenschaftliche Forschung. Sie gibt uns ja nur die
ursprünglichsten allerelementarsten Wahrheiten. Um
die tieferliegenden, verwickeiteren zu ergründen, dazu
bedarf es noch der Deduktion. Mit ihrer Hilfe ver-
mögen wir von den Grrundtatsachen zu immer höheren
aufzusteigen. Die elementaren Axiome der Mathematik,
wie z. B. die Voraussetzung, parallele Linien können
sich niemals schneiden, bieten uns noch kein eigentliches
belangreiches Wissen dar, von dergleichen Prinzipien
können wir aber durch Schlussfolgerungen aufsteigen
zu Wahrheiten, die durchaus nicht von vornherein
selbstverständlich erscheinen, wie zu dem Satze, dass
im Dreieck die Winkel hundertachtzig Grade betragen,
Entgegenstehende Schwierigkeiten. 53
dass die Kugeloberfläche viermal so gross ist, wie der
grösste Grundkreis der Kugel u. s. w.
9. Wir kennen mm die beiden Werkzeuge, mit
denen wir in der Wissenschaft operieren müssen. Doch
offen gestanden, durch diese Einsicht sind wir noch
nicht sehr weit gekommen. Jetzt eröffnet sich erst
unser Hauptproblem, wie haben wir uns dieser beiden
Mittel, der Intuition und der Deduktion zu bedienen,
um nun mit ihrer Hilfe zu neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen zu gelangen. Wir versuchen es, uns wieder
bei der Mathematik, unserer Musterwissenschaft, darüber
Auskunft zu holen. Ich betrachte etwa den pythago-
reischen Lehrsatz, aus den fundamentalen Eigenschaften
des rechtwinkligen Dreiecks heraus wird hier die
Schlussfolgerung gezogen, dass die Summe der beiden
Kathetenquadrate gleich dem Hypotenusenquadrat ist.
Ich sehe zunächst, wie der Mathematiker allerlei Hilfs-
figuren in die ursprüngliche Figur hineinzeichnet, ich
weiss aber nicht, wie er dazu kommt. Dann beginnt
das Schluss verfahren, ein Satz gliedert sich an den
andern an. Ich folge gehorsamst meinem Führer, wir
klettern mühsam hinauf zum Gipfel der Erkenntnis,
wie scheue Verbrecher meiden wir die geraden Wege,
welches Ziel wir haben, weiss ich nicht, icli nehme nur
wahr, wie wir von einem logischen Winkelpfad in den
andern einbiegen. Endlich sind wir oben und siehe da,
wir haben wirklich unser Ziel erreicht. Ich muss ö-e-
stehen, ich bin sehr unbefriedigt von dem Resultat
dieser meiner Wanderung. Weiss ich denn wirklich,
wie ich oben hinauf gekommen bin. Werde ich den
Weg zum zweitenmale ohne Führer mit Sicherheit
wiederfinden. Und was doch eigentlich die Hauptsache
ist, bin ich durch diese wunderliche Reise um brauch-
bare Erfahrungen reicher geworden, ermöglichen sie es
mir, den Weg zu anderen Gipfeln der Erkenntnis nun-
54 Drittes Kapitel: Periode d. systemat, Wissenschaftsforschung.
mehr selbständig zu finden. Von alledem ist nicht die
Rede. Dieses planlose Umherschweifen hat gar keinen
Sinn. Mein Wahrheitsbedürfnis wird hierdurch keines-
wegs gestillt.
Dieser eine geometrische Satz ist typisch für das
Verfahren der gesamten Mathematik. Hören wir Des-
cartes' eigene Worte. „Ich lernte (bei den mathema-
tischen Schriftstellern) verschiedene Sätze über die
Zahlen kennen, rechnete ich sie nach, so erkannte ich
ihre Richtigkeit, was die Geometrie anlangt, so tischte
man mir sozusagen eine Fülle von Wahrheiten auf und
man folgerte aus ihnen andere, aber man schien es mir
nicht so recht klar machen zu wollen, warum die
Dinge so waren, wie man sie mir zeigte und durch
welche Mittel man zu ihrer Entdeckung käme." — Die
ganze Lauge seines Spottes giesst Descartes über diese
mathematische Beweiskunst aus. — „In der Tat, es
gibt nichts Öderes, als sich mit Zahlen und erdichteten
Figuren zu beschäftigen, Wert zu legen auf die Kennt-
nis derartiger Bagatellen, solchen zwecklosen Beweisen,
die der Zufall eher als der Verstand entdeckt, mit so
grosser Sorgfalt nachzugehen, mit so grosser Sorgfalt,
ich wiederhole es, dass man es einem übelnimmt, wenn
man dabei von seiner Vernunft Gebrauch machen will"
(C. XI, 219—20).
10. Was sollen wir nun tun? Die Mathematik,
unsere einzige sichere Zufluchtsstätte, scheint hier un-
seren Fragen jede Antwort zu versagen. Indes bedenken
wir, vielleicht ist dieses Beweisverfahren, wie es uns
in den Lehrbüchern von den mathematischen Schrift-
stellern dargestellt wird, nicht das Wirkliche, auf dem
die wahrhaft fruchtbaren Lehrsätze dieser Wissenschaft
gefunden worden sind. Und in der Tat, es muss wirk-
lich so sein. Die Mathematik hätte sich nicht so über-
raschend schnell entwickelt, wenn ihre epochemachenden
Die wahre mathematische Methode. 55
Vertreter ein solches unfruclitbares Verfahren angewandt
hätten. Eine derartige geistlose Aneinanderfügung von
Sätzen hätten die grossen Philosophen des Altertums
schwerlich für wichtig genug gehalten, um sie als Vor-
bereitung für das eigentliche Studium der Philosophie
zu empfehlen (C. XI, 220).
Bevor wir also weitergehen können, handelt es sich
für uns darum, die wirklich echte mathematische Me-
thode zu entdecken, die im Keime schon allen grossen
Errungenschaften dieser Wissenschaft zugrunde lag.
Das Ziel der Mathematik besteht doch offenbar
darin, Beziehungen zwischen verschiedenen Grössen
herzustellen. Die gewöhnliche Methode der Geometer
geht indes, wie wir ja soeben an einem Beispiele ge-
sehen haben, ganz planlos vor. Durch allerlei ganz
und gar vom Zufall abhängige Kunstgriffe gelingt es
ihr, einen Satz an den andern kettend, ihr Ziel zu er-
reichen, d. h. die bekannten mit den unbekannten Grössen
synthetisch zu verknüpfen, so dass klar und unzweideutig
ihre gegenseitigen Beziehungen erkannt werden. Auf diese
Weise kommt man nie zu einem wirklich systematischen,
wahrhaft wissenschaftlichen Beweisgange. Die Anein-
anderheftung der bekannten und unbekannten Grössen,
d. h. die synthetische Methode, spielt hier die Haupt-
rolle, sie herbeizuführen, dazu muss sich der Scharfsinn
des Gelehrten bei jedem einzelnenSatzebesonders abmühen.
Wie, wenn es möglich wäre, von vornherein eine
Synthesis, eine Beziehung zwischen den verschiedenen
Grössen herzustellen, die zwar noch nicht ganz klar
und durchsichtig ist, die aber in ganz systematischer
Weise von dem zergliedernden, analytisch vorgehenden
Verstände geklärt und vereinfacht werden kann. Dieses
Verfahren, in dem im Gegensatz zum früheren die Zer=
gliederung, die Analysis, die Hauptrolle spielen würde,
wäre eine wirklich durchsichtige und fruchtbare For-
schuno-smethode.
56 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
Nun fragt es sich aber, wie will man es anfangen,
um sofort eine Synthesis zwischen den verschiedenen
mathematischen Grössen herzustellen. Ja, würde hier
Descartes einwerfen, wollt ihr gleich die allereinfachste
Beziehung zwischen den bekannten und unbekannten
Grössen auffinden, dann müsst ihr allerdings den Weg
der gewöhnlichen Geometer einschlagen, müsst euch
bei jedem Problem in besonderer Weise abmühen.
Denken wir z. B. an die Beziehungen zwischen den drei
Seiten eines Dreiecks, das Problem ist viel zu kompli-
ziert, die Seiten des Dreiecks können zu mannigfaltig
sein je nach der verschiedenen Grösse der Winkel, als
dass sich die einfachste unmittelbarste Beziehung mit
einem Schlage herstellen liesse. Wohl aber gibt es
einen Weg, um überhaupt eine Beziehung, eine Synthesis,
wenn auch zunächst eine komplizierte, bei jedem mathe-
matischen Problem zwischen den einzelnen Grössen
herzustellen, wie sehr sich die letzteren auch von
vornherein wegen ihrer grossen Ungleichartigkeit da-
gegen sträuben mögen. Und dieser Weg besteht darin,
dass ich die verschiedenen Qualitäten der mathema-
tischen Figuren durch einfache algebraische Grössen
ausdrücke, dann werde ich sie leicht miteinander in
Beziehung setzen können. Das ist nun in folgender
Weise zu erreichen. Denke ich mir nämlich, wenn es
sich etwa um die Planimetrie handelt, in der Ebene, in
der die Figur eingezeichnet ist, zwei einander senkrecht
schneidende Linien, dann ist jeder Punkt der Ebene
bestimmt durch seine beiden senkrechten Abstände von
diesen beiden Linien, d. h. durch zwei einfache alge-
braischen Grössen. In derselben Weise ist nun jeder
Punkt einer einzelnen Figur bestimmbar und dem Ma-
thematiker wird es nun unmittelbar klar, wie aus einer
Reihe von solchen Punkten einer Figur — vorzugsweise
werden es die Eckpunkte sein — , deren Abstände von
den beiden sich senkrecht schneidenden Linien bekannt
Anwendung auf die anderen Wissenschaften. 57
sind, sich ohne weiteres Beziehungen zwischen den ein-
zelnen Teilen der Figur anknüpfen lassen. Handelt es
sich doch nunmehr nur um die Verknüpfung einfacher,
leicht vergleichbarer algebraischer Grössen.
Die Synthese stellt sich jedesmal dar als eine alge-
braische Gleichung und diese kann nun der Verstand
in ganz methodischer Weise zergliedern und verein-
fachen. Der Kenner weiss es, wie je eine Gruppe von
geometrischen Problemen auf eine ganz bestimmte
typische Gleichungsform führt, wie also nach Auflösung
einer jeden solchen Gleichungsform eine Fülle von
Problemen auf einmal ihre unmittelbare Lösung findet.
Also um es noch einmal kurz zusammenfassend zu
wiederholen, während das Verfahren der gewöhnlichen
Geometer ganz und gar synthetisch war, liegt bei Des-
cartes der Schwerpunkt auf der Analysis. Eine provi-
sorische Synthesis wird leicht und mühelos von vorn-
herein angesetzt, indem, wie wir gesehen haben, die
Mannigfaltigkeit der geometrischen Eigenschaften in
eine einfache algebraische Grössenrelation umgesetzt
wird, und nun beginnt das Hauptgeschäft, der Verstand
kann klar um sich blickend, befreit von dem ver-
wirrenden Eindruck der geometrischen Figuren, den
Grössenkomplex in methodischer Weise zergliedern und
auf eine einfache Form bringen, in der klar und un-
zweideutig die unbekannten Grössen durch die bekannten
ausgedrückt sind.
11. Jetzt haben wir die neue Methode Descartes'
in ihren Grundzügen gekennzeichnet und ihre frucht-
bare Anwendbarkeit in der Mathematik deutlich zu
machen gesucht. Diese Erfolge in der Mathematik er-
mutigten unseren Philosophen dazu, seine neue Wissen-
schaftslehre auch auf die andern Gebiete der Erkennt-
nis, auf die naturwissenschaftlichen Disziplinen anzu-
wenden, in die er sich ja schon vorher vertieft hatte.
58 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
„Hatte mir doch diese Methode, seitdem ich angefangen
hatte, mich ihrer zu bedienen, schon soviele Befrie-
digung gewährt, wie ich sie süsser und unschuldiger
in diesem Leben nicht zu erhoifen wagte. Täglich ent-
hüllte sie mir neue wichtige und von andern nicht
gekannte Wahrheiten, eine Wahrnehmung, die meinen
(xeist mit solchem Entzücken erfüllte, dass ich gegen
alles andere gleichgültig wurde (C. I, 152),
Wie ist nun eine Anwendung unserer neuen Methode
auf das Gebiet der Naturwissenschaften zu ermöglichen.
Zunächst kann jedenfalls auch hier ein jedes Problem
darauf zurückgeführt werden, unbekannte Beziehungen
auf bekannte zurückzuführen. Wir haben etwa zwei
Töne von verschiedener Höhe. Es soll ein dritter Ton
genau bestimmt werden , so dass seine Tonhöhe um
ebensoviel die des zweiten übertrifft, wie die Tonhöhe
des zweiten die des ersten. Unsere Methode verlangt
nun, suche zunächst eine provisorische Synthesis zwischen
den drei Tönen zu erzielen, indem du etwa die Höhe
des dritten Tones als bekannt annimmst, und dann nach
den Anforderungen der Aufgabe eine Beziehung zwischen
den drei Tönen herstellst. Wie soll aber zwischen
Tönen eine wirklich exakte Beziehung hergestellt werden
können. „Wiewohl man von einem Gregenstand sagen
kann, dass er mehr oder weniger weiss ist als ein
anderer, von einem Tone, dass er mehr oder weniger
hoch ist, und ähnliches von den übrigen Eigenschaften,
so können wir doch nicht genau bestimmen, ob dieses
Verhältnis ein doppeltes oder dreifaches ist" ....
(C. XI, 297).
Jndes wie Descartes zur Verknüpfung der geome-
trischen Grössen ein Verfahren angegeben hat, bei dem
dieselben durch einfache algebraische Werte ersetzt
wurden, so wird sich auch hier ein Ausweg finden
lassen. Alle sinnlichen Eigenschaften der Dinge, das
Licht, die Earbe, der Ton haften insgesamt an Körpern.
Anwendung auf die anderen Wissenschaften. 51>
Man versuche es einmal, eine von ihnen, etwa die Farbe
oder den Ton allein vorzustellen, es ist einfach unmög-
lich, sie sind nicht zu trennen von etwas Konkretem,
Ausgedehnten, mag es auch wie z. B. bei der Farbe
von noch so feiner Gestalt sein. Ja noch mehr nicht
nur dass alle sinnlichen Eigenschaften sich nur an
Körpern befinden, es finden auch zwischen ihnen und
den Körpern ganz intime Beziehungen statt. Betrachten
wir etwa eine gespannte Saite, schlage ich sie an, so
gibt sie einen Ton von sich, und dieser Ton wird höher
oder tiefer, je nachdem ich die Saite verkürze oder
verlängere, je nachdem ich sie stärker oder schwächer
anspanne, sie mit einer dünneren oder dickeren ver-
tausche. Wie sich beim Menschen seine Empfindungen
in seinem Gesichte widerspiegeln, so die Eigenschaften
der Dinge in ihrer äusseren Gestalt. Mögen die sinn-
lichen Eigenschaften sein was sie wollen, wir haben
durchaus kein Interesse daran ihre Realität zu leugnen,
das können war aber zugestehen, dass keine Veränderung
an ihnen stattfindet, die sich nicht in vollkommener
Weise in einer Änderung der ausgedehnten Körper, an
denen sie haften, wiederspiegelt (C. XI, 264). Und wie
wir die geometrischen Grössen, um eine Verknüpfung
zwischen ihnen herzustellen, durch algebraische ersetzt
haben, so ist auch eine exakte Verknüpfung der sinn-
lichen Eigenschaften möglich, wenn wir die Änderungen
der äusseren Gestalt, mit denen ihre Veränderungen ver-
bunden sind, miteinander vergleichen. Die Änderungen der
äusseren Gestalt, wie etwa die verschiedenen Saitenlängen
der einzelnen Töne, sind aber ohne weiteres algebraisch
zu berechnen. So ergibt sich also eine ungezwungene
Anwendung unserer Methode auf die Naturwissen-
schaft ganz von selbst. Durch sorgfältige Experimente
werden wir uns einen Einblick in die Eigenschaften
der Dinge und in ihre Abhängigkeit von den äusseren
Formen, an denen sie haften, verschaffen. Auf Grund
60 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
letzterer ergibt sich die Synthesis, die Verknüpfung,
in der die einzelnen Elemente miteinander stehen,
und nun kann der Verstand analytisch vorgehend den
Tatbestand zergliedern und die unbekannten Beziehungen
durch die bekannten ausdrücken. So ist also auch in
der Naturwissenschaft ein vollkommen sicheres Ver-
fahren möglich. Sie kann angesehen werden als eine
Wissenschaft von Grössen, die uns durch Experiment
und Messung reinlich und unzweideutig, befreit von
allen subjektiven Schlacken geliefert werden.
12. Es ist höchst bemerkenswert, wie Descartes
bei Feststellung und Anwendung seiner Methode allen
metaphysischen und erkenntnistheoretischen Fragen aus
dem Wege geht. Es sind streng immanente, logische
und methodologische Gesichtspunkte, die er zu Rate
zieht. Unser logisches Wahrheitsgefühl, das ist die vor-
nehmste und oberste Behörde, auf die wir angewiesen
sind, mit der wir uns abfinden müssen. Also ganz und
gar sind die skeptischen Gedanken, die unsern Philo-
sophen früher so ausschliesslich erfüllt hatten, nicht
geschwunden. Mochte er auch die Bedenken gegen eine
strenggültige Wissenschaftsmethode haben fallen lassen,
der Metaphysik ging er noch vorsichtig aus dem Wege,
all sein Sinnen und Trachten dafür um so intensiver
auf die Ausbildung und Erweiterung der realen, kon-
kreten Forschung richtend.
Wie ängstlich er damals alle metaphysischen Pro-
bleme gemieden hat, dafür ist so recht bezeichnend sein
Verhalten den Sinnesempfindungen gegenüber. Nicht
weil die Sinnesempfindungen subjektiv sind, betrachtet
er in der Physik nicht sie selbst^ sondern die sie ver-
tretenden räumlichen Figurationen, er tut es vielmehr
deswegen, weil nur auf diesem Wege wirkliche exakte
Naturwissenschaft möglich ist. Und hier können wir
noch etwas Bemerkenswertes hinzufüo;en. Genau so wie
Charakter der Theorie. Provisorische Ethik. 61
die ersten Konzeptionen der neuen mathematisclien
Wissenschaft unserem Philosophen schon vor der Ent-
wicklung seiner Methode vor Augen standen, wie aus
ihr heraus die Methode erst entstanden ist, um ihrer-
seits wiederum einen fruchtbaren Einfluss auf die neue
mathematische Disziplin auszuüben, der Wechselwirkung
bei der Dynamomaschine zwischen Elektromagneten und
Ankerstrom vergleichbar, so ist auch das Verhältnis
zwischen der neuen Methode und den Naturwissen-
schaften zu denken. Exakte physikalische Untersuch-
ungen hatte Descartes, wie wir wissen, schon früher
angestellt, aber erst jetzt durch seine Methode ist er
zur vollen Klarheit über ihre Bedeutung, zur Einsicht,
dass sie die allein berechtigten ausschlaggebenden Fak-
toren bilden, gekommen. Durch diese Einsicht steht
er voll und ebenbürtig seinen älteren Zeitgenossen
Kepler und Galilei gegenüber da, erhebt er sich weit
über den getrübten wissenschaftlichen Horizont des
Barons von Verulam , der die exakt mathematischen
Gesichtspunkte in seiner Wissenschaftslehre ganz und
gar vernachlässigt hatte, und so ziel- und steuerlos in
dem weiten Ozean der empirischen Versuche umhertrieb,
vergeblich von den fühllosen Wogen erwartend, dass
sie ihn zu dem erlösenden Eiland, zum Tempel der
Klarheit und Gewissheit trügen.
13. Wenn Descartes, wie wir gesehen haben, nur
für die Wissenschaften einen sicheren Führer in seiner
Methode gefunden hatte, wie musste er sich dann im
praktischen Leben, in seinem Tun und Handeln, ver-
halten. Die Ethik bedarf doch auch grundlegender
sicherer Fundamente, muss sich stützen auf feste philo-
sophische Grundanschauungen, wie sie unser Denker
bis jetzt noch keineswegs besitzt. Descartes hat dies
wohl empfunden. Indessen eine provisorische Moral,
die ihm solange auszureichen schien, bis er zu festen
62 Drittes Kapitel : Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
philosopliisclien Grundsätzen gekommen wäre, glaubte
er sicli schon jetzt bilden zu können. Bei seinem Miss-
trauen allen festen Moralprinzipien gegenüber schien es
ihm ratsam, die Handlungen der verständigsten Men-
schen zu prüfen und ihre Ethik zu der seinigen zu
machen, in den Punkten aber, wo die Meinungen ge-
teilt waren, stets die gemässigteren zu wählen. Vor
allem galt es sodann für ihn, diese gewonnenen An-
schauungen konsequent in seinen Handlungen zu be-
tätigen. Mochten sie sich auch teilweise auf gar keine
triftigen Gründe stützen, es ist besser sie durchzuführen,
als eine charakterlose schwankende Haltung im Leben ein-
zunehmen, das ist unsittlich und führt zu nichts Rechtem.
In diesen Grundsätzen waren aber noch nicht die per-
sönlichen Triebe und Wünsche der menschlichen Natur
berücksichtigt, die doch einen so wichtigen Einfluss
auf die Willenshandlungen ausüben. Diese müssen durch
den Verstand im Zaum gehalten werden. Untersuchen
wir bei allen unseren Wünschen, ob und wieweit ihre
Befriedigung möglich ist oder nicht, bringen wir uns
dies zur vollkommenen Klarheit, dann werden wir
aufhören etwas, was nicht in unserer Macht steht
zu verlangen , über die Unerreichbarkeit vieler un-
serer Wünsche Kummer zu empfinden. Denn es
liegt in der Natur unseres Willens, sich nur auf das
zu erstrecken, was der Verstand ihm als erreichbar
darstellt.
Es liegt auf der Hand, dass solche ethischen Grund-
sätze nur ein Idealist aufstellen konnte. Und ein Idea-
list war Descartes immer gewesen, auch bevor er feste
philosophische Prinzipien gewonnen hatte. So wird es
uns nicht wundern, wenn die ethischen Anschauungen,
die unser Philosoph später in seinem Mannesalter
entwickelt, denselben Grundcharakter haben, wie er
in dieser provisorischen Moral schon zum Ausdruck
kommt.
Faulhaber. Aufenthalt in Prag. 63
14. Es war in dem einsamen Winterquartier an
der Donau, wo Descartes die Grundzüge seiner soeben
geschilderten Methode entwarf. Im Sommer des Jahres
1620 verliess er auf einige Zeit das Heer, um die Ein-
tönigkeit des Lagerlebens zu unterbrechen. In den
Monaten Juli und August hält er sich in Ulm auf, hier
traf er Landsleute, eine Abordnung von französischen
Gesandten, die zwischen den kriegsführenden Parteien
vermitteln wollte. Aber auch wissenschaftliche An-
regungen sollte er hier finden durch den Verkehr mit
dem Mathematiker Johann Faulhaber. Dieser Gelehrte
hatte bei der ersten Begegnung den jungen Offizier
hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Kenntnisse genau
so unterschätzt, wie früher der Holländer Beeckmann.
Nachdem das Miss Verständnis aufgeklärt worden war,
entspann sich zwischen beiden ein reger wissenschaft-
licher Gedankenaustausch. Mochte auch immerhin Des-
cartes, im Besitze seiner neuen mathematischen Methode,
mehr der gebende Teil sein, mancherlei hat er wohl
trotzdem von dem deutschen Forscher lernen können.
Faulhaber beschäftigte sich damit, Summenformeln für
die Potenzen der aufeinanderfolgenden Zahlen (Quadrat-
zahlen, Kubikzahlen und weiter hinauf bis zur elften
Potenz) festzustellen, Untersuchungen, die schon einen
Einblick in die Natur der Reihen höherer Ordnung
voraussetzen.
Schon im Monat September nahm Descartes von
der bayerischen Stadt Abschied. Er hatte wieder ein-
mal Lust bekommen, etwas gesellschaftliches Leben
mitzumachen. In Wien, am kaiserlichen Hofe, finden
wir ihn wieder. Aber auch hier war seines Bleibens
nicht lange. Er kehrte nach kurzer Zeit wieder zum
Heere nach Böhmen zurück. Ob er die Schlacht am
weissen Berge bei Prag mitgemacht hat, die für den
unglücklichen Friedrich V. von der Pfalz so verhäng-
nisvoll wurde, steht nicht mit Sicherheit fest. Es wäre
64 Drittes Kapitel : Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
dies jedenfalls der erste Kampf, an dem er sich per-
sönlich beteiligt hätte. Wie es auch immer gewesen
sein mag, sicherlich hat er sich nach der Schlacht in
Prag einige Wochen aufgehalten. Während die Soldaten
plünderten, dachte er nur daran, seine Kenntnisse zu
erweitern, suchte er mit dortigen Gelehrten in Ver-
bindung zu treten. Wenn er sich hier nach dem Ver-
bleib der astronomischen Instrumente des berühmten
Tycho de Brahe erkundigt hat, so entspricht dies ganz
seiner ausserordentlichen Wissbegierde, alles Sehens-
werte persönlich in Augenschein zu nehmen. Descartes
hätte hierdurch in den Verdacht der Äusserlichkeit
kommen können, wenn nicht andere Tatsachen beweisen,
wie es gerade der Geist der Gründlichkeit und Exakt-
heit war, der ihn hierzu trieb. Auch in naturwissen-
schaftlichen Forschungen hielt er es ja immer nur mit
der konkreten Anschauung, verliess er sich nie auf die
Experimente anderer. Alles musste er nachprüfen, von
allen Tatsachen sich persönlich überzeugen, wenn anders
sie für ihn Wert haben, einen Baustein für seine Lebens-
und Weltanschauung bilden sollten.
Bis Mitte Dezember blieb unser Philosoph in Prag.
Eür den Rest des Winters hielt er sich bei den Truppen
auf, die der Herzog von Bayern an den Grenzen des
mittleren Böhmens zurückgelassen hatte, so wieder ganz
auf sich selbst angewiesen und mit den wissenschaft-
lichen Anwendungen seiner Methode beschäftigt, während
die Kameraden um ihn herum die Zeit mit Trinken
und Spielen totschlugen. Wie roh das Soldatenleben
im dreissigj ährigen Kriege war, ist ja zur Genüge be-
kannt. Descartes hat sicherlich seine ganze Willens-
kraft aufbieten müssen, um sich gegen die schädlichen
Einflüsse seiner Umgebung zu schützen. Es liegt etwas
ausserordentliches Bewundernswertes und Grosses in
diesem Verhalten des jungen Kriegers, wie er allen
feindlichen Gewalten zum Trotz dem idealen Wissens-
Aufgabe des Soldatenlebens. 65
drang, der ihn so mächtig erfüllt, sich ganz und gar
hingibt. So ist ihm dieses Wunder geglückt, mitten
in der Schreckenszeit jenes entsetzlichen Krieges, der
für die damalige Welt nur Tod und Verderben bedeutete
und zur Erstickung der geistigen und sittlichen Kräfte
führte, in seinem eigenen Geistesleben eine ausserordent-
liche Bereicherung und Kräftigung zu erfahren, wie sie
ihm vielleicht sonst keineswegs in demselben Masse zu-
teil geworden wäre.
Niemals war die Wanderlust in unserem Philo-
sophen so ausserordentlich rege, wie gerade in diesen
Jahren. Zu Anfang des Frühlings 1621 finden wir ihn
in Ungarn als Freiwilligen im Heereszuge des Grafen
von Bucquoy, welcher gegen Bethlen Gabor gerichtet
war, der die Herrschaft in • Ungarn an sich gerissen
hatte. Im Mai wird Pressburg genommen. Im Juli
begann man mit der Belagerung von Neuhäusel. Hier
fiel jedoch der Oberbefehlshaber, Graf Bucquoy. Die
Kaiserlichen zogen infolge dessen ab, und gegen Ende
Juli kehrt Descartes mit einer grossen Schar von
Landsleuten, die sich ebenfalls am Feldzuge beteiligt
hatten, nach Pressburg zurück.
15. Vier Jahre lang hatte jetzt Descartes das
Soldatenleben mitgemacht. Die anfängliche Liebe zum
Waffenberuf mochte wohl jetzt einer gewissen Gleich-
gültigkeit gegen denselben Platz gemacht haben. Es
nimmt dies nicht Wunder, ist doch Descartes im Ver-
laufe dieser vier Jahre ein anderer Mensch geworden.
Die systematische Erforschung der Wissenschaften, die
er sich auf Grund seiner Methode als Ziel gesetzt hatte,
konnte in den unbequemen Situationen, wie sie das
Kriegsleben mit sich bringt, nur sehr schwer und mit
grossen Störungen betrieben werden. Und mochte auch
daneben sein Drang, das grosse Buch der Welt in seinem
ganzen Reichtum kennen zu lernen, noch keineswegs
Hoffmann, Descartes. ^
66 Drittes Kapitel : Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
vollständig gestillt sein, so konnte doch dieser besser
durch eigene und selbständige Reisen befriedigt werden,
jetzt wo es ihm darauf ankam, dabei auch gleichzeitig
Raum für seine wissenschaftlichen Neigungen zu ge-
winnen.
So wird es uns nicht überraschen, wenn Descartes
den Waifendienst aufgibt und fortan Reisen auf eigene
Hand unternimmt, dabei keine Gelegenheit vorübergehen-
lassend , die es ihm ermöglicht, seine Weltkenntnisse
zu bereichern, oder seine naturwissenschaftlichen und
mathematischen Studien zu fördern. Von Ungarn aus, das
er noch im Juli des Jahres 1621 verlässt, reist er nach
Mähren, von dort nach Schlesien, Breslau und allerhand
andere denkwürdige Orte werden auf der Tour berührt.
Dann zog er weiter nach Norddeutschland und lernte auf
diese Weise Brandenburg, Mecklenburg und Holstein
kennen. Von Deutschland beabsichtigte er nun noch
die Nordseeküste kennen zu lernen. Hierbei hatte er
auf der Überfahrt von Ost- nach Westfriesland ein ge-
fährliches Abenteuer zu bestehen, das ausserordentlich
charakteristisch für die Geistesgegenwart und den per-
sönlichen Mut unseres jungen Helden ist. Die Besatzung
des kleinen Schiffes, in dem er die Reise machte, war
eine habgierige und räuberische Gesellschaft. In dem
Glauben, dass Descartes ihren Dialekt nicht verstehe,
unterhielten sie sich darüber, wie sie den Fremden, der
nur einen Diener bei sich hatte, ausplündern und ins
Meer werfen wollten. Da erhob sich Descartes plötz-
lich, zog seinen Degen und drohte sie auf der Stelle
zu durchbohren, wenn sie es wagten, Hand an ihn zu
legen. Auf diese Weise jagte er dem feigen Gesindel
einen solchen Schreck ein, dass sie ihn unbehelligt
Hessen.
Nach kurzem Verweilen in Friesland vertauschte
Descartes seinen dortigen Aufenthalt mit Holland, dem
Lande, wo er seine ersten Kriegsjahre zugebracht
Reisen in Nordeuropa. 07
hatte. In der Residenzstadt Haag herrschte zur da-
maligen Zeit reges gesellschaftliches Leben. Hier fanden
sich die Reichsstände ein, um über die Angelegenheiten
der Republik zu verhandeln, hier residierte der Statt-
halter Fürst Moritz von Oranien, unter dem unser
Philosoph gedient hatte. Auch eine Menge fremder
Adelspersonen hatte sich in der Stadt eingefunden.
Einen traurigen Gegensatz jedoch zu all diesem Grianz
und der Pracht, bildete der kleine Hof der unglück-
seligen Königin von Böhmen , die hier eine Zufluchts-
stätte gefunden hatte. Wir wissen nicht, ob Descartes
damals mit der Königin in Berührung gekommen ist,
wir werden aber sehen, wie er später einer der besten
Freunde ihrer ältesten Tochter, der Prinzessin Elisabeth,
wird, die damals noch ein kleines Kind war. Descartes
blieb hier einen grossen Teil des Winters. Dann aber
hielt er es nicht mehr länger in der Fremde aus. Nur
einige Zeit noch verweilte er in den spanischen Nieder-
landen, um den Hof von Brüssel kennen zu lernen, dann
aber ging es heimwärts nach Frankreich, das er seit
neun Jahren verlassen hatte. Mitte März 1622 kam
unser Philosoph in Rennes an. G-ross war die Freude
des Vaters beim Wiedersehen des so lange . Zeit ent-
behrten Sohnes. Da Descartes jetzt mündig war, wurde
ihm der Besitz der ihm zufallenden Güter übergeben.
Neben seinen Verwandten standen unserem Philosophen
die Freunde, die er in Paris hatte, am nächsten, und
so war es nur natürlich, dass sein nächstes Reiseziel
die Hauptstadt war. Hier wurde er von allen Seiten
umringt und mit Fragen bestürmt, über die politischen
Verhältnisse in Deutschland, über seine Reisen und
Erlebnisse. Kurz und gut über alles mögliche musste
er Auskunft geben. Was aber die neugierigen Pariser
vor allen Dingen interessierte, das war die geheimnis-
volle Verbindung der Rosenkreuzer, über die sich gerade
damals in der Stadt alle Welt den Kopf zerbrach.
(j8 Drittes Kapitel: Periode d. System at. Wissenschaftsforschung.
Schwerlich haben wohl die Pariser von unserm Philo-
sophen darüber etwas Genaueres erfahren. Zwei Monate
blieb Descartes in der Hauptstadt, in der er Ende
Februar 1623 angekommen war. Wie angenehm auch
diese Zeit für ihn verfliessen mochte im Verkehr mit
den alten Bekannten und Freunden, es gingen ihm dabei
auch mancherlei Sorgen durch den Kopf. Alle seine
gleichaltrigen Kameraden hatten schon einen Beruf er-
wählt, nur er konnte sich hierzu nicht entschliessen.
Zwar hätte es sein Vater sicherlich sehr gerne gesehen.
Das Ansehen dieser alten adeligen Familie erforderte
es, dass ihre Mitglieder auch eine dem entsprechende
höhere Stellung im Civil- oder Militärdienste des Vater-
landes einnahmen. Der Vater selbst war Parlamentsrat
zu Rennes, sein ältester Sohn hatte ebenfalls die richter-
liche Carriere gewählt. Nur unser Philosoph schwankte
noch, ob er sich einem festen Berufe widmen sollte, ob
sich dies vereinen liesse mit seinen wissenschaftlichen
Studien, die doch einen ganzen Mann für sich ver-
langten.^)
16. Anfang Mai verliess Descartes Paris und be-
mühte sich, einen grossen Teil der ihm zugefallenen
Güter zu verkaufen. Sodann beschloss er eine Reise
nach Italien zu unternehmen, angeblich um die Ange-
legenheiten eines verstorbenen Verwandten zu ordnen
und um womöglich das von jenem eingenommene Amt
eines Armee-Intendanten zu erhalten. In Wirklichkeit
aber dachte er kaum ernstlich daran, sich um diesen
Posten zu bemühen, wie früher war es ihn auf dieser
Reise hauptsächlich um die Vervollständigung seiner
Welt- und Menschenkenntnisse zu tun.
^) Dass deswegen der Vater eine Zeitlang verstimmt war, ist
wohl möglich. Eine dauernde Störung des guten Verhältnisses
zwischen Vater und Sohn anzunehmen, dürfte nicht richtig sein.
(Archiv f. Gesch. der Philos. XIII. S. 571.)
Italienische Reise. Paris. 69
Im Monat September trat unser Philosoph seine
Reise an. Ausserordentlich fesselte ihn die Tour durch
die Alpen. In ihrer Durchforschung fand sein natur-
wissenschaftlicher Sinn vollauf seine Befriedigung.
Überall sah er Probleme ; Tieren, Gewässern, Bergen,
Winden, allen Dingen suchte er ihr Geheimnis zu ent-
locken, der Natur den Schleier zu entreissen, der über
ihr ausgebreitet liegt. Wir können es uns kaum vor-
stellen, mit welchem Enthusiasmus sich der Philosoph
diesen Problemen hingab, hier wo ihm die Natur in
ihrer ganzen elementaren Ursprünglichkeit entgegentrat,
und wo er es als einer der ersten wagte, ihr uner-
schrocken und mit festem Blick in das rätselhafte, un-
ergründliche Antlitz zu schauen.
Doch bald sollten andere Bilder diese Stimmungen
in den Hintergrund drängen. Italien war erreicht.
Jetzt traten wieder die Menschen, und ihr Leben und
Treiben in den Mittelpunkt des Interesses, in Innsbruck
der kaiserliche Hof Ferdinand II., in Venedig die Trau-
ung des Doffen mit dem adriatischen Meere. Dann
ging es weiter hinunter bis nach Rom, wo Descartes
bis zum Anfange des Frühlings 1625 blieb, bei seinem
modernen Fühlen sich sicherlich mehr für die damaligen
Bewohner der Weltstadt und ihre Sitten als für die
alten Kunstschätze, die in ihr aufgespeichert lagen,
interessierend.
Auf der Heimreise machte er noch einmal einen
kleinen Aufenthalt in den Alpen. Bei Savoyen misst
er die Höhe des Gebirges. Abermals erwecken seine
Aufmerksamkeit allerhand naturwissenschaftliche Pro-
bleme, er sinnt nach über die Entstehung der Gletscher,
über die Natur des Donners und des Blitzes, über das
Phänomen der Wirbelwinde und dergleichen.
Dass unser Philosoph zur damaligen Zeit keineswegs
das Interesse für das Kriegswesen vollständig verloren hat,
zeigte er kurz vor dieser zweiten Alpentour, wo er mit
70 Drittes Kapitel : Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
grosser Aufmerksamkeit einen Teil der gegen Genua
gerichteten kriegeriscken Unternehmungen beobachtete,
an denen auch Frankreich beteiligt war.
17. Im Mai des Jahres 1625 kehrte Descartes
wiederum nach Frankreich zurück. Auch jetzt bot sich
ihm abermals eine günstige Gelegenheit, in einen prak-
tischen Beruf einzutreten, es handelte sich um einen
höheren richterlichen Posten zu Chätellerault (A. I, 4).
Aber auch diesmal wies er das Anerbieten ab, fest
entschlossen, nur sich und seinem Philosophenberufe zu
leben. Zu diesem Entschlüsse haben wohl auch ein
wenig seine Pariser Freunde beigetragen, die ihn gerne
in ihrer Nähe haben wollten. Descartes blieb nun auch
wirklich für die nächsten drei Jahre, einige wenige
Unterbrechungen ausgenommen, in der Hauptstadt.
Die Zahl seiner hiesigen Freunde und Bekannte
hat sich in dieser Zeit um eine beträchtliche Anzahl
vermehrt. Unter den dauernden Freundschaften, die er
hier geschlossen hat, wollen wir jetzt einige bedeutungs-
volle hervorheben. Da ist vor allem zu nennen ein
Geistlicher, der Pater Gibieuf, der zur Gesellschaft der
Oratorianer gehörte. Dieser Gelehrte hatte ein ganz
besonderes Interesse für theologische und metaphysische
Fragen. Wir wissen, dass unser Philosoph sich jetzt
noch nicht ernstlich mit der Lösung von metaphysischen
Problemen beschäftigte. Aber diesem Manne hat er
sicherlich viele Anregungen auf diesem Gebiete zu ver-
danken (A. I, 16). Wir ersehen es aus seinen Briefen,
in welch dankbarer Erinnerung er ihn hält, wie er sich
freut über die wesentliche Übereinstimmung in ihren
beiderseitigen philosophischen Grundanschauungen (A. I.
16. 220. IL 97. III. 385).
Unter den Descartes nahestehenden Pariser Mathe-
matikern sind besonders De Beaune und Morin wichtig.
Ersterer hat sich nicht nur einen Namen erworben
Balzac. 71
durch die Erläuterungen zu Descartes' Geometrie, er
war es auch, mit dem unser Philosoph mathematische
Probleme der schwierigsten Art, die schon in das Gebiet
der Unendlichkeitsrechnung hineinfallen, zu besprechen
keinen Anstand nahm (A. II, 521. 541). Morin war ein
rückhaltsloser Bewunderer von Descartes' mathematischen
Verdiensten, späterhin hat er in höchst taktvoller Weise
einige Einwendungen gegen seine physikalische An-
schauungen gemacht (A. I, 537).
18. Indessen nicht nur mit den Pariser gelehrten
Kreisen kam der Philosoph damals in vielfache Be-
rührung, bei seinem feinfühlenden Verständnis für die
freie schöpferische Kraft der Phantasie wird es uns
nicht in Erstaunen setzen, wenn wir hören, dass er auch
mit dem Schriftsteller Balzac, der damals durch seine
„Briefe" in ganz Frankreich Aufsehen und Bewunderung
erregte, ein herzliches Freundschaftsbündnis schloss.
