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Full text of "Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung"

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Frank,  Erich 
Rezensionen 


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Sitzungsberichte 
der  Heidelberger  Akademie  der  Wissenschaften 

Stiftung   Heinrich   Lanz 

Philosophisch  -  historische  Klasse 

—   Jahrgang  1912.  1.  Abhandlung.  — 


Rezensionen 

über  schöne  Literatur  von 

Schelling  und  Caroline 

in  der  Neuen  Jenaischen  Literatur-Zeitung 


ERICH   FRANK 

in  Heidelberg 


Eingegangen  am  12.  Februar  1912 


Vorgelegt  von  Wilh.  Windelband 


Heidelberg  1912 

Carl  Winter's    Universitätsbuchhandlung 


Verlags- Nr.  743. 


Sitzungsberichte 
der  Heidelberger  Akademie  der  Wissenschaften 

Stiftung   Heinrich   Lanz 

Philosophisch  -  historische  Klasse 

-   Jahrgang  1912.  1.  Abhandlung.  - 


Rezensionen 

über  schöne  Literatur  von 

Schelling  und  Caroline 

in   der  Neuen  Jenaischen  Literatur-Zeitung 


ERICH    FRANK 

in   Heidelberg 


Eingegangen  am  12.  Februar  1912 


Vorgelegt  von  Wilh.  Windelband 


Heidelberg  1912 

Carl  Winter's    Universitätsbuchhandlung 

Verlags- Nr.  743. 


Inhalt. 

Seite 

Vorbemerkungen 3 

I.  Die  Rezensionen  Schell iiigs 13 

II.  Die  Rezensionen  Carolinens 24 

III.  Eine  gemeinsam  von  Schelliug  und  Caroline   veifaßte   Rezension  über 

Romane 37 

Anmerkungen  zu  diesen  Rezensionen 4<> 

Anhang  1.    Die  anonymen  Korrespondenzen  Schellings  im  Intelligenzblatt  der 

Literatur-Zeitung 58 

2.    Zwei  Marienhvmnen  von  Fichte 63 


i  07 

F73 


\\  ährend  Schelling  auf  der  Höhe  seines  philosophischen  Ruhmes 
stand,  wußten  wohl  nur  wenige  unter  den  Zeitgenossen  von  seinen 
dichterischen  Produktionen,  zu  denen  zu  bekennen  er  sich  Zeit  seines 
Lebens  gesträubt  hat.  Daß  sich  unter  dem  Pseudonym  Bona- 
ventura im  Schlegel -Tieckschen  Musenalmanach  vom  Jahre  1802 
der  bekannte  Philosoph  verberge,  das  mag  noch  verhältnismäßig  früh 
auch  zu  einem  weiteren  Kreise  gedrungen  sein ;  wenigstens  liest  man 
diese  Angabe,  wie  Franz  Schultz  (Der  Verfasser  der  Nachtwachen. 
S.  185),  festgestellt  hat,  schon  seit  dem  Jahre  1818  in  den  gebräuch- 
lichsten literarischen  Nachschlagewerken  der  Zeit.  Aber  selbst  eine 
so  eigenartige  und  bedeutende  Schöpfung  wie  das  , .Epikurisch  Glau- 
bensbekenntnis Heinz  Widerporstens"  ist  als  Ganzes  und  als  Schel- 
lings  Werk  erst  lange  nach  seinem  Tode  bekannt  geworden.  An- 
gesichts dieses  Dunkels,  das  Schelling  über  die  Herkunft  seiner  dich- 
terischen Versuche  mit  Geschick  zu  breiten  verstanden  hat,  lag 
von  vornherein  der  Verdacht  nicht  fern,  daß  noch  andere  Beweise 
seiner  Beschäftigung  mit  der  schönen  Literatur  existieren  möchten, 
von  denen  man  noch  nichts  weiß.  Aus  der  Zeit  bis  1803  könnte 
dies  nun  kaum  sein.  Denn  bis  dahin  sind  wir  durch  die  Briefe 
an  A.  W.  Schlegel1),  den  Schelling  in  allen  literarischen  Dingen 
ins  Vertrauen  und  zu  Rate  zog,  wohl  über  den  ganzen  Kreis 
seiner  künstlerischen  Pläne  und  Arbeiten  unterrichtet.  Aber  mit  dem 
Jahre  1803  versiegt  diese  Quelle,  und  von  da  an  sind  wir  nur  auf 
sehr  spärliche  Andeutungen  in  den  Briefen  Schellings  und  Garo- 
linens  angewiesen,  die  nicht  hinreichen,  jenes  Dunkel  völlig  zu  zer- 
streuen. So  konnte  es  kommen,  daß  man  Schelling  lange  für  den 
Verfasser  jenes,  von  einem  merkwürdigen  Geheimnis  umgebenen 
Buches  gehalten  hat,  das  zur  Michaelismesse  1804  im  Verlage  von 
Dienemann  in  Penig  unter  dem  Titel  „Nachtwachen  von  Bonaven- 
tura" erschienen  ist.  und  das  man  wohl  ohne  Übertreibung  eines 
der  genialsten  Produkte  der  Romantik  nennen  darf.    Aber  wenn  auch 

1)  Die  Briefe  Schellings  an  Schlegel  haben  sich  ziemlich  vollständig  im 
Schlegelschen  Nachlaß  vorgefunden  ;  jetzt  in  der  Kgl.  öfftl.  Bibliothek  zu 
Dresden    (Bd.   20). 

l* 


4  Brich  Frank  : 

der  Versuch,  den  neulich  Franz  Schultz  gemacht  hat  (a.  a.  0. 
s.  i'.i-.i- -328),  dies  Werk  dem  guten  Friedrich  Gottlob  Wetzel  zu- 
zuschreiben, wohl  niemanden,  der  die  Schriften  dieses  untergeord- 
neten Geistes  kennt,  überzeugen  wird,  so  sticht  doch  andererseits 
der  sinnlichbewegte  Stil  der  Nachtwachen  so  sehr  von  Schellings 
sonst  bekannter  Prosa  ab.  —  die,  so  geistvoll  sie  auch  stets  kon- 
struiert, doch  nie  die  Ruhe  der  Abstraktion  verliert  —  daß  man  sich 
nicht  leicht  dazu  verstehen  kann,  sie  dem  Philosophen  zuzutrauen. 

Die  interessante  Auflösung  dieses  literarhistorischen  Rätsels 
wollen  wir  uns  jedoch  für  einen  andern  Ort  (Germanisch-Romanische 
Monatsschrift  1912)  aufsparen  und  uns  hier  damit  begnügen,  eine 
viel  bescheidenere  literarische  Mystifikation  Schellings  und  Carolinens, 
als  es  die  „Nachtwachen"  wären,  aufzudecken.  So  wird  man  immer- 
hin die  belletristischen  Rezensionen  nennen  dürfen,  die  in  den  Jahren 
1805 — 1809  in  der  Jenaischen  Literatur-Zeitung  erschienen  und  als 
deren  Verfasser  Schelling  und  Caroline  bis  heute  unerkannt  geblieben 
sind"-),  trotzdem  manche  von  ihnen  kein  gewöhnliches  Aufsehen  zu 
ihrer  Zeit  hervorgerufen  haben.  Und  diese  Beurteilungen  ragen  in 
der  Tat  so  sehr  durch  ihren  Geist,  ihren  Humor,  ihre  Einsicht  und 
ihren  Witz  hervor,  daß  sie  noch  heute,  wo  die  besprochenen  Bücher 
zum  Glück  längst  verschollen  sind,  eines  gewissen  Interesses  sicher 
sein  können. 

Daß  noch  unbekannte  Rezensionen  von  Schelling  existieren 
müßten,  war  durch  die  Stelle  eines  Briefes,  der  sich  bei  Plitt  „Ans 
Schellings  Leben  in  Briefen"  II,  83  abgedruckt  findet,  nahegelegt. 
„Die  Rezension",  schreibt  hier  Schelling  am  2.  April  1S0G  an 
Eichstädt,  den  Redakteur  der  neuen  Jenaischen  Literatur-Zeitung, 
„wird,  wie  ich  hoffe,  ihren  Bemerkungen  entsprechen.  Ich  muß 
mich  unverständlich  ausgedrückt  haben,  da  sie  einen  Aufsatz  über 
den  bewußten  Autor  erwarteten."  Aber  von  dieser  Rezension  wissen 
wir  nichts;  und  wie  sie  herausfinden,  wo  die  Beiträge  der  Literatur- 


-' ,i  Allerdings  mit  einer  Ausnahme:  Waitz  bat  in  seiner  Ausgabe  der 
Bd.  I  Vorbemerkungen,  S.  V,  und  Bd.  II,  S.  378)  schon  die  Be- 

o  i  in  Nr.  107  der  Jenaischen  Literatur-Zeitung  v.  J.  1805  über  Varnhagen 
und  Chamissos  Musenalmanach  richtig  Carolinen  beigelegt  und  die  Ver- 
mutung   Varnhagens    (Chamissos   Werke,   V   =    Briefe,    I,    70,    ,\  |,    „der    Ver- 

•  sei  ein  Herr  von  Jariges",  zurückgewiesen.  Trotzdem  findet  sieh  aber 
falsche  Ansähe  noch  bei  Goedecke,  VI,  §  291,  1,  3  (ebenso  in  dem  Neu- 
druck des  Musenalmanachs  1806  von  L.  Geiger,  S.  XII).  Von  der  Beurteilung 
der  Erzählungen  von  Kotzebue  und  Eberhard  heißt  es  ebenda  nur  kurz,  daß 
sie  handschriftlich  vorliegt. 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von  Schelling   und  Caroline.  5 

Zeitung  nicht  mit  Namen,  sondern  mit  Ghiffern  unterzeichnet  .sind, 
die  noch  dazu,  um  das  Geheimnis  der  Verfasserschaft  strenger  zu 
wahren,  oft  geändert  wurden?  Zwar  wissen  wir.  daß  Schelling  seine 
Rezensionen  in  der  Regel  mit  TT-x-v  zeichnete3),  aber  beim  Durch- 
blättern der  Zeitungsnummern  aus  den  in  Betracht  kommenden  Mo- 
naten fand  sich  keine  Beurteilung  unter  diesem  Zeichen  —  aber  es 
fand  sich  etwas  anderes:  in  Nr.  96  und  97  vom  16.  und  17.  April 
1806,  also  gerade  in  der  Zeit,  in  der  man  die  gesuchte  Rezension 
vermuten  würde,  steht  eine  mit  K\.  unterschriebene  Besprechung 
von  Fichtes  „Wesen  des  Gelehrten",  deren  geistreiche  Polemik  und 
überlegene  Ironie  schon  Goethe  auf  einen  vorzüglich  gebildeten  Geist 
schließen  ließ  (Weimarer  Ausgabe  Abt.  IV  Nr.  5191).  —  Sollte  das 
etwa  die  gesuchte  Rezension  sein?  Diesen  Verdacht  haben  wir  in 
unserer  Ausgabe  von  Fichtes  „Seligem  Leben"  ausgesprochen.  In  der 
Tat  diese  ..im  schönen  Gleichmaß  von  Billigkeit  und  Einsicht  gehaltene 
Besprechung"  könnte  ihrer  sprachlichen  Form,  wie  ihrer  philosophi- 
schen Tendenz  nach  gut  von  Schelling  sein;  und  kein  geringerer 
Zeuge  als  Fichte  selbst  ließe  sich  dafür  anführen,  der  dies  für  be- 
stimmt angenommen  und  Schelling  sogar  öffentlich  in  nicht  mißzu- 
verstehenden Worten  (in  der  -2.  Beilage  der  im  Mai  1806  erschie- 
nenen „Anweisung  zum  seligen  Leben"4)  der  Verfasserschaft  be- 
zichtigt hat.  Und  doch  stand  dieser  Vermutung,  wie  schon  damals 
betont  wurde,  vieles  entgegen.  Nicht  nur,  daß  von  Personen,  die 
man  für  eingeweiht  in  das  Redaktionsgeheimnis  halten  mußte,  mit 
aller  Bestimmtheit  der  Historiker  Heinrich  Luden  als  Verfasser 
genannt  wurde;  schwerer  fällt  vielleicht  noch  ins  Gewicht,  daß  in 
derselben  Zeitung  bald  darauf  (in  der  Nr.  vom  26.  und  21.  Juni)  der 
ersten  eine  zweite  Besprechung  von  Fichtens  Buch  folgte,  die  nun 
ohne  Zweifel  von  Schelling  selbst  verfaßt  und  auch  mit  den  Initialen 


a)  Plitt,  II,  104  (vgl.  TT'U'.,  I,  1,  4(JSff.  =  Jenaische  Literatur-Zeitung 
1807,  Nr.  öS,  59)  ;  die  andere  von  Plitt  angeführte  Chiffre  P-p-s.  gehört  nicht 
Schelling,  sondern  Schleiermacher.  Johannes  von  Müller  zeichnete  mit  Ths. 
Thukydides),  Goethe  und  die  anderen  Weimarer  W.  K.  F.  (Weimarer  Kunst- 
freunde), Reinhold  mit  Dr.,  der  Historiker  Luden  mit  A  d.  usw.  Die  Chiffre 
K/L  gehört  nicht  Luden,  wie  Biedermann  und  die  Weimarer  Goethe-Ausg. 
IV,  Bd.  22.  S.  468,  ineint,  sondern  einem  Koethe  in  Lübben.  Das  Zeichen 
Carolinens:  BIT.    ist  wohl  Böhmer-Schlegel-6'chelling  zu  lesen. 

4)  Diese  2.  Beilage  ist  in  den  „Sämtlichen  Werken"  fortgelassen.  Ab- 
gedruckt ist  sie  erst  wieder  in  der  neuen  Ausgäbe  von  Fichtes  Werken  von 
F.  Medicus,  Bd.  V,  S.  2863.,  und  in  des  Verf.  Ausgabe  der  „Anweisung  zum 
seligen   Leben",   Jena   1910,   S.   222  ff. 


t;  Erich  Frank  : 

seines  Namens  unterzeichnet  ist  und  in  der  Schelling  in  einer 
so  außerordentlich  lobenden  Weise  der  ersten  Beurteilung  Erwäh- 
nung tut,  daß  es  kaum  zu  verstehen  wäre,  wenn  sie  auch  von  ihm 
herrührte.  Aber  ein  gewisser  Verdacht  mußte  trotz  allen  diesen 
entgegenstehenden  Gründen  so  lange  an  Schelling  haften  bleiben,  als 
man  nicht  mit  aller  Bestimmtheit  die  Bezension  nachgewiesen  hatte, 
die  Schelling  im  Frühjahr  1806  der  Redaktion  eingesendet  haben 
muß.  Indes  aus  dem  uns  damals  allein  vorliegenden  gedruckten 
Material  ließ  sich  diese  Frage  nicht  entscheiden.5)  Aber  dank  einer 
glücklichen  Fügung  oder  vielmehr  der  klugen  Voraussicht  Goethes, 
des  Gründers  und  des  eigentlichen  Leiters  der  Literatur-Zeitung  — 
wenigstens  während  der  ersten  Jahre  ihres  Bestehens  — ,  sind  uns 
noch  die  gerade  für  die  Entscheidung  unserer  Frage  wichtigsten 
Stücke  des  Bedaktionsarchivs  erhalten.  Denn  Goethe  hatte  in  weisem 
Vorbedacht  künftiger  Neugier  alle  auf  die  Literatur-Zeitung  bezüg- 
lichen Akten  in  grölHer  Ordnung  verwahren  lassen,  „denn  vielleicht," 
meinte  er  („Tag-  und  Jahreshefte"  1803  Weimarer  Ausgabe  35,  154), 
„ergötzen  sich  unsere  Nachkommen  an  dem  Hergang  der  für  uns 
wenigstens  höchst  bedeutenden  Begebenheit".  Diese  Akten  sind 
jetzt  im  Weimarer  Goethe-  und  Schillerarchiv;  ein  anderes  Stück 
der  Bedaktionspapiere  befindet  sich  in  der  Jenaischen  Universitäts- 
bibliothek: es  sind  das  die  alten  Meükataloge,  nach  denen  von  der 
Redaktion  die  Verteilung  der  eben  erschienenen  Bücher  an  die  ver- 
schiedenen Bezensenten  vorgenommen  wurde.  Jedem  Buche  ist  da 
die  Nummer  des  Bezensenten,  das  Datum,    an  dem    die  Bezension 


5)  A.  a.  0.  (S.  2 19 f.)  mußte  darum  der  Verf.  diese  Frage  noch  offen 
lassen.  Wenn  dort  gesagt  ist,  daß  man  „im  Weimarer  Kreis,  den  man  doch 
für  eingeweiht  halten  sollte,  den  Jenenser  Historiker  Heinrich  Luden  als  den 
Verfasser"  der  Rezension  nannte,  so  stützte  sich  diese  Behauptung  weniger 
auf  die  Stelle  eines  Briefes  Schleiermachers  an  Brinckmann  (Aus  Schleicr- 
machers  Leben,  IV,  L29),  die  nur  von  tierüchlen  redet,  als  auf  ein  noch 
ungedrucktes  Schreiben  des  Geh.  Rat  Voigt  an  Eichstädt  vom  26.  April  L806, 
aus  dem  Biedermann  in  seiner  Ausgabe  der  Briefe  Goethes  an  Eichstädt^ 
S.  200,  folgendes  Stink  mitteilt:  „Ich  erhielt  heule  e.  Besuch  v.  d.  Hrn.  Geh. 
R.  v.  Goethe.  Da  er  die  Fichtische  Recension  sein-  lobte,  so  sprach  ich  üb. 
deren  Verfasser  u.  producirte  das  eben  bei  mir  liegende  58.  Stück  der 
Götting.  Anzeigen"  (dort  ist  Ludens  „Hugo  Grotius"  rezensiert),  „mit.  Er- 
wähnung der  Absicht,  die  man  seinetwegen  hege.  Er  war  damit  überaus  zu- 
frieden." Daraufhin  wurde  dann  Luden  noch  im  Mai  180G  als  Prof.  exlr.  nach 
Jena  berufen  Ada  Academica  der  Univ.  Jena.  Luc.  II.  lach  58,  Nr.  638).  Aus 
den  Akten  der  Literatur-Zeitung  ergibt  sich  denn  tatsächlich,  daß  Luden  jene 
Rezension  wenigstens  eingesendet  hat. 


Rezensionen   über   schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  7 

eingegangen,  und  die  Stelle,  wo  sie  abgedruckt  ist,  mit  um  so 
größerer  Gewissenhaftigkeit  beigeschrieben,  als  nach  diesen  Auf- 
zeichnungen offenbar  die  Verrechnungen  erfolgten.  Ein  Rezensenten- 
verzeichnis löst  die  Bedeutung  dieser  Nummern  auf:  so  ist  z.  B. 
mit  1  Goethe,  mit  4  Schiller,  Schelling  aber  mit  409  gemeint.  Fast 
alle  bedeutenden  Namen  jener  Zeit  finden  sich  in  diesem  Katalog. 
Nur  Hegel  fehlt.  Auch  er  war  von  Goethe  zur  Teilnahme  aufgefordert 
worden  (Br.  vom  15.  Dez.  1803  Weimarer  Ausgabe  XVI,  4779).  Aber 
die  Proberezension,  die  er  einsendete,  stellte  Goethe  nicht  zufrieden, 
und  seither  hat  Hegel  nichts  mehr  beigetragen. 

Aus  diesen  Belegen6)  ergibt  sich  nun,  wohl  zur  allgemeinen 
Überraschung,  daß  die  in  jenem  Brief  von  Schelling  erwähnte 
Rezension  eine  Besprechung  von  A.  v.  Kotzebues  .,  Kleinen  Ro- 
manen, Erzählungen  usw."  gewesen  ist.  Aber  nicht  genug  damit. 
Bei  weiterer  Nachforschung  kamen  noch  eine  ganze  Reihe  ähn- 
licher Beurteilungen  ans  Tageslicht,  die  alle  in  den  Akten  unter 
dem  Namen  Schelling  gehen.  Aber  darum  müssen  sie  noch 
keineswegs  auch  alle  von  ihm  selbst  verfaßt  sein.  Eine  eingehendere 
Untersuchung  konnte  vielmehr  mit  Bestimmtheit  feststellen,  daß  ein 
großer,  ja  der  größere  Teil  derselben  Carolinen  zuzuweisen  ist.  Mit 
diesen  Rezensionen  hat  es  nun  eine  eigene  Bewandtnis.  Schon  am 
20.  Juni  1804  hatte  sich  Eichstädt  an  Schelling  mit  der  Bitte  ge- 
wandt, ihm  einen  tüchtigen  Mitarbeiter  im  Fache  der  schönen  Lite- 
ratur zuzuweisen.  Die  Belletristik,  das  war  überhaupt  für  den  Re- 
dakteur der  Literatur-Zeitung  eine  böse  Sache !  Schon  in  den  ersten 
Monaten  des  Bestehens  der  neuen  Zeitung  mußte  Eichstädt  Goethe 
sein  Leid  klagen,  wie  schlimm  es  sei,  „daß  zu  den  gewöhnlichen 
Produkten  der  sogenannten  Belletristik  vorzügliche  Rezensenten 
sich  nicht  verstehen,  und  jene  Produkte  gleichwohl  angezeigt  werden 
müssen,  schon  der  Verleger  ha(l)ber".7)    W.Schlegel,  von  dem  man 


G)  Zu  diesen  Quellen,  auf  die  ich  durch  einen  freundlichen  Hinweis  von 
Herrn  A.  Leitzmann  in  Jena  aufmerksam  gemacht  worden  bin,  kommen  noch 
die  ungedruckten  Briefe  Eichstädls  an  Schelling,  in  Schellings  Nachlaß,  deren 
Benutzung  mir  in  dankenswertester  Weise  gestattet  wurde.  Das  Studium  aller 
dieser  Akten  an  Ort  und  Stelle  ist  mir  durch  eine  Unterstützung  der  Heidel- 
berger Akademie  der  Wissenschaften  ermöglicht  worden,  für  die  ich  auch  hier 
meinen  Dank  abstatte.  Vor  allem  ist  aber  der  Verfasser  Geh.  Rat  Windel- 
band   für  mannigfaltige  Förderung  dieser   Arbeit  verpflichtet. 

")  Brief  von  Eichstädt  an  Goethe  v.  15.  April  1801  in  den  im  Goethe- 
Archiv  befindlichen  „Acta,  die  allgemeine  Jenaische  Literatur -Zeitung  betr.", 
1S04,  Vol.   III,  80. 


v  Erich  Krank  : 

sich  gerade  in  diesem  Fache  viel  versprochen  hatte  —  waren  doch 
der  alten  Jenaischen  Literatur-Zeitung  in  einem  Zeitraum  von  nicht 
mehr  als  41  a  Jahren  last  300  Rezensionen  von  ihm  eingesendet 
worden'')  —  schien  anfangs  die  neue  Zeitung  im  Stich  lassen  zu  wollen. 
In  der  Tat  hat  er  bis  zum  Jahre  1808  nur  acht  Rezensionen  geliefert 
(von  Böcking  in  den  Werken  Bd.  XII,  157ff.  abgedruckt).8)  Da  schlug 
Goethe  Schiller  als  Rezensenten  für  dieses  Fach  der  Literatur  vor 
(Weimarer  Ausgabe  IV  Nr.  4958).  „Mit  Hilfe  dieses  vortrefflichen 
Mannes",  antwortete Eichstädt,  „würde  freilich  in  dem  belletristischen 
Fache  bald  und  glücklich  aufgeräumt  werden,  wenn  er  nur  Lust 
und  Mut  genug  behielte.  Aber",  fügte  er  gleich  hinzu,  „eigene  Er- 
fahrung flößt  einiges  Mißtrauen  in  die  Beharrlichkeit  ein,  welches 
ich  Schillern  selbst  nicht  verhehlt  habe."  (Br.  v.  22.  Juli  1804  in 
in  den  ..Akten"  Vol.  III,  129.)  Dieses  Mißtrauen  erwies  sich  nur 
als  zu  berechtigt.  Tatsächlich  hat  die  Literatur- Zeitung  nie  einen 
Beitrag  von  Schiller  erhalten.  In  dieser  Not  kam  nun  Eich>tädt 
von  Schelling  Hilfe.  Am  20.  Dezember  1804  (Plitt  II,  43.)  schreibt 
er  dem  Redakteur:  „Wegen  des  Mitarbeiters  im  Fache  der  schönen 
Literatur  weiß  ich  keinen  andern  Vorschlag  zu  tun  als  diesen: 
Schicken  sie  eine  Anzahl  Bücher  aus  diesem  Fache  hierher  an  mich. 
Sie  erhalten  davon  Rezensionen.  Finden  sie  diese  gut,  so  über- 
nehme ich  ein  für  alle  Mal  die  Besorgung  und  kann  für  eine  An- 
zahl Beyträge  von  derselben  Hand  stehen."  Eichstädt  willigte  mit 
Freuden  ein.  Denn  es  war  nicht  schwer  zu  erraten,  daß  „der  vor- 
geschlagene Recensent  am  Ende  wohl  eine  Recensentin  sein  wird", 
(Br.  an  Goethe  v.  30.  Dez.  1804  in  den  „Acta"),  und  Caroline  konnte 
Eichstädt  als  Verfasserin  mancher  von  W.  Schlegel  der  alten  Literatur- 
Zeitung  eingesandten  Rezension  nicht  unbekannt  sein.9)  Und  so 
schickte  er  gleich  nach  Empfang  des  Briefes  eine  „kleine  Anzahl 
sogenannter  belletristischer  Produkte  von  der  Expedition  ab",  um, 
wie  er  sich  Goethe  gegenüber  ausdrückte,  „eine  Probe  zu  machen". 
(Br.  Eichstädts  an  Goethe  v.  30.  Dez.  1804,  Akten  Vol.  III,  168).  Aus 
den  Akten  können  wir  noch  feststellen,  welche  Bücher  das  ge- 
i  -ein  müssen:  'Bürde',  'Calezkf,  'Nathan  der  Weise' (Travestie), 


Haym,    Bomant.    Schule,    S.    L65.     Vgl.    Schriften   der   Goethe-G 
schaft,  Bd.  XIII    (Goethe  and   die   Romantik),   S.    112—172. 

Die  Rezensionen  Carolinens  hat  Schlegel  in  seiner  Ausgabe  der  :,Kri- 
hriften"  vom  Jahre   L827   mil   einem   Sternchen   bezeichnet,   als  die 
einer   Frau,   „welche  alle  Talente   besaß,   um  als   Schriftstellerin   zu  glänzen, 
deren  Ehrgeiz  aher  nicht  darauf  gerichtet  war". 


Rezensionen   über   schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  '.> 

die  Zeitschrift  Aurora"  und  der  'Musenalmanach  von  Varnhagen  und 
Ghamisso\  Schon  am  22.  Februar  1805  gingen  die  versprochenen 
Rezensionen  ein.  Nur  die  Beurteilung  des  Musenalmanachs  ließ 
noch  bis  zum  2.  April  1805  auf  sich  warten.  Kein  Zweifel,  daß 
diese  Besprechungen  alle  von  Caroline  verfaßt  sind:  Zwei  von  ihnen. 
die  der  'Aurora"  und  die  des  'Musenalmanachs',  liegen  uns  noch 
handschriftlich  vor  und  zeigen  im  Manuskript  die  charakteristischen 
Züge  von  Carolinens  Hand.  Aber  dies  allein  wäre  noch  kein  Be- 
weis ihrer  Autorschaft;  denn  wir  wissen,  daß  Caroline  alle  Arbeiten 
Schellings  abzuschreiben  pflegte,  ehe  sie  in  den  Druck  kamen 
(vgl.  z.  B.  Waitz,  Caroline  II  Nr.  32G  u.  ö.).  Und  darum  müßten 
wir  von  vornherein  annehmen,  wenn  wir  es  auch  nicht  bestimmt 
wüßten,  daß  auch  die  von  Schelling  verfaßten  Rezensionen  von 
Caroline  abgeschrieben  waren.  So  erfahren  wir  zufällig  aus  Waitz, 
Bd.  I,  S.  V,  daß  die  Beurteilung  der  „Erzählungen  von  Kotzebue 
und  Eberhard*'  noch  von  Carolinens  Hand  geschrieben  vorliegt, 
nur  ..mit  einem  Zusatz  von  Schelling"  ;  —  und  doch  ist  sie 
sicherlich  ganz  von  Schelling  selbst  verfaßt.  Zwar  verpflichtete 
§  5,  Punkt  q  des  Kontraktes,  den  jeder  Rezensent  und  so  auch 
Schelling  hat  unterschreiben  müssen,  ausdrücklich  dazu,  ..jede  Re- 
cension  von  des  Herren  Recensenten  eigener  Hand,  jedoch  ohne 
seines  Namens  Unterschrift  einzusenden,"  aber  ebenso  ausdrücklich 
war  Schelling  von  dieser  Bestimmung  befreit  worden:  ..Lassen 
sie  immer  die  Recensionen  schreiben  oder  abschreiben,  so  wie  es 
ihnen  gefällt;"  schreibt  Eichstädt  an  Schelling  am  G.  März  1807, 
..ich  glaube  die  Handschrift  zu  kennen,  und  ich  Aveiß,  daß  diese 
geistvollen  Züge  von  einer  Hand  herrühren,  welche  das  letzte  tut, 
weil  sie  auch  das  erste  vermag".10)  Somit  ist  für  die  Frage,  ob 
eine  Rezension  von  Schelling  oder  Caroline  ist,  die  Tatsache  ohne 
Bedeutung,  daß  sie  von  Carolinens  Hand  geschrieben  ist;  deshalb 
kann  sie  noch  immer  von  Schelling  verfaßt  sein.  Diese  Frage  läßt 
sich  vielmehr  nur  durch  Beobachtung  des  Stiles  endgültig  entscheiden; 
und  das  ist  nicht  schwer.  Denn  die  abstrakte,  und  doch  immer  klar 
gegliederte  Sprache  des  Philosophen  mit  dem  logisch  geschlossenen 
Aufbau  der  Gedanken  scheidet  sich  so  deutlich  von  den  leichten  und 
schalkhaft- graziösen  Sätzen  Carolinens,  daß  es  uns  sogar  gelungen 
ist,  in  einer  von  Caroline  und  Schelling  gemeinsam  verfaßten 
Rezension  mit  aller  Bestimmtheit  die  Stelle  (unten  S.  39)  zu  zeigen, 


')   Eingedruckt  im  Schellingschen  Nachlaß. 


lu  Erich   Frank  : 

wo  der  Schellingsche  Text  aufhört  und  der  Carolinens  anfängt.  Da 
aber  der  Beweis  für  die  Richtigkeit  unserer  Zuweisung  der  einzelnen 
Rezensionen  an  Caroline  und  Schelling  uns  hier  zu  sehr  ins  einzelne 
führen  würde,  so  haben  wir  ihn  lieber  bei  Gelegenheit  der  Erläute- 
rung der  einzelnen  Stücke  gebracht. 

Dagegen  möchte  ein  Wort  über  den  allgemeinen  Charakter  der 
neuen  Jenaischen  Literatur-Zeitung  nicht  unwillkommen  sein.  Wer 
heute  diese  Zeitung,  von  der  täglich  —  mit  Ausnahme  der  Sonn- 
ünd  Feiertage  —  eine  Nummer  von  einem  halben  Bogen  erschien 
und  in  der  nichts  anderes  als  Rezensionen  stehen,  durchblättert, 
der  wird  es  kaum  verstehen,  wie  ein  solches  Blatt  überhaupt  sich 
erhalten  konnte;  und  doch  konnte  es  nicht  nur  dies,  ihr  Redakteur 
ist  sogar  reich  an  ihr  geworden  und  konnte,  als  er  starb,  nicht 
weniger  als  fünf  Rittergüter  seinen  Erben  hinterlassen  (vgl.  Bieder- 
mann, Goethes  Briefe  an  Eichstädt.  Einleitung  S.  XXII).  Dabei 
waren  die  Honorare  der  Mitarbeiter  für  die  damaligen  Verhältnisse 
keineswegs  niedrig.  Ein  Rezensent  erhielt  für  jeden  Bogen  einer 
Rezension  „171/2  Rhein.  Taler  Conventionsfuß",11)  ein  Korrespondent 
für  den  Bogen  der  im  ..Intelligenzblatt"  zu  veröffentlichenden  Korre- 
spondenzen 10  Taler,  so  daß  man  versteht,  wie  damals  die  Literaten 
im  wahren  Sinne  des  Wortes  vom  Rezensieren  leben  konnten.  Um 
die  Bedeutung  dieser  Zeitung  für  ihre  Zeit  recht  zu  begreifen,  müssen 
wir  eben  bedenken,  daß  jenem  Geschlechte  die  Literatur  etwa  das 
geworden  war,  was  uns  heute  die  Politik  ist,  und  daß  die  litera- 
rischen Ereignisse  und  Streitigkeiten  das  allgemeinste  und  lebhafteste 
Interesse  des  Publikums  hervorrufen  konnten. 

Die  alte  Jenaische  allgemeine  Literatur-Zeitung  hatte  nun  eine 
lmiix  besondere  Bedeutung  dadurch  erlangt,  daß  sie  unter  den  Re- 
dakteuren Schütz  und  Hufeland  seit  dem  Jahre  1785  zum  Organ  der 
kantischen  Schule  geworden  war.    Darin  lag  der  Grund  ihres  großen 


n)  „Acta,  die  Stiftung  einer  Neuen  Allgemeinen  Literatur-Zeitung  zu 
Jena  betr.",  L803,  Vol.  I,  56;  vgl.  Wuttke,  Die  deutschen  Zeitschriften, 
S.  27:  „Die  (seil,  alte)  Jenaer  Literatur-Zeitung  entrichtete  für  den 
Druckbogen  •';  Friedrichsd'or,  was  bei  dem  Geldwerl  im  vorigen  Jahrhundert 
ein  ansehnlicher  Geldlohn  war  ;  denselben  Satz  bezahlte  die  allgemeine 
Literatur-Zeitung  in  Halle  noch  in  den  vierziger  Jahren".  —  Die  Gesamtkosten 
■  Jahres  der  neuen  Literatur-Zeitung  sind  von  Eichstädt  in  einer 
Eingabe  an  Goethe  (Akten,  Vol.  I,  50)  auf  10000— 12000  Taler  berechnet 
worden,  wovon  allein  auf  Rezensenten-Honorare  2738.12  Taler  entfielen  (auf 
Druckkosten:  1229.20,  Buchbinder:  290,  Post:  100,  Intelligenzblatt :  592,12, 
Korrektur  :    195,20). 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und  Caroline.  11 

Ansehens,  darin  aber  auch  der  ihres  späteren  Verfalls.  Denn  indem 
diese  Zeitung  am  starren  Kantianismus  selbst  in  einer  Zeit  noch 
festhielt,  wo  die  Philosophie  durch  Fichte  und  Schelling  schon  längst 
über  diesen  engen  Standpunkt  hinausgeführt  worden  war,  mußte  es 
notwendig  zum  Bruche  gerade  der  kräftigsten  und  hoffnungsvollsten 
Talente  mit  ihr  kommen.  Haym  hat  ausführlich  den  Streit  Schlegels 
und  Schellings  mit  der  Literatur-Zeitung  erzählt.  (Romant.  Schule, 
S.  729  ff.)  Die  Folge  des  Abfalles  der  Führer  war,  daß  sich  die  ganze 
romantische  Schule  von  der  Zeitung  abwandte,  und  nun  ging  es  schnell 
mit  ihr  bergab.  Da  glaubte  der  Piedakteur  Schütz  den  drohenden 
Verfall  durch  eine  Verpflanzung  des  Blattes  nach  Halle  aufhalten  zu 
können.  Das  wäre  ein  schwerer,  vielleicht  nicht  zu  verwindender 
Schlag  für  die  Universität  Jena  gewesen,  die  durch  den  Weggang  so 
vieler  bedeutender  Männer  wie  Fichte,  Schelling,  Hufeland  u.a. 
in  den  letzten  Jahren  schon  schwer  genug  geschädigt  worden  war. 
Als  daher  Goethe  von  dem  Vorhaben  der  Redaktion,  die  Zeitung 
nach  Halle  zu  verlegen,  Kenntnis  erhielt  (Ende  August  1803),  setzte 
er  gleich  alles  in  Bewegung,  um  den  heimtückischen  Plan  zu  durch- 
kreuzen. Seiner  energischen  Klugheit  und  wohl  vor  allem  dem 
Gewicht  seines  Namens  gelang  es  denn  in  der  Tat  wider  aller  Er- 
warten, in  wehig  mehr  als  drei  Monaten  in  Jena  eine  neue  Literatur- 
Zeitung  zustande  zu  bringen;  und  als  am  1.  Januar  1804  die  alte 
Literatur-Zeitung  in  Halle  zu  erscheinen  anfing,  da  konnte  auch  schon 
die  erste  Nummer  der  neuen  „Allgemeinen  Literaturzeitung"  in  Jena 
ausgegeben  werden.  Goethe  hat  in  seinen  Tages-  und  Jahresheften 
den  ganzen  Hergang  anschaulich  erzählt.  Das  erste  aber  war  ge- 
wesen, daß  Goethe  die  Verbindung  gerade  mit  den  beiden  Häuptern 
der  romantischen  Schule,  deren  Abfall  die  eigentliche  Ursache  für 
den  Niedergang  der  alten  Zeitung  gewesen  war,  mit  W.  Schlegel 
und  Schelling,  wieder  anknüpfte.  Hatte  die  alte  Zeitung  die  kan- 
tische Philosophie  auf  ihren  Schild  gehoben,  so  sollte  die  neue,  um 
sich  deutlich  von  dieser  abzuscheiden,  sich  der  Philosophie  Schellings 
annehmen  (vgl.  Steffens,  „Was  ich  erlebte",  Bd.  V,  S.  11  ff.  und  der 
Briefwechsel  Goethes  mit  Schelling,  Schlegel  und  Steffens  in  „Schriften 
der  Goethe-Gesellschaft",  Bd.  13).  Die  neue  Zeitung  hatte  darum  ur- 
sprünglich mit  einer  Rezension  über  Schellings  Naturphilosophie  von 
eben  demselben  Steffens  eröffnet  werden  sollen12),  von  dem  die  alte 


12)  Die     Rezension     erschien     allerdings    durch     die     Saumseligkeit     von 
Steffens  erst  in  den  Nummern  vom   1.  Mai  und  10.  Juni  1805. 


