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Frank, Erich
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Sitzungsberichte
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Stiftung Heinrich Lanz
Philosophisch - historische Klasse
— Jahrgang 1912. 1. Abhandlung. —
Rezensionen
über schöne Literatur von
Schelling und Caroline
in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung
ERICH FRANK
in Heidelberg
Eingegangen am 12. Februar 1912
Vorgelegt von Wilh. Windelband
Heidelberg 1912
Carl Winter's Universitätsbuchhandlung
Verlags- Nr. 743.
Sitzungsberichte
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Stiftung Heinrich Lanz
Philosophisch - historische Klasse
- Jahrgang 1912. 1. Abhandlung. -
Rezensionen
über schöne Literatur von
Schelling und Caroline
in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung
ERICH FRANK
in Heidelberg
Eingegangen am 12. Februar 1912
Vorgelegt von Wilh. Windelband
Heidelberg 1912
Carl Winter's Universitätsbuchhandlung
Verlags- Nr. 743.
Inhalt.
Seite
Vorbemerkungen 3
I. Die Rezensionen Schell iiigs 13
II. Die Rezensionen Carolinens 24
III. Eine gemeinsam von Schelliug und Caroline veifaßte Rezension über
Romane 37
Anmerkungen zu diesen Rezensionen 4<>
Anhang 1. Die anonymen Korrespondenzen Schellings im Intelligenzblatt der
Literatur-Zeitung 58
2. Zwei Marienhvmnen von Fichte 63
i 07
F73
\\ ährend Schelling auf der Höhe seines philosophischen Ruhmes
stand, wußten wohl nur wenige unter den Zeitgenossen von seinen
dichterischen Produktionen, zu denen zu bekennen er sich Zeit seines
Lebens gesträubt hat. Daß sich unter dem Pseudonym Bona-
ventura im Schlegel -Tieckschen Musenalmanach vom Jahre 1802
der bekannte Philosoph verberge, das mag noch verhältnismäßig früh
auch zu einem weiteren Kreise gedrungen sein ; wenigstens liest man
diese Angabe, wie Franz Schultz (Der Verfasser der Nachtwachen.
S. 185), festgestellt hat, schon seit dem Jahre 1818 in den gebräuch-
lichsten literarischen Nachschlagewerken der Zeit. Aber selbst eine
so eigenartige und bedeutende Schöpfung wie das , .Epikurisch Glau-
bensbekenntnis Heinz Widerporstens" ist als Ganzes und als Schel-
lings Werk erst lange nach seinem Tode bekannt geworden. An-
gesichts dieses Dunkels, das Schelling über die Herkunft seiner dich-
terischen Versuche mit Geschick zu breiten verstanden hat, lag
von vornherein der Verdacht nicht fern, daß noch andere Beweise
seiner Beschäftigung mit der schönen Literatur existieren möchten,
von denen man noch nichts weiß. Aus der Zeit bis 1803 könnte
dies nun kaum sein. Denn bis dahin sind wir durch die Briefe
an A. W. Schlegel1), den Schelling in allen literarischen Dingen
ins Vertrauen und zu Rate zog, wohl über den ganzen Kreis
seiner künstlerischen Pläne und Arbeiten unterrichtet. Aber mit dem
Jahre 1803 versiegt diese Quelle, und von da an sind wir nur auf
sehr spärliche Andeutungen in den Briefen Schellings und Garo-
linens angewiesen, die nicht hinreichen, jenes Dunkel völlig zu zer-
streuen. So konnte es kommen, daß man Schelling lange für den
Verfasser jenes, von einem merkwürdigen Geheimnis umgebenen
Buches gehalten hat, das zur Michaelismesse 1804 im Verlage von
Dienemann in Penig unter dem Titel „Nachtwachen von Bonaven-
tura" erschienen ist. und das man wohl ohne Übertreibung eines
der genialsten Produkte der Romantik nennen darf. Aber wenn auch
1) Die Briefe Schellings an Schlegel haben sich ziemlich vollständig im
Schlegelschen Nachlaß vorgefunden ; jetzt in der Kgl. öfftl. Bibliothek zu
Dresden (Bd. 20).
l*
4 Brich Frank :
der Versuch, den neulich Franz Schultz gemacht hat (a. a. 0.
s. i'.i-.i- -328), dies Werk dem guten Friedrich Gottlob Wetzel zu-
zuschreiben, wohl niemanden, der die Schriften dieses untergeord-
neten Geistes kennt, überzeugen wird, so sticht doch andererseits
der sinnlichbewegte Stil der Nachtwachen so sehr von Schellings
sonst bekannter Prosa ab. — die, so geistvoll sie auch stets kon-
struiert, doch nie die Ruhe der Abstraktion verliert — daß man sich
nicht leicht dazu verstehen kann, sie dem Philosophen zuzutrauen.
Die interessante Auflösung dieses literarhistorischen Rätsels
wollen wir uns jedoch für einen andern Ort (Germanisch-Romanische
Monatsschrift 1912) aufsparen und uns hier damit begnügen, eine
viel bescheidenere literarische Mystifikation Schellings und Carolinens,
als es die „Nachtwachen" wären, aufzudecken. So wird man immer-
hin die belletristischen Rezensionen nennen dürfen, die in den Jahren
1805 — 1809 in der Jenaischen Literatur-Zeitung erschienen und als
deren Verfasser Schelling und Caroline bis heute unerkannt geblieben
sind"-), trotzdem manche von ihnen kein gewöhnliches Aufsehen zu
ihrer Zeit hervorgerufen haben. Und diese Beurteilungen ragen in
der Tat so sehr durch ihren Geist, ihren Humor, ihre Einsicht und
ihren Witz hervor, daß sie noch heute, wo die besprochenen Bücher
zum Glück längst verschollen sind, eines gewissen Interesses sicher
sein können.
Daß noch unbekannte Rezensionen von Schelling existieren
müßten, war durch die Stelle eines Briefes, der sich bei Plitt „Ans
Schellings Leben in Briefen" II, 83 abgedruckt findet, nahegelegt.
„Die Rezension", schreibt hier Schelling am 2. April 1S0G an
Eichstädt, den Redakteur der neuen Jenaischen Literatur-Zeitung,
„wird, wie ich hoffe, ihren Bemerkungen entsprechen. Ich muß
mich unverständlich ausgedrückt haben, da sie einen Aufsatz über
den bewußten Autor erwarteten." Aber von dieser Rezension wissen
wir nichts; und wie sie herausfinden, wo die Beiträge der Literatur-
-' ,i Allerdings mit einer Ausnahme: Waitz bat in seiner Ausgabe der
Bd. I Vorbemerkungen, S. V, und Bd. II, S. 378) schon die Be-
o i in Nr. 107 der Jenaischen Literatur-Zeitung v. J. 1805 über Varnhagen
und Chamissos Musenalmanach richtig Carolinen beigelegt und die Ver-
mutung Varnhagens (Chamissos Werke, V = Briefe, I, 70, ,\ |, „der Ver-
• sei ein Herr von Jariges", zurückgewiesen. Trotzdem findet sieh aber
falsche Ansähe noch bei Goedecke, VI, § 291, 1, 3 (ebenso in dem Neu-
druck des Musenalmanachs 1806 von L. Geiger, S. XII). Von der Beurteilung
der Erzählungen von Kotzebue und Eberhard heißt es ebenda nur kurz, daß
sie handschriftlich vorliegt.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 5
Zeitung nicht mit Namen, sondern mit Ghiffern unterzeichnet .sind,
die noch dazu, um das Geheimnis der Verfasserschaft strenger zu
wahren, oft geändert wurden? Zwar wissen wir. daß Schelling seine
Rezensionen in der Regel mit TT-x-v zeichnete3), aber beim Durch-
blättern der Zeitungsnummern aus den in Betracht kommenden Mo-
naten fand sich keine Beurteilung unter diesem Zeichen — aber es
fand sich etwas anderes: in Nr. 96 und 97 vom 16. und 17. April
1806, also gerade in der Zeit, in der man die gesuchte Rezension
vermuten würde, steht eine mit K\. unterschriebene Besprechung
von Fichtes „Wesen des Gelehrten", deren geistreiche Polemik und
überlegene Ironie schon Goethe auf einen vorzüglich gebildeten Geist
schließen ließ (Weimarer Ausgabe Abt. IV Nr. 5191). — Sollte das
etwa die gesuchte Rezension sein? Diesen Verdacht haben wir in
unserer Ausgabe von Fichtes „Seligem Leben" ausgesprochen. In der
Tat diese ..im schönen Gleichmaß von Billigkeit und Einsicht gehaltene
Besprechung" könnte ihrer sprachlichen Form, wie ihrer philosophi-
schen Tendenz nach gut von Schelling sein; und kein geringerer
Zeuge als Fichte selbst ließe sich dafür anführen, der dies für be-
stimmt angenommen und Schelling sogar öffentlich in nicht mißzu-
verstehenden Worten (in der -2. Beilage der im Mai 1806 erschie-
nenen „Anweisung zum seligen Leben"4) der Verfasserschaft be-
zichtigt hat. Und doch stand dieser Vermutung, wie schon damals
betont wurde, vieles entgegen. Nicht nur, daß von Personen, die
man für eingeweiht in das Redaktionsgeheimnis halten mußte, mit
aller Bestimmtheit der Historiker Heinrich Luden als Verfasser
genannt wurde; schwerer fällt vielleicht noch ins Gewicht, daß in
derselben Zeitung bald darauf (in der Nr. vom 26. und 21. Juni) der
ersten eine zweite Besprechung von Fichtens Buch folgte, die nun
ohne Zweifel von Schelling selbst verfaßt und auch mit den Initialen
a) Plitt, II, 104 (vgl. TT'U'., I, 1, 4(JSff. = Jenaische Literatur-Zeitung
1807, Nr. öS, 59) ; die andere von Plitt angeführte Chiffre P-p-s. gehört nicht
Schelling, sondern Schleiermacher. Johannes von Müller zeichnete mit Ths.
Thukydides), Goethe und die anderen Weimarer W. K. F. (Weimarer Kunst-
freunde), Reinhold mit Dr., der Historiker Luden mit A d. usw. Die Chiffre
K/L gehört nicht Luden, wie Biedermann und die Weimarer Goethe-Ausg.
IV, Bd. 22. S. 468, ineint, sondern einem Koethe in Lübben. Das Zeichen
Carolinens: BIT. ist wohl Böhmer-Schlegel-6'chelling zu lesen.
4) Diese 2. Beilage ist in den „Sämtlichen Werken" fortgelassen. Ab-
gedruckt ist sie erst wieder in der neuen Ausgäbe von Fichtes Werken von
F. Medicus, Bd. V, S. 2863., und in des Verf. Ausgabe der „Anweisung zum
seligen Leben", Jena 1910, S. 222 ff.
t; Erich Frank :
seines Namens unterzeichnet ist und in der Schelling in einer
so außerordentlich lobenden Weise der ersten Beurteilung Erwäh-
nung tut, daß es kaum zu verstehen wäre, wenn sie auch von ihm
herrührte. Aber ein gewisser Verdacht mußte trotz allen diesen
entgegenstehenden Gründen so lange an Schelling haften bleiben, als
man nicht mit aller Bestimmtheit die Bezension nachgewiesen hatte,
die Schelling im Frühjahr 1806 der Redaktion eingesendet haben
muß. Indes aus dem uns damals allein vorliegenden gedruckten
Material ließ sich diese Frage nicht entscheiden.5) Aber dank einer
glücklichen Fügung oder vielmehr der klugen Voraussicht Goethes,
des Gründers und des eigentlichen Leiters der Literatur-Zeitung —
wenigstens während der ersten Jahre ihres Bestehens — , sind uns
noch die gerade für die Entscheidung unserer Frage wichtigsten
Stücke des Bedaktionsarchivs erhalten. Denn Goethe hatte in weisem
Vorbedacht künftiger Neugier alle auf die Literatur-Zeitung bezüg-
lichen Akten in grölHer Ordnung verwahren lassen, „denn vielleicht,"
meinte er („Tag- und Jahreshefte" 1803 Weimarer Ausgabe 35, 154),
„ergötzen sich unsere Nachkommen an dem Hergang der für uns
wenigstens höchst bedeutenden Begebenheit". Diese Akten sind
jetzt im Weimarer Goethe- und Schillerarchiv; ein anderes Stück
der Bedaktionspapiere befindet sich in der Jenaischen Universitäts-
bibliothek: es sind das die alten Meükataloge, nach denen von der
Redaktion die Verteilung der eben erschienenen Bücher an die ver-
schiedenen Bezensenten vorgenommen wurde. Jedem Buche ist da
die Nummer des Bezensenten, das Datum, an dem die Bezension
5) A. a. 0. (S. 2 19 f.) mußte darum der Verf. diese Frage noch offen
lassen. Wenn dort gesagt ist, daß man „im Weimarer Kreis, den man doch
für eingeweiht halten sollte, den Jenenser Historiker Heinrich Luden als den
Verfasser" der Rezension nannte, so stützte sich diese Behauptung weniger
auf die Stelle eines Briefes Schleiermachers an Brinckmann (Aus Schleicr-
machers Leben, IV, L29), die nur von tierüchlen redet, als auf ein noch
ungedrucktes Schreiben des Geh. Rat Voigt an Eichstädt vom 26. April L806,
aus dem Biedermann in seiner Ausgabe der Briefe Goethes an Eichstädt^
S. 200, folgendes Stink mitteilt: „Ich erhielt heule e. Besuch v. d. Hrn. Geh.
R. v. Goethe. Da er die Fichtische Recension sein- lobte, so sprach ich üb.
deren Verfasser u. producirte das eben bei mir liegende 58. Stück der
Götting. Anzeigen" (dort ist Ludens „Hugo Grotius" rezensiert), „mit. Er-
wähnung der Absicht, die man seinetwegen hege. Er war damit überaus zu-
frieden." Daraufhin wurde dann Luden noch im Mai 180G als Prof. exlr. nach
Jena berufen Ada Academica der Univ. Jena. Luc. II. lach 58, Nr. 638). Aus
den Akten der Literatur-Zeitung ergibt sich denn tatsächlich, daß Luden jene
Rezension wenigstens eingesendet hat.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 7
eingegangen, und die Stelle, wo sie abgedruckt ist, mit um so
größerer Gewissenhaftigkeit beigeschrieben, als nach diesen Auf-
zeichnungen offenbar die Verrechnungen erfolgten. Ein Rezensenten-
verzeichnis löst die Bedeutung dieser Nummern auf: so ist z. B.
mit 1 Goethe, mit 4 Schiller, Schelling aber mit 409 gemeint. Fast
alle bedeutenden Namen jener Zeit finden sich in diesem Katalog.
Nur Hegel fehlt. Auch er war von Goethe zur Teilnahme aufgefordert
worden (Br. vom 15. Dez. 1803 Weimarer Ausgabe XVI, 4779). Aber
die Proberezension, die er einsendete, stellte Goethe nicht zufrieden,
und seither hat Hegel nichts mehr beigetragen.
Aus diesen Belegen6) ergibt sich nun, wohl zur allgemeinen
Überraschung, daß die in jenem Brief von Schelling erwähnte
Rezension eine Besprechung von A. v. Kotzebues ., Kleinen Ro-
manen, Erzählungen usw." gewesen ist. Aber nicht genug damit.
Bei weiterer Nachforschung kamen noch eine ganze Reihe ähn-
licher Beurteilungen ans Tageslicht, die alle in den Akten unter
dem Namen Schelling gehen. Aber darum müssen sie noch
keineswegs auch alle von ihm selbst verfaßt sein. Eine eingehendere
Untersuchung konnte vielmehr mit Bestimmtheit feststellen, daß ein
großer, ja der größere Teil derselben Carolinen zuzuweisen ist. Mit
diesen Rezensionen hat es nun eine eigene Bewandtnis. Schon am
20. Juni 1804 hatte sich Eichstädt an Schelling mit der Bitte ge-
wandt, ihm einen tüchtigen Mitarbeiter im Fache der schönen Lite-
ratur zuzuweisen. Die Belletristik, das war überhaupt für den Re-
dakteur der Literatur-Zeitung eine böse Sache ! Schon in den ersten
Monaten des Bestehens der neuen Zeitung mußte Eichstädt Goethe
sein Leid klagen, wie schlimm es sei, „daß zu den gewöhnlichen
Produkten der sogenannten Belletristik vorzügliche Rezensenten
sich nicht verstehen, und jene Produkte gleichwohl angezeigt werden
müssen, schon der Verleger ha(l)ber".7) W.Schlegel, von dem man
G) Zu diesen Quellen, auf die ich durch einen freundlichen Hinweis von
Herrn A. Leitzmann in Jena aufmerksam gemacht worden bin, kommen noch
die ungedruckten Briefe Eichstädls an Schelling, in Schellings Nachlaß, deren
Benutzung mir in dankenswertester Weise gestattet wurde. Das Studium aller
dieser Akten an Ort und Stelle ist mir durch eine Unterstützung der Heidel-
berger Akademie der Wissenschaften ermöglicht worden, für die ich auch hier
meinen Dank abstatte. Vor allem ist aber der Verfasser Geh. Rat Windel-
band für mannigfaltige Förderung dieser Arbeit verpflichtet.
") Brief von Eichstädt an Goethe v. 15. April 1801 in den im Goethe-
Archiv befindlichen „Acta, die allgemeine Jenaische Literatur -Zeitung betr.",
1S04, Vol. III, 80.
v Erich Krank :
sich gerade in diesem Fache viel versprochen hatte — waren doch
der alten Jenaischen Literatur-Zeitung in einem Zeitraum von nicht
mehr als 41 a Jahren last 300 Rezensionen von ihm eingesendet
worden'') — schien anfangs die neue Zeitung im Stich lassen zu wollen.
In der Tat hat er bis zum Jahre 1808 nur acht Rezensionen geliefert
(von Böcking in den Werken Bd. XII, 157ff. abgedruckt).8) Da schlug
Goethe Schiller als Rezensenten für dieses Fach der Literatur vor
(Weimarer Ausgabe IV Nr. 4958). „Mit Hilfe dieses vortrefflichen
Mannes", antwortete Eichstädt, „würde freilich in dem belletristischen
Fache bald und glücklich aufgeräumt werden, wenn er nur Lust
und Mut genug behielte. Aber", fügte er gleich hinzu, „eigene Er-
fahrung flößt einiges Mißtrauen in die Beharrlichkeit ein, welches
ich Schillern selbst nicht verhehlt habe." (Br. v. 22. Juli 1804 in
in den ..Akten" Vol. III, 129.) Dieses Mißtrauen erwies sich nur
als zu berechtigt. Tatsächlich hat die Literatur- Zeitung nie einen
Beitrag von Schiller erhalten. In dieser Not kam nun Eich>tädt
von Schelling Hilfe. Am 20. Dezember 1804 (Plitt II, 43.) schreibt
er dem Redakteur: „Wegen des Mitarbeiters im Fache der schönen
Literatur weiß ich keinen andern Vorschlag zu tun als diesen:
Schicken sie eine Anzahl Bücher aus diesem Fache hierher an mich.
Sie erhalten davon Rezensionen. Finden sie diese gut, so über-
nehme ich ein für alle Mal die Besorgung und kann für eine An-
zahl Beyträge von derselben Hand stehen." Eichstädt willigte mit
Freuden ein. Denn es war nicht schwer zu erraten, daß „der vor-
geschlagene Recensent am Ende wohl eine Recensentin sein wird",
(Br. an Goethe v. 30. Dez. 1804 in den „Acta"), und Caroline konnte
Eichstädt als Verfasserin mancher von W. Schlegel der alten Literatur-
Zeitung eingesandten Rezension nicht unbekannt sein.9) Und so
schickte er gleich nach Empfang des Briefes eine „kleine Anzahl
sogenannter belletristischer Produkte von der Expedition ab", um,
wie er sich Goethe gegenüber ausdrückte, „eine Probe zu machen".
(Br. Eichstädts an Goethe v. 30. Dez. 1804, Akten Vol. III, 168). Aus
den Akten können wir noch feststellen, welche Bücher das ge-
i -ein müssen: 'Bürde', 'Calezkf, 'Nathan der Weise' (Travestie),
Haym, Bomant. Schule, S. L65. Vgl. Schriften der Goethe-G
schaft, Bd. XIII (Goethe and die Romantik), S. 112—172.
Die Rezensionen Carolinens hat Schlegel in seiner Ausgabe der :,Kri-
hriften" vom Jahre L827 mil einem Sternchen bezeichnet, als die
einer Frau, „welche alle Talente besaß, um als Schriftstellerin zu glänzen,
deren Ehrgeiz aher nicht darauf gerichtet war".
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. '.>
die Zeitschrift Aurora" und der 'Musenalmanach von Varnhagen und
Ghamisso\ Schon am 22. Februar 1805 gingen die versprochenen
Rezensionen ein. Nur die Beurteilung des Musenalmanachs ließ
noch bis zum 2. April 1805 auf sich warten. Kein Zweifel, daß
diese Besprechungen alle von Caroline verfaßt sind: Zwei von ihnen.
die der 'Aurora" und die des 'Musenalmanachs', liegen uns noch
handschriftlich vor und zeigen im Manuskript die charakteristischen
Züge von Carolinens Hand. Aber dies allein wäre noch kein Be-
weis ihrer Autorschaft; denn wir wissen, daß Caroline alle Arbeiten
Schellings abzuschreiben pflegte, ehe sie in den Druck kamen
(vgl. z. B. Waitz, Caroline II Nr. 32G u. ö.). Und darum müßten
wir von vornherein annehmen, wenn wir es auch nicht bestimmt
wüßten, daß auch die von Schelling verfaßten Rezensionen von
Caroline abgeschrieben waren. So erfahren wir zufällig aus Waitz,
Bd. I, S. V, daß die Beurteilung der „Erzählungen von Kotzebue
und Eberhard*' noch von Carolinens Hand geschrieben vorliegt,
nur ..mit einem Zusatz von Schelling" ; — und doch ist sie
sicherlich ganz von Schelling selbst verfaßt. Zwar verpflichtete
§ 5, Punkt q des Kontraktes, den jeder Rezensent und so auch
Schelling hat unterschreiben müssen, ausdrücklich dazu, ..jede Re-
cension von des Herren Recensenten eigener Hand, jedoch ohne
seines Namens Unterschrift einzusenden," aber ebenso ausdrücklich
war Schelling von dieser Bestimmung befreit worden: ..Lassen
sie immer die Recensionen schreiben oder abschreiben, so wie es
ihnen gefällt;" schreibt Eichstädt an Schelling am G. März 1807,
..ich glaube die Handschrift zu kennen, und ich Aveiß, daß diese
geistvollen Züge von einer Hand herrühren, welche das letzte tut,
weil sie auch das erste vermag".10) Somit ist für die Frage, ob
eine Rezension von Schelling oder Caroline ist, die Tatsache ohne
Bedeutung, daß sie von Carolinens Hand geschrieben ist; deshalb
kann sie noch immer von Schelling verfaßt sein. Diese Frage läßt
sich vielmehr nur durch Beobachtung des Stiles endgültig entscheiden;
und das ist nicht schwer. Denn die abstrakte, und doch immer klar
gegliederte Sprache des Philosophen mit dem logisch geschlossenen
Aufbau der Gedanken scheidet sich so deutlich von den leichten und
schalkhaft- graziösen Sätzen Carolinens, daß es uns sogar gelungen
ist, in einer von Caroline und Schelling gemeinsam verfaßten
Rezension mit aller Bestimmtheit die Stelle (unten S. 39) zu zeigen,
') Eingedruckt im Schellingschen Nachlaß.
lu Erich Frank :
wo der Schellingsche Text aufhört und der Carolinens anfängt. Da
aber der Beweis für die Richtigkeit unserer Zuweisung der einzelnen
Rezensionen an Caroline und Schelling uns hier zu sehr ins einzelne
führen würde, so haben wir ihn lieber bei Gelegenheit der Erläute-
rung der einzelnen Stücke gebracht.
Dagegen möchte ein Wort über den allgemeinen Charakter der
neuen Jenaischen Literatur-Zeitung nicht unwillkommen sein. Wer
heute diese Zeitung, von der täglich — mit Ausnahme der Sonn-
ünd Feiertage — eine Nummer von einem halben Bogen erschien
und in der nichts anderes als Rezensionen stehen, durchblättert,
der wird es kaum verstehen, wie ein solches Blatt überhaupt sich
erhalten konnte; und doch konnte es nicht nur dies, ihr Redakteur
ist sogar reich an ihr geworden und konnte, als er starb, nicht
weniger als fünf Rittergüter seinen Erben hinterlassen (vgl. Bieder-
mann, Goethes Briefe an Eichstädt. Einleitung S. XXII). Dabei
waren die Honorare der Mitarbeiter für die damaligen Verhältnisse
keineswegs niedrig. Ein Rezensent erhielt für jeden Bogen einer
Rezension „171/2 Rhein. Taler Conventionsfuß",11) ein Korrespondent
für den Bogen der im ..Intelligenzblatt" zu veröffentlichenden Korre-
spondenzen 10 Taler, so daß man versteht, wie damals die Literaten
im wahren Sinne des Wortes vom Rezensieren leben konnten. Um
die Bedeutung dieser Zeitung für ihre Zeit recht zu begreifen, müssen
wir eben bedenken, daß jenem Geschlechte die Literatur etwa das
geworden war, was uns heute die Politik ist, und daß die litera-
rischen Ereignisse und Streitigkeiten das allgemeinste und lebhafteste
Interesse des Publikums hervorrufen konnten.
Die alte Jenaische allgemeine Literatur-Zeitung hatte nun eine
lmiix besondere Bedeutung dadurch erlangt, daß sie unter den Re-
dakteuren Schütz und Hufeland seit dem Jahre 1785 zum Organ der
kantischen Schule geworden war. Darin lag der Grund ihres großen
n) „Acta, die Stiftung einer Neuen Allgemeinen Literatur-Zeitung zu
Jena betr.", L803, Vol. I, 56; vgl. Wuttke, Die deutschen Zeitschriften,
S. 27: „Die (seil, alte) Jenaer Literatur-Zeitung entrichtete für den
Druckbogen •'; Friedrichsd'or, was bei dem Geldwerl im vorigen Jahrhundert
ein ansehnlicher Geldlohn war ; denselben Satz bezahlte die allgemeine
Literatur-Zeitung in Halle noch in den vierziger Jahren". — Die Gesamtkosten
■ Jahres der neuen Literatur-Zeitung sind von Eichstädt in einer
Eingabe an Goethe (Akten, Vol. I, 50) auf 10000— 12000 Taler berechnet
worden, wovon allein auf Rezensenten-Honorare 2738.12 Taler entfielen (auf
Druckkosten: 1229.20, Buchbinder: 290, Post: 100, Intelligenzblatt : 592,12,
Korrektur : 195,20).
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 11
Ansehens, darin aber auch der ihres späteren Verfalls. Denn indem
diese Zeitung am starren Kantianismus selbst in einer Zeit noch
festhielt, wo die Philosophie durch Fichte und Schelling schon längst
über diesen engen Standpunkt hinausgeführt worden war, mußte es
notwendig zum Bruche gerade der kräftigsten und hoffnungsvollsten
Talente mit ihr kommen. Haym hat ausführlich den Streit Schlegels
und Schellings mit der Literatur-Zeitung erzählt. (Romant. Schule,
S. 729 ff.) Die Folge des Abfalles der Führer war, daß sich die ganze
romantische Schule von der Zeitung abwandte, und nun ging es schnell
mit ihr bergab. Da glaubte der Piedakteur Schütz den drohenden
Verfall durch eine Verpflanzung des Blattes nach Halle aufhalten zu
können. Das wäre ein schwerer, vielleicht nicht zu verwindender
Schlag für die Universität Jena gewesen, die durch den Weggang so
vieler bedeutender Männer wie Fichte, Schelling, Hufeland u.a.
in den letzten Jahren schon schwer genug geschädigt worden war.
Als daher Goethe von dem Vorhaben der Redaktion, die Zeitung
nach Halle zu verlegen, Kenntnis erhielt (Ende August 1803), setzte
er gleich alles in Bewegung, um den heimtückischen Plan zu durch-
kreuzen. Seiner energischen Klugheit und wohl vor allem dem
Gewicht seines Namens gelang es denn in der Tat wider aller Er-
warten, in wehig mehr als drei Monaten in Jena eine neue Literatur-
Zeitung zustande zu bringen; und als am 1. Januar 1804 die alte
Literatur-Zeitung in Halle zu erscheinen anfing, da konnte auch schon
die erste Nummer der neuen „Allgemeinen Literaturzeitung" in Jena
ausgegeben werden. Goethe hat in seinen Tages- und Jahresheften
den ganzen Hergang anschaulich erzählt. Das erste aber war ge-
wesen, daß Goethe die Verbindung gerade mit den beiden Häuptern
der romantischen Schule, deren Abfall die eigentliche Ursache für
den Niedergang der alten Zeitung gewesen war, mit W. Schlegel
und Schelling, wieder anknüpfte. Hatte die alte Zeitung die kan-
tische Philosophie auf ihren Schild gehoben, so sollte die neue, um
sich deutlich von dieser abzuscheiden, sich der Philosophie Schellings
annehmen (vgl. Steffens, „Was ich erlebte", Bd. V, S. 11 ff. und der
Briefwechsel Goethes mit Schelling, Schlegel und Steffens in „Schriften
der Goethe-Gesellschaft", Bd. 13). Die neue Zeitung hatte darum ur-
sprünglich mit einer Rezension über Schellings Naturphilosophie von
eben demselben Steffens eröffnet werden sollen12), von dem die alte
12) Die Rezension erschien allerdings durch die Saumseligkeit von
Steffens erst in den Nummern vom 1. Mai und 10. Juni 1805.