Wie alle Welt so war auch Descartes entzückt über
den glänzenden Stil des gleichaltrigen Freundes. Aber
auch inhaltlich haben die Schriften Balzacs, wie wir
wissen, damals seinen vollen Beifall gefunden, wie fern
es ihm auch selbst gelegen hat, in einer derart rheto-
rischen und mehr schöngeistigen Manier über alle
möglichen Dinge sich auszulassen. Ist es doch über-
haupt sehr naheliegend, dass gerade der Philosoph
besonderes Gefallen an den leichten und anmutigen
Schöpfungen der Phantasie finden muss, wenn er das
Bedürfnis fühlt, sich zu erfrischen und auszuruhen von
der strengen, allen sinnlichen Schmuck meidenden ab-
strakten Gedankenarbeit. Hören wir Descartes selbst,
wie er über seinen Freund urteilt, „Mir gefallen die
Briefe Balzacs so, dass ich nicht etwas an ihnen an-
geben kann, was besonders zu loben sei, wie die Ge-
sundheit des Körpers dann am besten ist, wenn sie
kein Empfinden davon zurücklässt; sie sind schön, wie
72 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
eine vollkommen ebenmässige und proportionierte Frauen-
gestalt, deren Schönheit nicht im einzelnen sich dar-
stellt, sondern in dem vollkommenen Ebenmasse be-
steht .... Aus einer solchen glücklichen Harmonie
zwischen StoiF und Form entspringt eine Anmut, die
von derjenigen, die dem Publikum vorgetäuscht wird,
so absticht, wie die Farbe eines wohlgestalteten edlen
Mädchens von der einer zinnoberroten und geschminkten
lüsternen alten Vettel" (A. I, 7 u. 8). Wenn Descartes
in seinen Schriften in so gewandter Weise mit der
französischen Sprache umzugehen versteht, so mag neben
seiner eigenen stilistischen Begabung wohl auch das
Beispiel des Freundes anregend auf ihn gewirkt haben.
In Balzac erkennt er unbedingt den Meister des Stils.
Auch seine eigene Ausdrucksweise wird phantasievoller
und erhält mehr Schwung in den Briefen, die an den
Freund gerichtet sind, gleichsam als schämte er sich
seiner einfachen und anspruchslosen, dabei aber doch so
geschickten und anmutigen Darstellungsgabe. „Euch
gegenüber schäme ich mich am meisten über die Rauhig-
keit des Stils und die Einfachheit der Gredanken"
(A. I, 381), schreibt er dem Freunde, als er ihm sein
erstes für die Öffentlichkeit bestimmtes Werk, den
Discours de la methode, schickt.
19. Es ist selbstverständlich, dass der Philosoph
die mannigfachen Anregungen, die er in dieser Zeit von
Freunden und Bekannten erhielt, nicht bloss passiv auf-
nahm. Er benutzte vielmehr jede Gelegenheit, wo er
sich den Pflichten des gesellschaftlichen Lebens ent-
ziehen konnte, zur weiteren Ausbildung und Erweiterung
seines wissenschaftlichen Horizonts. Namentlich seine
optischen Forschungen suchte er in dieser Zeit zu ver-
tiefen. Sein alter Freund Mydorge, der ihm schon bei
seinem ersten Pariser Aufenthalt als wissenschaftlicher
Berater so treu zur Seite gestanden hatte, wurde ihm
Optische Studien. Pariser Gesellschaft. 73
auch in dieser Zeit von unschätzbarem Werte. Ver-
stand er doch ganz vorzüglich die Kunst, Gläser zu
schneiden und zu schleifen, eine Fertigkeit, die für den
wissenschaftlichen Optiker geradezu unentbehrlich war.
Ausserdem machte er Descartes auf einen geschickten
Glasschleifer Namens Ferrier aufmerksam. Dieser Mann
hatte sich durch den Umgang mit den beiden Freunden
auch mancherlei Kenntnisse über die physikalischen Gesetze
der Optik angeeignet und wurde ihnen durch seine leichte
Auffassungsgabe und gewandte technische Ausführung
der wissenschaftlichen Apparate geradezu unentbehrlich.
Es war nicht Descartes' Schuld, wenn Ferrier später
infolge seiner Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit
es mit seinen Gönnern verdarb und schliesslich in Armut
und Elend geriet. In diese Zeit ist nun offenbar die
epochemachendste Entdeckung Descartes' in der Optik
zu setzen, nämlich das Lichtbrechungsgesetz. Geht ein
Lichtstrahl von einem Medium in ein anderes über, so
steht der Sinus des Einfallswinkels zum Sinus des
Brechungswinkels in einem konstanten Verhältnis. Mit
berechtigtem Stolz erwähnt Descartes diese Entdeckung
in den Hegeln als eine unmittelbare Frucht seiner neuen
Wissenschaftslehre (C. XI, 241—42). Die komplizierte
Natur des Lichts wird zunächst nach Analogie der
mechanischen Bewegung betrachtet. Dann gelingt es
ohne weiteres durch Anwendung der in der Mechanik
gültigen Gesetze der Entdeckung auf die Spur zu
kommen^) (C. V, 21 u. f.). Sogar wenn man von der
') Dass Descartes schon während seines Pariser Aufenthaltes mit
dem Lichtbrechungsgesetz vertraut war, geht unmittelbar aus seinen
Briefen an Ferrier hervor. Man hat behauptet, Descartes habe das
Gesetz den Manuskripten des Physikers Snellius entlehnt. Diese
Behauptung lässt sich nicht nur nicht mit dem Avahrheitsliebenden
Charakter des Philosophen vereinen, auch der einzige positive Zeuge,
der dafür aufzuweisen ist, nämlich J. Voss, ist unzuverlässig. Denn
er war nicht nur auf Descartes schlecht zu sprechen, weil er in ihm
74 Drittes Kapitel: Periode d. systeraat. Wissensehaftsforschung.
tatsächliclien Feststellung des Gesetzes absieht, die
tiefsinnige theoretische Ableitung desselben bedeutet
allein schon eine grosse Leistung, die es offenbar werden
lässt, dass Descartes ein weit tieferes und klareres
Verständnis von der iSIatur dieser Erscheinung gehabt
hat, als der Holländer Snellius, der das Gesetz auf rein
empirischem Wege gefunden und es dazu nicht einmal
in einer so einfachen Form wie unser Philosoph dar-
gestellt hat.
20. Neben den wissenschaftlichen Arbeiten war
Descartes auch durch das gesellschaftliche Leben in
Paris nicht wenig in Anspruch genommen. Wir haben
es ja schon früher gesehen, wie er dank seiner adeligen
Abkunft Zutritt zu den höchsten Kreisen hatte. So
finden wir ihn auch jetzt häufig am königlichen Hofe
zu Fontainebleau. Die sinnreich ausgedachten Ma-
schinen, durch die in den Grotten und Fontänen des
dortigen Parkes die verschiedenen Wasserkünste ge-
trieben wurden, haben den nachdenklichen Philosophen
vielleicht oft mehr unterhalten als die Hofgespräche,
er benutzt sie in seinem Werke über die Natur des
Menschen, um an ihnen zu veranschaulichen, wie im
organischen Körper durch eine einzige Kraft die mannig-
fachsten Arbeitsleistungen hervorgebracht werden können
(C. IV, 347).
Bei der grossen Gewandtheit und dem weltmän-
nischem Takt, die unser Philosoph durch seine vielen
Keisen erworben hat, muss er auch sicherlich ein an-
genehmer Gesellschafter gewesen sein. Man rühmt ihm
nach, dass er sich mit Frauen besonders o;erne unter-
am Hofe der Königin Christine von Sclrweden seinen Rivalen sah,
er besass auch aussei'dem eine wahrhaft kindische Leichtgläubigkeit.
So soll König Karl II. eines Tages von ihm gesagt haben: ,Voila
un etrange savant, 11 croit tout hors la Bible". Vergleiche auch die.
Arbeiten von P. Kramer (1882) und D. J. Korteweg (1896).
Belagerung von La Rochelle. 75
halten habe (P. Borelli 3). Sicherlich wurde er von
den Damen sehr gerne gesehen, jung und vornehm wie
er war, dazu noch umgeben von dem romantischen
Nimbus, wie ihn durchgemachte Kriegs- und Reise-
abenteuer stets hervorzurufen pflegen. Indessen genau
so wenig wie zur Übernahme eines festen Berufes hat
er sich zur Heirat entschliessen können (Baillet II, 501).
In einer Gresellschaft soll er einmal gesagt haben, eine
schöne Frau, ein gutes Buch und ein vollkommener
Prediger gehören zu den Dingen, die am schwierigsten
aufzufinden seien.
21. Wie grosse Mühe sich auch der Philosoph gab,
Ruhe und innere Sammlung zum fruchtbaren Arbeiten
in Paris zu finden, es gelang ihm mit der Zeit immer
weniger, denn von Tag zu Tag vergrösserte sich der
Freundes- und Bekanntenkreis, der sich um ihn scharte.
So entschloss er sich endlich, zu feinfühlig wie er war,
die Leute direkt abzuweisen, zu dem Zufluchtsmittel
zu greifen, das er schon bei seinem ersten Aufenthalt
in der Hauptstadt benutzt hatte, eine einsame und ver-
steckte Wohnung zu nehmen, um so im verborgenen erfolg-
reicher arbeiten zu können. Indessen es half ihm nichts.
Nach einigen Wochen wurde er wieder entdeckt. Da
beschloss er, off'enbar weil er in Paris doch nichts
Rechtes anfangen konnte, nach La Rochelle zu reisen,
um sich die Belagerung dieser Festung anzusehen, die
schon im Spätherbst des Jahres 1627 begonnen worden
war.^)
Die Hugenotten nämlich waren wieder einmal im
Aufstand begriff'en. Sie hatten den Krieg, den Frank-
reich mit England augenblicklich führte, benutzt und
') Thouverez, dessen im Archiv f. Gesch. d. Philos, zusammen-
gestelltes biographisches Material recht interessant ist, glaubt, dass
Descartes' Anwesenheit in La Rochelle nicht ganz sicher festzustellen
sei. Er bringt jedoch keinen zwingenden Gegenbeweis.
76 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
sicli den Feinden angeschlossen. Ihr Wohl und Wehe
hing von der Widerstandsfähigkeit der Festung La
Rochelle ab. Descartes beteiligte sich selbst als Frei-
williger an dem Kampfe gegen die Rebellen und be-
obachtete mit lebhaftem Interesse die technischen Kunst-
griife, mit denen man die Einschliessung der Stadt
ermöglichte. Durch einen mächtigen Pallisadenring,
der aus versenkten Schiffen, Pfahlwerk, Quadersteinen
etc. hergestellt wurde, gelang es die Einfahrt in den
Hafen total zu sperren, so dass sich alle Entsatzversuche
der Engländer als aussichtslos erwiesen. Da nun auch
zu Lande die Festung durch eine Reihe von Forts um-
geben und von Truppenmassen eingeschlossen wurde,
so zwang schliesslich der Hunger zur Übergabe. Am
ersten November 1628 zog das siegreiche Heer in die
Stadt ein. Die ausgehungerte Einwohnerschaft erweckte
einen kläglichen und mitleiderregenden Eindruck. Es
war hier das letzte Mal, dass sich Descartes an einem
Kampfe beteiligte. In dem Masse als er älter wurde,
nahm das Interesse am Kriegswesen ab (A. II, 480) und
machte schliesslich sogar einer gewissen Abneigung
Platz. „Ich vermag kaum das Kriegshandwerk unter
die ehrenhaften Berufszweige zu rechnen" heisst es in
einem Briefe, den er in seinen letzten Lebensjahren
geschrieben hat (A. V, 557).
22. Descartes reiste nach der Übergabe der Festung
wieder nach Paris zurück, an der weiteren Nieder-
werfung der Hugenotten sich nicht mehr beteiligend.
Unmittelbar nach seiner Ankunft wurde er zu einem
grossen Gesellschaftsabend beim Nuntius des Papstes
eingeladen, dessen Verlauf für seine weitere philoso-
phische Entwicklung recht bedeutsame Folgen haben
sollte. In der Gresellschaft erregte ein Mann Namens
Chandoux grosses Aufsehen. Er war seines Zeichens
ein Chemiker, spielte sich als ein Reformator der Phi-
Unvollkommenheit der Wissenschaftslehre. 77
losophie auf und wurde nicht müde, auf Aristoteles und
die Scholastiker zu schimpfen. In Wirklichkeit war er
ein Schwadroneur und ein grosser Flachkopf. Trotzdem
hatte er Glück mit seinen nichtssagenden Redensarten.
Denn wie in jeder Übergangszeit herrschte auch damals
in den Köpfen eine grosse Verwirrung, man war nicht
mehr fähig, das Echte vom Unechten zu unterscheiden
und jubelte einem jeden zu, der auf die alten Zustände
schimpfte, mochte er auch ein noch so grosser Hohlkopf
sein. Descartes, der allein in der Gesellschaft den
Prahlhans durchschaute, beteiligte sich nicht an den
allgemeinen Beifallskundgebungen. Sein Benehmen fiel
auf, und schliesslich musste er, so unangenehm es ihm
auch war, einen Menschen blosszustellen, seine Anschau-
ung über das eben Gehörte mitteilen. Er machte darauf
aufmerksam, wie vergeblich es sei, aus blossen Ver-
mutungen eine Philosophie aufzubauen und Hess dabei
den Charakter seiner eigenen wissenschaftlichen Methode
durchblicken. Der in dieser Weise entlarvte Chandoux
hat übrigens späterhin ein klägliches Ende gefunden.
Der „Reformator der Philosophie" hatte nämlich mit
der Zeit Geschmack an einem einträglicheren Berufe ge-
funden. Er verlegte sich auf die Falschmünzerei, wurde
aber dabei ertappt und musste seine Schwindeleien mit
dem Tode büssen.
Als Descartes an jenem Abende einem grösseren
Kreis von Zuhörern einen flüchtigen Einblick in das
Wesen seiner wissenschaftlichen Methode ermöglicht
hatte, war er vielleicht der einzige, der mit dem Bei-
fall und der Bewunderung, die ihm gezollt wurde, nicht
recht zufrieden war. Sein bisheriger agnostischer Stand-
punkt den allgemeinen philosophischen Problemen gegen-
über genügte ihm nicht mehr. „Neun Jahre waren
vergangen (seit der methodischen Selbstbesinnung)
und noch hatte ich zu keinem Probleme, wie sie unter
den Gelehrten diskutiert werden, feste Stellung ge-
78 Drittes Kapitel: Periode d. systemat. Wissenschaftsforschung.
nommen, oder versucht, sicherere Grundlagen aufzufinden,
als sie die gewöhnliche Philosophie besitzt" (C. I, 155).
Und doch wurden seine metaphysischen Bedürfnisse,
die er bis jetzt nur leise gefühlt oder mit G-ewalt
zurückgedrängt hatte, immer dringender, mahnten ihn
immer gebieterischer an ihre Befriedigung. Ein echt
faustischer Drang nach den letzten Quellen der Er-
kenntnis lebte in unserem Philosophen, und nur seiner
ausserordentlichen Selbstdisziplin war es gelungen, ihn
bisher zurückzuhalten, um den Gefahren zu entgehen,
in leere metaphysische Spekulationen hineinzugeraten
(C. I, 145). Sollte er nun immer noch zögern, die grossen
Probleme der Philosophie in Angriff zu nehmen, sich
weiter auf die Erforschung der konkreten Wissenschaften
beschränken. Aber selbst auf letzterem Gebiete musste
er schliesslich einmal zu Fragen rein metaphysischer
Natur Stellung nehmen, ob es in der Natur einen leeren
Raum gibt oder nicht, worin das Wesen der Materie
besteht und dergleichen. Die Methodenlehre musste
hier natürlicher Weise versagen, nur zur Lösung von
Problemen, die sich auf empirischem Wege feststellen
lassen, konnte sie die Anleitung geben.
Wenn unser Philosoph selbst noch schwankte, ob er
die gehörige Reife für sein grosses Unternehmen schon
besässe, so musste ein Ereignis wie der vorher ge-
schilderte Gesellschaftsabend ihn immer mehr zu einem
festen Entschluss, zur ernsten Inangriifnahme der me-
taphysischen Probleme drängen. Musste doch sein
Auftreten den Eindruck erwecken, als ob er schon im
Besitze fester philosophischer Prinzipien wäre, während
in Wirklichkeit davon noch nicht die Rede war. „Ich
war aber zu aufrichtig, um für mehr gelten zu wollen,
als ich wirklich war, und ich dachte, dass ich mit allen
Mitteln versuchen musste, mich des Rufes, den ich hatte,
würdig zu erweisen" (C. I, 156). Es wird sich zeigen,
wie ernsthaft Descartes die Ausführung seiner Pläne in
Unvollkommenheit der Wissenschaftslehre. 79
die Hand nahm. Der eben zitierte Ausspruch ist übrigens
wieder recht kennzeichnend für unsern Philosophen.
Bescheiden wie er ist, glaubt er, dass er sich vor der
Welt entschuldigen muss, weil er als dreiunddreissig-
j ähriger Mann es schon wagte, an die Probleme der
Metaphysik heranzutreten, wo er doch, wie kaum neben
ihm ein anderer, erst nach einer sehr langen, methodisch
ausgenutzten Vorbereitungszeit die nötige Reife für das
ojrosse Unternehmen zu besitzen glaubte.
Viertes Kapitel.
Grundlegung der Metaphysik.
1. "Wir haben es bei unserem Philosopben scliün
seit seiner Kindheit beobachtet, wie er das Bedürfnis
hatte, sich zeitweilig von seiner Umgebung vollständig
abzuschliessen, um nur sich und seinen Gedanken leben
zu können. Schon als Knabe wurden für ihn die ein-
samen Stunden, die er morgens in seinem Bett zubrachte
die Zeiten der fruchtbarsten Selbstbetätigung, aber auch
als er die Schule verlassen und die Welt von Grund
auf kennen zu lernen bemüht war, hat er die Einsam-
keit nie ganz und gar missen können. Im Gegenteil,
sie ist ihm geradezu unentbehrlich geworden, um die
Anregungen, die ihm das Leben bot, zu verarbeiten und
um seine Weltanschauung immer mehr zu vertiefen.
Ich brauche nur zu erinnern an die Zeit, die er im
Winterquartier an der Donau zubrachte, die doch so
ausserordentlich wertvoll für seine geistige Entwicklung
geworden ist. Kein Wunder also , wenn gerade jetzt,
wo es für ihn galt, die Grundlagen all unseres Wissens
aufzusuchen und den letzten metaphysischen Grund aller
Dinge zu entdecken, das Bedürfnis nach Einsamkeit
sich in seiner ganzen Stärke geltend machte. Paris
weiterhin als Aufenthaltsort zu wählen, daran war
natürlich nicht zu denken, aber auch das übrige Frank-
reich schien Descartes für seine Absichten nicht der
geeignetste Platz zu sein, war er doch auch hier nirgends
Die Zustände in Holland. 81
sicher, von Freunden und Bekannten besucht und ge-
stört zu werden. So beschloss er denn ins Ausland
zu gehen. Die vereinigten Niederlande, in denen er
seine ersten Kriegsjahre verlebt hatte, schienen ihm für
seine Zwecke am geeignetsten zu sein. Das freiheitlich
gesinnte Holland war damals in kräftigem Aufstreben
begriffen. Durch seine erfolgreichen Kämpfe mit Spa-
nien hatte es sich die Hochachtung von ganz Europa
erworben. Im Innern herrschte ein rühriger Eifer.
Alle Energie wurde darauf verwandt, die Kultur und den
Reichtum des Landes zu vermehren. Nicht zum wenigsten
trugen hierzu die kolonialen Erwerbungen bei. Die
Gesellschaft, die zur Ausbeutung der kolonialen Pro-
dukte gegründet war, konnte ihren Aktionären durch-
schnittlich zwanzig Prozent Dividende zahlen, in sehr
guten Jahren sogar bis zu fünfundsiebzig Prozent
(Lamprecht). Amsterdam, das sich im siebzehnten Jahr-
hundert im Verlaufe von fünfzig Jahren um das doppelte
vergrösserte, besass die grösste Bank der Welt, in
deren Kellereien zur Zeit des Westfälischen Friedens
dreihundert Millionen Mark in Metall lagen, eine für
die damalige Zeit ganz ungeheuere Summe. Neben der
materiellen Kultur hatte aber auch die geistige einen
mächtigen Aufschwung genommen. In diesem Jahr-
hundert und grossenteils noch als Zeitgenossen unseres
Philosophen lebten und wirkten die Koryphäen hollän-
discher Kunst und Wissenschaft, Willebrod Snellius und
Simon Stevin, Franz Hals und Rembrandt. Es mochte
aber wohl neben allen diesen grossen Vorzügen noch
etwas anderes sein, was Descartes an diesem auf-
blühenden Staatenwesen so sympathisch berührte, näm-
lich die ausserordentliche Gründlichkeit und Solidität,
die so unzertrennlich mit dem holländischen National-
charakter verknüpft ist. In diesem Lande herrschte ganz
im Gegensatz zu dem damals so unruhigen und skeptisch
gesinnnten Frankreich ein nach innerer Festigkeit und
Hoffmann, Descartes. O
82 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
Dauerhaftigkeit strebender G-eist. Hier konnte Des-
cartes mehr als anderswo die innere Ruhe und Sicherheit
finden, deren er bedurfte, um der modernen Philosophie
ihre festen und ehernen Grundlagen errichten zu können.
2. In einem abgelegenen kleinen Schlosse der Stadt
Franeker, das von der übrigen Stadt durch einen
Graben getrennt war, finden wir unsern Philosophen
im Sommer des Jahres 1629 wieder, nachdem er den
vergangenen Winter auf dem Lande irgendwo in Frank-
reich zugebracht hatte, um sich gegen das kältere
holländische Klima im voraus abzuhärten. In der tiefen
Ruhe und Abgeschiedenheit, die ihn hier umgab, keimten
in seinem G-eiste die ersten metaphysischen Gedanken.
Bisher war all sein Forschen trotz aller Zweifel und
Selbstkritik im letzen Grunde genommen doch dogmatisch
geblieben. Wohl hatte er zwischen sich und den scho-
lastischen Gelehrten innerlich schon längst alle Bande
gelöst, hatte sich den neuen wirkliches Leben in sich
enthaltenden naturwissenschaftlichen Ideenbildungen voll
und ganz hingegeben, selbst mit genialem Blick um ihre
Weiterentwicklung bemüht, innere Sicherheit zu diesen
seinen Unternehmungen schöpfend aus seiner neuen
Wissenschaftslehre. Allein was für eine Fülle von
ungeprüften Voraussetzungen waren in dieser wissen-
schaftlichen Position noch enthalten. Mit naivem Sinne
wird die Natur in ihrer Totalität untersucht, ohne dass
sich der Forscher sein eigenes Verhältnis zu ihr klar
gemacht hat. Farbe, Ton und Licht werden ohne
weiteres als sekundäre Eigenschaften der Dinge be-
trachtet und von dem Physiker eliminiert zu Gunsten
der leichter vergleichbaren und mathematisch fassbaren
Eigenschaften der Gestalt, Grösse und Lage, aus keinen
anderen Gründen als den ebengenannten und bloss
empirisch aufgerafften der leichteren und bequemeren
wissenschaftlichen Handhabuno:. Aber selbst wenn wir
Verwerfung der dogmatischen Voraussetzungen. 83
von allen diesen Fragen absehen, auch das oberste
Kriterium aller Forschung, war dogmatisch und an-
fechtbar. „Wahr ist alles das, was klar und deutlich
ist". Darf der echte Wahrheitsforsoher wirklich diesen
Satz als selbstverständlich und unmittelbar einleuchtend
hinnehmen. Woher wissen wir denn, ob unser Verstand
wirklich das Recht hat , über die Dinge ein entschei-
dendes Urteil zu fällen. Mag eine Sache uns noch so
sehr einleuchtend erscheinen, ist dadurch allein schon
ihre objektive Realität verbürgt. Keineswegs. Unser
Verstand ist vielleicht zu schwach, um die Dinge richtig
zu beurteilen, und wenn wir davon absehen, vielleicht
hat gar ein böser Dämon uns erschaffen und unsern
Geist so eingerichtet, dass er stets in seinen Urteilen
irren muss. Du glaubst es nicht, du berufst dich auf
den allgütigen Gott, der die Welt ins Leben gerufen
hat. Aber was weisst du denn Sicheres von Gott, wie
kannst du es wagen, über seine Eigenschaften oder seine
Existenz auch nur das Geringste auszusagen. Die Lage,
in der sich Descartes befindet, scheint verzweifelt zu
sein. Wenn der ganze Boden unter den Füssen schwankt,
wie ist es da noch möglich, einen sicheren Stützpunkt
zu finden. Nichtig und wertlos scheint all das Wissen
zu sein, das sich unser Philosoph durch seinen rastlosen
Forschungseifer angeeignet hat. Beruht es doch auf
unbewiesenen Voraussetzungen, ist doch die Methode,
die ihm zu Grunde liegt, dem tiefsten Zweifel ausge-
setzt. Indes verlieren wir den Mut noch nicht. Zuviel
steht ja auf dem Spiel, als dass es nicht leichtsinnig
wäre, die Waffen ohne weiteres von sich zu werfen.
Unsere wissenschaftliche Methode hat sich doch als so
fruchtbar im Gebiete der Wissenschaften erwiesen, und
wenn wir uns die früheren Ereignisse ins Gedächtnis
rufen, unmittelbar bevor Descartes seine Methode er-
sann, befand er sich ja auch in einer sehr schwierigen
Situation, mag sie auch nicht mit der jetzigen zu ver-
84 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
gleiclien sein. Vielleicht bedarf es nur einer Vertiefung,
einer Verinnerlichung der alten Methode, um sie der
jetzigen Lage anzupassen. Erinnern wir uns, wie rat-
los wir den Problemen der Mathematik gegenüberge-
standen hatten. Wie wir aber ihrer Herr wurden, wie
wir die verschiedenen räumlichen Qualitäten mitein-
ander in Beziehung bringen konnten, nachdem wir sie
unter dem Gesichtspunkte von einfachen algebraischen
Grössen betrachtet hatten. Ahnlich erging es uns in
der Physik. Auch hier brachten wir einen wissen-
schaftlichen Zusammenhang in die Fülle der sinnlichen
Eigenschaften hinein, indem wir sie unter ganz einfache
Gesichtspunkte brachten, indem wir uns nur um die
Änderung der Form, Lage und Gestalt der Körper
kümmerten, in der festen Überzeugung, dass durch sie
auch die ganze Mannigfaltigkeit der sinnlichen Eigen-
schaften hinreichend bestimmt sei. Bei allen diesen
Fragen handelte es sich freilich nur um die Wissen-
schaften, ein relativ sehr beschränktes Gebiet verglichen
mit dem des Philosophen, der es mit der ganzen Welt
zu tun hat. Allein auch der Philosoph vermag die
Dinge in einen festen Zusammenhang miteinander zu
bringen. Mag alles um uns herum dem Zweifel ausge-
setzt sein, mag die Aussenwelt, ja sogar mein eigener
Körper ein Wahngebilde sein, das kann doch nicht be-
stritten werden, dass ich selbst, der ich über alle diese
Dinge reflektiere, existiere, existiere als ein bewusstes
Wesen begabt mit dem Vermögen zu wollen, zu em-
finden und zu denken. Von dieser unmittelbar ein-
leuchtenden Tatsache müssen wir ausgehen, kümmern
wir uns vorläufig garnicht um die Existenz der Dinge
da draussen, sondern halten wir uns an das einzig un-
mittelbare Gewisse, an das Bewusstsein und seinen
inneren Reichtum an Vorstellungen. Ob da draussen
etwas Farbiges und Ausgedehntes existiert, das weiss
ich nicht, aber dass ich in meinem Bewusstsein die
Metaphysische Grundlegung. 85
Vorstellung von farbigen und ausgedehnten Objekten
habe, wer wagt das ernstlich zu bestreiten? Wie wir
in der Physik von den qualitativen Eigenschaften der
Dinge abgesehen haben und nur die quantitativen ma-
thematisch bestimmbaren in Betracht gezogen haben,
so kümmern wir uns bei unserem jetzigen Unternehmen
nicht um die Existenz der Dinge und betrachten sie
nur als Vorstellungen unseres Bewusstseins. Über unsere
Vorstellungswelt sind wir Herr, wer will es wagen,
uns diesen Besitz zu entreissen. Besichtigen wir nun
unser kleines Königreich, wir werden sehen , es birgt
in sich Kräfte genug, um die ganze übrige uns verloren
gegangene Welt wieder zu erobern. Neben unmittelbar
evidenten, aber rein formalen logischen Sätzen, die wir
in unserer Bewusstseinswelt antreffen, enthält sie in
sich die Vorstellung von einem allervollkommensten
Wesen. Diese Vorstellung birgt aber eine solche uner-
messliche Grösse in sich, dass ihre tatsächliche Existenz
in meinem endlichen Bewusstsein nur zu erklären ist
durch die Annahme, dass ein allervollkommenstes Wesen
d. h. Gott wirklich existiert, denn nur er allein ist im
stände, diese alles Endliche übersteigende Idee meinem
Bewusstsein einzudrücken. Jetzt ist die schwerste Ar-
beit bereits vollbracht. Sind wir einmal der Existenz
Gottes sicher, so folgt daraus auch unmittelbar die
Realität der Aussenwelt. Denn wären unsere Sinnes-
empfindungen weiter nichts als blosse Vorstellungen,
entspräche ihnen kein reales äusseres Objekt, so wäre
ja Gott ein Betrüger, wäre also nicht mehr das alier-
vollkommenste Wesen, als das wir ihn doch mit Sicher-
heit erkannt haben. Freilich nicht alles, was wir in
der Aussenwelt wahrnehmen, besitzt objektive Realität.
Wirklich vorhanden sind nur die räumlichen Eigen-
schaften der Dinge, Ausdehnung, Gestalt und Bewegung,
alles andere wie Farbe , Ton u. s. w. ist subjektiv,
existiert nur als Vorstellung in unserem Bewusstsein.
86 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
Denn nur klare und deutliclie Vorstellungen, wie es
die matliematisclien sind, dürfen als wirklicli existierend
angesehen werden.
3. Wir haben im vorhergehenden versucht, in aller
Kürze die ersten metaphysischen Gedankengänge unseres
Philosophen, wie er sie damals in seiner holländischen
Einsiedelei entworfen hatte, zu skizzieren. Sie waren
freilich im einzelnen noch recht unvollkommen, allein
ungeheuer viel war schon durch diesen ersten Entwurf
gewonnen. Die vorher in Frage gestellte Sicherheit
der wissenschaftlichen Erkenntnis ist wieder hergestellt
worden. Nicht das geringste Ergebnis seiner bisherigen
Forschungsmethode braucht Descartes aufzugeben. In
vollkommenster Harmonie kann die alte Wissenschafts-
lehre neben der Metaphysik bestehen bleiben. Freilich
einen abgeschlossenen Eindruck macht dieser erste Ent-
wurf unseres Philosophen keineswegs. Es bedurfte noch
ein Jahrzehnt ernster Denkarbeit, um alle seine Mängel
zu beseitigen. Die einzelnen Beweise sind unvollkommen,
eine Fülle von Problemen wird einfach ignoriert, so
z. B. wird das Verhältnis der menschlichen Willens-
freiheit zur Allwissenheit Gottes, wie überhaupt alle
ethischen Fragen, ganz unerörtert gelassen. Allerdings
hat Descartes auch späterhin die Ethik nur nebenbei
behandelt, waren es doch hauptsächlich intellektuelle
Kämpfe, die er in seinem Innern durchzumachen hatte,
wie die Natur- und Geisteswelt innerlich beschaffen
sei, diese Fragen beschäftigten ihn fast ausschliesslich.
In den Anschauungen über das sittliche Handeln dagegen
hat er nie tiefer gehende Konflikte zu bestehen gehabt,
in diesem Punkte ist er stets der idealistischen Grund-
richtung seines Charakters treu geblieben.
Aber wie gesagt auch die eigentlich metaphysischen
Fragen sind in diesem ersten Entwurf recht stief-
mütterlich behandelt worden. Eines der wichtigsten
Charakter dieser Metaphysik. 87
Probleme war es doch, die Naturphilosophie auf feste
Grundlagen zu stellen. Allein gerade in diesem Punkte
fühlt sich unser Denker noch sehr unsicher. Wohl
schweben ihm schon gewisse allgemeine Grundzüge vor.
Das Wesen des Körpers wird in die Ausdehnung gesetzt,
alle subjektiven Qualitäten beseitigt. Aber von einer
strengen Beweisführung ist vorläufig noch nicht die
Rede. Natürlich ist dies kein Wunder, ist doch gerade
in dieser Hinsicht die erste in Holland zugebrachte
Zeit eine Übergangsperiode. Der Philosoph, der vorher
ohne bestimmte naturwissenschaftliche Anschauungen
ausgekommen ist, fühlt erst jetzt das Bedürfnis, sein
reiches wissenschaftliches Material durch positive me-
taphysische Prinzipien in vollkommene innere Über-
einstimmung zu bringen.
Das Charakteristische in den philosophischen Ge-
dankengängen Descartes' ist die idealistische Tendenz,
die in ihnen mit solch elementarer Kraft sich geltend
macht. Das Bewusstsein ist das allerursprünglichste,
der naturgemässe Anfang aller Philosophie. Nichts er-
kennt der Mensch gewisser als seinen Geist, die Natur
mit ihrer so bestechenden sinnlichen Unmittelbarkeit, sie
kommt erst in zweiter Linie. Im Grunde genommen
harmonieren diese Gedanken vollkommen mit der natur-
wissenschaftlichen Forschungsweise unseres Philosophen.
Vom Geiste aus hat er von jeher die Natur begreifen
wollen, sie war ihm gewissermassen nur blosser Stoff,
Leben kam in sie erst hinein durch die mathematische
Methode, deren Regeln sie sich fügen musste, durch
die Gesetze, die ihr der Verstand gleichsam mit sou-
veräner Machtvollkommenheit vorschrieb. Wir haben
schon früher darauf hingewiesen, wie diese naturwissen-
schaftliche Gedaukenrichtung gerade damals so sehr
die besten Köpfe der Zeit erfüllte, wie jeder Fortschritt
bei dem Zustande der damaligen Forschung gerade durch
diese Methode allein zu erreichen war.
88 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
4. Im Winter des Jalires 1629 finden wir unseren
Philosophen in Amsterdam wieder. Seitdem er das
stille Franeker verlassen hat, treten die metaphysischen
Spekulationen mehr in den Hintergrund, mit ganzem
Eifer wendet er sich wiederum den naturwissenschaft-
lichen Problemen zu. Die Grossstadt stört ihn nicht,
er ist ja hier nicht wie in Paris von Bekannten um-
geben, sondern kann mitten in dem Menschengewühl
„einsam und zurückgezogen wie in den entlegensten
Wüsten wohnen" (C. I, 156). Wie gut es ihm in Am-
sterdam gefiel, können wir daraus ersehen, dass er bis
zum Jahre 1634 hier wohnen blieb, einige grössere
Unterbrechungen ausgenommen.
Schon in Franeker hatten übrigens die metajihy-
sischen Betrachtungen nicht seine ganze Zeit ausgefüllt,
mit regem Interesse hatte er daneben namentlich seine
optischen Studien fortgesetzt. Ja sein Eifer für diese
physikalische Disziplin war damals so gross, dass er
sich den Glasschleifer Eerrier, seinen alten Bekannten
aus der Pariser Zeit her, gern hätte kommen lassen.
Er hatte ihm die lockendsten Anerbieten gemacht, die
übrigens charakteristisch für unsern Philosophen sind, da
sie zeigen, wie sehr er in vielen Punkten sich über die
Vorurteile seines Standes hinwegzusetzen geneigt war.
Er, der adelige und hochgebildete Mann, wollte mit dem
einfachen Handwerker zusammenwohnen, einen eigenen
französischen Koch ihm zuliebe anwerben. Es half
freilich nichts. Der Glasschleifer Ferrier, der sich gerne
von zweifelhaften Illusionen bestimmen liess, glaubte
damals es in Paris weiter bringen zu können, worin er
sich freilich arg getäuscht hat.
In Amsterdam kamen nun neben der Optik eine
ganze andere Reihe von Forschungen hinzu. Bei der
innigen Fühlung, die Descartes dank der regen Ver-
mittelung seines Freundes Mersenne mit der wissen-
schaftlichen Welt behielt, waren es oft damals gerade
Naturwissenschaftliche Probleme. 89
aktuelle wissenscliaftliclie Zeitfragen, deren Untersuchung
ihn lebhaft in Anspruch nahmen. Da ist zu nennen
das damals entdeckte Phänomen der Parhelien (Neben-
sonnen), über dessen Erforschung er nicht genug Aus-
kunft bekommen kann. Von dem einen Problem kommt
er immer tiefer in das Gebiet der Meteorologie hinein,
er gedenkt diese Wissenschaft systematisch zu behandeln,
wie er es mit der Optik und der analytischen Geometrie
schon früher beabsichtigt hatte. Weiter interessieren
ihn lebhaft die Beobachtungen, die man über die Sonnen-
flecken gemacht hat, diese Erscheinung benutzt er später
geschickt in seiner Weltbildungstheorie, um die Ent-
stehung der Planeten zu erklären. Auch die aku-
stischen und musikalisch-ästhetischen Untersuchungen
werden weiter fortgesetzt und ergänzt, mochte er auch
keine weitere Abhandlung hierüber schreiben, seine
Briefe sind ein beredtes Zeugnis dafür, wie er diese
Probleme nie ganz fallen gelassen hat.^) Seine kleine
Schrift über die Musik brachte übrigens damals seinen
alten Bekannten, den Rektor Beeckmann, in die Ver-
suchung, ein Plagiat zu begehen. Unter der Hand er-
fuhr es Descartes zufällig durch Mersenne, dem gegen-
über sich Beeckmann in prahlerischer Weise als den
geistigen Urheber jener Abhandlung aufspielte. Des-
cartes, von jeder kleinlichen Sorge um sein geistiges
Eigentum frei, — wir wissen es, wie oft er bedeutende
Entdeckungen seinen Freunden mitteilte, bevor er noch
ernstlich an ihre Veröffentlichung durch den Druck
dachte — ärgerte sich darüber nicht im geringsten, im
Gegenteil er nahm die Sache mit grossem Humor auf.
Es ist köstlich zu lesen, wie er Beeckmann zur Rede
stellt, indem er in den Briefen an ihn die schwerfällige
Schreibart jenes alten Renommisten gleichsam parodiert.
^) Im Jahre 1639 regt er den Holländer Bannius zu musikalischen
Untersuchungen an (A. II, 586).
90 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
„Ich hebe mir seine Briefe auf", schreibt er scherzhaft
an Mersenne, „denn sollte ich jemals etwas über Moral
schreiben vmd erklären, was für einen lächerlichen An-
blick die Einbildung eines törichten Pedanten gewährt
so könnte ich es durch nichts besser veranschaulichen
als durch diese vier Briefe" (A. I, 172).
Neben den Problemen der Physik, von denen wir
soeben einige Beispiele aufgezählt haben, beschäftigte
sich unser Philosoph auch intensiv mit den organischen
Naturwissenschaften. „Ich treibe jetzt Chemie und
Anatomie und finde jeden Tag etwas, was nicht in den
Büchern steht" heisst es in einem Briefe an Mersenne
aus dem Jahre 1630 (A. I, 136).
Wir dürfen es behaupten, Descartes hat sich selten
so wohl gefühlt, wie in diesen ersten Jahren seines
holländischen Aufenthaltes. Die volle Müsse, die er
hier besass, das rege Leben der Grrossstadt, das ihn
umgab, und nicht zum wenigsten seine so glücklich von
statten gehenden wissenschaftlichen Forschungen, alles
dies erfüllte ihn mit einem innigen Behagen, mit einer
ausserordentlichen Zufriedenheit und inneren Heiterkeit.
„Ich schlafe hier alle Nächte zehn Stunden, ohne dass
die Sorge mich weckt. Im Traume lustwandle ich in
verzauberten Wäldern, Grärten und Palästen, wo ich
alle die Freuden geniesse, die in den Märchen geschildert
werden. — Und wache ich dann auf, dann wird meine
Zufriedenheit noch gesteigert, meine Sinne nehmen an
der Freude teil, denn ich bin nicht so streng ihnen etwas
zu verweigern, was der Philosoph ihnen gewähren kann,
ohne sein Gewissen zu beunruhigen. — In dieser grossen
Stadt, in der alles dem Verdienste nachjagt, gehe ich
alle Tage spazieren inmitten der grossen Volksmenge,
die Menschen erscheinen mir wie Bäume, der Lärm wie
das Rauschen von Wasserquellen, die Freude an der
Arbeit wie die der Landleute, dient sie doch dazu, den
Ort zu verschönern und allerlei Bequemlichkeiten her-
Weltbildungstheorie. 91
beizuschafFen. Die Schiffe bringen die Erzeugnisse
beider Indien und die Seltenheiten Europas" (A. I,
189—90, 203—4) ....