12  !   !  ich    Trank  : 

Literatur-Zeitung  eine  Rezension  ober  Schellings  naturphilosophische 
Schritten  zurückgewiesen  und  damit  den  Anlaß  zum  Bruche  Schel- 
lings mit  ihr  gegeben  hatte.13)  Demonstrativer  hätte  der  von  der 
alten  ganz  verschiedene  Charakter  der  neuen  Literaturzeitung  nicht 
betonl  wnden  können.  Daß  nun  schließlich  die  Zeitung  doch  nicht 
in  dem  Maße  ein  Ausdruck  der  neuen  romantischen  Bewegung  wurde, 
wie  Goethe  es  ursprünglich  offenbar  beabsichtigt  hatte,  daran  dürfte 
der  Redakteur  Eichstädt  schuld  gewesen  sein,  der  von  seinem  mehr 
rfrerkantilischen  Standpunkte  aus  es  nicht  für  ratsam  hielt,  daß 
die  Literaturzeitung  sich  nach  einer  bestimmten  Richtung  hin  fest- 
lege. So  wußte  er  es  gleich  anfangs  bei  Goethe  durchzusetzen, 
daß  neben  Schelling  auch  dessen  Gegner  Reinhold  als  Rezensent 
im  philosophischen  Fache  angenommen  wurde14),  „weil  die  andere 
Partey  auch  in  Leipzig  recht  geflissentlich  das  Gerücht  verstreut 
hat,  daß  unsere  Zeitung  nur  die  Schellingische  Philosophie  pre- 
digen werde"'  (ungedruckt  im  Goethe-Schiller-Archiv,  , .Akten''  Vol.  II). 
Aber  trotzdem  wird  man  einer  Zeitschrift,  zu  deren  bedeutendsten 
Mitarbeitern  (neben  Goethe,  Johannes  von  Müller,  Voß  und  Rein- 
hold) Schelling,  Caroline,  W.  Schlegel,  Schleiermacher,  Steffens, 
Creuzer,  Savigny,  Solger,  Baader  und  Oken  gehörten,  den  roman- 
tischen Charakter  —  wenigstens  in  den  ersten  Jahren  ihres  Be- 
stehens —  nicht  ganz  absprechen  können.15) 

!       S.   Schelling,   WW.,  I,  3,  S.   635 — 658  =  Zeitschrift  /.   spekulative 

'.  1800,  Bd.  I,  ■!'..> — 99;  an  dieser  letzten  Stelle  hat  auch  die  erste 
Rezension  Steffens'  ihren  Platz  gefunden.  Vgl.  Kuno  Fischer,  Schelling, 
Heidelberg    1U02-,    S.   85—90. 

u)  Reinhold  besprach  in  Nr.  106  v.  4.  Mai  1805  Müllers  Lehre  vom 
Gegensatz,  in  Nr.  279f.  v.  21  f.  Nov.  1804  Fichtes  sonnenklaren  Bericht,  in 
der  Nr.  94  v.  19.  April  1804  Koppen  „Schellings  Lehre",  in  Nr.  7  1812 
Fichtes    Wissenschaftslehre   u.   a. 

15)  Indessen  hat  Bobeth  in  seinem  interessanten  Buche  über  die  „Zeit- 
schriften der  Romantik",  Leipzig  1911,  die  neue  Jenaische  Literatur- 
Zeitung  nicht  ausführlicher  behandelt,  offenbar,  weil  er  sich  auf  das  Material 
Im  Veröffentlichungen  der  Bibliographischen  Gesellschaft  über  diesen  Gegen- 
d    hat.  beschränken   wollen. 


Rezensionen    über  schöne   Literatur  von   Schelling   und   Caroline. 


I.  Rezensionen  Schellings. 

1.  Jenaische  Allgemeine   Literaturzeitung   Nr.  82  (7.  April)  1806. 

Schöne   Künste. 

Leipzig,  b.  Kummer  :  Kleine  Romane,  Erzählungen,  Anekdoten  und  Miscellen, 
von  August  von  Kotzebue.  Erstes  Bändchen.  1805.  11  1  S.  kl.  8.  Nebst 
Titelkupfer. 

Mit  der  Gewandtheit  des  Hr.  v.  Kotzebue  weiß  man  jede  Form  oder 
Unform  für  die  Unterhaltung  des  Publicums  zu  benutzen  :  wir  haben  dieses- 
mal  ein  geistreiches  Vademecum  von  ihm  erballen,  dessen  obigem  Zweck 
diese  Anzeige  gern  durch  eine  kurze  Darlegung  des  Inhalts  beförderlich  isl. 
Von  Kritik  kann  dabey  wenig  die  Rede  seyn.  Es  ist  schon  lange  her,  daß 
dieser  Schriftsteller  ihr  keine  Seile  mehr  bietet,  es  sey  denn  die  Spitze,  wo- 
von auch  die  vorliegende  Sammlung,  in  welcher  er  manchen  Zug  seiner  Per- 
sönlichkeit niederlegte,  direct  und  indirect  ein  Beweis  ist.  Wir  finden  sogar 
eine  Stelle  wo  er  mit  „einem  Freymüthigen"  droht.  Es  ist  jedoch  keinesweges 
Furcht,  wenn  wir  bey  dieser  schicklichen  Gelegenheit  im  Allgemeinen  an- 
erkennen, daß  Hr.  v.  K.  seine  gänzliche  Vollendung  wirklich  so  gut  wie  er- 
reicht hat.  In  Absicht  mancher  Eigenschaften  war  er  vielleicht  von  jeher  per- 
fect  zu  nennen  ;  in  anderen  zeigte  er  eine  ebenso  geschmeidige  wie  unermüd- 
liche Perfectibilität.  So  ist  es  unter  anderen  auffallend,  wie  sehr  er,  seit  seiner 
Aufnahme'  in  eine  Akademie  der  Wissenschaften,  als  Gelehrter  Fortschritte, 
zu  machen  und  das  Reich  seiner  Kenntnisse  zu  erweitern,  bemüht  ist.  Kaum 
findet  die  Menge  derselben  noch  Raum  genug,  sich  zu  ergießen;  er  muß 
immer  wieder  neue  Wege  der  Mittheilung  suchen.  In  früheren  Jahren  schien 
er  ein  solches  Fundament  einigermaßen  zu  vernachlässigen,  und  alles  Gelingen 
gleichsam  auf  glückliche  Karten  zu  setzen  ;  jetzt  aber  strebt  er  offenbar  auch 
die  Gründlichkeit  nachzuholen  und  ein  solides  Spiel  zu  spielen,  wobey  er 
denn  doch  das  ganze  leichte  Wesen  eines  angenehmen  Wagehalses  beybehält. 
Wir  glauben  ihm  den  Weg,  den  er  bey  seinen  Studien  nimmt,  abgemerkt  zu 
haben.  Es  ist  einestheils  der,  welchen  auch  wohl  andere  nicht  verschmähten, 
uin  den  Vorrath  des  Stoffes  für  ihre  witzigen  Combinationen  zu  vermehren, 
nämlich  Leetüre  von  allem,  was  ihnen  unter  die  Hände  kommt,  und,  vor  allen 
Dingen,  von  Charteken.  Auch  diese  können  irgend  eine  Thatsache,  eine  Toll- 
heil,  eine  Anregung  enthalten,  aus  denen  ein  Jean  Paul  z.  B.  elektrische  Blitze 
zieht,  so  gut  wie  ein  Physiker  aus  Pech  und  Hasenfellen.  Außerdem  begegnet 
es  aber  dem  Hr.  v.  K.  weit  öfterer,  das  wirklich  Erlesene  und  Vortreffliche, 
über  welches  er  geräth,  ebenfalls  nur  wie  Charteken  gebrauchen  und  aus- 
ziehen zu  wollen,  was  denn  ein  umgekehrtes  Resultat  giebt.  Im  Ganzen  er- 
lauben wir  uns  seine  gesammte  Art  zu  studiren  als  eine,  wiewohl  höchst  edle, 
Art  des  Lumpensammeins  zu  betrachten,  wobey  der  Ertrag,  ohne  Sonderling, 
in  Eine  Masse  verarbeitet  wird,  und  das  Papier  gleich  bedruckt  zum  Vorschein 
kommt.  Zuweilen  stellt  er  sogar  persönliche  Wänderungen  zu  diesem  Behuf 
an.  Wer  hat  nicht  die  Mannichfalligkeit  der  christlichen  und  heidnischen 
Notizen  sammt  den  Kunstansichten  bewundert,  welche  auf  seiner  letzten  Beise 


14  Erich  Frank  : 

von  ihm  gesammeil  wurden?  --  Eine  andere  Bemerkung  ist  die,  daß,  seit 
Einige  —  unseres  Bedünkens  nach  sehr  ungeschickt,  insofern  sie  den  Ruhm 
des  Hr.  v.  K.  unterdrücken  wollten,  —  denn  dieser  ist  dadurch  nur  glän- 
zender aus  der  Asche,  die  er  selbst  einmal  büßend  auf  sein  Haupt  gestreut 
hatte,  emporgestiegen  —  seit  also  Einige  sich  es  einfallen  ließen,  Witz  über 
ihn  zu  haben,  ist  er  seiner  Seils  im  Witz  unendlich  vorwärts  gegangen;  er  hal 
ihn  sowohl  in  mehrere  Zweige  ausgebildet,  als  auch  mehr  Leben  und  Schalk- 
heil darin  gewonnen.  An  Keckheit,  seinen  Gegenstand  zu  unternehmen,  hat 
es  ihm  bekanntlich  nie  gefehlt;  im  rechtem  Schwünge  der  Ausführung  durfte 
er  jedoch  zunehmen,  und  hat  es  so  sehr  gethan,  daß  man  bekennen  muß  :  er 
ist  gegenwärtig  oft  bis  zum  Verzweifeln  witzig.  Die  Form  der  Erzählung  und 
der  Fragmente  ist  diejenige,  welche  er  zu  dem  Ende  am  meisten  eultivirt. 
-  Endlich  müssen  wir  auch  die  Consequenz  loben,  zu  der  er  gediehen  ist. 
Denn,  wenn  eine  noch  so  gesunde  Urtheilskraft  schwanken,  sich  von  Vorliebe, 
Abneigung  oder  Laune  irgend  einmal  verführen  lassen  kann,  aus  der  Bahn  zu 
scli weifen,  so  ist  Hr.  v.  K.  aller  Phantasie  zum  Trotz,  die  man  bey  ihm 
voraussetzen  darf,  über  gewisse  Dinge  unerschütterlich  und  unbestechlich; 
sein  Abscheu  ist  constant,  sobald  es  auf  das  sogenannt-wahrhaft  Große  und 
Gute,  das  Geheiligte,  das  Tiefsinnige  ankommt.  Er  verfolgt  es  vom  Höchsten 
an  bis  auf  die  letzte  Spur,  bis  zu  den  schwächsten  Bemühungen,  und  der- 
gestalt, daß  es  augenscheinlich  nicht  die  Schwachheit,  sondern  die  Bemühung 
ist,  welche  ihn  reizt.  Wir  können  dieses  alles  zwar  nur  mit  Wenigem  hier  an- 
deuten, die  Belege  dazu  aber  werden  sich  beym  Durchblättern  dieses  reichen 
Vorrathes  linden.  —  Er  ist  unter  folgende  Abschnitte  gebracht:  Roman,  Er- 
zählungen, Anekdoten,  Miscellen.  Das  erste  Buch  eines  Romans  in  zwey 
Büchern,  des  Pfarrers  Tochter,  führt  eine  scherzhaft  gefühlvolle  oder  eine 
gefühlvoll  scherzhafte  Geschichte  bis  an  den  Wendepunkt,  wo  die  schöne 
Pfarrerstochter  an  einen  eitelen,  jungen  Mann  in  der  Residenz  verheyratet  und 
beynahe  von  seiner  Schwachheil  angesteckt,  im  Kampf  begriffen  ist,  ob  sie  zur 
Weihnachtszeit  den  alten  Vater  auf  dem  Lande  besuchen  oder  einen  glän- 
zenden Aufzug  auf  einer  Maskerade,  als  Siegesgöttin,  mitmachen  soll.  Was 
wird  die  arme  Frau  thun,  den  Sieg  vorstellen  oder  den  Sieg  davon  tragen? 
Sie  hat,  wie  es  scheint,  eine  ganz  unschuldige  Freude  am  Bewundertwerden  ; 
man  sollte  sie  nicht  so  hart  auf  die  Probe  stellen,  bey  der  es  ihr  gehen 
könnte,  wie  dem  Nachtwandler,  der  erst  fällt,  wenn  man  ihn  auf  seine 
Schritte  aufmerksam  macht.  Auf  diese  Weise  wird  die  Sünde  recht  herbey- 
gelockt,  und  das  Übel  liegt  hier  hauptsächlich  doch  nur  darin,  daß  die  Frau 
einen  gar  unverständigen  Manu  hat,  üb  ihm  gleich  ein  „heller  Kopf"  zu- 
geschrieben wird.  Indessen  isl  diese,  auf  ein  freundliches  Glatteis  geführte, 
Tugend  schwerlich  der  eigentliche  Kern  der  Geschichte,  sondern  er  liegt  so 
zu  sagen  in  der  Schaale,  in  der  Behandlung  und  den  satirischen  Zwischen- 
spielen. Ehe  der  Mann  aus  der  Residenz  die  Pfarrerstochter  kennen  lernt, 
soll  er  eine  fatale  Kusine  heyrathen,  und  wird  von  ihr  und  ihrer  Mutter  zu 
einer  Reise  auf  das  Land  eingeladen.  Sie  halten  unterwegens  ein  Nachtlager, 
der  Vetter  soll  die  Damen  am  Morgen  durch  Klopfen  wecken,  ohne  die  Thür 
zu  öffnen,  und  verspricht  während  dem  Klopfen  „an  Fichtes  Prahlerey  das 
Uäthsel  du-  Welt  ::n  lösen  zu  denken,  um  jeden  sündhaften  (((.'danken  zu 
entfernen",  jene  schlafen  aber  „so  fest  wie  Leute,  denen  man  Goethes  Be- 
kenninisse   einer    schönen   Seele   vorliest"  ;    er    stößt    also    die    Thür    ein,    vor 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von   Schelling  und   Caroline.  15 

welche  die  Kusine  einen  Tisch  und  darauf  „einen  alten  ledernen  Großvater- 
stuhl" gestellt  hatte.  „Ach  I  aber  das  plumpe  Knie  des  Ritters  brachte  den 
dreybeinigen  Tisch  aus  dem  Gleichgewicht,  der,  da  er  selbst  nicht  mehr 
stehen  konnte,  die  Zumuthung  für  ungerecht  hielt,  den  alten  Großvaterstuhl 
länger  zu  tragen,  zu  dessen  Stütze  ohnehin  sein  Schöpfer  trotz  des  mangelnden 
Beines  (?)  ihn  ja  nie  bestimmt  habe.  Er  entledigte  sich  daher  ohne  Um- 
stände der  demüthigenden  Last,  die,  fallend,  mit  der  hohen  Lehne  bis  an  den 
Fuß  des  Bettes  reichte,  und  unglücklicherweise  ein  Geschirr  zerschlug,  das 
nicht  so  leer  war,  wie  der  Marmorbrunnen  zu  Nürnberg.  Dieses  Zerschlagen  ge- 
schah vermittels  eines  der  breiten  Ohren  des  Großvaterstuhls,  welches  gerade 
mit  seiner  ganzen  Fläche  die  Oberfläche  des  Inhalts  traf,  daß  er  stolz  empor- 
stieg wie  die  Fontainen  auf  dem  Petersplatze  zu  Rom,  bis  das  Gesetz  der 
Schwere  ihn  zwang,  auf  Belt  und  Gesicht  der  schlafenden  Schönen  in  Mil- 
lionen Tropfen  herab  zu  stürzen.  Hilf  Himmel  !  Welch  ein  Erwachen  !  wie 
verschieden  von  Adams  seligem  Erwachen  durch  .Maliler  Müller  beschrieben  ! 
Welch  ein  zuckendes  Streben  der  Purpurlippen,  die  Wuth  in  Tönen  zu  äußern  ! 
und  welche  Töne  würde  man  vernommen  haben,  hätte  nicht  die  weise  Be- 
trachtung, es  sey  fürs  erste  nothwendig,  die  zarten  Lippen  nicht  allein  zu  ver- 
schließen, sondern  sogar  ein  wenig  einwärts  zu  klemmen,  die  Oberhand  be- 
halten. Wie  aber  sollte  nun  die  zürnende  Aurora  —  zur  Strafe  ihres  Ver- 
späten durch  eigenen  Thau  geweckt,  ihr  Antlitz  schnell  genug  davon  be- 
freyen?"  etc.  Wir  können  uns  zwar  kaum  enthalten,  den  Leser  ernstlich  um 
Entschuldigung  zu  bitten,  daß  hier  eine  Scene  unter  seine  Augen  gebracht 
wird,  welche  leicht  mehrere  Sinne  afficiren  möchte  :  er  bedenke  aber,  daß  der 
Vf.  ein  Mann  ist,  der  in  den  ersten  und  gebildetsten  Zirkeln  lebt,  mithin 
wissen  muß,  was  er  ihnen  zumuthen  darf,  und  traue  lieber  seinen  Sinnen 
nicht,  als  daß  ihm  diese  fleißig  ausgemahlte  Erfindung  bis  zum  tiefsten 
Schmutz  ekelhaft  scheinen  sollte.  Vielmehr  bemerke  er  mit  Wohlgefallen,  wie 
der  Vf.  Mittel  findet,  die  Objecte  steigernd,  zuerst  den  Marmorbrunnen  zu 
Nürnberg,  dann  die  Fontainen  auf  dem  Petersplatze  zu  Rom,  zuletzt  das  Ant- 
litz der  reinen  Göttin  Aurora  in  den  Kreis  seiner  Scherze  zu  bannen,  and  sie 
sich  kraft  jenes  Nasses  zu  eigen  zu  machen,  wie  einst  Circe  durch  Tränke  die 
Gefährten  des  Ulysses,  aus  denen  dann  unsaubere  Thiere  wurden,  welche  sie 
in  ihre  Ställe  sperrte.  —  Wie  Hr.  v.  K.  auf  solche  überraschende  Wen- 
dungen kommt,  wodurch  überhaupt  seine  Erzählungen  das  Ansehen  gewinnen, 
als.  seyen  einzelne  Worte  wie  in  dem  bekannten  Gesellschaftsspiel  dazu  auf- 
gegeben, und  mit  nicht  gar  glücklicher  Begeisterung  die  Ausfüllung  impro- 
visirt,  dieses  läßt  sich  vielleicht  zunächst  aus  dem  Umstände  erklären,  den 
er  dem  Publicum  selbst  mitgetheilt  hat,  daß  nämlich  der  selige  Mutans  sein 
Oheim  war,  und  dieser  wackere  Mann  die  Gewohnheit  hatte,  theils  An- 
spielungen, welche  dem  Interesse  der  Zeit  gemäß  waren,  theils  andere  bekannte 
Mythen  aus  der  Kunst-  und  Naturgeschichte  seinen  gefälligen  Vulksmährchen 
ergötzlich  einzuweben  und  zu  dem  Ende  das  Höhere  selbst  leichtfertig  zu 
travestiren.  Aber  dieses  geschah  freylich  mit  einer  nie  sich  verleugnenden 
Reinlichkeit  der  Imagination  und  einer  Bescheidenheit,  der  man  es  anmerkte, 
daß  der  Mann  im  innersten  Herzen  das  Schöne  und  Rechte  als  schön  und 
recht  empfand,  und  das  Wissenschaftliche  respectirte.  Dem  Neffen  hingegen, 
wenn  er  sich  dieser  Manier  als  einer  zugefallenen  Erbschaft  gleichsam  be- 
dient,  glaubt  man  es  auf  das   erste   Wort,   daß    ihm   die   Dinge   nichts   werth 


t6  Erich   Frank  : 

sind,  auf  die  er,  spottend,  keinen  Werth  zu  legen  scheinen  will.  Zu  diesen  nicht 
ganz  delicat  ausgefallenen  Nachahmungen  müssen  wir  auch  die  Vergleichung 
dos  liebenden  Paares  (S.  96)  mit  Adam  und  Eva  rechnen,  welche  so  scldießt  : 
„Daß  Fernau  sieh  in  der  Gestalt  mit  Adam  messen  durfte,  kann  nicht  be- 
hauptet werden  :  fürs  Erste  war  er  hey  weitem  nicht  so  groß,  denn  von  den 
Rabbinen  wissen  wir.  daß  Adam  als  Flügelmann  jeder  Armee  Ehre  gemacht 
haben  würde,  indem  er  nicht  weniger  als  hundert  Ellen  maß  ;  fürs  Zweyle  ist 
wohl  unläugbar  der  Nabel  keine  sonderliche  Zierde  des  Mensehen,  da  nun 
Adam  bekanntlich  keinen  Nadel  hatte,  Fernau  hingegen  allem  Vermuthen  nach 
damit  war,  so  ist  auch  hierin  dem  Stammvater  ein  kleiner  Vorzug 
nicht  abzusprechen.  .Man  weiß  aber  aus  sicherer  Hand,  daß  Charlotte  an  diesen 
ml  noch  mit  keiner  Silbe  gedacht  hatte,  ja  daß  wenn  auch  hundert 
schöne  Riesen  ohne  Nabel  um  sie  geworben  hätten,  sie  doch  Fernau'n,  der 
nur  wenig  über  fünf  Fuß  maß,  schöner  als  sie  alle  würde  gefunden  haben." 
Es  scheint  nicht  recht  passend,  indem  man  das  Bild  eines  unschuldigen 
.Mädchens  anschaulich  zu  machen  gesonnen  ist,  mit  einer  solchen  Reminiscenz 
dazwischen  zu  treten.  Ebensowenig  will  der  „dicke  Erdbeer/laden'1,  der  das 
Knie  des  Liebhabers  bey  der  ersten  Erklärung  befleckt  hat,  und  den  die 
Mutter  anfangs  für  Blut  ansieht,  eine  angenehme  Vorstellung  gewähren.  Man 
bescheidei  sich  indessen  hierüber  :  sollte  der  Vf.  es  auch  in  den  launichten 
Einfällen  hie  und  da  verfehlt  haben,  so  sind  die  satirischen  Ausfälle  desto 
treffender.  Er  bedient  sich  dabey  durchaus  schlagender  Waffen.  Die  fatale 
Kusine  z.  B.  muß  eine  Sitzung  halten,  in  welcher  ein  Sonett  von  Tick  de- 
clamirf,  sodann  ein  Kapitel  aus  Jacob  Böhm  vorgelesen  wird,  darauf  die 
Andacht  zu  Kreuz  von  Calderone,  „durch  deren  Obersetzung  sich  Schlegel  ein 
unsterbliches  Verdienst  um  die  deutschen  Christen  erworben  hat",  zuletzt 
einige  Lieder  von  Novalis.  Die  Götter  Griechenlands  von  Schiller  muß  sie 
zum  Gegenstand  eines  glänzen  sollenden  Tischgesprächs  nehmen,  die  Pfarrers- 
tochter  aber  mit  Delille's  Dithyrambe  sur  Vimmortalite  de  Vame  ..dir  Götter" 
zum  schweigen  bringen.  Man  begreift  leicht,  daß  im  Munde  der  fatalen 
Kusine  jene  armen  Leute  dem  Geschick  nicht,  entgehen  können,  Fratzen  zu 
..»■ihn,  Delille'n  hingegen  die  Unsterblichkeit,  die  er  der  Seele  überhaupt  zu- 
sichert, auch  für  seine  Person,  durch  das  Medium  der  schönen  Pfarrerstochter 
zugesichert  wird.  Andere  sinnreiche,  obschon  nicht  neue  Züge,  z.  B.  wie  der 
Liebhaber  die  ihm  nur  zum  Theil  sichtbare  Gestalt,  des  Mädchens  durch  zier- 
liche Schlüsse  vollends  enträthselt,  wo  es  unter  anderen  heißt:  „die  beiden 
Endender  grünen  Schleife  'womit  der  Hut  zugebunden  war)  hingen  nicht  gerade 
herunter,  sondern  ihre  Richtung  hielt  ungefähr  das  Mittel  zwischen  horizontal 
und  perpendicular,  folglich  hatte  das  Mädchen  einen  schön  gewölbten  Busen", 
wollen  wir  übergehen,  aber  dem  Originalroman  'He  Erzählungen  und  Anek- 
doten nicht  ganz  zu  versäumen,  die  zwar  größtenteils  schon  oft  gelesen  und 
wieder  verarbeitet,  selbst  aus  Zeitungsblättern  gezogen  sind,  allein  durch  den 
neuen  Vortrag  auch  neue  Unterhaltung  und  besonders  so  viel  Abwechselung  ge- 
währen, als  mau  nur  verlangen  mag.  Sie  fangen  mit  einem  Übermaß  mensch- 
lichen Elends  an,  welches  das  körperliche  Mitgefühl  des  unempfindlichsten 
Lesers  schmerzhaft  genug  erregen  wird.  Darauf  folgl  eine  Nachrichl  über  das 
Entstehen  und  die  ersten  Vorstellungen  von  Racine's  Esther;  dann  ein  Aus- 
zug aus  Dr.  Sehads  Klosterleben  u.  s.  w.  Daß  Racine  mit  der  gehörigen 
Superioritäl    behandelt    wird,    versteht    sich    von    selbst  ;    Hr.    ü.    K.    bringt    uns 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.  17 

zugleich  eine  von  den  ewiggültigen  Zeilen  des  Boilean  ins  Gedächtniß,  die 
er  bey  der  Gelegenheit  anführt,  wie  Racine  nicht  mehr  für  das  Theater 
schreiben  wollte  ;  Pradon  blieb  nämlich  damals  „Meister  vom  Kampfplatz, 
daher  Boileau  sagte  : 

Et  la  Scene  francoise  est  en  proye  ä  Pradon". 

Mil  dem  Auszug  aus  Dr.  Schads  Lehen  möchte  dessen  Verleger  vielleicht 
nicht  zufrieden  seyn,  indem  er  allerdings  vollständig  genug  ist,  um  der  Leetüre 
des  Buchs  seihst  zu  überheben  ;  wir  verstatten  uns  bloß  die  Einwendung,  daß 
die  Klostergräuel,  welche  hier  als  der  belustigendste  Theil  sorgfältig  aus- 
gehoben sind,  für  ein  Publicum,  von  dem  die  Frauenzimmer  leicht  den  be- 
trächtlichsten Teil  ausmachen  könnten  (auch  ist  das  Buch  einer  Dame  de- 
dicirt),  nicht  geeignet  scheinen,  und  würden  auch  das  nicht  erwähnen,  wenn 
der  Vf.  nicht  der  bewußten  Kusine  das  Ärgerniß,  das  sie  den  Domestike» 
durch  die  Götter  Griechenland*  giebt,  so  hoch  anrechnete.  Weiter  hin  finden 
sich  erfreulichere  Nachrichten,  z.  B.  die  Basen  und  der  Pfau,  zur  älteren 
französischen  Sittengeschichte  gehörig,  die  Jungfrau  von  Orleans  als  Frau 
und  Mutter,  und  Camoens,  ein  Auszug  aus  einer  Biographie  dieses  Dichters,  die 
vor  einer  englischen  Uebersetzung  desselben  befindlich  ist  (ein  Glück  für  Ca- 
moens, daß  ihn  Hr.  Schlegel  nicht  gleich  dem  Calderone  übersetzte,  sonst 
stände  er  nicht  hier,  sondern  in  der  Bibliothek  der  Kusine).  Bey  den  Anek- 
doten hat  Hr.  v.  K.  den  gewöhnlichen  Vademecums  Ton  mehrmals  äußerst 
natürlich  getroffen,  z.  B.  wenn  er  die  Begebenheit  von  den  beiden  Mädchen 
erzählt,  die  von  England  nach  Petersburg  in  Rußland  statt  nach  Peterbor(o)ugh 
ein  paar  Stünden  weit,  reisten,  oder  :  Distinguo.  „Ein  Superintendent,  der  zu- 
gleich Oberinspector  über  einen  Freytisch  war,  ärgerte  sich  oft  über  einen 
Candidaten,  der  sich  angewöhnt  hatte,  bey  jeder  Gelegenheit  Distinctionen  zu 
machen,  und  sie  allemal  mit  dem  Worte  Distinguo  anzuheben.  „Ey,  zum 
Henker  mit  Ihrem  Distinguo  I"  fuhr  der  Superintendent  einmal  heraus  ;  und 
um  den  Candidaten  in  Verlegenheit  zu  bringen,  setzte  er  hinzu  :  „sagen  Sie 
mir  doch,  kann  man  auch  mit  Suppe  taufen?"  Distinguo!  erwiderte  der 
Candidat ;  mit  Ihrer  Suppe?  nein.  Aber  mit  der  vom  Freytisch?  0  ja!" 
Die  Miseellen  nun  sind  es  vorzüglich,  welche  die  gelehrten  Nachforschungen 
des  Vf.  bestätigen.  Der  Ton  der  Mittheilung  wird  besonders  durch  das  Ge- 
misch interessant,  wie  die  junge  Befremdung  über  so  Manches,  was  der  Vf. 
stückweise  nach  und  nach  in  Erfahrung  bringt,  doch  gleich  wieder  von  einem 
geübten  und  durchgearbeiteten  Bewußtseyn  gestählt  wird  :  so  trägt  er  denn 
das  eben  Gelernte  oder  Gelesene  mit  der  vollen  Sicherheit  eines  alten  Prak- 
tikers vor.  Wir  finden  ihn  in  der  Hinsicht  am  pikantesten,  wenn  er  über  phy- 
sikalische Gegenstände  Bericht  erstattet,  wie  jetzt  fleißig  von  ihm  geschieht, 
oder  Paradoxien  in  diesem  Fach  rügt,  dergleichen  ihm  begreiflich  viele  auf- 
stoßen. Von  dieser  Seite  dürfen  wir  selbst  einen  Gewinn  für  seine  übrigen 
Darstellungen  erwarten,  da  eine  gewisse  reelle  Anschauung  der  Natur  ihm, 
nachdem  er  sich  die  der  bildenden  Künste  auf  seinen  Reisen  erworben,  noch 
am  meisten  abzugehen  schien.  Die  Anwendungen  älterer  literarischer,  auch 
persönlicher  Ereignisse  und  Urtheile  auf  gegenwärtige  Zeiten,  durch  welche  er 
diese  in  das  rechte  Licht  zu  stellen  und  nach  den  richtigen  Ansichten  zu  leiten 
bemüht  ist,  nehmen  hier  ebenfalls  eine  Stelle  ein,  als  :  der  große  Corneille 
und  der  große  Goethe,  welches  natürlich  ironisch  zu  verstehen  ist,  Wirkung 

Sitzungsberichte  der  Heidelb.  Akademie,  philos.-hist.  Kl.    1912.    1.  Abh.  2 


In  Erich  Frank  : 

Kritik:   wo  d'Alembert   (den   mau  auch   sonst   wohl   als  einen   Helden  der 
Eitelkeit  kennt)  einer  Wirkung  derselben  angeklagl  wird,  welche  den  anwider- 

sprechlichen  Schluß  herheyführt  :  daß  die  größten  (irisier  aller  Nationen  nach 
Umständen  stets  die  kleinsten  Menschen  gewesen  sind;  So  viele  Vortheile 
dieser  Satz  gewährt,  so  wäre  es  denn  doch  vielleicht  noch  ersprießlicher, 
wenn  Hr.  v.  K.  ihn  umwendete.  In  der  Verteidigung  der  Xanthippe  gegen  den 
Sökrates  wird  jenes  Lieblingsthema  sehr  artig  variirt.  „Bekennen  Sie,  meine 
Damen",  sagt  Hr.  von  Kotzebue,  „daß  der  weise  Sakrales  auch  nicht  immer 
ein  großei  .Mann  war",  nachdem  er  dem  Diogenes  Laertius  verschiedene  Anek- 
doten, wie  man  glauben  muß,  vermittels  einer  ziemlich  freyen  Übersetzung, 
nacherzählt  hat.  So  heißt  es  liier  :  ,, Seine  Schüler  bewunderten  ihn,  von  den 
übrigen  wurde  er  verachtet  und  verspottet,  auch  zuweilen  ein  wenig  mit 
Füßen  getreten  ;  einen  solchen  ungeschliffenen  Menschen  verglich  er  denn  ganz 

eii  mit  einem  Esel".  Diogenes  giebt  die  Sache  so  an  :  daß,  wie  einer 
gegen  den  Sökrates  mit  dem  Fuß  hinten  aus  gestoßen  habe,  und  man  sich  über 
die  Geduld  wunderte,  mit  der  er  den  Menschen  gehen  ließ,  er  zur  Antwort 
gal)  :  Wenn  ein  Esel  nach  mir  ausschlägt,  werde  ich  ihn  vor  Gericht  laden? 
Bekennen  Sie,  nieine  Damen,  daß  es  doch  für  manche  Fälle  das  rechte  ist, 
sich  gerade  so  zu  benehmen,  und  daß  Sökrates,  wenn  er  heut  wieder  auf- 
stände, wiederum  nichts  besseres  thun  könnte.  Denken  Sic  auch  nicht,  etwa, 
daß  es  dem  Sökrates  an  persönlicher  Tapferkeit  gefehlt  habe.  Es  ist  dieses 
der  nämliche  Sökrates,  der  als  Krieger  sich  so  betragen  halte,  daß  ein  Feld- 
herr bey  Plato  von  ihm  sagt  :  wenn  die  übrigen  bey  Delium  (berühmt  durch 
eine  Niederlage  der  Athener),  „sich  so  hätten  beweisen  wollen,  unsere  Stadt 
wäre  bey  Ehren  geblieben  und  hätte  nicht  einen  so  schmauchen  Sturz  er- 
litten". Allerdings  ist  es  keine  Kleinigkeit  über  einen  solchen  Mann  ganz  so 
ungenirt  klatschen  zu  können,  als  wenn  er  ein  ehrenwerther  Zeitgenosse  wäre, 
und  in  der  nächsten  Gasse  wohnte  :  indessen  lassen  Sie  sich  von  dem  auf- 
geweckten Behagen,  mit  welchem  Hr.  v.  Kotzebue  den  Sökrates  heruntermacht, 
nicht  verleiten,   sich  je  auf  die   Seite  einer   Xanthippe   zu   schlagen.    Mit   dem 

lies  Laertius  hat  es  nun  noch  bekanntermaßen  die  Bevvandniß,  daß  er 
solche  Curiositäten  zwar  ohne  besonderes  Wohlgefallen  zusammen  trug,  aber  es 
doch,  wie  seine  ganze  Compilation  zeigt,  ohne  Urtheil  und  Einsicht,  und  um 
eine  Zeit  that,  wo  das  Gefühl  für  griechisches  Wesen  und  Leben  längst  völlig 
ausgestorben  war.  —  Unter  der  Aufschrift  :  Es  geschieht  nichts  Neues  unter 
der  Sonne,  geschieht  freylich  ziemlich  das  Alte  :  Hr.  v.  K.  sucht  eine  natürliche 
Abneigung  und  billigen  Groll  auf  die  bekannte  unbefangene  Weise  an  den  Tag 
zu  legen  ;  er  spricht  von  Schelling,  Schlegel,  Röschlaub  und  Consorten,  von 
Schlegel  und  Compagnie,  und  stellt  sie  mit  den  Scaligern,  Salmasiussen  und 
anderen  unwissenden  und  obscuren  Menschen  zusammen.  Da  diese  kleinen 
Versuche  gewiß  niemand  weh  thun,  dem  Hn.  v.  K.  aber  wahrscheinlich  wohl  : 
so  ^täre  nur  zu  bemerken,  daß,  wenn  er  noch  unbefangener  wäre,  er  sicher 
auch  noch  geschmackvollere  Ausdrücke  wählen  würde.  Je  mehr  er  übrigens  bey 
dergleichen  Parallelisirungen  ins  Detail  geht,  um  so  mehr  ist  es  zu  billigen. 
Denn  da  bey  dieser  Gattung  des  Witzes  mehr  wie  die  Hälfte  schon  vorliegt, 
so  kann  in  Absicht  dessen,  was  hinzuzufügen  übrig  bleibt,  nicht  splendid 
genug  verfahren  werden.  Ob  die  Angaben  immer  richtig  sind,  behält  man 
ohnedieß  die  Freyheit  zu  bezweifeln.  Sollte  aber  z.  B.  einer  der  neueren 
Scaliger  sich  je  so  weit  vergessen  haben,  eine  gewisse  Klasse  „todte  Hunde" 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von  Schelling  und  Caroline.  19 

zu  nennen,  so  muß  das  nicht  nur  ein  höchst  unhöflicher,  sondern  ein  sehr 
wenig  voraussehender  Mann  gewesen  seyn,  denn  wäre  das  Geschlecht  der 
Schamlosen  todt,  woher  käme  das  unaufhörliche  Bellen?  — ■  Weiterhin  wird  ein 
bitteres  Urteil  des  Burke  über  Rousseau  sehr  zweckmäßig  abgeschrieben.  — 
In  dem  Abschnitt  Warnungstafel:  Lacrymas  spricht  Hr.  v.  K.  das  Wort  Un- 
verschämt über  Hn.  Schlegel  aus,  wegen  eines  Sonettes,  womit  dieser  die 
Herausgabe  des  Lacrymas  begleitete,  und  durch  dasselbe  ohne  Zweifel  kein 
Kunsturtheil  aufstellen,  sondern  einem,  wenn  auch  noch  nicht  gelungenem  Be- 
streben, dessen  Absicht  ihm  wahrscheinlich  besser,  als  aus  der  undeutlichen 
Erscheinung,  bekannt  war,  eine  freundschaftliche  Gesinnung,  wenn  auch  zu 
liberal,  bezeigen  wollte.  Wie  soll  man  es  aber  benennen,  daß  Hr.  v.  Kotzebue 
sich  des  Wortes  Unverschämt  überall  nur  bedienen  mag?  —  Es  ist  hier  der 
Ort  nicht,  und  noch  weniger  findet  die  Neigung  Statt,  überhaupt  ernstlicher  in 
die  Erscheinung  einzugehen  :  warum  nämlich  dieser  Hr.  v.  K.  es  eben  ist,  der 
„dem  Unwesen  in  der  Literatur  welches  sie  entehret",  steuern  will,  und  den 
öffentlichen  Ankläger  macht,  da  ausschließlich  dieser  Hr.  v.  K.  es  eben  ist, 
der  sich  in  der  Literatur  entehrende  Zeichen  aufgerichtet  hat.  Warum  dieser 
Hr.  v.  K.  es  eben  ist,  welcher  sich,  wie  gleichfalls  in  diesen  Miscellen  ge- 
schieht, der  geschmälerten  Verdienste,  wie  er  sagt  :  „Yirgils,  Wielands,  Vol- 
taire and  anderer"  annimmt,  da  er  es  ist,  der,  unfähig  zwar,  irgend  ein  Ver- 
dienst zu  schmälern,  von  jeher  so  viele  zu  schmähen  versucht  hat.  Möglich, 
daß  diese  und  eine  weit  längere  Reihe  von  Gegensätzen  keine  mehr  sind, 
wenn  das  Überstehen  aller  Grade  und  Feuerproben  sie  erst  verschmolzen  hat. 
Wir  könnten  der  vollständigen  Darstellung  dieser  Verhältnisse  in  Deutsch- 
land einen  'Diderot  wünschen,  ohne  um  irgend  einen  Preis  es  seyn  zu  wollen. 
Diderot  besaß  die  eigenthümliche,  und  man  kann  sagen,  einzige  Gabe,  mit  genia- 
lischer Geduld  die  Mißbräuche  der  Menschheit  und  solche  widersprechende 
Geburten  der.  Zeit  festzuhalten,  ihr  Inwendiges  auswärts  zu  kehren,  und  das 
Verworrene  zu  einer  klaren  Anschauung  zu  bringen.  Rameaus  Vetter  hat  deß- 
wegen  verschiedene  Bewegungen  und  ein  fast  instinetartiges  zur  Wehre  setzen 
veranlaßt,  obschon  dieser  nur  Frankreich  und  Paris  angehören  konnte.  Er  er- 
innert aber  an  die  Möglichkeit  eines  moralischen  Naturhistorikers,  der  so 
wie  Buffon  etwa  eine  physische  Ungestalt,  eine  sittliche,  mit  Worten  abbildet, 
ohne  vor  der  Natur  zu  erröten.  N  -4-  d. 