12 ! ! ich Trank :
Literatur-Zeitung eine Rezension ober Schellings naturphilosophische
Schritten zurückgewiesen und damit den Anlaß zum Bruche Schel-
lings mit ihr gegeben hatte.13) Demonstrativer hätte der von der
alten ganz verschiedene Charakter der neuen Literaturzeitung nicht
betonl wnden können. Daß nun schließlich die Zeitung doch nicht
in dem Maße ein Ausdruck der neuen romantischen Bewegung wurde,
wie Goethe es ursprünglich offenbar beabsichtigt hatte, daran dürfte
der Redakteur Eichstädt schuld gewesen sein, der von seinem mehr
rfrerkantilischen Standpunkte aus es nicht für ratsam hielt, daß
die Literaturzeitung sich nach einer bestimmten Richtung hin fest-
lege. So wußte er es gleich anfangs bei Goethe durchzusetzen,
daß neben Schelling auch dessen Gegner Reinhold als Rezensent
im philosophischen Fache angenommen wurde14), „weil die andere
Partey auch in Leipzig recht geflissentlich das Gerücht verstreut
hat, daß unsere Zeitung nur die Schellingische Philosophie pre-
digen werde"' (ungedruckt im Goethe-Schiller-Archiv, , .Akten'' Vol. II).
Aber trotzdem wird man einer Zeitschrift, zu deren bedeutendsten
Mitarbeitern (neben Goethe, Johannes von Müller, Voß und Rein-
hold) Schelling, Caroline, W. Schlegel, Schleiermacher, Steffens,
Creuzer, Savigny, Solger, Baader und Oken gehörten, den roman-
tischen Charakter — wenigstens in den ersten Jahren ihres Be-
stehens — nicht ganz absprechen können.15)
! S. Schelling, WW., I, 3, S. 635 — 658 = Zeitschrift /. spekulative
'. 1800, Bd. I, ■!'..> — 99; an dieser letzten Stelle hat auch die erste
Rezension Steffens' ihren Platz gefunden. Vgl. Kuno Fischer, Schelling,
Heidelberg 1U02-, S. 85—90.
u) Reinhold besprach in Nr. 106 v. 4. Mai 1805 Müllers Lehre vom
Gegensatz, in Nr. 279f. v. 21 f. Nov. 1804 Fichtes sonnenklaren Bericht, in
der Nr. 94 v. 19. April 1804 Koppen „Schellings Lehre", in Nr. 7 1812
Fichtes Wissenschaftslehre u. a.
15) Indessen hat Bobeth in seinem interessanten Buche über die „Zeit-
schriften der Romantik", Leipzig 1911, die neue Jenaische Literatur-
Zeitung nicht ausführlicher behandelt, offenbar, weil er sich auf das Material
Im Veröffentlichungen der Bibliographischen Gesellschaft über diesen Gegen-
d hat. beschränken wollen.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline.
I. Rezensionen Schellings.
1. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung Nr. 82 (7. April) 1806.
Schöne Künste.
Leipzig, b. Kummer : Kleine Romane, Erzählungen, Anekdoten und Miscellen,
von August von Kotzebue. Erstes Bändchen. 1805. 11 1 S. kl. 8. Nebst
Titelkupfer.
Mit der Gewandtheit des Hr. v. Kotzebue weiß man jede Form oder
Unform für die Unterhaltung des Publicums zu benutzen : wir haben dieses-
mal ein geistreiches Vademecum von ihm erballen, dessen obigem Zweck
diese Anzeige gern durch eine kurze Darlegung des Inhalts beförderlich isl.
Von Kritik kann dabey wenig die Rede seyn. Es ist schon lange her, daß
dieser Schriftsteller ihr keine Seile mehr bietet, es sey denn die Spitze, wo-
von auch die vorliegende Sammlung, in welcher er manchen Zug seiner Per-
sönlichkeit niederlegte, direct und indirect ein Beweis ist. Wir finden sogar
eine Stelle wo er mit „einem Freymüthigen" droht. Es ist jedoch keinesweges
Furcht, wenn wir bey dieser schicklichen Gelegenheit im Allgemeinen an-
erkennen, daß Hr. v. K. seine gänzliche Vollendung wirklich so gut wie er-
reicht hat. In Absicht mancher Eigenschaften war er vielleicht von jeher per-
fect zu nennen ; in anderen zeigte er eine ebenso geschmeidige wie unermüd-
liche Perfectibilität. So ist es unter anderen auffallend, wie sehr er, seit seiner
Aufnahme' in eine Akademie der Wissenschaften, als Gelehrter Fortschritte,
zu machen und das Reich seiner Kenntnisse zu erweitern, bemüht ist. Kaum
findet die Menge derselben noch Raum genug, sich zu ergießen; er muß
immer wieder neue Wege der Mittheilung suchen. In früheren Jahren schien
er ein solches Fundament einigermaßen zu vernachlässigen, und alles Gelingen
gleichsam auf glückliche Karten zu setzen ; jetzt aber strebt er offenbar auch
die Gründlichkeit nachzuholen und ein solides Spiel zu spielen, wobey er
denn doch das ganze leichte Wesen eines angenehmen Wagehalses beybehält.
Wir glauben ihm den Weg, den er bey seinen Studien nimmt, abgemerkt zu
haben. Es ist einestheils der, welchen auch wohl andere nicht verschmähten,
uin den Vorrath des Stoffes für ihre witzigen Combinationen zu vermehren,
nämlich Leetüre von allem, was ihnen unter die Hände kommt, und, vor allen
Dingen, von Charteken. Auch diese können irgend eine Thatsache, eine Toll-
heil, eine Anregung enthalten, aus denen ein Jean Paul z. B. elektrische Blitze
zieht, so gut wie ein Physiker aus Pech und Hasenfellen. Außerdem begegnet
es aber dem Hr. v. K. weit öfterer, das wirklich Erlesene und Vortreffliche,
über welches er geräth, ebenfalls nur wie Charteken gebrauchen und aus-
ziehen zu wollen, was denn ein umgekehrtes Resultat giebt. Im Ganzen er-
lauben wir uns seine gesammte Art zu studiren als eine, wiewohl höchst edle,
Art des Lumpensammeins zu betrachten, wobey der Ertrag, ohne Sonderling,
in Eine Masse verarbeitet wird, und das Papier gleich bedruckt zum Vorschein
kommt. Zuweilen stellt er sogar persönliche Wänderungen zu diesem Behuf
an. Wer hat nicht die Mannichfalligkeit der christlichen und heidnischen
Notizen sammt den Kunstansichten bewundert, welche auf seiner letzten Beise
14 Erich Frank :
von ihm gesammeil wurden? -- Eine andere Bemerkung ist die, daß, seit
Einige — unseres Bedünkens nach sehr ungeschickt, insofern sie den Ruhm
des Hr. v. K. unterdrücken wollten, — denn dieser ist dadurch nur glän-
zender aus der Asche, die er selbst einmal büßend auf sein Haupt gestreut
hatte, emporgestiegen — seit also Einige sich es einfallen ließen, Witz über
ihn zu haben, ist er seiner Seils im Witz unendlich vorwärts gegangen; er hal
ihn sowohl in mehrere Zweige ausgebildet, als auch mehr Leben und Schalk-
heil darin gewonnen. An Keckheit, seinen Gegenstand zu unternehmen, hat
es ihm bekanntlich nie gefehlt; im rechtem Schwünge der Ausführung durfte
er jedoch zunehmen, und hat es so sehr gethan, daß man bekennen muß : er
ist gegenwärtig oft bis zum Verzweifeln witzig. Die Form der Erzählung und
der Fragmente ist diejenige, welche er zu dem Ende am meisten eultivirt.
- Endlich müssen wir auch die Consequenz loben, zu der er gediehen ist.
Denn, wenn eine noch so gesunde Urtheilskraft schwanken, sich von Vorliebe,
Abneigung oder Laune irgend einmal verführen lassen kann, aus der Bahn zu
scli weifen, so ist Hr. v. K. aller Phantasie zum Trotz, die man bey ihm
voraussetzen darf, über gewisse Dinge unerschütterlich und unbestechlich;
sein Abscheu ist constant, sobald es auf das sogenannt-wahrhaft Große und
Gute, das Geheiligte, das Tiefsinnige ankommt. Er verfolgt es vom Höchsten
an bis auf die letzte Spur, bis zu den schwächsten Bemühungen, und der-
gestalt, daß es augenscheinlich nicht die Schwachheit, sondern die Bemühung
ist, welche ihn reizt. Wir können dieses alles zwar nur mit Wenigem hier an-
deuten, die Belege dazu aber werden sich beym Durchblättern dieses reichen
Vorrathes linden. — Er ist unter folgende Abschnitte gebracht: Roman, Er-
zählungen, Anekdoten, Miscellen. Das erste Buch eines Romans in zwey
Büchern, des Pfarrers Tochter, führt eine scherzhaft gefühlvolle oder eine
gefühlvoll scherzhafte Geschichte bis an den Wendepunkt, wo die schöne
Pfarrerstochter an einen eitelen, jungen Mann in der Residenz verheyratet und
beynahe von seiner Schwachheil angesteckt, im Kampf begriffen ist, ob sie zur
Weihnachtszeit den alten Vater auf dem Lande besuchen oder einen glän-
zenden Aufzug auf einer Maskerade, als Siegesgöttin, mitmachen soll. Was
wird die arme Frau thun, den Sieg vorstellen oder den Sieg davon tragen?
Sie hat, wie es scheint, eine ganz unschuldige Freude am Bewundertwerden ;
man sollte sie nicht so hart auf die Probe stellen, bey der es ihr gehen
könnte, wie dem Nachtwandler, der erst fällt, wenn man ihn auf seine
Schritte aufmerksam macht. Auf diese Weise wird die Sünde recht herbey-
gelockt, und das Übel liegt hier hauptsächlich doch nur darin, daß die Frau
einen gar unverständigen Manu hat, üb ihm gleich ein „heller Kopf" zu-
geschrieben wird. Indessen isl diese, auf ein freundliches Glatteis geführte,
Tugend schwerlich der eigentliche Kern der Geschichte, sondern er liegt so
zu sagen in der Schaale, in der Behandlung und den satirischen Zwischen-
spielen. Ehe der Mann aus der Residenz die Pfarrerstochter kennen lernt,
soll er eine fatale Kusine heyrathen, und wird von ihr und ihrer Mutter zu
einer Reise auf das Land eingeladen. Sie halten unterwegens ein Nachtlager,
der Vetter soll die Damen am Morgen durch Klopfen wecken, ohne die Thür
zu öffnen, und verspricht während dem Klopfen „an Fichtes Prahlerey das
Uäthsel du- Welt ::n lösen zu denken, um jeden sündhaften (((.'danken zu
entfernen", jene schlafen aber „so fest wie Leute, denen man Goethes Be-
kenninisse einer schönen Seele vorliest" ; er stößt also die Thür ein, vor
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 15
welche die Kusine einen Tisch und darauf „einen alten ledernen Großvater-
stuhl" gestellt hatte. „Ach I aber das plumpe Knie des Ritters brachte den
dreybeinigen Tisch aus dem Gleichgewicht, der, da er selbst nicht mehr
stehen konnte, die Zumuthung für ungerecht hielt, den alten Großvaterstuhl
länger zu tragen, zu dessen Stütze ohnehin sein Schöpfer trotz des mangelnden
Beines (?) ihn ja nie bestimmt habe. Er entledigte sich daher ohne Um-
stände der demüthigenden Last, die, fallend, mit der hohen Lehne bis an den
Fuß des Bettes reichte, und unglücklicherweise ein Geschirr zerschlug, das
nicht so leer war, wie der Marmorbrunnen zu Nürnberg. Dieses Zerschlagen ge-
schah vermittels eines der breiten Ohren des Großvaterstuhls, welches gerade
mit seiner ganzen Fläche die Oberfläche des Inhalts traf, daß er stolz empor-
stieg wie die Fontainen auf dem Petersplatze zu Rom, bis das Gesetz der
Schwere ihn zwang, auf Belt und Gesicht der schlafenden Schönen in Mil-
lionen Tropfen herab zu stürzen. Hilf Himmel ! Welch ein Erwachen ! wie
verschieden von Adams seligem Erwachen durch .Maliler Müller beschrieben !
Welch ein zuckendes Streben der Purpurlippen, die Wuth in Tönen zu äußern !
und welche Töne würde man vernommen haben, hätte nicht die weise Be-
trachtung, es sey fürs erste nothwendig, die zarten Lippen nicht allein zu ver-
schließen, sondern sogar ein wenig einwärts zu klemmen, die Oberhand be-
halten. Wie aber sollte nun die zürnende Aurora — zur Strafe ihres Ver-
späten durch eigenen Thau geweckt, ihr Antlitz schnell genug davon be-
freyen?" etc. Wir können uns zwar kaum enthalten, den Leser ernstlich um
Entschuldigung zu bitten, daß hier eine Scene unter seine Augen gebracht
wird, welche leicht mehrere Sinne afficiren möchte : er bedenke aber, daß der
Vf. ein Mann ist, der in den ersten und gebildetsten Zirkeln lebt, mithin
wissen muß, was er ihnen zumuthen darf, und traue lieber seinen Sinnen
nicht, als daß ihm diese fleißig ausgemahlte Erfindung bis zum tiefsten
Schmutz ekelhaft scheinen sollte. Vielmehr bemerke er mit Wohlgefallen, wie
der Vf. Mittel findet, die Objecte steigernd, zuerst den Marmorbrunnen zu
Nürnberg, dann die Fontainen auf dem Petersplatze zu Rom, zuletzt das Ant-
litz der reinen Göttin Aurora in den Kreis seiner Scherze zu bannen, and sie
sich kraft jenes Nasses zu eigen zu machen, wie einst Circe durch Tränke die
Gefährten des Ulysses, aus denen dann unsaubere Thiere wurden, welche sie
in ihre Ställe sperrte. — Wie Hr. v. K. auf solche überraschende Wen-
dungen kommt, wodurch überhaupt seine Erzählungen das Ansehen gewinnen,
als. seyen einzelne Worte wie in dem bekannten Gesellschaftsspiel dazu auf-
gegeben, und mit nicht gar glücklicher Begeisterung die Ausfüllung impro-
visirt, dieses läßt sich vielleicht zunächst aus dem Umstände erklären, den
er dem Publicum selbst mitgetheilt hat, daß nämlich der selige Mutans sein
Oheim war, und dieser wackere Mann die Gewohnheit hatte, theils An-
spielungen, welche dem Interesse der Zeit gemäß waren, theils andere bekannte
Mythen aus der Kunst- und Naturgeschichte seinen gefälligen Vulksmährchen
ergötzlich einzuweben und zu dem Ende das Höhere selbst leichtfertig zu
travestiren. Aber dieses geschah freylich mit einer nie sich verleugnenden
Reinlichkeit der Imagination und einer Bescheidenheit, der man es anmerkte,
daß der Mann im innersten Herzen das Schöne und Rechte als schön und
recht empfand, und das Wissenschaftliche respectirte. Dem Neffen hingegen,
wenn er sich dieser Manier als einer zugefallenen Erbschaft gleichsam be-
dient, glaubt man es auf das erste Wort, daß ihm die Dinge nichts werth
t6 Erich Frank :
sind, auf die er, spottend, keinen Werth zu legen scheinen will. Zu diesen nicht
ganz delicat ausgefallenen Nachahmungen müssen wir auch die Vergleichung
dos liebenden Paares (S. 96) mit Adam und Eva rechnen, welche so scldießt :
„Daß Fernau sieh in der Gestalt mit Adam messen durfte, kann nicht be-
hauptet werden : fürs Erste war er hey weitem nicht so groß, denn von den
Rabbinen wissen wir. daß Adam als Flügelmann jeder Armee Ehre gemacht
haben würde, indem er nicht weniger als hundert Ellen maß ; fürs Zweyle ist
wohl unläugbar der Nabel keine sonderliche Zierde des Mensehen, da nun
Adam bekanntlich keinen Nadel hatte, Fernau hingegen allem Vermuthen nach
damit war, so ist auch hierin dem Stammvater ein kleiner Vorzug
nicht abzusprechen. .Man weiß aber aus sicherer Hand, daß Charlotte an diesen
ml noch mit keiner Silbe gedacht hatte, ja daß wenn auch hundert
schöne Riesen ohne Nabel um sie geworben hätten, sie doch Fernau'n, der
nur wenig über fünf Fuß maß, schöner als sie alle würde gefunden haben."
Es scheint nicht recht passend, indem man das Bild eines unschuldigen
.Mädchens anschaulich zu machen gesonnen ist, mit einer solchen Reminiscenz
dazwischen zu treten. Ebensowenig will der „dicke Erdbeer/laden'1, der das
Knie des Liebhabers bey der ersten Erklärung befleckt hat, und den die
Mutter anfangs für Blut ansieht, eine angenehme Vorstellung gewähren. Man
bescheidei sich indessen hierüber : sollte der Vf. es auch in den launichten
Einfällen hie und da verfehlt haben, so sind die satirischen Ausfälle desto
treffender. Er bedient sich dabey durchaus schlagender Waffen. Die fatale
Kusine z. B. muß eine Sitzung halten, in welcher ein Sonett von Tick de-
clamirf, sodann ein Kapitel aus Jacob Böhm vorgelesen wird, darauf die
Andacht zu Kreuz von Calderone, „durch deren Obersetzung sich Schlegel ein
unsterbliches Verdienst um die deutschen Christen erworben hat", zuletzt
einige Lieder von Novalis. Die Götter Griechenlands von Schiller muß sie
zum Gegenstand eines glänzen sollenden Tischgesprächs nehmen, die Pfarrers-
tochter aber mit Delille's Dithyrambe sur Vimmortalite de Vame ..dir Götter"
zum schweigen bringen. Man begreift leicht, daß im Munde der fatalen
Kusine jene armen Leute dem Geschick nicht, entgehen können, Fratzen zu
..»■ihn, Delille'n hingegen die Unsterblichkeit, die er der Seele überhaupt zu-
sichert, auch für seine Person, durch das Medium der schönen Pfarrerstochter
zugesichert wird. Andere sinnreiche, obschon nicht neue Züge, z. B. wie der
Liebhaber die ihm nur zum Theil sichtbare Gestalt, des Mädchens durch zier-
liche Schlüsse vollends enträthselt, wo es unter anderen heißt: „die beiden
Endender grünen Schleife 'womit der Hut zugebunden war) hingen nicht gerade
herunter, sondern ihre Richtung hielt ungefähr das Mittel zwischen horizontal
und perpendicular, folglich hatte das Mädchen einen schön gewölbten Busen",
wollen wir übergehen, aber dem Originalroman 'He Erzählungen und Anek-
doten nicht ganz zu versäumen, die zwar größtenteils schon oft gelesen und
wieder verarbeitet, selbst aus Zeitungsblättern gezogen sind, allein durch den
neuen Vortrag auch neue Unterhaltung und besonders so viel Abwechselung ge-
währen, als mau nur verlangen mag. Sie fangen mit einem Übermaß mensch-
lichen Elends an, welches das körperliche Mitgefühl des unempfindlichsten
Lesers schmerzhaft genug erregen wird. Darauf folgl eine Nachrichl über das
Entstehen und die ersten Vorstellungen von Racine's Esther; dann ein Aus-
zug aus Dr. Sehads Klosterleben u. s. w. Daß Racine mit der gehörigen
Superioritäl behandelt wird, versteht sich von selbst ; Hr. ü. K. bringt uns
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 17
zugleich eine von den ewiggültigen Zeilen des Boilean ins Gedächtniß, die
er bey der Gelegenheit anführt, wie Racine nicht mehr für das Theater
schreiben wollte ; Pradon blieb nämlich damals „Meister vom Kampfplatz,
daher Boileau sagte :
Et la Scene francoise est en proye ä Pradon".
Mil dem Auszug aus Dr. Schads Lehen möchte dessen Verleger vielleicht
nicht zufrieden seyn, indem er allerdings vollständig genug ist, um der Leetüre
des Buchs seihst zu überheben ; wir verstatten uns bloß die Einwendung, daß
die Klostergräuel, welche hier als der belustigendste Theil sorgfältig aus-
gehoben sind, für ein Publicum, von dem die Frauenzimmer leicht den be-
trächtlichsten Teil ausmachen könnten (auch ist das Buch einer Dame de-
dicirt), nicht geeignet scheinen, und würden auch das nicht erwähnen, wenn
der Vf. nicht der bewußten Kusine das Ärgerniß, das sie den Domestike»
durch die Götter Griechenland* giebt, so hoch anrechnete. Weiter hin finden
sich erfreulichere Nachrichten, z. B. die Basen und der Pfau, zur älteren
französischen Sittengeschichte gehörig, die Jungfrau von Orleans als Frau
und Mutter, und Camoens, ein Auszug aus einer Biographie dieses Dichters, die
vor einer englischen Uebersetzung desselben befindlich ist (ein Glück für Ca-
moens, daß ihn Hr. Schlegel nicht gleich dem Calderone übersetzte, sonst
stände er nicht hier, sondern in der Bibliothek der Kusine). Bey den Anek-
doten hat Hr. v. K. den gewöhnlichen Vademecums Ton mehrmals äußerst
natürlich getroffen, z. B. wenn er die Begebenheit von den beiden Mädchen
erzählt, die von England nach Petersburg in Rußland statt nach Peterbor(o)ugh
ein paar Stünden weit, reisten, oder : Distinguo. „Ein Superintendent, der zu-
gleich Oberinspector über einen Freytisch war, ärgerte sich oft über einen
Candidaten, der sich angewöhnt hatte, bey jeder Gelegenheit Distinctionen zu
machen, und sie allemal mit dem Worte Distinguo anzuheben. „Ey, zum
Henker mit Ihrem Distinguo I" fuhr der Superintendent einmal heraus ; und
um den Candidaten in Verlegenheit zu bringen, setzte er hinzu : „sagen Sie
mir doch, kann man auch mit Suppe taufen?" Distinguo! erwiderte der
Candidat ; mit Ihrer Suppe? nein. Aber mit der vom Freytisch? 0 ja!"
Die Miseellen nun sind es vorzüglich, welche die gelehrten Nachforschungen
des Vf. bestätigen. Der Ton der Mittheilung wird besonders durch das Ge-
misch interessant, wie die junge Befremdung über so Manches, was der Vf.
stückweise nach und nach in Erfahrung bringt, doch gleich wieder von einem
geübten und durchgearbeiteten Bewußtseyn gestählt wird : so trägt er denn
das eben Gelernte oder Gelesene mit der vollen Sicherheit eines alten Prak-
tikers vor. Wir finden ihn in der Hinsicht am pikantesten, wenn er über phy-
sikalische Gegenstände Bericht erstattet, wie jetzt fleißig von ihm geschieht,
oder Paradoxien in diesem Fach rügt, dergleichen ihm begreiflich viele auf-
stoßen. Von dieser Seite dürfen wir selbst einen Gewinn für seine übrigen
Darstellungen erwarten, da eine gewisse reelle Anschauung der Natur ihm,
nachdem er sich die der bildenden Künste auf seinen Reisen erworben, noch
am meisten abzugehen schien. Die Anwendungen älterer literarischer, auch
persönlicher Ereignisse und Urtheile auf gegenwärtige Zeiten, durch welche er
diese in das rechte Licht zu stellen und nach den richtigen Ansichten zu leiten
bemüht ist, nehmen hier ebenfalls eine Stelle ein, als : der große Corneille
und der große Goethe, welches natürlich ironisch zu verstehen ist, Wirkung
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, philos.-hist. Kl. 1912. 1. Abh. 2
In Erich Frank :
Kritik: wo d'Alembert (den mau auch sonst wohl als einen Helden der
Eitelkeit kennt) einer Wirkung derselben angeklagl wird, welche den anwider-
sprechlichen Schluß herheyführt : daß die größten (irisier aller Nationen nach
Umständen stets die kleinsten Menschen gewesen sind; So viele Vortheile
dieser Satz gewährt, so wäre es denn doch vielleicht noch ersprießlicher,
wenn Hr. v. K. ihn umwendete. In der Verteidigung der Xanthippe gegen den
Sökrates wird jenes Lieblingsthema sehr artig variirt. „Bekennen Sie, meine
Damen", sagt Hr. von Kotzebue, „daß der weise Sakrales auch nicht immer
ein großei .Mann war", nachdem er dem Diogenes Laertius verschiedene Anek-
doten, wie man glauben muß, vermittels einer ziemlich freyen Übersetzung,
nacherzählt hat. So heißt es liier : ,, Seine Schüler bewunderten ihn, von den
übrigen wurde er verachtet und verspottet, auch zuweilen ein wenig mit
Füßen getreten ; einen solchen ungeschliffenen Menschen verglich er denn ganz
eii mit einem Esel". Diogenes giebt die Sache so an : daß, wie einer
gegen den Sökrates mit dem Fuß hinten aus gestoßen habe, und man sich über
die Geduld wunderte, mit der er den Menschen gehen ließ, er zur Antwort
gal) : Wenn ein Esel nach mir ausschlägt, werde ich ihn vor Gericht laden?
Bekennen Sie, nieine Damen, daß es doch für manche Fälle das rechte ist,
sich gerade so zu benehmen, und daß Sökrates, wenn er heut wieder auf-
stände, wiederum nichts besseres thun könnte. Denken Sic auch nicht, etwa,
daß es dem Sökrates an persönlicher Tapferkeit gefehlt habe. Es ist dieses
der nämliche Sökrates, der als Krieger sich so betragen halte, daß ein Feld-
herr bey Plato von ihm sagt : wenn die übrigen bey Delium (berühmt durch
eine Niederlage der Athener), „sich so hätten beweisen wollen, unsere Stadt
wäre bey Ehren geblieben und hätte nicht einen so schmauchen Sturz er-
litten". Allerdings ist es keine Kleinigkeit über einen solchen Mann ganz so
ungenirt klatschen zu können, als wenn er ein ehrenwerther Zeitgenosse wäre,
und in der nächsten Gasse wohnte : indessen lassen Sie sich von dem auf-
geweckten Behagen, mit welchem Hr. v. Kotzebue den Sökrates heruntermacht,
nicht verleiten, sich je auf die Seite einer Xanthippe zu schlagen. Mit dem
lies Laertius hat es nun noch bekanntermaßen die Bevvandniß, daß er
solche Curiositäten zwar ohne besonderes Wohlgefallen zusammen trug, aber es
doch, wie seine ganze Compilation zeigt, ohne Urtheil und Einsicht, und um
eine Zeit that, wo das Gefühl für griechisches Wesen und Leben längst völlig
ausgestorben war. — Unter der Aufschrift : Es geschieht nichts Neues unter
der Sonne, geschieht freylich ziemlich das Alte : Hr. v. K. sucht eine natürliche
Abneigung und billigen Groll auf die bekannte unbefangene Weise an den Tag
zu legen ; er spricht von Schelling, Schlegel, Röschlaub und Consorten, von
Schlegel und Compagnie, und stellt sie mit den Scaligern, Salmasiussen und
anderen unwissenden und obscuren Menschen zusammen. Da diese kleinen
Versuche gewiß niemand weh thun, dem Hn. v. K. aber wahrscheinlich wohl :
so ^täre nur zu bemerken, daß, wenn er noch unbefangener wäre, er sicher
auch noch geschmackvollere Ausdrücke wählen würde. Je mehr er übrigens bey
dergleichen Parallelisirungen ins Detail geht, um so mehr ist es zu billigen.
Denn da bey dieser Gattung des Witzes mehr wie die Hälfte schon vorliegt,
so kann in Absicht dessen, was hinzuzufügen übrig bleibt, nicht splendid
genug verfahren werden. Ob die Angaben immer richtig sind, behält man
ohnedieß die Freyheit zu bezweifeln. Sollte aber z. B. einer der neueren
Scaliger sich je so weit vergessen haben, eine gewisse Klasse „todte Hunde"
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 19
zu nennen, so muß das nicht nur ein höchst unhöflicher, sondern ein sehr
wenig voraussehender Mann gewesen seyn, denn wäre das Geschlecht der
Schamlosen todt, woher käme das unaufhörliche Bellen? — ■ Weiterhin wird ein
bitteres Urteil des Burke über Rousseau sehr zweckmäßig abgeschrieben. —
In dem Abschnitt Warnungstafel: Lacrymas spricht Hr. v. K. das Wort Un-
verschämt über Hn. Schlegel aus, wegen eines Sonettes, womit dieser die
Herausgabe des Lacrymas begleitete, und durch dasselbe ohne Zweifel kein
Kunsturtheil aufstellen, sondern einem, wenn auch noch nicht gelungenem Be-
streben, dessen Absicht ihm wahrscheinlich besser, als aus der undeutlichen
Erscheinung, bekannt war, eine freundschaftliche Gesinnung, wenn auch zu
liberal, bezeigen wollte. Wie soll man es aber benennen, daß Hr. v. Kotzebue
sich des Wortes Unverschämt überall nur bedienen mag? — Es ist hier der
Ort nicht, und noch weniger findet die Neigung Statt, überhaupt ernstlicher in
die Erscheinung einzugehen : warum nämlich dieser Hr. v. K. es eben ist, der
„dem Unwesen in der Literatur welches sie entehret", steuern will, und den
öffentlichen Ankläger macht, da ausschließlich dieser Hr. v. K. es eben ist,
der sich in der Literatur entehrende Zeichen aufgerichtet hat. Warum dieser
Hr. v. K. es eben ist, welcher sich, wie gleichfalls in diesen Miscellen ge-
schieht, der geschmälerten Verdienste, wie er sagt : „Yirgils, Wielands, Vol-
taire and anderer" annimmt, da er es ist, der, unfähig zwar, irgend ein Ver-
dienst zu schmälern, von jeher so viele zu schmähen versucht hat. Möglich,
daß diese und eine weit längere Reihe von Gegensätzen keine mehr sind,
wenn das Überstehen aller Grade und Feuerproben sie erst verschmolzen hat.