5. Wir haben oben eine E,eihe von naturwissen-
schaftlichen Fragen erwähnt, mit denen sich Descartes
in Amsterdam beschäftigte, eines der wichtigsten Pro-
bleme, das die übrigen an Bedeutung weit übertriiFt,
müssen wir jedoch noch etwas genauer in Augenschein
nehmen. Es betrifft das grosse Rätsel der Weltent-
stehung, mit dem sich schon der Menschengeist seit
seiner frühesten Jugendzeit zu beschäftigen begann.^)
Zuerst begegnen uns in der griechischen Vorzeit die
mythischen Kosmogonien. Damals war man noch weit
entfernt davon , die Natur als einen Inbegriff von
blinden bewusstlosen Kräften aufzufassen. Die lebhafte,
weder durch Philosophie noch durch Wissenschaft ein-
geschränkte Phantasie sah Leben und Empfinden in der
Natur, sah die Welt erfüllt von unsterblichen Götter-
gestalten. Als ausserordentlich gross ist diesen An-
schauungen gegenüber der Fortschritt zu verzeichnen,
der Jahrhunderte später durch das Weltbild Demokrits
erzielt wurde. Hier tritt uns schon entgegen der Geist
einer wahrhaft naturwissenschaftlichen Betrachtungs-
weise. Alle mystischen Kräfte sind verbannt. Die
Welt erscheint als ein Ineinandergreifen von einer Fülle
rein mechanischer Faktoren. Lukrez hat diese Welt-
auffassung in ein dichterisches Gewand gehüllt und in
dieser Form hat sie mächtig eingewirkt auf die wissen-
schaftliche Denkungsweise der Neuzeit. Wir wissen es,
wie gegenwärtig das Lehrgedicht dieses Epikureers
unserem Philosophen gewesen ist. Aus seinen Briefen
^) Siehe Näheres in meiner Arbeit: Die Lehre von der Bildung
des Universums bei Descartes in ihrer geschichtlichen Bedeutung.
Archiv für Geschichte der Philosophie B. XVII, S. 237—271 u. 371—412.
92 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
und vor allen Dingen auch aus der Anlage seines kos-
mogonischen Systems gellt dies mit unzweideutiger
Siclierlieit hervor. Überhaupt zeigt sich in der damaligen
Weltbildungstheorie Descartes' neben eigenen selbst-
ständigen idealistisch-erkenntnistheoretischen Gesichts-
punkten, wieviel er von der alten atomistischen Schule
mitübernommen hat. Er nimmt keinen Anstand, die
Welt mit allen ihren Vollkommenheiten sich aus einem
wüsten Chaos entwickeln zu lassen, einen Gedanken,
den er in der späteren Zeit (in den Prinzipien) wieder
fallen lässt, offenbar aus keinem anderen Grunde, als
weil er befürchtet mit den materialistischen Denkern
des Altertums identifiziert zu werden. Andererseits
wird bei Descartes in krassem Gegensatz zu Demokrit
und Lukrez die Weltbildung nur ermöglicht durch feste,
unwandelbare Gesetze, die Gott der Natur vorgeschrieben
hat, und durch deren stetige und regelmässige Wirk-
samkeit die Entstehung eines geordneten Kosmos gleichsam
von vornherein garantiert ist. Es liegt ein ausser-
ordentlicher Scharfsinn in dieser kosmogonischen Theorie
Descartes', wie es ihm tatsächlich gelingt, aus einem
einzigen chaotischen, den ganzen Raum erfüllenden Ur-
stoff die Welt bis in ihre intimsten physikalischen
Einzelheiten hervorgehen zu lassen. Freilich, bei den
lebenden Wesen muss er Halt machen, so sehr er auch
davon überzeugt ist, dass auch ihre Bildung mit Not-
wendigkeit sich aus den einfachen physikalischen Ge-
setzen müsse ableiten lassen. Diese Überzeugung war
die folgerichtige Konsequenz seiner klaren, keine my-
stischen Kräfte zulassenden Naturauffassung. Ging er
doch sogar so weit, den Tieren die Seele abzusprechen,
sie als blosse fühllose Maschinen aufzufassen, so sehr
hatte er sich in seine mechanische Betrachtungsweise
hineingelebt. Bestärkt wurde er in dieser Ansicht durch
die Einsicht, welch grosse Bedeutung die Reflexbewegungen
für den lebenden Organismus haben, ferner auch durch
Weltbildungstheorie. 93
die Entdeckimg Harveys von dem Blutkreislauf, deren
Bedeutung er mit selbständigem Blick als einer der
ersten in Holland und Frankreich gewürdigt hat.
Mit grossem Eifer hatte Descartes die Abfassung
seiner Weltbildungstheorie — sie sollte den Namen le
Monde führen — begonnen, dabei schon im Geiste ihre
Wirkungen auf das Publikum sich vorstellend. „Sie
soll die Probe meiner Philosophie sein, ich will dahinter
stehen, wie hinter einem Gremälde, um zu hören, was
man sagt" (A. I, 23). Allein schon ein Jahr darauf
kommen ihm einige Bedenken. Es sei eine schwierige
Sache, die ganze Physik sei darin einbegriffen. Tau-
senderlei gäbe es dabei zu überlegen. Ausserdem müsste
er einen Ausweg finden, um die Wahrheit sagen zu
können, ohne zu frappieren und gegen die Schulmeinungen
zu Verstössen (A. I, 194). Aber nicht nur die Schulge-
lehrten, auch die Theologen hatte Descartes zu fürchten.
Würden sie es ruhig mitansehen, wenn er im Gegen-
satz zur l)iblischen Schöpfungsgeschichte die Welt auf
natürliche Weise sich entwickeln Hesse. Um möglichst
wenig Anstoss zu erregen, beschloss Descartes seine
Anschauungen in Form einer Hypothese vorzutragen.
Allein selbst diese Vorsichtsmassregel schien ihm nicht
recht zu genügen. Er möchte sein Werk am liebsten
der Öffentlichkeit vorenthalten, zumal da ja auch seine
physikalischen Gesamtanschauungen noch nicht ver-
öffentlicht waren, und er es auf alle Fälle vermeiden
wollte, dem Publikum gegenüber als ein leichtsinniger
Dilettant zu erscheinen , der auf Grund einiger
luftigen Hypothesen sich ein physikalisches Weltbild
konstruiert. Descartes war noch mit diesen Erwägungen
beschäftigt, als er im November des Jahres 1633 von
der einige Monate vorher erfolgten Verurteilung Galileis
hörte, dem bekanntlich der Prozess gemacht wurde,
weil er dem Verbote der Kirche entgegen die Lehre
von der Erdbewegung publiziert hatte. Einerseits er-
94 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
schreckt durcli das strenge Vorgehen der Kirche, an-
dererseits erfreut darüber , dass er nun hinreichend
entschuldigt sei, beschloss er endgültig sein Werk unver-
öiFentlicht zu lassen. Hätte er auch in Holland für
seine Person nichts zu fürchten gehabt, so wäre ihni
doch selbst der geringste Konflikt mit der Kirche ausser-
ordentlich peinlich gewesen. Denn es gilt zu bedenken,
unser Philosoph war eine durchaus konservative Natur,
für den die Religion selbst in ihrer äusseren Erschei-
nungsform immer etwas Ehrfurchtgebietendes behielt,
mochte er auch bei seiner philosophischen Weltauf-
fassung sich keineswegs zu den fanatischen Buchstaben-
gläubigen hingezogen fühlen.^)
6. Wir haben soeben gesehen, wie die Nachricht
von dem unglücklichen Schicksal Galileis von Descartes
aufgenommen wurde. Es dürfte interessieren, wie unser
Philosoph über die Leistungen seines grossen Zeitge-
nossen urteilte , keineswegs in besonders günstigem
Sinne. Zwar ist ihm seine physikalische Forschungs-
methode nicht unsympathisch. „Ich finde im allgemeinen,
dass er besser philosophiert als man es gewöhnlich tut,
indem er soviel wie möglich die Fehler der Schule
meidet und versucht, die physikalischen Probleme nach
mathematischen Gresichtspunkten zu behandeln. Hierin
stimme ich ganz mit ihm überein und glaube, dass es
kein anderes Mittel gibt, um die Wahrheit zu finden. —
Indes er hat nicht die ersten Ursachen der Natur be-
') Bruchstücke von dem Werke Descartes' sind uns bekanntlich
in den nachgelassenen Schriften : Le Monde und L'homme erhalten.
In Le Monde spricht Descartes ganz unbefangen von der Bewegung
der Erde, die er in seinen Prinzipien zu verschleiern sucht. In beiden
Schriften wird schon die Dioptrik zitiert, die damals grossenteils
fertig war. Das erstere zeichnet sich namentlich durch seinen leben-
digen und anschaulichen Stil aus im Gegensatz zu den späteren
, Prinzipien",
Beurteilung Galileis. Liebesverhältnis. 95
trachtet, sondern nur die Gründe von einigen speziellen
Xaturwirkungen gesucht, so kommt es, dass er ohne
wirkliches Fundament gebaut hat" (A. II, 380). Es darf
uns nicht befremden, ein solches Urteil von Descartes
zu hören, wir haben auch kein Recht zu behaupten,
dass eine gewisse Eifersucht hier mit im Spiele gewesen
ist. Descartes musste so denken. Bei seiner eminent
philosophischen Natur, die das gesamte Universum als
eine innere Einheit zu betrachten strebte, konnte er
Einzelleistungen, mochten sie noch so genial sein, mochten
sie auch getragen und hervorgebracht sein von einer
allgemeinen wissenschaftlichen Methode, nicht als etwas
Hervorragendes ansehen, wenn sie nicht konsequent ab-
geleitet waren aus letzten metaphysischen Prinzipien.
Und das war freilich bei Galilei nicht der Fall. Diesem
genialen Forscher kam es nur auf die Analyse der
Naturkräfte an, um ihre Herkunft kümmerte er sich
nicht. Ihm genügte vollauf die mathematische Methode,
nach der er die Erscheinungen behandelte. Freilich
war Descartes in seinem früheren philosophischen Sta-
dium nicht viel anders vorgegangen. Allein gerade
weil er jetzt diesen Standpunkt überwunden hatte, der
seiner ganzen metaphysischen Naturanlage nach nur
ein Durchgangspunkt für ihn gewesen war, begegnete
er dem in seinen Augen rückständigen Galilei mit um
so herberer Kritik.
7. Wir ha.ben oben geschildert, wie wohl sich Des-
cartes in den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Hol-
land fühlte. In diese Zeit ist auch ein Liebesverhältnis
zu setzen, das unser Philosoph in Amsterdam mit einem
Mädchen Namens Helene anknüpfte. Unsere bisherige
Darstellung hat es wohl deutlich erkennen lassen, dass
Descartes keineswegs jetzt in Holland ein verschlossener
Einsiedler zu werden versprach. Selbst in der stillen
Zurückgezogenheit Franekers, wo er ganz und gar mit
96 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
metapliysisclien Betrachtungen beschäftigt war, hatte
er noch Zeit und Sinn für Spiel und Unterhaltung ge-
habt (A. I, 19). Was für einen angenehmen Eindruck
Amsterdam anf ihn machte, haben wir aus seiner per-
sönlichen Schilderung ersehen. So wird es uns nicht
wundern, wenn das rings um ihn herum lebhaft und
mächtig pulsierende Leben ihn daran erinnerte, dass er
auch noch nicht für die Heize und Schönheiten der
Welt unempfänglich geworden war. Wir wissen es,
was für einen sympathischen Eindruck der holländische
Menschenschlag auf ihn machte. Hier gibt es keinen
Verrat, hier findet man noch die Unschuld, wie sie den
Vorfahren eigen gewesen ist, schreibt er voll Entzücken
seinem Freunde Balzac (A. I, 204). Das Mädchen, mit
dem Descartes ein Verhältnis anknüpfte, scheint von
einfacher Herkunft gewesen zu sein. Ob das der Grund
gewesen ist, warum unser Philosoph mit ihr keine legi-
time Ehe geschlossen hat, um so bei seinen vornehmen
Verwandten kein Ärgernis zu erregen, ob er es viel-
leicht doch getan hätte, wenn das Kind, das aus dieser
Verbindung stammt, ein Töchterchen Namens Francine,
nicht schon in seinem fünften Lebensjahre gestorben
wäre, ob Helene vielleicht zu dieser Zeit auch schon
gestorben war, darüber wissen wir nichts. Jedenfalls
dürfen wir bei dem feinfühlenden Charakter Descartes'
sicher annehmen, dass er das Mädchen nicht schmählich
im Stich gelassen hat. Wissen wir es doch, wie zärt-
lich er sein Töchterchen geliebt hat, wie er seine Er-
ziehung einer seiner Verwandten hat anvertrauen wollen,
und wie dann ihr Tod ihm den schwersten Kummer
bereitet hat. Im übrigen hat sich unser Philosoph nie
als ein Muster von Sittenreinheit hinstellen wollen.
Als ihm einige Jahre später der gehässige Vorwurf
gemacht wurde, dass er illegitime Söhne hätte, äusserte
er sich darüber: „Wenn ich Söhne hätte, ich würde es
nicht leugnen, es ist noch nicht so lange her, dass ich
Veröffentlichung der ersten Hauptschriften. 97
jung war. Im übrigen bin icli auch nur ein Mensch,
ich habe keineswegs das Gelübde der Keuschheit, auf
mich genommen und niemals behauptet, für weiser gelten
zu wollen als es die andern sind" (C. XI, 19).
8. Das Verhältnis mit Helene ist in das Jahr 1634
zu setzen, also gerade in die Zeit, wo sich Descartes
endgültig entschloss, seine Schrift über die Weltbildung
nicht zu veröffentlichen. Um so mehr schien er jetzt
Wert darauf zu legen, seine übrigen mehr oder weniger
weit gediehenen wissenschaftlichen Abhandlungen weiter
zu fördern und zu einem baldigen Abschluss zu bringen.
Trotz seiner intensiven Tätigkeit fühlte der Philosoph doch
das Bedürfnis, öfters seinen Aufenthaltsort zu wechseln, er
tat es schon deswegen, um vor seinen Pariser Bekannten
möglichst verborgen zu bleiben. Aber das war wohl
nicht der einzige Grund. Etwas von der alten Wander-
lust seiner Jugendjahre war noch immer in ihm ge-
blieben. So wissen wir, dass er seinen Aufenthalt in
Amsterdam Öfters unterbrochen hat. Längere Zeit hatte
er in Deventer zugebracht, aber auch eine Reise nach
Dänemark hat er in diesen Jahren unternommen (im
Sommer 1631) in der Begleitung von Villebressieu, seines
ersten Schülers, den er in die Grundfragen seiner Physik
einführte. Seit dem Jahre 1634 hat er seinen Wohnsitz
noch häufiger als bisher gewechselt. Im Jahre 1635
finden wir ihn in Utrecht, im Jahre 1637 in Leyden.
Seine Absicht, den Aufenthaltsort geheim zu halten,
hat er übrigens so gut zu erreichen gewusst — auf
seinen Briefen fehlt sehr häufig die Ortsbezeichnung — ,
dass es sich garnicht immer genau fesstellen lässt, wo
wir ihn zu finden haben. Übrigens hat es auch für
unsere Zwecke keine besondere Wichtigkeit, im einzelnen
über den so häufigen Wohnungswechsel orientiert zu sein.
Es war im Jahre 1636, als sich unser Philosoph
endlich entschloss, der Öffentlichkeit einen Einblick in
Koffmann, Descartes. '
98 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
die "Werkstatt seiner wissenscliaftlichen Tätigkeit zu ge-
währen. Die eigentliche Herausgabe der zu veröffent-
lichenden Schriften zog sich freilich noch hin bis zum
Jahre 1637, Wir erinnern uns noch, wie Descartes
vor neun Jahren in Paris seinen Freunden zu verstehen
gegeben hatte, dass er im Besitze einer philosophischen
Methode sei, von der er sich grosse Erfolge für die
Lösung von allen möglichen wissenschaftlichen Problemen
verspreche. Hatte er auch lange gezögert mit der
Veröffentlichung seiner Gedanken, so sollte es sich jetzt
zeigen, in wie glänzender Weise er die Aufgabe, die er
sich damals vorgenommen hatte, zu lösen verstanden
hat. Drei Wissenschaften hat er sich auserwählt, um
die Fruchtbarkeit seiner philosophischen Methode zu
zeigen, die reine Mathematik , die ihr am nächsten
stehende Disziplin, die Optik , und endlich die Mete-
orologie, eine Wissenschaft, die am schwersten einer
exakten Behandlung zugänglich erschien. Allen diesen
Schriften voran war eine philosophische Abhandlung
vorausgeschickt, die gleichsam als Einleitung zu den
übrigen Schriften diente. Wenn Descartes in dieser
Weise mit einem Male das Publikum mit den Proben
seines Geistes gleichsam überschüttete, blenden wollte
er es keineswegs. Wir können es zuversichtlich be-
haupten, kein einziger Philosoph hat in so radikaler
Weise den Nimbus, der sich um seine Person und seine
Werke auszubreiten pflegt, von vornherein zerstört
wie Descartes. Und wodurch hat er dies zu stände
gebracht? Dadurch, dass er in der offenherzigsten Weise
dem Leser einen Einblick in seine intellektuelle Ent-
wicklung gibt von seiner Schülerzeit an bis zu dem
jetzigen Zeitpunkt. „Ich habe nie den Dünkel gehabt,
mein Geist sei in irgend einer Beziehung vollkommener,
als der eines gewöhnlichen Menschen. Im Gegenteil,
oft habe ich mir die Fähigkeit schnell zu denken, das
klare und bestimmte Vorstellungsvermögen und das um-
Abhandlung über die Methode. Dioptrik. 99
fassende und so getreue Gedäclitnis mancher anderer
gewünscht" (C. I, 122). Ich war ein Kind meiner Zeit
genau so gut wie ihr. Auch mich hatte der überall in
Frankreich herrschende Skeptizismus ergriifen, wie jeden
anderen unter den Gebildeten. Aber ich war anderer-
seits von dem sehnlichsten Wunsch beseelt, über diese
Weltauffassung hinauszukommen. Und dies gelang mir
nicht durch meine besondere Genialität, sondern durch
unermüdliche, harte und konsequente Gedankenarbeit.
Es liegt ein Zug unendlicher Grösse in diesen einfachen
und anspruchlosen intellektuellen Konfessionen, wie sie in
dem Discours de la Methode (Abhandlung über die
Methode) niedergelegt sind. Mag auch das grosse Pub-
likum einem solchen Werke nicht die Achtung entgegen-
bringen, die es verdient, weil jede Effekthascherei darin
vermieden ist, für den wahrhaft Gebildeten besitzt es
einen um so schätzbareren Wert. Descartes' metaphy-
sische Anschauungen sind in dieser Schrift etwas sehr
knapp und, sagen wir es ruhig heraus, im einzelnen sogar
ziemlich unzureichend dargestellt. Der Philosoph hat
das allerdings teilweise selbst gefühlt und es damit
entschuldigt, dass er sich mit dieser französisch ge-
schriebenen Abhandlung an ein grösseres Publikum
wende. „Was ihr zweiter Einwurf betrifft", heisst es
in einem Briefe an Mersenne (A. I, 349), „nämlich, dass
ich nicht ausführlich genug auseinandergesetzt habe,
woher ich weiss, dass die Seele eine vom Körper wesens-
verschiedene Substanz ist, deren Natur lediglich im
Denken (Bewusstsein) besteht, .... so gestehe ich zu,
dass Sie hierin recht haben, und dass auch infolge
dessen mein Beweis hinsichtlich der Existenz Gottes
sehr schwer zu verstehen ist". Aber dies hätte nach
seiner Ansicht nur durch schwierige und für ein allge-
meines Publikum nicht geeignete Auseinandersetzungen
geschehen können. Im übrigen glaubt er, der aufmerk-
same Leser werde erkennen, dass auch hier alles be-
100 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
wiesen ist und zwar genauer, als es in den Sätzen der
Geometer zu geschehen pflegt. In letzterem Punkte
hat nun aber Descartes zweifellos unrecht. Es ist tat-
sächlich noch sehr viel Unvollkommenes und mangelhaft
Bewiesenes in dieser Abhandlung. Unser Philosoph ist
darin, wie es ja aus der Schrift hervorgeht, noch nicht
über seinen ersten in Holland entworfenen metaphy-
sischen Entwurf hinausgekommen, dessen Lücken wir
oben angedeutet haben. Erst in den nächsten Jahren
und nicht zum wenigsten angeregt durch die Einwürfe,
die man gegen sein System machte, hat er es vermocht,
ein mit grösserer Klarheit und Exaktheit entworfenes
Bild seiner metaphysischen Gedanken zu geben.
9. Wenden wir uns nun zu den drei folgenden
Abhandlungen unseres Philosophen. In der Dioptrik
und in den Meteoren erscheint uns natürlich heute vieles
veraltet. Für die damalige Zeit aber waren es Auf-
sehen erregende Werke. In wie sinnreicher Weise in
der Dioptrik das Brechungsgesetz abgeleitet ist, darauf
ist schon früher hingewiesen worden. „Das Brechungs-
gesetz habe ich bewiesen auf geometrische Weise und
apriori" (A. II, 31), so äussert sich unser Philosoph
darüber, der die Grösse seiner Leistung wohl zu schätzen
wusste. Neben der physikalischen ist auch die phy-
siologische Optik in eingehender Weise behandelt, in
die sich Descartes durch zahlreiche selbständig unter-
nommene Sektionen einen gründlichen Einblick zu ver-
schaifen gewusst hat. Die letzten drei Kapitel behandeln
die Theorie und technische Herstellungsweise der op-
tischen Gläser. Die Erfindung der Fernröhre machte
ja gerade dieses Gebiet zu einem der lockendsten und
reizvollsten für die damaligen bedeutenden Naturfor-
scher, ich nenne nur einen Kepler, einen Galilei. Worin
aber unser Philosoph die meisten seiner wissenschaftlichen
Zeitgenossen übertraf, das war die Beherrschung der
Technische Begabung. Meteore. 101
Teclinik, die ihm in so hohem Masse eigen war. Darin
besteht ja überhaupt die ausserordentliche Grösse Des-
cartes', dass seine geistige Begabung so umfassend war.
In den tiefsten philosophischen Gedankenkreisen heimisch,
verlor er trotzdem nicht den Sinn für die konkrete
Wirklichkeit, konnte er über die intimsten technischen
Kunstgriffe mit dem Glasschleifer Ferrier diskutieren.
Und wie er in der Philosophie mit souveräner Herrscher-
gewalt die Gedanken aneinander kettete, ihnen die Form
gebend, die seiner idealistischen Gesinnung entsprach,
so vermochte er auch mit schöpferischem Geiste die
technischen Apparate zu ersinnen , die er für seine
naturwissenschaftlichen Experimente nötig hatte.
10. Wir haben schon einige Male in unserer Dar-
stellung die Anregungen erwähnt, die unser Philosoph
zu seinem meteorologischen Werke erhalten hat. Ich
erinnere an seine italienische Reise, an die damals so
aktuellen Probleme über die Erklärung der Nebensonnen
und Sonnenflecken. Mit besonderem Stolz betrachtete
Descartes seine systematische Darstellung aller dieser
Phänomene. „Wir haben von Natur aus die Neigung,
die Dinge, welche über uns sind, mehr zu bewundern,
als die, Avelche in gleicher Höhe oder unter uns sind.
Und obwohl die Wolken nicht viel die Gipfel einiger
Berge überragen, und sie sogar oft niedriger zu sehen
sind, als unsere Kirchturmspitzen, — so machen sie
gleichwohl auf uns einen solch erhabenen Eindruck,
dass die Maler und Dichter sie als den Thron Gottes
darstellen, wo er mit eigener Hand die Pforten für die
Winde öffnet und schliesst, den Tau auf die Blumen
träufelt, und den Blitz auf die Felsen schleudert. Des-
wegen gebe ich mich der Hoffnung hin, dass wenn ich
hier ihre Natur so erkläre, dass man keinen Grund
mehr hat zu erstaunen über das, was man da droben
sieht, oder was von dort zu uns herabkommt, man leicht
102 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
zu der Überzeugung kommen wird, dass es in derselben
Weise möglich ist, die Ursachen von allen Dingen auf
der Erde zu finden, mögen sie auch noch so wunderbar
sein" (C. V, 157— 58). In der Tat wusste man in der
damaligen Zeit von den Lufterscheinungen so gut wie
garnichts. Der Aberglaube und die veraltete schola-
stische Physik hatten hier ein Gebiet, aus dem sie
schwerer wie aus jedem anderen zu vertreiben waren.
Die bedeutendste Leistung unseres Philosophen in der
Meteorologie war die exakte Erklärung der Entstehung
des Regenbogens, dank seiner gründlichen Kenntnisse
über die Phänomene der Lichtbrechung war er hierzu
vollkommen im stände. Allein noch einer anderen
wichtigen Entdeckung Descartes' wollen wir hier ge-
denken, wiewohl sie in dieser Schrift nicht erwähnt
ist, ich meine die Erscheinung des Luftdruckes, wie
sie sich bekanntlich am auffälligsten am Quecksilber-
barometer äussert, wo die schwere Quecksilberflüssigkeit
in der Röhre durch den Druck der Luft in die Hohe
getrieben wird. Es geht aus Descartes' Briefwechsel
hervor, dass er schon im Jahre 1634 mit diesem Phä-
nomen vertraut war (A. I, 298).
1 1 . Wir kommen nun zu der dritten Schrift unseres
Philosophen, seiner Geometrie. Hier feiert sein Entdecker-
talent die grössten Triumphe. Haben die beiden anderen
Abhandlungen für den heutigen Leser der Hauptsache
nach nur noch einen historischen Wert, aus diesem
Werke kann noch heute der Jünger der Mathematik
eine Fülle von Anregungen schöpfen. Wir haben oben
dargelegt , in wie innigem Zusammenhang Descartes'
analytische Geometrie mit seiner wissenschaftlichen
Methode steht. Keiner ist sich dessen klarer bewusst
als unser Philosoph selbst. „Durch meine Optik und
meine Meteore habe ich nur zu überzeugen versucht,
dass meine ]\Iethode besser ist als die gewöhnliche
Geometrie. Höhere Analysis. Algebra. 103
allein durch meine Geometrie behaupte ich es bewiesen
zu haben", heisst es in einem Briefe an Mersenne.
Übrigens, wiederum sehr bezeichnend für seinen Cha-
rakter, fügt er hinzu, der Freund' möchte dies keinem
andern mitteilen (A. I, 478 — 79). Von dem Wesen und
der Bedeutung der analytischen Geometrie haben wir
schon oben bei Besprechung der Methode eine Vorstellung
zu geben versucht. Wir wenden uns nun zu einzelnen
bemerkenswerten Punkten. Auch in dieser Abhandlung
zeigt sich, genau so wie in der Dioptrik, die technische
Begabung unseres Philosophen. Er kann es nicht ver-
stehen, warum die Alten eine so scharfe Scheidegrenze
gemacht haben zwischen den Problemen, welche mittelst
Zirkel und Lineal lösbar sind, und denen, die der Kegel-
schnitte oder verwickelterer Figuren bedürfen. Weil
letztere mit komplizierteren Apparaten konstruiert
werden, deswegen liegt noch kein Grund vor, sie nicht
zu den geometrischen Problemen zu rechnen. In der
Mathematik komme es nur auf die reine, vernunftmässige
Anschauung an, und diese sei bei den Kegelschnitten
und bei einer ganzen Reihe von anderen Kurven genau
so gut herzustellen, wie bei den allereinfachsten Figuren,
nur diejenigen Kurven seien zu den mechanischen zu
rechnen, welche durch zwei Bewegungen verschiedener
Natur erzeugt werden, zwischen denen sich keine in
gewöhnlichen Zahlen ausdrucksfähige Beziehung her-
stellen lässt (C. V, 333 u. f.). Indes ist Descartes Phi-
losoph genug, um auch die Grenzen der Mathematik zu
erkennen. So hat er es wiederholt in seinen Briefen
ausgesprochen, dass die Quadratur des Kreises unmög-
lich zu erreichen sei: „Die Beziehung zwischen geraden
und krummen Linien ist uns nicht bekannt, und da, wie
ich glaube, sie auch nie von den Menschen erkannt
werden kann, so lässt sich in diesem Gebiete nichts
Exaktes und Sicheres aussagen". Freilich drückt sich in
diesen Worten denn doch ein etwas zu starker Pessimismus
10-4 Viertes Kapitel: Grundlegung der Metaphysik.
aus (C. V, 357), ein Pessimismus, den übrigens unser
Philosoph in späteren Jahren selbst überwunden hat.
Gehört er doch auch zu den genialen mathematischen
Köpfen, wie Kepler und Cavalieri, die den ersten
Grrund zu der tiefsinnigen Unendlichkeitsrechnung gelegt
haben, einer Wissenschaft, deren vornehmstes Problem
es gerade ist, die Beziehung zwischen geraden und
krummen Linien zu untersuchen (A. II, 490). Gerade
diese Probleme sind es, die ihn nach der Abfassung
seiner Geometrie lebhaft interessieren, sie erscheinen
ihm als die höchste Blüte, als die „Metaphysik der
Mathematik" (A. II, 490). Im übrigen ist sein spezifisches
mathematisches Interesse schon seit einer Reihe von
Jahren erkaltet. Er will seine Zeit nicht mit rein ab-
strakten Dingen verschwenden, die auf die Erkenntnis
der realen Dinge keinen unmittelbaren Bezug nehmen
(A. II, 268). Wie sehr im Grunde genommen ihm schon
als Jüngling, als er seine neue Methode suchte, die
Mathematik nur Mittel zum Zweck war, haben wir ja
früher dargelegt. So wird es uns nicht wundern, wenn
er der Zahlentheorie, einer mathematischen Disziplin,
die es am wenigsten mit realen konkreten Anwendungen
zu tun hat, kein besonderes Interesse entgegenbringt.
In früheren Jahren hat er sich freilich auch viel mit
abstrakten Problemen beschäftigt. Und seine Unter-
suchungen über das Wesen der algebraischen Gleichungen,
die einen Teil der analytischen Geometrie bilden, zeigen,
dass er auch auf diesem Gebiete wahrhaft Grosses zu
leisten im stände war.^)
^) Descartes gebührt das unbestrittene Verdienst, zuerst auf das
Wesen der analytischen Geometrie aufmerksam gemacht zu haben.
Wenn nun Gantor aus einem Briefe Fermats an Hoberval (22. Sept. 1636),
worin sich Fermat auf seine Methode der Maxima und Minima beruft,
die er vor 7 Jahren Roberval mitgeteilt habe, den Schluss zieht,
dass Fermat die analytische Geometrie wahrscheinlich früher ent-
deckt habe, da ja die Methode der Maxima und Minima schon die
Un Vollkommenheit der Naturphilosophie. 105
Durch die eben besprochenen Schriften hat Des-
cartes den grössten Teil seiner damaligen mathematisch-
naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Öffentlichkeit zu-
gänglich gemacht. Allein eine wirkliche Deduktion
der naturwissenschaftlichen Voraussetzungen aus seinen
allgemeinen metaphysischen Prinzipien hat er auch jetzt
noch nicht gegeben. Er war sich eben auch jetzt noch
nicht darüber klar, in welcher Weise er von seinen Vor-
aussetzungen vollkommene Rechenschaft ablegen könne,
wiewohl er diese Voraussetzungen selbst schon genau
festgelegt hatte. Auch in der Naturphilosophie gab es
genau so wie in den Grundprinzipien der Metaphysik
noch sehr viel zu tun, bis diejenige Vollkommenheit
erreicht wurde, die wir in den nunmehr folgenden
Werken unseres Philosophen vorfinden.
wesentlichen Gedanken einer analytischen Geometrie voraussetze, so
müssen wir doch dieser Behauptung entgegenhalten, dass Descartes
schon im Jahre 16'23, wie aus seiner Abhandlung über die Methode
und aus den Aufzeichnungen seines Tagebuches (Pensees) mit Sicher-
heit hervorgeht, im vollkommenen Besitz seiner Entdeckung war.
Fünftes Kapitel.
Systematische Durchbildung der Metaphysik.
1. Es wird uns nicht wundern, wenn diese Reihe
von wissenschaftlichen Werken, die Descartes auf ein-
mal veröffentlichte, ein ausserordentliches Aufsehen unter
den Gelehrten und dem grossen Kreise der Gebildeten
erregte. Die aufgeklärten Köpfe begrüssten diese Schrif-
ten, in denen mehr oder weniger offen der gesamten
offiziellen Wissenschaft und Philosophie der Krieg er-
klärt war, mit heller Freude. Hier lagen doch einmal
wirklich grosse und positive Leistungen vor, von einem
Manne vollführt, der einen aufgeklärten Sinn mit ern-
stem Forschungseifer verband, der hoch über den tollen
Schwärmern stand, die bisher durch ihren Übereifer
oder durch ihre, mit der Grösse der Aufgabe in grellem
Kontrast stehenden, geistigen Fähigkeiten das tiefe
Bedürfnis der Zeit nach einer Reformation der Philo-
sophie an Haupt und Gliedern nicht zu stillen vermocht
hatten. Andererseits aber musste sich Descartes auf
grossen Widerstand gefasst machen. Mussten doch seine
Publikationen wie ein Schlag ins Gesicht bei den Ver-
tretern der scholastischen Denkungsweise wirken. Was
half es, dass die neuen Anschauungen in möglichst ob-
jektiver Weise vorgetragen, dass jede Polemik vermieden
war, an der Tatsache, dass fast auf jeder Seite der
neu erschienenen Schriften sich Stellen befanden, die im
Verhältnis zu den Jesuiten. 107
grössten Gegensatz zu der gegenwärtigen PMlosopliie
standen, war doch nun einmal nichts zu ändern.
2. Wenn ein bedeutender Philosoph es erreichen will,
dass sein System noch zu seinen Lebzeiten zu grösserem
Ansehen gelangt, muss er ein Diplomat sein. Ich erinnere
daran, wie Leibniz sich in acht genommen hat, seinen
philosophischen Gegnern mit voller Schärfe seine Mei-
nung zu sagen, wie auch Kant sich davor gehütet hat,
mit seinen Überzeugungen Anstoss zu erregen. Es lässt
sich nun einmal nichts daran ändern, auch der geistige
Reformator kann genau so wie der politische nur dann
auf Erfolg rechnen, wenn er den Gegensatz zwischen
seinen Anschauungen und den althergebrachten nicht
zu scharf hervortreten lässt.
Auch Descartes musste mit allen Mitteln versuchen,
den radikalen Eindruck, den seine Lehre allenthalben
erweckte, möglichst abzuschwächen. Es waren vor-
nehmlich die Jesuiten, die er für sich zu gewinnen
suchte. Dieser Orden besass ja damals eine grosse
Macht in Frankreich. Wenn es zu erreichen war, dass
seine Mitglieder die neuen Anschauungen billigten, oder
ihnen wenigstens nicht feindlich entgegentraten, dann
war schon sehr viel gewonnen. Gleich nach der Druck-
legung seiner Schriften sucht er die alten Beziehungen
zu seinem College wieder aufzufrischen. So sendet
er dem Pater Noel, seinem ehemaligen Repetitor, die
veröffentlichten Werke. „Es ist eine Frucht, die Euch
gehört, und zu der ich von Euch die ersten Anregungen
erhalten habe", heisst es in dem Begleitschreiben (A. I,
183). Wenn wir nicht wüssten, wie sehr es unserem
Philosophen darauf ankam, die Ordensmitglieder auf
seine Seite zu ziehen, wir würden diesen Satz als eine
direkte Ironie betrachten ; die Philosophie, wie sie bei
den Jesuiten gelehrt wurde, erzscholastisch wie sie war,
hat Descartes wahrhafti«: nicht die erste Anregun«: zu
108 Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung der Metaphysik.
seinem neuen System zu geben vermoclit. In weiteren
Briefen an Noel sucht unser Philosopli ihn davon zu
überzeugen, dass seine Lehre vollkommen mit den heiligen
Glaubenssätzen übereinstimme, so dass kein Grrund für
den Orden vorliege, derselben nicht zuzustimmen (A.
I, 455). Descartes weiss, was für eine straffe Organi-
sation den gesamten Orden beherrscht, so dass wenn es
ihm gelingt, einige einflussreichen Mitglieder für sich
zu gewinnen, er auf jdie freundliche Stellungnahme der
ganzen Gesellschaft rechnen kann (A. II, 50). Tatsäch-
lich hat er es auch erreicht, dass wenigstens zu seinen
Lebzeiten die Väter der Verbreitung seines Systems
nicht entgegentraten, wenn wir absehen von vereinzelten
Angriffen, wie sie z. B. von dem Pater Bourdin unter-
nommen wurden.
Ausser diesen diplomatischen Bemühungen hatte
Descartes seit der Veröffentlichung seiner Schriften eine
Menge von wissenschaftlichen Angriffen, die von einer
grossen Anzahl von Gelehrten gemacht wurden, zu be-
antworten und zu widerlegen. Übrigens sind dieselben
von unschätzbarem Werte für die Fortentwicklung und
Vertiefung seiner Anschauungen geworden. Es ist fast
kein Problem unter den von ihm behandelten zu finden,
an dem nicht der eine oder der andere seiner wissen-
•schaftlichen Gegner einen wunden Punkt zu entdecken
glaubte, das nicht durch die erregten Diskussionen eine
bedeutende Klärung erfahren hat. So sehen wir die
Briefe Descartes' fortan mit einer Fülle von Erör-
terungen metaphysischen Inhalts ausgefüllt. Da wird
diskutiert über den Fundamentalsatz, ich denke also
bin ich (A. I, 82), über die Gottesbeweise (A. I, 560),
über die Natur des Zweifels (A. II, 38 — 39), über die
elementaren Grundsätze der Philosophie (A. II, 435)
und dergleichen. Überall weiss Descartes mit Geschick
seine Anschauungen zu verteidigen und die Lücken durch
neue Argumente wieder auszugleichen.
Wissenschaftliche Angriffe. 109
Fast noch schärfer waren die Angriffe, welche sich
gegen die Naturphilosophie richteten. Hatte doch, wie
wir wissen, unser Philosoph ihre Prinzipien nicht be-
wiesen. „Während Ihr in der Mathematik nur Be-
wunderer habt, werdet ihr Euch wohl nicht wundern,
dass in der Physik, deren philosophische Prinzipien
Ihr noch nicht veröffentlicht habt, Euch Einwürfe be-
gegnen, da ja Eure ßaisonnements nur auf Vergleiche
und Vermutungen beruhen, also nach Eurer eigenen
Methode in Zweifel zu ziehen sind", diese Worte rühren
von Descartes' Freunde Morin her (A. II, 537). Wir
können uns daraus schon ein Urteil bilden, wie hart
manche Gelehrte urteilten, die unserem Philosophen
ferner standen. Übrigens war Descartes selbst sich
darüber im klaren, dass er der Öffentlichkeit noch den
Beweis seiner naturphilosophischen Prinzipien schuldig
sei (A. II, 200). War er doch sogar davon fest über-
zeugt, dass die Naturwissenschaft ohne sichere philo-
sophische Grundlagen überhaupt keinen Wert besitze.
„In der Physik würde ich meine Kenntnisse für nichtig
erachten, wenn ich nur zeigen könnte, wie die Dinge
sein können, ohne zu beweisen, dass sie nicht anders
sein können" fA. III, 35). Descartes ist eben jetzt
Metaphysiker durch und durch, und wenn er vorläufig
noch zögert, seine Naturphilosophie bekannt zu machen,
so liegt es daran, dass sie noch einer gründlichen Durch-
arbeitung bedarf.
3. Zu den bekanntesten physikalischen Gegnern
ist der berühmte Mathematiker Fermat zu rechnen.
Es ist die Schrift über die Dioptrik, die er einer ziem-
lich scharfen Kritik unterzieht. Selbst der Entdeckung
des Brechungsgesetzes, an dessen Richtigkeit er nicht
zweifeln kann, bringt er nur eine recht kühle Be-
wunderung entgegen. Nachdem er zunächst in histo-
rischer Reihenfolge alle Vorgänger Descartes' aufgezählt
110 Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung der Metaphysik.
hat, um den Fortschritt, der durch unseren Philosophen
erzielt wurde, als möglichst gering erscheinen zu lassen,
entschliesst er sich zu der frostigen Bemerkung, dass
„Herrn Descartes noch genügend viel übrig gelassen
war, um seinen Geist zu üben". Wir werden uns nicht
darüber wundern, wenn unser Philosoph sich über eine
derartige Besprechung, die noch dazu in einzelnen
Punkten, ich nenne z. B. den Angriff gegen die Be-
weisführung des Reflexionsgesetzes, Mangel an modernem
physikalischen Verständnis verriet, ärgerte, zumal da
Fermat die Schrift noch vor der öffentlichen Verbreitung
ohne Wissen Descartes' sich zu verschaffen gewusst
hatte. „Er wollte meiner Schrift schon ein Ende be-
reiten vor ihrer Geburt" heisst es in einem Briefe des
Philosophen an Mersenne (A. II, 175). Von direkter
Gehässigkeit zeugen die Kritiken, die der Mathematiker
Roberval über die Physik abgab. Roberval war zu
dieser Zeit Professor der Mathematik am College Royal.