2.  Jenaische  Allgemeine   Literaturzeitung  Nr.  36  (13.  Februar)  1809. 

Schöne  Künste. 

1)  Leipzig,  b.   Kummer:  Kleine  Romane,  Erzählungen,  Anekdoten  und  Mis- 

cellen  von    August    von    Kotzebue.     1805.     Utes    Bänden.     482   S.     1806. 
III tes   Bändch.    352  S.     IVtes   Bändch.    338   S.    kl.  .8.     (5   Rthlr.   6   gr.) 

2)  Leipzig,    b.    Niemann  :    Gesammelte    Erzählungen,    von    A.    E.    Eberhard. 

III  tes  Bändch.    1806.    302  S.  kl.  8.     (1  Rthlr.  8  gr.) 

Beide  Sammlungen  sind  besonders  in  Rücksicht  dessen  merkwürdig, 
was  unter  uns  als  moralische,  geistreiche  Erzählung  gelten  darf.  Wenn  man 
ihnen  etwa  alle  romantische  Sitte  erlassen  wollte,  die  auf  dem  Boden  unserer 
Gegenwart    nur    durch    einen    hohen    Grad    von    Erfindung    Haltung    gewinnen 

2* 


Erich    Frank  : 

kann,    ja    auch    sonsl    Manches,    wodurch    sich    dergleichen    Erzählungen    oder 
Novellen  zu  wahrhaft  gebildeten  Werken  erheben,  den  Witz  z.  ß.,  oder  dich- 
terische   Gestaltung   eines   tiefen   Gefühls:    so   scheint   doch    nicht   unbillig,   zu 
iren,   daß   sie  mit  einiger   Sorgfalt   und   Eleganz,   mit    etwas    Gleist   und 

Kenntniß  der  feineren  Welt  und  in  einer  gefälligen  Sprache  geschrieben  wären, 
zumal  wenn  sie  von  einem  Schriftsteller  herrühren,  welcher  mit  solchen  An- 
sprüchen seinem  Publicum  auch  in  dieser  Gestall  recht  oft  unter  die  Augen 
tritt,  und  über  den  fruchtbaren  Cramer  doch  weit  weg  zu  seyn  glaubt.  Was 
aber  an  denen  des  Hu.  v.  Kotzebue  vorzüglich  auffällt,  ist  eine  ganz  eigene 
speeifische  Unsauberkeil  und  Geschmacklosigkeit  der  Darstellung,  welche,  alle 
Lockerheit  des  Inhalts  ihm  übrigens  zugegeben,  jedem  reineren  Sinn  sogar 
die  erste  flüchtige  Leetüre  beschwerlich  machen  müssen.  Denn  zu  einer 
Sudeley  aller  möglichen  Manieren  untereinander,  von  denen  der  Vf.  sich  vor- 
stellt, daß  sie  seiner  Leichtigkeit  zu  Gebot  stehn,  gesellt  sich  noch  ein 
solches  Treiben  und  Jagen  der  Schreibart,  daß,  um  es  so  sinnlich  auszu- 
drücken, wie  man  es  wirklich  empfindet,  er  jene  alle  vorgespannt  zu  haben 
seheint,  und  mit  ihnen  über  Stock  und  Stein  dahin  sprengt.  Bald  geht  er  dem 
Voltaire  nach,  ein  andermal  ist  er  August  la  Fontainisch,  bald  auf  diese,  bald 
auf  jene  Weise  empfindsam  und  witzig,  auf  seine  eigene  immer  undelicat  da- 

hen,  wie  er  denn  von  dem  Büchlein  Ich  an  und  seit  der  gefährlichen 
Wette  noch  nicht  gelernt  hat,  Spaß  und  Schmutz  zu  unterscheiden.  Wir  wollen 
zum  Einzelnen  übergehen.  Des  Pfarrers  Tochter  aus  dem  ersten  Bändchen 
wird  liier  in  einem  zweyten  Buch  beendigt.  Wegen  des  ersten  müssen  wir  auf 
die  Anzeige  in  Nr.  82.  1806.  dieser  A.  L.  Z.  zurückweisen.  Mau  verließ  sie 
dorl  am  Wendepunct,  und  der  Vf.  hebt  mit  folgender  Wrenclung  wiederum 
an  :  „Die  meisten  Menschen  kitzeln  sich  mit  der  Einbildung,  sie  hätten  Grund- 
sätze, könnten  vernünftig  überlegen,  wohl  gar  Entschlüsse  fassen  ;  wie  sie 
heute  über  eine  Sache  dächten,  würden  sie  auch  morgen  darüber  denken,  und 
was  dergleichen  Großthuereyen  mehr  sind".  Nachdem  er  einige  Seiten  so  fort 
discurirt  hat,  eröffnet  er,  daß  Charlottens  erster  Gedanke  beym  Erwachen 
die  —  Maskerade  war.  Hieran  knüpft  sich  nun  eine,  mit  allen  bekannten,  sehr 
handgreiflichen,  Handgriffen  durchgeführte,  Verführungsgeschichte.  Der  Fürst 
des  Landes,  der  gehörig  wollüstig,  gefühllos  und  gemein  ist,  begehrt  Char- 
lotten.    „Graf   Schmieg,    ein    verlebter    Wollüstling,   seit   mehreren   Jahren   des 

en  Unterhändler  an  Amors  Hofe,  und  folglich  sein  Liebling,  des  Landes 
Fluch   und  der  Fnlerlhanen   Abscheu",  nebst  dessen   Gemahlin,  suchen   sie  zu 

.'ken,  der  Mann  wird  auf  Commission  geschickt,  die  Frau  vom  Graf 
Schmieg  in's  Haus  genommen;  man  läßt  sie  Wohlthaten  und  gute  Handlungen 
beym  Fürsten  auswirken,  schmeichelt  ihr,  daß  sie  die  Leibeigenschaft  werde 
aufheben  können  —  die  Briefe  beider  Gatten  werden  untergeschlagen,  falsche 
geschmiedel  ;  endlich  wird  noch  das  Mittel  gebraucht,  Charlottens  Vater 
wegen  ketzerischer  Predigten  dahin  zu  verurtheilen,  daß  er  seines  Amtes  ent- 
setzt, und  ihm  Mantel  and  Kragen  abgerissen  werden  soll  :  „Erbarmen  ! 
Fürst  !  schluchzte  Charlotte  mit  kaum  noch  vernehmlicher  Stimme.  Da  lau 
er  wieii.-r  vor  ihren  Knieen,  flehte  selbst  um  Erbarmen,  umfaßte  den  schlanken 
Feil,,  drückte  wüthende  Küsse  auf  Ihre  Anne,  ihren  halb  entblößten  Busen  — 
die   Besinnung   verließ  -   bewußtlos   sank   sie   zurück   —   und   als   sie  er- 

wachte  —   war  sie  allein  —  das  Urtheil  lag  zerrissen  zu  ihren  Füßen."    Das 
ist    nun    eine    von   den    schonenden    Darstellungen    des    Vfs.,    in    denen    er    sich 


Rezensionen   über   schöne   Literatur   von   SchelKng   und   Caroline  -2\ 

wohlgefällt,  ohne  hier  die  Infamie  zu  ahnden,  die  darin  liegt,  daß  Charlotte 
eben  in  einem  solchen  Augenblick  ihre  Sinne  überraschen  läßt  und  das  Be- 
wußtseyn-  verliert.  —  Nachdem  hierauf  die  Verzweiflung  eingetreten  ist,  dann 
ihr  Maun  sie  durch  neue  Mißverständnisse  ganz  ihrem  Schicksal  überlassen, 
wird  sie  entschiedene  .Maitresse  des  Fürsten,  thut  viel  Gutes  und  wenig  Übels, 
und  wird  auch  von  ihm  verlassen,  schleppi  sich  nach  ihrem  Geburtsdorf,  und 
endigt  ihr  Leben  auf  dem  Grabe  ihrer  Mut  (er,  die  aus  Gram  um  sie  ge- 
storben war,  unter  dem  Fluch  ihres  Vaters,  und  wird  begraben  ,, unter  den 
Blumen  ihres  Kindes.  „Wer  wagt  es,  einen  Stein  auf  die  Unglückliche  zu 
werfen?",  sagt  der  Vf.  Er  hat  gut  reden  und  Nächstenliebe  üben,  denn  ist 
die  Unglückliche  nicht  sein  Werk?  Die  unwissendste  Unschuld,  sollte  man 
denken,  hätte  solch  einem  groben  Gewebe  leicht  entgehen  mögen.  Hätten  sich 
Charlotte  oder  ihr  Mann  nur  in  den  Leih-  und  Lesebibliotheken  etwas  um- 
gesehen !  Ein  bis  dahin  unerhörter  Kniff  ist  uns  freylich  unter  denen,  welche 
in  Bewegung  gesetzt  wurden,  vorgekommen,  daß  nämlich  der  Graf,  wenn  Char- 
lotte mit  dem  Fürsten  allein  gelassen  werden  sollte,  sich  nicht  damit  be- 
gnügte, seine  Gemahlin  abrufen  zu  lassen,  sondern  im  Nebenzimmer  eines 
seiner  Kinder  so  lange  kniff,  bis  es  aufs  ärgste  schrie,  und  sie  daneben  noch 
als  zärtliche  Muller  davon  eilen  konnte.  —  Von  allen  den  artigen  Anspielungen 
und  launenhaften  Ausfällen,  die  in  der  ersten  Hälfte  vorkommen,  findet  sich 
in  dieser  weiter  keine  Spur  ;  was  jene  etwa  Ekelhaftes  an  sich  hatten,  ist 
hier  in  das  Materielle  der  Geschichte  übergegangen.  —  Der  Schutzgeist  und 
die  Rache;  der  erste,  wie  der  Vf.  angibt,  „einige  unbedeutende  Zierrathen 
abgerechnet",  eine  wahre  Geschichte  ;  beide  aber,  wie  er  nicht  angiebt,  nach 
dem  Französischen.  Nicht  unbedeutende  Zierrathen  kommen  freylich  auf  Rech- 
nung des  Hn.  v.  K.  In  der  Bache  z.  B.,  wo  ein  abgewiesener  Freyer  einen 
anderen  jungen  Mann  von  niedriger  Herkunft  anstiftet,  um  das  stolze  Mädchen 
zu  werben,  der  sie  auch  unter  angenommenem  Bang  und  Namen  erhält,  hat 
der  boshafte  'Freyer  in  Jena  studirt  und  von  den  neuen  Philosophen  '_re- 
lernf,  daß  die  ganze  Welt  hors  nous  et  nos  amis  aus  Dummköpfen  besteht 
—  er  ersann  diesen  „teufelischen  Plan  der  Bache,  denn  unsere  heutigen  Phi- 
losophen sind  bekanntlich  Menschenkinder  wie  wir  alle".  Wie  leichtherzig 
Hr.  v.  K.  von  teuflischen  Plänen  spricht  !  er  nimmt  dergleichen  doch  hier 
offenbar  auf  seine  eigenen  Schultern.  —  Das  3le  und  zum  Theil  4  te  Bändchen 
enthält  :  Die  Frucht  fällt  iveit  vom  Stamme.  Diese  Erzählung  ist  wenigstens 
als  die  bessere  anzuführen.  Ein  lustiger  Geselle  Florio  erheitert  etwas  die 
sonst  sehr  unanmuthige  Geschichte  des  Baudirector  Klumm.  Die  Reise  der 
beiden  Freunde  ist  freylich  ein  Stück  Candide  ä  In  Kotzebue.  Eine  besondere 
Erfindungskraft  zeigt  sich  oft  bey  ihm  in  unnöthig  widrigen  Zusammen- 
stellungen. Wozu  bedurfte  es  des  Zuges,  daß  der  Bösewicht  Klumm  sich  auf 
den  Leichenstein  der  Mutter  legen  muß,  um  sich  von  da  als  verstellter 
Kranker  in  das  Haus  tragen  zu  lassen,  wo  er  die  Tochter  verführen  will.  Der 
gute  Prediger  würde  den  Beisenden  auch  ohne  dieses  Motiv  aufgenommen 
haben.  Eben  so  muß  den  alten  Klumm  der  Schlag  rühren,  damit  sich  die 
Tochter  über  ihn  werfen  und  mit  ihrem  „gelüfteten  Busen"  die  Hand  des 
Arztes  berühren  kann,  den  die  Liebe  zu  ihr  gerührt  hat.  Von  solchen  über- 
flüssigen Häßlichkeiten  wimmelt  es  allenthalben  bey  Hn.  v.  K.,  es  sind  dieses 
die  sehr  wesentlichen  Überladungen  seiner  Manier.  —  Glückseligkeit  ist  aus 
dem    Französischen,    und,    wenn    wir   nicht   irren,    aus    zwey    Erzählungen   zu- 


JJ  Erich  Frank  : 

sammengesetzt.  -  Das  Zinngießen  und  die  kleine  Tyrolerin  sind  am  gleich- 
förmigsten nach  Lafontaine' sehen  Mustern  hingeworfen,  und  in  der  Thai  kann 
bey  Milchen  Nachahmern  der  gute  Lafontaine  noch  zum  Ruf  eines  Künstlers 
kommen,  der  sich  zu  enthalten,  der  seine  Züge  zu  wählen  weiß.  —  In  Alles 
ans  Liebe  ist  der  Vf.  ganz  er  seihst  ;  er  läßt  seine  Heldin  eine  tournee 
mit  einem  halben  Dutzend  Ehemännern  machen,  und  sich  mit  allen  übel  be- 
finden, außer  am  Ende  mit  demjenigen,  den  sie  liebt.  Ihr  erster  Gemahl  heißt 
Novalis.  „Aber  noch  waren  die  Flitterwochen  nicht  verflossen,  als  die  junge 
Frau  eines  Morgens  in  Thränen  schwimmend  zu  ihrem  Vater  ins  Zimmer 
stürzte,  und  ihn  um  der  Asche  ihrer  .Muller  willen  anflehete,  sie  zurück  zu 
nehmen.  Sie  klagte  über  den  grenzenlosen  Egoismus  ihres  Mannes,  über  die 
Geringschätzung,  womil  er  sie  behandle,  über  seine  Ausschweifungen  in 
Wollust  und  Opium,  und  endlich  über  seine  unerträgliche  ästhetische  Narr- 
heit." So  entschlüpft  dem  Vf.  slatt  Satyre  gar  oft  Niederträchtigkeit  ;  in  dem 
Betracht,  daß  Novalis  ein  ebenso  bestimmter  Name  wie  Jean  Paul  z.  B.  ist, 
läßt    sich   jene   Schilderung   nicht    wühl   anders    nennen. 

Unter  den  Zugaben  zeichnen  wir  aus  die  Fragmente  aus  dem  Tagebuch 
des  letzten  Königs  von  Polen  ;  vom  letzten  Jahr  seines  Lebens,  nachdem  er 
den  Thron  hinter  sich  gelassen  hatte.  Es  sind  Bulletins,  die  er  seihst  auf  t\<'r 
Heise  und  in  Petersburg  dictirte  und  an  seine  Freunde  nach  Warschau 
sandte.  Wie  Hr.  v.  K.  bemerkt,  sind  sie  zwar  nicht  eben  brauchbar  für  den 
Geschichtschreiber,  aber  haben  doch  ein  hohes  Interesse  für  den  Staatsmann 
und  den  Menschenkenner.  Die  Wahrheit  ist,  daß  sie  in  dieser  Sammlung  eine 
wahre  Erholung  sind,  und  das  meiste  Interesse  haben,  aller  Kleinlichkeit  des 
Königs  und  der  ganzen  Situation  ungeachtet,  und  obgleich  fast  nicht  Ein 
markirter  Zug  darin  vorkommt.  Als  solchen  müßte  man  gelten  lassen,  daß 
Graf  Kobenzl  (der  österreichische  Botschafter)  sich  bey  einem  Fest  zur  Be- 
lustigung der  Gesellschaft  in  eine  Henne  verkleidete  und  alle  Kinder,  die  da 
waren,  in  Küchlein,  und  dann  sein  Häuflein  gegen'  alle  Angriffe  auf  eine  sehr 
komische  Weise  vertheidigte.  Ein  schönes  Talent  für  einen  Staatsmann  !  Unter 
diejenigen  Züge,  welche  die  große  Milde  des  Königs  charakterisiren,  gehört, 
daß  er  den  Vf.  in  Friedenthal  bey  seiner  Vorbeyreise  zu  sprechen  verlangte, 
ihn  mit  Höflichkeit  überhäufte  und  den  Wunsch  äußerte,  daß  die  jüngsten, 
Kinder  seiner  Laune  nur  seine  jüngeren  seyn  möchten,  welcher  Wunsch  nach 
der  Hand  reichlich  gewährt  worden  ist.  Hr.  v.  K.  hatte  dagegen  einen 
anderen,  den  er  dem  Könige  späterhin  schriftlich  vortrug  ;  er  hatte  nämlich  in 
der  hamburger  Zeitung  gelesen,  der  König  habe  Memoires  de  son  tems  ge- 
schrieben,  und  hat  ihn  im  Vertrauen  auf  sein  gütiges  Benehmen,  ihm  zu  er- 
lauben, diese  Memoires  aus  dem  Mspt.  in  seine  Muttersprache  zu  übertragen. 
Kein  unebenes  Ansinnen,  das  der  König  jedoch  höflich  ablehnte.  Glücklicher 
war  der  Vf.  mit  Iwan  Iwanow  Tschudrin,  den  er  auf  seiner  „letzten  Reise 
von  Tobolsk  nach  Petersburg"  zu  Kasan  kennen  lernte'.  (Hat  er  deren 
re  gemacht?  Wir  wünschen  ihm  umgekehrt,  aber  ebenso  gutmülhig  wie 
Stanislaus,  daß  dieß  seine  letzte  bleiben  möge.)  Jener  .Mann  hatte  18  Jahr 
lang  in  China  unter  der  Maske  eines  Eingeborenen  gelebt,  eine  Chinesin  ge- 
bet, und  schrieb  nun  in  seinem  hohen  Aller  die  Geschichte  seines  merk- 
würdigen Lebens  und  seiner  Reiseabenteuer  nieder.  Hr.  v.  K.  konnte  die 
große  Anzahl  von  Heften,  die  daraus  entstanden  war,  nicht  sehen,  ohne  ihrer 
zu    begehren  ;    er    bat    ihn,    gleichwie    den    König,    um    Erlaubniß,    sie    seiner 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         23 

Nation  mittheilen  zu  dürfen.  Nach  langem  Widerstreben  willigte  dieser  endlich 
ein,  und  versprach  ihm  eine  Abschrift  nach  Petersburg  zu  senden,  die  auch 
wirklich  erfolgt  seyn  soll.  INI  1 1  diesem  Mspt.  will  uns  der  Vf.  nach  und  nach 
unterhalten.  Die  erste  Mittheilung  enthält  die  Beschreibung  einer  chinesischen 
ceremoniellen  Mahlzeit.  Eine  gewisse  Ähnlichkeit  der  Tschudrin-  und  Kotze- 
bueschen Laune  Läßt  sich  nicht  darin  verkennen,  die  Ächtheit  der  Mahlzeit 
in   allen   Ehren. 

Zu  diesen  geschichtlichen  und  völkerbeschreibenden  Beyträgen  gesellen 
sich  auch  politische  ;  denn  wozu  fühlt  sich  der  Vf.  nicht  berufen  !  Was  in 
dem  Aufsatz  Cromwell  mit  großen  Lettern  so  dreist  und  glücklich  aus  drin 
Leben  und  Thaten  desselben  ausgehoben  ist,  zeigt,  wie  gefährlich  Hn.  v.  K.'s 
politische  Opposition  werden  könnte.  Doch,  die  Wahrheit  zu  sagen,  weit  ge- 
fährlicher scheint  uns  seine  politische  Allianz.  Was  ließe  sich  von  einem 
Kriege  wohl  hoffen,  wenn  Kotzebue  der  Herold  desselben  wäre,  und  sein 
Schildträger  zu  den  Waffen  riefe?  Wenn  indess  auswärtige  Blätter  von  ihm 
als  von  einem  Manne  geredet  haben,  der  eine  politische  Einwirkung  gehabl  : 
so  sieht  er  auch  hier  wieder  vor  der  Welt  als  der  unschuldig  Verfolgte  da. 
Hat  er  nicht  noch  zu  rechter  Zeit  ebenso  vorsichtig  und  wahrhaft,  wie  vormals 
vom  Bahrdt  mit  der  eisernen  Stirn,  von  allein  Antheil  sich  losgesagt  und  ihn 
auf  gute  Freunde  geschoben?  Und  wer  wird  auch  Einfluß  auf  politische  Hand- 
lungen einem  Dichter  zutrauen,  der  von  jeher  froh  war,  Theateractionen  mit 
nolhdürftigem  Verstände  zu  leiten?  Deßwegen  entgeht  seiner  Person  die 
politische  Bedeutsamkeit  nicht  ;  sie  ist  nur  von  der  Art,  daß  sie  ein  Artikel 
für  die  bekannte  Schrift  mauvais  augures  gewesen  seyn  würde.  Ein  schlimmes 
Omen  ist  es  gewiß,  wenn  der  einen  Stern  auf  die  Brust  bekommt,  dem  die 
öffentliche  Meinung  ganz  andere  Zeichen  zudachte,  oder  wenn  in  einem  Staat 
Kotzebueäche  Moral  und  Poesie  unter  niederen  und  höheren  Ständen  einen 
allgemeinen  Curs  bekommt,  wobey  es  kaum  zweifelhaft  seyn  kann,  ob  sie  es 
isl,  welche  die  öffentliche  Sittlichkeit  und  Anständigkeit  untergräbt,  oder  ob 
die  bereits  eingerissene  Erschlaffung  aller  Sitte  und  Würdigkeit  ihr  die  all- 
gemeine Aufnahme  zu  wege  bringt.  Und  wenn  in  den  Zeiten  des  Friedens 
Jahre  hindurch  unter  öffentlichem  Schulz  und  der  Leitung  eines  solchen 
Mannes  eine  förmliche  Fabrik  pasquillantischer  Schmähungen  gegen  alles 
Kräftige  und  Bessere  der  Zeit  in  der  Hauptstadt  blühet  :  wer  kann  sich  über 
das  Geschlechi  der  Libellisten  wundern,  das  nach  jener  Epoche  mit  so  edler 
Freymüthigkcit  über  den  Staat  und  seine  Verwalter  herfiel?  Das  heißt  also  mit 
Recht  Saat  von  Kotzebue  gesäet.  —  Bey  Gelegenheit  eines  aus  dem  Fran- 
zösischen übersetzten,  dem  General  Moreau  zugeschriebenen  Verbannungs- 
monologs bricht  die  Gelehrsamkeil  des  berühmten  Mitgliedes  der  Berliner  Aka- 
demie wieder  durch.  Es  wird  des  Aulus  Gellius  darin  erwähnt,  den  die  Fran- 
zosen Aulugelle  zu  nennen  pflegen,  welches  Hr.  v.  K.  klüglich  wieder  ins 
Lateinische  übersetzt  :  „in  einem  Briefe,  den  uns  Aulugella  aufbewahrt  hat". 
Unter  den  übrigen  Beyträgen  finden  sich  viele,  die  zu  den  mannich- 
faltigen  Consolationen  gehören,  welche  der  Vf.  sich  selbst  giebt.  Unter  der  Auf- 
schrift Der  Name  thut  viel  zur  Sache,  erzählt  er  von  la  Motte,  der  eine  Tra- 
gödie als  Anonymus  gab,  die  gelobt  wurde,  weil  man  nicht  wußte,  von  wem 
sie  war,  und  getadelt,  sobald  man  es  erfuhr.  Eine  Note  sagt  :  „Gerade  so  ging 
es  Kotzebue  in  Wien  mit  der  Octavia,  bey  welcher  er  auch  das  Incognito  be- 
obachtet  hatte".     Zuletzt   kann   er   sich   nicht   enthalten,   in   den   Wunsch   aus- 


.  i  Erich  Frank  : 

zubrechen,  daß  er  wissen  möchte,  was  man  sagen  würde,  wenn  die  Hussiten 
unter  Goethe's  und  ir«/.s-  wir  bringen  unter  Kotzebue's  Namen  erschienen  wären. 
Wer  hätte  ihn  für  so  bescheiden  gehalten?  Er  setzl  da  sein  Hauptkunststück, 
zu  dessen  Effect  er  die  Kinder  schaarenweise,  die  Compositeurs  zu  halben 
Dutzenden  und  die  Jamben  und  Reime  allenthalben  her  aufgeboten,  mil  einem 
flüchtigen  Gelegenheitsspiel  von  Goethe  zusammen.  In  seinem  Sinn  isl  das 
alles  Mögliche  :  in  welchem  Sinn  man  ihm  dennoch  die  Möglichkeit  des  Irr- 
tluuns  nicht  zugeben  kann,  bedarf  keiner  Erörterung. 

Aus  ||n.  Eberhards  Erzählungen,  die  sich  in  dem  nämlichen  Kreise 
wie  die  obigen,  bewegen,  und  denen  es  gleichfalls  an  allem  fehl!,  was  den 
Geist  interessiren,  irgend  die  Phantasie,  das  Nachdenken  oder  nur  ein 
heiteres  Wohlgefallen  anregen  könnte,  spricht  uns  übrigens  eine  gesetztere 
Feder,  eine  gewähltere  Schreihart  an.  Dieser  Band  enthält  deren  drey  :  Der 
Polyp  im  Herzen,  das  Document  und  Nur  keine  Mesalliance !  In  der  ersten 
hat  das  Pikante  die  Oberhand,  in  der  zweyten  das  Peinliche  und  in  der  dritten 
das  Lehrende.  Sie  sind  dem  Publicum  aus  anderen  Sammlungen  bereits  be- 
kannt ;  es  wird  sie  auch  in  dieser  lesen,  und  damit  haben  sie  und  das  Publi- 
cum ihre  Schuldigkeil  gethan.  Dem  Urtheil  geben  sie  wenig  zu  schaffen.  Da 
aber  llu.  Eberhards  Stärke  sonst  sich  am  meisten  aufs  Pikante  wendet:  so 
möchten  wir  fragen,  warum  er  es  nicht  lieber  auf  einem  anderen  Wege  zu  er- 
reichen  sucht,  als  indem  er  das  Sinnlichwidrige  mit  dem  Herzzerschneidenden 
in  Verbindung  setzt.  Es  ist  nichts  gegen  das  Komische  des  Einfalls  einzu- 
wenden, dal.')  der  alle  Anatom  seine  junge  Nichte  heirathen  will,  weil  er  glaubt, 
ihre  Beklemmungen,  die  dem  Geliebten  gelten,  rühren  von  einein  Polypen  im 
Herzen  her,  und  sich  um  alles  in  der  Welt  diese  nahe  Beute  nicht  entgehen 

i  mag:  aber  daß  er  das  Herz  ihrer  Muller,  die  wirklich  an  jener  Krank- 
heil starb,  in  seiner  Sammlung  aufbewahrt,  es  ihr  zeigt,  sie  es  ihm  entwendet 
und  begräbt,  dabey  wendet  sich  einem  denn  doch  das  Herz  etwas  um.  Hier 
genau  das  Maß  zu  treffen,  wenn  es  nicht  ein  höherer  Tact  thut,  sollte  das 
Amt  des  Geschmacks  sein.  N  -I-  d. 


II.  Rezensionen  von  Caroline. 

1  a.  Jenaische  Allgemeine  Literaturzeitung,   Nr.  107  (6.  May)  1805. 
Schöne   Künste. 
Berlin,   b.    Frölich :  Musenalmanach  auf  das  Jahr   1805.    Herausgegeben  von 
C.     I-    v.  Chami880  und  Ä.  A.  Varnhagen.    227  S.    12.    (1  ltlhlr.) 
Wenn   es  möglich  ist,  irgend  etwas  an  sich   Gutes  und  Vortreffliches  auf 
eine  Zeillang  zu   Grunde  zu  richten  :  so  geschieht  es  nicht  durch  die  Schleyer 
und  Tadler,  welche,  wenn  ihnen  nicht  die   Inquisition  unter  die  Arme  greift, 
noch    niemals    nur    so    viel    vermocht    haben,    sondern    denjenigen    gelingt    es, 
welche  von  der  bloßen  Außenseite  des  Guten  und  Vortrefflichen  ergriffen,  sich 
der   Wolle,  der  Form,  eigentlich  der   Larve,  einiger  Töne,  die  mit  wirklichen 
Ideen  zusammenhangen,   und  einer  Melodie,  die  einen  innerlichen  Zusammen- 
hang nachahmt,  bemächtigen,  und  ein  ganz  geringes  Talent,  ein  unbedeutendes 


Rezensionen   über  schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline  25 

Streben,  das  sie  auf  dem  gemeinsten  Wege  geltend  machon  könnten,  auf  einem 
ungemeinen  ins  Publicum  zu  bringen  suchen.  Der  Effect,  den  dieses  auf  den 
gescheuten  freundlichen  Leser  macht,  ließe  sich  am  besten  durch  einen  Ile- 
raklit  und  Demokrit,  die  man  als  eirien  Januskopf  zusammenfügte,  personifi- 
ciren.  Die  bösen  Feinde  aber  freuen  sich  natürlich  der  verführten  Seelen,  und 
Ihun  klarlich  dar,  wie  so  schlimmer  Anfang  zu  so  schlimmen  Folgen  gedeihen 
mußte.  Die  Dummen,  welche  sich  immer  nur  an  die  Nachdrücke  halten, 
preisen  die  Aftererscheinung  vollends  als  das  Rechte.  Der  sämtlichen  guten 
Gesellschaft  aber  wird  es  endlich  dadurch  verleidet:  denn  alle  Fratzen  er- 
müden, und  zwar  Jedermann  ;  niemand  mag  eine  Weile  über  von  der  Sache 
überhaupt  hören  noch  sehen.  Zu  diesen  schlichten  Remerkungen,  welche  nicht 
neu  sind,  hat  jener  Musenalmanach  Anlaß  gegeben,  über  den  wir,  nach 
einer  vorläufigen  Anzeige  desselben  (Nr.  IUI)  hier  noch  ein  besonderes  Wort 
hinzufügen.  Die  Herausgeber  nennen  sich  C.  A.  von  Chatnisso  und  K.  A.  Varn- 
hagen  ;  die  übrigen  Poeten  :  Robert,  Eduard,  Ernst,  Anthropos,  Wolfart,  *,  **, 
***  u.  s.  w.  :  verniulhlieh  lauter  erwählte  Namen,  die  weiter  nichts  zur  Sache 
thun,  als  daß  mit  ihnen  schon  die  Nachbildung  beginnt.  Denn  man  erinnert  sich, 
daß  in  dem  Musenalmanach  von  1802,  den  Schlegel  und  Tieclc  herausgaben, 
auch  dergleichen,  als  :  Novalis,  Bonaventura,  I(n)hwmanus,  auch  Sternchen, 
und  eine  Sophie  vorkommen,  für  welche  wir  hier  eine  Auguste  anzuführen 
haben,  die  uns  freylich  ganz  so  aussieht,  als  hätte  sie  sich  nur  in  einen  weib- 
lichen Mantel  und  Kragen  geworfen,  welche  nach  der  Mode  des  Tages  nicht 
sehr  von  den  männlichen  abweichen.  Also  schon  von  dem  Namen  an  opfern  die 
Herren  ihre  bürgerliche  Individualität  auf,  um  sich  dem  Gemeinwesen  der 
Dichtkunst  anheim  zu  geben,  aus  welchem  sie  ihr  poetisches  Individuum  glor- 
reicher hervorgehen  zu  lassen  denken.  Leider  ist  es  nur  ein  Individuum  ohne 
alle  Individualität.  Sie  gehören  sämmtlich  zu  Einer  Gattung,  die  wir  nicht  nam- 
haft machen  wollen.  Es  ist  wahr,  daß  dieser  und  jener  es  in  der  Kunst  weiter 
gebracht  hat,  und  manche  recht  täuschend  die  menschliche  Gebehrde  und 
Stimme  nachahmen,  welche  sie  zum  Vorbilde  wählten.  Der  Vers  klingt  genau 
so,  die  Gegenstände  geben  nichts  nach,  und  am  Gehalt  fehlt  wenig,  nur  eben 
so  viel,  wie  beym  Goldmachen  noch  immer  daran  gefehlt  hat,  daß  wirkliches 
Gold  daraus  wurde.  Hier  giebt  es  zahllose  Sonette  an  Philosophen  (Fichte), 
Dichter  (Goethe,  Tieck)  an  die  werthen  Freunde  unter  einander,  an  sonstige 
imaginäre  Wesen,  von  den  Elementen,  und  an  die  Elemente,  an  die  Tag-  und 
Jahreszeiten,  von  den  Farben  und  den  Klängen,  auch  gerade  solche,  wie 
Petrarch  zu  machen  pflegte.  Cyklusse  von  Gedichten,  Goethische  Epigramme, 
ein  Fragment,  nicht  viel  schlechter  wie  die  Geheimnisse  ;  Canzonen,  Originale 
und  übersetzte,  Terzinen,  Variationen  oder  Glossen..  Hymnen  aus  dem  La- 
teinischen durften  nicht  fehlen  ;  die  Vf.  haben  sich  sogar  in  ihrer  Aus- 
wahl bis  zur  unbefleckten  Empfängniß  der  Jungfrau  erhoben.  Gedenkt  ihr  der 
Romanze  vom  Licht  von  Fr.  Schlegel:  hier  ist  sehr  anzüglich  eine  vom 
Schult  zu  lesen.  Überall  stoßt  ihr  auf  gebrochene  Verse  ;  .manche  sind  durch 
und  durch  gerädert;  schwere  Verse,  dreysyibige  Reime,  kein  Symptom  manuell. 
Was  etwa  den  Symptomen  selber  mangelt,  würde  leicht  nachweisen  können, 
wer  sich  von  Amts  wegen  die  Mühe  zu  geben  hätte.  Tiefer  hinein  habt  ihr 
dieselbe  Wirthschaft.  Das  Ganze  ist  erstaunlich  ernsthaft  :  man  weiß,  daß  der 
Scherz  am  schwersten  nachzuahmen  ist.  Wenn  die  Gedichte  nicht  philo- 
sophisch   sind,    so    ist    doch    ein    guter    Theil    Philosophie    dabey    consumirt 


Erich   Frank  : 

worden,  die  nichl  eben  aus  der  ersten  Hand  an  die  Vf.  gekommen  seyn  muß. 
So  hat  sieh  vermuthlich  der  Mißgriff  eingeschlichen,  dm  Urheber  der  Wissen- 
schaftslehre mit  Magneten,  Metallen  und  der  vier  Weltstriche  Richtung  zu  in- 
commodiren.    In  einem  anderen  Sonetl  ist  er  jedoch  besser  getroffen: 
Sey   mir   willkommen   dann    friedsel'ge*)   Klarheit. 
Die   Wesen,  die  sich  Deinem  Schoß  entfallen 
Sind  Diener,  ich  der  Herr,  mein  ist  die  Wohnung. 