Wir könnten der vollständigen Darstellung dieser Verhältnisse in Deutsch-
land einen 'Diderot wünschen, ohne um irgend einen Preis es seyn zu wollen.
Diderot besaß die eigenthümliche, und man kann sagen, einzige Gabe, mit genia-
lischer Geduld die Mißbräuche der Menschheit und solche widersprechende
Geburten der. Zeit festzuhalten, ihr Inwendiges auswärts zu kehren, und das
Verworrene zu einer klaren Anschauung zu bringen. Rameaus Vetter hat deß-
wegen verschiedene Bewegungen und ein fast instinetartiges zur Wehre setzen
veranlaßt, obschon dieser nur Frankreich und Paris angehören konnte. Er er-
innert aber an die Möglichkeit eines moralischen Naturhistorikers, der so
wie Buffon etwa eine physische Ungestalt, eine sittliche, mit Worten abbildet,
ohne vor der Natur zu erröten. N -4- d.
2. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung Nr. 36 (13. Februar) 1809.
Schöne Künste.
1) Leipzig, b. Kummer: Kleine Romane, Erzählungen, Anekdoten und Mis-
cellen von August von Kotzebue. 1805. Utes Bänden. 482 S. 1806.
III tes Bändch. 352 S. IVtes Bändch. 338 S. kl. .8. (5 Rthlr. 6 gr.)
2) Leipzig, b. Niemann : Gesammelte Erzählungen, von A. E. Eberhard.
III tes Bändch. 1806. 302 S. kl. 8. (1 Rthlr. 8 gr.)
Beide Sammlungen sind besonders in Rücksicht dessen merkwürdig,
was unter uns als moralische, geistreiche Erzählung gelten darf. Wenn man
ihnen etwa alle romantische Sitte erlassen wollte, die auf dem Boden unserer
Gegenwart nur durch einen hohen Grad von Erfindung Haltung gewinnen
2*
Erich Frank :
kann, ja auch sonsl Manches, wodurch sich dergleichen Erzählungen oder
Novellen zu wahrhaft gebildeten Werken erheben, den Witz z. ß., oder dich-
terische Gestaltung eines tiefen Gefühls: so scheint doch nicht unbillig, zu
iren, daß sie mit einiger Sorgfalt und Eleganz, mit etwas Gleist und
Kenntniß der feineren Welt und in einer gefälligen Sprache geschrieben wären,
zumal wenn sie von einem Schriftsteller herrühren, welcher mit solchen An-
sprüchen seinem Publicum auch in dieser Gestall recht oft unter die Augen
tritt, und über den fruchtbaren Cramer doch weit weg zu seyn glaubt. Was
aber an denen des Hu. v. Kotzebue vorzüglich auffällt, ist eine ganz eigene
speeifische Unsauberkeil und Geschmacklosigkeit der Darstellung, welche, alle
Lockerheit des Inhalts ihm übrigens zugegeben, jedem reineren Sinn sogar
die erste flüchtige Leetüre beschwerlich machen müssen. Denn zu einer
Sudeley aller möglichen Manieren untereinander, von denen der Vf. sich vor-
stellt, daß sie seiner Leichtigkeit zu Gebot stehn, gesellt sich noch ein
solches Treiben und Jagen der Schreibart, daß, um es so sinnlich auszu-
drücken, wie man es wirklich empfindet, er jene alle vorgespannt zu haben
seheint, und mit ihnen über Stock und Stein dahin sprengt. Bald geht er dem
Voltaire nach, ein andermal ist er August la Fontainisch, bald auf diese, bald
auf jene Weise empfindsam und witzig, auf seine eigene immer undelicat da-
hen, wie er denn von dem Büchlein Ich an und seit der gefährlichen
Wette noch nicht gelernt hat, Spaß und Schmutz zu unterscheiden. Wir wollen
zum Einzelnen übergehen. Des Pfarrers Tochter aus dem ersten Bändchen
wird liier in einem zweyten Buch beendigt. Wegen des ersten müssen wir auf
die Anzeige in Nr. 82. 1806. dieser A. L. Z. zurückweisen. Mau verließ sie
dorl am Wendepunct, und der Vf. hebt mit folgender Wrenclung wiederum
an : „Die meisten Menschen kitzeln sich mit der Einbildung, sie hätten Grund-
sätze, könnten vernünftig überlegen, wohl gar Entschlüsse fassen ; wie sie
heute über eine Sache dächten, würden sie auch morgen darüber denken, und
was dergleichen Großthuereyen mehr sind". Nachdem er einige Seiten so fort
discurirt hat, eröffnet er, daß Charlottens erster Gedanke beym Erwachen
die — Maskerade war. Hieran knüpft sich nun eine, mit allen bekannten, sehr
handgreiflichen, Handgriffen durchgeführte, Verführungsgeschichte. Der Fürst
des Landes, der gehörig wollüstig, gefühllos und gemein ist, begehrt Char-
lotten. „Graf Schmieg, ein verlebter Wollüstling, seit mehreren Jahren des
en Unterhändler an Amors Hofe, und folglich sein Liebling, des Landes
Fluch und der Fnlerlhanen Abscheu", nebst dessen Gemahlin, suchen sie zu
.'ken, der Mann wird auf Commission geschickt, die Frau vom Graf
Schmieg in's Haus genommen; man läßt sie Wohlthaten und gute Handlungen
beym Fürsten auswirken, schmeichelt ihr, daß sie die Leibeigenschaft werde
aufheben können — die Briefe beider Gatten werden untergeschlagen, falsche
geschmiedel ; endlich wird noch das Mittel gebraucht, Charlottens Vater
wegen ketzerischer Predigten dahin zu verurtheilen, daß er seines Amtes ent-
setzt, und ihm Mantel and Kragen abgerissen werden soll : „Erbarmen !
Fürst ! schluchzte Charlotte mit kaum noch vernehmlicher Stimme. Da lau
er wieii.-r vor ihren Knieen, flehte selbst um Erbarmen, umfaßte den schlanken
Feil,, drückte wüthende Küsse auf Ihre Anne, ihren halb entblößten Busen —
die Besinnung verließ - bewußtlos sank sie zurück — und als sie er-
wachte — war sie allein — das Urtheil lag zerrissen zu ihren Füßen." Das
ist nun eine von den schonenden Darstellungen des Vfs., in denen er sich
Rezensionen über schöne Literatur von SchelKng und Caroline -2\
wohlgefällt, ohne hier die Infamie zu ahnden, die darin liegt, daß Charlotte
eben in einem solchen Augenblick ihre Sinne überraschen läßt und das Be-
wußtseyn- verliert. — Nachdem hierauf die Verzweiflung eingetreten ist, dann
ihr Maun sie durch neue Mißverständnisse ganz ihrem Schicksal überlassen,
wird sie entschiedene .Maitresse des Fürsten, thut viel Gutes und wenig Übels,
und wird auch von ihm verlassen, schleppi sich nach ihrem Geburtsdorf, und
endigt ihr Leben auf dem Grabe ihrer Mut (er, die aus Gram um sie ge-
storben war, unter dem Fluch ihres Vaters, und wird begraben ,, unter den
Blumen ihres Kindes. „Wer wagt es, einen Stein auf die Unglückliche zu
werfen?", sagt der Vf. Er hat gut reden und Nächstenliebe üben, denn ist
die Unglückliche nicht sein Werk? Die unwissendste Unschuld, sollte man
denken, hätte solch einem groben Gewebe leicht entgehen mögen. Hätten sich
Charlotte oder ihr Mann nur in den Leih- und Lesebibliotheken etwas um-
gesehen ! Ein bis dahin unerhörter Kniff ist uns freylich unter denen, welche
in Bewegung gesetzt wurden, vorgekommen, daß nämlich der Graf, wenn Char-
lotte mit dem Fürsten allein gelassen werden sollte, sich nicht damit be-
gnügte, seine Gemahlin abrufen zu lassen, sondern im Nebenzimmer eines
seiner Kinder so lange kniff, bis es aufs ärgste schrie, und sie daneben noch
als zärtliche Muller davon eilen konnte. — Von allen den artigen Anspielungen
und launenhaften Ausfällen, die in der ersten Hälfte vorkommen, findet sich
in dieser weiter keine Spur ; was jene etwa Ekelhaftes an sich hatten, ist
hier in das Materielle der Geschichte übergegangen. — Der Schutzgeist und
die Rache; der erste, wie der Vf. angibt, „einige unbedeutende Zierrathen
abgerechnet", eine wahre Geschichte ; beide aber, wie er nicht angiebt, nach
dem Französischen. Nicht unbedeutende Zierrathen kommen freylich auf Rech-
nung des Hn. v. K. In der Bache z. B., wo ein abgewiesener Freyer einen
anderen jungen Mann von niedriger Herkunft anstiftet, um das stolze Mädchen
zu werben, der sie auch unter angenommenem Bang und Namen erhält, hat
der boshafte 'Freyer in Jena studirt und von den neuen Philosophen '_re-
lernf, daß die ganze Welt hors nous et nos amis aus Dummköpfen besteht
— er ersann diesen „teufelischen Plan der Bache, denn unsere heutigen Phi-
losophen sind bekanntlich Menschenkinder wie wir alle". Wie leichtherzig
Hr. v. K. von teuflischen Plänen spricht ! er nimmt dergleichen doch hier
offenbar auf seine eigenen Schultern. — Das 3le und zum Theil 4 te Bändchen
enthält : Die Frucht fällt iveit vom Stamme. Diese Erzählung ist wenigstens
als die bessere anzuführen. Ein lustiger Geselle Florio erheitert etwas die
sonst sehr unanmuthige Geschichte des Baudirector Klumm. Die Reise der
beiden Freunde ist freylich ein Stück Candide ä In Kotzebue. Eine besondere
Erfindungskraft zeigt sich oft bey ihm in unnöthig widrigen Zusammen-
stellungen. Wozu bedurfte es des Zuges, daß der Bösewicht Klumm sich auf
den Leichenstein der Mutter legen muß, um sich von da als verstellter
Kranker in das Haus tragen zu lassen, wo er die Tochter verführen will. Der
gute Prediger würde den Beisenden auch ohne dieses Motiv aufgenommen
haben. Eben so muß den alten Klumm der Schlag rühren, damit sich die
Tochter über ihn werfen und mit ihrem „gelüfteten Busen" die Hand des
Arztes berühren kann, den die Liebe zu ihr gerührt hat. Von solchen über-
flüssigen Häßlichkeiten wimmelt es allenthalben bey Hn. v. K., es sind dieses
die sehr wesentlichen Überladungen seiner Manier. — Glückseligkeit ist aus
dem Französischen, und, wenn wir nicht irren, aus zwey Erzählungen zu-
JJ Erich Frank :
sammengesetzt. - Das Zinngießen und die kleine Tyrolerin sind am gleich-
förmigsten nach Lafontaine' sehen Mustern hingeworfen, und in der Thai kann
bey Milchen Nachahmern der gute Lafontaine noch zum Ruf eines Künstlers
kommen, der sich zu enthalten, der seine Züge zu wählen weiß. — In Alles
ans Liebe ist der Vf. ganz er seihst ; er läßt seine Heldin eine tournee
mit einem halben Dutzend Ehemännern machen, und sich mit allen übel be-
finden, außer am Ende mit demjenigen, den sie liebt. Ihr erster Gemahl heißt
Novalis. „Aber noch waren die Flitterwochen nicht verflossen, als die junge
Frau eines Morgens in Thränen schwimmend zu ihrem Vater ins Zimmer
stürzte, und ihn um der Asche ihrer .Muller willen anflehete, sie zurück zu
nehmen. Sie klagte über den grenzenlosen Egoismus ihres Mannes, über die
Geringschätzung, womil er sie behandle, über seine Ausschweifungen in
Wollust und Opium, und endlich über seine unerträgliche ästhetische Narr-
heit." So entschlüpft dem Vf. slatt Satyre gar oft Niederträchtigkeit ; in dem
Betracht, daß Novalis ein ebenso bestimmter Name wie Jean Paul z. B. ist,
läßt sich jene Schilderung nicht wühl anders nennen.
Unter den Zugaben zeichnen wir aus die Fragmente aus dem Tagebuch
des letzten Königs von Polen ; vom letzten Jahr seines Lebens, nachdem er
den Thron hinter sich gelassen hatte. Es sind Bulletins, die er seihst auf t\<'r
Heise und in Petersburg dictirte und an seine Freunde nach Warschau
sandte. Wie Hr. v. K. bemerkt, sind sie zwar nicht eben brauchbar für den
Geschichtschreiber, aber haben doch ein hohes Interesse für den Staatsmann
und den Menschenkenner. Die Wahrheit ist, daß sie in dieser Sammlung eine
wahre Erholung sind, und das meiste Interesse haben, aller Kleinlichkeit des
Königs und der ganzen Situation ungeachtet, und obgleich fast nicht Ein
markirter Zug darin vorkommt. Als solchen müßte man gelten lassen, daß
Graf Kobenzl (der österreichische Botschafter) sich bey einem Fest zur Be-
lustigung der Gesellschaft in eine Henne verkleidete und alle Kinder, die da
waren, in Küchlein, und dann sein Häuflein gegen' alle Angriffe auf eine sehr
komische Weise vertheidigte. Ein schönes Talent für einen Staatsmann ! Unter
diejenigen Züge, welche die große Milde des Königs charakterisiren, gehört,
daß er den Vf. in Friedenthal bey seiner Vorbeyreise zu sprechen verlangte,
ihn mit Höflichkeit überhäufte und den Wunsch äußerte, daß die jüngsten,
Kinder seiner Laune nur seine jüngeren seyn möchten, welcher Wunsch nach
der Hand reichlich gewährt worden ist. Hr. v. K. hatte dagegen einen
anderen, den er dem Könige späterhin schriftlich vortrug ; er hatte nämlich in
der hamburger Zeitung gelesen, der König habe Memoires de son tems ge-
schrieben, und hat ihn im Vertrauen auf sein gütiges Benehmen, ihm zu er-
lauben, diese Memoires aus dem Mspt. in seine Muttersprache zu übertragen.
Kein unebenes Ansinnen, das der König jedoch höflich ablehnte. Glücklicher
war der Vf. mit Iwan Iwanow Tschudrin, den er auf seiner „letzten Reise
von Tobolsk nach Petersburg" zu Kasan kennen lernte'. (Hat er deren
re gemacht? Wir wünschen ihm umgekehrt, aber ebenso gutmülhig wie
Stanislaus, daß dieß seine letzte bleiben möge.) Jener .Mann hatte 18 Jahr
lang in China unter der Maske eines Eingeborenen gelebt, eine Chinesin ge-
bet, und schrieb nun in seinem hohen Aller die Geschichte seines merk-
würdigen Lebens und seiner Reiseabenteuer nieder. Hr. v. K. konnte die
große Anzahl von Heften, die daraus entstanden war, nicht sehen, ohne ihrer
zu begehren ; er bat ihn, gleichwie den König, um Erlaubniß, sie seiner
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 23
Nation mittheilen zu dürfen. Nach langem Widerstreben willigte dieser endlich
ein, und versprach ihm eine Abschrift nach Petersburg zu senden, die auch
wirklich erfolgt seyn soll. INI 1 1 diesem Mspt. will uns der Vf. nach und nach
unterhalten. Die erste Mittheilung enthält die Beschreibung einer chinesischen
ceremoniellen Mahlzeit. Eine gewisse Ähnlichkeit der Tschudrin- und Kotze-
bueschen Laune Läßt sich nicht darin verkennen, die Ächtheit der Mahlzeit
in allen Ehren.
Zu diesen geschichtlichen und völkerbeschreibenden Beyträgen gesellen
sich auch politische ; denn wozu fühlt sich der Vf. nicht berufen ! Was in
dem Aufsatz Cromwell mit großen Lettern so dreist und glücklich aus drin
Leben und Thaten desselben ausgehoben ist, zeigt, wie gefährlich Hn. v. K.'s
politische Opposition werden könnte. Doch, die Wahrheit zu sagen, weit ge-
fährlicher scheint uns seine politische Allianz. Was ließe sich von einem
Kriege wohl hoffen, wenn Kotzebue der Herold desselben wäre, und sein
Schildträger zu den Waffen riefe? Wenn indess auswärtige Blätter von ihm
als von einem Manne geredet haben, der eine politische Einwirkung gehabl :
so sieht er auch hier wieder vor der Welt als der unschuldig Verfolgte da.
Hat er nicht noch zu rechter Zeit ebenso vorsichtig und wahrhaft, wie vormals
vom Bahrdt mit der eisernen Stirn, von allein Antheil sich losgesagt und ihn
auf gute Freunde geschoben? Und wer wird auch Einfluß auf politische Hand-
lungen einem Dichter zutrauen, der von jeher froh war, Theateractionen mit
nolhdürftigem Verstände zu leiten? Deßwegen entgeht seiner Person die
politische Bedeutsamkeit nicht ; sie ist nur von der Art, daß sie ein Artikel
für die bekannte Schrift mauvais augures gewesen seyn würde. Ein schlimmes
Omen ist es gewiß, wenn der einen Stern auf die Brust bekommt, dem die
öffentliche Meinung ganz andere Zeichen zudachte, oder wenn in einem Staat
Kotzebueäche Moral und Poesie unter niederen und höheren Ständen einen
allgemeinen Curs bekommt, wobey es kaum zweifelhaft seyn kann, ob sie es
isl, welche die öffentliche Sittlichkeit und Anständigkeit untergräbt, oder ob
die bereits eingerissene Erschlaffung aller Sitte und Würdigkeit ihr die all-
gemeine Aufnahme zu wege bringt. Und wenn in den Zeiten des Friedens
Jahre hindurch unter öffentlichem Schulz und der Leitung eines solchen
Mannes eine förmliche Fabrik pasquillantischer Schmähungen gegen alles
Kräftige und Bessere der Zeit in der Hauptstadt blühet : wer kann sich über
das Geschlechi der Libellisten wundern, das nach jener Epoche mit so edler
Freymüthigkcit über den Staat und seine Verwalter herfiel? Das heißt also mit
Recht Saat von Kotzebue gesäet. — Bey Gelegenheit eines aus dem Fran-
zösischen übersetzten, dem General Moreau zugeschriebenen Verbannungs-
monologs bricht die Gelehrsamkeil des berühmten Mitgliedes der Berliner Aka-
demie wieder durch. Es wird des Aulus Gellius darin erwähnt, den die Fran-
zosen Aulugelle zu nennen pflegen, welches Hr. v. K. klüglich wieder ins
Lateinische übersetzt : „in einem Briefe, den uns Aulugella aufbewahrt hat".
Unter den übrigen Beyträgen finden sich viele, die zu den mannich-
faltigen Consolationen gehören, welche der Vf. sich selbst giebt. Unter der Auf-
schrift Der Name thut viel zur Sache, erzählt er von la Motte, der eine Tra-
gödie als Anonymus gab, die gelobt wurde, weil man nicht wußte, von wem
sie war, und getadelt, sobald man es erfuhr. Eine Note sagt : „Gerade so ging
es Kotzebue in Wien mit der Octavia, bey welcher er auch das Incognito be-
obachtet hatte". Zuletzt kann er sich nicht enthalten, in den Wunsch aus-
. i Erich Frank :
zubrechen, daß er wissen möchte, was man sagen würde, wenn die Hussiten
unter Goethe's und ir«/.s- wir bringen unter Kotzebue's Namen erschienen wären.
Wer hätte ihn für so bescheiden gehalten? Er setzl da sein Hauptkunststück,
zu dessen Effect er die Kinder schaarenweise, die Compositeurs zu halben
Dutzenden und die Jamben und Reime allenthalben her aufgeboten, mil einem
flüchtigen Gelegenheitsspiel von Goethe zusammen. In seinem Sinn isl das
alles Mögliche : in welchem Sinn man ihm dennoch die Möglichkeit des Irr-
tluuns nicht zugeben kann, bedarf keiner Erörterung.
Aus ||n. Eberhards Erzählungen, die sich in dem nämlichen Kreise
wie die obigen, bewegen, und denen es gleichfalls an allem fehl!, was den
Geist interessiren, irgend die Phantasie, das Nachdenken oder nur ein
heiteres Wohlgefallen anregen könnte, spricht uns übrigens eine gesetztere
Feder, eine gewähltere Schreihart an. Dieser Band enthält deren drey : Der
Polyp im Herzen, das Document und Nur keine Mesalliance ! In der ersten
hat das Pikante die Oberhand, in der zweyten das Peinliche und in der dritten
das Lehrende. Sie sind dem Publicum aus anderen Sammlungen bereits be-
kannt ; es wird sie auch in dieser lesen, und damit haben sie und das Publi-
cum ihre Schuldigkeil gethan. Dem Urtheil geben sie wenig zu schaffen. Da
aber llu. Eberhards Stärke sonst sich am meisten aufs Pikante wendet: so
möchten wir fragen, warum er es nicht lieber auf einem anderen Wege zu er-
reichen sucht, als indem er das Sinnlichwidrige mit dem Herzzerschneidenden
in Verbindung setzt. Es ist nichts gegen das Komische des Einfalls einzu-
wenden, dal.') der alle Anatom seine junge Nichte heirathen will, weil er glaubt,
ihre Beklemmungen, die dem Geliebten gelten, rühren von einein Polypen im
Herzen her, und sich um alles in der Welt diese nahe Beute nicht entgehen
i mag: aber daß er das Herz ihrer Muller, die wirklich an jener Krank-
heil starb, in seiner Sammlung aufbewahrt, es ihr zeigt, sie es ihm entwendet
und begräbt, dabey wendet sich einem denn doch das Herz etwas um. Hier
genau das Maß zu treffen, wenn es nicht ein höherer Tact thut, sollte das
Amt des Geschmacks sein. N -I- d.
II. Rezensionen von Caroline.
1 a. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 107 (6. May) 1805.
Schöne Künste.
Berlin, b. Frölich : Musenalmanach auf das Jahr 1805. Herausgegeben von
C. I- v. Chami880 und Ä. A. Varnhagen. 227 S. 12. (1 ltlhlr.)
Wenn es möglich ist, irgend etwas an sich Gutes und Vortreffliches auf
eine Zeillang zu Grunde zu richten : so geschieht es nicht durch die Schleyer
und Tadler, welche, wenn ihnen nicht die Inquisition unter die Arme greift,
noch niemals nur so viel vermocht haben, sondern denjenigen gelingt es,
welche von der bloßen Außenseite des Guten und Vortrefflichen ergriffen, sich
der Wolle, der Form, eigentlich der Larve, einiger Töne, die mit wirklichen
Ideen zusammenhangen, und einer Melodie, die einen innerlichen Zusammen-
hang nachahmt, bemächtigen, und ein ganz geringes Talent, ein unbedeutendes
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline 25
Streben, das sie auf dem gemeinsten Wege geltend machon könnten, auf einem
ungemeinen ins Publicum zu bringen suchen. Der Effect, den dieses auf den
gescheuten freundlichen Leser macht, ließe sich am besten durch einen Ile-
raklit und Demokrit, die man als eirien Januskopf zusammenfügte, personifi-
ciren. Die bösen Feinde aber freuen sich natürlich der verführten Seelen, und
Ihun klarlich dar, wie so schlimmer Anfang zu so schlimmen Folgen gedeihen
mußte. Die Dummen, welche sich immer nur an die Nachdrücke halten,
preisen die Aftererscheinung vollends als das Rechte. Der sämtlichen guten
Gesellschaft aber wird es endlich dadurch verleidet: denn alle Fratzen er-
müden, und zwar Jedermann ; niemand mag eine Weile über von der Sache
überhaupt hören noch sehen. Zu diesen schlichten Remerkungen, welche nicht
neu sind, hat jener Musenalmanach Anlaß gegeben, über den wir, nach
einer vorläufigen Anzeige desselben (Nr. IUI) hier noch ein besonderes Wort
hinzufügen. Die Herausgeber nennen sich C. A. von Chatnisso und K. A. Varn-
hagen ; die übrigen Poeten : Robert, Eduard, Ernst, Anthropos, Wolfart, *, **,
*** u. s. w. : verniulhlieh lauter erwählte Namen, die weiter nichts zur Sache
thun, als daß mit ihnen schon die Nachbildung beginnt. Denn man erinnert sich,
daß in dem Musenalmanach von 1802, den Schlegel und Tieclc herausgaben,
auch dergleichen, als : Novalis, Bonaventura, I(n)hwmanus, auch Sternchen,
und eine Sophie vorkommen, für welche wir hier eine Auguste anzuführen
haben, die uns freylich ganz so aussieht, als hätte sie sich nur in einen weib-
lichen Mantel und Kragen geworfen, welche nach der Mode des Tages nicht
sehr von den männlichen abweichen. Also schon von dem Namen an opfern die
Herren ihre bürgerliche Individualität auf, um sich dem Gemeinwesen der
Dichtkunst anheim zu geben, aus welchem sie ihr poetisches Individuum glor-
reicher hervorgehen zu lassen denken. Leider ist es nur ein Individuum ohne
alle Individualität. Sie gehören sämmtlich zu Einer Gattung, die wir nicht nam-
haft machen wollen. Es ist wahr, daß dieser und jener es in der Kunst weiter
gebracht hat, und manche recht täuschend die menschliche Gebehrde und
Stimme nachahmen, welche sie zum Vorbilde wählten. Der Vers klingt genau
so, die Gegenstände geben nichts nach, und am Gehalt fehlt wenig, nur eben
so viel, wie beym Goldmachen noch immer daran gefehlt hat, daß wirkliches
Gold daraus wurde. Hier giebt es zahllose Sonette an Philosophen (Fichte),
Dichter (Goethe, Tieck) an die werthen Freunde unter einander, an sonstige
imaginäre Wesen, von den Elementen, und an die Elemente, an die Tag- und
Jahreszeiten, von den Farben und den Klängen, auch gerade solche, wie
Petrarch zu machen pflegte. Cyklusse von Gedichten, Goethische Epigramme,
ein Fragment, nicht viel schlechter wie die Geheimnisse ; Canzonen, Originale
und übersetzte, Terzinen, Variationen oder Glossen.. Hymnen aus dem La-
teinischen durften nicht fehlen ; die Vf. haben sich sogar in ihrer Aus-
wahl bis zur unbefleckten Empfängniß der Jungfrau erhoben. Gedenkt ihr der
Romanze vom Licht von Fr. Schlegel: hier ist sehr anzüglich eine vom
Schult zu lesen. Überall stoßt ihr auf gebrochene Verse ; .manche sind durch
und durch gerädert; schwere Verse, dreysyibige Reime, kein Symptom manuell.
Was etwa den Symptomen selber mangelt, würde leicht nachweisen können,
wer sich von Amts wegen die Mühe zu geben hätte. Tiefer hinein habt ihr
dieselbe Wirthschaft. Das Ganze ist erstaunlich ernsthaft : man weiß, daß der
Scherz am schwersten nachzuahmen ist. Wenn die Gedichte nicht philo-
sophisch sind, so ist doch ein guter Theil Philosophie dabey consumirt
Erich Frank :
worden, die nichl eben aus der ersten Hand an die Vf. gekommen seyn muß.
So hat sieh vermuthlich der Mißgriff eingeschlichen, dm Urheber der Wissen-
schaftslehre mit Magneten, Metallen und der vier Weltstriche Richtung zu in-
commodiren. In einem anderen Sonetl ist er jedoch besser getroffen:
Sey mir willkommen dann friedsel'ge*) Klarheit.
Die Wesen, die sich Deinem Schoß entfallen
Sind Diener, ich der Herr, mein ist die Wohnung.
Von Selbstvernichtung wird manches verhandelt, vom Tode, der Leben
ist. vom Doppeltode der folglich ein doppeltes Leben ist, und dem das Uns
als Wahrheit ersteht. Die Liebe zeigt sich glutvoll und wuthvoll, strafend und
anbetend. Wo sie sieh sinnlich äußert, da scheint sie es nur um der höchsten
Ansichten der Physik willen zu thun. Ks ist damit zwar nur eine etwas anders
modificirte Epoche der Empfindsamkeit eingetreten, wie zu Werthers Zeiten,
die aber bey weitem nicht so unschädlich ist. Zum eigentlichen Todmachen
ist diese zu stolz ; dagegen bringt sie alles Große um, was sie in ihren
kleinen Kreis hineinzuziehen sucht, und tüdtet sich selbst in ihrer Erscheinung.