Zu nennen ist ferner noch Etienne Pascal, der Vater
des berühmten Philosophen. Spöttisch äussert sich einmal
Descartes über die drei Gegner, „Alle diese Herren,
mögen sie nun Räte, Präsidenten oder grosse Geometer
sein, sollen es wissen, dass sowohl ihre Angriffe, wie
auch ihre Verteidigungen unhaltbar sind, ihre Fehler
liegen so auf der Hand, wie es klar ist, dass zweimal
zwei gleich vier ist" (A. II, 28). So ganz objektiv hin-
sichtlich der Einwendungen, die ihm gemacht wurden,
war nun freilich unser Philosoph nicht. Sehr oft ist
ihm bei der Erwiderung derartiger Kritiken eine ge-
wisse nervöse Gereiztheit nur zu deutlich anzumerken.
Manch unmutige Stunde ist ihm dadurch bereitet worden.
Und Äusserungen, wie er sie häufig tat, er achte seine
Feinde wie die Fliegen, ihre Reden Hessen ihn gleich-
gültig wie das Geschwätz eines Papageies, verhehlen
nur im Grunde genommen den inneren Arger, den er
darüber empfand.
Günstige Aufnahme in Holland. 111
4. Hatten die eben erwähnten Angreifer imsern
Philosophen vornehmlich deswegen beunruhigt, weil sie
teilweise bedeutende Männer waren, so waren es doch
andererseits eine ganze Reihe von hervorragenden Köpfen,
— namentlich in Holland — die seine Schriften mit
unbedingtem Beifall aufnahmen. „Ich freue mich, dass
Sie meiner Partei angehören", schreibt Descartes seinem
alten Freunde Mydorge in Paris, wo jetzt der Name
des Philosophen „häufig in guter Gresellschaft genannt
wird" (A. II, 15).
Vor allen Dingen aber war es wie gesagt Holland, wo
jetzt die neue Lehre sich durchzusetzen begann. Hier hatte
auch schon früher der Philosoph eine Reihe von Be-
ziehungen angeknüpft. Treue Freundschaft verband ihn
mit Huygens, dem Sekretär des Statthalters Friedrich
Heinrich, dessen zweiter Sohn Christian sich später als
Physiker einen unsterblichen Namen erworben hat.
"Wiewohl Huygens kein eigentlicher G-elehrter war, be-
sass er doch eine gründliche und vielseitige Bildung.
Descartes hat eine hohe Meinung von seinen geistigen
Fähigkeiten. „Er versteht alles, fast bevor ich es ihm
erkläre" (A. I, 315), äussert er in einem Brief über den
Freund.
Indes auch bei den Fachgelehrten sollte Descartes'
Philosophie Beifall finden. Es ist der Utrechter Uni-
versitätsprofessor Henri Reneri gewesen, dem der Phi-
losoph in dieser Beziehung sehr viel zu verdanken hat.
Hat doch Reneri es verstanden, in ausserordentlich
taktvoller Weise seine Zuhörer mit der neuen Philo-
sophie bekannt zu machen, ohne dass er irgendwie
Anstoss bei seinen scholastischen Kollegen erregte.
Freilich sollte dieser feinfühlende Mann schon nach
kurzer Wirksamkeit im Jahre 1639 plötzlich durch den
Tod dahingerafft werden. Allerdings schien sich zu-
nächst ein Ersatz zu finden. Regius, ein junger Schüler
des Verstorbenen, hatte durch die Vorlesungen des
112 Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung dei- Metaphysik.
Lehrers ein lebhaftes Interesse für die neue Philosophie
gewonnen. Er brachte es auch bald durch seinen Eifer
zu einer Professur an derselben Universität und schien
zunächst Feuer und Flamme für die neu gewonnenen
Anschauungen zu sein. Es war ihm nicht genug, sich
durch die erschienenen Schriften die neue Philosophie
anzueignen. Er drängte sich förmlich dem Philosophen
auf, um jeden Preis bemüht persönliche Fühlung mit
ihm zu bekommen. Hätte Descartes gewusst, was für
ein ehrgeiziger selbstsüchtiger Kopf dieser junge Pro-
fessor war, wie er selbst anfangs, wo es ihm noch ehr-
lich mit seiner so ungestüm zur Schau getragenen An-
hängerschaft für die neue Lehre war, gröblichen Anstoss
bei seinen Kollegen erregte, durch die aufdringliche
Art und Weise, mit der er seine Anschauungen ver-
breitete, er hätte sich sicherlich für diesen neuen Schüler
bedankt. Einstweilen war der Philosoph allerdings
sehr erfreut über den neuen Jünger. „Wenn die Fran-
zosen mir zu viel Unrecht zufügen, wende ich mich an
die Heiden", sagte er mit scherzhafter Anspielung auf
die Worte des Apostel Paulus (A, II, 344), dabei an
seinen neuen holländischen Anhänger denkend.
5. Überhaupt war die unmutige Stimmung, in die
unser Philosoph durch allzuheftige Angriffe geriet,
immer nur von kurzer Dauer. Wir wissen es ja, im
Grunde genommen besass er ein heiteres Naturell, das
sich nicht so leicht aus der Fassung bringen liess.
Mit unermüdlicher Ausdauer beschäftigte er sich damit,
alle die wissenschaftlichen Anfragen, die an ihn ge-
richtet wurden, erschöpfend zu beantworten. Diese
wissenschaftlichen Diskussionen übten einen so befruch-
tenden Einfluss auf die systematische Ausgestaltung
seines philosophischen Systems aus, dass er jetzt den
Entschluss fassen konnte, eine vertieftere Darstellung
seiner allgemeinen Metaphysik dem Publikum vorzulegen.
Charakter der Meditationen. Objektionen. 113
Die Abhandlung erschien in lateinischer Sprache, denn
sie war nur für einen engeren Leserkreis bestimmt,
der reif genug war, den darin enthaltenen Gredanken-
zusammenhang zu erfassen. „Meine Beweise sind so
miteinander verkettet, dass, wer nicht fähig ist, die
früheren im Gredächtnis zu behalten, sie auf Treu und
Glauben annehmen muss, wie die Demonstrationen des
Mathematikers Apollonius", äussert der Philosoph in
einem Briefe an Huygens (A. III, 102). Fassen wir
dieses "Werk etwas näher ins Auge, — Meditationen
hat es Descartes genannt^) — , und vergleichen es mit
der Abhandlung über die Methode, so sticht die aus-
führliche Behandlung der metaphysischen Grundlagen
beträchtlich ab gegen die der früheren Schrift, wo der
ganzen Metaphysik nur ein paar Seiten gewidmet waren.
Man sieht es, der Philosoph ist jetzt vollkommen Herr
geworden über seinen Gegenstand. Auch die formale
Behandlung des Stoffes macht einen glänzenden Eindruck,
Wir sehen den Denker in einem dramatischen Selbst-
gespräch mit seinen philosophischen Gedanken verwickelt.
Sie stürzen ihn in den tiefsten Abgrund des Zweifels,
seine Seele bis ins Innerste erschütternd. Eine furcht-
bare Spannung bemächtigt sich des Lesers, schon glaubt
er den Helden erliegen, der Übermacht weichen zu
sehen. Da erfolgt auf einmal ein jäher Wechsel der
Situation. Der Philosoph ermannt sich. Seine ganze
Willenskraft strengt er an, um der rebellischen Ge-
danken Herr zu werden. Und siehe es gelingt ihm,
gelingt ihm in einer Weise, wie er es nicht zu hoffen
gewagt hat. Nicht nur, dass er sie niederzwingt, nein
noch mehr , die vorher so widerspenstig waren , sie
müssen ihm jetzt fronen, unter seiner Leitung eine
^) Der Titel der ersten lateinischen Ausgabe (1641) lautete:
Meditationes de prima philosophia, ubi de Dei existentia et animae
immortalitate.
H o f f m an n , Descartus. 8
114 Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung der Metaphysik.
feste Burg der Gewissheit bauen, die sie nie wieder zu
zerstören vermögen.
6. Hatte Descartes schon in der Schrift selbst
mit den stärksten ihm zur Verfügung stehenden Argu-
menten seine Anschauungen zu stützen versucht, so war
ihm das dennoch nicht genug. Bevor die Abhandlung
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, schickte
er sie an eine Reihe von bedeutenden Philosophen und
Theologen. Erst als der Philosoph die von diesen
Männern gemachten Einwürfe beantwortet und zu dem
übrigen Werke hinzugefügt hatte, hielt er es an der
Zeit, die Schrift erscheinen zu lassen.
Offen gestanden , es gehört eine gewisse Greduld
dazu, diesen die ursprüngliche Abhandlung an Seitenzahl
weit übertreffenden Anhang ganz durchzulesen. Und
doch bleibt die Mühe nicht unbelohnt. Ist es nicht ein
ausserordentlich packendes Bild , Vertreter der hete-
rogensten Weltanschauungen über die brennendsten
Punkte der allgemeinen Metaphysik miteinander dis-
putieren zu sehen. Da tritt uns entgegen der Sensualist
Gassendi, zur Zeit in Paris der Held des Tages, eine
im allgemeinen recht liebenswürdige Natur, der leben
und leben lassen will und keinem seine Gedanken aufzu-
drängen pflegt. Aber augenblicklich ist er etwas ver-
stimmt. Descartes hat ihn in seiner Meteorologie nicht
zitiert, wie er es zu verdienen glaubte. Und wie fried-
liebend und gutmütig er auch sonst zu sein pflegt, das
nimmt er übel und setzt den idealistischen Argumenten
des Gegners eigensinnig auf Schritt und Tritt seine sensu-
alistischen Gegengründe entgegen. In der Geschichte
der Philosophie spielen Leibniz' Abhandlungen über den
menschlichen Verstand eine grosse Polle, weil der Phi-
losoph in diesem Werke als Vertreter des erkenntnis-
theoretischen Idealismus die entgegengesetzten Anschau-
ungen John Locke's bekämpft. In unserer Schrift haben
Eigenart der Objektionen. Schloss Endegeest. 115
wir ein kleines Vorspiel zu diesen späteren Auseinander-
setzungen, ein Vorspiel, dem zwar niclit die Bedeutung
der letzteren zukommt, das aber dafür vom psycho-
logischen Standpunkte aus betrachtet recht interessant
ist, weil in ihm die aufeinander stossenden Gegensätze
viel schärfer ausgeprägt sind.
Einen etwas anderen Charakter tragen die Ein-
wände des Positivisten Hobbes. Dieser Denker war
zwar auch Naturalist und suchte sich in diesem Sinne
gegen Descartes zu wenden, allein er war nicht wie
Gassendi in erkenntnistheoretischen Fragen sensualistisch
gesinnt, sondern hatte auf diesem Gebiete mannigfache
Berührungspunkte mit der rationalistischen Anschau-
ungsweise Descartes'. Hobbes möchte gern mit unserem
Philosophen intimere Beziehungen pflegen. Allein er
fängt es recht ungeschickt an, kehrt in seinen Einwen-
dungen nur die Descartes unsympathische Seite seiner
Philosophie hervor und ärgert noch ausserdem den leicht
reizbaren Philosophen durch seine Polemik gegen die
Dioptrik. So ist es denn kein Wunder, wenn Descartes
„diesen Engländer" nicht leiden mag, jeden Verkehr,
den der gutmütige Mersenne anzubahnen versucht hatte,
mit ihm meidet und sogar den argwöhnischen Verdacht
fasst, Hobbes wolle ihn ausbeuten. Es ist sehr schade,
dass diese beiden eigenwilligen Denker sich in dieser
Weise einander entfremdeten. So manche Härten hätten
sie bei gegenseitiger Berührung aneinander abschleifen
können.
Zu den scharfsinnigsten Einwendungen rechnet Des-
cartes diejenigen Arnauld's, eines der jüngsten Doktoren
der Sorbonne. Mit klarem Blick erkennt er die Be-
gabung des jungen Mannes. „Wiewohl es noch nicht
lange her ist, dass Herr Arnauld Doktor geworden
ist, so schätze ich doch seine Fähigkeiten hoher, als
die Hälfte aller anderen" (A. III, 473). Da haben wir
wieder einmal eine vertrauliche Bemerkung:, die erkennen
116 Fünftes Kapitel : Systematische Durchbildung der Metaphysik.
lässt, wie veräclitlicli der Philosoph über die Repräsen-
tanten der offiziellen Gelehrsamkeit dachte. Hören wir
dagegen, wie er sich ein Jahr vorher öffentlich über die
Sorbonne auslässt, der er sein metaphysisches Werk
gewidmet hat. „Die Achtung, die alle Welt vor Euch
hat, ist so gross, und der Name der Sorbonne geniesst ein
solches Ansehen, dass nicht nur in Glaubenssachen ....
sondern auch in den Angelegenheiten der Philosophie,
niemand hofft, irgend wo anders mehr Solidität und
Kenntnisse, mehr Klugheit und Unparteilichkeit, wie
sie zu einer Beurteilung nötig sind, zu finden" (C. I, 221).
Wer weiss, ob nicht, im Falle diese Widmung unter-
blieben wäre, Descartes' Meditationen in Frankreich
verboten worden wären. Die Geistlichkeit übte da-
mals eine recht scharfe Zensur aus, die man nur durch
derartige Schmeicheleien vermeiden konnte.
7. Mit der Herausgabe der Meditationen, die im
Jahre 1641 erfolgte, hatte der Philosoph erst einen
Teil seiner Verpflichtungen erfüllt. Noch schuldet er
der Öffentlichkeit eine Rechtfertigung seiner natur-
philosophischen Prinzipien, ausserdem musste er daran
denken, dem Publikum einen Ersatz zu liefern für das
wegen der Verurteilung Galileis nicht erschienene
kosmogonische Werk. Mit allen diesen Arbeiten war
er nun in den nächsten Jahren beschäftigt. Die ruhige
abgeschiedene Lage seines damaligen Aufenthaltsortes
gab ihm die hinreichende Müsse dazu. Es war das
reizend gelegene Schlösschen Endegeest, das Descartes
sich zu seinem Wohnsitz ausersehen hatte. Die Be-
quemlichkeit, mit der er sich dort einrichtete, zeigt uns,
dass er keineswegs ein Verächter allen Komforts ge-
wesen ist. Er hatte wohlausgesuchte Diener um sich
und besass einen sehr schönen, von Wiesen umsäumten
Garten. Morgens früh stand er verhältnismässig
spät auf, schloss sich dann den ganzen Vormittag ein.
Herausgabe der „Prinzipien". Ihre Bedeutung. 117
um ungestört arbeiten zu können. Die Zeit nach dem
Mittagessen war ganz der Erholung gewidmet. Da
unterhielt er sich mit seinen Freunden, pflegte die
Pflanzen seines Garten und suchte sich auf alle mög-
liche Weise durch körperliche Übungen zu zerstreuen.
Von vier Uhr nachmittags an wurde dann wieder gear-
beitet, oft bis spät in die Nacht hinein (Baillet II, 168
und 450).
8. Bei der hinreichenden Müsse, die Descartes
besass, konnte er schon im Jahre 1644 sein naturj^hilo-
sophisches Werk herausgeben. Er hat es „Prinzipien
der Philosophie" genannt. Der Titel könnte allerdings
zu Missverständnissen führen. Denn das Buch enthält
keineswegs das ganze philosophische System. Nur die
Naturphilosophie und die allgemeinen Grrundzüge der Kos-
mogonie und Physik sind darin hauptsächlich behandelt.
Von der allgemeinen Metaphysik dagegen, die ja schon
in den Meditationen ausführlich dargestellt war, ist nur
ein kurzer Abriss gegeben. Freilich ist auch in diesem
G-ebiete manches schärfer herausgearbeitet worden, so
z. B. das Verhältnis des menschlichen Geistes zu den
angeborenen Vorstellungen und zum Unendlichen, ferner
auch das Verhältnis der menschlichen Freiheit zu der
Allwissenheit Gottes. Nach diesem metaphysischen Teil
folgen die naturphilosophischen Prinzipien und ihre
rationale Begründung. Den grössten Raum aber nimmt
die Darstellung des allgemeinen physikalischen Welt-
bildes ein, mehr als zwei Drittel des ganzen Werkes
wird von ihr ausgefüllt. Hier hat uns nun Descartes
zum zweiten Male ein Bild von der allmählichen Ent-
stehung der Welt gegeben, dabei aber klug vermieden,
der Geistlichkeit irgend ein Ärgernis zu bereiten. Er
wolle nur deswegen die Entwicklung der Welt aus
einem einfachen Anfangszustande schildern, weil wir
auf diese Weise einen viel tieferen Einblick in die
118 Fünftes Kapitel : Systematische Durchbildung der Metaphysik.
Natur bekommen , als wenn wir sie einfach in ihren
jetzigen Verhältnissen uns vor Augen führen. Es läge
ihm dagegen vollkommen fern, zu behaupten, class die
Welt sich tatsächlich in dieser Weise entwickelt habe.
Auch hinsichtlich der Erdbewegung versteht sich der
Philosoph, allerdings in recht künstlicher Weise, mit
der Bibel in Einklang zu setzen. Mag auch die Erde
sich um die Sonne drehen, trotzdem kann sie als ruhend
angesehen werden, ruht sie doch relativ zu dem Ather-
wirbel, der sie um die Sonne treibt. Wie gezwungen
diese Erklärung ist, liegt auf der Hand. Sollte sie
Uescartes etwa ernst gemeint haben? Fast möchte es
wirklich scheinen, dass seine Gedanken — wider sein
besseres Wissen — unter dem Drucke, den die Kirche
ausübte, diese künstliche Wendung genommen haben.
Schreibt er doch ganz unbefangen an den Pater Noel:
„Was die Zensur von Rom betrifPt, hinsichtlich der
Bewegung der Erde , so sehe ich keine Gefahr, denn
ich leugne ausdrücklich diese Bewegung. Freilich wird
man wohl anfangs denken, dass ich sie nur dem Wort-
laut meiner Darstellung nach leugne, um die Zensur zu
vermeiden, weil ich das System des Kopernikus beibe-
halte, aber wenn man meine Gründe prüft, dann wird
man sehen, dass sie ernst gemeint und zuverlässig sind"
(A. V, 550).
9. Die ruhige Müsse, die Descartes in so vollkom-
menem Masse bisher in Holland genossen hatte, sollte
fortan durch einige unangenehme Zwischenfälle beein-
trächtigt werden. Der Professor ßegius hatte sich nach
und nach in Utrecht so unbeliebt gemacht, dass er nicht
nur in Gefahr geriet, sein Amt zu verlieren, der er
allerdings dank seiner Geschmeidigkeit entrinnen sollte,
sondern auch Descartes selbst in Mitleidenschaft zog.
An der TJtrechter Universität befand sich damals ein
ganz fanatischer Theologieprofessor, Gisbert Voetius mit
Der Fanatiker Voetius, Abfall des Professors Regius. 119
Namen. (3b wohl er einen ziemlich beschränkten geistigen
Horizont besass, hatte er es doch verstanden, durch
seinen fanatischen Eifer, mit dem er alle Ketzer ver-
folgte, grossen Einfluss unter seinen Mitbürgern zu
gewinnen. In der Bekämpfung seiner Gegner scheute
er vor den brutalsten Mitteln nicht zurück, mit den
plumpesten Verleumdungen, mit den gemeinsten Pam-
phleten überschüttete er sie, bis er sie zu Grunde ge-
richtet hatte. Dieser Mann merkte es bald, trotz seiner
geistigen Beschränktheit, wer der Urheber der ketze-
rischen Lehren war, -die Regius vortrug. Und nun war
unser Philosoph nicht mehr sicher vor ihm. AVas half
es, dass er in einer im Jahre 1645 erschienenen Brochüre
den Mann an den Pranger stellte und die gemeinen
Verdächtigungen, die er gegen ihn erhoben hatte, ent-
rüstet von sich wies. Ein Mensch wie Voetius wusste
sich auch dagegen zu helfen. Nachdem es ihm nicht
mehr möglich war, offen gegen ihn zu kämpfen, hetzte
er im geheimen gegen ihn. Reklamationen von Seiten
Descartes' hatten nie einen vollkommen durchgreifenden
Erfolg. Und wer weiss, wie sehr unser Philosoph noch
von diesem wütenden Fanatiker belästigt worden wäre,
wenn es ihm nicht dank seiner Beziehungen, die er mit
dem holländischen Statthalter unterhielt, stets gelungen
wäre, die gegen ihn unternommenen Prozesse nieder-
zuschlagen.
Zu allen diesen verdriesslichen Ereignissen kam
noch der Arger, der Descartes durch Regius bereitet
wurde, hinzu. Dem Herrn Professor schien nämlich
die Märtyrerrolle, in die er durch sein eigenes Ver-
schulden hineingeraten war, mit der Zeit nicht mehr
zu behagen. Nachdem er sich durch die Philosophie
seines Meisters genügendes Ansehen verschafft hatte,
fing er plötzlich an, sein Verhalten zu ändern. Der
früher so entschiedene Anhänger Descartes' entpuppte
sich auf einmal als ein Sensualist, der die angeborenen
120 Fünftes Kapitel : Systematische Durchbildung der Metaphj'sik.
Ideen und die Unkörperliclikeit des Greistes leugnet.
Als Descartes ihm daraufhin androht, dass er sich
öiFentlich von ihm lossagen würde, besass er die Un-
verschämtheit, ihm in folgender Weise zu antworten.
„Ihr würdet vielleicht Euch selbst mehr Schaden zu-
fügen als mir, wenn Ihr schriftlich oder mündlich er-
klärt, dass Ihr in der Metaphysik von mir abweichende
Meinungen habt. Denn das Beispiel eines Mannes, wie
ich es bin, der in Eurer Philosophie keineswegs für
einen Ignoranten gilt, wird nur dazu dienen, verschiedene
Leute, die schon früher andere x\nschauungen gehabt
haben, in ihren Überzeugungen zu bestärken, und sie
werden es mir zur Ehre anrechnen, wenn ich trotz der
intimen Beziehungen, die ich früher mit Euch unter-
halten habe, dennoch von Euren Anschauungen abweiche,
wenn sie nicht der Vernunft entsprechen" (A. II, 235).
Solch eine Anmassung trug jetzt dieser Mensch zur Schau,
der in seinen früheren Briefen nicht genug Worte ge-
funden hatte, um seine unbedingte Anhänglichkeit an die
Person und die Lehre des Philosophen zu zeigen. Des-
cartes hat sich bald darauf von dem treulosen Schüler
losgesagt.^)
10. Indes Descartes sollte nicht mit allen seinen
Schülern so schlechte Erfahrungen machen. Es war
die Prinzessin Elisabeth, die Tochter jenes unglücklichen
Pfalzgrafen, gegen den auch Descartes einst mit zu
Felde gezogen war, die im Gregensatz zu ßegius eine
der treuesten Anhängerin des Philosophen geworden ist.
Elisabeth besass einen selten regen Geist. Als sie Des-
cartes im Jahre 1643 zum ersten Male persönlich kennen
lernte, erfuhr er — sicherlich zu seinem grossen Er-
staunen — , dass das junge fünfundzwanzigjährige Mäd-
*) 1647 hat Descartes sogar in einer besonderen Schrift die Irr-
tümer seines früheren Schülers gekennzeichnet. Siehe Cousin B. 10.
S. 71 u. f.
Elisabeths Beziehungen zu Descartes. 121
chen bereits mit dem lebhaftesten Interesse sich in
seine Werke vertieft hatte. Die Folge davon war ein
reger wissenschaftlicher Verkehr zwischen beiden, aus
dem bald ein inniges Freundschaftsbündnis entstehen
sollte. Wohl kaum ist die Familie einer Fürstin von
so schweren Schicksalsschlägen getroiFen worden, wie
die unserer Prinzessin. In Descartes hat sie einen
treuen Berater gefunden, dem sie ihr Herz ausschütten
konnte, der ihr in der feinfühligsten und taktvollsten
Weise beizustehen und Trost zuzusprechen bemüht war.
Jedoch auch in philosophischen Fragen hat sie stets
Hat bei ihm gesucht, aber andererseits ihrem Lehrer
selbst manche wichtige Anregung gegeben, indem sie
mit scharfem Blick die Stelle seines Systems heraus-
fand, die noch lückenhaft und einer Ergänzung bedürftig
war. Es war die Wechselwirkung zwischen Körper
und Geist, die der Philosoph bisher noch nicht ausführ-
lich behandelt hatte. Und doch war dies für ihn un-
bedingt erforderlich, da ja bei der scharfen Scheidegrenze,
die er zwischen Greist und Körper gezogen hatte, eine
Aufklärung über die Beziehungen zwischen den beiden
Substanzen um so notwendiger war. Durch diese An-
regungen entstand Descartes' Abhandlung über die
Affekte, die ein Jahr vor seinem Tode veröffentlicht
wurde. Sind es doch gerade die Affekte, bei denen sich
am augenfälligsten die Wechselwirkung zwischen Leib
und Seele zeigt. In dieser Schrift haben wir einen
charakteristischen Beweis für die Welt- und Menschen-
kenntnis des Philosophen, die in seinen übrigen wissen-
schaftlichen Werken, ihrem metaphysischen und natur-
wissenschaftlichen Inhalt gemäss, natürlich seltener zum
Ausdruck kommt.
Indessen nicht nur rein metaphysische Erörterungen
fanden zwischen Descartes und der Prinzessin statt.
Auch über die Grundlagen der Moral hat der Philosoph
mit ihr diskutiert. Lag es doch sehr nahe, dass die
122 Fünftes Kapitel: Systematische Durchbildung der Metaphysik.
schwergeprüfte Fürstin durch derartige Betrachtungen
sich über die vielen Unglücksfälle, die sie betrafen,
hinwegzuheben versuchte. Andererseits war auch für
Descartes kein Zeitpunkt geeigneter, die ethischen Pro-
bleme in systematischer Weise zu betrachten, als der
jetzige, in dem er sein metaphysisches System zum Ab-
schluss gebracht hatte. Allerdings stehen die ethischen
Ansichten, wie sie der Philosoph in seinen Briefen und
in der Schrift über die Leidenschaften äussert, in keinem
strengen Zusammenhang mit seinem System, dennoch
deutet die in ihnen hervortretende idealistische Gesinnung-
unverkennbar auf den inneren (xrundcharakter der meta-
physischen Denkungsweise unseres Philosophen hin, der
ja auch durch und durch idealistisch ist. Bei der
humanen Gesinnung Descartes' wird es uns nicht wun-
dern , wenn der Idealismus , der sich in seiner Ethik
kund tut, in keiner Weise übertrieben ist. Der Philo-
soph huldigt durchaus gemässigten Anschauungen und
schlägt einen versöhnlichen Mittelweg zwischen den
extremen Richtungen der Stoiker und Epikureer ein.
11. Bis jetzt hatte Descartes seinen Aufenthalt in
Holland nicht miterbrochen, wenn wir absehen von der
Reise nach Dänemark, die er in der ersten Zeit seines
Hierseins unternommen hatte. Jetzt fühlte er aber
doch wieder einmal das Bedürfnis, sein Vaterland und
seine französischen Freunde wiederzusehen. Das waren
wohl die Hauptmotive, die ihn veranlassten, in kürzeren
Zwischenräumen mehrere Reisen nach Frankreich zu
unternehmen, wir finden ihn dort in den Jahren 1644,
1647 und 1648. Descartes erlebte in dieser Zeit die
Freude, immer mehr Anerkennung in weiteren Kreisen
zu linden. Seine lateinischen Werke wurden ins Fran-
zösische übersetzt. Ja sogar der königliche Hof wurde
auf ihn aufmerksam. Der Philosoph erhielt eine Pen-
sion, „in Anbetracht seiner grossen Verdienste und des
Aufnahme in Frankreich. Königin Christine. 123
Nutzens, den seine Philosophie und die Resultate seiner
langjährigen Forschung der Menschheit brächten, sowie
auch, um ihm die Mittel zu gewähren, seine schönen
aber kostspieligen wissenschaftlichen Versuche weiter
fortzusetzen" (Baillet II, 327). In der Tat hatte der
französische Staat allen Grund dazu, den Philosophen
in dieser Weise zu ehren. War doch Descartes uner-
müdlich weiter bemüht, seine naturwissenschaftlichen
Untersuchungen fortzusetzen. Vier Jahre bevor er diese
Pension (1648) erhielt, war es ihm geglückt, wieder einmal
eine wichtige physikalische Entdeckung zu machen. Es
gelang ihm nämlich, die Gesetze zu finden, nach denen
sich der Auslauf von Flüssigkeiten vollzieht. Im Jahre
1643 hat er uns in einem Briefe davon in Kenntnis ge-
setzt, ein Jahr bevor Torricelli seine Entdeckungen
auf diesem Gebiete veröffentlichte^).
12. Trotzdem der Philosoph ein gemässigtes Leben
führte und in keiner Weise über seine Kräfte arbeitete,
hatten ihn doch die letzten Jahre ziemlich mitgenommen.
Seit seiner Reise nach Frankreich, schreibt er im
Jahre 1645, käme es ihm vor, als ob er um zwanzig
Jahre gealtert sei: „Ich meine nicht, dass mir etwas
fehlt, Gott sei Dank. Aber ich fühle mich schwächer
und glaube fortan mehr Bequemlichkeit und Ruhe zu
bedürfen" (A. IV, 204 — 5). Manches mögen auch dazu die
vielen Unannehmlichkeiten beigetragen haben, die ihm
durch Voetius und seinen Anhang bereitet wurden.
Dadurch wurde ihm der Aufenthalt in Holland schliess-
lich immer mehr verleidet, „in einem Lande, wo, wie
er sich bitter ausdrückt, man nicht die Rechtschaffenheit
M In die letzte Lebenszeit des Philosophen ist auch das natur-
wissenschaftUche Werk: De la forniation du foetus zu setzen; ferner
eine unvollendete Arbeit, in der er versucht, in Dialogform seine
philosophischen Anschauungen zu entwickeln.
124 Fünftes Kapitel : Systematische Durchbildung der Metaphysik.
und Tugend, sondern den Bart, die Stimme und die
Augenbrauen der Theologen verehrt" (A. V, 17).
Unter diesen Umständen ist es wohl zu verstehen,
dass er ein von der Königin Christine von Schweden
an ihn gerichtetes Anerbieten, nach Stockholm überzu-
siedeln, nicht ausschlug. Schon im Jahre 1646 erfahren
wir, dass sich Christine mit den philosophischen Schriften
Descartes' beschäftigt hat (A. IV, 535). Durch die Ver-
mittelung des mit dem Philosophen befreundeten fran-
zösischen Gresandten Chanut kam dann zwischen beiden
ein brieflicher Verkehr zu stände. Die Tochter Grustav
Adolphs zeigte ein reges Verständnis für alle möglichen
Wissensgebiete. Eine Reihe von begabten Köpfen hatte
sie an ihren Hof gezogen. Doch besass sie keine Aus-
dauer, genau so wenig wie in den Regierungsgeschäften.
Auch in ihren Handlungen war sie launisch und rück-
sichtslos, ganz im Gegensatz zu der feinlühligen und
edelmütigen Prinzessin Elisabeth. Bezeichnend für ihre
bizarren Einfälle ist es, dass sie Chanut einst die selt-
same Frage stellte, welche Leidenschaft von schlimmeren
Folgen begleitet sei, die Liebe oder der Hass. Chanut
bat den Philosophen, die Königin darüber aufzuklären,
und durch die sich an dieses Problem anschliessende
Korrespondenz zwischen Christine und Descartes bekam
erstere eine so hohe Meinung von ihm, dass sie ihn
dringend einlud, sie zu besuchen und in die Grundlagen
seiner Philosophie einzuweihen. Als Descartes den
Vorschlag annahm, hoffte er im geheimen, den poli-
tischen Einiluss der Königin zu Gunsten seiner treuen
Schülerin Elisabeth zu benutzen, was ihm freilich nicht
gelingen sollte.
13. Ln Oktober des Jahres 1649 gelangte unser
Philosoph nach Stockholm. Allein wie sehr ihn auch
die Königin auszeichnete, das Hofleben gefiel ihm
keineswegs. „Ich werde wohl nicht länger hier bleiben,
Am schwedischen Hof. Krankheil und Tod. 125
als bis zum nächsten Sommer" schrieb er gleich nach
seiner Ankunft der Prinzessin Elisabeth (A. V, 431).
Zu Descartes' Missstimmung mag auch viel beigetragen
haben die grosse Anzahl von Literaten, die Christine
um sich gesammelt hatte, die mit scheelem Neide
die Begünstigungen, die der Philosoph erhielt, betrach-
teten. Aber was ihn auch immer bekümmert haben mag,
wir wissen es, dass er sich bald wieder aus Schweden
fortwünschte. „Ich bin hier nicht in meinem Element"
schreibt er klagend in einem Briefe aus dem Januar
1650 (A. V, 467). Leider sollte er nur allzu recht darin
haben. Sein Unbehagen wurde noch verstärkt durch
den kalten nordischen Winter und die völlig veränderte
Lebensweise, zu der er am Hofe genötigt wurde. Alle
diese Umstände sollten für seine ohnehin schwache Kon-
stitution verhängnisvoll werden. Zu Anfang Februar
wurde er plötzlich krank, bald stellte es sich heraus,
dass er sich eine schwere Lungenentzündung zugezogen
hatte, gegen die es keine Rettung mehr gab. Am elften
Februar, vier Uhr morgens, hauchte er seinen Geist aus.
So nehmen wir Abschied von dem Leben unseres
Philosophen, eines Mannes, der in wahrhaft ergreifender
Weise sich das ganze Leben hindurch seinem rastlos
tätigen Wahrheitsdrange hingegeben hat.
Zweiter Teil.
Das metaphysische System.
Sechstes Kapitel.
Allgemeine metaphysische Grundlagen.
1. Haben wir wirklich die ernste Absicht, in der
Philosophie zur wahren, unbestreitbaren Erkenntnis zu
kommen, so müssen wir zunächst alles in Zweifel ziehen,
was dem gewöhnlichen Menschen als sicher und zuver-
lässig erscheint. Also hinweg mit allen Meinungen und
Urteilen, die wir uns früher gebildet haben. Allein das
genügt noch nicht. Auch das , was uns vorher am
sichersten erschienen ist, die Realität der Aussenwelt
müssen wir bezweifeln, mag sie auch noch so sinnlich
und handgreiflich vor uns stehen. Es könnte scheinen,
als gingen wir hierin zu weit. Ist es nicht Wahnsinn,
die Existenz der Sinnenwelt, die doch mit so überwäl-
tigender Macht auf uns eindringt, zu leugnen. Keines-
wegs, erleben wir doch auch im Traume Dinge, wie
sie uns nicht lebhafter im wachen Zustande berühren
können. Kann nicht das ganze Leben ein Traum sein?
Vielleicht ist alles , was mir erscheint , selbst mein
eigener Körper weiter nichts als ein Wahngebilde meiner
Phantasie. Du wirst einwenden, dass selbst die Traum-
bilder nicht entstehen könnten, wenn wir nicht vorher
bestimmte Vorstellungen von aussen empfangen hätten.
Das Material, aus denen sich die Bilder zusammen-
setzen, eine Fülle von Farben und von Gestalten,
muss uns doch vorher gegeben sein. Auch dieser Ein-
wand hilft dir nichts. Nimm einmal an, wir hätten
Hoff mann , Descaites. "
130 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
auch derartige Grundmaterialien zur Konstruktion der
Aussenwelt nötig, — vielleicht bedarf es dazu nur
einiger ganz allgemeiner Grundvorstellungen, wie etwa
Gestalt und Grösse, Raum und Zeit — kann nicht Gott
es so eingerichtet haben, dass uns alle diese Grundvor-
stellungen erscheinen, und dass es trotzdem nichts Aus-
gedehntes, keine Gestalt, keine Grösse und keinen Ort
gibt. Ja vielleicht gibt es gar keinen Gott, vielleicht
bin ich durch das Schicksal, durch den Zufall oder gar
durch einen bösen Dämon das geworden, was ich bin.
Schliesslich werde ich immer unsicherer. Lug und Trug
scheint alles zu sein, was mich umgibt. Die handgreif-
lichsten Schlüsse, die ich mache, der Satz, dass zwei-
mal zwei vier ist, wer bürgt mir für ihre Richtigkeit.
Der böse Dämon, der mich hervorgebracht hat, kann
mich ja — grausam genug — mit einem ganz und gar
wirren und irreführenden Geistesvermögen erschaffen
haben. Allein mag auch die ganze Welt versinken,
mögen wir auch den aberwitzigen Launen eines Dämons
unsere Existenz verdanken, nichts soll ims davon ab-
halten, unsere Untersuchung weiter fortzusetzen.
„Hier ist es Zeit durch Taten zu beweisen, dass
Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht". — Wir
ziehen die letzten Konsequenzen unserer Betrachtungen.
„Und war' es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fliessen'-.
So dass wir schliesslich als einziges Resultat unserer
Bemühungen nur feststellen können, dass es nichts Ge-
wisses gibt.
2. Ich nehme also an, dass alles was ich um mich
sehe, falsch ist. Ich habe überhaupt keine Sinne. Körper,
Gestalt, Ausdehnung und Ort sind Chimären. Aber
wo bleibe dann schliesslich ich selbst, von dem alle
diese Betrachtungen angestellt worden sind. Hier scheint
sich uns etwas Sicheres darzubieten. Mag ich auch an
allem zweifeln, an meinem eigenen Bewusstsein werde
Gewissheit des Selbstbewusstseins. Gemeinbegriffe. 13 t
ich nie irre werden, denn sonst konnte ich ja nicht
einmal zweifeln. Zwar habe ich mir alle Körperlich-
keit abgesprochen, aber meine geistige Persönlichkeit
sie muss sicherlich existieren. Sie allein ermöglicht
es mir ja, zu bejahen und zu verneinen, zu wollen, zu
fühlen, zu wahrnehmen und zu denken. Wie fälschlich
auch alle meine Erlebnisse hinsichtlich ihres Inhalts sein
mögen, dass ich geistige Erlebnisse habe und also auch
infolge dessen existieren muss, steht fest. Ich denke
(= ich habe geistige Erlebnisse), also bin ich.^) Diese
Tatsache ist unbestreitbar, sie kann mir nicht von einem
bösen Dämon eingegeben sein, sie ist mein ureigenstes,
sicherstes inneres Erlebnis.
Indes überschätzen wir unser Ergebnis nicht. Bis-
her haben wir nur festgestellt, dass wir überhaupt
existieren. Wir haben es erkannt aus unserer Bewusst-
seinstätigkeit, die sich uns als das erste Merkmal unserer
Persönlichkeit aufgedrängt hat. Daraus folgt aber noch
keineswegs, dass wir unser Wollen, Fühlen, Wahrnehmen
und Denken als die wesentlich konstituierenden Merk-
male unserer Person ansehen dürfen. Wie sehr wir
auch an der Existenz unseres Körj)ers gezweifelt haben,
wie ungeeignet derselbe auch ist, um daraus auf unsere
eigene Existenz zu schliessen, die, wie wir gesehen
haben, nur durch die Erkenntnis unserer geistigen Eigen-
schaften zu erweisen ist, trotzdem können wir nicht
wissen, ob nicht, wie die Materialisten es behaupten,
gerade er es ist, der unser ganzes Wesen ausmacht,
unsere geistige Bewusstseinstätigkeit erst hervorruft.
Hierüber können wir erst später etwas Sicheres aussagen.
Es ist eines der hervorragendsten Verdienste, das
sich unser Philosoph durch diese Untersuchung erworben
hat. Das Bewusstsein mit seinen mannigfachen Emp-
findungen und Vorstellungen ist dasjenige an unserem
') Cogito ergo sum.
132 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
Wesen, was von uns am unmittelbarsten wahrgenommen
wird. Keine Kritik vermag diesen Satz zu widerlegen.
Selbst wer mit Kant der Anscliauung ist, dass unsere
innere Persönlichkeit uns auch nur als Erscheinung
gegeben ist, muss ihn zugeben. Denn mögen die Phä-
nomene der Seele auch nur Erscheinungen sein, für uns
sind sie doch das unmittelbar Gregebene, nur mit ihrer
Hilfe können wir uns eine Kenntnis der Aussenwelt
verschaffen.
3. Wie kamen wir eigentlich dazu, unseren eben
gewonnenen Grundsatz für unzweifelhaft gewiss zu er-
klären? Wir hatten ein Recht dazu, weil er uns un-
mittelbar einleuchtete, so dass auch nicht der leiseste
Zweifel an seiner Hichtigkeit in uns aufsteigen konnte.