Von  Selbstvernichtung  wird  manches  verhandelt,  vom  Tode,  der  Leben 
ist.  vom  Doppeltode  der  folglich  ein  doppeltes  Leben  ist,  und  dem  das  Uns 
als  Wahrheit  ersteht.  Die  Liebe  zeigt  sich  glutvoll  und  wuthvoll,  strafend  und 
anbetend.  Wo  sie  sieh  sinnlich  äußert,  da  scheint  sie  es  nur  um  der  höchsten 
Ansichten  der  Physik  willen  zu  thun.  Ks  ist  damit  zwar  nur  eine  etwas  anders 
modificirte  Epoche  der  Empfindsamkeit  eingetreten,  wie  zu  Werthers  Zeiten, 
die  aber  bey  weitem  nicht  so  unschädlich  ist.  Zum  eigentlichen  Todmachen 
ist  diese  zu  stolz  ;  dagegen  bringt  sie  alles  Große  um,  was  sie  in  ihren 
kleinen  Kreis  hineinzuziehen  sucht,  und  tüdtet  sich  selbst  in  ihrer  Erscheinung. 
Das  simple  Lieben  behält,  wenn  es  auch  der  hundertste  neun  und  neunzigen 
nachspricht,  immer  etwas  erfreuliches  und  wahres  ;  es  läßt  sich  daran 
glauben  ;  allein  die  complicirte  Empfindung  verräth  sich,  sobald  sie  nichl  acht 
ist,  als  eine  reine  Nichtempfindung.  Man  muß  nichl  darüber  rechten,  daß  die 
Empfindsamkeit,  wenn  man  sie  über  alle  Berge  glaubt,  sich  immer  wieder 
einstellt,  wir  können  sie  eben  nicht  los  werden,  sie  gehört  zu  unserer  Natur, 
wenigstens  von  der  christlichen  Zeitrechnung  au  :  nur  wäre  zu  wünschen, 
daß  ''in  jeder  seine  eigene  hätte,  und  sich  nicht  mit  einer  fremden  quälte.  Das 
Individuelle  ist  ihr  mütterlicher  Boden  ;  auf  diesem  will  sie  aber  auch  wirk- 
lich entsprossen  seyn,  um  einen  Werth  zu  haben.  Gebricht  es  ihr  an  eigener 
Kraft  oder  Erfindung,  und  sie  giebt  sich  deswegen  einer  außer  ihr  seyenden 
mit  Liebe  und  Bewunderung  hin:  so  liegl  selbst. in  dieser  persönlichen  An- 
hänglichkeit noch  etwas,  das  mehr  ist,  als  ein  tönendes  Erz  und  eine  klingende 
Schelle,  und  ihr  helfen  würde,  vor  gewissen  Dingen  eine  geziemende  Scheu 
zu  bewahren,  welches  aber  keineswegs  zu  thun,  sondern  frech  an  dem  Heilig- 
thume  der  Natur  und  der  Kunst  Kirchenraub  zu  begehen,  die  Sentimentalität 
unserer  Tage  bezeichnet.  Wenn  doch  besonders  unsere  schreibende  Jugend* 
die  Kräfte  des  Himmels  und  der  Erden  ruhen  ließe,  bis  sie  durch  stilles 
fleißiges  Forschen  sie  im  eigenen  Wahrnehmen  erkennen  lernte,  statt  sie  bloß 
auswendig  zu  wissen,  und  dann  mit  ihren  wundervollen  Beziehungen  wie  mit 
den  Reimen  zu  spielen.  Legen  sie  wohl  einen  lieferen  Sinn  hinein,  als  daß  sie 
ihnen,  wie  diese,  dazu  dienen,  Gedichte  zu  verfertigen?  Der  Taschenspieler 
aber,  der  die  Eigenschaften  der  Dinge  zu  seinen  Künsten  gebraucht,  ist  respec- 
labler,  als  wer  in  Worten  und  Bildern  sie  mißbraucht. 

Dagegen  ist  es  freylich  nur  lächerlich,  wenn  sie  auf  ihr  Leben,  ihre  Er- 
fahrung eine  würdige  Rolle  wollen  spielen  lassen,  wenn  sie,  was  Männer,  die, 
durch  ursprüngliche  (laben  schon  ausgezeichnet,  auf  einem  großen  Schauplatz 
-landen,  die  öffentlichen  Angelegenheiten  oder  den  (lang  der  Wissenschaften 
gedenkt,  die  Mühen  und  Herrlichkeiten  der  Welt  durch  eigenes  Geschick  er- 
fahren, oder  in  stiller  Contemplation  ergründe!  hatten,  dann  in  Bezug  auf  ein 


*)  Es  heißt  „feindselige",  Musen-Almanach,  S.   L2.     Anm.  des  Herausg.) 


Rezensionen   über  schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  27 

reiches,  vielfach  begabtes  und  durchbildetes  Daseyn  dichteten  und  aus- 
sprachen, vielleicht  eben  am  Ende  ihrer  akademischen  Laufbahn  mit  großer 
Gemüthsruhe  nachsprechen.    Sie  geben  wohl  vor  : 


Früh  mußte  schon  das  Leben  mich  belehren, 


und  : 


In   Wissenschaft   und   Kunst  zu   hüben   Ehren 
Hab'  ich  gestrebt  durch  der  Gemeinheit  Massen. 

Wer  mag  aber  ihrem  Zeugnisse  trauen   und  am   Ende  gar  ihnen  glauben  : 

Ich  werde  kunstvoll,  gut,  gesetzt  von  Jahren. 

Wahrlich,  diese  Gesetztheit  und  in  so  krausgelockten  Versen  sieht  ihnen  zu 
Gesichte,  wie  die  Perücken  den  jungen  Leuten  gestanden  haben  mögen,  die 
sie  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  schon  auf  dem  Gymnasium  zu 
tragen  pflegten.  Eine  solche  mystische  Dignität  ist  unendlich  spashaft.  Man 
ließe  es  ihnen  schon  zu,  über  Gemeinheit  zu  klagen,  obwohl  auch  dieses 
ziemlich  gemein  wird  ;  da  solche  aber  einem  oft  und  in  sehr  verschiedenen 
Gestalten  begegnet,  so  hätten  sie  vielleicht  nichl  immer  Unrecht.  Sie  müßten 
dann   nur,   wo 

Hohnneckend   sie  die  Bessern  schallen 
und    sie  : 

Verzweifelten  zu   finden   je  die   Reinen, 
genau   zusehen  : 

Ob   etwa   sinn'ger   Wahnsinn   tauscht   verdunkelnd. 

Es  liegt  übrigens  in  der  Physiognomie  aller  dieser  kleinen  Werke,  daß  ein 
bescheidener  Zweifel  sehr  fern  von  ihnen  ist  ;  ja,  es  ließe  sich  darauf 
wetten,  daß  so  wie  die  Meister  diese  Jünger  nicht  anerkennen  werden, 
wenn  sie  anders  nicht  eine  sträfliche  Nachsicht  üben,  die  Jünger  sich  bey  Ge- 
legenheit wohl  über  die  Meister  hinaus  zu  dünken  im  Stande  sind.  Mit  der 
Unsterblichkeit  hat  es  ohnehin  sein  Bewenden. 

Und  dieser  bittre  Schmerz,  den  ich  genähret, 
Der  mich  bald  schmelzen  ließ,   und  bald  versteinte, 
Den   sollten  künft'ge   Zeiten  nicht  mehr  kennen? 
Nein    wenn   kein   Dichterwahn  die   Brust   bethöret, 
Es  lebt  in   Liedern  ewig    was  ich  weinte, 
Und   ihren  Namen    wird  die   Nachwelt   nennen. 

Man  hat  dieß  nicht  etwa  für  die  bloß  naive  Anmaßung  irgend  eines  Ge- 
fühles zu.  nehmen,  theils  gehört  es  zum  Kostüm,  sich  die  Unsterblichkeit  zu 
prophezeihen,  indem  sich  dies  bey  verschiedenen  Dichtern  findet,  welche  wirk- 
lich auf  die  Nachwelt  gekommen  sind,  theils  scheint  ihnen  die  große  Sicher- 
heit darüber  fast  ein  sichrer  Schritt  dazu  zu  seyn. 

Es  könnte  bey  alle  dem  Einer  oder  der  Andere  das  hier  niedergeschriebene 
Urtheil  über  das  Ganze  zu  hart  finden,  wenn  er  sich  an  das  Einzelne  hielte. 
Nicht,  als  ob  sich  Einzelnes  merklich  hervorhöbe  :  es  findet  in  diesem  Be- 
tracht wie  in  jedem  anderen  eine  entschiedene  Monotonie  in  der  Sammlung 
statt  ;  weder  Erfindung  noch  irgend  eine  gefällige  Eigentümlichkeit  halt  uns 
fest,  und  besonders  ist  ein  gänzlicher  Mangel  an  Frische  und  Lebendigkeit  in 


28  Erich   Frank  : 

ihr  auffallend  ;  dennoch  kann  man  nichl  läugnen,  daß  sich  manches  aufdrängt, 
als  oh  es  Etwas  wäre.  Das  aber  bringl  gerade  den  treuen  Freund  der  Poesie 
zur  Verzweiflung,  weil  es  dann  doch  Nichts  ist,  indem  allenthalben  die  Tiefe 
und  der  Hintergrund  fehlt,  worüber  sich  nur  derjenige  lange  täuschen  kann, 
der  selbst  flach  is1.  Es  isl  hier  insbesondere  von  einer  speciellen  Gestaltung 
der  lyrischen  Poesie  die  Heile,  deren  formen  gediegen  auszufüllen  Gediegen- 
heil im  Subjecl  und  eine  bedeutende  Eigenthümlichkeit  um  so  mehr  erfodert, 
da  die  Formen  zugleich  hervorstechend  genug  sind,  um  für  sich  allein  zu 
fesseln  und  die  Leerheil  zu  begünstigen.  Diese  sinnvollen  Töne  haben  neuer- 
dings mi!  dazu  gedient,  den  erstorbenen  Sinn  für  Poesie,  als  Kunst,  allge- 
meiner wiederum  hervorzulocken.  Indem  aber  die  Jünger  eine  gebildete  Technik 
allein  für  sich  eintreten  lassen,  trägt  man  nur  eine  um  so  schlimmere  Emp- 
findung davon,  daß  die  Kunst  auf  einer  höheren  Stufe  sich  wieder  in  ein 
Fantom  verkehrt.  Es  ist  das  ächte  Verdienst  der  Vorgänger,  wenn  Nach- 
ahmer ohne  wahres  Verdienst  dennoch  so  viel  leisten  können  ;  ein  Memento 
könnte  es  indessen  für  jene  seyn,  dem  Streben  nach  der  Form  eine  weniger 
formelle  Richtung  zu  geben,  worin  einige  fast  zu  viel  gel  hau  haben  und  eben 
an  der  äußersten  Grenze  still  gestanden  sind.  Für  unsere  Poeten  gesellen  sich 
nun  zu  dem  bloß  äußerlich  Gegebenen  noch  gewisse  innerliche  llülfsformen 
die  sie  eben  aus  den  immer  mehr  sich  verbreitenden  Ideen,  den  Entdeckungen 
der  Philosophie  und  Physik  nehmen,  und  die  schwächsten  unter  ihnen  an 
Crucifixen,  Marien-  und  Heiligenbildern  u.  s.  w.  linden,  welche  die  Venus  und 
den  Amor,  die  Grazien  und  Nymphen  als  altmodig  bey  ihnen  verdrängt 
haben,  aber  unter  ihren  Händen  eben  so  nichtssagende  abenlheuerliche 
/eil  hen  und  Puppen  werden,  als  sie  es  gewöhnlich  in  den  deutschen  Kloster- 
kindien  sind. 

I'ni  mit  dem  Demokrit  zu  schließen,  empfehlen  wir  noch  unseren  Ver- 
fassern zur  Aufnahme  in  den  nächsten  Jahrgang  folgendes,  dem  Einsender  be- 
kannt gewordene  Sonett,  von  einer  zwar  technisch  ungeübten,  aber  natürlich 
geistvollen    Hand  : 

Die  Blume  ist  in  Liebe  hoch  entbrannt, 
Die  Kelche  wollen  alle  aufwärts  dringen, 
Und  an  die  Sterne  ihre  Fäden  schwingen, 
Zu  fassen  Wurzel  im  azurnen   Land. 

Es   überschäumt  der  Most  den  goldnen    Rand, 

Die  Tropfen  selbst  im  Becher  widerklingen, 
lud    Kindlein,   welche   Schmetterlinge  fingen, 
Fahn    Psyche'n  nun   an   jeder  grünen   Wand. 

So  muß  das  Alle  wohl   sich   neu  gestalten  ; 
Denn  alle  sitzen   um  den  süßen   Brey, 
Und  die  noch  nicht  die  Löffel  können  hallen, 

Sie   legen  doch  getrost  ihr   täglich   Ey  ; 
Und  beten  au  das  hohe  Wunderkreuz, 
Das    aufgerichtet,    aller    Well,    zum    Kreuz. 

MZ. 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         29 

b.    Jenaische  Allgemeine   Literaturzeitung,   Nr.  120  (23.  May)  1807. 

Schöne   Künste. 

1)  Hamburg,  b,  Schmidt  :  Erzählungen   und  Spiele.    Herausgegeben   von  Wil- 

helm   Neumann    und    Karl    August    Varnhagen.     1807.     364    S.     kl.    8. 
(1    Rthlr.   12  gr.) 

2)  Berlin,    b.   Maurer:   Eros.    Von   Wilhelm    Eulogins   Meyer.     1805.     188    S. 

kl.  8.    (14  Gr.) 

.Man  muß  den  Poeten  Nr.  1  zugestehen,  daß  es  nicht  leicht  ist,  mit 
ihnen  fertig  zu  werden  ;  womit  wir  eben  nur  von  diesen,  nämlich  den  Herren 
Neumann,  Varnhagen,  Chamisso  u.  s.  w.  reden  ;  denn  fern  sey  es  von  uns,  sie 
irgend  Jemand  weiter  zur  Last  zu  legen  und  zuzugesellen,  als  sich  selber. 
Deßwegen  aber  ist  der  Kampf  mit  ihnen  schwer,  weil  sie  immer  wieder- 
kommen und  immer  in  hellen  Haufen,  und  dann  doch  ein  jeder  von  ihnen  ins- 
besondere Rechenschaft  von  dem  Überdruß  fodert,  den  ihre  Ziererey  im 
Ganzen  erregt  ;  ferner  weil  sie,  selbst  schon  Parodie,  noch  unermüdlich  sind, 
sich  selber  zu  parodiren,  einige  sogar  mit  keckem  Wissen  und  Willen,  und 
so  der  einzigen  Waffe  sich  bemächtigen,  die  es  Kurzweile  machen  könnte 
gegen  sie  zu  gebrauchen.  Lassen  wir  sie  also  gewähren,  indem  sie  es  einmal 
nicht  lassen  können,  zu  seyn  wie  sie  sind,  und  geben  nur  an,  was  diese 
Sammlung  enthält  ;  wo  denn  zuförderst  das  Gute  darin  nicht  ihnen  gehört. 
Für  die  Übersetzung  zweyer  Novellen,  die  eine  des  Boccaz,  die  andere  des 
Macchiavell,  würde  man  Hn.  Neumann  gern  verpflichtet  seyn,  da  die  erste, 
die  sich  nicht  im  Decameron  befindet,  weniger  bekannt,  und  die  andere  zwar 
bekannt,  genug  —  es  ist  die,  wo  der  Teufel  auf  die  Erde  kommt  und  ein  Weib 
nimmt  ■ —  indeß  doch  immer  gern  gelesen  wird,  obschon  die  Behandlung,  be- 
sonders  gegen  die  des  Boccaz,  ziemlich  trocken  erscheint.  Allein  Hr.  .V.  hat 
sich  auch  diesen  Dank  etwas  verkümmert  durch  seine  Art,  das  Italiänische 
ins  Deutsche  recht  eigentlich  zu  übertragen,  so  daß  man  es  wörtlich  wieder 
daraus  zusammensetzen  kann.  Es  ließe  sich  daher  dieser  Versuch  auf  den 
ersten  Blick  für  die'  Übung  eines  Tertianers  halten,  wenn  man  nicht  mit  der 
vollkommensten  Gewißheit  annehmen  dürfte,  daß  solche  reife  Grundsätze  den 
Übersetzer  geleitet  haben,  wie  er  sie  etwa  den  ersten  Meistern  in  diesem 
Fache  zutraut,  welche  das  Colorit  und  die  Wendung  einer  fremden  Sprache, 
in  sii  weit  sie  Eins  mit  dem  Werk  ist,  auszudrücken  bemüht  sind,  und  eben 
hieran  die  Bildsamkeit  der  deutschen  Sprache  üben,  daß  sie  dennoch  ver- 
meiden, ihr  dabey  Gewalt  anzuthun.  Hr.  N.  hat  das  auf  folgende  Art  aus- 
geführt :  „Eines  Tages  mehr  als  gewöhnlich  von  sehr  schweren  und  unzähligen 
Leiden  angefallen  mich  befindend"  u.  s.  w.  oder  :  „Und  eines  Tages  mit  seinen 
Vertrauten,  Baronen,  und  Begleitern  in  solcher  Kunst  sich  übend,  geschah  es, 
daß  ein  scharfzahniger  Eber  ganz  schäumend  und  mit  gesträubten  Borsten  vor 
ihm  hinlaufend,  vorbey  kam  und  er  ihn  sehend,  spornte  sogleich  das  rasche 
Pferd,  und  mit  dem  Schwerdt  in  der  Rand  ihn  verfolgend"  u.  s.  w.  Wenn  er 
sich  nun  solchergestalt  dem  Originale  anzuschmiegen  sucht,  versäumt  er  es 
nur  in  der  Kleinigkeit,  daß  er  zwar  ebenso  italisch  aber  nicht  gefällig  zu 
lesen  ist.  —  Benigna,  ein  dramatisches  Spiel  von  Varnhagen,  hat  recht  artige, 
dunkel  und  hell  assonireude  Verse,  aber  sie  wollen  im  Ganzen  weder  Licht 
noch    Schatten   geben,    und   es   gehört    vermuthlich    mehr   dazu,    ein    tragisches 


30  Erich  Frank  : 

Tableau,  wie  dieses  seyn  soll,  auf  eine  lebendige  Weise  aufzustellen,  als  daß 
ein  Vater  Sohn  und  Tochter  tödtet,  daß  ein  Lied  zur  Leyer  gesungen  wird,  und 
einige  rasche  Trochäen  an  den  Calderone  erinnern,  die  eben  darum  jeden 
freund  des  Calderone  mit  Widerwillen  erfüllen  müssen.  —  Nero  und  Cato  ein 
Gespräch  von  |  und  Fabio  und  Clara,  eine  Novelle  von  Rosa  Marie,  wollen  wir, 
das  erste  als  gänzlich  verfehll  und  geschmacklos,  die  andere  als  gar  unschädlich 
und  unbedeutend,  übergehen ;  die  Beyträge  des  Pellegrin  aber  deßwegn,  weil 
wir  ihnen  eine  andere  Stelle  wünschten  ;  sie  vermögen  an  sich  nicht  für  die 
schlechten  Nachbarn  zu  bezahlen ;  in  besserer  Gesell  schaff  aber  könnten  sie 
vielleicht  auch  besser  werden.  —  Was  kann  man  zu  der  Vision  :  Adelberts 
Fabel  oder  dem  Mährchen  Alfonso  sagen,  als  daß  sie  nachgemachte  Schatten 
von  Schatten  sind,  aller  ursprünglichen  Kraft  und  Wesenheit  ermangelnd  ;  ver- 
gebens ruft  Adelbert  :  „Karfunkel,  du  meiner  inneren  Selbstmacht",  und  ent- 
deckt griechische  Worte  auf  einem  Talisman  und  hat  beym  Erwachen  sein 
Antlitz  gewendet  gegen  die  in  Osten  aufsteigende  Sonne  —  es  wird  ihm 
nichts  helfen,  es  sey  denn,  daß  er  endlich  einmal  das  0€\eiv!  in  Wirksamkeit 
setzte,  um  vernünftig  zu  werden.  Ebenso  würde  nur  ein  Machtwort  das 
einzige  noch  rückständige  Urtheil  über  die  vielen  biographischen  Gedichte  und 
Sonette  von  Neumann  und  Yarnhagen  sprechen  können  ;  man  müßte  ihnen 
nämlich  geradezu  verbieten,  ferner  welche  zu  machen.  Daß  sie  von  diesem 
eigenmächtigen  Entschluß  weit  entfernt  sind,  drückt  unter  anderen  folgendes 
Sonett  mit   muthigem  Muthwillen  aus  : 

liier  ist  von  meinem  innern  Selbst  ein  Theil, 
Was  grade  nun  so  zu  Sonetten  ward  ; 
Dünkt  euch  darin  auch  mancherley  zu  hart, 
So  ist  auch  manches,  was  zu  weich,  drin  feil. 

Hier  noch  zieht  an  der  Sehnsucht  Narrenseil 
Das  arme  Herz  in  gar  demüth'ger  Art  ; 
hoch  wuchs  seitdem  mir  um  das  Kinn  der  Bart, 
Und  mit  dem  Bart  hoffärth'gen  Muthwills   Heil. 

Mag  gut  seyn  oder  schlecht,  falsch  oder  treu, 
Weint  oder  lacht,  ich  lach    und   weine  mit, 
Wißt  ihr,  was  Demuth  und  was  Hoffarth  Unit  ? 

Doch  ob  ich  Lob  und  ob  ich  Tadel  litt, 
Von  Thoren,  Weisen,  weinend,  lachend  :  neu 
Quillt  stets  das  leichte  rasche  Jugendblut. 

Das  heißt  so  viel:  wir  müssen  warten,  bis  das  Wasser  abläuft. 

Ober  das  Ganze  wollen  wir  noch  die  Bemerkung  machen,  daß  unsere 
I lichter  aus  der  jugendlichen  Periode  des  Ernstes  in  die  männliche  des 
Spaßes  überzugehen  anfangen,  und  so  es  in  allem  Anderen  gleich  thun,  und 
nirgends  zurück  bleiben  wollen,  wo  ihnen  denn  bald  auch  die  ernstliche  gute 
Absicht,  die  sie  doch  noch  zu  hegen  schienen,  verloren  gehen  möchte,  und  der 
letzte  Spaß  fader  wie  der  erste  wäre. 

Nicht  vom  Zufall  geleitet,  sondern  wohlbedacht,  stellen  wir  den  Eros 
Nr.  2  mit  jenen  Spielen  zusammen,  jedoch  nichl  um  dem  Eros  wehe  zu  thun, 
sondern  weil  in  ihm  erscheint,  wie  da,  wo  ein  glückliches  Naturell  wenigstens 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         31 

vorhanden  ist,  auch  das  nicht  originelle,  nicht  ganz  entschiedene  Talent  sich 
Liebe  erwirbt.  Wir  halten  dafür,  daß  sich  das  Büchlein  eben  wegen  der  Nach- 
sicht, die  es  bedarf  und  die  es  verdient,  Eros  genannt  habe  ;  es  könnte  zum 
Theil  auch  Eris  heißen,  wegen  des  satyrischen  Drama's  von  heute,  welches 
wirklich  dem  übrigen,  aus  lyrischen  Gedichten,  einem  kleinen  Liebes-  und 
Bildungsroman  bestehenden  Theil  selber  den  Streit  anbietet.  Auch  für  eine 
Laune  unseres  Eros  können  wir  jenes  gelten  lassen,  der  überhaupt  noch  nichl 
immer  genau  weiß,  was  er  will.  Besonders  zeigt  er  sich  in  dem  Roman  sehr 
schwankend  ;  mitunter  spricht,  charakterisirt,  portraitisirt  er  sinnvoll  und 
gescheut,  in  der  Hauptsache  herrscht  aber  eine  gewisse  Unverständigkeil,  die 
davor  nicht  verständig  werden  will,  daß  sie  zu  wissen  scheint,  sie  ist  un- 
verständig. Allenthalben  Unit  sich  nun  manches  Nachgeahmte,  Nachgesungene 
hervor,  aber  ohne  Affeetation,  tändelnd  und  fröhlich  ;  und  um  einen  Maßstab 
zu  geben,  wie  weil  das  Eigene  bey  ihm  geht,  indem  er  sich  das  Fremde  an- 
eignet,  setzen   wir   gern   folgendes   Gedicht  her  : 

Unser  Amor. 

Nicht  nach  den   uralten,  uralten   Geschlechtern, 

Jener   brausenden 

Innig  umstrickenden, 

Ranke    bedürfenden 

Götter, 

Fragt    euch    und    sehnl    euch, 

Laßt   immer   sie   hausen, 
Buhlen    und    schmaußen, 
Sind    doch    ja    nur   Gäste 
Bey   Jupiters   Feste, 
Hungernde,  durstende. 
Durstende,  hungernde. 

Einen  nur  haltet, 
Der  schaffet   und    waltet, 
Locket  und  necket 
Beseligt  und  schrecket, 
Im    Wolken-    im   Erdkreis, 
Im  Erden-  im  Wolkenkreis. 

Alle  verführt  er, 

Alle   erspürt   er 

Die  heimlich  den  Funken 

Im  Herzen  versunken, 

Klagen   und   tragen, 

Tragen  und  klagen. 

Und  gilt  auch  sein  Sümmchen 
Im  Rathe  der  Götter 
Auch   wenig,   auch   nichts  ; 
So  plaudert  sein   Stimmchen 
Trotz    Rathen    der    Götter, 
Doch   Allen    voran. 


;;•_>  Erich   Krank  : 

Gehl  auch  im  irdischen,  groben  Gedränge 

Psyche,   die    liattin, 

Die  Ewigkeitschauende 

Seele  des  Lichts,  Licht  in  der  Seele 

Ihm  manchmal   verloren 

Dem   lockeren   Schelm  : 

So   sprudelt   er   dennoch 

Im  Leben  hoch  auf, 

Sprudelt    im    Herzen, 

Und   treibt   ihn  durch  Schmerzen 

Den  trübe  Gehörnen 

Zum   Himmel   hoch   auf. 

Lockt  sie  ins  Hiittchen 
Mit  zuckernen  Dütchen, 
Durch   üppigen   Wahlsrhein 
Hinein,    hinein. 
Verschließet  die  Riegel, 
Drückt  jauchzend  das  Siegel 

Der  Seinigen  drauf. 
Der  Seeligen  drauf. 

Mit  künstlichen  Sylbenmaßen  mühet  er  sich  nicht  ab  ;  aber  alles  Gefällige 
und  Schwebende  des  Klanges  steht  ihm  so  zu  Gebot,  daß  man  über  den  Sinn 
zuweilen  leichler  hinwegzuschlüpfen  geneigt  wird;  man  weiß  doch,  es  ist 
leichter  Sinn,  und  soll  kein  Tiefsinn  seyn.  Anderen,  und  zwar  solchen  Poesien, 
die  aus  mehreren  kleinen  Gedichten  bestehen  und  dramalisch  behandelt  sind, 
kann  man  das  Gedachte  nicht  absprechen,  obwohl  sich  eine  recht,  durch- 
greifende Conception  des  Ganzen  nirgends  zeigt.  Eins  dieser  Gedichte  ist 
Goethe's  Geburtstag  überschrieben;  es  sind  da  verschiedene  Personen  aus  den 
Werken  des  Dichters  contrastiert  und  wiederum  verbunden,  um  ihn  zu  ver- 
herrlichen. Faust  spricht  zu  Iphigenien,  der  Unvollendete  zur  Vollendeten, 
das  heißl  der  seiner  Natur  nach,  nicht  als  Gedicht,  Unvollendete),  sie  zu  ihm, 
sich  abwendend  viiii  ihm,  beide  aber  zu  ihrem  gemeinschaftlichen  Schöpfer  sich 
hinwendend,  wo  aber  Reinike  dazwischen  berichtet,  daß  eben  Tassn  bey  dem 
Dichter  ist,  der  dann  von  ihm  gehend,  mit  seinem  eigentümlichen  Ungestüm, 
die  Begeisterung,  die  Nacheiferung  ausdrückt,  die  dieser  in  ihm  erweckt  hat. 
Egmonl  und  Werther  reden  zusammen,  dieser  sich  an  die  Stelle  des  Helden, 
der  Held  in  die  des  Liebenden  sich  versetzend.  Zu  Egmont  komml  Götz  von 
Berliehingen,  und  begrüß)  ihn  mit  einigen  Stanzen,  von  denen  wir  die  erste 
wenigstens  einrücken  wollen: 

Wie   aus   der   Felsen   dunkeln   Mooseril/.en, 
Hoch   über  Sturmesfluth   und  Meereswinden, 
Wie  sieh  auf  eines  Berges  Wolken  Spitzen 
Zwey    königliche    Adlerhelden    finden, 
Die   Braut*)  zu   tränken    in   den   Sonnenblitzen: 
So   auch   zwey    Ereye   Herzen,   die   sieh   linden. 

:   Es  heißl  im  Original  :  „Brust"  (Anm.  d.  Herausg.). 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         33 

Sie  fliegen  auch  in  heldengleicher  Wonne 
Zur  goldnen  Freyheit  auf,  zu  ihrer  Sonne. 

Meister  schließt  mit  der  Wiederholung   der  letzten   Zeilen   jener   Stanzen  : 
Was  fromme  Helden  fochten,  Dichter  sangen, 
Ist  doch   nur  Einer  Seele   Gottverlangen. 

Von  dem  oben  erwähnten  Drama  ist  die  Skizze  folgende  :  Der  Vater  war 
genöthigt,  seine  eben  mutterlos  gewordene  Familie  auf  eine  Zeitlang  zu  ver- 
lassen und  vertraut  sie  der  Obhut  eines  Hofmeisters,  der  der  erste  ist,  sich 
der  Verrücktheit,  und  zwar  einer  gereimten  zu  übergeben.  Der  älteste  Sohn 
(von  15  Jahren)  wird  ein  arger  Renommist,  Rächer  alles  Unbildes,  Verächter 
aller  hergebrachten  Sitte,  Spieler,  wirft  dem  Minister  die  Fenster  ein  u.  s.  w., 
der  jüngere  macht  Schauspiele.  Sämtliche  Dienerschaft  schlägt  der  jungen 
Herrschaft  nach  ;  die  Bedienten  und  Köchin  führen  das  Stück  des  jungen 
Herrn  :  Aeneas  und  Dido  auf.  Die  Cousine  des  Hauses  kann  sich  kein  größeres 
Vergnügen  denken,  als  den  rohen  Vetter  zu  bilden,  nicht  um  des  Vetters, 
sondern  um  des  Bildens  wegen,  wird  aber  mit  derben  Wahrheiten  von  ihm 
angelassen,  wie  auch  die  übrigen  Thoren.  Endlich  sendet  der  Vater  den  Dorf- 
schulmeister in  die  Stadt,  um  nachzusehen,  wie  es  im  Hause  steht,  der  ihm 
dann  die  Bescherung  berichtet ;  er  kommt  selbst,  einige  Polizcydiener  in  Be- 
treff des  ältesten  jungen  Herrn  mit  ihm.  Nachdem  die  gehörigen  Maßregeln 
getroffen  sind,  um  Ordnung  herzustellen,  giebt  der  Dorfschulmeister  schlüßlich 
folgendes  Sentiment  von  sich,  das  wir  in  manchen  Bezug  nicht  anders  wie 
billigen  können  : 

(an's   Parterre,  indem  er  eine  Rulhe  vorhält)  : 
Dieß  war  die  harte  Zucht  der  alten  Zeiten. 
Auf  Eseln  ließ  man  da  die  Jugend  reiten  ; 
Da  kam  in  ihrem  parfümirten  Kleid 
Die  heutige,  die  liebe  neue  Zeit. 
Ms  hieß,  die   Fsel  wären  aus  dem  Thor.   — 
Die  Menschheit  kommt  mir  doch  bedenklich  vor. 
Was  besser  frommt?    Gott  in  der  Höh  sey  Richter, 
Ich  mein'  ob  span'sches  Rohr,  ob  span'sche  Dichter? 

Das  Ganze  ist  nun  wahrhaft  ein  Spiel,  alles  luftig  und  lose  ins  Blaue  hin, 
auch  ohne  Groll  gehalten;  die  Verse  und  Diction  allerliebst  —  eine  Ent- 
zückung des  Schauspieldichters,  der  sich  im  Geist  auf  weiter  Bühne  auf- 
geführt, herausgerufen,  seinen  Namen  durch  alle  Welttheile  getragen,  endlich 
gar  sich  vom  Papst  die  Dichterkrone  aufgesetzt  erblickt,  ist  unvergleichlich. 
Bey  alle  dem  fehlt  auch  hier  die  innere  Gründlichkeit,  welche  selbst  dem  Spiel 
nur  scheinbar  mangeln  darf,  wenn  es  auf  einige  Dauer  rechnen  will  ;  und  wir 
wagen  nicht,  viel  über  das  bereits  Geleistete  hinaus  von  dem  Vf.  zu  hoffen, 
so  sehr  er  Anlaß  giebt,  es  zu  wünschen.  Bliebe  es  aber  auch  biebey  mit  der 
ilmi  verliehenen  Gabe,  so  hat  sie  doch  immer  eine  heitere  und  frische  Stunde 
gewährt  ;  ein  Ruhm,  dessen  sich  unsere  obigen  Bekannten  nicht  zu  erfreuen 
haben,  die  wir  überhaupt  gern,  wenn  es  nicht  unhöflich  wäre;,  an  den  Dorf- 
schulmeister  verweisen   möchten.  N-f-d. 


Sitzungsberichte  der  Heidelb.  Akademie,  philos.-hist.  Kl.    1912.    1.  Abh. 


Kr  ich  Frank  : 

2.  Jenaische  Allgemeine  Literaturzeitung,   Nr.  65    (18.  März)  1805. 

Kleine  Schriften. 

Schöne  Künste.  Berlin  u.  Wien,  b.  Nathan  u.  Comp.  :  Nathan  der  Weise. 
Schauspiel  von  Lessing.  Travestirt  und  modernisirt  in  fünf  Aufzügen. 
1804.    96  S.  8.   (6  gr.) 

Pas  travestirende  Geschlecht  nimmt  so  sehr  überhand,  daß  man  sich 
\<>n  einem  ueuen  Versuche  in  der  Gattung  nicht  leicht  mehr,  wie  von  den 
neuesten,  verspricht.  Dieser  übertrifft  aber  durch  seine  Schlechtigkeit  sogar 
eine  billige  Erwartung.  Es  ist  eine  Satire  ohne  Salz  und  ohne  Sinn,  ohne 
Lustigkeit,  und  ohne  Object ;  wenigstens  fällt  es  schwer,  dieses  herauszu- 
finden. Soviel  läßt  sich  mit  einiger  Sicherheit  sagen,  daß  es  politisch,  und 
nicht  literarisch  damit  gemeint  ist.    Saladin  figurirt  den  Helden  des  Zeitalters, 

a,  das  aus  Loretto  entführte,  ins  Lehen  versetzte,  einem  argen  Juden  in 
die  Kost  gegebene  und  v<>n  Saladin  wieder  eingesetzte  Muttergottesbild.  Die 
Erzählung  des  Nathan  handelt  von  Ordens-  statt  von  Glaubensbrüdern  ;  Les- 
sing wird  als  Derwisch  noch  besonders  gemißhandelt  :  Sil  Iah  stellt  sogar  eine 
von  den  kaiserlichen  Schwestern  vor,  aber  es  zeigt  sich  überall  kein  deut- 
licher Zusammenhang,  außer  dem  einer  durchgängigen  Plattheit  ;  der  wir  es 
überlassen    wollen.  Bff. 

Ohne  Druckort  und  Jahrzahl  :  Poetische  Versuche  von  Wilhelm  Ca- 
\e~l:i.  192  S.  8.  (12  gr.)  An  dieser  kleinen,  auf  graues  Papier,  ohne  Orts- 
angabe, gedruckten  Sammlung  ist  nur  die  Kühnheit  merkwürdig,  dergleichen 
ihrer  Majestät,  der  Königin  von  Preußen,  zuzueignen,  als  ob  die  Sonne  das 
l  nkraut  in  Blumen  verwandeln  könnte.  Obige  Versuche  verrathen  nicht  einmal 
einen  jungen  Studirenden,  der  seine  dürftige  Anschauung  in  ein  paar  Bogen 
Beime  bringt,  sondern  weit  eher  einen  wandernden  Handwerksgesellen,  dem 
die  Musen  in  seiner  Sprache  antworten,  wie  er  selbst  berichtet  : 

Herab!   (vom  Pegasus)  was  käme  davon  her? 

Daß  Du  erschienst  ein  Bärenhäuter  elc. 

Bff. 


Jenaische  Allgemeine  Literaturzeitung,   Nr.  153  (28.  Juni)  1805. 

Schöne  Künste. 
Breslau  u.  Leipzig,  b.  Korn  :  Poetische  Schriften  von  Sam.  Gottlieb  Bürde. 

1805.    Zweyter  Teil.    378  S.  8.    (1  Bthlr.  8  gr.) 

Diese  zweyte  Sammlung  begegnet  weder  glänzenden  Erwartungen,  noch 
scheint  sie  dergleichen  Ansprüche  zu  machen  ;  sie  gleicht  der  ersten  in  der 
Stille,  die  auf  den  Blättern  ruht,  und  angenehm  mit  geräuschvollem  und  nicht 
gehaltreichern  Schriften  contrastirt,  so  wie  in  der  Eintönigkeit  der  Formen, 
welche  keine  Spur  eines  neueren  Studiums  verrathen,  und  enthält  noch  mehr 
l Übersetzungen,  wie  jene.  Die  erste  Abtheilung  oder  das  vierte  Buch  giebt  uns 
Elegien  nach  dem  Englischen,  theils  beschreibende,  theils  didaktische  Poesie, 
in  welchen  sich  der  Vf.  von  jeher  am  besten  gefiel,  und  sein  Talent  an  den 
englischen  Vorbildern  dieses  Faches  anzündete,  und  standhaft  übte.    Eine  reine 


Rezensionen   über  schöne   Literatur  von    Schelling  und   Caroline.         35 

fließende  Sprache,  und  die  Melodie  von  Grays  Dorfkirchhof  geht  durch  alle 
hindurch.  Eins  derselben  :  das  Nonnenkloster  ist  eine  bestimmte  Nachbildung 
von  jenem,  in  welcher  die  dramatische  Seite,  die  Einführung  des  elegischen 
Sängers,  gezwungen  erscheint,  und  der  Gegenstand  der  Klage  einer  ziemlich 
scherzhaften  Deutung  fähig  seyn  würde.  Wir  führen  folgende  Strophe  als 
Probe  der  Verdeutschung  des  englischen  Originals  an. 