Das simple Lieben behält, wenn es auch der hundertste neun und neunzigen
nachspricht, immer etwas erfreuliches und wahres ; es läßt sich daran
glauben ; allein die complicirte Empfindung verräth sich, sobald sie nichl acht
ist, als eine reine Nichtempfindung. Man muß nichl darüber rechten, daß die
Empfindsamkeit, wenn man sie über alle Berge glaubt, sich immer wieder
einstellt, wir können sie eben nicht los werden, sie gehört zu unserer Natur,
wenigstens von der christlichen Zeitrechnung au : nur wäre zu wünschen,
daß ''in jeder seine eigene hätte, und sich nicht mit einer fremden quälte. Das
Individuelle ist ihr mütterlicher Boden ; auf diesem will sie aber auch wirk-
lich entsprossen seyn, um einen Werth zu haben. Gebricht es ihr an eigener
Kraft oder Erfindung, und sie giebt sich deswegen einer außer ihr seyenden
mit Liebe und Bewunderung hin: so liegl selbst. in dieser persönlichen An-
hänglichkeit noch etwas, das mehr ist, als ein tönendes Erz und eine klingende
Schelle, und ihr helfen würde, vor gewissen Dingen eine geziemende Scheu
zu bewahren, welches aber keineswegs zu thun, sondern frech an dem Heilig-
thume der Natur und der Kunst Kirchenraub zu begehen, die Sentimentalität
unserer Tage bezeichnet. Wenn doch besonders unsere schreibende Jugend*
die Kräfte des Himmels und der Erden ruhen ließe, bis sie durch stilles
fleißiges Forschen sie im eigenen Wahrnehmen erkennen lernte, statt sie bloß
auswendig zu wissen, und dann mit ihren wundervollen Beziehungen wie mit
den Reimen zu spielen. Legen sie wohl einen lieferen Sinn hinein, als daß sie
ihnen, wie diese, dazu dienen, Gedichte zu verfertigen? Der Taschenspieler
aber, der die Eigenschaften der Dinge zu seinen Künsten gebraucht, ist respec-
labler, als wer in Worten und Bildern sie mißbraucht.
Dagegen ist es freylich nur lächerlich, wenn sie auf ihr Leben, ihre Er-
fahrung eine würdige Rolle wollen spielen lassen, wenn sie, was Männer, die,
durch ursprüngliche (laben schon ausgezeichnet, auf einem großen Schauplatz
-landen, die öffentlichen Angelegenheiten oder den (lang der Wissenschaften
gedenkt, die Mühen und Herrlichkeiten der Welt durch eigenes Geschick er-
fahren, oder in stiller Contemplation ergründe! hatten, dann in Bezug auf ein
*) Es heißt „feindselige", Musen-Almanach, S. L2. Anm. des Herausg.)
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 27
reiches, vielfach begabtes und durchbildetes Daseyn dichteten und aus-
sprachen, vielleicht eben am Ende ihrer akademischen Laufbahn mit großer
Gemüthsruhe nachsprechen. Sie geben wohl vor :
Früh mußte schon das Leben mich belehren,
und :
In Wissenschaft und Kunst zu hüben Ehren
Hab' ich gestrebt durch der Gemeinheit Massen.
Wer mag aber ihrem Zeugnisse trauen und am Ende gar ihnen glauben :
Ich werde kunstvoll, gut, gesetzt von Jahren.
Wahrlich, diese Gesetztheit und in so krausgelockten Versen sieht ihnen zu
Gesichte, wie die Perücken den jungen Leuten gestanden haben mögen, die
sie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts schon auf dem Gymnasium zu
tragen pflegten. Eine solche mystische Dignität ist unendlich spashaft. Man
ließe es ihnen schon zu, über Gemeinheit zu klagen, obwohl auch dieses
ziemlich gemein wird ; da solche aber einem oft und in sehr verschiedenen
Gestalten begegnet, so hätten sie vielleicht nichl immer Unrecht. Sie müßten
dann nur, wo
Hohnneckend sie die Bessern schallen
und sie :
Verzweifelten zu finden je die Reinen,
genau zusehen :
Ob etwa sinn'ger Wahnsinn tauscht verdunkelnd.
Es liegt übrigens in der Physiognomie aller dieser kleinen Werke, daß ein
bescheidener Zweifel sehr fern von ihnen ist ; ja, es ließe sich darauf
wetten, daß so wie die Meister diese Jünger nicht anerkennen werden,
wenn sie anders nicht eine sträfliche Nachsicht üben, die Jünger sich bey Ge-
legenheit wohl über die Meister hinaus zu dünken im Stande sind. Mit der
Unsterblichkeit hat es ohnehin sein Bewenden.
Und dieser bittre Schmerz, den ich genähret,
Der mich bald schmelzen ließ, und bald versteinte,
Den sollten künft'ge Zeiten nicht mehr kennen?
Nein wenn kein Dichterwahn die Brust bethöret,
Es lebt in Liedern ewig was ich weinte,
Und ihren Namen wird die Nachwelt nennen.
Man hat dieß nicht etwa für die bloß naive Anmaßung irgend eines Ge-
fühles zu. nehmen, theils gehört es zum Kostüm, sich die Unsterblichkeit zu
prophezeihen, indem sich dies bey verschiedenen Dichtern findet, welche wirk-
lich auf die Nachwelt gekommen sind, theils scheint ihnen die große Sicher-
heit darüber fast ein sichrer Schritt dazu zu seyn.
Es könnte bey alle dem Einer oder der Andere das hier niedergeschriebene
Urtheil über das Ganze zu hart finden, wenn er sich an das Einzelne hielte.
Nicht, als ob sich Einzelnes merklich hervorhöbe : es findet in diesem Be-
tracht wie in jedem anderen eine entschiedene Monotonie in der Sammlung
statt ; weder Erfindung noch irgend eine gefällige Eigentümlichkeit halt uns
fest, und besonders ist ein gänzlicher Mangel an Frische und Lebendigkeit in
28 Erich Frank :
ihr auffallend ; dennoch kann man nichl läugnen, daß sich manches aufdrängt,
als oh es Etwas wäre. Das aber bringl gerade den treuen Freund der Poesie
zur Verzweiflung, weil es dann doch Nichts ist, indem allenthalben die Tiefe
und der Hintergrund fehlt, worüber sich nur derjenige lange täuschen kann,
der selbst flach is1. Es isl hier insbesondere von einer speciellen Gestaltung
der lyrischen Poesie die Heile, deren formen gediegen auszufüllen Gediegen-
heil im Subjecl und eine bedeutende Eigenthümlichkeit um so mehr erfodert,
da die Formen zugleich hervorstechend genug sind, um für sich allein zu
fesseln und die Leerheil zu begünstigen. Diese sinnvollen Töne haben neuer-
dings mi! dazu gedient, den erstorbenen Sinn für Poesie, als Kunst, allge-
meiner wiederum hervorzulocken. Indem aber die Jünger eine gebildete Technik
allein für sich eintreten lassen, trägt man nur eine um so schlimmere Emp-
findung davon, daß die Kunst auf einer höheren Stufe sich wieder in ein
Fantom verkehrt. Es ist das ächte Verdienst der Vorgänger, wenn Nach-
ahmer ohne wahres Verdienst dennoch so viel leisten können ; ein Memento
könnte es indessen für jene seyn, dem Streben nach der Form eine weniger
formelle Richtung zu geben, worin einige fast zu viel gel hau haben und eben
an der äußersten Grenze still gestanden sind. Für unsere Poeten gesellen sich
nun zu dem bloß äußerlich Gegebenen noch gewisse innerliche llülfsformen
die sie eben aus den immer mehr sich verbreitenden Ideen, den Entdeckungen
der Philosophie und Physik nehmen, und die schwächsten unter ihnen an
Crucifixen, Marien- und Heiligenbildern u. s. w. linden, welche die Venus und
den Amor, die Grazien und Nymphen als altmodig bey ihnen verdrängt
haben, aber unter ihren Händen eben so nichtssagende abenlheuerliche
/eil hen und Puppen werden, als sie es gewöhnlich in den deutschen Kloster-
kindien sind.
I'ni mit dem Demokrit zu schließen, empfehlen wir noch unseren Ver-
fassern zur Aufnahme in den nächsten Jahrgang folgendes, dem Einsender be-
kannt gewordene Sonett, von einer zwar technisch ungeübten, aber natürlich
geistvollen Hand :
Die Blume ist in Liebe hoch entbrannt,
Die Kelche wollen alle aufwärts dringen,
Und an die Sterne ihre Fäden schwingen,
Zu fassen Wurzel im azurnen Land.
Es überschäumt der Most den goldnen Rand,
Die Tropfen selbst im Becher widerklingen,
lud Kindlein, welche Schmetterlinge fingen,
Fahn Psyche'n nun an jeder grünen Wand.
So muß das Alle wohl sich neu gestalten ;
Denn alle sitzen um den süßen Brey,
Und die noch nicht die Löffel können hallen,
Sie legen doch getrost ihr täglich Ey ;
Und beten au das hohe Wunderkreuz,
Das aufgerichtet, aller Well, zum Kreuz.
MZ.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 29
b. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 120 (23. May) 1807.
Schöne Künste.
1) Hamburg, b, Schmidt : Erzählungen und Spiele. Herausgegeben von Wil-
helm Neumann und Karl August Varnhagen. 1807. 364 S. kl. 8.
(1 Rthlr. 12 gr.)
2) Berlin, b. Maurer: Eros. Von Wilhelm Eulogins Meyer. 1805. 188 S.
kl. 8. (14 Gr.)
.Man muß den Poeten Nr. 1 zugestehen, daß es nicht leicht ist, mit
ihnen fertig zu werden ; womit wir eben nur von diesen, nämlich den Herren
Neumann, Varnhagen, Chamisso u. s. w. reden ; denn fern sey es von uns, sie
irgend Jemand weiter zur Last zu legen und zuzugesellen, als sich selber.
Deßwegen aber ist der Kampf mit ihnen schwer, weil sie immer wieder-
kommen und immer in hellen Haufen, und dann doch ein jeder von ihnen ins-
besondere Rechenschaft von dem Überdruß fodert, den ihre Ziererey im
Ganzen erregt ; ferner weil sie, selbst schon Parodie, noch unermüdlich sind,
sich selber zu parodiren, einige sogar mit keckem Wissen und Willen, und
so der einzigen Waffe sich bemächtigen, die es Kurzweile machen könnte
gegen sie zu gebrauchen. Lassen wir sie also gewähren, indem sie es einmal
nicht lassen können, zu seyn wie sie sind, und geben nur an, was diese
Sammlung enthält ; wo denn zuförderst das Gute darin nicht ihnen gehört.
Für die Übersetzung zweyer Novellen, die eine des Boccaz, die andere des
Macchiavell, würde man Hn. Neumann gern verpflichtet seyn, da die erste,
die sich nicht im Decameron befindet, weniger bekannt, und die andere zwar
bekannt, genug — es ist die, wo der Teufel auf die Erde kommt und ein Weib
nimmt ■ — indeß doch immer gern gelesen wird, obschon die Behandlung, be-
sonders gegen die des Boccaz, ziemlich trocken erscheint. Allein Hr. .V. hat
sich auch diesen Dank etwas verkümmert durch seine Art, das Italiänische
ins Deutsche recht eigentlich zu übertragen, so daß man es wörtlich wieder
daraus zusammensetzen kann. Es ließe sich daher dieser Versuch auf den
ersten Blick für die' Übung eines Tertianers halten, wenn man nicht mit der
vollkommensten Gewißheit annehmen dürfte, daß solche reife Grundsätze den
Übersetzer geleitet haben, wie er sie etwa den ersten Meistern in diesem
Fache zutraut, welche das Colorit und die Wendung einer fremden Sprache,
in sii weit sie Eins mit dem Werk ist, auszudrücken bemüht sind, und eben
hieran die Bildsamkeit der deutschen Sprache üben, daß sie dennoch ver-
meiden, ihr dabey Gewalt anzuthun. Hr. N. hat das auf folgende Art aus-
geführt : „Eines Tages mehr als gewöhnlich von sehr schweren und unzähligen
Leiden angefallen mich befindend" u. s. w. oder : „Und eines Tages mit seinen
Vertrauten, Baronen, und Begleitern in solcher Kunst sich übend, geschah es,
daß ein scharfzahniger Eber ganz schäumend und mit gesträubten Borsten vor
ihm hinlaufend, vorbey kam und er ihn sehend, spornte sogleich das rasche
Pferd, und mit dem Schwerdt in der Rand ihn verfolgend" u. s. w. Wenn er
sich nun solchergestalt dem Originale anzuschmiegen sucht, versäumt er es
nur in der Kleinigkeit, daß er zwar ebenso italisch aber nicht gefällig zu
lesen ist. — Benigna, ein dramatisches Spiel von Varnhagen, hat recht artige,
dunkel und hell assonireude Verse, aber sie wollen im Ganzen weder Licht
noch Schatten geben, und es gehört vermuthlich mehr dazu, ein tragisches
30 Erich Frank :
Tableau, wie dieses seyn soll, auf eine lebendige Weise aufzustellen, als daß
ein Vater Sohn und Tochter tödtet, daß ein Lied zur Leyer gesungen wird, und
einige rasche Trochäen an den Calderone erinnern, die eben darum jeden
freund des Calderone mit Widerwillen erfüllen müssen. — Nero und Cato ein
Gespräch von | und Fabio und Clara, eine Novelle von Rosa Marie, wollen wir,
das erste als gänzlich verfehll und geschmacklos, die andere als gar unschädlich
und unbedeutend, übergehen ; die Beyträge des Pellegrin aber deßwegn, weil
wir ihnen eine andere Stelle wünschten ; sie vermögen an sich nicht für die
schlechten Nachbarn zu bezahlen ; in besserer Gesell schaff aber könnten sie
vielleicht auch besser werden. — Was kann man zu der Vision : Adelberts
Fabel oder dem Mährchen Alfonso sagen, als daß sie nachgemachte Schatten
von Schatten sind, aller ursprünglichen Kraft und Wesenheit ermangelnd ; ver-
gebens ruft Adelbert : „Karfunkel, du meiner inneren Selbstmacht", und ent-
deckt griechische Worte auf einem Talisman und hat beym Erwachen sein
Antlitz gewendet gegen die in Osten aufsteigende Sonne — es wird ihm
nichts helfen, es sey denn, daß er endlich einmal das 0€\eiv! in Wirksamkeit
setzte, um vernünftig zu werden. Ebenso würde nur ein Machtwort das
einzige noch rückständige Urtheil über die vielen biographischen Gedichte und
Sonette von Neumann und Yarnhagen sprechen können ; man müßte ihnen
nämlich geradezu verbieten, ferner welche zu machen. Daß sie von diesem
eigenmächtigen Entschluß weit entfernt sind, drückt unter anderen folgendes
Sonett mit muthigem Muthwillen aus :
liier ist von meinem innern Selbst ein Theil,
Was grade nun so zu Sonetten ward ;
Dünkt euch darin auch mancherley zu hart,
So ist auch manches, was zu weich, drin feil.
Hier noch zieht an der Sehnsucht Narrenseil
Das arme Herz in gar demüth'ger Art ;
hoch wuchs seitdem mir um das Kinn der Bart,
Und mit dem Bart hoffärth'gen Muthwills Heil.
Mag gut seyn oder schlecht, falsch oder treu,
Weint oder lacht, ich lach und weine mit,
Wißt ihr, was Demuth und was Hoffarth Unit ?
Doch ob ich Lob und ob ich Tadel litt,
Von Thoren, Weisen, weinend, lachend : neu
Quillt stets das leichte rasche Jugendblut.
Das heißt so viel: wir müssen warten, bis das Wasser abläuft.
Ober das Ganze wollen wir noch die Bemerkung machen, daß unsere
I lichter aus der jugendlichen Periode des Ernstes in die männliche des
Spaßes überzugehen anfangen, und so es in allem Anderen gleich thun, und
nirgends zurück bleiben wollen, wo ihnen denn bald auch die ernstliche gute
Absicht, die sie doch noch zu hegen schienen, verloren gehen möchte, und der
letzte Spaß fader wie der erste wäre.
Nicht vom Zufall geleitet, sondern wohlbedacht, stellen wir den Eros
Nr. 2 mit jenen Spielen zusammen, jedoch nichl um dem Eros wehe zu thun,
sondern weil in ihm erscheint, wie da, wo ein glückliches Naturell wenigstens
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 31
vorhanden ist, auch das nicht originelle, nicht ganz entschiedene Talent sich
Liebe erwirbt. Wir halten dafür, daß sich das Büchlein eben wegen der Nach-
sicht, die es bedarf und die es verdient, Eros genannt habe ; es könnte zum
Theil auch Eris heißen, wegen des satyrischen Drama's von heute, welches
wirklich dem übrigen, aus lyrischen Gedichten, einem kleinen Liebes- und
Bildungsroman bestehenden Theil selber den Streit anbietet. Auch für eine
Laune unseres Eros können wir jenes gelten lassen, der überhaupt noch nichl
immer genau weiß, was er will. Besonders zeigt er sich in dem Roman sehr
schwankend ; mitunter spricht, charakterisirt, portraitisirt er sinnvoll und
gescheut, in der Hauptsache herrscht aber eine gewisse Unverständigkeil, die
davor nicht verständig werden will, daß sie zu wissen scheint, sie ist un-
verständig. Allenthalben Unit sich nun manches Nachgeahmte, Nachgesungene
hervor, aber ohne Affeetation, tändelnd und fröhlich ; und um einen Maßstab
zu geben, wie weil das Eigene bey ihm geht, indem er sich das Fremde an-
eignet, setzen wir gern folgendes Gedicht her :
Unser Amor.
Nicht nach den uralten, uralten Geschlechtern,
Jener brausenden
Innig umstrickenden,
Ranke bedürfenden
Götter,
Fragt euch und sehnl euch,
Laßt immer sie hausen,
Buhlen und schmaußen,
Sind doch ja nur Gäste
Bey Jupiters Feste,
Hungernde, durstende.
Durstende, hungernde.
Einen nur haltet,
Der schaffet und waltet,
Locket und necket
Beseligt und schrecket,
Im Wolken- im Erdkreis,
Im Erden- im Wolkenkreis.
Alle verführt er,
Alle erspürt er
Die heimlich den Funken
Im Herzen versunken,
Klagen und tragen,
Tragen und klagen.
Und gilt auch sein Sümmchen
Im Rathe der Götter
Auch wenig, auch nichts ;
So plaudert sein Stimmchen
Trotz Rathen der Götter,
Doch Allen voran.
;;•_> Erich Krank :
Gehl auch im irdischen, groben Gedränge
Psyche, die liattin,
Die Ewigkeitschauende
Seele des Lichts, Licht in der Seele
Ihm manchmal verloren
Dem lockeren Schelm :
So sprudelt er dennoch
Im Leben hoch auf,
Sprudelt im Herzen,
Und treibt ihn durch Schmerzen
Den trübe Gehörnen
Zum Himmel hoch auf.
Lockt sie ins Hiittchen
Mit zuckernen Dütchen,
Durch üppigen Wahlsrhein
Hinein, hinein.
Verschließet die Riegel,
Drückt jauchzend das Siegel
Der Seinigen drauf.
Der Seeligen drauf.
Mit künstlichen Sylbenmaßen mühet er sich nicht ab ; aber alles Gefällige
und Schwebende des Klanges steht ihm so zu Gebot, daß man über den Sinn
zuweilen leichler hinwegzuschlüpfen geneigt wird; man weiß doch, es ist
leichter Sinn, und soll kein Tiefsinn seyn. Anderen, und zwar solchen Poesien,
die aus mehreren kleinen Gedichten bestehen und dramalisch behandelt sind,
kann man das Gedachte nicht absprechen, obwohl sich eine recht, durch-
greifende Conception des Ganzen nirgends zeigt. Eins dieser Gedichte ist
Goethe's Geburtstag überschrieben; es sind da verschiedene Personen aus den
Werken des Dichters contrastiert und wiederum verbunden, um ihn zu ver-
herrlichen. Faust spricht zu Iphigenien, der Unvollendete zur Vollendeten,
das heißl der seiner Natur nach, nicht als Gedicht, Unvollendete), sie zu ihm,
sich abwendend viiii ihm, beide aber zu ihrem gemeinschaftlichen Schöpfer sich
hinwendend, wo aber Reinike dazwischen berichtet, daß eben Tassn bey dem
Dichter ist, der dann von ihm gehend, mit seinem eigentümlichen Ungestüm,
die Begeisterung, die Nacheiferung ausdrückt, die dieser in ihm erweckt hat.
Egmonl und Werther reden zusammen, dieser sich an die Stelle des Helden,
der Held in die des Liebenden sich versetzend. Zu Egmont komml Götz von
Berliehingen, und begrüß) ihn mit einigen Stanzen, von denen wir die erste
wenigstens einrücken wollen:
Wie aus der Felsen dunkeln Mooseril/.en,
Hoch über Sturmesfluth und Meereswinden,
Wie sieh auf eines Berges Wolken Spitzen
Zwey königliche Adlerhelden finden,
Die Braut*) zu tränken in den Sonnenblitzen:
So auch zwey Ereye Herzen, die sieh linden.
: Es heißl im Original : „Brust" (Anm. d. Herausg.).
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 33
Sie fliegen auch in heldengleicher Wonne
Zur goldnen Freyheit auf, zu ihrer Sonne.
Meister schließt mit der Wiederholung der letzten Zeilen jener Stanzen :
Was fromme Helden fochten, Dichter sangen,
Ist doch nur Einer Seele Gottverlangen.
Von dem oben erwähnten Drama ist die Skizze folgende : Der Vater war
genöthigt, seine eben mutterlos gewordene Familie auf eine Zeitlang zu ver-
lassen und vertraut sie der Obhut eines Hofmeisters, der der erste ist, sich
der Verrücktheit, und zwar einer gereimten zu übergeben. Der älteste Sohn
(von 15 Jahren) wird ein arger Renommist, Rächer alles Unbildes, Verächter
aller hergebrachten Sitte, Spieler, wirft dem Minister die Fenster ein u. s. w.,
der jüngere macht Schauspiele. Sämtliche Dienerschaft schlägt der jungen
Herrschaft nach ; die Bedienten und Köchin führen das Stück des jungen
Herrn : Aeneas und Dido auf. Die Cousine des Hauses kann sich kein größeres
Vergnügen denken, als den rohen Vetter zu bilden, nicht um des Vetters,
sondern um des Bildens wegen, wird aber mit derben Wahrheiten von ihm
angelassen, wie auch die übrigen Thoren. Endlich sendet der Vater den Dorf-
schulmeister in die Stadt, um nachzusehen, wie es im Hause steht, der ihm
dann die Bescherung berichtet ; er kommt selbst, einige Polizcydiener in Be-
treff des ältesten jungen Herrn mit ihm. Nachdem die gehörigen Maßregeln
getroffen sind, um Ordnung herzustellen, giebt der Dorfschulmeister schlüßlich
folgendes Sentiment von sich, das wir in manchen Bezug nicht anders wie
billigen können :
(an's Parterre, indem er eine Rulhe vorhält) :
Dieß war die harte Zucht der alten Zeiten.
Auf Eseln ließ man da die Jugend reiten ;
Da kam in ihrem parfümirten Kleid
Die heutige, die liebe neue Zeit.
Ms hieß, die Fsel wären aus dem Thor. —
Die Menschheit kommt mir doch bedenklich vor.
Was besser frommt? Gott in der Höh sey Richter,
Ich mein' ob span'sches Rohr, ob span'sche Dichter?
Das Ganze ist nun wahrhaft ein Spiel, alles luftig und lose ins Blaue hin,
auch ohne Groll gehalten; die Verse und Diction allerliebst — eine Ent-
zückung des Schauspieldichters, der sich im Geist auf weiter Bühne auf-
geführt, herausgerufen, seinen Namen durch alle Welttheile getragen, endlich
gar sich vom Papst die Dichterkrone aufgesetzt erblickt, ist unvergleichlich.
Bey alle dem fehlt auch hier die innere Gründlichkeit, welche selbst dem Spiel
nur scheinbar mangeln darf, wenn es auf einige Dauer rechnen will ; und wir
wagen nicht, viel über das bereits Geleistete hinaus von dem Vf. zu hoffen,
so sehr er Anlaß giebt, es zu wünschen. Bliebe es aber auch biebey mit der
ilmi verliehenen Gabe, so hat sie doch immer eine heitere und frische Stunde
gewährt ; ein Ruhm, dessen sich unsere obigen Bekannten nicht zu erfreuen
haben, die wir überhaupt gern, wenn es nicht unhöflich wäre;, an den Dorf-
schulmeister verweisen möchten. N-f-d.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, philos.-hist. Kl. 1912. 1. Abh.
Kr ich Frank :
2. Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 65 (18. März) 1805.
Kleine Schriften.
Schöne Künste. Berlin u. Wien, b. Nathan u. Comp. : Nathan der Weise.
Schauspiel von Lessing. Travestirt und modernisirt in fünf Aufzügen.
1804. 96 S. 8. (6 gr.)
Pas travestirende Geschlecht nimmt so sehr überhand, daß man sich
\<>n einem ueuen Versuche in der Gattung nicht leicht mehr, wie von den
neuesten, verspricht. Dieser übertrifft aber durch seine Schlechtigkeit sogar
eine billige Erwartung. Es ist eine Satire ohne Salz und ohne Sinn, ohne
Lustigkeit, und ohne Object ; wenigstens fällt es schwer, dieses herauszu-
finden. Soviel läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß es politisch, und
nicht literarisch damit gemeint ist. Saladin figurirt den Helden des Zeitalters,
a, das aus Loretto entführte, ins Lehen versetzte, einem argen Juden in
die Kost gegebene und v<>n Saladin wieder eingesetzte Muttergottesbild. Die
Erzählung des Nathan handelt von Ordens- statt von Glaubensbrüdern ; Les-
sing wird als Derwisch noch besonders gemißhandelt : Sil Iah stellt sogar eine
von den kaiserlichen Schwestern vor, aber es zeigt sich überall kein deut-
licher Zusammenhang, außer dem einer durchgängigen Plattheit ; der wir es
überlassen wollen. Bff.
Ohne Druckort und Jahrzahl : Poetische Versuche von Wilhelm Ca-
\e~l:i. 192 S. 8. (12 gr.) An dieser kleinen, auf graues Papier, ohne Orts-
angabe, gedruckten Sammlung ist nur die Kühnheit merkwürdig, dergleichen
ihrer Majestät, der Königin von Preußen, zuzueignen, als ob die Sonne das
l nkraut in Blumen verwandeln könnte. Obige Versuche verrathen nicht einmal
einen jungen Studirenden, der seine dürftige Anschauung in ein paar Bogen
Beime bringt, sondern weit eher einen wandernden Handwerksgesellen, dem
die Musen in seiner Sprache antworten, wie er selbst berichtet :
Herab! (vom Pegasus) was käme davon her?
Daß Du erschienst ein Bärenhäuter elc.
Bff.
Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 153 (28. Juni) 1805.
Schöne Künste.
Breslau u. Leipzig, b. Korn : Poetische Schriften von Sam. Gottlieb Bürde.
1805. Zweyter Teil. 378 S. 8. (1 Bthlr. 8 gr.)
Diese zweyte Sammlung begegnet weder glänzenden Erwartungen, noch
scheint sie dergleichen Ansprüche zu machen ; sie gleicht der ersten in der
Stille, die auf den Blättern ruht, und angenehm mit geräuschvollem und nicht
gehaltreichern Schriften contrastirt, so wie in der Eintönigkeit der Formen,
welche keine Spur eines neueren Studiums verrathen, und enthält noch mehr
l Übersetzungen, wie jene. Die erste Abtheilung oder das vierte Buch giebt uns
Elegien nach dem Englischen, theils beschreibende, theils didaktische Poesie,
in welchen sich der Vf. von jeher am besten gefiel, und sein Talent an den
englischen Vorbildern dieses Faches anzündete, und standhaft übte. Eine reine
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 35
fließende Sprache, und die Melodie von Grays Dorfkirchhof geht durch alle
hindurch. Eins derselben : das Nonnenkloster ist eine bestimmte Nachbildung
von jenem, in welcher die dramatische Seite, die Einführung des elegischen
Sängers, gezwungen erscheint, und der Gegenstand der Klage einer ziemlich
scherzhaften Deutung fähig seyn würde. Wir führen folgende Strophe als
Probe der Verdeutschung des englischen Originals an.
Manch' Mädchen, Julien und Lauren gleich, verblüht
Hier ruhmlos ; manche, die schon mit der Morgenröthe
Zum kleinen Garten eilt, und Blumen auferzieht,
Erzog' in einem Sohn uns einen andern Göthe.