So können wir demnach doch wohl sicherlich den weiteren
Grundsatz aufstellen, wahr ist alles, was eben so klar
und deutlich ist, wie unsere vorher erworbene Erkenntnis
von der Realität meiner Existenz. Denn es war ja eben
nur um dieser Evidenz willen, weswegen wir diese Er-
kenntnis als richtig anerkannt haben. Warum sollen
uns weitere Tatsachen, falls sie dieselbe Überzeugungs-
kraft in sich tragen, nicht eben so sicher erscheinen.
Freilich müssen sie genau so wie unser erster Satz
intuitiv gewiss sein, können sie nur durch Schlüsse
erwiesen werden, dann sind sie abzuweisen. Wissen
wir doch, dass vielleicht unser Gedächtnis und unser
Schlussvermögen uns in die Irre führt (C. I, 426). Zu
diesen intuitiven Wahrheiten sind nun auch die soge-
nannten Gemeinbegriffe (notiones communes) zu rechnen.
Dazu gehört z. B. der Satz, dass die Wirkung mindestens
ebensoviel Realität in sich haben muss, wie die Ursache,
dass eine geschehene Sache sich nicht ungeschehen
machen lässt u. s. w. AVir haben es keineswegs nötig,
sie alle aufzuzählen, nur müssen wir uns immer, wenn
wir sie brauchen, an ihre wichtige Bedeutung erinnern.
Anthropologischer Gottesheweis. 133
Sie sind uns unmittelbar verbürgt durch unsere natür-
liche Einsicht, oder wie es Descartes auszudrücken
liebt, durch unser natürliches Licht (lumen naturale).
„Es nützt auch nichts den Einwand zu machen, diese
Sätze könnten vielleicht, vom Standpunkt Gottes oder
der Engel betrachtet, sich als falsch erweisen, denn die
Evidenz, mit der sie uns einleuchten, gestattet es nie
und nimmermehr, dass wir auf den Fragesteller hören
und uns von ihm überzeugen lassen" (C. I, 434).
4. Indes alle diese (Tcmeinvorstellungen, mögen sie
auch, wie unser erster Grundsatz intuitiv gewiss sein,
bereichern zunächst unsere Einsicht nicht, sind sie doch
rein formaler Natur. Und doch haben wir eine Er-
weiterung unseres Wissens so notwendig, noch haben
wir die vernichtendsten Wirkungen unseres allgemeinen
Zweifels nicht beseitigt, wissen nichts über die Aussen-
welt, nicht einmal etwas über die Zuverlässigkeit unseres
Schlussvermögens, da wir ja infolge der Schwäche
unseres Gedächtnisses, das nicht alle Folgesätze stets
gegenwärtig hat, von einem bösen Dämon irregeführt
werden können.
Solange ich in dem inneren Bereiche meines Geistes
bleibe und nur seine Vorstellungen an und für sich
betrachte, habe ich, das weiss ich, keinen Irrtum zu
befürchten. Selbst die Vorstellungen, die ich von sinn-
lichen Objekten habe, sind ja, als Erzeugnisse meines
Geistes betrachtet, hinsichtlich ihrer Realität über allen
Zweifel erhaben. Nur darf ich nicht behaupten, dass
ihnen ausserhalb meines Ichs reale Gegenstände ent-
sprechen. Es gibt überhaupt keine endliche Vorstellung
in mir, deren Realität ausserhalb meines Bewusstseins
mit wirklicher Evidenz nachgewiesen werden kann, bei
allen lässt sich die Möglichkeit nicht abweisen, dass sie
entweder von mir selbst oder von einer mir eingepflanzten
Kraft, die mir verborgen ist, erzeugt worden sind.
134 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
Nun habe icli aber eine Vorstellung in mir, die
gar nichts Endliches an sich hat und von allen andern
in unvergleichlich hohem Masse verschieden ist. Es ist
der Begriff von einem unendlichen, ewigen und all-
mächtigen Wesen. Es ist gleichsam ein überirdischer
Glanz, der von dieser Vorstellung ausgeht. Die Merk-
male, die sie an sich trägt, zeichnen sich alle aus durch
eine unermessliche, alles Endliche übersteigende Fülle.
Die Unendlichkeit, die in ihnen enthalten ist, ist nicht
durch eine blosse Verneinung entstanden, sie ist nicht
potentiell, sondern aktuell. Vollkommen positiv, in sonnen-
klarer Helligkeit steht sie vor meinem geistigen Auge,
wenn ich sie auch in meiner Kurzsichtigkeit nicht ganz
umfassen, sondern gleichsam nur berühren kann. Aber
schon diese Berührung allein genügt, um ein deutliches
Bild von ihr zu erhalten. Diese Vorstellung von dem
unendlichen, allerhöchsten Wesen geht sogar in gewissem
Sinne allen endlichen Vorstellungen voraus. Denn wie käme
ich überhaupt dazu, von meiner Endlichkeit, von meiner
Beschränktheit und Unvollkommenheit zu reden, wenn
ich nicht die Gottesvorstellung in mir trüge, sie ist
ja das absolute Ideal, an dem ich meine eigene Persön-
lichkeit erst messen muss, um eine Vorstellung von ihrer
Unzulänglichkeit zu fassen.
Woher stammt nun dieser Begriif? Ist es wirklich
möglich, dass ich ihn selbst erzeugt habe? Gesetzt, es hat
jemand die Vorstellung von einer künstlichen Maschine,
dann wird man mit ßecht annehmen, dass er entweder
irgendwo eine solche von einem andern konstruierte
Maschine gesehen, oder dass er die mechanischen Wissen-
schaften so genau erlernt hat und eine so grosse erfin-
derische Kraft besitzt, dass er das Modell dieser nirgends
gesehenen Maschine selbst hat ausdenken können. Xun
ist aber der Begriff des allerhöchsten Wesens unendlich
viel umfassender und vollkommener als der einer noch
so komplizierten Maschine. Es ist schlechterdings un-
Ontologischer Gottesbeweis. 135
möglich, dass ich ihn selbst hervorgebracht, oder von
einem anderen endlichen Wesen empfangen habe. Nur
das allerhöchste Wesen selbst kann mir diese Idee ver-
liehen haben. So weist also der Begriff von Grott, den
ich in mir trage, mit Notwendigkeit darauf hin, dass
dieses allmächtige Wesen auch wirklich existiert. Nicht
durch einen logischen Schluss habe ich somit das Dasein
Gottes bewiesen. Nein, mit intuitiver Gewissheit ist
mir diese Tatsache klar. Ich kann nicht einmal die
Vorstellung von meiner eigenen, abgegrenzten und end-
lichen Persönlichkeit fassen, ohne stillschweigend die
Existenz eines unendlichen Wesens vorauszusetzen. Ja
ich selbst würde nicht einmal existieren können ohne
den allmächtigen Gott.
In diesen Auseinandersetzungen ist kein Trugschluss
enthalten. Wer, wie Descartes und fast alle mittel-
alterlichen Philosophen vor ihm, ein so lebendiges Gottes-
gefühl in sich trägt, der hat auch das Recht für sich
und diejenigen Menschen, in denen das Gefühl in gleicher
Stärke lebt, dieses sein Gefühl zur klaren, bewussten
Überzeugung zu erheben.
Unser Philosoph bedient sich noch eines anderen
Gottesbeweises, nämlich des sogenannten ontologischen,
in dem schon aus dem blossen Begriffe Gottes sein Da-
sein erwiesen wird. Ein ähnliches Argument hatte
schon Anselm von Canterbury benutzt. Allein
Descartes gibt den Beweis in einer weit schärferen
Fassung. Sicherlich finde ich in meinem Geiste unter
meinen verschiedenen Vorstellungen auch die eines all-
weisen, allmächtigen und vollkommensten W^esens vor.
Betrachte ich genau die Eigenschaften, die dieser Be-
griff besitzt, so stellt sich heraus, dass er eine in sich
trägt, die ihn vor allen anderen Begriffen auszeichnet,
es ist nämlich die der ewigen und notwendigen Existenz.
Lassen wir diese Eigenschaft weg, dann fällt sogleich
der ganze Begriff in sich zusammen, dann ist er nicht
136 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
mehr absolut vollkommen. Folglich muss Gott auch
tatsächlich notwendig existieren.
Achten wir genau auf die Darlegung, sonst könnten
wir, befangen von unseren sinnlichen Vorurteilen, dazu
kommen, diesen Beweis für ein trügerisches, sophistisches
Graukelspiel zu halten. Gewiss, bei allen anderen Be-
griifen, die ich mir vorstelle, habe ich kein Recht, das
Merkmal der Existenz als ein notwendiges hinzuzusetzen.
Gibt es doch sogar eingebildete Begriffe, wie zum Bei-
spiel der einer Sphinx, bei denen ich von vornherein
mit Sicherheit weiss, dass sie nicht vorhanden sind.
Aber von diesen Vorstellungen abgesehen, auch die
andern Begriffe, wie z. B. der eines bestimmten Baumes,
dürfen höchstens als möglicher Weise vorhanden voraus-
gesetzt werden. Die Eigenschaft der Existenz hat nichts
mit den anderen Eigenschaften des Baumes zu tun.
Der Begriff eines Baumes wird keineswegs geschmälert,
wenn ich von seiner Existenz absehe.
Ganz anders verhält sich aber die Sachlage bei
unserm Gottesbegriff. Nichts wäre eine schärfere Be-
einträchtigung desselben, als wenn ich bei ihm das
Merkmal der notwendigen Existenz wegliesse. Das ist
ja gerade das Wesen Gottes, dass er allein als not-
wendig existierend gedacht werden muss. Ist er doch
das allervollkommenste, ganz auf sich selbst ruhende
Wesen, Ursache seiner selbst, wie es Spinoza im Anfang
seiner Ethik ausdrückt. Nimmt man dem allerhöchsten
Wesen seine notwendige Existenz, dann hat man es all
seines Glanzes, all seiner überirdischen Majestät beraubt,
es bleibt nichts mehr übrig als ein einfacher endlicher
und beschränkter Begriff, der seinem Werte nach nicht
von den anderen irdischen Begriffen verschieden ist.
5. Wenn wir genauer zusehen, dann erkennen wir,
dass dieser Beweis eine überraschende Ähnlichkeit mit
dem vorhergehenden hat. Im vorhergehenden wurde
Kritik der Goltesbeweise. Begriff der philosoph. Wahrheit. 137
gezeigt, dass die Gottesvorstellung, die wir in unserem
Geiste vorfinden, eine unermessliche, alles Irdische
überschreitende Grösse in sich birgt, im aktualen Sinne
unendlich ist und deswegen nur von Gott selbst her-
stammen kann. Jetzt wird wiederum ein einzigartiges
Merkmal des allerhöchsten Wesens betrachtet, es ist
dasjenige der notwendigen Existenz, die gleichsam ein
Korrelat zu der absoluten Vollkommenheit bildet.
Wir sehen also, auch dieser Beweis ist charakteri-
stisch für die Anschauungsweise unseres Philosophen.
Seine Seele ist voll und ganz erfüllt von dem leben-
digsten Gottesbewusstsein. Keine rationalistische Kritik
vermag dagegen anzukämpfen. Wenn Kant in seiner
Kritik des ontologischen Beweises behauptet, mit dem
Begriffe des allerhöchsten Wesens sei das Merkmal der
notwendigen Existenz keineswegs verknüpft, so zeigt
er damit nur, dass ihm das gleichsam realistische Ge-
fühl von der Existenz Gottes, wie es Descartes und vor
ihm das ganze Mittelalter besessen hat, abgeht. Wie
man einem Blinden nicht die Existenz der Farben nach-
weisen kann, so ist es auch unmöglich, unsere an reli-
giösen Gefühlen ärmere Zeit durch die Gottesbeweise
Descartes' zu befriedigen. Es sind andere Gefühle, die
in dem modernen Menschen wachgerufen werden müssen,
um seinen Sinn für metaphysische Gedanken empfäng-
lich zn machen. So hat Kant mit Hinblick auf das Sitten-
gesetz, wie es unserem Geiste einwohnt, den Schluss
gezogen, dass dieses Gefühl als Postulat die Existenz
eines allerhöchsten Wesens fordert. So werden andere
Philosophen nach ihm auf andere Wertgefühle ihre
metaphysischen Anschauungen gründen und dann auf
die grösste Wirkung rechnen können, wenn diese Wert-
gefühle, von denen sie ausgehen, auch wirklich von ihrer
Zeit am lebhaftesten nachempfunden werden können.
Durch diese Betrachtungen soll keineswegs der
Wahrheitsgehalt der früheren philosophischen Systeme
138 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
aufgehoben werden. Sobald die Wertgefüble, die ihnen
zu G-runde liegen, und deren Realität unantastbar ist,
auch wenn sie zeitweilig von andern Gefühlen in den
Hintergrund gedrängt werden, wieder lebendig werden,
sind sie sogar wiederum im stände, eine volle, lebendige
Wirkung auszuüben. Dafür haben wir am Aufleben
der antiken Systeme im Zeitalter des Humanismus ein
Beispiel. Aber auch selbst wenn dies nicht der Fall
ist, üben die vergangenen Systeme auf den modernen
Menschen eine gewisse Wirkungskraft aus, weil er immer
noch genug von den Wertgefühlen besitzt, die ihnen zu
Grunde liegen, mögen sie auch freilich allein nicht aus-
reichen, um sein ganzes Innere auszufüllen. Um dies
zu ermöglichen, dazu bedarf es freilich immer neuer
metaphysischer Systeme.
So bilden für den Idealisten, der von der Über-
zeugung beseelt ist, dass die sinnlichen Gefühle den
idealen Wertgefühlen unterzuordnen sind, die idealen
philosophischen Systeme in ihrer grossen Mannigfaltig-
keit ein harmonisches Ganze, die bald in stärkerem
bald in schwächerem Masse die Saiten seines Gemütes
zu erregen, seinen Verstand zu überzeugen fähig sind.
In diesem Sinne hat man voll und ganz das Recht von
dem eindeutigen Charakter aller wahrhaft echten Phi-
losophie zu sprechen.
6. Mit den oben dargelegten Beweisen haben wir
die wichtigsten Argumente, die unser Philosoph vor-
bringt, erschöpft, Descartes ist sich wohl bewusst,
welch eine Fülle von Anregungen er von seinen philo-
sophischen Vorgängern erhalten hat. „Ich verwarf
nicht die Meinungen der andern", sagt er, ausdrücklich
auf seine Gottesbeweise bezugnehmend, „im Gegenteil
fast alle Argumente hervorragender Menschen, die diese
Sache verteidigt haben, sind in meine Beweise mit auf-
genommen worden" (C. XI, 181). Dagegen hält er für
Descartes' Urteil über andere Gottesbeweise. 139
nicht beweiskräftig alle Argumente, die darauf abzielen,
auf Grund der Gesetzmässigkeit und Zweckmässigkeit,
wie sie sieb in der Natur vorfinden, die Existenz Gottes
zu erschliessen. Nicbt nur ist es notwendig, das Dasein
Gottes zu beweisen, bevor wir überhaupt daran denken,
uns mit der Natur zu befassen , weil wir, bevor die
Existenz Gottes entschieden ist, jeder sicheren Grund-
lage für den weiteren Ausbau der Metaphysik entbehren,
selbst wenn die Natur uns schon gegeben wäre, würden
doch alle ihrer Eigenart entnommenen Beweise vor der
Kritik nicht bestehen können. Schliesst du aus der
Unmöglichkeit, die Reihe der Naturursachen bis ins
Unendliche weiter denken zu können, auf einen letzten
Urgrund, so machst du dich eines unverzeihlichen Fehlers
schuldig. Wie kommst du dazu, das was für dich un-
fassbar ist, als unmöglich hinzustellen. Du kannst dir
ja auch nicht eine bestimmte endliche Grösse in eine
unendliche Anzahl von Teilen zerlegt denken, trotzdem
dir dein Verstand sagt, dass die Teilung bis ins Unend-
liche fortgesetzt werden kann. Der Verstand ist eben
endlich und unfähig, die Unendlichkeit zu umfassen
(C. I, 376 u. 77). Ebensowenig kann aus der Zweck-
mässigkeit in der Natur ein Beweis hergeleitet werden
(C. II, 280). Ein derartiges Argument widerstrebt unserm
Philosophen um so mehr, weil er im letzten Grunde
überhaupt keine Naturzwecke anerkennt, sondern der
Überzeugung lebt, dass die Natur sich aus einem ein-
fachen anorganischen Anfangszustande heraus zu ihrer
jetzigen Vollkommenheit entwickelt habe, oder dass sie
sich wenigstens so entwickelt haben könnte.
Descartes glaubt vielmehr mit seinen Darlegungen
die Existenz Gottes hinreichend dargelegt zu haben.
Keine eigentlichen Schlüsse sind dazu nötig gewesen.
Mit intuitiver Klarheit genau so wie unser erster
philosophischer Grundsatz , wie die GemeinbegrifFe,
haben wir diese Wahrheit erkannt.
140 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
7. Jetzt können wir getrosten Mutes sein. Durch
die Betrachtung Gottes, der alle Schätze der Wissen-
schaft und Weisheit in sich birgt, werden wir den
richtigen Weg finden, um zur Erkenntnis der übrigen
Dinge zu gelangen. Wagte ich vorher keinen Schritt
in der philosophischen Forschung vorwärts zu tun, aus
Furcht von einem heimtückischen Dämon in die Irre
geführt zu werden, jetzt darf ich frei und sicher um
mich schauen. Weiss ich doch, dass Gott existiert und
Gott kann mich nicht täuschen. Täuschung ist immer
ein Zeichen von Unvollkommenheit. Selbst wenn die
Fähigkeit zu täuschen Scharfsinn und Macht zu ver-
raten scheint, so beweist doch die Absicht zu täuschen
ohne Zweifel Bosheit und Schwäche, Eigenschaften die
sich nimmermehr in Gott, dem höchsten Ideal aller Voll-
kommenheit, finden können.
Jetzt schwinden alle Zweifel, die ich vorher über
die Zuverlässigkeit meines Urteilsvermögens gehabt habe.
Bei richtigem Gebrauche kann es nicht trügen, sonst
wäre ja Gott ein Betrüger. Nun weiss ich aber doch,
dass ich mich häufig in meinen Urteilen irre. Habe
ich ein Recht, Gott dafür verantwortlich zu machen?
Keineswegs. Untersuchen wir einmal näher, aus welchen
Ursachen der Irrtum entsteht, dann werden wir sehen,
dass wir selbst es sind, die an seiner Entstehung
schuld haben.
Gott hat mich mit dem Vermögen absoluter Willens-
freiheit ausgestattet. Der Missbrauch dieser Freiheit
ist es nun , durch den jedes falsche Urteil entsteht.
Durch den Verstand allein gelange ich nur zu den Vor-
stellungen, über die ich ein Urteil fällen kann. In meinen
Vorstellungen an und für sich, das weiss ich aber, steckt
noch kein Irrtum, erst durch das falsche Urteil wird
derselbe hervorgebracht. Das Urteil jedoch hängt in
jedem einzelnen Falle von der freien Zustimmung meines
Willens ab. Bin ich mir über die vorliegenden Be-
Das Urteilsvermögen. Geist und Körper. 141
Ziehungen zwischen meinen Vorstellungen nicht klar, so
kann ich jedesmal durch die Zügelung meines Willens
ein falsches Urteil vermeiden.
Oft werde ich einen derartigen Fall erleben. Denn
mein Vorstellungsvermogen ist naturgemäss nur endlich.
Im Wesen der Endlichkeit liegt aber die Beschränkung.
Es existieren sicherlich unzählige Dinge, von denen ich
überhaupt keine Vorstellung habe. Wie darf ich es
wagen, wenn ich in einem solchen Falle meine Willens-
freiheit missbrauche , Gott dafür verantwortlich zu
machen? Im Gegenteil, danken muss ich Gott dafür,
dass er mir eine so unbeschränkte Willensfreiheit ver-
liehen hat, die mein vollkommenstes Vermögen ausmacht.
Ist sie doch so gross, wie ich sie mir grösser gar nicht
vorstellen kann. Daher ist sie es auch vornehmlich,
vermöge deren ich in mir ein Ebenbild Gottes erkenne.
So weiss ich also, dass, wenn ich in meinen Urteilen
vorsichtig bin und nur den Dingen meine Zustimmung
gebe, die ich klar und deutlich einsehe, ich mich stets
vor Irrtümern bewahren kann. Ich bin also durch die
Erkenntnis Gottes um einen grossen Schritt weiterge-
kommen. Durfte ich vorher nur das als wahr aner-
kennen, was meiner Vernunft intuitiv gewiss erschien,
jetzt habe ich auch das Recht, meinem diskursiven
Geistesvermögen, meiner Fähigkeit Schlüsse zu ziehen,
wodurch überhaupt erst eine umfassende wissenschaft-
liche Erkenntnis möglich gemacht wird, zu vertrauen.
8. Es gilt nun zunächst, die Vorstellungen, die ich
in meinem Bewusstsein habe , einer weiteren Unter-
suchung zu unterziehen. Da bemerke ich eine ganze
Reihe, die im Gegensatz zu allen anderen, in meinem
Bewusstsein auf- und niedersteigen, ohne dass ich mich
selbst an ihrer Entstehung beteiligt fühle. Aber nicht
nur allein hierdurch, noch durch ein zweites charakteri-
stisches Kennzeichen unterscheiden sie sich von den
142 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
übrigen, ich meine durch ihre körperliche Ausdehnung
in die Länge, Breite und Tiefe. Wie ganz anders er-
scheinen mir die übrigen Vorstellungen meines ßewusst-
seins, sie sind unausgedehnt, unteilbar, ein echtes Abbild
meines Geistes. Ja ich kann sogar ohne Zögern be-
haupten, sie unterscheiden sich nicht nur von den ersteren,
sie stehen auch in einem direkten, scharf ausgesprochenen
Gegensatz zu ihnen. Meine rein geistigen Vorstellungen,
das fühle ich, sind ganz und gar von mir erzeugt. Ganz
anders verhält es sich dagegen mit den körperlichen^
fremd und äusserlich stehen sie mir gegenüber, gleich-
sam wie Bürger einer anderen Welt.
Wenn ich nun ein Recht habe, von dem mir von
Gott verliehenen Urteilsvermögen einen Gebrauch zu
machen, wo habe ich es eher als hier. Klar und deut-
lich steht mir der Gegensatz dieser beiden Vorstellungs-
arten vor Augen, und fest und unzweideutig wage ich
es demnach zu behaupten, dass auch ein tatsächlicher,
realer, nicht misszuverstehender Gegensatz zwischen
ihnen besteht. In meinen unausgedehnten, unteilbaren
Vorstellungen erkenne ich mich selbst wieder, sie sind Re-
präsentanten meines unausgedehnten, unteilbaren Wesens.
Denn jetzt, wo ich Schlüsse ziehen darf, kann ich es
sagen, was ich anfangs noch dahingestellt sein lassen
musste, mein geistiges Ich, das ich zu Beginn meiner
Untersuchung als das elementarste an den Anfang aller
Philosophie zu stellende Grundfaktum erkannt habe,
schliesst auch tatsächlich den ganzen Wesensgehalt
meiner Persönlichkeit in sich ein. Wer will es be-
streiten! Klar und deutlich sehe ich es ein. Ich müsste
abermals gegen Gott den schweren, widerspruchsvollen
Verdacht des wissentlichen Betruges erheben, falls ich
mich irren sollte.
Ebenso fest steht es mir, dass die Fülle von kiJrper-
lichen Gestalten und Bewegungen, die ich wahrnehme,
nicht zu meinem Ich gehören. An irgend einer Substanz
Der menschl. Leib. Objektivität der geometr. Eigenschaften. 143
müssen sie aber haften. Denn es sagt mir ein mir
innewohnender GemeinbegrifF, dass das Nichts keine
Attribute hat. Nun nehme ich aber eine Fülle von
ausgedehnten Attributen wahr, welcher Substanz wohnen
sie inne? Es ist die Körperwelt, die sogenannte Aussen-
welt, der ich sie zuzuschreiben habe.
So finde ich also nächst Gott, der den Begriff der
Substanz im strengsten Sinne repräsentiert, weil er
allein wahrhaft unbeschränkt und von niemanden ab-
hängig ist, noch zwei andere Substanzen in der Welt
vor, nämlich Geister und Körper.
9. Unter den mich umgebenden Körpern muss einer
mit meinem Geiste in einer ganz engen Verbindung
stehen. Denn sowie derselbe in irgend einer Weise
von den andern Körpern affiziert wird, wird auch mein
Bewusstsein von ganz .speziellen Empfindungen erregt,
ich nenne z. B. die Empfindungen von warm und kalt,
hart und weich, Kitzel und Schmerz u. s. w.. Empfin-
dungen, die sich vollkommen unterscheiden von den
Vorstellungen, die sonst die blosse objektive Wahr-
nehmung der einzelnen Körper in mir erzeugt. Und
in der Tat, so merkwürdig es auch bei dem Gegensatz
dieser beiden Substanzen erscheinen mag, es besteht
tatsächlich eine innige Gemeinschaft zwischen meinem
Geiste und meinem Leibe , letzterer ist ja der eben
genannte von den anderen ausgezeichnete Körper.
Wir haben an den körperlichen Substanzen bis jetzt
nur die Attribute der Gestalt, Ausdehnung und Be-
wegung betrachtet. Tatsächlich wissen wir, erregen
sie in uns noch andere Empfindungen, wie z. B. Farbe
und Ton, Geschmack, Geruch und dergleichen. Indes
diese scheinen nur von sekundärer Bedeutung zu sein.
Sind sie doch in hohem Grade von den eben genannten
körperlichen Eigenschaften unterschieden. Nur die
letzteren zeichnen sich durch wirkliche Klarheit und
144 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
Deutlichkeit aus, ein Kennzeichen, das uns das Recht
gab, auf ihre wirkliche objektive Existenz ausserhalb
unseres Bewusstseins zu schliessen. Ja sie sind mir so
klar und deutlich, dass ich nichts Neues kennen zu
lernen meine, wenn ich sie zum ersten Male erblicke.
Und sie wohnen auch faktisch als angeborene und voll-
kommene klare Vorstellungen (ebenso wie die Gemein-
begriffe etc.) meinem Geiste ein. Wie könnten sie auch
sonst so durchsichtig sein. Sie sind mir so gewiss, dass
ich über sie eine Fülle von Urteilen abgeben kann,
ohne erst in der Erfahrung eine Bestätigung suchen
zu müssen. Die gesamte mathematische Wissenschaft
baut sich auf ihnen auf, deren Sätze ich ja nun, da ich
von der Wahrhaftigkeit Gottes überzeugt bin, nicht
mehr anzweifeln kann.
Anders verhält es sich mit den Eigenschaften der
Farbe, des Tones u. s. w. Sie sind zwar auch in meinem
Geiste vorhanden, versuche ich sie aber ausserhalb des-
selben in der Körperwelt zu lokalisieren, so gelange
ich zu ganz unklaren Anschauungen, Ausserhalb meines
Bewusstseins gibt es nur Ausdehnung, Gestalt und Be-
wegung. Farbe, Ton, Kitzel, Hunger, Lust und Schmerz
und alle anderen sinnlichen Empfindungen werden in
mir hervorgerufen durch die Wirkungen der ausge-
dehnten Körperwelt auf mein Bewusstsein, sie sind nur
subjektiv. So lehrt uns die Physik, dass, was mir als
Klang erscheint, objektiv genommen nichts weiter ist
als eine Anzahl von Schwingungen eines bewegten
Körpers, ebenso entstellt die Schmerzempfindung durch
eine Erregung der Nervensubstanz u, s. w.
Wir haben nun also durch unser Prinzip, wahr ist
alles, was klar und deutlich ist, eine vollkommene Ein-
sicht in das allgemeine Wesen der körperlichen und
geistigen Welt erhalten. Wir haben den scharfen
Gegensatz zw^ischen diesen beiden Substanzen erkannt.
Wie schroff er uns auch erscheinen mag, wir kommen
über Monismus und Dualismus in der Philosophie. 145
darüber nicht hinweg, er ist in der Natur der Dinge
begründet.
10. Wie wir sehen, ist es ein ziemlich schroffer
Dualismus, der in dem System unseres Philosophen aus-
geprägt ist. Descartes ist sich dessen wohl bewusst
und glaubt mit einem gewissen Recht, hierin sogar eine
Stärke seiner Philosophie zu finden. Die aristotelische
Philosophie hatte durch die Ausfüllung der tiefen Kluft
zwischen Geist und Körper eine heillose Verwirrung
unter den wissenschaftlichen Köpfen angerichtet. Rein
physikalische Eigenschaften, wie z. B. die permamente
Kreisbewegung der Gestirne, schrieb man verborgenen
geistigen Prinzipien zu, und umgekehrt suchte man sich
rein geistige Phänomene durch die aberwitzigsten ma-
terialistischsten Deutungen zu erklären (A. III, 666 — 67).
Von diesem historischen Gesichtspunkt aus betrachtet,
war die Reformation, die unser Philosoph brachte, indem
er wieder an die altchristlichen Anschauungen anknüpfte,
ausserordentlich segensreich. Hatte sie doch die rei-
nigende und befreiende Wirkung eines Gewitterregens
nach einem schwülen Sommertage. Mochte auch die
Körperwelt von Descartes etwas kärglich ausgestattet
sein, mit der neuen Betrachtungsweise war fortan die
Möglichkeit gegeben, beide Substanzen getrennt und
unabhängig voneinander zu studieren, das Wesen einer
jeden unbefangen zu zergliedern, ohne dabei durch vage
von der andern hergenommene Analogien in der Unter-
suchung gestört und irregeführt zu werden.
Ich will hier nicht die Frage erörtern , ob die
monistische Betrachtungsweise der dualistischen vorzu-
ziehen ist. Eine extrem monistische Weltauffassung ist
sicherlich der dualistischen gegenüber im Nachteil.
Aber selbst der Wert eines gemässigsten Monismus
darf keineswegs immer überschätzt werden. Lässt das
Descartes'sche System die Schwierigkeit off'en, wie die
Hoff mann, Descartes. 10
146 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
Wechselwirkung zwischen seinen heterogenen Substanzen
zu denken sei, so stehen wir dem Spinozismus nicht
minder ratlos gegenüber, wenn wir uns von den, nur
verschiedene Seiten derselben Substanz darstellenden,
aber deswegen nicht minder miteinander konstra-
stierenden Attributen ein klares Bild machen wollen.
Wir haben weder eine Vorstellung davon, wie bei Des-
cartes Geist und Körper zeitlich aufeinander wirken,
noch wie sie bei Spinoza sich nebeneinander vertragen
können.
In der Tat, das Verhältnis zwischen Leib und Seele
gehört sicherlich zu den schwierigsten Problemen der
gesamten Philosophie. Deswegen hat man freilich noch
kein Recht, diese Fragen einfach beiseite zu schieben,
in dem scheinbar kritischen, in Wirklichkeit aber stark
dogmatischen Bewusstsein von der absoluten Frucht-
losigkeit derartiger Versuche. Mag auch das Problem
nicht bis auf den letzten Rest zu durchschauen sein,
mag auch die Art und Weise, in der es die einzelnen
Denker aufzulösen versuchen, im tiefsten Zusammenhang
mit ihren persönlichen Gemütsbedürfnissen stehen, wofern
nur immer diese Gemütsbedürfnisse die Anregung zu
objektiven philosophischen Analysen geben, so repräsen-
tieren sie tatsächlich nur verschiedene Wege, auf denen
die Wahrheit gesucht wird, und erfüllen vollkommen
den Zweck der Philosophie, der doch dahin geht, immer
tiefer einzudringen in die geheimnisvollen metaphysischen
Zusammenhänge, die uns umgeben.
11. Wir haben gesehen, wie in dem Systeme Des-
cartes' die Körper als selbständige Substanzen angesehen
werden. Allein sie sind aller Lebendigkeit beraubt,
sind im Grunde genommen nur leblose, tote Massen,
gewissermassen Substanzen zweiten Grades. Ihre Min-
derwertigkeit wird uns noch mehr in die Augen fallen,
wenn wir sehen werden (teilweise schon gesehen haben),
über die verschiedenen angeborenen Vorstellungen. 147
was für eine Fülle von angeborenen geistigen Vor-
stellungen notwendig sind, um die Natur, wie sie uns
tatsächlich erscheint, ihre klaren, scharf umrissenen
Züge, ihre glänzende Farbenpracht, entstehen zu lassen.
Zu den vornehmsten angeborenen Vorstellungen
gehören ohne Frage diejenigen, deren Realität uns von
vornherein gewiss ist, die Vorstellung von unserem
Selbstbewusstsein, die GemeinbegrifFe und die Grottes-
idee. Sie sind gleichsam unser geistiges Grrundkapital.
die Stützen des ganzen philosophischen Systems. An
ihrer intuitiven Gewissheit darf nicht gezweifelt werden,
wenn nicht unser ganzer mühsam errichteter Bau wie ein
Kartenhaus durch den geringsten Windstoss in sich zu-
sammenstürzen soll. In zweiter Reihe folgen natürlich
die Begriffe, die wir durch die Analyse unseres Selbst-
bewusstseins gewonnen haben, also unser Wollen, Denken
und Empfinden, die Idee der Substanz, der Beharrlich-
keit u. s. w Da wir sie ja nicht von aussen empfangen
haben, sind sie natürlich auch zu unserem angeborenen,
ureigensten Besitzstand zu rechnen.
Ausserdem gibt es noch eine ganze Reihe von
anderen Vorstellungen, die uns zwar auch angeboren
sind, deren "Wahrheit und Realität aber erst festgestellt
werden konnte, nachdem wir uns der Existenz Gottes
vergewissert hatten, es sind das diejenigen Vorstellungen,
die sich auf die Aussenwelt beziehen, also vorzugsweise
die rein mathematischen, wie Ausdehnung, Gestalt und
Bewegung, und die gesamten mathematischen Begriife
und Lehrsätze. Wir erinnern ims, wie auf Grund der
Wahrhaftigkeit Gottes ihre reale Existenz ausserhalb
unseres Geistes erwiesen und gezeigt wurde, dass auch
die in den mathematischen Folgesätzen enthaltenen Be-
griffe richtig sein müssen. Dabei ist natürlich zu be-
achten, dass die einfachen mathematischen Axiome und
Begriffe, als blosse Vorstellungen des Geistes be-
trachtet, natürlich schon von vornherein gewiss und in
148 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
dieser Hinsicht nur die zusammengesetzten Lehrsätze
einer Rechtfertigung bedürftig waren. Da aber diese
Begriffe alle insgesamt sich auf die Aussenwelt beziehen,
so ist ihre wirkliche gegenständliche Existenz erst durch
den Beweis von der Realität der Aussenwelt erwiesen
worden. Insofern trugen sie von vornherein keineswegs
das Zeichen der absoluten Gewissheit an sich, wie es
etwa mit der Idee des Selbstbewusstseins und der Gottes-
vorstellung verbunden war.
So wird es uns also nicht wundern, wenn Descartes
wiederholt darauf aufmerksam macht, dass es in Gottes
Hand gelegen hätte, zu bewirken, dass in den konkreten
mathematischen Anschauungen die grössten Unregel-
mässigkeiten und Widersprüche zu Tage treten. Wenn
die objektive ausgedehnte Welt um uns herum die Ge-
setzmässigkeit und Regelmässigkeit in ihrer körperlichen
Struktur besitzt, wie sie uns in die Augen fällt, und
wie sie schon unserem inneren geistigen Auge vorschwebt,
dank den unserem Bewusstsein eingeborenen mathema-
tischen Vorstellungen, so ist das ein Werk der freien
schöpferischen Tätigkeit Gottes. Genau so wie alle
Wesen in der Welt sind auch die räumlichen Gebilde
mit ihrer spezifischen Struktur — wie wir später sehen
werden auch die Naturgesetze, von denen die wichtigsten
ebenfalls zu unsern angeborenen BegriiFen gehören — von
Gott ohne jeden äusseren oder inneren Zwang geschaffen
worden. Und wenn wir keinen Grund haben, an ihrer Ge-
setzmässigkeit und inneren Übereinstimmung zu zweifeln,
so liegt das daran, weil Gott sie nun einmal so geschaffen
hat (A, I, 145 — 46, 151 — 53). Nirgends kommt der aus-
gesprochene theistische und persönliche Gottesbegriff
unseres Philosophen stärker zum Ausdruck, als wenn
er diese Punkte seines Systems berührt,^) „Es heisst
^) Ausführlich habe ich diese Tatsachen besprochen in meiner
Abhandlung: „Zur geschichtlichen Bedeutung der Naturphilosophie
Das Verstandeselement in der Anschauung. Kant. 149
in der Tat von Gott wie von einem Jupiter oder Saturn
sprechen und ihn dem Styx oder dem Schick.sal unter-
ordnen, wenn man behauptet, dass diese (ewigen) Wahr-
heiten unabliängig von ihm seien" (A. I, 145).
12. Wir wissen es, dass unsere sinnlichen Emp-
findungen zu unseren angeborenen Vorstellungengehören,
ja noch mehr ausserhalb unseres Greistes überhaupt nicht
existieren (C. X, 320). Also unser Geist ist es, worauf
wir schon vorher aufmerksam gemacht haben, der die
Natur mit all der glänzenden, schimmernden Farben-
pracht, die uns erscheint, umgibt. Wir können sogar
noch weiter gehen, auch die Gegenständlichkeit und
Ordnung bringt der Geist in die Aussenwelt hinein.
Die objektive Gegenständlichkeit, in der mir die Körper,
ihre verschiedenen Gestalten und Abstände voneinander
erscheinen, wird keineswegs meinem Geiste passiv von
aussen her eingedrückt; — schon die Tatsachen der
physiologischen Optik belehren uns ja darüber, dass
dies unmöglich ist — mein Verstand ist es vielmehr,
der mir die Sinneswahrnehmungen so darstellt, wie sie
mir erscheinen (C. II, 356—57). Es ist eine Tatsache,
auf die unser Philosoph immer wieder zurückkommt.
Schon das blosse Anschauungsbild, das uns die Aussen-
welt darbietet , ist vollkommen durchwebt und durch-
setzt von rationalen dem Verstände entstammenden
Faktoren (C. X, 95-96).
In den Meditationen versucht der Philosoph an einem
konkreten Beispiele diese Tatsachen klar zu machen. Vor
seinen Augen liegt ein Stück Wachs, das aus einer Honig-
scheibe gewonnen worden ist. Noch hat es nicht allen
Honiggeschmack verloren, noch haftet an ihm der Duft
der Blumen, aus denen es gesammelt worden. Es ist
Spinozas". Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik
B. 125. S. 163—186.
150 Sechstes Kapitel: Allgemeine metaphysische Grundlagen.
hart, kalt, man kann es leiclit anfassen. Kurz es hat
alle Eigenschaften an sich, die zur deutlichen Erkenntnis
eines Körpers erforderlich erscheinen.
Doch siehe da, jetzt kommt das Wachs dem Eeuer
nahe. Auf einmal fängt der Duft an sich zu verflüchtigen,
auch der Geschmack vergeht, die Farbe ändert sich,
die Form verschwindet. Schliesslich wird es flüssig
und kochend heiss, so dass man es nicht mehr anfassen
kann.
Ist das noch derselbe Körper, den ich früher ge-
sehen? Ich bin fest davon überzeugt, und es gibt keinen
Menschen mit gesunden Sinnen, der nicht derselben
Anschauung ist. Ja selbst wenn er sich in Dampf auf-
löst und sich ins Ungemessene ausdehnt, glaube ich noch
an seine Identität mit dem ursprünglichen Stück Wachs.
Und doch kannst du mir kein sinnliches Merkmal nennen,
das diese Dampfwolken mit dem ursprünglichen Körper
noch gemein haben. Deine sinnliche Wahrnehmungs-
kraft lässt dich hier vollkommen im Stich. Es ist auf
Grund eines rein geistigen Einblickes, durch den du zu
deiner scheinbar ganz passiv aufgenommenen Anschauung
gelangst.
Diese starke Betonung des rationalen Faktors in
der Wahrnehmung erinnert fast schon an die kritischen
Gedanken Kants in der transzendentalen Analytik.
Freilich darf man darin nicht zu weit gehen. Es sind
eben bei Descartes blosse Andeutungen, die an die tiefen
systematischen Untersuchungen des grossen Kritikers
auch nicht im entferntesten heranreichen. Es bedurfte
noch anderthalb Jahrhunderte, ehe die Menschheit für
derart tiefsinnige Probleme, wie sie Kant darbot, die
nötige Reife hatte. Kant kam es bekanntlich darauf
an zu zeigen, wieso unsere Verstandesfunktionen auf die
sinnliche Erscheinungswelt angewandt werden dürfen,
sein Interesse war ausgesprochen erkenntnistheoretisch.