Manch'  Mädchen,  Julien  und  Lauren  gleich,  verblüht 
Hier  ruhmlos  ;  manche,  die  schon  mit  der  Morgenröthe 
Zum   kleinen   Garten   eilt,   und   Blumen   auferzieht, 
Erzog'  in   einem  Sohn  uns  einen  andern   Göthe. 

Hierauf  folgt  Alzire  für  das  deutsche  Theater  bearbeitet,  das  heißt,  es 
ist  ein  gefälliger  Auszug  davon  in  nachlässig  behandelten  Jamben,  bey  welchem 
man  ganz  von  der  Forderung  abgehen  muß,  daß  hier  eine  französische  Tragödie 
als  solche  wiedergegeben  werden  soll.  Der  Übersetzer  hat  nur  den  Stoff  vor 
Augen  gehabt.  Er  hat  die  Ausführlichkeit  der  Ausführung  weggenommen,  die 
Ecken  und  Härten  der  französischen  Convenienz  und  die  Eigenthümlichkeiten 
ihrer  Pihetorik  in  einer  weichen  Haltung  aufgelöst,  die  Intrigue  nach  den  ge- 
wöhnlichen Ansichten  besser  gerundet  und  in  Handlung  gesetzt,  die  Per- 
sonen, wenn  man  will,  natürlicher  auftreten  lassen,  bey  welchem  Allen  jedoch 
kein  erhöhter  Effect  für  die  Bühne  gewonnen  werden  konnte.  Gusmann  ist 
vom  Anfang  an  etwas  menschlicher  vorgestellt,  vermuthlich  um  seine  Be- 
kehrung am  Ende  besser  zu  motiviren  ;  nur  Einmal  spricht  er  selbst  hoch- 
müthiger   wie   im   Original  : 

Doch,  was  verlang  ich?    Gusmanns  Vater  soll 

Um  eine  Gunst  zu  bitten,  sich  erniedern? 
Je   rougis,   que  mon  pere 

Pour  linieret  d'wn   ftls  s'abaisse  ä  Ja  friere. 

Er  läßt  aber  Zamor  ein  Kriegsgericht  halten,  bey  welchem  Zamor  sich  ein- 
schleicht, und  ihn  ermordet.  Der  Auftritt  geht  auf  der  Bühne  selbst  vor,  nach 
deutscher  Sitte,  erzeugt  aber  den  Mißstand,  daß  Zamor  sich  auffallend  als 
Meuchelmörder  darstellt,  und  der  Vater  Alvarez  gar  zu  offenbar  den  Retter 
seines  Lebens  höher  schätzt,  als  das  Leben  seines  Sohnes.  So  entsteht  leicht 
tiefer  gegründete  Unschicklichkeit,  wenn  eine  Convenienz  mit  der  andern  ver- 
tauscht werden  soll.  Die  vielen  Erwähnungen  der  grossiers  climats,  und 
sauvages  vertus,  wodurch  Voltaire  die  fremden  Völker  zu  bezeichnen  pflegt, 
bey  denen  er  mit  seinen  Tragödien  ziemlich  rings  in  der  Welt  herumge- 
kommen ist,  sind  unterdrückt  worden;  dafür  geht  Zamor  einmal  mit  einer, 
der  einzigen,  lyrischen  Strophe  ab,  die  in  einem  hergebrachten  Wilden-Gesang 
ihre  Stelle  finden  könnte.  Manche  Stellen,  die  int  Sinn  des  Originals  zu  den 
besten  gehören,  sind  in  der  Bearbeitung  verschmäht  worden,  z.  B.  Manes  de 
mon  Amant,  j'äi  donc  trahi  ma  foi  etc. 

Alzirens  Gebet  für  Zamor  : 

Grand  dieu  condui  Zamore  au   milieu  des  deserts  etc. 

Wenn  sie  Emiren  sagt  : 

Ya,  Ja  honte  sentit  de  truhir  ee  que  j'aime  etc. 
Statt  ihrer  Erklärung  über  den  rettenden  Ausweg-,  daß  Zamor  Christ  werden  solle: 

3* 


Erich  Frank  : 

Mais  renoncer  aux  dieua  que  Von  croit  dans  son  eaeur 

ü  le  Crime  d'un  Lache  et  non  pas  ioic  erreur. 
C'esl  trahir  ä  la  fois  sous  un  »ms, ine  hypoerite 

Et   le  dien   que  Von   sert,   et  le  dien   que  Von  quitte, 
("est   mentir  au   eiel  meine,  ä   Vunivers,  ä  soi. 
Mourons,  mais  en  mourant  sois  digne  encor  de  moi. 
antwortet  sie  hier  auf  Zamors  Frage. 

Sprich 
Wie  soll  ich   wählen? 

• —   Wie  dein   Herz  dir   räth, 
Sieh   mir  ins   Auge  !    Heiter   ist   mein   Blick. 
Frey  athmel  meine  Brust. 
Worin  man  die  hier  unglückliehe  Reminiscenz  an  Thekla  in  Wallenstein  nicht 
verkennen    wird.     So   ist  das   Werk   durchgehends   aus   dem   bestimmten    Ge- 
sichtspunkte   gerückt    worden,    in    dem    es     gearbeitet     wurde,     und     dessen 
strengere   Kenntniß   dem   Übersetzer  sogar  zu   mangeln   scheint.     Innerhalb   des 
eingeschränktesten  und  fremdesten  aber  kann  noch  eine  entschiedene,  ja  eine 
erhebende  Wirkung  statt  finden,  für  welche  eine  einseitige  Erweiterung  keinen 
Ersatz  leistet,   sondern  nur  jene   aufhebt.    Eine  der   Stellen,   wo  der  Vf.   sich 
dem  Original  am  nächsten  gehalten,  und  zugleich  am  glücklichsten  übertragen 
hat,  ist  folgende  : 

De  tont  ce  nouveau  Monde  Alzire   est  le  Modelle, 

Les  peuples  incertains  ßxent  les  yeux  sur  eile, 

Son    CCeur   ans    Cas/Maiis    en    dminer    Ions    les    COBUTS, 

L'Amerique  ä  genoux  adoptera  nos  meeurs, 

La  foi  (Inil  y  jetirr  des  racines  profondes, 

Votre  hymen   est  le  Noeud,  qui  joindra  les  deux  mondes. 

Alzire    sie, 
Der  Stolz,  die  Zierde  dieser  neuen   Will, 
Bringt  Dir  die  Herzen  ihres  ganzen  Volkes, 
Zum   Brautschatz  ;  ihrem   Beyspiel  folgend,   nimmt 
Amerika  Furopens  Sitten  an  ; 
Das  heiige  Band,  das  sie  mit  dir  vereint, 
Verknüpft  die  alte  mit  der  neuen  Welt, 
Und  jedes  Herz  schlägt  nur  für  Spanien 
Fml   für  der   Christen   (Hauben. 

Von  dem  Versuche,  Wielands  Don  Sylvio  von  Rosalva  in  ein  Singspiel  zu 
bringen,  ist  es  besser,  zu  schweigen,  indem  dabey  dem  Urgedanken  auch  nicht 
ein  Funken  von  Leben  übrig  gelassen  ist,  und  wir  ihn  als  völlig  todt  be- 
trachten müssen.  Mil  mehreren)  Vergnügen  wird  man  bey  den  wenigen  Bogen 
verweilen,  welche  mit  eigenen  Liedern  und  kurzen  Lehrgedichten  des  Vf. 
den  Beschluß  machen.  Jene  ziehen  durch  gefällige  Wendung  ohne  weiteren 
Reich thum  an  ;  das  wichtigste  der  letzten  ist  nur  nicht  gleich  und  fort- 
schreitend  genug  in  seinem  Gange  ;  es  wendet  sich  von  höheren  zu  unter- 
geordneten Ansichten  hin  und  zurück,  und  da  es  weder  neue  noch  große  auf- 
schließt, so  hätte  es  um  so  mehr  einer  sorgfältigen   Ökonomie  bedurft. 

Bff. 


Rezensionen   über   schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  37 

III.  Eine  gemeinsam  von  Schelling  und  Caroline  verfaßte 

Rezension. 

Jenaische  Allgemeine  Literaturzeitung,  Nr.  35  (11.  Februar)  1806. 

Schöne  Künste. 
Nachdem  sich  zufallig  folgende  Bruchstücke  unserer  schönen  Literatur 
zusammen  gefunden  haben,  welche  ein  Urtheil  begehren  :  so  will  es  sich  fast 
zu  langweilig  anlassen,  von  einem  jeden  insbesondere  mit  hergebrachtem 
Ernst,  ausführliche  Rechenschaft  zu  geben,  indem  die  meisten  für  sich  so  gut 
wie  keine  Stelle  einnehmen  ;  man  versucht  daher  lieber  sie  in  der  bunten  Ver- 
bindung zusammen  zu  fassen,  welche  ohnehin  ihre  natürliche  ist,  und  freylich 
wiederum  nur  ein  Bruchstück  jenes  vortrefflichen  Congregats  darstellt,  das 
unserer  vielseitig  gebildeten  Generation  zur  Nahrung  dient.  Futter  für  Pulver, 
Futter  für  Pulver  möchte  man  mit  Falstaff  sagen,  da  er  von  seiner  ange- 
worbenen Mannschaft  spricht,  sie  füllen  eine  Grube  so  gut  wie  andere.  Die 
Lesewelt  verzehrt  die  Bücher  begreiflich  um  so  schneller,  wenn  es  ihr  nicht 
möglich  ist,  sie  zum  zweytenmal  nur  anzusehen.  Nicht  sowohl  dieses  In- 
stinctes  ermangelt  sie,  als  vielmehr  desjenigen  für  die  Lesbarkeit  eines 
Buches  überhaupt.  Wäre  es  nicht  die  Pflicht  einer  Lit.  Zeitung,  diesem 
zu  Hülfe  zu  kommen,  so  dürfte  eine  solche  selbst  mit  so  Manchem  sich 
nicht  befassen.  Allein  in  dem  Punkt  der  Leetüre,  insofern  sie  als  ein 
geselliges  zeitvertreibendes  Vergnügen  betrachtet  werden  kann,  ist  in  der 
That  die  äußerste  Verwirrung  eingerissen.  Da  sonst  in  der  Societät  Linien 
Statt  linden,  welche  die  verschiedenen  Grade  der  Cultur  auseinander 
halten,  sq  giebt  es  hier  gar  keine  Verzäu(n)ung  ;  jeder  nimmt  Theil  an  allem, 
und  eine  Leihbibliothek  ist  ein  öffentlicher  Versammlungsplatz,  wo  der 
Unterschied  der  Stände  das  ganze  Jahr  hindurch  aufgehoben  ist,  und  be- 
ständige Saturnalien  gefeyert  werden.  So  vieles  wird  nur  für  die  niedrigsten 
Klassen  geschrieben  ;  allein  die  vornehmsten  verschmähen  es  nicht,  und  uns 
dünkt  die  Wirkung  davon  zeigt  sich  im  Ganzen.  Hiebey  scheint  es  unbillig, 
Schriftsteller  und  Verleger  ausschließlich  zur  Rede  zu  stellen.  Sie  geben  sich 
der  Verdammniß  vielleicht  nothgedrungen  Preis,  da  die  größere  Wahl  auf  der 
Seite  des  Lesers  bleibt,  mithin  auch  die  größere  Schuld.  Dem  ungeachtet 
möchten  die  Urheber  und  Beförderer  von  folgenden  Werken  eine  schonungs- 
lose  Rüge  verdienen  : 

1  |  Erfurt,  b.  Hennings  :  Johanne  Soutgate,  die  neue  Prophetin  in  England. 
Ein  Gemählde  des  Mysticismus  aus  unsern  Tauen.  Aus  den  Memoiren 
des  Herzogs  von  **inghäm  und  den  Ritualien  des  neu  erstandenen 
Ordens  Christi.  Erster  Theil.  1805.  382  S.  Zweyter  und  letzter  Theil. 
286  S.    8.    (2  Rthlr.  16  gr.) 

2)  Erfurt,  b.  Hennings  :  Amalie  Ilulbi.    Eine  wunderbare  Vision,  die  ich  selbst 

gehabt  habe,  von   Theod.   Ferd.   Kajetan    Arnold,  der   WW.*)   und   Recht- 
wiss.    Dr.,   Lehrer   auf  der   Universität   zu   Erfurt.    300   S.    8.     (1    Rthlr.) 

3)  Erfurt,    b.    Hennings  :    Die    silberne    Kuh    com    Verfasser    des    silbernen 

Kalbes.    Erster  Band.    1805.    386  S.    Zweyter  Band.    319  S.    Dritter  und 
letzter  Band.    332  S.    8.    (3  Rthlr.  8  gr.) 

*)  d.   i.   Welt-Weisheit     Anin.   des   Herausg.). 


Erich  Krank  : 

1      Erfurt,    1>.    Hennings:    Das    unglückliche   Weib,    ein    Gemähide   ans   der 
jetzigen     Welt.      Erster     Band.      282     S.      Zweytei     Band.      222     S.     S. 
1   Rthlr.  20  gr.) 

Diese  industriöse  Gesellschaft  treibl  die  Büchermacherey  auf  das  gröbste 
und  mit  Hintansetzung  aller  Achtung  gegen  das  Publicum.  .Man  kenn!  das 
räsonirende  Verzeichnis  ihrer  Pabricate  aus  den  öffentlichen  Blättern;  es 
wird  auch  jedem  einzelnen  angehängl  und  zwar  gewöhnlich  auf  doppelte  Art, 
indem  auch  noch  in  den  Texl  selbsl  die  Anpreisungen  dramatisch  eingeführt 
werden.  Sie  tragen  außerdem  das  gleiche  Gepräge  auf  eine  merkwürdige 
Weise,  da  es  zugleich  sichtbar  ist,  daß  sie  nicht  von  der  nämlichen  Hand  her- 
rühren. Es  ist  hier  der  wahre  Hexenkessel  der  Schriftstellerey  :  die  ver- 
schiedensten Ingredienzen  werden  hineingeworfen,  was  aber  herauskommt,  ver- 
rälh  die  gemeinschaftliche  Werkstätte  durch  einen  betäubenden  Dunst  und 
einen  gewissen  wahnwitzigen  Anstrich.  Bey  vorliegenden  Producten  unter- 
scheiden wir  zwey  Verfasser  :  den  von  Johanne  Soutgate  und  Amalie  Balbi,  und 
den  der  silbernen  Kuh  und  des  unglücklichen  Weibes.  Hei-  erste  schreib! 
fließend,  wie  man  es  nennt,  mit  einer  Art  von  Klarheit  und  Fülle  gemeinen 
Ausdrucks  ;  er  nimmt  seine  Gegenstände  von  dem  her,  was  Tag  und  Stunde 
eben  an  die  Hand  geben,  wobey  er,  da  er  nicht  selber  erfindet,  zwar  immer 
etwas  hinter  der  Mode  drein  bleibt,  sie  -ich  aber  ganz  bequem  zurechtzumai  tu  < 
weiß.  In  Johanne  Soutgate  liefert  er  die  Papiere  eines  jungen  englischen  Her- 
zogs aus,  der  von  vielerley  Machinationen  umstrickt,  für,  man  weiß  nicht,  was 
für  obscurantisch-illuminatisch-poli  ische  Zwecke  gewonnen  werden  soll,  und 
nebsl  den  übrigen  Werkzeugen  zu  Grunde  geht,  liier  gibt  es  also  räthselhafte 
Ereignisse,  welche  aufgeklärt  werden.  Visionen,  die  in  Rauch  aufgehen,  philo- 
sophische Fragmente  und  dergleichen  Verzierungen.  Als  Gewährsmann  hat 
sich  am  Schlüsse  einer  Dedication  an  den  König  von  England  unterzeichnel  : 
„Der  Herausgeber,  einer  der  ersten  Staatsbeamten  und  Freund  der  Nation". 
Der  Vf.  scheut  keine  Mühe,  um  die  Dinge  recht  zu  beglaubigen;  er  läßt  sich 
das  Abgeschmackteste  nicht  verdrießen,  und  geht  dabey  mit  einer  Sicherheit 
zu  Werke,  als  müsse  es  ihm  bey  einem  oder  dem  andern  Leser  doch  damit 
gelingen,  die  man  heynahe  für  Ironie  nehmen  könnte.  In  Amalie  Balbi  trägt 
er,  wie  es  scheint,  sein  eigenes  Gesicht  ahs  Maske.  Es  ist  uns  freylich  un- 
bekannt, oh  ein  Hr.  Dr.  Kajetan  Arnold  zu  Erfurt  lebt  und  fähig  ist,  „vor 
Gott  und  aller  Welt  zu  versichern,  daß  die  Geschichte,  die  er  hier  erzählt, 
wahr  sey"  ;  allein  der  ganze  Hergang,  die  Umgebungen  des  guten  Mannes,  der 
sich  mit  Schreiben  solcher  Bücher  wie  diese  sind,  durch  die  Welt  bringt, 
sind  so  ungemein  natürlich  und  wahr  vorgestellt,  daß  sie  das  Zutrauen  sogar 
für  die  nachfolgende  Begebenheil  gewinnen,  so  sehr  diese  übrigens  von  aller 
Wahrscheinlichkeit  entblößt,  und  den  Hauptzügen  nach  aus  anderen  ähnlichen 
zusammengesetzt  is1       l  I  mschung  aber  hat   er   mit   einer  originellen  Hin- 

gebung  seiner  Person  durchzusetzen  gesucht,  und  man  meynt  deutlich  wahr- 
zunehmen, wie  er  sich  die  bekannte  Wötzelsche  Erscheinungsgeschichte 
wenigstens  von  der  Seite  mit  wahrer  Sympathie  zueignete,  wo  dieser  sich 
durch  seine  Erscheinung  die  Beruhigung  ertheilen  h'ißl  :  daß  es  ihm  noch  ein- 
mal besser  in  der  Welt  gehen  soll.  Er  legt  es  jedoch  nicht  darauf  an,  sich 
selber  betrügen,  sondern  bloß  in  ungefähr  gleicher  Bedrängniß  sich  selber 
helfen  zu  wollen.   Auch  will  dieser  Doctor  der  Weltweisheit  keineswegs  andere 


Rezensionen   über  schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  39 

zum  Glauben  an  übernatürliche  Dinge  verleiten  ;  er  ist  zufrieden,  wenn  man 
ihm  die  natürlichen  glaubt.  Die  Vision,  welche  er  gehabt  hat,  haßt  er  sich  voll- 
kommen in  Nichts  auflösen.  Denn  die  Person,  welche  ihm  als  gestorben  er- 
schienen war,  lebt  am  Ende  noch,  und  begrüßt  ihn  in  der  Peterskirche  zu 
Erfurt.  Die  Details  dieser  geistigen  Verhandlungen  stimmen  mit  den  Blend- 
werken in  der  Johanne  ganz  überein,  besonders  finden  sich  die  erscheinenden 
Frauenzimmer  immer  mit  niedlichen  gestickten  Schuhen  und  wehenden 
Taflentkleiderchen  ein. 

Bei  weitem  nicht  so  erträglich  finden  wir  den  Vf.  der  silbernen  Kuh 
und  des  unglücklichen  Weibes.  Das  erste  sind  strafende  Rhapsodien  auf 
Fürsten,  Völker  und  Zeitalter,  in  eine  seltsame  Geschichte  von  Attila  und  seine 
Zeitgenossen  gekleidet,  aus  denen  sich  niemand  einen  gesunden  Gedanken 
oder  irgend  eine  Anschauung  nehmen  mag  und  kann.  Diese  drey  Bändchen 
voll  dichtgedrängter  metaphorischer  Umschreibungen  und  roher  verworrener 
Schilderungen  sollen  humoristisch  seyn.  Wer  etwa  den  Humor  des  Jean  Paul 
zu  leicht  und  geflügelt  für  sich  fände,  der  möchte  diesem  formlosen  Radotiren, 
wo  alles  an  einander  und  nichts  zusammenhängt,  seinen  Glauben  gefangen 
geben.  Der  Vf.  bildet  sich  wahrscheinlich  ein,  man  dürfe  nur  Unsinn 
sprechen,  so  wäre  gleich  Methode  darin,  oder  wo  keine  Methode  sey,  da  müßte 
der  Leser  um  so  mehr  Sinn  vermuthen.  Verschiedene  Notizen  und  einzelne 
Laute,  welche  dumpf  aus  ihm  wiedertönen  nebst  der  —  wenigstens  schein- 
baren —  Aufrichtigkeit  seiner  Prätensionen  lassen  auf  einen  verunglückten 
Studirten  schließen,  der  in  die  Hände  der  Buchhandelnden  Seelenverkäufer 
gerathen  ist  :  seine  Manier  aber  zeigt,  daß  sie  ihren  rechten  Mann  an  ihm 
fanden.  Man  kann  diese  kaum  anders  als  durch  sich  selbst  bezeichnen,  wes- 
wegen wir  einige  Blätter,  die  ersten  die  besten,  (zum  Glück  geht  sehr  wenig  auf 
ein  solches  Blatt),  hier  einrücken.  B.  I  S.  367 — 369.  „Jeder  will  unsterblich 
seyn.  Sonderbarer  Gedanke.  Der  eine  stürzt  sich  auf  den  Stolz,  diesen  Vor- 
reuter, diesen  Trabanten  der  Regenten,  diesen  Miethling  der  Niedern,  diesen 
Schneider  der  Kleidung,  diesen  Bebrämer  der  Livrey,  diesen  Hanswürsten 
im  Schauspiel,  diesen  Tänzer  am  Seile,  diesen  Ehrer  der  Gottheit,  diesen 
Schwätzer  von  Religion,  diesen  Schurken  des  Trugs,  diesen  Teufel  der  Ehe,  • 
diesen  Hahn  des  Verraths,  diesen  Engel  der  Verstellung,  diesen  Posauner  der 
Weisheit,  diesen  Äffer  des  Gewissens,  diesen  Schindersknecht,  diesen  Diener 
des  Gerichts,  diesen  Schmeichler  der  Großen,  diesen  Gefürchteten  des 
Glaubens.  Der  Stolz  brütete  Wahrheit,  Erkenntniß,  Licht  und  Kraft,  wie  die 
Taube  Eyer,  und  der  Gelehrte  Gedanken.  Von  jeher  regierte  er  die  Meinungen, 
diesen  Maskenball  der  Affen,  diesen  Hexenmeister  der  Erscheinungen,  diesen 
Besudler  der  Geschichte,  diesen  Pfuscher  im  Recht,  diesen  Beklekser  der  Re- 
ligion. Religion  ist  wegen  der  Vielseitigkeit  ein  ausgestopfter  Hahn,  ein  Pfau 
mit  Federn,  eine  Nachteule  im  Dunkel  und  eine  Lerche  im  Sonnenglanz  etc." 
Gleich  einem  Wucherkraut  rankt  sich  diese  Schreibart  ununterbrochen  durch 
das  ganze  Buch  fort.  *)Eben  so  verrückt  ist  die  Geschichte  eines  unglücklichen 
Weibes  abgefaßt,  einer  Marketenders  Tochter,  die  ihren  Vater  beständig  ihren 
,, Erzeuger"  nennt.  Ihr  Unglück  bestand  darin,  lebenslang  nervenkrank  und  ver- 
krüppelt zu  seyn,  und  das  Merkwürdige  ihrer  Selbstbiographie  in,  wirklich  bis 
zum   Entsetzen   getreuen,   Darstellungen   kranker  Zustände,   medicinischer   Be- 

*)  Hier  beginnt  das  Stück  von  Caroline  (Anm.  d.  Herausg.  vgl.  unten  S.  56). 


40  Erich  Frank  : 

handlangen,  und  mancher  häuslicher  Scenen  in  ihrer  äußersten  Nacktheil  auf- 
gefaßt.   Ofl   nimmt  die  Schreiberin   Begebenheiten  und    Personen  als  bekannt 

an,  die  nicht  erwähnt  wurden,  oder  deutet  auf  solche  hin,  die  nicht  kommen, 
und  verräth  auch  dadurch  convulsivische  Anfülle,  welche  ihr  jedoch  Besonnen- 
heit genug  lassen,  daß,  indem  sie  ihre  letzte  Zuflucht  bey  einem  Schriftsteller 
findet,  sie  Gelegenheit  nimmt  S.  214  B.  2  unter  andern  anzurühmen :  Gott 
Wezeis  Zuchtruthe  des  Menschengeschlechts  und  das  silberne  Kalb.  In  Betracht 
ist  es  allerdings  bemerkenswerth,  wie  Jemand,  der  um  seinen  Ver- 
stand gekommen  ist,  noch  einen  dergleichen  finden  muß,  der  ihn  tragiret.  Von 
dem  letzten  heißt  es,  „Hier  finden  sich  die  tiefsten  Lehren  im  Gewand  der 
Satyre,  die  kernigsten  Speisen  mit  somatischer  Liebenswürdigkeit,  ein  Kern 
mächtiger  Gelehrsamkeit,  und  was  das  schönste  ist,  so  eingerichtet,  daß  jeder 
an  dem  Gericht  Tlieil  nehmen  kann.  — ■  Jeder  Gedanke  ist  eine  Copie  der  Welt. 
In  jeder  Idee  wird  eine  Paradoxie  der  alten  und  neuen  Welt  gerochen,  sie 
treffen  neben  den  Einsichten  des  Griechen,  Perser,  Indier,  Deutschen  und 
Franzosen  jedesmal  die  feine  Grenzlinie,  wodurch  eine  jede  dieser  Nationen 
von  einander  abweicht  etc."  Man  würde  dieses  gern  für  einen  Zusatz  von 
bloß  merkantilischer  Hand  gelten  lassen,  besonders  wie  weiterhin  das  Buch  : 
Galoppaden  und  Bockspringe  doch  allzu  schamlos,  offenbar  dadurch  empfohlen 
werden  soll,  daß  „die  Sage  gehe,  sie  wären  sehr  schlüpfrig  geschrieben, 
könnten  aber  als  ein  historisches  Denkmahl  mit  Wort  und  Werken  belegt 
werden  ;"  allein  es  sind  diese  Ilors  d'ceuvres  mit  dem  Innern  der  Werke  nur 
zu  sehr  aus  gleichem  Stück.  Durch  eine  glückliche  Wendung  schließt  jener 
snsent  mit  den  Worten  :  mau  würde  „sich  einen  Begriff  von  der 
Scheuslichkeil  eines  Zeitalters  machen  können,  in  dem  solche  Farcen  er- 
schienen"  —   was   ihm   gewissermaßen   nicht   abzuleugnen   steht. 

5]  Dresden,  b.  Arnold:  "Röschens  Geheimnisse  von  dem  Verfasser  des  Weibes 
wie  es  ist.  1805.  Zwey  Theile.  260  S.  8.  Dritte  durchaus  verbesserte 
und  wohlfeile  Ausgabe.    (1  Rthlr.   12  gr.) 

Diesen  Geheimnissen  müssen  wir  nachrühmen,  daß  sie  nicht  so  verfäng- 
lich sind  wie  ihr  Titel  es  andeuten  könnte,  nämlich  nichts  weniger  als  ver- 
führerisch. Man  empfiehlt  sie  sogar  hie  und  da  den  Frauen  als  eine  nütz- 
liche, zur  Selbstkenntniß  führende  Leetüre.  Bey  alle  dem  ist  diese  moralische 
Seite  die  schlechteste  an  ihnen.  Denn  sie  stellen  nicht  etwa  das  Bild  eines 
weiblichen  Wesens  auf,  das  durch  lockende  Umgebung  und  gewöhnliche 
Schwachheit  in  den  Irrgarten  der  Liebe  gezogen  wird,  sondern  eines  solchen, 
das  ganz  ursprünglich  dazu  bestimmt  ist,  sich,  wie  es  die  Umstände  eben 
wollen,  mißbrauchen  zu  lassen  ;  eines  Röschens,  das  schon  in  der  Knospe  welk 
war,  und  eine  unverdorbene  Jugend  nur  durch  die  Gestalt  heuchelt.  Ihr  an- 
fängliches Verhältniß  zu  dem  Hofrath  und  die  erste  Unterhaltung  mit  ihm  zeigt 
hinlänglich,  wie  wenig  sie  im  Stande  war,  auch  nur  die  gemeinste  Schonung 
einzuflösen,   und  jede   nachfolgende   Begebenheit   ist   entweder   innerliche,  oder 

rliche  Entehrung,  ohne  Charakter  und  ohne  Leidenschaft.  Ein  solcher 
Spiegel  der  Weiblichkeit,  wo  sie  in  einer  gänzlichen  und  waffenlosen  Leer- 
heit angenommen  wird,  kann  in  der  That  nichts  beytragen  ihrer  Würde  auf- 
zuhelfen ;  und  das  Weib  wie  es  ist  im  Sinne  dieses  Vf.  ist  ganz  und  gar 
werth  jenes  anderen  bekannten  Tugendspiegels  des  Weibes  wie  es  seyn  sollte. 
Niedrigkeit  der  Ansicht  hat  auch  manche  Ungeschicklichkeit  in  der  Darstellung 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         41 

nach  sich  gezogen.  Die  endliche  Reue  und  der  Eintritt  ins  Kloster  sind  bloß 
zufällig  herbeygeführt  ;  es  findet  sich  im  Vorhergehenden  nicht  die  mindeste 
Anlage  dazu.  Am  besten  ist  das  Verhältniß  Röschens  zu  ihrem  rechtschaffenen, 
jedoch  trocknen  und  langweiligen  Gatten  behandelt.  Der  Vortrag  ist  gerade  so 
belebt  und  correct,  als  man  ihn  jetzt  bey  der  allgemeinen  Verbreitung  der 
schönen  Wissenschaften  auch  von  jedem  halhweg  gewandten  Handelsdiener 
erwarten  könnte.  Unbekannt  mit  den  übrigen  zahlreichen  Producten  dieses 
Schriftstellers,  der  unter  die  beliebten  gehören  soll,  darf  man  doch  wohl  dieses, 
durchaus  verbesserte  und  wohlfeile  Röschen,  als  einen  Maßstab  seines  Talentes 
annehmen,  von  dem  wir  dann  gestehen  müssen,  daß  es  sich  durch  nichts  aus- 
zeichnet. 

6)  PiUDOlstadt,  b.  Langbein  u.  Klüger:  Nettchens  Hochzeit  von  Karl  Gottlob 

Cramer.    1805.    248  S.    8.    (1  Rthlr.) 

Wir  loben  uns  dagegen  Nettchens  Hochzeit  in  Kapiteln  mit  gereimten 
Überschriften  und  in  Iln.  Cramers  lustiger  und  lauter  Manier  nach  folgender 
Melodie   abgefaßt  : 

Wer  kameralistisch  die  Liebe  betrachtet, 
Und  sündlich  die  Stimme  des  Herzens  verachtet, 
Der  ist  in  der  Schöpfung  die  schändlichste  Null, 
Ist  Sclav  wie  der  König  und  frey  wie  John  Bull. 

7)  Elberfeld    u.    Leipzig,    b.    Büschler:    Züije    edler    Liebe    in    Erzählungen 

nach    wahren   Geschichten.    1805.    295   S.    8. 

Die  Züge  edler  Liebe  sind  freylich  für  ein  edlere-  Publicum  als  das  des 
Iln.  ('ramer,  insofern  wenigstens,  als  ein  solches  durch  das  völlig  un- 
bedeutende, kaum  nennenswerlhe,  entweder  nicht  beleidigt  oder  wohl  gar  be- 
friedig!'wird.  Es  sind  keine  historischen  Züge,  sondern  sämmtlich  von  der  Er- 
findung des  Vf.,  obschon  der  Arzt  Zimmermann  in  der  letzten  Erzählung 
eine   Rolle  übernehmen  mußte. 

8)  Leipzig,   b.   Hinrichs  :    Elmonde,   das  Riad   des   Geheimnisses,   nach   dem 

Französischen    des    Bucray-Dumihil,    bearbeitel    von    K.    L.    M.    Müller. 

1805.    Mit  Kupfern.    1  Theil.    198  S.    2  Theil.    174   S.    3  Theil.    183  S. 

4  Theil.    109  S.    8.    (3  Rthlr.   16  gr.) 

Wer  aber,  von  mehr  oder  weniger  Bildung  abgesehn,  ganz  unbefangen 
etwas  lesen  will,  das  ihn  wirklich  unterhalten  und  zerstreuen  könne,  dem 
dürfen  wir  Elmonde  empfehlen.  Es  ist  kein  Roman  aus  der  geselligen  fran- 
zösischen Welt,  sondern  aus  der  abenteuerlichen,  weßwegen  denn  die  Scene 
nach  den  Pyrenäen  verlegt  ist,  mit  einem  mäßigen  Anflug  der  englischen  oder 
vielmehr  diabolischen  Phantasie  von  Anna  Radcliff.  Da  er  nur  mäßig  ist,  so 
hat  man  hier  keine  gräßliche  Behandlung  zu  befahren  ;  ein  müderer  Geist  be- 
hauptet das  Uebergewicht,  und  zeigt  sich  in  den  durchaus  geschonten,  nicht 
ohne  Anmuth  gedachten  Situationen,  wie  selbst  in  der  .sittlichen  Liebens- 
würdigkeit Elmondens.  Ihre  stille  Besonnenheit  macht  einen  interessanten, 
und  doch  nicht  sich  aufdrängenden  Gegensatz  mit  der  unbesonnenen  Jugend- 
lichkeit Ihres  Vetters  und  Geliebten.  Auch  die  übrigen  Charaktere,  besonders 
die  der  beiden  Brüder  sind  mit  mehr  wie  gewöhnlich  individueller  Wahrheit 
gehalten  ;  die  tragischen  Bestandteile  sind  nicht  unverständig  über  einander 
geworfen,  und  finden  ein  hinlängliches  Motiv,  wenigstens  insofern  sie  sich  auf 


i_'  Erich   Frank  : 

die  gekränkte  Ehre  des  einen  der  Brüder  gründen.  Dabey  machl  das  Werk 
keine  andere  Prätension,  als  die  Theilnehmung  so  lange  zu  beschäftigen,  bis 
es  zu  Ende  ist.  Die  Uebersetzung  liesl  sich  Leicht  weg,  und  das  ist  alles 
was  man  bey   Producten  von  dieser  flüchtigen  Natur  zu  fodern   bat. 

9      Berlin,  b.  Unger :  Liebe  und  Entsagung,  von  der  Verfasserin   (der)  Maria 
Müller.     L805.    Zwey   Theiie.    352   S.   8.     (1   llthlr.   8   gr.) 

in  Berlin,  b.  Maurer:  Z<>e.  Ein  hohes  Ideal  zarter  Weiblichkeit.  Ans  dem 
Archive  der  Familie  von  E —  gezogen  von  Julias  (trafen  von  Soden. 
1805.  261  s.  8.  Mit  Titelkupfer  und  Vignette.  (21  gr.) 
Obschon  Elmonde  den  Uebergang  beträchtlich  erleichtert,  so  könnte  es 
doch  frevelhaft  scheinen,  Liebe  und  Entsagung  und  Zoe  in  diese  Reihe  zu 
ziehen  ;  allein  sie  liegen  vor  dem  Rec,  gleich  gegebenen  Endreimen,  denen 
nicht  auszuweichen  ist,  und  die  er  nur  dadurch  anzuknüpfen  weiß,  daß  er 
erklärt,  dieses  seyen  nun  ganz  und  gar  Werke  von  Stande.  Das  erste  ist  zu- 
gleich von  dem  feinsten  Anstände,  und  sowohl  in  diesem  Betracht  wie  in  An- 
sehung der  ungezwungenen  und  gefälligen  Sprache  einer  weiblichen  Feder 
würdig,  oh  es  gleich  die  weiblichen  Ansprüche  auf  Genialität  nicht  höher 
steigern  wird.  Es  laßt  sich  nicht  leicht  ein  treffenderes  Wort  zur  Charak- 
terisirung  desselben  sagen,  als  schon  irgendwo  darüber  gesagt  wurde,  daß 
man  es  nämlich  mit  dem  vergleichen  könne,  was  in  der  Mahlerey  ein  Stilleben 
heißt.  Innigkeit  der  Empfindung,  Reinlichkeit  und  Eleganz  der  Umgebung 
sich  in  einem  solchen  vollkommen  wohl  ausdrücken  :  nur  dieses  ist  hier 
zu  suchen,  lij,.  ganze  Art  und  Weise,  wie  sich  die  Unbekannte,  mit  der  wir 
hier  bekannt  werden,  ankündigt  und  entwickelt,  der  Aufenthalt  in  der  länd- 
lichen Mühle,  die  Zierlichkeit  in  der  engen  Beschränkung  dieser  Existenz,  alles 
isl  in  jenem  Sinne  ausgeführt  ;  ja  eine  Mühle  macht  schon  für  sich  ein  der- 
gleichen Tableau,  wie  sie,  mehrentheils  einsam,  halb  unter  Bäumen  versteckt, 
auf  frischem  Wiesengrunde  im  Thal,  und  ganz  nothwendig  am  Wasser  gelegen, 
las  Auge  au  sich  zieht,  und  durch  das  bewegliche  Rad  eine  lebendige  Be- 
deutung kund  giebt ;  es  ist  daher  ein  wahres  Glück,  daß  dieses  romantische 
Princip  seiner  anderweitigen  entschiedenen  Brauchbarkeit  wegen,  nicht  wie 
i  und  Ruinen  befürchten  darf,  aus  der  Landschaft  je  ausgerottet  zu 
werden.  -  Die  Geschichte  unserer  Heldin  bat  Aehnlichkeit  mit  der  ebenfalls 
von  weiblicher  Hand  verfaßten  Gräfin  Pauline  ;  auch  sie  liebt  einen  Eürsten 
und  entsag!  ihm  ;  freylich  ist  sie  nicht  Heldin  bis  zu  dem  Grade,  wie  jene 
eine  Wunde  und  verunstaltete  Schulter  davon  zu  tragen,  oder  Gouvernante  der 
fürstlichen  Kinder  zu  werden,  sondern  sie  ersinnt,  den  für  ihre  Lage  sehr 
schicklichen  Ausweg,  der  Welt  und  dem  Geliebten  für  todt  zu  gelten,  und  sich, 
jedoch  mit  allen  ihren  Reizen,  in  eine  liebliche  Einsamkeit  zu  begraben,  wo 
man   sie  mit    Vergnügen   findet,   und   ohne   Schmerzen   verläßt. 