Hierauf folgt Alzire für das deutsche Theater bearbeitet, das heißt, es
ist ein gefälliger Auszug davon in nachlässig behandelten Jamben, bey welchem
man ganz von der Forderung abgehen muß, daß hier eine französische Tragödie
als solche wiedergegeben werden soll. Der Übersetzer hat nur den Stoff vor
Augen gehabt. Er hat die Ausführlichkeit der Ausführung weggenommen, die
Ecken und Härten der französischen Convenienz und die Eigenthümlichkeiten
ihrer Pihetorik in einer weichen Haltung aufgelöst, die Intrigue nach den ge-
wöhnlichen Ansichten besser gerundet und in Handlung gesetzt, die Per-
sonen, wenn man will, natürlicher auftreten lassen, bey welchem Allen jedoch
kein erhöhter Effect für die Bühne gewonnen werden konnte. Gusmann ist
vom Anfang an etwas menschlicher vorgestellt, vermuthlich um seine Be-
kehrung am Ende besser zu motiviren ; nur Einmal spricht er selbst hoch-
müthiger wie im Original :
Doch, was verlang ich? Gusmanns Vater soll
Um eine Gunst zu bitten, sich erniedern?
Je rougis, que mon pere
Pour linieret d'wn ftls s'abaisse ä Ja friere.
Er läßt aber Zamor ein Kriegsgericht halten, bey welchem Zamor sich ein-
schleicht, und ihn ermordet. Der Auftritt geht auf der Bühne selbst vor, nach
deutscher Sitte, erzeugt aber den Mißstand, daß Zamor sich auffallend als
Meuchelmörder darstellt, und der Vater Alvarez gar zu offenbar den Retter
seines Lebens höher schätzt, als das Leben seines Sohnes. So entsteht leicht
tiefer gegründete Unschicklichkeit, wenn eine Convenienz mit der andern ver-
tauscht werden soll. Die vielen Erwähnungen der grossiers climats, und
sauvages vertus, wodurch Voltaire die fremden Völker zu bezeichnen pflegt,
bey denen er mit seinen Tragödien ziemlich rings in der Welt herumge-
kommen ist, sind unterdrückt worden; dafür geht Zamor einmal mit einer,
der einzigen, lyrischen Strophe ab, die in einem hergebrachten Wilden-Gesang
ihre Stelle finden könnte. Manche Stellen, die int Sinn des Originals zu den
besten gehören, sind in der Bearbeitung verschmäht worden, z. B. Manes de
mon Amant, j'äi donc trahi ma foi etc.
Alzirens Gebet für Zamor :
Grand dieu condui Zamore au milieu des deserts etc.
Wenn sie Emiren sagt :
Ya, Ja honte sentit de truhir ee que j'aime etc.
Statt ihrer Erklärung über den rettenden Ausweg-, daß Zamor Christ werden solle:
3*
Erich Frank :
Mais renoncer aux dieua que Von croit dans son eaeur
ü le Crime d'un Lache et non pas ioic erreur.
C'esl trahir ä la fois sous un »ms, ine hypoerite
Et le dien que Von sert, et le dien que Von quitte,
("est mentir au eiel meine, ä Vunivers, ä soi.
Mourons, mais en mourant sois digne encor de moi.
antwortet sie hier auf Zamors Frage.
Sprich
Wie soll ich wählen?
• — Wie dein Herz dir räth,
Sieh mir ins Auge ! Heiter ist mein Blick.
Frey athmel meine Brust.
Worin man die hier unglückliehe Reminiscenz an Thekla in Wallenstein nicht
verkennen wird. So ist das Werk durchgehends aus dem bestimmten Ge-
sichtspunkte gerückt worden, in dem es gearbeitet wurde, und dessen
strengere Kenntniß dem Übersetzer sogar zu mangeln scheint. Innerhalb des
eingeschränktesten und fremdesten aber kann noch eine entschiedene, ja eine
erhebende Wirkung statt finden, für welche eine einseitige Erweiterung keinen
Ersatz leistet, sondern nur jene aufhebt. Eine der Stellen, wo der Vf. sich
dem Original am nächsten gehalten, und zugleich am glücklichsten übertragen
hat, ist folgende :
De tont ce nouveau Monde Alzire est le Modelle,
Les peuples incertains ßxent les yeux sur eile,
Son CCeur ans Cas/Maiis en dminer Ions les COBUTS,
L'Amerique ä genoux adoptera nos meeurs,
La foi (Inil y jetirr des racines profondes,
Votre hymen est le Noeud, qui joindra les deux mondes.
Alzire sie,
Der Stolz, die Zierde dieser neuen Will,
Bringt Dir die Herzen ihres ganzen Volkes,
Zum Brautschatz ; ihrem Beyspiel folgend, nimmt
Amerika Furopens Sitten an ;
Das heiige Band, das sie mit dir vereint,
Verknüpft die alte mit der neuen Welt,
Und jedes Herz schlägt nur für Spanien
Fml für der Christen (Hauben.
Von dem Versuche, Wielands Don Sylvio von Rosalva in ein Singspiel zu
bringen, ist es besser, zu schweigen, indem dabey dem Urgedanken auch nicht
ein Funken von Leben übrig gelassen ist, und wir ihn als völlig todt be-
trachten müssen. Mil mehreren) Vergnügen wird man bey den wenigen Bogen
verweilen, welche mit eigenen Liedern und kurzen Lehrgedichten des Vf.
den Beschluß machen. Jene ziehen durch gefällige Wendung ohne weiteren
Reich thum an ; das wichtigste der letzten ist nur nicht gleich und fort-
schreitend genug in seinem Gange ; es wendet sich von höheren zu unter-
geordneten Ansichten hin und zurück, und da es weder neue noch große auf-
schließt, so hätte es um so mehr einer sorgfältigen Ökonomie bedurft.
Bff.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 37
III. Eine gemeinsam von Schelling und Caroline verfaßte
Rezension.
Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 35 (11. Februar) 1806.
Schöne Künste.
Nachdem sich zufallig folgende Bruchstücke unserer schönen Literatur
zusammen gefunden haben, welche ein Urtheil begehren : so will es sich fast
zu langweilig anlassen, von einem jeden insbesondere mit hergebrachtem
Ernst, ausführliche Rechenschaft zu geben, indem die meisten für sich so gut
wie keine Stelle einnehmen ; man versucht daher lieber sie in der bunten Ver-
bindung zusammen zu fassen, welche ohnehin ihre natürliche ist, und freylich
wiederum nur ein Bruchstück jenes vortrefflichen Congregats darstellt, das
unserer vielseitig gebildeten Generation zur Nahrung dient. Futter für Pulver,
Futter für Pulver möchte man mit Falstaff sagen, da er von seiner ange-
worbenen Mannschaft spricht, sie füllen eine Grube so gut wie andere. Die
Lesewelt verzehrt die Bücher begreiflich um so schneller, wenn es ihr nicht
möglich ist, sie zum zweytenmal nur anzusehen. Nicht sowohl dieses In-
stinctes ermangelt sie, als vielmehr desjenigen für die Lesbarkeit eines
Buches überhaupt. Wäre es nicht die Pflicht einer Lit. Zeitung, diesem
zu Hülfe zu kommen, so dürfte eine solche selbst mit so Manchem sich
nicht befassen. Allein in dem Punkt der Leetüre, insofern sie als ein
geselliges zeitvertreibendes Vergnügen betrachtet werden kann, ist in der
That die äußerste Verwirrung eingerissen. Da sonst in der Societät Linien
Statt linden, welche die verschiedenen Grade der Cultur auseinander
halten, sq giebt es hier gar keine Verzäu(n)ung ; jeder nimmt Theil an allem,
und eine Leihbibliothek ist ein öffentlicher Versammlungsplatz, wo der
Unterschied der Stände das ganze Jahr hindurch aufgehoben ist, und be-
ständige Saturnalien gefeyert werden. So vieles wird nur für die niedrigsten
Klassen geschrieben ; allein die vornehmsten verschmähen es nicht, und uns
dünkt die Wirkung davon zeigt sich im Ganzen. Hiebey scheint es unbillig,
Schriftsteller und Verleger ausschließlich zur Rede zu stellen. Sie geben sich
der Verdammniß vielleicht nothgedrungen Preis, da die größere Wahl auf der
Seite des Lesers bleibt, mithin auch die größere Schuld. Dem ungeachtet
möchten die Urheber und Beförderer von folgenden Werken eine schonungs-
lose Rüge verdienen :
1 | Erfurt, b. Hennings : Johanne Soutgate, die neue Prophetin in England.
Ein Gemählde des Mysticismus aus unsern Tauen. Aus den Memoiren
des Herzogs von **inghäm und den Ritualien des neu erstandenen
Ordens Christi. Erster Theil. 1805. 382 S. Zweyter und letzter Theil.
286 S. 8. (2 Rthlr. 16 gr.)
2) Erfurt, b. Hennings : Amalie Ilulbi. Eine wunderbare Vision, die ich selbst
gehabt habe, von Theod. Ferd. Kajetan Arnold, der WW.*) und Recht-
wiss. Dr., Lehrer auf der Universität zu Erfurt. 300 S. 8. (1 Rthlr.)
3) Erfurt, b. Hennings : Die silberne Kuh com Verfasser des silbernen
Kalbes. Erster Band. 1805. 386 S. Zweyter Band. 319 S. Dritter und
letzter Band. 332 S. 8. (3 Rthlr. 8 gr.)
*) d. i. Welt-Weisheit Anin. des Herausg.).
Erich Krank :
1 Erfurt, 1>. Hennings: Das unglückliche Weib, ein Gemähide ans der
jetzigen Welt. Erster Band. 282 S. Zweytei Band. 222 S. S.
1 Rthlr. 20 gr.)
Diese industriöse Gesellschaft treibl die Büchermacherey auf das gröbste
und mit Hintansetzung aller Achtung gegen das Publicum. .Man kenn! das
räsonirende Verzeichnis ihrer Pabricate aus den öffentlichen Blättern; es
wird auch jedem einzelnen angehängl und zwar gewöhnlich auf doppelte Art,
indem auch noch in den Texl selbsl die Anpreisungen dramatisch eingeführt
werden. Sie tragen außerdem das gleiche Gepräge auf eine merkwürdige
Weise, da es zugleich sichtbar ist, daß sie nicht von der nämlichen Hand her-
rühren. Es ist hier der wahre Hexenkessel der Schriftstellerey : die ver-
schiedensten Ingredienzen werden hineingeworfen, was aber herauskommt, ver-
rälh die gemeinschaftliche Werkstätte durch einen betäubenden Dunst und
einen gewissen wahnwitzigen Anstrich. Bey vorliegenden Producten unter-
scheiden wir zwey Verfasser : den von Johanne Soutgate und Amalie Balbi, und
den der silbernen Kuh und des unglücklichen Weibes. Hei- erste schreib!
fließend, wie man es nennt, mit einer Art von Klarheit und Fülle gemeinen
Ausdrucks ; er nimmt seine Gegenstände von dem her, was Tag und Stunde
eben an die Hand geben, wobey er, da er nicht selber erfindet, zwar immer
etwas hinter der Mode drein bleibt, sie -ich aber ganz bequem zurechtzumai tu <
weiß. In Johanne Soutgate liefert er die Papiere eines jungen englischen Her-
zogs aus, der von vielerley Machinationen umstrickt, für, man weiß nicht, was
für obscurantisch-illuminatisch-poli ische Zwecke gewonnen werden soll, und
nebsl den übrigen Werkzeugen zu Grunde geht, liier gibt es also räthselhafte
Ereignisse, welche aufgeklärt werden. Visionen, die in Rauch aufgehen, philo-
sophische Fragmente und dergleichen Verzierungen. Als Gewährsmann hat
sich am Schlüsse einer Dedication an den König von England unterzeichnel :
„Der Herausgeber, einer der ersten Staatsbeamten und Freund der Nation".
Der Vf. scheut keine Mühe, um die Dinge recht zu beglaubigen; er läßt sich
das Abgeschmackteste nicht verdrießen, und geht dabey mit einer Sicherheit
zu Werke, als müsse es ihm bey einem oder dem andern Leser doch damit
gelingen, die man heynahe für Ironie nehmen könnte. In Amalie Balbi trägt
er, wie es scheint, sein eigenes Gesicht ahs Maske. Es ist uns freylich un-
bekannt, oh ein Hr. Dr. Kajetan Arnold zu Erfurt lebt und fähig ist, „vor
Gott und aller Welt zu versichern, daß die Geschichte, die er hier erzählt,
wahr sey" ; allein der ganze Hergang, die Umgebungen des guten Mannes, der
sich mit Schreiben solcher Bücher wie diese sind, durch die Welt bringt,
sind so ungemein natürlich und wahr vorgestellt, daß sie das Zutrauen sogar
für die nachfolgende Begebenheil gewinnen, so sehr diese übrigens von aller
Wahrscheinlichkeit entblößt, und den Hauptzügen nach aus anderen ähnlichen
zusammengesetzt is1 l I mschung aber hat er mit einer originellen Hin-
gebung seiner Person durchzusetzen gesucht, und man meynt deutlich wahr-
zunehmen, wie er sich die bekannte Wötzelsche Erscheinungsgeschichte
wenigstens von der Seite mit wahrer Sympathie zueignete, wo dieser sich
durch seine Erscheinung die Beruhigung ertheilen h'ißl : daß es ihm noch ein-
mal besser in der Welt gehen soll. Er legt es jedoch nicht darauf an, sich
selber betrügen, sondern bloß in ungefähr gleicher Bedrängniß sich selber
helfen zu wollen. Auch will dieser Doctor der Weltweisheit keineswegs andere
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 39
zum Glauben an übernatürliche Dinge verleiten ; er ist zufrieden, wenn man
ihm die natürlichen glaubt. Die Vision, welche er gehabt hat, haßt er sich voll-
kommen in Nichts auflösen. Denn die Person, welche ihm als gestorben er-
schienen war, lebt am Ende noch, und begrüßt ihn in der Peterskirche zu
Erfurt. Die Details dieser geistigen Verhandlungen stimmen mit den Blend-
werken in der Johanne ganz überein, besonders finden sich die erscheinenden
Frauenzimmer immer mit niedlichen gestickten Schuhen und wehenden
Taflentkleiderchen ein.
Bei weitem nicht so erträglich finden wir den Vf. der silbernen Kuh
und des unglücklichen Weibes. Das erste sind strafende Rhapsodien auf
Fürsten, Völker und Zeitalter, in eine seltsame Geschichte von Attila und seine
Zeitgenossen gekleidet, aus denen sich niemand einen gesunden Gedanken
oder irgend eine Anschauung nehmen mag und kann. Diese drey Bändchen
voll dichtgedrängter metaphorischer Umschreibungen und roher verworrener
Schilderungen sollen humoristisch seyn. Wer etwa den Humor des Jean Paul
zu leicht und geflügelt für sich fände, der möchte diesem formlosen Radotiren,
wo alles an einander und nichts zusammenhängt, seinen Glauben gefangen
geben. Der Vf. bildet sich wahrscheinlich ein, man dürfe nur Unsinn
sprechen, so wäre gleich Methode darin, oder wo keine Methode sey, da müßte
der Leser um so mehr Sinn vermuthen. Verschiedene Notizen und einzelne
Laute, welche dumpf aus ihm wiedertönen nebst der — wenigstens schein-
baren — Aufrichtigkeit seiner Prätensionen lassen auf einen verunglückten
Studirten schließen, der in die Hände der Buchhandelnden Seelenverkäufer
gerathen ist : seine Manier aber zeigt, daß sie ihren rechten Mann an ihm
fanden. Man kann diese kaum anders als durch sich selbst bezeichnen, wes-
wegen wir einige Blätter, die ersten die besten, (zum Glück geht sehr wenig auf
ein solches Blatt), hier einrücken. B. I S. 367 — 369. „Jeder will unsterblich
seyn. Sonderbarer Gedanke. Der eine stürzt sich auf den Stolz, diesen Vor-
reuter, diesen Trabanten der Regenten, diesen Miethling der Niedern, diesen
Schneider der Kleidung, diesen Bebrämer der Livrey, diesen Hanswürsten
im Schauspiel, diesen Tänzer am Seile, diesen Ehrer der Gottheit, diesen
Schwätzer von Religion, diesen Schurken des Trugs, diesen Teufel der Ehe, •
diesen Hahn des Verraths, diesen Engel der Verstellung, diesen Posauner der
Weisheit, diesen Äffer des Gewissens, diesen Schindersknecht, diesen Diener
des Gerichts, diesen Schmeichler der Großen, diesen Gefürchteten des
Glaubens. Der Stolz brütete Wahrheit, Erkenntniß, Licht und Kraft, wie die
Taube Eyer, und der Gelehrte Gedanken. Von jeher regierte er die Meinungen,
diesen Maskenball der Affen, diesen Hexenmeister der Erscheinungen, diesen
Besudler der Geschichte, diesen Pfuscher im Recht, diesen Beklekser der Re-
ligion. Religion ist wegen der Vielseitigkeit ein ausgestopfter Hahn, ein Pfau
mit Federn, eine Nachteule im Dunkel und eine Lerche im Sonnenglanz etc."
Gleich einem Wucherkraut rankt sich diese Schreibart ununterbrochen durch
das ganze Buch fort. *)Eben so verrückt ist die Geschichte eines unglücklichen
Weibes abgefaßt, einer Marketenders Tochter, die ihren Vater beständig ihren
,, Erzeuger" nennt. Ihr Unglück bestand darin, lebenslang nervenkrank und ver-
krüppelt zu seyn, und das Merkwürdige ihrer Selbstbiographie in, wirklich bis
zum Entsetzen getreuen, Darstellungen kranker Zustände, medicinischer Be-
*) Hier beginnt das Stück von Caroline (Anm. d. Herausg. vgl. unten S. 56).
40 Erich Frank :
handlangen, und mancher häuslicher Scenen in ihrer äußersten Nacktheil auf-
gefaßt. Ofl nimmt die Schreiberin Begebenheiten und Personen als bekannt
an, die nicht erwähnt wurden, oder deutet auf solche hin, die nicht kommen,
und verräth auch dadurch convulsivische Anfülle, welche ihr jedoch Besonnen-
heit genug lassen, daß, indem sie ihre letzte Zuflucht bey einem Schriftsteller
findet, sie Gelegenheit nimmt S. 214 B. 2 unter andern anzurühmen : Gott
Wezeis Zuchtruthe des Menschengeschlechts und das silberne Kalb. In Betracht
ist es allerdings bemerkenswerth, wie Jemand, der um seinen Ver-
stand gekommen ist, noch einen dergleichen finden muß, der ihn tragiret. Von
dem letzten heißt es, „Hier finden sich die tiefsten Lehren im Gewand der
Satyre, die kernigsten Speisen mit somatischer Liebenswürdigkeit, ein Kern
mächtiger Gelehrsamkeit, und was das schönste ist, so eingerichtet, daß jeder
an dem Gericht Tlieil nehmen kann. — ■ Jeder Gedanke ist eine Copie der Welt.
In jeder Idee wird eine Paradoxie der alten und neuen Welt gerochen, sie
treffen neben den Einsichten des Griechen, Perser, Indier, Deutschen und
Franzosen jedesmal die feine Grenzlinie, wodurch eine jede dieser Nationen
von einander abweicht etc." Man würde dieses gern für einen Zusatz von
bloß merkantilischer Hand gelten lassen, besonders wie weiterhin das Buch :
Galoppaden und Bockspringe doch allzu schamlos, offenbar dadurch empfohlen
werden soll, daß „die Sage gehe, sie wären sehr schlüpfrig geschrieben,
könnten aber als ein historisches Denkmahl mit Wort und Werken belegt
werden ;" allein es sind diese Ilors d'ceuvres mit dem Innern der Werke nur
zu sehr aus gleichem Stück. Durch eine glückliche Wendung schließt jener
snsent mit den Worten : mau würde „sich einen Begriff von der
Scheuslichkeil eines Zeitalters machen können, in dem solche Farcen er-
schienen" — was ihm gewissermaßen nicht abzuleugnen steht.
5] Dresden, b. Arnold: "Röschens Geheimnisse von dem Verfasser des Weibes
wie es ist. 1805. Zwey Theile. 260 S. 8. Dritte durchaus verbesserte
und wohlfeile Ausgabe. (1 Rthlr. 12 gr.)
Diesen Geheimnissen müssen wir nachrühmen, daß sie nicht so verfäng-
lich sind wie ihr Titel es andeuten könnte, nämlich nichts weniger als ver-
führerisch. Man empfiehlt sie sogar hie und da den Frauen als eine nütz-
liche, zur Selbstkenntniß führende Leetüre. Bey alle dem ist diese moralische
Seite die schlechteste an ihnen. Denn sie stellen nicht etwa das Bild eines
weiblichen Wesens auf, das durch lockende Umgebung und gewöhnliche
Schwachheit in den Irrgarten der Liebe gezogen wird, sondern eines solchen,
das ganz ursprünglich dazu bestimmt ist, sich, wie es die Umstände eben
wollen, mißbrauchen zu lassen ; eines Röschens, das schon in der Knospe welk
war, und eine unverdorbene Jugend nur durch die Gestalt heuchelt. Ihr an-
fängliches Verhältniß zu dem Hofrath und die erste Unterhaltung mit ihm zeigt
hinlänglich, wie wenig sie im Stande war, auch nur die gemeinste Schonung
einzuflösen, und jede nachfolgende Begebenheit ist entweder innerliche, oder
rliche Entehrung, ohne Charakter und ohne Leidenschaft. Ein solcher
Spiegel der Weiblichkeit, wo sie in einer gänzlichen und waffenlosen Leer-
heit angenommen wird, kann in der That nichts beytragen ihrer Würde auf-
zuhelfen ; und das Weib wie es ist im Sinne dieses Vf. ist ganz und gar
werth jenes anderen bekannten Tugendspiegels des Weibes wie es seyn sollte.
Niedrigkeit der Ansicht hat auch manche Ungeschicklichkeit in der Darstellung
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 41
nach sich gezogen. Die endliche Reue und der Eintritt ins Kloster sind bloß
zufällig herbeygeführt ; es findet sich im Vorhergehenden nicht die mindeste
Anlage dazu. Am besten ist das Verhältniß Röschens zu ihrem rechtschaffenen,
jedoch trocknen und langweiligen Gatten behandelt. Der Vortrag ist gerade so
belebt und correct, als man ihn jetzt bey der allgemeinen Verbreitung der
schönen Wissenschaften auch von jedem halhweg gewandten Handelsdiener
erwarten könnte. Unbekannt mit den übrigen zahlreichen Producten dieses
Schriftstellers, der unter die beliebten gehören soll, darf man doch wohl dieses,
durchaus verbesserte und wohlfeile Röschen, als einen Maßstab seines Talentes
annehmen, von dem wir dann gestehen müssen, daß es sich durch nichts aus-
zeichnet.
6) PiUDOlstadt, b. Langbein u. Klüger: Nettchens Hochzeit von Karl Gottlob
Cramer. 1805. 248 S. 8. (1 Rthlr.)
Wir loben uns dagegen Nettchens Hochzeit in Kapiteln mit gereimten
Überschriften und in Iln. Cramers lustiger und lauter Manier nach folgender
Melodie abgefaßt :
Wer kameralistisch die Liebe betrachtet,
Und sündlich die Stimme des Herzens verachtet,
Der ist in der Schöpfung die schändlichste Null,
Ist Sclav wie der König und frey wie John Bull.
7) Elberfeld u. Leipzig, b. Büschler: Züije edler Liebe in Erzählungen
nach wahren Geschichten. 1805. 295 S. 8.
Die Züge edler Liebe sind freylich für ein edlere- Publicum als das des
Iln. ('ramer, insofern wenigstens, als ein solches durch das völlig un-
bedeutende, kaum nennenswerlhe, entweder nicht beleidigt oder wohl gar be-
friedig!'wird. Es sind keine historischen Züge, sondern sämmtlich von der Er-
findung des Vf., obschon der Arzt Zimmermann in der letzten Erzählung
eine Rolle übernehmen mußte.
8) Leipzig, b. Hinrichs : Elmonde, das Riad des Geheimnisses, nach dem
Französischen des Bucray-Dumihil, bearbeitel von K. L. M. Müller.
1805. Mit Kupfern. 1 Theil. 198 S. 2 Theil. 174 S. 3 Theil. 183 S.
4 Theil. 109 S. 8. (3 Rthlr. 16 gr.)
Wer aber, von mehr oder weniger Bildung abgesehn, ganz unbefangen
etwas lesen will, das ihn wirklich unterhalten und zerstreuen könne, dem
dürfen wir Elmonde empfehlen. Es ist kein Roman aus der geselligen fran-
zösischen Welt, sondern aus der abenteuerlichen, weßwegen denn die Scene
nach den Pyrenäen verlegt ist, mit einem mäßigen Anflug der englischen oder
vielmehr diabolischen Phantasie von Anna Radcliff. Da er nur mäßig ist, so
hat man hier keine gräßliche Behandlung zu befahren ; ein müderer Geist be-
hauptet das Uebergewicht, und zeigt sich in den durchaus geschonten, nicht
ohne Anmuth gedachten Situationen, wie selbst in der .sittlichen Liebens-
würdigkeit Elmondens. Ihre stille Besonnenheit macht einen interessanten,
und doch nicht sich aufdrängenden Gegensatz mit der unbesonnenen Jugend-
lichkeit Ihres Vetters und Geliebten. Auch die übrigen Charaktere, besonders
die der beiden Brüder sind mit mehr wie gewöhnlich individueller Wahrheit
gehalten ; die tragischen Bestandteile sind nicht unverständig über einander
geworfen, und finden ein hinlängliches Motiv, wenigstens insofern sie sich auf
i_' Erich Frank :
die gekränkte Ehre des einen der Brüder gründen. Dabey machl das Werk
keine andere Prätension, als die Theilnehmung so lange zu beschäftigen, bis
es zu Ende ist. Die Uebersetzung liesl sich Leicht weg, und das ist alles
was man bey Producten von dieser flüchtigen Natur zu fodern bat.
9 Berlin, b. Unger : Liebe und Entsagung, von der Verfasserin (der) Maria
Müller. L805. Zwey Theiie. 352 S. 8. (1 llthlr. 8 gr.)
in Berlin, b. Maurer: Z<>e. Ein hohes Ideal zarter Weiblichkeit. Ans dem
Archive der Familie von E — gezogen von Julias (trafen von Soden.
1805. 261 s. 8. Mit Titelkupfer und Vignette. (21 gr.)
Obschon Elmonde den Uebergang beträchtlich erleichtert, so könnte es
doch frevelhaft scheinen, Liebe und Entsagung und Zoe in diese Reihe zu
ziehen ; allein sie liegen vor dem Rec, gleich gegebenen Endreimen, denen
nicht auszuweichen ist, und die er nur dadurch anzuknüpfen weiß, daß er
erklärt, dieses seyen nun ganz und gar Werke von Stande. Das erste ist zu-
gleich von dem feinsten Anstände, und sowohl in diesem Betracht wie in An-
sehung der ungezwungenen und gefälligen Sprache einer weiblichen Feder
würdig, oh es gleich die weiblichen Ansprüche auf Genialität nicht höher
steigern wird. Es laßt sich nicht leicht ein treffenderes Wort zur Charak-
terisirung desselben sagen, als schon irgendwo darüber gesagt wurde, daß
man es nämlich mit dem vergleichen könne, was in der Mahlerey ein Stilleben
heißt. Innigkeit der Empfindung, Reinlichkeit und Eleganz der Umgebung
sich in einem solchen vollkommen wohl ausdrücken : nur dieses ist hier
zu suchen, lij,. ganze Art und Weise, wie sich die Unbekannte, mit der wir
hier bekannt werden, ankündigt und entwickelt, der Aufenthalt in der länd-
lichen Mühle, die Zierlichkeit in der engen Beschränkung dieser Existenz, alles
isl in jenem Sinne ausgeführt ; ja eine Mühle macht schon für sich ein der-
gleichen Tableau, wie sie, mehrentheils einsam, halb unter Bäumen versteckt,
auf frischem Wiesengrunde im Thal, und ganz nothwendig am Wasser gelegen,
las Auge au sich zieht, und durch das bewegliche Rad eine lebendige Be-
deutung kund giebt ; es ist daher ein wahres Glück, daß dieses romantische
Princip seiner anderweitigen entschiedenen Brauchbarkeit wegen, nicht wie
i und Ruinen befürchten darf, aus der Landschaft je ausgerottet zu
werden. - Die Geschichte unserer Heldin bat Aehnlichkeit mit der ebenfalls
von weiblicher Hand verfaßten Gräfin Pauline ; auch sie liebt einen Eürsten
und entsag! ihm ; freylich ist sie nicht Heldin bis zu dem Grade, wie jene
eine Wunde und verunstaltete Schulter davon zu tragen, oder Gouvernante der
fürstlichen Kinder zu werden, sondern sie ersinnt, den für ihre Lage sehr
schicklichen Ausweg, der Welt und dem Geliebten für todt zu gelten, und sich,
jedoch mit allen ihren Reizen, in eine liebliche Einsamkeit zu begraben, wo
man sie mit Vergnügen findet, und ohne Schmerzen verläßt.
Was nun Zoe betrifft, so verletzt dieses Buch zwar den höheren An-
- nicht, indem es, selbst von einem hohen Standpunkt aus, Convenienzen
und Sitten richtet; indessen hat sich der Vf. doch bereits gegen solche
Vorwürfe zu verwahren gehabt, und gleich anfangs den Wunsch geäußert, daß
man die letzte Seite — man darf wohl sagen die letzte Zeile — nicht un-
n lassen möchte, „um die moralische Tendenz nicht zu verkennen".