Descartes' Absichten dagegen sind mehr metaphysisch,
über den Begriff der angeborenen Vorstellungen. 151
er will durch den Nachweis des rationalen Faktors in
der sinnlichen Anschauung den Beweis bringen, dass
der Geist am ursprünglichsten, am gewissesten ist, da
ja selbst die körperlichen Dinge ohne seine produktive
Mitwirkung uns nicht erscheinen können.
Schon deswegen übrigens lassen beide Standpunkte
keinen strengen Vergleich zu, weil Descartes der Aussen-
welt vollkommene Objektivität zuschreibt, wenigstens
soweit sie rein körperlicher Natur ist, während sie ja
bei Kant blosse Erscheinungswelt ist.
13. Wir haben die verschiedenen Gruppen der an-
geborenen Vorstellungen und ihre Bedeutung im einzelnen
dargelegt. Es bleibt uns noch übrig, ihre Entstehungs-
weise zu erklären. Sollten sie tatsächlich von vorn-
herein aktuell in unserem Geiste vorhanden sein, wie
etwa die einzelnen Verse in einem Gedicht? „Keiner
ist weiter davon entfernt als ich (heisst es bei Descartes),
einen derartigen Haufen von scholastischen Wesenheiten
anzunehmen" (C. X, 106 —7). Die angeborenen Begriffe
sind vielmehr potentiell in unserem Verstandesvermögen
enthalten, gleich wie in einem Stück Wachs die ver-
schiedenen Formen enthalten sind, die es anzunehmen
fähig ist. Auch leugnet Descartes nicht, dass oft die
Erfahrung die Veranlassung dazu bietet, in unserem
Bewusstsein die schlummernden ursprünglichen Ideen
wachzurufen.
Doch keineswegs ist immer Erfahrung dazu nötig.
Der Verstand ist auch allein fähig, ohne jede fremde
Beihilfe, die angeborenen Ideen zu erkennen. Er muss
sich nur auf sich selbst besinnen und von allen sinn-
lichen Eindrücken freizuhalten suchen. Wir sehen,
wie in diesem Punkte Descartes noch ganz und gar
rationalistisch denkt (C. XI, 170).
Siebentes Kapitel.
Naturphilosophie.
1. Nachdem wir im vorhergehenden die Grundlagen
der Metaphysik besprochen haben, können wir uns jetzt
den philosophischen Einzeldisziplinen zuwenden. Wir
wissen es, dass unter diesen die Naturphilosophie weit-
aus am eingehendsten von Descartes behandelt worden
ist. Die allgemeine Tendenz, in der Physik alles rein
mechanisch nach kausalen Gesichtspunkten zu erklären,
war, wie wir gesehen haben, tief in den damaligen
Zeitverhältnissen begründet. Die besten naturwissen-
schaftlichen Köpfe: Galilei, Kepler, Harvey, und wie
sie alle heissen mögen, hatten sich dasselbe Ziel gesteckt.
Keineswegs sind die Einflüsse dieser Männer auf unseren
Philosophen zu unterschätzen. Auch die mechanischen
naturphilosophischen Systeme des Altertums haben, wie
angedeutet wurde, befruchtend auf ihn eingewirkt.
Allein alles dieses macht doch nicht das Charak-
teristische seiner Naturphilosophie aus. Dies lag erstens
in der grandiosen und ich möchte fast sagen grausamen
Logik, mit der er seine mechanischen Grundgedanken
bis zu ihren letzten Konsequenzen verfolgte, sodann in
dem ungeheuren, zum grössten Teil selbst geschaiFenen
empirischen Unterbau , der es ihm ermöglichte, sein
Weltbild bis in die kleinsten Details auszumalen.
Die wesentliche Stütze der mechanischen Natur-
betrachtung bildet bei Descartes die Theorie der Sinnes-
wahrnehmungen. Der Zusammenhang dieser beiden
über die Subjektivität der Sinneswahrnehmungen. 153
Anschauungsweisen liegt auf der Hand. Folgt doch die
eine fast mit notwendiger Konsequenz aus der anderen.
Sind die Sinneswahrnehmungen wirklich nur Phäno-
mene, sind die Bewegungserscheinungen das Reale, das
ihnen zu Grrunde liegt, dann liefert die mechanische
Auffassung tatsächlich die einzige wissenschaftliche Er-
klärung für die Zusammenhänge in der physischen Welt.
Aus seinen Prämissen könnte Descartes die Alleinherr-
schaft der mechanischen Naturanschauung, ich möchte
sagen, direkt a priori für jedermann überzeugend be-
weisen, gleich wie der Physiker das Vorhandensein
eines bisher nicht gekannten Planeten ohne Fernrohr
aus seinen Berechnungen heraus deduziert.
Xun ist aber die Theorie über die Subjektivität
der Sinneswahrnehmungen angreifbar, wenigstens in der
strengen Fassung, wie sie Descartes annahm, und wie
sie selbst heute noch von einer ganzen Reihe von Natur-
forschern verteidigt wird. Zunächst ist zu betonen, dass
alle räumlichen Figurationen und Bewegungskomplexe
in einem ähnlichen Sinne subjektiv zu nennen sind, wie
etwa die Farben und Klänge. Ein Turm erscheint
grösser oder kleiner, je nachdem er mehr oder weniger
weit entfernt ist. Schon dieser Umstand allein würde
uns die Annahme, dass Farben und Klängen Bewegungs-
vorgänge zu Grunde liegen, verdächtig machen. Indes
kommt noch ein direkter Einwand hinzu. Beobachten
wir einmal rein objektiv, wie der Klang entsteht,
wir sehen, wie eine Saite in Schwingungen gerät,
und wie dann gleichzeitig mit den von der Saite sich
nach unserem Ohr fortpflanzenden Luftschwingungen
der Eindruck des Klanges in uns hervorgerufen wird.
Klang und Schwingung treten gleichzeitig auf, sie ent-
sprechen sich gewissermassen. Wie kommen wir aber
dazu, aus diesem rein funktionalen Verhältnis, in dem
das eine Phänomen die Begleiterscheinung des anderen
ist, ein kausales zu machen?
15-1 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
Freilicli mag es auch nicht recht sein, den räum-
lichen Figurationen eine höhere objektive Realität einzu-
räumen, als den Erscheinungen des Klanges, der Farbe
u. s. w., trotzdem spielen sie in der Physik eine ausser-
ordentlich wichtige Rolle, Sind sie es doch, denen diese
naturwissenschaftliche Disziplin ihren wissenschaftlichen
Charakter zu verdanken hat. Die Gesetzmässigkeiten, die
z. B. dem Reiche der Tone zu Grunde liegen, würden
uns ganz und gar entgehen, wenn nicht die gleichzeitig
mit ihnen auftretenden körperlichen Schwingungen ihre
exakte Feststellung ermöglichten. In diesem Sinne hat die
Theorie über die Subjektivität der Sinneswahrnehmungen
und die mit ihr verbundene mechanische Naturbe-
trachtung der Wissenschaft unschätzbare Dienste geleistet.
2. In Descartes' Naturphilosophie ist, wie schon
gesagt, dieser mathematisch-mechanische Charakter in
einer ganz auffallend konsequenten Weise ausgeprägt.
Der Materie werden alle inneren Kräfte genommen,
sie wird vollkommen identifiziert mit der physischen Aus-
dehnung. Der Begriff Materie kann gleichsam geradezu
durch den Begriff Raum vertreten werden. Der Ein-
wand, die meisten Körper könnten verdichtet und ver-
dünnt werden und seien schon deswegen nicht mit dem
blossen Räume zu vergleichen, erscheint dem Philo-
sophen hinfällig. Bei der Verdünnung und Verdichtung
findet keine Volumenänderung statt. Dünne Körper
sind solche, zwischen deren Teilen grosse Zwischen-
räume sind; die durch andere Körper ausgefüllt werden.
Die Verdichtung wird dann dadurch erzielt , dass bei
einer Annäherung der Teilchen des ursprünglichen
Körpers die fremden Körper ausgeschieden werden. Es
findet genau derselbe Vorgang statt, wie wenn ein vom
Wasser aufgeblähter Schwamm zusammengedrückt wird.
Hiermit haben wir nach Descartes die einzig richtige
Erklärung dieses Phänomens gegeben.
Körper und Ausdehnung. Polemik gegen die Atomlheorie. 155
Lässt es sich docli schlecliterdings niclit denken^
dass der Körper, der vollkommen mit dem physischen
Räume identisch ist, einen Teil seines Volumens einbüsst.
Ein Vakuum im philosophischen Sinne, das heisst ein
Ort, an dem sich keine Materie befindet, kann es dem-
nach nicht geben. Dass man tatsächlich an ein solches
Phänomen geglaubt hat, ist leicht zu erklären aus den
offenbaren Täuschungen, denen wir im täglichen Leben
ausgesetzt sind. Der gemeine Mann hält ein Gefäss für
leer, wenn es nur mit Luft angefüllt ist. Was für ihn
nicht greifbar ist, das hält er auch nicht für körper-
lich. Einen ähnlichen Fehlschluss macht der Philosoph,
wenn er sich berechtigt glaubt, einen Raum, aus dem
die Luft ausgetrieben ist, für leer zu halten, Muss denn
alles Körperliche wahrnehmbar sein? Wir können es
doch nicht leugnen, dass die Schärfe unserer Sinne eine
bestimmte Grenze hat.
Ein Raum ohne Lihalt ist nicht nur nirgends zu
finden, ein solches Phänomen wäre sogar für unseren
Verstand einfach undenkbar. Allerdings besteht zwischen
einem Gefäss und seinem zufälligen Inhalt kein notwen-
diger Zusammenhang. Wohl aber besteht ein solcher
zwischen der hohlen Gestalt des Gefässes und der Aus-
dehnung, welche in dieser Höhlung enthalten ist und
sich hinsichtlich ihrer Eigenschaften vollkommen mit
denen der Materie deckt. Es ist deshalb ebenso wider-
sprechend, einen Berg ohne Tal vorzustellen, als jene
Höhlung ohne die in ihr enthaltene Ausdehnung, oder
diese Ausdehnung ohne eine ausgedehnte Substanz. Es
ist interessant zu sehen, mit welcher Zähigkeit Descartes
seine plerotische Theorie und die aus ihr sich ergebende
Konsequenz, dass ein leerer Raum ein Unding sei, ver-
teidigt. Freilich wird der moderne Leser den Argu-
menten, die unser Philosoph anführt, kein rechtes Ver-
trauen entgegen bringen können. Das Nichts könne
keine Ausdehnung haben, wäre aber der Raum nicht
156 Siebenies Kapitel: Naturphilosophie.
mit Substanz ausgefüllt, so würde er sicli in keiner
Weise von dem Nichts unterscheiden. In derartiger
Weise sucht Descartes seine Anschauungen zu stützen.
Indes muss auch hier darauf aufmerksam gemacht
werden, dass die Beweisgründe, die Descartes für die Unmög-
lichkeit des leeren Raumes bringt, nicht ganz unsinnig sind.
Abgesehen davon, dass auch andere Philosophen, wie z. B.
Leibniz, von einem Vakuum nichts wissen wollten, selbst
Kant ist in der Kritik der reinen Vernunft auf diese Frage
eingegangen. In den Antizipationen der Wahrnehmung
heisst es : „In allen Erscheinungen hat die Empfindung
und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande ent-
spricht, eine intensive Grösse, d. h. einen Grad". Daraus
folgt, dass es unmöglich ist, aus der Erfahrung einen
Beweis von einem leeren Raum zu liefern. Denn der
gänzliche Mangel des Realen in der sinnlichen An-
schauung kann nie und nimmermehr wahrgenommen,
oder auf Grund irgend einer Erfahrungstatsache er-
schlossen werden. Wie wir sehen, ist eine gewisse
Übereinstimmung in den Argumenten beider Philosophen
zu finden. Nach Descartes ist der leere Raum über-
haupt ein widerspruchsvoller, zu verwerfender Begrifi".
Kant glaubt, dass unser Anschauungsvermögen so orga-
nisiert ist, dass ein Raum ohne allen Inhalt nicht wahr-
genommen werden kann. Beide verfahren vollkommen
a priori in ihren Schlüssen. Indes wir wollen hier
nicht weiter auf dieses Problem eingehen.
Noch eine weitere Folgerung können wir aus der
Identifizierung von Raum und Materie ziehen, nämlich
die Unmöglichkeit, dass es letzte unteilbare StofFein-
heiten, sogenannte Atome gibt. Denn falls es wirklich
Atome gäbe, so müssten sie ja ausgedehnt sein, in diesem
Falle wären sie aber, mögen sie auch noch so klein
gedacht werden, immer weiter teilbar. Ja selbst wenn
wir annehmen, Gott habe bewirkt, dass es gewisse ele-
mentare Stofl^einheiten gäbe, die nicht weiter geteilt
über die Unendlichkeit der Welt. Die Bewegung. 157
werden könnten, so können wir sie doch nicht im eigent-
lichen Sinne unteilbar nennen. Denn mögen auch Gottes
Geschöpfe sie nicht mehr teilen können, er selbst hat
doch immer die Macht sie weiter zu teilen. So sucht
unser Philosoph mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln, die Haltlosigkeit aller seinen Anschauungen
entgegenstehenden Theorien zu bekämpfen und die seinige
als die einzig wahre hinzustellen, in der festen Über-
zeugung, dass die allgemeinen Grundlagen der Physik
auf apriorischem Wege gefunden werden müssten. Er
will sie fest und sicher gründen für alle Ewigkeit, um
so der Einzelforschung ein Schema darbieten zu können,
in das sie ihre auf empirischem Wege gefundenen Re-
sultate einzufügen vermag.
3. Die Gleichsetzung von Stoif und Raum führt
uns noch zu einer weiteren Reihe von Ergebnissen. Der
Raum erstreckt sich nach allen Richtungen hin ins
Grenzenlose hinaus. Ein Gleiches muss also auch von
der ihn erfüllenden Materie gelten. Da ferner die
Natur des Stoffes in nichts anderem besteht, als eine
ausgedehnte Substanz zu sein, so muss er auch an allen
Orten im Himmel und auf der Erde vollkommen gleich-
artig sein. So eröffnet sich ein überwältigendes Bild,
das in seiner grandiosen Einheitlichkeit an die Natur-
anschauung eines Giordano Bruno erinnert. Nichts
mehr von all den vagen Spekulationen über die Enter-
schiede zwischen der Welt oberhalb und unterhalb des
Mondes, Phantasien, die im krassesten Widerspruch zu
den damaligen neu gewonnenen astronomischen Anschau-
ungen standen. Die Welt ist ein einheitliches, sich ins
Grenzenlose, ins üngemessene erstreckendes, physisches
Kontinuum. In ihrer Unermesslichkeit stellt sie ge-
wissermassen ein Abbild Gottes dar , freilich nur ein
Abbild. Denn wirkliche aktuale Unendlichkeit besitzt
Gott allein. Der Welt um uns herum dürfen wir nur
158 Siebentes Kapitel : Naturphilosophie.
eine grenzenlose Ausdehnung, eine potentielle Unend-
lichkeit zuschreiben. Überhaupt sollen wir nicht tiefer
einzudringen versuchen in das Wesen der wahren ak-
tualen Unendlichkeit. Nur wer verwegen genug ist,
seine Seele für unendlich zu halten, kann glauben, in
solchen Betrachtungen von Erfolg gekrönt zu werden.
„Ich habe niemals das Unendliche behandelt, es sei denn
um mich ihm unterzuordnen, und habe nie zu bestimmen
versucht, was es ist, oder was es nicht ist" (A. III, 293).
Diese Worte sind recht charakteristisch für unseren
Denker. Wir hatten früher darauf hingewiesen, wie
er von der Beschränktheit des menschlichen Erkenntnis-
vermögens durchdrungen ist. Hier mahnt er in einem
konkreten Ealle den Philosophen an die seinem meta-
physischen Denken gesetzten Grenzen.
4. In dem grenzenlosen physischen Kontinuum, das.
wie wir gesehen haben, identisch mit der körperlichen
Welt ist, fehlt indes noch ein wichtiger Faktor, ich
meine die Bewegung. Ohne Bewegung wäre das All
nichts weiter als ein eintöniger, unterschiedsloser Brei.
Sie individualisiert die einzelnen Teile, sie gewährt
ihnen erst eine spezifische Konstitution, den sogenannten
Aggregatzustand, kurz gesagt, alles Leben das in diesem
Riesenleibe pulsiert, bringt sie in ihn hinein. Ein arges
Oedränge herrscht in dem ungeheuren Weltengetriebe,
Wir wissen, es gibt keinen leeren Raum, nicht das ge-
ringste Plätzchen ist frei. So ist denn ein Vorwärts-
kommen nur dadurch möglich, dass alle Bewegungen
wieder in sich zurückkehren. Greschlossene Kurven
müssen alle Massenteilchen beschreiben, wenn anders
sie sich von der Stelle rühren wollen.
Wer hat den Kosmos mit dieser Fülle von Be-
wegung ausgestattet, ohne die er nichts weiter als ein
totes Grebilde, der Gipfel der Eintönigkeit und Lang-
weiligkeit sein würde. Es ist natürlich Gott. Wie er
Konstanz (\er Bewegungssumme. Trägheit der Materie. 159
alle Substanzen, körperliche und geistige, geschaffen,
wie ohne seine stetige innere Mitwirkung kein Wesen
auch nur den geringsten Augenblick überdauern könnte,
so hat er auch die Bewegung ins Leben gerufen. Es
liegt im Wesen Gottes, dass er, unveränderlich wie er
ist, auch auf möglichst feste und unveränderliche Weise
wirkt. Daraus können wir den sicheren Schluss ziehen,
dass auch die Bewegungsquantität, mit der er die Materie
ausgestattet hat, sich nicht verändert. In alle Ewig-
keit bleibt immer dieselbe Menge vorhanden, wie sehr
auch im einzelnen die Grösse des Bewegungzustandes,
mit der die verschiedenen Massenteilchen ausgestattet
sind, wechseln mag. Hiermit ist ein Naturgesetz von
immenser Tragweite erkannt. Schon vorher hatte Des-
cartes ein wichtiges Gesetz enthüllt, es war die aus der
Identifizierung von Stoff und Raum mit Notwendigkeit
sich ergebende Folgerung von der Erhaltung des Stoffes,
Doch ist das Bewegungsgesetz weit wichtiger, weil hier-
durch eine bisher unbekannte Tatsache formuliert wurde.
Drücken wir das Gesetz in der exakten Form aus, wie
es sich unser Philosoph gedacht hat, so müssen wir
sagen, es sind die Summen der gesamten Bewegungs-
zustände, d. h. die Summen der einzelnen Massen multi-
pliziert mit ihren Geschwindigkeiten, die sich erhalten.
Auch die moderne Physik erkennt diesen Satz an,
allerdings nur für einen beschränkten Geltungskreis,
nämlich für die Bewegung freier Massensysteme, Frei-
lich hat sich Descartes bei der Formulierung dieser Tat-
sache eines grossen Irrtums schuldig gemacht, indem
er eine Verschiebung der Richtungsänderung der ein-
zelnen Massenteilchen nicht als eine Veränderung der
Bewegungsquantität ansah, was allerdings seinem Sy-
steme sehr zu statten kam, schreibt er doch wie wir
später sehen werden, dem Geiste die Fähigkeit zu,
richtungs ändernd auf die Materie einwirken zu können.^)
') Diese falsche Auffassungsweise Descartes' von der Natur des
160 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
5. Bevor wir zu den jetzt folgenden speziellen
Naturgesetzen übergehen, wollen wir betrachten, in
welchen Verhältnissen die Massenteilchen zu den auf
sie übergehenden Bewegungsmengen stehen. Da stellt
sich heraus, dass die Geschwindigkeiten, welche die
einzelnen Teilchen erhalten, genau im Verhältnis zu
ihren Grössen stehen. Stehen die Massen zweier Körper
im Verhältnis eins zu zwei, und gibt man ihnen einen
gleichen Bewegungsanstoss, so wird das erste Teilchen
sich doppelt so schnell bewegen, wie das zweite. Wir
sehen also, je grösser die Masse ist, ein desto grösserer
Anstoss ist nötig, um sie in Bewegung zu setzen, einen
desto grösseren Widerstand setzt sie dem äusseren Stoss
entgegen. Aus diesen Tatsachen spricht klar und deut-
lich, dass die Materie eine gewisse Trägheit, eine gewisse
Widerstandsfähigkeit besitzt. Dies ist aber auch die
einzige rein physikalische Eigenschaft, die Descartes
in den Körpern anerkennt. Es war für ihn natürlich
eine Notwendigkeit, denn sonst wäre die ganze Körper-
welt nichts weiter als eine Fata Morgana, ein leeres
Luftgebilde. Andererseits wird durch das Hinzutreten
dieser physikalischen Eigenschaft der durchsichtige, rein
mathematische Charakter der Physik keineswegs getrübt,
da ja die Bewegungsmenge zur Masse in einem einfachen
Zahlenverhältnis steht.
Wie unser allgemeines Naturgesetz von der Er-
haltung der gesamten Bewegungsmenge im Weltall, so
können noch einige andere mechanische Gesetze direkt
aus der Unveränderlichkeit Gottes erschlossen werden.
Das erste ist das ßeharrungsgesetz. Es sagt aus, dass
Gesetzes bringt ihn übrigens mit seinen eigenen physikalischen An-
schauungen in Widerspruch. In seinen Prinzipien nämlich setzt er
das Parallelogramm der Bewegung auseinander. Dieses Phänomen
weist aber mit Notwendigkeit darauf hin, dass eine Richtungsänderiing
bei der Summierung der Quantität der Bewegung in Anschlag gebracht
werden muss.
Allgemeine Bewegnngsgesetze. Stossgesetze. 161
ein jeder Körper, mag er einfach oder zusammengesetzt
sein, soviel von ihm abhängt, in seinem Zustande ver-
harrt und ihn nur ändert, wenn er durch einen äusseren
Anlass dazu gezwungen wird. Ist daher ein Teil des
StoiFes viereckig, so wird er immer viereckig bleiben,
so lange nicht von aussen etwas kommt, was seine Ge-
stalt verändert. Ebenso wird ein ruhender Körper in
seiner Ruhe, ein bewegter Körper in seiner Bewegung
so lange verharren, als sie nicht durch äussere Antriebe
gestört werden. Dieses Gesetz, von dessen absoluter
Gültigkeit Descartes mit den tüchtigsten Physikern der
damaligen Zeit überzeugt war, steht im einschneidensten
AViderspruch zu den Aristotelischen Anschauungen. Ari-
stoteles und mit ihm das ganze Mittelalter lebte in dem
Glauben, dass die Bewegung der irdischen Körper von
selbst aufhöre ohne jede äussere Ursache, nur der Trieb
der schweren Körper nach der Erde zu fallen, und das
Bestreben der Dämpfe nach oben zu steigen, dauere so
lange fort, bis ein äusseres Hemmnis eintrete. Wahrhaft
vollkommen dagegen seien nur die Kreisbewegungen der
Himmelskörper. Sie allein bewegen sich gleichmässig und
ungestört bis in alle Ewigkeit fort. Mit diesen auf Grund
der naiven unkritischen Beobachtung aufgenommenen
Anschauungen wurde jetzt durch die Aufstellung des Be-
harrungsgesetzes gründlich aufgeräumt. Freilich dauerte
es noch geraume Zeit, bis sich die Wahrheit durchsetzte.
Wie man von der heliozentrischen Himmelsanschauung
nichts wissen wollte, weil der sinnliche Schein so leb-
haft zu Gunsten der alten Theorie sprach, so musste
auch das Beharrungsgesetz einen paradoxen Eindruck
machen, weil die oberflächliche, unkritische Erfahrung
dafür zu sprechen scheint, dass die Bewegungsintensität
der Körper auch ohne äussere Veranlassung abnimmt.
Das zweite Bewegungsgesetz, welches Descartes an-
führt, ist eine unmittelbare Folge des eben besprochenen:
Jedes Stoffteilchen ist bestrebt, seine Bewegung in ge-
Hoff mann, Descartes. 11
1Q2 Siebentes Kai^itel: Naturphilosophie.
rader Linie fortzusetzen. Denn, können wir hinzusetzen,
täte es das niclit, so würde es ja nicht mehr in seinem
früheren Zustande beharren. Mag auch die Bewegung
aller Körper wegen der stetigen Raumerfüllung sich
nur in kreisförmigen Bahnen, in geschlossenen Kurven
vollziehen, trotzdem hat der Körper in jedem Moment
das Bestreben, geradlinig seine Bewegung fortzusetzen.
Diese Tatsache fällt in die Augen, wenn wir einen
an einem Strick befestigten und im Kreise herumge-
schwungenen Stein betrachten. So wie der Strick durch-
schnitten wird , fliegt der Stein seitwärts davon, in
tangentialer Richtung zu seiner bisherigen Bahnkurve.
Das nun folgende dritte Gesetz ist nicht richtig,
wenigstens nicht in der Form, in der es von unserem
Philosophen ausgesprochen wird. Noch mehr ist aus-
zusetzen an den sieben sich daran anschliessenden spe-
ziellen Stossgesetzen. Sie sind fast alle falsch. Darum hat
man jedoch noch kein Recht, Descartes einen besonders
schweren Vorwurf dieser Irrtümer wegen zu machen.
Die Stosstheorie ist ein viel zu schwieriges Gebiet, als
dass sie in der damaligen Zeit schon mit Erfolg hätte
behandelt werden können, Ist doch selbst einem Galilei,
dem genial veranlagten Experimentator, die Klarlegung
dieser Theorie missglückt. Freilich liebt es mancher
Geschichtsschreiber der Physik, die Leistungen der Phi-
losophen in diesem Gebiet nach einem sehr strengen
Massstab zu beurteilen. LTnd namentlich Descartes hat
darunter sehr leiden müssen.
Wir haben darauf hingewiesen, wie unser Philosoph
die Bewegungsgesetze in rein metaphysischer Weise zu
begründen sucht. Ebenso hatte er, wie wir wissen, die
übrigen Grundlagen der Physik auf rein apriorischem
Wege gefunden. Wir könnten auch in diesem Falle
die Anschauungen Kants als Parallele heranziehen, um
zu zeigen, wie sehr sich diese metaphysische Tendenz
bis in unsere Zeit hinein fortgepflanzt hat. Es ist dies
Apriorische Naturgesetze. Feste und flüssige Körper. 163
tief in der Natur des Menschen begründet, für das Wert-
vollste, was er besitzt, was ihm als Grundlage, als For-
schungsmethode in der Wissenschaft dient, dafür glaubt
er, könne ihm die Erfahrung keine hinreichende Sicher-
heit geben, so ist es mit den mathematischen Axiomen
gegangen, so geht es auch mit den allgemeinen Natur-
gesetzen. Und doch konnte er damit nicht den Wandel
in der Auffassung dieser Gesetze hindern. Nicht nur
der Satz von der Erhaltung der Bewegung hat die mannig-
fachsten Wandlungen durchgemacht, bis er seine heutige
Formulierung in dem sogenannten Gesetz von der Kon-
stanz der Energie im Weltall gefunden hat, es besteht
auch ein himmelweiter Unterschied zwischen den ver-
schwommenen Begriffen, die man im Altertum, ja sogar
noch zu Descartes' Zeiten von der Masse gehabt hat,
und dem auf die Gravitation begründeten der modernen
Wissenschaft, wonach es erst einen exakten Sinn hat,
von einer Erhaltung der Materie zu sprechen. Der Ein-
blick in diese Tatsachen wird uns daran gemahnen,
immer peinlicher auf die Grenzen zwischen der Philo-
sophie und den speziellen Wissenschaften zu achten.
6. Es wurde oben angedeutet, dass der Aggregat-
zustand der einzelnen Körper vollkommen durch die
Bewegung bestimmt wird, wir wollen jetzt sehen, in
welchem Sinne das gemeint ist. Dem Gefühle nach be-
merkt man folgenden Unterschied zwischen harten und
flüssigen Körpern. Die einzelnen Teilchen der Flüssig-
keiten weichen leicht aus ihren Orten und machen des-
halb unseren sich gegen sie bewegenden Händen ohne
weiteres Platz. Die Teilchen der harten Körper da-
gegen hängen fest aneinander, so dass es erst eines
gewissen Kraftaufwandes bedarf, um sie voneinander
zu trennen. Worin besteht nun der physikalische Unter-
schied zwischen diesen beiden Aggregatzuständen? Es
ist nach Descartes nichts anderes als die Ruhe, welche
1(34 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
bewirkt, dass die Teilclien der harten Körper nicht so
leicht von einander getrennt werden können. Gresetzt
etwa, es wäre eine Art Leim, der die einzelnen Teil-
chen miteinander verbände. Was könnte dann dieser
Leim sein? Etwa eine neu hinzutretende Substanz?
Aber warum sollte eine fremde Substanz ein besseres
Band bilden als die eigene Substanz, aus der die Teil-
chen bestehen! Soll es wiederum keine Substanz sein,
sondern ein Zustand? Welcher Zustand kann es dann
sein ausser der Ruhe? Gibt es denn einen Zustand,
der der Bewegung mehr entgegengesetzt ist, als die
Ruhe! Die aufgezählten Möglichkeiten sind aber die
einzigen, denn ausser Substanzen und deren Zuständen
gibt es für uns nichts.
Diese Auseinandersetzung ist so recht bezeichnend
für den spezifisch mechanischen Charakter der Natur-
philosophie Descartes'. Er lässt nichts weiter in seiner
Physik zu als die Materie und die Bewegung und wird
deswegen genötigt, in dieser wenig befriedigenden Weise
die Erscheinung der Festigkeit zu erklären. Die moderne
Physik hat zwar nicht so einfache und leicht zu durch-
schauende Grundlagen, vermag aber gerade deswegen die
Natur der einzelnen Phänomene in überzeugenderer
Weise zu erklären. Wie wenig tiefsinnig es auch sein
mag, zur Erklärung der Festigkeit eine besondere
Kohäsionskraft einführen zu müssen — Descartes
würde ein derartiges Verfahren achselzuckend als erz-
scholastisch bezeichnet haben ^) — , so ist dies doch
immer noch weit besser, als mit an und für sich ein-
facheren und in philosophischer Hinsicht höherstehenden
Prinzipien den Erscheinungen nicht gerecht werden zu
können. Bleibt es doch nach der Anschauungsweise
Descartes' vollkommen unbegreiflich, warum so ausser-
ordentlich viel mehr Kraft dazu nötig ist, von einem
') Genau so, wie er es hinsichtlich der Schwerkraft tat.
Entstellung des Weltalls (Wiibeltheorie). 105
festen Körper ein Stück abzutrennen, als erforderlich
ist, dieses Stück, sobald es getrennt ist, in Bewegung
zu setzen, wieviel Mühe sich auch unser Philosoph
gegeben hat, diese Erscheinung richtig zu deuten.
Die Xatur der Flüssigkeiten und Gase erklärt sich
dadurch, dass ihre einzelnen Teilchen in fortwährender
Bewegung begriffen sind. Denn die Teilchen, welche
sich bewegen, können nicht andere Körper z. B. unsere
Hände verhindern, die verlassenen Stellen einzunehmen.
Auch nach unseren heutigen Anschauungen sind die
Teile der Grase und Flüssigkeiten beweglicher als die
der festen Körper, freilich fehlen ihnen trotzdem nicht
die bei Descartes vollkommen eliminierten inneren Kräfte.
7. Wir sind jetzt über die allgemeinen Grundlagen
der Naturphilosophie genügend orientiert und können
daher dazu übergehen, die Theorie, die unser Philosoph
über die Entstehung der Welt aufgestellt hat, zu skiz-
zieren. Es sind die denkbar einfachsten Annahmen, die
Descartes vorausschickt. Stellen wir uns vor, dass
der ganze Stoff, aus dem die Körperwelt besteht, im
Anfange von Gott in lauter ungefähr gleiche Teile ge-
teilt worden ist. Hinsichtlich ihrer Grösse sollen sie
den Partikeln entsprechen, aus denen die Materie des
Himmels besteht. Alle Teilchen zusammen müssen natür-
lich nach unserem Gesetz von der Erhaltung der Be-
wegung soviel Bewegungsfjuantität besitzen, als jetzt
in der Welt vorhanden ist. Die Bewegung möge auf
die einzelnen Teilchen ungefähr gleich verteilt sein.
Alle Teilchen zusammen bilden den Himmel. Was die
Art ihrer Bewegung betrifft, so drehen sie sich zunächst
um ihren eigenen Mittelpunkt, weiter aber auch um ge-
wisse über den ganzen Himmel verteilte Zentren, von
denen die einen hinsichtlich ihrer Anzahl und ihrer
Standorte den vorläufig noch nicht vorhandenen Fix-
sternen entsprechen, die anderen den ebenfalls noch nicht
16(5 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
vorliandenen Planeten, aber nur hinsiclitlicli ihrer An-
zahl, denn letztere Zentren werden, wie wir später
sehen werden, verschoben, um zu den Orten zu gelangen,
wo sich auch heute noch die Planeten befinden.
Die augenblicklich allein vorhandene Himmelsmaterie
repräsentiert also bis jetzt den einzigen, überhaupt in
der Welt vorhandenen Stoff, sie ist die sogenannte zweite
Materie, aus ihr werden später noch zwei andere Ma-
terien hervorgehen. Wie nun auch immer die Gestalt
dieser Partikelchen gewesen sein mag , infolge ihrer
mannigfachen in sich zurücklaufenden Bewegungen
müssen sie allmählich die Kugelform angenommen haben.
Dabei rieben sich alle ihre Ecken, die sie früher gehabt
hatten, ab. Diese Bruchstücke sind natürlich viel kleiner
als die ursprünglichen Teilchen und werden noch dazu
durch die blosse Kraft ihrer Bewegimgen in immer
kleinere Atome zersplittert, so dass sie alle Zwischen-
räume einnehmen können, in welche die ursprünglichen
Teilchen nicht einzudringen vermögen. Ihre Bewegung
ist viel intensiver als die der ursprünglichen Partikel.
Denn je kleiner ein Körper ist, um so grösser ist seine
Oberfläche im Verhältnis zu seiner Masse. Da nun aber
die kleinen Splitterchen auf die anderen Körper mit ihren
Oberflächen stossen, so wird auch viel mehr Bewegung
auf sie übertragen, als den grossen Teilchen eigen ist.
Wie wir anfangs hervorgehoben haben, drehen sich
die Bestandteile der zweiten Materie um gewisse Zentren
herum. Sie sehen ungefähr so aus wie riesige Wasser-
strudel, nur dass wir statt des Wassers eine feine
Materie haben, die etwa mit dem modernen Äther ver-
glichen werden kann. So wird der ganze Himmel in
eine ungeheuer grosse Anzahl von Wirbeln eingeteilt,
eine unzählbare Menge wie die Sterne am Himmel.
Im Anfang war die ]\Ienge der abgesplitterten Par-
tikelchen — wir wollen sie die erste Materie nennen —
gering. Aber da sich mit der Zeit die Teilchen des
Entstehung des Weltalls (Wii-bellheorie). 167
zweiten Elementes immer mehr abschliffen, so wuchs
sie allmählich an und konnte bald in den Räumen
zwischen den kugeligen Teilchen der ursprünglichen
Materie nicht mehr genügend Platz linden. Infolge
dessen musste der Überschuss nach den Mittelpunkten
der Wirbel abfliessen, dort bildete er gewisse ausser-
ordentlich flüssige Körper, nämlich die Sonne und die
übrigen Fixsterne.
An den einzelnen Stellen eines jeden Wirbels herrscht
ein gewisser Druck, der sich von der Mitte des Wirbels,
wo sich jetzt die Fixsterne befinden, bis zur Peripherie
fortpflanzt. Die physikalische Erklärung dieses Druckes
ist klar. Es ist die sogenannte Zentrifugalkraft, die
durch die Wirbelbewegung notwendiger Weise entstehen
muss. Descartes benutzt diese Erscheinung zur Er-
klärung des Lichtes. Das Licht ist nichts weiter als
dieser Druck, der sich vom Zentrum aus durch die
zweite Materie bis zu unserem Auge fortpflanzt. Diese
Fortpflanzung erfolgt natürlich augenblicklich, da es ja
in der Welt keine leeren Zwischenräume gibt. Nach
unseren heutigen Anschauungen breitet sich das Licht
in wellenförmigen Schwingungen aus, braucht also doch
eine gewisse endliche Zeit um sich fortzupflanzen. Die
moderne Theorie steht aber auch genau so wie die
unseres Philosophen im Gegensatz zu den Emanations-
theorien, die eine besondere Lichtsubstanz anzunehmen
genötigt sind.
Bis jetzt sieht es noch recht unwohnlich im Welten-
raume aus. Auf den Fixsternen kann ja kein organisches
Wesen hausen. Die glühende Hitze, die dort durch
die ausserordentlich schnelle Bewegung der Teilchen
des ersten Elementes erzeugt wird — Wärme ist
natürlich auch nichts anderes als eine Bewegung von
Stoffteilchen — mirde alle Lebenskeime vernichten.
Doch machen wir uns darüber keine Sorgen, der erfin-
derische Kopf unseres Philosophen weiss für alles ßat
168 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
zu schaffen. Niclit alle Ecken der Teilchen des zweiten
Elementes wurden beim Abschleifen ganz und gar zer-
rieben und zermalmt. Eine beträchtliche Anzahl von
ihnen genoss das Glück, zwischen den Teilchen des
zweiten Elementes mehr oder weniger unbehelligt hin-
durchschlüpfen zu können. Zu diesen Günstlingen For-
tunas gehörten namentlich diejenigen Abfallstücke, die
in den Rotationsaxen der Wirbel gebildet wurden, wo
ja naturgemäss am meisten Ruhe herrscht. Wenn nun
diese Teile in Gemeinschaft mit den ganz feinen Teilen
in das Zentrum des Strudels zu dem in ihm enthaltenen
Eixstern hinabfliegen, dann ist nichts natürlicher, als
dass sie sich zu dichten Knäueln aneinander ballen.
Sind sie doch mit allen möglichen Haken, Zacken,
Schrauben und Windungen versehen — alles Abdrücke
des Weges, den sie durchlaufen haben. — Ausserdem
haben sie auch die gehörige Zeit dazu, sich gegen-
seitig zu treffen und miteinander in Gemeinschaft zu
treten, denn da sie eine verhältnismässig sehr grosse
Oberfläche besitzen, so verzögert sich die Schnelligkeit,
mit der sie sich vorwärts bewegen in ganz erheblichem
Masse. Wir wollen diese in ihrer Struktur eine be-
sondere Klasse für sich bildenden Teilchen als das
dritte Element bezeichnen. Dieses Element ist stofflich
mit der Substanz der Erde und der übrigen Planeten
identisch.
Verglichen mit der rasenden Geschwindigkeit, mit
der die Teilchen des ersten Elementes nach dem Zen-
trum zuströmen, kann das gemütliche Dahinschlendern
dieser massiven Stücke geradezu als Schneckenschritt
bezeichnet werden. Sie kriechen gleichsam auf die
Oberfläche des Zentralgestirnes hinauf und überziehen
es mit dunkeln Flecken. In dieser Weise erklärt
Descartes die Entstehung der Sonnenflecken. Doch das
interessiert uns nur nebenbei. Uns kommt es haupt-
sächlich auf die Entstehun"; der Planeten an.
Kritik der Cartesischen Pliysik. 169
Diese Sterne werden in folgender Weise erzeugt.
Wenn das in einem Wirbel enthaltene Zentralgestirn
ganz und gar von Flecken umzogen wird, so wird
seine Rotationsgeschwindigkeit schliesslick immer
sckwäclier, so dass sich oft dieser Wirbel nicht mehr
der anderen ihn umgebenden stärkeren Wirbel erwehren
kann. Dann wird er einfach mit Haut und Haaren
verschlungen d. h. in den Atherstrudel des Gegners
hineingezogen und muss es sich noch dazu gefallen
lassen, den ßäuber als Trabant in alle Ewigkeit zu
umkreisen, gewissermassen seine Leibeskorte bildend.
Auf solche Weise entstehen die Planeten und Kometen.
Übrigens haben die Wandelsterne keinen Grund über
Ungerechtigkeit zu klagen. Denn sie machen es genau
so mit den Monden. Auch die Monde waren ursprüng-
lich selbständige Gestirne, die aber dann auf ähnliche
Weise in die Atmosphäre der Wandelsterne hineinge-
zogen wurden.
8. So haben wir denn eine ungefähre Vorstellung
davon bekommen, wie sich unser Philosoph die Welt
entstanden dachte. Es ist erstaunlich , was für ein-
fache Mittel ihm für seine Zwecke genügen. Begnügt
er sich doch keineswegs damit, den soeben skizzierten
Rohbau aufzuführen. Seine Absichten gehen noch viel
weiter. Über alle wichtigen Phänomene, die sich im
Universum abspielen, versucht er uns Rechenschaft zu
geben,^) ohne ein neues physikalisches Prinzip einzu-
führen. Freilich wird er dadurch genötigt, die Struktur
der von ihm vorausgesetzten Materie in den einzelnen
Fällen immer komplizierter zu gestalten, immer frei-
gebiger auszustatten mit allen möglichen Verästelungen
und Verzweigungen, durch diesen üppigen Formenreichtum
gleichsam einen Ersatz bietend für die inneren Kräfte,
^) Sehr geistreicli ist das Pliänomen der Schwere erklärt.