Was  nun  Zoe  betrifft,  so  verletzt  dieses  Buch  zwar  den  höheren  An- 
-  nicht,  indem  es,  selbst  von  einem  hohen  Standpunkt  aus,  Convenienzen 
und  Sitten  richtet;  indessen  hat  sich  der  Vf.  doch  bereits  gegen  solche 
Vorwürfe  zu  verwahren  gehabt,  und  gleich  anfangs  den  Wunsch  geäußert,  daß 
man  die  letzte  Seite  —  man  darf  wohl  sagen  die  letzte  Zeile  —  nicht  un- 
n  lassen  möchte,  „um  die  moralische  Tendenz  nicht  zu  verkennen". 
Vielleicht  hätte  er  mehr  Ursache  zu  wünschen,  daß  man  die  ersten  Seiten 
übersähe,   als   die  letzte   läse.     Denn   wer   das   Werk   nach   der   Richtigkeit  der 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und  Caroline.         43 

Sätze  beurtheilen  wollte,  welche  der  Vf.  in  der  Vorrede  logisch  und  lakonisch 
zusammen  zu  drängen  sucht,  der  würde  etwas  gar  sehr  verkehrtes  davon  er- 
warten dürfen,  was  er  am  besten  ganz  ungelesen  ließe.  Wir  wollen  ihm 
Schritl  vor  Schritt  folgen,  insoweit  es  ohne  Sprung  möglich  ist.  „Darstellung 
von  Begebenheiten  ist  nur  Kronik."  Da  der  Vf.  so  weit  mit  der  Con- 
struetion  eines  Werkes  zurückgeht,  das  nicht  im  mindesten  an  den  Begriff  von 
Kronik  erinnert  (es  müßte  denn  ganz  leise  an  das  seyn,  was  man  Chronique 
scandaleuse  nennt)  :  so  ist  es  nicht  recht,  daß  er  die  Tradition,  als  das  aller- 
erste, hinter  sich  zurück  läßt,  und  die  Geschichte  neben  sich  vernichtet,  indem 
er  mit  jenem  Satze  jede  Darstellung  von  Begebenheiten  leugnet,  die  nicht 
Kronik  ist.  „Der  Charakter  des  Romans  ist  Einheit  und  Einheit  ist  Buhe 
im  Gemähide."  Hier  ist  plötzlich  von  etwas  anderem  die  Rede,  wobey  das 
Hauptwort  verwechselt  zu  seyn  scheint,  vielleicht  vom  landschaftlichen 
mählde  :  vom  Roman  möchte  man  eher  glauben,  daß  Vielseitigkeit,  zwar  in  Ein- 
heit und  Bewegung,  sein  Charakter  sey.  „Eine  Empfindung  muß  der  Roman 
aussprechen  und  nur  Eine."  Bisher  hat  man  dieses  von  dein,  dem  Roman  sehr 
entgegenstehenden  lyrischen  Gedicht  angenommen.  Das  kommt  nun  davon, 
wenn  die  Tradition  so  schmälich  vernachlässigt  wird.  ..Dann  ist  er  wahr." 
Doch  wohl  nur  subjeetiv  angesehen?  ..Wer  diese  Empfindung,  diese  Wahr- 
heit in  Zoe  nicht  findet,  hat  das  Buch  —  nur  gelesen.''  Dagegen  ist  nichts 
einzuwenden,  denn  man  braucht  nicht  einmal  mehr  zu  thun,  als  es  zu  lesen, 
um  jene  zu  linden.  Die  Eine  Empfindung  liegt  am  Tage,  mithin  auch  die 
Wahrheit  ;  denn  jede  Empfindung  ist,  als  Empfindung,  wahr.  Der  Vf.  hat 
ein  edles  Streben,  viel  Scharfsinn,  Bekanntschaft  mit  Altem  und  Neuem, 
Stellen  aus  Classikern  und  französische  Opernverse,  und  eine  sehr  gelehrte 
Kenntniß  natürlicher  Hechte  und  künstlicher  Sitten  aufgeboten,  um  eine  un- 
gezähmte  Freyheit  des  Geistes  und  Herzens  in  Sachen  seines  Zöglings  zu  ver- 
theidigen,  kraft  welcher  dieser  —  jede  Frau  begehren  und  auch  nehmen  darf, 
die  ihm  gefällt.  Nur  diese  Eine  Empfindung  begeistert  den  jungen  Mann. 
Wir  zweifeln  nicht,  daß  den  übrigen  Worten  der  Vorrede  gemäß,  wenn  ..der 
Cyklus  geschlossen  ist"  er  den  Gebrauch  dieser  Freyheit  von  sehr  beschwer; 
liehen  Folgen  finden,  und  die  moralische  Tendenz  sich  dergestalt  genugsam 
offenbaren  wird.  Ja  er  ist  wirklich  am  Ende  dieses  Theiles  schon  so  weit 
damit  gekommen,  daß  er  Zoe,  welche,  von  griechischer  Abkunft,  doch 
hierüber  die  hier  zu  Lande  übliche  Gesinnung  hegte,  als  das  Opfer  seiner  \~n- 
fesselbarkeit,  vor  seinen  Augen  sterben  sehen  muß,  und  diejenigen,  welche 
seine  Liebe  mit  ihr  theilten,  im  Schmerz  um  sie  versunken.  Mit  der  letzten 
Zeile  tritt  sogar  höchst  unerwartet  die  leichtsinnigste  ihrer  Nebenbuhlerinnen 
noch  ein,  und  schließt  durch  ihre  Erscheinung  das  Thema  mit  einer 
schreyenden  Dissonanz.  —  Dem  Vf.  sind  die  Briefe  und  Räsonnements,  in 
denen  die  Eine  Empfindung  abgehandelt  wird,  also  der  lyrische  Theil,  b 
gelungen,  wie  der  erzählende,  in  welchem  der  rasche  Ton  und  pragmatische 
Nachdruck  der  beabsichtigten  Ruhe  im  Gemähide  sehr  widerstrebt. 
Indem   wir  hierauf  mit  Friederike  Weiß   und  ihren  Töchtern  : 

11)    Berlin,  b.   Frölich  :  Friederike  ~\Yeiß  und  ihre  Töchter.    Eine   Geschichte 
herausgegeben  von  E.  C.  Trapp.    1805.    388  S.    S.    (1  Rthlr.) 

schließen,  fallen  wir  freylich  in  den  leutseligsten  Ton  der  Bürgerlichkeit  hinab, 
indessen  behauptet  dieses  Buch  im  Nützlichen  eine  so  ehrenwerthe  Stelle,  daß 


I  i  Erich   Frank  : 

man  wohl  von  ihm  sagen  kann  :  die  ersten  werden  die  Letzten  und  die  letzten 
werden  die  ersten  sein.  Es  enthäll  die  Geschichte  einer  Matter  riebst  ihren 
Töchtern,  die  sich  durch  Gebet  und  Arbeit  aus  einer  kümmerlichen  Lage  heraus 
und  mit  Ehren  durch  die  Well  helfen.  Wer  eine  redliche  .Mutter  in  ähnlicher 
Verfassung  und  junge,  unverdorbene  Frauenzimmer  kennt,  welche  zum  Dienen 
bestimmt  sind,  der  siehe  ihnen  mit  diesem  Buche  bey,  dem  viele,  theils  geist- 
liche, theils  weltliche  Lieder,  und  mancherley  brauchbare  Vorschriften  für 
Wirthschafl,  Krankenwartung,  Behandlung  der  Kinder  u.  s.  w.  mitgegeben  sind. 

Bit". 


Jenaische  Allgemeine  Literaturzeitung,   Nr.  42   (19.  Februar)  1806. 

Berlin,  b.  Unger :  Bibliothek  der  Robinsone  in  zweckmäßigen  Auszügen,  vom 
Verfasser    der    grauen    Mappe.     1805.     Erster    Hand.      106    S.     8.     Mit. 

Vignetten.     (1   llthlr.    12  gr.) 

Leipzig,  b.  Steinacker  :  Bibliothek  des  Romantisch-Wunderbaren.  1805.  Erster 
Hand.  272  S.  Zweyter  Band.  335  S.  8.  Mit  Titelkupfern.  (3  Rthlr. 
S   gr-) 

Das  Unternehmen  einer  Bibliothek  der  Robinsone  ist  zwar,  nach  dem 
Umfang  der  ihm  hier  gegeben  wird,  da  sie  von  jeder  entfernten  Nachahmung 
oder  Ausartung  Auszüge  zu  liefern  willens  ist,  zugleich  eine  der  feineren 
Unternehmungen  auf  das  Publicum  ;  jedoch  ist  sie  in  solchen  Händen,  von 
denen  eine  gedrängtere  Uebersicht  dieses  Gegenstandes  immer  sehr  will- 
kommen hätte  seyn  müssen.  Die  Einleitung  zeigt,  daß  der  Herausgeber  ihn  mit 
einer  richtigen  Einsicht  in  das  allgemein  Menschliche  desselben  aufgefaßt  hat 
und  im  Besitz  der  historischen  Notizen  ist.  Warum  aber  hat  er  nicht  lieber 
den  Robinson,  neu  übersetzt,  vollständig  abdrucken  lassen,  statt  diesen,  nicht 
abgekürzten,  Auszug  zu  geben,  in  welchem  Robinson  nicht  selbst  erzählend  ein- 
geführt, sondern  von  ihm  erzählt  wird,  in  einer  Schreibart,  die,  obschon  im 
Ganzen  lebendig  und  anregend,  doch  zu  viel  Prätension  macht,  zu  rhetorisch 
und  selbst  hie  und  da  zu  steif  ist,  um  ihm  nichts  von  seiner  natürlichen  Ge- 
stalt und  dem  unverfälschten  Kindruck  zu  rauben.  Dann  hätte  die  Schaar  der 
Nachfolger  nur  flüchtig  skizzirt  werden  mögen,  insofern  sie  sich  der  Richtung 
nach  von  einander  unterscheiden,  und  sich  etwas  Bestimmtes  in  ihnen  aus- 
drückt, wie  z.  B.  im  Campischen  Robinson  die  Pädagogik  des  Zeitalters. 
Denn  was  kann  zweckmäßiger  seyn,  als  Auszüge  von  geistlosen  Begeben- 
heiten, in  welche  uns  hier  eine  unendliche  Perspective,  auf  alle  möglichen 
Abenteuer  hinaus,  eröffnet  wird,  der  wir  freylich  auch  nicht  hoffen  können, 
hiedurch  Einhalt  zu  thun.  Gegen  die  Ansicht  des  Herausgebers,  die  den  Ur- 
heber des  Robinson  nicht,  viel  besser,  als  einen  bloßen  Vielschreiber  be- 
handelt, machen  wir  nur  die  Bemerkung,  daß  Deine  seine,  ihm  glücklich  in 
den  Wurf  gekommene  Conception  zu  glücklich  ausgeführt  hat,  als  daß  er  das 
fruchtbare  Korn  nicht  mit,  sehr  offenen  Augen  gefunden  haben  sollte.  Es  ist 
zwar  sein  geringster  Kummer,  an  Robinson  ein  Beyspiel  aufzustellen,  wie  der 
Mensch,  so  laug''  er  nur  die  Knie  mit  seinen  Büßen  noch  berührt,  gleich  dem 
Anteus,  nicht  überwältigt  werden  kann,  und  einzig  sich  selbst  überlassen,  noch 
zu  ihrem  Herrn  sich  macht,  wviui  er  in  früher  Jugend  nur  recht  viel  mecha- 
nische Geschicklichkeiten  erworben  hat.    Vielmehr  beraubt  er  ihn  keiuesweges 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von  Schelling  und   Caroline.         45 

des  Notwendigsten  ;  er  steuert  ihn  so  reich  aus,  daß  die  peinliche  Theilnahme 
an  dem  Schiffbrüchigen  bald  gemildert,  und  in  eine  fröhliche  verwandelt  wird, 
worauf  er  alles,  was  sich  ferner  zuträgt,  so  wohl  vertheilt  und  gestellt,  hat, 
daß  der  kleinste  Umstand  eine  Art  von  romantischem  Interesse  bekommt,  das 
Gelingen  eines  Geräthes  zur  Begebenheit  wird,  und  der  Fußstapfen  im  Saude 
ein  tragisches  Geheimniß  ist,  das  nicht  den  Robinson  allein  mit  Schauder  er- 
füllt. Den  Charakter  desselben  hat  er  mit  vielem  Verstände  ersonnen  und 
durchgeführt,  welches  Verdienst  ihm  auch  in  vollem  Maß  für  den  zweyten 
Theil  bleibt.  Er  läßt  ihn  einen  Gott  auf  der  wüsten  Insel  finden  und  erkennen, 
an  den  er  im  wüsten  Leben  nie  gedacht  hatte,  aber  nur  soweit  es  seine 
beschränkte  Natur  erlaubte,  die  ihn  eben  nicht  zu  einem  Johannes  bestimmte, 
der  auf  der  wüsten  Insel  Offenbarungen  hätte  dichten  können.  Die  Bibel, 
die  er  zufällig  gerettet,  und  sie  nur  als  todten  Buchstaben  kannte,  belebt  sich 
für  ihn  zu  einem  geselligen  Orakel,  das  ihm  beruhigende  Sprüche,  ertheilen 
muß  ;  jene  innerliche  Unruhe  die  ihn  verfolgt,  ist  das  Salz,  das  ihn  auch  in 
der  Einsamkeit  erhält  ;  diese  macht  ihn  egoistisch,  herrschsüchtig  und  miß- 
trauisch, wie  es  ebenfalls  seiner  Begrenztheit  ziemte.  Damit  aber  bildet  denn 
die  schönere  Natur  seines  nachmaligen  Gefährten  Freylag,  der  nichts  wie 
Liebe,  Anhänglichkeit,  Muth  und  Freude  ist,  einen  rührenden  Contrast.  Ro- 
binsons Proselytenmacherey  und  Unduldsamkeit,  wie  sie  sich  im  zweyten 
Theil  äußert,  ist  gewiß  ein  bedeutender  Zug,  und  überhaupt  zeugen  auch  in 
diesem  die  Details  von  großer  Kraft  der  Erfindung,  die  nur  allerdings  nicht 
durchgreifend  genug  war,  um  der  wieder  aufgenommenen  Geschichte  eine  so 
allgemein  interessante  Wendung  zu  geben,  daß  wirklich  zwey  verschiedene, 
aher  mit  einander  harmonirende  Theile  daraus  geworden  wären.  —  Der  Heraus- 
geber verdient  daher  auf  jede  Weise  Dank  dafür,  an  den  Robinson  in  seiner 
beseelteren  Gestalt  erinnert  zu  haben,  nachdem  er  der  gegenwärtigen  Zeit 
zum  bloßen  Gliedermann  für  Erlernung  technischer  Fertigkeiten  hat  dienen  müssen. 
Die  Bibliothek  des  Romantisch-Wunderbaren  steht  mit  der  vorher- 
gehenden in  umgekehrtem  Verhältniß.  Denn  um  etwas  Solides  zu  leisten, 
müßte  sie  mehr  ins  Große  angelegt  seyn  ;  hier  sind  nur  kurze  Auszüge  und. 
Erzählungen  unter  gewisse  Rubriken  gebracht,  ohne  Vollständigkeit,  ohne  Folge 
und  Zusammenhang  der  Zeiten  und  Völker,  so  daß  das  Ganze  nichts  anderes 
ist,  als  willkührlich  gegebene  Proben  von  diesem  und  jenem  Romantischen  und 
Wunderbaren  —  „eine  Musterkarte  von  allem  Gesträuche"  —  eine  getrocknete 
noch  dazu  ;  und  solchergestalt  ist  es  ein  ziemlich  gewöhnliches  Lesebuch  ge- 
worden, das  indessen  immer  mehr  zu  empfehlen  ist,  wie  hundert  andere  des 
Augenblicks.  Denn  es  hat  doch  einen  besseren  Hinterhalt ;  auch  hat  der 
Herausgeber  meistens  die  Quellen  genannt,  und  dem,  der  unbekannt  mit 
ihnen  ist,  Gelegenheit  gegeben  weiter  nachzuspüren.  Uns  scheint  :  eine 
einzige  Dichtung  dieser  Art  in  ihrer  ächten  Gestalt  genossen,  vermag  Ver- 
ständniß  und  Sinn  für  alle,  besser  zu  erwecken,  als  das  Naschen  von  un- 
zähligen in  ihrer  unvollkommenen.  Wie  übrigens  der  französisch-apprelirle 
Endymion  {V Endymion,  Paris  1620)  in  diese  Reihe  von  Volkssagen  kommt, 
da  außerdem  nirgends  griechische  Mythen  berührt  werden,  oder  Achmet  (Le 
goui  Jans  l'amour,  Paris  1716)  eine  frivole  und  höchst  geschmacklose  fran- 
zösische Erzählung,  das  ist  selbst  bey  der  geringen  Strenge  der  Anläge 
schwer   zu   begreifen.  Bfl*. 


4C>  Erich  Frank  : 

Anmerkungen  zu  Schellings  Rezensionen  über  Kotzebue. 

Schelling  hat  in  dem  Streite  zwischen  Kotzebue  und  der  romantischen 
Schule  wohl  zuerst   mit  seiner  Rezension  der  Schlegelschen  „Ehrenpforte  für 

bue"  in  der  Erlanger  Literatur-Zeitung  L801,  Nr.  35,  eingegriffen.16)  Daß 
Schelling  der  Verfasser  dieser  Besprechung  war,  die  Schlegels  heiligen  und 
nicht  gerade  immer  geschmackvollen  Angriff  auf  Kotzebue  mit  ausge- 
sprochenem Wohlgefallen  lobte,  muß  sich  bald  durchgesprochen  haben 
s.  Waitz.  Caroline,  II,  II.  16,  66)  ;  das  konnte  aber  nur  die  Folge  haben,,  den 
Gegner  zu  noch  heftigeren  Angriffen  zu  reizen.  In  der  seit  1803  er- 
scheinenden Zeitschrift  Kotzebues,  „Dem  Freimütigen",  gibt  es  auch  kaum 
eine  Nummer,  in  der  sich  nicht  irgendeine  Tücke  oder  wenigstens  eine  bos- 
hafte Anspielung  auf  Schelling  und  seine  Philosophie  findet.  Darauf  mußte 
endlich  einmal  erwidert  werden,  und  in  den  hier  abgedruckten  Rezensionen 
hat   Schelling  zu  dem  vernichtenden  Schlage  gegen  Kotzebue  ausgeholt. 

Die  beiden  Rezensionen  bilden  ein  einheitliches  Ganzes  und  die 
zweite  gibt  sich  deutlich  als  bloße  Fortsetzung  der  ersten  zu  erkennen 
s.  oben  S.  20,  Z.  26  v.  u.).  Daß  sie  aber  beide  von  Schelling  und  nicht  von 
Caroline  sind,  beweist  ihr  Stil  zur  Gewißheit  (vgl.  auch  Plitt,  II,  83  u.  oben 
S.  4  u.  7).  Bei  der  zweiten  ist  es  außerdem  noch  durch  ein  äußeres  Zeugnis 
erwiesen  ;  denn  wenn  Eichstädt  an  Schelling  am  23.  Januar  1809  (unge- 
druckt in  Schellings  Nachlaß)  schreibt  :  „Die  Recension  der  Kotzebuescben 
Romane  etc.  wird  nun  im  Februarheft  folgen.  Mögen  Sie  fortfahren,  manche 
Stunden  Ihrer  Müsse  unserem  Institut  zuzuwenden",  so  wird  man  aus 
diesen  Worten  schließen  dürfen,  daß  Schelling  Eichstädt  gegenüber  unum- 
wunden seine  Verfasserschaft  zugegeben  hat.  Aber  dieses  äußeren  Beweises 
bedürfte  es  gar  nicht  ;  der  klare,  logische  Aufbau  der  Besprechung,  das  edle 
Pathos,  das  das  Ganze  durchzieht,  und  das  gegen  Ende  in  wohlberechneter 
Steigerung  bis  zu  sittlicher  Entrüstung  wächst,  die  Schärfe  des  Witzes  und 
das  Schneidende  der  Ironie  verraten  deutlicher,  als  alle  Einzelheiten  es 
können,  die  männliche   Hand. 

Doch  sollen  auch  Einzelheiten  angeführt  werden.  Orthographische  Be- 
obachtungen haben  allerdings  in  diesem  Falle  keinen  Werl.  Nach  §  5  des 
Kontraktes  halt«;  die  Redaktion  das  Recht,  „mit  Rücksicht  der  einmal 
angenommenen  Adelungischen  Orthographie  und  des  Stils  dasjenige,  was 
nötig    scheinen    sollte,    zweckmäßig    abzuändern".     Aber    trotzdem    wird    man 

tymologisch  überlegte  Schreibung  eines  so  entlegenen,  von  Adelung  gar 
nicht  angeführten  Wortes,  wie  Scharteke  als  „Charteke"  (fälschlich  abgeleitet 
von     griech.    x«PTrK,     ,ai-     Charta)     Schelling     selbst    zuschreiben    dürfen.17) 


"i  Abgedruckt  WW.,  I,  7,  535ff.  Diese  Rezension  ist  es,  die  Caroline 
bei  Waitz,  II,  IS,  im  Auge  hat.  Waitz  denkt  irrtümlicherweise  statt  an 
Schlegels   „Ehrenpforte"   an  die  „Ehrenrettung". 

17j  Andererseits  wird  man  für  die  falsche  Schreibung  Calderone  Caro- 
linen Hand  verantwortlich  machen  müssen;  so  schreibt  sie  auch  im  Briefe  vom 
21.  Juni  1802  an  W.  Schlegel  (Kgl.  öfftl.  Bibliothek  Dresden,  Dd.  XXII,  33,  vgl. 
Bd.  XX,  35  =  Plitt,  I,  Hin:  nicht  Calderons,  wie  Waitz,  II,  222,  gelesen 
hat.  Es  sei  hier  noch  auf  eine  andere  falsche  Lesart  bei  Waitz,  II,  284,  hin- 
gewiesen. Da  muß  es  stall  des  im  Munde  einer  Frau  peinlichen  „säute." 
natürlich  „sänke"  heißen). 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   and   Caroline.         47 

Schwerer  fällt  für  Schelling  die  gründliche  Kenntnis  des  Diogenes  Laertius 
ins  Gewicht,  wie  sie  der  Verf.  S.  18  —  und  besonders  Z.  20 ff.  v.  u.  durch  sein 
feines  Urteil  über  den  Charakter  dieses  Buches  —  verrät,  und  die  herab- 
lassende Zurechtweisung  wegen  des  „Aulugella",  S.  23,  wird  man  eher  dem 
klassisch  gebildeten  Gelehrten  als  einer  Frau,  wie  Caroline,  zuschreiben  wollen. 
Dazu  kommt  noch,  daß  sich  in  der  ganzen  Rezension  kaum  ein  logisch  oder 
grammatikalisch  schlechl  konstruierter  Satz  findet,  selbst  da  nicht,  wo  es  ziem- 
lich verwickelte  Verhältnisse  auszudrücken  galt;  auch  hält  sich  die  Beur- 
teilung ganz  auf  der  Höhe  philosophisch  abstrakter  Redeweise,  ohne  sich  zu  der, 
aus  den  Briefen  Carolinens  so  gut  bekannten,  losen,  sinnlichen  Schalkhaftig- 
keit herabzulassen.  Man  lese  etwa  Sätze,  wie  auf  S.  13  :  „In  Absicht  mancher 
Eigenschaften  war  er  vielleicht  von  jeher  perfect  zu  nennen  ;  in  anderen  zeigte 
er  eine  ebenso  geschmeidige  Perfectibilität",  oder  S.  19  :  „Möglich,  daß  diese 
und  eine  weit  längere  Reihe  von  Gegensätzen  keine  mehr  sind,  wenn  das 
Überstehen  aller  Grade  und  Feuerproben  sie  erst  verschmolzen  hat",  oder 
S.  24  :  „In  der  ersten  hat  das  Pikante  die  Oberband,  in  der  zweiten  das  Pein- 
liche, in  der  dritten  das  Lehrende",  und  man  wird  unschwer  den  Philosophen 
heraushören.  —  Aber  mehr  noch  als  durch  dies  alles  scheint  die  Verfasser- 
schaft Schellings  durch  die  ironische  Weise  bewiesen  zu  werden,  in  der  S.  18, 
Z.  2  v.  u.  (vgl.  Anm.  z.  St.)  auf  Schelling  selbst  angespielt  wird,  und  die, 
so  gut  sie  sich  bei  Schelling  macht,  im  Munde  Carolinens  recht  übel  aus- 
sehen  würde. 


1.  Die  erste  Rezension  über  Kotzebue. 

Das  Urteil  Goethes  über  diese  Rezension  in  dem  Briefe  an  Eichstädl  vom 

11).  April-  L806  ist  so  treffend,  daß  sie  hier  eine  Stelle  verdient  :  „Bei  der 
Recension  über  die  Kotzebuiana  wundert  man  sich  nur,  wie  ein  so  trefflicher 
Kopf,  als  der  Recensent  ist,  so  niederträchtiges  Zeug  lange  genug  behandeln 
und  dabey  einen  so  guten  Humor  behalten  können  ;  .  .  .  .  Um  desto  mehr  soll 
Recensenl  gelobt  seyn,  daC  er  seine  Superiorität  in  der  Heiterkeit  bewiesen 
hat"  (W.-A.,  IV,  Nr.  5191,  v.  19.  April  180G).  Von  einer  Erwiderung  Kotze- 
bues  auf  diese  Rezension  ist  uns  nichts  bekannt,  und  schon  Caroline  hat  einen 
„Rückschrei  im  «Freimütigen»  von  wegen  Kotzebue"  (Brief  vom  30.  April 
1806,  bei  Waitz,  II,  294)  vergebens  gesucht.  Eingegangen  ist  die  Rezension 
am  21.  März   180G   (vgl.   a.  oben  S.   4   u.   7). 

(S.  13,  Z.  15  v.  o.)  Die  Zeitschrift  Kotzebues  „Der  Freymüthige".  Vgl. 
Goedecke,  V,  §  258.  8.    124. 

(S.  13,  Z.  21  v.  o.)  Kotzebue  war  zum  Mitglied  der  Berliner  Akademie 
der    Wissenschaften  ernannt   wrorden.    Vgl.   oben   S.   23,   Z.    11   v.   u. 

(S.  13,  Z.  1  v.  u.)  In  den  „Erinnerungen  von.  einer  Reise  aus  Liefland 
nach  Rom  und  Neapel".    Berlin   1805. 

(S.  14,  Z.  5  v.  o.)  Vgl.  A.  W.  Schlegels  Satire  „Ehrenpforte  und 
Triumphbogen  für  den  Thealerpräsidenten  von  Kotzebue  bei  seiner  gehofften 
Rückkehr  ins  Vaterland".     (Berlin   1800,  in  den   WW.,   II,  275—344.) 

(S.  14,  Z.  4  v.  u.)    Siehe  Kotzebue,  a.  a.   ().,  S.   16 ff. 

(S.  16,  Z.  21  v.  u.)  Abbe,  Jacques  Dellile  (1738—1813).  Der  berühmte, 
von  Voltaire  verherrlichte  Dichter. 


|s  Erich   Krank  : 

s.   lti.  /..  23  v.  o.)    Das  Sonett  „An  die  heilige  Jungfrau". 

s.   16,   Z.   25   v.   o.)    Schelliags    Urteil    über   Calderons   „Andacht    zum 

Kreuze"  „La  devocioo  de  la  cruz")  und  über  Schlegels  t  berselzung  siehe 
bei  I'iiii,  1.  12.">  :  „Selbst  Shakespeare  scheint  nur  dagegen  trüber";  (ioethes 
Urteil  ebd.,  I.  123  u.  127  vgl.  Schriften  der  Goethe-Gesellschaft,  XIII,  L37ff.  u. 
226.    Ober  die  Schreibung  „Calderone"  siehe  oben  S.    H>17. 

s.  17.  /.  1!  v.  o.)  „Ohne  dabei  Rücksicht  zu  nehmen  auf  das  reine 
Kind  an  ihrer  Seile  oder  die  Bedienten  hinter  ihrem  Stuhle",  wie  Kotzebue 
hinzusetzt. 

(S.  17.  Z.  2  v.  u.  :  Worauf  dieser  Vergleich  wieder  abzielt,  können  schon 
wenige  Worte  zeigen  :  ,,Dies  Stück  (den  «Clitandre»)  beliebte  nun  Corneille 
L630  eine  Tragödie  zu  nennen  ;  offenbar  eine  Art  Alarcos,  welche  1802  Goelhe 
eine  Tragödie  zu  nennen  beliebte.  Freilich  waren  damals  andere  Zeiten  als 
jetzt.  .  .  Damals  ....  trommelten  noch  die  Schauspieler  vor  ihrer  Thür, 
um  Zuschauer  herbeizulocken.  Goethe  trommelt  nicht  zu  seinem  Hoftheater, 
er   schlägt   die   Griechischen   Pauken."    S.   404. 

S.  18,  Z.  6  v.  o.  Kotzebue  verteidigt  die  Xanthippe  durch  folgende 
schlagende  Argumente  :  „Sie  war  aus  einer  rechtlichen  Familie  in  Athen,  aber 
arm;  Sokrates  heirathete  sie  ohne  Mitgabe...  Hatte  sie  gleich  keine  Aussteuer 
mitgebracht,  so  war  das  doch  kein  Grund,  sie  so  geringschätzig  zu  behandeln." 
Zum  besseren  Verständnis  der  Schellingschen  Entgegnung  sei  auch  noch  der 
Schluß  dieser  ..Verteidigung"  wiedergegeben  :  „Bekennen  Sie,  meine  Damen, 
daß  der  weise  Sokrates  auch  nicht  immer  ein  großer  Mann  war  ;  aber  unsere 
heutigen  Philosophen  —  ja,  das  sind  Männer  ohne  irgendeine  menschliche 
Schwachheit.  Das  Sokratische  Schimpfen  ist  ihnen  ganz  fremd;  höchstens 
m  mied   sie  einander  todte  Hunde  (siehe  Schelling  in  seinem  Journal)". 

S.  18,  Z.  14  v.  u. )  Auch  hier  muß  Kotzebue  ausführlicher  zitiert  werden  : 
..Wenn  die  Arroganz  eines  Schelling,  Schlegel,  Böschlaub  und  Consorlcn 
manchen  Leuten  so  außerordentlich  vorkommt,  so  beweist  das  bloß,  daß  sie  in 
der  älteren  Literatur  nicht  bewandert  sind.  Es  ging  vormals  nicht  um  ein  Haar 
besser  zu,  als  jetzt  ;  zu  allen  Zeiten  hat  es  Wespen  gegeben,  die  sich  für 
Bienen,  und  Borkenkäfer,  die  sich  für  Schmetterlinge  hielten"  (S.  336),  und 
„die  ungeheure  Eitelkeit  der  beiden  Scaliger  ist  bekannt.  Joseph  (der  Sohn) 
war  ein  Virtuos  im  Schimpfen,  trotz  Röschlaub.  Er  nannte  seine  Feinde  zier- 
lich stercus  diaboli,  lutum  stercore  maceratum,  Ausdrücke,  von  deren  Über- 
setzung man  mich  gern  dispensieren  wird.  Denn  sie  sind  noch  ein  wenig 
stärker  als  Schellings  todte  Hunde"   (S.  338). 

S.  19,  Z.  5  v.  o.)  „Lacrt/mas,  ein  Schauspiel,  herausgegeben  von 
A.  W.  Schlegel,  Berlin  1803"  ist  von  Christian  Wilhelm  von  Schütz  ('siehe 
Goedecke,  VI,  §  289,  2,  2).  Schellings  Urteil  darüber  siehe  bei  Plitt,  11,  129 
(Brief  an  Schlegel  vom  1.  November  1802):  „Man  könnte  wünschen,  daß  dies 
(der  Lacrymas;  vorerst  eine  Weile  noch  ungedruckt  bliebe,  vielleicht  verlöre 
er  etwas  von  seiner  t  ngelcnkigkeit,  und  die  Ideen,  die  sich  der  Verfasser 
über  Poesie  gemacht  zu  haben  scheint,  könnten  indes  durch  höhere,  die 
mehr  Metall  haben,  ersetzt  werden".  Das  noch  viel  schärfere  Urteil  (ioethes 
über  die,  Werk  siehe  ebd.,  S.    127. 

S.  19,  Z.  17  v.  ii.,  Goethes  Übersetzung  von  „Rameaus  Vetter"  war  im 
Jahre   L80Ö  erschienen   (Goedecke,  §  243,  1). 


Rezensionen   i'ilior  schöne  Literatur  von   Schelling  und    Caroline.  4(.i 

2.  Die  zweite  Rezension  über  Kotzebue. 
Das  Manuskript  von  Carolinens  Hand  mit  einem  Zusatz  von  Schelling 
ist  noch  vorhanden,  konnte  aber  leider  nicht  verglichen  werden.  Die  Bezeich- 
nung „im  Oktober  1798"  Waitz,  I.  S.  V  Anm.)  beruht  natürlich  auf  einem 
Irrtum.  Kotzebues  „Kleine  Romane  etc.",  Bändchen  II  —  IV.  sind  erst  zur 
Michaelis-Messe  1806  erschienen.  Eingegangen  ist  die  Rezension  bei  der  Re- 
daktion am  2.  Januar  1809  zugleich  mit  einem  Briefe  Schellings,  in  «lern  er, 
wie  die  S.  16  angeführte  Antwort  Eichstädts  beweist,  die  Rezension  als 
die  seine  bezeichnet  haben  muß. 

S.  20,  Z.  8  v.  o.)  Ober  Cramer,  einen  der  allergelesensten  Roman- 
schreiber seiner  Zeit,  siehe  unten  S.  57. 

(S.  20.  Z.  18  v.  o.)  August  Heinrich  Julius  Lafontaine  isl  „der  Schöpfe) 
des   weinerlichen   Familienromans"     siehe   Goedecke,   \.   277.   21  . 

(S.  20.  '/..  2D  v.  o.)  „Die  gefährliche  Wette",  ein  kleiner  Roman  in 
12  Kapiteln,  erschien  Leipzig,  1790.  Vgl.  Goedecke:  „Das  Urbild  der  von 
Jul.  v.  Voß  zahlreich  verfertigten  Lüsternheitsromane".  .,IcJi.  eine  Geschichte 
in   Fragmenten,  ans   Licht   gebracht   von   mir  selbst   .  .  .",    1781. 

S.  22.  X.  18  v.  o.     Stanisläus  Augustus  (1732—1798) 

S.  22.  '/..  17  v.  u.)  ..Oie  jüngsten  Kinder  meiner  Laune"  waren  1703 
bis   1797  in   Leipzig  erschienen. 

S.  22.  Z.  9  v.  u.  „Fragment  aus  Iwanow  Tschudrins  noch  unge- 
druckter Reise  durch  China  aus  dem  russischen  Original  übersetzl  und  mit- 
geteilt,", a.  a.   ().,   Bd.    II.   71. 

'S.  23,  Z.  10  v.  o.  Kotzebues  späteres  Schicksal  läßt  es  interessant  er- 
scheinen, auf  welche  Stellen  Schelling  hier  anspielt.  —  Fs  sind  folgende 
Thesen:  „Cromwell  war  ein  Heuchler";  ..C.  war  herrsch-  und  ruhmsüchtig"; 
„C.  war  übermütig  und  despotisch"  ;  ,,C.  war  undankbar"  ;  ,,C.  war  rach- 
süchtig und  blutdürstig"  ;  ,,C.  stellte  sich  wohl,  als  oh  ei  Wissenschaften  und 
Gelehrte  schätzte,  aber  im  Grunde  haßte  er  sie"  ;  „Gegen  C.  wurden  viele 
Verschwörungen  angesponnen"  ;  ,.('.'s  Andenken  wurde  mit  Infamie  belegt" 
usw.    Bd.  II,   102—111). 

(S.  23,  Z.  19  v.  o.  „Bahrdt  mit  der  eisernen  Stirn  "der  die  deutsche 
Union  gegen  Zimmermann".  Ein  Schauspiel  in  4  Aufzügen  von  Freyherrn 
von  Knigge.  Vis  unita  fortior.  Dorpat  I  .  1790.  ist  von  Kotzebue.  (Vgl. 
Goedecke,  V.  S.   271.   u.   Koberstein,  IV,   2171 

S.  2."..  Z.  12  v.  u.)  „Über  Verbannung  nach  einer  aus  Spanien  einge- 
sandten Handschrift,  für  deren  Verfasser  der  General   Muren"  »ehalten  wird."' 

(S.  23,  Z.  2  v.  u.'i  „Octavia",  Trauerspiel  in  5  Akten,  Leipzig  1801  (für 
die  Hoftheater,  Wien    1807  . 

S.  2  1.  Z.  1  v.  o.  ;  ..Die  Hussiten  vor  Naumburg  im  Jahre  1132".  Ein 
vaterländisches  Schauspiel  mit  Chören  in  ö  Akten,  Leipzig  1803  (siehe 
Goedecke  unter  Nr.    12). 