Vielleicht hätte er mehr Ursache zu wünschen, daß man die ersten Seiten
übersähe, als die letzte läse. Denn wer das Werk nach der Richtigkeit der
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 43
Sätze beurtheilen wollte, welche der Vf. in der Vorrede logisch und lakonisch
zusammen zu drängen sucht, der würde etwas gar sehr verkehrtes davon er-
warten dürfen, was er am besten ganz ungelesen ließe. Wir wollen ihm
Schritl vor Schritt folgen, insoweit es ohne Sprung möglich ist. „Darstellung
von Begebenheiten ist nur Kronik." Da der Vf. so weit mit der Con-
struetion eines Werkes zurückgeht, das nicht im mindesten an den Begriff von
Kronik erinnert (es müßte denn ganz leise an das seyn, was man Chronique
scandaleuse nennt) : so ist es nicht recht, daß er die Tradition, als das aller-
erste, hinter sich zurück läßt, und die Geschichte neben sich vernichtet, indem
er mit jenem Satze jede Darstellung von Begebenheiten leugnet, die nicht
Kronik ist. „Der Charakter des Romans ist Einheit und Einheit ist Buhe
im Gemähide." Hier ist plötzlich von etwas anderem die Rede, wobey das
Hauptwort verwechselt zu seyn scheint, vielleicht vom landschaftlichen
mählde : vom Roman möchte man eher glauben, daß Vielseitigkeit, zwar in Ein-
heit und Bewegung, sein Charakter sey. „Eine Empfindung muß der Roman
aussprechen und nur Eine." Bisher hat man dieses von dein, dem Roman sehr
entgegenstehenden lyrischen Gedicht angenommen. Das kommt nun davon,
wenn die Tradition so schmälich vernachlässigt wird. ..Dann ist er wahr."
Doch wohl nur subjeetiv angesehen? ..Wer diese Empfindung, diese Wahr-
heit in Zoe nicht findet, hat das Buch — nur gelesen.'' Dagegen ist nichts
einzuwenden, denn man braucht nicht einmal mehr zu thun, als es zu lesen,
um jene zu linden. Die Eine Empfindung liegt am Tage, mithin auch die
Wahrheit ; denn jede Empfindung ist, als Empfindung, wahr. Der Vf. hat
ein edles Streben, viel Scharfsinn, Bekanntschaft mit Altem und Neuem,
Stellen aus Classikern und französische Opernverse, und eine sehr gelehrte
Kenntniß natürlicher Hechte und künstlicher Sitten aufgeboten, um eine un-
gezähmte Freyheit des Geistes und Herzens in Sachen seines Zöglings zu ver-
theidigen, kraft welcher dieser — jede Frau begehren und auch nehmen darf,
die ihm gefällt. Nur diese Eine Empfindung begeistert den jungen Mann.
Wir zweifeln nicht, daß den übrigen Worten der Vorrede gemäß, wenn ..der
Cyklus geschlossen ist" er den Gebrauch dieser Freyheit von sehr beschwer;
liehen Folgen finden, und die moralische Tendenz sich dergestalt genugsam
offenbaren wird. Ja er ist wirklich am Ende dieses Theiles schon so weit
damit gekommen, daß er Zoe, welche, von griechischer Abkunft, doch
hierüber die hier zu Lande übliche Gesinnung hegte, als das Opfer seiner \~n-
fesselbarkeit, vor seinen Augen sterben sehen muß, und diejenigen, welche
seine Liebe mit ihr theilten, im Schmerz um sie versunken. Mit der letzten
Zeile tritt sogar höchst unerwartet die leichtsinnigste ihrer Nebenbuhlerinnen
noch ein, und schließt durch ihre Erscheinung das Thema mit einer
schreyenden Dissonanz. — Dem Vf. sind die Briefe und Räsonnements, in
denen die Eine Empfindung abgehandelt wird, also der lyrische Theil, b
gelungen, wie der erzählende, in welchem der rasche Ton und pragmatische
Nachdruck der beabsichtigten Ruhe im Gemähide sehr widerstrebt.
Indem wir hierauf mit Friederike Weiß und ihren Töchtern :
11) Berlin, b. Frölich : Friederike ~\Yeiß und ihre Töchter. Eine Geschichte
herausgegeben von E. C. Trapp. 1805. 388 S. S. (1 Rthlr.)
schließen, fallen wir freylich in den leutseligsten Ton der Bürgerlichkeit hinab,
indessen behauptet dieses Buch im Nützlichen eine so ehrenwerthe Stelle, daß
I i Erich Frank :
man wohl von ihm sagen kann : die ersten werden die Letzten und die letzten
werden die ersten sein. Es enthäll die Geschichte einer Matter riebst ihren
Töchtern, die sich durch Gebet und Arbeit aus einer kümmerlichen Lage heraus
und mit Ehren durch die Well helfen. Wer eine redliche .Mutter in ähnlicher
Verfassung und junge, unverdorbene Frauenzimmer kennt, welche zum Dienen
bestimmt sind, der siehe ihnen mit diesem Buche bey, dem viele, theils geist-
liche, theils weltliche Lieder, und mancherley brauchbare Vorschriften für
Wirthschafl, Krankenwartung, Behandlung der Kinder u. s. w. mitgegeben sind.
Bit".
Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 42 (19. Februar) 1806.
Berlin, b. Unger : Bibliothek der Robinsone in zweckmäßigen Auszügen, vom
Verfasser der grauen Mappe. 1805. Erster Hand. 106 S. 8. Mit.
Vignetten. (1 llthlr. 12 gr.)
Leipzig, b. Steinacker : Bibliothek des Romantisch-Wunderbaren. 1805. Erster
Hand. 272 S. Zweyter Band. 335 S. 8. Mit Titelkupfern. (3 Rthlr.
S gr-)
Das Unternehmen einer Bibliothek der Robinsone ist zwar, nach dem
Umfang der ihm hier gegeben wird, da sie von jeder entfernten Nachahmung
oder Ausartung Auszüge zu liefern willens ist, zugleich eine der feineren
Unternehmungen auf das Publicum ; jedoch ist sie in solchen Händen, von
denen eine gedrängtere Uebersicht dieses Gegenstandes immer sehr will-
kommen hätte seyn müssen. Die Einleitung zeigt, daß der Herausgeber ihn mit
einer richtigen Einsicht in das allgemein Menschliche desselben aufgefaßt hat
und im Besitz der historischen Notizen ist. Warum aber hat er nicht lieber
den Robinson, neu übersetzt, vollständig abdrucken lassen, statt diesen, nicht
abgekürzten, Auszug zu geben, in welchem Robinson nicht selbst erzählend ein-
geführt, sondern von ihm erzählt wird, in einer Schreibart, die, obschon im
Ganzen lebendig und anregend, doch zu viel Prätension macht, zu rhetorisch
und selbst hie und da zu steif ist, um ihm nichts von seiner natürlichen Ge-
stalt und dem unverfälschten Kindruck zu rauben. Dann hätte die Schaar der
Nachfolger nur flüchtig skizzirt werden mögen, insofern sie sich der Richtung
nach von einander unterscheiden, und sich etwas Bestimmtes in ihnen aus-
drückt, wie z. B. im Campischen Robinson die Pädagogik des Zeitalters.
Denn was kann zweckmäßiger seyn, als Auszüge von geistlosen Begeben-
heiten, in welche uns hier eine unendliche Perspective, auf alle möglichen
Abenteuer hinaus, eröffnet wird, der wir freylich auch nicht hoffen können,
hiedurch Einhalt zu thun. Gegen die Ansicht des Herausgebers, die den Ur-
heber des Robinson nicht, viel besser, als einen bloßen Vielschreiber be-
handelt, machen wir nur die Bemerkung, daß Deine seine, ihm glücklich in
den Wurf gekommene Conception zu glücklich ausgeführt hat, als daß er das
fruchtbare Korn nicht mit, sehr offenen Augen gefunden haben sollte. Es ist
zwar sein geringster Kummer, an Robinson ein Beyspiel aufzustellen, wie der
Mensch, so laug'' er nur die Knie mit seinen Büßen noch berührt, gleich dem
Anteus, nicht überwältigt werden kann, und einzig sich selbst überlassen, noch
zu ihrem Herrn sich macht, wviui er in früher Jugend nur recht viel mecha-
nische Geschicklichkeiten erworben hat. Vielmehr beraubt er ihn keiuesweges
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 45
des Notwendigsten ; er steuert ihn so reich aus, daß die peinliche Theilnahme
an dem Schiffbrüchigen bald gemildert, und in eine fröhliche verwandelt wird,
worauf er alles, was sich ferner zuträgt, so wohl vertheilt und gestellt, hat,
daß der kleinste Umstand eine Art von romantischem Interesse bekommt, das
Gelingen eines Geräthes zur Begebenheit wird, und der Fußstapfen im Saude
ein tragisches Geheimniß ist, das nicht den Robinson allein mit Schauder er-
füllt. Den Charakter desselben hat er mit vielem Verstände ersonnen und
durchgeführt, welches Verdienst ihm auch in vollem Maß für den zweyten
Theil bleibt. Er läßt ihn einen Gott auf der wüsten Insel finden und erkennen,
an den er im wüsten Leben nie gedacht hatte, aber nur soweit es seine
beschränkte Natur erlaubte, die ihn eben nicht zu einem Johannes bestimmte,
der auf der wüsten Insel Offenbarungen hätte dichten können. Die Bibel,
die er zufällig gerettet, und sie nur als todten Buchstaben kannte, belebt sich
für ihn zu einem geselligen Orakel, das ihm beruhigende Sprüche, ertheilen
muß ; jene innerliche Unruhe die ihn verfolgt, ist das Salz, das ihn auch in
der Einsamkeit erhält ; diese macht ihn egoistisch, herrschsüchtig und miß-
trauisch, wie es ebenfalls seiner Begrenztheit ziemte. Damit aber bildet denn
die schönere Natur seines nachmaligen Gefährten Freylag, der nichts wie
Liebe, Anhänglichkeit, Muth und Freude ist, einen rührenden Contrast. Ro-
binsons Proselytenmacherey und Unduldsamkeit, wie sie sich im zweyten
Theil äußert, ist gewiß ein bedeutender Zug, und überhaupt zeugen auch in
diesem die Details von großer Kraft der Erfindung, die nur allerdings nicht
durchgreifend genug war, um der wieder aufgenommenen Geschichte eine so
allgemein interessante Wendung zu geben, daß wirklich zwey verschiedene,
aher mit einander harmonirende Theile daraus geworden wären. — Der Heraus-
geber verdient daher auf jede Weise Dank dafür, an den Robinson in seiner
beseelteren Gestalt erinnert zu haben, nachdem er der gegenwärtigen Zeit
zum bloßen Gliedermann für Erlernung technischer Fertigkeiten hat dienen müssen.
Die Bibliothek des Romantisch-Wunderbaren steht mit der vorher-
gehenden in umgekehrtem Verhältniß. Denn um etwas Solides zu leisten,
müßte sie mehr ins Große angelegt seyn ; hier sind nur kurze Auszüge und.
Erzählungen unter gewisse Rubriken gebracht, ohne Vollständigkeit, ohne Folge
und Zusammenhang der Zeiten und Völker, so daß das Ganze nichts anderes
ist, als willkührlich gegebene Proben von diesem und jenem Romantischen und
Wunderbaren — „eine Musterkarte von allem Gesträuche" — eine getrocknete
noch dazu ; und solchergestalt ist es ein ziemlich gewöhnliches Lesebuch ge-
worden, das indessen immer mehr zu empfehlen ist, wie hundert andere des
Augenblicks. Denn es hat doch einen besseren Hinterhalt ; auch hat der
Herausgeber meistens die Quellen genannt, und dem, der unbekannt mit
ihnen ist, Gelegenheit gegeben weiter nachzuspüren. Uns scheint : eine
einzige Dichtung dieser Art in ihrer ächten Gestalt genossen, vermag Ver-
ständniß und Sinn für alle, besser zu erwecken, als das Naschen von un-
zähligen in ihrer unvollkommenen. Wie übrigens der französisch-apprelirle
Endymion {V Endymion, Paris 1620) in diese Reihe von Volkssagen kommt,
da außerdem nirgends griechische Mythen berührt werden, oder Achmet (Le
goui Jans l'amour, Paris 1716) eine frivole und höchst geschmacklose fran-
zösische Erzählung, das ist selbst bey der geringen Strenge der Anläge
schwer zu begreifen. Bfl*.
4C> Erich Frank :
Anmerkungen zu Schellings Rezensionen über Kotzebue.
Schelling hat in dem Streite zwischen Kotzebue und der romantischen
Schule wohl zuerst mit seiner Rezension der Schlegelschen „Ehrenpforte für
bue" in der Erlanger Literatur-Zeitung L801, Nr. 35, eingegriffen.16) Daß
Schelling der Verfasser dieser Besprechung war, die Schlegels heiligen und
nicht gerade immer geschmackvollen Angriff auf Kotzebue mit ausge-
sprochenem Wohlgefallen lobte, muß sich bald durchgesprochen haben
s. Waitz. Caroline, II, II. 16, 66) ; das konnte aber nur die Folge haben,, den
Gegner zu noch heftigeren Angriffen zu reizen. In der seit 1803 er-
scheinenden Zeitschrift Kotzebues, „Dem Freimütigen", gibt es auch kaum
eine Nummer, in der sich nicht irgendeine Tücke oder wenigstens eine bos-
hafte Anspielung auf Schelling und seine Philosophie findet. Darauf mußte
endlich einmal erwidert werden, und in den hier abgedruckten Rezensionen
hat Schelling zu dem vernichtenden Schlage gegen Kotzebue ausgeholt.
Die beiden Rezensionen bilden ein einheitliches Ganzes und die
zweite gibt sich deutlich als bloße Fortsetzung der ersten zu erkennen
s. oben S. 20, Z. 26 v. u.). Daß sie aber beide von Schelling und nicht von
Caroline sind, beweist ihr Stil zur Gewißheit (vgl. auch Plitt, II, 83 u. oben
S. 4 u. 7). Bei der zweiten ist es außerdem noch durch ein äußeres Zeugnis
erwiesen ; denn wenn Eichstädt an Schelling am 23. Januar 1809 (unge-
druckt in Schellings Nachlaß) schreibt : „Die Recension der Kotzebuescben
Romane etc. wird nun im Februarheft folgen. Mögen Sie fortfahren, manche
Stunden Ihrer Müsse unserem Institut zuzuwenden", so wird man aus
diesen Worten schließen dürfen, daß Schelling Eichstädt gegenüber unum-
wunden seine Verfasserschaft zugegeben hat. Aber dieses äußeren Beweises
bedürfte es gar nicht ; der klare, logische Aufbau der Besprechung, das edle
Pathos, das das Ganze durchzieht, und das gegen Ende in wohlberechneter
Steigerung bis zu sittlicher Entrüstung wächst, die Schärfe des Witzes und
das Schneidende der Ironie verraten deutlicher, als alle Einzelheiten es
können, die männliche Hand.
Doch sollen auch Einzelheiten angeführt werden. Orthographische Be-
obachtungen haben allerdings in diesem Falle keinen Werl. Nach § 5 des
Kontraktes halt«; die Redaktion das Recht, „mit Rücksicht der einmal
angenommenen Adelungischen Orthographie und des Stils dasjenige, was
nötig scheinen sollte, zweckmäßig abzuändern". Aber trotzdem wird man
tymologisch überlegte Schreibung eines so entlegenen, von Adelung gar
nicht angeführten Wortes, wie Scharteke als „Charteke" (fälschlich abgeleitet
von griech. x«PTrK, ,ai- Charta) Schelling selbst zuschreiben dürfen.17)
"i Abgedruckt WW., I, 7, 535ff. Diese Rezension ist es, die Caroline
bei Waitz, II, IS, im Auge hat. Waitz denkt irrtümlicherweise statt an
Schlegels „Ehrenpforte" an die „Ehrenrettung".
17j Andererseits wird man für die falsche Schreibung Calderone Caro-
linen Hand verantwortlich machen müssen; so schreibt sie auch im Briefe vom
21. Juni 1802 an W. Schlegel (Kgl. öfftl. Bibliothek Dresden, Dd. XXII, 33, vgl.
Bd. XX, 35 = Plitt, I, Hin: nicht Calderons, wie Waitz, II, 222, gelesen
hat. Es sei hier noch auf eine andere falsche Lesart bei Waitz, II, 284, hin-
gewiesen. Da muß es stall des im Munde einer Frau peinlichen „säute."
natürlich „sänke" heißen).
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling and Caroline. 47
Schwerer fällt für Schelling die gründliche Kenntnis des Diogenes Laertius
ins Gewicht, wie sie der Verf. S. 18 — und besonders Z. 20 ff. v. u. durch sein
feines Urteil über den Charakter dieses Buches — verrät, und die herab-
lassende Zurechtweisung wegen des „Aulugella", S. 23, wird man eher dem
klassisch gebildeten Gelehrten als einer Frau, wie Caroline, zuschreiben wollen.
Dazu kommt noch, daß sich in der ganzen Rezension kaum ein logisch oder
grammatikalisch schlechl konstruierter Satz findet, selbst da nicht, wo es ziem-
lich verwickelte Verhältnisse auszudrücken galt; auch hält sich die Beur-
teilung ganz auf der Höhe philosophisch abstrakter Redeweise, ohne sich zu der,
aus den Briefen Carolinens so gut bekannten, losen, sinnlichen Schalkhaftig-
keit herabzulassen. Man lese etwa Sätze, wie auf S. 13 : „In Absicht mancher
Eigenschaften war er vielleicht von jeher perfect zu nennen ; in anderen zeigte
er eine ebenso geschmeidige Perfectibilität", oder S. 19 : „Möglich, daß diese
und eine weit längere Reihe von Gegensätzen keine mehr sind, wenn das
Überstehen aller Grade und Feuerproben sie erst verschmolzen hat", oder
S. 24 : „In der ersten hat das Pikante die Oberband, in der zweiten das Pein-
liche, in der dritten das Lehrende", und man wird unschwer den Philosophen
heraushören. — Aber mehr noch als durch dies alles scheint die Verfasser-
schaft Schellings durch die ironische Weise bewiesen zu werden, in der S. 18,
Z. 2 v. u. (vgl. Anm. z. St.) auf Schelling selbst angespielt wird, und die,
so gut sie sich bei Schelling macht, im Munde Carolinens recht übel aus-
sehen würde.
1. Die erste Rezension über Kotzebue.
Das Urteil Goethes über diese Rezension in dem Briefe an Eichstädl vom
11). April- L806 ist so treffend, daß sie hier eine Stelle verdient : „Bei der
Recension über die Kotzebuiana wundert man sich nur, wie ein so trefflicher
Kopf, als der Recensent ist, so niederträchtiges Zeug lange genug behandeln
und dabey einen so guten Humor behalten können ; . . . . Um desto mehr soll
Recensenl gelobt seyn, daC er seine Superiorität in der Heiterkeit bewiesen
hat" (W.-A., IV, Nr. 5191, v. 19. April 180G). Von einer Erwiderung Kotze-
bues auf diese Rezension ist uns nichts bekannt, und schon Caroline hat einen
„Rückschrei im «Freimütigen» von wegen Kotzebue" (Brief vom 30. April
1806, bei Waitz, II, 294) vergebens gesucht. Eingegangen ist die Rezension
am 21. März 180G (vgl. a. oben S. 4 u. 7).
(S. 13, Z. 15 v. o.) Die Zeitschrift Kotzebues „Der Freymüthige". Vgl.
Goedecke, V, § 258. 8. 124.
(S. 13, Z. 21 v. o.) Kotzebue war zum Mitglied der Berliner Akademie
der Wissenschaften ernannt wrorden. Vgl. oben S. 23, Z. 11 v. u.
(S. 13, Z. 1 v. u.) In den „Erinnerungen von. einer Reise aus Liefland
nach Rom und Neapel". Berlin 1805.
(S. 14, Z. 5 v. o.) Vgl. A. W. Schlegels Satire „Ehrenpforte und
Triumphbogen für den Thealerpräsidenten von Kotzebue bei seiner gehofften
Rückkehr ins Vaterland". (Berlin 1800, in den WW., II, 275—344.)
(S. 14, Z. 4 v. u.) Siehe Kotzebue, a. a. ()., S. 16 ff.
(S. 16, Z. 21 v. u.) Abbe, Jacques Dellile (1738—1813). Der berühmte,
von Voltaire verherrlichte Dichter.
|s Erich Krank :
s. lti. /.. 23 v. o.) Das Sonett „An die heilige Jungfrau".
s. 16, Z. 25 v. o.) Schelliags Urteil über Calderons „Andacht zum
Kreuze" „La devocioo de la cruz") und über Schlegels t berselzung siehe
bei I'iiii, 1. 12."> : „Selbst Shakespeare scheint nur dagegen trüber"; (ioethes
Urteil ebd., I. 123 u. 127 vgl. Schriften der Goethe-Gesellschaft, XIII, L37ff. u.
226. Ober die Schreibung „Calderone" siehe oben S. H>17.
s. 17. /. 1! v. o.) „Ohne dabei Rücksicht zu nehmen auf das reine
Kind an ihrer Seile oder die Bedienten hinter ihrem Stuhle", wie Kotzebue
hinzusetzt.
(S. 17. Z. 2 v. u. : Worauf dieser Vergleich wieder abzielt, können schon
wenige Worte zeigen : ,,Dies Stück (den «Clitandre») beliebte nun Corneille
L630 eine Tragödie zu nennen ; offenbar eine Art Alarcos, welche 1802 Goelhe
eine Tragödie zu nennen beliebte. Freilich waren damals andere Zeiten als
jetzt. . . Damals .... trommelten noch die Schauspieler vor ihrer Thür,
um Zuschauer herbeizulocken. Goethe trommelt nicht zu seinem Hoftheater,
er schlägt die Griechischen Pauken." S. 404.
S. 18, Z. 6 v. o. Kotzebue verteidigt die Xanthippe durch folgende
schlagende Argumente : „Sie war aus einer rechtlichen Familie in Athen, aber
arm; Sokrates heirathete sie ohne Mitgabe... Hatte sie gleich keine Aussteuer
mitgebracht, so war das doch kein Grund, sie so geringschätzig zu behandeln."
Zum besseren Verständnis der Schellingschen Entgegnung sei auch noch der
Schluß dieser ..Verteidigung" wiedergegeben : „Bekennen Sie, meine Damen,
daß der weise Sokrates auch nicht immer ein großer Mann war ; aber unsere
heutigen Philosophen — ja, das sind Männer ohne irgendeine menschliche
Schwachheit. Das Sokratische Schimpfen ist ihnen ganz fremd; höchstens
m mied sie einander todte Hunde (siehe Schelling in seinem Journal)".
S. 18, Z. 14 v. u. ) Auch hier muß Kotzebue ausführlicher zitiert werden :
..Wenn die Arroganz eines Schelling, Schlegel, Böschlaub und Consorlcn
manchen Leuten so außerordentlich vorkommt, so beweist das bloß, daß sie in
der älteren Literatur nicht bewandert sind. Es ging vormals nicht um ein Haar
besser zu, als jetzt ; zu allen Zeiten hat es Wespen gegeben, die sich für
Bienen, und Borkenkäfer, die sich für Schmetterlinge hielten" (S. 336), und
„die ungeheure Eitelkeit der beiden Scaliger ist bekannt. Joseph (der Sohn)
war ein Virtuos im Schimpfen, trotz Röschlaub. Er nannte seine Feinde zier-
lich stercus diaboli, lutum stercore maceratum, Ausdrücke, von deren Über-
setzung man mich gern dispensieren wird. Denn sie sind noch ein wenig
stärker als Schellings todte Hunde" (S. 338).
S. 19, Z. 5 v. o.) „Lacrt/mas, ein Schauspiel, herausgegeben von
A. W. Schlegel, Berlin 1803" ist von Christian Wilhelm von Schütz ('siehe
Goedecke, VI, § 289, 2, 2). Schellings Urteil darüber siehe bei Plitt, 11, 129
(Brief an Schlegel vom 1. November 1802): „Man könnte wünschen, daß dies
(der Lacrymas; vorerst eine Weile noch ungedruckt bliebe, vielleicht verlöre
er etwas von seiner t ngelcnkigkeit, und die Ideen, die sich der Verfasser
über Poesie gemacht zu haben scheint, könnten indes durch höhere, die
mehr Metall haben, ersetzt werden". Das noch viel schärfere Urteil (ioethes
über die, Werk siehe ebd., S. 127.
S. 19, Z. 17 v. ii., Goethes Übersetzung von „Rameaus Vetter" war im
Jahre L80Ö erschienen (Goedecke, § 243, 1).
Rezensionen i'ilior schöne Literatur von Schelling und Caroline. 4(.i
2. Die zweite Rezension über Kotzebue.
Das Manuskript von Carolinens Hand mit einem Zusatz von Schelling
ist noch vorhanden, konnte aber leider nicht verglichen werden. Die Bezeich-
nung „im Oktober 1798" Waitz, I. S. V Anm.) beruht natürlich auf einem
Irrtum. Kotzebues „Kleine Romane etc.", Bändchen II — IV. sind erst zur
Michaelis-Messe 1806 erschienen. Eingegangen ist die Rezension bei der Re-
daktion am 2. Januar 1809 zugleich mit einem Briefe Schellings, in «lern er,
wie die S. 16 angeführte Antwort Eichstädts beweist, die Rezension als
die seine bezeichnet haben muß.
S. 20, Z. 8 v. o.) Ober Cramer, einen der allergelesensten Roman-
schreiber seiner Zeit, siehe unten S. 57.
(S. 20. Z. 18 v. o.) August Heinrich Julius Lafontaine isl „der Schöpfe)
des weinerlichen Familienromans" siehe Goedecke, \. 277. 21 .
(S. 20. '/.. 2D v. o.) „Die gefährliche Wette", ein kleiner Roman in
12 Kapiteln, erschien Leipzig, 1790. Vgl. Goedecke: „Das Urbild der von
Jul. v. Voß zahlreich verfertigten Lüsternheitsromane". .,IcJi. eine Geschichte
in Fragmenten, ans Licht gebracht von mir selbst . . .", 1781.
S. 22. X. 18 v. o. Stanisläus Augustus (1732—1798)
S. 22. '/.. 17 v. u.) ..Oie jüngsten Kinder meiner Laune" waren 1703
bis 1797 in Leipzig erschienen.
S. 22. Z. 9 v. u. „Fragment aus Iwanow Tschudrins noch unge-
druckter Reise durch China aus dem russischen Original übersetzl und mit-
geteilt,", a. a. ()., Bd. II. 71.
'S. 23, Z. 10 v. o. Kotzebues späteres Schicksal läßt es interessant er-
scheinen, auf welche Stellen Schelling hier anspielt. — Fs sind folgende
Thesen: „Cromwell war ein Heuchler"; ..C. war herrsch- und ruhmsüchtig";
„C. war übermütig und despotisch" ; ,,C. war undankbar" ; ,,C. war rach-
süchtig und blutdürstig" ; ,,C. stellte sich wohl, als oh ei Wissenschaften und
Gelehrte schätzte, aber im Grunde haßte er sie" ; „Gegen C. wurden viele
Verschwörungen angesponnen" ; ,.('.'s Andenken wurde mit Infamie belegt"
usw. Bd. II, 102—111).
(S. 23, Z. 19 v. o. „Bahrdt mit der eisernen Stirn "der die deutsche
Union gegen Zimmermann". Ein Schauspiel in 4 Aufzügen von Freyherrn
von Knigge. Vis unita fortior. Dorpat I . 1790. ist von Kotzebue. (Vgl.
Goedecke, V. S. 271. u. Koberstein, IV, 2171
S. 2.".. Z. 12 v. u.) „Über Verbannung nach einer aus Spanien einge-
sandten Handschrift, für deren Verfasser der General Muren" »ehalten wird."'
(S. 23, Z. 2 v. u.'i „Octavia", Trauerspiel in 5 Akten, Leipzig 1801 (für
die Hoftheater, Wien 1807 .
S. 2 1. Z. 1 v. o. ; ..Die Hussiten vor Naumburg im Jahre 1132". Ein
vaterländisches Schauspiel mit Chören in ö Akten, Leipzig 1803 (siehe
Goedecke unter Nr. 12).
S. 2.'!. /.. 17 v. ii. Wie berechtigt es ist, von einer „Fabrik pasquillan-
tischer Schmähungen" zu reden, beweist ein Überblick über die bekanntesten
Pasquille, die aus dem Kreis um Kotzebue und Merkel hervorgegangen sind :
„Die Expektorationen". Ein Kunstwerk, 1803. Abgedruckt bei Braun, Goethe
im Erteil der Zeitgenossen, Bd. III, S. 52 — 63; nach A. Silbermann Kotzebue
selbst beizulegen). „Die ästhetische Prügelei", von Angelus Cerberus (ab-
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, philos.-hist. Kl. 191:.'. 1. Abh. 4
50 Erich Frank :
gedruckt von L. Geiger in Firlifimini L885). Dann die „Ansichten der Lite-
ratur und Kunst unseres Zeitalters", Deutschland 1803 (Neudruck 1.903
Weimar), eine nicht üble Satire auf den Schlegel-Tieckschen Musenalmanach
von 1802, in der neben Schlegel, Novalis und Tieck auch Bonaventura (Schel-
ling) als das feiste Pfäfflein von Drottning seinen Teil abbekommt. Ferner
„Der Freymüthige", Trauerspiel in 2 Aufzügen, Berlin 1804, und noch manches
andere Libell, von Kotzebues „Hyperboreischem Esel 1799" ganz zu
schweigen. (Vgl. Erich Eckertz im Euphorion 1907, Bd. XIV, S. 67, und
i roedecke.)