170 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
die er der Materie genommen. Aber was schadet das.
Auf Konsequenz, auf Klarheit und Deutlichkeit kommt
es unserm Philosphen vor allen Dingen an. Überwältigt
von der grandiosen Idee, dass der Physik dieselbe
Durchsichtigkeit verliehen werden müsse , wie sie die
Geometrie besitzt, lässt er sich durch keinerlei Schwie-
rigkeiten abschrecken. Er beündet sich gleichsam in
einem intellektuellen Rausch. In der festen Überzeugung,
dass er alle Phänomene des Universums nach seinen
apriorischen Prinzipien erklärt, sieht er in seinem ex-
tatischen Zustande garnicht, wie er gerade das Gegen-
teil bewirkt. Die Fülle der empirischen Erfahrungen,
die er sich angeeignet hatte, Hess sich nicht in so ein-
fache Formeln bringen. Und mochte dies auch dem
oberflächlichen Beobachter entgehen, weil äusserlich die
Konsequenz aufrecht erhalten war. Dem tiefer Blickenden
muss die Physik des Philosophen in einzelnen Partien
fast wie ein Mummenschanz, wie eine Parodie erscheinen.
Sieht er doch durch den luftigen mathematischen Flitter
die roheste Empirie durchscheinen. Ein jedes Phä-
nomen bekommt seine besondere Erklärung. Descartes
darf es sich ja leisten. Mag die Materie im einzelnen
noch so viele neue spezielle Formen annehmen. Die
äussere Konsequenz ist gerettet. Wir haben nur zwei
einfache Voraussetzungen, aus denen die ganze Welt
erklärt wird, Materie und Bewegung. Hüllt sich die
Empirie in das unschuldige Mäntelchen einer neuen Form
ein, so darf sie ruhig die Grenze passieren. Aber nur
um Gottes willen keine Kräfte in die Physik hinein-
lassen, sie sind gleichsam staatsgefährlich, irrationale
Elemente, die sich nicht durchschauen lassen.
Trotz aller Verirrungen, die sich Descartes im ein-
zelnen hat zu Schulden kommen lassen, sind dennoch
seine Verdienste um die Physik über allen Zweifel er-
haben. Allein schon seine wichtigen physikalischen
Entdeckungen, die wir früher erwähnt haben, lassen
Biologie. Mechanische Erklärung der Tierseele. 171
seine grosse naturwissenschaftliclie Begabung hin-
reichend erkennen. Aber auch seine allgemeine physika-
lische Methode hat ausserordentlich segensreiche Früchte
getragen. Mochte sie sich auch an Sicherheit und Exakt-
heit mit derjenigen eines Galilei nicht messen lassen.
Das tat ihrem Ansehen wenig Abbruch. Besass sie doch
statt dessen den grossen Vorzug, gleichsam ein leben-
diges Grlied einer grandiosen philosophischen Gesamt-
anschauung zu sein, einem Systeme anzugehören, das
durch seinen Idealismus einen tiefen Einfluss auf jedes
empfängliche Gemüt machen musste. Diesem Umstände
ist es wohl nicht zum wenigsten zuzuschreiben, dass
die Physik Descartes' weit über den Kreis der Fach-
physiker hinaus in Frankreich sich verbreitete, dass
eine zahllose Menge von Gebildeten sich mit ihr befasste,
bis dann späterhin durch Newton ein Umschwung in der
allgemeinen Stimmung erfolgte. Man erkannte die Ein-
seitigkeiten einer rein mechanischen Grundanschauung
und Hess es sich fortan nicht mehr nehmen , die Er-
scheinungen auch nach dynamischen Gesichtspunkten zu
erklären, wobei man freilich vielfach in ein dem Carte-
sianischen direkt entgegengesetztes Extrem hineingeriet.
Erst im neunzehnten Jahrhundert scheinen dann die
Physiker wieder diejenige Unbefangenheit wiederge-
wonnen zu haben, die für eine vollkommen vorurteils-
lose, objektive Betrachtung der Erscheinungen unum-
gänglich notwendig ist.^)
9. Mit welcher rücksichtslosen Schroffheit Des-
cartes seine mechanische Naturanschauung vertreten hat,
kann man dann erst ganz und gar ermessen, wenn man
sich seiner Biologie zuwendet. Es gibt keine mystischen
Kräfte im Organismus, auch in dem des Menschen nicht;
^) Im einzelnen habe ich diese Betrachtungen ausgeführt im
Archiv f. Geschichte der Philosophie. B. XVII. S. 237—71 u, 371—412.
172 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
es herrscht in ihm vielmehr das klare und durchsichtige
Getriebe, wie es sich in dem Räderwerk einer Maschine
findet. Alle Funktionen des menschlichen Körpers müssen
rein mechanisch erklärt werden. Mit äusserster Strenge
müssen alle substantialen Formen und Qualitäten, die
gerade in der Biologie am üppigsten wuchern, ausgerottet
werden. Harveys mechanische Erklärung der Blutzir-
kulation war ihm wie aus der Seele gesprochen. „Ich
finde meine Ansicht wenig von der seinigen verschieden,
obwohl ich das Buch erst gelesen habe, nachdem ich
meine Erklärung der Sache schon niedergeschrieben
hatte". Der Philosoph, der sonst so selten historische
Bemerkungen in seine Werke einstreut, kann nicht um-
hin, wiederholt mit anerkennenden AVorten auf diese
Entdeckung zurückzukommen.
Mit der rein mechanischen Erklärung aller Lebens-
funktionen gibt sich Descartes keineswegs zufrieden.
Die Tiere werden von ihm nicht nur hinsichtlich ihrer
organischen Struktur aller biologischen Eigenart be-
raubt. Noch mehr soll ihnen genommen werden. Auch
ihr Bewusstsein, ihr Empfindungsvermögen soll weiter
nichts als eitel Schein und Trug sein. Fühllose Auto-
maten sind sie, die durch ihre Gesten und Stimmen uns
zu dem haltlosen Glauben bringen, dass sie Gefühl und
Bewusstsein besässen. Mag auch Montaigne und Charron
behaupten, dass es mehr Unterschiede zwischen den ein-
zelnen Menschen gäbe als zwischen Mensch und Tier
(A. IV, 575), glaubt ihnen nicht. Wie könnte es mög-
lich sein, dass der menschliche Geist, unteilbar und
unkörperlich wie er ist, irgendwelche Ähnlichkeit mit
den Kräften besitzt, welche sich am tierischen Körper
äussern. Eine tiefe Kluft, eine unüberschreitbare Grenze
trennt vielmehr Mensch und Tier voneinander. Wir
müssen uns nur an diese neue Anschauung gewöhnen,
meint Descartes, dann werden wir ihre Richtigkeit
schon einsehen. Wie mannio:faltia; sind schon die Be-
Erklärung dieser seltsamen paradoxen Anschauung. 173
wegungen, welche die durch menschliche Kunst herge-
stellten Automaten ausführen können. Und doch sind
diese aus einer verhältnismässig geringen Anzahl von
Teilen zusammengesetzt. Was brauchen wir uns also
über die Leistungen des organischen Körpers zu wun-
dern, der über eine fast unbegrenzte Menge von
Knochen, Muskeln, Nerven, Arterien, Venen und ande-
ren Teile verfügt. Dabei ist noch ganz ausser acht
gelassen, dass er direkt von Gottes Hand gefertigt
ist, und schon deswegen allein um vieles besser einge-
richtet ist und viel wunderbarere Bewegungen ausführt,
als sie menschliche Kunst je herstellen könnte.
In den Briefen und Schriften Descartes' sind noch
eine ganze ßeihe von Argumenten angeführt, die zur
Bekräftigung dieser Ansicht dienen sollen. Es ist wohl
überflüssig, dieselben hier im einzelnen wiederzugeben.
Dem Leser wird ja diese oiFenbare Paradoxie deswegen
doch nicht glaublicher erscheinen. Keine Anschauung,
die unser Philosoph geäussert hat, ist so oft und so
heftig von gegnerischer Seite noch zu Descartes' Leb-
zeiten bekämpft worden, wie gerade die eben besprochene.
Allein es ist alles vergeblich. Starr und eigensinnig
beharrt er bei seiner Meinung. Nur zu dem Zugeständnis
ist er bereit, dass sie sich nicht streng beweisen lasse.
10. Descartes erscheint uns in dieser Hinsicht
gleichsam wie ein Träumer. Die Wirklichkeit um ihn
herum schwindet. Er sieht nichts anderes mehr vor
sich als sein System und die Konsequenzen, die sich aus
ihm ergeben. Alles was ihm widerspricht, wird einfach
ignoriert, mag auch dadurch ein noch so grosser
Widerspruch mit dem realen Leben entstehen.
Nur wenn wir diese suggestiven Wirkungen, die
seine allgemeinen philosophischen Grundanschauungen
auf seine intellektuelle Verfassung ausübten, gehörig in
Betracht ziehen, können wir seine seltsame philosophische
274 Siebentes Kapitel: Naturphilosophie.
Verirrung einigermassen verstehen. Selir bestärkt liaben
ihn in seiner Überzeugung die umfassenden Unter-
suchungen, welche er über das Wesen und die Bedeu-
tung der Reflexbewegungen im menschlichen und tie-
rischen Organismus angestellt hatte. Sie umfassen ja
tatsächlich ein grosses Gebiet, auf das das Bewusstsein
gar keinen Einfluss besitzt. Wenn unsere Augen von
einem Fremdkörper berührt werden, so schliessen sie
sich ganz von selbst, ohne dass es eines Einflusses unseres
Willens bedarf. In ähnlicher Weise wird nach Des-
cartes das ganze tierische Leben geregelt.
So ist also das geistige Leben in der Welt auf ein
Minimum beschränkt. Das tut aber der Schönheit und
Erhabenheit des Universums keinen Abbruch. Steht
doch die gesamte Welt in einem innigen Verhältnis zu
Oott. Er ist es, der ständig dafür sorgt, dass alle
Dinge in ihrem Dasein verharren. Denn die Erhaltung
der Dinge bedarf ebensoviel göttliche Wirkungskraft,
wie ihre Erschafi'ung. Die endlichen Dinge sind ab-
hängig von Gott; nicht wie der Erzeugte vom Erzeuger,
sondern wie das Licht von der Sonne, das stets von
neuem erzeugt wird. So herrscht der Geist Gottes
auch jetzt noch in der Welt. „Die unbegreiflich hohen
Werke sind herrlich wie am ersten Tag".
Die Tiere sind gewissermassen der vollendete Aus-
druck des durch die Naturgesetze in der Welt verwirk-
lichten göttlichen Zweckzusammenhanges, der für uns im
letzten Grunde ja immer rätselhaft bleibt. Wie sich Des-
cartes im einzelnen den Aufbau des tierischen Körpers aus
rein mechanischen Grundelementen dachte, darauf wollen
wir hier nicht weiter eingehen. So viel Gelegenheit er hier
auch hat, seinen Scharfsinn zu zeigen, so wenig können seine
Anschauungen den modernen Naturforscher befriedigen.
11. Wohl ist die mechanisch-physikalische Betrach-
tungsweise für das Verständnis des Organismus von
Kritik der biologischen Anschauungen. 175
ausserordentlicher Wichtigkeit geworden: Das Auge
wird als Camera ohscura aufgefasst, die Fasern des
inneren Ohres gleichen den Saiten eines Klavieres, die
Bewegungen der Glieder vollziehen sich nach den mathe-
matischen Hebelgesetzen und dergleichen. Indes man
würde sich einer grossen Einseitigkeit schuldig machen,
wenn man nur sie allein gelten Hesse, wie es Descartes
tatsächlich getan hat. Damals freilich war die mecha-
nische Grundanschauung als einziges Forschungsprinzip
für die Biologie in gewissem Sinne berechtigt, weil es
überhaupt noch kein anderes gab. Und so darf auch
auf diesem Gebiete der heilsame und aufklärende Einfluss.
■den unser Philosoph auf die verwirrten und zerfahrenen
wissenschaftlichen Zeitströmungen ausübte, nicht unter-
schätzt werden, mag auch immerhin heute unter der über-
wiegenden Mehrzahl der Naturforscher sich die Über-
zeugung verbreitet haben, dass es unmöglich ist, die Bio-
logie ganz und gar in Mechanik aufzulösen. So muss dem
komplizierten Bau der Zelle gegenüber, deren alleinige
Betrachtung viele Forscher zu ihrer Lebensaufgabe ge-
macht haben, die Urzeugung, wie sie Descartes konse-
quenter Weise vertritt, geradezu als Wahnsinn er-
scheinen. Es ist eben ein wesentlicher Unterschied
zwischen der eine bestimmte Struktur aufweisenden
lebenden Substanz und der mathematisch regelmässig
gestalteten Form, wie sie auch durch anorganische
Kräfte erzeugt werden kann.
Wenn wir unserem Philosophen ganz gerecht werden
wollen, dürfen wir übrigens nicht vergessen, wie hoch
er die entwicklungsgeschichtliche Forschung für die
Aufklärung der organischen Formen angeschlagen hat.
Haben wir doch selbst von ihm noch Protokolle über
Sektionen, die an mehreren Exemplaren ein und derselben
Tierart verschiedenen Alters vorgenommen worden waren,
um einen Einblick in die Entwicklung der einzelnen Or-
gane zu ermöglichen. Also ähnlich wie von der Physik,
176 Siebentes Kapitel: Naturpliilosophie.
kann aucli von der Biologie Descartes' gesagt werden,
mag er die Grundprinzipien nocli so einseitig nacli
schematiscben apriorischen Begriffen aufgestellt haben,
in der Detailforschung besass er eine bewundernswerte
Exaktheit, die ihm sehr oft über die einseitige all-
gemeine Vorstellung, die er von der zu behandelnden
Sache hatte, hinweghalf.
Achtes Kapitel.
Psychologie und Ethik.
1. Die Naturphilosophie Descartes' muss trotz ihrer
Einseitigkeiten auf jeden unbefangenen Beurteiler ge-
radezu überwältigend wirken durch ihre grandiose Ein-
heit und Einfachheit. Nach streng mechanischen Natur-
gesetzen gestaltet sich der vollkommen gleichförmige
und indifferente Stoff und bringt die unendliche Fülle
von Formen und Gestalten hervor, die in der Körper-
welt vertreten sind.
Ein anderes Bild begegnet uns, wenn wir uns der
Betrachtung des Menschen zuwenden. Herrschte in der
Natur durchgängige Einheit und Harmonie, so tritt uns
hier der schroffste Dualismus entgegen. Die beiden
Substanzen, Geist und Körper, die wir bis jetzt gesondert
betrachtet haben, im Menschen müssen sie notwendiger
Weise in Verbindung treten, müssen sie trotz ihres
zwiespältigen Charakters eine innige Gemeinschaft pflegen.
Eine ausserordentlich schwere Aufgabe harrt hier
ihrer Erfüllung. Die tatsächliche greifbare Existenz
des Körpers lässt sich nicht in Abrede stellen. Er ist
kein Phänomen wie bei Berkeley. Wie ist es nun mög-
lich, dass der Geist, unteilbar, unkörperlich wie er ist,
auf ihn einwirkt. Zunächst meint Descartes, müssen
wir die gegenseitige Wechselwirkung zwischen Geist
und Körper einfach zugeben. Unser Gefühl, unsere
elementarsten Lebenserfahrungen sagen es uns (A. III,
Hoff mann, Descartes.
12
178 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
691 — 92). Hier stellen wir gewissermassen vor einem
Wunder, wir können es nicht ableugnen, können es aber
auch nicht mit unserem Verstände rational erfassen.
Wir haben es schon früher gesehen, unser Erkenntnis-
vermögen ist zu begrenzt, kann nicht alles durchschauen ,
an diesem Punkte stossen wir wieder einmal auf eine
Schranke, die ihm gesetzt ist.
Also an der unbegreiflichen Tatsache selbst lässt
sich nicht rütteln, Geist und Körper stehen nun einmal
in einer innigen Gemeinschaft miteinander. Alles was
der Philosoph noch vermag, besteht darin, den wunder-
baren Eindruck etwas abzuschwächen, gleichsam die
bittere Pille, die unsere Vernunft einzunehmen genötigt
ist, ein bisschen zu versüssen. Es muss darauf hinge-
arbeitet werden, dass der Verkehr zwischen beiden
Substanzen auf einem möglichst geringen Flächenraum
stattfindet, dass dabei keinerlei störende Übergriffe in
das Nachbargebiet stattfinden.
2. Um zu verstehen, wie dies erreicht wird, müssen
wir noch einiges über die Funktionen des Körpers und
ihr Ineinandergreifen vorausschicken. Wir wissen, dass
alle Wärme und Bewegung in dem Körper von ihm selbst
erzeugt wird, die Seele hat damit gar nichts zu tun.
Man hatte früher das Gegenteil geglaubt, die Seele sei
gleichsam das belebende Prinzip des Körpers. Man sah
nämlich, dass die Leichname keine Wärme und keine Be-
wegung mehr in sich haben, und meinte, dies aus der Ab-
wesenheit der Seele ableiten zu müssen. Das ist aber nicht
wahr, nicht die Seele trägt Schuld an dem Tode, sondern
ein unbrauchbar gewordenes Organ des Körpers. Der Kör-
per eines lebendigen Menschen unterscheidet sich von dem
eines toten, wie eine intakte, im Betriebe befindliche Ma-
schine sich von einer zerbrochenen unterscheidet. Nicht
weil die Seele den Körper verlässt, wird aus demselben
ein toter Leichnam, aus dem alle Wärme und Bewegung
Der menschl. Körper. Über den Sitz d. Seele in d. Zirbeldrüse. 179
entweicht, sondern umgekehrt, weil der Körper in sich
zerfällt, verlässt ihn auch die Seele.
Sehen wir es doch an den Tieren, wie der Körper
allein im stände ist, das in ihm pulsierende Leben %u
erhalten. Nächst dem Blute, das den ganzen Körper
durchströmt, haben die sogenannten „Lebensgeister"
die wichtigste Bedeutung für den Organismus. Es sind
dies nach Descartes die beweglichsten und feinsten Teile
des von der Herzwärme verdünnten Blutes, die in grossen
Mengen nach den Höhlungen des Gehirns dringen. Denn
nur sie allein können dort hingelangen, die gröberen
Teile verbreiten sich in die anderen Organe des Körpers.
Sie sind so fein und so beweglich, dass sie an keinem
Orte des Gehirns verweilen. So wie einige Teilchen in
die Gehirnhöhlen eingetreten sind, treten andere durch
die Poren der Gehirnsubstanz wieder aus, gelangen von
dort in die Nerven und Muskeln und setzen den Körper
auf alle mögliche Art in Bewegung.
Alle Bewegung der Glieder beruht, wie unser Phi-
losoph richtig erkennt, auf der gleichzeitigen Verkürzung
der einen Muskelgruppe und der Verlängerung der ent-
gegengesetzten. Wie wird nun dieser mechanische Pro-
zess ermöglicht? In allen Muskeln sind eine Menge von
Lebensgeistern vorhanden, die sich in einer Art labilem
Geichgewicht befinden. Strömen nun vom Gehirn noch
neue hinzu, so können sie trotz ihrer geringen Anzahl
eine grosse Veränderung in den Muskeln hervorrufen
und es bewirken, dass der gesamte Schwärm, der bereits
vorhandenen Lebensgeister den einen Muskel verlässt
und in den anderen eintritt. Alle diese Vorgänge können
ohne jede Mitwirkung der Seele stattfinden. Gesetzt
z. B. einer unserer Sinne wird durch einen äusseren
Eindruck erregt. Sofort pflanzt sich dieser Reiz nach
dem Gehirn fort. Im Gehirn werden dann durch die
veränderte Bewegung der Lebensgeister einzelne Poren
mehr als gewöhnlich geöffnet oder geschlossen, dieser
ISO Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
Vorgang wirkt weiter auf die Lebensgeister, treibt
sie z. B. in die Muskel, wodurch, wie wir vorhin ge-
sehen haben, die Glieder in Bewegung geraten.
Kann die Bewegung der Glieder beim Menschen,
wie bald gezeigt werden wird, auch durch die Seele
veranlasst werden, so hängen dagegen alle unwillkür-
lichen Bewegungen, wie z. B. Atmen, Essen etc., auch
bei ihm, genau so wie beim Tiere, vorzugsweise von der
Gestaltung der Organe und dem Lauf der Lebensgeister ab.
3. AVir wissen aber auch, dass die Seele die Be-
wegungen des Körpers beeinflusst und wollen jetzt
dieser Erscheinung eine nähere Untersuchung widmen.
Die Seele bildet mit dem ganzen Körper eine innige
Gemeinschaft, und man kann im strengsten Sinne des
Wortes nicht sagen, dass sie nur in einem bestimmten
Teil desselben wohnt. Hat doch die Seele von Natur keinen
Anteil an der Ausdehnung, weil sie unkörperlich ist.
Andererseits sehen wir uns durch gewichtige Gründe
zu der Annahme genötigt, dass die Seele in einem be-
stimmten Teile des Körpers vorzugsweise sich aufhält,
wo sie gleichsam unmittelbar ihre Wirkungen ausüben
kann. Es ist dies eine in der Mitte des Gehirns be-
findliche kleine Eichel, die unter dem Namen Zirbel-
drüse bekannt ist. Sie ist nach Descartes so aufgehängt,
dass sie durch alle im Gehirn stattfindenden Vibrationen
der Lebensgeister, selbst durch die feinsten, beeinflusst
wird, und dass umgekehrt ihre geringsten Bewegungen
eine Änderung in dem Lauf der Lebensgeister hervor-
zubringen im stände sind.
An diesem Ort muss die Seele ihre besondere Wirk-
samkeit ausüben. Denn da wir von einem Gegenstande
zu einer bestimmten Zeit nur eine einzige Vorstellung
erlangen, so muss es einen Ort geben, wo die doppelten
Bilder der Augen — ebenso die doppelten Klänge — sich
zu einem summieren können, ehe sie in die Seele gelangen.
Einwirkung der Seele auf den Körper. Über ihr Wesen. 181
Die Eichel ist aber das einzige unpaarige Organ, wo
diese Vereinigung stattfinden kann. Ausserdem besitzt
sie den geeignetsten Standort, da sie sich in der Mitte
des Gehirns befindet, wo sie am leichtesten auf die
Lebensgeister einzuwirken vermag.
Somit haben wir in der Zirbeldrüse den eigentlichen
gleichsam neutralen Ort, wo Seele und Leib aufeinander
wirken können, gefunden. Die Seele vermag die Rich-
tung, in der sich diese Drüse bewegt, abzuändern, durch
diese Richtungsänderung werden Änderungen in den
Bewegungen der Lebensgeister hervorgerufen. Hierdurch
wird wiederum ein Teil der Lebensgeister veranlasst,
durch die Nervenröhrchen nach den Organen des Körpers
zu strömen und dort Bewegungen hervorzurufen, genau
so, wie wir es früher beschrieben haben. Nur richtungs-
ändernd darf die Seele auf die Bewegungen des Körpers
einwirken, sonst würde ja das Gesetz von der Erhaltung
der Bewegung verletzt werden. Das Tier besitzt auch
diese Eichel zur Regulierung seiner Bewegungen, nur
sind es bei ihm lediglich materielle Reize, die auf seinen
Körper einwirken.
Diese eigentümliche Erklärung der Wechselwirkung
zwischen Geist und Körper hat nicht nur den lebhaftesten
Widerspruch hervorgerufen, sie ist sogar von mancher
Seite aus direkt lächerlich gemacht worden. Eins
müssen wir aber dabei bedenken, nachdem einmal unser
Philosoph die Realität zweier Substanzen mit ganz
entgegengesetzten Attributen angenommen hatte, war es
nur konsequent von ihm gehandelt, wenn er ihre gegen-
seitige Einwirkung auf einander möglichst verständlich
zu machen suchte. Da wir das Wesen des Kiirpers
und des Geistes mit vollkommener Deutlichkeit erkennen,
muss es doch möglich sein, den Punkt, in dem beide
auf einander wirken, gleichsam mit Händen zu greifen.
Diese Motive waren es, die Descartes zur Aufstellung
seiner seltsamen Hypothese veranlasst hatten.
182 Achtes Kapitel : Psychologie und Ethik.
4. Das Verhältnis zwischen Körper nnd Geist ist
im vorhergehenden genügend klar gelegt worden. Wir
können deshalb jetzt an das Studium der eigentlichen
Seelenfunktionen herangehen. Das menschliche Bewusst-
sein ist nicht denkbar ohne einen bestimmten Inhalt.
Gesetzt, die Seele würde einen Augenblick ihre Funk-
tionen einstellen, sie würde für einen Moment aufhören
zu fühlen, zu wollen, oder zu denken , dann wäre sie
von diesem Augenblick an überhaupt nicht mehr vor-
handen. Es ist ihr tatsächlich unmöglich, dies zu stände
zu bringen. Der Geist ist immer tätig, mögen auch oft
nur ganz dumpfe sinnliche Vorstellungen seinen augen-
blicklichen Inhalt bilden. Wenn wir auf Grund von
Ohnmachtsfällen, von Beobachtungen an Kindern etc.
den Schluss ziehen, dass die Seele wirklich manchmal
ganz ohne jeden Inhalt sei, so beruht das auf einer
Täuschung. Wir berücksichtigen nicht, dass in solchen
Fällen das Gedächtnis versagt, beziehungsweise über-
haupt nicht vorhanden ist (C. II, 75). So ist es kein
Wunder, wenn wir später glauben, die Seele hätte gar
nichts empfunden. Mag auch dieses Argument uns nicht
überzeugend genug erscheinen, so genügt es doch, um
Descartes' Anschauung in ein richtiges Licht zu setzen
und sie von dem Vorwurf der Paradoxie zu befreien.
Angesichts der Tatsache, dass man in der modernen
Psychologie den Begriff des Unbewussten so gerne als
Erklärungsgrund für eine ganze Reihe von Phänomenen
des Seelenlebens benutzt, dürfte es wohl angebracht
sein, hier bei der Polemik unseres Philosophen zu erinnern,
dass diesem Begriffe sich auch mancherlei Schwierig-
keiten entgegenstellen.
Die Seele ist ein vollkommen einheitliches Organ,
verschiedene selbständige Seelenvermögen höherer und
niederer Art anzunehmen, wie es Aristoteles und die
scholastische Philosophie getan haben, ist grundverkehrt.
Das schliesst nicht aus, dass wir ihre Art und Weise
über die verschiedenen seelischen Eigenscliaften. 183
sich zu äussern unter verschiedenen Gesichtspunkten
betrachten können, wenn wir uns nur immer dabei be-
wusst bleiben, dass es im Grunde genommen ein und
dieselbe Kraft ist, mit der wir es zu tun haben.
Dies vorausgesetzt, können wir zunächst aktive und
passive Tätigkeiten in der Seele unterscheiden.
Zu den ersteren gehört das Wollen. Und in der
Tat fühlen wir, dass das Wollen allein aus der Seele
kommt und nur von ihr abhängig ist. Es zerfällt in
zwei Arten. Die eine Art endigt gleichsam in der
Seele selbst, z. B. wenn wir Gott lieben, oder unsere
Gedanken auf irgend einen Gegenstand richten wollen.
Die andere Willensäusserung bezweckt eine Einwirkung
auf unseren Körper, Wir wollen etwa spazieren gehen,
dann müssen wir unsere Füsse in Bewegung setzen und
auftreten. Da Descartes fest überzeugt ist von der
absoluten Freiheit des menschlichen Willens, so hat er
sicherlich ein Recht dazu, ihm auch eine bevorzugte
Stellung den anderen Seelenvermögen gegenüber zu ge-
währen. Alle andern Tätigkeiten, mögen sie sich nun
auf das Empfinden oder auf das Denken beziehen, können,
unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, als ein Leiden
bezeichnet werden. Gedanken, Empfindungen und Ge-
fühle wogen in der Seele des Menschen gleichsam auf
und nieder, ohne dass sie erst des Willens zu ihrer Er-
zeugung bedürfen.
Indessen im engeren Sinne kann man auch unter
den eben genannten eine Teilung in aktive und passive
Seelenäusserungen vornehmen. Wenn ich einen rein
geistigen Gegenstand vorstelle, z. B. mein eigenes inneres
Selbst einer zergliedernden Betrachtung unterwerfe, so
hängt diese Vorstellung hauptsächlich von meinem Willen
ab, ich fühle mich dabei vollkommen selbsttätig. So
nehmen wir uns das Recht, auch eine derartige Seelen-
tätigkeit als aktiv zu bezeichnen. Dasselbe gilt von
den freien Schöpfungen meiner Phantasie, den Vor-
184 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
Stellungen von einem verzauberten Palast, von einer
Sphinx und dergleiclien. Habe icli sie doch nicht passiv
jetzt oder früher einmal aus der Sinnenwelt empfangen.
Anders verhält es sich bei den sinnlichen Gedächt-
nisbildern, die ich in meinem Geiste erzeugen kann,
den sogenannten „bildlichen Vorstellungen". Sie sind
weiter nichts als Auffrischungen von früheren Sinnes-
eindrücken. Sie entstehen nach Descartes, wenn die
Lebensgeister verschiedenartig bewegt werden und dann
auf die alten Spuren von früheren Gehirneindrücken
treffen. So stellen sie gleichsam einen Schatten oder
ein Abbild der ursprünglichen Sinneseindrücke dar.
Ferner sind selbstverständlich zu den passiven Vor-
stellungen zu rechnen alle sinnliche Empfindungen. Be-
ziehen sich die letzteren auf unsern Körper, wie z. B.
Hunger und Durst, Kälte und Wärme, so stellen sie
gewissermassen passive Vorstellungen der reinsten Form
dar. Was dagegen die Vorstellungen äusserer Gegen-
stände betrifft, so ist an ihrer Erzeugung, wie wir ja
von früher her wissen, auch der Verstand beteiligt.
Trotzdem gehören sie natürlich auch zu den passiven
Empfindungen.
5. Eine besondere Gruppe unter den leidenden
Zuständen der Seele nehmen die Gemütsbewegungen ein,
die Gefühle und die Leidenschaften. Schon dadurch
sind sie von allen andern im engeren Sinne passiven
Vorstellungen unterschieden, dass sie sich auf die Seele
selbst beziehen, während ja die andern, wie wir ge-
sehen haben, sich entweder auf den Körper oder auf
andere äussere Objekte erstrecken. Es hat eine ganz
eigentümliche Bewandtnis mit dieser Gruppe seelischer
Erscheinungen. Wollen wir sie definieren, so können wir
etwa sagen, sie sind Vorstellungen, oder Empfindungen,
oder vielleicht noch besser gesagt, Afiektionen der Seele,
die sich nur auf sie selbst beziehen, die aber von den
Die Gefühle und Affekte. 185
andern Vorstellungen und Empfindungen sich dadurch
unterscheiden, dass sie unzertrennlich verknüpft sind
mit gewissen heftigen körperlichen Erregungen, sie
werden, wie Descartes sich ausdrückt, bewirkt, unter-
halten und verstärkt durch gewisse Bewegungen der
Lebensgeister.
So stehen sie gleichsam in der Mitte zwischen den
rein gedanklichen Vorstellungen und den sinnlichen Emp-
findungen und können deswegen keiner von beiden
Gruppen vollständig zugerechnet werden, ohne dadurch
in ihrem Wesen verkürzt zu werden.
Es liegt in dieser Betonung des selbständigen Cha-
rakters, der den Gefühlen und Affekten tatsächlich inne
wohnt, unleugbar ein ausserordentliches Verdienst unseres
Philosophen. "Wenn der moderne Mensch als eine der
vornehmsten Errungenschaften der Neuzeit die Aner-
kennung des Gefühls als eines selbständigen Moments im
Seelenleben ansieht, so möge er doch nicht vergessen,
wie viel er Descartes in dieser Beziehung zu verdanken
hat, einem Denker, unter dem sich mancher Laie ge-
radezu den Vertreter einer der extremsten intellektua-
listischen Weltanschauungen vorzustellen pflegt.
6. Es gibt nach Descartes sechs ursprüngliche
Affekte, nämlich die Verwunderung, die Liebe, den Hass,
das Begehren, die Freude und die Traurigkeit. Alle
andern sind nur besondere Abarten oder Verbindungen
dieser eben genannten.
Das Verwundern entsteht durch eine plötzliche
Überraschung der Seele. Es erscheinen vor ihr seltene
und ausserordentliche Ereignisse, die ihre besondere
Aufmerksamkeit hervorrufen. Dieser Affekt gehört
gleichsam zu den neutralen Leidenschaften. Wer sich
über eine Sache wundert, der hat zunächst nur die Ab-
sicht, dieselbe kennen zu lernen. Dieses Gefühl ist
vollkommen frei von allen Regungen sympathischer oder
186 Achtes Kapitel : Psychologie und Ethik.
antipatliischer Natur. Dem entspricht aucli das Ausbleiben
jeder allzu heftigen körperlichen Begleiterscheinung.
Nur die ganz dummen und stumpfsinnigen Menschen
sind zum Verwundern von Natur aus nicht geneigt.
Andererseits werden die Geistvollen diese Eigenschaft
nie in übermässig hohem Grade besitzen. Ein gewisses
Mass ist aber immer notwendig, wenn ein Erlernen und
Festhalten der Dinge möglich sein soll.
In einem gewissen Gegensatz zu der Verwunderung
stehen Liebe und Hass. Ist man doch bei diesen Affekten
auch an der Existenz der Gegenstände, auf die sie sich
beziehen, interessiert. Der Grad der Liebe kann stärker
oder schwächer sein je nach dem Interesse, das man
für den geliebten Gegenstand im Vergleich mit sich
selbst hat. Achtet man den geliebten Gegenstand weniger
als sich, so hat man nur eine gewisse Zuneigung zu
ihm, achtet man ihn ebenso wie sich selbst, so entsteht
das Gefühl der Freundschaft, wächst der Affekt noch
stärker an, so wird er Hingebung genannt. So kann
eine schöne Blume in uns das Gefühl der Zuneigung
erregen, Freundschaft dagegen können wir erst für
einen Menschen empfinden, Hingebung fühlt man für
das Vaterland, für den Monarchen, zuweilen auch für
einen einfachen Menschen, wenn wir ihn höher schätzen
als uns selbst.
Von dem Hass gibt es nach Descartes nicht so viele
und so mannigfaltige Abarten wie von der Liebe. Er
glaubt es aus der Natur dieses Affektes erklären zu
können. Der Hass treibt die Seele zu dem Verlangen,
sich von den für schädlich gehaltenen Gegenständen zu
trennen. Nun achte man aber weniger auf die Unter-
schiede der Übel, von denen man sich trennen, als auf
die der geliebten Gegenstände, mit denen man sich ver-
binden will.
Die Leidenschaft des Begehrens hat es, im Gegen-
satz zu den eben besprochenen Gemütsbewegungen, mit
Die körperlichen Begleiterscheinungen der Affekte. 187
Ereignissen zu tun, die erst in der Zukunft stattfinden.
Dabei kann kein wesentlicher Unterschied gemacht
werden zwischen dem positiven Verlangen nach einem
Gut und dem Ausweichen vor einem bevorstehenden
Übel. Xur das eine ist bemerkenswert, dass diese
Leidenschaft im ersteren Falle von Liebe, Hoffnung und
Freude begleitet ist, im zweiten Falle dagegen von Hass,
Furcht und Traurigkeit. Das ist der Grund, weswegen
man irriger Weise von zwei verschiedenen Affekten
sprechen zu können glaubt.
Wir kommen nun zu den beiden letzten, wiederum,
wie Liebe und Hass in einem gegensätzlichen Verhältnis
zu einander stehenden Leidenschaften, nämlich zu den
Gefühlen der Freude und der Trauer. „Die Betrachtung
eines gegenwärtigen Gutes", heisst es bei Descartes,
„erweckt in uns das Gefühl der Freude, dagegen die
eines gegenwärtigen Übels das Gefühl der Traurigkeit,
wenn das Gut oder das Übel als unser eigenes vorge-
stellt wird''.
7. Unser Philosoph begnügt sich keineswegs mit
der Erörterung dieser sechs primitiven Leidenschaften
und ihrer verschiedenen Abarten, er bemüht sich auch,
uns in eingehender Weise über ihre physiologischen Be-
gleiterscheinungen Rechenschaft zu geben. Freilich kommt
er dabei vielfach mit unseren heutigen Anschauungen
in Konflikt. Spielen doch in seinen Erklärungen die
Lebensgeister und allerhand andere heute längst als
unhaltbar verworfene Hypothesen eine wichtige Rolle.
Andererseits mag er wohl in seinen Bemerkungen über
den Einfluss der Leidenschaften auf die Blutzirkulation
in den verschiedenen Organen vielfach das Richtige er-
kannt haben. Treffende Bemerkungen hat er unter
anderm darüber gemacht, welche Eindrücke die Ge-
mütsbewegungen in dem menschlichen Gesichte hinter-
lassen, wie sie an den Bewegungen der Augen, der Nase,.
188 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
der Lippen, ferner am Stirnrunzeln und endlicli am
"Wechsel der Gesiclitsfarbe zu erkennen sind. Liegen
auch viele von den mitgeteilten Tatsachen unmittelbar
auf der Hand, wie es ja in einer systematischen Ab-
handlung der gesamten Affekte ganz natürlich ist, so
findet sich doch andererseits eine ganze Reihe unter
ihnen, die dem oberflächlichen Blicke meistens zu ent-
gehen pflegen. Sie zeigen, dass unser Philosoph im Ver-
kehr mit andern Menschen ein scharfes Beobachtungs-
talent entwickelt und seine vielen Reisen nicht umsonst
gemacht hat.
8. Welche Bedeutung haben nun die Leidenschaften
für das menschliche Leben? Wir wissen es, sie können,
je nach ihrer verschiedenen Einwirkung auf den Men-
schen, ihm das Dasein zum Himmel oder zur Hölle
machen. Ohne alle Leidenschaften wäre das Leben
ein ödes, langweiliges, trostloses Einerlei. Es zeugt
von einer düsteren, durchaus verkehrten Weltanschauung,
wenn man die Menschen dazu anhalten will, alle ihre
natürlichen Triebe zu ersticken. Nichts liegt unserem
Philosophen, wie er wiederholt in seinen Briefen ver-
sichert, ferner, als eine derartige asketische Denkungs-
weise zu empfehlen. Ln Gegenteil der wahrhafte Weise
wird die Annehmlichkeiten und Vorteile, die wir durch
die Leidenschaften erlangen können, wohl zu schätzen
wissen.
Wenn wir aber aus den Leidenschaften einen wirk-
lichen Nutzen für unser Leben ziehen wollen, so gilt
es zunächst die Mittel zu überlegen, durch die wir sie
beherrschen können. Denn solange wir noch nicht fähig
sind, sie im Zaum zu halten, bringen sie uns weit mehr
Gefahren und Unannehmlichkeiten als Glück. Sind wir
einmal von einer Gemütsbewegung voll und ganz er-
griffen, so ist es gar nicht so leicht, dieselbe aus unserer
Seele wieder zu verdrängen. So genügt zur Beseitigung
über die Zügelung der Affekte. Ethik. 18(>
des Angstgefühles vor einem Feinde der blosse Wille
keineswegs. Man nuiss vielmehr die Aufmerksamkeit
auf die Gründe richten, welche zeigen, dass die Gefahr
nicht gross ist, dass die Verteidigung viel eher anzu-
raten ist als die Flucht, dass der Sieg Ruhm und
Freude, die Flucht dagegen nur Arger und Schande
bringen wird. Indessen selbst durch diese Überlegangen
wird das Gefühl der Furcht in uns noch nicht ganz
beseitigt. Dazu ist die Gemütserschütterung viel zu
heftig. Was der Verstand zunächst nur erreichen kann,
ist, dass er den Willen dazu veranlasst, die körper-
lichen Bewegungen, die der Affekt zur Folge hat, also
in diesem Falle, die Bewegung der Füsse zur Flucht,
zu unterlassen. Das Angstgefühl selbst schwindet erst
nach und nach.
Indessen ist das ja immerhin schon viel, haben wir
doch in dieser Weise die schädlichen Folgen der Leiden-
schaft verhütet. Freilich werden eine derartige Wirkung
nur die wirklich starken Seelen erzielen können, die sich von
ihren Gefühlen nicht hinreissen lassen, sondern sie durch
ihren vom Verstände geregelten Willen zu bändigen
wissen. Die schwachen Seelen dagegen können sich
solcher Siege über ihre Affekte nicht rühmen. Willenlos
sind sie ihren Leidenschaften preisgegeben, den guten
sowohl wie den schlechten. Was in ihrer Seele den
Affekt niederzwingt, das ist nicht der vernünftige Wille,
das kann nur geschehen durch einen anderen stärkeren
Affekt, der den früheren beseitigt, um nun seinerseits
die Herrschalt über den Geist auszuüben.