S.  2.'!.  /..  17  v.  ii.  Wie  berechtigt  es  ist,  von  einer  „Fabrik  pasquillan- 
tischer  Schmähungen"  zu  reden,  beweist  ein  Überblick  über  die  bekanntesten 
Pasquille,  die  aus  dem  Kreis  um  Kotzebue  und  Merkel  hervorgegangen  sind  : 
„Die  Expektorationen".  Ein  Kunstwerk,  1803.  Abgedruckt  bei  Braun,  Goethe 
im  Erteil  der  Zeitgenossen,  Bd.  III,  S.  52 — 63;  nach  A.  Silbermann  Kotzebue 
selbst  beizulegen).  „Die  ästhetische  Prügelei",  von  Angelus  Cerberus  (ab- 
Sitzungsberichte der  Heidelb.  Akademie,  philos.-hist.  Kl.     191:.'.     1.  Abh.  4 


50  Erich  Frank  : 

gedruckt  von  L.  Geiger  in  Firlifimini  L885).  Dann  die  „Ansichten  der  Lite- 
ratur und  Kunst  unseres  Zeitalters",  Deutschland  1803  (Neudruck  1.903 
Weimar),  eine  nicht  üble  Satire  auf  den  Schlegel-Tieckschen  Musenalmanach 
von  1802,  in  der  neben  Schlegel,  Novalis  und  Tieck  auch  Bonaventura  (Schel- 
ling)  als  das  feiste  Pfäfflein  von  Drottning  seinen  Teil  abbekommt.  Ferner 
„Der  Freymüthige",  Trauerspiel  in  2  Aufzügen,  Berlin  1804,  und  noch  manches 
andere  Libell,  von  Kotzebues  „Hyperboreischem  Esel  1799"  ganz  zu 
schweigen.  (Vgl.  Erich  Eckertz  im  Euphorion  1907,  Bd.  XIV,  S.  67,  und 
i  roedecke.) 

(S.  -2\.  /..  9  v.  o.)  August  Gottlob  Eberhard  (1769—1845)  ist  zu  unter- 
scheiden von  dem  Philosophen  Joh.  August,  der  als  Schüler  Baumgartens  und 

r  Kants  bekannt  ist.  Die  „Ges.  Erzählungen"  erschienen  Leipzig 
L802  1809.  Vgl.  Goedecke,  §  331,  51,  11.)  Das  erste  Bändchen  derselben 
war  schon  in  Nr.  31  1804  von  Schorch  rezensiert  worden.  Das  drille  er- 
schien Michaelis  1806. 

-  24,  Z.  14  v.  o.)  „Der  Polgp  im  Herzen"  war  in  Willi,  Gottl.  I leckeis 
„Taschenbuch  z.  gesell.  Vergnügen",   1803,  schon  veröffentlich!   worden. 


Anmerkungen  zu  den  Rezensionen  von  Caroline. 

1.   Die  Rezensionen  über  die  Berliner  Romantik. 

Daß   die  Rezension  über  den  Musenalmanach   von  Chamisso  und   Varn- 

hagen,  an  die  sich  als  eine  Art  von  Fortsetzung  die  über  Xeumann-Varnhagens 
Erzählungen  und  Spiele  anschließt,  von  Caroline,  und  nicht  von  Schelling  ver- 
faßt ist,  verräth  sich  durch  das  wenig  korrekte  Gefüge  schon  der  ersten  Sätze, 
wie  in  dem  ganzen,  die  Gedanken  reizvoll  und  ungezwungen  wie  Blumen  zu 
einem  Kranze  windenden  Stil.18)  Als  ein  äußerer  Beweis  für  die  Verfasserschaft 
von  Caroline  kommt  noch  die  Art  hinzu,  in  der  Eichstädl  in  einem  Brief  au 
Goethe  (ungedruckt  im  Goethe-Schiller-Archiv  unter  „Eingegangene  Briefe", 
XLVII,  GG,  v.  8.  Mai  1805)  von  dieser  Beurteilung  spricht.  Es  heißt  da  : 
„Die  Recension  des  Musenalmanachs  von  Varnhagen  u.  Chamisso  ....  war 
von  derselben  Hand,  von  weicher  ich  eine  Beurtheilung  der  Aurora  (siehe 
unten  S.  55)  beilege.  Sie  kam  mir  durch  Schelling s  Besorgung  zu."19) 
Goethe  hat  denn  „die  Recension  des  Musenalmanachs  recht  wohl  gefallen" 
(an  Eichstädt  v.  11.  Mai  1805,  Weim.-A.,  4.  Abt.,  XIX,  5092),  und  Voß 
glaubte  gar,  wie  Eichstädt  an  Schelling  am  8.  Juni  1805  schreibt,  „in  der 
Manier    und    dem    Tone    Goethens    Meisterhand    zu    erkennen".     „Ein    ange- 


Aiich  von  dieser  Rezension  liegt  das  Manuskript  von  Carolinens  Hand 
noch  vor  Vgl.  Waitz,  I,  S.  V  Anm,  und  oben  S.  42),  doch  konnte  es  leider 
nicht  verglichen  werden. 

Vgl.  auch,  was  Eichstädt  in  einem  Eingedruckten)  Briefe  am 
8.  Juni  1805  an  Schelling  schreibt:  „Die  vortreffliche  Recension  des  Musen- 
almanachs, deren  Form  schon  vor  Ankunft  Ihres  letzten  Briefes  ein 
wenig  abgerundet  worden  war  (hal  ebenfalls  die  Presse  verlassen). 
Möchten  Sie  il >,<■!,  Eeeensionen,  so  gehaltvoll  u.  gediegen  u.  so  genialisch,  auch 
der  Sprache  nach,  recht  oft  besorgen !' 


Rezensionen  über  schöne  Literatur  von   Schelling  und  Caroline.         51 

nehmeres  Wort",  fügt  der  Briefschreiber  hinzu,  „kann  ich  gewiß  diesem  oder 
dieser   Rec.   für  die  gelieferte  Beurtheilung  nicht  sagen". 

Dagegen  machte  diese  „Blitzmordrecensiön"  auf  den  Freundeskreis  des 
Musenalmanachs  einen  ganz  niederschmetternden  Eindruck,  wie  wir  in  Cha- 
missos  Briefen  (I,  S.  70,  73)  und  Varnhagens  Denkwürdigkeiten  (I,  S.  301 
bis  303;  vgl.  L.  Geiger  in  Berl.  Neudrucken,  II.  Serie,  1,  S.  X — XIV)  lesen. 
Ihre  Antwort  war  nun  eine  sehr  merkwürdige  und  so  fein,  daß  sie  kaum  je- 
mand verstanden  haben  dürfte.  Am  Ende  der  Beurteilung  empfiehlt  nämlich 
Caroline,  „um  mit  dem  Demokrit  zu  schließen,  zur  Aufnahme  in  den  nächsten 
Jahrgang  folgendes,  dem  Einsender  bekannt  gewordenes  Sonett  von  einer  zwar 
technisch  ungeübten,  aber  natürlich  geistvollen  Hand"  (siehe  S.  28  unten  l. 
Chamisso  glaubte  sich  nun  nicht  besser  rächen  zu  können,  als  indem 
er  das  eigentlich  spöttisch  gedachte  Sonett  wirklich  aufnahm  ;  und  so 
kommt  es,  daß  man  im  Musenalmanach  vom  Jahre  1806  dieses  Gedicht  am 
Schlüsse  mit  der  erklärenden  Unterschrift  :  „Von  M.  Z.  zur  Aufnahme  emp- 
fohlen" abgedruckt  findet  Neudruck  von  Geiger,  S.  122).  Von  wem  ist  aber 
dies  Sonett?  Von  Caroline  sicherlich  nicht;  denn  die  Geschmacklosigkeit  von 
ihrer  eigenen  Hand  als  von  einer  „zwar  technisch  ungeübten,  aber  natürlich 
geistvollen",  zu  reden,  kann  ihr  unmöglich  zugetraut  werden.  Man  wird  es 
vielmehr  Schelling  zuzuweisen  haben.  Dafür  spricht  auch  der  im  ersten 
Quartett  angeschlagene  Gedanke,  der  ganz  ähnlich  in  dem  naturphilosophischen 
Gedicht  „Thier  und  Pflanze"  (im  Schlegel-Tieckschen  Musenalmanach,  S.  158 
von  Schelling  unter  dem  Namen  Bonaventura  veröffentlicht  =  WW.,  X,  439) 
wiederkehrt  : 

Pflanze,  du  Erdentspross'ne,   warum  so  strebst  du  mit   deinen 

Faden  und  Blüten  empor?    Pflanze,  dir  ist  es  bewußt, 

Dich  verknüpfet  der  Sonn'  und  dem  Reiche  des  Lichts  das  Geschlecht  nur.  .  . 

Das  durch  absichtsvolle  Zusammcnhanglosigkeit  wirkende  Sonett  dient  wohl 
der  Verspottung  des  spätromantischen  Treibens,  wie  es  der  Musenalmanach 
zeigt.  Immerhin  trifft  es  sich  merkwürdig,  daß  um  dieselbe  Zeit20),  wo 
Schelling  und  Caroline  diese  Taschenbuch-Poesie  der  späteren  Romantiker 
so  teuflisch  verhöhnen,  vom  Verlag  Dienemann  in  Penig  ein  „Taschenbuch 
des  Teufels"  von  Bonaventura,  dem  Verfasser  der  Nachtwachen,  angekündigt 
wird  („Zeitung  für  die  elegante  Welt"  v.  26.  März  1805  und  „Konstantinopel 
und  Petersburg"  v.  15.  März  1805,  vgl.  Euphorion,  XIV,  823),  das,  den 
Worten  der  allein  bekannt  gewordenen  Einleitung  nach,  auch  eine  Parodie 
der   überhandnehmenden  Taschenbuchproduktion  vorstellen  sollte. 

Bei  dieser  Gelegenheit  möchten  wir  noch  auf  ein  anderes  Sonett  hin- 
weisen, das  ebenfalls  Schelling  zuzuweisen  sein  dürfte.  Es  steht  in  den 
Schlegelschen  „ Blumensträußen  italiänischer  etc.  Poesie",  Berlin  1804,  S.  14, 
und  ist  mit  der  Chiffre  *.  unterzeichnet.  Daß  es  ebenso  wie  die  beiden 
andern  (S.  20  und  S.  74,  gezeichnet  **.  und  ff.,  abgedruckt  bei  Waitz,  II, 
S.  378 ff.),  von  Schelling  eingesendet  worden  ist,  wird  aus  Plitt,  I,  463  in  Ver- 
bindung mit  I,  459  und  dann  aus  der  Überlegung  sehr  wahrscheinlich,  daß 
Schlegel  von  einem  andern  als  Schelling  wohl  keine  so  unbeholfene  Über- 
setzung in  seine  Sammlung  aufgenommen  hätte.    Dennoch  sei  es  mit  abgedruckt: 

20)  Die  Rezension  des  Musenalmanachs  ist  bei  der  Redaktion  am  2.  April 
eingegangen,  ihre  Abfassung  fällt  also  in  den  März  1805. 

4* 


52  Erich  Frank  : 

Solle  I  t. 

Petrarca,  Son.  8.) 
Wenn  der  Planete,  der  die  Stunden  scheidet, 
Zinn  Zeichen  wieder  sieh  des  Stiers  erhoben, 
1'älM  aus  den  Flammenhörnern  Krafl  von  oben, 
So  ganz  die  Well  in  neue  Farbe  kleidet. 

Und  nichl  nur  was  den  Blick  von  außen  weidel 
Bach,  Hügel  wird  mit  Blümlein   rings  umwoben, 
Nein,  auch  der  Erd'  inwend'ges  Feuchl  gehoben, 
Geschwängert,  was  den  Tau,  verborgen,  meidet. 

Vielfält'ge   Frucht   entquillel   diesem   Triebe  ; 
Sn  sie.  die  unter  Frauen  eine  Sonne, 

Zuwendend  mir  der  schönen  Augen  Schimmer, 

Wirkl   in  mir   Wort,  Gedanken,  Thal  der  Liebe  : 

Jedoch,  wie  sie  auch  lenkl  der  Strahlen   Wonne, 

Frühling  nur  isl    für  mich   von   nun   an   nimmer. 

* 

Anmerkungen.  Der  Planete  :  die  Sonne;  des  Stiers:  im  Früh- 
linge. 

a)    Die   Rezension    über  den   Chamisso  -  Varnhagenschen   Musenalmanach. 

Der  hier  von  Caroline  besprochene  sogenannte  „grüne  Musenalmanach" 
schein!  nur  noch  in  wenigen  Exemplaren  vorhanden  zu  sein.  Zum  Eingang 
trägl  das  Büchlein  das  Motto:  tö  toü  ttöXou  üorpov,  d.  i.  „der  Nordstern". 
Daß  unter  diesem  Sinnbild  dos  Berliner  Freundschaftsbundes  (Vamhagen, 
Denkw.,  I,  264)  Fichtes  Philosophie  verstanden  ist,  zeigt  das  Widmungs- 
gedichl  der  Herausgeber  „An   Fichte"  : 

„Indeß  die  nied're  Welt,  gehüllt  in  Grauen 
„Vom   trägen  Zeilgeist,  Nacht  und  Schlaf  verblinden, 
„Strebst,  nachtentwachsner  Fels,  du  Licht  zu  finden. 
„Des   Äthers   Geister  grüßend  voll   Vertrauen. 

„Dein  Haupl  umgrenzt  vom  Licht  der  luft'gen  Auen, 
„Ziehst  mit  magnet'scher  Kraft  du  aus  den  Gründen 
,, Meine    Metalle,   die   mit   Klang   verkünden 
„Ihr  muth'ges  Streben,  höh'res  Licht  zu  schauen. 

„Magnot,  geheimnisvoller  Siein,   mir  deuten 
„Willst   ewig  du  des  Nordsterns  ferne  Klarheil, 
„Durch  ihn  der  vier  Weltstriche   wahre   Richtung. 

„So  muß  die  strenge   Wissenschaft   mich   leiten 
„Zu   ew'ger  Liehe,  Sittlichkeil   und   Dichtung, 
„Im   Kampf  mich  führen  zur  hochheiligen   Wahrheit." 

N.  u.  Ch. 
(Neumann  und  Chamisso.) 

In    diesem    Almanach    sind    unter   den    Zeichen    **.    und    ***.    denn   auch   die 
zwei  Sonette  Fichtes  abgedruckt,  die  aus  den   WW.,   Bd.   VIII,    Hilf,   bekannt 


Rezensionen  über  schöne  Literatur   von   Schelling   und  Caroline.         53 

sind.     Auch   die    Übersetzung   der   „Lateinischen    Hymnen"    von    *.   hat    Fichte 
zum  Verfasser  (s.  Anhang  S.  G3 f.  und   Goedecke,  VI.   146). 

(S.  25,  Z.  3  v.  o.)  Vgl.  zu  dem  Bilde  von  Demokrit  und  Heraklit  die 
ähnliche  Charakterisierung  des  Schlegel-Tieckschen  Musenalmanachs  vom 
Jahre  1802  in  einem  Briefe  Goethes  Schriften  der  Goethe-Ges.,  XIII,  220) 
an  Schelling:  „Die  Theilnehmer  des  Almanachs,  dm-  eine  Arl  von  Purgatorio 
darstellt,  befinden  sich  weder  auf  Erden  noch  im  Himmel,  noch  i,i  der  Hölle, 
sondern  in  einem  interessanten  Mittelzustamd,  welcher  theils  peinlich,  theils 
erfreulich   ist"     auch   bei    Pütt,   I,  350,   W.-A..   IV.   4452  . 

(S.  25,  Z.  13  v.  o.)  Diese  kurze  Anzeige,  A.-z.  gezeichnet,  ist  von 
I,.  Geigei  in  seinem  Neudruck,  S.  X,  abgedruckt  und  bat  zum  Verfasser  Frie- 
drich .luciust  Schul-,  d.  i.  A.-z..  bekannter  unter  seinem  Pseudonym  Friedrich 
Laun  siehe  Goedecke  s.  v.  und  Frz.  Schultz,  der  Verf.  der  Xachtw..  S.  213). 
(S.  25,  Z.  15  v.  o.)  Robert  ist  Ludwig  Robert  (Levin  Marcus),  der 
Bruder  der  Rahel,  die  später  Varnhagens  Gattin  wurde.  Eduard  ist  Julius 
Eduard  Hitzig  (Itzig)  (Goedecke,  IX.  433).  Ernst  ist  K.  von  Raumer,  als 
Mineraloge  Schül<T  von  Steffens  (Goedecke.  VI.  271  .  Anthropos  ist  Koreff 
(Goedecke,  VI,  186),  Wolfart  ist  der  bürgerliche  Name  des  seinerzeit  auch 
als  Arzl  bekannten  Schriftstellers  Karl  Christian  Wolfart,  .*  ist  schwerlich 
Theremin  ;  **.  und  ebenso  ***.  ist  Fichte,  dem  auch  das  Zeichen  *.  gehört, 
vgl.   Anhang  S.   63. 

S.  25,    Z.    19    v.    o.       Novalis    isl    Hardenberg,    Bonaventura    Schelling. 
Inhumanus  isl  A.  W.  Schlegel   (Wff,   II.  256    ;  durch  Sternchen,  d.  h.  durch 
***    ist    Fichtes    Idylle  ;    ,,\Vas    regst    du,    mein    Wein,    in    dem    Fasse    dich" 
\Y\Y..  s.  4ij_)     bezeichne!     Redlich,  Chiffernlexikon  zu  den  Musenalmanachen, 
L875,    S.    42) ;    Caroline   ahnt    also    nicht,   daß    die    „Sternchen"    im    Schlegel- 
Tieckschen  Musenalmanach  dieselbe   Person  verdeckten,  wie  die  im  Chamisso- 
Varnhagenschen,  nämlich  Fichte     Varnhagen,  Dkw.,  I.  301).    Sophie  ist  Sophie 
Bernhard!,  geb.  Tieck.    Auguste  ist  Augusta  Klaproth.    Geiger,  a.  a.  0.,  S.  \  II. 
S.  2."),   Z.    17    v.   u. 'i    So   das   Widmungsgedicht,   siehe   üben    S.   52,   und 
das  Gedicht  „An  die  Freunde  (t.  t.  it.  a.)"  von  Anthropos  s.  unten  Anm.  zu  S.  27,  18. 
(S.  25,    Z.    18   v.    u.      „Goethe",    Sonetl    von    Augusta;    „Octavian.     An 
Tieck"   von  W.   Xeumann. 

S.  25.   Z.   11   v.   u.'    Von  Chamisso  und   *.    i Fichte). 
S.  25,   '/..  8  v.  iL      Im  Musenalmanach  vom  Jahre  1S02.    S.  254. 
(S.  25,  Z.   7   v.   u.      Von   .*   (Theremin?  . 

S.   26,    Z.    2    v.    u.)     Siebe    das    Widmungsgedicht   oben    S.    52,    das    vun 
Caroline  offenbar  ebenso  mißverstanden  ist,   wie   das  unmittelbar  darauf  an- 
geführte Sonett  von   W.  Xeumann,  das  gar  keine  Beziehung  auf  Fichte  verrat  : 
es    beißt   darin    nicht    „Friedsel'ge",    sondern    ,, feindselige    Klarheit",    wodurch 
ein  ganz  anderer  Sinn   entsteht.    Die   erste  Terzine  des   Sonetts  lautet  : 
„Die  Täuschung  ist  entflohen  und  die  Wahrheit 
„Erfüllt  den   Baum  mit  schrecklichen   Gestalten, 
„Die   fordern   und   gewähren   keine   Schonung". 

„Sei   mir   willkommen   denn   feindsel'ge    Klarheit    etc." 
(S.  27.  Z.  4  v.  o.      Aus  einem  Sonett  von  K.  A.  Varnhagen. 
S.  27.  Z.  18  v.  o.)    Aus  dem  Sonett   „An  die  Freunde"     t.  t.  tt.  u.    (das 
ist  tö  toü  ttcAou   äoxpov  =  Fichte  !     von  Anthropos    (Koreff),  das  so  beginnt  : 


ii  Frank  : 

„Den   Tilgrim   tief  verkannt,  saht    Ihr  erscheinen   .  .  .  .",   and   damit   deutlich 
auf   Fichte  abzielt. 

s.  27,  Z.  17  v.  u.     Aus  dem  Sonetl  „Dichtertrost"  von  .*  (Theremin??). 

b)     Die    Rezension    über    „Erzählungen     und    Spiele",    herausgegeben    von 
Neumann   und  Varnhagen  1807. 

s  Buch  stelll  auch  eine  Ar!  von  Musenalmanach  vor,  denn  es  enthält 
Beiträge  Verschiedener,  aber  nicht  nur  Gedichte,  auch  Prosa.  Nach  Varnhagen 
(Denkwürdigkeiten,  I,  314)  haben  wir  in  ihm  tatsächlich  eine  Fortsetzung  des 
„Grünen"  zu  erblicken    .siehe  Geiger,  a.  a.  <>..   S.   XX). 

Eingegangen  ist  die  Rezension  am  14.  April  L807,  und  am  20.  April  be- 
stätigt  Eichstädt   den   Empfang  „der   schönen    Recension,   die   er  durch  Schel- 

Güte  erhalten"  habe.  Diese  Wendung  zeigt,  dal.)  wir  auch  diese  Be- 
urteilung Carolinen  zuzuschreiben  hallen,  und  die  Beobachtung  ihres  Stils 
kann  unsere  Annahme  nur  bestätigen.  Salze,  wie  die  S.  29  :  „Deßwegen 
alier   ....   gegen   sie   zu   gebrauchen",   oder   etwa    S.    29,   Z.    19   v.  u.  :    „Es 

sich  daher  ....  ihr  dabei  Gewalt  anzulhun",  würde  Schelling  schwer- 
lich   geschrieben  haben. 

(S.  29,  Z.  21  v.  o.)  Urbano  nach  Boccaccio  von  \V.  Neumann.  Belfagor 
nach  Machiavelli  von  eben  demselben. 

(S.  30,  Z.  5  v.  o.)  Ein  im  Elysium  geführtes  Gespräch,  dessen  Ver- 
fasser Bernhardt  ist.  Varnhagen,  Dkw.,  I,  344).  Rosa  Maria  ist  Varnhagens 
Schwester  Rosa  Maria  Assing  (Goedecke,  VI,  185,  Allg.  d.  Biogr.,  I,  624 f. ; 
Geiger,  a.  a.  0.).  Pellegrin  ist  de  la  Motte  Fouque  (1777—1843),  der  unter 
diesem  Pseudonym  schon  zum  Musenalmanach  vom  .fahre  1806  beigetragen 
hatte  (vgl.  Fouque,  Selbstbiogr.,  S.  274).  Hier  sind  von  ihm  eine  Gedicht- 
sammlung :   „Blüthenkranz"   und    „Der   Helden   Rettung". 

(S.  30,  Z.  10  v.  o.)  Von  A.  v.  Chamisso,  geschrieben  18.— 25.  April 
1806.  Schleiermacher  lobte  Adelberts  Fabel  sehr.  Alfonso,  ein  „Mährchen 
von   Varnhagen". 

(S.  30,  Z.  12  v.  o.)  „Ich  habe  euch  erkannt,  euch,  meine  Schicksals- 
genien,  rief  Adelheid,   Karfunkel,  du,  meiner  inn'ren  Selbstmacht " 

(S.  30,  Z.  3  v.  u.)  Wilhelm  Elogius  Meyer  (geb.  1784  in  Breslau,  Dr.  d. 
Philosophie)  war  schon  am  18.  Mai  1805  gestorben.  Von  ihm  ist  noch 
„Horribunda,   ein  Drama",   Berlin   1805,   und   „Klio   Thalia",   Breslau   1801. 

(S.  31  u.  33.)    „Ein  Zeitstück  in  einem  Akt". 

2.   Die  Rezensionen  über  Calezki,  Nathan  den  Weisen,   Bürde. 

Diese  Beurteilungen  sind  als  eine  Art  von  Proberezension  zusammen 
mit  der  der  ,, Aurora"  am  22.  Februar  eingegangen.  Von  ihnen  ist  nur  die  der 
Aurora  nicht  abgedruckt  worden  ;  sie  liegt  aber  noch  händschriftlich  in  Caro- 
linens  Nachlaß  vor  (Waitz,  I,  S.  V  Anm.),  und  ihre  Veröffentlichung  ist 
wohl  in  der  bevorstehenden  Ausgabe  der  Caroline-Briefe  von  Erich  Schmid  zu 
erwarten,  ebenso,  wie  die  der  gleichfalls  noch  vorhandenen  von  „Beckers  Er- 
holungen", 1806,  die  von  Schelling  gar  nicht  eingesandt  worden  zu  sein 
scheint. 

Mit  der  Beurteilung  der  Aurora  hatte  es  nun  folgende  Bewandtnis:  Eich- 
städt schickte  sie  mit  dem   Brief  vom  8.  Mai    1805  im  Manuskript  an  Goethe 


Rezensionei    über   schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.  55 

zugleich  mit  der  schon  gedruckten  des  Musenalmanachs  von  Varnhagen  etc.21) 
Goethe  lobte  zwar  beide  Rezensionen  sehr  (W.-A..  IV.  Xr.  5092),  wünschte 
aber  „von  derselbigen  Hand"  noch  eine  Besprechung  des  Freimütigen  und  der 
Eleganten  Zeitung.  Eichstädt  teilte  diesen  Wunsch  Goethes  Schelling  mit 
und  dürfte  in  Erwartung  dieser  Rezensionen  mit  dem  Abdruck  der  Aurora 
gezögert  haben22),  bis  es  dann  schließlich  zu  spät  dafür  war.  Ein  besonderer 
Beweis  dafür,  daß  auch  diese  Beurteilungen  von  Caroline  sind,  dürfte  sich 
nach  dem  Gesagten  erübrigen. 

(S.  34.)  Der  Verf.  der  rezensierten  Parodie  ist  uns  unbekannt.  Ziem- 
lich zu  gleicher  Zeit  erschien  anonym  eine  ähnliche  Travestie  von  Julius 
v.  Yoß  unter  dem  Titel  :  „Der  travestirte  Nathan  der  Weise",  Posse  in  zwei 
Akten  mit  Intermezzos,  Chören,  Tanz,  gelehrtem  Zweikampf.  Mord  und  Todt- 
schlag.  Das  Nachspiel  ist  der  travestirte  Alarkos,  Berlin  1S04.  8.  M.  Kpf. 
(Meusel,  V,  5,  557  u.  IX,  274).  Von  der  hier  besprochenen  Travestie  wird 
ausdrücklich   betont  „ohne  Todtschlag  !". 

(S.  34.)    Wilhelm  Calezki  ist  uns  unbekannt. 

8.  G.  Bürde  ist  1753  geboren  in  Breslau,  wo  er  1831  starb.  Er  war 
ein  seiner  Zeit  ziemlich  geschätzter  Dichter,  von  dem  noch  in  den  dreißiger 
Jahren  des  19.  Jahrhunderts  Ausgaben  veranstaltet  wurden  (Goedecke,  V, 
§  27:;.  20). 

(S.  35,  Z.  1  v.  o.)  Thomas  Gray  ist  der  bekannte  englische  Lyriker 
(1716 — 1771  .  berühmt  namentlich  durch  seine  „Elegy  «ritten  on  a  country 
churehyard",  die,  im  Jahre  1751  gedichtet,  bald  in  alle  Sprachen  über- 
tragen wurde. 

(S.  35,  Z.  11  v.  o.)    „Alzire",  eine  Tragödie  von  Voltaire,  erschien  1735. 

(S.  36,  Z.  10  v.  u.)  Der  vollständige  Titel  von  Wielands  Don  Sylvio 
ist  :  „Der  Sieg  der  Natur  über  die  Schwärmerei  oder  die  Abeutheuer  des 
Don  Sylvio  von  Rosalva.  Eine  Geschichte,  worin  alles  Wunderbare  natürlich 
zugeht",  Ulm  1764.  Bürdes  „Komische  Oper  Don  Sylvio"  wurde  von  G.  Bach- 
mann in  Musik  gesetzt  (Goedecke,  a.  a.  0.). 


Anmerkungen  zu  der  Rezension  von  Schelling  und  Caroline. 

Die  in  dieser  Beurteilung  besprochenen  Bücher  sind  sämtlich  Ostern  1805 
erschienen  und  wahrscheinlich  bald  danach  an  Schelling  abgeschickt  worden. 
Die  Beschäftigung  mit  dieser  Romanliteratur  im  Sommer  1805  verrät  ein  Brief 
Carolinens  bei   Wailz,    II,   276    (vom  August   1805)  ;   eingegangen  ist  die  Re- 

21)  Ungedruckt  im  Goethe-Archiv  unter  „Eing.  Briefe",  XLVII,  60.  (Vgl. 
üben    S.   50.) 

22)  Noch  am  8.  Januar  1806  ermuntert  er  Schelling  dazu,  eine  Re- 
zension über  Kotzebues  Zeitschrift  „Der  Freimütige"  (siehe  oben  S.  47)  zu 
schreiben  :  „Ich  bin  nicht  der  Meinung,  daß  man  diesem  Schamlosen  alles 
müsse  ungeahndet  und  unbemerkt  hingehen  lassen  ....  ich  bin  überzeugt, 
daß,  wenn  L  es  sing  noch  lebte,  er  auf  diese  Schlange  schon  längst  würde  ge- 
treten haben,  damit  das  Gift  nicht  weiter  sich  verbreite  und  den  Unvor- 
sichtigen Schaden  zufüge".  Schelling  scheint  dies  dann  in  seiner  Rezension 
über  Kotzebues  Romane  versucht  zu  haben. 


5G  Erich   Frank  : 

on  am  3.  Februar  L806.  \m  selben  Tag  melde!  Eichstädt  Goethe: 
[Hing  hal  ron  der  unbekannten  Hand  wieder  einige  sehr  brave  Recen- 
sionen  von  Romanen  geschickt,  welche  ....  sogleich  abgedruckt  werden 
sullon"  (Eing.  Br.,  XLVIII,  L6).  Der  Dank  Eichstädts  an  Schelling  folgte  aber 
erst  am  4.  März  1806  mit  dem  schmeichelhaften  Urteil :  „Es  wäre  sehr 
wünschenswert,  daß  alle  Recensionen  in  dem  sogenannten  belletristischen 
fache  so  gediegen  und  dabei  so  zierlieh  wären,  wie  die  von  ihnen  über- 
sandten". Paß  diese  Rezension  von  Schelling  und  Caroline  gemeinsam  ab- 
gefaßt ist,  ergibl  sich  aus  ihrem  Stile.  Wer  sich  die  stilistische  Eigenart  der 
vorangegangenen  Beurteilungen  eingeprägl  hat,  der  wird  in  Sätzen,  wie  den 
folgenden,  die  Hand  Schellings  nicht  verkennen  :  ,, Nicht  sowohl  dieses  In- 
st indes  ermangell  sie  als  vielmehr  desjenigen  für  die  Lesbarkeit  eines  Buches 
überhaupt"  ;  oder  in  dem  Satz  mit  der  philosophischen  Unterscheidung  von 
Denken  und  Anschauen:  „Das  erste  sind  strafende  Rhapsodien  .  .  .  .,  aus 
denen  sich  niemand  einen  gesunden  Gedanken  oder  irgend  eine  Anschauung 
nehmen  mag  und  kann"  S.  39).  Diese  abstrakte  Redeweise  herrscht  durchaus 
in  der  Einleitung  und  in  der  Besprechung  der  drei  ersten  Bücher,  während 
dafür  das  Folgende  (von  der  Besprechung  „des  unglückliehen  Weihes"  an, 
S.  39,  X.  5  v.  u.  „Ebenso  verrückt  ist  die  Geschichte  eines  unglück- 
lichen Weibes")  deutlich  Carolinens  Stil  zeigt.  Wir  brauchen  zum  Beweis 
dieser  Behauptung  nur  einige  Proben  anzuführen  :  „Denn  sie  stellen  nicht  etwa 
das  Bild  eines  weiblichen  Wesens  auf,  das  durch  lockende  Umgehung  und  ge- 
wöhnliche  Schwachheit  in  den  Irrgarten  der  Liebe  gezogen  wird,  sondern  eines 
solchen,  das  ganz  ursprünglich  dazu  bestimmt  ist,  sich,  wie  die  Umstände  es 
eben  wollen,  mißbrauchen  zu  lassen  ;  eines  Röschens,  das  schon  in  der 
Knospe  welk  war  .  .  .  .",  S.  Kl.  Oder  S.  42  :  „Das  erste  ist  zugleich  von 
dem  feinsten  Anstände,  und  sowohl  in  diesem  Betracht  wie  in  Ansehung  der 
ungezwungenen  und  gefälligen  Sprache  einer  weiblichen  Feder  würdig  .  .  .  .". 
Caroline  gehört  offenbar  auch  die  Beurteilung  der  Bibliothek  der  Robinsono 
und  des  Romantisch-Wunderbaren,  die  vielleicht  als  Schluß  der  Roman- 
rezension   geplant    war,    aber   in   derselben    Nummer   keinen    Platz   mehr   fand. 

S.  38,  Z.  15  v.o.)    Der  Verf.  der  „Amalie  Balbi"  ist  Ignaz  Ferdinand  oder, 

wie  er  sich  auch  nannte,  Theodor  Ferdinand  Kajelan  Arnold  (1771 — 1812), 
Dr.  der  Philosophie,  zugleich  Advokat,  Privatdozent  und  Universitätssekretär 
zu  Erfurt,  „der  schon  einige  20  grausige  Spuck-  und  Blutgeschichten  zutage 
gefördert  hafte,  obgleich  er,  wie  er  selbst  sagt  {Amalie  Balbi,  S.  8 — 21),  in 
dein  romantischen  Fach  oft  mit  herzlichem  Widerwillen  arbeitete".  Müller- 
l'iaureuih,  Die  Ritter-  und  Räuberromane,  1894,  S.  S7.  Ob  „Johanne  Soul- 
gate"  auch  von  ihm  ist,  hat  sich  nicht  feststellen  lassen.  Doch  machen  es 
die  Titel  der  sonst  von  ihm  bekannten  Romane  sehr  wahrscheinlich.  Der 
Verfasser  der  silbernen  Kali  ist  Georg  (nach  Meusel  Gustav)  Teubner, 
M.  d.  Phil,  und  geb.  ca.  1770  in  Schlitz  (Goedecke,  V,  §  27G,  10,  4).  - 
„Das  unglückliche  Weib,  ein  Gemähide  aus  der  jetzigen  WTelt",  dürfte  auch 
von  Teubner  sein,  wenn  es  sich  auch  anter  den  von  seinen  Zeitgenossen  ihm 
sicher  zugeschriebenen  Werken   nicht  befindet. 

S.  38,  Z.  U  v.  u.  i    Von  Johann  Karl  Wetzet,  der  sich  auch  Wezel  und  auch 
Wölzel  schrieb     1765—1836,  vgl.  Goedecke,  Vi,  §  298  A,   IG,  und  Meusel,  IV5, 

erschien    im    Jahre    1801    „Meiner    Gattin    wirkliche    Erscheinung    nach 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling   und   Caroline.         57 

dem  Tode,  eine  wahre  unlängst  erfolgte  Geschichte  für  jedermann  zur  Be- 
herzigung  und  vorzüglich  für  Psychologen  zur  unparteiischen  und  sorgfältigen 
Prüfung  dargestellt".  Welches  Aulsehen  dieses  Buch  damals  machte  (vgl. 
Wielands  Euthanasia,  1805),  läßt  sich  am  besten  daran  ermessen,  daß  im 
Zeiträume  von  kaum  einem  Jahr  nicht  weniger  als  vier  Auflagen  nötig 
wurden.  Es  entfesselte  eine  Flut  von  Entgegnungen,  Nachahmungen  und 
Parodien,  über  die  man  sich  am  besten  in  den  Rezensionen  der  Jenaischen 
Literatur-Zeitung  Nr.  30,  76,  1805  und  Nr.  97,  1806  (von  e.  das  ist  Prof. 
Schmid  in  Jena)  unterrichten  kann  (vgl.  Goedecke,  a.  a.  0.).  Dieser  Wetzel 
ist  ebenso  zu  unterscheiden  von  F.  G.  Wetzel,  1778—1819  (der  aber  unter 
seine  populär-medizinischen  Werke  auch  den  Namen  Karl  Wezel  setzen 
ließ,  und  der  vun  Franz  Schultz  für  den  Verf.  der  Nachtwachen  gehalten 
wurde;  Goedecke,  VII,  §  331,  8),  wie  von  dem  durch  seinen  Roman  , .Tobias 
Knaul"  seinerzeit  berühmt  gewordenen  Johann  Karl  Wetzel  (1747 — 1819) 
(Goedecke,  IV,  1,  §  230,  22;  Koberstein,  IV,  168;  Meusel,  IV5,  208,  IX",  528). 
S.  39,   Z.  9   v.   0.)    Georg   Teubner,   siehe  oben. 

S.  39,  Z.  22  v.  o.)  Nicht  schlecht  geraten:  Teubner  hatte  1803  den 
Versuch  gemacht,  in  Jena  Privatdozent  zu  werden,  doch  mußte  er,  wie 
Meusel  erzählt,  unverrichteter  Sache  in  seine  Heimat  Schlitz  zurückkehren. 
S.  40.)  Alles  Romane  von  Teubner:  „Gott  Wezeis  Zuchtruthe  des 
Menschengeschlechts  eine  Zugabe  zu  Tobias  Knaut.  Aus  Familiennach- 
richten gezogen.  8.  Erfurt."  „Gallopaden  und  Bocksprünge  auf  dem  Stecken- 
pferd meiner  Laune.  Vom  Verfasser  des  silbernen  Kalbes".  „Das  silberne 
Kalb  eine  Zugabe  zum  goldenen",  Erfurt  1803—1804  (das  goldene  Kalb  ist 
vom  Grafen  von  Benzel-Sternau,  vgl.  Caroline  von  Waitz,  II,  S.  276,  siehe 
oben  S.  55).  „Gott- Wezeis  Zuchtruthe"  wurde  früher  (Meusel,  IV5,  208) 
Job.   Karl    Wetzel  d.  ä.    (1747 — 1819)  zugeschrieben. 