(S. -2\. /.. 9 v. o.) August Gottlob Eberhard (1769—1845) ist zu unter-
scheiden von dem Philosophen Joh. August, der als Schüler Baumgartens und
r Kants bekannt ist. Die „Ges. Erzählungen" erschienen Leipzig
L802 1809. Vgl. Goedecke, § 331, 51, 11.) Das erste Bändchen derselben
war schon in Nr. 31 1804 von Schorch rezensiert worden. Das drille er-
schien Michaelis 1806.
- 24, Z. 14 v. o.) „Der Polgp im Herzen" war in Willi, Gottl. I leckeis
„Taschenbuch z. gesell. Vergnügen", 1803, schon veröffentlich! worden.
Anmerkungen zu den Rezensionen von Caroline.
1. Die Rezensionen über die Berliner Romantik.
Daß die Rezension über den Musenalmanach von Chamisso und Varn-
hagen, an die sich als eine Art von Fortsetzung die über Xeumann-Varnhagens
Erzählungen und Spiele anschließt, von Caroline, und nicht von Schelling ver-
faßt ist, verräth sich durch das wenig korrekte Gefüge schon der ersten Sätze,
wie in dem ganzen, die Gedanken reizvoll und ungezwungen wie Blumen zu
einem Kranze windenden Stil.18) Als ein äußerer Beweis für die Verfasserschaft
von Caroline kommt noch die Art hinzu, in der Eichstädl in einem Brief au
Goethe (ungedruckt im Goethe-Schiller-Archiv unter „Eingegangene Briefe",
XLVII, GG, v. 8. Mai 1805) von dieser Beurteilung spricht. Es heißt da :
„Die Recension des Musenalmanachs von Varnhagen u. Chamisso .... war
von derselben Hand, von weicher ich eine Beurtheilung der Aurora (siehe
unten S. 55) beilege. Sie kam mir durch Schelling s Besorgung zu."19)
Goethe hat denn „die Recension des Musenalmanachs recht wohl gefallen"
(an Eichstädt v. 11. Mai 1805, Weim.-A., 4. Abt., XIX, 5092), und Voß
glaubte gar, wie Eichstädt an Schelling am 8. Juni 1805 schreibt, „in der
Manier und dem Tone Goethens Meisterhand zu erkennen". „Ein ange-
Aiich von dieser Rezension liegt das Manuskript von Carolinens Hand
noch vor Vgl. Waitz, I, S. V Anm, und oben S. 42), doch konnte es leider
nicht verglichen werden.
Vgl. auch, was Eichstädt in einem Eingedruckten) Briefe am
8. Juni 1805 an Schelling schreibt: „Die vortreffliche Recension des Musen-
almanachs, deren Form schon vor Ankunft Ihres letzten Briefes ein
wenig abgerundet worden war (hal ebenfalls die Presse verlassen).
Möchten Sie il >,<■!, Eeeensionen, so gehaltvoll u. gediegen u. so genialisch, auch
der Sprache nach, recht oft besorgen !'
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 51
nehmeres Wort", fügt der Briefschreiber hinzu, „kann ich gewiß diesem oder
dieser Rec. für die gelieferte Beurtheilung nicht sagen".
Dagegen machte diese „Blitzmordrecensiön" auf den Freundeskreis des
Musenalmanachs einen ganz niederschmetternden Eindruck, wie wir in Cha-
missos Briefen (I, S. 70, 73) und Varnhagens Denkwürdigkeiten (I, S. 301
bis 303; vgl. L. Geiger in Berl. Neudrucken, II. Serie, 1, S. X — XIV) lesen.
Ihre Antwort war nun eine sehr merkwürdige und so fein, daß sie kaum je-
mand verstanden haben dürfte. Am Ende der Beurteilung empfiehlt nämlich
Caroline, „um mit dem Demokrit zu schließen, zur Aufnahme in den nächsten
Jahrgang folgendes, dem Einsender bekannt gewordenes Sonett von einer zwar
technisch ungeübten, aber natürlich geistvollen Hand" (siehe S. 28 unten l.
Chamisso glaubte sich nun nicht besser rächen zu können, als indem
er das eigentlich spöttisch gedachte Sonett wirklich aufnahm ; und so
kommt es, daß man im Musenalmanach vom Jahre 1806 dieses Gedicht am
Schlüsse mit der erklärenden Unterschrift : „Von M. Z. zur Aufnahme emp-
fohlen" abgedruckt findet Neudruck von Geiger, S. 122). Von wem ist aber
dies Sonett? Von Caroline sicherlich nicht; denn die Geschmacklosigkeit von
ihrer eigenen Hand als von einer „zwar technisch ungeübten, aber natürlich
geistvollen", zu reden, kann ihr unmöglich zugetraut werden. Man wird es
vielmehr Schelling zuzuweisen haben. Dafür spricht auch der im ersten
Quartett angeschlagene Gedanke, der ganz ähnlich in dem naturphilosophischen
Gedicht „Thier und Pflanze" (im Schlegel-Tieckschen Musenalmanach, S. 158
von Schelling unter dem Namen Bonaventura veröffentlicht = WW., X, 439)
wiederkehrt :
Pflanze, du Erdentspross'ne, warum so strebst du mit deinen
Faden und Blüten empor? Pflanze, dir ist es bewußt,
Dich verknüpfet der Sonn' und dem Reiche des Lichts das Geschlecht nur. . .
Das durch absichtsvolle Zusammcnhanglosigkeit wirkende Sonett dient wohl
der Verspottung des spätromantischen Treibens, wie es der Musenalmanach
zeigt. Immerhin trifft es sich merkwürdig, daß um dieselbe Zeit20), wo
Schelling und Caroline diese Taschenbuch-Poesie der späteren Romantiker
so teuflisch verhöhnen, vom Verlag Dienemann in Penig ein „Taschenbuch
des Teufels" von Bonaventura, dem Verfasser der Nachtwachen, angekündigt
wird („Zeitung für die elegante Welt" v. 26. März 1805 und „Konstantinopel
und Petersburg" v. 15. März 1805, vgl. Euphorion, XIV, 823), das, den
Worten der allein bekannt gewordenen Einleitung nach, auch eine Parodie
der überhandnehmenden Taschenbuchproduktion vorstellen sollte.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir noch auf ein anderes Sonett hin-
weisen, das ebenfalls Schelling zuzuweisen sein dürfte. Es steht in den
Schlegelschen „ Blumensträußen italiänischer etc. Poesie", Berlin 1804, S. 14,
und ist mit der Chiffre *. unterzeichnet. Daß es ebenso wie die beiden
andern (S. 20 und S. 74, gezeichnet **. und ff., abgedruckt bei Waitz, II,
S. 378 ff.), von Schelling eingesendet worden ist, wird aus Plitt, I, 463 in Ver-
bindung mit I, 459 und dann aus der Überlegung sehr wahrscheinlich, daß
Schlegel von einem andern als Schelling wohl keine so unbeholfene Über-
setzung in seine Sammlung aufgenommen hätte. Dennoch sei es mit abgedruckt:
20) Die Rezension des Musenalmanachs ist bei der Redaktion am 2. April
eingegangen, ihre Abfassung fällt also in den März 1805.
4*
52 Erich Frank :
Solle I t.
Petrarca, Son. 8.)
Wenn der Planete, der die Stunden scheidet,
Zinn Zeichen wieder sieh des Stiers erhoben,
1'älM aus den Flammenhörnern Krafl von oben,
So ganz die Well in neue Farbe kleidet.
Und nichl nur was den Blick von außen weidel
Bach, Hügel wird mit Blümlein rings umwoben,
Nein, auch der Erd' inwend'ges Feuchl gehoben,
Geschwängert, was den Tau, verborgen, meidet.
Vielfält'ge Frucht entquillel diesem Triebe ;
Sn sie. die unter Frauen eine Sonne,
Zuwendend mir der schönen Augen Schimmer,
Wirkl in mir Wort, Gedanken, Thal der Liebe :
Jedoch, wie sie auch lenkl der Strahlen Wonne,
Frühling nur isl für mich von nun an nimmer.
*
Anmerkungen. Der Planete : die Sonne; des Stiers: im Früh-
linge.
a) Die Rezension über den Chamisso - Varnhagenschen Musenalmanach.
Der hier von Caroline besprochene sogenannte „grüne Musenalmanach"
schein! nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden zu sein. Zum Eingang
trägl das Büchlein das Motto: tö toü ttöXou üorpov, d. i. „der Nordstern".
Daß unter diesem Sinnbild dos Berliner Freundschaftsbundes (Vamhagen,
Denkw., I, 264) Fichtes Philosophie verstanden ist, zeigt das Widmungs-
gedichl der Herausgeber „An Fichte" :
„Indeß die nied're Welt, gehüllt in Grauen
„Vom trägen Zeilgeist, Nacht und Schlaf verblinden,
„Strebst, nachtentwachsner Fels, du Licht zu finden.
„Des Äthers Geister grüßend voll Vertrauen.
„Dein Haupl umgrenzt vom Licht der luft'gen Auen,
„Ziehst mit magnet'scher Kraft du aus den Gründen
,, Meine Metalle, die mit Klang verkünden
„Ihr muth'ges Streben, höh'res Licht zu schauen.
„Magnot, geheimnisvoller Siein, mir deuten
„Willst ewig du des Nordsterns ferne Klarheil,
„Durch ihn der vier Weltstriche wahre Richtung.
„So muß die strenge Wissenschaft mich leiten
„Zu ew'ger Liehe, Sittlichkeil und Dichtung,
„Im Kampf mich führen zur hochheiligen Wahrheit."
N. u. Ch.
(Neumann und Chamisso.)
In diesem Almanach sind unter den Zeichen **. und ***. denn auch die
zwei Sonette Fichtes abgedruckt, die aus den WW., Bd. VIII, Hilf, bekannt
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 53
sind. Auch die Übersetzung der „Lateinischen Hymnen" von *. hat Fichte
zum Verfasser (s. Anhang S. G3 f. und Goedecke, VI. 146).
(S. 25, Z. 3 v. o.) Vgl. zu dem Bilde von Demokrit und Heraklit die
ähnliche Charakterisierung des Schlegel-Tieckschen Musenalmanachs vom
Jahre 1802 in einem Briefe Goethes Schriften der Goethe-Ges., XIII, 220)
an Schelling: „Die Theilnehmer des Almanachs, dm- eine Arl von Purgatorio
darstellt, befinden sich weder auf Erden noch im Himmel, noch i,i der Hölle,
sondern in einem interessanten Mittelzustamd, welcher theils peinlich, theils
erfreulich ist" auch bei Pütt, I, 350, W.-A.. IV. 4452 .
(S. 25, Z. 13 v. o.) Diese kurze Anzeige, A.-z. gezeichnet, ist von
I,. Geigei in seinem Neudruck, S. X, abgedruckt und bat zum Verfasser Frie-
drich .luciust Schul-, d. i. A.-z.. bekannter unter seinem Pseudonym Friedrich
Laun siehe Goedecke s. v. und Frz. Schultz, der Verf. der Xachtw.. S. 213).
(S. 25, Z. 15 v. o.) Robert ist Ludwig Robert (Levin Marcus), der
Bruder der Rahel, die später Varnhagens Gattin wurde. Eduard ist Julius
Eduard Hitzig (Itzig) (Goedecke, IX. 433). Ernst ist K. von Raumer, als
Mineraloge Schül<T von Steffens (Goedecke. VI. 271 . Anthropos ist Koreff
(Goedecke, VI, 186), Wolfart ist der bürgerliche Name des seinerzeit auch
als Arzl bekannten Schriftstellers Karl Christian Wolfart, .* ist schwerlich
Theremin ; **. und ebenso ***. ist Fichte, dem auch das Zeichen *. gehört,
vgl. Anhang S. 63.
S. 25, Z. 19 v. o. Novalis isl Hardenberg, Bonaventura Schelling.
Inhumanus isl A. W. Schlegel (Wff, II. 256 ; durch Sternchen, d. h. durch
*** ist Fichtes Idylle ; ,,\Vas regst du, mein Wein, in dem Fasse dich"
\Y\Y.. s. 4ij_) bezeichne! Redlich, Chiffernlexikon zu den Musenalmanachen,
L875, S. 42) ; Caroline ahnt also nicht, daß die „Sternchen" im Schlegel-
Tieckschen Musenalmanach dieselbe Person verdeckten, wie die im Chamisso-
Varnhagenschen, nämlich Fichte Varnhagen, Dkw., I. 301). Sophie ist Sophie
Bernhard!, geb. Tieck. Auguste ist Augusta Klaproth. Geiger, a. a. 0., S. \ II.
S. 2."), Z. 17 v. u. 'i So das Widmungsgedicht, siehe üben S. 52, und
das Gedicht „An die Freunde (t. t. it. a.)" von Anthropos s. unten Anm. zu S. 27, 18.
(S. 25, Z. 18 v. u. „Goethe", Sonetl von Augusta; „Octavian. An
Tieck" von W. Xeumann.
S. 25. Z. 11 v. u.' Von Chamisso und *. i Fichte).
S. 25, '/.. 8 v. iL Im Musenalmanach vom Jahre 1S02. S. 254.
(S. 25, Z. 7 v. u. Von .* (Theremin? .
S. 26, Z. 2 v. u.) Siebe das Widmungsgedicht oben S. 52, das vun
Caroline offenbar ebenso mißverstanden ist, wie das unmittelbar darauf an-
geführte Sonett von W. Xeumann, das gar keine Beziehung auf Fichte verrat :
es beißt darin nicht „Friedsel'ge", sondern ,, feindselige Klarheit", wodurch
ein ganz anderer Sinn entsteht. Die erste Terzine des Sonetts lautet :
„Die Täuschung ist entflohen und die Wahrheit
„Erfüllt den Baum mit schrecklichen Gestalten,
„Die fordern und gewähren keine Schonung".
„Sei mir willkommen denn feindsel'ge Klarheit etc."
(S. 27. Z. 4 v. o. Aus einem Sonett von K. A. Varnhagen.
S. 27. Z. 18 v. o.) Aus dem Sonett „An die Freunde" t. t. tt. u. (das
ist tö toü ttcAou äoxpov = Fichte ! von Anthropos (Koreff), das so beginnt :
ii Frank :
„Den Tilgrim tief verkannt, saht Ihr erscheinen . . . .", and damit deutlich
auf Fichte abzielt.
s. 27, Z. 17 v. u. Aus dem Sonetl „Dichtertrost" von .* (Theremin??).
b) Die Rezension über „Erzählungen und Spiele", herausgegeben von
Neumann und Varnhagen 1807.
s Buch stelll auch eine Ar! von Musenalmanach vor, denn es enthält
Beiträge Verschiedener, aber nicht nur Gedichte, auch Prosa. Nach Varnhagen
(Denkwürdigkeiten, I, 314) haben wir in ihm tatsächlich eine Fortsetzung des
„Grünen" zu erblicken .siehe Geiger, a. a. <>.. S. XX).
Eingegangen ist die Rezension am 14. April L807, und am 20. April be-
stätigt Eichstädt den Empfang „der schönen Recension, die er durch Schel-
Güte erhalten" habe. Diese Wendung zeigt, dal.) wir auch diese Be-
urteilung Carolinen zuzuschreiben hallen, und die Beobachtung ihres Stils
kann unsere Annahme nur bestätigen. Salze, wie die S. 29 : „Deßwegen
alier .... gegen sie zu gebrauchen", oder etwa S. 29, Z. 19 v. u. : „Es
sich daher .... ihr dabei Gewalt anzulhun", würde Schelling schwer-
lich geschrieben haben.
(S. 29, Z. 21 v. o.) Urbano nach Boccaccio von \V. Neumann. Belfagor
nach Machiavelli von eben demselben.
(S. 30, Z. 5 v. o.) Ein im Elysium geführtes Gespräch, dessen Ver-
fasser Bernhardt ist. Varnhagen, Dkw., I, 344). Rosa Maria ist Varnhagens
Schwester Rosa Maria Assing (Goedecke, VI, 185, Allg. d. Biogr., I, 624 f. ;
Geiger, a. a. 0.). Pellegrin ist de la Motte Fouque (1777—1843), der unter
diesem Pseudonym schon zum Musenalmanach vom .fahre 1806 beigetragen
hatte (vgl. Fouque, Selbstbiogr., S. 274). Hier sind von ihm eine Gedicht-
sammlung : „Blüthenkranz" und „Der Helden Rettung".
(S. 30, Z. 10 v. o.) Von A. v. Chamisso, geschrieben 18.— 25. April
1806. Schleiermacher lobte Adelberts Fabel sehr. Alfonso, ein „Mährchen
von Varnhagen".
(S. 30, Z. 12 v. o.) „Ich habe euch erkannt, euch, meine Schicksals-
genien, rief Adelheid, Karfunkel, du, meiner inn'ren Selbstmacht "
(S. 30, Z. 3 v. u.) Wilhelm Elogius Meyer (geb. 1784 in Breslau, Dr. d.
Philosophie) war schon am 18. Mai 1805 gestorben. Von ihm ist noch
„Horribunda, ein Drama", Berlin 1805, und „Klio Thalia", Breslau 1801.
(S. 31 u. 33.) „Ein Zeitstück in einem Akt".
2. Die Rezensionen über Calezki, Nathan den Weisen, Bürde.
Diese Beurteilungen sind als eine Art von Proberezension zusammen
mit der der ,, Aurora" am 22. Februar eingegangen. Von ihnen ist nur die der
Aurora nicht abgedruckt worden ; sie liegt aber noch händschriftlich in Caro-
linens Nachlaß vor (Waitz, I, S. V Anm.), und ihre Veröffentlichung ist
wohl in der bevorstehenden Ausgabe der Caroline-Briefe von Erich Schmid zu
erwarten, ebenso, wie die der gleichfalls noch vorhandenen von „Beckers Er-
holungen", 1806, die von Schelling gar nicht eingesandt worden zu sein
scheint.
Mit der Beurteilung der Aurora hatte es nun folgende Bewandtnis: Eich-
städt schickte sie mit dem Brief vom 8. Mai 1805 im Manuskript an Goethe
Rezensionei über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 55
zugleich mit der schon gedruckten des Musenalmanachs von Varnhagen etc.21)
Goethe lobte zwar beide Rezensionen sehr (W.-A.. IV. Xr. 5092), wünschte
aber „von derselbigen Hand" noch eine Besprechung des Freimütigen und der
Eleganten Zeitung. Eichstädt teilte diesen Wunsch Goethes Schelling mit
und dürfte in Erwartung dieser Rezensionen mit dem Abdruck der Aurora
gezögert haben22), bis es dann schließlich zu spät dafür war. Ein besonderer
Beweis dafür, daß auch diese Beurteilungen von Caroline sind, dürfte sich
nach dem Gesagten erübrigen.
(S. 34.) Der Verf. der rezensierten Parodie ist uns unbekannt. Ziem-
lich zu gleicher Zeit erschien anonym eine ähnliche Travestie von Julius
v. Yoß unter dem Titel : „Der travestirte Nathan der Weise", Posse in zwei
Akten mit Intermezzos, Chören, Tanz, gelehrtem Zweikampf. Mord und Todt-
schlag. Das Nachspiel ist der travestirte Alarkos, Berlin 1S04. 8. M. Kpf.
(Meusel, V, 5, 557 u. IX, 274). Von der hier besprochenen Travestie wird
ausdrücklich betont „ohne Todtschlag !".
(S. 34.) Wilhelm Calezki ist uns unbekannt.
8. G. Bürde ist 1753 geboren in Breslau, wo er 1831 starb. Er war
ein seiner Zeit ziemlich geschätzter Dichter, von dem noch in den dreißiger
Jahren des 19. Jahrhunderts Ausgaben veranstaltet wurden (Goedecke, V,
§ 27:;. 20).
(S. 35, Z. 1 v. o.) Thomas Gray ist der bekannte englische Lyriker
(1716 — 1771 . berühmt namentlich durch seine „Elegy «ritten on a country
churehyard", die, im Jahre 1751 gedichtet, bald in alle Sprachen über-
tragen wurde.
(S. 35, Z. 11 v. o.) „Alzire", eine Tragödie von Voltaire, erschien 1735.
(S. 36, Z. 10 v. u.) Der vollständige Titel von Wielands Don Sylvio
ist : „Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder die Abeutheuer des
Don Sylvio von Rosalva. Eine Geschichte, worin alles Wunderbare natürlich
zugeht", Ulm 1764. Bürdes „Komische Oper Don Sylvio" wurde von G. Bach-
mann in Musik gesetzt (Goedecke, a. a. 0.).
Anmerkungen zu der Rezension von Schelling und Caroline.
Die in dieser Beurteilung besprochenen Bücher sind sämtlich Ostern 1805
erschienen und wahrscheinlich bald danach an Schelling abgeschickt worden.
Die Beschäftigung mit dieser Romanliteratur im Sommer 1805 verrät ein Brief
Carolinens bei Wailz, II, 276 (vom August 1805) ; eingegangen ist die Re-
21) Ungedruckt im Goethe-Archiv unter „Eing. Briefe", XLVII, 60. (Vgl.
üben S. 50.)
22) Noch am 8. Januar 1806 ermuntert er Schelling dazu, eine Re-
zension über Kotzebues Zeitschrift „Der Freimütige" (siehe oben S. 47) zu
schreiben : „Ich bin nicht der Meinung, daß man diesem Schamlosen alles
müsse ungeahndet und unbemerkt hingehen lassen .... ich bin überzeugt,
daß, wenn L es sing noch lebte, er auf diese Schlange schon längst würde ge-
treten haben, damit das Gift nicht weiter sich verbreite und den Unvor-
sichtigen Schaden zufüge". Schelling scheint dies dann in seiner Rezension
über Kotzebues Romane versucht zu haben.
5G Erich Frank :
on am 3. Februar L806. \m selben Tag melde! Eichstädt Goethe:
[Hing hal ron der unbekannten Hand wieder einige sehr brave Recen-
sionen von Romanen geschickt, welche .... sogleich abgedruckt werden
sullon" (Eing. Br., XLVIII, L6). Der Dank Eichstädts an Schelling folgte aber
erst am 4. März 1806 mit dem schmeichelhaften Urteil : „Es wäre sehr
wünschenswert, daß alle Recensionen in dem sogenannten belletristischen
fache so gediegen und dabei so zierlieh wären, wie die von ihnen über-
sandten". Paß diese Rezension von Schelling und Caroline gemeinsam ab-
gefaßt ist, ergibl sich aus ihrem Stile. Wer sich die stilistische Eigenart der
vorangegangenen Beurteilungen eingeprägl hat, der wird in Sätzen, wie den
folgenden, die Hand Schellings nicht verkennen : ,, Nicht sowohl dieses In-
st indes ermangell sie als vielmehr desjenigen für die Lesbarkeit eines Buches
überhaupt" ; oder in dem Satz mit der philosophischen Unterscheidung von
Denken und Anschauen: „Das erste sind strafende Rhapsodien . . . ., aus
denen sich niemand einen gesunden Gedanken oder irgend eine Anschauung
nehmen mag und kann" S. 39). Diese abstrakte Redeweise herrscht durchaus
in der Einleitung und in der Besprechung der drei ersten Bücher, während
dafür das Folgende (von der Besprechung „des unglückliehen Weihes" an,
S. 39, X. 5 v. u. „Ebenso verrückt ist die Geschichte eines unglück-
lichen Weibes") deutlich Carolinens Stil zeigt. Wir brauchen zum Beweis
dieser Behauptung nur einige Proben anzuführen : „Denn sie stellen nicht etwa
das Bild eines weiblichen Wesens auf, das durch lockende Umgehung und ge-
wöhnliche Schwachheit in den Irrgarten der Liebe gezogen wird, sondern eines
solchen, das ganz ursprünglich dazu bestimmt ist, sich, wie die Umstände es
eben wollen, mißbrauchen zu lassen ; eines Röschens, das schon in der
Knospe welk war . . . .", S. Kl. Oder S. 42 : „Das erste ist zugleich von
dem feinsten Anstände, und sowohl in diesem Betracht wie in Ansehung der
ungezwungenen und gefälligen Sprache einer weiblichen Feder würdig . . . .".
Caroline gehört offenbar auch die Beurteilung der Bibliothek der Robinsono
und des Romantisch-Wunderbaren, die vielleicht als Schluß der Roman-
rezension geplant war, aber in derselben Nummer keinen Platz mehr fand.
S. 38, Z. 15 v.o.) Der Verf. der „Amalie Balbi" ist Ignaz Ferdinand oder,
wie er sich auch nannte, Theodor Ferdinand Kajelan Arnold (1771 — 1812),
Dr. der Philosophie, zugleich Advokat, Privatdozent und Universitätssekretär
zu Erfurt, „der schon einige 20 grausige Spuck- und Blutgeschichten zutage
gefördert hafte, obgleich er, wie er selbst sagt {Amalie Balbi, S. 8 — 21), in
dein romantischen Fach oft mit herzlichem Widerwillen arbeitete". Müller-
l'iaureuih, Die Ritter- und Räuberromane, 1894, S. S7. Ob „Johanne Soul-
gate" auch von ihm ist, hat sich nicht feststellen lassen. Doch machen es
die Titel der sonst von ihm bekannten Romane sehr wahrscheinlich. Der
Verfasser der silbernen Kali ist Georg (nach Meusel Gustav) Teubner,
M. d. Phil, und geb. ca. 1770 in Schlitz (Goedecke, V, § 27G, 10, 4). -
„Das unglückliche Weib, ein Gemähide aus der jetzigen WTelt", dürfte auch
von Teubner sein, wenn es sich auch anter den von seinen Zeitgenossen ihm
sicher zugeschriebenen Werken nicht befindet.
S. 38, Z. U v. u. i Von Johann Karl Wetzet, der sich auch Wezel und auch
Wölzel schrieb 1765—1836, vgl. Goedecke, Vi, § 298 A, IG, und Meusel, IV5,
erschien im Jahre 1801 „Meiner Gattin wirkliche Erscheinung nach
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 57
dem Tode, eine wahre unlängst erfolgte Geschichte für jedermann zur Be-
herzigung und vorzüglich für Psychologen zur unparteiischen und sorgfältigen
Prüfung dargestellt". Welches Aulsehen dieses Buch damals machte (vgl.
Wielands Euthanasia, 1805), läßt sich am besten daran ermessen, daß im
Zeiträume von kaum einem Jahr nicht weniger als vier Auflagen nötig
wurden. Es entfesselte eine Flut von Entgegnungen, Nachahmungen und
Parodien, über die man sich am besten in den Rezensionen der Jenaischen
Literatur-Zeitung Nr. 30, 76, 1805 und Nr. 97, 1806 (von e. das ist Prof.
Schmid in Jena) unterrichten kann (vgl. Goedecke, a. a. 0.). Dieser Wetzel
ist ebenso zu unterscheiden von F. G. Wetzel, 1778—1819 (der aber unter
seine populär-medizinischen Werke auch den Namen Karl Wezel setzen
ließ, und der vun Franz Schultz für den Verf. der Nachtwachen gehalten
wurde; Goedecke, VII, § 331, 8), wie von dem durch seinen Roman , .Tobias
Knaul" seinerzeit berühmt gewordenen Johann Karl Wetzel (1747 — 1819)
(Goedecke, IV, 1, § 230, 22; Koberstein, IV, 168; Meusel, IV5, 208, IX", 528).
S. 39, Z. 9 v. 0.) Georg Teubner, siehe oben.
S. 39, Z. 22 v. o.) Nicht schlecht geraten: Teubner hatte 1803 den
Versuch gemacht, in Jena Privatdozent zu werden, doch mußte er, wie
Meusel erzählt, unverrichteter Sache in seine Heimat Schlitz zurückkehren.
S. 40.) Alles Romane von Teubner: „Gott Wezeis Zuchtruthe des
Menschengeschlechts eine Zugabe zu Tobias Knaut. Aus Familiennach-
richten gezogen. 8. Erfurt." „Gallopaden und Bocksprünge auf dem Stecken-
pferd meiner Laune. Vom Verfasser des silbernen Kalbes". „Das silberne
Kalb eine Zugabe zum goldenen", Erfurt 1803—1804 (das goldene Kalb ist
vom Grafen von Benzel-Sternau, vgl. Caroline von Waitz, II, S. 276, siehe
oben S. 55). „Gott- Wezeis Zuchtruthe" wurde früher (Meusel, IV5, 208)
Job. Karl Wetzel d. ä. (1747 — 1819) zugeschrieben.
(S. 40.) „Höschens Geheimnisse" „vom Verfasser des Guido von Sohis-
dom" waren in erster Auflage in Pirna 1798 — 1799 erschienen. Der Verf.
dieses Romans und „Weibes, wie es ist (1800)" ist der fruchtbare und
damals berühmte Schriftsteller Friedrich Gustav Schilling (Goedecke, V,
l.s:; . Dieses letzte Buch gehört zu der Unzahl von Romanen mit ähnlichen
Titeln, die durch den bekannten Tugendspiegel ., Elisa oder das Weib wie es
sein sollte", Leipzig 1795, von Wilhelm. Caroline von Wobeser (1769 — 1805)
hervorgerufen worden waren, und unter denen sich gar „ein Unterföckchen
wie es sein sollte", 1803, findet; ja, Friedrich A. Schulze schrieb eine ganze
„Familie wie sie sein sohle. Ein Roman wie er sein kann", Goedecke,
§ 279, 49, 13.