Ist nun diese Fähigkeit, die es ermöglicht die Leiden-
schaften in Zaum zu halten, ausschliesslich Sache der
Veranlagung? Keineswegs. Es ist vielmehr eine Cha-
raktereigenschaft, die sich durch Übung jedermann
aneignen kann. Selbst die schwächsten Seelen können
Herr über ihre Affekte werden, wenn sie sich ent-
schliessen, ihren Willen durch feste und bestimmte Grund-
190 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
Sätze zu lenken. Dann werden sie fast unumscliränkte
Gewalt über ihre Leidenscliaften bekommen. Vermöge
ihres freien und in dieser Weise gestählten Willens
sind sie im stände, nach Belieben über sie zu verfügen.
Die bösen Leidenschaften werden sie in der oben ge-
schilderten Weise unschädlich zu machen suchen. Ist
dies einige Male gelungen, so kostet es schliesslich
immer weniger Mühe, ihr abermaliges Emporkommen
zu verhindern. Den harmlosen und guten Leiden-
schaften dagegen können sie sich ruhig bis zu einem
gewissen Grrade hingeben und freudig die Annehmlich-
keiten, die sie ihnen bereiten, gemessen.
9. Durch diese Betrachtungen sind wir gleichsam
unmerklich aus dem Gebiete der Psychologie in das der
Ethik gelangt. Tatsächlich gibt es auch keine feste
Grenze zwischen ihnen. Das Studium der seelischen
Funktionen, die Betrachtung der Leidenschaften und die
Erforschung ihrer Bedeutung für das menschliche Leben,
alle diese Erkenntnisse bergen schon im Keime die
Normen in sich, die für unser praktisches Leben mass-
gebend sind. Wie es für den wahrhaft tüchtigen Arzt
viel wichtiger sein muss, die Gesundheit des mensch-
lichen Körpers zu kräftigen, damit er von vornherein
Krankheiten weniger leicht ausgesetzt ist, oder damit,
im Falle sie nicht zu vermeiden sind, wenigstens der
Organismus nicht so heftig von ihnen angegriffen wird,
so hat auch derjenige, welcher die menschliche Seele
vor Schaden bewahren will, zu verfahren.
Wir wissen es, unser Philosoph ist Idealist. Er
wird es nie billigen, wenn im praktischen Leben die
Tugend hinten angesetzt wird. Andererseits sollen wir
aber durch die Erziehung unseres Willens dafür sorgen,
dass die Konflikte zwischen unserem sittlichen Gefühl
und unseren unmoralischen Trieben möglichst verringert
werden. Wer ernstlich o-ewillt ist. sein Leben nach
über das Wesen der Ethik. Religion. 101
vernünftigen Grundsätzen einzurichten, der wird sehen,
dass man tugendhaft sein kann, ohne deswegen die
Glückseligkeit zu entbehren. Die Stoiker sowohl wie
die Epikureer huldigen extremen Anschauungen, die
unser Philosoph nicht billigen kann. „Die Tugend er-
scheint einem nicht so begehrenswert, wenn man sie allein
sieht und wiederum kann Glückseligkeit uns nicht zuteil
werden, wenn wir nicht tugendhaft sind" (A. IV, 27(5).
Zweierlei ist für den Menschen notwendig, damit
er wahrhaft glückselig werde. Zunächst Güter , die
ganz und gar von ihm abhängen, nämlich Tugend und
Weisheit. Ausserdem bedarf es freilich noch ein ge-
wisses Mass von äusseren Gütern. Doch braucht dies
keineswegs gross zu sein. Der Weise besitzt in sich
innere Kraft genug, um auch mit wenigem zufrieden zu
sein. So wird er sicherer als die anderen Menschen
zum Genuss der Glückseligkeit gelangen. Denn was
diese für gewöhnlich um den Genuss ihres Daseins
bringt, die Jagd nach Gütern, die ihnen versagt sind,
das liegt ihm vollkommen fern. Ganz und gar durch-
drungen von dem Bewusstsein, dass seine Macht sich
nicht weiter erstreckt, als seine Gedanken reichen, durch-
schaut er die Zwecklosigkeit und Torheit derartiger
Wünsche.
Diese schlichten ethischen Anschauungen, wie sie
unser Philosoph vertritt, müssen auf jeden unbefangenen
Menschen einen ausserordentlich sympathischen Ein-
druck machen. Spricht doch aus ihnen der Geist wirk-
licher Humanität und Menschenliebe , der am erfolg-
reichsten das bessere Selbst im Menschen wachzurufen
und läuternd auf sein sittliches Empfinden einzuwirken
vermag.
10. Übrigens missverstehe man die Anschauungs-
weise Descartes' nicht dahin, dass man in ihr einen
übertriebenen Optimismus zu erkennen glaubt. Tugend
192 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
und Glückseligkeit, das weiss er wohl, finden sich in
diesem Leben nickt immer in dem Masse zusammen, wie
es unser Gerechtigkeitsgefühl erfordert. Aber im Jen-
seits findet nach seiner Überzeugung der volle Ausgleich
statt. Uns sind Genüsse und Freuden bestimmt, die
viel grösser sind, als diejenigen, die uns in dieser
Welt zuteil werden, vorausgesetzt, dass wir uns nicht
durch Schlechtigkeiten ihrer unwÜTdig machen (A.
in, 579).
So führt uns die Moral zur Religion. Die vorhin
postulierte Unsterblichkeit ist uns verbürgt. Ist doch
unsere wahre Persönlichkeit ein unkörperliches, einheit-
liches Wesen, eine reine Substanz, die unvergänglich ist.
Nur Gott könnte sie vernichten, das ist aber bei der
allumfassenden Güte des höchsten Wesens ausgeschlossen.
Gott erhält uns nicht nur in unserem Sein, er wirkt
auch ein auf unser ganzes Tun und Lassen. Ja er vermag
sogar trotz unserer Willensfreiheit unser zukünftiges
Schicksal vorauszusehen. Das Wunderbare, das hierin
liegt, kann der menschliche Verstand freilich nicht ent-
rätseln. Aber das braucht uns nicht zu bekümmern.
Wir wissen es, dass es Gott mit uns gut meint und nur
für unser Bestes besorgt ist. Diese Überzeugung von
dem warmen und innigen Anteil, den das allerhöchste
Wesen an unserem Geschick nimmt, wird uns nicht nur
mit Dankbarkeit ihm gegenüber erfüllen, sie wird auch das
Gefühl einer ausserordentlichen unsagbar grossen Liebe
zu ihm in uns wachrufen, ein Gefühl, das so mächtig
zum Ausdruck gelangen kann, dass ihm sogar nichts
von der sinnlichen Lebhaftigkeit und Glut, mit der die
Liebe zu einem irdischen Geschöpf verknüpft ist, zu
fehlen braucht (A. IV, 608—9).
Seine moralischen und religiösen Anschauungen hat
Descartes, wie wir sehen, nicht in streng methodischer
Weise aus seinen allgemeinen metaphysischen Prin-
zipien abgeleitet. Es ist vornehmlich die so stark her-
Religion. Schlussbetrachtung. 193
vortretende idealistisclie Stimmung, die auf den inneren
Zusammenhang zwischen seiner theoretischen und prak-
tischen Philosophie hinweist. Dafür spiegelt die letz-
tere um so charakteristischer die Persönlichkeit Des-
cartes' wieder, die Ethik seine humane und menschen-
freundliche, jedem Rigorismus abgeneigte Gesinnung, die
Religionsphilosophie, seinen eigentümlichen Hang zum
Mystizismus,
1 1 . Wir haben im vorhergehenden versucht, dem Leser
das Wesen und die Bedeutung der Philosophie Descartes'
vor Augen zu führen. In einer Zeit der grössten phi-
losophischen Zerfahrenheit ist er es gewesen, der der
idealistischen Gedankenrichtung wiederum eine feste
Position verschafft hat. Wie er einerseits mit einer
für die damalige Zeit unerhörten Kühnheit und Vor-
urteilslosigkeit die Autonomie der menschlichen Ver-
nunft vertreten und eine vollkommene Reorganisation
der Philosophie angebahnt hat, so war er anderer-
seits weit davon entfernt, die mittelalterlichen philo-
sophischen Ideenmassen in ihrer Gesamtheit zu ver-
werfen. Was er davon brauchen konnte, was sich nach
seiner Anschauung vor dem Forum des Verstandes recht-
fertigen Hess, das hat er sich zu eigen gemacht und
mit aufgenommen in seinen philosophischen Gedankenbau.
Wir wissen es, zu seinen Lebzeiten hat Descartes
relativ wenig Anhänger gefunden. Die teils schüchternen,
teils kecken Versuche seiner Schüler in Holland, die
neue Lehre in den Universitäten zu verbreiten, wurden
von der argwöhnischen Geistlichkeit mehr oder weniger
unterdrückt. Noch geringer war sein Einfluss in Frank-
reich, mochte sich auch in den letzten Lebensjahren
unseres Philosophen ein ganzer Kreis von Gebildeten
für den holländischen Einsiedler interessieren, eine voll-
kommene V/ürdigung seiner Verdienste hat er von ihnen
nicht erfahren.
Hoffmanu, Descartes. 1"
194 Achtes Kapitel: Psychologie und Ethik.
Nach seinem Tode verbreiteten sich freilich seine
philosophischen Ideen in weitere Kreise. Wir wissen
es, es gab Zeiten, in denen seine Naturphilosophie
geradezu Mode war, in denen es zum guten Ton ge-
hörte, dass sich sogar die gebildeten Frauen mit ihr
beschäftigten. Indes einen wahrhaft tiefen und nach-
haltigen Einfluss hat Descartes stets nur auf einzelne
hervorragende Köpfe ausgeübt. Aber gerade darin zeigt
sich die eminente Fruchtbarkeit seiner Philosophie. Ein
Spinoza, ein Leibniz, ein Kant, sie alle konnten nicht
umhin, sich mit ihm auseinanderzusetzen, sie alle haben
teils bewusst teils unbewusst eine Fülle von bedeutungs-
vollen Anregungen von ihm erhalten. In diesem Sinne
wird Descartes mit vollem Recht von jedem objektiven
und unbefangenen Historiker als der Vater der modernen
Philosophie bezeichnet.
-^!-*l'
(r% Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, iro
Frommanns Klassiker der Philosophie.
Herausgegeben von
Prof. Dr. Richard Falckenberg in Erlangen.
Strassburger Post: Auch wir mochten diese Sammlung von Monographien dem
deutschen Publikum aufs wärmste empfehlen, ja, wir nehmen keinen Anstand, diese klar
geschriebenen Einführungen in das Reich der Denkerfürsten als den Grundstock jeder
gediegenen Privatbibliothek zu bezeichnen. Dazu eignen sich die Monographien, neben-
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246 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
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siedlung nach London. — 4. Der Mensch und die Natur. — 5. Leben in London
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gegenwärtige Zeitalter. — 8. Das Ende.
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Erlanoen. Erster Teil: Das Leben und die Entstehung der
Schriften nach den Briefen. Mit Lotzes Bildnis. 206 S.
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boten. Der Verfasser hat Recht daran getan, Lotze selbst überall das Wort zu
geben. Denn nur Lotzes Eigenart selbst vermag das still verlaufene Qelehrten-
leben mit dem intimen Reiz ausgeprägter Individualität darzustellen. (Akadem.
Blätter, Berlin.)
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Dr. Edmund König in Sondershausen. Mit Wundts Bildnis.
2. Aufl. 229 S. ■ Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
I. Wundts philosophische Stellung im allgemeinen. — II. Wundts wissenschaft-
licher Entwickelungsgang. — 111. Die Theorie des Erkennens. — IV. Die Prin-
zipien der Naturwissenschaft. — V. Die Prinzipien der Psychologie. — VI. Die
Ergebnisse der Psychologie. VII. Die Prinzipien der Geisteswissenschaften.
— VIII. Die Metaphysik. — IX. Die Ethik.
XIV. J. Stuart Mill. Sein Leben und Lebenswerk. Von Dr.
S. Saenger in Berlin. Mit Mills Bildnis. 212 S. Brosch. M. 2,—.
Geb. M. 2.50.
I. Einleitung. ~ IL Leben und Lebenswerk. ~ 111. Mills System der deduktiven
und induktiven Logik. — IV. Zur Logik der Geisteswissenschaften. — V. Mills
Phänomenalismus. VI. Praktische Philosophie. — F.wigkeitsbetrachtungen.
XV. Goethe als Denker. Von Prof. Dr. Herm. Siebeck in Giessen.
2. Aufl. 247 S. Brosch. M. 2.50. Geb. M. 3.—.
I. Einleitendes. Die Erkenntnis. — IL Die Natur. — III. Gott und Welt. Religion.
- IV. Ethik und Lebensanschauung. — V. Schlussbetrachtungen.
c^ Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, iro
XVI. Die StOa. Von Prof. Dr. Faul Barth in Leipzig. 191 S.
Brosch. M. 2.-. Geb. M. 2.50.
1. DerjJeschichtliche Hintergrund der Stoa. - II. Die äussere Geschichte der
Stoa. — in. Die Lehre. — IV. Das Verhältnis der Stoa zu anderen Schulen.
V. Das Verhältnis der Stoa zur positiven Wissenschaft. — VI. Die Nachwirkung
der Stoa im Christentum und in der neueren Philosophie.
XVII. Ludwig Feuerbach. Von Prof. Dr. Friedrich Jodl in Wien.
Mit Feuerbachs Bildnis. 141 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
I. Ausgangspunkt der Philosophie Feuerbachs. — II. Erkenntnistheorie und
Ontologie. — III. Religionsphilosophie. — Anmerkungen und Belegstellen.
XVIII. Rene DeSCarteS. Von Dr. A. Hoffmann in Berlin. 204 S.
Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2..50.
1. Kindheit und Schule. — '2. Periode des Skeptizismus. — 3. Periode der
systematischen Wissenschaftsforschung. - 4. Grundlegung der Metaphysik. —
5. Systematische Durchbildung der .Metaphysik. — G. Allgemeine metaphysische
Grundlagen. — 7. Naturphilosophie. — 8. Psychologie und Ethik.
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ganze gebildete Publikum bestimmt, und stellt sich als Aufgabe, die Wissenschaft
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dung zu klären und zu vertiefen.
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der kritischen Ethik, loi s. Brosch. M. i.so.
I. Die notwendige Geltung des Sittengesetzes nach der kritischen Ethik. — II. Das
Verhältnis der Glückseligkeit zur Sittlichkeit. — III. Die Stellung der Persönlichkeit in
der kritischen Ethik.
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auf den realen Wissenschaften ruhenden Gotteslehre. 72 S. Brosch.M.1.20.
Wie Christus urteilen und handeln würde, wenn er heut-
zutage unter uns lebte. 88 S. Brosch. M. 1.40.
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Grundlinien einer Geschichte der Weltanschauungen. I. Band: Die
Entstehung der Weltanschauungen im griech. Altertum. 296 S.
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Brosch. M, 4.—. Geb. M. 5.—.
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coV Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, s^
Diez, Prof. Dr. Max, Schiller. 184 S. Brosch. M. 2.— . Geb.M.2.80.
I. Schiller und Goethe. — II. Schillers Werden. — 111. Schillers Jugenddichtung. —
IV. Schiller in der Vollendung.
Goethe. 180 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.80.
I. Goethes Leben und seine Zeit. — II. 111. Goethes Dichtung und sein Talent. —
IV. Goethes Weltanschauung und sein Charakter.
Julius Klaiber. Ein Lebensbild. 40 S. Brosch. M. —.60.
— — Theorie des Gefühls zur Begi-ündung der Aesthetik. 172 S.
Brosch. M. 2.70.
Dilles, Dr. phil. Ludwig, Weg zur Metaphysik als exakter
Wissenschaft. I. Teil : Subjekt und Aussenwelt. Ihr wahres Wesen
und Verhältnis. 284 S. Brosch. M. .5.—.
Döring, Direktor Dr. A., Handbuch der menschlich-natür-
lichen Sittenlehre für Eltern und Erzieher. 431 S. Brosch. M. 4.—.
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I. Der Stoff des ethischen Unterrichts. 1. Der Inhalt der sittlichen Forderung.
2. Das Zustandekommen des Sittlichen. — II. Die dem ethischen Unterrichte voran-
gehende sittliche Erziehung.
Dreyer, Max, Frauenwille. Erzählungen. 2. Aufl. 388 S. Brosch. M. 2.—.
Geb. M. 3.—.
Inhalt: Jochen Jürgens. — Geschichte einer Denkerin. — Der Hängeboden. Eine
Junggesellentragödie.
ExSUl, Psychische Kraftübertragung, enthaltend unter anderem
einen Beitrag zur Lehre von dem Unterschied der Stände 23 S.
Brosch. M. —.50.
Falckenberg, Prof. Dr. Richard, Hermann Lotze. Erster Teil;
Leben und Schriften. Mit Lotzes Bildnis. 206 S. Brosch. M. 2.—.
Geb. M. 2.50.
Fauser, Dr. med. A., Bildung und Kirche. Vom Standpunkt
des Laien aus beleuchtet. 24 S. Brosch. M. — .50.
Fechtner, Dr. Ed., John Locke, ein Bild aus den geistigen Kämpfen
Englands im 17. Jahrhundert. 310 S. Brosch. M. 5.—.
Blätter für literar. Unterhaltung: Die Biographie Fechtners über Locke
wird jeder, der sich mit diesem Denker beschäftigt hat oder beschäftigen will, sowie
jeder Gebildete mit grossem Vergnügen und Genuss lesen.
Fester, Prof. Dr. Richard, Machiavelli. 214 s. Brosch. M. 2.50
Geb. M. 3.—
Feuerbach, Ludwig, Sämtliche Werke. Neu herausg. von wiih
Bolin u. Friedr.Jodl. 10 Bände. Jeder Band: Brosch. M.4. — . Geb. M. 5. —
Erschienen sind : Bd. I, II, V, VI, VII ; die weiteren sind in Vorbereitung
Daraus Sonderdruck von Band VI:
Das Wesen des Christentums. Neu herausgeg. von WUh.
Bolin. 422 S. Brosch. M. 4.—. Geb. M. 5.—.
Finckh, Stadtpfarrer Martin, Kritik und Christentum. 2. Aufl.
234 S. Brosch. M. 1.20.
c^f Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, s^
Freudenthal, Prof. J., Spinoza, sein Leben und seine Lehre.
1. Band: Das Leben Spinozas. 364 S. Brosch. M. 6.80. Geb. M. 7.80.
Frankfurter Zeitung: Wir besassen bis jetzt überhaupt noch keine ausführ-
liche, auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhende Biographie des grossen Pantheisten
in deutscher Sprache. Um so erfreulicher ist es, dass die erste, die uns geboten
wird, von dem besten Spinozakenner in Deutschland herrührt. Durch gründliche
Studien vorbereitet, war Freudenthal in der Tat der berufene Mann zu der nun vor-
liegenden, nicht bloss für Gelehrte, sondern für die weitesten Kreise der Gebildeten
' bestimmte Darstellung.
Frommann, F. J., Das Frommannsche Haus und seine Freunde.
(Goethe und Minna Herzlieb.) Dritte durch einen Lebensabriss F. J.
Frommanns vermehrte Ausgabe. 191 8. Brosch. M. 3.—.
— — Taschenbuch für Fussreisende. P^in belehrender und un-
entbehrlicher Ratgeber auf Reisen jeder Art 5. Aufl., herausgeg. u.
ergänzt von Prof. Dr. Friedrich Batzel. 89 S. In biegsam. Einband M. 1.20.
GaUpp, Dr. Otto, Herbert Spencer. Mit Spencers Bildnis. 2. Aufl.
186 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
Gerok, Stadtpfarrer G., Unsere Gebildeten und die Kirche.
Ein Versuch zur Verständigung. 30 S. Brosch. M. — .50.
Gobineau, Graf, Versuch über die Ungleichheit der Menschen-
rassen. Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. Ludwig Scheinann. 2. Aufl.
4 Bände. 1576 S. Brosch. M. 17.—. Geb. M 21.—.
Band I. 326 S. Brosch. M. 3.50. Geb. M. 4.50.
IL 388 S. Brosch. M. 4.20. Geb. M. 5.20.
„ III. 440 S. Brosch. M 4.80. Geb. M. 5.80.
„ IV 42:i S. Brosch. M. 4.50. Geb. M. 5.50.
Gobineau hat stolz und gross es ausgesprochen, er habe zuerst die wirkliche
noch unerkannte Basis der Geschi c h t e aufgedeckt. Schwerlich möchte er sich mit
seinem Glauben überhoben haben! . . . Der „Nationalitäten-", d. h. eben der Rassen-
Gedanke durchzieht das moderne Völkerleben heute mehr denn je, und keiner kann
sich mehr der Empfindung erwehren, dass alle modernen Nationen vor eine Ent-
scheidung, eine Prüfung gestellt sind, was sie als Nationen — d. h. eben nach ihrer
Rassen-Anlage, ihren Mischungsbestandteilen, dem Ergebnisse ihrer Rassenmischungen
— wert seien, inwieweit sie dunkel geahnten, vielleicht mit Vernichtung drohenden
Stürmen der Zukunft gewachsen sein werden.
Graue, Pfarrer Paul, Deutsch-evangelisch. 96 s. Brosch. M. 1.50.
I. Einführung. — II. Der Inhalt des Glaubens an Jesus Christus. — III. Glaube
und Rationalismus. — IV. Unsere wahre Autorität. — V. Deutschtum. — VI. Kon-
fession, Partei, Gemeinde.
Helssig, Dr. jur. Rudolf, Zur Lehre von der Konkurrenz der
Klagen nach römischem Rechte. 85 s. Brosch. M. 2.—.
Hensel, Prof. Dr. Paul, Thomas Carlyle. Mit Cariyies Bildnis.
2. Aufl. 218 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
Höffding, Prof. Dr. H., Sören Kierkegaard als Philosoph.
Mit Kierkegaards Bildnis. 2. Aufl. 167 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
— — Rousseau und seine Philosophie. 2. Aufl. 158 S.
Brosch. M. 1.75. Geb. M. 2.25.
Hoffmann, Dr. A., Rene Descartes. 204 s. Brosch. M. 2.-.
Geb. M. 2.50.
James, Prof. William, Der Wille zum Glauben and andere
popularphilosophische Essays. Uebersetzt von Dr. Th. Lorenz. Mit
einem Geleitwort von Prof. Dr. Fr. Paulsen. 216 S. Brosch. M. 3.—.
1. Der Wille zum Glauben. 2. Ist das Leben wert, gelebt zu werden. 3. Da.«
Rationalitätsgefühl. 4. Das Dilemma des Determinismus. 5. Der Moralphilosoph und
das sittliche Leben.
c/il Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, '«ro
JentSCh, Karl, Rodbertus. 259 S. Brosch. M. 3.—. Geb. M. 3.80.
I. Lebensgeschichte. — II. Die Lehre. 1. Antil<e Staatswirtschaft. 2. Die Volks-
wirtschaft der Gegenwart. 3. Die Staatswirtschaft der Zukunft. — III. Die Bedeutung
des Mannes.
Jodl, Prof. Dr. Friedrich, Ludwig Feuerbach. Mit Feuerbache
Bildnis 143 S. Brosch. M. 2.-. Geb. M. 2.50.
Kierkegaard, S., Angriff auf die Christenheit. Uebersetzt von
A. Dorner und Chr. Schrempf. 656 S. In 2 Teile brosch. M. 8.50.
In 1 Band geb. M. 10.—.
I. Kierkegaards letzte Schriften (1851—55). Inhalt: I. lieber meine Wirksamkeit
als Schriftsteller. — II. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen. — 111. S. Kier-
kegaards letzte Aufsätze in Zeitungen und Flugschriften. A. Artikel im Vaterland.
B. Dies soll gesagt werden — so sei es denn gesagt. C. Der Augenblick.
II. Anhang. Inhalt: I. Eine erste und letzte Erklärung. — II. Aus Anlass einer
mich betreffenden Aeusserung Dr. A. G. Rudelbachs. — III. Der Gesichtspunkt für
meine Wirksamkeit als Schriftsteller. — IV. Richtet selbst. — V. Der Augenblick. —
VI. Gottes Unveränderlichkeit.
Daraus Sonderdruck :
— — Richtet selbst. Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen.
Zweite Reihe. 112 S. Brosch. M. 1.50.
Leben und Walten der Liebe. Einige christliche Erwä-
gungen in Form von Reden. Uebersetzt von A. Dorner. 534 S.
Brosch. M. 5.—. Geb. M. 6.—.
König, Prof. Dr. Edmund, W. Wundt als Psycholog und als
Philosoph. Mit Wundts Bildnis. 2. Aufl. 229 S. Brosch. M. 2.—.
Geb. M. 2.50.
Lasswitz, Prof. Dr. K., G. Th. Fechner, Mit Fechners Bildnis.
2. Aufl. 214 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
Ludwig, Hermann, Strassburg vor hundert Jahren. Ein Bei-
trag zur Kulturgeschichte. 360 S. Brosch. M. 5. — .
Maler, Prof. Dr. W., Die Stellung der höheren Schulen zu
der Fremdwörterfrage. 61. S. Brosch. M. i.— .
MannO, Karl (v. Lemcke), BeOWUlf. Ein Sportroman. 3. Aufl.
766 S. Brosch. M. 3.50. Geb. M. 4.50.
Wilhelm Lübke (Tägliche Rundschau) bezeichnet dieses Werk als: „Ein
höchst eigenartiges Buch! eine völlig neue Physiognomie unter den stets sich wieder-
holenden, wohlbekannten Erscheinungen unserer heutigen Belletristik. Eine echte
Dichterschöpfung, die mit freiem Blick und keckem Griff das volle Leben weckt und
in fesselnden Gestalten vor uns hinzuzaubern weiss."
Gräfin Gerhild. Eine Erzählung. 379 S. Brosch. M. 4.50.
Geb. M. 5. .50.
Martens, Heinrich, Si<andinavische Hof- und Staatsgeschichten
des neunzehnten Jahrhunderts. Nach den schwedischen Quellen
des Dr. A. Ahnfeit. 258 S. Brosch. M. 1.—.
Michelis, Arthur, (Adolf Gumprecht), Reiseschule. Allerlei
zu Nutz und Kurzweil für Touristen und Kurgäste. 4. Aufl. 344 S.
Geb. in grauem Leinwandband M. 8. — In rotem Bädekerband M. 4. — .
Mülberger, Dr. Arthur, P. J. Proudhon. Leben und Werke
248 S. Brosch. M. 2.80. Geb. M. 3.60.
I. Der Kritiker. 1809-1848. —IL Der Kämpfer. 1848-1852. -III. Der Denker. 1852—1865.
c^ Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, 'h^
Müller, Gustav, Gut und Geld. Volkswirtschaftliche Studien eines
Praktikers 292 ö. Brosch. M. 2.40. Geb. M. 3.20.
I. Der Reichtum. — II. Das Kapital. — III. Der produktive und der unproduktive
Verbraucli. — IV. Der Lohn. — V. Der Gewinn. — VI. Die Rente. — VII. Der Wert.
— VIII. Das Geld. — IX. Die Produktivität der Nationen. — X. Der Welthandel. —
XI. Freihandel und Zollschutz. — XII. Die Krisis. — XIII. Die Grenzen des Reichtums.
NatOrp, Prof. Dr. P., Sozialpädagogik. Theorie der Willens-
erziehung auf der Grundlage der Gemeinschaft. 2. vermehrte Aufl.
424 S. Brosch. M. 6.80. Geb. M. 7.80.
I. Grundlegung. — 11. Hauptbegriffe der Ethik und Sozialphilosophie. — III. Organi-
sation und Methode der Willenserziehung.
Oncken, Prof. Dr. Hermann, Lassalle. 458 s. Brosch. M. 5.-.
Geb. M. 6.—.
Paulsen, Prof. Dr. Friedrich, Immanuel Kant. Sein Leben
und seine Lehre. Mit Kants Bildnis und ßrieffaksimile aus 1792.
4. Aufl. 440 S. Brosch. M. 4.—. Geb. M. 5.—.
Paulus, Eduard, Gesammelte Dichtungen. 3. Aufl. Mit dem
Jugendbildnis des Dichters. 454 S. Geb. M. 2.—
Paulus, E. M., Die Handschrift. Ein Bild des Charaktere. Mit
151 Handschriftenfaksimiles. 2. Aufl. Geb. M. 2. — .
Pfungst, Dr. Arthur, Ein deutscher Buddhist (Oberpräsidialrat
Theodor Schultze). Biographische Skizze. Mit Schnitzes Bildnis.
2. verm. Aufl. 52 S. Brosch. M. —.75.
Die Gegenwart: Wir verweisen unsere Leser auf die in jeder Beziehung hoch-
interessante Schrift mit der lichtvollen Darstellung des Buddhismus.
Aus der indischen Kulturwelt. Gesammelte Aufsätze. 202 s.
Brosch. M. 2.60. Geb. M. 3.40.
Die Umschau, Frankfurt a. M.: Wertvoll ist das ganze Buch und kann dem,
der sich mit dem indischen Geistesleben vergangener Zeiten bekannt machen will,
warm empfohlen werden.
Riehl, Prof. Dr. Alois, Friedrich Nietzsche. Der Künstler und
der Denker. Mit Nietzsches Bildnis. 4. Aufl. 176 S. Brosch. M. 2.—.
Geb. M. 2.50.
Saitschick, Robert, Goethes Charakter. Eine Seelenschilderung.
150 S. Brosch. M. 1.80. Geb. M. 2.50.
Inhalt: I. Lebenskämpfe. II. Eigenart. III. Welt und Seele.
Beilage zur Allgem. Zeitung: Wir zählen Saitschicks Schrift zu den wert-
vollsten Essays, die über Goethe geschrieben wurden.
Sakmann, Prof. Dr. Paul, Eine ungedruckte Voltaire-Korre-
spondenz. Mit einem Anhang: Voltaire und das Haus Württem-
berg. 175 S. Brosch. M. 4.50.
Saenger, Dr. S., J. Stuart Mill. Mit Mills Bildnis. 212 Seiten.
Brosch. M 2.—. Geb. M. 2..50.
Sarrazin, Joseph, Das moderne Drama der Franzosen in
seinen Hauptvertretern. Mit zahlreichen Textproben aus her-
vorragenden Werken von Äugier , Dumas, Sardoti und Pailhron.
2. Aufl. 325 S. Brosch M. 2.—. Geb. M. 3.—.
Literar. Merkur: Sarrazins Buch darf jedem, der sich eine Kenntnis vom neuen
französischen Drnma verschaffen will, auch Studierenden, warm empfohlen werden.
c^ Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart. '^
Saul, D., Schiller im Dichtermund. 72 8. Brosch. M. i.— .
Ostsee-Zeitung: Einer aus Schillervereinskreisen gekommenen Anregung ver-
dankt dieser inhaltreiche, echt volkstümliche Beitrag zur Schillerverehrung sein Ent-
stehen. . . . Das Ganze ist mit einer knappen, geistvollen Einleitung versehen, und
die einzelnen Gedichte sind durch verbindenden Text in eine sinnreiche Folge gebracht.
Schaubach, Adolph, Die deutschen Alpen für Einheimische
und Fremde geschildert. 2. verbesserte Aufl. 6 Teile. Brosch. M. 18. — .
I. Teil: Allgemeine Schilderung der Alpen. Brosch. M. 6.— .
II. .. Nordtiroi, Vorarlberg, Oberbayern. Brosch. M. 5.— .
III. „ Salzburg, Obersteiermark, das Oesterreichische Gebirge und
das Salzkammergut. Brosch. IM 2.40.
IV". „ Das mittlere und südliche Tirol. Brosch. M. 2.— .
y. ,. Das südöstliche Tirol und Steiermark. Lungau , Kärnten,
Krain, Görz und das Küstenland. Brosch. M. 4 — .
Nachtrag zum I. Teil: Etninrich, Geologische Geschichte der Alpen.
Brosch. M. '6. — .
Schemann, Ludwig, Meine Erinnerungen an Richard Wagner.
88 S. Brosch. M. 1.50.
Schlegel, Emil, Das BewUSStsein. Grundzüge naturwissenschaft-
licher und philosophischer Deutung. Mit Geleitsworten von Prof.
Th. Mei/nert in Wien. 128 S. Brosch. M 2.—.
Schrempf, Christoph, Drei religiöse Reden. 76 s. 3. Aufl.
Brosch. M. 1 20.
Natürliches Christentum. Vier neue religiöse Reden. 112 S.
Brosch. M. 1.50.
lieber die Verkündigung des Evangeliums an die neue
Zeit. 40 S. Brosch M —.60.
— • — Zur Pfarrersfrage. 52 s. Brosch M. —.80.
An die Studenten der Theologie zu Tübingen. Noch
ein Wort zur Pfarrersfrage. 30 S. 2. Aufl. Brosch. M. ^.50.
Eine Nottaufe. 56 S. Brosch. M. —.75.
— • — Toleranz. Rede geh. i. d. Berl. Gesellsch. f. Eth. Kultur. 32 S.
Brosch. M. —..50.
Zur Theorie des Geisteskampfes. 56 s. Brosch. M. —.80.
Obige 8 Schriften Chr. Schrempf s kosten anstatt M. 6.65, wenn
gleichzeitig bezogen, nur M. 3. — .
— • — Goethes Lebensanschauung in ihrer geschichtlichen
Entwicklung. I.Teil: Der junge Goethe. 204 S. Brosch. M. 2.50.
Der n. Teil erscheint Frühjahr 1906.
Kreuz-Zeitung: Wir können das Buch allen denen empfehlen, die ihren Goethe
kennen und eine systematische, schön geschriebene Darlegung der Entwicklung des
Dichters zum Weisen lesen und besitzen möchten. Jedenfalls ist das Buch seinem
Inhalte nach eine wesentliche Bereicherung der Goetheliteratur und seiner Form nach
selbst ein Kunstwerk.
— — Martin Luther aus dem Christlichen ins Menschliche über-
setzt. 188 S. Brosch. M. 2.50. Geb. M. 3.50.
Inhalt: I. Welches Glaubens Luther lebte. - II. Wie sich Luther in seinem Glauben
verstand. — III. Wie Luther seines Glaubens lebte. IV. Wie Luther seinen Glauben
lehrte.
c^ Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, '«ro
Schrempf, Christoph, MenSChenloOS. Hiob. Oedipus. Jesus. Homo
siim. 2. verbesserte, durch ein Nachwort vermehrte Aufl. 160 S.
Brosch. M. 2.20. Geb. M. 3.20.
Lehrer heim, Stuttgart: Freunden religionsphilosophischer Betrachtung sei diese
Schrift des bekannten Verfassers empfohlen ; sie gehört zu den tiefsinnigsten seelischen
Enthüllungen desselben. Von einer Wiedergabe des Gedankenganges wollen wir ab-
sehen ; derselbe Hesse sich in ein paar Sätzen nicht ausdrücken. Es genüge, zu sagen,
dass der Verfasser an den Beispielen der grossen Dulder; Hiob, Oedipus, Jesus zu
ergründen sucht, wie des Lebens Rätsel zu deuten sei, was Menschenschicksal heisst.
— — Die Wahrheit. Halbmonatschrift zur Vertiefung in die Fragen
und Aufgaben des Menschenlebens. Bd. I— IV brosch. k M. 3.20,
gebd. k M. 3.75, V— VHI brosch. ä M. 3.60, gebd. a M. 4.15. Bei
gleichzeitiger Abnahme von mindestens 4 Bänden jeder Band nur
M. 2— brosch., M. 2.50 gebd.
Die Zeitschrift, die seit Oktober 1897 nicht mehr erscheint , enthält eine Anzahl
Aufsätze von bleibendem Werte aus der Feder der Professoren Fr. Paulsen, Max
Weber, H. Herkner, Theo baldZie gier, Alois Riehl, von Pfarrer Fr. Nau-
mann, Karl Jentsch,Chr. Seh rem p f und anderen hervorragenden Mitarbeitern.
Schwegler, Dr. Albert, Geschichte der Philosophie im Umriss.
Ein Leitfaden zur Uebersicht. 16. Aufl. nach der von Prof. Dr.
li. Koeber bearb. 15. Auflage revidiert. Originalausgabe. 344 S.
Brosch. M. 2.25. Geb. M. 3.—
Das Schweglersche Werk behält in der philosophischen Geschichtsliteratur bleiben-
den Wert durch die lichtvolle Behandlung und leichte Bewältigung des spröden Stoffs
bei gemeinfasslicher Darstellung, die sich mit wissenschaftlicher Gründlichkeit paart.
Schwend, Prof. Dr. Friedrich, Gymnasium oder Realschule?
Eine Kulturfrage. 98 S. Brosch. M. 1.50.
Siebeck, Prof. Dr. Herman, Aristoteles. 2. Aufl. 15 1 s.
Brosch. M. 1.75. Geb. M. 2.25.
Goethe als Denker. 2. Aufl. 247 8. Brosch. M. 2. 50. Geb.M.3.— .
Spicker, Prof. Dr. G., Der Kampf zweier Weltanschauungen.
Eine Kritik der alten und neuesten Philosophie mit Einschluss der
christlichen Offenbarung. 310 S. Brosch. M. 5.—.
Inhalt: l. Historische Begründung des Standpunktes. 1. Allgemeine Voraus-
setzungen. 2. Mittel und Endzweck der Philosophie. 3. Selbstgeschaffene Hiiider-
nisse und immanente Fortschritte. — II. Kritische Entwicklung des Prinzips. I.Kritik
des Pantheismus. 2. Kritik des Monotheismus. 3. Kritik des Orthodoxismus.
Versuch eines neuen Gottesbegriffs. 384 s. Brosch. M. 6.—.
Inhalt. Einleitung: Historische Hauptmomente. Das Verhältnis Gottes zur Materie.
~ I. Gott und die Welt. 1. Allgemeine Hindernisse. 2. Neue Grundlagen. 3. Wesen
und Eigenschaften Gottes. 4. Vergleichung und Ergänzung. — IL Gott und der Mensch.
1. Das Theodizeische Problem. 2. Begriff der absoluten Vollkommenheit. 3. Idee
der Unsterblichkeit. 4. Einwürfe und Widerlegung.
Tönnies, Prof. Dr. Ferd., Hobbes Leben und Lehre. 246 s.
Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
Volkelt, Prof. Dr. Joh., Schopenhauer. Seine Persönlichkeit, seine
Lehre, sein Glaube. Mit Schopenhauers Bildnis. 408 S. Brosch. M. 4 — .
Geb. M. 4.75.
Wagner, Dr. phil. Friedrich, Ist Verneinung des Willens mög-
lich? 32 S. Brosch. M. —.75.
<r^ Fr. Frommanns Verlag (E. Hauff) in Stuttgart, lio
Weitbrecht, Prof. Carl, Diesseits von Weimar. Auch ein Buch
über Goethe. 320 S. Brosch. M. 3.60. Geb. M. 4 50.
Pädagog. Jahresbericht: Ein köstliches Buch, das man von Anfang bis Ende
mit immer gleichbleibendem Vergnügen liest. Der Titel will sagen, dass es sich hier
um den jungen Goethe handelt vor seiner Uebersiedelung nach Weimar.
Doktor Schmidt. Lustspiel in drei Akten. 109 S. Brosch. M. 1.20.
Dieses Lustspiel behandelt eine dramatisch sehr wirksame Episode aus Schillers
Jugendzeit.
— — Schwarmgeister. Tragödieinfünf Akten. 125 S. Brosch. M. 1.80.
— — Sigrun. Tragödie in fünf Akten. 86 S. Brosch. M. 1.20.
Weizsäcker, Dr. Carl, Ferdinand Christian Baur. Rede zur
akademischen Feier seines 100. Geburtstages am 21. Juni 1892 in
der Aula zu Tübingen gesprochen. 22 S. Brosch. M. — .40.
Westenholz, Dr. Fr. von, lieber Byrons historische Dramen.
Ein Beitrag zu ihrer ästhetischen Würdigung. 64 S. Brosch. M. 1.20.
Idee und Charaktere in Shakespeares Julius Caesar.
39 S. Brosch. M. —.75.
Die Tragik in Shakespeares Coriolan. Eine Studie. 32 s.
Brosch. M. —.50.
— — Blaubart. Litstspiel in zwei Aufzügen. 79 S. Brosch. M. 1.—.
— — Sein Geheimnis. Schwank in einem Aufzug. 40 Seiten.
Brosch. M. —.60.
Windelband, Prof. Dr. Wilh., Piaton. Mit Piatons Bildnis. 4. Au«.
197 S. Brosch. M. 2.—. Geb. M. 2.50.
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99«a^wiflBS«0^9C8ae»«fflS9«»SS
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