(S.  40.)  „Höschens  Geheimnisse"  „vom  Verfasser  des  Guido  von  Sohis- 
dom"  waren  in  erster  Auflage  in  Pirna  1798 — 1799  erschienen.  Der  Verf. 
dieses  Romans  und  „Weibes,  wie  es  ist  (1800)"  ist  der  fruchtbare  und 
damals  berühmte  Schriftsteller  Friedrich  Gustav  Schilling  (Goedecke,  V, 
l.s:;  .  Dieses  letzte  Buch  gehört  zu  der  Unzahl  von  Romanen  mit  ähnlichen 
Titeln,  die  durch  den  bekannten  Tugendspiegel  ., Elisa  oder  das  Weib  wie  es 
sein  sollte",  Leipzig  1795,  von  Wilhelm.  Caroline  von  Wobeser  (1769 — 1805) 
hervorgerufen  worden  waren,  und  unter  denen  sich  gar  „ein  Unterföckchen 
wie  es  sein  sollte",  1803,  findet;  ja,  Friedrich  A.  Schulze  schrieb  eine  ganze 
„Familie  wie  sie  sein  sohle.  Ein  Roman  wie  er  sein  kann",  Goedecke, 
§   279,   49,  13. 

(S.  ll.i  Über  Gottlob  Gramer,  einen  der  fruchtbarsten  und  beliebtesten 
Romanschreiber  '1758 — 1817)  vgl.  Goedecke,  V,  511;  Appell,  Ritter-,  Räuber- 
uml  Schauerrqmantik,  1859,  S.  15 — 34.  Cramer  wußte  sich  über  schlechte 
Kritiken  zu  trösten  :  „Meine  Romane  werden,  was  auch  immer  trübsinnige, 
mürrische  Recensenten  denken  und  sagen  mögen,  nicht  gelesen,  sondern  ver- 
schlungen, nachgedruckt  und  noch  vielmal  aufgelegt  und  sogar  von  den  stolzen 
Brüten  übersetzt".  Müller-Fraureuth,  Räuber-  und  Ritterromane,  S.  50ff.  Er 
schrieb  68  Romane  in  weit  über  100  Bänden  ! 

(S.  41,   Z.   21   v.   o.)    Der   Verfasser  hat   sich   nicht   feststellen   lassen. 

(S.  41,  Z.  27  v.  o.)    Der  Arzt  Zimmermann  ist  wohl  der  als   Philosoph 


Erich   Krank  : 

und  Gegner  dei  Aufklärung  bekannte  Schriftsteller  Johann  G.Ritter  V.Zimmer- 
mann (1728—1795),  der  Arzl  Friedrich  des  Großen.    Vgl.  Koberstein,  IV,  217f. 

S.  II.  i  F.  Guillaume  Ducray-Duminil  (1761—1819)  war  einer  der  an- 
erkanntesten Romanschreiber  Frankreichs.  Einwurfe  <>u  la  lillc  de  l'hospice 
erschien  in  Paris  1804  (5  Bde.  in  12).  Die  vorliegende  Bearbeitung  dürfte, 
dem  Titel  nach  zu  schließen,  auch  den  Roman  Coelina  ou  Venfant  du  mystere, 
Paris  1798,  benutzl  haben.  Karl  L.  Methusalem  Müller  war  Advokat  in 
Leipzig  und  hal  sich  als  Übersetzer  aus  dem  Französischen  und  Englischen 
einen   Namen   gemacht.    Goedecke,   VI.  379,   20;   .Mensel,  Bd.   V   u.  X«. 

s.  II,  Z.  K)  v.  u.)  Anna  Eadcliff,  geb.  Waid  (1764—1823),  ist  die  be- 
rühmte Verfasserin  englischer  Ritter-,  Käuher-  und  Geistergeschichten  (Ger- 
man  horrors  i. 

s.  12.  Hie  Verfasserin  der  „Maria  Müller"  (2.  Aufl.,  Berlin  1799,  mit 
Namen)  ist.  Charl.  Sophie  1,.  von  Ahlefeld;  geh.  v.  Seebach  (geb.  1787  zu 
Stedten  hei  Weimar,  vgl.  Meusel,  X,  18;  Goedecke,  V,  489). 

S.  12.  Fr.  Jnl.  Reichsgraf  von  Soden,  geh.  1754,  gest.  1831  in  Nürn- 
berg :  Goedecke,  V,  260. 

S.  12,  Z.  11  v.  o.)  Die  leise  Ironie  auf  den  adeligen  Stand  der  Ver- 
Easser  läßl  darauf  schließen,  daß  Caroline  beide  kannte.  Dies  wäre  zu  be- 
greifen ;  denn  Charl.  v.  Ahlefeld  lebte  in  Weimar,  Graf  von  Soden  seit  1804 
in  Würzburg,  wo  er  das  erste  stehende  Theater  gegründet  hat. 

S.  13.)  Der  Herausgeber  Ernst  Chr.  Trapp  (1745—1818)  galt,  seiner 
Zeit  neben  Basedow  als  einer  der  bedeutendsten  Theoretiker  der  philan- 
thropischen Pädagogik.  „Seine  letzte  Arbeit  scheint  die  Herausgabe  des 
Romans  Friederike  Weiß  etc.  gewesen  zu  sein,  den  Wilhelmine  Antoinette 
von    Thielau    verfaß!    hatte".     Allg.    deutsche    Biographie,    XXXVIII,    497. 

S.  1  1.  Der  „Verfasser  der  grauen  Mappe  aus  Ewald  Rinks  Verlassen- 
schafl",  Berlin  1790— 4794,  ist  Johann  Chr.  L.  Haken  (1767—1835).  Als 
I 'fairer  zu  Symbow  schloß  er  mit  Schleiermacher,  damals  Hofprediger  in 
Stolpe  (1802),  Freundschaft.  Siehe  Goedecke,  VI,  380,  Nr.  8.  Der  Heraus- 
geber der  Bibl.  des  Romantisch-Wunderbaren  ist  Chr.  August  Vulpius,  der 
Schwager  Goethes  und  der  Verfasser  des  berühmten  Räuberromans  Rinaldo 
Rinaldini  (1762—1827).  Goedecke,  V,  512,  42;  Müller-Fraureuth,  a.  a.  ()., 
77—82  ;    Appell,    42—53. 

S.  I  1,  Z.  1  1  v.  u.)  Campes  „Robinson  der  Jüngere"  erschien  in  Ham- 
burg  1792  —  die    116.   Aufl.   1894! 

S.  M.  Z.  8  v.  u.)  Daniel  Defoea  (1GG0— 1731)  Roman:  The  life  and 
Strange  surprising  adventures  of  Robinson  Crusoe  of  York  erschien  171'.); 
schon  1720  die  erste  deutsche  Übersetzung.  (Vgl.  Hettner,  Robinson  und  die 
Robinsonaden,  ein  Vortrag,   Berlin  1854,  u.  a.  m.) 


Anhang. 

1.    Die  anonymen   Korrespondenzen  Schellings   im    Intelligenz- 
blatt der  neuen  Jenaischen  Literaturzeitung. 

Als   Anhang   können   hier  zwei    anonyme   Korrespondenzen    l'lalz   linden, 
die   Schelling   für   das    [ntelligenzblatt   der    Liieratur-Zeitung   geschrieben   bat, 


Rezensionen    über  schöne   Literatur   von   Schelling   und   Caroline.         59 

und  die  wenigstens  nicht  ohne  jedes  biographische  Interesse  sind.  Am  20.  De- 
zember 1804  erbot  er  sich,  „Nachrichten  über  das  Studienwesen  in  Franken 
und  die  Procednren  zur  Einführung  desselben  zu  verschaffen"  (Pütt,  II.  14). 
Eichstädl  waren  solche  Nachrichten  nicht  unwillkommen  (Brief  vom  30.  De- 
zember 1804),  und  die  von  Schelling  am  10.  März  1806  eingesandten  sind 
wahrscheinlich  die  ersten.  Aber  „der  Ungewißheit  wegen,  in  der  damals  alle 
Verhältnisse  schwebten",  wünschte  er  sie  schon  im  Brief  vom  2.  April  1806 
(Plitt,  II,  83)  wieder  zurückzuziehen.  Doch  war  es  zu  spät;  sie  sind  bereits 
im    Intelligenzblatt   vom    28.    März    1806   abgedruckt   worden. 

„Einige  Nachrichten  über  die  neuesten  obscurantischen  Verfügungen  der 
Regierung  in  Würzburg"  kündigte  Schelling  dann  wieder  in  dem  Brief  vom 
DJ.  November  (Plitt,  II,  103)  für  das  Intelligenzblatt  an.  Es  sind  offenbar  die, 
welche  in  der  Nr.  6  vom  DJ.  Januar  1807  erschienen  sind.23)  Diese  Veröffent- 
lichung hatte  noch  ein  interessantes  politisches  Nachspiel.  Die  Würz- 
burger verlangten  nämlich  von  der  Begierung  in  Weimar,  mit  der  sie  gerade 
in  diplomatischen  Verhandlungen  standen,  daß  ihr  der  Einsender  der  be- 
wußten Nachrichten  genannt  werde  (Brief  Eichslädts  an  Schelling  vom 
6.  März  1807  ungedruckt  in  Schellings  Nachlaß).  Eichstädl  weigerte  sich  aber 
mit  Berufung  auf  das  Bedaktionsgeheimnis  ihn  zu  nennen  und  nahm 
alle  Verantwortung  auf  sich.  So  blieb  es  bei  einem  Verweis  an  Eich- 
städt ;  dieser  erzählt  in  einem  Briefe  an  Schelling  den  Hergang  mit  gutem 
Humor:  nach  W.  Würzburg)  sei  rescribiert  worden,  „Daß  der  Hofr.  E.  als 
Herausgeber  der  Jen.  A.  L.  Z.  für  dieses  mit  hcrzogl(ichcn)  Privilegien  ver- 
sehene literarische  Blatt  verantwortlich  sei  und  mit  seiner  Verantwortung 
vernommen  werde.  —  In  Ahndung  solcher  (Jnvorsichtigkeil  u.  Ungebühr  sey 
dem  Hofr.  E.  als  Herausgeber  ein  nachdrücklicher  Verweis  erteilt  u.  die  ernst- 
liche Verwarnung  hinzugefügt  worden  bey  Vermeidung  schärferer  Ahndung 
sich  <ler  Aufnahme  solcher  anstößiger  Korrespondenzen  zu  enthalten."  Alles 
wörtlich    abgeschrieben  !    versichert    der    Briefschreiber. 

Intelligenzblatt  Nr.  29  (den  28.  März)  1806. 

Aus    Br.    v.    Würzburg,    vom    10    März.     Die    bekannte    Uebergabe    von 

Würzburg  an  den  Kurfürslen  von  Salzburg  versetzt  die  protestantischen  Ge- 
lehrten, welche  Bayern  vom  Auslande  her  in  seine  Dienste  berufen  hat,  un- 
läugbar  in  eine,  wenigstens  augenblickliche,  Verlegenheit,  die  sie  wohl  nicht 
voraussehen  konnten.  Bayern  hat  über  ihre  gänzlich  veränderten  Verhältnisse 
und  die  daraus  entspringenden  Folgerungen  keine  Erklärung  von  sich  gegeben. 
Der  Grund  davon  mag  in  politischen  Maßregeln  und  der  gegenwärtigen  Fluc- 
tuation  liegen,  wo  selbst  die  Besitzungen  der  Staaten  noch  nicht  bestimmt  sind. 
und  daher  auch  die  Orte  und  Bedingungen  der  Versetzung  dieser  Männer  nicht 
gleich  bestimmt  werden  konnten.  Es  wäre  ungerecht,  gegen  eine  Regierung, 
die  sich  bisher  in  solchen  Verfügungen  immer  gerecht  gezeigt  hat,  Anderes 
hierüber  zu  vermuthen.  Der  öffentliche  Gang  der  Sache  war  bis  jetzt 
dieser:  daß  außer  Hn.  Hufeland,  welcher  an   Feuerbachs  Stelle  nach  Lands - 


23 )  Brief  vom  19.  Dezember  1807  von  Eichstädt  an  Schelling  (un- 
gedruckt) :  „Die  Nachrichten  aus  Würzburg  —  sehr  interessant  —  sollen 
künftige  Woche  abgedruckt  werden.    Nur  Vossens  Namen  will  ich  weglassen." 


60  Erich  Frank  : 

hui  versetzt  wurde,  die  Hn.  Stahl  und  Medicus.  welche  dort  die  nichl  I ><■- 
setzten  Lehrstellen  der  Physik  und  Kameralwissenschafl  ausfüllen  sollen, 
ferner  die  Hn.  Niethammer  und  Fuchs,  die  protestantischen  Prediger,  in  ihrer 
Eigenschafl  als  Consistorialräthe  zu  Bamberg  übertraten,  indem  durch  den 
Verlusl  von  Würzburg  nur  wenige  protestantische  Pfarreyen  wegfielen,  die 
übrigen  unbedingt  überwiesen  wurden.  Hierauf  war  feyerliche  Präsentation 
hey  dem  kaiserl.  Besitzergreifungs-Commiss.,  Hn.  von  Hügel,  wobey  keine 
Verpflichtung  Statt  fand.  Der  Anfoderung,  die  Vorlesungen  für  das  nächste 
Semester  einzuschicken,  haben  Folge  geleistet  :  Paulus,  Martini,  Mannert, 
von  Hoven.  Hey  der  eigentlichen  Verpflichtung  fehlten,  außer  den  bereits 
placirten,  Paulus,  der  sich  krank  melden  ließ,  und  Schelling.  Wenige  Tage 
darauf  wurde  durch  den  Secrelär  der  l'ni  versi  läi  allen  denen,  durch  die 
bayerische  Organisation  neu  angestellten  Professoren,  welche  ihre  Vorlesungen 
eingesendet  hatten,  die  mündliche  Notiz  ertheilt,  daß  der  Hr.  von  Hügel  den 
Druck  des  Lectionskatalogs  zwar  vorläufig  genehmigt  habe,  jedoch  diesen 
Lehrern  über  ihre  künftige  Bestimmung  dadurch  nichts  zugesichert,  sondern 
die  weitere  Verfügung  dem  neuen  Gouvernemenl  vorbehalten  sey.  Man  ist  sehr 
begierig  auf  die  endliche  Entwickelung  dieser  seltsamen  Lage.  Wenn  keine 
neue  Universität  errichtel  wird  und  keine  neue  gewonnen,  was  in  Absicht  auf 
Erlangen  dadurch  vor  der  Hand  zweifelhaft  geworden  ist,  daß  es  nicht  mit 
dem  Fürstenthum  Ansbach  besetz!  wurde:  so  ist  eine  Zerstreuung  dieser  bis- 
berigen  Mitglieder  der  üniversitäl  Würzburg  vorher  zu  sehen.  Mannert  soll 
sieh  erklärt  haben,  gern  in  Würzburg  bleiben  zu  wollen.  Von  Schelling  sagte 
man.  er  habe  dazu  eine  Einladung  erhalten,  was  sich  vielleicht  auf  eine  aus- 
gezeichnete Aufnahini'  desselben  von  Seiten  des  Hn.  von  Hügel  gründete  ;  in- 
dessen hat  er  sich  seitdem  seihst  aufs  bestimmteste  erklärt,  nicht  hier  zu 
bleiben,  und  wird,  wie  mau  sagt,  in  Kurzem  nach  München  abreisen.  — 
In  diesem  Conflicl  der  Hinge  befindet  sich  nun  die  vor  wenig  Jahren,  unter 
-n  neuen  und  schönen  Erwartungen,  begonnene  Unternehmung.  Eine  Ge- 
schichte der  Universität  Würzburg  unter  Bayern,  von  unparteyischer  Hand, 
müßte  sehr  interessant  seyn.  Zur  Genüge  ist  es  bekannt,  daß  sie  aus  sehr 
widersprechenden  Elementen  gemischt  war;  daß  vieles  Schlechte  die  Summe 
des  Unten  beschränkte,  und  besonders  persönliche  Verhältnisse  einen  sehr 
nachtheiligen  Einfluß  hallen.  Dennoch  aber  ist  mehr  für  das  Ganze  ge- 
schehen, als  sich  unter  jenen  Umständen  vermuthen  ließ;  auch  für  Würzburg 
ging  die  Wirkung  nicht  verloren,  wie  die  Einheimischen  zum  Theil  aner- 
kennen,  zum   Theil   noch   anerkennen   werden. 

Intelligenzblatt  Nr.  6  (den  19.  Januar)  1807. 

(Aus  Briefen  v.  /></-.  1806.)  Die  in  einem  Blatte  des  vorigen  Jahrganges 
ertheilten  Nachrichten  über  den  jetzigen  Zustand  der  wissenschaftlichen  An- 
stalten in   Würzburg  dürften   neuerdings  einige  Modificationeri  erleiden,  indem 

lii  (  k  i > 1 1 i <■  L k<  i I  Beweise  davon  zu  geben  anfängt,  daß  sie  gar  sehr  gesonnen 
sei,  die  alten  Gewohnheiten  zu  üben,  und  sich  des  geschmälerten  Deichs 
wiederum  ganz  zu  bemächtigen.  In  kurzer  Zeil  wird,  wenn  es  so  fortgeht, 
Spur  de-  glänzenden  Zwischenspiels  mehr  vorhanden  seyn,  und  sich  nur 
noch  im  Gedächtniß  mancher,  wie  ein  erlittenes  bitteres  Unrecht,  erhallen. 
Seit   dem    Ausbruche  des    Krieges   sind   die    abgeschafften    Drocessionen   wieder 


Rezensionen   über  schöne   Literatur  von    Schelling   und   Caroline.  61 

in  ihre  Rechte  eingesetzl  wurden.  Von  einer  Veränderung  beim  Gymnasium 
war  schon  länger  die  Hede,  und  es  wurde  bey  der  Landesdirection  ein  Plan 
dazu  ausgearbeitet,  dein  man  gern  alles  Gedeihen  hätte  wünschen  mögen,  in 
der  Hoffnung,  an  die  Stelle  des  bekannten  Schulplans  etwas  wirklich  besseres 
trelen  zu  sehen.  Indessen  schien  es  gegen  das  Ende  der  Ferien,  daß  es  noch 
sein  Bewenden  damit  haben  werde,  als  plötzlich  am  27  Oktober  von  dem 
dirigirenden  Staatsministerium  der  Beschluß  erging,  daß  alle  erst  von  Bayern 
angestellten  Lehrer  vom  Amte  entlassen  seyen.  Das  Deere L  war  an  jeden 
einzelnen  folgendermaßen  ausgestellt:  „Einer  von  dem  großherzogl.  diri- 
girenden Staatsministerium  unterm  27  Oct.  1.  J.  ergangenen  Entschließung 
zufolge,  ist  nothwendlg  befunden  worden,  die  gegenwärtige  Einrichtung  des 
Gymnasiums  zu  ändern,  und  mit  ihr  auch  die  darauf  berechnete  provisorische 
Anstellung  des  Prof.  N.  N.  wieder  aufzuheben:  indessen  wird  dem  vom  Lehr- 
amte abtretenden  Professor  bis  auf  weitere  Anordnung  sein  Gehall  provi- 
sorisch belassen.  Würzburg,  am  27  Oct.  L806.  Großherzogl.  Landesdirection." 
—  Hiebey  ist  zu  bemerken,  daß  der  Rector  Klein  und  Prof.  Ziegler  wirklich 
definitiv  angestellt  waren.  An  das  Hofgericht  erging  ein  Rescripl  um  ein  Gut- 
achten  über  die  Verbindlichkeit  zu  Auszahlung  der  Salarien  für  die  dimit- 
tirten  Lehrer.  Diese  waren:  der  Rector  Klein,  die  Prof.  Ziegler,  Heldrnann, 
Krisan,  Eüssemann,  Rüger  und  der  Zeichenmeister  Henzig,  unter  denen  einige 
allerdings  nicht  zu  regretliren  seyn  möchten,  andere  aber  ihre  Fähigkeit  auf 
eine  sehr  ausgezeichnete  Weise  an  den  Tag  gelegt  hatten,  so  daß  besonders 
die  Entlassung  des  Rector  Klein  eine  allgemeine  Klage  erregte.  Neu  angestellt 
wurden  vier  Geistliche  :  Pfarrer  Neser,  der  unter  der  bayerischen  Regierung 
vom  Gymnasium  entferat  worden  war,  Rutta,  Reuß  und  Biderrnann,  von  deren 
Obscurität  nichts  weiter  zu  sagen  ist,  und  zum  Präfecten  des  ganzen  Gym- 
nasiums und  Prof.  der  Philosophie  wurde  ernannt  ein  bereits  beym  Gym- 
nasium angestellt  gewesener  Hr.  Blüm,  der  während  der  bayerischen  Re- 
gierung, je  nachdem  die  Gelegenheit  sich  ergab,  sich  um  verschieden  Hiebe 
Professuren  bey  der  Universität  gemeldet,  und,  da  er  um  die  philologische 
nachsuchte,  angeführt  halte,  daß  er  alle  Eigenschaften  und  Kenntnisse  zu  be- 
sitzen glaube,  welche  im  Organisationsrescripl  als  wesentlich  dazu  angegeben 
würden  :  da  zum  Vorhilde  dieser  Forderungen  doch  niemand  geringeres  als 
ein  Yoß  gedient  hatte.  Früher  hatte  er  sich  um  die  mathematische  Lehrstelle 
beworben  ;  die  Philosophie  ist  also  jetzt  das  dritte  Fach,  worin  der  .Mann 
excellirt.  Man  hatte  ihn  immer  durch  alle  Instanzen  als  untüchtig  zurück- 
gewiesen ;  ja  in  einer  Charakteristik,  welche,  noch  am  Tage  vor  der  Er- 
scheinung des  Edictes,  der  Landesdirection,  man  weiß  nicht  zu  welchem  Ende, 
abgefodert  wurde,  war  dieser  Blüm  als  unfähig  zum  Lehrer  der  Poesie  und 
Rhetorik,  als  welches  er  bis  daher  gewesen  war,  angegeben.  Da  ihm  und  einem 
Hr.  Schön  zugleich  verstattet  wurde,  als  Professoren  der  Philosophie  bey  der 
Universität  mit  zu  gellen,  und  am  Ende  <\<'>  Schuljahres  die  ausgezeichnetsten 
Schüler  zu  Doctoren  der  Philosophie  creiren  zu  dürfen  :  so  sind  bereits  die 
kräftigsten  Gegenvorstellungen  von  Seiten  der  Universität  gemacht  worden, 
worin  die  Unfähigkeit  beider  gerade  zu  erklärt  und  verlangt  wurde,  daß  ihnen 
bedeute!  werden  möchte,  der  Universität  nicht  länger  mit  ihren  Anmaßungen 
lästig  zu  fallen.  Dennoch  ist  es,  der  allgemeinen  Meinung  nach,  der  nämliche 
Hr.  Blüm,  der  sich  unter  der  bayerischen  Regierung  ohne  Grund  für  einen 
Verfolgten    der   bischöflichen    ausgab,   and    beym    Antritt    der    jetzigen    diese'be 


Erich  Frank  : 

Rolle,  in  Bezug  auf  das  bayerische  Gouvernement,  spielte,  welcher  jetzt  am 
geschäftigsten  war.  die  Veränderung  hervorzubringen,  die  vor  allen  Dingen 
nur  den  Rector  sprengen  sollte,  an  dessen  Stelle  er  gelang!  ist.  Alle  Gut- 
denkenden, im  Klerus  sowohl,  als  unter  dem  übrigen  Publicum,  hallen  dafür, 
daß  auf  diese  Art,  was  die  Regierung,  was  insbesondere  der  mild  und  ver- 
ständig gesinnte  Minister  als  eine  heilsame  Reform  intendirte,  nur  eine 
schlechte  Pfaffengeschichte  geworden  sey.  Von  der  Reform,  so  weil  sie  nichl 
persönlich  ist,  ist  bereits  so  viel  bekannt,  daß  statl  5  nun  7  Classen  am 
Gymnasium  sind,  und  jeder  Lehrer  eine  Classe  für  sich  hat,  ferner  :  daß  jetzt 
er  stunden  für  die  alten  Sprachen  festgesetzt  sind,  als  durch  die  baye- 
rischen Einrichtungen,  in  manchen  (.'lassen  nur  die  Hälfte,  unerachtel  man 
den  Mangel  an  hinlänglichem  Sprachunterricht  als  Hauptgrund  einer  not- 
wendigen Veränderung  angeführt  hatte.  Die  Lehrstunden  sind  im  Ganzen  ver- 
minder! worden,  dagegen  die  Beichttäge  versechsfacht,  und  die  lange  schwarze 
geistliche  Kleidung  ist  den  Lehrern  wiederum  vorgeschrieben.  —  Bemerkens- 
werth  ist  es.  daß  man  auch  kürzlich  den  noch  übrigen  fünf  jungen  Leuten, 
tus  dem  geistlichen  Seminarium  gestoßen  wurden,  weil  sie  die  Vor- 
lesungen der  Proff.  Paulus  und  Schelling  besucht,  die  Entschädigungspension, 
welche  ihnen  das  bayerische  Gouvernement  zugestanden  hatte,  ohne  Weiteres 
entzogen  hat.  —  Die  Nachwehen  des  so  gewaltsamen  Zustandes  von  Würz- 
burg, besonders  in  Absicht  der  Philosophie,  fangen  gleichfalls  an  sicli  zu 
zeigen.  Es  war  seltsam  genug,  daß  während  der  bayerischen  Periode  die 
Geistlichkeit  (den  eben  erwähnten  Schritt  abgerechnet)  öffentlich  wenigstens 
sich  gegen  die  Philosophie  ruhig  verhielt  ;  wenn  es  nicht  darum  geschah,  weil 
einige  Protestanten  mittlerweile  die  Rolle  der  Pfaffen  übernommen  hatten  : 
sodaß  diese  erst  jetzt  es  wieder  für  nöthig  halten,  für  sich  selbst  einzutreten. 
Hr.  Klein,  der  sich  um  eine  Stelle  bey  der  Universität  bewarb,  die  sein  Talent 
und  seine  Wissenschaft  gewiß  mit  Ehren  ausfüllen  würde,  gerieth  dabey,  wie 
es  scheint,  von  der  Charybdis  in  die  Scylla.  Das  Gesuch  wurde  nach  der 
eingeführten  Weise  von  der  Curatel  an  die  philosophische  Facultät  und  an 
Senat  befördert.  Hr.  Klein  aber  ist  Verfasser  eines  Buchs  :  Darstellung 
der  Philosophie,  als  Wissenschaft  des  All  etc.  (Würzburg,  bey  Baumgärtner 
L805).  Das  war  denn  freylich  für  gewisse  Personen  ein  unleidlicher  Urn- 
stand ;  die  Senatssitzung  über  diesen  Gegenstand  fiel  so  stürmisch  aus,  daß 
man  sich  kaum  vorstellen  möchte,  daß  solche  Scenen  jetzt  noch  möglich 
wären,  welche  ganz  an  die  Zeiten  finsterer  Verfolgungssucht  erinnern.  Hr. 
Berg,  der  in  der  Kirchengeschichte  mit  Meisterhaftigkeit  die  Taktik  ehemaliger 
Zeloten  zu  schildern  weiß,  stellte  das  von  Herrn  Klein  dargestellte  System 
dar  als  das  für  Kirche  und  Staat  gefährlichste  Ungeheuer,  las  zu  dem  Ende 
abgerissene  Stellen  aus  der  Schrift  des  Hn.  Klein  vor,  kritisirte  den  Ti'e', 
hob  Druckfehler  heraus  a.  s.  w.,  auch  hatte  er  bey  sich  :  Steffens  neuestes 
Werk  :  Grundzüge  der  philosophischen  Naturwissenschaft,  und  las,  um  die  Ge- 
fährlichkeit dieser  Philosophie  därzuthun,  vorzüglich  die  Stellen  S.  192  und 
193  vor.  Es  ist  auf  jenen  Blättern  vom  weiblichen  Busen  die  Rede:  aus  Hn. 
Schad's  Lebensbeschreibung  isl  bekannt,  welche  Anfechtung  diesem  geistigen 
Herrn  die  beata  ubera  l>.  virginis  Mariae  in  mehreren  kirchlichen  Gesängen 
und  Gebeten  verursachten,  aber  gilt  denn  diese  Noth  auch  für  andere?  —  Von 
Hn.  Metz  ebenfalls  ein  (leistlicher,  und  vor  der  bayerischen  Regierung  ein- 
Lehrer der  Philosophie  an  der  Universität)  ist  es  besser,  zu  schweigen. 


Rezensionen   über  schöne  Literatur  von   Schelling  und   Caroline.         63 

und  nur  anzuführen,  daß  selbst  die  Zuneigung  der  Jugend  Hn.  Klein  zum  Ver- 
brechen gereichen  mußte,  indem  die  neue  unlogische  (d.  h.  den  Zulauf  in  die 
gewöhnlichen  Collegia  über  die  Logik  mindernde)  Philosophie  mit  dem  Leicht- 
sinn der  Jugend,  nichts  gründliches  zu  lernen,  harmonire.  Hr.  Oberthür  be- 
diente sich  der  Religion  als  Schild  seiner  Einwendungen,  indem  ja  nach  der 
üeberzeugung  aller  Welt  diese  Philosophie  sie  von  Grund  aus  ti'ge  —  man  solle 
doch  froh  seyn,  sie  so  weit  von  der  Universität  weggeschafft  zu  haben,  und 
sie  auf  keine  Weise  wieder  Wurzel  greifen  lassen.  So  sprach  der  helle  und 
wohlunterrichtete  Hr.  Oberthür,  der  auf  seinen  Reisen  in  das  nördliche 
Deutschland  das  sanfte  Licht  seiner  Aufklärung  so  weit  hat  leuchten  lassen. 
Ganz  anders  aber  der  wackere  Andres,  der,  gleichfalls  ein  Geistlicher,  aber 
im  schönen  Sinn  des  Worts,  mit  Nestorischer  (lewalt  jenen  entgegenhielt,  wie 
man  von  jeher  gegen  die  Philosophie  und  jeden  einzelnen  eminenten  Philo- 
sophen das  nämliche  vorgebracht,  und  wie  weder  die  Philosophie  noch  die 
Religion  je  durch  einander  gelitten  :  ganz  im  Geiste  des  allen  Franken  un- 
vergeßlichen edlen  Franz  Ludwig,  dessen  Erklärung  bey  der  am  Reichstage 
movirten  Frage  :  ob  die  Kantische  Philosophie  gelehrt  werden  dürfe,  hier 
noch  im  frischen  Andenken  seyn  sollte,  da  zum  Theil  eben  diese  Ankläger  der 
späteren  Philosophie  beym  Vortrag  der  Kantischen  dadurch  geschützt  wurden. 
Das  gleiche  that  Prof.  Behr,  der  sich  immer  auf  der  Seite  des  Rechten  und 
Tüchtigen  zeigte  ;  desgleichen  waren  die  übrigen  Jurisien  aus  innerer  Recht- 
lichkeit für  das  Gesuch  des  Hn.  Klein,  und  wie  zuletzt  die  Stimmen  getheilt 
waren,  entschied  der  würdige  Prorector,  Hr.  Kleinschrod,  für  ihn  durch  die 
seinige.  —  Außer  den  Hnn.  Berg  und  Metz  fand  sich  auch  Hr.  Rückert,  ehe- 
mals Klostergeistlicher,  unaufgefordert  mil  einer  doppelten  Vorstellung  bey 
dem  Senat  und  dem  Ministerium  gegen  Hn.  Klein  ein.  Man  erwartet  mit 
großer  Theilnahme,  wie  sich  die  Sache  vollends  entscheiden  wird.  Von  der 
leidenschaftlosen  Unparteyi ichkeil  des  Ministers  ist  alles  Billige  zu  erwarten  ; 
wie  weit  aber  eine  gewisse  Partey  es  treiben  weide,  isl  nicht  vorauszusehen, 
da  bereits  eine  Äußerung  fiel  :  wenn  Hr.  Klein  auch  zum  Professor  ernannt 
würde,  so  müßte  sich  doch  das  Vicariat  dagegen  auflehnen.  So  sollte  es 
denn  in  unserem  Zeitalter  noch  möglich  seyn,  daß  die  Geistlichkeit  das  Ver- 
fahren eines  Regenten  in  seinem  Staat  umzustoßen  oder  zu  verhindern  Indien 
dürfte,   und  sich  eine  Regierung  in  der  Regierung  anmaßte?   — 

2.  Zwei  Marienhymnen  von  Fichte. 

Daß  die  beiden  im  Folgenden  mitgeteilten  Gedichte  von  *.  aus  dem  Cha- 
misso-Varnhagenschen  Musenalmanach  Fichte  zum  Verfasser  haben  Vgl.  oben 
S.  52f.)  geht  zur  Gewißheil  aus  der  Stelle  eines  Briefes  von  Chamisso  an  Hitzig 
vom  Herbst  1804  hervor:  „Ich  muß  dich  aufmerksam  machen  auf  die  wenigen 
Gedichte  von  *,**.,***."  Alle  von  Fichte,  setit  der  Herausgeber,  Hitzig,  hinzu 
(Chamissos  Werke,  V,  46).  Sollte  man  Hitzig  aber  den  Glauben  verweigern 
wollen,  so  läßt  sich  noch  eine  Äußerung  von  Varnhagen  anführen,  der  als 
der  eine  der  Herausgeber  über  die  Beiträge  zuverlässig  unterrichtet  gewesen 
sein  muß.  Dieser  erzählt  in  seinen  Denkwürdigkeiten,  I,  2SS  von  den  ver- 
schiedenen Mitarbeitern  am  zweiten  Jahrgang  des  Musenalmanachs  und 
schließt  seine  Aufzählung  mit  den  Worten  :  „unseren  Stolz  und  Ruhm  aber 
krönte,   daß    Fichte  selber    mit    vier   Gedichten   in    unserer   Reihe   stand".     Da 


til-     Erich  Frank:    Rezensionen  über  schöne  Literatur  von  Schelling  und  Caroline. 


zwei  \on  diesen  vier  Gedichten  die  in  den  Uli'.,  Bd.  VIII,  161  abgedruckten 
Sonette  von  **.  und  ***.  sind,  so  können  die  zwei  anderen  nur  in  den  beiden 
„Hymnen  aus  dem  Lateinischen  von  ;."  gesuchl  werden.  Was  nun  auch  immer 
Grund  gewesen  sein  mag,  aus  dem  die  Herausgeber  von  Fichtes  Werken 
diesen  Hymnen  die  Aufnahme  versagten  —  sei  es  ihre  mangelhafte  Form 
oder  was  sonsl  .  es  isi  so  interessant  zu  sehen,  wie  auch  der  Erzprotestanl 
Fichte  seinen  X* »l l  der  katholisierenden  Richtung  der  Romantik  gezahlt  hat, 
daß  wir  es  nicht  unterlassen  möchten,  diese  Gedichte  einem  weiteren  Leser- 
kreis  bekannt   zu  geben. 

Hymnen  ans  dem  Lateinischen     Musen-Almanach,  S.   1(>). 

1.)   Auf  Maria's   Geburt. 

(i  quam  decora.) 


Hellglänzend    steigt    her, 

Auroren  bleicht   er 

Dein  Aufgang,  du   Überschwengliche; 

Mond,  Sonne  bist   du 

Das   Lichtreich   Inst  du 

Maria,   das   unvergängliche. 

Irrt    wer   in    Wogen 

Von   Nacht   umzogen 

Geworfen  im  Kalme,  dem  krachenden; 

Mond   Sonne  bisl   du 

Der   Leuchtturm  bist   du 

Dem  Segler  zum  Porte,  dem   lachenden. 


Ich   will   alleine 

Sil    deinem    Scheine 

Nachgehen  hienieden  im  Flimmerlicht; 

Mmid,   Sonne  bist   du, 

Die  Fackel   bist  du 

Hinleitend  zur  Quelle  von  Himmellicht. — 

Darum  der  Theuren 

Geburt   wir  feiren  [den; 

Wohl  über  i\en  Erdkreis,  den  schweben- 

Seil   sie  dm-  Sfären 

Gewolli   entbehren 

Maria,  die  .Mutter  der  Lebenden. 


.Niemals   erquickender, 
Niemals   entzückender 
Föbus  sich  wiese  ; 
Als  da   erneuet   ward 
Höher  geweibet  ward 
Das   Paradiese. 

Dieses  beladel   nicht. 
Innerhalb  schadet   nicht 
Teuflichc   Lugsucht, 
Noch  der  versagete 
Kläglich  gewagete 
Biß  in  die  Trugfrucht. 

Dieses  verderbten   nicht. 
Diesem  vererbten   nicht 
Giftige   Düfte  ; 
Nährend  durchgehen  es. 
Klärend  durchwehen  es 
Heilige   Lüfte. 


unbefleckte  Empfängniß  Maria's. 
Nunqüam  serenior.) 

Wie   in   gedrängem   Heer 
Stehn  in  ihm  eng  umher 
Tugenden-Blüthen  ; 
Saugen  ohn'   Überdruß 
Nektar  vom   Überfluß 
Göttlicher  Güten. 

Mitten   im   Schwebe-Raum 
Thul   es  den    Lebebaum 
Treuiglich    warten  : 
Lebebaum    Jesus    isl. 
Unser    Herr   .lesus    Christ  : 
Gehn   wir  zum   Garten. 

(lehn    wir,    er   offen    ist. 
Kühnlich   zu   hoffen    ist. 
Sind   wir  da,  siehe, 
Dies    Paradiese   sieh, 
Wie   es   sich    wiese  nie, 
Jungfrau'n   Marie. 


\ 


^i-    V 


Carl  Winter' s  rniversitiitshiichhaiulliuig  in  Heidelherg. 


Sitziiucjsbcrichtc  der  Heidelberger  Akademie 
der  Wissenschaften 

(Stiftung  Heinrich  Lanz) 

Philosophisch  -  historische  Klasse. 
Jahrgang  1912. 


1.  Frank.  Ebich.    Rezensionen  über  schöne  Literatur  von  Schelling  und  Caroline 
in  der  Neuen  Jenaischen  Literatur-Zeitung.    (1912,  1.)    2,—  Mk. 

-2.  SroECKius,  Hermann.     Die  Reiseordnung  der  Gesellschaft  Jesu   im  XVI.  Jahr- 
hundert.    (1912,  2.)     1,50  Mk. 


C.  F.  Wintersche  Bncbdruckerei. 


■ 


Frank,  Erich 
Rezensionen 


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