(S. ll.i Über Gottlob Gramer, einen der fruchtbarsten und beliebtesten
Romanschreiber '1758 — 1817) vgl. Goedecke, V, 511; Appell, Ritter-, Räuber-
uml Schauerrqmantik, 1859, S. 15 — 34. Cramer wußte sich über schlechte
Kritiken zu trösten : „Meine Romane werden, was auch immer trübsinnige,
mürrische Recensenten denken und sagen mögen, nicht gelesen, sondern ver-
schlungen, nachgedruckt und noch vielmal aufgelegt und sogar von den stolzen
Brüten übersetzt". Müller-Fraureuth, Räuber- und Ritterromane, S. 50ff. Er
schrieb 68 Romane in weit über 100 Bänden !
(S. 41, Z. 21 v. o.) Der Verfasser hat sich nicht feststellen lassen.
(S. 41, Z. 27 v. o.) Der Arzt Zimmermann ist wohl der als Philosoph
Erich Krank :
und Gegner dei Aufklärung bekannte Schriftsteller Johann G.Ritter V.Zimmer-
mann (1728—1795), der Arzl Friedrich des Großen. Vgl. Koberstein, IV, 217f.
S. II. i F. Guillaume Ducray-Duminil (1761—1819) war einer der an-
erkanntesten Romanschreiber Frankreichs. Einwurfe <>u la lillc de l'hospice
erschien in Paris 1804 (5 Bde. in 12). Die vorliegende Bearbeitung dürfte,
dem Titel nach zu schließen, auch den Roman Coelina ou Venfant du mystere,
Paris 1798, benutzl haben. Karl L. Methusalem Müller war Advokat in
Leipzig und hal sich als Übersetzer aus dem Französischen und Englischen
einen Namen gemacht. Goedecke, VI. 379, 20; .Mensel, Bd. V u. X«.
s. II, Z. K) v. u.) Anna Eadcliff, geb. Waid (1764—1823), ist die be-
rühmte Verfasserin englischer Ritter-, Käuher- und Geistergeschichten (Ger-
man horrors i.
s. 12. Hie Verfasserin der „Maria Müller" (2. Aufl., Berlin 1799, mit
Namen) ist. Charl. Sophie 1,. von Ahlefeld; geh. v. Seebach (geb. 1787 zu
Stedten hei Weimar, vgl. Meusel, X, 18; Goedecke, V, 489).
S. 12. Fr. Jnl. Reichsgraf von Soden, geh. 1754, gest. 1831 in Nürn-
berg : Goedecke, V, 260.
S. 12, Z. 11 v. o.) Die leise Ironie auf den adeligen Stand der Ver-
Easser läßl darauf schließen, daß Caroline beide kannte. Dies wäre zu be-
greifen ; denn Charl. v. Ahlefeld lebte in Weimar, Graf von Soden seit 1804
in Würzburg, wo er das erste stehende Theater gegründet hat.
S. 13.) Der Herausgeber Ernst Chr. Trapp (1745—1818) galt, seiner
Zeit neben Basedow als einer der bedeutendsten Theoretiker der philan-
thropischen Pädagogik. „Seine letzte Arbeit scheint die Herausgabe des
Romans Friederike Weiß etc. gewesen zu sein, den Wilhelmine Antoinette
von Thielau verfaß! hatte". Allg. deutsche Biographie, XXXVIII, 497.
S. 1 1. Der „Verfasser der grauen Mappe aus Ewald Rinks Verlassen-
schafl", Berlin 1790— 4794, ist Johann Chr. L. Haken (1767—1835). Als
I 'fairer zu Symbow schloß er mit Schleiermacher, damals Hofprediger in
Stolpe (1802), Freundschaft. Siehe Goedecke, VI, 380, Nr. 8. Der Heraus-
geber der Bibl. des Romantisch-Wunderbaren ist Chr. August Vulpius, der
Schwager Goethes und der Verfasser des berühmten Räuberromans Rinaldo
Rinaldini (1762—1827). Goedecke, V, 512, 42; Müller-Fraureuth, a. a. ().,
77—82 ; Appell, 42—53.
S. I 1, Z. 1 1 v. u.) Campes „Robinson der Jüngere" erschien in Ham-
burg 1792 — die 116. Aufl. 1894!
S. M. Z. 8 v. u.) Daniel Defoea (1GG0— 1731) Roman: The life and
Strange surprising adventures of Robinson Crusoe of York erschien 171'.);
schon 1720 die erste deutsche Übersetzung. (Vgl. Hettner, Robinson und die
Robinsonaden, ein Vortrag, Berlin 1854, u. a. m.)
Anhang.
1. Die anonymen Korrespondenzen Schellings im Intelligenz-
blatt der neuen Jenaischen Literaturzeitung.
Als Anhang können hier zwei anonyme Korrespondenzen l'lalz linden,
die Schelling für das [ntelligenzblatt der Liieratur-Zeitung geschrieben bat,
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 59
und die wenigstens nicht ohne jedes biographische Interesse sind. Am 20. De-
zember 1804 erbot er sich, „Nachrichten über das Studienwesen in Franken
und die Procednren zur Einführung desselben zu verschaffen" (Pütt, II. 14).
Eichstädl waren solche Nachrichten nicht unwillkommen (Brief vom 30. De-
zember 1804), und die von Schelling am 10. März 1806 eingesandten sind
wahrscheinlich die ersten. Aber „der Ungewißheit wegen, in der damals alle
Verhältnisse schwebten", wünschte er sie schon im Brief vom 2. April 1806
(Plitt, II, 83) wieder zurückzuziehen. Doch war es zu spät; sie sind bereits
im Intelligenzblatt vom 28. März 1806 abgedruckt worden.
„Einige Nachrichten über die neuesten obscurantischen Verfügungen der
Regierung in Würzburg" kündigte Schelling dann wieder in dem Brief vom
DJ. November (Plitt, II, 103) für das Intelligenzblatt an. Es sind offenbar die,
welche in der Nr. 6 vom DJ. Januar 1807 erschienen sind.23) Diese Veröffent-
lichung hatte noch ein interessantes politisches Nachspiel. Die Würz-
burger verlangten nämlich von der Begierung in Weimar, mit der sie gerade
in diplomatischen Verhandlungen standen, daß ihr der Einsender der be-
wußten Nachrichten genannt werde (Brief Eichslädts an Schelling vom
6. März 1807 ungedruckt in Schellings Nachlaß). Eichstädl weigerte sich aber
mit Berufung auf das Bedaktionsgeheimnis ihn zu nennen und nahm
alle Verantwortung auf sich. So blieb es bei einem Verweis an Eich-
städt ; dieser erzählt in einem Briefe an Schelling den Hergang mit gutem
Humor: nach W. Würzburg) sei rescribiert worden, „Daß der Hofr. E. als
Herausgeber der Jen. A. L. Z. für dieses mit hcrzogl(ichcn) Privilegien ver-
sehene literarische Blatt verantwortlich sei und mit seiner Verantwortung
vernommen werde. — In Ahndung solcher (Jnvorsichtigkeil u. Ungebühr sey
dem Hofr. E. als Herausgeber ein nachdrücklicher Verweis erteilt u. die ernst-
liche Verwarnung hinzugefügt worden bey Vermeidung schärferer Ahndung
sich <ler Aufnahme solcher anstößiger Korrespondenzen zu enthalten." Alles
wörtlich abgeschrieben ! versichert der Briefschreiber.
Intelligenzblatt Nr. 29 (den 28. März) 1806.
Aus Br. v. Würzburg, vom 10 März. Die bekannte Uebergabe von
Würzburg an den Kurfürslen von Salzburg versetzt die protestantischen Ge-
lehrten, welche Bayern vom Auslande her in seine Dienste berufen hat, un-
läugbar in eine, wenigstens augenblickliche, Verlegenheit, die sie wohl nicht
voraussehen konnten. Bayern hat über ihre gänzlich veränderten Verhältnisse
und die daraus entspringenden Folgerungen keine Erklärung von sich gegeben.
Der Grund davon mag in politischen Maßregeln und der gegenwärtigen Fluc-
tuation liegen, wo selbst die Besitzungen der Staaten noch nicht bestimmt sind.
und daher auch die Orte und Bedingungen der Versetzung dieser Männer nicht
gleich bestimmt werden konnten. Es wäre ungerecht, gegen eine Regierung,
die sich bisher in solchen Verfügungen immer gerecht gezeigt hat, Anderes
hierüber zu vermuthen. Der öffentliche Gang der Sache war bis jetzt
dieser: daß außer Hn. Hufeland, welcher an Feuerbachs Stelle nach Lands -
23 ) Brief vom 19. Dezember 1807 von Eichstädt an Schelling (un-
gedruckt) : „Die Nachrichten aus Würzburg — sehr interessant — sollen
künftige Woche abgedruckt werden. Nur Vossens Namen will ich weglassen."
60 Erich Frank :
hui versetzt wurde, die Hn. Stahl und Medicus. welche dort die nichl I ><■-
setzten Lehrstellen der Physik und Kameralwissenschafl ausfüllen sollen,
ferner die Hn. Niethammer und Fuchs, die protestantischen Prediger, in ihrer
Eigenschafl als Consistorialräthe zu Bamberg übertraten, indem durch den
Verlusl von Würzburg nur wenige protestantische Pfarreyen wegfielen, die
übrigen unbedingt überwiesen wurden. Hierauf war feyerliche Präsentation
hey dem kaiserl. Besitzergreifungs-Commiss., Hn. von Hügel, wobey keine
Verpflichtung Statt fand. Der Anfoderung, die Vorlesungen für das nächste
Semester einzuschicken, haben Folge geleistet : Paulus, Martini, Mannert,
von Hoven. Hey der eigentlichen Verpflichtung fehlten, außer den bereits
placirten, Paulus, der sich krank melden ließ, und Schelling. Wenige Tage
darauf wurde durch den Secrelär der l'ni versi läi allen denen, durch die
bayerische Organisation neu angestellten Professoren, welche ihre Vorlesungen
eingesendet hatten, die mündliche Notiz ertheilt, daß der Hr. von Hügel den
Druck des Lectionskatalogs zwar vorläufig genehmigt habe, jedoch diesen
Lehrern über ihre künftige Bestimmung dadurch nichts zugesichert, sondern
die weitere Verfügung dem neuen Gouvernemenl vorbehalten sey. Man ist sehr
begierig auf die endliche Entwickelung dieser seltsamen Lage. Wenn keine
neue Universität errichtel wird und keine neue gewonnen, was in Absicht auf
Erlangen dadurch vor der Hand zweifelhaft geworden ist, daß es nicht mit
dem Fürstenthum Ansbach besetz! wurde: so ist eine Zerstreuung dieser bis-
berigen Mitglieder der üniversitäl Würzburg vorher zu sehen. Mannert soll
sieh erklärt haben, gern in Würzburg bleiben zu wollen. Von Schelling sagte
man. er habe dazu eine Einladung erhalten, was sich vielleicht auf eine aus-
gezeichnete Aufnahini' desselben von Seiten des Hn. von Hügel gründete ; in-
dessen hat er sich seitdem seihst aufs bestimmteste erklärt, nicht hier zu
bleiben, und wird, wie mau sagt, in Kurzem nach München abreisen. —
In diesem Conflicl der Hinge befindet sich nun die vor wenig Jahren, unter
-n neuen und schönen Erwartungen, begonnene Unternehmung. Eine Ge-
schichte der Universität Würzburg unter Bayern, von unparteyischer Hand,
müßte sehr interessant seyn. Zur Genüge ist es bekannt, daß sie aus sehr
widersprechenden Elementen gemischt war; daß vieles Schlechte die Summe
des Unten beschränkte, und besonders persönliche Verhältnisse einen sehr
nachtheiligen Einfluß hallen. Dennoch aber ist mehr für das Ganze ge-
schehen, als sich unter jenen Umständen vermuthen ließ; auch für Würzburg
ging die Wirkung nicht verloren, wie die Einheimischen zum Theil aner-
kennen, zum Theil noch anerkennen werden.
Intelligenzblatt Nr. 6 (den 19. Januar) 1807.
(Aus Briefen v. /></-. 1806.) Die in einem Blatte des vorigen Jahrganges
ertheilten Nachrichten über den jetzigen Zustand der wissenschaftlichen An-
stalten in Würzburg dürften neuerdings einige Modificationeri erleiden, indem
lii ( k i > 1 1 i <■ L k< i I Beweise davon zu geben anfängt, daß sie gar sehr gesonnen
sei, die alten Gewohnheiten zu üben, und sich des geschmälerten Deichs
wiederum ganz zu bemächtigen. In kurzer Zeil wird, wenn es so fortgeht,
Spur de- glänzenden Zwischenspiels mehr vorhanden seyn, und sich nur
noch im Gedächtniß mancher, wie ein erlittenes bitteres Unrecht, erhallen.
Seit dem Ausbruche des Krieges sind die abgeschafften Drocessionen wieder
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 61
in ihre Rechte eingesetzl wurden. Von einer Veränderung beim Gymnasium
war schon länger die Hede, und es wurde bey der Landesdirection ein Plan
dazu ausgearbeitet, dein man gern alles Gedeihen hätte wünschen mögen, in
der Hoffnung, an die Stelle des bekannten Schulplans etwas wirklich besseres
trelen zu sehen. Indessen schien es gegen das Ende der Ferien, daß es noch
sein Bewenden damit haben werde, als plötzlich am 27 Oktober von dem
dirigirenden Staatsministerium der Beschluß erging, daß alle erst von Bayern
angestellten Lehrer vom Amte entlassen seyen. Das Deere L war an jeden
einzelnen folgendermaßen ausgestellt: „Einer von dem großherzogl. diri-
girenden Staatsministerium unterm 27 Oct. 1. J. ergangenen Entschließung
zufolge, ist nothwendlg befunden worden, die gegenwärtige Einrichtung des
Gymnasiums zu ändern, und mit ihr auch die darauf berechnete provisorische
Anstellung des Prof. N. N. wieder aufzuheben: indessen wird dem vom Lehr-
amte abtretenden Professor bis auf weitere Anordnung sein Gehall provi-
sorisch belassen. Würzburg, am 27 Oct. L806. Großherzogl. Landesdirection."
— Hiebey ist zu bemerken, daß der Rector Klein und Prof. Ziegler wirklich
definitiv angestellt waren. An das Hofgericht erging ein Rescripl um ein Gut-
achten über die Verbindlichkeit zu Auszahlung der Salarien für die dimit-
tirten Lehrer. Diese waren: der Rector Klein, die Prof. Ziegler, Heldrnann,
Krisan, Eüssemann, Rüger und der Zeichenmeister Henzig, unter denen einige
allerdings nicht zu regretliren seyn möchten, andere aber ihre Fähigkeit auf
eine sehr ausgezeichnete Weise an den Tag gelegt hatten, so daß besonders
die Entlassung des Rector Klein eine allgemeine Klage erregte. Neu angestellt
wurden vier Geistliche : Pfarrer Neser, der unter der bayerischen Regierung
vom Gymnasium entferat worden war, Rutta, Reuß und Biderrnann, von deren
Obscurität nichts weiter zu sagen ist, und zum Präfecten des ganzen Gym-
nasiums und Prof. der Philosophie wurde ernannt ein bereits beym Gym-
nasium angestellt gewesener Hr. Blüm, der während der bayerischen Re-
gierung, je nachdem die Gelegenheit sich ergab, sich um verschieden Hiebe
Professuren bey der Universität gemeldet, und, da er um die philologische
nachsuchte, angeführt halte, daß er alle Eigenschaften und Kenntnisse zu be-
sitzen glaube, welche im Organisationsrescripl als wesentlich dazu angegeben
würden : da zum Vorhilde dieser Forderungen doch niemand geringeres als
ein Yoß gedient hatte. Früher hatte er sich um die mathematische Lehrstelle
beworben ; die Philosophie ist also jetzt das dritte Fach, worin der .Mann
excellirt. Man hatte ihn immer durch alle Instanzen als untüchtig zurück-
gewiesen ; ja in einer Charakteristik, welche, noch am Tage vor der Er-
scheinung des Edictes, der Landesdirection, man weiß nicht zu welchem Ende,
abgefodert wurde, war dieser Blüm als unfähig zum Lehrer der Poesie und
Rhetorik, als welches er bis daher gewesen war, angegeben. Da ihm und einem
Hr. Schön zugleich verstattet wurde, als Professoren der Philosophie bey der
Universität mit zu gellen, und am Ende <\<'> Schuljahres die ausgezeichnetsten
Schüler zu Doctoren der Philosophie creiren zu dürfen : so sind bereits die
kräftigsten Gegenvorstellungen von Seiten der Universität gemacht worden,
worin die Unfähigkeit beider gerade zu erklärt und verlangt wurde, daß ihnen
bedeute! werden möchte, der Universität nicht länger mit ihren Anmaßungen
lästig zu fallen. Dennoch ist es, der allgemeinen Meinung nach, der nämliche
Hr. Blüm, der sich unter der bayerischen Regierung ohne Grund für einen
Verfolgten der bischöflichen ausgab, and beym Antritt der jetzigen diese'be
Erich Frank :
Rolle, in Bezug auf das bayerische Gouvernement, spielte, welcher jetzt am
geschäftigsten war. die Veränderung hervorzubringen, die vor allen Dingen
nur den Rector sprengen sollte, an dessen Stelle er gelang! ist. Alle Gut-
denkenden, im Klerus sowohl, als unter dem übrigen Publicum, hallen dafür,
daß auf diese Art, was die Regierung, was insbesondere der mild und ver-
ständig gesinnte Minister als eine heilsame Reform intendirte, nur eine
schlechte Pfaffengeschichte geworden sey. Von der Reform, so weil sie nichl
persönlich ist, ist bereits so viel bekannt, daß statl 5 nun 7 Classen am
Gymnasium sind, und jeder Lehrer eine Classe für sich hat, ferner : daß jetzt
er stunden für die alten Sprachen festgesetzt sind, als durch die baye-
rischen Einrichtungen, in manchen (.'lassen nur die Hälfte, unerachtel man
den Mangel an hinlänglichem Sprachunterricht als Hauptgrund einer not-
wendigen Veränderung angeführt hatte. Die Lehrstunden sind im Ganzen ver-
minder! worden, dagegen die Beichttäge versechsfacht, und die lange schwarze
geistliche Kleidung ist den Lehrern wiederum vorgeschrieben. — Bemerkens-
werth ist es. daß man auch kürzlich den noch übrigen fünf jungen Leuten,
tus dem geistlichen Seminarium gestoßen wurden, weil sie die Vor-
lesungen der Proff. Paulus und Schelling besucht, die Entschädigungspension,
welche ihnen das bayerische Gouvernement zugestanden hatte, ohne Weiteres
entzogen hat. — Die Nachwehen des so gewaltsamen Zustandes von Würz-
burg, besonders in Absicht der Philosophie, fangen gleichfalls an sicli zu
zeigen. Es war seltsam genug, daß während der bayerischen Periode die
Geistlichkeit (den eben erwähnten Schritt abgerechnet) öffentlich wenigstens
sich gegen die Philosophie ruhig verhielt ; wenn es nicht darum geschah, weil
einige Protestanten mittlerweile die Rolle der Pfaffen übernommen hatten :
sodaß diese erst jetzt es wieder für nöthig halten, für sich selbst einzutreten.
Hr. Klein, der sich um eine Stelle bey der Universität bewarb, die sein Talent
und seine Wissenschaft gewiß mit Ehren ausfüllen würde, gerieth dabey, wie
es scheint, von der Charybdis in die Scylla. Das Gesuch wurde nach der
eingeführten Weise von der Curatel an die philosophische Facultät und an
Senat befördert. Hr. Klein aber ist Verfasser eines Buchs : Darstellung
der Philosophie, als Wissenschaft des All etc. (Würzburg, bey Baumgärtner
L805). Das war denn freylich für gewisse Personen ein unleidlicher Urn-
stand ; die Senatssitzung über diesen Gegenstand fiel so stürmisch aus, daß
man sich kaum vorstellen möchte, daß solche Scenen jetzt noch möglich
wären, welche ganz an die Zeiten finsterer Verfolgungssucht erinnern. Hr.
Berg, der in der Kirchengeschichte mit Meisterhaftigkeit die Taktik ehemaliger
Zeloten zu schildern weiß, stellte das von Herrn Klein dargestellte System
dar als das für Kirche und Staat gefährlichste Ungeheuer, las zu dem Ende
abgerissene Stellen aus der Schrift des Hn. Klein vor, kritisirte den Ti'e',
hob Druckfehler heraus a. s. w., auch hatte er bey sich : Steffens neuestes
Werk : Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaft, und las, um die Ge-
fährlichkeit dieser Philosophie därzuthun, vorzüglich die Stellen S. 192 und
193 vor. Es ist auf jenen Blättern vom weiblichen Busen die Rede: aus Hn.
Schad's Lebensbeschreibung isl bekannt, welche Anfechtung diesem geistigen
Herrn die beata ubera l>. virginis Mariae in mehreren kirchlichen Gesängen
und Gebeten verursachten, aber gilt denn diese Noth auch für andere? — Von
Hn. Metz ebenfalls ein (leistlicher, und vor der bayerischen Regierung ein-
Lehrer der Philosophie an der Universität) ist es besser, zu schweigen.
Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline. 63
und nur anzuführen, daß selbst die Zuneigung der Jugend Hn. Klein zum Ver-
brechen gereichen mußte, indem die neue unlogische (d. h. den Zulauf in die
gewöhnlichen Collegia über die Logik mindernde) Philosophie mit dem Leicht-
sinn der Jugend, nichts gründliches zu lernen, harmonire. Hr. Oberthür be-
diente sich der Religion als Schild seiner Einwendungen, indem ja nach der
üeberzeugung aller Welt diese Philosophie sie von Grund aus ti'ge — man solle
doch froh seyn, sie so weit von der Universität weggeschafft zu haben, und
sie auf keine Weise wieder Wurzel greifen lassen. So sprach der helle und
wohlunterrichtete Hr. Oberthür, der auf seinen Reisen in das nördliche
Deutschland das sanfte Licht seiner Aufklärung so weit hat leuchten lassen.
Ganz anders aber der wackere Andres, der, gleichfalls ein Geistlicher, aber
im schönen Sinn des Worts, mit Nestorischer (lewalt jenen entgegenhielt, wie
man von jeher gegen die Philosophie und jeden einzelnen eminenten Philo-
sophen das nämliche vorgebracht, und wie weder die Philosophie noch die
Religion je durch einander gelitten : ganz im Geiste des allen Franken un-
vergeßlichen edlen Franz Ludwig, dessen Erklärung bey der am Reichstage
movirten Frage : ob die Kantische Philosophie gelehrt werden dürfe, hier
noch im frischen Andenken seyn sollte, da zum Theil eben diese Ankläger der
späteren Philosophie beym Vortrag der Kantischen dadurch geschützt wurden.
Das gleiche that Prof. Behr, der sich immer auf der Seite des Rechten und
Tüchtigen zeigte ; desgleichen waren die übrigen Jurisien aus innerer Recht-
lichkeit für das Gesuch des Hn. Klein, und wie zuletzt die Stimmen getheilt
waren, entschied der würdige Prorector, Hr. Kleinschrod, für ihn durch die
seinige. — Außer den Hnn. Berg und Metz fand sich auch Hr. Rückert, ehe-
mals Klostergeistlicher, unaufgefordert mil einer doppelten Vorstellung bey
dem Senat und dem Ministerium gegen Hn. Klein ein. Man erwartet mit
großer Theilnahme, wie sich die Sache vollends entscheiden wird. Von der
leidenschaftlosen Unparteyi ichkeil des Ministers ist alles Billige zu erwarten ;
wie weit aber eine gewisse Partey es treiben weide, isl nicht vorauszusehen,
da bereits eine Äußerung fiel : wenn Hr. Klein auch zum Professor ernannt
würde, so müßte sich doch das Vicariat dagegen auflehnen. So sollte es
denn in unserem Zeitalter noch möglich seyn, daß die Geistlichkeit das Ver-
fahren eines Regenten in seinem Staat umzustoßen oder zu verhindern Indien
dürfte, und sich eine Regierung in der Regierung anmaßte? —
2. Zwei Marienhymnen von Fichte.
Daß die beiden im Folgenden mitgeteilten Gedichte von *. aus dem Cha-
misso-Varnhagenschen Musenalmanach Fichte zum Verfasser haben Vgl. oben
S. 52f.) geht zur Gewißheil aus der Stelle eines Briefes von Chamisso an Hitzig
vom Herbst 1804 hervor: „Ich muß dich aufmerksam machen auf die wenigen
Gedichte von *,**.,***." Alle von Fichte, setit der Herausgeber, Hitzig, hinzu
(Chamissos Werke, V, 46). Sollte man Hitzig aber den Glauben verweigern
wollen, so läßt sich noch eine Äußerung von Varnhagen anführen, der als
der eine der Herausgeber über die Beiträge zuverlässig unterrichtet gewesen
sein muß. Dieser erzählt in seinen Denkwürdigkeiten, I, 2SS von den ver-
schiedenen Mitarbeitern am zweiten Jahrgang des Musenalmanachs und
schließt seine Aufzählung mit den Worten : „unseren Stolz und Ruhm aber
krönte, daß Fichte selber mit vier Gedichten in unserer Reihe stand". Da
til- Erich Frank: Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline.
zwei \on diesen vier Gedichten die in den Uli'., Bd. VIII, 161 abgedruckten
Sonette von **. und ***. sind, so können die zwei anderen nur in den beiden
„Hymnen aus dem Lateinischen von ;." gesuchl werden. Was nun auch immer
Grund gewesen sein mag, aus dem die Herausgeber von Fichtes Werken
diesen Hymnen die Aufnahme versagten — sei es ihre mangelhafte Form
oder was sonsl . es isi so interessant zu sehen, wie auch der Erzprotestanl
Fichte seinen X* »l l der katholisierenden Richtung der Romantik gezahlt hat,
daß wir es nicht unterlassen möchten, diese Gedichte einem weiteren Leser-
kreis bekannt zu geben.
Hymnen ans dem Lateinischen Musen-Almanach, S. 1(>).
1.) Auf Maria's Geburt.
(i quam decora.)
Hellglänzend steigt her,
Auroren bleicht er
Dein Aufgang, du Überschwengliche;
Mond, Sonne bist du
Das Lichtreich Inst du
Maria, das unvergängliche.
Irrt wer in Wogen
Von Nacht umzogen
Geworfen im Kalme, dem krachenden;
Mond Sonne bisl du
Der Leuchtturm bist du
Dem Segler zum Porte, dem lachenden.
Ich will alleine
Sil deinem Scheine
Nachgehen hienieden im Flimmerlicht;
Mmid, Sonne bist du,
Die Fackel bist du
Hinleitend zur Quelle von Himmellicht. —
Darum der Theuren
Geburt wir feiren [den;
Wohl über i\en Erdkreis, den schweben-
Seil sie dm- Sfären
Gewolli entbehren
Maria, die .Mutter der Lebenden.
.Niemals erquickender,
Niemals entzückender
Föbus sich wiese ;
Als da erneuet ward
Höher geweibet ward
Das Paradiese.
Dieses beladel nicht.
Innerhalb schadet nicht
Teuflichc Lugsucht,
Noch der versagete
Kläglich gewagete
Biß in die Trugfrucht.
Dieses verderbten nicht.
Diesem vererbten nicht
Giftige Düfte ;
Nährend durchgehen es.
Klärend durchwehen es
Heilige Lüfte.
unbefleckte Empfängniß Maria's.
Nunqüam serenior.)
Wie in gedrängem Heer
Stehn in ihm eng umher
Tugenden-Blüthen ;
Saugen ohn' Überdruß
Nektar vom Überfluß
Göttlicher Güten.
Mitten im Schwebe-Raum
Thul es den Lebebaum
Treuiglich warten :
Lebebaum Jesus isl.
Unser Herr .lesus Christ :
Gehn wir zum Garten.
(lehn wir, er offen ist.
Kühnlich zu hoffen ist.
Sind wir da, siehe,
Dies Paradiese sieh,
Wie es sich wiese nie,
Jungfrau'n Marie.
\
^i- V
Carl Winter' s rniversitiitshiichhaiulliuig in Heidelherg.
Sitziiucjsbcrichtc der Heidelberger Akademie
der Wissenschaften
(Stiftung Heinrich Lanz)
Philosophisch - historische Klasse.
Jahrgang 1912.
1. Frank. Ebich. Rezensionen über schöne Literatur von Schelling und Caroline
in der Neuen Jenaischen Literatur-Zeitung. (1912, 1.) 2,— Mk.
-2. SroECKius, Hermann. Die Reiseordnung der Gesellschaft Jesu im XVI. Jahr-
hundert. (1912, 2.) 1,50 Mk.
C. F. Wintersche Bncbdruckerei.
■
Frank, Erich
Rezensionen
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